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Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 16/100 16. Wahlperiode 08-12-11

Plenarprotokoll

100. Sitzung

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Förderpolitik in der Tourismus- Beschluss: Überweisung an den Wirt- wirtschaft...... 7405, schaftsausschuss...... 7420, Bericht der Landesregierung Investitionspaket zur Stabilisie- Drucksache 16/2246 rung von Wirtschaftswachstum Dr. Werner Marnette, Minister für und Beschäftigung...... 7420, Wissenschaft, Wirtschaft und Antrag der Fraktion der FDP Verkehr...... 7406, Drucksache 16/2342 Jürgen Feddersen [CDU]...... 7408, Regina Poersch [SPD]...... 7410, 7419, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 7420, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 7413, Johannes Callsen [CDU]...... 7423, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Bernd Schröder [SPD]...... 7425, 90/DIE GRÜNEN]...... 7415, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Lars Harms [SSW]...... 7417, 90/DIE GRÜNEN]...... 7426, 7434, Dr. Henning Höppner [SPD]...... 7419, Lars Harms [SSW]...... 7428, 7404 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

Dr. Werner Marnette, Minister für Entschließung zum Jugendstraf- Wissenschaft, Wirtschaft und recht...... 7466, Verkehr...... 7430, [FDP]...... 7432, Antrag der Fraktionen von FDP, Anke Spoorendonk [SSW]...... 7433, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Beschluss: Überweisung an den Wirt- Drucksache 16/1816 (neu) schaftsausschuss...... 7435, Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Bericht zum PISA-Ländervergleich 7435, Drucksache 16/2356 Antrag der Fraktion der FDP Werner Kalinka [CDU], Bericht- Drucksache 16/2341 erstatter...... 7466, Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Peter Lehnert [CDU]...... 7466, Bildung und Frauen...... 7435, Anna Schlosser-Keichel [SPD]..... 7468, 7473, Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 7437, Wolfgang Kubicki [FDP]...... 7469, 7474, Sylvia Eisenberg [CDU]...... 7440, Monika Heinold [BÜNDNIS Dr. Henning Höppner [SPD]...... 7442, 90/DIE GRÜNEN]...... 7470, Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE Anke Spoorendonk [SSW]...... 7472, GRÜNEN]...... 7444, Uwe Döring, Minister für Justiz, Anke Spoorendonk [SSW]...... 7446, Arbeit und Europa...... 7474, Beschluss: Berichtsantrag Drucksa- Beschluss: Annahme des Antrags che 16/2341 und der Tagesord- Drucksache 16/1816 (neu) in der nungspunkt insgesamt mit der Be- Fassung der Drucksache 16/2356.. 7476, richterstattung der Landesregie- rung erledigt...... 7449, EU-Kompromiss zum Umbau der Agrarsubventionen...... 7476, Unwirtschaftlichkeit von Kohle- Antrag der Abgeordneten des SSW kraftwerken...... 7449, Drucksache 16/2333 Antrag der Fraktion BÜNDNIS Änderungsantrag der Fraktion 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2351 Drucksache 16/2373 Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Lars Harms [SSW]...... 7476, 90/DIE GRÜNEN]...... 7449, 7458, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 7464, 90/DIE GRÜNEN]...... 7477, Manfred Ritzek [CDU]...... 7450, 7462, Claus Ehlers [CDU]...... 7478, Olaf Schulze [SPD]...... 7452, Dr. Henning Höppner [SPD]...... 7479, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 7453, 7460, Günther Hildebrand [FDP]...... 7480, Lars Harms [SSW]...... 7455, Dr. Christian von Boetticher, Mi- Dr. Werner Marnette, Minister für nister für Landwirtschaft, Um- Wissenschaft, Wirtschaft und welt und ländliche Räume...... 7481, Verkehr...... 7456, Dr. Ralf Stegner [SPD]...... 7458, Beschluss: Überweisung an den Um- Thomas Stritzl [CDU]...... 7461, welt- und Agrarausschuss und den Monika Heinold [BÜNDNIS Europaausschuss...... 7483, 90/DIE GRÜNEN]...... 7462, Konrad Nabel [SPD]...... 7464, Beschluss: Überweisung an den Wirt- schaftsausschuss und den Um- welt- und Agrarausschuss...... 7466, Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7405

Beginn: 10:03 Uhr

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bitte, Platz zu nehmen. Ich eröffne die heutige Sitzung und be- grüße Sie sehr herzlich. Ich will zunächst bekannt **** geben, dass von der CDU-Fraktion die Abgeordne- ten Susanne Herold und Tobias Koch sowie von der Regierungsbank: SPD-Fraktion die Abgeordnete Anette Langner und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordnete , Ministerpräsident Karl-Martin Hentschel erkrankt sind. - Allen wün- sche ich von hier aus gute Besserung. Ute Erdsiek-Rave, Stellvertreterin des Minis- (Beifall) terpräsidenten und Ministerin für Bildung und Frauen Beurlaubt sind Frau Abgeordnete Ulrike Rodust von der SPD-Fraktion ab 12 Uhr und Herr Finanz- minister Wiegard von der Landesregierung. Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Europa Ich darf auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler von der Hauptschule in Nortorf und von Lothar Hay, Innenminister der Humboldt-Schule in Kiel mit ihren begleiten- den Lehrkräften begrüßen. - Seien Sie uns sehr herzlich willkommen! Dr. Christian von Boetticher, Minister für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (Beifall) Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tages- Dr. Werner Marnette, Minister für Wissen- ordnung eintreten, teile ich Ihnen mit, dass heute schaft, Wirtschaft und Verkehr Morgen der Raum der Stille seiner Bestimmung zu- geführt wurde und jetzt sowohl allen Abgeordneten Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, als auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren zur Verfügung steht, die danach ein Bedürfnis ha- ben. Ich finde, das ist eine gute Nachricht. **** (Dr. Heiner Garg [FDP]: Dann kann ich ja hier etwas lauter sein!) Ich rufe Tagesordnungspunkt 44 auf:

Förderpolitik in der Tourismuswirtschaft Bericht der Landesregierung Drucksache 16/2246 Ich erteile dazu dem Minister für Wirtschaft, Wis- senschaft und Verkehr, Herrn Dr. Marnette, das Wort. (Unruhe) Der Raum der Stille sollte nicht zu Geschwätz füh- ren! (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das hier ist nicht der Raum der Stille! - Beifall des Abgeord- neten Wolfgang Kubicki [FDP]) 7406 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, des Tourismus mit der Abkehr von unspezifischen Wirtschaft und Verkehr: Themen hin zum Zielgruppenmarketing eingelei- tet. Verschiedene Programme und Fördermöglich- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und keiten stehen uns zur Verfügung, um den Touris- Herren! Schleswig-Holstein ist ein schönes Land. mus nach vorn zu bringen: Zunächst einmal natür- Deshalb bin ich nach Schleswig-Holstein gekom- lich aus meinem Ministerium, das für den Touris- men. mus zuständig ist, über das Zukunftsprogramm (Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE Wirtschaft mit der Maßnahme Entwicklung der GRÜNEN) Tourismuswirtschaft mit 44,9 Millionen €, durch Der Tourismus ist in Schleswig-Holstein ein ganz Förderung des Marketings der Tourismusagentur herausragender Wirtschaftszweig. Ich glaube sogar Schleswig-Holstein mit rund 1,6 Millionen €, dann sagen zu dürfen, eine Leitökonomie. In Zahlen aus- durch institutionelle Förderung des Ostsee-Hol- gedrückt bedeutet dies: stein-Tourismus und des Nordsee-Tourismus auch mit nennenswerten Jahresbeiträgen, weiterhin durch (Zuruf des Abgeordneten Claus Ehlers Förderung der Leitprojekte für die Umsetzung der [CDU]) Neuausrichtung des Tourismus im Rahmen des Der Tourismus erwirtschaftet zurzeit rund 5 Milli- Schleswig-Holstein-Fonds und durch Fördermög- arden € im Jahr. Er beschäftigt mehr als 130.000 lichkeiten für einzelbetriebliche Investitionsprojek- sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen te im Rahmen des ZPW und des Schleswig-Hol- und Arbeitnehmer. Hinzu kommen noch die zahl- stein-Fonds mit insgesamt rund 97 Millionen €. reichen Saisonkräfte in mindestens der gleichen Zusätzlich werden wir durch andere Ministerien Größenordnung. Der Übernachtungstourismus ver- und durch die Staatskanzlei unterstützt. Das Um- zeichnet 2007 ein Plus von 2,4 % im Vergleich zum weltministerium unterstützt uns mit dem Förderpro- Vorjahr 2006. gramm „Zukunft auf dem Land“ unter anderem Die rund 23,6 Millionen Übernachtungen beziehen auch durch die Förderung des ländlichen Touris- sich allerdings nur auf die statistisch erfassten ge- mus. Im Zuständigkeitsbereich der Staatskanzlei werblichen Bettenbetriebe ab acht Betten. Da 80 % bestehen Fördermöglichkeiten für kulturhistorische der Beherbergungsbetriebe in privater Hand liegen Maßnahmen innerhalb des Schleswig-Holstein- und nicht statistisch erfasst werden, können wir die Fonds im Bereich kulturelles Erbe. Übernachtungszahlen in unserem Land mindestens Daneben verwalten einige Ministerien im Rahmen doppelt so hoch ansetzen. ihrer fachlichen Zuständigkeiten Förderprogramme, Das Jahr 2008 hatte bis April und Mai sehr gut be- die zum Teil auch der Tourismuswirtschaft zugute gonnen, es gab dann allerdings witterungsbedingt kommen, wie zum Beispiel aus dem Bereich Städ- einen Knick. Die aktuellen Zahlen des Jahres liegen tebauförderung des Innenministeriums oder aus uns noch nicht vor, aber wir werden darüber berich- dem Bereich Gesundheit des Sozialministeriums. ten. Sie sehen: Im Tourismus ziehen wir alle am selben Auch bei unseren Konkurrenten steigen die Über- Strang. nachtungszahlen. So verzeichnet Mecklenburg- (Beifall bei CDU, SPD und FDP) Vorpommern beispielsweise im Jahr 2007 ein Plus von 7,4 % gegenüber dem Vorjahr. Es besteht also Im Mittelpunkt der Förderung durch das Wirt- weiterhin Handlungsbedarf, damit Schleswig-Hol- schaftsministerium stehen sowohl investive als stein ein noch attraktiveres Urlaubsland mit Quali- auch nicht investive Maßnahmen, die der Neuaus- tätstourismus für ökonomisch relevante Zielgrup- richtung des Tourismus Rechnung tragen. Aus- pen wird. gangspunkt sind dabei die drei bekannten Zielgrup- pen: Familien mit kleinen Kindern und relativ ho- (Beifall bei der CDU und des Abgeordneten hem Einkommen, die Best Ager und die anspruchs- Detlef Buder [SPD]) vollen Genießer. Jeder von Ihnen möge sich selbst Dies ist unsere Zielrichtung. Das muss sich auch in diese Kategorien einordnen. auszahlen. Insbesondere die Zielgruppe Best Ager ist aufgrund Wir wollen ferner die Wertschöpfung im Touris- ihres stetig wachsenden Anteils an der Gesamtbe- mus um 500 Millionen € pro Jahr erhöhen. Um die- völkerung und ihres noch hohen Einkommens eine ses Ziel zu erreichen, wurde die Neuausrichtung wichtige Zielgruppe. Es gilt, die Förderpolitik auf diese Zielgruppen auszurichten. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7407

(Minister Dr. Werner Marnette)

Der Tourismus ist ein ganz besonderer Wirtschafts- struktur, überregionale Marketingmaßnahmen, För- zweig. In kaum einer anderen Branche hängt der derung von Beherbergungsbetrieben. Erfolg so sehr davon ab, dass öffentliche und priva- Bei allem Erfolg müssen wir regelmäßig unsere te Akteure zusammenspielen und sich ihre Leistun- Strategie anhand der tatsächlichen Marktentwick- gen auch ergänzen. Vor diesem Hintergrund spielt lung überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Dies die Förderpolitik des Landes für die Tourismuswirt- war der Grund für die Neuausrichtung des Touris- schaft eine ganz besondere Rolle. mus im November 2006. Die neue Tourismusstra- (Beifall bei der CDU) tegie ist seither die verbindliche Grundlage für die touristische Förderung in allen Resorts. In neun Zunächst zum Volumen: Aus dem Ihnen vorliegen- Leitprojekten wird seither mit Hochdruck daran den Bericht geht hervor, dass das Land in den Jah- gearbeitet, die Infrastruktur, das landesweite Mar- ren 2005 bis 2007 die Tourismuswirtschaft mit rund keting der Tourismuswirtschaft, die Gastronomie- 127 Millionen € unterstützt hat. Mit der Förderung angebote, vor allen Dingen die Qualitätsverbesse- sind Gesamtinvestitionen von mehr als 315 Mil- rung, die Ansiedlung neuer Hotelprojekte, die lionen € in der schleswig-holsteinischen Touris- Modernisierung bestehender Beherbergungsbetrie- muswirtschaft ermöglicht worden. 1 € aus unseren be auf die bereits genannten drei Zielgruppen aus- Töpfen bewirkt mehr als das doppelte an Investitio- zurichten. nen und ist damit sehr gut angelegtes Geld. Meine Damen und Herren, wir brauchen aber in (Beifall bei CDU, SPD und SSW) Schleswig-Holstein auch qualitativ hochwertige Diese Mittel sind vor allem verwendet worden für Hotels. Ich finde es einfach unverständlich, dass die Förderung touristischer Infrastrukturmaßnah- aus politisch-ideologischen Gründen wichtige Ho- men. So haben wir aus dem ZPW gerade die telvorhaben wie beispielsweise in Scharbeutz zu- Strandpromenade in Timmendorfer Strand und die nichte gemacht worden sind. Erlebnisausstellung in der Seehundstation Fried- (Beifall bei CDU und SPD) richskoog gefördert. Viele weitere Projekte stehen vor der Förderentscheidung. Hier ist sehr viel Po- Zwei Leitprojekte möchte ich besonders erwähnen: tential vorhanden. Erstens. Optimierung der kommunalen touristi- schen Infrastruktur. Dazu hat der Tourismusver- Außerdem sind verschiedene Vorhaben im ländli- band Schleswig-Holstein mit unserer Förderung chen Raum gefördert worden. Hierzu zählen bei- und in enger Zusammenarbeit das bestehende touri- spielsweise das Wellcome-Center in Plön, Reise- stische Infrastrukturangebot in quantitativer und mobilstellplätze, Tourismusinformationen und die qualitativer Hinsicht begutachten lassen. Der Gut- Beschilderung von Wasserwanderwegen. achter sollte Bewertungen vornehmen und Ausbau- Bei allen Bemühungen ist eines ganz besonders vorschläge auch nach Prioritäten sortieren. Bereits wichtig: Die Orte müssen die neue Philosophie mit jetzt ist absehbar, dass die Ergebnisse Auswirkun- Leben füllen. Die Orte und Gemeinden sind es, die gen auf unsere Förderpolitik haben werden. Auch es letztlich in der Hand haben, wie attraktiv unser die Förderpolitik muss noch deutlicher an die neue Land bleibt und wie es noch attraktiver, insbeson- Tourismusstrategie angepasst werden. Die Bedürf- dere für neue Gäste, werden kann. Solange Orte nisse der Zielgruppen müssen im Mittelpunkt ste- nicht über die Gemeindegrenze hinaus denken und hen. ihre Infrastruktur unabgestimmt mit den Nachbar- Nicht jeder Ort muss jede Infrastruktur vorhalten. gemeinden ausbauen, werden wir es mit Kanniba- Entscheidend für den Erfolg ist, dass eine Basisin- lismus im wahrsten Sinne des Wortes zu tun haben. frastruktur vorhanden ist, die hohe Qualität hat und (Beifall bei der CDU) die authentisch ist, das heißt zum Ort passt und für Aber wir sind hier in unserer Überzeugungsarbeit den Ort auch typisch ist. Für eine Förderung mit auf einem guten Weg. Durch gezielte Förderpolitik Landesmitteln müssen wir deshalb verlangen, dass des Landes kann viel Wachstum erreicht werden. es eine verbindliche Abstimmung in der Region Derzeit steht das Land Schleswig-Holstein auf gibt. Platz 3 der touristischen Beliebtheitsskala, gemes- In diese Richtung zielt auch das zweite Leitprojekt, sen an den Urlaubsreisen der Deutschen ab fünf Ta- das ich nennen möchte, nämlich Optimierung der gen Dauer. Ich bin sicher, dass wir diese Position lokalen Strukturen. Ziel dieses Leitprojektes ist noch ausbauen können und werden. Um dies zu er- es, die vorhandenen Ressourcen durch eine inter- reichen, brauchen wir Investitionen in die Infra- kommunale Zusammenarbeit zu bündeln, die 7408 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Minister Dr. Werner Marnette)

Schlagkraft für Vermarktung und Vertrieb zu erhö- sätze für die weiteren Diskussionen bereit. Die For- hen und so die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen scher sagen uns voraus, wie wir alle wissen, dass des ganzen Landes zu stärken. Daher werden wir im kommenden Jahr eine Abkühlung der Konjunk- Tourismuskonzepte zukünftig nicht mehr auf Orts- tur eintreten könnte. Wir müssen mal gucken, wie ebene, sondern auf Ebene der lokalen Tourismusor- sich das auf unsere Tourismuswirtschaft auswirkt. ganisationen fördern. Bezogen auf unser Land wird aber prognostiziert, dass Schleswig-Holstein mit einem blauen Auge Wir fordern für die Förderungsmöglichkeiten von davonkommen könnte. Das hängt vor allem von der den Tourismusorganisationen drei klare Dinge: Er- robusten Wirtschaftsstruktur unserer Heimat, unse- stens eine Entwicklungsstrategie für die Region, res Landes ab. Ich denke da insbesondere an das zweitens ein Marketingkonzept und drittens, ganz Handwerk und die Agrarwirtschaft, lieber Klaus besonders wichtig, ein auf die Region bezogenes Ehlers, aber nicht zuletzt auch an die Tourismus- Infrastrukturkonzept, das von den politischen Gre- wirtschaft. Ich meine, da sind wir in Schleswig- mien der Region verbindlich beschlossen wird. Holstein ganz gut aufgestellt. Die Ergebnisse der Leitprojekte einschließlich des (Beifall bei der CDU) Gutachtens zur Optimierung der Infrastruktur wer- den zu einer weiteren Überprüfung führen, welche Auch in schwierigen Zeiten stellt die Tourismus- touristischen Maßnahmen wir zukünftig fördern wirtschaft einen stabilen Wachstumsträger dar. und welche nicht. Das heißt harte Maßstäbe! Nach In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres der Entscheidung darüber sollen dann die Förder- konnte in Schleswig-Holstein bei den Gästeankünf- richtlinien entsprechend angepasst werden. ten ein Plus von 4,7 % verzeichnet werden. Wir ha- ben damit den Höchststand von 4,7 Millionen An- Meine Damen und Herren, ich glaube, dass ich da- künften allein zwischen Januar und September er- mit aufzeigen konnte, dass wir im Rahmen unserer reichen können. Im selben Zeitraum stiegen die Möglichkeiten der großen Herausforderung und der Übernachtungszahlen auf nunmehr insgesamt Bedeutung des Tourismus für unser Land gerecht 20,2 Millionen Übernachtungen in den ersten drei werden und dass wir hier auf einem sehr guten Weg Quartalen. Das ist der höchste Stand, den wir je hat- sind, den Tourismusstandort Schleswig-Holstein ten. auch in der Bundesrepublik Deutschland noch einen Riesenschritt nach vorn zu bringen. (Beifall bei der CDU) (Beifall bei CDU, SPD und SSW) Die Erwartung in der heimischen Tourismuswirt- schaft ist nach wie vor optimistisch. Auch für das Vizepräsidentin Ingrid Franzen: kommende Jahr werden gute Ergebnisse vorausge- sagt. Ich glaube auch, dass wir diesbezüglich recht Ich danke dem Herrn Minister Marnette. - Es sind gut aufgestellt sind. Man erwartet einen Anstieg der zusätzliche Redezeiten pro Fraktion von zwei Mi- Übernachtungszahlen um 1,5 % bis 2 %. nuten entstanden. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeord- Tourismusförderung, so lehren diese Zahlen, ist für neten Jürgen Feddersen das Wort. Schleswig-Holstein kein Orchideenthema, nichts, was man nebenbei machen kann, wenn noch Geld Jürgen Feddersen [CDU]: übrig ist. Nein, Tourismus ist eine tragende Säule der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Land. Insofern bin ich dankbar, dass wir heute an Kollegen! Auf Initiative der Koalitionsfraktionen dieser Stelle über den Förderbericht und über den von CDU und SPD hat die Landesregierung dem Tourismus diskutieren. Parlament einen Bericht zur Förderpolitik der Tou- rismuswirtschaft vorgelegt. Ich möchte dem Minis- (Beifall bei der CDU) ter, aber insbesondere den Mitarbeiterinnen und Liebe Kolleginnen und Kollegen, der uns vorlie- Mitarbeitern ganz herzlich für die geleistete Arbeit gende Bericht macht eines deutlich: Die Neuaus- danken. richtung der Tourismusförderung in Schleswig- (Beifall bei CDU und SPD) Holstein, um die wir uns viele Jahre lang bemüht haben, ist bereits nach kurzer Zeit zu einer Erfolgs- Der Tourismusbericht zeigt, dass die Tourismus- geschichte geworden, wie dies der Herr Minister wirtschaft in Schleswig-Holstein auf einem guten auch berichtet hat. Konzentration von Mitteln und Weg ist. Darüber hinaus stellt der Bericht gute An- konzeptionelle Klarheit und Ideen sind die Schlag- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7409

(Jürgen Feddersen) worte für die Neuausrichtung. Wir kommen im (Beifall bei der CDU) Tourismus nicht weiter, wenn verschiedene Ge- Allein über den Schleswig-Holstein-Fonds inve- meinden und Regionen, verschiedene Sektoren und stieren wir über seine gesamte Laufzeit hinweg Agenturen nebeneinander her wirtschaften. Ich bin Mittel in Höhe von 9,3 Millionen € in den Bereich überzeugt davon, dass es ganz wichtig ist, zusam- Tourismus. Hinzu kommt noch einmal mehr als menzustehen und dies alles gemeinsam zu ent- dieselbe Summe für einzelbetriebliche Investiti- wickeln. Nur so sind wir erfolgreich. onsförderung und für den Bereich „kulturelles (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der Erbe“. Auch diese Mittel kommen unmittelbar der SPD) Stärkung der Attraktivität Schleswig-Holsteins als Tourismusstandort zugute. Es bringt uns nichts, wenn wir uns in Schleswig- Holstein gegenseitig das Wasser abgraben und Das Zukunftsprogramm Wirtschaft setzt die ange- einen künstlichen Gegensatz zwischen Nord- und stoßenen Initiativen bis 2013 mit einem Gesamtför- Ostseetourismus aufbauen, wenn wir Debatten füh- dervolumen von mehr als 140 Millionen € fort. ren und Schlagworte hierzu austauschen. Vielmehr Das Zukunftsprogramm ist so gestaltet, dass wir ist es wichtig, dass wir zusammenstehen. Beide auch Mittel des Bundes und der Europäischen Uni- Schwerpunkte, Nord- und Ostsee, sind für uns sehr on einwerben können, die dann ebenfalls unserem wertvoll und sind Bestandteile unserer Werbung, Land zugute kommen. auch im Tourismus. In ihrem gemeinsamen Antrag zum gestern verab- (Werner Kalinka [CDU]: Gemeinsam sind schiedeten Doppelhaushalt für die Haushaltsjahre wir stark!) 2009 und 2010 haben die Koalitionsfraktionen mit- einander verabredet, die Modalitäten der Beteili- Die Konzentration von Strukturen der Tourismus- gung des Landtages bei der Gewährung von Mitteln wirtschaft und auch die Bündelung von Fördermaß- für die einzelbetriebliche Förderung zu verändern. nahmen machen sich bezahlt. Dies hat der Herr Mi- Künftig wird neben dem Wirtschaftsausschuss auch nister ebenfalls ausgeführt. Die neue Tourismus- der Finanzausschuss des Parlaments bei der Ge- strategie hat klare Zielgruppen definiert, denen un- währung von Landesfördermitteln für die einzelbe- sere Ansprache gelten soll. Sie bietet Leitlinien für triebliche Förderung noch früher und noch intensi- die Entwicklung von Tourismusregionen, an denen ver informiert. Dies bedeutet mehr Transparenz. Ich sich die vor Ort Verantwortlichen orientieren kön- bin dankbar, dass wir uns hierauf verständigt haben. nen und auch müssen, um in den Genuss einer För- derung zu kommen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal eine Lanze für die einzelbetriebliche Förderung brechen, die Das hat nichts mit einer vermeintlichen Bevormun- sich gerade im Bereich der Tourismuswirtschaft be- dung der Entscheidungsträger zu tun. Vielmehr gilt währt hat: So lösten die zwischen 2005 und 2007 es, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und vor bereitgestellten Landesmittel im Umfang von rund allem den Strang in dieselbe Richtung zu ziehen. 16 Millionen € allein im Bereich Tourismus Ge- (Beifall bei der CDU) samtinvestitionen von mehr als 127 Millionen € Das ist das Entscheidende. An einem Strang ziehen aus. Dies ist eine gewaltige Summe. Hierdurch ha- viele, aber oft in unterschiedliche Richtungen. ben wir 906 Arbeitsplätze gesichert und 376 neue geschaffen. Dies ist ein großer Erfolg. Die Förderprogramme der Landesregierung leisten in diesem Sinn einen wertvollen Beitrag. Sämtliche (Beifall bei der CDU) Projekte der Tourismusförderung wurden in vier Durch einzelbetriebliche Förderung kommt es kei- Programmen zusammengefasst, dem Schleswig- neswegs nur zu Mitnahmeeffekten, wie oft behaup- Holstein-Fonds, dem Zukunftsprogramm Wirt- tet wird. Vielmehr bewirkt unsere Förderpolitik In- schaft, dem Zukunftsprogramm ländlicher Raum vestitionen, die ansonsten eben nicht getätigt wür- und der Marketingförderung zugunsten unserer den. Ob jemand, der investiert, für den Kredit 4 %, Tourismusagenturen. Als Touristiker würde ich mir 6 % oder 8 % Zinsen zahlt, ist kurzfristig vielleicht natürlich wünschen, dass alle Fördermittel in einem egal. Aber der Investor überlegt durchaus, wie er Ministerium gebündelt wären. Dann könnte man investieren kann. Daher ist es auch ganz wichtig, noch attraktiver und konstruktiver fördern. Ich wie die Förderbedingungen gestaltet sind. Genau- weiß, dies ist ein schwerer Weg. Aber vielleicht so verhält es sich mit der einzelbetrieblichen Förde- können wir daran noch arbeiten. rung. Gäbe es sie nicht, so würden auch viele Inves- 7410 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Jürgen Feddersen) titionen ganz einfach nicht getätigt, sehr zum Scha- Regina Poersch [SPD]: den unseres Landes und unserer Wirtschaft. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU - Detlef Matthiessen Urlaub in Schleswig-Holstein, so weit das Auge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegen- reicht und nicht nur an Nord- und Ostsee, dazu eine teil ist der Fall!) zielgerichtete, konzentrierte Förderung durch das Land - das ist für mich die Quintessenz dieses Be- - Herr Matthiessen, Sie kommen gleich an die Rei- richts. he. Ein wenig müssen Sie noch warten. Stolze 173 Millionen €, davon 23,6 Millionen € Kürzlich haben die Tourismus-Arbeitskreise von Landesmittel, beträgt das Fördervolumen in den CDU und SPD eine Klausurtagung mit den Verbän- Jahren 2007 und 2008. Insgesamt 3,5 Millionen € den der Tourismuswirtschaft durchgeführt und ha- sind es allein für das Marketing in den Organisatio- ben eine erste Zwischenbilanz der Neuausrich- nen. tung des Tourismuskonzepts gezogen. Bei dieser Konferenz ist mir insbesondere aufgefallen ist - ich Das ist zunächst einmal eine ganz ansehnliche bin lange genug selbst im Geschäft, dass ich dies Summe, aber verglichen mit der Förderung à la beurteilen kann -: Die im Grunde schon vorhandene Mecklenburg-Vorpommern ist das nicht gerade gute Zusammenarbeit wird immer besser. Das war viel. Dort spendiert man der Marina Boltenhagen allerdings nicht immer so. Früher war es manchmal allein stolze 46 Millionen €. schwierig, mit den einzelnen Tourismusverbänden Nun ist Schleswig-Holstein ein armes Land. Die zusammenzuarbeiten. Ich bin wirklich froh, dass gestrige Verabschiedung des Haushalts für die das jetzt anders ist. Das hilft uns natürlich auch in nächsten beiden Jahre hat dies gezeigt. Sie war alles der Tourismuspolitik. andere als ein Kinderspiel. Ich möchte nicht den (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der Ausspruch von Regierendem Bürgermeister SPD) dahin gehend abwandeln, dass Schleswig-Holstein arm, aber sexy sei; dennoch gilt für unser Land: Wichtig ist, dass sich auch kleinere Tourismusorte Wer wenig Geld hat, muss besonders pfiffig sein. zusammenschließen. Im neuen Amt Südtondern ist dies gerade der Fall. Dort schließen sich sämtliche (Beifall bei der SPD) Gemeinde zu einer Tourismusorganisation zusam- Auch wenn es sich bei einem solchen Zahlenbericht men. Ich denke, dies ist ein großer Vorteil, auch nicht auf den ersten Blick aufdrängt: Genau davon, dann, wenn sie Fördermittel erhalten wollen. nämlich vom Pfiffigsein, handelt der vorliegende Tourismuspolitik kann nur effektiv sein, wenn sie Bericht über die Förderpolitik in der Tourismus- öffentliche Gelder nicht mit der Gießkanne verteilt. wirtschaft. Diese zu konzentrieren und konzentriert zu fördern, Herzlichen Dank an Sie, Herr Minister Dr. Marnet- ist auch unsere Absicht. te, an Sie, Frau Staatssekretärin Wiedemann, und Tourismusförderung ist effektiv, wenn lokale und an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen regionale Tourismuskonzepte in dieselbe Rich- detaillierten Bericht. tung weisen wie die Konzeption des Landes. Dass (Beifall bei SPD und CDU) das zusammenpasst, ist für uns ganz selbstverständ- lich. Wir haben der TASH für die Neuausrichtung des Tourismus in einem finanziellen Kraftakt mehr Noch einmal einen herzlichen Dank an die Landes- Haushaltsmittel als bislang zur Verfügung gestellt. regierung für den Bericht; er ist eine gute Grundla- Jetzt kommt es entscheidend darauf an, dass diese ge für die Diskussion. Ich freue mich auf die Bera- Mittel nach 2009 nicht verpuffen. tungen im Ausschuss. Das Engagement lohnt sich. In den Beherbergungs- (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der betrieben mit mehr als acht Betten waren im Jahr SPD) 2007 23,6 Millionen Übernachtungen zu verzeich- nen. Ich komme, bezogen auf das ganze Land, in- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: zwischen nicht nur auf eine Verdoppelung, sondern Ich danke dem Herrn Abgeordneten Feddersen. - auf mehr als eine Verdreifachung, nämlich auf stol- Für die SPD-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete ze 75 Millionen Übernachtungen. Hinzu kommen Regina Poersch das Wort. 100 Millionen Tagesausflüge im ganzen Land. Die berühmten 5,4 Milliarden € Umsatz jedes Jahr, die Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7411

(Regina Poersch)

130.000 Beschäftigten, die mit und im Tourismus auf den drei bekannten Zielgruppen. An den Be- das Geld für sich und ihre Familien verdienen, das dürfnissen und Urlaubserwartungen von Familien sind zusammen die beeindruckenden Zahlen, die mit kleinen Kindern, von Menschen in den besten die Bedeutung des Wirtschaftszweiges Tourismus Jahren und von anspruchsvollen Genießern richten für unser Land einmal mehr unterstreichen. unsere Destinationen ihre Angebote erfolgreich aus. Wir hören grundsätzliche Zustimmung in Gesprä- Seit 2006 diskutieren wir auf allen Ebenen die Neu- chen mit Touristikern aller Ebenen. Dies erfuhr ausrichtung des Tourismus, und im kommenden auch mein Fraktionsvorsitzender Dr. Stegner auf Jahr werden erstmals alle drei Zielgruppen-Konzep- unserer Bereisung der Nordfriesischen Inseln im te greifen. Bundesweit wird neugierig beobachtet, Spätsommer dieses Jahres. wie wir die Zielgruppenausrichtung fördern und vor Ort nur noch das unterstützen, was sich unter das Wir haben Anerkennung für die mit allen Beteilig- landespolitische Dach fügt. Ich spreche bewusst ten abgestimmte und zielgerichtete Förderpolitik von einem Dach. Denn unsere Ostsee wie auch un- des Landes gehört. Zudem hören wir auch manche sere Nordsee sind die tragenden Säulen dieses konstruktive Anregung, und davon möchte ich hier Hauses Tourismus Schleswig-Holstein. zwei aufgreifen und in die Debatte einspeisen. Das sind zum einen der Geschäftsreisetourismus und Unsere Förderpolitik zeigt Wirkung. Das bestäti- zum anderen Möglichkeiten der Förderung jen- gen uns das Sparkassen-Tourismusbarometer ge- seits des Geldes. nauso wie der Tourismusverband. Apropos Tou- rismusverband: Es ist auch hier einmal an der Zeit, Zum Geschäftsreisetourismus! Dieser findet vor- denen zu danken, die mit viel Mühe, Zeit und Auf- wiegend in den Städten statt. Das ist eine Tatsache. wand den Weg der Landesregierung mitgegangen Die Städte weisen zusammen mit dem Camping- sind und sich in mancher Diskussion auch einmal tourismus die größten Zuwachsraten aus, sie sind eine blutige Nase geholt haben. Die Rede ist von der Motor für den gesamten Tourismus in Schles- den Akteuren der Landesebene im Tourismusver- wig-Holstein, und ohne sie sähe - das müssen wir band und in der Tourismus-Agentur. Mein Dank ehrlicherweise sagen - unsere Statistik, was die gilt an dieser Stelle Volker Popp und Armin Dell- Zahl der Übernachtungen und Ankünfte angeht, nitz, die für uns Politikerinnen und Politiker immer ganz anders aus. ansprechbar waren und sind und auf deren Urteil (Unruhe) Verlass ist. (Beifall bei SPD und CDU) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Wir sollten gemeinsam konsequent den Weg der Frau Kollegin, darf ich Sie mal unterbrechen? - Neuausrichtung weitergehen und die Zeit nach Meine Damen und Herren, ich sehe nicht gut, aber 2009 im Blick haben. Wenn wir das nicht tun, ha- ich höre alles, auch was um mich herum passiert. ben wir uns vergeblich bemüht. Der frische Wind, Deshalb höre ich sehr viel mehr als nur Frau der durch die neue Tourismuskonzeption in Schles- Poersch, aber sie hat das Wort. wig-Holstein durchs Land weht, darf nicht abflauen und dazu führen, dass die Tourismusakteure wieder (Beifall) ohne Ziel, unabgestimmt, nebeneinander vor sich hinwurschteln. Regina Poersch [SPD]: (Beifall bei SPD und CDU) Vielen Dank, Frau Präsidentin. - So mancher, der sich in den Sitzungswochen im Landtag aufhält, ge- Ich freue mich, dass aus dem Bericht klar hervor- hört zu den Geschäftsreisenden und sollte sich an geht, was wir Tourismuspolitiker von Anfang an - dieser Stelle bewusst machen, dass auch er einen auch hier im Landtag - immer wieder betont haben: Beitrag zum Schleswig-Holstein-Tourismus leistet, Wir tun das eine, ohne das andere zu lassen. Ju- wenn er hier in Kiel in einem Hotel absteigt. gend und Natur, Gesundheits- und Kulturtouris- mus sowie der ländliche Raum haben nach wie (Zurufe) vor ihren Platz im Schleswig-Holstein-Tourismus, Der Geschäftsreisetourismus findet, wie ich gesagt und das soll auch so bleiben. habe, in den Städten statt. Wenn ich sage, die Städ- (Beifall bei SPD und CDU) te sind zusammen mit den Campingplätzen der Mo- tor für den Tourismus, dann muss uns einfach klar Der Schwerpunkt liegt aber, wie immer wieder er- sein, dass nicht ausschließlich die Erholungsreisen- klärt, mit der neu ausgerichteten Tourismuspolitik 7412 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Regina Poersch) den hier für gute Zuwachsraten bei Übernachtung Konkurrenz. Der Entwurf des Landesnahverkehrs- und Ankünften sorgen, sondern eben ganz speziell plans liegt vor, wir sollten auch darauf einmal einen auch die Geschäftsreisenden. touristischen Blick werfen; er wird Auswirkungen haben. Schleswig-Holstein muss ganzjährig Saison haben, und der eben genannte Geschäftsreisetourismus Weitere Beispiele sind der Küstenschutz, der kann uns dabei unterstützen. Es geht mir dabei Lärmschutz in Kurgebieten. Wir geben mit dem nicht um große Kongresse. Es geht mehr um kleine Landes-Immissionsschutzgesetz den Tourismus- Tagungen, Incentives oder auch das verlängerte orten ein neues Instrument in ihre eigene Verant- Wochenende mit Partner oder Partnerin im An- wortung. Weitere Stichworte sind natürlich Nicht- schluss an eine Geschäftsreise. Hier können wir raucherschutz, hier müssen wir Wettbewerbsverzer- einen ganz wichtigen Beitrag leisten. Wir dürfen rungen vermeiden, oder auch die Inhalte des Lan- den Bereich Städte weder vernachlässigen noch desentwicklungsplans, die sich auf den Tourismus ignorieren. auswirken werden. (Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- Wir sollten Tourismusorte weiter nicht nur vorran- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gig in den Schwerpunkträumen für Tourismus und Erholung entlang der Küsten fördern, sondern bei Auch wenn es schon gut läuft, steht es uns gut an, Erfüllung der Förderkriterien auch im Binnenland. diese Stärke durchaus zu stärken. Tourismus ist da, wo Gäste sind. Für mich sind des- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das kann man so halb auch die Holsteinische Schweiz in Gänze und sagen!) die Schlei Schwerpunkträume für den Tourismus. Was wir außerdem in unseren Gesprächen zu hören (Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU) bekommen, ist die Förderung und Unterstützung Hier muss natürlich die Weiterentwicklung touristi- jenseits des Geldes. Das beginnt mit dem Wunsch scher Angebote genauso möglich sein wie die An- nach erreichbaren Ansprechpartnern, die in Zwei- siedlung von Hotels im Vier-Sterne-Segment, bei felsfällen in der Lage sind zu erklären, unter wel- der wir im Lande noch immer Nachholbedarf ha- chen Voraussetzungen eine Maßnahme förderfähig ben. Dr. Marnette, wenn hier aufgrund des Hinwei- sein könnte. Es ist einfach, einen ablehnenden Be- ses auf die kommunalpolitischen Entscheidungen scheid zu schreiben. Das kann jeder. Ich wünsche der Zuruf Scharbeutz im Raum steht, lassen Sie mir aber, dass auch das Tourismusreferat wie in der mich betonen: Es gibt in Haffkrug/Scharbeutz gülti- Vergangenheit gut aufgestellt bleibt und sich als ges Baurecht. Da könnte sofort ein Hotel entstehen. Teil des Tourismus versteht. Vielleicht muss man sich einmal, bevor man eine (Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU) Blase in den Raum stellt, über die Hintergründe in- Wir müssen unsere Tourismusorte so unterstützen formieren. und beraten, dass geplante Maßnahmen auf die (Vereinzelter Beifall) neuen Förderrichtlinien ausgerichtet werden kön- Förderpolitik soll bewirken, dass bei Tourismusort- nen. Konzentration heißt dann auch, gegebenenfalls en, die es vielleicht noch nicht wissen, endlich an- einmal Nein zu sagen, wenn wir zwischen den Or- kommt, dass sie mit ihren täglichen Beschlüssen ten Kannibalismus vermeiden müssen. Ich sage nur: und Arbeiten ihren Beitrag leisten können, um den Keitum-Therme. Auch darüber haben wir hier ge- Tourismus zu fördern. Dazu gehören natürlich die sprochen. lokalen Tourismusorganisationen. Dieses Leit- Für mich bedeutet Unterstützung aber auch, in an- projekt, das gerade läuft, findet meine ausdrückli- deren Politikfeldern darauf zu achten, dem Touris- che Zustimmung. Wenn wir einerseits die Förde- mus nicht nur keine Steine in den Weg zu legen, rung des Landes zusammen mit dem andererseits sondern alle politischen Entscheidungen im Hin- entschlossenen Handeln der Tourismusorte zusam- blick auf die touristischen Folgen zu treffen. Tou- menfassen, ziehen wir irgendwann auch Beherber- rismuspolitik ist Querschnittspolitik. Als Beispiele gungsbetriebe mit, die sich bislang noch vor einer will ich die Verkehrs- und vor allem die Bahnpoli- Zertifizierung drücken, die sich vor Qualitätsma- tik nennen. nagement drücken, vor Servicequalität herum- Die Erreichbarkeit unserer Urlaubsziele an Nord- drücken. Es gibt schon positive Beispiele, und da und Ostsee ist von entscheidender Bedeutung in der wird sich sicherlich noch einiges tun, wenn wir den nationalen und zunehmend auch internationalen Impuls geben. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7413

(Regina Poersch)

Mein Fazit zum vorgelegten Bericht lautet: Wir Da wollen wir doch mal schauen, wie erfolgreich müssen den Kurs der Kooperation und der Konzen- die Landesregierung hier ist. tration halten. Das heißt Konzentration der Mittel, Die spannende Frage ist doch - um den Ball noch Konzentration auf das Wesentliche, und sich einmal aufzugreifen -: Was haben diese ganzen nicht ablenken klassen, sondern den eingeschlage- Ausgaben in den vergangenen Jahren bewirkt, und nen Weg nach 2009 konsequent weitergehen. was werden sie im Zweifel auch vor dem Hinter- Wir sollten den Bericht im Wirtschaftsausschuss grund der bevorstehenden Krise bewirken? weiter beraten und ihn deshalb dorthin überweisen. (Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen Ich habe von den Grünen das Thema „Fehmarn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) statt Fuerteventura“ aufgenommen. Das muss unser Ziel bleiben, Urlaub im Urlaubsland Schleswig- Betrachten wir dann einfach mal die Frage, die die Holstein zu machen. Davon profitieren Gäste, Ein- Koalitionsfraktionen in ihrem ursprünglichen Be- heimische und die Wirtschaft insgesamt. Das tut richtsantrag gestellt haben. Da ging es um die Zahl unserem Land gut, und das sollten wir im Wirt- der Arbeitsplätze, der neu geschaffenen und der schaftsausschuss weiter vertiefen. erhaltenen Arbeitsplätze. Der Kollege Feddersen hat hier ganz fröhlich und sehr engagiert eine Lanze (Beifall bei SPD und CDU) für die einzelbetriebliche Förderung gebrochen. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Lars Harms [SSW]) Ich danke der Frau Abgeordneten Regina Poersch. - Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Ich sage Ihnen klipp und klar: Ich halte die einzel- Dr. Heiner Garg das Wort. betriebliche Förderung für schlichten Unsinn. (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei SPD Dr. Heiner Garg [FDP]: und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kolle- Das ist Chefdiplomatie für Minister und Minister- gen! Lieber Kollege Nabel, ich freue mich immer, präsidenten, die keine Arbeitsplätze schafft und dass Sie sich so freuen, wenn Sie mich am frühen auch keine Arbeitsplätze sichert. Das Geld wäre in Morgen hören. Infrastrukturmaßnahmen deutlich sinnvoller ausge- (Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup geben. [SPD]) (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Liebe Kollegin Poersch, ich würde es bevorzugen, SPD) wenn Sie davon sprechen würden, wer wenig Geld Möglicherweise hat die ganze Förderung dazu ge- hat, der muss preiswert sein, statt davon, dass er führt, dass mehr Gäste nach Schleswig-Holstein billig sein muss. kommen - möglicherweise. Hierzu liefert zwar der Mit unzähligen Maßnahmen und Programmen aus Bericht keine Zahlen - es hat mich gewundert, dass einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Förder- Sie das gar nicht interessiert -, aber es gibt diese töpfen fördert die Landesregierung den Tourismus. Zahlen zum Beispiel im aktuellen Tourismusbaro- Das haben die Vorrednerinnen und der Vorredner meter des Sparkassen- und Giroverbandes. Mit ei- hier schon dargestellt. Ginge es also nach der Devi- nem Plus - das finde ich eher dürftig - von gerade se: Viel hilft viel, dann könnte man in der Tat sa- einmal 3 % bei den touristischen Übernachtungen gen, die Landesregierung betreibt eine erfolgreiche erreichte Schleswig-Holstein 2007 bei den Zu- Förderpolitik im Bereich Tourismus. wachsraten den zehnten Platz aller Bundesländer. Das finde ich nicht ganz so ambitioniert, Herr Kol- (Johannes Callsen [CDU]: Das kann man lege Feddersen. Zum Vergleich: Mecklenburg-Vor- aber wirklich!) pommern erreichte einen Zuwachs von 7,4 %. - Das ist die Frage, lieber Kollege Callsen, nämlich, Ein ganz besonderer Problemfall ist offensichtlich was eigentlich das Ziel von Tourismuspolitik sein die schleswig-holsteinische Ostseeküste. Denn hier soll. Ich dachte immer, das Ziel müsse letztlich lag die Zuwachsrate 2007 bei gerade noch 1,4 %. sein, dass mehr Gäste, dass mehr Touristen nach Schleswig-Holstein kommen. (Zurufe von der CDU) (Beifall bei FDP und CDU) Herr Minister, mich hat die Euphorie, mit der Sie die Förderpolitik des Landes hier vertreten haben, 7414 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Dr. Heiner Garg) nicht so ganz überzeugt. Die touristischen Rahmen- Olpenitz zur geplanten Marina mit Hotel und bedingungen in Schleswig-Holstein - das sagen die Shopping-Mall? Das wäre ein solcher Leuchtturm. Kernzahlen - sind derzeit nicht die besten. Sie wol- Und - das wird den Kollegen Astrup besonders len das jetzt verbessern, die Förderung des Touris- freuen -: Wo bleibt das klare Bekenntnis der Lan- mus in Schleswig-Holstein soll sich zukünftig auf desregierung, wo bleibt Ihr klares Bekenntnis zur drei Zielgruppen konzentrieren: die Familien, die zivilen Nutzung des Flughafens Jagel? Best Ager und die „anspruchsvollen Genießer“ - (Zurufe von der CDU) wer immer das auch sein soll. Das sind die - so ha- ben drei Gutachten, die rund 250.000 € gekostet ha- Um beide touristischen Megaprojekte ist es ver- ben, herausgefunden - für Schleswig-Holstein an- dächtigt ruhig geworden in Schleswig-Holstein. geblich am besten geeigneten Zielgruppen. Folglich Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der muss man sich jetzt also darauf konzentrieren. Wie, Union, dazwischenrufen „Das tut er doch!“, frage das sagt der gestern beschlossene Haushaltsplan für ich Sie: Warum haben Sie das in Ihrem Redebeitrag die Jahre 2009 und 2010: Schleswig-Holstein soll nicht getan, warum hat es der Minister in seinem sich zur weiteren Profilierung verstärkt mit den Redebeitrag nicht getan? Ich stelle fest, um beide Handlungsfeldern Werte, Identität und Markenin- Leuchtturmprojekte ist es absolut still in Schleswig- halte beschäftigen. Holstein geworden. Aha, kann ich da nur sagen. Das geht offensichtlich (Zurufe von der CDU) auch nur im Kollektiv - so zwei Förderrichtlinien Warum stehen eigentlich Besatzung und Passagiere des Landes, die nämlich Folgendes festlegen: Zu- der vielen Kreuzfahrtschiffe jedes Jahr regelmäßig - künftig bekommen Gemeinden nur noch dann För- außer an Adventssonntagen - vor verschlossenen dergelder, wenn sie Mitglied beziehungsweise Ge- Läden, wenn sie sonntags zu uns kommen? sellschafter einer touristischen Marketingorganisati- on, so zum Beispiel der Ostseefjord Schlei GmbH, (Beifall bei der FDP und des Abgeordneten sind. Diese wiederum müssen zwangsläufig Mit- Lars Harms [SSW]) glieder beziehungsweise Gesellschafter der landes- Das wäre auch eine Möglichkeit, den Tourismus weiten Tourismus-Marketingorganisation TASH anzukurbeln. sein. Es bleibt nach wie vor viel zu tun, denn im Touris- (Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW) mus liegt in der Tat Wachstumspotenzial. Das sa- Ich hoffe sehr, dass genau dieses Konstrukt aufgeht ge ich nicht zuletzt vor dem Hintergrund der sich und dass die angestrebten Ziele im schleswig-hol- aktuell dramatisch verschlechternden konjunkturel- steinischen Tourismus auch wirklich erreicht wer- len Situation. den können. Ich glaube, an einem Punkt sind wir Ein Urlaub oder ein Wellness-Wochenende wird in uns hier im Haus wenigstens einig: Tourismus ist in schwierigen wirtschaftlichen Lagen am ehesten mal Schleswig-Holstein keine Nische, sondern Touris- eben schnell gestrichen, und das wird nicht spurlos mus ist ein Riesenmarkt. Es bestehen eine ganze an Schleswig-Holstein vorbeigehen. Da nutzt auch Reihe von Chancen, diesen Markt mit Leben zu fül- alles Lächeln und Schönreden nichts. Das wird len. nicht spurlos an Schleswig-Holstein vorbeigehen. (Beifall bei der CDU) Das Jahr 2009 wird ein schwieriges Jahr für den Aus unserer Sicht würden diese Chancen aber eher schleswig-holsteinischen Tourismus. Die Zahlen in Erfolge umgemünzt werden können, wenn ein des ersten Halbjahres 2008 lassen bereits Schlim- bisschen weniger Bürokratie herrschen würde, ein mes vermuten. bisschen mehr Wagnis und auch ein bisschen mehr (Jürgen Feddersen [CDU]: Nein!) den einzelnen Gemeinden vor Ort zugebilligt und dieses Engagement gewürdigt würde. Was nicht - Also, lieber Kollege Feddersen, die Zahlen im er- passieren darf, ist, dass die tatsächlichen zukünfti- sten Halbjahr 2008 sind deutlich hinter den Zahlen gen touristischen Leuchttürme, die zu einer enor- aus 2007 zurückgeblieben. Wie Sie hier das Gegen- men Entwicklung des Landes beitragen könnten, teil behaupten können, weiß ich nicht. Dazu brau- aus den Augen verloren gehen. chen Sie bloß die Statistik aufschlagen und nachzu- lesen. Das würde manchmal auch helfen. Herr Minister, ich frage Sie: Wo bleibt Ihr, wo bleibt das klare Bekenntnis der Landesregierung (Zurufe von FDP und CDU) zum Ausbau des ehemaligen Marinestützpunktes Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7415

(Dr. Heiner Garg)

Ich verstehe Ihren Optimismus und Ihren Zwi- Menschen das Reisen zu erleichtern und zweitens schenruf auch nicht. Die durchschnittliche Auf- den Unternehmen und Organisationen der Touris- enthaltsdauer im ersten Halbjahr 2008 betrug 3,8 muswirtschaft zu helfen, noch erfolgreicher zusam- Tage, 2007 waren es noch 4,6 Tage. Ist das jetzt ei- menzuarbeiten. Dazu zählt, das Verkehrsnetz in ne Verbesserung oder eine Verschlechterung? Über Schleswig-Holstein zügig auszubauen, damit Men- PISA reden wir erst zwei Tagesordnungspunkte schen einfacher, schneller, preiswerter und sicherer weiter, das weiß ich wohl. Trotzdem ist das eine nach Schleswig-Holstein kommen und sich in Verschlechterung gegenüber dem Zustand in 2007. Schleswig-Holstein bewegen können. Dazu zählt, dass Gäste den öffentlichen Personennahverkehr Es zeichnet sich bereits ein Trend dahin gehend ab, und den Schienenpersonennahverkehr im ganzen dass die Gäste merklich sparsamer werden. Darun- Land einfacher nutzen können. Und dazu zählt, ter leidet insbesondere die Außengastronomie. Ich dass die Gemeinden Schleswig-Holsteins wieder will nicht hoffen, dass sich die Konzentration auf mehr Geld bekommen, um ihre Infrastruktur aus- anspruchsvolle Genießer, die ein bestimmtes Netto- zubauen und an die Bedürfnisse ihrer Gäste tatsäch- haushaltseinkommen von über 2.500 € zur Verfü- lich passgenau anpassen zu können. gung haben und einen hohen Standard erwarten, dass sich diese Strategie am Ende als falsche Strate- (Beifall bei der FDP) gie herausstellt. Wenn die Landtagsfraktionen von CDU und SPD Vizepräsidentin Ingrid Franzen: schon diese Konzentration auf hochwertigen Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Für Tourismus beschließen, dann muss auch so gehan- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Abge- delt werden. ordneter Detlef Matthiessen das Wort. Liebe Frau Kollegin Poersch, das ist keine Blase. Sie haben sich - wie ich gesehen habe - noch ein- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mal zu einem Dreiminutenbeitrag gemeldet. Erklä- NEN]: ren Sie mir bitte Folgendes: Ich bin der Auffassung, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und dass auf keinen Fall passieren darf, dass der Be- Kollegen! Die Tourismuswirtschaft hat für unser schluss des Bauausschusses der Gemeinde Schar- Land eine herausragende Bedeutung. Es ist nicht beutz hier Geschichte schreibt und Nachahmer im verwunderlich, dass hohe Summen investiert wer- Land findet. Die Mehrheit von SPD und Wählerge- den. Ich komme in der Summe für 2005 bis 2007 meinschaft hat dort gegen die Stimmen von CDU auf 315,7 Millionen € mit einer Zuschusssumme und FDP Anfang Oktober 2008 den Bau eines von 127,5 Millionen €; dabei war 2006 das Jahr mit 20-Millionen-€-Luxushotels in Haffkrug und damit den höchsten Ausgaben. die Schaffung von 70 Arbeitsplätzen verhindert. Die Landesregierung, meine Damen und Herren, (Sandra Redmann [SPD]: Zu Recht!) hat ein Handlungskonzept zur Neuausrichtung - Nein, Frau Kollegin Redmann, nicht zu Recht. des Tourismus in Schleswig-Holstein entwickeln Wenn Sie sich hier auf die Gruppe anspruchsvolle lassen. Die darin propagierte Konzentration der Genießer konzentrieren wollen und das zu einer Tourismuspolitik des Landes auf drei Zielgruppen Hauptzielgruppe machen, dann müssen Sie Unter- - Familien mit Kindern, die Best Ager und die an- künfte für genau diese anspruchsvollen Genießer spruchsvollen Genießer - ist grundsätzlich richtig, bereitstellen, sonst können Sie sich das Bekenntnis um die jetzige Verzettelung zu überwinden. Ich schlicht sparen. kann einen Erfolg dieses Konzeptes allerdings noch nicht erkennen. Im Umkehrschluss heißt das aber, (Beifall bei FDP und CDU) dass andere Zielgruppen und Themen vorläufig zu- Zweitens. Frau Kollegin Poersch, Sie führen hier rückgestellt werden. aus, es gebe die Möglichkeit, dieses Projekt zu bau- Der Städtetourismus - das haben zwei Vorredner en. Dann verstehe ich nicht, warum Ihre Fraktion inzwischen richtigerweise festgestellt - ist der vor Ort genau von dieser Möglichkeit keinen Ge- Wachstumsbereich, der dabei hinten herunterfällt. brauch macht. Das müssen Sie erklären. Er ist aber zugleich der Bereich mit dem höchstem (Beifall bei FDP und CDU) Wachstum im Tourismus von Schleswig-Holstein. In den letzten fünf Jahren gingen die Übernach- Ich stelle für meine Fraktion fest, dass die beste tungszahlen landesweit um 3,1 % zurück, im Städ- Förderung des Tourismus darin besteht, erstens den tetourismus stiegen sie aber um 8,3 %. Die gleiche 7416 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Detlef Matthiessen)

Tendenz gibt es im Bereich der Tagesreisen. Nach (Johannes Callsen [CDU]: Das „Bauern- den Zahlen der Marketingkooperation Städte in blatt“! - Heiterkeit) Schleswig-Holstein gab es 2004 für das Tourismus- und lesen Sie sich die Beiträge der letzten Jahre, in ziel Lübeck 13 Millionen Tagesausflüge und 2,3 denen die CDU die Tourismuspolitik hier in Schles- Millionen Tagesgeschäftsreisen, also insgesamt wig-Holstein geprägt und verantwortet hat, zum 15,3 Millionen Tagesreisen. Fahrradtourismus durch. Für Kiel sind die Zahlen noch etwas besser: Es gab (Claus Ehlers [CDU]: Die ADAC-Zeitung 13,6 Millionen Tagesausflüge und 3 Millionen Ta- steht auch Grünen sehr nah!) gesgeschäftsreisen, in der Summe also 16,6 Millio- nen Tagesreisen. Das ist ein enormes Potenzial an Sie finden Schleswig-Holstein in diesem Blatt so Gästen, die zu einer oder zwei Übernachtungen ani- gut wie gar nicht, sehr wohl aber Österreich, Däne- miert und verführt werden wollen. mark, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen. (Heiterkeit) Meine Damen und Herren, es muss ein verbindli- ches Tourismuskonzept für eine touristische Region Denn der Städtetourismus ist das Pfund, mit dem erstellt werden, das wichtige touristische Sektoren wir wuchern können. Im Städtetourismus haben wir nicht ausschließt. Das Land lässt mit dem verengten die Gäste, die zahlungskräftig und qualitätsbewusst Konzept wichtige Potenziale brachliegen. sind, Herr Minister. Meine Damen und Herren, ich komme zu dem The- Gleiches gilt für den Fahrradtourismus. Der Fahr- ma, das Herr Dr. Garg richtigerweise angesprochen radtourismus steht nicht mehr nur für Schüler, die hat: einzelbetriebliche Förderung. Einzelbetriebli- einen Campingplatz nutzen, sondern für eine an- che Förderung führt im Wettbewerb zu Verzerrun- spruchsvolle und zahlungskräftige Klientel. Die gen. Landeshauptstadt Kiel ist gleich hinter Münster zur fahrradfreundlichsten Stadt Deutschlands gewählt (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk worden. Durch die Landeshauptstadt Kiel führt seit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jahren der Ostseeküstenradweg, einer der ersten Die Aufgabe einer fortschrittlichen Tourismusför- und schönsten Fernradwanderwege. Im letzten derpolitik liegt allerdings in der Infrastrukturför- Frühjahr wurde der Nord-Ostsee-Kanal-Radweg er- derung. Ich unterhielt mich mit einem Unterneh- öffnet. Die Anzahl der Rad fahrenden Urlaubsgäste mer am Timmendorfer Strand. Dort war ja geplant, ist in ganz Deutschland - hören Sie zu - im letzten eine große Marina und ein großes Hotel zu bauen. Jahr um 4,7 % gestiegen. Das ist ein großes Poten- Der Unternehmer steckte erst vor Kurzem 3,2 Mil- zial für Schleswig-Holstein, das nicht genügend lionen € in sein eigenes Hotel. Er sagte: Herr Matt- ausgeschöpft wird. hiessen, soll ich jetzt auf die Hütte eines Mitbewer- (Claus Ehlers [CDU]: Ein Erfolg der Landes- bers gucken, die mir mit derselben Summe, die ich regierung!) privat in die Hand genommen habe, vor die Tür ge- setzt wird? - Das sind die Folgen. - Eben nicht, Herr Ehlers. Ich versuche gerade, aus- zuführen, dass Schleswig-Holstein hier zwei we- Im Bericht kommt immer wieder die Formulierung sentliche Sektoren in der Tourismusbranche ver- „Modernisierung einer Betriebsstätte“ vor. Es kann nachlässigt nicht Aufgabe staatlicher Mittel sein, einige Privat- unternehmer im Wettbewerb gegenüber anderen zu (Claus Ehlers [CDU]: Das hast du nicht ver- stärken. standen!) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und andere im Gegenzug vorbeiziehen lässt. FDP und des Abgeordneten Günter Neuge- Der touristische Fahrradverkehr sollte durch den bauer [SPD]) Ausbau des Fahrradwegenetzes, ein landesweites Im Gegenteil: Es muss ganz klare Leitplanken ge- touristisches Wegweisungssystem, das Angebot ben, die das einschränken. der Bike-&-Bed-Hotels und -Unterkünfte und vor allem durch gezielte Werbung gestärkt werden. Meine Damen und Herren, ich komme zu einem an- deren Thema. Die Tourismusbranche muss auch als Nehmen Sie sich einmal die ADFC-Zeitung - das Energieverbraucher betrachtet werden. Schauen ist wohl nicht Ihre tägliche Lektüre -, Sie sich einmal den Hansa-Park unter dem Ge- sichtspunkt Energieverbrauch an. Der Energiever- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7417

(Detlef Matthiessen) brauch ist gigantisch, und der Hansa-Park ist in schon gefallen, Herr Callsen hat geklatscht. Das dem Bereich sehr aktiv. Ich könnte mir vorstellen, Stichwort heißt Tourismusregion Schlei. Dort wer- dass man diese Bemühungen unterstützt. Aufgrund den moderne und raumgreifende touristische einer konstruktiven Firmenpolitik im Energiebe- Konzepte verfolgt. In Büsum finden Sie Hinweise reich ist der Hansa-Park mittlerweile so weit, dass auf das Multimar Wattforum oder auf das Landes- er nur noch halb so viel Energie verbraucht wie der museum Schloss Gottorf. Ich glaube, diese Be- Heide-Park Soltau. Das sind ganz entscheidende fürchtung, die Sie hier skizziert haben, ist längst betriebswirtschaftliche Vorteile. Wenn wir schon überwunden. Die Tourismuspolitik in Schleswig- diese Formulierung „Modernisierung einer Be- Holstein hat diesen Kannibalismus längst überwun- triebsstätte“ aufnehmen, dann sollte diese mit The- den. men wie Nachhaltigkeit, energetische Ertüchtigung (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und so weiter einhergehen. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Die Förderung der Infrastruktur sogenannter Spaß- Ich danke Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen. bäder ist eine grenzwertige Angelegenheit. Ich - Für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeord- könnte mir allerdings vorstellen, dass man solche neter Lars Harms das Wort. „Spaßbäder“ zugunsten einer Tourismusgemeinde fördert. Lars Harms [SSW]: Meine Damen und Herren, wir als Grüne vertreten Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und die Parole: Fehmarn statt Fuerteventura! - Der Aus- Herren! Nach unserer Auffassung war es richtig, landstourismus, für den die Deutschen immer noch durch ein Gutachten zu ermitteln, welche Kunden- den Löwenanteil ihres Geldes für Urlaub ausgeben, gruppen für uns als Tourismusland besonders inter- ist ein Steinbruch ohne Ende. Daher sollten wir für essant sind. den Inlandstourismus werben. (Beifall der Abgeordneten Karsten Jasper Dazu gehören aber auch die Punkte, die Herr [CDU] und Regina Poersch [SPD]) Dr. Garg nannte, nämlich Anreiseerleichterungen und Buchungsbequemlichkeit. Diese Dinge sollten Natürlich wird jeder aus seinem eigenen Umfeld Gegenstand einer Förderpolitik sein. Es sollte nicht heraus auch andere regional oder örtlich interessan- sein, dass ein Hotel zufällig ausgewählt wird, weil te touristische Angebote kennen. Wir alle haben die Betreiber sich vielleicht schneller gemeldet ha- immer das Bestreben, in uns selbst hineinzuhor- ben als andere. Es kann nicht sein, dass dann von chen, um dann die eigenen Erwartungen an einen einem strahlenden Minister ein Scheck überwiesen Urlaub in eine solche Strategie einbringen zu wol- wird und dass das möglicherweise noch im Regio- len. Das ist aber genau der Fehler, den wir früher nalblatt abgebildet wird. gemacht haben. Es kommt nicht darauf an, ob wir selbst einer gewissen Altersgruppe angehören, ob Herr Minister, Sie redeten von Kannibalismus in wir selbst kulturell interessiert sind oder ob wir der Tourismuswirtschaft. Ich kann das nicht beob- selbst die Natur lieben. Es kommt auch nicht darauf achten. Ich beobachte das Gegenteil in Schleswig- an, welches andere Freizeitverhalten wir präferie- Holstein. Vor einem Jahrzehnt mag das anders ge- ren. Vielmehr kommt es darauf an, was der poten- wesen sein, aber das ist längst überwunden. zielle Gast will und erwartet. Es kommt darauf an, (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Vegetarier!) wie wir möglichst viele Umsätze mit diesen Gäste- wünschen erreichen können. Der Tourismus ist ein - Danke, Herr Stegner. Man sieht, Qualität hat kei- genauso knallhartes Geschäft wie jeder andere ne Grenzen, auch nicht in den Zwischenrufen des Wirtschaftszweig auch. Deshalb müssen wir hier Herrn Fraktionsvorsitzenden. professionell handeln und unsere Kräfte und unsere Sie erwähnten das, was wir früher beklagen mus- finanzielle Mittel bündeln. sten. Das war die Kirchturmpolitik, die mit sich Daher sind die Ergebnisse und die Schlussfolgerun- brachte, dass wir in Eckernförde keinen Hinweis gen, die das Berger-Gutachten für unser Land zieht, darauf bekommen haben, dass im Nachbardorf auch richtig. Wir müssen uns um die Best Ager, um die ein sehr gutes Restaurant zu finden ist. Mittlerweile anspruchsvollen Genießer und um die Familien mit gibt es aber ein Konzept rund um die Eckernförder Kindern kümmern. Das sind unsere Hauptziel- Bucht, mit dem bewusst Politik gemacht wird, um gruppen. Das schließt andere Gruppen nicht aus. Gäste an eine Region zu binden. Das Stichwort ist 7418 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Lars Harms)

So fördert das Sozialministerium den Jugendtou- friesische Minderheit zu ihrem Recht kommt und rismus, und die Staatskanzlei hat innerhalb von dass gleichzeitig auch der Tourismus gefördert fünf Jahren den Bereich „kulturelles Erbe“ mit wird, indem zweisprachig beschilderte Radwege 7,5 Millionen € gefördert, um hier auch den Touris- auch für die anspruchsvollen Touristen auf eine ein- mus zu stützen. Es geht bei der Konzentration der malige sprachliche Besonderheit aufmerksam ma- Mittel im Tourismus um die Mittel aus dem Wirt- chen. Somit nutzt man ein Alleinstellungsmerkmal, schaftsministerium und aus dem Landwirtschafts- und dieses Alleinstellungsmerkmal widerspricht ministerium. Hier müssen Schwerpunkte gesetzt nicht der allgemeinen Tourismusstrategie, die im werden, weil wir nicht unendlich viel Geld zur Ver- Berger-Gutachten niedergelegt worden ist. fügung haben. In den vergangenen drei Jahren wa- Wenn wir unsere Potenziale aber richtig ausschöp- ren dies unter anderem rund 7 Millionen € an insti- fen wollen, dann ist es ebenso notwendig, dass die tutionellen Zuschüssen für Tourismusorganisatio- von uns steuerbaren Rahmenbedingungen ange- nen. Für einen Wirtschaftszweig, von dem in unse- passt werden. Die Ferienregelungen für die Jahre rem Land circa 130.000 Arbeitsplätze abhängig 2011 bis 2017 sind eine solche steuerbare Rahmen- sind, ist dies wahrlich nicht viel. Deshalb gilt es, bedingung. Wenn wir die mögliche Gesamtferien- diese und andere Mittel möglichst effektiv und ziel- dauer in Deutschland von 90 Tage auf durchschnitt- orientiert auszugeben. lich 81 Tage begrenzen, so führt dies zu einer Bal- Es ist daher richtig, dass wir Projekte nur noch lung der Nachfrage, die im Land nicht mehr bedient dann fördern können, wenn sie in die Tourismus- werden kann, weil die Kapazitäten ausgelastet sind. strategie des Landes passen. Damit ist keine Be- Wir müssen also dafür sorgen, dass die 90 Tage vormundung der regionalen Ebene verbunden. voll ausgeschöpft werden. Vielmehr versuchen wir, Marketing und Angebot (Beifall bei der CDU und der Abgeordneten vor Ort miteinander in Einklang zu bringen. Es geht Regina Poersch [SPD]) also nicht nur um Werbemittel, sondern auch dar- um, dass wir Bauvorhaben nur noch dann fördern, Das heißt nicht, dass pädagogische Gesichtspunkte wenn sie ebenfalls in die Konzeption des Landes keine Rolle mehr spielen sollen. Es heißt aber, dass passen. Ansonsten würden wir überregional für et- auch die wirtschaftlichen Interessen einer Bran- was werben, was wir im Lande gar nicht anbieten che angemessen berücksichtigt werden müssen. können. Ein solches Auseinanderfallen von Pro- Insbesondere für unser Land ist dies in der jetzigen duktwerbung und Angebot vor Ort hat es in der wirtschaftlichen Rezession von entscheidender Be- Vergangenheit durchaus gegeben. Wir haben für deutung. Wir leben in Schleswig-Holstein von der touristische Produkte geworben, weil sich diese gut Binnenkonjunktur und insbesondere vom Touris- vermarkten ließen. Wir stießen aber dort an unsere mus. Daher muss die Landesregierung auf Bundes- Grenzen, wo das Angebot einfach zu klein war. Wir ebene diejenigen Kräfte unterstützen, die eine Aus- wurden von der Nachfrage überrollt, konnten die weitung der Gesamtferiendauer fordern. Dies vielen Reisewilligen aber nicht mit entsprechenden muss nicht zwangsläufig auf Kosten der Pädagogik Angeboten bedienen. Genau das musste jetzt ein geschehen. Ende haben. Deshalb war es notwendig, sich jetzt Ebenso lässt sich feststellen, dass man es in der auf einige wenige relevante Gruppen potenzieller Vergangenheit nicht gewohnt war, im Tourismus Gäste zu beschränken. eng zusammenzuarbeiten. Das soll nicht als Vor- Selbstverständlich können wir bestimmte einzelne wurf verstanden werden, sondern als allgemeine Faktoren berücksichtigen. So können wir zum Bei- Zustandsbeschreibung. Genauso wie man durch spiel die Anforderungen umsetzen, die uns durch Angebote versucht, die Kommunen in anderen Be- die Eurac-Studie empfohlen werden. Hier wird reichen zu einer noch engeren Zusammenarbeit zu ganz deutlich gesagt, dass die Minderheiten auch bewegen, so muss dies auch im touristischen Be- im Tourismus einen Mehrwert darstellen. Es gilt, reich geschehen. Dabei macht es Sinn, dass man die diesen Mehrwert auch zu nutzen. Förderung insbesondere auf die landesplanerischen Schwerpunkträume und Entwicklungsgebiete (Beifall beim SSW) für Tourismus konzentriert. Das schließt eine gut Neben den allgemeinen Marketingbemühungen begründete Einzelförderung außerhalb dieser Räu- müssen deshalb gerade auch Maßnahmen zur För- me nicht aus; das sieht die Landesplanung auch so derung der Minderheiten einbezogen werden. So vor. Diese Konzentration der Förderung auf be- können zum Beispiel in Nordfriesland zweisprachi- stimmte Räume führt aber dazu, dass man vom An- ge Radwegebeschilderungen dafür sorgen, dass die gebot her wirklich adäquate Produkte anbieten kann Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7419

(Lars Harms) und dass man auch vor Ort noch mehr in Regionen mus gelegen, sondern es ging mir um pfiffige Ide- denkt. Es führt dazu, dass nicht das Kirchturmsden- en. Als mir der Kollege Harms erklärte, Herr ken weiterhin das Handeln bestimmt. Wenn also in Dr. Garg kann nichts dafür, er habe das auch falsch Zukunft Konzepte zur Entwicklung des Tourismus verstanden, habe ich mir gedacht, ich stelle das lie- erstellt werden sollen, dann muss dies nach unserer ber noch einmal klar. Dann sind wir uns auch einig. Auffassung überregional geschehen. Die Festlegun- (Beifall bei SPD und FDP) gen in der Tourismusstrategie müssen eine ent- scheidende Rolle spielen. Worin wir uns nicht einig sind, ahnen Sie vermut- lich schon. Das ist Ihr wirklich polemischer Vor- Dabei müssen wir uns vor allem der Professionali- wurf, SPD habe mit Freien Wählern - der Angriff tät der TASH bedienen. Die TASH ist nicht nur ei- ist aber gegen die SPD gerichtet - eine 20 Millio- ne Buchungsplattform oder eine Organisation, bei nen-€-Investition verhindert. Das kann ich einfach der man Informationen über Schleswig-Holstein er- nicht stehen lassen, weil es nicht stimmt. Ich habe halten kann. Sie ist mehr. Sie ist die wichtigste in meiner Rede schon gesagt: Es gibt gültiges Bau- Tourismusmarketingorganisation, die wir haben. recht für ein Hotel in Haffkrug. Da kann sofort Natürlich muss es auf örtlicher und auf subregiona- losgelegt werden. Der Bebauungsplan ist sogar mit ler Ebene Werbung und Quartiervermittlung geben. den Stimmen der SPD zweimal verändert worden, Wenn wir aber wirklich überregional und womög- um auf Investorenwünsche einzugehen. So läuft das lich im Ausland mitreden wollen, dann müssen wir vor Ort nun einmal. Wenn jetzt jemand kommt, der die TASH stärken. Hier haben wir das Know-how, noch ein ganzes Vollgeschoss oben draufsatteln um dort Erfolg zu haben, wo örtliche und subregio- will, der überhaupt keine Rücksicht auf Ortsgestal- nale Werbung nichts bewirken kann. Wir brauchen tung, auf das Ortsbild nimmt, was uns in den Tou- in der Zukunft eine klare Aufgabenteilung im Tou- rismusorten auch wichtig ist, muss man irgendwann rismus. Es ist aber auch wichtig, dass alle Beteilig- auch mal sagen: Nein, so geht das nicht. ten an der schleswig-holsteinischen Tourismuswirt- schaft am gleichen Strang ziehen. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW) (Beifall des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU]) Ein Ort muss eine Idee haben, wie er gestaltet sein soll, dass er ansprechend ist für Einheimische ge- Niemand will einen Angebotseinheitsbrei. Alle aber nauso wie für Gäste. Es geht um das zusätzliche profitieren von einem einheitlichen guten Erschei- Vollgeschoss. Es geht um die gesamte Masse dieses nungsbild Schleswig-Holsteins und von einem Baukörpers, der entstehen soll. Das ist verhindert Wiedererkennungswert, der sich auch in einem worden. Ich bin keine Scharbeutzerin. Nach dem, gemeinsamen Marketing mit gemeinsamen Ziel- was ich verfolge, kann ich die Gründe durchaus gruppen ausdrückt. In dieser Vorgehensweise un- nachvollziehen. Es geht darum, gemeinsam mit In- terstützen wir als SSW auch den Wirtschaftsminis- vestoren Dinge zu entwickeln. Ein Ort, eine Ge- ter. meinde, eine Stadt hat das Recht und - wie ich finde (Beifall beim SSW und vereinzelt bei der - auch die Pflicht, auf die eigene Ortsgestaltung zu CDU) achten. Es gibt ein gültiges Baurecht in Scharbeutz. Da könnte sofort ein Hotel an diesem Standort ge- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: baut werden. Es war mir wichtig, das hier klarzu- stellen. Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Es liegen Wortmeldungen für Dreiminutenbeiträge (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vor. Ich erteile der Frau Abgeordneten Regina NEN und SSW) Poersch das Wort. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Regina Poersch [SPD]: Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich hatte mich zu Herr Abgeordnete Dr. Henning Höppner. einem Dreiminutenbeitrag gemeldet, weil es mir wichtig ist, dass - zumindest was das Wort angeht - Dr. Henning Höppner [SPD]: klar ist, was ich gemeint habe. Lieber Kollege Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dr. Garg, ich habe nicht billig gesagt, ich habe pfif- Auch ich habe mich aufgrund der Äußerung von fig gesagt. Mir ist in keiner Weise an Billigtouris- Herrn Kollegen Dr. Garg über das Hotelprojekt in 7420 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Dr. Henning Höppner)

Haffkrug gemeldet und will daran erinnern, dass es nicht von den Investoren. Nur so kommen wir wei- nicht immer sinnvoll ist, jedes Projekt in jeder Ge- ter. Ansonsten verlieren wir das Heft des Handelns meinde wirklich durchzuführen. Es gibt durchaus in den Gemeinden über die Entwicklung des Tou- Regionen, in denen die Entwicklung des Touris- rismus in Schleswig-Holstein. mus eine gewisse Überhitzung erfahren hat. (Vereinzelter Beifall bei der SPD) (Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP]) Präsident Martin Kayenburg: Ich denke insbesondere an die Insel Sylt. Eine Ent- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist be- wicklung, die dort vielleicht begrüßt werden mag, antragt worden, den Bericht der Landesregierung, führt zu Situationen, die für die Gemeinden dort Drucksache 16/2246, dem Wirtschaftsausschuss zu kaum noch zu verkraften sind und die viele Ge- überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte meindevertreter zu Höhenflügen veranlassen, wobei ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal- solche Situationen wie in List auf Sylt entstehen, tungen? - Das ist einstimmig so beschlossen. nämlich genau das, was die Kollegin Poersch be- schrieben hat. Man einigt sich zwischen Gemeinde Ich rufe Tagesordnungpunkt 21 auf: und Investor auf ein Hotel mit zwölf Modulen und dann werden 18 herausgehandelt. Da hat eine Ge- Investitionspaket zur Stabilisierung von Wirt- meindevertretung das Geschäft eigentlich nicht schaftswachstum und Beschäftigung mehr in den Händen. Antrag der Fraktion der FDP Ich denke an das Projekt in der Gemeinde Wen- Drucksache 16/2342 ningstedt-Braderup, wo man ein großes Kurhaus bauen will, zuerst selbst plant, mit der eigenen Pla- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das nung aufhört, 1 Million € Planungskosten in den ist nicht der Fall. Dann hat für die Fraktion der FDP Sand setzt, dann einen Investor findet, das Projekt der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg das Wort. sehr viel zu groß plant, dann Probleme mit dem (Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Präsident, ich Baurecht bekommt und letztlich die Baugrube wie- erinnere daran, dass meine Fraktion zehn Mi- der zuschüttet, wahrscheinlich mit einem weiteren nuten für diesen Tagesordnungspunkt ange- Verlust für die Gemeinde in Höhe von 4 Millio- meldet hat!) nen €. - Die sind auch programmiert. Ich denke auch immer mit Bedauern an das, was im Ortsteil Keitum der Gemeinde Sylt-Ost passiert, (Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich sehe hier vier- insbesondere dann, wenn ich an einem Bauschild einhalb Minuten!) vorbeigehe, auf dem dargestellt wird, dass eine Therme gebaut werden soll. Seit mehr als einem Dr. Heiner Garg [FDP]: Jahr gibt es keine Bewegung bei diesem 20-Millio- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- nen-€-Projekt. Ich bin auch immer sehr traurig dar- gen! Es ist mir eine ganz besondere Freude, dass über, dass auf diesem Bauschild dargestellt wird: der Fraktionsvorsitzende der SPD anwesend ist. Ich „Hier fördern die Europäische Union und das Land habe ihm nämlich etwas mitgebracht. In der gestri- Schleswig-Holstein“, und nichts kommt voran. gen Auseinandersetzung um den Landeshaushalt ist (Zuruf des Ministerpräsident Peter Harry - wie das in diesen Zeiten so üblich ist - ständig der Carstensen) Kampfbegriff des Neoliberalismus gebraucht wor- - Doch, doch. Guckt euch das Bauschild einmal an. den. Ich will festhalten, lieber Kollege Stegner: - Man muss vor Ort durchaus sehr kritisch prüfen, Neoliberalismus hat mit Turbokapitalismus genau- ob das, was geplant ist oder was Investoren wollen, so viel zu tun wie Sozialdemokratie mit Postkom- für eine Gemeinde vertretbar und verkraftbar ist. munismus, nämlich gar nichts. Ich habe Ihnen des- Auf Sylt sehe ich die Situation so, dass man am En- wegen eine Definition des Neoliberalismus aus der de ist, dass diese Insel wahrscheinlich nicht mehr Bundeszentrale für politische Bildung mitgebracht. verkraften kann. Vor Ihnen steht ein bekennender Ordoliberaler. Or- doliberalismus ist die deutsche Form des Neolibera- Ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass man in lismus. der Gemeinde Haffkrug darauf besteht, dass die Regeln von der Gemeinde festgesetzt werden und (Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD]) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7421

(Dr. Heiner Garg)

- Lieber Herr Kollege Astrup, es wäre vielleicht (Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch für Sie ganz clever, zuzuhören, da auch Sie NEN]: Neoliberalismus war vor 30 Jahren et- gern diesen Kampfbegriff benutzen. - Ich zitiere: was anderes als heute!) „Ausgangspunkt waren die schlechten Erfah- Herr Neugebauer, Neoliberale sind genau das Ge- rungen mit dem ungebremsten Kapitalismus genteil derer, sie Sie eigentlich beschimpfen wol- des 19. Jahrhunderts, was in der Praxis zu len. Das wollte ich Ihnen von dieser Stelle aus ein- großer Marktmacht einzelner Unternehmen, fach einmal deutlich machen. verbunden mit einer Einschränkung des (Günter Neugebauer [SPD]: Nein, nein!) Wettbewerbs und negativen Folgen für weite Teile der Gesellschaft führte. Präsident Martin Kayenburg: Nach Auffassung des Ordoliberalismus soll der Staat nicht nur die notwendigen Voraus- Herr Dr. Garg, gestatten Sie eine Zwischenfrage setzungen für eine freiheitliche und markt- des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner? wirtschaftliche Wirtschaftsordnung mit Wett- (Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen bewerb schaffen, sondern diesen auch erhal- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ten. Der Erhaltung und Sicherung des freien Wettbewerbs dient im Ordoliberalismus die - Herr Matthiessen, der Herr Abgeordnete Dr. Steg- Schaffung eines rechtlichen Rahmens durch ner hat jetzt das Wort. den Staat. Dieser ordnungspolitische Rahmen stellt die freie wirtschaftliche Betätigung von Dr. Heiner Garg [FDP]: Unternehmen und Haushalten sicher und soll Selbstverständlich. die Entstehung von Marktmacht (zum Bei- spiel durch Kartell- oder Monopolbildung) Dr. Ralf Stegner [SPD]: Lieber Kollege verhindern. Die staatliche Wirtschaftspolitik Garg, vielen Dank für die Lesestunde. Ich als Ordnungspolitik ist deshalb darauf ausge- möchte Sie fragen, ob Sie wissen und dann richtet, die marktwirtschaftlichen Rahmenbe- auch so nett wären, das dem Hohen Haus zu dingungen zu sichern und gleichzeitig die ge- verraten, von wem die Einschätzung im samtwirtschaftliche Entwicklung zu verbes- Deutschen stammt, dass der Ver- sern.“ such, die Finanzmärkte durch den Staat zu kontrollieren, das gleiche sei wie DDR ohne (Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer Zäune. Wären Sie so nett, das zu sagen? [SPD]) Kennen Sie das Zitat, und wissen Sie, von es - Lieber Kollege Neugebauer, die Väter der sozia- stammt? len Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack und - Lieber Herr Kollege Stegner, da Sie ständig ir- , waren Ordoliberale und sind mit- gendwelche FDP-Politiker hier zitieren, um Ihr nichten und sicherlich keine Turbokapitalisten. breit gefächert angelesenes Wissen zu verbreiten, (Beifall bei der FDP und des Abgeordneten kann ich Ihnen nur sagen: Erstens. Ja, mir ist das Niclas Herbst [CDU]) bekannt. Zweitens haben Sie ganz offensichtlich den tieferen Sinn meines vorweihnachtlichen Mit- Es täte manchmal ganz gut, wenn Sie sich, wenn bringsels für Sie überhaupt nicht verstanden. Sie solchen Kampfbegriffen um sich werfen, ein- fach einmal darüber informieren, was Sie da in den (Beifall bei FDP und CDU) Mund nehmen, mit welchen Begriffen Sie um sich Deswegen kann ich nur bedauernd sagen: Hören werfen. Ich weiß, was Sie meinen. Aber Sie treffen Sie doch einfach einmal weiter zu. Dass Sie es genau - - nicht verstanden haben, zeigt auch Ihr gestriger (Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zwischenruf, als Sie auf das Investitionspaket, das NEN]: Neoliberalismus hat einen Bedeu- wir Ihnen vorschlagen, mal eben „Keynes“ gerufen tungswandel erfahren!) haben. Es ist schön, dass Sie einen Nachfragetheo- retiker kennen, allerdings basiert unser Investitions- - Ach, Frau Birk. Darauf habe ich gewartet, dass paket auf der Weiterentwicklung nachfragetheoreti- Sie hier dazwischenrufen. scher Ansätze, und zwar auf der (Zuruf des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD]) 7422 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Dr. Heiner Garg)

- lieber Kollege Eichstädt - sogenannten kaldoriani- Vorschlag gemacht, ein Investitions- und Wachs- schen Verteilungstheorie tumspaket zu beschließen - zur Belebung der Wirt- schaftskraft in Schleswig-Holstein. Zur Abfederung (Peter Eichstädt [SPD]: Das sagte ich gerade der negativen Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu meinem Nachbarn!) auf die Beschäftigung und auch die Steuereinnah- Sie können selbstverständlich die Einschätzungen men sollen öffentliche Investitionen vorgezogen sämtlicher ökonomischer Institute ignorieren. Das werden und als Sofortmaßnahme ein entsprechen- können Sie machen. Sie können ignorieren, dass die des landeseigenes Investitionsprogramm aufge- Weltbank vor der schwersten Rezession seit den legt werden. Diese öffentlichen Investitionen sollen 30er-Jahren warnt. Sie können ignorieren, dass das für den Abbau des Sanierungsstaus und die Instand- RWI Essen in seiner Prognose das BIP für 2009 haltung der Straßeninfrastruktur von Kommunal- senkt und eine tiefe Rezession erwartet. Man kann und Landesstraßen eingesetzt werden, zur Unter- das alles schönreden, man kann sich das auch alles stützung der Kommunen bei dringend notwendigen wegdenken. Das Problem ist nur, dass es nicht hilft, Maßnahmen zur Schulsanierung und zum Schul- die Augen zu verschließen, es hilft nicht, es schön- neubau. Das können Sie problemlos auch auf Kin- zureden. dertageseinrichtungen oder beispielsweise Kran- (Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kenhäuser ausdehnen, wo es auch einen erheblichen NEN]: Was raten Sie uns denn nun?) Investitionsstau gibt. - Das können Sie doch dem Antrag entnehmen. Des Weiteren wollen wir ein Programm zur ener- Warten Sie doch einfach, Frau Birk, was ich Ihnen getischen Sanierung öffentlicher Gebäude und vorschlage. Ich wundere mich, dass Sie hier die zur Ausstattung des ländlichen Raumes mit Breit- Frage stellen, was ich Ihnen vorstellen will, wenn band-Internetkabel auflegen. In allen vier Feldern wir genau zu diesem Tagesordnungspunkt einen sehen wir für Schleswig-Holstein einen erheblichen Antrag gestellt haben. Also irgendwie sind Sie Nachholbedarf. Der vorhandene Sanierungsstau manchmal ein bisschen merkwürdig. kann mit einem solchen Investitionspaket - zum Teil jedenfalls - abgearbeitet werden. (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] - Lachen bei der CDU) Durch eine entsprechende Ausschreibung in kleinen Teillosen kann dafür gesorgt werden, dass die Auf- Was hier auf Schleswig-Holstein zuläuft, lässt sich träge zum großen Teil in der Region bleiben, und mit Sicherheit durch Aussitzen nicht abwenden. Die durch den Abbau von bürokratischen Schranken Situation ist dramatisch, und wir müssen aus unse- könnte - wenn man wollte und alle an einem Strang rer Sicht dort, wo wir es können, zielgerichtet öf- zögen - eine zügige Auftragsvergabe erfolgen. fentliche Investitionen vorziehen, um die Krise Dann kommen die Investitionen genau dort an, wo und die Auswirkungen der Krise wenigstens teil- sie tatsächlich etwas bringen. Die Aufträge würden weise abzuschwächen. dem heimischen Handwerk und der Bauwirtschaft Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es helfen. Der Arbeitsmarkt würde stabilisiert, und da- helfen keine partiellen Steuergeschenke, die nicht mit könnte Beschäftigung gesichert werden. verkonsumiert werden, sondern aufs Sparbuch wan- Das würde sich in der Krise positiv auf Steuerein- dern. Es helfen auch nicht irgendwelche Weih- nahmen und auf die zu zahlenden Sozialabgaben nachtsgeschenke in Form von wie auch immer ge- auswirken. arteten Konsumgutscheinen. Stellen Sie sich vor, es werden Konsumgutscheine ausgegeben, und damit Der große Vorteil dieses Infrastrukturprogramms, werden dann italienische Markenschuhe oder chine- wie wir es Ihnen heute vorlegen, ist, dass eine dop- sisches Billigspielzeug gekauft. Davon wird die pelte Dividende erzielt werden könnte. Zum einen deutsche Wirtschaft mit Sicherheit nicht stabilisiert. stimuliert es durch erhebliche Investitionen kurzfri- stige Nachfrageimpulse, und zugleich verbessern (Beifall der Abgeordneten Dr. Ekkehard wir langfristig unsere Wachstumsbedingungen in Klug [FDP] und Lars Harms [SSW]) Schleswig-Holstein, weil wir Sanierungsstau ab- Was wir brauchen, sind öffentliche Investitionen, bauen. und zwar zügig umgesetzt, zielgenau eingesetzt und (Beifall bei der FDP) zeitlich befristet. Mit Investitionen in die Verkehrswege würden wir Genau aus diesem Grund, liebe Frau Kollegin Birk, dafür sorgen, dass Schleswig-Holstein weniger dra- hat der böse ordoliberale Garg Ihnen heute den matisch von internationalen Warenströmen abge- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7423

(Dr. Heiner Garg) koppelt wird. Mit Investitionen in den Schulbau „Die CDU ist die Partei, die auch in der Kri- und in die Schulsanierung investieren wir in die se für Verantwortung und Verlässlichkeit Zukunft dieses Landes. steht.“ Mit der Förderung energetischer Sanierung der öf- Und weiter: fentlichen Gebäude wird ein Beitrag zum Umwelt- „Mit pragmatischen Lösungen zum Wohle schutz und zur Reduzierung der CO -Emissionen 2 unseres Landes werden wir gemeinsam auch geleistet, und wir werten gleichzeitig diese Gebäu- die noch vor uns liegenden Herausforderun- de auf. Und schließlich sorgen wir mit dem Ausbau gen meistern.“ des Breitbandinternets im ländlichen Raum für eine sofortige Unterstützung der mittelständischen Wirt- (Vereinzelter Beifall bei der CDU) schaft, indem wir ihr die Möglichkeit geben, am Wohlan, Herr Peter Harry Carstensen! Der Vor- weltweiten Datenaustausch teilzuhaben. schlag der FDP-Fraktion für einen Investitions- und Eigentlich müssten wir diese Debatte heute gar Wachstumspakt ist genau die pragmatische Lösung, nicht so führen, wie wir sie führen. Denn in den die Sie Ihren Parteimitgliedern angekündigt und vergangenen Tagen ist mehr als deutlich geworden, versprochen haben. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dass eine breite Mehrheit für unseren Antrag vor- für unseren Vorschlag stimmen, um genau das ein- handen sein müsste. Überall um uns herum werden zulösen, was Sie den Menschen im Land verspro- Investitionspakete geschnürt oder zumindest massiv chen haben. gefordert. Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass (Beifall bei der FDP) die Bundeskanzlerin sich darüber freut, dass das Bundesverfassungsgericht ihre Regierungspolitik zur Pendlerpauschale als verfassungswidrig anpran- Präsident Martin Kayenburg: gert, den alten Zustand wiederherstellt und sie dann Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne sagt, dass sie das sehr begrüße und dass es ein Kon- begrüßen wir ganz herzlich Schülerinnen und Schü- junkturprogramm für Deutschland sei. Das finde ler der Hauptschule Nortorf und der Kooperativen ich schon mehr als merkswürdig, liebe Kolleginnen Gesamtschule Elmshorn mit ihren Lehrkräften. - und Kollegen von der Union. Seien Sie uns herzlich willkommen! (Beifall bei der FDP und des Abgeordneten (Beifall) Lars Harms [SSW]) Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abge- Rund um uns herum werden Investitionspakete ge- ordneten Johannes Callsen das Wort. schnürt, die CDU-Fraktion in Hessen will mit 100 Millionen € zusätzlich das Landesstraßennetz Johannes Callsen [CDU]: sanieren. Die CDU-Bildungsministerin Annette Schavan fordert die Länder auf, den Kommunen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schles- mehr Gelder für ein umfassendes Sanierungspro- wig-Holstein hat in den letzten drei Jahren eine gu- gramm der Schulen bereitzustellen. Baden-Würt- te Entwicklung durchgemacht. Der Mittelstand tembergs Ministerpräsident Oettinger will zeitnah wurde gestärkt und die Arbeitslosigkeit von ein Infrastrukturprogramm auflegen. Die SPD- 160.000 auf gut 100.000 deutlich reduziert. Fraktion in Niedersachsen fordert in ihren Haus- (Beifall bei der CDU sowie der Abgeordne- haltsanträgen ein 427 Millionen € schweres Investi- ten Detlef Buder [SPD] und Bernd Schröder tionspaket, der Kanzlerkandidat der SPD, Frank- [SPD]) Walter Steinmeier, fordert einen umfassenden kom- munalen Investitionspakt, um die lahmende Kon- Wir haben damit - und ich sage „zum Glück“ - junktur auf Trab zu bringen. Und selbst Schleswig- weitaus bessere Voraussetzungen, der Wirtschafts- Holsteins Wirtschaftsminister Marnette sagte am krise zu begegnen, als noch im April 2005. Man 18. Oktober im „sh:z“, dass er mit Investitionen in stelle sich vor, Schleswig-Holstein hätte heute noch Bildung, Forschung und Infrastruktur verhindern diesen historischen Höchststand von damals noch will, dass Schleswig-Holstein in den Strudel der 160.000 Arbeitslosen wie vor drei Jahren. Die Aus- Rezession gerät. gangsvoraussetzungen wären ungleich schlechter und dramatischer. Und heute sagt selbst die Lan- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Guter Mann!) desagentur für Arbeit, dass der Arbeitsmarkt in Am 31. Oktober sagte der Ministerpräsident in sei- Schleswig-Holstein robust und gut gerüstet für die ner Rede auf dem CDU-Parteitag: Zukunft sei. 7424 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Johannes Callsen)

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Wolf- ne hohe Priorität, weil wir damit den Wirtschafts- gang Kubicki [FDP]: Warte mal die nächsten standort voranbringen und Aufträge für die regiona- paar Monate ab!) le Bauwirtschaft sichern, gerade auch vor dem Hin- tergrund der Finanzmarktkrise. Herr Kollege Dr. Garg, natürlich stellt uns die aktu- elle Finanz- und Wirtschaftskrise vor ungeahnte (Beifall bei der CDU) und völlig neue Herausforderungen. Die Bundesre- Neben den Schülerinnen und Schülern wird auch gierung hat mit einem umfangreichen Maßnahme- die Wirtschaft von den zusätzlichen 42 Millionen € paket dafür Sorge getragen, dass zunächst das Ver- profitieren, die die Landesregierung im Doppel- trauen auf den Finanzmärkten wiederhergestellt haushalt für Sanierung, Modernisierung und Ein- wird, aber auch dass die Bürger entlastet werden, richtung von Schulen zur Verfügung stellt. Und wir um zusätzlichen Spielraum für Konsum zur Bele- investieren 6 Millionen € zusätzlich in das kulturel- bung der Wirtschaft zu schaffen. le Erbe und die Bewahrung unserer kulturellen Ich nenne hierzu die erneute Senkung des Beitrages Schätze. Auch dies sichert Arbeit im Handwerk. zur Arbeitslosenversicherung, die höhere Absetz- Ebenso wichtig wie die Straßeninfrastruktur ist der barkeit von Handwerkerleistungen von der Steuer - Ausbau der technologischen Infrastruktur, insbe- übrigens eine Forderung der CDU -, verbesserte Fi- sondere die Erschließung des ländlichen Raumes nanzierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere mit Breitband-Internet. Ich freue mich, dass gerade Unternehmen, die Aufstockung des CO -Gebäu- 2 die FDP dies in ihren Forderungskatalog aufgenom- desanierungsprogramms oder die Erweiterung von men hat, gibt mir das doch die Gelegenheit, darauf Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen. hinzuweisen, dass es CDU und SPD waren, die die- (Beifall bei der CDU) ses Thema DSL im Jahre 2005 auf die Tagesord- nung dieses Hauses gesetzt haben. All dieses, Herr Kollege Dr. Garg, schafft wichtige Anreize auch für Aufträge an die regionale Wirt- (Beifall bei CDU und SPD) schaft in Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein war damals das erste Bundes- Auch die CDU-geführte Landesregierung - wir ha- land in Deutschland, das ein mit 6,5 Millionen € ben gestern bereits darüber diskutiert - hat sich die- ausgestattetes Förderprogramm zum Ausbau des sen Aufgaben verantwortungsvoll gestellt und ihre DSL-Netzes aufgelegt hat. Wir waren bundesweit Schwerpunkte für Wirtschaftswachstum und Be- wegweisend. schäftigung noch einmal verstärkt. Übrigens gehö- (Beifall bei der CDU) ren beide Bereiche bereits seit Beginn unserer Re- gierungszeit zu den Schwerpunkten. Inzwischen haben das auch die Bundesregierung und die Europäische Kommission erkannt und So wurden die Ausgaben für den Bundesfernstra- nachgezogen. ßenbau in Schleswig-Holstein seit 2005 kontinuier- lich gesteigert. Sie erreichten 2007 ein Niveau von Mit dem jetzt vom Wirtschaftsministerium ange- fast 212 Millionen €. Dieser Rekord dürfte in die- kündigten Masterplan Breitband wird der DSL- sem Jahr mit rund 217 Millionen € noch einmal ge- Ausbau in Schleswig-Holstein weiter intensiviert. steigert werden. Unser Ziel ist es, bis Ende 2010 eine flächen- deckende Breitband-Grundversorgung hier im (Beifall bei der CDU) Land zu erreichen. Hierfür stehen bis 2010 noch Zur Erinnerung: Wir liegen damit bei den Ausga- einmal 3 Millionen € bereit, die wir bei entspre- ben im Bundesfernstraßenbau erstmals wieder auf chendem Bedarf um zusätzliche Mittel ergänzen einem Niveau wie Anfang der 80er-Jahre. Vor zehn wollen. Jahren waren es fast 100 Millionen € weniger. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Breit- Auch das ist ein Beitrag für die Konjunktur. Wir band ist auch in Schleswig-Holstein Chefsache, schaffen damit wichtige Voraussetzungen für die weil es eine wichtige Voraussetzung für die techno- Infrastruktur und haben in der Nachschiebeliste für logische Entwicklung im Land ist und den mittel- wichtige Projekte auf Landesstraßen noch einmal ständischen Betrieben auch im ländlichen Raum 14 Millionen € zusätzlich bereitgestellt und damit Anschluss an moderne Vertriebs- und Kommunika- Investitionen vorgezogen. tionswege sichert. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die In- (Beifall bei der CDU) vestitionen in die Infrastruktur haben für uns ei- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7425

(Johannes Callsen)

Die auf den Mittelstand zugeschnittene Wirtschafts- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki förderung des Landes hat durch Förderung zahlrei- [FDP]) cher technologischer Projekte, aber auch Maßnah- - Herr Kubicki, nach Ihren Beiträgen gestern und men der wirtschaftsnahen Infrastruktur und einzel- heute stelle ich mir eher die Frage, wie das der betrieblicher Förderung einen großen Anteil an der Wunschkoalitionspartner der CDU sein kann. Das Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Mit diesen Fi- müssen Sie mir einmal erklären. nanzhilfen - daran will ich gern erinnern - wurden hier 2007 mehr als 23.000 Arbeitsplätze geschaffen (Zurufe von der CDU) - ein Rekordergebnis, das den Wirtschaftsstandort - Ach so, das wird inzwischen infrage gestellt, Kol- Schleswig-Holstein ein Stück krisenfester gemacht lege Arp? hat. Diese Förderpolitik ist richtig und wichtig. Ge- rade in konjunkturell schwieriger Zeit wollen wir Wenn der Markt oder genauer die auf dem Markt sie fortsetzen. agierenden Teilnehmer versagen und Habgier zum Prinzip erheben, muss der Staat es richten. Diese Wenn ich den FDP-Antrag nicht nur als reinen Ak- Erkenntnis können wir alle aus der größten Finanz- tionismus werte - ich tue es ausdrücklich nicht, son- marktkrise der letzten hundert Jahre ziehen. dern ich werte ihn als ernst gemeinten Beitrag für die wichtige Diskussion, wie auf die Finanz- und Zum Glück sind die Auswirkungen der internatio- Wirtschaftskrise zu reagieren ist -, so kann ich nur nalen Finanzkrise auf die knapp 115.000 kleinen abschließend sagen: Sie, liebe Kollegen von der und mittelständischen Unternehmen in Schleswig- FDP, rennen bei uns offene Türen ein. Wir werden Holstein nach Einschätzung von Finanz- und Wirt- die weitere Entwicklung auf den Finanzmärkten schaftsfachleuten weniger gravierend als im inter- aufmerksam beobachten und verantwortungsvoll nationalen Vergleich. Unser Drei-Säulen-System handeln. - Ich bitte um Überweisung des Antrages der Geldinstitute - Geschäftsbanken, Sparkassen, in den Wirtschaftsausschuss. Genossenschaftsbanken - mit seiner Ausrichtung auf Schleswig-Holstein hat sich als stabilisierender (Beifall bei CDU und SPD) Faktor erwiesen. Genossenschaftsbanken und Spar- kassen sind regional aufgestellt, sie beziehen ihr Präsident Martin Kayenburg: Kapital aus der Region und geben es an die Region Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Ab- zurück. geordneten Bernd Schröder das Wort. Was kann der Staat nun tun, um die Konjunktur an- zukurbeln, um mehr Wirtschaftswachstum zu gene- Bernd Schröder [SPD]: rieren? Ideen und Vorschläge hat es in den letzten Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Wochen zuhauf gegeben. Zum Beispiel den 500- Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: €-Konsumscheck. Ich frage ernsthaft, ob sich der Staat tatsächlich neu verschulden soll, damit sich ,,Der Kapitalismus basiert auf der merkwür- Gutsituierte den dritten Flachbildfernseher kaufen digen Überzeugung, dass widerwärtige Men- können. Man könnte natürlich Besserverdienende schen aus widerwärtigen Motiven irgendwie ausschließen, aber der bürokratische Aufwand wäre für das allgemeine Wohl sorgen.“ wieder enorm, und es kann passieren, dass aus ei- Dieser Satz stammt vom britischen Ökonomen nem solchen Konsumscheck schnell ein Armengut- Keynes, der die These vertrat, der Staat solle den schein wird. Im Übrigen sind wir doch sicherlich Mangel an privater Nachfrage durch eigene Ausga- der Meinung, dass dies bestenfalls für ein mediales benprogramme ausgleichen. Als Instrumente hier- und konjunkturelles Strohfeuer taugt. für empfahl er Investitionen des Staates selbst, in- (Beifall bei SPD und CDU) dem dieser Aufträge zum Bau von Straßen, Kran- kenhäusern oder Schulen vergibt. Die Mehrwertsteuer senken, wie jetzt die Briten zu Weihnachten? Damit das wirkt, müssen die Lä- Ich finde es bemerkenswert, dass ausgerechnet die den dann auch ihre Preise tatsächlich senken. Au- FDP, die sich die Losung „mehr Markt, weniger ßerdem merken die Menschen beim Kauf von ge- Staat“ auf die Fahnen geschrieben hat, jetzt diesen wissen Lebensmitteln gar nicht, dass überhaupt et- Antrag hier einbringt. Und ich finde es sympa- was getan wurde. Dieses Geld, das dann in öffentli- thisch, dass sich die FDP jetzt durchaus lernfähig chen Kassen fehlt, ist das Geld, das lieber anders zeigt und nach dem Staat ruft. Also: Willkommen verwendet werden sollte, zum Beispiel indem man im Club der „Keynesianer“! darüber nachdenkt, den ermäßigten Steuersatz von 7426 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Bernd Schröder)

7 % auf bestimmte Produkte auszudehnen und dies tur bereitgestellt, wir bringen in den nächsten Jah- gleich mit dem Klimaschutz zu verbinden, etwa für ren 42 Millionen € in den Schulbau, und weitere nachhaltige Produkte und Investitionen in Zu- Maßnahmen für Sportanlagen für den Schulsport kunftsenergien, womit man zwei Fliegen mit einer sowie für die energetische Sanierung von öffentli- Klappe schlagen würde. chen Gebäuden folgen. Niedrigere Einkommensteuertarife? Ein erhebli- Wir sind der Meinung, das sind die Schritte in die cher Teil der Haushalte bezahlt überhaupt keine richtige Richtung. Wir sind durchaus bereit, im Einkommensteuer. Somit käme die Steuersenkung Ausschuss über Inhalte weiter zu diskutieren. Dass vor allem höheren Einkommensgruppen mit einer Schleswig-Holstein über das, was ein Investitions- hohen Sparquote zugute. programm ausmacht, hinaus zusätzliche Mittel be- reitstellt, können wir uns bei der Finanzlage des Staatliche Investitionsprogramme? Damit sie Landes beim allerbesten Willen nicht leisten. wirken können, müssen sie zügig umgesetzt wer- den, damit die Krise nicht vorbei ist, bis die Planun- (Beifall bei SPD und SSW) gen abgeschlossen sind. Flächendeckende Einführung eines Mindestlohns Präsident Martin Kayenburg: und den Hartz-IV-Empfängern die Einkünfte auf Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat 400 € aufstocken? Ich bin der Meinung, hier liegt der Herr Abgeordnete Detlef Matthiessen das Wort. tatsächlich Konsumbedarf, der etwas bewirken könnte. Viele Menschen in unserem Land wollen Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kaufen, können es aber nicht. Deshalb werden wir NEN]: uns auch weiterhin für die Einführung eines flä- chendeckenden Mindestlohns einsetzen. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Die FDP nimmt für sich in Anspruch, beim (Beifall bei der SPD) Thema Wirtschaft die Kompetenz überhaupt darzu- Und wir werden uns dafür einsetzen, dass Men- stellen. Das bekommen wir immer eindrucksvoll schen von der Arbeit, die sie leisten, auch ihre Fa- geboten. milien ernähren können und dass nicht die Zahl der (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ihnen gegenüber Aufstocker, wie jetzt wieder geschehen, erheblich stimmt das auch!) ansteigt. Wir brauchen also ein intelligentes und miteinander abgestimmtes Bündel an Maßnahmen. Sie steht nun in Zeiten der weltweiten Finanzkrise und der aufziehenden Wirtschaftskrise ziemlich Die vom Bundestag vorgeschlagenen Maßnahmen dumm da. sind ein Schritt in die richtige Richtung und werden am 19. Dezember 2008 sicherlich im Bundesrat be- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schlossen werden. Wir haben eine ganze Reihe von SPD und SSW - Lachen bei der FDP) Maßnahmen; der Kollege Callsen hat das eben auf- So sagte beim Dreikönigstref- gezählt: Absetzung von Handwerkerleistungen, Sa- fen der FDP, Deutschland brauche eine grundlegen- nierung der Infrastruktur von den strukturschwa- de Kurskorrektur in Richtung weniger Steuern, we- chen Kommunen, bessere Kreditversorgung des niger Staat und Deregulierung. Mittelstandes und weitere Maßnahmen. Die EU hat 30 Milliarden € Kreditmittel für die mittelständi- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja, da hat er auch sche Wirtschaft bereitgestellt. Und wir begrüßen recht!) ausdrücklich die Entscheidung des Bundesverfas- Jetzt wird aber klar: Im Gegensatz zu Ihren Ausfüh- sungsgerichts, was die Pendlerpauschale angeht. rungen zum Ordoliberalismus - vielen Dank; das Hier werden bei 20 Millionen Betroffenen Anfang wussten wir ja noch gar nicht; davon haben wir 2009 3 Milliarden € frei. Auch sie werden die Bin- noch nie gehört - nenanfrage ankurbeln und die Konsumbereitschaft erhöhen. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heiner Garg [FDP]: Deswegen erzählen Sie Wir haben in unserem Land - auch gestern mit Be- auch immer Mist!) schluss des Haushalts - eine ganze Reihe von Inve- stitionsmaßnahmen auf den Weg gebracht. Auch sage ich Ihnen, Herr Dr. Garg, um es einmal auf diese Dinge hat der Kollege Callsen bereits aufge- einen anderen Punkt zu bringen - vielleicht war zählt. Wir haben 310 Millionen € für die Infrastruk- Neoliberalismus auch nicht der ganz richtige Be- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7427

(Detlef Matthiessen) griff -: Die Deregulierungsextremisten à la FDP ha- wenn andererseits wenig später plötzlich die Rede ben ausgedient. von einer Teilverstaatlichung der Banken ist, so ha- ben Sie jedenfalls größere Probleme, Antworten zu (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN finden, als ich auf Ihre Frage eben. und des Abgeordneten Lars Harms [SSW]) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Das unregulierte Geschehen auf den Finanzmärkten Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki hat dazu geführt, dass sogenannte innovative Fi- [FDP]) nanzprodukte massenhaft erfunden, gehandelt und gekauft wurden. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wegen der Bankenkrise öffnen Bund und Länder die Kas- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Die Sie eingeführt sen. 500 Milliarden € werden innerhalb von zwei haben, Herr Matthiessen! - Zuruf des Abge- Wochen bereitgestellt, um den Markt der Kreditver- ordneten Günther Hildebrand [FDP]) gabe innerhalb der Banken wiederzubeleben und Für diese Finanzprodukte, die sogenannten Trans- Insolvenzen zu verhindern. aktionen, gibt es keinen Markt mehr. Was ist das für ein wirtschafts- und finanzpoliti- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie haben sie einge- sches Signal, meine Damen und Herren! „Wieso führt!) soll denn gespart werden?“, fragen völlig zu Recht Das Kettenbriefsystem ist zusammengebrochen. die Bürgerinnen und Bürger. Ohne mit der Wimper zu zucken, werden aus Sicht der Bevölkerung (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - 500 Milliarden € für Zocker bereitgestellt, und der Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie haben sie einge- Regelsatz für Hartz IV wird gerade einmal um 4 € führt, nicht die FDP!) pro Monat auf 351 € erhöht. Hier stimmen die Verhältnisse aus Sicht vieler Präsident Martin Kayenburg: Bürger nicht, und ich kann diese Sichtweise sehr Herr Abgeordneter Matthiessen, gestatten Sie eine gut nachvollziehen. Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki? (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Nahverkehrsmittel werden gekürzt, die Kran- NEN]: kenkassenbeiträge werden erhöht, das Pflegesystem bringt regelmäßig Skandalmeldungen hervor, aber Immer gern. Von Ihren klugen Zwischenfragen pro- für die Zocker im Finanzsystem ist Kohle ohne En- fitieren wir ja alle, Herr Kubicki. de da. Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich will hier (Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich bin dafür, wir nichts erklären, sondern nur fragen. - Herr lassen alle Banken flöten gehen! - Wolfgang Kollege Matthiessen, würden Sie mir freund- Kubicki [FDP]: Dafür bin ich auch! - Dr. licherweise sagen, was Deregulierung mit Heiner Garg [FDP]: Vor allem die Landes- der Frage der Marktteilnahme des Staats zu banken einfach flöten gehen lassen!) tun hat? Die Lohnforderungen der Gewerkschaften werden (Heiterkeit bei der CDU) als utopisch diffamiert, es wird gegen einen Min- - Herr Kubicki, ich zitiere einmal Ihren Kollegen, destlohn gestritten, als ob damit das Wirtschaftssys- den Bundestagsabgeordneten Solms. Er fordert zur- tem gefährdet würde. zeit eine Teilverstaatlichung aller Banken und Der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus spricht sich sogar bei der Beanspruchung des Ret- hat in einem Interview erklärt, der heutige Kapita- tungspakets gegen das Freiwilligenprinzip aus. Ich lismus sei zu einem Spielcasino verkommen, der kann mir keinen größeren Schwenk in der ideologi- Finanzmarkt sei getrieben von Gier. - Kaufmänni- schen Aufstellung einer Partei vorstellen als das, sches Denken und hanseatische Solidität sind von was die FDP im Moment angesichts dieses welt- gestern. Offensichtlich hat man sich in 20-%-Stei- weiten Desasters zelebriert. gerungen bei Gewinn und Umsatz verguckt. Daher (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist die Forderung von attac völlig richtig: Die Poli- SSW und vereinzelt bei der SPD) tik muss dieses Casino schließen. Wenn einerseits Ihr Parteivorsitzender der Deregu- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lierung jeden Tag den roten Teppich auslegt, und 7428 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Detlef Matthiessen)

Sogenannte Steueroasen müssen ausgetrocknet schlicht und ergreifend eine Forderung der werden. Das ist auch möglich. Grünen, dass Porsche in Baden-Württemberg stillgelegt wird!) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Einmarschieren!) Alle großen Banken haben dort Filialen. Wenn sie Präsident Martin Kayenburg: so vorgehen, kann man diesen Banken die Zulas- sung bei uns entziehen. Es ist möglich, das Casino Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem zu schließen; man muss es nur wollen, meine Da- Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort. men und Herren. Lars Harms [SSW]: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heiner Garg [FDP]: Dann schließen Sie Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und erst einmal alle Landesbanken! - Wolfgang Herren! Alle ernstzunehmenden Wirtschaftsexper- Kubicki [FDP]: Luxemburg!) ten sind sich einig, dass uns eine ernste globale Krise ins Haus steht. Nicht nur der amerikanische Die FDP fordert in ihrem Antrag nun, öffentliche Immobiliensektor ist zusammengebrochen, sondern Investitionen vorzuziehen. Die CDU kontert - aus das gesamte globale Finanzsystem ist betroffen. meiner Sicht zu Recht -: Das machen wir doch Langsam tröpfeln die Schreckensmeldungen einzel- schon. Es wird auf den Doppelhaushalt und auf die ner Branchen auch bei uns über den Presseticker. Nachschiebeliste verwiesen. Allerdings erfolgt kei- ne Gegenfinanzierung - das kritisieren wir sehr -, (Dr. Heiner Garg [FDP]: Langsam?) sondern nur eine Schuldenerhöhung. Werden diese noch nach den Weihnachtsferien zu- (Lachen des Abgeordneten Dr. Heiner Garg sammengefügt, so wird sich erst das wahre Ausmaß [FDP]) der Krise zeigen. Aber die dort aufgeführten Maßnahmen sind jeden- Der Staat muss gegensteuern, fordert inzwischen falls im Landeshaushalt alle zu finden. Ich freue auch schon die FDP, indem Investitionen ausge- mich auf die Ausschussberatung, in der wir das löst werden. Erfahrungen aus den 70er-Jahren zei- noch einmal im Einzelnen klären wollen. gen, dass finanziell gut ausgestattete Konjunktur- programme Krisenphänomenen durchaus entgegen- Aus grüner Sicht sollten Investitionen drei Kriteri- wirken können. en erfüllen. Erstens sollte es sich um ökologisch und ökonomisch sinnvolle Zukunftsinvestitionen (Wolfgang Kubicki [FDP]: Können Sie denn handeln. Zweitens müssen auch Privathaushalte sagen, wer in den 70er-Jahren in Deutschland von den Fördermitteln profitieren können, um soge- regiert hat?) nannte Multiplikatoreneffekte zu erreichen, und Voraussetzung ist allerdings, dass weder zaghaft drittens sollten die Investitionen so getätigt werden, herumgedoktert noch zögerlich agiert wird, sondern dass vorrangig die regionale Wirtschaft in Schles- dass Mittel in bedeutender Größe unverzüglich be- wig-Holstein davon profitiert und der lokale Ar- reitgestellt werden. Wenn man die Krise effektiv beitsmarkt gestärkt wird. abfedern will, muss man das im Jahr 2009 tun; an- Ich bin mir mit Bernd Schröder nicht immer einig, sonsten verpuffen die Mittel. aber mit dem, was er soeben ausgeführt hat, sind Es hat den Anschein, dass die Bundesregierung ge- wir sehr nah beieinander. nau das begriffen hat. Die Landesregierung muss (Zuruf von der CDU: Ist das ein Koalitions- dafür Sorge tragen, dass unser Land seinen Anteil angebot?) an diesen Investitionen bekommt. Die Große Koalition in jedoch befreit schnell einmal Autos von der Kfz-Steuer. Der Präsident Martin Kayenburg: BMW-X5-Fahrer lässt grüßen, der VW-Touareg- Herr Kollege Harms, gestatten Sie eine Zwischen- Fahrer lächelt, und der Porsche-Cayenne-Fahrer frage des Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki? lädt seine Freundin zum Essen ein und erhebt das Glas auf Frau Merkel. - Das ist jedenfalls das Ge- Lars Harms [SSW]: genteil einer zukunftsgerichteten Wirtschaftspolitik. Selbstverständlich. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Es war Wolfgang Kubicki [FDP]: Lieber Herr Kol- lege Harms, da Sie so erstaunt sind, dass die Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7429

(Lars Harms)

FPD Konjunkturprogramme fordert: Würden naie haben. In den Statistischen Monatsberichten ist Sie mir bitte mitteilen, wer in den 70er-Jah- nachzulesen, dass in einigen Branchen, zum Bei- ren des letzten Jahrhunderts in Deutschland spiel in der Gastronomie, die für unser Land ganz regiert hat und wer die Wirtschaftsminister wichtig ist, die Bruttogehälter sinken. Ein Ende die- gestellt hat? ser Talfahrt ist nicht abzusehen und wird uns in ei- nigen Jahren massive Altersarmut bescheren. Dar- - Damals war die FDP auch noch sozial-liberal ge- um führt an der Stärkung der Binnennachfrage prägt. Den Eindruck habe ich derzeit nicht mehr. kein Weg vorbei. Wer von der Hand in den Mund (Beifall beim SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: lebt, kann sich eben nur das Allernotwendigste leis- Oh! Damals, ja! - Weitere Zurufe von der ten. Genau das tun in Schleswig-Holstein viel zu FDP) viele Menschen; mit der Folge, dass sie nicht ein- Aber, lieber Kollege Kubicki, wenn Sie es denn kaufen. Das können sie sich nämlich schlechthin wieder werden: Herzlich willkommen im Klub! nicht leisten. Darum fordern wir die Einführung ei- Dann kann aus uns allen noch etwas werden. nes Mindestlohnes. Das wäre ein wichtiger Bau- stein, um die Nachfrage anzukurbeln. (Zurufe von der FDP) (Beifall bei SSW und SPD) Lieber Kollege Kubicki, auch wir sind in der Pflicht, die hiesige Wirtschaft durch öffentliche Dass die öffentliche Hand per Aufstockung über Aufträge zu unterstützen. Dazu müssen wir ge- Hartz IV Lohndrückerei unterstützt, ist absolut eine zwungenermaßen die Kreditbelastung erhöhen. In Sauerei. Ich weiß, jetzt kriege ich gleich einen Ord- der Abwägung der Folgen erscheint das uns zumin- nungsruf, es ist aber so. dest unausweichlich. Präsident Martin Kayenburg: (Unruhe) Sie erhalten keinen Ordnungsruf, sondern ich frage Präsident Martin Kayenburg: Sie, ob Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeord- neten Johannes Callsen gestatten? Das Wort hat Herr Kollege Harms. Lars Harms [SSW]: Lars Harms [SSW]: Selbstverständlich. Wer lediglich Mittel umschichten möchte, der hat wirklich nicht begriffen, welche Belastungen im Johannes Callsen [CDU]: Herr Kollege nächsten Jahr auf uns zukommen. Harms, es gibt eine Reihe von Vorschlägen, wie der Wirtschaftskrise zu begegnen ist. Sie Die Krise ist keineswegs nur mit einer positiven haben eingangs von ernstzunehmenden Wirt- Grundeinstellung zu meistern. Sie verweist auf schaftsexperten gesprochen. Können Sie mir massive Strukturprobleme. Damit meine ich nicht ein ernstzunehmendes Wirtschaftsinstitut be- nur den Innovationsrückstand der deutschen Auto- nennen, dass einen gesetzlichen, flächen- bauer. Kern der Krise ist in Deutschland die Fixie- deckenden Mindestlohn als Lösung für die rung auf den Export unter Vernachlässigung der Finanz- und Wirtschaftskrise vorschlägt? Binnennachfrage. Das rächt sich besonders in Schleswig-Holstein. Unsere Wirtschaft ist mittel- - Es gibt nicht nur in Instituten Experten, sondern ständisch geprägt und auf hiesige Kundschaft ange- es gibt auch in Stiftungen Experten. Sehen Sie sich wiesen. Durch die Schwäche der Binnennachfrage zum Beispiel einmal die Untersuchung der Böckler wird eine fatale Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Stiftung an. Danfoss ist ein Beispiel für den Nachfrageeinbruch. (Heiterkeit und Zurufe von CDU und FDP) Dort werden über 100 Leute entlassen, weil sich - Sehen Sie, was ich ernst nehme, die Sorgen und keiner mehr Kühlgeräte kauft und demzufolge die Nöte der Menschen, nehmen Sie natürlich nicht Kühlschrankproduzenten keine Kühlaggregate aus ernst. Flensburg mehr ordern. (Zurufe von CDU und FDP) Darum führt kein Weg an nachhaltigen Maßnah- men vorbei, um die Wirtschaft zu unterstützen. Die - Ich habe von Wirtschaftsexperten gesprochen und Binnenkonjunktur wird sich dauerhaft nur verbes- nicht von Institutionen. Die Böckler-Stiftung ist ei- sern, wenn die Menschen mehr Geld im Portemon- 7430 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Lars Harms) ne namhafte Stiftung, die vernünftig arbeitet und zu (Beifall bei der CDU) vernünftigen Erkenntnissen kommt. was sich auch in den Arbeitslosenzahlen in unserem (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki Land widerspiegelt. Die derzeitige Situation - ich [FDP]) habe ja einen Seitenwechsel vorgenommen - habe ich wiederholt in Industrie- und Unternehmensebe- Wir dürfen diese Lohndrückerei über die Auf- nen erleben müssen. stockung nicht zulassen. Jetzt wäre ein guter Zeit- punkt, diesen Fehler endlich einmal zu beheben. Außerdem ist es wichtig, die unteren Einkommen Präsident Martin Kayenburg: endlich aus der kalten Steuerprogression herauszu- Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des holen. Auch da sind wir uns in bestimmten Parteien Herrn Abgeordneten Dr. Garg? einig. Neben wünschenswerten Investitionen ist es nämlich besonders wichtig, dass wir diejenigen, die Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, wenig oder mittelmäßig verdienen, auch steuerlich Wirtschaft und Verkehr: entlasten, das heißt, die Bevölkerungsgruppen, die eine hohe Konsumquote haben, müssen finanziell Im Moment möchte ich gern meinen Gedanken zu besser gestellt werden. Das geht einerseits über Ende führen. Sie gestatten das, Herr Dr. Garg? Steuererleichterungen und andererseits über die In einer solchen Situation ist eine klare Strategie Erhöhung von Sozialtransfers. Hier etwas zu tun, notwendig, erstens sich darauf zu konzentrieren, die wäre das beste Konjunkturprogramm, das wir uns Effizienz zu steigern und natürlich auch Kosten zu denken könnten. Dies müsste mit Investitionen in senken und die Belastungen vor allem für Unter- die wirtschaftliche Infrastruktur gekoppelt werden. nehmen in den Griff zu bekommen. Dies gilt insbe- Steuererleichterungen für den Porsche Cayenne sondere für die Energiekosten, die sich zu einem sind jedenfalls nicht der richtige Weg. immer entscheidenderen Standortfaktor und inzwi- (Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD schen zu einer Wachstumsbremse entwickelt haben. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden uns daher weiter intensiv um die Sen- kung und die Wettbewerbsfähigkeit der Energie- Präsident Martin Kayenburg: preis in unserem Lande kümmern, auch wenn dies für den einen oder andern lästig sein mag. Für die Landesregierung hat der Minister für Wis- senschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herr Dr. Werner (Beifall bei der CDU - Zuruf des Abgeordne- Marnette, das Wort. ten Wolfgang Kubicki [FDP]) (Zurufe) Zweitens müssen Investitionen in allen Bereichen vorangetrieben werden, Investitionen, die einen - Das Wort hat der Herr Minister. dauerhaften Ertrag bringen. Investitionen bedürfen immer auch einer kritischen Überprüfung. Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, Lieber Herr Garg, jetzt wäre ich bereit, Ihre Zwi- Wirtschaft und Verkehr: schenfrage zu akzeptieren. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten (Zuruf von der CDU: War nett!) Damen und Herren! In der Debatte ist sehr vieles und auch sehr viel richtiges gesagt worden. Ich ha- - War nett, Marnette war das, ja. be aus der Debatte insgesamt mitgenommen, dass Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Minister, habe doch ein weitgehender Konsens erkennbar ist, dass ich Sie richtig verstanden, dass Sie die jetzi- wir uns auf die Schwerpunkte Bildung, Wissen- ge Situation als das übliche Ende eines kon- schaft, Innovation und Infrastruktur konzentrieren junkturellen Aufschwungs bezeichnen? müssen. Ich glaube, dass der genehmigte Haushalt dem im Rahmen des Möglichen Rechnung trägt. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das haben Sie gerade gesagt!) Wir sind in der typischen Situation am Ende eines Aufschwungs. Typisch ist aber auch, dass Dank - Ich habe gesagt: Wir befinden uns am Ende eines des robusten Mittelstandes die wirtschaftliche Lage konjunkturellen Aufschwungs, nicht am üblichen in unserem Land Schleswig-Holstein besser ist als Ende, sondern am Ende eines konjunkturellen Auf- in Deutschland insgesamt. Dies ist auch das Ergeb- schwungs. nis einer guten Wirtschaftspolitik, Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7431

(Minister Dr. Werner Marnette)

Meine Damen und Herren, gezielte Investitionen Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, sind unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit Wirtschaft und Verkehr: das Gebot der Stunde. Deshalb erlauben Sie mir, Ja. folgende Einzelpunkte noch einmal hervorzuheben, zunächst zum Wissenschaftsbereich: Der Erweite- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE rungsbau des IFM-Geomar auf dem Ostufer in Kiel GRÜNEN]: Herr Minister, ist Ihnen bekannt, mit einem Investitionsvolumen von rund 90 Millio- dass bei einem Kohlekraftwerk ein Arbeits- nen €, der bereits in Bau befindliche NRoCK in platz 16 Millionen € Investitionssumme er- Kiel, die Erweiterung des Fraunhofer Instituts für fordert? Siliziumtechnologie in Itzehoe mit knapp 50 Mil- (Zurufe - Detlef Matthiessen [BÜNDNIS lionen € Investitionen, die Sanierung der Klinik im 90/DIE GRÜNEN]: Er sagt, damit will er Ar- Forschungszentrum Borstel - um beispielhaft einige beitsplätze in Schleswig-Holstein schaffen!) Projekte aus dem Wissenschaftsbereich zu nennen. - Genau das. Ich rechne Ihnen das vor. (Vereinzelter Beifall bei der CDU) Im Bereich Wirtschaft möchte ich auf unsere Inves- Präsident Martin Kayenburg: titionen im Bereich des Tourismus, die ich heute Morgen bereits genannt habe, hinweisen. Herr Matthiessen, Sie haben Ihre Frage gestellt. Nehmen Sie nun wieder Platz! (Vereinzelter Beifall bei der CDU) Wenn ein Unternehmen in Schleswig-Holstein kon- Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, krete Probleme hat - auch das gehört meines Erach- Wirtschaft und Verkehr: tens mit dazu -, stehen wir bereit; ein Anruf reicht. Ich nehme auf diesen Punkt nachher, heute Nach- Wir haben zwar nur wenig Geld, aber wir haben mittag, noch einmal Bezug. gute Ideen. (Vereinzelter Beifall bei der CDU - Zuruf: (Beifall bei CDU und SPD) Das ist doch egal, was da investiert wird!) Eine wichtige Rolle spielen auch weiterhin die Ich kann die Frage sehr wohl beantworten, Herr WTSH sowie die weiteren Fördereinrichtungen in Matthiessen. Wir reden nachher noch einmal über diesem Land. Gerade in der letzten Woche haben die Kohlekraftwerke. Dann werde ich darauf spezi- wir in der gesamten Runde ein gemeinsames Ge- ell eingehen. spräch mit allen Fördergesellschaften des Landes geführt, um für diese schwierige Situation die rich- (Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl tige Strategie zu finden. [CDU]) Ich darf außerdem an die geplanten Investitionen in Meine Damen und Herren, wir haben aber noch viel dringend benötigte neue Kohlekraftwerke an der mehr Themen. In ihrem Antrag sprach die FDP zu Westküste erinnern. Recht den Ausbau des Breitbandnetzes in Schles- wig-Holstein an. Unser neu aufgelegtes Breitband- (Beifall bei der CDU) Förderprogramm wird rege nachgefragt. Schon jetzt Hier können in den nächsten drei bis vier Jahren haben sich 25 Ämter und Regionen mit über insgesamt 4 Milliarden € investiert werden. Dies si- 400 Kommunen um Fördermittel beworben, um chert langfristig stabile Energiepreise und Ar- den Anschluss an die digitale Zukunft nicht zu ver- beitsplätze, auch während der Bauphase. lieren. Ich glaube, dass ist ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der CDU) (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der Was aber noch viel wichtiger ist, weil es dauerhaft SPD) wirkt, sind planbare und stabile Energiepreise. Das derzeit wichtigste Mittel zum Zünden konjunk- (Beifall bei der CDU) tureller Impulse ist aber - da muss ich dem gestri- gen Redebeitrag von Herrn Hentschel massiv wi- Präsident Martin Kayenburg: dersprechen - die Investition in unser Straßen- und Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Schienennetz. Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen? (Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP]) 7432 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Minister Dr. Werner Marnette)

Wir haben immerhin in diesem Land einen Investi- (Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der tionsstau von über 4,5 Milliarden €. Seien Sie versi- SPD) chert, wir sind in dieser Disziplin inzwischen auf der Überholspur. Wir werden in diesem Jahr dank Präsident Martin Kayenburg: des Einsatzes unserer Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter die Rekordsumme von rund 217 Millionen € Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Ku- in unser Bundesfernstraßennetz investieren. Das bicki mit einer Redezeit von vier Minuten. war harte Arbeit. Wolfgang Kubicki [FDP]: (Beifall bei der CDU) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um aufs Tempo zu drücken und Investitionen vor- Ich werde mich bemühen, das auszuschöpfen. Zu- zuziehen, gehen wir bei der Finanzierung von nächst einmal bedanke ich mich bei dem Kollegen Fernstraßen auch neue Wege. So haben wir den Harms dafür, dass er erklärt hat, in den 70er-Jahren dringend nötigen sechsspurigen Ausbau der A 7 als des letzten Jahrhunderts habe es eine erfolgreiche sogenanntes Betreibermodell, A-Modell, auf den Wirtschaftspolitik gegeben. Die damaligen Wirt- Weg gebracht. Das hat immerhin eine Gesamtinve- schaftsminister kamen alle aus der FDP. stitionssumme von 250 Millionen €. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Aber nicht aus Wir befinden uns außerdem in aussichtsreichen Schleswig-Holstein!) Verhandlungen mit dem Bund, für den Weiterbau der A 20 eine Sonderfinanzierung auf die Beine zu - Ach, Herr Stegner, mit Ihnen rede ich doch gar stellen. Im Rahmen des Investitionsprogrammes nicht mehr. des Bundes konnten wir schon jetzt einen Zuschlag (Heiterkeit) in Höhe von 10 Millionen € aushandeln. Das er- möglicht uns immerhin, den A 20-Abschnitt zwi- Nun hat Anke Spoorendonk erklärt, das sei eine an- schen Geschendorf und Weede ein Jahr früher fer- dere FDP gewesen, das seien andere Leute gewe- tigzustellen als ursprünglich geplant. sen. Ich freue mich, dass sie Otto Lambsdorff zu einem Linksliberalen erklärt hat. (Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall des Abgeordneten Thomas Rother (Beifall bei der FDP) [SPD]) Das wird ihn am Ende seiner Tage freuen. Ich wer- Ich bin unserem Ministerpräsidenten sehr dankbar, de ihm das zuleiten. dass er sich auch in diesem Sinn bei der Bundes- Dann, Herr Kollege Matthiessen, zu Ihnen. Sie sind kanzlerin eingesetzt hat. Die Bundeskanzlerin hat ja wirklich ein nettes Kerlchen. Ich versuche Ihnen uns gerade mitgeteilt, dass sie uns im Interesse der jetzt einmal den Unterschied zwischen Deregulie- Infrastrukturmaßnahmen unterstützen wird. rung und Marktteilnahme des Staates zu erklären. (Vereinzelter Beifall bei der CDU) (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das lohnt sich doch Zentrale Herausforderung - das muss ich für mein gar nicht!) Haus hier selbstkritisch anmerken - ist dabei, die In der jetzigen Phase, in der wir uns befinden, reden anstehenden Planfeststellungsverfahren zügig und wir nicht mehr über Zeiträume von einem halben sauber abzuarbeiten. Das wird ein großer und an- oder von einem Jahr, sondern über Wochen und strengender Akt werden. Monate, in denen sich flächendeckend am Markt et- Gemeinsam mit der Bahn haben wir ein Stations- was abbilden wird. Selbst wenn wir öffentliche In- programm mit einem Volumen von 40 Millionen € vestitionsprogramme beschließen wollen, können aufgelegt, mit dem landesweit unsere Bahnhöfe wir sie deshalb nicht sofort umsetzen, weil bei uns modernisiert und der öffentliche Personennahver- die Genehmigungs- und die Planungsverfahren so kehr attraktiver gemacht werden sollen. Anders als lange dauern. Das heißt, gerade jetzt brauchen wir die Grünen betrachte ich Straßen keineswegs als In- Deregulierung, um mit den Maßnahmen, die wir vestition ohne Return. Straßen, Schienen- und Was- beschließen wollen, schnellstmöglich etwas zu er- serwege sind für mich vielmehr Lebensadern unse- reichen. Also, Deregulierung hat mit der Marktteil- rer Volkswirtschaft, ohne die Wachstum und Wohl- nahme des Staates überhaupt nichts zu tun. Wenn stand nicht möglich sind. wir jetzt aber, wie die Sozialdemokraten das auch vorschlagen - die offenbar Keynes gelesen haben Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7433

(Wolfgang Kubicki) und ihn zitieren, ihn aber nicht verstanden haben -, Herr Kollege Matthiessen, Sie haben schlicht und wenn wir jetzt als Markt - - ergreifend die Investitionssumme „Kohlekraftwerk“ genommen und in Relation zu der Anzahl der Mit- (Zurufe von der SPD) arbeiter gesetzt, die dort arbeiten. Sie sagen: - Herr Kollege Schröder, ich weiß wirklich, wovon 16 Millionen € für einen Arbeitsplatz. Wenn wir ich rede. Sie haben ihn definitiv nicht verstanden. dieses Kriterium anwenden würden, dürften wir (Konrad Nabel [SPD]: Herr Oberlehrer, kön- keinen Windpark mehr bauen. nen Sie einmal zur Sache kommen!) (Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU) - Ich komme dazu. Wir brauchen gerade jetzt eine Hohe Investitionssumme, kein einziger Arbeits- Form von Deregulierung, die uns in die Lage ver- platz. Dieses Kriterium würde dazu führen, dass wir setzt, schnellstmöglich am Markt agieren zu kön- sagen müssten: nie wieder Windparkanlagen. Sie nen, weil sonst die ganze Geschichte verpufft. sehen, wie schlicht und wie falsch das ist, deshalb Sie müssen sich das so vorstellen - vielleicht kann ersparen Sie uns bitte künftig solche Beispiele. Ihnen, Herr Stegner, dieses Bild auch weiterhel- (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der fen -: CDU) (Konrad Nabel [SPD]: Ich dachte, sie reden nicht mehr mit ihm! Was ist denn jetzt?) Vizepräsidentin Frauke Tengler: Es rollt eine Lawine auf uns zu, und Sie haben die Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Chance, durch die schnelle Errichtung einer Mauer Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erhält Frau Abge- die Lawine abzulenken. Sie diskutieren die Frage, ordnete Anke Spoorendonk. ob wir dafür ein Baugenehmigungsverfahren brau- chen oder nicht, bis die Lawine über uns hinwegge- Anke Spoorendonk [SSW]: rollt ist. In der Situation befinden wir uns. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir treffen uns alle im nächsten Jahr wieder. Ich Ich finde die Geschichte des Liberalismus in sage Ihnen voraus, wir werden im Februar oder Deutschland ungemein spannend, möchte das jetzt März nächsten Jahres die Frage komplett anders aber nicht weiter vertiefen. Ich habe aber ein paar diskutieren als heute. Viel von dem, was auf uns Fragen, ganz allgemeine Fragen. zukommt - wir stehen an der Schwelle einer De- Gestern haben wir hier den Haushalt debattiert und pression -, ist bei Ihnen im Gehirn noch gar nicht beschlossen. Die FDP hat dieses Wachstumspaket angekommen. in den Einzelplan 06 gepackt, 240 Millionen € - (Zurufe von der SPD - Dr. Heiner Garg wenn ich das richtig im Kopf habe. [FDP]: Die wissen doch gar nicht, was das (Wolfgang Kubicki [FDP]: Pro Jahr!) ist!) - Pro Jahr, das ist klar. Wenn ich die Gegenfinan- - Ja, Herr Kollege Stegner, mir ist mittlerweile klar, zierungsvorschläge der FDP richtig im Kopf habe, warum ausgetreten ist, wegen dann reichen sie hierfür nicht aus. Personen wie Ihnen. (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki (Beifall bei der FDP und des Abgeordneten [FDP] Torsten Geerdts [CDU] - Widerspruch bei der SPD) - Okay, aber Kreditaufnahme: ja. Dann frage ich ganz einfach: Was ist der Unterschied zwischen Er hat zu Recht gesagt: Früher war wirtschaftspoli- dem, was die Landesregierung tut, indem sie sagt, tischer Sachverstand bei der SPD noch zuhause, das wir stocken in den Bereichen auf - wie der Kollege gibt es heute leider nicht mehr, weil Leute wie Yp- Callsen das vorhin sagte -, und dem, was die FDP silanti und Stegner das Sagen haben. - Recht hat vorschlägt, nämlich das alles zu bündeln? Ist das Herr Clement. nicht einfach ein Symbol, das man gegen ein ande- (Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg res Symbol ausspielt? [FDP]) (Beifall beim SSW und des Abgeordneten Nun noch einmal zu der wirklich schlichten Erklä- Konrad Nabel [SPD]) rung des Kollegen Matthiessen, was die Investiti- onssumme und die Mitarbeiterzahlen angeht. 7434 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

Vizepräsidentin Frauke Tengler: Vizepräsidentin Frauke Tengler: Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Herr Abgeordneter Matthiesen, erlauben Sie eine Abgeordneter Detlef Matthiessen. Zwischenfrage des Kollegen Kubicki? (Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD]) Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gern. Ich finde, wir lernen alle von Herrn Kubicki. NEN]: (Heiterkeit) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Nabel, ich wollte nur, weil der ökonomische Ober- Matthiessen, ich bin ja auch dafür, dass alles lehrer des schleswig-holsteinischen Landtages eben veröffentlicht wird, was wir hier so treiben. Ausführungen zur Windenergie gemacht hat, und Sie haben allerdings nicht von der Arbeits- zur Arbeitsplatzproduktivität im Vergleich mit platzproduktivität geredet. Kohlekraftwerken mich meinte belehren zu müs- sen, kurz etwas sagen. - Ach so. So hatte ich es verstanden. Ich dachte schon, Herr Kubicki, Sie wären so Sie haben davon gesprochen, wie hoch die schlau gewesen, zu unterscheiden zwischen der Be- Kosten der Errichtung eines Arbeitsplatzes triebsphase und der Errichtungsphase. Denn wenn im jeweiligen Gewerbe ist. man beim Bau 1 Milliarde € in die Hand nimmt, - Ja. kommen ja auch ein paar Arbeitsplätze dabei her- aus. Ich habe mich natürlich auf die Betriebsphase, (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist aber ein Un- die immerhin 40 Jahre beträgt, bezogen. terschied, Herr Kollege Matthiessen!) Aber das haben Sie nicht gemacht, sondern Sie ha- Das ist ein großer Unterschied. Sie sagen, ben den Schwenk zur Windenergie gemacht und wir sollten wissen, dass Service und sonstige gesagt, dort würde sozusagen pro Investitionssum- Leistungen im nachgelagerten Bereich bei me noch weniger Arbeitsplatzproduktivität erreicht Windenergieanlagen eine erhebliche Bedeu- werden. Da müssen Sie sich schlicht einmal mit den tung haben. Dazu kann ich Ihnen sagen, dass Zahlen beschäftigen, Herr Kubicki. Jede 20. Wind- das für Kernkraftwerke in noch größerem mühle bedeutet einen Dauerarbeitsplatz in Wartung Ausmaß der Fall ist. und Service. Angesichts der Gesamtinvestitions- - Nein, Herr Kubicki, die Zahlen liegen ja vor. Wir summe, die niedriger ist als die in Zukunft zu ver- können das im Ausschuss vertiefen. Das müssen bauende Investitionssumme im Kohlekraftwerks- wir jetzt nicht ad extenso hier im Haus machen. sektor in Schleswig-Holstein, haben wir ausweis- lich des freundlichen Berichtes des Herrn Wirt- Wir haben aber auch die Zahlen für den Atomsek- schaftsministers zu dem Antrag, den ich diesbezüg- tor nachgefragt. Da sind ungefähr 1.000 Leute be- lich gestellt habe, 7.000 Arbeitsplätze in der Wind- schäftigt, wenn der Betrieb läuft. Das verdoppelt energiebranche, sich durch die Revisionsstillstände. Dem stehen im- mer noch 7.000 Leute allein in der Windbranche in (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schleswig-Holstein gegenüber. Diese Summe wird nicht mitgerechnet die vielen Pachtverträge, die von noch einmal ergänzt um ungefähr 2.000 - vielleicht Ihren Berufskollegen beurkundet werden, nicht mit- sind es auch 5.000 - Arbeitsplätze im Bereich Foto- gerechnet etwa Firmen, die nur mittelbar damit zu voltaik und so weiter. Das können wir gern im Aus- tun haben, und so weiter, und so weiter. schuss vertiefen. Das ist nämlich ein interessantes Thema, Herr Kubicki. Die Arbeitsplatzproduktivität in der Erneuerbare- Energien-Branche auch in Schleswig-Holstein ist (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) enorm. Die ökologische Energiewende ist ein kon- Ich sage Ihnen voraus: Die fossil-atomare Zeit der junktur- und arbeitsplatzproduktiver Prozess, wie er harten Energieträger ist vorbei. Sie ist vorbei, weil im Buche steht. diese Energieträger unter Arbeitsplatzgesichtspunk- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten der Holzweg sind. und SSW) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7435

Vizepräsidentin Frauke Tengler: ne? Ist Dänemark nun plötzlich eine Bildungswüs- te, und ist Korea auf einmal das Bildungsparadies? Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Werden Kinder dort besser fürs Leben gerüstet? schließe damit die Beratung. Zu IGLU. Bis auf Bremen und Hamburg liegen alle Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache deutschen Bundesländer weit über dem internatio- 16/2342 an den Wirtschaftsausschuss zu überwei- nalen Durchschnitt, und alle Bundesländer bis auf sen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um Thüringen - das liegt oben - und Bremen - das liegt das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - unten, und nun zitiere ich aus der Zusammenfas- Dann haben wir einstimmig so beschlossen. sung der vorgelegten Studie - liegen „nicht signifi- Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 20 auf: kant vom deutschen Mittelwert“ entfernt. Wie man dann dazu kommen kann, das Ergebnis für Schles- Bericht zum PISA-Ländervergleich wig-Holstein als schlecht zu bezeichnen, bleibt ein Geheimnis. Das tut man doch nur, wenn man auf Antrag der Fraktion der FDP Faktenkenntnis verzichten will, damit man besser Drucksache 16/2341 draufhauen kann. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das (Beifall bei SPD und SSW) ist nicht der Fall. Was nun die zentrale Kompetenz betrifft, die 2006 Mit dem Antrag wird ein mündlicher Bericht in die- bei PISA überprüft wurde, so geht es um die Na- ser Tagung erbeten. Diejenigen, die diesen Bericht turwissenschaften. Hier zeichnet sich zunächst ein hören möchten, bitte ich um das Handzeichen. - ähnliches Bild ab: Schleswig-Holstein liegt im Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit erhält die deutschen Ländervergleich auf Platz 10. Es hat sich Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erd- nach Punkten verbessert, ist aber auf dem Rang- siek-Rave, das Wort. platz nach hinten gerutscht, weil der Zuwachs bei anderen Ländern höher war. Ähnlich geht es übri- Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung und gens Hessen und Niedersachsen. Frauen: International liegt Schleswig-Holstein immer noch Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vor den bereits genannten Ländern Dänemark, Schulstudien erzeugen zunehmend Verdruss. Der Schweden und Norwegen. Damit muss man nicht Politik liefern sie aber wertvolle Hinweise. - So zufrieden sein - das bin ich auch nicht -, aber man fasst Tanjev Schultz in der „Süddeutschen Zeitung“ muss sich auch nicht verstecken. Das gilt schon gar die Diskussionen nach IGLU, PISA und TIMSS zu- nicht vor dem Hintergrund der guten und sehr guten sammen. Ergebnisse unserer Gymnasien. Ja, er hat recht: Auf nationale und internationale Schwer nachvollziehbar und auch enttäuschend ist Vergleiche sind wir angewiesen, um Schlussfolge- für mich allerdings, dass die Leistungen in Mathe- rungen für das eigene Handeln ziehen zu können. matik und im Lesen zwar zwischen 2000 und 2003 Ja, wir wären ohne die intensiven Diskussionen zunächst besser geworden sind, sich danach aber nach PISA 2000 nicht so weit, wie wir heute sind. überhaupt nicht bewegt haben. Ich sah in der Ver- Sie haben das Bewusstsein für die Bedeutung von anstaltung mit den Professoren meinen Kollegen Bildung gestärkt, und sie haben erhebliche Impulse aus Baden-Württemberg, der auch ziemlich ratlos für die überfälligen Reformen im Bildungswesen war. Dort hatten sich die Leseleistungen von 2000 gesetzt. Sie legen immer wieder den Finger in die bis 2003 verbessert - auf einem höheren Niveau als Wunden, die wir nach wie vor haben. in Schleswig-Holstein, das gebe ich zu -, sind aber zwischen 2003 und 2006 wieder zurückgegangen. PISA und IGLU liefern aber keine Erklärungen frei Wie kommt das? Hat das vielleicht etwas mit Stati- Haus. Sie beschreiben und messen, und sie bedür- stiken und Schätzfehlern zu tun? - Ich komme fen der sorgfältigen Interpretation. Einfache Ant- gleich noch darauf zu sprechen. worten, zum Beispiel auf die Frage, warum in der PISA-Studie national gesehen Niedersachsen und Ich bitte allerdings, genau hinzuschauen. Zum Bei- Nordrhein-Westfalen und international gesehen Dä- spiel liegen im Fach Mathematik zwischen dem nemark, Schweden und Norwegen weit hinter elften Platz, auf dem Schleswig-Holstein bei PISA- Schleswig-Holstein liegen, gibt es eben nicht. E liegt, und dem fünften Platz drei Punkte; Sie wis- Warum liegen Sachsen, Korea und Japan weit vor- sen, dass 500 Punkte der Messwert sind. Wenn man sich dann - das muss man natürlich tun, wenn man 7436 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave) sich seriös damit auseinandersetzt - die Klammer- ihren Beiträgen wie ZiSch und anderem können werte in den Tabellen anschaut - Sie haben das ge- hier noch mehr beitragen. rade getan, Herr Dr. Klug -, dann sieht man, dass Genau hinzuschauen, heißt auch einzubeziehen, dort die Schätzfehler angegeben werden. Bei „Ma- dass Schleswig-Holstein auch im Jahr 2006 immer thematik“ heißt das für Schleswig-Holstein 497 noch den höchsten Anteil aller Schüler mit verzö- Punkte und damit elfter Platz. Der Schätzfehler gerter Schullaufbahn, wie das auf PISA-Deutsch liegt bei drei Punkten. Es können also drei Punkte so schön heißt, hat. Wir sind hier zwar um 5 Pro- mehr oder weniger sein. So viel zu Statistik, Rang- zentpunkte besser geworden, aber es ist immer plätzen, ihre Tücken und die Relativität im Mittel- noch so, dass ein Drittel der 15-Jährigen, die bei feld. uns getestet wurden, sitzengeblieben, zurückgestuft (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das gilt für alle!) oder verspätet eingeschult worden sind. In den Hauptschulen sind das fast 70 % der Kinder. Sie - Das gilt für alle Plätze. Das heißt auch, dass Ba- können sich ausrechnen, dass diese Schüler noch den-Württemberg deutlich weiter nach hinten rut- gar nicht im neunten Jahrgang sind, in den sie als schen könnte. 15-Jährige eigentlich hingehören. Sie können allein Es liegt mir allerdings fern - und da möchte ich schon dadurch noch nicht über die Kompetenz ihrer nicht missverstanden werden -, das Gesamtergebnis Altersgenossen verfügen. Woher diese tief sitzende und die Probleme, die wir in Schleswig-Holstein pädagogische Tradition in Schleswig-Holstein haben, zu relativieren. Dies gilt vor allem für die kommt, hat mir in all den Jahren noch niemand er- Befunde, die kritisch sind und besonderen Hand- klären können. lungsbedarf erfordern. Damit meine ich beispiels- Das zeigt einmal mehr, wie notwendig es war, seit weise die Lesekompetenz, die in allen Schularten 2007 mit der Schulreform entscheidende Weichen und insbesondere im unteren Leistungsbereich in unserem Schulsystem neu zu stellen. PISA 2006 deutlich verbessert werden muss. ist sozusagen der letzte Blick auf die alten Verhält- Ich bin dankbar, dass wir mit dem neuen Haushalt nisse. Wir wissen seit 2002 in Bezug auf die 15- noch einmal über 30 Stellen direkt für die Auswei- Jährigen von der Problematik des Sitzenbleibens. tung der Leseprojekte zur Verfügung gestellt be- Das war aber immer schon - seit Jahrzehnten - in kommen haben. In der Lesekompetenz zeigt sich Schleswig-Holstein so. Das muss endlich anders übrigens bei PISA wie bei IGLU das, was beson- werden. Wir haben jetzt endlich die Konsequenzen ders fatal ist, nämlich der Zusammenhang zwischen daraus gezogen und deutlich gemacht, dass das Sit- sozialem Hintergrund und den schulischen Leis- zenbleiben nicht nur teuer ist, sondern in der Regel tungen. Das heißt, bei allen Projekten und bei aller auch keinen pädagogischen Nutzen hat. Sprachförderung vor der Schule, die ausgeweitet (Beifall des Abgeordneten Detlef Buder werden müssen und sollen, müssen alle einen Bei- [SPD]) trag leisten, damit das besser wird. Wir lassen die Hauptschulen auslaufen. Ich könnte (Beifall beim SSW) auch sagen, wir schaffen sie ab. Die Leseförderung muss in allen Schulfächern be- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Und das ändert achtet werden. es?) Es müssen aber auch die Eltern einbezogen wer- - Herr Kubicki, ich hatte mir eigentlich vorgenom- den. Wenn Eltern ihren Kindern nie etwas vorlesen, men, mich heute mit Ihnen nicht auseinanderzuset- wenn keine Bücher im Haus sind, wenn keine Bi- zen. Das Niveau, das Sie in letzter Zeit angeschla- bliotheken besucht werden, dann darf man sich gen haben, ist so unterirdisch, dass ich dazu wirk- nicht wundern, dass das Lesevermögen und das Le- lich keine Lust habe. seinteresse in der Schule kaum noch aufgeholt be- ziehungsweise geweckt werden können. Deswegen (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich passe mich ist die vorschulische Förderung das A und O, das Ihnen an!) wissen wir inzwischen. An die Eltern muss nicht - Das wird ja immer besser. Wir schaffen die nur appelliert werden, sondern ihnen muss bei der Hauptschulen ab. Wir lassen sie auslaufen, um die Unterstützung ihrer Kinder geholfen werden, und Schülerinnen und Schüler aus einem weitgehend zwar beginnend im Kindergarten. Auch die öffentli- isolierten Lernumfeld herauszuholen, das oft schon chen Bibliotheken, Lesepaten und die Medien mit sehr früh von Perspektivlosigkeit gekennzeichnet ist. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7437

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

(Beifall bei SPD und SSW) das Handlungskonzept Schule & Arbeitswelt. Ins- gesamt sind natürlich auch die zusätzlichen Bil- Nun ist mit der Abschaffung einer Schulform natür- dungsinvestitionen ein starkes Signal an die jungen lich nichts von vornherein gewonnen, aber die Ab- Menschen in unserem Land, das muss ich nicht schaffung eines isolierten Milieus, in dem keine an- weiter ausführen. Wir haben das hier ausführlich regende Lernumgebung herrscht, in dem die besse- getan. ren Schüler die anderen nicht mitziehen, ist mittler- weile in seiner Notwendigkeit ziemlich klar gewor- Meine Damen und Herren, nutzen wir mit PISA al- den. Das ist nicht nur den Bildungspolitikern klar so weiterhin die Chance, für weitere Kraftanstren- geworden, das ist auch den Bildungsforschern und gungen zu werben, sie selbst zu unternehmen und denen deutlich geworden, die sich in der Wirtschaft uns auf diesem eingeschlagenen Weg weiter zu ver- zu Bildung äußern. bessern. In erster Linie heißt das, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Hier (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind letztlich alle gefragt, so viel wie möglich dazu NEN und SSW) beizusteuern; das Land selbst und auch der Bund. Dabei muss uns der Erfolg dieser Schülerinnen und Ich erinnere noch einmal an die Debatte zum Bil- Schüler besonders wichtig sein. Das sind nicht von dungsgipfel. Wenn wir das schaffen wollen, was vornherein Problem- und Risikoschüler. Nein, das dort als Perspektive angelegt ist, dann muss der sind junge Menschen, die wir in unserer Gesell- Bund dabei mit unterstützen. Das gilt auch für die schaft brauchen und die ein Recht darauf haben, Kommunen und für die Wirtschaft. dass man ihnen Mut macht, dass man sie aufbaut (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und dass man sie nicht abschiebt und ihnen das Ge- NEN und SSW) fühl gibt, geborene Verlierer zu sein. Fragen Sie einmal junge Menschen nach dem vierten Schul- Der sogenannte PISA-Schock des Jahres 2000 hat jahr, die schon zu diesem Zeitpunkt wissen, sie uns allen vor Augen geführt, dass die Selbstwahr- kommen in die Hauptschule. Sie verstehen sich von nehmung, die wir in Sachen Bildungsqualität im- vornherein als Verlierer dieser Gesellschaft, und mer hatten, trügerisch war. Er war im wahrsten Sin- zwar einfach nur durch dieses Stigma, das sie in- ne des Wortes eine Enttäuschung. Das Gute an Ent- zwischen glauben, durch den Hauptschulbesuch täuschungen ist, dass sie den Blick frei machen für zu haben. Bei aller Vorsicht der Interpretation, auf die Realitäten. Hören wir auch auf Professor Pren- die ich selbst hingewiesen habe; eines kann man zel, der uns zu einem gelasseneren Umgang mit den auch aus den sehr guten Ergebnissen der östlichen Studien rät. Bundesländer lernen: In leistungsgemischten Grup- Lassen Sie mich ganz zum Schluss sagen: PISA ist pen profitieren alle Kinder. nicht das Maß aller Dinge. Bildung ist mehr als die (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- getestete Kompetenz. Bildung bedeutet Demokra- NEN und SSW) tiefähigkeit, Urteilsvermögen und die Aneignung von Werten. Es wäre fatal, wenn wir das aus den Umgekehrt gilt: Eine Konzentration von Migranten, Augen verlieren würden, denn die Zukunft unseres von benachteiligten und von lernschwachen Schü- Landes hängt mindestens in gleichem Maße auch lern in einer Schulform bewirkt das Gegenteil. Was davon ab. ist das für ein elendlanger Lernprozess, der da in der Bildungspolitik abgelaufen ist! (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU) (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW) Vizepräsidentin Frauke Tengler: Inzwischen kann aber niemand mehr die Augen da- vor verschließen. Ich bin zutiefst überzeugt davon, Ich danke der Frau Ministerin für ihren Bericht. - dass wir mit der neuen Schulstruktur in Schles- Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abge- wig-Holstein auf dem richtigen Weg sind. Über die ordneten Dr. Ekkehard Klug für die antragstellende Schulgesetzänderung hinaus haben wir gerade für FDP-Fraktion das Wort. diese Schülerinnen und Schüler vieles auf den Weg gebracht, weil wir nicht warten können, bis die Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Schulstruktur wirklich umgesetzt ist. Ich nenne hier Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit als Beispiele die vorschulische Sprachförderung, der vorletzten PISA-Studie, die 2003 durchgeführt das Projekt „Niemanden zurücklassen“ oder auch wurde, ist Schleswig-Holstein nicht vorangekom- 7438 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Dr. Ekkehard Klug) men. Andere Bundesländer haben seither deutlich desländer haben dagegen gerade in diesem Bereich größere Fortschritte bei den Leistungen der 15-Jäh- den Anteil der Problemfälle in ihrer Schülerschaft rigen Schüler aufzuweisen. Dies erklärt, weshalb deutlich verringern können. Das hebt in anderen Schleswig-Holstein in der Rangtabelle der Bundes- Bundesländern auch den jeweiligen Landesschnitt. länder im Testbereich Lesen von Platz 5 auf Wir liegen mit unserem Anteil - wie gesagt: PISA- Platz 12 abgerutscht ist. In der Mathematik rutsch- Studie, Ländervergleich 2006 - mit knapp 25 % An- ten die Schüler in Schleswig-Holstein von Platz 7 teil der Risikogruppe auf dem drittletzten Platz. auf Platz 11 ab. Nur die Stadtstaaten Bremen und Hamburg haben Für diese Entwicklung dürfte es mehrere Ursachen noch schlechtere Werte, liegen nämlich im 27er- geben. Eines aber ist klar: Die Schulpolitik der Bereich. Selbst das Bundesland Berlin, die Bundes- schleswig-holsteinischen Regierungen war vor und hauptstadt, hat in diesem Bereich Risikogruppe nach dem Wechseljahr 2005 - also genau in dem einen prozentual geringeren Anteil als Schleswig- Zeitbereich zwischen der zweiten und der dritten Holstein. Das ist eine katastrophale Situation. PISA-Studie von 2003 bis 2006 - auf nichts so sehr (Beifall bei der FDP) fixiert wie auf das Thema Schulstrukturreform. Sie sollte der Heilsbringer sein. Das ist die Seite 113 in dem Buch des PISA-Kon- sortiums. Da sind die Prozentzahlen der Risiko- Frau Erdsiek-Rave predigt diese Zukunftsverhei- gruppen genau ausgewiesen. ßung auch heute noch, wir haben es eben gehört. Eine Bildungspolitik nach dem Motto: Wir machen Zweiter Punkt: Zusammenhang zwischen sozialer eine Schulstrukturreform, und in einigen Jahren Herkunft und Lesekompetenz der Schüler. Das ist sind die Schüler dann gebildeter, wird aber sicher die Entwicklung des „sozialen Gradienten“, der er- genauso scheitern wie entsprechende Rezepte in an- klärt, in welchem Maß das Leistungsergebnis durch deren Politikbereichen. Man denke etwa an eine die soziale Herkunft der Schüler geprägt und be- Gesundheitsministerin, die unter dem Motto antre- stimmt wird - Seite 332 in der Buchveröffentli- ten würde, wir machen eine Gesundheitsstrukturre- chung. Auch das können Sie nachlesen. Hier hat es form, und in einigen Jahren sind die Leute dann ge- in Schleswig-Holstein seit dem Jahr 2000 praktisch sünder. Keine Gesundheitsministerin käme wohl keine Verbesserung gegeben. Der Punktwert ist von auf die Idee, den Bürgern eine solche Losung zu 46 auf 44 kaum zurückgegangen, während er sich verkaufen. in Niedersachsen von 46 auf 35, in Sachsen von 35 auf 31 verbessert hat. Das heißt, der Rückgang der (Dr. Heiner Garg [FDP]: Frau Trauernicht Auswirkung der sozialen Herkunft auf das Bil- schon!) dungsergebnis zeigt in anderen Bundesländern - Ja, ich weiß, Sie sind da andere Meinung, aber das deutlich bessere Ergebnisse - in Schleswig-Holstein traue ich Frau Trauernicht dann doch nicht zu, Herr auch hier seit der ersten PISA-Studie Stillstand. Garg. Für die schleswig-holsteinische Bildungsmi- Das ist wirklich das größte Debakel sozialdemokra- nisterin ist aber genau das in ihrem Bereich ange- tischer Bildungspolitik in Schleswig-Holstein. sichts kritischer Befunde wie beim aktuellen PISA- (Beifall bei der FDP) Ländervergleich die Standardausrede. Ich nenne das eine technokratische Illusion. Die weit überwie- Die sozialdemokratische Bildungspolitik erhebt den gende Mehrheit der schleswig-holsteinischen Bür- Anspruch, den Schwächeren und Benachteiligten in gerinnen und Bürger teilt diese Skepsis. Die Bil- besonderer Weise helfen zu wollen. Sie erreicht in dungspolitik dieser Landesregierung wird so nega- der Schulwirklichkeit dieses Landes nichts als Still- tiv und so kritisch bewertet wie kein anderer Poli- stand. Die neue PISA-Studie bescheinigt gerade tikbereich der Landespolitik. hier der Bildungspolitik von Ministerin Ute Erd- siek-Rave ein Totalversagen. Zu den unerfreulichen Ergebnissen des neuen PI- SA-Ländervergleichs gehört auch folgender Um- (Beifall bei der FDP) stand, mit dem ich ein bisschen mehr in die Details Ich erinnere daran: Die 2006 beim PISA-Länder- der Untersuchungsergebnisse einsteigen möchte. vergleich getesteten 15-jährigen Schüler sind im Die sogenannte Risikogruppe der Schüler, die Tex- Regelfall 1997, in einzelnen Fällen vielleicht auch te kaum sinnentnehmend lesen können, ist mit erst 1998 eingeschult worden, also in das erste knapp 25 % noch fast genauso groß wie beim ersten Schuljahr gekommen. Das ist also die „Generation PISA-Ländervergleich aus dem Jahr 2000. Damals Ute“, die ihre gesamte Schulzeit in Schleswig-Hol- waren es in Schleswig-Holstein 26,5 %. Viele Bun- stein unter der politischen Verantwortung der am- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7439

(Dr. Ekkehard Klug) tierenden Bildungsministerin verbracht hat. Des- Es wird kritisiert, wenn diese Unterrichtsmodelle an halb ist es auch kein Wunder, wenn Frau Erdsiek- den Schulen fehlen. Sie können EVIT-Berichte Rave heute angesichts so miserabler Befunde in der quer durch das Land lesen, und Sie werden darauf PISA-Studie nichts anderes machen kann, als die stoßen. Leute auf bessere Zeiten in der Zukunft zu verwei- Solange es diesen misslungenen „Schul-TÜV“, den sen. wir als FDP abschaffen wollen, noch gibt, sollte Die Altersgruppe, die im Blickpunkt der PISA- man vielleicht erst einmal die EVIT-Gutachter zu Leistungsvergleiche steht, zählt im Übrigen in einer Fortbildung schicken, damit sie den Schulen Schleswig-Holstein in besonderer Weise zu den künftig keine Unterrichtskonzepte mehr empfehlen Verlierern der Schulpolitik dieses Landes. Jeder, und nahelegen, die nach dem Befund der PISA-For- der sich mit dem Thema Schule beschäftigt, weiß, scher die schlechtesten Ergebnisse von allen Unter- dass die Unterrichtsversorgung in den Jahrgän- richtskonzepten hervorbringen. gen, um die es hier geht, also den Jahrgängen in der (Beifall bei der FDP) Sekundarstufe I und insbesondere in den „auslau- fenden“ Jahrgängen der alten Schularten, aber auch Gute Unterrichtsangebote und gezielte Förderung in den durch hohe Schülerzahlen überfüllten Gym- zum Ausgleich von Schwächen - mit diesen Instru- nasien, besonders schlecht ist. Finanzminister Wie- menten bestreiten die besten Länder bei Bildungs- gard hat das am 3. Dezember 2008 in seinem Inter- vergleichen ihren Erfolg. Sachsen hat die Leseför- view im „Flensburger Tageblatt“ ganz offen einge- derung seit Jahren zum durchgängigen Prinzip ge- räumt, als er festgestellt hat: macht, das Land unterstützt die Einrichtungen von Schulbibliotheken und Leseecken, es führt Ferien- „Dass wir uns bei der Unterrichtsversorgung kurse und andere Fördermaßnahmen für schwäche- an der unteren Grenze dessen bewegen, was re Schüler durch, und siehe da: Der Rückgang der nötig wäre, ist nicht zu bestreiten …“ Risikogruppe von 19 auf unter 12 % ist in Sachsen So Rainer Wiegard. Blickt man in die Analysen der ein toller Erfolg, hebt in wunderbarer Weise das Wissenschaftler, die die neue PISA-Studie durchge- Landesergebnis. führt haben, wird außerdem deutlich, dass es auch Ein Blick auf die Grundschulstudie IGLU. Der auf die Art des Unterrichts ankommt, nicht nur Testsieger Thüringen hat es erreicht, dass in den auf den Umfang des Unterrichtsangebots. Ich Grundschulen schon so viele Ganztagsangebote möchte dazu folgendes Zitat anführen. Da heißt es: eingerichtet sind, dass 70 % der Grundschüler in „In allen Ländern erreichen Schülerinnen Thüringen heute eine betreute Hausaufgabenhilfe und Schüler, deren Naturwissenschaftsunter- bekommen. richt traditionell ausgerichtet ist, höhere Test- (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE leistungen (zwischen 20 und 52 Punkte) als GRÜNEN) Schülerinnen und Schüler, die Unterricht des Musters globale Aktivitäten erhalten …“ Man braucht sich doch nicht darüber zu wundern, wenn das dann gute Ergebnisse hervorbringt. Dieser Unterricht mit den globalen Aktivitäten macht den Schülern, wie dann gesagt wird, zwar Deshalb sage ich noch einmal: Das sind die Ansät- mehr Spaß, aber sie lernen weniger. Oh Wunder! ze, die erkennbar wirken. Das bloße Versprechen auf die Heilwirkung einer anderen Schulstruktur Am Erfolgreichsten ist nach Aussage der PISA- bleibt das leere Versprechen, das Sie den Bürgerin- Forscher übrigens Unterricht, bei dem das nen und Bürger dieses Landes jetzt seit Jahren ser- Schlussfolgern aus Experimenten, das Generieren vieren. eigener Ideen und das Übertragen von wissen- schaftlichen Konzepten auf den Alltag häufiger (Beifall bei der FDP) vorkommt. Das ist auch nicht erstaunlich. Oder et- wa doch? Vizepräsidentin Frauke Tengler: Am Erstaunlichsten ist aber, dass den Schulen in Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Schleswig-Holstein vonseiten der hiesigen Bil- Klug und erteile für die CDU-Fraktion der Frau dungsobrigkeit immer wieder - etwa in einschlägi- Abgeordneten Sylvia Eisenberg das Wort. gen Belehrungen, in EVIT-Berichten - das Fit-for- Fun-Rezept eines durch globalgalaktische Aktivitä- ten geprägten Unterrichts geradezu gepredigt wird. 7440 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

Sylvia Eisenberg [CDU]: wissenschaftlichen Bereich, um plus 42 PISA- Punkte aufweist. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Herr Dr. Klug, als Opposi- Schleswig-Holstein liegt in allen getesteten Berei- tion hätte ich mir diese Gelegenheit, der damaligen chen unter dem PISA-Bundesdurchschnitt und Regierungskoalition eins zwischen die Hörner zu nur im Hinblick auf die Naturwissenschaften über geben, auch nicht entgehen lassen. Sie haben nicht dem OECD-Durchschnitt. Nach Einschätzung des ohne Grund diesen Antrag auf einen Bericht über Bildungsministeriums handelt es sich hierbei ledig- die PISA-Ergebnisse gestellt. In der Tat, die Schü- lich um „Schätzfehler mit beschränkter Aussage- ler, die 2006 getestet wurden, haben ihre Schulzeit kraft“ und ein „breites Mittelfeld auf ähnlichem während der damaligen Regierungszeit zwischen Leistungsniveau“. Das waren Zitate. 1996 und 2005 absolviert. Daran geht nichts vorbei. Dieser Einschätzung können wir uns allerdings nur Sie als Grüne - wenn ich darauf hinweisen darf - bedingt anschließen. Was für die Ergebnisvalidität müssten eigentlich insgesamt schamhaft schweigen, für Gymnasien gilt - die hoch gelobt werden -, und denn Sie haben in der Zeit, um die es jetzt geht, Re- denen auch die KMK einen großen Leistungsvor- gierungsmitverantwortung getragen. sprung gegenüber anderen Schularten testiert, muss (Vereinzelter Beifall bei der CDU - Dr. Hei- entsprechend auch für die Validität der Ergebnisse ner Garg [FDP]: Aber die Ministerin scheint in anderen Schularten gelten. sich auch nicht zu schämen!) Um gleich von Anfang an mit einem weit verbreite- Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zum ten Vorurteil aufzuräumen: Das mittelmäßige Ab- sachlichen Bericht. Das Ergebnis des PISA-Län- schneiden unserer Schülerinnen und Schüler liegt dervergleichs ist für Schleswig-Holstein nicht be- nicht am Geld. Die öffentlichen Ausgaben pro friedigend. Das brauchen wir auch nicht zu beschö- Schüler betrugen in Berlin 6.100 € - Berlin, das nur nigen, wie das zum Beispiel andere Bundesländer den 11. Platz in Naturwissenschaften und den durchaus tun. So stellte der Bremer Bildungssenat 12. Platz in Mathematik erreichte, während der PI- offiziell fest: SA-Gewinner Sachsen mit 5.800 € pro Schüler aus- kam, Bayern mit 5.200 €. Der zum Testzeitpunkt „Unsere Aufholjagd hat sich gelohnt.“ vergleichsweise niedrige Satz in Schleswig-Hol- Dabei ist zu bemerken, dass Bremen das dritte Mal stein - ich sage zum Testzeitpunkt - von 4.900 € pro in Folge das Schlusslicht im Vergleich der Bundes- Schüler hat zu besseren Ergebnissen als im Land länder darstellt. Bremen geführt, das immerhin 5.300 € pro Schüler Aber kommen wir zu unseren Ergebnissen: Schles- ausgibt, das weitere Schlusslicht Hamburg sogar wig-Holstein hat sich seit Beginn der PISA-Unter- 6.200 €. suchungen im Jahr 2000 zumindest im Länder- Auch die Schulstruktur kann nicht allein die Ursa- Ranking - Sie haben auf die Unterschiede hinge- che für das Abschneiden der einzelnen Länder sein. wiesen - der Bundesländer nicht verbessert. Im Be- Sachsen mit seiner gegliederten Schulstruktur - reich Naturwissenschaften vom 6. Platz in 2000 mit Mittelschule, das ist unsere Regionalschule, und 486 Punkten auf den 8. Platz in 2003 mit 497 Punk- Gymnasium, wie es bei uns auch vorgesehen ist - ten auf den 10. Platz in 2006 mit 510 Punkten. Ich steht in der Rankingliste an erster Stelle, kurz vor könnte das für Mathematik, Lesen und Textver- Bayern und Baden-Württemberg mit einem drei- ständnis ähnlich vortragen; ich spare mir das jetzt. gliedrigen Schulsystem, erst dann folgen die ande- Wir haben auf der einen Seite das Länder-Ranking. ren Bundesländer. Dänemark, Frau Spoorendonk, Wir haben auf der anderen Seite aber die Kompe- mit Ihrer hoch geliebten Gemeinschaftsschule, tenzpunktzahlen. Wenn auch die Kompetenz- (Anke Spoorendonk [SSW]: Ich sage etwas punktzahlen im Vergleich zu 2003 nicht so große dazu!) Unterschiede aufweisen, so muss man doch feststel- befindet sich zumindest im Bereich Naturwissen- len, dass wir im Länder-Ranking zurückgefallen schaften unter dem OECD-Durchschnitt und damit sind. Das heißt, andere Länder haben in den Jahren hinter Deutschland, und im Bereich der Lesekom- 2000 bis 2006 offensichtlich größere Anstrengun- petenz ebenfalls hinter Deutschland, wenn auch gen als Schleswig-Holstein unternommen, so zum knapp. Beispiel Sachsen, das in dieser Zeit eine ansehnli- che Leistungssteigerung, vor allen Dingen im natur- (Thomas Stritzl [CDU]: Die können zu we- nig deutsch!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7441

(Sylvia Eisenberg)

- Ich glaube nicht, dass es daran liegt. (Beifall bei CDU und FDP) Einige Äußerungen sollten uns aber zum Nachden- und sie auch entsprechend auszustatten, wie wir es ken bringen, so eine Stellungnahme des Staatsmini- gestern mit dem verabschiedeten Haushalt getan sters aus Sachsen auf die Frage, warum Sachsen so haben. viel erfolgreicher als Brandenburg und Mecklen- (Vereinzelter Beifall bei der CDU) burg-Vorpommern sei: ,,Weil wir seit 1990 einen stabilen Kurs fahren.“ Mecklenburg-Vorpommern Das Gymnasium weist eine hohe Qualität auf und und Brandenburg haben einiges ausprobiert. Sach- bietet die entsprechenden Rahmenbedingungen für sen hat von Anfang an einen stabilen Kurs gefah- gutes Lernen und gute Ergebnisse auch im interna- ren. tionalen Vergleich. Die in Schleswig-Holstein noch notwendigen Planstellen haben wir gestern bewil- Aber auch die KMK macht nachdenkenswerte Äu- ligt. ßerungen. Nach deren Ansicht herrschen an Gym- nasien günstige Rahmenbedingungen für das Ler- Es war und ist richtig, in eine grundlegende Bil- nen in den Naturwissenschaften, und die Unter- dungsreform seit 2005 einzusteigen, und zwar von schiede zwischen den Ländern sind an dieser der Pike auf, also vom Kindergarten über die Schulart bei der Lesekompetenz eher gering. Die Grundschule bis zu den weiterführenden Schulen, Aussage des PISA-Konsortiums zitiere ich hier von der Sprach- und Leseförderung über die Grund- auch noch einmal, darauf ist schon hingewiesen schulbetreuung, über Ganztagsangebote, Lehrer- worden: fortbildung und Qualitätssicherung. Das war und ist ein großer - auch finanzieller - Kraftakt, den die ,,Der naturwissenschaftliche Unterricht in Regierungskoalition seit 2005 geleistet hat. Schleswig-Holstein zeichnet sich durch rela- tiv häufiges interaktives Lehren und Lernen Dass die Reformen jetzt in der Grundschule greifen und globale Aktivitäten aus. Globale Aktivi- - von der Pike auf, von Anfang an - haben uns gera- täten sprechen die Schülerinnen und Schüler de die IGLU-Ergebnisse bestätigt. Die im motivational an,“ Jahr 2006 getesteten Schülerinnen und Schüler sind im Jahr 2000 oder 2001 - wir können uns da ein - so heißt es hier schön, das heißt, wecken Motiva- bisschen streiten, ob 1998, 1999, 2000 oder 2001 - tionen und sind interessant - in die weiterführenden Schulen aufgenommen wor- „erweisen sich aber als unzureichend für die den. Die von den Koalitionsfraktionen angestoße- Sicherung eines fachlichen Verständnisses.“ nen vielfältigen Reformen seit 2005 konnten noch keine positiven Effekte erzielen. Erst frühestens Vielleicht ist das der Grund, weshalb Schleswig- 2012 oder vielleicht auch erst 2015 werden wir Holstein auch nur auf Platz 10 der Rankingliste messbare - ich betone messbare - Ergebnisse be- steht. Es gibt viele Erklärungen für die Ursachen. kommen können. Bis dahin dürfen wir in unseren Welche Lehren können wir in Schleswig-Holstein Anstrengungen nicht nachlassen. aus den neuerlich nicht sehr positiven Befunden Wie die Aussagen aus Sachsen zeigen, brauchen ziehen? Denn darauf kommt es an und nicht auf auch wir in Schleswig-Holstein Ruhe in der Schul- ständige Mäkeleien der Opposition, die so oder so landschaft, damit Eltern, Lehrkräfte und Schülerin- nie ein gutes Haar an der Regierung lässt nen und Schüler sich auf die Veränderungen ein- (Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold stellen können und die vielfältigen Hilfen, die das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Land in vielfältiger Art und Weise anbietet, auch - na klar, das habe ich fünf Jahre miterlebt, ich weiß wahrnehmen können. genau, wie Sie arbeiten - (Werner Kalinka [CDU]: Sehr richtig!) (Vereinzelter Beifall bei der CDU) Die Erwartung - und das geht an die Opposition -, und in der Regel außer den Forderungen nach mehr dass Deutschland oder Schleswig-Holstein inner- Geld auf der einen Seite und Festhalten am Beste- halb von zwei oder drei Jahren nach Einführung der henden auf der anderen Seite keine machbaren Vor- Bildungsreform die Spitze der Bildungstabelle stür- schläge aufweist. men wird, kann nicht erfüllt werden, jedenfalls nicht nach zwei oder drei Jahren, auch wenn Regie- Meine Damen und Herren, es war und ist richtig, an rungspolitiker sich das wünschen würden und Op- der Schulart Gymnasium festzuhalten positionspolitiker genau dieses befürchten. 7442 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Sylvia Eisenberg)

Der konstruktive Dialog mit Lehrer-, Eltern- und gangsstufe: „Stellen Sie sich vor“, hat sie gesagt, Schülerverbänden muss fortgeführt werden, um „Herr P. lässt immer noch aus dem Geschichtsbuch mögliche Schwachstellen der Reform mit den Be- vorlesen und verlangt dann, dass die Schüler das teiligten zu erörtern und dann auch Lösungen zu zusammenfassen, nacherzählen und erläutern. Das finden. Wir sollten uns - wie vorgesehen - am Sie- ist doch wohl viel zu einfach, das ist doch Unter- gerland Sachsen ausrichten und Schülern und El- richt von vorgestern.“ Das ist eine Meinung, die da tern vermitteln, dass neben den Gymnasien auch viele Elternteile auch vertreten haben. Wahrschein- die zweite Schulart - und ich halte mich jetzt an lich aber - das bestätigen die Studien IGLU und PI- die Aussage des Ministerpräsidenten von gestern: SA im Zusammenhang mit den Untersuchungen „Egal wie sie nun heißt, entscheidend ist, was drin von Lesekompetenz - ist diese Methode des Leh- ist“ - einen hohen Stellenwert besitzt und es jedem rerkollegen P. gar nicht so verkehrt. Lesen und Kind jederzeit offen steht, in einem durchlässigen Vorlesen im Unterricht ist meines Erachtens im Schulsystem eine weiterführende Schule zu besu- Stellenwert wahrscheinlich viele Jahre lang unter- chen. Echte Ganztagsschulen und Ganztagsange- schätzt worden. bote sind miteinander zu verknüpfen, um eine früh- An der PISA-Studie nehmen Hauptschulen, Ge- zeitige und umfassende Betreuung und Förderung - samtschulen, Realschulen, organisatorisch diese auch der sogenannten bildungsfernen Schichten - verbindende Schulformen, Gymnasien, Berufliche zu erreichen. Vorschläge und Maßnahmen dazu Schulen und wie in Schleswig-Holstein zuletzt auch sind schon in vielfältiger Weise von der Bildungs- freie Schulen teil. Förderschulen haben nicht teilge- ministerin genannt worden, die brauche ich nicht zu nommen. Sie fallen auch nicht in die Bewertung im wiederholen. Rahmen der Vergleichsliste der Bundesländer PI- Lassen Sie uns ohne destruktive Kritik, sondern mit SA-2006-E. konstruktiven Vorschlägen die Bildungsreform be- Im Hinblick auf die Bildungsbeteiligung der Schü- gleiten. Ich bin sicher, dass diese nach anfänglichen lerinnen und Schüler der einzelnen Schularten im Schwierigkeiten zum Erfolg führen wird. Unterstüt- Rahmen von PISA ist es aber durchaus wichtig zu zen Sie unsere Lehrkräfte in ihrer nicht immer ganz wissen, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die in einfachen Arbeit mit den Schülern und Schülerin- den Bundesländern die Förderschulen besuchen. nen und uns Bildungsreformer. Nehmen wir das Bundesland Sachsen, das zum (Beifall bei der CDU) neuen Star 2006 erklärt wurde. Sachsen hat gut 289.000 Schülerinnen und Schüler auf den allge- Vizepräsidentin Frauke Tengler: meinbildenden Schulen. Das sind etwa 10.000 Schüler weniger als in Schleswig-Holstein. In Sach- Ich danke der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg sen leben aber rund 1.400.000 Einwohner mehr als und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordne- bei uns. Nach der letzten Statistik gibt es in Sach- ten Dr. Henning Höppner das Wort. sen 18.250 Förderschüler, in Schleswig-Holstein bei höheren Schülerzahlen lediglich 9.100, weniger Dr. Henning Höppner [SPD]: als die Hälfte. In allen neuen Bundesländern, die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der sich ja so gut entwickelt haben, ist der Anteil der IGLU-Studie gute Ergebnisse für Schleswig-Hol- Förderschüler erheblich höher als bei uns. Und stein, in der PISA-E-Studie keine Fortschritte. Im gleichwohl ist anzumerken, dass der Anteil der Kompetenzbereich Lesen ein 12. Platz. Das ist na- Schülerinnen und Schüler mit Migration in diesen türlich bedauerlich. Ich werde mich im Verlauf Bundesländern erheblich kleiner ist als in Schles- meines Beitrags ein wenig mit diesem Kompetenz- wig-Holstein. Beide Aspekte sind also vorteilhaft bereich Lesen beschäftigen. für die neuen Länder, also im Bundesvergleich. Ich erinnere mich als Elternteil gern an Sitzungen Lassen Sie mich auch die Rahmenbedingungen für der Konferenzen in den Schulen meiner Töchter. die Finanzierung der Bildung in den Bundeslän- Solche Klassenelternkonferenzen waren für die El- dern etwas näher beleuchten. Die Bundesländer tern immer die Möglichkeit, über die Art und Qua- Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen gal- lität des Unterrichts und die Leistungen der einzel- ten gegenüber Schleswig-Holstein eigentlich immer nen Lehrerkolleginnen und -kollegen zu diskutie- als Referenzländer: ähnliche Bevölkerungszahlen, ren. Und ich erinnere mich an den Bericht einer ähnliche Strukturen, viel ländlicher Raum, keine Mutter, oder besser gesagt an eine Beschwerde über besonders großen Oberzentren. den Unterricht eines Lehrers in der neunten Jahr- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7443

(Dr. Henning Höppner)

Alle drei neuen Länder haben starken Bevölke- mehr als die Berliner. Die Gesamtschulen Berlins rungsverlust zu beklagen. Sachsen-Anhalt hat der- haben 451 Punkte, Schleswig-Holsteins Gesamt- zeit weniger als 60.000 Schülerinnen und Schüler schulen 503, also 52 Punkte mehr. Die Haupt- in den Grundschulen, Thüringen weniger als schulen Berlins 355 Punkte, unsere Hauptschulen 64.000. Schleswig-Holstein hat so viele Schülerin- 387 Punkte, also 32 Punkte mehr. Alle Schularten nen und Schüler in den Grundschulen wie beide in Schleswig-Holstein schneiden besser ab als die Bundesländer zusammen. Noch ein Vergleich: In Schularten in Berlin. Sachsen sind es 112.000 Grundschüler, aber, wie Angesichts dieser Feststellung ist klar: Entschei- gesagt, dort leben 1,4 Millionen Einwohner. Das dend für die Ermittlung des Kompetenzwertes ist bedeutet natürlich auch, dass die Frage der Finan- nicht zwangsläufig die Leistungsfähigkeit der ein- zierung von Bildung in den neuen Ländern eine we- zelnen Schularten in einem Bundesland, sondern sentlich größere Rolle spielt als bei uns. Entspre- entscheidend ist die Bildungsbeteiligung, also wie chend sind die Folgen. Die Schulen werden kleiner, viele Schüler und Schülerinnen insgesamt ihren die Klassenfrequenzen geringer. Anteil in den einzelnen Schularten wahrnehmen. So geht es vielfach in den neuen Bundesländern um Da steht Schleswig-Holstein noch ganz im drei- den Erhalt von Schulen und Lehrerarbeitsplätzen. gliedrigen System mit dem geringsten Anteil an Der Lehrerberuf ist in den neuen Bundesländern Gymnasiasten und neben Bayern mit dem höchsten kein Vollzeitberuf mehr, außer für Schulleiterinnen Anteil an Hauptschülerinnen und Hauptschülern. und Schulleiter. Die Mitglieder des Bildungsaus- Das heißt: Hast du viele Gymnasiasten, seien sie schusses haben das in Dresden vom damaligen auch nur durchschnittlich, wird dein Kompetenz- sächsischen Kultusminister Steffen Flath persönlich wert hoch, und dann spielen auch schlechte Haupt- erfahren. Es gibt grundsätzlich nur 0,8 Stellen in schulen, wenn sie nur in einem geringen Anteil vor- den Schulen im Angestelltenbereich der Vergü- handen sind, keine so große Rolle. So ermittelt sich tungsgruppe E 12. Für diejenigen, die sich an den der PISA-Wert. BAT erinnern: BAT III. Das sind Rahmenbedin- gungen für den Lehrerberuf, die heute keiner der Meine Damen und Herren, ich habe das mal unter- Berufskolleginnen und -kollegen hier akzeptieren sucht am Beispiel der Bildungsbeteiligung des würde. Kreises Stormarn. Dort liegt der Anteil der Haupt- schülerinnen und Hauptschüler bei 8,8 % im Jahre Es gibt aber unter den Lehrerkollegien in den neuen 2006 und der Anteil der Gymnasiasten bei 45 %. Ländern den festen Willen, mit viel Einsatz Schul- Der Kreis Stormarn läge, wenn man diese Formel standorte zu erhalten, wenn eine Regelschule oder zugrunde legte, im Kompetenzwert „Lesen“, wenn Mittelschule an die 120 Schülerinnen und Schüler wir ihn so übertragen würden, deutlich über Finn- hat. Wir müssen leider feststellen, dass vielerorts land. Es ist also wirklich die Frage: Wie ist die Bil- hier bei uns nicht die Bereitschaft der Kollegien zur dungsbeteiligung in den einzelnen Schularten? Weiterentwicklung des Schulsystems besteht. Das kann für uns nur die Schlussfolgerung haben: Es lohnt sich schon, dass man sich in der PISA- Wir müssen - wir sind ja auch dabei - die Haupt- Studie mit dem - wie ich es nenne - „Kleingedruck- schulen abschaffen! Es gibt weder organisatori- ten“ beschäftigt, oder mit der Methode, und zwar sche noch pädagogische Gründe, diese Schulform insbesondere, um festzustellen, warum wir denn auch als eigenständigen Bestandteil einer organisa- einen bestimmten Platz auf der Ranking-Liste ein- torischen Verbindung in die Zukunft zu tragen. Aus nehmen. Ich nehme hier als Beispiel das Thema Le- diesen Gründen heraus gibt es auch keinen Grund sekompetenz. Da stehen wir auf der Länderliste dafür, die Realschule als eigenständige - ich sage auf Platz 12 mit 485 Kompetenzpunkten - schon oft mal hauptschülerfreie - Schule zu erhalten. Darüber erwähnt -, drei Plätze vor uns das Bundesland Ber- werden wir noch in dieser Tagung sprechen müs- lin mit 488 Punkten. Berlin hat von der Schulstruk- sen. Diese Erkenntnis müsste eigentlich inzwischen tur her etwas Ähnliches wie wir: Hauptschulen, Re- auch Herrn Dr. Klug erreicht haben, auch wenn er alschulen, Gymnasien, integrierte Gesamtschulen. so heftig vom Verband des VdR als vermeintlicher Ich gehe dann, was die Schularten betrifft, in die Retter der Realschulen gefeiert wird. Schularten-Kompetenz-Länderliste: Berlin ver- Wir haben mit der Verabschiedung des Schulge- zeichnet bei den Gymnasien 585 Punkte, Schles- setzes im Januar des letzten Jahres genau die richti- wig-Holstein ebenfalls 585; da sind wir gleich. Die gen Weichen gestellt. Leider aber werden wir frü- Realschulen Berlins haben 484 Punkte, Schleswig- hestens im Schuljahr 2013/14 erstmals 15-Jährige Holsteins Realschulen 511 Punkte, also 27 Punkte 7444 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Dr. Henning Höppner) haben, die die Regional- und Gemeinschaftsschulen Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: seit dem Aufbau 2008/09 besuchen. So wird es also Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen noch zwei weitere PISA-I- und PISA-E-Studien und Kollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorred- 2009 und 2012 geben, die in Schleswig-Holstein ner haben schon sehr viel Zahlenmaterial genau un- mit den Schülerinnen und Schülern des dreigliedri- tersucht. Daher kann ich mir einige Passagen spa- gen Schulsystems operieren müssen. ren. Dafür bin ich sehr dankbar; denn wir brauchen In unseren Schulen wird derzeit viel über neue und wirklich eine sachliche Debatte. eine zu hohe Anzahl von Regelungsinstrumenten Fest steht: Noch immer haben die Schulen in geklagt, die den Schulalltag zusätzlich belasten. Ich Deutschland insgesamt keinen wesentlichen Fort- kann den Unmut der Kolleginnen und Kollegen aus schritt in der zentralen Aufgabe erreicht, Schich- der Lehrerschaft nachvollziehen. Ich sehe aber jetzt ten, die bildungsfern sind, mehr an einen Bil- im Verlauf des letzten Jahres eine wachsende Be- dungserfolg heranzuführen. Im Jahr 2006 war un- reitschaft, den eingeleiteten Reformprozess aktiv ser Bildungssystem insgesamt noch nicht deutlich mitzugestalten. Dieser Prozess motiviert auch zu- gerechter als im Jahr 2001. Zwar haben alle Bun- nehmend Eltern, sich innerhalb der Schule zu enga- desländer im Trend besser abgeschnitten, das heißt gieren. Der Reformprozess motiviert jetzt auch die die Schülerinnen und Schüler haben höhere Punkt- Schulträger, endlich wieder etwas für ihre Schule zahlen als vor sechs Jahren erreicht, aber die zu tun. So wird endlich wieder investiert in Schulen Durchschnittsbildungsergebnisse der Bundeslän- und Ausstattungen und nicht gewartet, was ange- der untereinander unterscheiden sich immer noch sichts der demografischen Entwicklung so passie- erheblich. Das ist heute noch nicht gesagt worden: ren wird mit den Schulstandorten. Sie betragen zwischen dem besten und schlechte- Würden die Schulstrukturen nämlich so bleiben, sten Bundesland immer noch über zwei Schuljahre. wie sie sind, so würde bei den Schulträgern das ein- In Schleswig Holstein sind die Lernfortschritte treten, was wir seit Ende der 80er-Jahre erlebt ha- nicht besonders groß ausgefallen. Differenziert sind ben, als die Schülerzahlen stark sanken: keine In- Herr Höppner und auch die Ministerin hierauf ein- vestitionen, sondern eine Nutzung der vorhandenen gegangen. Deswegen ist unser Ranking-Platz da, Substanzen. Das stellt sich heute, insbesondere bei wo er ist. Man kann sagen, wir seien deutlich abge- vielen großen Schulträgern, als Mangel in der fallen; man kann auch sagen, wir seien nicht aufge- Sachausstattung dar. Wir haben auch hier aufgrund stiegen. der Investitionsprogramme des Landes und des Bundes neue Perspektiven. Die Ergebnisse sind zum einen der unterschiedli- chen Zusammensetzung der Schülerschaft ge- Meine Damen und Herren, ich komme zum schuldet. Großstädte mit einer hohen Arbeitslosig- Schluss. Die Kompetenzentwicklung oder - einfa- keit, krassen Unterschieden zwischen Arm und cher gesagt - die Entwicklung der Leistungsfähig- Reich sowie mit einem sehr hohen Anteil an Mi- keit unserer Schulen braucht einen langen Atem, grantenkindern, für deren Integration wenig getan auch was die Ergebnisverbesserung in den PISA- wurde, haben eine besonders schwierige Ausgangs- Studien angeht. Das war uns bei den Entscheidun- lage für große Lernerfolge. Diese sozialen Unter- gen zur Veränderung unseres Schulsystems be- schiede haben sich seit 2001 sogar verschärft. Viel- wusst. Wir sind aber wirklich auf dem richtigen leicht kann man deshalb doch bescheiden von ei- Weg. nem kleinen Gerechtigkeitserfolg sprechen, da sich (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der das, was sich sozial getan hat, nicht auch noch ver- CDU) schärfend in den PISA-Ergebnissen niedergeschla- gen hat. Vizepräsidentin Frauke Tengler: Schleswig Holstein besitzt einerseits die sozialen Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Henning und kulturellen Rahmenbedingungen wie Hamburg Höppner und erteile für die Fraktion BÜNDNIS im Umland oder beispielsweise Westerland, ande- 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika rerseits aber auch die von Mecklenburg-Vorpom- Birk das Wort. mern und Dänemark. (Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU]) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7445

(Angelika Birk)

- Die sozialen und kulturellen Bedingungen: kleine und Populismus allein reichen nicht für gute Bil- Orte, überschaubare Einheiten; viele Kinder gehen dungspolitik. noch zur Hauptschule. In kleinen Dörfern ist das Angesichts der Lesedefizite insgesamt war es rich- noch kein Stigma. - Auf der anderen Seite besteht tig, dass das Bildungsministerium schon in der letz- eine hohe Arbeitslosigkeit, ähnlich wie in Mecklen- ten Legislaturperiode begann, in Kitas und Grund- burg-Vorpommern, und Schulkinder müssen weit schulen die Voraussetzungen für das Lesenlernen reisen. Insoweit sind unsere Strukturbedingungen zu verbessern. denen Mecklenburg-Vorpommerns ähnlich. Auf der anderen Seite ist bei uns eine hohe Verdichtung wie Damit komme ich zu IGLU. Das positive Ergebnis im Hamburger Rand und auch eher eine Großstadt- hat alle Bundesländer gefreut. Hier beträgt der Bil- bevölkerung mit einem hohen Migrantenanteil zu dungsunterschied - Stichwort Gerechtigkeit - zwi- verzeichnen. Insofern ist Schleswig-Holstein von schen den Bundesländern nur ein Schuljahr. Auch allem etwas. Deshalb dürfte es besonders interes- wenn man zugestehen muss, dass die Testverfahren sant sein, wenn wir in unserem Bundesland die re- verschieden sind - es wurden vierte Schuljahre und gionalen Ergebnisse untersuchen, so wie dies gera- nicht Kinder gleichen Alters getestet, und in beiden de der Kollege Höppner exemplarisch getan hat. Testverfahren sind, worauf Herr Höppner hinge- wiesen hat, die Förderschulen außen vor gelassen Interessant ist auch, dass die geschlechterstereoty- worden; damit müssen wir uns nicht befassen -, ist pischen Unterschiede nicht abgebaut wurden. Diese dennoch ein Fazit wirklich zwingend: Weitgehend Nachricht des PISA-Ergebnisses schafft es leider gemeinsames Lernen aller Kinder in den ersten vier kaum in die Medienschlagzeilen. Offenbar gelten Schuljahren hat bessere Ergebnisse als Lernen in sie als weniger skandalös als andere Daten. Viel- getrennten Bildungswegen in den folgenden vier leicht haben deshalb bisher so wenig Bundesländer Jahren. etwas unternommen, um etwas für mehr Ge- schlechtergerechtigkeit zu tun. Der Skandal der Grundschuluntersuchung liegt in etwas anderem. Es gibt eine Zensur durch die Kul- Die CDU im Landtag hat gleich nach der Veröf- tusministerkonferenz. Ergebnisse, nach denen die fentlichung der neuesten PISA-Ergebnisse an Sach- Empfehlungen für weiterführende Schulen unab- sens Schulsystem erinnert und misst uns daran. Ich hängig von der Leistung der Kinder vor allem mit möchte an dieser Stelle nur sagen: In der Zeit, über Rücksicht auf den Bildungshintergrund der El- die wir reden - 2005 und auch noch 2006 - haben tern gegeben werden, durften nicht veröffentlicht Sie von der CDU erbittert allen Schulreformversu- werden, obwohl darauf hingewiesen werden muss, chen in Schleswig-Holstein widerstanden. Noch dass ein Kind, das einen bildungsfernen Hinter- heute bekämpfen Sie alle Formen des gemeinsamen grund hat, trotz guter Noten nicht für das Gymnasi- Lernens jenseits der 6. Klasse als Fehler. Sie dulden um empfohlen wird, weil die Grundschullehrkräfte die Gemeinschaftsschule lediglich. Unsere Fraktion fürsorglich davon ausgehen, dass es keine Schul- hat seit 2003 hier im Landtag für Gemeinschafts- aufgabenhilfe durch die Eltern hat und versagen schulen gekämpft. Im Jahr 2004 hat sich die SPD muss. Zumindest diese Fakten wollen Herr Profes- dem angeschlossen. Ich kann an dieser Stelle nur sor Wilfried Bos und sein Team nun auf eigene bescheiden darauf hinweisen: Frau Eisenberg, unser Faust im Februar 2009 veröffentlichen, wie er der Verständnis von Opposition wie auch von Regie- „TAZ“ anlässlich der Veröffentlichung der IGLU- rungsarbeit beinhaltet das Vorlegen von Konzepten Bildungsergebnisse mitteilte. und das Unterbreiten von seriösen Finanzierungs- vorschlägen. (Zuruf von Frau Ministerin Ute Erdsiek-Ra- ve) Das vermissen wir bei der FDP. Herr Dr. Klug, Sie haben heute wieder Ihr Zahlengedächtnis unter Be- - Ich kann Ihnen nur sagen, Frau Erdsiek-Rave: weis gestellt. Aber ein Bildungskonzept für dieses Wenn Sie andere Erkenntnisse haben, ist es schade, Land habe ich von Ihnen seit 1996 nicht wieder ge- dass Sie diese heute nicht vorgestellt haben. Wenn hört. ein Bildungsforscher, der maßgeblich an den Arbei- ten für IGLU beteiligt ist, sagt, er dürfe bestimmte (Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie waren ja auch Ergebnisse nicht veröffentlichen, und das unwider- jahrelang nicht im Parlament!) sprochen bleibt - mir ist kein Dementi der KMK be- Sie halten immer am Traditionellen fest. Ich sage kannt -, so muss ich das, wie ich finde, vortragen. an dieser Stelle - wir werden in der Realschuldebat- Das müssen wir zur Wahrheitsfindung einfach wis- te noch darauf zurückkommen -: Zahlengedächtnis sen. 7446 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Angelika Birk)

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave: Das stimmt getestet werden. Die sogenannten Kernfächer sind nicht!) nicht allein das, was zu Intelligenz, zur Persönlich- keitsentwicklung, zur Sinnwahrnehmung und zum Nun kommen wir zu den Konsequenzen, die wir Bestehen in der Demokratie beiträgt. Wir brauchen ziehen müssen. Leider hat es die KMK versäumt, gerade auch die Förderung in den musischen, in den Bildungsgipfel zu nutzen. Sie hat auch nicht die den sportlichen und in den gesellschaftswissen- jetzige Diskussion um die Finanzkrise genutzt, um schaftlichen Fächern. Das gerät oft ins Hintertref- ein konsequentes Bildungsprogramm als nachhalti- fen, wenn nur noch die Jagd nach guten Testpunk- ge Konjunkturhilfe zu fordern. Wir fördern Sprit- ten das Leben im Schulalltag bestimmt. Wir müs- fresser, anstatt in Bildung zu investieren. Ich danke sen vorsichtig sein, dass wir nicht im Hinblick auf Frau Bundesministerin Schavan, dass sie in den gute Testergebnisse den Unterricht anders struktu- letzten Tagen wenigstens für die Hochschulen ihre rieren, als er für die Kinder gut ist. Stimme erhoben hat. Wir erwarten, dass die Bildungsministerin zumin- Welche Konsequenzen sollen wir also ziehen? Die dest die wenigen Konsequenzen, die wir aus dem erste besteht darin, dass wir gemeinsam mit der Mi- Testergebnis ziehen, in den nächsten Monaten und nisterin den Bund nach wie vor daran erinnern müs- Jahren verfolgt, dass wir den Ganztagsunterricht sen, steht hinsichtlich der Bildung finanziell in der ausbauen, dass wir zu einer integrierten Lösung Pflicht. kommen und nicht zu einem Vormittagsunterricht Zweitens müssen wir uns für unser Land sehr genau und nachmittags irgendetwas. Das versteht sich von mit den regionalen und geschlechtsspezifischen Er- selbst. Hier ist uns das ganze Haus sehr viel mehr gebnissen fachöffentlich befassen, um gezielt zu als früher gefolgt. Verbesserungen zu kommen. Wichtig ist für uns: mehr Bildungserfolg für Kin- Drittens müssen wir das Recht auf einen Haupt- der aus bildungsfernen Elternhäusern. Daran schulabschluss - das ist ja unser niedrigster Ab- messen wir die PISA-Ergebnisse. Ich hoffe, dass sie schluss, der jetzt in neuen Schulformen erworben das nächste Mal für unser Land besser ausfallen. werden soll - und das Recht auf einen Ausbil- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dungsplatz gesetzlich verankern, und zwar nicht durch ein Absenken der Standards, wie dies einige Bundesländer wollen - die Äußerungen der letzten Vizepräsidentin Frauke Tengler: Tage hierzu waren skandalös -, sondern durch einen Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteini- besseren Start von Anfang an, schon im Kindergar- schen Landtag erhält Frau Abgeordnete Anke ten, und durch das Recht auf kostenlose Schulför- Spoorendonk. derung auch über die Pflichtschulzeit hinaus. Eine Förderung, die nicht in Warteschleifen oder in Ein- Anke Spoorendonk [SSW]: Euro-Jobs der Arbeitsagentur endet, sondern tat- sächlich in einem Ausbildungsplatz. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als praktizierende Großmutter bin ich froh darüber, Die nächste Konsequenz besteht darin, dass wir den dass meine Enkel in Dänemark und Schweden zur Schulen - ganz gleich, was auf dem Türschild steht, Schule gehen und nicht in Korea oder Japan. Das ob nun Regionalschule, Gemeinschaftsschule oder möchte ich einmal vorwegschicken. Gymnasium - die Ressourcen nach gerechten Para- metern zuteilen. Wer mehr Schülerinnen und Schü- (Beifall) ler aus bildungsfernen Schichten unterrichtet, wer Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 2001 und mehr Kinder mit Handicaps integriert, braucht hier- dem Bekanntwerden der ersten PISA-Ergebnisse für auch mehr Geld. Mit diesem Umverteilungs- beschäftigen wir uns im Landtag mit der Leistung prozess wurde begonnen, aber leider gibt es auch unserer Schülerinnen und Schüler. Bei dieser vor- den Gegentrend. Wo das Geld vorn und hinten erst letzten PISA-Debatte möchte ich noch einmal nicht reicht, werden sogar Förderkurse zum Lesen-, in Erinnerung rufen, was eigentlich die Zielsetzung Schreiben- und Rechnenlernen für jene, die es be- der PISA-Studie ist. sonders schwer haben, wie auch Hausaufgabenhilfe in Ganztagsschulangeboten mancherorts kosten- Erstens geht es um eine Rückmeldung zur Qualität pflichtig. Das darf nicht sein. des Bildungssystems und der Schulen des jeweili- gen Landes. Zweitens geht es darum, einen Ver- Wir erwarten außerdem, dass sich die Konsequen- gleich der Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme zen nicht nur auf die Fächer beziehen, die bei PISA Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7447

(Anke Spoorendonk) zu ermöglichen. Drittens geht es darum, der Politik Der faule Kompromiss der Großen Koalition mit eine Grundlage zu liefern, um Reformen für das der gleichzeitigen Einführung der Regionalschule Schulsystem abzuleiten. und der verweigerten Modernisierung der Lehrer- ausbildung ist beklagenswert und nicht tragbar. An dieser Zielsetzung wird deutlich, dass PISA ein politisches Instrument ist, ein Instrument, um Aus- (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk sagen treffen zu können, inwieweit es Bildungssys- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) temen gelingt, junge Menschen auf die Wissensge- Vor diesem Hintergrund weist der SSW noch ein- sellschaft vorzubereiten. mal ganz deutlich darauf hin, dass eine Reform der (Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg Struktur auch mit einer Reform der Inhalte einher- [CDU]) gehen muss. Kesselflickerei allein reicht nicht aus, wenn sich die Leistung unserer Schülerinnen und - Lieber Kollege Kayenburg, international betrach- Schüler in Zukunft verbessern soll. tet ist die OECD kein politisch neutrales Instru- ment. Auch das darf man sich manchmal in Erinne- Schleswig-Holstein landete in den neusten PISA- rung rufen. Ergebnissen wieder im Mittelfeld. Der Kollege Ku- bicki lief daraufhin völlig aus dem Ruder und - wie Mit den ersten Ergebnissen und dem darauf folgen- der „Spiegel“ so passend titelte - punktete im Wett- den PISA-Schock in Deutschland wurde das Thema streit um den dümmsten Vergleich mit der Nazizeit. Schulbildung ins Bewusstsein der gesellschaftli- Auch das will ich noch einmal sagen. chen Öffentlichkeit gerufen, und das finden wir gut so. Akteure und Betroffene führten eine leiden- (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk schaftliche Diskussion, die deutlich machte, dass [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die Interpretierbarkeit von Bildungsdaten keine Die Kollegin Herold gab dagegen Vorschusslorbee- Grenzen kennt. Die politische Ebene reagierte teils ren auf die in Schleswig-Holstein durchgeführte mit operativer Hektik, teils mit einem durchaus kri- Schulreform, die aber mit den aktuellen PISA-Er- tisch geführten Dialog für und wider das eigene gebnissen überhaupt nichts zu tun hat. Denn die Bildungssystem, eine Diskussion, die wir im Land- Daten des aktuellen PISA-Tests sind im Frühjahr tag zur Genüge geführt haben. 2006 an den Schulen erhoben worden, und das neue Der SSW setzt sich seit Jahren sowohl für eine Schulgesetz greift bekanntlich erst seit Anfang Veränderung der Schulstruktur als auch der 2007. Ein Zusammenhang zwischen den Ergebnis- Schulinhalte ein. Für uns sind dies zwei Seiten der- sen und den bereits realisierten Reformen lässt sich selben Medaille, und dabei bleiben wir. PISA hat also nicht herstellen. Das ist auch das, was die Bil- deutlich gemacht, dass das dreigliedrige Schulsys- dungsministerin zu Recht noch einmal hervorgeho- tem veraltet ist. Das kann man von 2001 bis heute ben hat. Sie macht deutlich, dass die aktuellen Re- belegen, dass das so ist. Die Einführung der Ge- formen erst mittel- und langfristig Erfolge zeigen meinschaftsschule ist aus unserer Sicht daher zu werden. begrüßen. Mit dieser Schulform erhöhen sich die (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Wissen wir, ob Chancengleichheit unter den Schülerinnen und sie Erfolge zeigen werden?) Schülern und die Reaktionsfähigkeit der Schulen auf aktuelle Herausforderungen. - Natürlich werden sie Erfolge zeigen. Lieber Kollege Kayenburg, das ist die Pointe der Darüber hinaus liegen die schleswig-holsteinischen Gemeinschaftsschule. Man hat eine Schule für alle Jugendlichen in ihrem Mathematik- sowie Lese- und kann gezielt auf Veränderungen, auch Förder- und Schreibverständnis mit 497 und 485 Punkten möglichkeiten und neue Herausforderungen reagie- knapp unter dem OECD-Durchschnitt und in der ren. Man braucht nicht erst abzuwarten, ob das Naturwissenschaft mit 510 Punkten knapp darüber. Kind in die richtige Schublade gesteckt wird. Dar- Tatsache ist, dass im Leseverständnis die fünf nörd- auf kommt es letztlich an. lichsten Bundesländer am schlechtesten abschnei- (Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg den. Dies ist jedoch nicht nur ein schulisches, son- [CDU]) dern ein gesellschaftliches Problem. - Lieber Kollege, das werden wir in der Mittagspau- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki se, wenn wir nichts anderes zu tun haben, diskutie- [FDP]) ren können. 7448 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Anke Spoorendonk)

Die Stiftung Lesen weist in Studien seit 1992 dar- der Schulen über Menge und Art des Unterrichts auf hin, dass tendenziell immer weniger gelesen entscheiden. Auch das haben wir hier in vielen Dis- wird. Die Folgen mangelnder Lesefähigkeit zeigen kussionen miteinander debattiert. Auch das darf sich dann auch in der Schule, und zwar in allen Fä- nicht aus dem Blick verloren werden. chern. Jetzt bin ich bei dem berühmten Blick über den Tel- Aus Sicht des SSW ist es daher notwendig, sich das lerrand und gucke einmal auf die Reaktion nördlich Umfeld der Jugendlichen anzuschauen. Wir brau- der Grenze hinsichtlich der letzten PISA-Studie. chen einen Ausbau des Büchereiwesens und eine Richtig ist - wie die Ministerin auch angeführt hat -, ganzheitliche Förderung der Lesekultur. dass Dänemark häufiger im Mittelfeld als auf den vorderen Plätzen landet. Nach wie vor stellt auch die Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen eine besondere Heraus- (Dr. Henning Höppner [SPD]: Das erschreckt forderung im schulischen Alltag dar. Das Gleiche uns aber nicht!) gilt - wie wir wissen - auch für die Verbindung von - Natürlich nicht. - Die Erklärung dafür liegt in den schulischer Leistung und sozialer Herkunft. Hier unterschiedlichen Wertesystemen, lieber Kollege liegt aber immer noch ein entscheidendes Hand- Höppner. Die PISA-Studien zielen auf einen Typus lungsfeld zur Sicherung von Bildungsgerechtigkeit von Bildung, der in Dänemark und Schweden und sozialer Ausgewogenheit. höchst umstritten ist. Hier richtet sich der Unter- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise Sie richt nach einem ganzheitlichen Ansatz. noch einmal darauf hin, dass hier ein Hauptproblem (Sylvia Eisenberg [CDU]: Da war doch Finn- des schleswig-holsteinischen Schulwesens liegt. land an erster Stelle!) Dies belegen auch die aktuellen Ergebnisse der IGLU-Studie: Die Grundschule wird in diesem - Ja, das wissen wir ja. Zusammenhang als einzige Gemeinschaftsschule in (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Sind die Finnen Reinform beschrieben, die international mit einem auch aus dem Nordischen Rat ausgeschlos- geschlossenen Leistungsbild ein hohes Niveau vor- sen?) weist. Darum noch einmal: Der SSW setzt sich für eine konsequente Umsetzung der Gemeinschafts- - Nein, das sind sie nicht. schulen ein. Das will ich so stehen lassen. Bei der ersten PISA-Studie schnitten die dänischen (Beifall des Abgeordneten Dr. Henning Schülerinnen und Schüler sehr gut ab, wenn es dar- Höppner [SPD] - Sylvia Eisenberg [CDU]: um geht, das eigene Lernen zu organisieren, das Das kann man so stehen lassen!) selbstständige Lernen hinzubekommen. Sie treten sehr selbstbewusst auf und freuen sich darüber, zur - Ja, das ist so, das ist wirklich so. Liebe Kollegin Schule zu gehen. Das ist meiner Meinung nach et- Eisenberg, ich kann mich richtig darüber aufregen, was, was Eltern gern wollen und von der Schule ge- dass wir nicht weitergekommen sind. fördert werden sollte. Eine demokratische Kultur, Wichtig ist auch, dass an der Qualität der Schulbil- soziale Kompetenzen und persönliche Entwick- dung weitergearbeitet wird. Es ist unverantwortlich, lung sind genauso wichtig wie kognitive Fähigkei- dass wir die Neustrukturierung und Anpassung der ten. Lehrerausbildung auf die lange Bank geschoben (Beifall beim SSW) haben. Wir zweifeln an der Ernsthaftigkeit dieser Schulreform, wenn nach wie vor Lehrerinnen und Nicht vergessen darf man dabei, dass es natürlich Lehrer an den Hochschulen dieses Landes für auch um Wissen geht. Daher haben die PISA-Er- Schularten ausgebildet werden, die es gar nicht gebnisse auch in Dänemark zu Reformen und weit- mehr gibt. Ich kenne ja die Hintergründe dafür, reichenden Diskussionen unter allen Beteiligten ge- dass das so ist, aber das ist nicht in Ordnung. führt. (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE An den Ergebnissen der TIMSS-Studie, an der Dä- GRÜNEN) nemark teilgenommen hat, sieht man, dass der Un- terschied hinsichtlich der Mathematikkompetenz Wir brauchen eine Lehrerausbildung, die nicht nur zwischen Jungen und Mädchen aufgehoben worden effiziente Fachdidaktik und elementare Inhalte the- ist. Das heißt, die Mädchen haben aufgeholt, sodass matisiert, sondern die außerdem den Schulformen es keinen Unterschied mehr gibt. Darüber lässt man angepasst ist. Es geht nicht nur um die Lehreraus- sich nun in den Medien aus, und darüber wird jetzt bildung, es geht auch darum, dass die Ressourcen Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7449

(Anke Spoorendonk) diskutiert. Insofern denke ich, dass man sich an den betracht der Tatsache, dass wir davon ausgehen, eigenen Zielen orientieren sollte, und man sollte dass Frau Ulrike Rodust dieses Amt wegen anderer deutlich machen, was man eigentlich erreichen will. wichtiger Tätigkeiten nicht mehr wird ausüben kön- nen. Wir brauchen keine „Testeritis“ oder eine Kultur des „Teaching to the Test“. Wir brauchen kritische (Beifall) Analysen, und wir brauchen Einsatz, Transparenz Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: und Engagement. Das sind die Herausforderungen an unser Schulwesen, und von daher sollten wir uns daran erinnern, worum es eigentlich geht. Es geht Unwirtschaftlichkeit von Kohlekraftwerken nicht in erster Linie um PISA, sondern darum, un- ser Schulwesen weiterzuentwickeln. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2351 (Wolfgang Kubicki [FDP]: Und menschli- cher zu machen!) Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und - Ja, natürlich geht es auch darum, das Schulwesen erteile für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS menschlicher zu machen. Es geht aber auch darum, 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Detlef Fähigkeiten zu generieren und das Wissen zu ver- Matthiessen das Wort. mitteln. Es geht auch darum, dass wir gut ausgebil- dete junge Leute brauchen. Wir brauchen aber kein Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schulwesen wie in Japan. NEN]: (Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und DIE GRÜNEN) Kollegen! In Schleswig-Holstein sollen mehrere große Kohlekraftwerke neu gebaut werden. Vizepräsidentin Frauke Tengler: (Beifall bei der CDU) Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Damit würden die Treibhausgasemissionen im Lande vervierfacht. Das ist nicht nur in Schleswig- Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Holstein so, sondern auch auf Bundesebene, auf der Drucksache 16/2341 durch die Berichterstattung circa 30 neue Kohlekraftwerke geplant werden, ge- der Landesregierung seine Erledigung gefunden nehmigt sind oder sich im Bau befinden. Diese hat. - Weitere Anträge liegen nicht vor. würden im Jahr circa 180 Millionen t CO2 emittie- Ich wünsche Ihnen jetzt einen guten Appetit und ren. Schleswig-Holstein würde dazu 18 Millionen t unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. beitragen. Mit der Realisierung dieser Projekte ist die Klimaschutzpolitik in Deutschland beendet. (Unterbrechung: 13:22 bis 15:02 Uhr) Gleichzeitig - und das ist der Hintergrund unseres Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Antrages - wird die Wirtschaftlichkeit neuer koh- lebefeuerter Kondensationskraftwerke immer frag- Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz würdiger. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rol- zu nehmen. Ich eröffne wieder die Sitzung. Bevor le. Die Verfügbarkeit von neuen Kraftwerksanlagen wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf ist begrenzt, die Preise für Kraftwerke steigen da- der Tribüne sehr herzlich Schülerinnen und Schüler her enorm an; in den letzten drei Jahren um 25 %. der Integrierten Gesamtschule Neumünster und Die Kohlepreise ziehen ebenfalls enorm an. Hier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EMSR-Tech- hat es in den letzten zwei Jahren eine Verdoppelung nik Brunsbüttel begrüßen. - Seien Sie uns sehr herz- gegeben. Herr Minister, zurzeit gibt es eine Ent- lich willkommen! spannung, aber wenn man genau hinsieht, dann ist (Beifall) die Degression der Preise, die wir zurzeit beobach- ten können, weit entfernt und somit nicht vergleich- Links von mir sehen Sie ein neues Gesicht als bar mit der Degression, die wir zum Beispiel im Öl- Schriftführerin. Ich möchte bekannt machen, dass preisbereich sehen. auf Wunsch der SPD-Fraktion nach § 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Siegrid Te- Die Preise für Zertifikate im Treibhausgashan- nor-Alschausky von mir zur stellvertretenden del sind schwer zu kalkulieren. In Zukunft werden Schriftführerin bestellt wird. Dies geschieht in An- die Zertifikate jedenfalls nicht mehr verschenkt 7450 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Detlef Matthiessen) werden. Der Bundesumweltminister redet von einer Ich sage aus grüner Sicht: Wat’n Glück. 100-prozentigen Versteigerung. Die Auslastung „Selbst wenn sie in Zukunft alle zur Strom- der Kraftwerke steht infrage. Die Laufzeiten wer- produktion benötigten CO -Verschmutzungs- den nämlich durch den Vorrang für Strom aus er- 2 rechte ersteigern müssen, wäre der weitere neuerbaren Energien - aus der Kraft-Wärme-Kopp- Betrieb alter und weniger effizienter Anlagen lung - eingeschränkt. Das unterstreicht auch eine billiger als der Bau eines neuen Kohlekraft- neue Untersuchung der Universität Flensburg, die werkes.“ die Wirtschaftlichkeit der geplanten Investitionen am Standort Brunsbüttel verneint. Sie ist auch be- - Hört, hört, sagt man im parlamentarischen Sprach- gründungsgleich mit dem Gutachten, das für Kiel gebrauch. erstellt wurde. Der sogenannte Bundesumweltminister will also (Unruhe) den Bau von Kohlekraftwerken subventionieren. Dabei sollen ausgerechnet die Mittel eingesetzt Auch dort wurde gesagt, dass die Kohlekraftwerke werden, die eigentlich zur Eindämmung der Treib- ihre Laufzeiten nicht erreichen können, hausgasemissionen gedacht sind. Das sind die Ein- nahmen aus dem Emissionshandel. Die Kohlebe- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: geisterung des sogenannten Umweltministers kennt Herr Dr. Garg, bitte! offensichtlich keine Grenzen, nicht einmal die der marktwirtschaftlichen Rentabilität. Wenn Dreck- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schleudern im Wettbewerb nicht mithalten können, NEN]: dann sollten sie auch nicht gebaut werden. Einnah- men aus dem Emissionshandel als Subventionen für weil die Netze - um es volkstümlich auszudrücken - Kohlekraftwerke zu verbrennen - das kann nur ei- durch einen mit Vorrang geregelten Strom verstop- nem Minister des Landes Absurdistan einfallen. fen und damit für Kohlestrom nicht zur Verfügung stehen. (Johannes Callsen [CDU]: Ohne Subventio- nen würde es auch keine Windenergie ge- Die Klimakiller sind also nicht wirtschaftlich. Was ben!) für die Mark galt, gilt auch für den Euro, man kann ihn nicht zweimal ausgeben. Geld muss daher in er- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: neuerbare Energien und nicht in Kohle investiert werden, sonst sieht es für den Klimaschutz kohlra- Bitte kommen Sie zum Schluss, Herr Kollege. benschwarz aus. Privates und erst recht öffentliches Geld darf nur für zukunftsfähige Technik ausgege- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben werden. Offensichtlich sieht der Bundesum- NEN]: weltminister dies genauso. Ich darf aus der „TAZ“ Meine Damen und Herren, Kohlekraftwerke sind vom 27. November 2008 zitieren: nicht wirtschaftlich. Billiger Kohlestrom ist ein „Energiekonzerne können auf Geld vom Märchen. Selbst wenn Kohlestrom verschenkt wür- Staat für neue Kohlekraftwerke hoffen. Bun- de, dürften wir aus klimapolitischer Sicht davon desumweltminister (SPD) er- keinen Gebrauch machen. klärte am Mittwoch auf der 3. Klimakonfe- renz des Energiekonzerns EnBW, dass ein Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Teil der künftigen Einnahmen aus dem Emis- sionshandel als Beihilfe für den Bau neuer Ich danke Herr Abgeordneten Matthiessen. Für die Anlagen genutzt werden solle. Die rechtli- CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Manfred chen Voraussetzungen auf EU-Ebene müs- Ritzek das Wort. sten jetzt in Brüssel geschaffen werden, sagte (Claus Ehlers [CDU]: Rück das mal gerade!) Gabriel.“ Das ist eine gewagte Übung von diesem Konzern. Manfred Ritzek [CDU]: „Der Minister verwies zur Begründung auf Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! dramatisch gestiegene Anlagenpreise, die die Der Antrag der „Grün-Alternativen Liste“ folgt Energiekonzerne vor Investitionen in Kraft- weiter dem bisherigen Ziel, einen Keil zwischen werke zurückschrecken ließen.“ hochwirkungsvolle Kohlekraftwerke und regenera- tive Energien zu treiben. Ich will gleich mit einer Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7451

(Manfred Ritzek)

Aussage des Kollege Matthiessen beginnen, auf die Das glaube ich jedenfalls. Ich würde Sie wirklich ich eigentlich später kommen wollte. Diese ist ab- bitten nachzulesen und sich zu erkundigen, auf wel- solut falsch, aber Sie benutzen sie immer wieder. cher Basis von falschen Fakten Sie reden, wenn Sie Diese Aussage haben Sie auch in Ihren Pressemit- meinen, dass damit die Klimaschutzpolitik beendet teilungen gemacht. Wenn 30 neue oder geplante ist. Nein, ganz im Gegenteil: Das Klimaziel von oder in Bau befindliche Kohlekraftwerke in Deutschland, nämlich eine Reduktion der CO2- Deutschland 180 Millionen t CO2-Ausstoß verursa- Emissionen um 20 % bis zum Jahr 2020 verglichen chen, dann bedeutet das 6 Millionen t pro Kraft- mit 1990 wird damit in keinster Weise gefährdet, werk. Diese Zahl ist falsch. Es sind nur etwa 4 Mil- sondern ganz im Gegenteil erreicht. Das ist gerade lionen t. Sie sagen, dann sei die Klimaschutzpolitik die Aussage der festgezurrten Mengen von beendet. 453 Millionen t pro Jahr, die übrigens in der Peri- ode 2007 bei 482 Millionen t lagen. Das ist also Ich habe Sie auf dem Symposium in Berlin ver- schon eine deutliche Verbesserung. misst, als Bundesumweltminister Gabriel den 500 Teilnehmern klarmachte, was es in Bezug auf den Sie sprechen von einer Untersuchung der Univer- CO2-Ausstoß bedeutet, ein modernes Kohlekraft- sität Flensburg. Das ist keine Untersuchung. Pro- werk zu bauen. Sie, Kollege Schulze, waren auch fessor Hohmeyer hat eine Diplomarbeit an eine jun- dabei. Sie hätten das auch vorbringen können. Ich ge Studentin vergeben. will Ihnen das noch einmal erklären. Wir haben (Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel durch den Emissionshandel in Deutschland festge- [SPD]) legte Emissionsgrenzen. Für den Zeitraum 2008 bis 2012 sind das 453 Millionen t pro Jahr. Das ist Der Titel dieser Diplomarbeit lautet: Die Auswir- eine festgelegte Menge, die nicht überschritten wer- kungen von Kohlekraftwerken auf die Windenergie den darf. Das gilt für 1.665 Unternehmen in oder umgekehrt. Deutschland, für Industriebetriebe und für Kraft- Wenn Sie eine von Professor Hohmeyer vergebene werke. Diplomarbeit als Maßstab für die Investition eines (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Potztausend!) Großkraftwerkes anlegen, möchte ich Ihnen raten, die Überprüfung der Investitionen den Anlagebau- Wenn ein neues Kraftwerk oder ein neuer Industrie- ern zu überlassen, die etwas von Investitionspara- betrieb dazukommt, mit einem CO -Ausstoß über 2 metern verstehen und die die Verantwortung dafür 25.000 t pro Jahr - nur die sind angesprochen -, übernehmen. Tun Sie doch nicht so, als ob hier eine dann müssen alte Anlagen dichtgemacht werden. große Arbeit verfasst worden ist, die Basis für die Wenn also 30 neue Kraftwerke geplant oder gebaut Entscheidung für oder gegen ein neues Kraftwerk werden, die 180 Millionen t verursachen, müssen sein kann. entsprechend alte Kraftwerke mit dieser Menge dichtgemacht werden, sonst können die nicht „on (Beifall bei der CDU - Zuruf des Abgeordne- steam gehen“. Das müssten Sie doch eigentlich ten Rolf Fischer [SPD]) wissen, Herr Kollege Matthiessen. Das ist doch ei- Ich will die Diplomarbeit gar nicht bewerten. Pro- ne ganz konkrete Aussage, die Wissensbestand aller fessor Hohmeyer hat sicherlich seinen eigenen verantwortlichen Leute ist, die mit Energiepolitik Standard und auch sein eigenes Ziel mit der Verga- zu tun haben. be dieser Diplomarbeit verfolgt. (Beifall bei der CDU) Von den in Berlin anwesenden 500 Teilnehmern Vizepräsidentin Ingrid Franzen: bei diesem Symposium wussten das vielleicht 20. Herr Ritzek, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Ich bin stolz genug zu sagen, dass ich das auch Herrn Abgeordneten Matthiessen? wusste. (Beifall bei CDU und SPD - Zuruf des Abge- Manfred Ritzek [CDU]: ordneten Lars Harms [SSW]) Nein, lieber nicht, weil ich durch meine Erkältung Von den restlichen 480, die Umweltminister Gabri- nicht so gut hören kann. el versuchte zu überzeugen, haben das - so meine (Heiterkeit bei der CDU) ich - auch die meisten verstanden. Sie können mich ja anschreiben, ich gebe Ihnen (Konrad Nabel [SPD]: Nein!) dann die Antwort. 7452 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Manfred Ritzek)

Auch wenn Sie die Diplomarbeit einmal durchge- allem für die Windenergie. Als wir 1988 anfingen guckt haben - ich nehme an, Sie haben es getan -, und die Grundlagen für den Ausbau der Windkraft weiß ich nicht, ob Sie sie verstanden haben. Ich legten, glaubte niemand an den heutigen Erfolg, glaube nicht, dass Sie alle Formeln, alle Gleichun- den wir durch einen klaren Kurs erreicht haben. gen und alle Grafiken verstanden haben. Das traue (Vereinzelter Beifall bei der SPD) ich einem Veterinärmediziner nicht zu. Haben Sie die Arbeit? Eine ähnliche Situation haben wir heute bei der Frage der Zukunft der Kohlekraftwerke in der (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE Energiepolitik. Es wird zurzeit viel über zukünftig GRÜNEN] hält ein Schriftstück hoch - Hei- unvermeidbare Lücken in unserer Energiever- terkeit) sorgung gesprochen, wenn - wie vereinbart - die - Da ist sie ja. Atomkraft entfällt und auch die Kohlekraft nicht mehr erneuert beziehungsweise ausgebaut werden Auf jeden Fall ist die Diplomarbeit so einseitig aus- soll. Die erneuerbaren Energien könnten angeblich schließlich auf die Vorteile der Windenergie ausge- alleine diese Lücken nicht schließen. legt - ohne Beachtung der Vorteile der Kohlekraft- werke -, dass man Angst haben muss, dass diese Dieser Denkansatz ignoriert einerseits die gewalti- Diplomarbeit jetzt als Forschungsergebnis einer gen Potenziale, die in der Energieeinsparung und Universität bezeichnet wird. Energieeffizienz noch nicht erschlossen sind, und basiert andererseits auf einem Denken, das Ent- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: wicklungen der Vergangenheit einfach in die Zu- kunft hochrechnet. Hier brauchen wir mehr Mut Kommen Sie bitte zum Schluss. und Visionen für eine auf erneuerbare Energien ge- stützte Entwicklung, die dann Schritt für Schritt in Manfred Ritzek [CDU]: der Politik und in der Wirtschaft umgesetzt werden Ich hätte einen anderen Vorschlag: Man sollte sa- muss. Nur so können wir die Folgen einer weiter gen „Vorteile und Risiken der Windenergie und der auf die Nutzung der Kohle setzenden Energiepolitik Kohleenergie“. Das wäre der richtige Titel, darüber vermeiden. können wir sprechen. Überlassen Sie die Entschei- Bis 2012 sind zurzeit 27 neue Kohlekraftwerke in dung zwischen Ja oder Nein den Investoren, und Deutschland geplant. Aber wenn wir wirklich in bitte treiben Sie keinen Keil zwischen regenerative dieser Dimension Kohlekraftwerke mit einer Lauf- Energien und Kohlekraftwerke. zeit von circa 50 Jahren bauen würden, hätten wir (Beifall bei der CDU) eine Gesamtkapazität von 25.000 MW, die die At- mosphäre mit 151 Millionen t Kohlendioxid dauer- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: haft belasten. Das ist anderthalbmal so viel wie der Kohlendioxidausstoß des gesamten Verkehrssek- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Manfred Rit- tors. Die deutschen Klimaschutzziele von 40 % zek. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun Herr CO2-Einsparung bis 2020 und 80 %, Herr Kollege Abgeordneter Olaf Schulze. Ritzek, bis 2050 sind so nicht zu erreichen. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Olaf Schulze [SPD]: NEN und SSW) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Diese „Kohlehandschellen“ dürfen wir uns auf dem Herren! Wir stehen heute vor großen Herausforde- Weg in eine wirtschaftliche, ökologische und sozia- rungen für die Zukunft. Auf der einen Seite müssen le Energiezukunft nicht selber anlegen. wir eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik betreiben, und auf der anderen Seite brauchen wir, trotz stei- In diesem Zusammenhang taugt auch der Hinweis gender Rohstoffpreise, für die Menschen und Un- auf eine in Zukunft vielleicht mögliche CO2-Ab- ternehmen in unserem Land bezahlbare Energie. scheidung in Kohlekraftwerken nicht als Begrün- dung für neue Kohlekraftwerke. CO2-Abscheidung Vor 20 Jahren wurde die ökologische Modernisie- wirft schon jetzt mehr Fragen auf als sie Lösungen rung durch sozialdemokratische Regierungspoli- anbietet. Ungelöste Fragen und umfangreicher For- tik begonnen. Damals gab es viele Skeptiker, die schungsbedarf bestehen bei der geologischen Spei- inzwischen ruhiger geworden sind. Die Notwendig- cherung von CO2, der Nutzungskonflikte und ihrer keit einer ökologischen Modernisierung hat alle Bewertung, fehlender Regulierungsrahmen und der Köpfe erreicht. Dies galt in der Vergangenheit vor Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7453

(Olaf Schulze) zu erwartenden Akzeptanzdiskussion. Die CCS- Antrag mehr als merkwürdig. Wenn es nach Ihnen Technologie wird - so oder so - nicht rechtzeitig zur geht, soll der Landtag feststellen, erstens, dass wis- Verfügung stehen, wenn die in Deutschland selbst senschaftliche Untersuchungen von neu zu errich- gesetzten Klimaziele erreicht werden sollen. Dieser tenden Kohlekraftwerken in Brunsbüttel nahelegen, sehr teure Forschungsirrweg sollte möglichst rasch dass deren Wirtschaftlichkeit nicht gesichert ist; beendet werden. zweitens, dass der Neubau von Kohlekraftwerken in Brunsbüttel keine Gewinne auslöst; drittens, dass Vizepräsidentin Ingrid Franzen: die Gemeinde Brunsbüttel in diesem Fall aus der Ansiedlung von Kohlekraftwerken keine Gewerbe- Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten steuereinnahme erzielen wird und viertens, dass das Stritzl? Land entsprechend nicht von der Gewerbesteuer- umlage profitieren wird. Ich will zu den einzelnen Olaf Schulze [SPD]: Punkten wie folgt Stellung nehmen. Nee, heute nicht. Erstens. Es gibt ein Gutachten, das feststellt, dass (Heiterkeit) die Wirtschaftlichkeit von neuen Kohlekraftwer- ken in Brunsbüttel nicht gesichert sein könnte. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Das ist eine Tatsache, das brauchen wir nicht fest- zustellen. Es gibt dieses Gutachten. Wir müssen ja Es wird Weihnachten! schließlich auch nicht feststellen, dass der Tag 24 Stunden hat. Das ist schlichtweg so. Olaf Schulze [SPD]: Zum Zweiten: Lieber Kollege Matthiessen, der Die im Antrag der Grünen zitierten Ergebnisse der Neubau von Kraftwerken erzielt nie Gewinne für Universität Flensburg lassen für mich nur den den Betreiber, sondern höchstens für den Bauun- Schluss zu, dass auch heute schon absehbar neue ternehmer. Was der Kollege Matthiessen in seinem Kohlekraftwerke nicht wirtschaftlich sein kön- Antrag möglicherweise sagen möchte, ist der Be- nen. Ökologisch ist Kohlekraft - mit oder ohne trieb der Anlage. Dieser Punkt wäre also zumindest CO2-Abscheidung - nicht verantwortbar und ange- einmal sprachlich nachzubessern. sichts der durch den Kohleabbau bereits vorhande- Punkt drei: Ob Brunsbüttel in der Zukunft keine nen und zu befürchtenden Schäden für viele Men- Gewerbesteuereinnahmen aus dem Betrieb der schen in ihrem Wohnumfeld auch unsozial. neuen Kohlekraftwerke erzielen wird, können wir Jeder Cent, der in den Ausbau der Kohlekraft ge- heute überhaupt nicht feststellen. Das wird schlicht- steckt wird, fehlt bei der Finanzierung zukünftiger weg die Zeit zeigen. Ich denke auch, Kollege Matt- Aufgaben der Energieeffizienz oder der erneuer- hiessen kann sich noch so oft in sein Feld vor eine baren Energien. Dies sollte auch den Verantwort- Glaskugel setzen, und er wird trotzdem keine siche- lichen in Brunsbüttel deutlich sein. Unsere politi- re Voraussage darüber treffen können, ob und wie sche Zusage für den Standort Brunsbüttel steht, die künftige Gewerbesteuereinnahmen in Brunsbüttel letztendliche Entscheidung wird aber am Standort ausfallen werden. zu treffen sein. (Beifall bei FDP und CDU) Ich beantrage, den Antrag in den Wirtschafts- so- Viertens. In der Frage der Gewerbesteuerumlage wie in den Umwelt- und Agrarausschuss zu über- gilt das Gleiche wie für die Gewerbesteuereinnah- weisen. men bei der Gemeinde Brunsbüttel. Ob hier künftig (Vereinzelter Beifall bei der SPD) Mittel fließen werden, können wir heute nicht fest- stellen und können wir auch nicht beschließen. Das Vizepräsidentin Ingrid Franzen: werden wir schlichtweg im Laufe der Zeit sehen. Aber eines können wir mit Sicherheit feststellen: Ich danke Herrn Abgeordneten Schulze. - Das Wort Wenn wir gar keine Kraftwerke mehr errichten, für die FDP-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter wird es mit Sicherheit keine Gewerbesteuereinnah- Dr. Heiner Garg. men aus diesen Kraftwerken geben. Das ist zumin- dest sicher. Dr. Heiner Garg [FDP]: (Beifall bei FDP und CDU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kolle- gen! Lieber Kollege Matthiessen, ich finde Ihren 7454 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Dr. Heiner Garg)

Kurzum, liebe Kolleginnen und Kollegen, der An- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: trag ist so formuliert, dass er bei uns auch bei mehr- Erlauben Sie eine Frage des Abgeordneten Matt- maligem Lesen, auch zusammen mit meinem Frak- hiessen? Sie holen keine Luft, deshalb kriege ich es tionsvorsitzenden, weil ich mich gefragt habe, ob nicht gefragt. ich ihn richtig verstanden habe, nicht den Eindruck hinterlassen hat, das er eine beratungsfähige Basis ist und in irgendeiner Art und Weise zur Sachdis- Dr. Heiner Garg [FDP]: kussion taugt. Ich hätte es trotzdem höflich von Ihnen gefunden, (Beifall bei FDP und CDU) wenn Sie mich den Satz zu Ende hätten formulieren lassen. Lieber Kollege Matthiesen, eigentlich müsste man das Ding gar nicht so ernst nehmen, wenn es nicht Vizepräsidentin Ingrid Franzen: darum ginge, dass Sie mit Ihrem Antrag eigentlich den Kommunalpolitikern schlichtweg das Enga- Da haben Sie recht. Ich habe meine Not erklärt. - gement und die Kompetenz absprechen. In diesem Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Land - das will ich Ihnen deutlich sagen - gibt es Matthiessen? viele engagierte Kommunalpolitiker, die in eigener Verantwortung Entscheidungen für ihren Standort Dr. Heiner Garg [FDP]: zu treffen haben. Dazu sind sie gewählt. Die Ver- Selbstverständlich, Frau Präsidentin! treter der Gemeinde Brunsbüttel haben sich dafür entschieden, dass Brunsbüttel Standort für neue Kohlekraftwerke sein soll. Ich sage Ihnen ganz Vizepräsidentin Ingrid Franzen: klar: Es steht uns als Landtag und es steht auch Ih- Wunderbar. Die Zeit wird gestoppt. nen nicht zu, hier besserwisserisch von oben herab den Brunsbüttelern zu sagen, dass ihre Entschei- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE dung eine unwirtschaftliche und eine falsche war. GRÜNEN]: Wie erklären Sie sich denn die Initiative des Bundesumweltministers, wenn (Beifall bei FDP und CDU) alles privat finanziert werden soll, dass er ei- Ich gehe davon aus, dass sich jeder Gemeindever- ne Not sieht und jetzt öffentliche Subventio- treter vor Ort ernsthafter mit dieser Thematik be- nen für den Neubau von Kohlekraftwerken schäftigt hat als Sie, lieber Kollege Matthiesen. ankündigt? Das Gleiche gilt für die in Ihrem Antrag vorgenom- Dr. Heiner Garg [FDP]: mene Einmischung in die Führung von Wirt- schaftsbetrieben, hier der Energieproduzenten. Die Kollege Matthiessen, da Sie noch nicht einmal den Wirtschaftbetriebe, also die Energieproduzenten, Unterschied zwischen dem Bau eines Kraftwerks müssen selbst entscheiden, ob der Bau neuer Koh- und dem Betrieb eines Kraftwerks verstanden ha- lekraftwerke für sie eine sinnvolle Investition dar- ben, wie Sie in Punkt 2 Ihres Antrages dokumentie- stellt oder nicht. Das ist unternehmerisches Risiko. ren, lohnt es sich ja wohl kaum, auf Ihre Frage ernsthaft zu antworten. (Beifall bei FDP und CDU) (Beifall bei der FDP) Auch hier glaube ich, dass sich die dortigen Fach- leute im Zweifel besser mit dem Thema beschäftigt Ich finde, dass Herr Professor Hohmeyer mit seiner haben als Sie. These so plump in Ihrem Antrag untergeht, hat we- der er noch die Diplomarbeit verdient, von der Sie Ich möchte allerdings auf die in Ihrem Antrag ange- gesprochen haben. Im Übrigen, Kollege Ritzek, da deutete Problematik eingehen, weil ich finde, dass bin ich anderer Meinung als Sie. Auch eine Di- die Feststellung des auch von der FDP-Fraktion plomarbeit ist natürlich eine wissenschaftliche Ar- sehr geschätzten Professor Hohmeyer von der Uni- beit. versität Flensburg nicht in Ihrem plump gestrickten Antrag untergehen sollte. (Beifall bei der SPD) Die dort angeführte Problematik der nicht ausrei- chenden Kapazitäten der Stromnetze ist ja richtig. Die angeführte Problematik hängt eng mit den be- grenzten Aufnahmemöglichkeiten der bestehenden Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7455

(Dr. Heiner Garg)

Stromnetze zusammen. In der Tat hat natürlich Für Schleswig-Holstein ist insbesondere die Wind- Strom aus Windkraftanlagen bei der Einspeisung in energie von maßgeblicher Bedeutung. Schleswig- die Netze Vorrang vor Strom aus Kohlekraftanla- Holstein ist ein Windland. Wir haben das Know- gen. Wenn die Kapazitäten der bestehenden Netze how, und unsere Wirtschaft wird weiter davon pro- nicht ausreichen, um die produzierten Strommen- fitieren. Die Produktion von Windstrom gerade im gen aufzunehmen, dann müssen wir den Ausbau Offshore-Bereich birgt enorme Potenziale. Damit der Netze angehen. können wir es schaffen, Lieferant von Strom aus re- generativen Energieformen zu werden, sobald die (Beifall bei der FDP) Offshore-Windparks den Strom produzieren und Abschließend lassen Sie mich Folgendes festhalten. dieser entsprechend transportiert wird. Auch die FDP-Fraktion ist für den weiteren Ausbau Aber nicht nur aus energiepolitischen Gründen wird erneuerbarer Energien, und sie genießen bei uns die Windenergie für Schleswig-Holstein die Ener- Vorrang, Vorrang auch vor Kohlekraftwerken. gieform der Zukunft. Auch aus Gründen des Klima- Aber es macht aus klimapolitischen Gründen Sinn, schutzes wird Offshore-Windkraft ein wichtiger wenn ein neues Kohlekraftwerk mit geringeren Baustein der künftigen Energieversorgung sein. CO2-Emissionen ein altes Kraftwerk ersetzt. Wir sehen uns darin einig, lieber Kollege Matthiessen, Aber bis es soweit ist, kommen wir um einen Mix mit dem neuen Bundesvorsitzenden der Grünen, aus regenerativen und fossilen Energieformen nicht Herrn Cem Özdemir, der genau diese These vertritt umhin. In diesem Punkt verabschieden sich die und in Ihrer Partei dafür streitet. Grünen jedoch von der Wirklichkeit. Es wird so ge- tan, als ob der Sprung aus dem Atomzeitalter ins (Beifall bei FDP und CDU) Zeitalter der regenerativen Energien ohne Weiteres machbar ist. Für eine Übergangszeit brauchen wir Vizepräsidentin Ingrid Franzen: aber diesen Mix, und dabei kommen wir um Kohle Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das nicht herum. Aus Sicht des SSW ist Gas keine Lö- Wort für den SSW im Landtag hat der Herr Abge- sung, zum einen, weil wir uns in eine Abhängigkeit ordnete Lars Harms. begeben, die politisch fragwürdig ist, und zum an- deren, weil heute Braun- und Steinkohlekraftwerke Lars Harms [SSW]: rund 50 % der Stromgewinnung ausmachen, und diesen Bedarf können wir auch nicht mit Gaskraft- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und werken decken. Der Bedarf an Gas wäre uner- Herren! Die Debatten der letzten Monate um die schwinglich hoch. zukünftige Energieversorgung und den Klima- schutz haben gezeigt, dass wir beides nicht unab- Daher bleibt nur die Möglichkeit, auf Kohlekraft- hängig voneinander betrachten können. Dabei ist werke zu setzen. Natürlich ist Kohle auch ein endli- immer wieder deutlich geworden, dass wir von den cher Rohstoff, aber im Gegensatz zu dem vorher fossilen Energieträgern wegkommen müssen. genannten Energieträger ist Kohle weltweit vorhan- Darin sind wir uns, glaube ich, auch alle einig. Für den, und, was wichtiger ist, wir haben sie im eige- den SSW steht fest, dass das langfristige Ziel die nen Land. Damit ist zumindest eine gewisse Ver- komplette Versorgung aus regenerativen Energien fügbarkeit erst einmal sichergestellt. ist. Bis es jedoch soweit ist, müssen die Weichen Wir halten aber daran fest: Kohle ist nur eine entsprechend gestellt werden. Hierzu gehören des- Übergangslösung. Wenn wir uns politisch dazu be- halb auch die Steigerung der Energieeffizienz und reit erklären, diesen Weg der mittelfristigen Ener- die Energieeinsparung. gieversorgung zu gehen, dann nur, wenn wir gleich- Die ausschließliche Nutzung von regenerativen zeitig eine Ausstiegsstrategie für die Kohle festle- Energien, von Wind, Wasser, Sonne und Biomas- gen, vergleichbar mit dem Atomausstieg. se, ist die Herausforderung der Zukunft. Hierfür ist Darüber hinaus brauchen wir ein bundesweit abge- es notwendig, das Stromnetz, das heute noch zen- stimmtes Konzept, wie und wo neue Kohlekraft- tral ausgerichtet ist, umzustrukturieren und so um- werke in der Bundesrepublik gebaut werden und zubauen, dass die dezentralen Energieträger er- welche alten Kraftwerke dafür abgeschaltet werden. schlossen werden können und der Strom einge- Dies haben wir auch vor einiger Zeit hier im Land- speist und weitergeleitet werden kann. Erzeugung, tag beantragt, aber die Koalitionsfraktionen wollten Verteilung und Verbrauch werden somit in Zukunft diesen Weg nicht mitgehen. Wenn wir über den zu einer dezentralen Versorgungseinheit. Bau eines neuen Kohlekraftwerks in Schleswig- 7456 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Lars Harms)

Holstein sprechen, dann kann dies nur, wenn über- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja, das steht darin! haupt, in Brunsbüttel sein. Denn dort haben wir Genau!) die entsprechende Infrastruktur, die dies überhaupt Bei einer unkritischen Betrachtung der zukünftig möglich macht. Jeder andere Standort in Schleswig- installierten Erzeugungs- und Netzkapazitäten in Holstein kommt aus Sicht des SSW nicht infrage. Schleswig-Holstein und speziell im Raum Bruns- Was nun den Antrag der Grünen angeht, ist festzu- büttel ist eine solche Schlussfolgerung im theoreti- stellen, dass er nichts mit der Wirklichkeit zu tun schen Extremfall durchaus richtig. hat. Auch wenn er sich auf wissenschaftliche Un- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja!) tersuchungen gründet, haben wir jedoch keine Handhabe, den Bau eines Kohlekraftwerks zu ver- Ich freue mich im Übrigen, dass sich junge Men- hindern. Wenn alle planungs- und baurelevanten schen mit dem Thema der Energieversorgung, ei- Vorgaben erfüllt sind, kann der Bau eines Kraft- nem zentralen Thema unseres Jahrhunderts, ausein- werks nicht versagt werden. Die Grünen hätten bei andersetzen. Festzuhalten bleibt aber auch: Ange- ihrem Antrag an die Erfahrungen aus Hamburg sichts der politischen Tragweite der Energiedebatte denken müssen, wo eine grüne Umweltsenatorin bedarf es vielleicht doch anderer Quellen und Be- nun den Bau eines Kohlekraftwerks nach Recht und zugspunkte als der Diplomarbeit einer einzelnen Gesetz genehmigen muss, und das ist auch so in Studentin. Ordnung. (Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Die Landesregierung nun zu bitten, auf den Inve- Wolfgang Kubicki [FDP]) stor dahingehend einzuwirken, dass die Planungen Von dem betreuenden Professor hätte ich zudem ei- zum Neubau der Kohlekraftwerke eingestellt wer- ne fundiertere Betrachtungsweise erwartet. Denn, den, falls sich dies wirtschaftlich nicht tragen sollte, meine Damen und Herren, die These der Arbeit be- ist kein Hinderungsgrund. Dies ist eine Entschei- ruht - das muss ich leider in aller Deutlichkeit sagen dung, die der Investor treffen muss. - auf unrealistischen Annahmen. Die in Brunsbüttel (Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja!) geplanten Kohlekraftwerke sind im Rahmen be- stimmter Annahmen hinsichtlich der Investition, Ich glaube, dass mögliche Bedenken gegen ein hinsichtlich der Betriebs- und Reparaturkosten, hin- Kohlekraftwerk vom Investor im Vorfeld entspre- sichtlich der Anlagenverfügbarkeit sowie hinsicht- chend abgeklärt werden. Was bleibt, ist die Tatsa- lich der Stromerlöse eindeutig wirtschaftlich. che, dass wir ein Übergangs- und Ausstiegskonzept brauchen. Insoweit sind wir wegen der Handlungs- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Sonst würden sie unfähigkeit der Großen Koalition keinen Schritt nicht gebaut werden!) weitergekommen, und das schadet dem Klima mehr Andernfalls wäre wohl kein Investor bereit, das als alles andere. milliardenschwere Investitions- und Betriebsrisiko (Beifall beim SSW - Jürgen Weber [SPD]: zu übernehmen. Für den letzten Satz hätte ich geklatscht!) (Beifall bei CDU und FDP) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Ich persönlich kann die Wirtschaftlichkeit bestäti- gen, da ich in meiner früheren Funktion jeweils ein Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Kohlekraftwerk und ein Müllkraftwerk geplant ha- Für die Landesregierung hat nun der Herr Wirt- be. Ich bin gern zu Unterrichtungen privatissime schaftsminister Dr. Werner Marnette das Wort. bereit. Ich habe die Sorge, dass die angesprochene Di- Dr. Werner Marnette, Minister für Wissenschaft, plomarbeit lediglich als willkommener Vorwand Wirtschaft und Verkehr: genommen wird, um über eine Diskussion um Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Netzkapazitäten die Kraftwerke in Brunsbüttel aus- Damen und Herren! Wir reden über eine Diplomar- zubremsen und die Investoren zu verunsichern. beit, die zu dem Ergebnis kommt, die Netzkapazi- (Vereinzelter Beifall bei der CDU) täten seien für Strom aus den Kohlekraftwerken und Windenergieanlagen in Brunsbüttel nicht aus- Eine ähnliche Strategie wie in Hamburg ist hier reichend ausgebaut, und dies werde die Wirtschaft- deutlich zu erkennen. Ich erinnere daran, dass es lichkeit der Kohlekraftwerke verhindern. die klare Absicht der Grünen in Hamburg ist, das Kraftwerk Moorburg über den Hebel eines Wärme- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7457

(Minister Dr. Werner Marnette) lastplans und damit auch über reduzierte Betriebs- büttel geplant werden, mit Wirkungsgraden von zeiten wirtschaftlich zu gefährden. In eine solche über 45 %, tragen bereits heute in erheblichem Um- Situation dürfen wir in Brunsbüttel nicht kommen. fang zur CO2-Vermeidung bei. Ich würde mir wün- Sonst stehen wir nachher ohne eine Investition da. schen, dass vergleichbare Kraftwerke in China oder in anderen Regionen der Welt gebaut würden. (Beifall bei CDU und FDP) (Lebhafter Beifall bei CDU und FDP) Das muss ein ganz klares Signal sein. Eine Betrach- tung der Investitionskosten im Verhältnis zu den Ich plädiere für Strom aus Kohle immer dort, wo geschaffenen Arbeitsplätzen, wie sie heute Morgen die Kohleversorgung logistisch und umweltmäßig angestellt wurde, erscheint darüber hinaus wenig besonders günstig und langfristig gesichert ist. Dies sinnvoll und ist in ihrer Konsequenz einfach zu ist in Brunsbüttel eindeutig der Fall. kurz gesprungen. Man muss natürlich die großen Meine Damen und Herren, die erneuerbaren volkswirtschaftlichen Effekte eines Kraftwerks be- Energien werden und müssen einen wachsenden rücksichtigen, die durch eine hohe Zahl an in der Beitrag zur Stromversorgung leisten. Die Substitu- Wirtschaft indirekt Beschäftigten und auch zum tionspotenziale müssen aber kritisch bewertet und Nutzen unserer Bürgerinnen und Bürger erzielt die Umweltauswirkungen müssen ganzheitlich er- werden. fasst werden. Beim Ausbau der erneuerbaren Ener- (Beifall bei der CDU) gien sind jedenfalls auch wirtschaftliche Aspekte und vor allem die Wettbewerbsfähigkeit des deut- Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir wegen schen Energiemarktes zu berücksichtigen. der Bedeutung des Themas noch einige generelle Anmerkungen. Schleswig-Holstein - dafür stehe auch ich - defi- niert die Windenergie als Leitenergie in einem zu- Durch den Ausstieg aus der Kernenergie und die al- kunftsfähigen Energiemix. tersbedingte Stilllegung von Kohlekraftwerken lau- fen wir ab Mitte des nächsten Jahrzehnts - ich bin (Beifall bei der CDU) bereit, das zu belegen - sehenden Auges in eine Im Jahr 2007 wurden in Schleswig-Holstein Stromversorgungslücke, auch in Schleswig-Hol- 5,2 TWh Windstrom erzeugt. Dies entspricht bei ei- stein. ner installierten Leistung von circa 2.500 MW rech- (Beifall bei der CDU) nerisch knapp 40 % des schleswig-holsteinischen Stromverbrauchs. Die Tendenz ist Gott sei Dank Hieran wird auch das sehr erfolgreiche Bemühen steigend. um Energieeinsparung nichts ändern. Ein weiterer dramatischer Anstieg der Strompreise ist längst Leider erreichen wir trotz vergleichsweise günstiger vorprogrammiert. Windbedingungen in Schleswig-Holstein zurzeit nur 2.000 Volllaststunden. Ich erinnere daran: Das (Konrad Nabel [SPD]: Lesen Sie bei Ihrem Jahr hat 8.760. Durch Repowering unserer Anla- Vorgänger nach!) gen kann diese Windausnutzung auf vielleicht rund Das Stromangebot wird sich verknappen, und als 2.400 Volllaststunden erweitert werden. Der weite- Ersatz für die wegfallende klimafreundliche Kern- re Ausbau der Windenergie setzt allerdings eine er- energie müssen für die fossile Stromerzeugung hebliche Ausweitung unserer Netzkapazitäten vor- Emissionszertifikate zugekauft werden. Daher muss aus. Das müssen wir einfach sehen. der Gefahr entgegengetreten werden, dass sich der (Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- Emissionshandel zum Strompreistreiber und zur fall des Abgeordneten Lars Harms [SSW]) Hürde für den Neubau von Kohlekraftwerken ent- wickelt. Andernfalls ist die Versorgungssicherheit nicht mehr zu gewährleisten beziehungsweise neue (Beifall bei der CDU - Detlef Matthiessen Grund- und Mittellastkraftwerke müssten, wie in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Emissi- der Studie unterstellt, in ihrer Leistung windstrom- onshandel abschaffen, aha!) abhängig reduziert werden. Ein beachtlicher Teil der Treibhausgase entsteht Ich möchte auch noch daran erinnern, dass jedes zweifellos bei der Energieerzeugung. Deshalb muss Windrad ein Schattenkraftwerk benötigt; sonst nach Wegen zur Vermeidung von Emissionen ge- funktioniert es nicht. Das muss in die Bilanz mit sucht werden. Moderne Kohlekraftwerke, wie sie in eingebracht werden. Deutschland betrieben beziehungsweise für Bruns- 7458 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Minister Dr. Werner Marnette)

(Beifall bei CDU und FDP) Herr Minister, auf das, was Sie zur Energiepolitik gesagt haben, antworte ich: Die Frage von Versor- Man muss auch einmal über Zahlen reden. Aktuell gungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaverträg- ist in Brunsbüttel eine Netzkapazität von lichkeit, dieser Dreiklang, muss erreicht werden. 4.800 MW vorhanden. Diese Kapazität ist für die Wenn man die Ansicht hätte, Dinge seien völlig un- zusätzliche Stromerzeugung aus den geplanten realistisch, dann wäre man 1988 bei 0,05 % Wind- Kohlekraftwerken und aus den durch Repowering energieanteil an der Energieversorgung niemals erweiterten Windanlagen ausreichend. Ein weiterer auf die Idee gekommen, man könnte das erreichen, Ausbau auf 6.300 MW beziehungsweise 7.100 MW was wir in Schleswig-Holstein heute schon fast er- ist technisch möglich. Sofern nennenswerte Offsho- reicht haben, nämlich annähernd 40 %. Das hat mit re-Leistungen mittelfristig installiert würden, müs- politischer Tatkraft und Handlungsfähigkeit zu tun. sten die Einspeisepunkte und Netze entsprechend angepasst werden, da dann Leistungsspitzen von bis (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE zu 13.000 MW abgenommen werden müssten. Dies GRÜNEN) erscheint allerdings aus heutiger Sicht wenig reali- Bei der Kohlekraft ist es so, dass die Frage der stisch. Die Diplomarbeit der Universität Flensburg Wirtschaftlichkeit auch ein bisschen mit dem The- unterstellt sogar, dass bis zum Jahr 2020 alle ge- ma Netze zusammenhängt. Das haben Sie ange- planten Offshore-Parks in einer Gesamtleistung von sprochen, Herr Minister. Das Problem mit den Net- 11.000 MW am Netz sein werden. Ich würde mir zen ist nur, dass die großen Betreiber überhaupt das wünschen, aber es erscheint aus heutiger Sicht kein Interesse haben, eine bestimmte Form von wenig realistisch. Strom in die Netze zu leiten. Ich fürchte, wir wer- Bei allem Respekt: Auch dieser Punkt belegt, dass den uns mit der Frage beschäftigen müssen, ob wir eine Diplomarbeit wohl nur bedingt geeignet ist, nicht mehr öffentlichen Zugriff auf die Netze brau- Maßstab und Wegweiser für eine energiepolitische chen, damit sich da etwas verändert. Weichenstellung zu sein. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Im Übrigen habe ich dem Herrn Professor angebo- NEN und SSW) ten, dass wir in eine faire und sachliche Diskussion Ein letzter Punkt, den Sie angesprochen haben: Bei eintreten. Er hat dieses Angebot bis heute nicht an- Atomenergie fügen Sie immer die Adjektive um- genommen. weltfreundlich oder klimaverträglich hinzu. Das ist (Lebhafter Beifall bei CDU und FDP - Zuru- die Atomenergie mitnichten. Sie ist gefährlich, sie fe von der CDU: Unglaublich!) produziert jahrtausendelang strahlenden Atommüll. Nicht einmal bei Leichtstrahlen kriegen wir das or- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: dentlich hin. Sie hinterlässt den Nachfolgegenera- tionen Dinge, die wir nicht hinterlassen dürfen. Sie Für die Fraktionen sind neue Redezeiten entstan- ist irrsinnig teuer, und sie ist gefährlich, sie ist nicht den: 3,5 Minuten. Das Wort hat zunächst der Herr verantwortbar. Deswegen werden wir sie auch nicht Abgeordnete Dr. Ralf Stegner. fortsetzen. Auch noch so häufige Forderungen nach Verlängerung der Restlaufzeiten werden bei der Dr. Ralf Stegner [SPD]: Sozialdemokratie keine Zustimmung finden. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren! Es gibt sehr vieles in dem Beitrag des Wirt- NEN und SSW) schaftsministers, dem man zustimmen kann, es gibt aber auch ein paar Punkte, die noch einmal einen Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Debattenbeitrag verdienen. Sie haben recht, dass Diplomarbeiten nicht der Ausgangspunkt für Politik Das Wort für einen weiteren Beitrag hat Herr Ab- sind, obwohl sie manchmal klüger sind als das, was geordneter Detlef Matthiessen. darüber gesagt wird. Professor Hohmeyer ist einer der weltweit anerkannten Experten in diesem Feld, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der - so glaube ich - eher unterschätzt wird und des- NEN]: sen Prognosen sich als richtiger erweisen als man- Frau Präsidentin! Das Gutachten wollte ich doch ches andere. noch einmal - - (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7459

(Detlef Matthiessen)

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Vorlesen! - Hei- sprochen, dass die Diplomarbeit auf das Mo- terkeit) ratorium, das in Kiel beschlossen war, einge- gangen ist. Können Sie mir bestätigen, dass Vom Titel her war es Ihnen nicht bekannt, aber es kurz vor der Kommunalwahl die im Rat der stehen unter „Betreuung“ zwei Professoren. Wenn Stadt vertretenen Parteien - also auch die hier gesagt wird, das sei das geistige Minuswerk ei- Grünen - diesem Moratorium zugestimmt ha- ner Studentin, möchte ich mich doch etwas schüt- ben und dass sie dies nach der Kommunal- zend vor wissenschaftliche Regularien unserer Uni- wahl grundlos aufgekündigt haben? versitäten stellen. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki NEN]: [FDP]) Ja, es gibt den deutschen Spruch: Das Bessere ist Herr Ritzek, so kompliziert ist die Arbeit nicht. Ich der Feind des Guten. Jedoch handelte es sich hier habe noch einmal nachgelesen: An acht Stellen sind nicht einmal um etwas Gutes. Formeln, die fast selbsterklärend sind. Ansonsten kann ich Ihnen da auch helfen. Es geht einfach um (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki die Höhe von Windkraftmühlen und darum, dass [FDP]) sie in größerer Höhe mehr produzieren. Das kann Die Mehrheit, an der Sie in Kiel leider nicht mehr man auch - wenn man die Formel nicht begreift - beteiligt sind, zumindest in dieser Einfachheit nachvollziehen. (Zuruf: Was heißt hier „leider“!) Herr Minister, Sie sagten, es sei nur eine Diplomar- beit. Zumindest vom Begründungszusammenhang hat sich entschieden, die Energie in der Stadt Kiel ist sie jedoch identisch mit dem Gutachten des auf andere Weise bereitzustellen, als durch den Zu- Öko-Instituts und eines renommierten Wirtschafts- bau eines großen Kohlekraftwerks. Dieses Kraft- forschungsinstituts, in Auftrag gegeben durch die werk war im Hinblick auf Kraft-Wärme-Kopp- Stadtwerke Kiel. Bei diesem Kraftwerk ist der Be- lung viel zu groß dimensioniert. Wir haben uns gründungszusammenhang, warum hier ein Morato- schon einmal darüber unterhalten. Sie erinnern viel- rium von fünf Jahren empfohlen wurde, der glei- leicht die Heiterkeit hier im Hause, die meine che, der aus der Diplomarbeit hervorgeht: Wir ha- Nachfrage diesbezüglich bei Ihnen ausgelöst hatte. ben Erzeugungsarten, die rechtlich und im Übrigen Noch einmal zur Netzverstopfung durch vorrangig auch wirtschaftlich privilegiert sind. Habe ich eine geregelte Energien: Es gibt zwei, neuerdings auch Windmühle mit variablen Kosten in Höhe von null, den Kraft-Wärme-Kopplungsstrom neben dem wird sie immer Vorrang haben, auch wirtschaftlich. Strom aus erneuerbaren Energien. Ich verweise auf Ansonsten gebe ich Ihnen dazu auch gern ein Priva- die Meseberger Beschlüsse der Bundesregierung, tissimum, wie Sie angeboten haben, zum gegensei- mit denen der Anteil der Stromerzeugungsarten im tigen Austausch. Bereich KWK bis 2020 auf 25 % und der Anteil der erneuerbaren auf 30 % gesteigert werden soll. Sie Vizepräsidentin Ingrid Franzen: sollen also vervielfacht werden. Das ist beschlos- sen. Herr Matthiessen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stritzl? Zugleich erinnere ich an die CO2-Minderungsziele von 40 % beziehungsweise 80 % bis zum Jahr Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 2050. Ich verweise auch auf ein Gutachten der NEN]: Deutschen Luft- und Raumfahrt im BMU-Auftrag, welches der Minister jetzt tunlichst versteckt, aus Bitte, Herr Stritzl, es ist ja immer eine Freude mit dem hervorgeht, dass diese Minderungsziele auch Ihnen. mit dem Zubau modernster Kohlekraftwerke - wie es geplant ist - nicht annähernd erreichbar sind. Sie Vizepräsidentin Ingrid Franzen: müssen mindestens auf ein Viertel beschränkt blei- Wir stoppen die Zeit. Die Geschäftsordnung sieht ben. das vor. Es ist keine Behauptung von mir, dass die Unwirt- Thomas Stritzl [CDU]: Sehr geehrter Herr schaftlichkeit von Kohlekraftwerken droht. Um Kollege Matthiessen, Sie haben eben ange- stranded Investments in Schleswig-Holstein zu ver- meiden, wäre es gut, auf die Planer und Gemeinden 7460 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Detlef Matthiessen) zuzugehen und darauf hinzuweisen. Darauf zielt auch ein bisschen anders, als Sie sie zum Teil hier unser Antrag. darstellen. Ich darf noch einmal den Bundesumweltminister zi- (Zurufe des Abgeordneten Detlef Matthies- tieren, der zur Begründung von dramatisch gestie- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) genen Anlagepreisen, die die Energiekonzerne vor - Sie müssen sich gerade über hochnäsige und arro- Investitionen in Kraftwerke zurückschrecken lie- gante Stile auslassen, wenn ich an Ihre ausgespro- ßen, darauf verwies, dass, selbst wenn sie in Zu- chen charmante Art und Weise denke, wie Sie ver- kunft alle für die Stromproduktion benötigten CO - 2 suchen, auch junge Leute von Ihren Auffassungen Verschmutzungsrechte ersteigern müssten, der zu überzeugen. Sie sollten sich, was solche Bewer- weitere Betrieb alter, weniger effizienter Anlagen tungen angeht, wirklich sehr dezent zurückhalten. billiger wäre als der Bau neuer Kraftwerke. Das sagt der Bundesumweltminister. Lieber Kollege Matthiessen, Sie haben sich auf die Frage des Kollegen Stritzl, warum Ihre Fraktion in Vizepräsidentin Ingrid Franzen: der Kieler Ratsversammlung ohne Not das von al- len Fraktionen in der vergangenen Legislaturperi- Herr Kollege, die Zeit! ode vereinbarte Moratorium aufgekündigt hat, sehr unelegant herausgeredet. Sie haben nämlich keine Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Begründung dafür geliefert, warum das Moratori- NEN]: um aufgekündigt wurde, und vor allem haben Sie Darum will er die neuen Kraftwerke subventionie- nicht dargestellt, welche tatsächliche Alternative ren. Das ist im Moment der Stand der Dinge. Sie für den Standort Kiel haben, damit in Kiel in Zukunft weiterhin Energie erzeugt werden kann, damit die Kieler Stadtwerke nicht vor dem Problem Vizepräsidentin Ingrid Franzen: stehen wie die Lübecker Stadtwerke. Ich hätte eine Die Zeit! ordentliche Antwort auf die Frage erwartet, die der Kollege Stritzl gestellt hat. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zurufe des Abgeordneten Detlef Matthies- NEN]: sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Ritzek, bei Ihnen klang es so, dass beim Bau - Herr Kollege Matthiessen, was ich sehr spannend eines neuen Kohlekraftwerks das alte aus ordnungs- finde, ist, dass Sie in einer Zwischenfrage und in rechtlichen Gründen verschwinden müsse. Ihrem Kurzbeitrag über die noch gar nicht geflosse- nen Subventionen des Bundesumweltministers her- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: umjammern. Es war Ihre Partei, es war die Partei Herr Matthiessen, die Zeit ist abgelaufen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die mit am längsten für die Subventionierung des Abbaus von Steinkoh- le eingetreten ist. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP]) Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss und sage nur: Die Dinge sind anders, als Sie behauptet ha- Ich finde es schon mehr als merkwürdig, dass Sie ben, Herr Ritzek. sich hier auf einmal hinstellen und jegliche in Aus- sicht gestellte Subvention für den Neubau mögli- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cherweise deutlich effizienterer und klimaschonen- und des Abgeordneten Lars Harms [SSW]) derer Kraftwerke hier mit Krokodilstränen bekla- gen. Das passt irgendwie nicht zusammen. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Das Wort zu einem weiteren Beitrag hat Herr Ab- CDU) geordneter Dr. Garg. Ich habe das in meiner Rede schon gesagt: Es steht Dr. Heiner Garg [FDP]: uns nicht zu, die Güte einer wissenschaftlichen Ar- beit, gleich, ob es sich um ein Gutachten handelt, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- um eine Diplomarbeit oder um eine Dissertation, gen! Lieber Kollege Matthiessen, die Dinge sind infrage zu stellen, es sei denn, wir haben sie gelesen Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7461

(Dr. Heiner Garg) und sind in der Lage, sie zu bewerten. Ansonsten Wir haben einen Anspruch darauf, und nur darum steht uns das nicht zu. geht es, Kollege Matthiessen. Die Quintessenz dieser Arbeit ist allerdings, dass Wenn Sie sagen, dass Sie aussteigen möchten - und wir uns daran machen müssen, erstens politisch alle das war der Hintergrund des Moratoriums -, Möglichkeiten zu nutzen, um die Aufnahmekapazi- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Richtig!) täten der Netze zu erhöhen, also den Ausbau der Netze voranzutreiben. dann frage ich Sie, was die Alternative zum jetzi- gen Zustand ist. Darüber wollte man sachverständ- (Beifall bei FDP und CDU) lich miteinander reden. Wenn Sie drei Wochen vor Und zweitens - dazu gibt es Vorschläge von meiner der Wahl sagen, dass dieser oder jener Wege der Partei, von Ihrer Partei, von den beiden großen Par- richtige ist, den wir gemeinsam gehen sollten - ich teien - müssen wir endlich Ernst machen - das muss denke, Gemeinsamkeit ist in dem Bereich ein hohes vor allem auf der Bundesebene geschehen - mit der Gut, weil wir den Menschen nicht Angst machen, Trennung der Netze von den Erzeugern. Damit - sondern ihnen Sicherheit geben wollen -, dann ist und nicht mit einer Diplomarbeit, die kaum jemand das in Ordnung. Dann stellt sich allerdings die Fra- von uns gelesen hat - sollten wir uns beschäftigen. ge, warum Sie eine Woche nach der Wahl wieder aus dem Moratorium ausgestiegen sind. (Beifall bei FDP und CDU) (Beifall bei CDU und FDP) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Es kann doch nicht an Slogans liegen, die beispiels- Herr Abgeordneter Stritzl hat das Wort. weise „CO2 ist lebensgefährlich!“ lauten. (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Konrad Nabel [SPD]: Das ist wieder Kom- NEN]: Will der Kreisvorsitzende auch noch munalpolitik!) was sagen? - Konrad Nabel [SPD]: Ihr macht - Herr Kollege Nabel, es geht nicht nur um Kiel. Es hier Kommunalpolitik!) geht um Ihre grundsätzliche Haltung zur Energie- gewinnung mit Kohlekraftwerken. Sie wollen ja Thomas Stritzl [CDU]: nicht zur Kenntnis nehmen, dass zurzeit 70 % der Sie haben recht, Frau Heinold, und auch Sie, Herr Energie in Deutschland in Kern- und Kohlekraft- Fraktionsvorsitzender der SPD: Energiepolitik, die werken gewonnen werden. die Menschen betrifft, ist kommunal. Sie ist kom- Boris Palmer - Oberbürgermeister von Tübingen munal, weil sie die Wohnsitze der Menschen be- und den Grünen angehörig - sagt: Wer aus beidem trifft. Und sofern ich es richtig weiß, wohnen Sie aussteigen will, macht einen verheerenden Fehler. - nicht allzu weit entfernt von der Landeshauptstadt Herr Gabriel sagt: Aus Atom und Kohle gleichzei- Kiel. Andere wohnen mittlerweile direkt hier. tig auszusteigen, funktioniert nicht. Es bewegt die Menschen in Kiel natürlich, was auf (Dr. Heiner Garg [FDP]: Cem Özdemir Dauer - es sind immerhin 240.000 Einwohner, und auch!) das ist für Sie vielleicht eine vernachlässigbare Größe - auf sie zukommt. Diese Reflexion vermisse ich bei Ihnen. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie wirklich sofort wollen, (Zurufe von der SPD) wie Sie es hier sagen, dann müssen Sie den Men- - Sie gehen jetzt wahrscheinlich von Haustür zu schen auch sagen, welche Alternativen es gibt, da- Haustür, und dann werden Sie sicherlich viele Kie- mit wir uns über die Alternativen unterhalten kön- ler und ihre Sorgen kennenlernen. nen. Die Menschen interessiert, was in Wohnanlagen (Beifall bei CDU und FDP) passiert, die in Fernwärme eingebunden sind. Was Insofern starten Sie hier einen riesigen Feldversuch, passiert mit denen in Zukunft? Was machen Sie mit wenn Sie kompromisslos Nein zu Kohle und Nein der Wirtschaft, die berechenbare Energiepreise zu Atomkraft sagen. Sie sagen dabei nicht, was be- braucht? Was machen Sie mit einer Stadt, die einen rechenbar und belastbar an deren Stelle treten soll. städtischen Haushalt hat, der auf Zahlungen von den Stadtwerken angewiesen ist? - Diese Dividen- Dann frage ich Sie auch: Was passiert eigentlich, denzahlungen brauchen wir natürlich, beispielswei- wenn dieser Feldversuch schiefgeht? Was machen se für unsere Kindergärten, für Krippenplätze usw. Sie dann? - Und damit das nicht passiert, müssen 7462 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Thomas Stritzl)

Sie den Menschen klar und berechenbar sagen, was werk nicht will. Und Sie wissen - ich darf noch ein- Sie wollen und wofür Sie eintreten. Jetzt kommt mal daran erinnern -, dass gerade das Jahr des Kli- noch ein Stück Kommunalpolitik dazu, Herr Lan- maschutzes läuft. Noch nie ist so deutlich gewor- desvorsitzender der SPD: Sagen Sie den Menschen den, dass wir große Probleme beim Klimaschutz in Kiel: Wer aus dem Bau des Kohlegroßkraftwerks haben und dass die Pole schmelzen. am Kieler Ostufer mit einem Schornstein für Wir haben Visionen. 60.000 von 115.000 Haushalten in Kiel - das ist ei- ne immense Leistung für Kraft-Wärme-Kopplung, (Zuruf: Das glauben wir Ihnen gerne!) wie Sie mir zustimmen werden - aussteigen will, Wir haben damals gesagt: Wir werden es ohne der muss den Menschen in Kiel auch sagen, wo Atomenergie schaffen. - Das sagten wir bereits, demnächst die Blockheizkraftwerke hier in Kiel ge- baut werden sollen und in wessen Nachbarschaft (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Sie sagen nur, demnächst eines der 50 bis 70 Blockheizkraftwer- was Sie nicht wollen! Was wollen Sie denn?) ke stehen wird. Sagen Sie das den Menschen vor als Sie den RWE-Präsidenten in den 70er-Jahren der Wahl. darin unterstützt haben, 150 neue Atomkraftwerke (Beifall bei CDU und FDP) zu bauen. Dazu stand Ihre Partei, als wir schon eine Idee dafür hatten, wie es anders gehen kann. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Zurufe bei der CDU) Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich jetzt der - Dazu stand auch die CDU. Distanzieren Sie sich Frau Abgeordneten Monika Heinold das Wort. aber ruhig davon. Mir soll es nur recht sein. So läuft jetzt auch die Debatte über die Kohlekraft- Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: werke. Es ist eine Zukunftsdebatte. Es geht um die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Frage, ob wir Klimaschutz ernst nehmen oder nicht, das die Debatte der Kreisvorsitzenden ist, dann will und meine Fraktion nimmt Klimaschutz ernst. ich in nichts nachstehen. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Schön! Das ist das Herr Stritzl, ich kann verstehen, dass die CDU über Problem!) das Wahlergebnis in der Landeshauptstadt ent- Deshalb haben wir uns von diesem geplanten täuscht ist. Das ist bitter. Wir Grüne haben uns im großen Kohlkraftwerk hier in Kiel sehr schnell ver- Wahlkampf sehr eindeutig gegen den Neubau eines abschiedet. großen Kohlekraftwerkes ausgesprochen, (Günther Hildebrand [FDP]: Was gibt es (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das wirft Ihnen denn stattdessen?) auch niemand vor!) Und ob es Ihnen gefällt oder nicht: Die Bevölke- und wir haben die Wahl gewonnen. Wir haben ein rung unterstützt uns auf unserem Weg. Denn sonst super Wahlergebnis. Es gibt im Rathaus der Stadt hätte es diese Mehrheit für uns in Kiel nicht gege- Kiel eine Mehrheit dafür, dass dieses angedachte ben. Sonst hätten Sie gewonnen. Großkohlekraftwerk nicht gebaut wird. Das ist die demokratische Mehrheit, ob sie Ihnen nun passt (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - oder nicht. Thomas Stritzl [CDU]: Das war keine Ant- wort auf die Fragen!) (Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist richtig!) Was ist die Folge? - Die Folge ist, dass wir ein neu- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: es Energiekonzept brauchen; das wissen Sie, und das haben Sie auch angemahnt. Wir sind gerade da- Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr bei, dieses Konzept zu erstellen, allerdings unter Abgeordneter Ritzek. der modernen Prämisse, dass Strom und Wärme ge- nutzt werden und dass wir - da sind wir uns wahr- Manfred Ritzek [CDU]: scheinlich noch einig - keine neuen Atomkraftwer- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ke und auch keine neuen CO2-Schleudern in Kiel möchte ausdrücklich unterstützen, was Kollege brauchen. Sie wissen, dass die Problematiken der Dr. Garg gesagt hat: Es kann nicht unsere Aufgabe Nutzung von CCS nicht gelöst sind. Sie wissen, sein, die Diplomarbeit zu bewerten. Das ist aus- dass die Kieler Bevölkerung dieses riesige Kraft- schließlich die Aufgabe des Professors. Denn er hat Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7463

(Manfred Ritzek) die Diplomarbeit mit dem Titel „Auswirkungen der cher Felder - das wären 8.000 - bedeuten 40 Wind- Offshore-Windenergie auf den Betrieb von Kohl- kraftfelder von 5 x 10 km in unserer Nord- und Ost- kraftwerken in Brunsbüttel“ vergeben. Und wenn see. Da ist zu bedenken, ob das alles so einfach ist die Studentin seiner Überzeugung nach diesen Auf- und ob es hier nicht auch Risiken gibt. Ich bitte dar- trag erfüllt hat, dann ist es in Ordnung. um, nicht die Diplomarbeit zu bewerten, aber kri- tisch Stellung zu nehmen, wenn es darum geht, sol- Wenn diese Diplomarbeit allerdings die Grundlage che Anträge hier zu erörtern oder an den Ausschuss für die Entscheidung darüber sein soll, ob eine In- zu überweisen. vestition getätigt wird oder nicht, dann müssen wir tiefer in die Materie einsteigen und auch schauen, (Vereinzelter Beifall bei der CDU) welche Aspekte in dieser Diplomarbeit vielleicht nicht behandelt werden. Ich hatte in meiner Rede Vizepräsidentin Ingrid Franzen: bereits gesagt, dass Aussagen über die Risiken von Windanlangen fehlen, und es fehlen Ausführungen Herr Ritzek, gestatten Sie eine Frage des Herrn Ab- zu den Chancen von Kohlekraftwerken. geordneten Dr. Garg? - Es ist möglich; die Zeit wird nicht angerechnet. Kollege Matthiessen, es ist in der Tat so: Die 453 Millionen t sind die maximale Grenze dessen, Manfred Ritzek [CDU]: was ab dem Jahr 2008 an CO2 emittiert werden darf. Darüber geht nichts. Das ist eine Vorgabe der Ich kann Sie schlecht verstehen. - Ja, wenn Sie Europäischen Union, und daher unterliegen auch deutlich sprechen. andere Länder entsprechenden Vorgaben. Firmen, (Heiterkeit und Zurufe) die unter diesem Wert liegen, können ihre Zertifi- kate verkaufen. Firmen, die über diesem Wert lie- Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich bemühe mich, gen, müssen diese Zertifikate kaufen. Ich gebe Ih- deutlich zu sprechen, Herr Kollege Ritzek. nen gerne die Rede von Herrn Gabriel, (Heiterkeit) (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE Ich frage Sie, ob Sie mit mir einig darin sind, GRÜNEN]: Die habe ich!) dass man in einer Diplomarbeit, die auch ei- damit Sie es nachlesen können. Sie hätten auch zu ne wissenschaftliche Arbeit ist, eine These diesem Symposium kommen können, aber viel- aufstellen kann, völlig unabhängig davon, ob leicht befürchteten Sie, dass das, was da gesagt man dieser These zustimmt, und dass man wird, nicht so in Ihren Kram passt. mit dieser These arbeiten und entsprechende Schlüsse ziehen kann? Um nichts anderes Insofern, meine Damen und Herren, möchte ich Sie handelt es sich bei dem von Ihnen erwähnten auf einige Risiken von Windkraftanlagen hinwei- Tatbestand im Bezug auf die Windkraftanla- sen. Wir alle hier im Haus möchten den Anteil der gen. Windkraftenergie erhöhen; das ist gar keine Frage, und darauf hat auch der Minister hingewiesen. Al- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: lerdings hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers gerade erst am 4. Dezem- Es muss eine Frage sein. ber 2008 die Risiken betont. Welches sind denn die Dr. Heiner Garg [FDP]: Die Frage lautete: Risiken, die zu Verzögerungen bei der Windkraft- Stimmen Sie mir zu - - anlagenerstellung führen? - Unwägbarkeiten bei der Anlagentechnologie, bei der Anbindung an - Ja, ich habe es gehört. Stromnetze, bei der Anlagenbewertung, Betriebs- ausfälle mangels Erreichbarkeit zwecks Wartungs- Manfred Ritzek [CDU]: arbeiten bei schlechtem Wetter und starkem See- Lieber Herr Kollege Dr. Garg, ich habe Sie zu Be- gang. ginn meines Dreiminutenbeitrages gelobt ob Ihrer Meine Damen und Herren, in der Diplomarbeit Aussage zur Bewertung der Diplomarbeit. steht irgendwo im letzten Drittel folgender Drei- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das wollte er nur oder Vierzeiler: Ich gehe davon aus, dass gut 8.000 noch einmal hören!) Windkraftanlagen gebaut werden, und ich gehe da- von aus, dass diese eine Leistung von 5.000 MW Ich stimme Ihnen voll zu. Schade, Sie waren leider haben werden. Ein Feld mit 200 Anlagen à 5 MW draußen. Wenn Sie hier gewesen wären, hätten Sie bedeutet eine Ausdehnung von 5 x 10 km, 40 sol- diese Frage gar nicht zu stellen brauchen. 7464 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Manfred Ritzek)

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und FDP) Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Kollege Matt- hiessen, sind Sie mit mir einer Meinung, dass Vizepräsidentin Ingrid Franzen: es, auch wenn Sie hier Ihr Konzept ausbrei- ten, trotzdem sinnvoll gewesen wäre, das Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Moratorium einzuhalten, dass beispielsweise Herr Abgeordnete Matthiessen. ein Gas- und Turbinenkraftwerk, wie wir es vorgeschlagen haben, im Zeichen sich än- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dernder Rohstoffpreise, im Zeichen sich än- NEN]: dernder Technologien eine Alternative gewe- Herr Kollege Stritzl, Sie und der Herr Fraktionsvor- sen wäre? sitzende fragten: Wie soll es denn in Kiel weiterge- - Ich weiß nicht, ob Ihre Vorstellung jetzt ausge- hen? Sie haben suggeriert, würde das Großkraft- schlossen ist. Ich glaube, es ist möglich, dort even- werk nicht gebaut werden, würden die Kieler erfrie- tuell einen kleiner dimensionierten Ersatzbau auf ren. So ungefähr muss ich Ihre Aussagen interpre- Gasbasis zu machen. Das ist durch die Beschlüsse tieren. In Kiel haben wir Heizwerke. Wir haben ei- nicht ausgeschlossen. Es gibt nur einen B-Plan, der ne Müllverbrennungsanlage und andere Erzeu- dem entgegensteht. gungsanlagen. Wir haben 800 MW thermische Leistung im Netz. Das ist ein Vielfaches dessen, Herr Minister, Sie haben suggeriert, dass für eine was die Heizspitze der Stadt Kiel darstellt. Windkraftanlage ein Schattenkraftwerk aus Kohle errichtet werden muss. Ich habe das so ver- Als bei meiner Zwischenfrage so gelacht wurde - standen; sie haben es nicht differenziert gesagt. Sie was man vielleicht auch nicht immer tun muss -, haben gesagt, es müsse ein Schattenkraftwerk mit war Folgendes gemeint: Das Kohlekraftwerk, das der gleichen Leistung bestehen. Dafür bitte ich um da jetzt steht, deckt mit seiner Wärmeabgabe Wir- einen Beleg. Zurzeit ist es wie folgt. Mit einem kungsgrade von 60 % überhaupt nicht ab. Das Ver- auch räumlichen Ausbau der erneuerbaren Energien hältnis von Stromproduktion und Wärmeabkopp- wird die notwendige Schattenkapazität immer ge- lung stimmt nicht. Die Stromproduktion müsste viel ringer. Sie liegt heute bei - ich meine - 12 %. Ich kleiner sein. Dann könnte ich auf Wirkungsgrade verdränge also durch 1 GW erneuerbare Energie von 80 bis 90 % kommen. Würde man hier ein viel 88 MW konventionelle Leistungen. Das wird sich größeres Kohlekraftwerk bauen als das, was jetzt so fortsetzen. dort steht, hat das überhaupt nichts mit Kiel zu tun, sondern mit einem internationalen Stromhandel. Der Weg in die Energiezukunft geht über die groß- Dann brauchen wir eine 380-kV-Leitung nach Neu- räumige Erschließung regenerativer Potenziale münster und so weiter. mit großen Netzen. Das ist ein Weg, der uns im Er- gebnis - so sagen die wissenschaftlichen Studien - Was sich Sozialdemokraten und die Grünen hier in wesentlich billiger kommt als der „atomfossile“ Kiel vorgenommen haben, ist ein dezentrales Kon- Pfad. zept zur Versorgung, zum Beispiel mit Objekt- KWK im Außenbereich, wo nicht mit Fernwärme (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) versorgt wird. Diese Dinge werden jetzt abgearbei- tet. Präsident Martin Kayenburg: (Zuruf) Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete - Die Stadtwerke reden von 20 MW elektrisch. Das Konrad Nabel das Wort. wären etwa 40 MW thermisch. Konrad Nabel [SPD]: Präsident Martin Kayenburg: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Herr Kollege Matthiessen, gestatten Sie eine Zwi- Stritzl, es wäre schön, wenn Sie die Kieler Politik schenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Heiner wieder in der Ratsversammlung machten. Die alter- Garg? nativen Vorstellungen der CDU dort kenne ich noch nicht. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich habe mich eigentlich nur gemeldet, weil der Kollege Ritzek und der Kollege Stritzl gesagt ha- Ja, gern. - Das ist eine heiße Debatte hier. ben, wir hätten keine Alternativen vorgestellt. Das Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7465

(Konrad Nabel) stimmt nicht. Ausweislich des Protokolls verschie- Kopplung? Sie kommen dann mit CCS, meine Da- dener Debatten zu diesem Thema haben wir darge- men und Herren. Es gibt noch nichts. Null. stellt, dass wir uns für Kombikraftwerke einset- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zen, dass wir uns dafür einsetzen, Kraftwerke in und SSW) kleinerem Maßstab in Kraft-Wärme-Kopplung zu errichten - auch mit Kohle -, dass wir uns dafür ein- 2020 vielleicht, 2030 wahrscheinlich. Aber bis da- setzen, Gaskraftwerke einzusetzen, weil diese hin ist der Weg noch sehr weit. Bis dahin haben wir einen höheren Wirkungsgrad und geringere Errich- die Emissionen von 173 Millionen t, von denen Sie tungskosten und eine kürzere Laufzeit haben. sprachen. Damit bin ich beim eigentlichen Punkt. In der gan- Meine Damen und Herren, wir vergessen die Effizi- zen Diskussion - auch von Ihnen, Herr Minister - enz. Professor Jochem hat auf einer Veranstaltung wurde vorgetragen - Herr Marnette, ich hätte gern in der Kunsthalle zum diesjährigen parlamentari- Ihre Aufmerksamkeit: - schen Abend deutlich gemacht, dass die Betriebe - die Wirtschaft - inzwischen erkannt haben, dass Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, bis 2050 sie eine jährliche Effizienzsteigerung von 7 % bei CO um 80 % zu reduzieren. 2 Energie hinkriegen, sowohl was elektrische Energie (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - als auch was Wärme angeht, und dass sich das für Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE sie rechnet. GRÜNEN]: Das hat doch Konsequenzen!) Wir haben uns als politisches Ziel 3 % Effizienz- Wenn Sie diese Investitionen in Kohlekraftwerke - steigerung pro Jahr gesetzt. Nehmen Sie das und egal, ob es 27, 16, 9 oder 30 sind - nehmen, wissen zählen Sie das höchste Potential, das wir überhaupt Sie alle: Pi mal Daumen 40 Jahre Laufzeit. Wir ge- haben, hinzu, nämlich das Sparen von Energie. Ich hen einmal von einer Planung und Bauzeit von fünf bin davon überzeugt, dass wir dann zwischen 40 bis zehn Jahren aus. Dann sind Sie weit über 2050 und 60 % liegen. mit dem von Ihnen beschriebenen Szenario, was Viele sagen, man könne etwa die Hälfte der heute den CO -Ausstoß angeht. Bitte, Sie müssen das bis 2 verbrauchten Energie einsparen. Wenn Sie alles zu- 2050 um 80 % reduzieren. Das schaffen Sie nicht. sammennehmen und dann sagen, wir hätten keine (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alternativen vorgestellt, dann weiß ich nicht, wo wir hier sind. Das ist der entscheidende Punkt, um den es heute geht. Wir können es ertragen, morgen, übermorgen Ein letzter Punkt! und vielleicht auch noch in drei oder fünf Jahren Kohle in der jetzigen Form zu verfeuern, aber nicht Präsident Martin Kayenburg: mehr in 40 Jahren. Das dürfen wir uns nicht mehr erlauben, das können wir uns nicht mehr erlauben, Kein letzter Punkt, Herr Kollege Nabel, Ihre Rede- und wir werden es uns nicht mehr erlauben. Da zeit ist abgelaufen. werden alle hinkommen. Konrad Nabel [SPD]: Ich nenne ein kleines Beispiel. Das Kraftwerk We- del, 200 MW, Wirkungsgrad 86 %, wird jetzt ir- Ich bin sofort am Ende, Herr Präsident. Ich hatte gendwann stillgelegt, weil in Hamburg das Kraft- mich eigentlich zu einer persönlichen Bemerkung werk Moorburg gebaut wird. Das ist zwar Ham- gemeldet. Eigentlich wollte ich inhaltlich nichts sa- burg, aber vergleichbare Situationen gibt es auch gen. woanders. Herr Ritzek, als Sie die Arbeit der Studentin als (Zuruf) Nichtuntersuchung abqualifiziert haben, habe ich die - zugegebenermaßen auch etwas unqualifizierte - 86 % Wirkungsgrad in Wedel. Das ist so. - Moor- - Bemerkung gemacht, das sei ja nur eine Frau. Ich burg wird, je nach Auskopplung der Wärme, zwi- dachte, das wäre Ironie. Mein Chef hat mir aber schen 56 und 60 % haben. Genau das ist ein Knack- einmal gesagt: Ironie - erst ab neunter Klasse. Das punkt bei der Abschaltung von alten Kraftwerken scheint hier nicht angekommen zu sein. Ich möchte und dem Anschalten von neuen Kraftwerken. Be- mich dafür entschuldigen. trachtet werden müssen immer die Fragen: Was können wir auskoppeln? Wie ist die Kraft-Wärme- (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW) 7466 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

Präsident Martin Kayenburg: gendlichen ist voll auszuschöpfen und wei- terzuentwickeln. Vielen Dank für die Klarstellung, Herr Kollege Na- bel. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich 4. Verfahren gegen straffällig gewordene Ju- schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den gendliche sind schnell und konsequent einzu- Antrag Drucksache 16/2351 federführend an den leiten und durchzuführen. Deshalb soll das Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Um- ‚Vorrangige Jugendverfahren’ landesweit an- welt- und Agrarausschuss zu überweisen. Wer so gewendet werden.“ beschließen will, den bitte ich um sein Handzei- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Todesstrafe!) chen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist bei zwei Enthaltungen so beschlossen. - Herr Präsident, ich glaube, da war fast ein Ord- nungsruf für den Kollegen Kubicki fällig! Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 auf: „Eine angemessene Ausstattung von Justiz und Polizei verringert die Dauer von Straf- Entschließung zum Jugendstrafrecht verfahren. Antrag der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE 5. Ausreichend Personal beziehungsweise ei- GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW ne entsprechende Förderung im Bereich des Drucksache 16/1816 (neu) Jugendstrafvollzugs, der Bewährungshilfe Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und und bei freien Trägern ist die Voraussetzung Rechtsausschusses für die Resozialisierung von jugendlichen Drucksache 16/2356 Straftätern und für einen geordneten Über- gang von der Haft in die Freiheit. Der Ich erteile dem Berichterstatter des Innen- und Schleswig-Holsteinische Landtag begrüßt in Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Werner diesem Zusammenhang die im Haushaltsent- Kalinka, das Wort. wurf 2009/2010 vorgenommenen Weichen- stellungen.“ Werner Kalinka [CDU]: Präsident Martin Kayenburg: Herr Präsident! Wir haben den Antrag der Fraktio- nen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es der Abgeordneten des SSW am 30. Januar 2008 Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der überwiesen bekommen. Wir haben uns in mehreren Fall. Sitzungen mit dem Thema beschäftigt und eine Eine Bemerkung zu dem Zwischenruf und einem schriftliche Anhörung durchgeführt. Zuletzt haben eventuellen Ordnungsruf: Das missbilligende Kopf- wir am 3. Dezember 2008 noch einmal beraten. schütteln des Präsidiums ist - so glaube ich - gese- Mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die hen worden. Insofern erübrigt sich ein Ordnungs- Stimmen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ruf. NEN empfehlen wir dem Landtag die Annahme des Auf der Tribüne darf ich ganz herzlich Mitglieder Antrags in der folgenden geänderten Fassung: des Sozialverbandes Deutschland aus dem Ortsver- „1. Das derzeit geltende Jugendstrafrecht bie- band Lohe-Rickelsdorf in Dithmarschen begrüßen. tet weitreichende Möglichkeiten, um der Ju- - Seien Sie uns ganz herzlich willkommen! gendkriminalität zu begegnen. (Beifall) 2. Die ambulanten Familienhilfen, die Schul- Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der sozialarbeit sowie die Förderung der Integra- CDU hat Herr Abgeordneter Peter Lehnert das tion von Migranten sind geeignete Maßnah- Wort. men zur Vorbeugung von Jugendgewaltkri- minalität. Peter Lehnert [CDU]: 3. Bei Intensiv- und Mehrfachtäterinnen und Mehrfachtätern ist eine frühzeitige verbindli- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! che Intervention notwendig. Das bestehende Jugendgewalt in Deutschland ist ein gesellschaftli- differenzierte Angebot für die intensive und ches Problem, für das es keine Patentlösungen gibt. umfassende Betreuung dieser Kinder und Ju- Eine Politik des Verschweigens, des Verharmlosens und der Tabuisierung würde mögliche Lösungsan- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7467

(Peter Lehnert) sätze allerdings verhindern. Wir müssen zur Kennt- gendlichen aufwachsen und sich bewegen, zusam- nis nehmen, dass sich die Lebenswirklichkeit in un- menhängen. serem Land verändert hat. Bürger meiden aus Die Schwierigkeiten im Bereich der sozialen Rah- Angst vor Jugendgewalt zunehmend öffentliche menbedingungen erklären vieles, dürfen aber nicht Verkehrsmittel und bestimmte Bereiche. Das dür- als pauschale Entschuldigung herangezogen wer- fen wir nicht länger hinnehmen. den. Für die Tat und ihre Folgen ist vor allen Din- Rechtsfreie Räume darf es in Deutschland nicht gen der Täter selbst verantwortlich. Der erfolgrei- geben. Die Menschen erwarten mit Recht, dass der chen Verhinderung von Gewaltkriminalität durch Staat alles daran setzt, seine Bürger entschlossen eine systematische und umfassende Präventionsar- und erfolgreich vor kriminellen Übergriffen zu beit kommt daher eine maßgebliche Bedeutung zu. schützen. Vorrangig müssen alle Maßnahmen, die Eine flächendeckende Fortführung bewährter Pro- den Schutz potentieller Opfer von Straftaten zum gramme muss systematisch verfolgt werden. Er- Ziel haben, umgesetzt werden. Dabei ist es hilf- folgreiche Prävention setzt allerdings voraus, dass reich, einen Blick auf die Ausgangslage zu werfen: Probleme erkannt und benannt werden. Wir müssen Gefährliche und schwere Körperverletzungsdelikte wissen, wo besondere Präventionsanstrengungen bei Jugendlichen in Schleswig-Holstein sind in den erforderlich sind. Die Benennung der Täter und be- letzten zehn Jahren um 100 % gestiegen. Nach Aus- sonders problematischer Milieus einschließlich der kunft des Innenministeriums gibt es zurzeit landes- Herkunft darf deshalb nicht länger tabuisiert wer- weit 750 jugendliche Mehrfach- und Intensivtäter. den. Die jugendlichen Täter werden immer brutaler, Wir müssen jugendlichen Tätern klare Grenzen set- wie der Fall zweier Jugendlicher aus Neumünster zen und durch rasche und konsequente Reaktionen zeigt, die unlängst den Unterricht der Pestalozzi- den gesetzlichen Vorgaben mehr Geltung als bisher Schule in Neumünster stürmten, die Lehrerin in verschaffen. Die Sanktion muss der Tat auf dem Schach hielten und einen 13-Jährigen Schüler im Fuße folgen. Nur eine rasche und konsequente Re- Klassenraum vor allen Mitschülern so brutal aktion auf die Straftat beeindruckt jugendliche Tä- misshandelten, dass er mit doppeltem Kieferbruch ter. Urteile müssen deshalb schnellstmöglich erge- im Krankenhaus behandelt werden musste. Dies hat hen, um Wirkung zu erzielen. Die verhängten Sank- dazu geführt, dass mehrere Schulklassen nur noch tionen müssen spürbar sein. Eine Staatsgewalt, die bei verschlossenem Klassenraum unterrichtet wer- auch schwere Gewaltdelikte lediglich mit Weisun- den. Außerdem wurde bekannt, dass die Staatsan- gen, Verwarnungen und Auflagen ahndet, weitere waltschaft vor dem Vorfall einen Haftbefehl gegen Reaktionen aber zumeist ausklammert, wird von den Haupttäter beantragt hatte, der jedoch nicht er- vielen jugendlichen Tätern nicht ernst genommen. lassen wurde. Warum dies nicht geschehen ist, soll- Konfliktlösung ohne Gewalt müssen bestimmte ju- ten wir noch einmal einer eingehenden Prüfung un- gendliche Straftäter frühzeitig lernen, nicht erst terziehen. nach einer langen kriminellen Karriere. Dafür soll- Diese Beispiele machen eindringlich deutlich, dass ten wir zusammen mit Fachleuten weitere Maßnah- dringender Handlungsbedarf besteht. Nur mit ei- men diskutieren und im norddeutschen Verbund nem differenzierten Maßnahmenkatalog kann das umsetzen. Insbesondere mit Hamburg gilt es, Ge- Problem der Jugendgewalt aktiv angepackt werden. spräche über die Einführung von Jugendeinrich- Damit der Staat seine Bürger wirksam vor Über- tungen offener und geschlossener Art zu führen. So griffen schützen kann, müssen präventive und re- erleben Jugendliche vielfach erstmals einen Alltag pressive Maßnahmen ergriffen werden, die sich mit fester Struktur und Respekt vor anderen. Der nicht ausschließen, sondern die sich sinnvoll ergän- Staat kann nur dann von Bürgern Zivilcourage und zen. Den Blick nur auf die Prävention zu richten, Einsatz fordern, wenn er selbst entschlossen genug ist hingegen der falsche Weg, denn es gibt keine gegen jugendliche Gewalttäter vorgeht. Erfolgsgarantie; insbesondere dann nicht, wenn Be- Jugendliche und heranwachsende Straftäter spüren troffene und ihre Familien für vorbeugende Maß- heute häufig erst nach einer Vielzahl sehr milder nahmen nicht zugänglich sind. Die Ursachen für Sanktionen die Härte des Gesetzes. Bei Serien- Kinder- und Jugendkriminalität sind so vielfältig und Intensivtätern verfehlen die uns derzeit zur wie wir Menschen selbst. Dennoch sind einige im- Verfügung stehenden Maßnahmen nicht selten ihre mer wiederkehrende Ursachenmerkmale festzustel- Wirkung. Das Instrumentarium des Jugendstraf- len, die eindeutig mit dem Milieu, in dem die Ju- rechts sollte deshalb zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger ergänzt werden. Der Staat und die gan- 7468 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Peter Lehnert) ze Gesellschaft müssen gemeinsam dafür sorgen, jungen Jahren durch Regelverstöße aufgefallen dass aus jugendlichen Ersttätern keine Mehrfach- sind. oder Intensivtäter werden. Außerdem muss den im- Wir haben in Schleswig-Holstein ein außerordent- mer schlimmer werdenden Gewaltexzessen im Be- lich differenziertes Angebot an Jugendhilfeein- reich der Jugendkriminalität entschlossener als bis- richtungen. Es gibt inzwischen gute Erfahrungen her entgegengetreten werden. in der Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und Ju- (Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka gendhilfe. Das war lange Zeit nicht selbstverständ- [CDU]) lich. Hier sind aus den Fehlern der Vergangenheit Konsequenzen gezogen worden und es sind Konse- Dazu bedarf es einer ungeschönten Analyse der be- quenzen gezogen worden aus Erkenntnissen der stehenden Problemfelder und der Überwindung Studie über das Modellprojekt, das in Lübeck und ideologischer Blockaden. Nur so können Lösungen Dithmarschen durchgeführt worden ist. gefunden werden, die in der Realität Bestand haben und Fehlentwicklungen beim Umgang mit jugendli- Die Sachbearbeitung in einer Hand und die Koope- chen Gewalttätern vorbeugen. Dafür bietet der vor- ration der verschiedenen Dienste und Dienststellen liegende gemeinsame Antrag von CDU und SPD bietet die Voraussetzung, dass problematische Ju- eine gute Arbeitsgrundlage. Die breite Zustimmung gendliche nicht aus dem Blickfeld geraten und mit zu diesem Antrag ist ein wichtiges Signal für die den Folgen ihrer Tat unmittelbar und schnell kon- schleswig-holsteinische Öffentlichkeit, dass der frontiert werden. Es ist gut, dass seit der ersten Le- Landtag sich des Problems der wachsenden Jugend- sung auch im Bereich Lübeck das „vorrangige Ju- gewaltkriminalität entschlossen annimmt und kon- gendverfahren“ Anwendung findet. Denn wir wis- krete Lösungen erarbeitet. sen, dass die schnelle und konsequente Reaktion das A und O im Umgang mit straffälligen Jugendli- (Beifall bei der CDU) chen ist. Das ist auch unser Ansatz und auch der wichtigste Ansatz für die Zukunft. Präsident Martin Kayenburg: (Beifall des Abgeordneten Thomas Rother Für die Fraktion der SPD hat Frau Abgeordnete [SPD] - Werner Kalinka [CDU]: So ist es!) Anna Schlosser-Keichel das Wort. Mit unserem Jugendstrafvollzugsgesetz haben wir Anna Schlosser-Keichel [SPD]: den Rahmen für die Resozialisierung von jugendli- chen Straftätern geschaffen, für einen Vollzug, in Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dem Ausbildung, Sport, der partnerschaftliche Um- Wir haben in unserem Antrag, der die Grundlage gang miteinander in der Gruppe und - falls nötig - für die Beschlussvorlage liefert, nicht beschrieben, Therapieangebote im Mittelpunkt stehen. Der was wir nicht wollen. Da gibt es in der Tat Unter- Haushalt 2009/2010 beweist, dass wir mit der Um- schiede in der Sicht der Koalitionsparteien. Wir be- setzung dieses Gesetzes ernst machen, indem wir schreiben, was wir gemeinsam wollen, worauf wir ganz erhebliche Mittel für die personellen und inve- im Umgang mit Kindern setzen, die Probleme ha- stiven Erfordernisse zur Verfügung stellen. ben und uns deshalb Probleme machen, und mit Ju- gendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt kom- (Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer men. [SPD], Olaf Schulze [SPD] und Thomas Ro- ther [SPD]) Wir zeigen auf, was in Schleswig-Holstein bereits gute Praxis, aber zum Teil noch ausbaufähig ist. Sie Wir haben also in der Tat weitreichende Möglich- finden in dieser Aufzählung, die der Herr Aus- keiten, der Jugendkriminalität zu begegnen, präven- schussvorsitzende vorgetragen hat, exakt auch die tive und repressive. Jugendkriminalität bleibt den- Punkte, die die Oppositionsparteien im Ursprungs- noch eine tägliche Herausforderung für Jugendhilfe antrag selbst als Maßnahmen zur Vorbeugung und und Justiz, Polizei und Schule und für uns Politiker. als Reaktion auf Jugendgewaltkriminalität vor- Das will ich gern auch eingestehen. schlagen, und wir haben diese Forderungen kom- Aber die Veränderungen der letzten Jahre zeigen, plett aufgenommen. Wir setzen wie Sie zuallererst dass sich etwas bewegt, dass alle Beteiligten für auf Familienhilfen, auf Schulsozialarbeit und Inte- mehr Kooperation und neue Entwicklungen offen gration, denn wir wissen, dass Jugendliche, die uns sind. Ich denke - das ist nur ein Beispiel - an einen heute als Intensivtäter begegnen, oft schon in sehr Vortrag des Vertreters eines Jugendhilfeträgers im Rahmen der Diskussion um das Jugendstrafvoll- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7469

(Anna Schlosser-Keichel) zugsgesetz, der im Ausschuss seine Vorstellungen schließung zum Jugendstrafrecht“. Mehr ist vom über neue Formen der Jugendhilfe und auch des Ju- Entschließungsantrag von FDP, BÜNDNIS 90/DIE gendvollzugs für jugendliche Gewaltstraftäter ein- GRÜNEN und SSW nicht mehr da. Kein Ja oder gebracht hat. Diese Diskussion würden wir gern in Nein zu unseren Forderungen gegen eine Verschär- Ruhe und Sachlichkeit führen und nicht aufgeregt fung des Jugendstrafrechts, stattdessen gibt es jede vor dem Hintergrund von aktuellen Gewalttaten, Menge Weichspüler, sodass nur große Seifenblasen wie sie bedauerlicherweise wieder vor wenigen Ta- entstanden sind. Selbstverständlichkeiten, die viel- gen in Neumünster stattgefunden haben. Ich denke, leicht keinem unmittelbar schaden, aber die allen- dass das der Problematik auch nicht gerecht würde. falls denen nutzen, die ein vermeintliches Sicher- heitsgefühl durch steigende Strafmöglichkeiten be- Wir diskutieren also gern über die Weiterentwick- dienen wollen. lung, aber was wir nicht brauchen und nicht wollen, ist eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW) (Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS Inhaltlich betrachtet ist damit die Beschlussempfeh- 90/DIE GRÜNEN]) lung, genauer gesagt das, was CDU und SPD aus unserem Antrag gemacht haben, kaum noch das Pa- Auch wenn Sie diese Formulierung im Antrag ver- pier wert, auf der sie geschrieben steht. missen, wiederhole ich sie für die SPD-Fraktion gern. Ich habe das bereits in der ersten Lesung, im Unser Ziel war es, das geltende Jugendstrafrecht Ausschuss und in diversen Veranstaltungen gesagt, beizubehalten. Gerade nach den Vorkommnissen in Herr Kubicki. Die Anhörung im Innen- und Rechts- Hessen wollten wir weiterem Wunderglauben, ausschuss, in der die Fachleute aus Justizvollzug, durch Verschärfungen lasse sich die Jugendkrimi- aus Richter- und Anwaltschaft, aus Jugendhilfe und nalität bekämpfen, sozusagen einen Riegel vor- Wissenschaft in wirklich beeindruckender Einigkeit schieben. Hinter Schloss und Riegel sehen CDU einer Strafverschärfung eine Absage erteilt haben, und SPD in Schleswig-Holstein jedoch leider lieber unterstreicht diese Position. straffällig gewordene Jugendliche und Heranwach- sende. Es wäre fatal, wenn über die Diskussion über unser Abstimmungsverhalten oder über die mangelnde Dabei ist es ein Irrglaube anzunehmen, Kollege Klarheit, was die Ablehnung angeht, der Eindruck Wadephul, Strafverschärfungen in Umfang oder oder schlimmer noch das Signal entstehen würde, Qualität oder eine frühere Anwendung des Er- im Schleswig-Holsteinischen Landtag gebe es eine wachsenenstrafrechts würden zu mehr Gesetze- Mehrheit für die Verschärfung des Jugendstraf- streue, zu weniger Kriminalität oder zu mehr Reso- rechts. Das ist nicht der Fall. zialisierung beitragen. Die Anhörung hat im Ge- genteil auf vielfache Weise und nahezu einhellig (Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki deutlich gemacht, dass derartige Maßnahmen viel [FDP]: Das haben Sie hingeschrieben!) mehr zur Entstehung, Stabilisierung und Verlänge- rung krimineller Karrieren als zu ihrer Vermeidung Präsident Martin Kayenburg: beitragen. Da vorhin einige Unruhe zu verspüren war, will ich (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- darauf hinweisen, dass beabsichtigt ist, nach diesem NEN und SSW) Tagesordnungspunkt nur noch den Tagsordnungs- punkt 18 aufzurufen. Das heißt, der Tagesord- Verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und nungspunkt 5, Landesbauordnung, wird auf morgen SPD, nun werden Sie darauf hinweisen, dass in Ih- verschoben, weil ein Ende der Sitzung für 17:30/ rer Formulierung nicht ein Wort von Strafverschär- 18.00 Uhr vereinbart war. fung, Höchststrafe, Herabsetzung der Strafmündig- keit oder gar Erziehungscamps enthalten ist. Nun hat der Oppositionsführer, der Fraktionsvorsit- zende der FDP-Fraktion, Herr Abgeordneter Wolf- (Jürgen Weber [SPD]: So ist es!) gang Kubicki, das Wort. - Kollege Weber, formal ist das richtig. Aber was verstehen Sie dann unter - ich zitiere einmal - Not- Wolfgang Kubicki [FDP]: wendigkeit zur „frühzeitigen verbindlichen Inter- Sehr verehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und vention“ bei Intensiv- und Mehrfachtätern? Wel- Kollegen! Geblieben ist nur die Überschrift „Ent- ches „differenzierte Angebot für eine intensive und umfassende Betreuung dieser Kinder und Jugendli- 7470 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Wolfgang Kubicki) chen“ haben Sie im Kopf, das Sie „ausschöpfen und beispielsweise für mehr Schulsozialarbeit oder zum weiterentwickeln“ wollen? Sprache kann verräte- Jugendstrafvollzugsgesetz, inhaltlich oder über den risch sein. Hier ist sie es. Haushalt abgelehnt, und der Schwarze Peter wurde allenfalls noch den Kommunen zugeschoben. Dabei (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liegt es geradezu auf der Hand, dass die gesell- NEN und SSW) schaftlichen Kosten bei dieser Sichtweise deutlich Bislang findet das Jugendstrafrecht Anwendung für höher ausfallen müssen, Jugendliche und Heranwachsende, also Personen, (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die zur Zeit der Tat wenigstens vierzehn sind. Ihre NEN und SSW) Intensivbetreuung wollen Sie aber bereits Kindern, also unter 14-Jährigen, angedeihen lassen. Dabei nicht nur weil jeder Strafvollzug deutlich teurer war auch in diesem Punkt die Anhörung eindeutig. wird als vorherige präventive Arbeit, sondern auch, Frau Kollegin Schlosser-Keichel, Sprache ist verrä- weil in der Folge statt weniger neue Kriminalitäts- terisch. Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von opfer zu beklagen sind. 14 auf zwölf Jahre ist weder mit dem Grundgesetz Ich darf Sie daher herzlich bitten, nicht der Be- noch mit dem Erziehungsgedanken des Jugendstraf- schlussempfehlung zu folgen, sondern unserem An- rechts vereinbar. trag zuzustimmen. Kriminalität lässt sich nicht Und was verstehen Sie unter einer „frühzeitigen durch härtere Sanktionen reduzieren; sie wird da- verbindlichen Intervention“? Was halten Sie für ei- durch allenfalls gefördert. Deshalb sollten wir uns ne „intensive und umfassende Betreuung“? Wohl erst gar keine hessischen Hintertürchen offenhalten. nicht zufällig fehlt hier jede Konkretisierung. Des- Jugendstrafrecht ist nur das letzte Mittel. Was wir halb erlaubt das eine andere Interpretation durch brauchen, ist eine gute Kinder- und Jugendhilfe, ei- den Kollegen Lehnert, als Sie das vielleicht im ne gute Sozial- und Integrationspolitik. Kopf haben. Herr Minister für Landwirtschaft und Umwelt, Sie Erlauben Sie mir deshalb einen Rückschluss. sind ja aus diesem Alter etwas entwachsen, aber ich Schließlich gehen Sie auch davon aus, dass die ak- kann Ihnen sagen, auch aus eigener beruflicher Er- tuellen ambulanten Familienhilfen, die Schulsozial- fahrung: Im Jugendstrafrecht hat der Erziehungs- arbeit oder auch die Förderung der Integration von gedanke Vorrang, weil die Jugendlichen noch nicht Migranten bereits ausreichend seien und damit ge- entwickelt sind, nicht der Straf-, Vergeltungs- und eignete Maßnahmen zur Vorbeugung von Jugend- Sanktionsgedanke. Daran sollten wir uns halten und kriminalität angeboten würden. Leider trifft das in nicht so tun, als dürften wir daran vorübergehen. dieser Form nicht zu, aber Ihre Annahme lässt be- (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fürchten, dass wenn dieser konstruktive Weg ver- NEN und SSW) meintlich nicht greift, nur noch Härte oder Wegsperren helfen, um der Jugendkriminalität be- gegnen zu können. Präsident Martin Kayenburg: Doch dieser Ansatz ist verfehlt. Sicherlich gibt es Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er- Fälle, in denen ein Einsperren unumgänglich ist. teile ich das Wort der Frau Abgeordneten Monika Der weit größeren Gruppe Jugendlicher und Heran- Heinold. wachsender wäre aber damit geholfen, wenn eine Schulsozialarbeit auch tatsächlich stattfinden wür- Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: de oder wenn die ambulante Familienhilfe vor Ort Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute auch besetzt wäre. Aus genau diesem Grund haben vor knapp zwei Wochen stürmten zwei Jungen im wir deshalb deren Ausbau gefordert, weil wir die Alter von 17 und 15 Jahren eine Schulklasse in Arbeit der Sozialarbeiter, des knappen Gefängnis- Neumünster und verprügelten einen 13-Jährigen. personals, der Ausbilder und Lehrer für straffällig Der Jüngere von beiden war der Polizei als so ge- gewordene Jugendliche anerkennen und eben auch nannter Intensivtäter bereits bekannt. Dieser Fall ist erkennen, dass sie Unterstützung brauchen, um ih- erschreckend und nicht zu rechtfertigen. Daraus ren Wirkungsmöglichkeiten zu einem Erfolg zu aber nun abzuleiten, dass wir solche Taten zukünf- verhelfen. tig verhindern könnten, wenn wir das Jugendstraf- Offenbar will das die Große Koalition nicht sehen. recht verschärfen würden, Herr Lehnert, das ist Bislang wurden alle unsere Anträge, und zwar egal, blanker Unsinn. Das deutsche Jugendstrafsystem ob sie von uns, den Grünen oder vom SSW kamen, leidet nicht unter mangelnder Härte. Die vorhande- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7471

(Monika Heinold) nen Möglichkeiten reichen aus, beginnend mit der Wenn Sie sich hier hinstellen, Herr Lehnert, und Ableistung von unentgeltlichen Arbeitsstunden, immer wieder sagen, nun lasst uns doch endlich beispielsweise in gemeinnützigen Einrichtungen Statistiken erstellen, woraus wir den Migrationshin- über die Verhängung von Arrest bis zur Jugendstra- tergrund von jugendlichen Straftätern erkennen, fe von bis zu zehn Jahren. Maßnahmen wie der dann sage ich: Sie wollen die Integration überhaupt kurzfristige Wochenendarrest in der Jugendarrest- nicht! anstalt in Neumünster machen durchaus Eindruck (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki auf unsere Jugendlichen. Bewährt hat sich insbe- [FDP]) sondere auch die Beschleunigung der Jugend- strafverfahren. Der direkte und zeitnahe Bezug - Immer wieder merkt er das hier an und sagt, er zur Tat ist für Jugendliche absolut wichtig. wolle unbedingt aus den Statistiken ersehen, wer welche Hautfarbe hat. Wenn wir das Ziel haben, Gewalttaten Jugendlicher zukünftig zu vermeiden, gibt es aber nur eine richti- (Peter Lehnert [CDU]: Das ist doch völliger ge Antwort: Die präventiven Maßnahmen müssen Blödsinn!) gestärkt werden. - Sie haben gerade wieder gesagt, Sie wollen Stati- Herr Lehnert, Sie sagten, es ist vor allem der Täter stiken, aus denen Sie den Migrationshintergrund selbst zuständig. Ich sage Ihnen, Herr Lehnert: Kein erkennen können. Das können sie nachlesen. Kind wird als Täter geboren. Wir brauchen faire Das Ziel des Jugendstrafrechts ist nicht die Bestra- Chancen für alle jungen Menschen durch bessere fung - das ist eben gesagt worden -, sondern der Er- Integration, durch Bildung und Chancengleichheit ziehungsgedanke steht im Vordergrund. und durch Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Je- der Tag, den ein Jugendlicher ohne Schule, ohne (Jürgen Weber [SPD]: Das ist doch unstrit- Ausbildung oder Arbeit, also ohne Perspektive auf tig!) der Straße verbringt, ist ein Tag zuviel. Neuen Straftaten des Jugendlichen oder Heran- Kriminelle Jugendliche sind auch immer ein Zei- wachsenden soll entgegenwirkt werden. Wir wollen chen von staatlichem Versagen im Vorfeld. Dass das Jugendstrafrecht nicht ändern, so unser Antrag. Freiheitsentzug in der Regel nicht die versprochene Hier bei Ihnen gab es die Diskussion darüber, die abschreckende Wirkung erzielt, machen doch die Verschärfung hineinzubringen. Die besten Maßnah- hohen Rückfallquoten der zu Freiheitsstrafen ver- men sind immer noch diejenigen, die jugendliche urteilten Jugendlichen von bis zu 80 % deutlich. In Kriminalitätskarrieren vermeiden. der Regel verstärkt sich der Frust bei Jugendlichen, Eine nachhaltige Kinder- und Jugendpolitik muss wenn sie die erste Erfahrung von Freiheitsentzug auf Förderung, Prävention und Integration setzen. machen. Sie empfinden dieses als weitere Ausgren- Entscheidend dafür ist eine Bildungspolitik, welche zung, als endgültiges Zeichen dafür, dass sie in un- Chancen eröffnet und den Kindern Anerkennung serer Gesellschaft keinen Platz haben. Die Folge ist, zollt, statt Schwächen aufzuzeigen und so lange dass sie der Gesellschaft ihrerseits noch weiter den auszusortieren, bis Kinder und Jugendliche in die Rücken zukehren, also genau das Gegenteil dessen, Perspektivlosigkeit fallen. was wir bewirken wollen. Nach allem, was wir über den Fall in Neumünster Einsperren und abschieben sind keine Mittel zur wissen, war zumindest einer der beiden Straftäter in Lösung gesellschaftlicher und sozialer Probleme. genau dieser Situation der vollständigen Perspektiv- (Beifall bei FDP und SSW) losigkeit. Der Staat muss - - Dies gilt insbesondere auch für die Behandlung (Peter Lehnert [CDU]: Deshalb durfte er das, straffällig gewordener jugendlicher Ausländer. Ju- oder was heißt das?) gendliche, die in Deutschland aufwachsen und hier - Nein, ich habe das am Anfang sehr deutlich ge- straffällig werden, sind ein Problem unserer Gesell- sagt, dass es keine Entschuldigung dafür gibt. Aber schaft, dieser Gesellschaft, das nicht einfach abge- ich sage Ihnen: Wir, der Staat, wir, unsere Gesell- schoben werden kann und darf. Der überproportio- schaft, haben eine Verantwortung, die Kinder und nal hohe Anteil ausländischer Jugendlicher in den die Jugendlichen so zu begleiten, dass sie gar nicht Jugendstrafvollzugsanstalten ist auch ein Ergebnis erst in dieser perspektivlosen Situation enden. gescheiterter Integration. 7472 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Monika Heinold)

Meine Damen und Herren, der Staat muss handeln, Der Hintergrund war das, was Roland Koch vor der bevor Jugendliche durch Straftaten auf sich auf- Landtagswahl in Hessen gesagt hat. Ich bitte, ein merksam machen. Hier sind alle gefordert. bisschen auf dem Teppich zu bleiben. (Beifall bei FDP und SSW) Wie gesagt, die Forderungen nach härteren Strafen mögen ja der politischen Profilierung dienen, sie er- Präsident Martin Kayenburg: füllen aber nicht den Zweck, jugendliche Straftäter auf den rechten Weg zurückzubringen; denn es ist Für die Abgeordneten des SSW hat das Wort die und bleibt nun einmal so, dass die Androhung dra- Frau Vorsitzende, die Abgeordnete Anke Spooren- konischer Strafen Jugendliche nicht von Straftaten donk. abbringt. Kein Jugendlicher kalkuliert vor dem Zu- schlagen den Nutzen und die Kosten und kommt Anke Spoorendonk [SSW]: aufgrund der Höhe der Strafandrohung zum ra- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tionalen Schluss, es dann doch lieber sein zu lassen. Die Ergebnisse der Anhörung haben in beein- (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE druckender Klarheit gezeigt: Es gibt keine Defizite GRÜNEN) im Jugendstrafrecht, und die bisherigen Instrumente der Sanktion sind schon vielfältig genug, um diffe- Andererseits wissen wir auch, dass ein Gefängnis- renziert auf die einzelnen Täter und Taten einzuge- aufenthalt allein nicht auf den geraden Weg zurück- hen. Wenn es Defizite gibt, dann in der Anwendung führt. Im Strafvollzug lernen sie nicht unbedingt, der bestehenden Möglichkeiten, was zuerst auf die wie ein anderes, rechtschaffenes Leben aussieht. Im finanziellen Rahmenbedingungen zurückzuführen Gegenteil, liebe Kollegen und Kollegen, sie sehen ist. vor allem, wie andere Kriminelle so leben. Das so- ziale Umfeld der Gleichaltrigen hat den größten Die Kriminologen und Praktiker unterstützen den Einfluss darauf, ob jemand kriminell wird. Dieser Antrag von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einfluss wird auch in den hohen Rückfallquoten und SSW. Die Innenministerien der CDU-geführten nach der Entlassung aus dem Strafvollzug sichtbar. Länder lehnen ihn ab. Insoweit ist es bedauerlich, Das ist ja das wirklich Katastrophale. 70, 80 % so dass die SPD sich der CDU anschließt und einen hoch ist die Rückfallquote. Mehr und längere Ge- neuen Antrag einbringt, dem wir nicht zustimmen fängnisaufenthalte sind also nicht geeignet, um werden. straffällig gewordene Jugendliche von der Bege- (Unruhe) hung weiterer Straftaten abzuschrecken und zu re- sozialisieren. Präsident Martin Kayenburg: Wenn es einen präventiven Effekt der Strafe gibt, Ich darf daran erinnern, dass die Frau Spoorendonk so dann, wenn das Bestrafungsrisiko hoch ist und das Wort hat. die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt. Mit anderen Worten: Es muss das Ziel sein, möglichst viele Straftaten zu entdecken und sie auch zügig zu ahn- Anke Spoorendonk [SSW]: den. Es bleibt festzuhalten: (Beifall beim SSW) (Zuruf von Jürgen Weber [SPD]) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geschieht in Die Forderungen nach härteren Strafen, lieber Schleswig-Holstein immer noch nicht genügend. Kollege Weber, mögen der politischen Profilierung Die Instrumente hierfür sind schon vorhanden. Eine dienen. Sie erfüllen aber nicht den Zweck, jugendli- konsequente Verfolgung von Jugendkriminalität er- che Straftäter auf den rechten Weg zurückzubrin- fordert keine Änderung des Strafrechts, sondern gen. entsprechende Mittel im Landeshaushalt für Poli- zei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Bewäh- Ich bringe noch einmal in Erinnerung, was der Hin- rungshelfer und für eine bessere Betreuung im Ju- tergrund dieses Antrags war; der liegt seit einem gendstrafvollzug, nicht zuletzt wenn es um den Jahr in den Ausschüssen. Übergang in die Freiheit geht. (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7473

(Anke Spoorendonk)

Diese Diskussion haben wir hier im Haus auch Anna Schlosser-Keichel [SPD]: schon geführt. Diese Erkenntnisse haben teilweise Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch Eingang in den Antrag der Großen Koalition Sehr geehrter Herr Kubicki, ich möchte auf Ihren gefunden. Vorwurf antworten, wir würden durch die Blume Wir begrüßen, dass die Stärkung des vorrangigen von Verschärfungen sprechen. Das ist absolut nicht Jugendverfahrens und der verschiedenen Dienste der Fall. Die Forderung nach frühzeitiger und ver- zur Prävention und Resozialisierung im Beschluss bindlicher Intervention stammt zum Beispiel aus der CDU/SPD-Ausschussmehrheit Erwähnung fin- der von mir genannten Studie zum Modellprojekt in det. Dennoch bleibt aber der entscheidende Unter- Dithmarschen/Lübeck, in der eben festgestellt wor- schied, dass CDU und SPD nicht eindeutig von den ist, dass das Kind oft in den Brunnen fällt, weil Verschärfungen Abstand nehmen, die wir für falsch zu lange weggesehen und verharmlost wird, weil halten. Das Jugendstrafrecht bietet nicht nur, so die Eltern allein gelassen werden, weil zu lange Zu- wie es in dem Koalitionsantrag steht, weitreichen- ständigkeiten geprüft werden, weil schließlich di- de, sondern auch ausreichende Möglichkeiten. Wer verse Dienststellen befasst sind und weil der Ju- etwas gegen Jugendkriminalität unternehmen will, gendliche im Zuge dieser Verfahren aus den Augen muss von den Jugendlichen ausgehen, die verändert gerät. Dass man hierauf reagiert hat, habe ich in werden sollen. CDU und SPD haben mit ihrer For- meiner Rede deutlich gemacht. Man hat nunmehr derung aber nicht die jugendlichen Täter im Blick. die Jugendsachbearbeiter, man hat die Bearbeitung Das ist durch die Anhörung ganz deutlich gewor- aus einer Hand. - Das wollten wir unter Ziffer 3 sa- den. Am Ende ist eine solche Politik sogar gefähr- gen. Im zweiten Satz dieser Ziffer wird ausdrück- lich, weil sie offensichtlich ihr Ziel nicht erreichen lich ausgeführt: Das bestehende differenzierte An- kann und so in Kauf nimmt, dass weitere Menschen gebot für Kinder und Jugendliche ist auszunutzen. zu Opfern werden. Schleswig-Holstein ist das Land der Jugendhilfe- Wir brauchen keine Verschärfung der Jugendstra- einrichtungen. Wir haben hier wesentlich mehr Ju- fen. Wir brauchen nicht nur Methoden der Sanktio- gendhilfeeinrichtungen, als zur Betreuung von Ju- nierung, wir dürfen nicht nur bestrafen, sondern gendlichen aus Schleswig-Holstein erforderlich wä- müssen auch neue Lebensperspektiven aufzeigen, ren. Vielmehr werden hier Jugendliche aus dem ge- und wir brauchen eine stärkere Prävention. Denn samten Bundesgebiet betreut. Es gibt hier eine so letztlich geht es nicht nur um Strafen, sondern eben breite Angebotspalette, dass man wirklich für jedes um soziale Fragen. Kind, für das eine Behandlung und Betreuung ge- sucht wird, einen Platz hat; nur ist dieser oftmals Der Herr Kollege Lehnert hat in seiner Rede zu un- nicht zu finden. serem Antrag im Januar 2008 selbst eine Reihe so- zialer Ursachen der Kinder- und Jugendkriminalität Aus dieser Studie hat sich dann auch ergeben, dass aufgezeigt: fehlende Zukunftsperspektiven, man- eine Clearingstelle - ich glaube, sie heißt jetzt Be- gelnde soziale Kompetenzen, eine schlechte Aus- ratungsstelle - eingerichtet worden ist, sodass in bildungssituation und überforderte Eltern. Solche problematischen Fällen die Jugendämter, das Mini- Probleme lassen sich aber nicht mit Härte oder mit sterium und die Betroffenen nach der geeigneten konservativer Werteerziehung bewältigen, sondern Einrichtung suchen, die in der Lage ist, auf die spe- nur mit einer ordentlichen Sozial-, Arbeitsmarkt-, zielle Problemlage einzugehen und eine intensive Bildungs- und Jugendpolitik. Das kostet mehr als und umfassende Betreuung sicherzustellen. einen moralischen Zeigefinger. Auch dafür, dass wir die Angebote weiterent- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE wickeln wollen, habe ich ein Beispiel genannt. Da- GRÜNEN) zu sollte man sich noch einmal das Konzept des Kinder- und Jugendhilfeverbundes anschauen, in Präsident Martin Kayenburg: dem nicht nur dargestellt wird, dass man auch Voll- zug in freien Formen erproben könnte, sondern in Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Ge- der auch deutlich gemacht wird, dass man eine in- schäftsordnung hat die Frau Abgeordnete Anna tensive Betreuung für besonders problematische Ju- Schlosser-Keichel das Wort. gendliche andenken sollte, von denen es in Schles- wig-Holstein nur ganz wenige gibt, sodass man das gegebenenfalls länderübergreifend machen müsste. Darüber würden wir uns gern unterhalten. Ich mei- 7474 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Anna Schlosser-Keichel) ne damit keine geschlossene Einrichtung, von der (Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das ist ja Herr Lehnert immer spricht. auch angemessen!) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Was denn sonst! - - Das stammt aus der „taz“ vom 8. Februar 2008. Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mir liegt die Erklärung im Original vor. Dann müs- NEN]: Was denn sonst!) sen Sie das den Menschen auch sagen und nicht bei allen Veranstaltungen so tun, als seien Sie die glor- - Eine Eins-zu-eins-Betreuung! Lassen Sie uns das reichen Betreuer von Kindern, und hinterrücks wird weiter beraten, und lassen Sie uns dieses Projekt genau das Gegenteil gemacht. des Kinder- und Jugendhilfeverbundes einmal anse- hen. Dies ist keine geschlossene Einrichtung wie (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE die in Hamburg, die übrigens wegen Erfolglosigkeit GRÜNEN) jetzt wieder geschlossen worden ist. Ihr Innenminister erklärt, er wolle geschlossene (Beifall bei der SPD) Einrichtungen für Kinder. Sie sagen, Sie wollen das nicht. Der Entschließungstext gibt genau dies her. Präsident Martin Kayenburg: Wenn Sie das nicht gemeint haben, dürfen Sie so etwas nicht unterschreiben. Ansonsten werden Sie Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 extrem unglaubwürdig. der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki das Wort. (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms Wolfgang Kubicki [FDP]: [SSW])

Herr Präsident, ich fasse es nicht! Ich habe gerade Präsident Martin Kayenburg: SPD-Abgeordnete gesehen, die geklatscht haben. Ich komme zu dem Schluss, dass bei den Sozialde- Für die Landesregierung hat der Herr Minister für mokraten offensichtlich keine Kommunikation Justiz, Arbeit und Europa, Uwe Döring, das Wort. mehr stattfindet. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Herr Döring wird (Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber das jetzt richtigstellen! - Wolfgang Kubicki [SPD]) [FDP]: Das kann er gern tun! Ich habe die Erklärung hier!) Frau Schlosser-Keichel, zunächst müssen wir fest- stellen, dass Kinder nicht dem Jugendstrafrecht un- Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Euro- terfallen. Ich denke, insoweit sind wir uns noch ei- pa: nig. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich las- (Zuruf der Abgeordneten Anna Schlosser- se meinen Redetext einmal beiseite und darf mich Keichel [SPD]) zunächst dafür bedanken, dass diese Diskussion Es ist eine Entschließung zum Jugendstrafrecht, sehr engagiert, aber gegenüber dem, was wir Ende und Sie schreiben jetzt im zweiten Satz der Ziffer 3, letzten Jahres und Anfang dieses Jahres in der öf- das bestehende differenzierte Angebot für die inten- fentlichen Diskussion hatten, außerordentlich sach- sive und umfassende Betreuung dieser Kinder und lich war. Ich denke, das ist wichtig, und das ist auch Jugendlichen sei voll auszuschöpfen und weiterzu- dem Thema angemessen. entwickeln. Wie das weiterentwickelt werden soll, Sie kennen mich. Ich liebe klare Worte, und das sagt SPD-Innenminister Lothar Hay. Auf einer ge- auch bei diesem Thema. Zunächst also Folgendes: meinsamen Konferenz mit seinen Kolleginnen Der Justizminister ist gegen eine Verschärfung des und Kollegen aus Bremen und Hamburg wurde er- Jugendstrafrechts. klärt - Sie kennen diese Erklärung wahrscheinlich; wenn nicht, kann ich sie Ihnen gern überreichen; sie (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stammt vom Februar 2008 -, die drei Innenexper- NEN und SSW) ten hätten dafür plädiert, jugendliche Intensivtäter Ich bin gegen die Herabsetzung der Strafmündig- bei Bedarf auch in einer geschlossenen Unterbrin- keit. Ich bin gegen die Erhöhung der Höchststrafe. gung zu betreuen. Es solle eine neue gemeinsame Ich bin der Auffassung, dass die Instrumente, die Einrichtung aller Nordländer geschaffen werden, wir haben, ausreichend sind. die der in Hamburg entspreche. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7475

(Minister Uwe Döring)

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms gen Menschen betreut. Es gilt nicht mehr das Ta- [SSW]) tortprinzip, sondern das Wohnortprinzip. Das heißt, jeder jugendliche Intensivtäter hat jemanden - Aber, bevor Sie klatschen: Diese Instrumente in der Polizei - als Gesicht -, der auch einmal vor- müssen konsequent angewandt werden; nur dann beikommt und fragt: Wie sieht es denn aus? Heute sind sie ausreichend. wird Geburtstag gefeiert, haut nicht über die Strän- (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE ge, wir achten auf euch. Den Intensivtätern muss GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD) man deutlich machen, dass die Gesellschaft diese Wir dürfen eines dabei nicht vergessen: Es gibt un- Art der Gewalttaten nicht duldet. terschiedliche Formen der Jugendkriminalität. Wir haben festzustellen, dass wir eine Verlagerung Auf der einen Seite gibt es geringe Formen von Ju- haben: Es gibt nicht mehr Jugendkriminalität, aber gendkriminalität. Ich will das jetzt nicht bagatelli- es gibt mehr Gewalt, Gruppendelikte. Da sind In- sieren; aber in der Lebensphase des Erwachsenwer- tensivtäter festzustellen. - Herr Kubicki, Sie möch- dens gehört es offenbar auch dazu, dass man einmal ten eine Zwischenfrage stellen. Grenzen überschreitet. Das ist jetzt nicht in dem Sinne zu tolerieren, dass man sagt: Es ist in Ord- Präsident Martin Kayenburg: nung. Aber hierauf muss eine andere Reaktion er- folgen als gegenüber dem, was wir unter Gewaltkri- Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des minalität verstehen. Hier ist der Erziehungsgedan- Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki? ke der richtige. Hier ist es nicht richtig, junge Men- Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Minister, schen wegzusperren, sondern hier ist es richtig, eine weil ich Sie schätze, nur zur Klarstellung: andere Form - Täter-Opfer-Ausgleich, Diversion Habe ich Sie richtig verstanden, dass das und Ähnliches - anzuwenden, wie es Schleswig- Modell vorsieht, binnen sechs Wochen eine Holstein kennt. Hauptverhandlung durchzuführen, nicht bin- (Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka nen sechs Wochen zur Verurteilung zu kom- [CDU]) men?

- Herr Kalinka, hören Sie genau zu! Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Euro- (Werner Kalinka [CDU]: Das tue ich!) pa: Es gibt daneben Intensivtäter, und es gibt Gewalt- Sie haben mich trotz meiner juristisch unkorrekten kriminalität. Davor darf man nicht die Augen ver- Ausdrucksweise richtig verstanden. Es freut mich schließen. Herr Lehnert, Sie haben recht, es sind et- sehr, dass Sie mich verstehen, Herr Kubicki. wa 750 junge Menschen in Schleswig-Holstein, die (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich verstehe Sie, dazu zählen. Herr Minister!) (Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka - Das ist sehr schön. Das kann der Beginn einer [CDU]) wunderbaren Freundschaft werden. - Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, bitte (Heiterkeit und Beifall) machen Sie das! - Es gibt 750 Intensivtäter. Das sind junge Menschen, die in 12 Monaten fünf oder Es ist richtig ausgeführt worden: Der Erziehungsge- mehr Delikte oder zwei oder mehr Gewalttaten - so danke ist der, der bei jungen Menschen im Vorder- ist die Definition in Schleswig-Holstein - begangen grund stehen muss. Dazu gehört eine ausgewogene haben. Bei diesen Intensivtätern kommt es darauf und abgestimmte Familien-, Schul-, Sozial- und an, dass wir schnell reagieren. Dafür haben wir das Medienpolitik, die wir in Schleswig-Holstein auf vorrangige Jugendverfahren. Ich bin sehr froh, dass den Weg bringen. Ich hoffe, dass wir uns gerade das jetzt auch im Landgerichtsbezirk Lübeck einge- mit dem Thema Umgang mit Intensivtätern ressort- führt und durchgeführt wird. übergreifend weiterbeschäftigen werden. Ich bin mir sicher, dass wir das machen. (Vereinzelter Beifall) Es ist erforderlich, dass Jugendstrafverfahren - wie Das bedeutet, man soll innerhalb von sechs Wo- gesagt - möglichst schnell durchgeführt werden. chen eine Verurteilung haben. Wir haben die entsprechenden Diversionsrichtlini- Ich bin froh, dass der Kollege Hay eine Arbeits- en, das vorrangige Jugendverfahren. Wir sind gruppe Intensivtäter gegründet hat, die diese jun- 7476 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Minister Uwe Döring) auch im Jugendstrafvollzug der Verantwortung Antrag der Abgeordneten des SSW nach Prävention nachgekommen. Drucksache 16/2333 Bei all den Bemühungen, bei denen wir uns noch Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE mehr als bisher anstrengen müssen, sollten wir uns GRÜNEN nicht der Illusion hingeben, dass wir damit alle Pro- Drucksache 16/2373 bleme lösen. Es wird immer Gruppen in der Gesell- schaft geben, auf die die Gesellschaft reagieren Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das muss. Liebe Frau Heinold, bei aller Schwierigkeit ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. eines Lebensweges gibt es am Ende auch eine Ei- Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat Herr genverantwortung. Abgeordneter Lars Harms. (Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW) Lars Harms [SSW]: Auch jemand, der aus schwierigen Verhältnissen kommt, der sicherlich das eine oder andere hat ein- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und stecken müssen, kann sich nicht einfach damit ent- Herren! Was die EU zu den Agrarsubventionen En- schuldigen, dass er es schwer hatte im Leben. - Das de November beschlossen hat, ist zwar formell ein war es vielleicht, und wir hätten mehr helfen müs- Kompromiss, aber politisch ist es mehr: Es ist ein sen. Aber es gibt am Schluss auch eine Eigenver- Schritt hin zu einer mehr der Nachhaltigkeit ver- antwortung. Auch das muss man beim Erziehungs- pflichteten Landwirtschaft und vor allem ein Schritt gedanken Menschen beibringen - um da nicht weg von der Einzelförderung hin zur Strukturförde- missverstanden zu werden. Wir werden weiter ent- rung. Wir als SSW begrüßen diesen Schritt sehr, sprechende Angebote im Justizbereich machen, die zeigt er doch, dass die EU hier weiter ist als zum sich am Erziehungsgedanken orientieren. Beispiel die bundesdeutsche Politik. Herr Lehnert, der Hinweis auf die Zusammenarbeit (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit Hamburg liegt nahe, weil wir gerade im Ham- Während man hier noch auf Besitzstandswahrung burger Umland so etwas zu beklagen haben und die setzte, hat man in Brüssel den ersten konkreten Menschen da hin und her wechseln. Die Zusam- Schritt hin zu einer Umstrukturierung der Land- menarbeit ist für mich jetzt etwas einfacher, nach- wirtschaftspolitik gewagt. dem die neue schwarz-grüne Koalition das schles- wig-holsteinische Jugendstrafrecht zum Vorbild Das Ganze geschieht dabei durchaus unter Berück- nimmt und gerade entsprechend novelliert, sodass sichtigung der Schwierigkeiten, in der der einzelne ich auch hier auf eine gute Zusammenarbeit hoffe. Landwirt stecken mag. Direkthilfen unter 5.000 € werden laut EU-Kompromiss nicht angetastet. Das (Beifall im ganzen Haus) heißt, die Kleinen werden geschont, und die Kür- zung der Subventionen trifft nur die, die es ver- Präsident Martin Kayenburg: kraften können. Bekommt ein Landwirt oder auch ein Industrieunternehmen - schließlich haben auch Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich diese landwirtschaftlich genutzte Flächen - mehr als schließe die Beratung. Ich lasse über den Antrag 5.000 €, werden die Subventionen um 5 % gekürzt. Drucksache 16/1816 (neu) in der vom Ausschuss Das heißt, auch hier bleiben 95 % bei den jeweili- empfohlenen Fassung abstimmen. Wer dem Antrag gen Betrieben und Unternehmen. Nur wenn ein Un- zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. ternehmen mehr als 300.000 € Subventionen im - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der An- Jahr erhält, sollen weitere 4 %, also insgesamt 9 %, trag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und gekürzt werden. SPD gegen die Stimmen der Fraktionen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abge- Betrachtet man dieses Modell, so kann man sagen, ordneten des SSW in der Fassung der Drucksa- dass ein Großteil der Subventionen erhalten bleibt che 16/2356 angenommen. und somit die marktwirtschaftlichen Herausfor- derungen für die Landwirtschaft erst einmal nur Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 18 auf: begrenzt sind. Somit bleibt die Planungssicherheit bestehen, aber gleichzeitig werden in Schleswig- EU-Kompromiss zum Umbau der Agrarsubven- Holstein 16 Millionen bis 17 Millionen € Agrarsub- tionen ventionen freigesetzt, die jetzt anderweitig genutzt werden können und müssen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7477

(Lars Harms)

Die EU hat eindeutig das Ziel ausgerufen, dass die Mittel nicht verloren, sondern können für sinnvolle- Subventionen für die Landwirtschaft, die eingespart re Maßnahmen als Subventionen genutzt werden. werden, auch wieder dem Land zur Verfügung ge- Das alles ist ein kleiner Kompromiss mit einem stellt werden, aus dem sie entzogen wurden. Aller- deutlichen Fingerzeig, in welche Richtung die EU- dings können diese nur abgerufen werden, wenn sie Politik in dieser Frage gehen will, und das alles be- entsprechend kofinanziert werden. Diese Mittel grüßen wir. müssen nun bereitgestellt werden, damit im ländli- chen Raum investiert werden kann. Diese Investiti- Aufgabe des Landes ist es nun, hier möglichst viel onen können wichtige Impulse geben, die in Zeiten daraus zu machen. Das setzt voraus, dass Program- der wirtschaftlichen Rezession nicht unterschätzt me umgestaltet werden und Geld in die Hand ge- werden sollten. Die EU geht hier jedenfalls den nommen wird, damit wir unsere ländlichen Räume richtigen Weg, indem mit dem EU-Geld zusätzliche mit dem frei werdenden Geld unterstützen können. Investitionen ausgelöst werden sollen, anstatt beste- Dabei gilt es, mindestens die 16 Millionen bis hende Strukturen nur zu subventionieren. Jeder 17 Millionen € wieder ins Land zu holen, die in Marktwirtschaftler sollte daher von dieser Idee an- Schleswig-Holstein bei den Subventionen rechne- getan sein. risch gestrichen worden sind, und möglicherweise Ziel der Brüsseler Umverteilung ist es, Projekte sogar nicht abgerufene Mittel anderer Länder für zum Klima- und Naturschutz anzuschieben oder zur unser Land zu sichern. Hier erwarten wir im Aus- Entwicklung neuer Wirtschaftszweige im ländli- schuss konkrete Angaben dazu, wie die Landesre- chen Raum beizutragen. Hier bestehen insbesonde- gierung genau dies umsetzen will. re Chancen für Schleswig-Holstein. Bei der Regio- (Beifall beim SSW) nalentwicklung sehen wir Chancen im Bereich der Breitbandversorgung im ländlichen Raum, die für neue Unternehmen sorgen könnte. Auch der Tou- Präsident Martin Kayenburg: rismus bietet im ländlichen Raum Möglichkeiten, Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Region weiterzuentwickeln. Wenn man be- hat nun Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen das denkt, dass die Gesamtförderung des Tourismus im Wort. unseren Land rund 2 Millionen bis 3 Millionen € jährlich beträgt - was die institutionelle Bezuschus- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sung der Tourismusorganisation angeht -, ist die NEN]: Gesamtsumme von 16 Millionen €, die zu vergeben ist, immens. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Agrarsubventionen ist höchst undurch- Auch die Agrar-Umweltmaßnahmen könnten sichtig. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Lan- besser gefördert werden. Würde man dies tun, wür- des haben kaum eine Chance, zu verstehen, was da de man neue Einnahmemöglichkeiten für die Land- in Brüssel vor sich geht, und das hat auch noch Sys- wirtschaft und den ländlichen Raum schaffen. Hier tem. denke ich insbesondere an die Grünlandförderung und an die Extensivierung von Flächen. Schließlich Da ist von einer ersten und zweiten Säule die Rede, ist in Schleswig-Holstein seit 2003 bundesweit am von „Modulation“ und „Cross Compliance“. Wer meisten Grünland umgebrochen worden, mit den soll da noch durchblicken? - Die Menschen haben entsprechenden nachteiligen Auswirkungen für den allerdings ein Anrecht darauf, zu verstehen, was mit Naturhaushalt. ihren Steuergeldern passiert. Aber dies haben die Regierungsfraktionen ja schon einmal abgelehnt, Welche Feststellungen können wir also treffen? als sie unseren Antrag zu mehr Transparenz bei Wir können erstens feststellen, dass der EU-Agrar- der Vergabe von Subventionen abgebügelt haben. kompromiss vom November nicht die Kleinbauern trifft, sondern eher die Großen der Branche und EU-Agrarsubventionen sind unserer Auffassung große Industriebetriebe. Zweitens können wir fest- nach kein Bauerngeld, sondern Steuergelder, die al- stellen, dass die Kürzungen der Subventionen nicht len Menschen wieder zugute kommen sollen. so groß sind, als dass man von einer gravierenden (Beifall des Abgeordneten Lars Harms Änderung sprechen müsste, die die Landwirtschaft [SSW]) in den Ruin treibt. Es bleibt somit die Planungssi- cherheit für die Betriebe bestehen. Drittens sind die Wir sind also gegen Direktzahlungen der soge- nannten ersten Säule, wenn sie ohne wirksame so- 7478 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Detlef Matthiessen) ziale und ökologische Qualifizierung verteilt wer- Situation der bäuerlichen Milcherzeuger in Europa, den. aber auch weltweit deutlich verschärfen. Schon jetzt ist weit über Bedarf Milch auf dem Markt, or- (Günther Hildebrand [FDP]: Die haben wir ganisiert durch eine gezielt zu hoch angesetzte Lie- doch!) fermenge. Das führt zu ruinösen Erzeugerpreisen Durch die derzeitige Verteilung sind die Betriebe und wird zur Existenzbedrohung für viele Betrie- im Wettbewerb benachteiligt, die mehr Arbeitplät- be auch in Schleswig-Holstein. ze zur Verfügung stellen oder besondere Produkt- Die beschlossene Überprüfung der Marktlage in qualitäten erzeugen. 2010 und 2012 ist da nur ein kleiner Hoffnungs- Wir sind vielmehr dafür, dass solche Betriebe be- schimmer und wird hoffentlich zu einer reellen Ein- sonders gefördert werden, die nicht auf Masse, son- schätzung der Situation genutzt. Als Trostpflaster dern auf Klasse setzen. Wir wollen insbesondere wurde der Bundesregierung ein Milchfonds bewil- solche Betriebe fördern, die etwas für mehr Arten- ligt, den die meisten Milchbauern allerdings so gar und Rassevielfalt tun, die sich um eine klima- nicht wollen und der die Verluste aus der Mengen- freundliche und umweltfreundliche Produktion be- freigabe nicht im Mindesten auffangen kann. Er ist mühen und die etwas für die Entwicklung der länd- nicht finanziert, und zudem darf er mit den Mitteln lichen Räume tun. Wir wollen also, dass mehr und aus der zusätzlichen Modulation gespeist werden. mehr Geld in die zweite Säule fließt, die die Aus- Das ist mehr als bitter. Denn hier werden Gelder, zahlung wiederum an Bedingungen knüpft. die dringend für die Herausforderungen der biologi- (Beifall des Abgeordneten Lars Harms schen Vielfalt, den Klimaschutz, den Wasserhaus- [SSW]) halt und erneuerbare Energien benötigt werden, für Meine Damen und Herren, die EU-Agrarförde- eine verfehlte Milchmengenpolitik geopfert. rung muss grüner werden. Die EU hat dies erkannt (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold und beginnt - immerhin in kleinen Schritten -, die- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sen Weg zu gehen. Dabei hat sie die vier gesell- Milchbauern und Umweltentwicklung werden ge- schaftlichen Herauforderungen - Biodiversität, Kli- geneinander ausgespielt. Wir fordern die Landesre- ma, Wasser und regenerative Energien - zumal ver- gierung auf, die von der EU für die zweite Säule bal in den Vordergrund gestellt. Als echte Reform zur Verfügung gestellten Mittel anzunehmen und will ich das nicht bezeichnen, aber es ist immerhin kozufinanzieren. Die Verwendung der Gelder aus ein „Reförmchen“. Die Mittel sollen von heute 5 % dieser zweiten Säule ist im Kern Ländersache. Wir auf 10 % im Jahr 2012 steigen und als Direktzah- appellieren daher an Sie, das Geld sinnvoll und ver- lungen in Richtung Förderung der ländlichen Räu- antwortungsbewusst zu investieren. Ein Milchfonds me fließen. gehört aus unserer Sicht nicht dazu. Schleswig-Holstein steht nun in der Pflicht, im (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes geeignete Programme zu entwickeln, mit denen Klimaschutz, Präsident Martin Kayenburg: Artenerhalt und Wassermanagement in der Für die Fraktion der CDU hat Herr Abgeordneter Landwirtschaft besser verankert werden können. Claus Ehlers das Wort. Die Gelder dürfen auf keinen Fall für einen Ausbau der auflagenlosen Investitionsförderung oder einer Claus Ehlers [CDU]: Beschleunigung der Industrialisierung der Land- wirtschaft eingesetzt werden. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor kurzer Zeit hat die Europäische Union Wie schon im Bundesrat ist Landwirtschaftsminis- erneut die Agrarförderung verändert. Nach langen terin Aigner auch in Brüssel mit ihren Vorstellun- Diskussionen wissen wir nun, dass unsere schles- gen zur Milchpolitik weitgehend gescheitert. Denn wig-holsteinische Landwirtschaft über 17 Millio- die Erhöhung der Milchquote um jährlich 1 % bis nen € verlieren wird. Diese Mittel werden von der 2015 konnte sie nicht aufhalten. ersten in die zweite Säule umgeschichtet und fehlen Die schleswig-holsteinische Landesregierung war auf den Höfen. wichtiger Motor dieses Scheiterns. Sie war erfolg- (Thomas Stritzl [CDU]: Hört, hört!) reich gegen die Interessen der ländlichen Wirt- schaftsentwicklung in unserem Land. Dies wird die Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7479

(Claus Ehlers)

Angesichts der jüngsten negativen Entwicklung der Präsident Martin Kayenburg: Preise auf dem Getreidesektor und auf dem Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Abgeordne- Milchsektor ist dies eine mehr als bedenkliche Ent- ter Dr. Henning Höppner das Wort. wicklung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU) Dr. Henning Höppner [SPD]: Selbstverständlich muss uns daran gelegen sein, die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am dem Land zufließenden Modulationsmittel zu bin- 20. November dieses Jahres hat der EU-Agrarmini- den und sinnvoll einzusetzen. Die dafür erforderli- sterrat in einer Nachtsitzung die im Vorfeld heiß chen Kofinanzierungsmittel müssen bereitgestellt diskutierten Beschlüsse zum sogenannten Health werden. Für die zusätzlichen Modulationsmittel Check - auf Deutsch heißt das: die Überprüfung der müssen dank der neuen Bundeslandwirtschaftsmi- Gesundheit der gemeinsamen Agrarpolitik - ge- nisterin nicht die üblichen 50 %, sondern nur 25 % fasst. kofinanziert werden. Nun hat sich der Nebel über den Äckern und Wie- Bemerkenswert ist für mich, dass die Reduzierung sen gelegt, und die kontroverse Kommentierung der der Direktbeihilfen für manche Parteien offensicht- Beschlusslage über die Inhalte lässt den Schluss zu, lich überhaupt kein Problem darstellt und zugleich dass mit diesen Kompromissbeschlüssen ein tragfä- jeder Cent, um den der Milchpreis fällt, den regie- higes Ergebnis erzielt wurde. rungstragenden Parteien in Bund und Land ange- kreidet wird. Wer mehr für die Landwirtschaft oder den ländli- chen Raum erwartet hat, der sei daran erinnert, dass Fallende Milchpreise sind für viele Betriebe ein immerhin noch rund 43 % des EU-Haushalts in die schwerwiegendes Problem, aber sinkende Direkt- Agrarpolitik fließen. Von den Etats der Landwirt- beihilfen sind es auch. Wer vorgibt, sich für unsere schaft und der ländlichen Räume mit zusammen Landwirtschaft einzusetzen, macht sich mit einer 53 Milliarden € gingen im letzten Jahr 6,8 Milliar- selektiven Betrachtungsweise höchst unglaubwür- den € an deutsche Bauern. Angesichts der erforder- dig. Auch hier gilt: Der Zweck heiligt die Mittel - lichen Verlässlichkeit für die Landwirtschaft konnte eben nicht. daher nur eine Weiterentwicklung und keine Kehrt- So manche Entscheidung der Europäischen Union wende in der Agrarpolitik vollzogen werden. ist in Deutschland nicht auf viel Gegenliebe gesto- Der Weg in eine zukunftsfähige Landwirtschaft ßen. Oft genug wurde das, was als zuverlässig galt, und eine bessere Infrastruktur in den ländlichen umgestoßen. Die neue Prämienregelung, die in Räumen ist klar und wird durch die Beschlüsse un- wenigen Jahren greift, muss längerfristig Bestand terstrichen: Direktzahlungen werden entkoppelt und haben, um den Höfen verlässliche Plandaten zu bie- mit konkreten Umwelt- und Naturschutzstandards ten. gekoppelt. Das nennen die Fachleute „Cross Com- (Beifall bei CDU und FDP) pliance“. Der Aufwand für die Betriebe und Behör- den wird weiter vereinfacht. Das ständige Hin und Her der Agrarpolitik führt auf den Höfen zu Entscheidungen, die nur für den Mo- Die Umverteilung der Direktzahlungen der er- ment gültig sind und viel Flexibilität erfordern. Das sten Säule in die Entwicklung des ländlichen belastet insbesondere junge Betriebsleiter, die Zu- Raumes, also in die zweite Säule, wird durch neue kunftsinvestitionen planen. Wenn es gelingt, die Modulationssätze, gestuft nach Größe der Betriebe, neuen Modulationsmittel zu binden - und davon ge- verstärkt. Hier stehen neue Mittel bereit, um in den he ich aus -, dann müssen sie für eine planbare und Bereichen Klimawandel, Wassermanagement, nachhaltige Landwirtschaft eingesetzt werden. Die Schutz der biologischen Vielfalt und Erzeugung Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ist auch von von Bioenergie und als Mittel für den sogenannten der Politik abhängig. Das zu leisten, sind wir aufge- Milchfonds eingesetzt werden zu können. rufen. Ich beantrage daher die Überweisung der Diese neuen Modulationsmittel müssen durch Bund beiden Anträge an den Umwelt- und Agraraus- und Land kofinanziert werden. Für Schleswig-Hol- schuss. stein sind im Schnitt 16 Millionen € zu 25 % von (Beifall bei der CDU) Bund und Land kozufinanzieren, damit die Gelder im Land gehalten werden können. Das ist ange- sichts unserer Haushaltslage keine einfache Aufga- 7480 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Dr. Henning Höppner) be. Der Appell im Antrag des SSW ergeht aber Günther Hildebrand [FDP]: auch in unserem Namen. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Weiter entsteht durch die in letzter Minute getroffe- legen! Vielleicht muss man Zyniker sein, um ange- ne Entscheidung, den geplanten sanften Milchquo- sichts der jüngsten Berichterstattung in den Medien tenausstieg in den benachteiligten Regionen mit über die „Reform der gemeinsamen Agrarpolitik“ Mitteln aus der zweiten Säule zu fördern, eine Kon- nicht die Hände über dem Kopf zusammenzuschla- kurrenz zu den Zielen Biodiversität, Klimaschutz, gen. In der Berichterstattung heißt es, dass Europas Wasserhaushalt und erneuerbare Energien. Diese Landwirte bis 2012 auf weitere 5 % ihrer Direkt- Konkurrenz darf bei allem Verständnis für die beihilfen verzichten müssen und ab 2013 insgesamt schwierige Situation der Milcherzeuger auch in 10 % weniger Direktzahlungen erhalten. Schleswig-Holstein nicht dazu führen, dass alle an- Jedenfalls darf man kein Landwirt sein oder - wie deren Ziele vergessen werden. Wir wollen eine zu- ich - deren Leistungen wertschätzen. Denn wer Be- kunftsfähige Milchproduktion und Landwirtschaft lastungen allein für die deutschen Bauern in drei- in einem intakten ländlichen Raum mit guter Infra- stelliger Millionenhöhe als „Verbesserung des Be- struktur. stehenden“ vermarktet - genau das heißt das Wort Angesichts der großen Probleme für unsere Milch- „Reform“ -, der missachtet wahrlich jegliche Wert- bauern dürfen bei dem Weg raus aus der Milchquo- vorstellungen unserer Landwirte. te bis zum Jahr 2015 mit dem Milchfonds von über Ich kann daher auch die Begeisterung für den jüng- 300 Millionen € bundesweit keine zu großen Hoff- sten EU-Kompromiss zum Umbau der Agrarsub- nungen genährt werden. Der „Spiegel“ spricht in ventionen, wie sie der SSW und die Grünen heute seiner aktuellen Ausgabe bei einem Zuschuss von oder die neue Bundeslandwirtschaftsministern Ilse 0,5 ct/l - wenn Sie das nachrechnen, stellen Sie fest, Aigner von der CSU äußern, in dieser Form nicht dass das bei einer 500-l-Kuh, die wir haben, unge- teilen. Dabei stimme ich der Grundidee, die seiner- fähr 42,50 € pro Euter und Jahr wären; das ist na- zeit mit der Einführung der Modulation verfolgt türlich keine Größenordnung - etwas spöttisch von und für die Gegenwart zuletzt 2006 in den soge- einem sogenannten Sterbegeld für die Milchbauern. nannten strategischen Leitlinien schwerpunktmäßig Dies ist angesichts der Schwankungen auf dem festgelegt wurde, durchaus zu. Milchmarkt keine wesentliche Stütze. Schwerpunkt der Förderung kann heute infolge Schleswig-Holstein hat als guter Milchproduktions- der Entwicklungen auf dem Nahrungsmittelmarkt standort mit seinem Produktionswert von knapp nicht mehr die Sicherstellung der allgemeinen Ver- 800 Millionen € jährlich gute Chancen und muss sorgung mit Lebensmitteln sein. Heute liegen die seinen eigenen Weg gehen, um die Milchprodukti- neuen gesellschaftlichen Herausforderungen neben on zu steigern. Dazu gehören einzelbetrieblich be- der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- trachtet erhebliche Anstrengungen und strukturelle wirtschaft ohne Frage auch beim Klimawandel, der Anpassungen in überbetriebliche Kooperationen, Bioenergieerzeugung, der Wasserbewirt- dies selbstverständlich auch bei den Meiereien. schaftung oder dem Erhaltung der Biodiversität. Dieser Weg des aktiven Wachstums wird durch die leicht erhöhten Milchquoten gestützt, denn er macht Gleichwohl müssen wir berücksichtigen, dass wir die Milchquoten als solche billiger. in Deutschland und in Schleswig-Holstein den Weg weg von den betriebsindividuellen und produkti- Wir beantragen, beide vorliegenden Anträge dem onsabhängigen Prämien hin zu einheitlichen Flä- Umwelt- und Agrarausschuss zu überweisen und chenprämien schon sehr konsequent gegangen auf besondere Bitte der Kolleginnen und Kollegen sind. Die aktuellen Zugeständnisse an die europäi- aus dem Europaausschuss auch dorthin. schen Partner betrachte ich daher eher kritisch. (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Denn durch die aktuelle Reform werden die Agrar- CDU) subventionen tatsächlich insgesamt nicht gesenkt. Sie sollen nur nicht mehr wie bisher beim Landwirt Präsident Martin Kayenburg: ankommen, sondern bevorzugt für eine ländliche Entwicklung im Allgemeinen eingesetzt werden. Für die Fraktion der FDP hat der Herr Abgeordnete Günther Hildebrand das Wort. Dafür mag es im Einzelfall gute Gründe geben. Nur, in der Summe fehlt dieses Geld den Landwir- ten - und das in einer Zeit, in der sich die Agrar- märkte weltweit ohnehin in einer äußerst schwieri- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7481

(Günther Hildebrand) gen Absatzlage befinden, und das nicht nur, wenn sehr, dass wir uns in dieser Frage im Ausschuss ei- auch im besonderen Maß bei der Milch. nig werden können. Der grundsätzlichen Idee einer soliden Kofinanzierung der EU-Agrarmittel stimme Insbesondere der Forderung des SSW, „die Mittel ich ohne Weiteres zu. Das ist Voraussetzung. sollen ... für die Regionalentwicklung ... zur Verfü- gung gestellt werden“, muss ich an dieser Stelle be- (Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten reits deutlich widersprechen. Wir brauchen, gerade Hartmut Hamerich [CDU], Klaus Klinckha- in einem Agrarland wie Schleswig-Holstein, die mer [CDU] und Manfred Ritzek [CDU]) Förderungen dicht bei den Landwirten. Das schließt mögliche Anreizprogramme beispielsweise für um- Präsident Martin Kayenburg: weltschonendere Bewirtschaftungsformen nicht aus. Für die Landesregierung hat der Minister für Land- wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Herr (Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher, das Wort. Hartmut Hamerich [CDU] und Klaus Klinck- hamer [CDU]) Dr. Christian von Boetticher, Minister für Land- Es sollte aber Programme ausschließen, die allen- wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: falls geeignet sind, einer Form des idyllischen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Landlebens Vorschub zu leisten, bei dem der realen Herren! Der Name „Health Check“ lässt sich viel- Landwirtschaft nur eine Statistenrolle, im besten fach interpretieren. Wenn man ihn anwendet, könn- Fall noch eine Nebenrolle zukommt. te man in der Analyse am Ende sagen: Die verab- (Beifall bei der FDP) reichte Medizin ist bitter, aber nicht ganz so bitter, wie man es beim ersten Löffel erwartet hat. - Der Unsere Landwirte sind Unternehmer, kleine und „Health Check“ geht weiter, als der SSW-Antrag mittelständische Betriebe. Sie brauchen Planungssi- das vorsieht. Er bezieht sich auf mehr als nur die cherheit. Sie müssen auf die Rahmenbedingungen, Modulation, auch wenn das vielleicht der Kern ist. wie sie zuletzt 2006 für den Zeitraum bis 2012 fest- Es wird die gesamte Agrarreform von 2003 über- gelegt wurden, als verlässlich und sicher vertrauen prüft. können. Erinnern wir uns daran, wer damals im Agrarrat für (Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Deutschland die Hand gehoben hat. Das war die of- Hartmut Hamerich [CDU] und Klaus Klinck- fensichtlich auch bei den Grünen in Vergessenheit hamer [CDU]) geratene Frau Künast. Sie hat damals mit dafür ge- Die haben investiert und müssen die Finanzierung, sorgt, dass es zu einer entkoppelten Prämie ge- also auch die Zinsen, entsprechend sicherstellen. kommen ist, dass es zu mehr Marktwirtschaft ge- Wenn im Lauf eines Planungszeitraumes die För- kommen ist und dass wir bis 2013 Prämien für derung geändert wird, kommen diese Landwirte in Ackerland und Grünland angleichen werden. Das Schwierigkeiten. Weil sie nur dann Eigenkapital ist ein langfristig angelegter Prozess bis 2013. bilden können, um investieren zu können, um kon- Das, was unsere Landwirte heute einfordern, ist kurrenzfähig zu sein, im laufenden Betrieb aber nichts anderes als Verlässlichkeit in genau diesem auch in künftigen Generationen. Weil sie nur dann Prozess, den Sie einmal mit der grünen Partei unter- in der Lage bleiben, ihren Kapitaldienst in den kal- stützt haben. kulierten Zeiträumen bedienen zu können. Schließ- lich sind die gesamten Investitionen, die ein Betrieb (Beifall bei CDU und FDP) leistet, um nach den Regeln der guten fachlichen 350 Millionen € fließen in die schleswig-holsteini- Praxis zu wirtschaften, kein Pappenstiel. sche Landwirtschaft, und - ich sage es ganz deut- (Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!) lich - das in einer ganz schweren Zeit. Wir kennen die Milchmarktdebatte. Der eine oder andere kennt Genau diese Planungssicherheit nehmen wir den auch die Situation auf dem Sauenmarkt. Hinzu Landwirten aber, wenn wir nunmehr im Zug der ak- kommen niedrige Erzeugerpreise, gestiegene Fut- tuellen Reform der Reform neuerliche Umschich- termittel- und Energiepreise. Ich sage Ihnen eines: tungen vornehmen - weg vom Landwirt, hin zur Diese 380 Millionen € sind nicht irgendwo dumm Regionalentwicklung. Im Interesse unserer lei- verteiltes Geld, sondern das ist Geld, das anschlie- stungsfähigen Landwirte und im Interesse des ßend in unserem Land bleibt. Agrarstandortes Schleswig-Holstein hoffe ich daher 7482 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Im Unterschied zu vielen anderen gehen die Bauern Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Minister, nicht an den internationalen Finanzmarkt. In den wären Sie so freundlich, dem Kollegen Matt- meisten Fällen spekulieren sie auch nicht mit Akti- hiessen schriftlich die Anzahl der Händler in en, sondern sie legen das Geld ganz gezielt wieder Schleswig-Holstein mitzuteilen, bei denen in ihren Betrieben an. Sie reinvestieren es. Aufträge man Trecker und Düngemittel kaufen kann? schreiben sie auch nicht europäisch aus, sondern sie - Ich finde, das ist eine hervorragende Idee. Herzli- vergeben sie an örtliche Handwerker. Das ist echtes chen Dank, Herr Kollege Kubicki. Geld für die Region Schleswig-Holstein. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei CDU und FDP) Herr Matthiessen, Sie lassen sich gern als den Ret- Dieses Geld wird nun für den Durchschnittsbe- ter der schleswig-holsteinischen Milchwirtschaft trieb um bis zu 5 % gekürzt. Daran kann ich zu- feiern. Vielleicht können Sie zur Kenntnis nehmen, nächst einmal nichts Erfreuliches finden; zumindest dass uns die Beschlüsse ab dem Jahr 2010 8 Millio- dann nicht, wenn ich das Geld nur dann zurücker- nen € ansteigend bis auf 20 Millionen € kosten wer- halte, wenn ich eigenes Geld aus dem Landeshaus- den. Diese Gelder erhalten wir nur zurück, wenn halt mit dazugebe. wir eigenes Geld beitragen. Ich freue mich schon auf die Debatte, wenn ich in meinem Haushalt bei- Präsident Martin Kayenburg: spielsweise umschichte und vielleicht bei grünen Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Lieblingsprojekten Geld sparen muss, damit ich Herrn Abgeordneten Matthiessen zu echtem Geld? dieses Geld überhaupt abrufen kann. Das wird nicht einfach werden. Wir werden mit dem Bund noch Dr. Christian von Boetticher, Minister für Land- über die GAK-Mittel verhandeln, damit unser An- wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: teil möglichst klein ist. Wir wollen die Gelder aus Brüssel abrufen, aber das ist in diesem Fall deutlich Sehr gern. schwerer als in einem Fall von Direktzahlungen an Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE die Landwirtschaft. Diese kommen - wie gesagt - GRÜNEN]: Herr Minister, könnten Sie mir direkt bei den Bauern an. einen schleswig-holsteinischen Dünger- oder Wir sind jetzt in einer Überprüfungsphase. Bis Treckerhersteller nennen? Ich frage dies, Ende Juni prüfen wir, welche Konzepte wir für die weil Sie sagten, alles Geld würde von den Umsetzung dieser Mittel einsetzen werden. Wir Bauern hier im Lande ausgegeben. werden natürlich das Gespräch mit dem Landtag - Nein, wissen Sie, das Wort „alles“ kann ich an suchen. Wir werden auch mit dem Bauernverband dieser Stelle sicherlich einschränken. Es gilt aber und mit den Verbänden insgesamt sprechen. Wir für einen sehr großen Anteil des Geldes. Es gilt für werden der Kommission dann bis Juni 2009 ein den Anteil, der in die Investitionen fließt. Das wird Programm vorlegen müssen, das darlegt, wie wir deutlich, wenn Sie einmal gucken, wie Ställe ge- diese Mittel verteilen. Es gibt viele Dinge, die in baut werden, wo das Handwerk sitzt, wo die Wert- Betracht kommen. Ich nenne nur den Milchfonds. schöpfung in diesem Land liegt. Dann sehen Sie, Herr Kollege Matthiessen, das ist sehr interessant. dass zum Glück auch noch nach langer grüner Poli- Ich glaube, ich habe im letzten Jahr niemanden er- tik viel Wertschöpfung in der Landwirtschaft in un- lebt, der sich so schnell in seinen Positionen um die serem Land liegt. eigene Achse gedreht hat, wie Sie und auch die (Beifall bei CDU und FDP) Grünen insgesamt das haben. Es gab zunächst eine Aussage, die hieß: Raus aus der Milchquote. Sie Präsident Martin Kayenburg: stammte von Frau Künast und Herrn Müller. Diese Aussage schwebte zunächst über allem. Dann kam Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ihr großer Auftritt. Sie sagten, wir müssen die Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki? Milchquote behalten. Wir als Landesregierung soll- ten die Zusammenkunft der Agrarminister mit dem Dr. Christian von Boetticher, Minister für Land- BDM und die dort gefassten Beschlüsse unterstüt- wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: zen, in denen der Milchfonds enthalten ist. Heute erzählen Sie, Sie wollen doch keinen Milchfonds Auch das. mehr. Wenn man Sie danach beurteilt, wie schnell Sie sich drehen, dann müsste man Sie eigentlich Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 100. Sitzung - Donnerstag, 11. Dezember 2008 7483

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

„Propeller-Matthiessen“ nennen. Das, was Sie in (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE diesem Bereich leisten, ist schon atemberaubend. GRÜNEN]: Das kann gar nicht anders ge- meint sein! - Weitere Zurufe) Wir haben neue Herausforderungen, das haben Sie beschrieben. Ich nenne den Klimaschutz, Biodiver- - Nachdem nun die Vorbereitungen für die Abstim- sität und erneuerbare Energien. Ich glaube eben- mung getroffen sind, stelle ich fest, dass beantragt falls, dass das wichtige Felder sind. Ich erinnere worden ist, die Anträge Drucksachen 16/2333 und noch an den ländlichen Wegebau in Schleswig-Hol- 16/2373 federführend an den Umwelt- und Agrar- stein. Es gibt eine ganze Menge an Themen, die wir ausschuss und mitberatend an den Europaausschuss jetzt aufarbeiten werden. Am Ende erinnere ich dar- zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte an, dass das Programm auch von der Kommission ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - unterschrieben und genehmigt werden muss. Ich sa- Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so be- ge noch einmal: Es gibt eine Menge an Anwen- schlossen. dungsbereichen. Über diese werden wir uns im Ich unterbreche die Tagung bis morgen früh, nächsten halben Jahr gemeinsam in diesem Land 10 Uhr, und wünsche allen Kolleginnen und Kolle- verständigen. gen einen angenehmen Abend und eine schöne (Beifall bei CDU und FDP) Weihnachtsfeier. Die Sitzung ist geschlossen. Präsident Martin Kayenburg: Schluss: 17:26 Uhr Herr Minister, ich unterstelle, dass die Formulie- rung „Propeller-Matthiessen“ scherzhaft gemeint war. Üblicherweise nutzt die Regierung derartige Formulierungen gegenüber Abgeordneten nicht.

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst