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Plenarprotokoll 13/188

Deutscher

Stenographischer Bericht

188. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Inhalt:

Begrüßung des Präsidenten der Republik Dr. Christoph Zöpel SPD 17017 B Jemen und seiner Delegation 16996 D Ulrich Irmer F.D.P 17018 D, 17021 C Tagesordnungspunkt 1: Dr. (München) CDU/CSU . . 17020A Dr. SPD a) Fortsetzung der ersten Beratung des 17022 C von der Bundesregierung eingebrach- Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE ten Entwurfs eines Gesetzes über die GRÜNEN 17023 D Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 (Haushalts-- Ulrich Irmer F.D.P 17025 A gesetz 1998) (Drucksache 13/8200) . . 16959 A Andrea Gysi PDS 17026 A b) Unterrichtung durch die Bundesregie- SPD 17027 A rung: Finanzplan des Bundes 1997 bis 2001 (Drucksache 13/8201) 16959 B Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU 17028 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 17029 A SPD 16959 B SPD 17032 C CDU/CSU 16965 B Jürgen Koppelin F.D.P. . . . 17034 A, 17058 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16970 C CDU/CSU . . 17035 B, 17039 A Dr. F.D.P 16977 B Ernst Kastning SPD 17036 A, 17037 C CDU/CSU . . . . 17037 A Dr. PDS 16983 A, 16987 A Dieter Heistermann SPD 17038 D Dr. Mathias Schube rt SPD 16986 D Brigitte Schulte (Hameln) SPD . . . 17039 A Dr. , Bundeskanzler . . . 16987 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜ , Ministerpräsident (Saar NEN 17041 A land) 16996 D Jürgen Koppelin F.D.P 17042 B Dr. F.D.P. . . . . 17000 A Heinrich von Einsiedel PDS . . . 17044 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 17005 D, 17013 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister SPD 17013 B BMZ 17048 C Dr. Gregor Gysi PDS (Erklärung nach § 30 Adelheid Tröscher SPD . . . . 17050 B, 17052 D GO) 17014 A CDU/CSU 17052 B Dr. , Bundesminister AA . 17014 C Michael von Schmude CDU/CSU . . . 17053 A

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. , Mittwoch, den 10. September 1997

Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜND d) Antrag der Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN 17055 B (Köln), Franziska Eichstädt-Bohlig, Roland Kohn F.D.P. 17056 D weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ge- SPD 17058 C denken und Erinnern durch die Kenn- Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . 17058D zeichnung historisch bedeutsamer Or te im Berliner Parlaments- und Regie- Dr. Willibald Jacob PDS 17059 B rungsviertel (Drucksache 13/4182) . . 17045D Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 17060 B e) Antrag der Abgeordneten Volker Beck Dr. R. Werner. Schuster SPD 17061 A (Köln), Halo Saibold, weiterer Abge- Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . 17062A ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dr. F.D.P. . . . . 17063 A DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten (Pforzheim), , , Bundesminister BMI 17064 C weiterer Abgeordneter und der Frak- Otto Schily SPD 17067 A tion der SPD: 60. Jahrestag der Bom- bardierung von Guernica/Gernika Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 17070D (Drucksache 13/7509) 17045 D Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 17073 A Tagesordnungspunkt 4: F.D.P. 17074 B Abschließende Beratungen ohne Aus- Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . . . 17076A sprache PDS 17076 C a) Zweite Beratung und Schlußabstim- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmini mung des von der Bundesregierung ster BMJ 17077 C eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Gunter Weißgerber SPD 17080 A zu dem Vertrag vom 13. September Manfred Kolbe CDU/CSU 17082 A 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Costa Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Rica über die Förderung und den GRÜNEN 17083 C gegenseitigen Schutz von Kapitalanla- Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . . 17085 B gen (Drucksachen 13/7609, 13/8354) . 17046 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 17086 C b) Zweite Beratung und Schlußabstim- Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD - 17087 C mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes CDU/CSU 17089 C zu dem Vertrag vom 11. August Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 17090 C 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Para- Tagesordnungspunkt 3: guay über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanla- Überweisungen im vereinfachten Ver- gen (Drucksachen 13/7610, 13/8355) . 17046B fahren c) Zweite Beratung und Schlußabstim- a) Erste Beratung des von der Bundesre- mung des von der Bundesregierung gierung eingebrachten Entwurfs eines eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Ersten Gesetzes zur Änderung des zu dem Vertrag vom 28. Oktober 1993 Bundeswasserstraßengesetzes (Druck zwischen der Bundesrepublik Deutsch- sache 13/7955) 17045 C land und der Republik Slowenien über b) Erste Beratung des von der Bundesre- die Förderung und den gegenseitigen gierung eingebrachten Entwurfs eines Schutz von Kapitalanlagen (Druck- Gesetzes zu dem Abkommen vom sachen 13/7611, 13/8356) 17046 B 31. Oktober 1996 zur Änderung des Abkommens vom 8. April 1960 zwi- d) Zweite Beratung und Schlußabstim- schen der Bundesrepublik Deutsch- mung des von der Bundesregierung land und dem Königreich der Nieder- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes lande über niederländische Kriegsgrä- zu dem Abkommen vom 29. Septem- ber in der Bundesrepublik Deutsch- ber 1995 zwischen der Bundesrepu- land (Kriegsgräberabkommen) (Druck blik Deutschland und der Republik sache 13/7991) 17045 C Simbabwe über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- c) Antrag der Abgeordneten Gila Alt- talanlagen (Drucksachen 13/7612, mann (Aurich) und der Fraktion 13/8357) 17046 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weser- tunnel-Planungen beenden (Druck e) Zweite Beratung und Schlußabstim- sache 13/7963) 17045 C mung des von der Bundesregierung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes die Förderung und den gegenseitigen zu dem Vertrag vom 11. September Schutz von Kapitalanlagen (Druck- 1995 zwischen der Bundesrepublik sachen 13/7621, 13/8364) 17047 B Deutschland und der Republik Süd- afrika über die gegenseitige Förde- l) Zweite Beratung und Schlußabstim- rung und den Schutz von Kapitalanla- mung des von der Bundesregierung gen (Drucksachen 13/7613, 13/8358) . 17046 C eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. April 1993 zwi- f) Zweite Beratung und Schlußabstim- schen der Bundesrepublik Deutsch- mung des von der Bundesregierung land und der Sozialistischen Republik eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Vietnam über die Förderung und den zu dem Vertrag vom 28. April 1993 gegenseitigen Schutz von Kapitalanla- zwischen der Bundesrepublik Deutsch- gen (Drucksachen 13/7622, 13/8365) . 17047 C land und der Republik Usbekistan über die Förderung und den gegen- m) Zweite und dritte Beratung des von der seitigen Schutz von Kapitalanlagen Bundesregierung eingebrachten Ent- (Drucksachen 13/7614, 13/8359) . . . 17046D wurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschrif- g) Zweite Beratung und Schlußabstim- ten (3. Statistikbereinigungsgesetz) mung des von der Bundesregierung (Drucksachen 13/7392, 13/8384) . . . 17047 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Januar n) Beschlußempfehlung und Bericht des 1996 zwischen der Regierung der Haushaltsausschusses zu dem Antrag Bundesrepublik Deutschl and und der der Abgeordneten Gila Altmann Regierung Hongkongs zur Förderung (Aurich), Franziska Eichstädt-Bohlig, und zum gegenseitigen Schutz von weiterer Abgeordneter und der Frak- Kapitalanlagen (Drucksachen 13/7615, tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fahr- 13/8360) 17046 D rad-Fahrbereitschaft für den Deut- schen Bundestag in Bonn (Druck- h) Zweite Beratung und Schlußabstim- sachen 13/3328, 13/8078) 17048 A mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes o) Beschlußempfehlung und Bericht des zu dem Vertrag vom 2. Dezember 1994 Ausschusses für Arbeit und Sozial- zwischen der Bundesrepublik Deutsch- ordnung zu der Unterrichung durch die Bundesregierung: Mitteilung der ' land und Barbados über die Förde-- rung und den gegenseitigen Schutz Kommission zur Entwicklung des so- von Kapitalanlagen (Drucksachen 13/ zialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene 7616, 13/8361) 17047A (Drucksachen 13/6129 Nr. 1.29, 13/ 7960) 17048 A i) Zweite Beratung und Schlußabstim- p) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- mung des von der Bundesregierung schusses: Sammelübersicht 226 zu Pe- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes titionen (Regelung im Einigungsver- zu dem Vertrag vom 21. März 1995 trag, wonach einige mineralische Roh- zwischen der Bundesrepublik Deutsch- stoffe als bergfreie Bodenschätze gel land und der Republik Honduras über ten) (Drucksache 13/8068) 17048 B die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Druck- sachen 13/7617, 13/8362) 17047 A Nächste Sitzung 17091 C j) Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung Anlage 1 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. Februar 1995 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 17093* A zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Republik Ghana über die Förderung und den gegenseitigen Anlage 2 Schutz von Kapitalanlagen (Druck- sachen 13/7620, 13/8363) 17047 B Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- ten Gerhard Jüttemann (PDS) zur Abstim- k) Zweite Beratung und Schlußabstim- mung über die Beschlußempfehlung des mung des von der Bundesregierung Petitionsausschusses zur Sammelüber- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes sicht 226 zu Petitionen - Regelung im Eini- zu dem Vertrag vom 28. Februar 1994 gungsvertrag, wonach einige mineralische zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Rohstoffe als bergfreie Bodenschätze gel- land und der Republik Moldau über ten - (Tagesordnungspunkt 4 p) . . . . 17093* C

Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16959

188. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Angesichts großer Herausforderungen erwartet die und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Mehrheit unserer Landsleute, daß die Regierung kraftvoll handelt. 1996, Herr Bundeskanzler, haben Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord- Sie gesagt: Wir müssen entweder durchstarten oder nungspunkt 1- fort: abdanken. Zum Durchstarten fehlen Ihnen Kraft und Konzeption, zum Abdanken der Mut vor dem Urteil a) Erste Beratung des von der Bundesregierung der Wähler. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das Haushaltsjahr 1998 DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Haushaltsgesetz 1998) PDS) - Drucksache 13/8200 - Überweisungsvorschlag: Die große Mehrheit unserer Landsleute erwartet, Haushaltsausschuß daß die Regierung Wege in die Zukunft öffnet, an- statt Belastungen zu mehren. Diese Regierung aber b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- taumelt ideenlos und phantasielos vor sich hin. Sie regierung veranstaltet Strategiegipfel, bei denen nur ihr eige- Finanzplan des Bundes 1997 bis 2001 nes Überleben, aber nicht die Zukunft unseres Lan- des eine Rolle spielt. - Drucksache 13/8201 — Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Haushaltsausschuß GRÜNEN und der PDS) Ich erinnere daran, daß wir gestern für die heutige Aussprache eine Dauer von insgesamt neun Stunden Die große Mehrheit unserer Landsleute erwartet, beschlossen haben. daß sich die Regierung den Herausforderungen und den Menschen zuwendet, die diese Herausforderun- Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des gen bewältigen wollen. Sie erwartet eine Regierung Bundeskanzleramtes. mit Weitblick und Wirklichkeitssinn. Alles das, Herr Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Bundeskanzler, fehlt Ihnen. Sie sind eine Belastung Rudolf Scharping. für das deutsche Volk geworden. Ihre Politik und Ihre Zeit gehen zu Ende. (SPD): Frau Präsidentin! Meine Rudolf Scharping (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei sehr verehrten Damen und Herren! 1994 hat Herr Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl erneut geschworen, GRÜNEN) den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Ich frage mich: Welche Nutzen hat er gemehrt, welchen Schaden hat Es ist ja leider üblich geworden, über die Heraus- er abgewendet?, angesichts der hohen Arbeitslosig- forderungen unseres Landes, über seine Chancen, keit und der hohen Jugendarbeitslosigkeit, der stei- aber auch über die Belastungen in Zahlen zu reden. genden Steuern, der wachsenden Bürokratie und Eine solche Zahl wäre, daß in diesen Tagen 152 000 vieler anderer Mißstände und Belastungen im Lande. Jugendliche immer noch einen Ausbildungsplatz Wessen Nutzen, Herr Bundeskanzler, haben Sie ge- suchen. Das ist aber mehr als eine statistische Zahl. mehrt? Wo haben Sie Schaden abgewendet? Das sind 152 000 junge Menschen, denen die Zu- kunft verbaut wird; es sind rund 300 000 Eltern, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sich Sorgen machen um die Zukunft ihrer Kinder; es DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sind viele andere darum herum. Alle wissen: Wir PDS) haben leider eine Regierung, die die Zukunft der 16960 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Rudolf Scharping Jugend und die Zukunft des Landes nicht mehr ernst keit gegenüber, eine Verantwortlichkeit der Allge- nimmt; sie handelt nicht mehr kraftvoll. meinheit und jedes einzelnen, wirklich Ausbildung zu wollen und wirklich Arbeit anzunehmen. (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist wahr!) GRÜNEN) Eine andere Zahl wäre, Herr Bundeskanzler: Das sage ich im Angesicht einer Regierung - Herr 530 000 Jugendliche sind ohne Arbeit. Zum ersten- Bundeskanzler, Ihrer Regierung -, die wie nie zuvor mal seit Jahrzehnten ist die Arbeitslosigkeit unter Rechte und Verantwortlichkeiten, Chancen und Jugendlichen höher als die Gesamtarbeitslosigkeit. Lasten auf eine ungerechte, wi rtschaftlich unver- 530 000 junge Menschen! Die Mehrheit unseres Vol- nünftige, die Zukunft belastende Weise verteilt hat. kes erwartet, daß jeder ausgebildet wird, daß der Je stärker das Einkommen, je besser die Chancen, gefährliche Nährboden ausgetrocknet wird, den die desto mehr Aufmerksamkeit widmen Sie den Men- Jugendarbeitslosigkeit für die Gewalt von Jugend- schen. Je schlechter die Chancen, je schwieriger die lichen darstellt. Lebenslage, desto eher klingt es unter dem Druck der Klientelpartei F.D.P. höhnisch durch die Öffent- Sie tun nichts. Wer die erschütternden B riefe, die lichkeit: Die sollen sich selbst helfen, die sind selbst manchmal ganz verzweifelten Hilferufe, liest, wer schuld, die sind selbst verantwortlich. Das ist eine sich die vielen Briefe, die man erhält, und die vielen unfaire, eigentlich auch unanständige Politik, die Sie Gespräche, die man führt, ins Gedächtnis zurückruft, da betreiben. dem fällt auch wieder ein, daß Sie, Herr Bundeskanz- ler, 1996 gesagt haben - das war eine gewaltige Dro- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE hung, wie wir wissen -, es sei kein Platz mehr im Jet GRÜNEN und der PDS) des Bundeskanzlers für solche, die nicht ausbildeten. 1997 sagt Herr Rüttgers - Sie beschließen es dann -, Rechte? Chancen? Ich bin sehr dafür, Leistungsträ- man wolle jetzt jene bevorzugen - wohlgemerkt: bei ger zu fördern. Aber es müssen Leistungsträger sein. wirtschaftlich gleichwertigen Angeboten -, die we- Leistungsträger und Elite, das entscheidet sich nach nigstens ausbildeten. Das sind nur hilflose Gesten. dem persönlichen Streben nach Glück und Erfolg, Das ist keine konzeptionell klare, kraftvolle, zu- und es entscheidet sich danach, ob ein Mensch bereit kunftsweisende Politik. Das ist frei von Wirklichkeits- ist, für den Fortschritt der Allgemeinheit und nicht sinn und Weitblick. Herr Bundeskanzler, Ihre Politik nur für sich persönlich etwas zu tun. Das sind die ist eine schwere Belastung für die Zukunft unseres Verantwortungs- und Leistungseliten unseres Lan- Landes und die Zukunft seiner Jugend geworden. des. Das muß geändert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ten des PDS) GRÜNEN und der PDS) - Rhetorisch haben Sie diese Erkenntnis ja alle auch. Dieses Prinzip haben Sie sträflich vernachlässigt. Aber so, wie Ihre Haushaltslöcher den klaffenden Widerspruch zwischen Traum und Wirk lichkeit zei- Weitblick und Wirklichkeitssinn sagen uns: Jeder gen, so zeigt eben auch jede dieser hilflosen Gesten, soll ausgebildet werden. Die Chance des Übergangs daß Sie nicht wirklich wollen oder mindestens nicht in Arbeit soll angeboten und fair sein. Aber dem steht wirklich können. auch eine Verantwortlichkeit gegenüber, wie es bei- spielsweise in Dänemark, in Großbritannien, in Wir werden handeln. Wir werden dem, was bei- Frankreich und in anderen europäischen Ländern ja spielsweise Frau Süssmuth oder der Vorstandsvorsit- schon verwirklicht wird. zende von BMW oder viele andere in Interviews sagen, die notwendigen gesetzgeberischen Maßnah- Neben diesen beiden bedrückenden Zahlen zu men folgen lassen. Wer ausbildet, sorgt für die Zu- den fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten und der kunft der Jungen und die Zukunft unseres Landes. wachsenden Jugendarbeitslosigkeit eine andere Wer ausbildet, verdient Hilfe, Ermunterung und Zahl: Heute sind die Zeitungen voll von den rund finanzielle Entlastung. Das ist die logische Folge aus 4,4 Millionen Menschen, die Arbeit suchen; das sind dieser allgemeinen Erkenntnis. 470 000 mehr als im August des letzten Jahres. Herr Bundeskanzler, wo haben Sie da Schaden abge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne wendet? ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) Wir werden handeln in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit unserer Landsleute auch in einem Wessen Nutzen haben Sie da gemehrt? Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Wir werden eigene Ideen und europäische Erfahrungen (Dr. Peter Struck [SPD]: Den eigenen!) gleichermaßen nutzen. Sie haben immer neue Programme aufgelegt: erst Ich füge hinzu: Es gibt ein Recht, und es muß eine ein 10-Punkte-Programm, dann ein 20-Punkte-Pro- Garantie geben für die Ausbildung junger Men- gramm, dann ein 50-Punkte-Programm. Ich frage schen, für ihren Übergang ins Arbeitsleben. Diesem mich: Wann kommt das 111-Punkte-Programm? Dies Recht, dieser Chance steht auch eine Verantwortlich sind Beweise fortdauernder Hilflosigkeit. Sie können Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16961

Rudolf Scharping nicht ordentlich regieren. Es fehlt Ihnen die Kraft, es Es wäre wirtschaftlich vernünftig, ökologisch ver- fehlt Ihnen die Konzeption. antwortungsbewußt und sozial gerecht, in einem ersten Schritt wirklich durchzugreifen und die Lohn- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei nebenkosten zu senken - im Interesse der Arbeit, der Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Arbeitsplätze, des Handwerks und des Mittelstands. GRÜNEN) Die Mehrheit unserer Landsleute erwartet kraftvol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne les Handeln, und sie ist bereit, Verantwortung zu ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) übernehmen. Es ist eine Illusion, zu glauben, die Und, Herr Bundeskanzler, weil dieses Thema auch Mehrheit unserer Landsleute wollte das gewisserma- in Europa noch eine Rolle spielen wird: Wie eigent- ßen im Sinne einer staatlichen Wohlfahrt, im Sinne lich will diese Regierung mit ihrer hilflosen, phanta- einer Verteilungspolitik allein. Nein, die Mehrheit sielosen und konzeptionslosen Politik einen europäi- unseres Volkes ist auch bereit, Verantwortung zu schen Beschäftigungsgipfel bestreiten? Wie soll das übernehmen, wenn es fair, wenn es gerecht zugeht. im Gespräch mit den Nachbarn, in gemeinsamer Herr Bundeskanzler, seit 1990, seit dem Glücksfall Anstrengung, im gegenseitigen Lernen voneinander der deutschen Einheit, haben Sie zu keinem einzigen mit dieser Regierung gehen? Nein, Sie taumeln ent- Zeitpunkt an die Bereitschaft zur Übernahme von schlossen dahin. Verantwortung angeknüpft. Nein, Sie haben das Gefühl für Anstand, Fairneß und Gerechtigkeit in (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND diesem Land verletzt, wie es nie zuvor eine Regie- NIS 90/DIE GRÜNEN) rung getan hat, seit es die Bundesrepublik gibt. Wenn Sie zupacken, ist das immer wie in Watte ge- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei griffen. In diesem Bundestag haben Sie ein Gesetz Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE beschlossen, das die öffentlichen Haushalte um neue GRÜNEN) Löcher bereichert, um eine Lücke von 45 Milliarden DM. „Bereichert" kann man eigentlich gar nicht sa- Die Belege für diesen Vorwurf sind Legion. Sie be- gen. ginnen im Herbst 1990 mit dem ungewöhnlich leicht- fertigen Versprechen der blühenden Landschaften Jetzt, in diesen Tagen, kommt der Kollege Solms im Osten und der Zusage, im Westen müsse niemand und sagt: Nein, das ist gar nicht so gemeint mit den mehr zahlen, schon gar nicht gäbe es wegen der 45 Milliarden. Es sollen 30 sein, so wie Sie es ja im- deutschen Einheit Steuererhöhungen. Sie enden mit mer für sich reklamie rt haben. Das wirft die Frage dem leichtfertigen Zerschlagen des Angebotes der auf: Wie schließen wir denn die Lücken zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihrer Ge- diesen 45, die Sie beschlossen haben, und jenen 30, werkschaften, für ein Bündnis für Arbeit. die Sie eigentlich erreichen wollen? - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie sagen: Das ist gar nicht so gemeint. Dann ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kommt Herr Repnik und sagt: Nein, es kommt ein und der PDS) ganz neues Angebot. Es könnten auch 10 bis 15 Mil- Die Belege sind Legion. Nein, auch hier fehlt Ihrer liarden sein, also nur die Hälfte vom eigentlich rekla- Politik Weitblick und Wirklichkeitssinn. mierten Ziel. Schließlich höre ich von Herrn Schäu- ble, man könne sich auch in einem ersten Schritt, in Wir stellen drei Leitlinien dagegen. einer ersten Stufe gewissermaßen Aufkommensneu- tralität, also null, vorstellen. Jetzt können wir uns alle Erstens: Die Weichen stellen auf ein dauerhaftes überlegen, was Sie denn wirk lich meinen. Was ist Wachstum, ein Wachstum, das, mit Blick auf die wirklich ernstgemeint? Lebensgrundlagen, Probleme löst, anstatt neue zu schaffen, ein Wachstum, an dem alle teilhaben kön- (Beifall bei der SPD) nen, nicht nur eine Minderheit, ein Wachstum, das in Deutschland hilft und nicht nur vom Expo rt angetrie- Können wir uns in dieser Zeit eine solche Regie- ben wird. rung leisten? Nein, wir können nicht. Wir brauchen klare, verläßliche Politik; Politik, die mit Weitblick Die zweite Leitlinie: Recht und Ordnung in der und Wirklichkeitssinn ein realistisches Ziel des wirt- Wirtschaft durchsetzen. Es geht nicht darum, immer schaftlichen Wachstums, der steuerlichen Entlastung schön .zu predigen, sondern darum, wirklich etwas zu und der Gerechtigkeit miteinander verknüpft. Das tun, wozu Ihre Regierung unfähig geworden ist. tun Sie nicht. Drittens: Neue Wege öffnen. Ich sage Ihnen auch hier von diesem Pult: Es wird Ich sage Ihnen etwas zu den sicheren Rahmenbe- leider wenig Sinn machen, miteinander um ein Er- dingungen; das hat gestern schon eine Rolle gespielt gebnis zu ringen, wenn einem ein Gesprächspartner und wird die politische Debatte der nächsten 12 Mo- gegenübersitzt, der sagt, eigentlich sollten es 45 Mil- nate weiter prägen: Deutschland ist von allen Indu- liarden sein, wenn der nächste sagt, es sollten viel- strieländern das Land, das seine Arbeitsplätze und leicht 30 sein, der dritte von 10 bis 15 und der vierte seine Arbeitseinkommen am stärksten belastet - mit von null spricht. Eine Regierung, die selbst nicht Sozialabgaben, mit Steuern -, und das im Rahmen weiß was sie will, die herumtaumelt, anstatt einen einer Steuerquote, die historisch so niedrig ist wie graden Weg zu gehen, eine solche Regierung ist selten zuvor. selbst eine schwere Belastung für die Gegenwart 16962 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. 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Rudolf Scharping und für die Zukunft unseres Landes. Ihre Politik, Ihre auch eine Folge des wachsenden Einflusses illegal Unehrlichkeit, Ihre Konzeptionslosigkeit ist am Ende. erworbenen Geldes, aber nicht nur eine Folge dieses Einflusses. Beispielhaft wäre zu nennen, was jetzt in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Nordrhein-Westfalen zur Bekämpfung solcher Miß- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN stände beschlossen worden ist. Illegale Arbeit wäre und der PDS) zu nennen. Herr Bundeskanzler, in Deutschland ar- Es bleibt bei dem Angebot, das wir Ihnen unter- beiten vermutlich 800 000 bis 1 Million Menschen il- breitet haben. Sorgen Sie dafür, daß Sie vielleicht bis legal, so die Hinweise aus der Arbeitsverwaltung Sonntagabend zu einer gemeinsamen Linie kommen. und aus vielen anderen sachkundigen Stellen. Die Dann wäre das erste, nämlich sichere Rahmenbedin- Mehrheit unserer Landsleute aber erwartet, daß wir gungen für Investoren, für die Wirtschaft, für die gro- eine Regierung haben, die nicht Mißstände duldet ßen wie für die kleinen Unternehmen, erreicht. Und - oder über sie hinwegsieht, sondern entschlossen da- im übrigen -: Stabile und, wenn es geht, niedrige gegen vorgeht. Sie tun nichts, absolut nichts. Zinsen, eine gemeinsame Verantwortung der Bun- desregierung, aller öffentlichen Haushalte, der Bun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne desbank und der am Wirtschaftsleben Beteiligten. ten der PDS) Von Stabilität, von Klarheit und von Verläßlichkeit Es ist aber ganz unverantwortlich, wenn in Deutsch- in Ihrer Finanzpolitik kann keine Rede sein. Jede land mit heute 4,4 Millionen registrierten Arbeitslo- Woche, Herr Bundeskanzler, seit Ihrem Amtseid ha- sen zugleich der Mißstand geduldet wird, daß viele ben Sie im Schnitt 1,5 Milliarden DM neue Schulden hunderttausend Menschen vermutlich i llegal arbei- gemacht. Das ist ein unverantwo rtlicher Kurs. Er be- ten. deutet enorme Risiken. Genauso schlimm ist die Tatsache, daß Sie auf der Zu sicheren Rahmenbedingungen gehören im einen Seite wieder und wieder nicht nur unter Ver- übrigen nicht nur sinkende Lohnnebenkosten, ge- weis auf die Niederlande beklagen, in Deutschland hört nicht nur ein gerechtes und wi rtschaftlich ver- gebe es zu wenige Personen, die teilzeit arbeiten nünftiges Steuersystem, gehören nicht nur stabile Fi- wollen, und daß auf der anderen Seite in den Arbeits- nanzen und damit auch möglichst niedrige Zinsen, verwaltungen über 330 000 Menschen gemeldet sind, sondern auch eine gemeinsame europäische Wäh- die eine Teilzeitarbeit suchen, aber keine finden rung, der Abbau von Bürokratie und - was häufig können. Sie werden auch keine finden können, so- vergessen wird - die Teilhabe der Menschen am ge- lange diese Regierung duldet, daß große Handelsket- meinsamen wirtschaftlichen Fortschritt. ten und viele andere statt Teilzeitarbeit versiche- rungsfreie Arbeit anbieten. Das ist ein eklatanter (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Mißstand, der beseitigt werden muß. ten der PDS) Sie haben immer etwas verkündet, allerdings- nie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ etwas getan. In Deutschland ist alleine das Vermö- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gen in Geld auf 5 000 Milliarden DM gewachsen, in PDS) den letzten Jahren um fast 20 Prozent. 8 Prozent der Das schlimmste ist: Sie sehen ja nicht nur darüber Bevölkerung besitzen 52 Prozent dieses Vermögens. hinweg; einige in Ihrer Koalition ermuntern sogar zu Das hat etwas zu tun mit wirtschaft licher Vernunft, diesem flächendeckenden Mißbrauch gesetzlicher mit einer Idee von Fairneß und Gerechtigkeit. Wenn Möglichkeiten, verteidigen das offensiv, behaupten, Sie das Reklamieren von Fairneß, Gerechtigkeit und das sei wirtschaftlich notwendig. Aber ich sage Ihnen wirtschaftlicher Vernunft immer erneut als Neidkam- eines: Wer die Stabilität des wi rtschaftlichen Fort pagne denunzieren, dann zerstören Sie ein Element, -schrittes dauerhaft mit sozialem Konsens und sozialer das diese Bundesrepublik Deutschland trägt, näm- Sicherheit verknüpfen will, der muß diesen Mißstand lich den Willen, jedem Menschen eine anständige beseitigen, weil er auch selbständige Existenzen ka- Chance und eine gleichberechtigte Teilhabe am Fo rt puttkonkurriert und weil er unfairen Wettbewerb be- -schritt zu geben. deutet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Ich will Ihnen eines sagen: Vor zwei Tagen rief mich eine Einzelhändlerin an und sagte: Herr Schar- Deshalb sagen wir: Teilhabe am Haben und am Sa- ping - - gen und an den Möglichkeiten, Wohlstand zu erwer- ben und ihn klug und verantwortungsbewußt zu nut- (Lachen bei der CDU/CSU sowie bei Abge zen. Wenn denn dieser Aufschwung kommt - was ordneten der F.D.P.) wir sehr hoffen -, sollte er eine innere Kraft entfalten und für alle Menschen nützlich sein und sollte nicht - Daß Sie keinen Kontakt zum Leben der Menschen wieder an den Arbeitsmärkten vorbeigehen wie in mehr haben, das ist ja das Elend Ihrer Politik; daß Sie der Vergangenheit. nicht mehr wissen, was in Deutschland los ist, das ist ja das Elend Ihrer Politik. Ich habe Ihnen eine zweite Leitlinie genannt, näm- lich Recht und Ordnung in der Wirtschaft durchzu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne setzen. Steuerhinterziehung wäre zu nennen. Der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bund der Steuerzahler sagt, es handele sich um Mil- und der PDS - Lachen bei der CDU/CSU liardenbeträge. Korruption wäre zu nennen, übrigens sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16963 Rudolf Scharping Daß Sie Menschen nur noch in Zahlen und Statisti- was blockiert wird; sondern es geht darum, daß ver- ken wahrnehmen, das ist ja das Elend Ihrer Politik. antwortungsbewußte Wege in die Zukunft geöffnet werden. Diese Frau sagte mir: Früher konnte man einen be- stimmten Teil der Arbeit mit der Ausbildung ver- 1994, Herr Bundeskanzler, haben Sie nach Ihrem knüpfen; das ist auch von den Kosten her gegangen. Amtseid, nach der selbst eingegangenen Verpflich- Heute geht das nicht mehr. Sie hat dann weiter ge- tung, Schaden abzuwenden und Nutzen zu mehren, fragt: Was soll ich denn tun? Ich muß mich der Kon- hier in diesem Bundestag gesagt: Wir werden die kurrenz der großen Ketten und anderer erwehren; Aufwendungen für Bildung und Wissenschaft, For- deshalb setze ich meine Teilzeitkräfte vor die Tür schung und Entwicklung überproportional steigern. und schließe 610-DM-Verträge ab. - An diesem ei- Das war eine Lüge. Das war nichts anderes als eine nen praktischen Beispiel können Sie die Folgen Ihrer Lüge. Politik in Deutschland sehen. Wenn Sie darüber la- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne chen: Ich kann nicht darüber lachen, daß 6 Millionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Frauen aus der sozialen Sicherheit herausgedrängt ten und der PDS) werden und daß Sie das noch verteidigen. Sie haben systematisch sowohl den Anteil der Auf- (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall beim wendungen für Bildung und Wissenschaft, For- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) schung und Entwicklung am Gesamthaushalt als Wenn Ihnen jede Empörung darüber abgeht, wie auch die Höhe der Aufwendungen gesenkt. Menschen in Deutschland behandelt werden, wenn (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Ihnen jede Leidenschaft abgeht, das zu ändern, dann DIE GRÜNEN]: Nur ein neues Firmenschild: ist das Ihr Problem. Ändern Sie das endlich! Es ist Zukunft!) skandalös, was Sie dulden. Wo Wahrhaftigkeit fehlt, können auch Weitblick (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und Wirklichkeitssinn nicht greifen. Wettbewerb DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zwischen Hochschulen, Wettbewerb als ein Suchpro- PDS) zeß für die Besten, die besten Möglichkeiten und die Wenn Ihnen angesichts solcher Mißstände nur noch besten Verfahren - das wäre ein Punkt. das Lachen kommt, dann kommt mir nun wirk lich Sehen Sie bitte nicht daran vorbei, daß Ihre Politik die Galle hoch vor Wut und Empörung darüber, daß mittlerweile auch dazu führt, daß jungen Existenz- wir eine Regierung haben, die sich christdemokra- gründern, solchen, die eine Chance suchen und ein tisch nennt und gleichzeitig Menschlichkeit nur noch Wagnis eingehen, eher britisches, eher amerikani- als Kostenfaktor wahrnimmt. Es ist wirk lich zum sches als deutsches Kapital zur Verfügung gestellt Heulen! wird. Das ist ebenfalls ein weit unterschätztes und - (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei für die Zukunft außerordentlich bedeutsames Risiko. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Es müßte endlich gelingen - auch das sage ich in GRÜNEN und der PDS - Hannelore Rönsch Übereinstimmung mit der großen Mehrheit unserer [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wo kaufen Sie Landsleute -, die Arbeitsmarktpolitik lokal zu veran- denn ein?) kern, Verantwortung zu bündeln. Über eine Million Sichere Rahmenbedingungen zu schaffen, Recht Arbeitslose sind allein deshalb entstanden, weil Sie und Ordnung in der Wirtschaft durchzusetzen, ver- die Instrumente einer aktiven Arbeitsmarktpolitik knüpfen wir mit neuen Wegen in die Zukunft. In die- zerschlagen und praktisch auf Null gebracht haben. sem Jahr, meine Damen und Herren, werden pro Ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne wohner 1 057 DM für Zinsen ausgegeben. Pro Ein- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN wohner werden 172 DM für Forschung und Entwick- und der PDS) lung ausgegeben. Nichts kennzeichnet den fehlen- den Weitblick, den fehlenden Wirk lichkeitssinn, die Im Osten Deutschlands erfahren die Menschen auf fehlende Zukunftsfähigkeit Ihrer Politik mehr als eine ganz erschreckende Weise, daß Sie mißachten, diese beiden Zahlen: 1 057 DM pro Jahr und Einwoh- was ihre Zukunftshoffnungen und ihre Bereitschaft ner für Zinsen, 172 DM, weniger als ein Sechstel da- zur Verantwortung eigentlich darstellen, welches von, pro Jahr und Einwohner für Forschung und Ent- große Kapital dort ruht. Deshalb sage ich: Ihr fortdau- wicklung. Das sind die Zahlen Ihres Bundesfinanzmi- erndes Herunterfahren der Forschungs- und Bil- nisteriums: 1 057 DM für Zinsen; 172 DM für die Zu- dungsausgaben ist exakt dasselbe, was in Agrarge- kunft, nämlich für Forschung, Entwicklung und an- sellschaften das Aufessen des Saatgutes wäre, exakt deres. dasselbe. Sie haben uns immer vorgeworfen, wir würden (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) blockieren. Daß die Arbeitsmarktpolitik nicht lokal verankert (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wird, ist Verweigerung von Verantwortung, Blockade über Bürokratie. Es wäre wirk lich sinnvoll, die vielen Im Zusammenhang mit den Hochschulen zeigt sich Erfahrungen zu nutzen, die in vielen deutschen Städ- aber, daß jedenfalls ein bescheidener Konsens mög- ten schon gemacht werden. Auch durch lokale Ar- lich werden könnte - so wie übrigens auch in ande- beitsmarktpolitik, mitverantwortet von den Tarifpart- ren Feldern. Es geht nicht darum, daß hier irgend et nern, könnten unter Nutzung der Mittel sowohl der 16964 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Rudolf Scharping Arbeitsverwaltung wie der Sozialhilfe Chancen und Zerrüttete Staatsfinanzen, Firmenzusammenbrü- Verantwortlichkeiten zusammengebracht werden, che, steigende Massenarbeitslosigkeit und deren anstatt Verantwortlichkeiten immer nur hin und her harte Folgen für Millionen unserer Mitbürger zu schieben. dürfen und wollen wir nicht hinnehmen. Es muß ein neuer Anfang gemacht werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jawohl, Sie haben recht: Es muß ein neuer Anfang Meine Damen und Herren, Politik hat die Aufgabe, gemacht werden, nachdem Sie Ihren Ansprüchen Sicherheit zu schaffen und Freiheit zu schützen. Sie selbst dauernd ins Gesicht geschlagen haben. tun das nicht. Mit der großen Mehrheit unseres Vol- kes erwarten wir - und wir werden es durchsetzen -, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne daß soziale Sicherheit wieder zum Partner der wirt- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN schaftlichen Stabilität wird, und der Abg. Petra Bläss [PDS]) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Wir beraten hier das letzte Finanzwerk dieser Ko- Dr. [PDS]) alition. daß soziale Sicherheit nicht - wie von Ihnen - ruiniert (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) wird. Wir wehren uns mit der breiten Mehrheit unse- Es trägt Züge eines Erbes, das die Kinder lieber nicht Ökonomisierung aller Lebens- res Volkes gegen die antreten würden. bereiche, gegen eine Politik, die das Christdemokra- tische beansprucht und jeden Teil unseres Lebens (Zustimmung bei der SPD - Dr. Peter Struck nur noch in Zahlenstellen, Kostenkolonnen und be- [SPD]: Erblast!) triebswirtschaftlichen Kategorien denkt. Das ist ver- hängnisvoll; denn es mißachtet Menschen. Hier werden regierungsamtlich Ausplünderungen vorgenommen. Sie plündern die Gegenwart, und Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne plündern die Zukunft. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD) Es mißachtet das Wo rt der Kirchen. Es mißachtet Es gibt leider viele Beispiele dafür. Nur, wir sind in das Engagement der Ehrenamtlichen. Es mißachtet einer anderen Rolle: Wir werden und wir wollen die- die Bereitschaft zur Verantwortung. Bei vielen Men- ses Erbe antreten, damit es gewandelt und gebessert schen, auch bei Behinderten, wächst der Eindruck, werden kann mit der Mehrheit unserer Landsleute, am Ende werde sogar Menschlichkeit, werde Zuwen- für die Zukunft unserer Kinder, für die Zukunft unse- dung nur noch zur Kostenstelle. Dabei wäre es die res Landes, vornehmste Aufgabe einer aktiven, einer kraftvollen, (Beifall bei der SPD) einer zukunftsfähigen Bundesregierung,- sozialen für seine wirtschaftliche Stärke und seine soziale Ver- rtschaftliche Verantwortung und den Re- Schutz, wi antwortung. spekt vor Freiheit und Sicherheit des einzelnen Men- schen miteinander zu verknüpfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist und der Abg. Dr. Christa Luft [PDS]) viele Jahre her, da hat ein Mann mit Namen Ma- hatma Gandhi gepredigt gegen gesellschaftliche Meine sehr verehrten Damen und Herren, Politik, Sünden. Wer sich hier im Deutschen Bundestag eines die wieder weitblickend und mutig, realistisch und buddhahaften Gemütes rühmt, wird nichts dagegen ohne Illusion ist, Kooperation statt Konfrontation, haben, wenn man einen Menschen aus diesem Kul- Aufklärung statt Angstmache, Leistungseliten und turkreis zitiert. Verantwortungseliten fördert, (Widerspruch bei der CDU/CSU und der (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. ) F.D.P.) Sicherheit schafft und Gerechtigkeit verwirklicht, Diese gesellschaftlichen Sünden seien: Politik ohne neue Wege öffnet - eine solche Politik wird sehen, Prinzipien, Geschäft ohne Moral, Reichtum ohne Ar- daß die Globalisierung eine Chance und eine Her- beit, Erziehung ohne Charakter, ausforderung darstellt zur Schaffung einer friedliche- ren Welt und daß diese Chance nur von allen ge- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Reden meinsam verwirklicht werden kann, durch gemein- ohne Sinn!) same Zusammenarbeit, durch Verständigung auf ge- Wissenschaft ohne, Menschlichkeit und Genuß ohne meinsame Regeln und Ziele und durch Ausgleich Gewissen. - Ich wi ll damit nicht sagen, daß Deutsch- von Interessen. land diesen Zustand erreicht hätte. Aber Sie sind hier Eine neue Politik sieht, daß die Bundesrepublik 1982 angetreten mit den Sätzen - ich zitiere -: Deutschland gute Möglichkeiten hat, einen eigen- Es geht darum, unser Land aus der schwersten ständigen, gemeinsam mit den europäischen Pa rt Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der -nern verabredeten Weg zu gehen und den großen Bundesrepublik Deutschland herauszuführen. Fähigkeiten, der großen Bereitschaft unserer Bürger zur Verantwortung in Wi rtschaft und Gesellschaft ( [CDU/CSU]: Geschafft!) Rechnung zu tragen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16965 Rudolf Scharping Eine neue Politik wird die Motivation der Men- sprache zum Bundeshaushalt zur Kritik an der Regie- schen ernst nehmen und sie an der Demokratie, am rung zu nutzen. Aber das, was Sie geboten haben, wirtschaftlichen Leben umfassend beteiligen. Unter- Herr Kollege Scharping, war ordnung forde rt die Menschen nicht, sondern ver- unsichert sie und läßt sie gleichgültig werden. Ihrer (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Politk fehlen Richtung und gemeinsames Ziel. Die Spitze!) Union hat die soziale Seite ihrer Geschichte zu den etwas wenig, es war sehr naiv, und es ist vor allen Akten gelegt. Dingen sehr stark an der Wirk lichkeit vorbeigegan- (Beifall bei der SPD) gen. Ludwig Erhards Vorstellungen vom gemeinsamen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Fortschritt, von einer Verbindung ökonomischer Kraft ordneten der F.D.P.) und sozialer Verantwortung haben bei Ihnen keinen Ihre Ausführungen zur Steuerreform haben ge- Platz mehr. Die CSU ist eine Stammtischpartei und zeigt, daß Sie genausowenig zwischen 1998 und die F.D.P. eine Klientelpartei. 1999 unterscheiden können wie zwischen brutto und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne netto und wie zwischen Mark und Peso. ten der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Wir wollen mit der Mehrheit unserer Landsleute und der F.D.P.) ein neues gesellschaftliches Bündnis schmieden: die Wirtschaftskompetenz bekommt man nicht da- soziale und solidarische Zivilgesellschaft. Wir wol- durch, daß man medienwirksam zum BDI-Präsiden- len die Menschen nicht allein fit für den Weltmarkt ten aufs Segelboot steigt. Man bekommt sie genauso machen, sondern wir wollen umgekehrt die Kräfte wenig dadurch, daß man sich auf den Sitz eines von wirtschaftlichem und technologischem Fo rt Cadillacs flegelt und eine Havanna raucht, wie es Ihr -schritt nutzen, um das neue Jahrhundert menschen- Kollege Schröder tut, sondern indem man sich mit würdiger zu gestalten. den Problemen der Wirtschaft auseinandersetzt und Wir wollen einen Weg stoppen: den Weg, den Sie sich informiert, unter welchen Bedingungen Wi rt -schaft heute in einer globalisierten Welt funktioniert. von der sozialen Konsensgesellschaft in eine Kon- frontationsgesellschaft gegangen sind, einen Weg (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - der Ausgrenzung, der - jedenfalls unter Jugend- Lachen bei der SPD) lichen und manchmal andernorts - nicht nur Unge- rechtigkeit, sondern hier und da sogar Gewaltbereit- Herr Scharping, Sie haben von einem Telefonat mit schaft provoziert. Wir wollen einen neuen Weg einer Einzelhändlerin erzählt. Ich kenne keine Bro- gehen, der Zusammenhalt, Chancengerechtigkeit schüre der SPD, die Hilfe in dieser schwierigen Zeit und Solidarität miteinander verknüpft. - anbietet, zum Beispiel den Einzelhändlern. Andere Länder in Europa haben das erkannt, ver- (Widerspruch bei der SPD) wirklichen diesen Weg, und sie haben verstanden, Ich kenne lediglich Broschüren, die Ihren Namen was in Deutschland noch nicht genug verstanden tragen, die mit einem Vorwort von Ihnen versehen worden ist und von dieser Regierung komplett igno- worden sind, in denen geraten wird, wie man Sozial- riert wird: Es geht hier um mehr als nur um einen hilfe besser mißbrauchen kann. ökonomischen Wettbewerb. Es geht darum, eine gemeinsame Vorstellung vom menschenwürdigen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zusammenleben, von der europäischen Zivilisation neu zu begründen und unter neuen Bedingungen Ich darf hier eine Kostprobe vorlesen, Seite 25: neu zu behaupten. „Muß das Auto verkauft werden?" Es wird davor gewarnt, daß neuerdings die Daten von den Zulas- Zu diesem Neuanfang kann die Bundesregierung sungsämtern an die Sozialämter weitergegeben wer- einen konstruktiven Beitrag leisten. Es ist ja erstaun- den. Es wird den Leuten geraten, das Auto auf den lich, aber auch ganz offenkundig: Es gibt nur einen Partner umschreiben zu lassen. Da heißt es: einzigen konstruktiven Beitrag, den Sie, Herr Bun- Das gilt allerdings nur, wenn Sie selbst Halter des deskanzler, dazu leisten können. Machen Sie den Pkws sind. Gehört das Auto nicht Ihnen, sondern Weg zu dieser neuen Politik endlich frei! Das wäre einem Verwandten oder Freund, der es Ihnen wenigstens ein guter Abschluß Ihrer Arbeit. zum Fahren überläßt, kann das Sozialamt natür- (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall lich nicht den Verkauf fordern. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Das ist Ihre Beratung, Herr Scharping. Ihre Bera- DIE GRÜNEN und der PDS) tung bezieht sich darauf, wie man unsere öffent- lichen Haushalte noch mehr strapazieren, wie man Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: In der Debatte unser Sozialsystem mißbrauchen kann, und nicht spricht jetzt der Kollege Michael Glos. darauf, wie wir eine Konsolidierung erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Michael Glos (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sehr verehrten Damen und Herren! Es ist selbstver- DIE GRÜNEN]: Sie können noch ein paar ständlich das gute Recht der Opposition, die Aus Steuertricks von der F.D.P. vorlesen!) 16966 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Michael Glos Ich habe heute überhaupt nichts von Alternativen Wir haben eine Bilanz vorzuweisen - dafür be- gehört. Sie haben keinerlei Alternativen anzubieten. danke ich mich beim Bundesfinanzminister, der in Eine Partei, die sich in dieser schwierigen Zeit unse- schwieriger Zeit eine gewaltige Arbeit geleistet hat -, res Landes versagt, indem sie weder Alternativen anbietet noch machbare Lösungen im Bundesrat mit (Widerspruch bei der SPD) gestaltet, ist für die Übernahme der Verantwortung die sich sehen lassen kann: Seit 1990 haben wir Jahr nicht reif. Ihr Spiel und Ihre Rechnung werden nicht für Jahr im Bundeshaushalt nachhaltige Einsparun- aufgehen. gen vorgenommen - gegen Ihren Widerstand. In der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Summe hat dies ein Einsparvolumen von insgesamt 125 Milliarden DM jährlich wirksam erbracht. Wir Die SPD hat keine Alternative zur Sicherung von haben Steuervergünstigungen in gewaltiger Höhe Investitionen und damit Arbeitsplätzen. Die SPD hat abgebaut; das summiert sich auf 50 Milliarden DM. keine Alternative zum Rentenreformgesetz, keine Alternative zur Gesundheitsreform und keine echte Ohne Sparen wäre die deutsche Einheit nicht zu Alternative zur Steuerreform, sonst wären wir ein finanzieren gewesen. Das ist die große Jahrhundert- ganzes Stück weiter. aufgabe, der wir uns gestellt haben. Teile von Ihnen haben die deutsche Einheit doch überhaupt nicht ge- Wir sind gesprächsbereit. Auch sind wir dazu be- wollt. Es ist deswegen auch überhaupt kein Wunder, reit, die Lohnnebenkosten schon 1998 abzusenken. wenn man die damit verbundenen Schwierigkeiten Natürlich muß das mit einer Rentenreform verbun- heute bagatellisiert und so tut, als ob das Sparen aus den werden, die den Namen verdient und die vor Jux und Dollerei geschehen würde. allen Dingen dafür Sorge trägt, daß diejenigen, die Wenn wir heute bei der heute hohe Beiträge zahlen, auch noch morgen Steuermindereinnahmen veranlagten Einkommensteuer und bei der Körper- wissen, daß sie sichere Renten erhalten. Das wollen schaftsteuer beklagen, dann kommt darin natürlich wir mit dem demographischen Faktor, den wir ein- auch ein Stück steuerliche Förderung für die neuen bauen, fördern. Bundesländer zum Ausdruck. Wir müssen auch hier (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sehr dringend die Schlupflöcher stopfen, weil inzwi- und der F.D.P.) schen manches Kapital etwas fehlgeleitet worden ist. Aber wir haben diese Chance gebraucht, damit sich Die SPD ist gegen alles, was die Regierung vor- etwas tut, damit gebaut wird, damit investiert wird. schlägt, auch wenn es zum Nachteil unseres Landes ist. Sie möchten sich machtpolitische Vorteile ver- Wenn die SPD-Opposition finanzpolitische Fehl- schaffen. Man ist um der Macht willen bereit, sich entwicklungen beklagt, so muß sie vor allen Dingen über das Gemeinwohl hinwegzusetzen. vor der eigenen Tür kehren. In den SPD-regierten Bundesländern sieht es überall schlimm aus. Am - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU allerschlimmsten sieht es dort aus, wo die beiden und der F.D.P.) Kanzlerkandidaten der SPD in einem echten Wett- bewerb um den Standort mit den höchsten Schulden Alles, was in diesem Land an Innovationen möglich in Deutschland stehen. war, ist gegen den erbitterten Widerstand der SPD geschehen, oder man hat sehr lange gebraucht, um (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die SPD ins Boot zu bringen. Von welchem deutschen Politiker stammt wohl fol- Ich erinnere nur an die Privatisierung von Post gender Satz: Man wird mich messen können an der und Bahn. Ich glaube, daß die Telekom-Privatisie- Bewältigung dreier Probleme: erstens Abbau der rung ein großartiges Stück Arbeit gewesen ist und enormen Staatsverschuldung im Land, zweitens sie vor allen Dingen dazu beiträgt, daß sich breite Schaffung neuer Arbeitsplätze, drittens Bewältigung Schichten der Bevölkerung am Produktivvermögen der Montankrise. - Herr Ministerpräsident Lafon- beteiligen. Ich begrüße es, wenn sich viele deutsche taine, ich habe aus Ihrer Regierungserklärung im Mitbürger, insbesondere Arbeitnehmer, an den gro- Jahr 1985 zitiert. ßen Firmen beteiligen und dabei eigene Erfahrungen über das Wechselspiel von Kapital und Arbeit und Wie sieht mittlerweile die Realität bei Ihnen im darüber sammeln, was man tun muß, damit sich das Land aus? Das weist nach die Kapital rentiert. Wenn sich das Kapital in Deutsch- höchste Arbeitslosigkeit der alten Bundesländer mit land nicht rentiert, dann geht es über die Grenzen 12,5 Prozent auf. Eine einsame Spitzenstellung und flieht aus Deutschland. nimmt das Saarland auch bei der öffentlichen Ver- schuldung ein: pro Einwohner 12 400 DM, mehr als Das verstehen heute auch die Arbeitnehmer. Sie das Doppelte des Bundesdurchschnitts. Wie rechtfer- als Arbeitnehmerpartei verstehen diese Zusammen- tigen Sie, Herr Lafontaine, eigentlich gegenüber den hänge offensichtlich nicht mehr. Das kommt daher, Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundeslän- daß Sie die Stammtische zuwenig pflegen und sich dern, daß das Saarland pro Kopf der Bevölkerung statt dessen um irgendwelche akademischen Zirkel jährlich mehr Finanzhilfen aus dem Bundeshaushalt in Hinterstuben kümmern. Gehen Sie doch wieder erhält als jedes der neuen Bundesländer? zu den Leuten hinaus, und reden Sie mit ihnen. Dann wissen Sie, was die Leute wollen. (Dr.-Ing. Paul Krüger [CDU/CSU]: Hört! Hört! - Joachim Hörster [CDU/CSU]: Pein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lich!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16967 Michael Glos Damit offensichtlich nicht genug. Unlängst war der lassen können, daß die Steuern im globalen Wett- „FAZ" zu entnehmen, daß man jetzt ein sogenanntes bewerb natürlich einen Standortfaktor darstellen. Saar-Memorandum beschlossen hat. Hier will man wieder milliardenschwere Finanztransfers von Theo (Zuruf von der CDU/CSU: Er war zu oft in Waigel. Anderen in die Tasche greifen und gleichzei- Kuba! - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜND tig „Haltet den Dieb" rufen, das ist eine miese, schä- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Peking! China, bige Methode. China, China!) - Ja, er war zu oft in Kuba. Vielen Dank für den Hin- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) weis. In Kuba wird er ja auch vom Präsidenten herz- lich empfangen, während in den USA die Türen der In diesem unheiligen Wettbewerb um den Standort Politiker zu Recht versperrt sind. mit den höchsten Schulden in Deutschland sind Sie im Wettbewerb mit Gerhard Schröder. Die „Zeit", die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vollkommen unverdächtig ist, auf seiten der CDU oder der CSU zu stehen, schreibt: Er war bei Bill Gates. Statt auf Bill Gates zu hören, hat er den großen Gatsby gespielt. Bill Gates hätte Das Land Niedersachsen war schon immer arm, ihm sagen können, unter welchen Bedingungen die aber seit Schröder es 1990 als Regierungschef Wirtschaft investiert. übernahm, ist es noch ein bißchen ärmer gewor- dagegen hat die größte Steuerreform den. in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sehr wahr! auf den Weg gebracht. Daß diese Steuerreform stek- Sehr wahr!) kengeblieben ist, ist nicht unsere Schuld, sondern es ist Ihre Blockadepolitik, die verhindert hat, daß wir Das kann man in jeder Hinsicht sagen; das bezieht auf diesem Gebiet schon weiter sind. sich sicher nicht nur auf die Finanzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Seither erlebt das Land Niedersachsen einen Ich sage noch einmal: Unser Konzept ist, runter mit rasanten Anstieg der Verschuldung. Der niedersäch- den Steuersätzen für alle Einkommensstufen, damit sische Staatsgerichtshof hat Schröders Regierung bei uns im Land wieder mehr Leistungsanreize ge- eine verfassungswidrige Haushaltspolitik konstatiert. schaffen werden, ( [SPD]: Seid mal vorsichtig!) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer den Glos als Freund Herr Scharping, ich war nicht immer mit Ihnen hat, braucht keine Feinde mehr!) einer Meinung. Auch heute hat man sich sehr schwer damit Signale für Investoren gegeben werden. Weg getan, mit Ihnen einer Meinung zu sein.- Aber ich muß Ihnen noch einmal ein Stück Bewunderung mit den Steuerschlupflöchern, damit auch die Millio- heute hier entgegenbringen: Sie haben nämlich vor näre im Steuerparadies wieder Steuern genau zwei Jahren - man muß daran erinnern; die zahlen. Vor allen Dingen brauchen wir eine Netto- Zeit ist sehr schnellebig - Gerhard Schröder als wirt- entlastung der privaten Haushalte und der Unterneh- schaftspolitischen Sprecher der SPD abgesetzt. Das men, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. war konsequent und richtig. Die Geschichte der SPD ist eine Geschichte von Fehlleistungen. Ich frage mich: Wie würden wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge heute dastehen, wenn Rot-Grün die Verantwortung ordneten der F.D.P.) für dieses Land gehabt hätte? Sie waren gegen den Ich sehe noch die Fernsehbilder vor mir, wie er diese Aufbau der . Heute sind wir stolz, daß Schreckensnachricht mit dem Handy auf dem Deich unsere Bundeswehr an der Oder so wirksam gehol- entgegengenommen hat, und als er dann gestützt fen hat. auf seine Frau Hillu das alles gefaßt ertragen hat. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bin der Meinung: Bleiben Sie konsequent dabei; ver- hindern Sie, daß dieser Herr Schröder Verantwortung Sie waren gegen den Friedenseinsatz deutscher für die Wirtschaft und die Finanzen in Deutschland Soldaten in Bosnien. Es ist gar nicht lange her, daß bekommt. wir hier erbitterte Auseinandersetzungen darüber geführt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie waren gegen die neuen Technologien und An dieser Stelle muß ich auch dem Präsidenten des beklagen heute, daß so wenig in neue Technologien BDI, Hans-Olaf Henkel, recht geben, der über Ger- investiert worden ist. hard Schröder gesagt hat: Man muß unterscheiden (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ zwischen dem, was er sagt, und dem Programm, das DIE GRÜNEN]: Ich bin gegen Füllfederhal er in der Tasche hat. ter! Ich bin für Federkiel! Lang lebe die Gänsefeder! Rot-Grün bedeutet den Rück Wie sieht es denn jetzt mit der Haltung des nieder- schritt zur Gänsefeder!) sächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder bei der Steuerreform aus? Er hätte sich doch bei Sie sind nach wie vor gegen die Kernkraft, obwohl seinem Besuch in den USA dahin gehend beraten wir auf diesem Gebiet gerade bei der Stromerzeu- 16968 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Michael Glos gung einen Vorsprung gegenüber vielen anderen Die SPD und auch die grünen Helfershelfer wie Ländern haben. Sie, Herr Fischer, haben jahrelang das Rechtsbe- wußtsein ausgehöhlt. Ich gehe gar nicht zurück bis Sie haben das neue Asylrecht lange bekämpft und in die Zeit, als man in Frankfu rt den Straßenbelag abgelehnt. Zu uns ins Land wären sehr viel weniger zweckentfremdet hat, Ausländer gekommen, wenn wir die Schlupflöcher eher gestopft hätten. Ein Teil des Arbeitsmarktpro- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ blems beruht darauf, daß wir in unserem Land zu NEN und bei der F.D.P.) viele Ausländer haben. sondern ich erinnere an Herrn Schröders Justizmini- (Widerspruch bei der SPD - Beifall bei der sterin Frau Alm-Merk, die zum Beispiel alle Dieb- CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfu rt] stahlsdelikte unter 100 DM lediglich als Ordnungs- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist wider widrigkeit einstufen will. Die Hamburger Hafen- lich! - Weitere Zurufe - Glocke der Präsi straße ist unter den SPD-Regierungen zum Synonym dentin) für den geduldeten Rechtsbruch geworden. Ich komme gleich noch zu Herrn Schröder. Ich habe (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch nicht die gleiche radikale Sprache wie Herr Schröder, bei der SPD) aber man wird die Dinge noch beim Namen nennen Die SPD-Ministerpräsidentin in Schleswig-Hol- dürfen. stein, Frau Simonis, will Haschisch in den Apotheken Jahrelang haben CDU und CSU für die wirksame verkaufen. Bekämpfung der organisierten Kriminalität und das Abhören von Verbrecherwohnungen gekämpft. Erst (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: jetzt, nachdem die Bedrohung immer mehr gestiegen Unerhört!) ist, hat die SPD endlich zugestimmt. Ich finde das gut Auf Grund des Standortwettbewerbs, in dem Ham- und richtig. Das zeigt, daß es nicht überall Stillstand burg, das sich ja immer irgendwie wirtschaftlich von gibt. Aber es war furchtbar teuer und hat lange ge- seinem Umland bedroht sieht, steht, schlägt Herr Vo- dauert, bis Sie es begriffen haben. scherau vor, Fixerstuben zu errichten und do rt Sprit- Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei der SPD be- zen und Rauschgift kostenlos auszugeben. sonders dann auseinander, wenn es um die innere (Lachen bei der SPD) Sicherheit in unserem Land geht. Völlig versagt hat die SPD in Hamburg bei der Be- ( [CDU/CSU]: Sehr wahr!) kämpfung der Jugendkriminalität. Die Bilanz von Herrn Voscherau ist verheerend. Die (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Blödsinn! Kriminalitätsrate in Hamburg liegt an der Spitze - - Weitere Zurufe von der SPD) deutscher Großstädte. Do rt gibt es die Hälfte mehr an Verbrechen als in München. München ist eine ver- - Jetzt hören Sie doch einmal einen Moment zu. Ich gleichbare Großstadt. In keiner Stadt Deutschlands mache ja gerne eine Pause für Ihre Zwischenrufe. werden so viele Menschen ermordet wie in Ham- (Glocke der Präsidentin) burg. Hamburg ist die Raubmetropole Deutschlands geworden. Die Gewaltkriminalität ist unter Herrn Ich weiß, daß es Ihnen schwerfällt, sich anzuhören, Voscherau um 53 Prozent angestiegen. Bei der Auf- was der renommierte Kriminologe Pfeiffer im Auftrag klärungsquote liegt Herr Voscherau mit Hamburg des Senats zusammengestellt hat: In Hamburg bege- dafür am unteren Ende. hen immer mehr Jugendliche Straftaten - immer sel- tener werden sie dafür bestraft. Die Zahl der einge- Wir sind (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: stellten Verfahren bei 14- bis 20jährigen Mehrfachtä- hier nicht im Bayerischen !) tern ist in Hamburg um 237 Prozent gegenüber dem Innere Sicherheit ist heute ein Standortfaktor für Wert von vor sechs Jahren gestiegen. Selbst bei Kör- ein Land und insbesondere für große Städte. New perverletzungen müssen in Hamburg immer weniger York hat erste Erfolge bei der Verbrechensbekämp- Jugendliche vor Gericht. Sanktionen unterhalb der fung erzielt, nicht zuletzt durch die massive und un- Freiheitsstrafe werden nicht ausgeschöpft. mittelbare Bekämpfung der Kleinkriminalität. Diese Mißerfolge der SPD-Politik sind erschrek- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ kend genug. Noch schlimmer aber ist, daß die Ham- DIE GRÜNEN]: Wieviel Morde gibt es denn burger SPD versucht, diese Studie bewußt unter Ver- in New York im Verhältnis zu deutschen schluß zu halten, nach dem Motto: Nichts ist gefähr- Großstädten?) licher, als dem Bürger vor der Wahl die Wahrheit zu sagen. Wir müssen das Übel bei der Wurzel packen. Null To- leranz für Verbrecher - das ist der richtige Weg. Mit- (Lachen bei der SPD - Ing rid Matthäus leid mit dem Opfer ist eher angebracht als Mitleid Maier [SPD]: Und das sagen Sie!) mit dem Täter, wie es bei Ihnen immer herausklingt. Die Koalitionsfraktionen im Bundestag und vor al- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge len Dingen der Freistaat Bayern im Bundesrat haben ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer [Frank Vorschläge zur Verbesserung des Sexualstrafrechts furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sei gemacht. Ich bin der Meinung, daß es viel zu lange denn, er ist ein Amigo!) gedauert hat, bis dieses im Bundestag endlich be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16969

Michael Glos schlossen wird. Jetzt war endlich eine Anhörung. Wir sei Dank haben wir hier eine Anlage, die mir immer müssen den Menschen zeigen, daß wir auf solche noch ermöglicht, mich durchzusetzen. Herausforderungen schneller reagieren und daß der Staat Kinder mit allen Mitteln vor Unholden schützen (Zuruf von der SPD: Erbärmlich!) muß. Das Duo Schröder/Trittin - ich wiederhole das - hat in Niedersachsen wirksame Möglichkeiten der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Verbrechensbekämpfung durch eine Änderung des und der F.D.P.) Polizeigesetzes verboten: Verbot des Einsatzes ver- Wenn ich dann höre, welche Bedenken gerade aus deckter Ermittler, Verbot der Überwachung von Ver- Hamburg wieder im Bundesrat geäußert worden brecherwohnungen zur Gefahrenabwehr, Verbot der sind, daß man zum Beispiel die Sicherheitsverwah- Rasterfahndung, Verbot von verdachtsunabhängigen rung für Sexualstraftäter ablehnt, kann man als Ver- Kontrollen auf Autobahnen, Verbot von Polizeieinsät- gleich für ganz schlimmes Verhalten bei der inneren zen gegen Störung der öffentlichen Ordnung. Jetzt Sicherheit nur noch Hannover heranziehen. Hanno- findet bei Polizei und Justiz in Niedersachsen unter ver steht sinnbildlich für die Chaos-Tage, Gerhard Verantwortung von Gerhard Schröder ein drastischer Schröder ist ein Chaos-Ministerpräsident, und das Personalabbau statt. 770 Stellen sollen bis zum Jahr Chaos wird für immer mit dem Namen Schröder ver- 2001 gestrichen werden. Aber die Kriminalität liegt bunden sein. in Niedersachsen 30 Prozent höher als in Bayern. Die Aufklärungsquote dagegen ist um 30 Prozent niedri- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - ger. Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die SPD hat im Bundesrat regelmäßig notwendige Reformen des Ausländerrechts und Initiativen zur Wer nicht in der Lage ist, Hab und Gut von Besitzern inneren Sicherheit blockiert. Die SPD in Hamburg kleiner Läden zu schützen - Herr Scharping hat ja und Niedersachsen hat allein neun Anträge im Bun- heute seine Sorge um die Besitzer von kleinen Läden desrat zur Stärkung der inneren Sicherheit abge- geäußert -, lehnt. Das reicht von der Bekämpfung des i llegalen Rauschgifthandels bis zur Verbesserung des Opfer- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist schutzes. Herr Schröder ist nicht einmal mehr in der kabarettreif ! ) Lage, gerichtlich durch alle Instanzen genehmigte der hat sich ein für allemal disqualifiziert. Transporte zu gewährleisten. Wer Atomkraftgegner hätschelt, trägt Mitverantwortung für gewalttätige (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Ausschreitungen. ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Niedersachsen ist unter Herrn Schröder zu einem ordneten der F.D.P. - Wolf-Michael Caten der attraktivsten Verbrechensstandorte- in Deutsch- husen [SPD]: So ein Blödsinn!) land geworden. Auch Anspruch und Wirklichkeit in der Ausländer- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ politik klaffen bei Herrn Schröder weit auseinander. DIE GRÜNEN) Einerseits forde rt er markig in der „ am Sonntag" vom 20. Juli dieses Jahres: - Ja, das müssen Sie sich anhören. - Das Duo Schrö- der/Trittin hat dazu beigetragen, daß das Polizeige- Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es setz geändert worden ist. nur eins: Raus, und zwar schnell! (Unruhe) Die Realität: Im gesamten Jahr 1996 sind aus Nieder- sachsen nur vier verurteilte Ausländer abgeschoben worden. Das ist wieder die gewaltige Lücke zwi- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Glos, darf ich schen Anspruch und Wirklichkeit bei Herrn Schrö- Sie einmal unterbrechen? Solche Reaktionen im Par- der. lament schaden uns allen in der Öffentlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ordneten der F.D.P.) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Überall, wo Rote und Grüne zusammen Politik ma- Wir haben uns Regeln gegeben. chen, ist die Bilanz verheerend. Rot-Grün bedeutet Aufschwung der Kriminalität und Niedergang der (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Wirtschaft. DIE GRÜNEN]: Wir haben eine Kanzlerde batte!) (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bitte hören Sie den Redner an. Es ist so nicht zu ertra- gen. Der prozentuale Anteil der in Forschung und Ent- wicklung beschäftigen Personen im rot-grün regier- ten Hessen ist nur halb so hoch wie zum Beispiel in Michael Glos (CDU/CSU): Frau Präsidentin, das Bayern und Baden-Württemberg. Das schleswig-hol- Verhalten von Rot-Grün ist für mich nicht neu. Wenn steinische Nein zum Transrapid ist ein Symbol für die der Wahrheit vorgehalten wird, dann tut zukunfts- und technologiefeindliche Politik dieses es halt weh, und das äußert sich in Lautstärke. Gott rot-grün regierten Bundeslandes. Wo immer Rot- 16970 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Michael Glos Grün regiert, ist die Bilanz verheerend. Rot-grüne Dann sagt er: Repräsentanten in den Ländern entpuppen sich nach Hinterher is ma immer gscheiter. kurzer Zeit als politische Dilettanten. Wer unfähig ist, ein Bundesland zu regieren, der kann keinen An- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der spruch darauf erheben, Verantwortung für ganz F.D.P.) Deutschland zu übernehmen. I hab ma eigentlich gar n ix dabei denkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der ordneten der F.D.P.) F.D.P.) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun ist Deshalb is so kemma, wies kemma is. mir - nachdem der Herr Fischer neuerdings so viel Wirtschaftskompetenz demonst rieren will - heute (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der früh die „Abendzeitung" aus München in die Hände F.D.P.) gefallen. Davon stand schon gestern etwas in der Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müs- „Süddeutschen Zeitung". Ich möchte Ihnen hier ein- sen verhindern, daß dieses in Deutschland passiert mal sagen, wie es mit der Finanzkompetenz der Grü- und daß hinterher die Deutschen sagen: Wir haben nen in Wirklichkeit aussieht. uns damals nichts dabei gedacht. Es ist so gekom- men, wie es kommen mußte. Kein Geringerer als der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag hat sich mit Geldan- Danke schön für die Aufmerksamkeit. lage befaßt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ und der F.D.P.) DIE GRÜNEN]: Mit einem CSU-Mann! Das hätte er nicht tun sollen!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht der Fraktionsvorsitzende des Bündnisses 90/Die Grünen, Er hat sein Geld zu einem Renditeversprechen von . 72 Prozent per annum angelegt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE F.D.P.) GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ren! Die Lage der Koalition muß schon schlimm sein, Das ist eine ganz tolle Geschichte, nicht? Aber er ist wenn sie eine solche Rede während der Beratung eingegangen. Er hat persönlich mein Mitgefühl. des Kanzleretats hier vortragen läßt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, - F.D.P.) bei der SPD und der PDS) Es ist ganz klar: Leicht verdientes Geld gibt man Herr Kollege Glos, daß Sie hier den Manfred Flei- auch leicht wieder aus. scher zitieren, ist schon völlig in Ordnung. Nur, wenn Sie das ins Hochdeutsche übersetzen, könnte das in (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der der Tat, wenn man sich die Haushaltsbilanz dieser F.D.P.) Bundesregierung anschaut, eine Regierungserklä- rung des Bundeskanzlers gewesen sein. Offensichtlich ist die Arbeit eines Fraktionsvorsitzen- den bei den Grünen nicht so schwierig. - Ich möchte (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ nur vorlesen, was er gesagt hat, wörtlich aus dem In- DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) terview: In diesem Moment berät er Zukunftsfragen mit ei- AZ: Gratulation zu Ihrem Geldgeschäft. nem Minister, der immer dünner und schmaler wird, weil sein Haushalt immer geringer wird, Manfred Fleischer: Da bin i ganz schön pratzelt (Widerspruch bei der CDU/CSU) worden. obwohl er wachsen sollte. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Bundeskanzler, ein Sommer des Mißvergnü- gens ist für Sie zu Ende gegangen; ein Sommer des Für die Nichtbayern: „Pratzelt" heißt „ausge- Mißvergnügens, den Sie vor allem Ihrem Finanzmi- schmiert" . Also noch einmal: nister verdanken. Gestatten Sie mir, daß ich auf diese Entwicklung noch etwas eingehe. Da bin i ganz schön pratzelt worden. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß das De- Er sagt weiter: bakel der konservativ-liberalen Regierung um das Gold der Bundesbank - in Finanzfragen sehen Sie I bin sicher, daß ich von dem Geld nix mehr seh... den Kernbereich Ihrer Kompetenz; der Glaube im (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Volk, Konservative könnten mit Geld umgehen, Kon- F.D.P.) servative seien in Geldfragen solider als Grüne und Sozialdemokraten, ist ein Irrglaube, wie sich heraus- S' Pulver is furt. gestellt hat -, im Zuge dessen Sie mit den primitiv- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16971

Joseph Fischer (Frankfurt) sten Konkursverschleppungstricks einer Nachbilan- Derselbe Minister hat 14 Tage vorher in einem der zierung Ihre 3,00 Prozent erreichen wollten, noch üblichen Servilitätsinterviews des Bayerischen Rund- steigerungsfähig ist. Aber die Kreativität von Theo funks mit hochmögenden Köpfen, mit Großkopferten Waigel nimmt mit jedem weiteren Haushaltsloch, das der CSU, ein ganz anderes Inte rview gegeben. Ka- er in seinem Haushalt findet, exponentiell zu. merad Waigel sagte do rt : (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 10 Jahre oder 9 Jahre Finanzminister ist genug. Wer hätte das für möglich gehalten, während der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundeskanzler ruhig seine Bahnen im Wolfgangsee und bei der SPD sowie bei Abgeordneten zog? der PDS) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Das ist mehr als jeder von mir erwarten konnte. NEN) Ich habe da meine Pflicht getan und tue sie. Aber dann reicht's auch. Bevor er in den Urlaub fuhr, hat er vor der Bundes- pressekonferenz eine furchtbare Drohung ausgesto- Es reicht in der Tat, Herr Finanzminister. Wir sind ßen, indem er uns mitteilte: Wenn die Opposition in der Meinung, Sie sollten schleunigst zurücktreten. der Steuerreform nicht endlich auf Regierungskurs geht, dann werden wir 14 Monate Wahlkampf ma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen. Daß der Wahlkampf dann so aussieht, wie das und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Theo Waigel gemacht hat, haben wir uns nicht vor- der PDS) gestellt. Denn Sie müssen sich in der gegenwärtigen Situa- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ tion, in der es um die Herstellung verläßlicher Inve- DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei stitionsbedingungen geht, einmal folgendes vorstel- Abgeordneten der PDS) • len: Derselbe Finanzminister stellte sich gestern hier hin - nach neun Jahren Theo Waigel Weil ich gerade das versammelte Kabinett sehe, muß ich sagen: Sie schauen alle so lieb, nachdem Ih- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Nach nen in diesem Sommer Theo Waigel einen Leistungs- acht Jahren!) nachweis nach dem anderen ausgestellt hat. Der - gut, nach acht Jahren; das sind acht Jahre zuviel - Blick von Theo Waigel war in diesem Punkt von Rea- und verkündete: Wir müssen verläßliche, zukunfts- litätssinn geprägt. Er schaute auf das Kabinett und fähige Steuerbedingungen schaffen. - Er hat damit sagte: Mit der Truppe werden wir die Wahlen nicht eine schöne Oppositionsrede gegen sich selbst ge- gewinnen; wir müssen das Kabinett ändern. halten. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN und bei der SPD- sowie bei Er stellt sich hier hin und sagt: Wir müssen verläßli- Abgeordneten der PDS) che Investitionsbedingungen schaffen. Herr Waigel, Das hatte ganz offensichtlich auch der Bundeskanz- wer hat denn seit acht Jahren die Verantwortung für ler vor. Also schritt Theo Waigel zur Tat, indem er verläßliche Investitions- und Steuerbedingungen? dem „Spiegel" ein Interview gab. Dort sagte er: Das sind doch Sie! Ich rate Helmut Kohl, mit der Mannschaft in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlkampf zu ziehen, mit der er in der nächsten und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Legislaturperiode regieren will. Wenn der eine der PDS) oder andere Minister oder Staatssekretär aus- Wenn Sie Ihr Amtsverständnis nur ein bißchen ernst scheiden will, aber gern noch ein Jahr bis zur nehmen würden, dann müßten Sie die Konsequen- Wahl machen möchte, muß man ihm sagen: Ka- zen aus diesen sommerlichen Einsichten ziehen und merad, es wäre schön gewesen, schleunigst zurücktreten, um Ihren Amtseid zu reali- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sieren, nämlich Schaden von diesem Volke abzuwen- NEN und bei der SPD) den. aber jetzt müssen wir die neue Mannschaft bil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten den. der PDS) (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Sie haben es geschafft - semantisch durchaus reiz- voll -: Sie sind jetzt ein designierter Ex-Finanzmi- - Das alles ist nicht zum Lachen; denn ich werde nister. nachher auf die Finanzpolitik zu sprechen kommen, die von mehr Irrsinn geprägt ist als das, was ich jetzt (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ vortrage. NEN und bei der SPD) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen NEN und bei der SPD) lassen. Ihr Bundeskanzler nennt Sie Finanzminister mit Verfallsdatum. Es geht um die Herstellung ver- Da geht es direkt um die Interessen unseres Landes läßlicher Investitionsbedingungen durch einen Fi- und nicht um ein regierungsinternes Affentheater. nanzminister mit Verfallsdatum, der ganz offensicht- 16972 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Joseph Fischer (Frankfurt) lich keine Lust mehr hat. Das merkt man seiner derungen des Herrn Stoiber nach 3,00 Prozent, näm- Amtsführung an. lich dem großen Ziel, daß wir die Punktlandung beim Defizitkriterium schaffen. Die werden wir sogar Es geht um das Schaffen einer zuverlässigen und schaffen; denn mit den Mitteln der höheren Statistik zukunftsfähigen Dieser Finanzminister, Steuerbasis. geht alles. Mit den Realitäten aber hat das nicht sehr der jetzt dauernd durch die Gegend rennt und sagt, viel zu tun. Das wissen Sie so gut wie ich. Insofern die Opposition blockiere, war doch derjenige, der kann man sich diese Debatte schenken. Die Verant- das Bareis-Gutachten in den Papierkorb geworfen wortung dafür trägt der Bundeskanzler. hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schauen wir uns einmal die Situation an, nur die sowie bei Abgeordneten der SPD) Fakten, Herr Bundeskanzler: Erblast. Nun, ich bin mittlerweile alt genug; ich kann mich an diese De- Wir können seitenweise zitieren, was Sie, Herr Fi- batte noch erinnern. Mit der Erblast sind Sie an die nanzminister, gesagt haben, nämlich daß Sie eine Macht gekommen, von der Erblast haben Sie jahre- große Steuerreform mit dieser Koalition nicht für lang gelebt, und die Erblast, fürchte ich, wird Sie durchsetzbar halten, daß die Interessenwidersprüche auch die Macht wieder kosten. zu groß sind und daß Sie eine große Steuerreform nicht wollen. Das prägt Ihre gesamte Amtsführung. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Sie sind unfähig, eine zukunftsfähige Steuerbasis NEN und bei der SPD) herbeizuführen. Dies ist ein Trauerspiel. Mit 1,8 Millionen Arbeitslosen sind Sie angetreten; Man muß dann noch wissen, daß dieser Finanzmi- heute haben wir 4,3 Millionen Arbeitslose. Auch nister in seiner Verantwortung mehr Schulden ange- wenn Sie den Faktor deutsche Einheit - ich möchte sammelt hat als alle anderen Finanzminister zusam- hier nicht blind polemisieren - hinzurechnen, bleibt men. Das läßt sich nicht nur mit der deutschen Ein- festzuhalten: Auch in Westdeutschland haben wir heit erklären. Im Gegenteil: Was wir Ihnen vorwer- einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu fen, ist nicht die Tatsache, daß die deutsche Einheit verzeichnen. Wenn man bei Ihnen eine Politik gegen diese einmaligen Sonderlasten mit sich gebracht hat, die Arbeitslosigkeit sucht, findet man nichts - trotz sondern die Tatsache, daß Sie daraus keine Konse- Ihres Versprechens, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. quenzen für eine konsistente Finanzpolitik, für eine Konsequenz: Diese Bundesregierung hat durch ge- konsistente Haushaltspolitik gezogen haben. Ein Fi- setzliche Maßnahmen in den vergangenen Monaten nanzminister ist doch nicht dazu da, immer nur ja zu dazu beigetragen, daß die Arbeitslosigkeit steigt. sagen. Sie wissen so gut wie wir - die ganze CDU/CSU Im Mai hat Herr Jagoda - weiß Gott für uns ein un- Fraktion weiß es -, daß es angesichts der Lasten für verdächtiger Zeuge -, der Präsident der Bundesan- den Aufbau Ost ein haarsträubender -Irrsinn, eine stalt für Arbeit, in seiner Pressekonferenz gesagt: In Versündigung an den Interessen unseres Landes ist, diesem Jahr ist die Arbeitslosigkeit vor allem auch deswegen angestiegen, weil drei Faktoren eine Rolle den Solidaritätszuschlag jetzt zu senken bzw. abzu- schaffen. gespielt haben: erstens die Unfähigkeit dieser Regie- rung, die Probleme der Bauwirtschaft zu lösen; zwei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tens die Verlagerung von AB-Maßnahmen, das Kür- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten zen, das Zerschlagen von ABM-Strukturen, das Kür- der PDS) zen im gesamten Ausbildungsförderungsbereich durch diese Regierung auf Grund der Haushaltsnöte. Sie hätten, wenn Sie ein verantwortungsvoller Fi- Die Menschen haben sich nicht in Luft aufgelöst, nanzminister gewesen wären, der seinen Amtseid sondern sie sind natürlich bei der Arbeitslosenhilfe ernst nimmt, Ihren Bundeskanzler vor die Alternative wieder aufgetaucht. Das heißt, es war eine reine Um- stellen müssen: Kamerad Helmut, entweder läßt du buchung - mit der Folge, daß diese Menschen jetzt diesen Blödsinn mit der F.D.P. sein, oder ich trete zu- arbeitslos und ohne Perspektive sind. Das dritte, was rück. Sie wissen so gut wie wir, daß Sie angesichts Herr Jagoda angeführt hat, war die Gesundheitsre- der Haushaltslage und der Lasten des Aufbau Ost, form. Alles drei falsche Entscheidungen dieser Bun- die wir schultern müssen - wenn wir das vertagen, desregierung, die nicht zu einer Halbierung der Ar- wird es sehr viel teurer werden -, den Bundeskanzler beitslosigkeit geführt, sondern zu einer Aufblähung vor diese Alternative hätten stellen müssen. Dazu der Arbeitslosigkeit beigetragen haben. Das ist die waren Sie nicht willens und nicht in der Lage. Das Realität! hat Sie zu einem schwachen, zu einem erbärmlichen Finanzminister gemacht, wie dieser Sommer gezeigt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat. Damit haben Sie jeden Kredit verspielt. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der PDS) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) Wissen Sie, Herr Glos, wir erwarten von der CSU nicht, daß sie unsere ausländerpolitischen Positio- Die Verantwortung dafür trägt der Bundeskanzler nen vertritt. Ich teile Ihre Positionen auch nicht. Die- Dr. Helmut Kohl. Es ist seine Politik. Der Finanzmi- ses Land hat in den vergangenen Jahrzehnten von nister war in diese Vorgaben eingebunden und ein- der Zuwanderung kulturell und materiell massiven geklemmt zwischen den Interessen der Klientelpartei Gewinn gehabt. Das hat unser Land offener ge- F.D.P., der Partei des neuen Egoismus, und den For macht. Es hat uns sehr viel gebracht. Die Menschen- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16973

Joseph Fischer (Frankfurt) sind hierher gekommen, weil Deutsche sie darum ge- schlagen; überall findet man dasselbe „Ceterum cen- beten haben. seo". Selbst Norbe rt Blüm verkündet dieses.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann werden sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie feststellen: Wir liegen bei der Steuer- und Abga- Ich kann mich an die Anwerbungsbüros in Süd- benquote überhaupt nicht an der Spitze in Europa, europa noch sehr gut erinnern. Ich sage ganz klar: im Gegenteil. Wenn Sie sich ferner die Spitzensteuer- Die politischen Flüchtlinge sind auch wenn sie von sätze ansehen - das sollten Sie einmal tun; Ihre ei- Ihnen nicht erbeten waren, für dieses Land - ich sage gene Regierung hat sie ja veröffentlicht -, das bewußt - kulturell, moralisch und materiell ein großer Gewinn. Viele CSU wählende bayerische Un- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich habe sie ternehmer sehen das genauso. Wenn sie einen bosni- ja überreicht!) schen Flüchtling haben, der bei ihnen eine hervorra- gende Arbeit macht, wollen Sie ihn nicht mehr verlie- dann werden Sie feststellen: Wir liegen auch da über- ren, auch wenn Sie ihn ausweisen wollen. haupt nicht an der Spitze. An der Spitze liegen wir aber bei den Bruttolohnkosten und das vor allen Din- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen als Folge der deutschen Einheit. Damals kam es sowie bei Abgeordneten der SPD) zu einer Explosion. Warum? Sie haben den Sozialver- sicherungsträgern und damit den Arbeitnehmerin- Wir können hier unterschiedlicher Meinung sein, nen und Arbeitnehmern und den Arbeitgeberinnen Herr Glos, und wir sind unterschiedlicher Meinung. und Arbeitgebern eine Last aufgebürdet, die Sie dem Aber: Wenn Sie sich als Vertreter der CSU hier hin- deutschen Volk als Ganzem in Form von Steuererhö- stellen und sagen, es sind zu viele Ausländer in die- hungen hätten zumuten müssen. Aber das wollten sem Lande, Sie 1990 nicht. Das ist der Fluch der bösen Tat. (Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE . GRÜNEN dann hören Ihnen Leute zu, die aus dieser primitiven und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Polemik nicht die Konsequenz ziehen, CSU zu wäh- der PDS) len, sondern die daraus eine ganz andere Konse- quenz ziehen. Wir haben gegenwärtig 150 000 Jugendliche ohne Lehrstelle. Ich möchte ein besonderes Augenmerk Wenn wir hier über Kriminalität diskutieren, dann auf die Jugend im Osten richten. Wissen Sie, gegen- müssen wir darüber diskutieren, daß für Teile unse- wärtig wird eine Debatte über die Sicherheitslage in rer Bevölkerung in bestimmten Gebieten dieses Lan- New York geführt. Dabei erbittert mich, daß die Rea- des der Grundrechtsschutz in Teilen faktisch außer lität nicht mehr gesehen wird. Angesichts einer kri- Kraft gesetzt ist, daß es blutige Angriffe auf Auslän- senhaften Zuspitzung der Ökonomie durch eine „fer- derinnen und Ausländer gibt, die wir alle verurtei- tige" Regierung glaubt man nun, man müsse diese len. Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie das wollen. Debatte auf einem solchen Niveau führen, bei dem Aber Sie müssen wissen, welche Konsequenzen sol- man die Fakten ausblendet und nur noch auf Ängste che Worte haben, wenn Sie das in dieser Form hier setzt. Wir haben zwar das Problem von Gewalttätig- sagen. keiten Jugendlicher in Ostdeutschland. Aber ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, frage Sie: Wer hat sich denn seit 1990 um die ostdeut- bei der SPD und der PDS) sche Jugend tatsächlich gekümmert? Welche Ro lle haben sie denn bei Ihrer Einheitspolitik gespielt? Sie Deswegen sage ich ganz bewußt: Wir müssen ein haben doch mit Ihrer Einheitspolitik dort eine verlo- weltoffenes Land bleiben, wir müssen ein minderhei- rene Generation produziert, die jetzt in ihrer Ver- tenfreundliches Land bleiben. Wir wollen mit Aus- zweiflung zu Gewalt greift, was zwar nicht hinzuneh- länderinnen und Ausländern zusammenleben. men ist, was man aber wissen muß, wenn man die Ursachen klären will. Ich sage Ihnen, ursächlich wa- Ich sage Ihnen noch ein Weiteres, Herr Glos: Wenn ren Sie. der Bundesinnenminister jetzt meint, man müsse nichtdeutschen Studenten die Möglichkeiten, in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Deutschland zu studieren, einschränken, während bei der SPD und der PDS - Widerspruch bei hier gleichzeitig verkündet wird, wir leben im Zeital- der CDU/CSU) ter der Globalisierung, dann kann ich nur sagen: Ein weiteres Beispiel von Irrsinn in dieser Regierung. Jetzt wollen Sie in diesem Bereich weitere Kür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zungen vornehmen. Man muß Jugendgewalt do rt, bei der SPD und der PDS) wo sie aktuell auftritt, mit allen Mitteln des Staates entgegentreten. Aber noch besser ist es sie vorbeu- Herr Bundeskanzler, wir haben unter Ihrer Regie- gend zu verhindern. Das läßt sich am besten durch rung die höchste Steuer- und Abgabenlast. Erinnern mehr Sozialarbeit und durch mehr Angebote an Ju- Sie sich: Sie wollten die Steuern für den Aufbau Ost qendliche machen. Aber wenn Sie auf Grund Ihrer nicht erhöhen. Das hat zu einer Explosion der Lohn- völlig verfehlten Haushaltssanierung und Steuerpoli- nebenkosten geführt. Das hat deutsche Arbeitsko- tik gleichzeitig die Kassen der Kommunen plündern, sten verteuert. Das bestreitet heute niemand mehr. dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Ihnen an- Ich muß nur das „Handelsblatt" oder die „FAZ" auf- schließend die Brocken um die Ohren fliegen, wenn 16974 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Joseph Fischer (Frankfurt) diese Gesellschaft, anstatt zusammengeführt, ausein- Haushalt. Es gab ursprünglich eine Nettoneuver- andergetrieben wird. schuldung von 56 Milliarden DM; jetzt, mit dem Nachtrag, sind es 71 Milliarden DM. Allerdings (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS haben selbst die Klausur im Kloster Andechs und SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) inständiges Beten zu allen Heiligen und Märtyrern Schauen wir uns die Situation weiter an. Der ent- nichts genützt: scheidende Fehler, Herr Bundeskanzler, den Sie ge- (Michael Glos [CDU/CSU]: Ehrlich? Woher macht haben, war ein strategischer Großfehler beim wissen Sie das?) Aufbau Ost. Es zeigt sich jetzt, daß die Weitsicht bei der Frage, was mit der deutschen Einheit, die Sie ja Der Finanzminister kann beim besten Willen nicht herbeigeführt haben, zu tun ist, wirklich gefehlt hat sagen, ob es am Ende nicht mehr werden, das heißt, und immer noch fehlt. Wir sind in der Situation - das ob seine Planungen nicht wieder Makulatur werden. muß sich die F.D.P. einmal auf der Zunge zergehen Jetzt kommt es zu einem Aufstand der Haushälter, lassen -, daß Sie Teilhaber am größten keynesiani- die sich weigern, noch irgendeine Vorlage von Wai- schen Programm der Wirtschaftsgeschichte namens gel zu beschließen. Einen größeren Mißtrauensbe- deutsche Einheit sind. Wir sagen ausdrücklich ja zu weis gegenüber einem Finanzminister gibt es ja wohl diesem Programm, damit Sie uns nicht mißverstehen. nicht. Das Dilemma ist nur: Wir finanzieren do rt - nicht vollständig, aber überwiegend - in alte Strukturen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die sich in Westdeutschland bereits als überholt er- und der SPD - Michael Glos [CDU/CSU]: wiesen haben. Das heißt, die Bundesrepublik Sie wissen, daß das die Unwahrheit ist!) Deutschland gibt - zu Recht - pro Jahr über 100 Mil- Es wurde von einer Störung des gesamtwirtschaftli- liarden DM im Nettotransfer für den Aufbau Ost aus; chen Gleichgewichts geredet; das Grundgesetz aber davon ist ein großer Teil Investitionen in alte mußte bemüht werden. Das alles kam nicht über Strukturen, die sich in Westdeutschland bereits als Nacht. Das wurde Ihnen in Debatten vorhergesagt; erneuerungsbedürftig erwiesen haben. Eine absurde das läßt sich nachlesen. Beide Oppositionsfraktionen Strategie, meine Damen und Herren! Das ist eines haben Ihnen penibelst vorgerechnet, wie es kommen der zentralen Probleme dieser Koalition. wird, und Ihnen gesagt, daß Ihre Zahlen illusionär (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS sind. Aber Sie haben entlang der Linie, die Sie seit SES 90/DIE GRÜNEN) der deutschen Einheit vertreten haben, nämlich Täu- schen und Verschieben, weitergemacht. Das macht die großen Probleme mit dem Struktur- wandel aus, weil Ihnen die finanziellen Möglichkei- Dann griffen Sie, Herr Waigel - das ist wieder ein ten fehlen. Stück aus dem Tollhaus -, zur Privatisierung. Man muß sich das einmal vorstellen: Es sind Notverkäufe Herr Bundeskanzler, Sie hätten 1990- bis 1993, als und Scheinverkäufe. der Einheitsboom dieses Land ökonomisch vorange- bracht hat, doch die Möglichkeit gehabt, eine Steuer- (Michael Glos [CDU/CSU]: Unsinn!) reform zu machen. Warum haben Sie es damals nicht Der Bund verkauft an eine 100 prozentige Tochter die getan? Damals wäre eine Nettoentlastung mit einem Telekom-Aktien und parkt sie da. gewissen. Selbstfinanzierungseffekt durchaus vertret- bar gewesen. Warum wurde es damals nicht ge- (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist alles macht? Ich will es Ihnen sagen. Sie waren damals der Quatsch!) Meinung: Wir machen das großartig; die Dinge lau- - Alles Quatsch? Daß Sie das überfordert, Herr Glos, fen hervorragend; meine Mehrheiten sind gesichert; das weiß ich. Aber Quatsch ist das nun wirklich ich brauche mich nicht zu bewegen; die Dinge ent- nicht. wickeln sich von selbst; Wi rtschaft findet in der Wirt- schaft statt, wie die große ökonomische Leuchte, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Rexrodt, einmal gesagt hat. und bei der SPD) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ich stelle Ihnen einmal die Liste vor - es ist wirklich NEN, bei der SPD und der PDS) kabarettreif; es ist traurig, aber wahr, es ist die Politik der Bundesregierung unter Dr. Helmut Kohl -, was in Damit haben Sie den Strukturwandel verschlafen: dieser Not an Privatisierung angegangen wird. Tele- Sie haben den ökonomischen Strukturwandel ver- kom: Man sagte, die deutschen Arbeitnehmer sollten schlafen; Sie haben den finanzpolitischen Struktur- sich an der Telekom beteiligen. Warum aber wurde wandel verschlafen; Sie haben den ökologischen dieses Paket an Telekom-Aktien zurückgehalten? - Strukturwandel verschlafen. Das alles wird jetzt bei Zum Zwecke der Alterssicherung für ausscheidende den abhängig Beschäftigten und bei den Beziehern Telekom-Mitarbeiter. Das heißt: Ab dem Jahr 2000 unterer Einkommen abgeladen. Das ist das Kennzei- werden Sie die Mittel dafür nicht mehr peu à peu chen Ihrer Steuerreform. durch den Verkauf von Telekom-Aktien realisieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können, Herr Glos, sondern Sie werden das dann aus und bei der SPD sowie bei Abgeordneten dem Bundeshaushalt finanzieren müssen. Das ist der PDS) eine Verlagerung der Kosten in die Zukunft; das ist alles. Lassen Sie mich jetzt noch einen Augenblick beim Haushalt bleiben; denn wir diskutieren ja über den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16975

Joseph Fischer (Frankfurt) Dann kam die Aktion „Gold der Bundesbank". endlich von den hohen Lohnnebenkosten herunter, Das hat auf Grund des internationalen und nationa- was ein wichtiger Punkt im Kampf gegen die Mas- len Aufschreis nicht funktioniert, und die Not war senarbeitslosigkeit ist. Aber das ist mit Ihnen nicht zu doppelt groß. Dann entdeckte man eine Bundes- machen, weil Sie vor den Interessen derer, denen Sie rohölreserve, angelegt im kalten Krieg. Die cleveren auf den Schlips treten müßten, in die Knie gehen. Jungs der Bundesregierung kamen dann auf die Aber es ist ein historisch notwendiger Schritt, im Idee, daß man doch andere Rese rven habe. Also Zeitalter der Globalisierung zu einer ökologischen wurde die nationale Erbsenreserve entdeckt und ent- Steuerreform zu kommen. Gegenwärtig finden Sie, sprechend bewe rtet. Aber bei der Erbsenreserve Herr Bundeskanzler - das haben Gespräche in bleibt es nicht. Im Urlaub las ich in seriösen, konser- Frankreich gezeigt -, eine beachtliche Zustimmung vativen Blättern, man plane die Privatisierung der zu einer ökologischen Steuerreform auf europäischer Notrufsäulen an den deutschen Bundesautobahnen. Ebene. Ich bin gespannt, ob Sie den Beschäftigungs- gipfel, den Sondergipfel der EU im November, nut- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ zen werden. So wie Sie mich gerade angucken, wer- NEN und bei der SPD) den Sie ihn nicht nutzen. Ich fragte mich allen Ernstes, wann denn diese Bun- desregierung zurücktritt; denn so etwas darf doch (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ nicht wahr sein. Jetzt lese ich, man wolle, um die DIE GRÜNEN und bei der SPD) 3,000 zu erreichen, in die volkswirtschaftliche Ge- Auch hier werden wir wieder eine Fehlanzeige zu samtrechnung auch noch die Schwarzarbeit einrech- vermelden haben, meine Damen und Herren. nen. Meine Damen und Herren, das ist nicht die Was könnten wir jetzt mit der ökologischen Steuer- Münchner Lach- und Schießgesellschaft, sondern reform machen? Was könnten wir machen, Ihr Mu- das sind Theo Waigel und Helmut Kohl, das ist sterliberalen, wenn wir endlich die letzten Monopole unsere Bundesregierung in einer der schwersten in diesem Land aufbrächen, die Strommonopole? Krisen, die wir je hatten. Das wäre doch wunderbar. - Wir schieben doch, wo es nur geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) (Bundesminister Dr. Günter Rexrodt: Sagen Sie es denen doch einmal!) Herr Bundeskanzler, unter Ihrer Ägide ist die Inve- stitionsquote in den letzten Jahren beständig zu- - Hören Sie doch auf, mein Lieber! Der entschei- rückgegangen. Wenn wir weniger investieren, wer- dende Punkt ist doch ein anderer. Der entscheidende den die Spielräume für den Strukturwandel immer Punkt ist, daß die F.D.P. nicht mehr die Partei des geringer. Schauen Sie sich doch - Herr Kollege Mittelstands ist, sondern die Partei der großen Wi rt Scharping hat es gesagt - den Bereich- Wissenschaft -schaftsinteressen. und Bildung an: Als Sie 1982 angetreten sind, war dieses Land bei den Investitionen für Wissenschaft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bildung auf Platz zwei. Wenn Sie spätestens im und der SPD sowie bei Abgeordneten der nächsten Jahr abtreten werden, werden wir auf Platz PDS) sechs sein, und das in einer Situation, in der jeder Sachverständige, auch Ihr zuständiger Fachminister Wie verhindern Sie, Herr Rexrodt, Durchleitungs- sagt, daß der nächste große Zyklus auf die Ressource rechte für staatlich garantierte Monopole, ohne daß Wissen gegründet sein wird. In einer solchen Situa- es vorher zur Harmonisierung kommt? Diese Debatte tion begreifen Sie als zukunftsfähige Politik, daß wir führen Sie doch mit Ve rve bei der Deregulierung der von Platz zwei auf Platz sechs zurückfallen. Telekommunikation. Ich würde mir wünschen, Sie verträten dieselben Positionen auch bei der Deregu- Das gleiche gilt für den großen Faktor ökologischer lierung des Stromsektors; dann wären Sie glaubhaf- Umbau, der damit eng zusammenhängt; denn eine ter. Was könnten wir da an Arbeitsplätzen schaffen! auf Wissen gegründete Welt wird sich auch in einem hohen Maße den ökologischen Problemen stellen Schauen Sie sich doch nur das kleine Beispiel der müssen. Ich habe in einer - wiederum sehr konserva- „Windenergie" an, wozu es mittlerweile eine wirk- tiven - Zeitung, dem „Handelsblatt", einen hochin- lich parteiübergreifende Konstellation gibt. Dank der teressanten Artikel über den ökologischen Zustand Initiative auch der Bundesregierung, die wir lange Chinas, den wir immer prophezeit haben, gefunden. eingefordert haben, sind wir mit einer verbesserten Hier geht es aber nicht nur um eine schlimme Last, Einspeisevergütung in eine Zukunftsinvestition ein- darum, sie zu bewältigen, sondern auch um Märkte gestiegen. Dies wollen Sie nun unter dem Druck der von morgen. Die Märkte von morgen werden wir Stromwirtschaft wieder zurücknehmen. Wir haben aber nur bestimmen können, wenn wir den ökologi- durch meine Kollegin Hustedt ein mehrheitsfähiges schen Strukturwandel bei uns endlich energisch vor- Konzept vorgelegt. Herr Bundeskanzler, Sie müssen anbringen. das nur realisieren. Sie finden dafür Zustimmung bis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Ihre Fraktion hinein. Lassen wir also den Blödsinn, und bei der SPD) der Windenergie die Zukunft zu nehmen! Verhin- dern wir diesen Rückschritt, den irgendwelche Rück- Wie sieht es denn da bei Ihnen aus? Wie ist es mit ständigen in den Reihen von F.D.P. und CDU/CSU - der ökologischen Steuerreform? Damit kämen wir es sind nur einige wenige - aus Wirtschaftsinteressen 16976 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Joseph Fischer (Frankfurt) durchsetzen wollen! Dafür finden Sie hier eine breite Eine andere Alternative wäre, neue Wege zu ge- Mehrheit. hen. „Neue Wege" heißt: neuer Generationenver- trag. Ein neuer Generationenve rtrag muß berück- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sichtigen, daß der Arbeitsplatz, wie wir ihn in den sowie bei Abgeordneten der SPD) vergangenen 40 Jahren gekannt haben, in einer glo- Im Bereich der Verkehrspolitik wollen Sie, meine balisierten Welt eher die Ausnahme als die Regel ist. Damen und Herren, die Bahn entschulden, aber jetzt Wir müssen neue Arbeitszeitformen schaffen, neue bürden Sie ihr neue Schulden auf. Gleichzeitig erhö- soziale Sicherungssysteme schaffen. hen Sie den Straßenbautitel. Das muß mir einmal ei- Wir aber behaupten: Wir brauchen strukturelle ner erklären. Das ist ein weiteres Stück Irrsinn aus Veränderungen unseres Rentensystems. An erster dem Hause Waigel, aus dem Hause Kohl. Stelle geht es darum, die Lasten gerecht zu verteilen Deswegen müssen wir all diese Dinge anpacken. und nicht alles bei der heute aktiven Generation ab- zuladen. Gleichzeitig müssen wir endlich ernst machen mit einer Reform des öffentlichen Dienstes, die den (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!) Namen verdient und nicht nur halbherzig ist. Glau- ben Sie denn allen Ernstes, daß wir mit unserem be- Das setzt voraus, daß wir in der Tat über das An- zopften Berufsbeamtentum - das geht nicht gegen wachsen der Rentenbeträge reden und darüber eine den einzelnen Beamten, der teilweise mit hoher Vereinbarung treffen müssen. Motivation arbeitet, aber in einer völlig falschen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Struktur steckt -, mit diesen Instrumenten des fürst- lichen Absolutismus des 18. Jahrhunderts, in das - Ich hoffe, Sie klatschen weiter. Zeitalter der Globalisierung, in eine vernetzte Welt, Wir sind der Meinung - die Erfahrungen in der eintreten können und dabei auch noch Erfolg haben Schweiz sind hervorragend -, daß alle, auch Selb- werden? Hier sind die notwendigen Strukturverän- ständige und Beamte, in das Rentensystem aufge- derungen vorzunehmen. nommen werden sollten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) bei der SPD und der PDS) In aller Kürze noch zur Rente. Ich gehöre nicht zu Die Schweiz ist kein Beispiel, von dem Sie sagen denen, die kritisieren, daß Sie endlich anfangen, die könnten, es wäre eine sozialistische Erfahrung. Wir Wahrheit zu sagen, die Sie seit weit über einem Jahr- halten es für eine sehr gute Erfahrung. zehnt kennen. In Rentenfragen sind die Bremswege sehr, sehr lang. Kohl und Blüm haben immer verkün- Für die schwierigen Jahre 2013 und vor allen Din- det: Die Rente ist sicher. Im Jahr 2013 ist sie nicht gen 2020 folgende müssen wir vermutlich sogar ei- mehr sicher, sagt der Bundeskanzler. Das- habe ich nen Tick über die heutige Schwelle der Rentenbei- nachgerechnet: Ich bin Jahrgang 1948. Was werde träge gehen, um einen zusätzlichen Anspareffekt für ich im Jahr 2013? 65. die Kapitalbildung zu haben und diese Jahre bewäl- tigen zu können. (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie werden sowieso in den Ruhestand geschickt, von In einer globalisierten Welt, meine Damen und Ihrer eigenen Partei!) Herren, sehe ich keine andere Möglichkeit bei einer wachsenden älteren Bevölkerung. Wir werden alle Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Glos: Die Renten- älter - Gott sei Dank. Es ist allen zu wünschen. Auf debatte ist keine Debatte, die die aktuelle Elternge- Grund der höheren Lasten werden wir mehr Vor- neration betrifft, sondern eine Debatte, die meine sorge betreiben müssen. Es führt bei abnehmender Generation und die jüngere Generation betrifft, also Lohnsumme, bei prekärer werdenden Beschäfti- viele hier im Haus. Ich finde es nicht kritisierenswert, gungsverhältnissen kein Weg daran vorbei, daß es zu wenn Sie die Debatte zwischen Blüm und Bieden- einer wirklich in die Fläche gehenden, breiten Betei- kopf führen. Ich fürchte nur: So, wie es gegenwärtig ligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angelegt ist, wird Biedenkopf in Gestalt von Blüm am Kapitalvermögen kommt. recht bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ und der SPD) NEN und bei der SPD) Wir müssen endlich den Schritt von der Mitbestim- Das heißt: Wenn es so weitergeht, wenn wir nichts mungs- zur Miteigentümergesellschaft machen. Ei- tun, dann bekommen wir die beitragsfinanzierte gentlich müßte das doch für eine konservativ-libe- Grundrente. Das wäre die schlechteste Va riante, die rale, für eine christlich-soziale Regierung das Projekt ich mir vorstellen kann. sein, das sie eigentlich schon längst hätten anpacken müssen. Dieser Schritt von der Mitbestimmungs- zur Eine Alternative wäre die, Privatisierung à la F.D.P.: Miteigentümergesellschaft ist eine weitere Voraus- Dann geht es dem, der privat für das Alter vorgesorgt setzung für die Rentensicherheit. Wenn wir diesen hat, gut. Wo aber ist die Krankenschwester, wo ist Schritt auch aus gesellschaftspolitischen Gründen der normale durchschnittliche Arbeitnehmer, die nicht machen, dann werden wir bei der Globalisie- bzw. der mit seinem Verdienst entsprechend vorsor- rung einen Weg gehen, der dieses Land auseinander- gen kann? Das muß mir einmal jemand sagen. treiben wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16977

Joseph Fischer (Frankfu rt) Ich sage Ihnen zum Schluß, Herr Bundeskanzler: Sie hätten keinen rheinland-pfälzischen Ministerprä- Wir sind hier nicht auf der großen Insel Nordamerika sidenten ohne diese Partei, die hier sitzt. Sie hätten mit einer ganz anderen Tradition, mit einem ganz an- keinen Bundeskanzler gehabt ohne deren kulturellen Hintergrund. Dieses Land ist von die F.D.P., die hier sitzt. sozialstaatlicher Integration auch unter den Bedin- gungen der Globalisierung abhängig. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Parteien so mit- einander umgehen, daß sie meinen, eine andere Par- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tei, die anderer Meinung ist als sie, für entbehrlich und der SPD) halten und in die Ecke stellen zu können, leisten sie keinen Beitrag zur Vielfalt der politischen Strömun- Dieses Land wird auch in Zukunft soziale Gerechtig- gen in einer Demokratie. keit an die erste Stelle stellen müssen, und zwar vor der Ökonomie. Die Ökonomie muß die Bedingungen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne für die soziale Gerechtigkeit erwirtschaften. ten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir haben in verschiedenen Abschnitten der Bun- PDS) desrepublik Deutschland erhebliche Leistungen voll- bracht. Meine Partei hat manchmal Sonntag abends Wenn wir die soziale Gerechtigkeit in diesem vor dem Fernseher gesessen, um zu sehen, ob es sie Land, die Integration von Millionen zur Teilhabe an am Montag noch gibt, während Sie schon bei zehn Gesellschaft und am Vermögen dieser Gesellschaft verlorenen Mandaten große Probleme hatten. nicht hinbekommen, werden wir mit einem gefährli- chen politischen Radikalismus konfrontiert, der in Meine Partei hat in einem entscheidenden Ab- Europa - leider - nun wirklich zu unserer Geschichte schnitt der Bundesrepublik Deutschland mit Einsatz gehört. Wenn man das nicht will, muß man den ihrer ganzen Existenz dafür gekämpft, daß dieses Strukturwandel endlich mutig anpacken. Dazu sind Land mit gegen Widerstände in Sie nicht in der Lage, wie die vergangenen Monate die Westbindung eintrat. Meine Partei hat beinahe gezeigt haben. unter Verlust der Anwesenheit im Bundestag dafür gekämpft, daß wir mit Ihrem und unserem Bundes- Sie haben ja selbst kein Vertrauen in Ihr Steuerre- kanzler auf die osteuropäischen Nach- formkonzept. Sie halten es selbst für Makulatur. Sie barn zugegangen sind. trauen sich nicht, Neuwahlen auszuschreiben. Sonst würden Sie sagen: Die Opposition blockiert nur; wir (Zuruf von der SPD: Das waren andere sind die Größten. Wir haben ein tolles Konzept. Ich, Leute!) Helmut Kohl, erbringe meinen Leistungsnachweis, wählt mich! - Aber dann würden Sie das Schicksal Wir haben unter Einsatz unserer Existenz 1983 dafür von Jacques Chirac erleiden. Weil Sie das wissen, gestritten, daß eine Kurskorrektur durchgeführt wer- den konnte, weil machen Sie den Weg nicht frei. Das heißt,- wir haben sie notwendig war. Wenn Sie heute ein qualvolles Jahr der Stagnation vor uns, aber nach vortragen, eine Kurskorrektur sei notwendig, dann Ihnen werden diese kraftvollen Reformen energisch frage ich Sie, wo denn die reformbereite deutsche angepackt werden. SPD ist. Nach Tony Blair wird doch in Deutschland gefahndet. (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) GRÜNEN - Beifall bei der SPD und der PDS - Lachen bei der CDU/CSU) Nein, wenn man die Regierung übernehmen will, muß man deutlicher und präziser sagen, was man machen will. Was Sie nicht gemacht haben, was aber Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt. bitter notwendig wäre, will ich Ihnen jetzt nennen. Jeder in Deutschland weiß, daß die bürokratischen Apparate erstarrt sind, daß eine Reform des Dienst- Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! rechts notwendig ist, daß wir Privatisierungen brau- Meine Damen und Herren! Parteien, wie die hier im chen. Ich frage: Wo ist denn Ihre Teilhabe am Privati- Parlament vertretenen, haben sicher unterschiedli- sierungsprozeß? Wo ist Ihre Mithilfe beim Privatisie- che Vorstellungen über die Ziele von Politik,. auch rungsprozeß? über die nächsten Schritte. Herr Kollege Fischer, wenn Sie den Kollegen Rex- Aber ich möchte Ihnen, Herr Scharping, für die rodt wegen der Reform des Energierechts kritisieren F.D.P. einmal sehr persönlich sagen: Es ist unerträg- und auf die großen Unternehmen verweisen, dann lich, es entspricht weder den Leistungen Ihrer Partei sage ich: Sie haben es doch in der Hand, den größten und Ihrer Vorgänger noch den Leistungen, die meine Hauskonzern einer Landesregierung, das RWE, zu Partei für die Bundesrepublik Deutschland erbracht verändern. Warum tun Sie es denn nicht? Die Grünen hat, wenn Sie uns mit dem Wo rt Klientelpartei diffa- sind doch an der Regierung in NRW beteiligt. mieren. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sie hätten keinen Bundeskanzler Willy Brandt ge- habt ohne diese F.D.P., die hier sitzt. Es verhält sich doch nicht so, daß Sie als Opposition nur so auftreten könnten, als hätten Sie nirgendwo in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Deutschland Verantwortung, nach dem Motto: Wir ten der CDU/CSU) hätten für alles die Verantwortung, Sie wären für 16978 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Wolfgang Gerhardt nichts verantwortlich. Ihre Glaubwürdigkeit muß auf Ich finde, auch diese Personen müssen Gerechtigkeit den Prüfstand. erfahren; sie müssen angesprochen werden.

Nennen Sie mir eine Privatisierungsmaßnahme in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutschland, die Sie unterstützt haben! Bei fast jeder Herr Fischer und Herr Scharping, Sie wissen: Der Privatisierungsmaßnahme haben Sie sich im Prozeß Arbeitsmarkt in Deutschland ist stranguliert. Es gibt der Umsetzung zur Klientelpartei der Besitzstands die Tarifautonomie, aber gleichzeitig das Ausschei- wahrer entwickelt und die Privatisierung verhindert. den von vielen aus den Verbänden. Einigen Einzel- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und gewerkschaften laufen die Mitglieder davon; in den der CDU/CSU) neuen Ländern sieht man, wie Unternehmen in grö- ßerer Zahl aus den Arbeitgeberverbänden ausschei- Ich erinnere an die Postreform, wo Sie, statt die den. Jeder weiß, daß der Flächentarif nicht mehr Märkte zu öffnen, nichts Besseres wissen, als ein Mo- trägt. Keiner glaubt mehr, daß der metallverarbei- nopol eher noch zu verteidigen. Das beginnt bei der tende Betrieb im Erzgebirge dasselbe zahlen kann 100-Gramm-Briefsendung und reicht über das neue wie Daimler-Benz im mittleren Neckarraum. Wann Porto von 1,10 DM bis hin zur Quersubventionierung sprechen Sie denn dann einmal mit Ihren Gewerk- der Frachtpost. Wo ist denn da, meine Damen und schaften, die für Sie immer Kundgebungen veran- Herren von der Opposition, Ihr Reformeifer? stalten, und ermuntern sie, das etwas zu flexibilisie- ren? Ich habe erlebt, daß Sie sich immer an die Be- Herr Fischer, ich nenne die Rentenreform. Das tonköpfe geklammert haben, wenn es um die Reform wäre ja wunderbar. Wo sind Sie denn, wenn es um des Arbeitsmarktes und ähnliche Reformen geht. die Strukturreform geht, wenn Sie die Wahrheit sa- gen müssen? (Beifall bei der F.D.P.) Wo ist denn der große Befreiungsschlag beim (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Sub- DIE GRÜNEN]: Na, na! Fragen Sie einmal ventionsabbau geblieben? Sie, Herr Fischer, haben Herrn Blüm!) innerhalb weniger Stunden die Beschlußfassung der Grünen geändert, um drüben mit den Bergarbeitern Sie verhalten sich so, daß die Politik der Landesregie- auf die Barrikaden zu gehen. Wo war denn da Ihre rungen, an denen Sie beteiligt sind, bewirkt, daß es Glaubwürdigkeit? automatisch auf immer höhere Beitragszahlungen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - der jungen Generation im Erwerbsleben hinausläuft, Jörg van Essen [F.D.P.]: Eine Umfallerpartei weil Herr Dreßler und die gesamte Sozialdemokrati- und nichts anderes!) sche Partei nicht den Mut haben, der älteren Genera- tion zu sagen, daß ein neuer Generationenve rtrag ge- Wenn wir hier über die Tarifautonomie reden und ringere Zuwächse bedeutet. - sagen, die Flächentarife sollten reformiert werden, dann bezichtigt Herr Dreßler uns doch eines An- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und schlages auf die Tarifautonomie. Ich akzeptiere es der CDU/CSU) nicht länger, daß bei uns über verschiedene Sachver- halte aus nahezu religiösen Gründen eine Verände- Sie treten hier auf, als wären Sie die Reformer für die rungssperre verhängt wird. Heilige Kühe gibt es ge- Bundesrepublik Deutschland. Nein, Sie sind in allen nug. Industrienationen, die heilige Kühe beiseite ge- Bereichen, die verändert werden müssen, die stock- räumt haben, haben jedenfalls eine bessere Beschäf- konservativste Opposition, die dieses Haus je erlebt tigungslage als die Bundesrepublik Deutschland. hat. Da mag diese Koalition ein Sommertheater veran- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und staltet haben, sie hat auch Fehler gemacht - aber der der CDU/CSU) Wille, hier etwas zu verändern, ist auf der rechten Die Sozialdemokratische Partei ist bei der Reform Seite des Hauses größer als auf der linken Seite. Des- der sozialen Sicherungssysteme selbst in der Soziali- halb muß fortgeschritten werden. stischen Internationale völlig isoliert. Tony Blair trägt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ihnen vor, daß die sozialen Sicherungssysteme refor- miert werden müßten, weil sie nach seiner Einsicht Im übrigen gibt es auch aus Ihrem Bereich Kolle- eher denen genutzt haben, die nicht einen Job an- gen, die das so sehen. Ich will jetzt einmal einen ge- nehmen wollten, und diejenigen benachteiligt ha- waltigen Neoliberalen zitieren: Helmut Schmidt. Er ben, die einen Job gesucht haben. sagt in der „Wirtschaftswoche": Herr Scharping, was ist denn eigentlich gerecht Wer nur die hohen Einkommen und Vermögen und solidarisch? Ist eine Gesellschaft auf Dauer ge- treffen will, muß sich fragen, ob er noch mehr Ka- recht und solidarisch, die ihren Blick ausschließlich pital- und Wohnungsverlagerungen nach Luxem- auf die Erhöhung von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, burg, Monaco und anderswohin auslösen will. Arbeitslosenhilfe richtet, oder sind eine Gesellschaft und eine Politik nicht auch solidarisch, die diejenigen Er sagt: Das bringt nichts. ermuntern und die Leistung derjenigen honorieren, Die „Wirtschaftswoche" fragt weiter: die sich anstrengen, die mehr Leistung erbringen wollen und die einen Arbeitsplatz auch annehmen. Wie hätten Sie es denn lieber? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16979

Dr. Wolfgang Gerhardt Da sagt dieser neoliberale Helmut Schmidt: Eine Festlegung des Spitzensteuersatzes scheint mir in der gegenwärtigen Situation nicht nötig. Es Mir wäre es lieber, wenn das gesamte deutsche ist mir übrigens auch gleichgültig, ob der bei 38 Sozialversicherungssystem generalüberholt würde. oder 40 Prozent liegt. ( [Köln] [SPD]: Das hat er schon Nur Ministerpräsident Lafontaine hält die Linie. Er immer gesagt!) sagt am 4. Februar dieses Jahres: - Jetzt kommt es. Der Spitzensteuersatz von 53 Prozent muß in der Der Abstand der Sozialleistungen von den regu- jetzigen Höhe bleiben, denn in der Verfassung lären unteren Einkommen muß wieder deutlicher steht, daß jeder nach Leistungsfähigkeit be- werden. steuert wird. Was haben wir von Ihrer Seite für Kübel von Schmutz (Beifall bei Abgeordneten der SPD - ertragen müssen, als wir hier dasselbe vorgetragen Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: haben. Noch eine Mindeststeuer drauf!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Am selben Tag sagt der Hamburger Bürgermeister Ich bin noch nicht fertig. Dieser Neoliberale äußert Voscherau im „Stern": sich auch zu der Frage: Die SPD hat sich darauf festgelegt, daß sie die Was halten Sie von einem subventionierten zwei- Senkung des Spitzensteuersatzes von jetzt 53 Pro- ten Arbeitsmarkt, um die Arbeitslosenzahl zu zent für möglich - ich füge für mich hinzu: für un- senken? ausweichlich - hält. Darauf sagt der Mann tatsächlich - so weit traute ich Meine Damen und Herren, es mag sein, daß sich mich gar nicht -: der Spitzensteuersatz toll eignet, um das alte gesell- schaftliche Lied auf unten und oben, auf die unver- Nichts. Je mehr der Staat eingreift, desto mehr dient Reichen, die unverdient Armen, zu singen. Da geht schief. läßt sich viel mobilisieren. Wir wissen, daß in vielen (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: politischen Konzepten der schlechte Charakterzug Hat Norbert Blüm das auch gelesen?) des Neides und der Mißgunst eine gewaltige Rolle spielt. Da frage ich mich, warum Sie uns mit einem solchen Wortschwall so geißeln. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Schämen Sie sich!) Ich komme zum Spitzensteuersatz und zur Steuer- - Nein, ich schäme mich nicht. Er spielt eine Rolle. reform, Herr Kollege Scharping, und will- jetzt wieder einige aus Ihrer Partei zitieren. Gerhard Schröder Sie spielen auf diesem Klavier, füge ich hinzu, und sagt: zwar sehr bewußt. Es ist vernünftig, wenn dieser für gewerbliche (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Einkommen unterhalb von 40 Prozent liegt. Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sagt die F.D.P.! Das ist Er fügt hinzu: abenteuerlich!) Ich bezweifle, ob es verfassungsmäßig ist, wenn Deshalb reden wir jetzt einmal über Leistung. Wir der Spitzensteuersatz für Privatpersonen dann werden keine Gesellschaft schaffen - jedenfalls ist mehr als acht Punkte darüber liegt. jede Politik, die den Versuch gemacht hat, in Diktatur Darauf könnten wir uns schon morgen im Vermitt- und Unterdrückung geendet -, die sich so organi- lungsverfahren verständigen. siert, daß jeder, der mehr im Portemonnaie hat als ein anderer, das automatisch nur unter den besten Be- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dingungen, mit größtem Verdienst selbst erreicht hat. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, Kurt Genausowenig können Sie eine Gesellschaft mit Beck, erklärt: staatlichen Befehlen und Unterdrückung organisie- ren, um Menschen vor Armut zu bewahren. Gerech- Die Regierung ist uns schon ein gutes Stück ent- tigkeit kann Politik nicht absolut organisieren. gegengekommen. Wenn die jetzt ein akzeptables Angebot machen, müssen wir zustimmen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nun überhö hen Sie es nicht so!) (Jörg Tauss [SPD]: Machen Sie das Ange- bot!) Immer noch gibt es eigene Verantwortung in persön- licher Lebensführung von Menschen. Nicht immer ist Sogar die brandenburgische Finanzministerin er- die Gesellschaft schuld, wenn jemand in Schwierig- klärt: keiten kommt, und nicht jedermann hat unverdien- Diese Mischung, die jetzt auf dem Tisch liegt, ist termaßen etwas mehr als ein anderer. Ein Erfolg in nicht in Bausch und Bogen abzulehnen. persönlicher Lebensführung kann auch in Leistung, Verantwortungsbereitschaft und persönlichen Aus- Rudolf Scharping erklärt im Deutschlandfunk am bildungsanstrengungen - begünstigt von Glück - be- 24. Januar dieses Jahres: gründet sein. 16980 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Wolfgang Gerhardt Wer eine solche Gesellschaft nicht wi ll, der muß Traditionsverbänden, die keine Bewegung ausstrah- das hier sagen. Ich jedenfalls möchte auf weiteres in len. einer Gesellschaft leben, die diese Chancen bietet. Ich möchte sie auch Menschen erhalten. Ich möchte (Jörg Tauss [SPD]: Das sagt ausgerechnet Menschen von einer verdienten D-Mark nicht mehr dieser Herr!) als 50 Pfennig abnehmen, weil ich einen Staat nicht Das ist die Situation der Opposition. als gerecht empfinden kann, der den Lohn der Lei- stungsfähigkeit der Menschen so besteue rt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das unterscheidet die jetzige Situation von allen an- deren in der Bundesrepublik Deutschland, in denen Dafür gibt es keine Begründung. sich eine Opposition darangemacht hat, Regierungs- verantwortung zu übernehmen. Als sich die Union (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ damals, 1982/83, anschickte, Regierungsverantwor- DIE GRÜNEN]: Höchste Steuer- und Abga tung zu übernehmen, vertrat die Union in den zentra- benlast, unter Beteiligung der F.D.P.!) len Fragen, die anstanden und die in der Fraktion Leistung ist nichts Unanständiges. Leistung ist der SPD von Helmut Schmidt nicht mehr gelöst wer- nicht etwas, für das man die Leute bestrafen müßte. den konnten, Leistung ist kein Begriff der Ellbogengesellschaft. (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!) Leistung ist eine zutiefst persönliche menschliche Anstrengung, die bei einem gerecht besteuernden nämlich zum Beispiel bezüglich der Haushaltskonso- Staat die Voraussetzungen dafür schafft, daß man lidierung, eine Position, mit der wir arbeiten konn- Menschen in Not helfen kann. Aber niemand sollte ten. glauben, daß man, wie Lincoln gesagt hat, Armen helfen kann, wenn man die Reichen ausmerzt. Diese (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Erkenntnis sollten Sie beherzigen. DIE GRÜNEN]: Aha, Wandel heißt: Regie rungswechsel der F.D.P. ) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Welches Konzept hat denn diese vereinte Opposi- Verlassen Sie also politische Konzeptionen, die nicht tion, wenn sie ankündigt, sie wolle Verantwortung tragen. übernehmen? Das würde die rückwärtsgewandteste Regierungsveranstaltung, die die Bundesrepublik (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Deutschland je erlebt hat, DIE GRÜNEN]: In welchem Land leben Sie denn?) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) In dieser Legislaturperiode haben wir- gelernt, daß der Untergang des Abendlandes nahe bevorsteht. verbunden mit Politik für Besitzstandswahrer, für Un- Können Sie sich an die große Reformfreude von SPD bewegliche, für Strukturerhalt, für alte Industrie- und Grünen erinnern, als wir die Ladenöffnungszei- strukturen, gegen die, die einen neuen Aufbruch wa- ten nur um 90 Minuten verlängern wollten? gen wollen. Das einzige, was Sie hier tun, ist, Verän- derungstheater ohne jeglichen wirk lichen Reform- (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) und Modernisierungswillen vorzuspielen. Da wurde der Zusammenbruch der Gesellschaft be- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schworen. Können Sie sich erinnern, wie Sie blok- kiert haben, als wir darüber gestritten haben, die Wenn Sie ernsthaft, ohne kabarettistische Einlagen Kohlesubventionen in zehn Jahren auf 5 Milliarden mit Rückblick auf die Sommerpause, DM zurückzuführen? Können Sie sich an die Ausein- (Jörg Tauss [SPD]: Wie Glos!) andersetzungen erinnern, als diese Bundesregierung und die hier sitzende Mehrheit sich darangemacht die Fragen beantworten wollen, die die Bundesrepu- hat, das Meister-BAföG einzuführen und das Kinder- blik Deutschland heute entscheiden muß, geld in Schritten zu erhöhen, die noch nie gegangen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ wurden? DIE GRÜNEN]: Dann wechseln wir die (Anhaltender Widerspruch bei der SPD) Koalition!) Was waren das alles für Auseinandersetzungen! dann müssen Sie die Fragen beantworten, die andere Nein, meine Damen und Herren, Sie vertreten in Ih- führende Industrienationen beantwortet haben. ren politischen Konzepten rückwärtsgewandte Diese haben die Steuern gesenkt, die Staatsquote re- Strukturen. duziert, den Arbeitsmarkt flexibilisiert, um mehr Be- schäftigung zu ermöglichen. Alles das, was nicht (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: neue Dynamik in die Wirtschaft bringt, ist für die Neinsager!) Konsolidierung der Haushalte nichts nütze. Die Haushalte werden sklerotisch bleiben, wenn sich die Sie sind bei jenen, denen der Wandel Schwierigkei- Beschäftigungslage nicht ändert. ten macht. Sie ermuntern sie aber auch nicht zum Wandel. Sie helfen ihnen nicht dabei. Sie leiten nicht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne über in neue Strukturen, sondern sitzen fest in Ihren ten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16981

Dr. Wolfgang Gerhardt Beschäftigung schafft man bekanntlich aber nicht, fähiger für Investitionen sind. - Wir müssen schon indem man den Betrieben noch eine Umlage zumu- bei uns selbst aufräumen. tet, lediglich einen Verschiebebahnhof bei den Lohn- Ich sage für alle, die anderer Meinung als ich oder nebenkosten vorsieht und eine ökologische Steuerre- die F.D.P.-Fraktion sind: Es ist ein Gebot politischer form, die auf jeden Fall eine höhere Steuerbelastung Führung, den Menschen in Deutschland, deren darstellt, einführen will. Beschäftigung und Dynamik Ängste wir kennen, zu sagen, daß der Termin der schaffen wir nur, wenn wir couragierte Steuersen- eingehalten werden kungspolitik betreiben und die sozialen Systeme re- Europäischen Währungsunion muß, daß die Konvergenzfortschritte in Europa noch formieren. nie so eng beieinanderlagen, daß wir die Chance der (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Währungsunion nicht verpassen sollten. ten der CDU/CSU) (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Deutschland hat eine geringe Attraktivität, Herr Wir müssen ihnen sagen, daß der Euro eine wich- Kollege Fischer, für ausländische Studierende, weil tige Antwort für die Märkte ist, die vom Yen und dem sich das deutsche Hochschulsystem, das alle Chan- nordamerikanischen Dollar dominiert werden, und cen hatte, diese freiwillig einzuführen, erst jetzt unter für Deutschland als exportorientiertes Land eine der gesetzgeberischen Voraussetzung entschließt, wichtige Grundlage für die Beschäftigung ist. angelsächsische Abschlüsse anzubieten. Diese hät- ten die Universitäten längst einführen können. Wir wissen, daß die Menschen in Deutschland zwei Hyperinflationen erlebt haben, und wir verste- Das deutsche Hochschulsystem hätte längst die hen ihre Ängste. Wir müssen ihnen aber sagen, daß Studienzeiten verkürzen können. Niemand hat die verantwortliche deutsche Politik nicht irritieren Professoren eines Fachbereichs daran gehindert, die sollte. Wir müssen den Kurs beibehalten und den Studierenden in zwölf Semestern zum Abschluß zu Vertrag einhalten, weil wir nach unserer tiefsten führen. Das wäre auch im Interesse der Studenten. Überzeugung auf einer Stabilitätsinsel Deutschland nicht überleben, sondern nur mit unseren Nachbarn Was macht denn die Regierung unter Ihrer Beteili- in einer Europäischen Währungsunion die Chance gung in Sachsen-Anhalt? Sie verlängert jetzt die haben, den weltweiten Strukturwandel zu bestehen. Schulzeit auf 13 Jahre, obwohl man in zwölf Jahren zum Abitur hätte führen können. Sie führt flächen- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne deckend Orientierungsstufen ein. Wo ist die Vielfalt ten der CDU/CSU) im Schulsystem in den Ländern, in denen Sie die Ver- antwortung tragen? Sie sind doch die Vertreter der Es gibt immer Versuchungen, das zu vergessen, Einheitsschulformen. Bei uns sitzen die Vertreter der vor allem dann, wenn Wahlen unmittelbar vor der Vielfalt, der Elternentscheidung, des Wettbewerbs Tür stehen. Es wäre ein unermeßlicher Fehler deut- und der Systeme. - scher Politik, wenn wir eine neue Eurodiskussion be- ginnen würden, nur weil in Bayern und in Hamburg (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gewählt wird. Herr Voscherau äußert sich übrigens auf einmal ganz anders, als das früher wahrnehmbar Wer ist denn eigentlich Anwalt der jungen Genera- war. tion? Ist es derjenige, der sie erst nach 13 Jahren Schulzeit zum Abitur führen will? Ist es derjenige, Ich sage das deshalb, weil wir beginnen, unsere der glaubt, es müßten noch mehr und noch längere Nachbarn zu irritieren. Sie verstehen uns nicht und Studiengänge absolviert werden, weil er annimmt, fragen, was mit den Deutschen los ist. Sie erwarten daß man um so reifer sei, je länger man ausgebildet von der politischen Führungsklasse in Deutschland wurde? Oder ist der der bessere Vertreter der jungen Standing, Vertragstreue und Berechenbarkeit. Das Generation, der hier offen sagt: Es ist besser, wenn erkläre ich für die Freie Demokratische Partei. die jungen Menschen früher in den Wettbewerb, den (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Beruf kommen, es ist besser, wenn es für die Kinder ten der CDU/CSU) pädagogisch verantwortbare Leistungsfeststellungen in der Schule gibt, anstatt ihnen dauernd auszuwei- Wer in Deutschland andere Gruppen wählen will, chen? Wer hilft denn der jungen Generation besser? der soll das tun. Es muß in Deutschland aber klare, berechenbare Konturen auf diesem Kurs geben. Das Ich habe heute aus Nordrhein-Westfalen gehört, betrifft nicht nur die Frage der Währungsunion. Ich man sollte auf Notengebungen in der Grundschule sage das mit Dank an die Adresse des Bundesaußen- verzichten. Wes Geistes Kind sind denn Leute, die ministers. glauben, man könne Kinder ohne jede Leistungsbe- wertung in eine Gesellschaft entlassen? Das kann Vielleicht haben viele geglaubt, nachdem der War- doch keine Grundlage einer Politik für die junge Ge- schauer Pakt und die NATO in einer veränderten Si- neration sein. tuation sind - jener hat sich aufgelöst, dieser steht vor Erweiterungen -, werde die Friedensdividende (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ausgezahlt, und sei am Ende der Geschichte angekommen. Daß die Welt nicht am Ende der Ge- Meine Damen und Herren, wir müssen die Globali- schichte angekommen ist, wissen wir. sierung annehmen, ob sie Herrn Lafontaine gefällt oder nicht. Wir werden nicht nach dem Motto han- Wir haben auf dieser Welt Regime, in denen Fami- deln können: Bitte, Tony Blair, erhöhe in Großbritan- lienclans herrschen, in denen nicht im entferntesten nien die Steuern, damit wir Deutschen wettbewerbs die Prinzipien einer aufgeklärten Gesellschaft das 16982 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Wolfgang Gerhardt politische Gerüst tragen. Wir haben einige hundert ist dann anders ausgegangen. Dann gab es eine Kilometer von unserer Grenze entfernt, in Rußland, Wahl - - immer noch eine Gesellschaft, bei der wir schauen: (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Da war er Wann hört der freie Fall auf? Wann konsolidiert sie wieder weg!) sich? Wann kommt dieses Land wirklich nach Eu- ropa, auch in seinen inneren Strukturen? - Da war er wieder weg. Ich glaube auch, die Sozial- demokraten hatten mehr das Gefühl, daß Helmut Solange das so ist, empfiehlt sich jedenfalls die Kohl mit Saft und Kraft im Publikum steht, während Kontinuität in einer Außenpolitik, die nicht einfach Herr Vogel mehr mit Saft und Kraft in der Aktenlage alles vergißt, was uns 50 Jahre Frieden gebracht hat, beheimatet ist. die die internationale Einbettung sieht - ich sage auch das -, inklusive der Bundeswehr. Die Bundes- Dann kam eine Wahl, da habe ich gedacht: Jetzt wehr ist eine Armee in einer Demokratie. Wir danken wird es aber kritisch; denn da steht der Umverteiler den Soldaten. Helmut Kohl als kalter Vertreter einer kapitalisti- schen Koalition gegen „versöhnen statt spalten" von (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) . Erinneren Sie sich, welchen Vor- sprung Johannes Rau in Umfragen hatte? Kaum ein- Bei dieser Gelegenheit weise ich darauf hin, daß holbar. Merkwürdigerweise ist die Wahl wieder an- die PDS in Hamburg ein Plakat aufgehängt hat, auf ders ausgegangen. dem steht: „Soldaten" - das ist ganz groß und in Schwarz gedruckt - „benutzen bisweilen Schaufeln Dann kam die Vereinigung. Da habe ich gelesen, statt Gewehre und sind" - „sind" wieder groß ge- jetzt liege es gar nicht mehr an Personen, sondern druckt - „im militärischen Ernstfall staatlich ausge- die Sozialstruktur der neuen Länder wie Sachsen - bildete Mörder". alte Industriegesellschaft - sei klar sozialdemokra- tisch dominiert. Willy Brandt brach nach Eisenach (Paul Breuer [CDU/CSU]: Unglaublich! - auf. Tausende waren auf dem Marktplatz. Das könne Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ diese rheinische Koalition und Konstellation, die nur DIE GRÜNEN]: Mauerschützen!) in der alten westdeutschen Bundesrepublik begün- stigt sei, nie gewinnen. Komischerweise hat sie die Das ist aus „Der bewachte Kriegsschauplatz" von Wahl gewonnen. Kurt Tucholsky. Hinterher sind wir alle schlauer. Jetzt kommen Dieses Zitat ist feige, weil man es selbst nicht zi- viele Ratschläge von denen, die sagen, was man da- tiert. Es ist infam, und es ist unmenschlich gegenüber mals alles hätte machen müssen. Herr Fischer, ich den Soldaten, die im Oderbruch den Menschen ge- lasse mir ungerne Ratschläge geben, was man da- holfen haben und die großen Respekt verdienen. mals alles hätte tun müssen, und zwar von Ihrer Frak- - tion, die damals bedenkliche Schwierigkeiten mit der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU deutschen Einheit hatte. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Wir sollten dieses Plakat den Menschen im Oder- DIE GRÜNEN]: Ewiger Sieg!) bruch zeigen, Nun will ich noch einmal auf die letzte Bundes- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne tagswahl kommen. Da kamen sie dann zu dritt: die ten der CDU/CSU) Troika. Nicht mehr einer kam, sondern sie kamen zu dritt. Da dachte ich: Jetzt wird Helmut Kohl überwäl- damit diese begreifen, daß sie es nicht nur mit einer tigt. Drei ist wirklich zuviel. - Er hat gewonnen. Partei zu tun haben, die den Alten freundlichst die Rentenanträge ausfüllt, sondern mit einer Partei, die Wir wissen nicht, wer das nächste Mal gewinnt. niemals wieder in diesem Land Verantwortung ha- Zuversicht allein ist kein guter Ratgeber. Aber wir ben sollte. Das muß klargemacht werden. sind entschlossen, die Wahl zu bestreiten, weil wir davon überzeugt sind: Die besseren Konzepte für die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Zukunft dieses Landes liegen hier. Dies müssen wir sagen. Es gibt an entscheidenden Abschnitten der deut- schen Politik immer politische Kontroversen. Es gibt (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne immer den Glauben: Die nächste Wahl gewinnen wir ten der CDU/CSU) ganz bestimmt. Ich weiß es noch nicht. Wir müssen die Konzepte beständig wiederholen. Wir dürfen in der Koalition keine Angst davor haben. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Wir dürfen nicht zurückschrecken, wenn wir Gegner- DIE GRÜNEN]: Ihr glaubt: Bei der nächsten schaft spüren. Eine Politik, die verändern will, hat es Regierung sind wir dabei! Die ist nie ohne immer mit strukturell privilegierten Interessengrup- F.D.P. gewesen!) pen zu tun, die dagegen sind. - Herr Kollege Fischer, wenn Sie sich die Geschichte (Zuruf von der SPD: Da spricht einer!) der Wahlen anschauen, dann sehen Sie, daß 1982 ge- sagt worden ist: Bei der März-Wahl 1983 ist Helmut Die Opposition ist Anwalt strukturell privilegierter Kohl ganz bestimmt weg und die F.D.P. sowieso. Es Interessengruppen in festen Beschäftigungsverhält- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16983 Dr. Wolfgang Gerhardt nissen. Wir wollen Anwalt der Leute sein, die durch eigene Portemonnaie geht, dann weichen Sie zurück. Veränderung 4,3 Millionen Arbeitslosen neue Chan- Das ist unsere Erfahrung aus diesem Aufruf. cen geben. Dafür lohnt es sich zu streiten. (Beifall bei der PDS - Ingrid Matthäus (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der Maier [SPD]: Ich lasse mir von Ihnen doch F.D.P. und der CDU/CSU) nicht vorschreiben, wohin ich spende!)

- Nein, das war ja nicht „vorschreiben", das war eine Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Bitte. Das war eine Bitte, Frau Matthäus-Maier. Sie Kollege Dr. Gregor Gysi, PDS. hätten sich an der Aktion beteiligen können. Daß Sie das nicht müssen, das weiß ich.

Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Gerhardt, Sie haben (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich habe ein Plakat der PDS in Hamburg angesprochen. Ich gespendet, aber nicht bei Ihnen!) will dazu etwas sagen. Jetzt geht es hier aber eigentlich um den Haushalt. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Entschuldigen Deshalb sage ich Ihnen dazu folgendes: Herr Ger- sollen Sie sich!) hardt, Ihre ganze Rede wäre sehr viel glaubwürdiger - Noch sind wir nicht soweit, daß Sie mir vorschrei- gewesen, wenn Sie in den vergangenen Monaten ei- ben, was ich sage. Sie müssen sich schon anhören, nen Schritt gegangen wären, den Sie nicht gegangen was ich Ihnen dazu zu sagen habe. sind. Der Kanzler bittet Sie seit ewigen Zeiten, Mit- glied des Bundeskabinetts zu werden. Auch Herrn (Beifall bei der PDS) Sohns bittet er seit ewigen Zeiten, in das Kabinett einzutreten. Wenn die Regierung so großartig wäre, Erstens hoffe ich, daß wir uns zumindest mit der wie Sie sie hier dargestellt haben, dann wären Sie F.D.P. in der Frage einig sind, daß es richtig ist, daß diesen Schritt längst gegangen. Sie gehen ihn nicht, das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß weil sie wissen, daß Ihr Ruf Schaden nimmt, wenn das Tucholsky-Zitat benutzt werden darf, und zwar Sie in diese Regierung eintreten. Das ist Ihr Motiv, straffrei. und das zeigt, was Sie in Wirklichkeit von dieser Bundesregierung halten. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Unver schämt! - Weitere Zurufe von der CDU/ (Beifall bei der PDS) CSU) In einer Haushaltspolitik zeigen sich die unter- Zweitens füge ich hinzu, daß das Plakat in Ham- schiedlichen sozialen und natürlich auch politischen burg politisch falsch und töricht ist und daß das über- Ziele einer Koalition bzw. einer Partei im Vergleich - haupt nicht die Politik der PDS ist. zur Opposition. Aber was man von jeder Regierung (Beifall bei der PDS) verlangen kann - ganz egal, ob sie eine gerechte oder ungerechte Politik macht, ob sie unseren Vor- Wir würden das normalerweise auf einem Plakat we- stellungen entspricht oder nicht -, ist, daß sie wenig- der zitieren noch - und das schon gar nicht - mit dem stens das Handwerkszeug beherrscht. Tatsache ist Einsatz der Bundeswehr im Oderbruch in Zusam- doch eines: Sie haben sich bei den Ausgaben - das menhang bringen. wissen wir heute - um mindestens 20 Milliarden DM verschätzt. Sie haben sich bei der Neuverschuldung Ich glaube, so deutlich hat sich hier noch nie je- um mindestens 20 Milliarden DM verschätzt. Das mand von einem Plakat seiner eigenen Partei distan- heißt, Sie sind ja nicht einmal mehr in der Lage, Ihre ziert, wie ich das in diesem Augenblick getan habe. Politik handwerklich sauber rüberzubringen. Sie Das könnten Sie, nebenbei gesagt, durchaus einmal können keinen Haushalt mehr aufstellen, der auch würdigen. nur einigermaßen seriös ist. Das ist der Zeitpunkt, in dem Sie ehrlicherweise bekennen müßten, daß Sie in (Beifall bei Abgeordneten der PDS) jeder Hinsicht überfordert seien, was Sie aber nicht Aber wir haben das auch praktisch bewiesen, und tun. zwar dadurch, daß gerade die Mitglieder der PDS, (Beifall bei der PDS) eine Vielzahl von Sozialistinnen und Sozialisten, im Oderbruch aktiv bei der Hilfe waren, als es darum Ich nenne nur ein Beispiel für den Haushalt ging, die Schäden zu beseitigen. 1997. Ich nehme an, daß sich die SPD noch gut daran erinnern wird, daß die Bundesregierung im Entwurf (Beifall bei Abgeordneten der PDS) zunächst ernsthaft vorgesehen hatte, überhaupt keine Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit zu Das ist die einzige Gruppe, die in der Sondersitzung zahlen. Nur durch Druck der Opposition gelang es, sowohl den Einsatz der Soldaten als auch den Einsatz in den Haushalt wenigstens 4,5 Milliarden DM auf- anderer Bürgerinnen und Bürger diesbezüglich ge- zunehmen. Tatsächlich wurden es 15 Milliarden DM. würdigt und zugleich von ihren Einkommen 30 000 DM gespendet hat, um do rt Schäden zu besei- Eine Regierung, die ernsthaft glaubt, keine Mark tigen. Unser Aufruf an die anderen Fraktionen, sich für die Bundesanstalt für Arbeit zu benötigen, um daran zu beteiligen, ist verhallt. Wenn es um schöne dann 15 Milliarden DM zu bezahlen, beweist, daß sie Worte geht, dann stehen Sie vorne. Aber wenn es ans nicht einmal mehr ihr Handwerkszeug beherrscht. 16984 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Gregor Gysi Sie ist einfach am Ende. Sie ist nicht mehr in der Banken. Das ist das Problem, mit dem wir es hier zu Lage, eine solide Finanzpolitik zu machen. tun haben. (Beifall bei der PDS) Deshalb sage ich Ihnen: Das Schlimme an Ihrer Steuerreform ist, daß Sie genau diese Politik fortset- Jetzt planen Sie im E rnst für 1998 lediglich eine zen wollen, weiter do rt Entlastungen wollen, wo Neuverschuldung von 57,8 Milliarden DM. Sie wis- schon heute kaum Steuern gezahlt werden. Wer soll sen doch schon heute, daß diese Zahl nicht stimmen das bezahlen? - Wieder dieselben Gruppen: Die klei- wird. Wann legen Sie denn wenigstens einmal einen nen und mittelständischen Unternehmer, die Arbeit- ehrlichen Haushalt vor, statt sich ein Jahr lang mit nehmerinnen und Arbeitnehmer und diejenigen, die Tricks über Bundesbank-Goldreserven, Erbsen, auf Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosen- Erdöl und ähnliches hinüberretten zu wollen? Das ist unterstützung angewiesen sind. Diesen Weg können das mindeste, was eine Regierung leisten muß, wozu wir einfach nicht mitgehen. Hier ist die eigentliche Sie aber nicht in der Lage sind. Kurskorrektur erforderlich. (Beifall bei der PDS) Das sage ich Ihnen, Herr Glos, auch in a ller Deut- Wahr ist allerdings nicht, daß es keine Nutznieße- lichkeit: Wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, rinnen und Nutznießer Ihrer Politik gäbe. Die gibt es. wir hätten weniger Probleme auf dem Arbeitsmarkt, Das sind die großen Konzerne, das sind die Banken. wenn wir weniger Ausländerinnen und Ausländer Deren Gewinne schnellen in die Höhe. Das sind auch hätten, dann schüren Sie hier ganz gefährliche die Großaktionäre, denn bei jeder Meldung über Ängste. Das wird Auswirkungen haben, die höchst- weitere Entlassungen in Konzernen steigt der Wert gefährlicher Natur sind. Auch wissen Sie, daß es der Aktien. Das ist die Realität. nicht stimmt. Wir brauchen keine Entsolidarisierung unten in der Gesellschaft, sondern wir müssen Reich- Sie haben einmal gesagt: Wenn es der Wi rtschaft tum begrenzen, wenn wir Armut wirksam bekämp- gutgeht, werden Arbeitsplätze geschaffen. Das Ge- fen wollen. Einen anderen Weg wird es nicht geben. genteil ist der Fall. Je mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, desto besser geht es zumindest bestimmten (Beifall bei der PDS) Teilen der Wirtschaft. Das ist das eigentliche Pro- Das Operieren mit Zahlen halte ich überhaupt für blem, mit dem wir es hier zu tun haben. inhuman und gefährlich. Wo soll denn das enden? (Beifall bei der PDS) Wir haben sehr viele prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen Frauen beschäftigt sind. Wann kommt der Jetzt werde ich Ihnen einmal etwas zur Steuerbe- Tag, an dem Sie sagen, wir haben zu viele Frauen? lastung sagen: Es gibt eine hochinteressante Unter- Wir haben Rentenprobleme. Wann kommt der Tag, suchung der Universität Mannheim zur Entwicklung an dem Sie sagen, wir haben zu viele ältere Men- der Steuerbelastung von 1989 bis 1994. Dies sollten schen? Das ist eine Einstellung, die sich dieser Bun- Sie sich wirklich anhören: In dieser Zeit sank bei 30 destag gerade bei der Geschichte Deutschlands untersuchten DAX-Unternehmen die Steuerbela- wirklich nicht leisten kann. Hier wünsche ich mir stung von 54,5 auf 31,4 Prozent, ohne daß Arbeits- entschiedenen Protest. plätze geschaffen wurden. Ganz im Gegenteil. (Beifall bei der PDS) Dabei muß man wissen, daß in dieser Zeit, von 1989 bis 1994, Daimler-Benz gar keine Steuern ge- Dann kommt in dieser Situation die Bundesregie- zahlt hat, Mannesmann gar keine Steuern gezahlt rung und sagt, wir müssen jetzt die Spitzensteuer- hat und die Metallgesellschaft keine Steuern gezahlt sätze senken. Wer zahlt denn hier überhaupt noch hat, und zwar auf Grund von erheblichen Spekulati- die Spitzensätze bei der Einkommensteuer? Wem onsverlusten. Die Allianz-Versicherung hat 1,4 Pro- wollen Sie denn da zusätzliche Geschenke machen? zent Steuern gezahlt, Continental 0,2 Prozent, De- Hören Sie doch auf mit der längst widerlegten These, gussa 6,0 Prozent, 8,0 Prozent und Sie- daß, wenn diese Steuern gesenkt werden, Arbeits- mens 6,9 Prozent. plätze geschaffen würden. Die Gewinne liegen doch schon auf Spitzenhöhen. Die Aktienkurse haben Rechtlich lag die Steuerbelastung in dieser Zeit bei Spitzenhöhen erreicht. Es gibt immer mehr Einkom- 71 Prozent. Aber real wurde das gezahlt, was ich hier mensmillionäre. Wir haben auch eine wachsende gesagt habe. Deshalb hören Sie auf, mit theoretisch Zahl von Vermögensmilliardären in der Bundesrepu- denkbaren Steuern zu operieren. Sagen Sie der Be- blik Deutschland. Auf dem Arbeitsmarkt hat uns das völkerung endlich, welche Steuern tatsächlich ge- nichts genützt. Sie haben nur Reichtum befördert zahlt werden. Die liegen auf der Ebene, die ich Ihnen und dadurch Armut ausgeweitet. Das kann unmög- genannt habe. lich die Politik von Sozialistinnen und Sozialisten (Beifall bei der PDS) sein. Deshalb werden wir diesen Weg nicht mitge- hen. Von den rechtlich zulässigen Steuern wurden von (Beifall bei der PDS) den Unternehmen in den letzten Jahren höchstens 50 Prozent gezahlt. Alles andere fiel unter den Tisch. Ich sage Ihnen auch etwas, das für mich auch ein Aber es muß jemand zahlen. Es zahlen die kleinen Problem bei der SPD darstellt: Wann reformieren wir und mittelständischen Unternehmen, die ehrlich endlich die Lohnnebenkosten, um eine neue Bemes- Steuern zahlen müssen. Es zahlen die Arbeitnehme- sungsgrundlage zu finden, nämlich die Wertschöp- rinnen und Arbeitnehmer, aber nicht die großen Kon- fung der Unternehmen? Das wäre viel flexibler. Es zerne, nicht die großen Versicherungen und nicht die gäbe weniger Entlassungen. Die Abgaben würden Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16985 Dr. Gregor Gysi flexibler auf veränderte Bedingungen des Unterneh- nach „Rückgabe vor Entschädigung" die zweite mens reagieren. Der andere, von Ihnen vorgeschla- kalte Enteignung organisiert. gene Weg, die Erhöhung der indirekten Steuern, um Beiträge zu senken, heißt doch immer, daß Millionen (Beifall bei der PDS) Menschen, die gar nichts mit den Beiträgen zu tun Die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse steigt haben, die auch nichts mit den Lohnnebenkosten zu an. Darin liegt auch noch ein kleiner Akt der Demüti- tun haben, das alles mitbezahlen. Es beträfe die Kin- gung; das muß ich Ihnen einfach einmal sagen. Ich der, die Schülerinnen und Schüler, die Studentinnen habe ja überhaupt etwas gegen diese prekären Ar- und Studenten, die Frauen in den prekären Arbeits- beitsverhältnisse, weil ich der Meinung bin, daß wir verhältnissen, die Wehrpflichtigen, die Rentnerinnen eine soziale Absicherung, eine Rentenabsicherung und Rentner; sie alle müßten die erhöhte Mehrwert- und vieles andere mehr brauchen. In diesem Bereich steuer auch bezahlen. Deshalb glaube ich, daß das arbeiten überwiegend Frauen, in Deutschland insge- der falsche Weg zur Senkung von Kosten in der Wi rt samt 6 Millionen. Aber jetzt passiert folgendes: Im -schaft wäre. Westen bekommt die Frau in einer solchen Situation (Beifall bei der PDS) für die gleiche Arbeit in der gleichen Zeit 610 DM. Alle kennen das auch nur als 610-DM-Job. Im Osten Dann wird immer mit großem Stolz darauf verwie- bekommt sie aber nur 520 DM, 90 DM weniger, bei sen, daß die Exportwirtschaft boomt. Das stimmt; gleichen Preisen. Erklären Sie doch einmal einer Ver- daran hat auch der Herr Bundeskanzler durchaus käuferin in den neuen Bundesländern, weshalb sie seinen persönlichen Anteil; ich denke da zum Bei- bei einem so niedrigen Lohnniveau, wo es nur noch spiel an China und andere Länder. Das Problem ist um die Größenordnung von Armut geht, noch einmal nur eines, Herr Bundeskanzler: Nur 20 Prozent unse- um 90 DM gedemütigt werden muß und ihr gesagt rer Arbeitsplätze hängen an der Exportwirtschaft, werden muß, daß sie 90 DM weniger we rt ist. Das ist 80 Prozent hängen an der Binnenwirtschaft. Da frage unerträglich, und das hat mit Einheitspolitik nichts, ich Sie: Was tun Sie für die Binnenwirtschaft? Nichts! aber auch überhaupt nichts zu tun. Die Kaufkraft ist ständig rückläufig. So kann sich eine Binnenwirtschaft nicht entwickeln. Das ist doch (Beifall bei der PDS) völlig eindeutig. Wenn Sie dann noch unter falschen Bedingungen den Euro einführen, dann bedeutet das Dann komme ich zum Problem der Ausbildungs- das Aus für viele kleine und mittelständische Unter- plätze. 150 000 fehlen in diesem Jahr. Jetzt machen nehmen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind. sich alle Sorgen. Jetzt sagt das Kabinett: Wir verge- Das ist die Realität, mit der wir es zu tun haben. ben öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen, die ausbilden - zumindest wenn das Angebot mit (Beifall bei der PDS) dem eines anderen Unternehmens, das nicht ausbil- det, gleichwertig ist; das ist natürlich schon eine Natürlich brauchen wir Projekte, die auch finan- kleine Komplikation. Es ruft dann dazu auf, die Län- zierbar sein müßten. Die ist das Arbeitslosigkeit der mögen das genauso machen. Nun frage ich Hauptproblem. Gestern haben wir gehört, daß sie in Sie: Warum erst jetzt? Warum diese eine kleine Maß- den alten Bundesländern 10 Prozent, in den neuen nahme nicht schon vor Monaten, als das alles abseh- Bundesländern aber 18 Prozent beträgt, Herr Bun- bar war? Jetzt nützt das den 150 000 gar nichts mehr. deskanzler. Sie haben den Menschen do rt einmal blühende Landschaften versprochen. Sie haben den Aber das eigentliche Problem ist doch ein anderes. Aufschwung Ost versprochen. Diese Plakate sieht 150 000 Ausbildungsplätze fehlen - in einem Land, man in den neuen Bundesländern nirgendwo mehr. das über 5 Billionen DM Geldvermögen verfügt, in Sie haben sie schamvoll zurückgezogen. Sie be- einem Land, in dem Reichtum permanent zunimmt. schneiden dort Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Es fehlt nicht an Geld, wir müssen es anders einneh- Das ist nicht das Gelbe vom Ei. Mir ist der erste Ar- men und anders verteilen. beitsmarkt auch lieber als der zweite. Aber er hilft doch wenigstens. Man kann doch nicht den zweiten (Beifall bei Abgeordneten der PDS) beseitigen, wenn man am ersten nichts oder höch- Dazu würde gehören, über die Bundesanstalt für Ar- stens Rückläufiges bewegt. Das ist nicht nur, aber vor beit diese 150 000 Ausbildungsplätze sofort zur Ver- allem die Situation in den neuen Bundesländern. fügung zu stellen. Wer das nicht leistet, eine Regie- rung, die das nicht macht, trotz dieses Geldvermö- (Beifall bei der PDS) gens nicht macht, versündigt sich an der nächsten Wie sieht es überhaupt mit Ihrer Politik bei der Generation. Das werden Schäden sein, die kaum deutschen Einheit aus? Wo sind wir da angelangt? noch reparabel sein werden. Die wirtschaftliche Entwicklung verlangsamt sich (Beifall bei der PDS) dort. Der Abstand zu den alten Bundesländern wird ja nicht etwa langsam geringer, sondern er wird grö- Sie reden hier immer so gerne und so viel von Kri- ßer. Die Löhne bleiben zurück. Die Preise steigen. Er- minalität. Aber ich sage Ihnen: Wer Ausbildungs- klären Sie doch einmal den Menschen, die zum Bei- platzmangel, wer Massenarbeitslosigkeit, wer soziale spiel Grundbesitz in den neuen Bundesländern ha- Ungerechtigkeit organisiert, der organisiert in Wirk- ben, wie sie die Wasser- und Abwasseranschlußko- lichkeit Kriminalität. Da hilft es uns gar nichts, wenn sten, die Straßenbaugebühren noch bezahlen sollen, wir, wenn man schon organisierte Kriminalität be- die sämtlich höher als in den alten Bundesländern kämpfen will, über den großen Lauschangriff in Ih- liegen. Sie können das einfach nicht finanzieren. ren Wohnungen mithören dürfen; denn da werden Aber es wird so weitergemacht und auf diesem Weg Sie auch nichts Intelligenteres sagen als hier. 16986 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Gregor Gysi Aber ich sage Ihnen auch: Es ist immer der falsche ten, Arbeitslosigkeit abzubauen. Der Bundeskanzler Weg, Kriminalität zu benutzen, um Grundrechte ein- hat gesagt, er wolle die Arbeitslosigkeit bis zur Jahr- zuschränken. Man bekämpft Kriminalität, um hundertwende halbieren. Davon kann heute über- Grundrechte zu bewahren. Deshalb können wir die- haupt keine Rede mehr sein. Sie führen immer noch sen Weg nicht mitgehen, der hier vorgeschlagen wor- das Wort von der sozialen Gerechtigkeit im Munde. den ist. Davon kann schon überhaupt keine Rede mehr sein. (Beifall bei der PDS) Nein, es geht nicht allein um einen Regierungs- Lassen Sie mich zum Schluß in diesem Zusammen- wechsel. Wir brauchen wirklich einen sehr grundle- hang etwas zur Europäischen Währungsunion sa- genden Politikwechsel mit völlig neuen Ansätzen in gen. Sehen Sie, das Problem ist, daß wieder ein Ver- der Steuerpolitik, in der ökologischen Politik und in zicht auf Politik vorliegt. Wie müßte eine europäi- der Sozialpolitik. Das geht mit diesem Kabinett nicht sche Integration aussehen? Sie müßte in einem poli- mehr. Ein Kanzler, der nicht einmal mehr die Kraft tischen Prozeß die Harmonisierung der Steuern errei- hat, Minister auszuwechseln, hat schon gar nicht chen, in einem politischen Prozeß die Angleichung mehr die Kraft, die Politik zu wechseln, was dringend der Löhne, die Angleichung ökologischer und sozia- erforderlich wäre. Deshalb sage ich noch einmal: Hö- ler Standards und auch juristischer Standards. Das ren Sie lieber freiwillig auf, bevor Sie sich die Nieder- schafft diese Regierung nicht. Das ist schwer; das lage im nächsten September organisieren! Es wäre gebe ich zu. Aber statt dessen wollen Sie eine ein- der leichtere Weg für uns alle. heitliche Währung einführen und über den Markt Sie sind verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk ohne Politik die Angleichung erzwingen, und zwar abzuwenden. Sie haben schon viel Schaden ange- nach unten, das heißt mit mehr Massenarbeitslosig- richtet. Aber Sie könnten ihn minimieren, wenn Sie keit, mit Abbau von sozialen Standards, mit immer wenigstens schnell aufhören und den Weg für wirkli- mehr Pleiten von kleinen und mittelständischen Un- che gesellschaftliche Veränderungen und für eine ternehmen. Dazu können wir doch nicht auch noch wirklich andere Politik frei machen. Dafür wäre es ja sagen. dringend erforderlich, daß wir wählen. Herr Fischer, das ist kein Internationalismus. Das Wenn Sie bis zum nächsten Jahr warten, dann ist das Gegenteil davon, weil Nationalisten diese ne- heißt das, daß wir uns weiter durchwursteln, daß der gativen Ergebnisse nutzen werden, um den Nationa- Haushalt nicht stimmt, daß wir wieder einen Nach- lismus zu schüren. Genau das wollen wir verhindern. tragshaushalt bekommen, daß wir neue T ricks erle- (Beifall bei der PDS) ben, daß die Arbeitslosigkeit und die soziale Unge- rechtigkeit wachsen werden. Diese verlorene Zeit Wissen Sie, wenn Herr Gerhardt sagt, wir sollten wird so schnell nicht aufzuholen sein. Wenn Sie ei- hier nie wieder Verantwortung haben, dann muß ich nen Rest von Gewissen verspüren, müßten Sie dies ihm sagen: Wir haben sie längst. Erstens liegt das an akzeptieren und sagen: Es ist höchste Zeit für einen dem Mißverständnis, daß Sie immer denken: Opposi- Neuanfang in dieser Gesellschaft. tion hat keine Verantwortung. Zweitens stellen wir eine Vielzahl von Bürgermeisterinnen und Bürger- Herr Kollege meistern, und nirgendwo, wo wir sie stellen, sind Ka- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gysi, einen Augenblick bitte! Sie haben jetzt die ge- tastrophen die Folge gewesen. Ich glaube, mit sol- samte Redezeit der Gruppe der PDS verbraucht. Ich chen Argumenten sollten Sie etwas vorsichtiger um- habe das zugelassen, obwohl es so nicht vereinbart gehen. Im Gegenteil: Wir machen da eine ziemlich war. bürgernahe Politik, die sich bewährt und die auch (Beifall bei der PDS) zunehmend Akzeptanz findet. Deshalb müssen Sie jetzt schnell zum Schluß kom- Herr Glos, Ihnen will ich noch eines sagen: Wenn men. wir hier um Glaubwürdigkeit im Parlament ringen, dann können wir nicht gemeinsam verurteilen, wie Paparazzi vorgehen, wenn Sie hier Eheprobleme von Dr. Gregor Gysi (PDS): Gut. Ich akzeptiere das und Politikern im Wahlkampf zum Gegenstand von Bun- bin für Ihren Hinweis sehr dankbar. destagsdebatten machen. Das ist unerhört. Das ist Ich komme jetzt schnell zum Schluß, weil über nicht unsere Aufgabe. diese Regierung schon alles gesagt wurde. Man (Beifall bei der PDS) kann außer dem Wunsch, daß sie geht, eigentlich nichts mehr hinzufügen. Lassen Sie die Probleme do rt, wo sie hingehören, und führen Sie sie nicht in den Bundestag ein. Das (Beifall bei der PDS) sage ich bei allen Differenzen, die ich mit Herrn Schröder habe. Aber das geht nicht; das will ich so Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort für deutlich hier verkünden. eine Kurzintervention hat der Kollege Dr. Schube rt. Diese Bundesregierung ist angetreten mit dem Ziel, die deutsche Einheit zu vollenden. Davon sind Dr. Mathias Schubert (SPD): Herr Kollege Gysi, Sie wir heute weiter entfernt als 1990. Sie ist angetreten, haben am Anfang Ihrer Rede darauf hingewiesen, die europäische Integration zu vollenden. In diesem daß die Kolleginnen und Kollegen des Bundestages Bereich gibt es heute mehr Ängste und mehr Mißver- Ihrem Aufruf zu einer gemeinsamen Spende für die ständnisse als noch vor vielen Jahren. Sie ist angetre- Hochwasseropfer an der Oder nicht gefolgt sind. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16987 Dr. Mathias Schubert Sehr viele Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses eben in seiner Kurzintervention gesagt hat, eine Be- haben gespendet. Sie dürfen hier nicht den Eindruck merkung machen. Ich finde es skandalös und uner- erwecken, als hätten sie nicht gespendet, nur weil sie hört, wie Sie, Herr Gysi, hier mit den Sorgen der sich Ihrem Spendenaufruf nicht angeschlossen ha- Menschen im Oderbruch umgehen. Ich finde es ben. skandalös - Ihre Wortwahl war interessant -, daß Sie vor dem frei gewählten Deutschen Bundestag sagen: (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Wenn die Leute bei Ihnen gespendet hätten, hätte F.D.P.) man kontrollieren können, was gespendet worden Viele dieser Spenden sind eben über die gemeinnüt- ist. zigen Hilfsorganisationen oder auch über Konten -vor (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ort in den Landkreisen und im Land eingegangen. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Das heißt, diese Spenden sollten Hilfe sein und nicht, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) was Sie hier ziemlich skrupellos getan haben, auf dem Marktplatz der Parteienpolitik wie Monstranzen Das ist genau das, was Sie gerne hätten. Sie mögen vorgezeigt werden. noch so beredt hier am Rednerpult sprechen - es ist unbestreitbar, daß Sie das können -, aber das schim- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der mert immer wieder durch. Es ist gut, daß dies so ist. F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Ich möchte zum Abschluß sagen: Bei allen Konflik- und der F.D.P.) ten und Differenzen in den politischen Anschauun- gen zwischen Opposition und Koalition unterschei- Ich habe dies noch einmal aufgegriffen, damit Mil- det diese Haltung die Fraktionen von Ihrer Gruppe. lionen Fernsehzuschauer zur Kenntnis nehmen kön- nen, wer die Gruppe der PDS im Deutschen Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der tag führt und daß sich nichts, aber auch gar nichts in CDU/CSU und der F.D.P.) deren Denken geändert hat. Das ist das, was wesent- lich ist. Bitte, Herr Kol- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lege Gysi. Da wir dieses Thema aber kurz angesprochen ha- ben: Es liegt im Interesse dieses Hauses, daß wir den Dr. Gregor Gysi (PDS): Unser Anliegen bestand ge- nau nicht in dem Erreichen eines Vorteils für eine Spendern in Deutschland noch einmal unseren ge- Gruppe. Deshalb war es ja unser Wunsch, daß sich meinsamen Dank aussprechen. alle Mitglieder des Hauses beteiligen. Dann hätte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. keine Partei mehr die Spenden sozusagen für partei- sowie bei Abgeordneten der SPD und des politische Zwecke nutzen können. - BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Widerspruch bei der CDU/CSU, der SPD Es sind weit über 100 Milllionen DM in diesen weni- und der F.D.P. - Zuruf von der CDU/CSU: gen Wochen gespendet worden. Das ist eine großar- Scheinheilig!) tige Leistung. Das zeigt, daß die Herzen der Men- Wir hätten es der Landesregierung in schen nicht versteinert sind, wie immer wieder be- überlassen, wie die Mittel für ein gemeinsames Pro- hauptet wurde. Es zeigt ein Zweites: daß sich das, was die Deutschen aus ihrer Überzeugung und mit jekt des Bundestages ohne parteipolitische Konkur- ihrem Herzen bereit sind zu tun, sehr gut in ver- renz eingesetzt worden wären. gleichbare Beispiele anderer Länder einreihen läßt. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Peinlich, Dies ist eine Erfahrung, auf die wir in Deutschland peinlich!) stolz sein können. Das haben Sie verhindert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es mag sein, daß einzelne gespendet haben. Aber Meine Damen und Herren, der Etat des Bundes- das ist auf diese A rt und Weise nicht kontrollierbar. kanzlers ist aus der Sicht der Opposition die Gele- Auf die andere Art wäre es kontrollierbar gewesen. genheit zur Generalabrechnung, aus der Sicht der Das wäre der große Vorteil gewesen. In dieser Auf- Bundesregierung, des Regierungschefs und der Re- fassung mögen wir uns wirklich unterscheiden. gierungskoalition geht es darum, Rechenschaft abzu- legen und darüber zu sprechen, was wir getan ha- (Beifall bei der PDS - Zurufe von der CDU/ ben, und auch über das, was nicht so gut gelungen CSU, der SPD und der F.D.P. - Ingrid Mat ist. Ich habe da gar keine Probleme. thäus-Maier [SPD]: Peinlich, peinlich!) Wir haben heute schon starke Worte gehört. Kol- lege Scharping war schon so sehr in Erregung, daß Das Wo Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: rt hat der ich ihn kaum mehr habe verstehen können. Der Ver- Bundeskanzler. treter der Grünen, Herr Fischer, hat das geboten, was er immer bietet, wenn er zur Sache nichts zu sagen Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Herr Präsident! hat und wenn er von einem wichtigen Tatbestand ab- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich lenken will, nämlich davon, daß er hier Reformen for- mich meinem eigentlichen Thema zuwende, möchte dert, aber immer kneift, wenn es um die Verwirkli- ich im Nachklang zu dem, was Kollege Schube rt so chung von Reformen geht. Ich kenne wenige Mitglie- 16988 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl der des Deutschen Bundestages, die dies so virtuos mentierung Ihrer herabsetzenden Bemerkungen handhaben, nämlich hier so zu reden, aber draußen weg, von denen Sie genau wissen, daß sie blanker ganz anders zu sprechen. Unsinn sind. Sie machen das nur, um Stimmung in Ihren eigenen Reihen zu erzeugen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Lachen bei der SPD - Uta Titze-Stecher Herr Abgeordneter Fischer, wenn Sie hier so über [SPD]: Was machen denn Sie?) Energiepolitik sprechen, nachdem Sie wie ein Hetzer aufgetreten sind, als die Bergarbeiter in Bonn waren - Sie brauchen doch diese Stimmung; denn Sie wol- len noch eine Menge Wahlen gewinnen. Aber Sie (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja, werden sie nicht gewinnen. Das wissen auch Sie. dann kommen einem die Tränen! - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Lachen bei der SPD - Oswald Metzger NEN]: Im Gegenteil!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Moment brauchen Sie die Stimmung!) - ich kann das noch viel schärfer formulieren -, dann ist darin die ganze Erbärmlichkeit Ihrer Politik zu se- Theo Waigel hat als Bundesfinanzminister in dieser hen. Zeit eines der schwierigsten Ämter - das liegt in der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Natur der Sache -, das wir in der Bundesrepublik Deutschland zu vergeben haben. Das Amt des Bun- Wir werden in der vor uns liegenden Zeit genug Ge- desfinanzministers ist schwierig. Das weiß heutzu- legenheit haben, dies den Bürgerinnen und Bürgern tage auch jeder Landesfinanzminister, und jeder in Deutschland zu sagen. Kämmerer in jeder deutschen Stadt wird Ihnen das bestätigen. Theo Waigel hat in diesen Jahren eine Herr Abgeordneter Scharping, Sie haben gewaltig exzellente Arbeit gemacht. zugeschlagen. Wir alle sind fast zusammengebro- chen. Um in Ihrer Sprache zu bleiben: Ich habe mich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nur mühsam hierhergeschleppt; aber ich bin da. Er hat diese Aufgabe mit großem persönlichen Mut (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und großem Sachverstand gemeistert. Dafür bin ich und der F.D.P.) ihm besonders dankbar. Was Sie hier Jahr für Jahr vortragen, ist vor allem (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ in einem Punkt bemerkenswert. Sie sprechen viel DIE GRÜNEN]: Aber es reicht! - Werner von der Gemeinschaft und von den moralischen Not- Schulz [] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ wendigkeiten. Aber in jeder vierten Passage Ihrer NEN]: Das ist der Abschiedsbrief!) Rede haben Sie schlicht und einfach den alten Sozial- Wenn ich mich an die Stationen in diesen Jahren neid geschürt. Das ist das, was Sie tun,- nicht mehr und nicht weniger. seit 1989 erinnere, dann denke ich daran, daß Theo Waigel zusammen mit Wolfgang Schäuble die ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - scheidende Last beim Aushandeln der Verträge über Widerspruch bei der SPD) die deutsche Einheit getragen hat - als viele von Daß Sie uns bekämpfen, ist Ihr Job. Dagegen habe Ihnen weggetaucht waren, weil sie zudecken muß- ich nichts zu sagen. Aber die A rt und Weise, in der ten, daß sie die deutsche Einheit in Wahrheit über- Sie beispielsweise mit den Kollegen der F.D.P. umge- haupt nicht wollten. Theo Waigel hat seine Pflicht ge- hen, ist schon sehr erstaunlich. tan, und zwar in einer guten Weise. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Viel zu Zuruf von der SPD: Aber acht Jahre sind milde!) genug!) Sie sind doch heilfroh, Herr Scharping, daß diese Darüber hinaus hat er einen ganz wesentlichen „Klientelpartei" bereit war, Ihren Nachfolger in Beitrag zur europäischen Einigung geleistet. Auch Mainz ins Amt zu hieven. Das ist ein praktisches Bei- das ist für einen deutschen Finanzminister keine ein- spiel. Wenn Sie die Möglichkeit hätten - was die fache Sache. Schließlich geht es nicht zuletzt um die Zahlenverhältnisse nicht hergeben -, mit der F.D.P. Frage, wie wir uns als die größte Industrienation in an die Regierung zu kommen, dann wären die Freien Europa gerecht an den Kosten für Europa beteiligen; Demokraten für Sie die Allergrößten. eine Frage, die verständlicherweise hierzulande bei vielen anders beantwortet wird als innerhalb der (Zurufe von der SPD: Nein!) Europäischen Union. Auch das hat er mit Bravour ge- Lassen Sie doch dieses Spiel! Ich habe noch in Er- macht. innerung, wie es 1982, 1983 war, als Sie vom Verrat Sein Name steht für den Stabilitätspakt. der Freien Demokraten sprachen. In Wirklichkeit ha- ben doch Sie selbst Helmut Schmidt gestürzt und (Zuruf von der SPD: Stand!) niemand sonst. Das ist eine ganz entscheidende Voraussetzung für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Schaffung des Euro. Auch das muß gewürdigt werden. Im Mittelpunkt Ihrer Kritik steht in diesen Tagen vorm allem der Kollege Waigel. Ich lasse jetzt die Ko (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16989 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Sie wissen doch so gut wie ich, daß er nicht nur bei wahlen im September '98 Schwierigkeiten ha- den Fachkollegen, sondern auch in der breiten inter- ben. nationalen Öffentlichkeit in hohem Ansehen steht. (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh! Lesen Sie doch einmal Herr Ministerpräsident Lafontaine, so wie ich Sie die Zeitung!) kenne, werden Sie das gleich bestreiten. Aber ich kann Ihnen, auch wenn Sie es bestreiten, versichern: - Sicher, im Vergleich zu einer Demonstration auf der Es gibt keinen einzigen sozialdemokratischen Regie- Startbahn West ist das keine Größenordnung. Da sit- rungschef in der Europäischen Union, der Ihren zen Sie doch im Grunde immer noch. Das ist noch im- Wahlsieg wünscht. mer Ihr Stil, den Sie als Arbeit ausgeben. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ und der F.D.P.) DIE GRÜNEN]: Genau!) Im Moment sind Sie ja unterwegs, um politische Theo Waigel ist in der EU, beim EWS und überall Leitfiguren, die Sie selbst ja nicht haben, in unser sonst Land zu holen. Glauben Sie im Ernst, daß beispiels- weise der britische Premierminister Freude an einer (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Koalition hätte, die Sie oder ein anderer mit Herrn Fi- DIE GRÜNEN]: Bundesbank!) scher und den Grünen bilden würde? hoch geachtet. In diesen Tagen hat einer, den Sie (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ doch verstehen müßten, nämlich der Finanz- und DIE GRÜNEN]: Yes, Sir!) Wirtschaftsminister der Französischen Republik, Strauss-Kahn, gesagt: Eine Politik, wie sie rot-grüne Pseudoreformer vertre- ten, wird nirgendwo in Europa von Sozialdemokraten Theo Waigel hat - gerade weil er so lange dabei verstanden. Das ist doch die Realität. ist - hat bestimmt mit am meisten getan für die europäische Integration in Währungsfragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Er verdient es, der deutsche Finanzminister zu DIE GRÜNEN]: Your Royal Highness, we sein, der bei der Einführung des Euro in führen- would be very glad! - Ministerpräsident der Position dabei war. Oskar Lafontaine [Saarland]: Das mußt du Das ist ein guter Wunsch. Ich denke, die deutschen übersetzen!) Wähler werden mithelfen, daß das so kommt; daran Meine Damen und Herren, Sie werden in den habe ich gar keinen Zweifel. nächsten Monaten viel Gelegenheit haben, das alles - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu sagen. Sie haben hier wieder die Forderung nach Neuwahlen erhoben. Natürlich wissen Sie genauso Weil ich gerade bei der legendären Internationali- gut wie ich, daß es jetzt keine Neuwahlen gibt. Denn tät der deutschen Sozialdemokratie bin - Sie sind ja wenn Sie sie bekämen, wären Sie doch in einer Ver- der Vorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, legenheit. Sie brauchen doch noch die paar Monate, Herr Abgeordneter Scharping -, möchte ich Ihnen - um einen Kanzlerkandidaten zu finden. es hat mich sehr verwundert, daß so etwas denkbar ist - doch einmal vortragen, was in diesen Tagen in (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU einer großen französischen Zeitung, im ,,L'Express", und der F.D.P. - [Berlin] zu lesen war. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen ist das anders?) (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar land]: Tragen Sie keine Lügen vor!) Herr Schröder muß doch noch die Bewährungsprobe der Landtagswahl bestehen. Jetzt nehmen Sie doch - Ich trage hier keine Lügen vor; ich zitiere den dem guten Mann nicht die Chance, sich zu bewäh- „L'Express". ren. Da wird zitiert Im übrigen haben Sie noch viel Gelegenheit Wahl- (Karl Diller [SPD]: Jetzt kommt das Original: kampf zu führen, wenn Ihnen danach ist; zunächst in auf französisch!) diesen Tagen in Hamburg. Im nächsten Jahr haben wir die Wahlen in Niedersachsen und dann in Sach- - Herr Lafontaine, Sie können das ja nachher berich- sen-Anhalt. Do rt werden Sie den Wählern erläutern tigen -, daß Herr Lafontaine seinem französischen müssen, wie es mit Ihrem Probelauf mit dem Modell Kollegen, dem Ersten Sekretär der PS, François SPD-Grüne-PDS ist, jener PDS, deren wahrer Geist Hollande, anvertraut hat: sich auf dem Hamburger Plakat ganz offen zeigt. Auch das muß noch einmal in Erinnerung gerufen Ihr französischen Sozialisten habt unter den Flit- werden. Ferner werden wir im nächsten Jahr in terwochen von Giscard mit unserem Parteiführer Bayern, dann die Bundestagswahl und die Wahlen in Helmut Schmidt gelitten. Wir deutschen Soziali- Mecklenburg-Vorpommern haben. sten haben unter der Freundschaft zwischen Mit- terrand und dem Christdemokraten Kohl gelitten. Wenn Sie also wollen, können Sie zwölf Monate Sorgt dafür, daß Jospin und Kohl sich nicht zu gut Wahlkampf machen. Ich halte das aber für unsinnig, verstehen. Sonst werden wir bei den Bundestags weil wir bei den großen notwendigen Reformen eine 16990 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1993

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Menge zu tun haben. Deswegen bin ich der Mei- Wort in Europa Eurosklerose. Wir haben in wenigen nung, daß wir jetzt unsere Arbeit machen sollten. In Jahren die Einheitliche Europäische Akte, den einigen Punkten gibt es vielleicht eine Chance zu Durchbruch zum Gemeinsamen Binnenmarkt und mehr Gemeinsamkeit. Dann soll mir das recht sein. 1992 den Vertrag von Maastricht möglich gemacht. Lesen Sie doch einmal nach, was Sie in der Debatte Gestern hat die verehrte Frau Kollegin, die für Sie um Maastricht gesagt haben. Es war nichts anderes, gesprochen hat - und heute Herr Scharping wieder -, als die Sache schlechtzumachen, den alten Hut mit dem „Aussitzen" gebracht. Wissen Sie, allmählich könnte doch auch Ihnen etwas Neues (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ist doch einfallen. Wirklich! Wenn Sie von nichts anderem als überhaupt nicht wahr!) vom „Aussitzen" reden können, na gut. und das ist auch heute noch Ihre Politik. Herr Scharping, Sie und auch andere lassen heute die gesamte Amtszeit der jetzigen Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und der regierenden Koalition Revue passieren. Das Meine Damen und Herren, dies alles ist keine Vor- kann man machen; ich habe nichts dagegen. Nur aussetzung dafür, daß Sie heute sagen könnten, Sie muß ich Ihnen dann sagen, daß diese Koalition in würden, wenn Sie die Regierung übernähmen, bei- diesen Jahren eine Menge in ausgesprochen positi- spielsweise in der internationalen Politik erfolgreich ver Weise „ausgesessen" hat. Sie war entscheidend sein. an den Veränderungen in Deutschland und in Eu- ropa sowie auch an den weltweiten Veränderungen Am heutigen Tag kann ich als Bundeskanzler et- beteiligt. was sagen, was niemand vor mir sagen konnte - ich (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ bin dankbar dafür, und es ist wahrlich nicht mein DIE GRÜNEN]: Aber jetzt reicht es!) Verdienst allein -: Wir haben noch nie in unserer Ge- schichte so exzellente Beziehungen zu London, zu Mit der Durchführung des NATO-Doppelbeschlus- Washington, zu Pa ris und zu Moskau gehabt. Das ist ses 1983 ist die Voraussetzung für den Zusammen- das Ergebnis unserer Friedens- und Außenpolitik. bruch des kommunistischen Imperiums geschaffen worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dann war heute viel die Rede davon, welche Ent- wicklungen unser Land vor der deutschen Einheit Wir hätten keine Chance auf die deutsche Einheit, genommen hat. Dabei wird von Ihnen, vor allem von auf die Freiheit der Tschechen, der Slowaken, der Po- der SPD, verschwiegen, daß in den Jahren vom 1. Ok- len, der Ungarn, der Rumänen oder etwa der Ukrai- tober 1982 an, vor allem ab 1983 bis zum Tag der ner und auch nicht auf die Veränderungen in Ruß- deutschen Einheit, überhaupt erst die ökonomischen land gehabt, wenn damals die Entscheidung- nicht so Voraussetzungen geschaffen wurden, um die deut- getroffen worden wäre, wie sie durch unser Handeln sche Einheit finanziell einigermaßen bewältigen zu gegen Ihren erbitterten Widerstand durchgesetzt können. wurde. Wir haben in diesen wenigen Jahren die Staats- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) quote von über 50 Prozent auf 46 Prozent zurückge- Es kommt mir schon eigenartig vor, wenn Männer, führt. Das war der niedrigste Stand seit 1974. die in entscheidenden Stunden der Geschichte unse- res Volkes in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts (Zuruf von der SPD: Und dann hochgefah so total fehlgeleitet waren wie Sie, Herr Lafontaine - ren!) Sie haben doch damals gesagt, ein vereintes - Hochgefahren haben Sie sie doch. Sie waren doch Deutschland in der NATO sei ein „historischer bis 1982 an der Regierung. Schwachsinn", um nur eines Ihrer Glanzzitate zu bringen - uns heute Ratschläge geben wollen, was (Karl Diller [SPD]: Wie hoch ist sie jetzt?) wir in dieser veränderten Welt besser machen kön- nen. Mit Ihnen in der Verantwortung hätte es diese Die Steuer- und Abgabenquote ist von 43 Prozent bis Veränderungen überhaupt nicht gegeben. 1990 auf gut 40 Prozent zurückgeführt worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Karl Diller [SPD]: Und jetzt?) Dann ging es in den vergangenen Jahren um die - Dazu sage ich gleich etwas. - Die Steuerzahler - da- Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft - dazu gegen waren Sie ja auch, so wie Sie heute dagegen werde ich gleich etwas sagen -, um die europäische sind - sind in den 80er Jahren um 60 Milliarden DM Einigung und die Modernisierung des Standortes entlastet worden. Ferner haben wir in diesen Jahren Deutschland. Es ist nicht meine Sache, jetzt diese ge- 3 Millionen neue Arbeitsplätze in der alten Bundes- samte Periode unserer Geschichte hier darzustellen. republik Deutschland geschaffen. Nur, Sie haben nicht mitgemacht. Sie haben auch Weil Sie dauernd falsch zitieren, will ich auch das nicht bei der entscheidenden Aufgabe mitgemacht, noch einmal sagen: Es gibt eine Erklärung der Ver- bei der es jetzt erneut um Entscheidungen geht: bei treter der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der der europäischen Einigung. Bundesregierung - durch mich in jener Sitzung ver- Als wir 1982 mit dieser Koalition die Bundesregie- treten -, daß es unser gemeinsames Ziel ist, die Ar- rung übernommen haben, war das meistgebrauchte beitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Hören Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16991

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Sie also auf, zu sagen, dies sei allein eine Sache der nen Arbeitsplatz suchten; unter ihnen waren Kinder, Bundesregierung! Alte, ganz verschiedene Gruppen.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie persönlich! - Karl Diller DIE GRÜNEN]: Aussiedler!) [SPD]: Was steht denn in Ihrer Kabinettsvor Daß dies angesichts unserer gesamtgesellschaftli- lage?) chen Lage für den Arbeitsmarkt aktuell eine ganz er- Alle in diesem Bereich Verantwortlichen haben sich hebliche zusätzliche Belastung ist - ich sehe es übri- dieses Ziel gesetzt. Ich denke auch, daß es durchaus gens auf lange Sicht mehr als eine Chance denn als klug ist, sich in einer für unser ganzes Land so dra- eine Belastung -, das erklärt sich von selbst. Wenn matisch wichtigen Frage ein Ziel zu setzen. Sie also über Arbeitslose reden, dann sagen Sie bitte die Wahrheit. Wir haben uns in den vergangenen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Jahren um mehr Probleme anderer Menschen ge- Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ kümmert als alle anderen Länder in Europa. Darauf DIE GRÜNEN]: Aha!) sind wir stolz. Das ist gelebte Solidarität - im Gegen- satz zum Schüren von Neid, wie es hier geschehen Bei all dem, was Sie jetzt an Anmerkungen ma- ist. chen und an Vorwürfen erheben, verschweigen Sie, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß uns das Geschenk der deutschen Einheit - Gott sei Dank - in eine neue Situation gebracht hat. Das Herr Abgeordneter Scharping, Sie haben die Zahl gilt für viele Bereiche: Die Finanzlage der Bundesre- der jugendlichen Arbeitslosen angesprochen. Wir publik mußte im wiedervereinten Deutschland not- haben zu viele; darüber brauchen wir nicht zu disku- wendigerweise eine andere sein, und wir mußten tieren. Hören Sie aber bitte auf, in einer solchen vorübergehend höhere. finanzielle Belastungen we- Weise darüber zu reden, wie Sie es getan haben. gen des Strukturwandels und vieler anderer Dinge Wenn Sie die Zahlen in den Ländern Europas ver- auf uns nehmen. gleichen, dann werden Sie feststellen, daß die Bun- desrepublik Deutschland mit knapp 10 Prozent ju- Wir haben von 1991 bis Ende 1997 netto 900 Mil gendlichen Arbeitslosen - Gott sei Dank - an viert- arden DM an öffentlichen Transfers-li in die neuen letzter Stelle steht. Die Liste wird von Spanien mit Länder geleistet. Das ist richtig; ich stehe dazu. Die 41 Prozent angeführt; sogar die Niederlande liegen Priorität für den Aufbau Ost muß bleiben. Das war, mit 11 Prozent noch vor uns, Großbritannien sogar ist und bleibt Ziel unserer Politik. mit 15 Prozent. Das heißt doch, daß es nicht stimmt, daß in diesem Lande für junge Leute nichts getan (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wird. Wir haben zu viele jugendliche Arbeitslose. Aber der Vergleich mit dem Ausland, den Sie ange- Daß das Auswirkungen auf den Haushalt- hat, ergibt führt haben, ist völlig inakzeptabel und entspricht in sich doch ganz von selbst. gar keiner Weise der Wahrheit. Was Sie regelmäßig verschweigen, auch in der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heutigen Debatte, ist, daß wir nicht nur für Deutsch- land die notwendigen Opfer in Sachen Einheit brin- Dann lassen Sie mich ein Wo rt zum Thema Lehr- gen mußten, sondern daß wir auch den Ländern in stellen sagen. So einfach, wie das hier dargestellt wurde, ist es natürlich nicht. Wieso reden Sie eigent- Mittel-, Ost- und Südosteuropa erhebliche Unter- lich, wenn Sie von Lehrstellen sprechen, immer über stützung haben zukommen lassen, und zwar aus ge- lebter Solidarität. In alle diese Länder sind insgesamt die Bundesregierung und nicht über die Landesre- gut 180 Milliarden DM geflossen. Das ist mehr, als je- gierungen? des andere Land der Welt für diese Länder aufge- Als ich gestern die Statistik las, habe ich mir schon bracht hat. Das ist unsere Leistung, und darauf sind die Frage gestellt: Woher kommt es eigentlich, daß wir stolz. Nordrhein-Westfalen, vor allem im Kernbereich des Ruhrgebietes, so miserabel abschneidet? Was haben (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie eigentlich getan? Ich war lang genug selbst Mi- Wer gerne vom Frieden redet, muß anerkennen, daß nisterpräsident. Ich weiß, was ich selbst auf diesem diese Hilfe eine wahre Investition in den Frieden ist. Gebiet als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident getan habe. Ich komme gleich auf einen Punkt zu In der Debatte ist indirekt noch ein anderes Thema sprechen, den Sie mit bedenken müssen. angeklungen: Wenn wir über die Probleme des Ar- Wir machen jetzt die bittere Erfahrung - das ist beitsmarktes reden, dann ist es nur fair - das Wo rt ganz unstreitig, alle sagen es, die etwas damit zu tun „fair" ist ebenfalls in dieser Debatte gefallen -, auch haben, und ich halte das für eine schlimme Sache -, einmal die Veränderung der Bevölkerung in daß rund 10 Prozent der Abgänger unserer Haupt- Deutschland in diesen Jahren zu betrachten. Wir hat- schulen nicht ausbildungsfähig - wie dieses schreck- ten in den vergangenen Jahren eine Zuwanderung liche Wort heißt - sind. Das hören Sie von den Kam- nach Deutschland, die höher war als in das klassi- mern, das hören Sie von den Handwerksmeistern, sche Einwanderungsland USA. Im Jahr 1995 zum das hören Sie überall. Beispiel wanderten 720000 Personen in die USA ein, nach Deutschland kamen 1,1 Millionen Menschen. Meine Damen und Herren, das ist doch eine An- Natürlich waren es nicht 1,1 Millionen, die sofort ei klage gegen das deutsche Bildungssystem, die uns 16992 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl eigentlich von den Stühlen reißen müßte: 10 Prozent Nach allem, was ich sehe - und ich habe Zutrauen der 15jährigen Jugendlichen sind nicht ausbildungs- zu den Zahlen -, scheint es so zu sein, daß wir im Au- fähig! Da reden Sie immer von den Lohnzusatzkosten genblick noch 35 000 bis 40 000 Stellen brauchen. und dem, was die Bundesanstalt in Nürnberg ma- Aber auch wenn wir das erreichen, ist das kein chen soll. In deren Etat sind 850 Millionen DM zur Grund, die Anstrengungen einzustellen. Selbst wenn Verbesserung der Ausbildungschancen dieser jun- wir nämlich 100 Prozent der Bewerberstellen nach- gen Leute vorgesehen! Dabei ist das doch eine Sache weisen, ist das Problem noch nicht für alle jungen der Schulen in Deutschland. Es ist eine Sache der Leute gelöst; denn wir sprechen hier über bundes- Mehrheit im Bundesrat - ich schließe die anderen weite Zahlen, und regional haben wir völlig unter- nicht aus -, daß sich die Ministerpräsidenten darum schiedliche Verhältnisse. kümmern, diesen absolut unmöglichen Zustand zu beenden. Es nützt uns also nichts, wenn wir nur eine auf den Bund bezogene Zahl haben, die bef riedigend ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vielmehr müssen wir darüber nachdenken, was wir tun können, um dort, wo Stellen vorhanden sind, Was ist jetzt konkret im Lehrstellenbereich gesche- junge Leute auch hinzubringen. Ferner müssen wir hen, oder was geschieht noch? Zunächst einmal kön- die Akzeptanz dieser Stellen entsprechend verbes- nen wir eine höchst erfreuliche Entwicklung feststel- sern. len - ich kann nicht verstehen, wie manche in der Wirtschaft so tun, als sei das eine Heimsuchung -: Wenn in wichtigen deutschen Großbetrieben der Wir haben noch für sechs oder sieben Jahre gebur- Chemie viele Stellen für Chemikanten - das ist einer tenstarke Jahrgänge. Das bedeutet in diesen Jahren der höchstbezahlten Ausbildungsberufe - bereits im im Blick auf die Ausbildung eine besondere Heraus- zweiten Jahr nicht besetzt werden können, dann forderung, wenn die Jugendlichen in die Welt der muß man den jungen Leuten sagen: Es ist nicht gut, Erwachsenen kommen. wenn ihr euch nur noch für sieben, acht Berufe inter- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Dann haben Sie essiert und für andere nicht. Pech gehabt!) Es gibt viele Bereiche, in denen noch eine Nach- - Ich würde an Ihrer Stelle einen solchen Zwischen- frage nach Bewerbern besteht. Dies ist eine Aufgabe, ruf nicht machen. Er ist ziemlich entlarvend. bei der wir gemeinsam etwas tun müssen, der Bund, die Länder, die Gemeinden und natürlich die Wi rt Das heißt, wir haben bis zum Jahr 2005 noch ge- dualen System, der muß auch-schaft. Wer ja sagt zum burtenstarke Jahrgänge. Dann wird es steil abbre- im Bereich der Wirtschaft alles tun, um den Erf order chen, und wir werden dann mit Wehmut feststellen, nissen eines dualen Systems Rechnung zu tragen. daß wir weniger junge Leute als Stellen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, wir haben- ein Zweites zu beobachten. Nach dem ersten Zahlenbild zeichnet Man kann nicht das duale System haben wollen und sich ab - ich muß sagen, ich bin darüber nicht böse -, gleichzeitig die Lehrlingsfrage dem Staat überlassen. daß ganz offensichtlich auch bei denen, die Abitur Das ist auch - aber nicht nur - die Sache des Staates, machen, mehr und mehr die Überlegung angestellt und insofern sind wir alle gemeinsam gefragt. wird, statt eines akademischen Studiums einen Beruf anzustreben, der eine Lehre voraussetzt. Viele wäh- Ich sage Ihnen allerdings auch: Was Sie im Hin- len sogar die Reihenfolge: erst Lehre und dann aka- blick auf eine Abgabe planen - ich habe das der Zei- demisches Studium. Diese Überlegungen haben zu- tung entnommen; ich kenne den Entwurf nicht -, genommen. Das ist doch eigentlich eine Entwick- wird nichts werden. Wenn Sie genau hinschauen, lung, die wir die ganzen Jahre über befürwortet ha- werden Sie kaum jemanden in der SPD, der vor Ort ben. Es kann doch nicht falsch sein, daß neben dem mit den Problemen zu tun hat, finden, der sich dafür akademischen Ausbildungsweg jetzt auch der nicht- ausspricht, diesen Weg zu gehen. Ich zitiere jetzt akademische Weg im Denken junger Leute in nicht Ihren Konkurrenten, Herr Ministerpräsident La- Deutschland an Prestige gewinnt. Das ist doch im fontaine. Er macht es vielleicht nur, um Ihnen jetzt höchsten Maße erwünscht. Konkurrenz zu machen. Ihn zu zitieren wäre mir zu einfach. Ich finde, daß die sachliche Begründung, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) angeführt wird, in gar keiner Weise ausreichend ist. Dann haben wir die unbestreitbare Schwierigkeit - Eine letzte Bemerkung zum Thema Lehrstellen, ob wir das wollen oder nicht; kein Mensch kann das die uns nachdenklich machen sollte. Wir reden heute ändern, es sei denn, wir führen ein Meldewesen ein, und in den kommenden Tagen mit Recht über die un- das ebenso unmenschlich wie bürokratisch ist -, daß erträgliche Höhe der Arbeitslosigkeit. Wenn Sie sich sich viele junge Leute - leider ohne von ihren eige- die Zahl, über 4 Millionen, einmal genau anschauen nen Eltern anders angehalten zu werden - für drei und feststellen, wie viele Langzeitarbeitslose darun- oder vier Ausbildungsplätze bewerben, dann einen ter sind - - Platz annehmen und über Wochen hinaus die ande- (Zuruf von der SPD) ren Plätze nicht freigeben. Wir wissen sehr genau, daß die Zahl dieser Fälle beachtlich ist. Deswegen - Wenn Sie hier immer dazwischenschreien, kommen wissen wir auch, daß heute niemand, der fair und Sie einer Lösung des Problems wirklich nicht näher. ehrlich ist, sagen kann: Wir brauchen jetzt noch ge- Ich kann Sie nur bewundern, wie oft Sie solche Töne nauso soundso viele Stellen. von sich geben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16993

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Wenn wir bei über 4 Millionen Arbeitslosen davon über Arbeitsplätze zu sprechen, wenn wir nicht ent- ausgehen müssen, daß darunter rund 1,4 Millionen sprechende Veränderungen vornehmen, wenn wir sogenannte Langzeitarbeitslose sind, und wenn wir uns nicht im klaren darüber sind, daß wir nicht nur, aus allen Unterlagen wissen, daß die Hälfte dieser aber auch über den Expo rt einen neuen Aufbruch Langzeitarbeitslosen, rund 700000, keine qualifi- brauchen. zierte Berufsausbildung hat, dann ist es unsere eigentliche soziale Aufgabe, möglichst alle, die es Dafür muß man in der Gesellschaft die entspre- können und die es wollen - beides ist wichtig -, in chenden Regelungen treffen. Wir haben das getan. eine Ausbildungsstelle zu bringen. Das Reformprogramm der Bundesregierung kann sich auf diesem Weg zur Verbesserung der Konkur- Wir müssen ganz offen den Betrieben sagen - auch renzfähigkeit sehr gut sehen lassen. das gehört dazu -: Wir erwarten von euch, daß ihr junge Leute ausbildet, aber wir können in dieser Hier ist die Privatisierung kritisiert worden. Meine Lage nicht erwarten, daß ihr automatisch eine Ar- Damen und Herren, die ganze Welt unternimmt sol- beitsplatzgarantie gebt. Das zu sagen gehört auch che Schritte der Privatisierung. Was hier bei der Tele- zur Ehrlichkeit. Ich glaube, wenn wir uns wirklich kom kritisiert wurde, verstehe ich überhaupt nicht. gemeinsam dieser Aufgabe widmen, dann haben wir Diese Privatisierung wird weltweit als ein großer Er- die große Chance, vielleicht nicht für alle, aber doch folg gefeiert. für die allermeisten jungen Leute eine Ausbildungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stelle zu bekommen. Diejenigen, die dazu gesprochen haben, wissen Wir müssen noch über ein weiteres Problem nach- auch ganz genau, daß das, was an Aktienwerten im denken, nämlich darüber, wie wir die Mobilität jun- Portefeuille der Bundesregierung bleibt, den Gegen- ger Leute, die einen Ausbildungsplatz suchen, för- wert für die zukünftige Versorgung der Angestellten dern können. Es ist nicht zu verstehen, daß wir einer und Beamten der Post darstellt. Sie wissen das ganz Studentin oder einem Studenten, die 18 oder 19 Jahre genau. Trotzdem sagen Sie hier das Gegenteil, um alt sind, sagen, daß sie nicht nur zu der nächstgelege- Stimmung im Land zu machen. nen Universität gehen sollten, sondern daß sie sich in ganz Deutschland umsehen müssen, während es auf Wir haben mit der Privatisierung der Bahn einen der anderen Seite bisher nicht gelungen ist - ich sage entscheidenden Schritt getan. Sie haben mitgehol- das jetzt gar nicht als Vorwurf; ich sage das auch an fen. meine eigene Adresse; ich sage das an unser a ller Wir haben die Privatisierung der Lufthansa so vor- Adresse -, bei Ausbildungsplatzsuchenden im Be- genommen, daß in diesen Tagen jeder erkennen reich des Handwerks eine ähnliche Einstellung her- kann: Das ist ein großer Erfolg. vorzurufen. Es geht darum, daß auch diese jungen Leute sagen: Wenn ich in meiner Stadt keinen Aus- Ich weiß gar nicht, warum Sie dies alles kritisieren. bildungsplatz finden kann, dann suche ich mir einen Hier ist doch moderne Reformpolitik auf den Weg ge- in einer anderen Stadt. Das war übrigens in den 50er bracht worden. Sie brauchen uns dafür nicht zu lo- Jahren in Deutschland völlig selbstverständlich. ben; das erwarte ich von Ihnen nicht. Aber Sie kön- nen wenigstens die Wahrheit sagen und zugeben: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist gelungen. Wenn Sie das nicht sagen wollen, Wir brauchen eine erstklassige Ausbildung, um die sagen Sie besser gar nichts; denn was hier gesagt neuen Herausforderungen zu bestehen. wird, ist ziemlich absurd, und zwar auf allen Gebie- ten. (Karl Diller [SPD]: Der Innenminister macht (Karl Diller [SPD]: Kein Beifall!) dabei die Augen zu! Unglaublich!) Ich spreche die Novelle der Gentechnik an. Meine - Das stimmt doch gar nicht, was Sie da sagen. Der Damen und Herren, was hat es für eine Aufregung Innenminister und mit ihm die gesamte Bundesregie- darüber gegeben. Wie haben Sie im ganzen Land ge- rung haben die Zahl der Ausbildungsstellen im gen das Gentechnikgesetz gehetzt! Es ist durchge- öffentlichen Dienst sehr drastisch erhöht. setzt worden. Sie können der neuesten Entwicklung (Karl Diller [SPD]: Aber er macht dauernd entnehmen, daß wir in deutschen Bet rieben in relativ die Augen zu, während Sie reden!) kurzer Zeit die Rückkehr der Gentechniklabors in großer Zahl, in größerer Zahl, als wir erwartet haben, Meine Damen und Herren, die Globalisierung mit zu verzeichnen haben. all ihren Konsequenzen für den internationalen Wettbewerb ist das eigentliche Thema, wenn wir dar- Ich nenne ein anderes Beispiel, was Sie gleich zum über reden, wie wir mehr Arbeitsplätze schaffen kön- Aufschrei bringen wird. Was haben Sie hier im Zu- nen. Es hat keinen Sinn, darum herumzureden: Die sammenhang mit der Entgeltfortzahlung im Krank- Zahlen haben sich dramatisch verändert. Wir hatten heitsfall alles aufgeführt! Ich habe immer gesagt: Mir im Jahre 1980 ein Welthandelsvolumen von knapp wäre lieber gewesen, die Tarifpartner hätten das von 2000 Milliarden US-Dollar. Das ist bis zum Jahre sich aus gemacht. Sie haben es jedoch nicht ge- 1996 auf 5300 Milliarden US-Dollar gestiegen. macht. Das für uns Alarmierende ist, daß sich der Anteil Tatsache ist aber - Sie reden doch immer von der der asiatischen Wachstumsmärkte am Welthandel Entlastung der Unternehmen -, daß diese Entschei- verdoppelt hat, während der deutsche Anteil in den dung mit den Folgewirkungen in den Tarifen - auch letzten Jahren zurückgefallen ist. Wir brauchen nicht dort, wo das Gesetz gar nicht auf die Ta rife überzu- 16994 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl greifen braucht - eine Entlastung von insgesamt kommen. Das kann nicht das Ziel unserer Sozial- und über 10 Milliarden DM gebracht hat. Zum Bild der Gesundheitspolitik sein. Bundesrepublik gehört doch auch, daß wir gegen- wärtig die niedrigsten Krankenfehlzeiten der letzten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 20 Jahre haben. Angesichts der demographischen Veränderungen (Zustimmung bei der F.D.P.) muß man doch Anpassungen vornehmen. Das ist eben richtig angemerkt worden: Wir müssen die äl- Das alles ist doch die Wahrheit. Sie reden aber über- tere Generation und die junge Generation gleicher- haupt nicht über all diese Entwicklungen, die not- maßen im Blick haben, damit letztere später nicht un- wendige Fortschritte gebracht haben. ter der Last dessen, was sie zu tragen hat, zusam- menbricht. Jetzt geht es um die Steuerreform. Meine Damen und Herren, es ist jedem klar: Wir haben zwei unter- Daß eine solche Sichtweise klug ist, ergibt sich ja schiedliche Mehrheiten im Bundestag und im Bun- aus einer anderen Erfahrung - auch darüber ist bis- desrat. Das gehört zur Normalität einer Demokratie. her kein Wort verloren worden -: In diesen Tagen ist Das ist in unserem Grundgesetz geregelt. Also müs- die erste Bilanz der Pflegeversicherung vorgelegt sen wir miteinander reden. Sie haben dieses Ge- worden. Meine Damen und Herren, das ist eine Er- spräch bisher verweigert. Ich stelle jetzt fest, daß zu- folgsstory. Dadurch konnten die Kommunen rund mindest eine gewisse Hoffnung - von mehr wi ll ich 10 Milliarden DM einsparen. Vor allem hat sich die nicht sprechen - besteht, daß es wenigstens zu einem Pflegeversicherung nicht nur als ökonomisch sinnvoll Gespräch kommt. erwiesen, sondern sie ist in menschlicher Hinsicht Sie werden doch nicht bestreiten können, daß das, richtig und notwendig. was hier jetzt in Sachen Steuerreform ansteht - wie Mein japanischer Kollege Hashimoto hat mich ge- immer man die Details beurteilen mag -, für das beten, Experten aus unserem Land nach Japan zu Flottmachen der deutschen Wirtschaft, für den Stopp schicken - dieses Land ist in einer ähnlichen Situa- der Arbeitslosigkeit, für die Schaffung neuer Arbeits- tion; durch die Altersstruktur ist es noch stärker bela- plätze existentiell ist. stet als wir -, um dort zu erläutern, wie die Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vorgegangen sind. Das ist doch ein Zeichen dafür, daß diese Reform großartig gelungen ist. Auch das Ich kann Sie nur einladen, diesen Versuch zu ma- gehört zum Bild der Bundesrepublik Deutschland. chen. (Beifall bei der CDU/CSU) Als wir hier zu einer Sondersitzung zusammenge- kommen sind, habe ich gehört: Diese Sitzung ist Dieses törichte Gerede vom sozialen Kahlschlag ist gänzlich unnötig. Nach wenigen Tagen hat sich ge- schon deswegen absurd, weil es durch die Zahlen wi- zeigt, wie richtig sie war. In Wahrheit- haben Sie ja derlegt werden kann. Mehr als jede dritte Mark un- gestern aus gutem Grund - auch wenn Sie das nach- seres Sozialprodukts - das sind mehr als 1 Billion DM her zurückgenommen haben - zugestimmt. Es war ja - wird jährlich für Sozialleistungen ausgegeben. Das nur klug, daß Sie Bereitschaft gezeigt haben, mit uns entspricht 14 000 DM je Einwohner. Von einer Ab- zu reden. Wie will Herr Voscherau im Wahlkampf in schaffung des Sozialstaates kann also gar keine Rede Hamburg den Leuten jetzt glaubhaft machen, daß sein. Wir sprechen vom Umbau des Sozialstaats, da- Sie bei den Steuern etwas verändern wollen, wenn mit wir ihn auf Dauer bezahlen können. Sie noch nicht einmal bereit sind, das Gespräch zu Da wir nun darüber reden, spreche ich erneut eine suchen? Das ist doch einfachste, tumbe Parteitaktik. Einladung an Sie aus. Wieso müssen alle Strukturen Sie haben ja nur dagegenstimmen wollen, weil Sie so bleiben, wie sie gewachsen sind? Ich habe eben sicher waren, daß wir dafürstimmen. mit Erstaunen gehört, daß Sie überlegen, was man (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) an deutschen Universitäten alles verbessern könnte. Machen Sie es doch! Sie brauchen doch den Bund In einer ähnlichen Situation sind wir bei der Ren- überhaupt nicht dazu. Herr Scharping, der Minister- tenreform. Es geht gar nicht um die Frage, ob die präsident von Rheinland-Pfalz kann den Universitä- hier sitzenden Parteien die Rentenreform wollen oder ten durch ein eigenes Haushaltsrecht mehr Autorität nicht. Vielmehr geht es um die objektiven Gegeben- und mehr Souveränität geben. heiten. Angesichts der heutigen Entwicklung - ne- ben Italien ist Deutschland in der EU das Land mit (Karl Diller [SPD]: Hat er schon längst der niedrigsten Geburtenrate; zudem zieht, höchst gemacht!) erfreulich, das Lebensalter deutlich an - müssen wir Konsequenzen ziehen. - Das hat er so natürlich nicht getan. Es kann im übrigen nicht sein, daß man dies alles (Karl Diller [SPD]: Doch! Bei der Budgetie bei den Reformen im Gesundheitssystem nicht gelten rung schon lange!) läßt. Wir wollen nicht - ich schon überhaupt nicht -, Es kann doch nicht richtig sein, daß wir es uns an- daß in Deutschland, wie zum Teil in anderen Ländern gesichts unserer Altersgruppierung leisten, daß der Europas, Gesetze verabschiedet werden, nach denen junge Akademiker durchschnittlich mit 29 oder jemand, der mehr als 70 Jahre alt ist, keinen An- 30 Jahren in das Berufsleben einsteigt und spruch darauf hat, von der Allgemeinen Ortskran- kenkasse zum Beispiel einen Bypass bezahlt zu be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl mit 60 oder 62 Jahren in Pension geht, wobei seine ist, daß Deutschland ein erstklassiger Standort in der Lebenserwartung bei 76 oder 77 Jahren liegt. Welt ist. - (Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Trotz Das sind eigentlich ganz einfache Rechnungen. der Steuergesetze!) - Der Chef von General Motors - mit ihm habe ich Es muß uns doch zu denken geben, daß alle EU dieses Thema besprochen - ist allerdings davon aus- Länder - niemand wird ja behaupten wollen, sie bil- gegangen, daß wir die zwei überfälligen Reformen deten schlechter aus als wir - ihre jungen Leute im im Bereich des Steuersystems und der Alterssiche- Durchschnitt mit 25 Jahren aus der Universität ent- rung vornehmen. Er hat recht, und wir werden sie lassen, also vier bis fünf Jahre früher. Ich lade Sie von vornehmen. der SPD ein, einmal in Ihrer eigenen Partei darüber nachzudenken, was es bedeutet, daß in diesem Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) reich Änderungen vorgenommen werden müssen. Das ist Sache der Bundesländer. Dazu braucht man Der Mann hat recht, wenn er sich darauf verläßt; den Bund überhaupt nicht. denn er weiß eines: Wenn Sie jetzt blockieren, egal, ob bei der Steuer, was ich mir wirklich nicht wün- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sche, oder bei der Altersversorgung, dann werden wir über diese Frage im nächsten Jahr eine Wahlent- Wenn die Hilfe des Bundes notwendig ist, biete ich scheidung bekommen, und diese verlieren Sie. Des- Ihnen für die Bundesregierung an: Wir werden alles halb sind seine Investitionen sicher. Darüber brau- tun, um auf diesem Weg hilfreich zu sein. chen Sie sich keine Sorgen zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist offenkundig, daß sich die Früchte unserer Reformpolitik zeigen. Die Wirtschaftsperspektive für Sie haben null Chancen bei dieser Bundestagswahl das Jahr 1997 ist spürbar besser geworden. Die deut- - das gebe ich heute im Bundestag zu Protokoll -, sche Wirtschaft geht wieder auf Wachstumskurs, das wenn Sie in der Frage der Steuerpolitik Ihre Verwei- Bruttosozialprodukt wird mit großer Wahrscheinlich- gerung fortsetzen; denn immer mehr Menschen be- keit die Wachstumsrate von 2,5 Prozent erreichen. greifen, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Abbau der Arbeitslosigkeit, vernünftigen Investitio- Im nächsten Jahr wird es eine weitere Verbesse- nen und den Steuern gibt. Deswegen werden wir die rung geben. Die Auftragsbücher der Unternehmen Steuerreform durchsetzen. zeigen das ebenso wie die Auslastung der Kapazitä- ten. Nach meiner festen Überzeugung wird das noch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in diesem Jahr erste Auswirkungen auf -den Arbeits- Wir haben noch einen weiteren wichtigen Punkt in markt haben. Das gilt natürlich in besonderer Weise den nächsten anderthalb Jahren zu erledigen, der für den Export . sehr viel für das Investitionsklima und die Beschäfti- gung ausmacht. Das ist der pünktliche Start des Euro In der heutigen Debatte sind zum Teil schon selt- am 1. Januar 1999. Über 50 wichtige Repräsentanten same Dinge behauptet worden. Daß die Frage des der deutschen Wirtschaftswissenschaft haben den Exports negativ bewertet wird, kann ich nicht verste- einfachen Satz geprägt: Der Euro stärkt Wachstum hen. Jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland hängt und sichert Arbeitsplätze. vom Export ab, und wir werden die über 4 Millionen Arbeitsplätze, die wir zur Beseitigung der Arbeitslo- Damit das ganz klar ist: Die Bundesregierung wird sigkeit brauchen, nicht bekommen, wenn wir nicht in alles tun, was sie tun kann, daß der Euro zum verein- der Lage sind, die notwendigen Impulse sowohl aus barten Zeitpunkt eingeführt und eine dauerhaft sta- dem Export als auch aus der Binnenkonjunktur zu bile Währung sein wird. nutzen. Die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrags Ich stelle mit Befriedigung fest - ich hätte mir ge- stehen dabei überhaupt nicht zur Disposition. Wir wünscht, das wäre schon früher möglich gewesen -, werden uns nicht auf die Diskussion einlassen, wir daß eine ganze Reihe von Tarifverträgen dieser Ent- würden die Stabilität der Währung wegen Europa wicklung Rechnung trägt. Der Vertrag in der chemi- opfern. Wir wollen beides: eine stabile Währung und schen Industrie ist ein Beispiel, das für viele andere den Euro zum richtigen Zeitpunkt. Wir haben eine steht. Deswegen kann ich nur sagen: Hoffentlich gute Chance, das zu erreichen. macht dieses Beispiel Schule. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Morgen wird die Automobilausstellung in Frank- Dabei kann ich sehr wohl verstehen - das geht furt eröffnet. Wenn Sie die heutigen Berichte dazu le- quer durch alle politischen Lager -, daß diese drama- sen, werden Sie feststellen, daß in einem enormen tische Veränderung, nach 50 Jahren D-Mark eine Umfang Aufträge eingehen, daß auch neue Arbeits- neue Währung einzuführen, vielen im Land schwer- plätze entstehen. Ich fand besonders bemerkenswe rt, fällt. Wir werden die Entscheidung über die Teilneh- daß der größte Konzern der Welt, General Motors an- mer der Währungsunion zu einem Zeitpunkt treffen, gekündigt hat, in den nächsten Jahren 17 Milliarden an dem wir im nächsten Jahr den 50. Jahrestag, den DM in Deutschland zu investieren. Die Begründung Geburtstag der D-Mark feiern. 16996 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Es ist doch ganz natürlich, daß im Blick auf die Ent- ziemlich einfach. Sie reden, und wir handeln. Das ist wicklung der letzten 50 Jahre darüber diskutiert die Antwort. wird. Diese 50 Jahre haben den Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes Frieden, Freiheit und be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) achtlichen Wohlstand gebracht. Die Deutschen in der Sie können auch durchs Land ziehen und dies ver- damaligen DDR haben 1990 zum Beispiel in Leipzig künden. Vor vier Jahren um die gleiche Zeit haben auf ihre Transparente geschrieben: Wenn die D- Sie mir zugerufen: Sie werden es nicht mehr wagen, Mark nicht nach Leipzig kommt, dann gehen die sich in den neuen Ländern zu zeigen. Ich gebe Ihnen Leipziger zur D-Mark. Dafür, daß unter diesen Um- jetzt das gleiche Versprechen wie damals: Ich werde ständen über die Einführung des Euro diskutiert auf all den Straßen und Plätzen wieder sein, wo ich wird, bitte ich auch außerhalb der deutschen Staats- 1990 und später war. grenzen um Verständnis. Mancher, der darüber re- det, kennt nicht die psychologische Situation in unse- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rem Land. Wir werden dabei alles tun, daß gerade auch die Dennoch: Es gibt zu dieser Politik keine Alterna- Menschen in den neuen Ländern begreifen - sie be- tive. Ich kann nur warnend sagen: Diejenigen, die greifen es, wie aus jeder Umfrage erkennbar ist -, sich gegen diese Politik wenden und dieses Thema daß diese freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik bei Wahlkämpfen ausnutzen wollen, werden erleben, Deutschland ihr Glück und ihre Zukunft bedeutet. daß es einen dramatischen Einbruch für ihre Position Das Gemeinsame der Deutschen, das sich in den kri- geben wird. Die große Mehrheit der Deutschen hat tischen Tagen im Oderbruch gezeigt hat, ist ein Sym- längst begriffen, daß der Wohlstand und die f riedli bol dafür, daß dieses Land nicht so ist, wie manche es -che Zukunft unseres Landes mit der Europäischen gerne beschreiben oder für ihre Propaganda gerne Währungsunion und überhaupt mit der Europäi- verzerrt darstellen möchten. Die Mehrheit der Deut- schen Union zusammenhängen. Dies ist der Kurs der schen macht sich auf den Weg ins nächste Jahrhun- Koalition und der Bundesregierung. dert; denn sie ist bereit, sich durch notwendige Refor- men eine gute Zukunft zu sichern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir, die Koalition, F.D.P., CSU und CDU, und die Es ist heute schon darüber gesprochen worden - Bundesregierung machen uns natürlich mit besonde- ich möchte wenigstens einen kurzen Satz zu diesem rer Freude auf diesen Weg. Wir sind guter Dinge. Thema ausführen -, daß auch das Thema Innere Si- cherheit etwas mit dem Standort Deutschl and zu tun (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und hat. Ich will von mir aus nur sagen: Ich würde es be- der F.D.P.) grüßen, wenn die Ankündigungen aus dem Bundes- rat jetzt Wirk lichkeit würden und wenn es nicht nur Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolle- wegen der Hamburger Wahl solche- Äußerungen ginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben gäbe. Diese Ankündigungen sollten schnell in die der Präsident der Repub lik Jemen, Herr General- Tat umgesetzt werden. leutnant Ali Abdallah Saleh, und seine Delegation Beispielsweise möchte ich gerne den Ministerprä- Platz genommen. sidenten von Niedersachsen auffordern, sein von je- (Beifall im ganzen Hause) dem Fachmann als übel und miserabel bezeichnetes Polizeigesetz noch vor der Wahl zu ändern. Wir Herr Präsident, ich begrüße Sie, die begleitenden schreiben jetzt September. Herren Minister und insbesondere unsere Kollegen Parlamentarier im Namen des Deutschen Bundesta- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ges sehr herzlich. ordneten der F.D.P.) Mit großer Aufmerksamkeit haben wir die Ent- Wer Bundeskanzler werden will, wird wohl noch in wicklung Ihres Landes in den letzten Jahren verfolgt. der Lage sein, ein Landesgesetz binnen vier Wochen Unsere Anerkennung gilt den ermutigenden Fort- auszuarbeiten und im Oktober im Landtag einzubrin- schritten des Reform- und Demokratisierungsprozes- gen. ses. Herr Präsident, wir wünschen Ihnen und Ihrem (Lachen bei der SPD) Land, daß Sie auch für die noch offenen Fragen und Problembereiche angemessene Lösungen zum Wohle Dann können wir ermessen, ob das Sprüche wegen aller Menschen im Jemen finden werden. des Wahltages waren oder ob das wirk lich so ge- meint ist. Es ist an der Zeit, daß sich a ll jene inner- Für Ihren Besuch in Deutschland wünsche ich Ih- halb der SPD - es sind nicht wenige; es gab immer nen alles Gute. Möge er dazu beitragen, die engen auch andere Stimmen; das muß man fairerweise hin- und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unse- zufügen -, die endlich entdeckt haben, wie wichtig ren Ländern zu vertiefen. der innere Frieden für das Land ist, jetzt auf den Weg machen und dieses Thema nun wirk lich in Angriff (Beifall im ganzen Hause) nehmen, und zwar in der Form, daß die Bürger damit Das Wort hat jetzt Herr Ministerpräsident Lafon- zufrieden sein können. taine. Wir haben noch knapp über 12 Monate bis zur Bundestagswahl. Sie wollen heute diese Gelegenheit Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): nutzen, um uns zu testen. Das Ergebnis des Tests ist Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16997

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Herren! Der Bundeskanzler hat soeben noch einmal Nun ist es bekannt, daß Angriffe aus der Opposi- den Finanzminister verteidigt und in Schutz genom- tion in der Regel von Ihnen abgewiesen werden. Es men sowie seine Leistungen für die deutsche Finanz- ist ebenso bekannt - das gilt für alle Parteien —, daß politik zu würdigen versucht. Ebenso hat er in seiner Angriffe aus den eigenen Reihen eher zum Nachden- Ansprache dargelegt, was er seit 1982 auf den Weg ken veranlassen. gebracht hat. Über beidem lag so etwas wie ein Hauch von Abschied. Nun hat sich kürzlich ein prominenter Christdemo- krat, der ehemalige Bundespräsident Richard von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Weizsäcker, zu Ihrer Regierungszeit geäußert. Dieser DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle ehemalige Bundespräsident hat ein hohes Ansehen, [F.D.P.]: Da ist der Wunsch Vater des wie Sie wissen. Sie sollten sich mit seinen Anmer- Gedankens!) kungen zumindest selbstkritisch auseinandersetzen und hier nicht so viel Selbstgefälligkeit verbreiten. Als der Bundeskanzler den Finanzminister und Wenn Sie sich im übrigen hier hinstellen und so tun, seine Leistungen gewürdigt hat, stellte ich mir die als ob Sie die Wahl schon gewonnen hätten, wenn Frage, was eigentlich vorausgegangen sein muß, da- Sie sich dessen ganz sicher sind, sage ich den Wähle- mit es immer wieder zu diesem demonstrativen rinnen und Wählern: Es ist gut, daß einer so selbstge- Schulterschluß kommt, der unverkennbar etwas von fällig ist und glaubt, er habe den Sieg schon in der einem schlechten Gewissen an sich hat. Tasche. Dies paßt uns in den Kram. Aber Hochmut (Beifall bei der SPD - Michael Glos [CDU/ kommt vor dem Fall, Herr Bundeskanzler. CSU]: Wissen Sie überhaupt, was das ist?) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Um dies zu belegen und da wir heute so zitierfreu- GRÜNEN und der PDS) dig sind, zitiere ich die „Welt am Sonntag", die sich Richard von Weizsäcker sagt: zu diesem Sachverhalt durch den Mund des Bundes- finanzministers äußert. Waigel zu Kohl hinsichtlich Jedenfalls haben wir nun schon sehr lange ein der Neubewertung der Goldreserven: politisches System in der Regierungsverantwor- tung, Das blieb an mir hängen, und wie war es wirk- lich? Ich wollte die Aktion im März abbrechen, - das ist, wie Sie richtig erkannt haben, eine vor- und du warst für die Fortsetzung, wolltest die Sa- nehme Umschreibung Ihres Namens - che zu Ende bringen. (Heiterkeit bei der SPD) Und dann - Waigel wörtlich - war Freund Helmut ) „in den Büschen", als es darum ging, die Sache das die von der Demokratie angebotenen Mittel durchzustehen. zur Erringung und Bewahrung der Macht auf - eine bisher nie gekannte Höhe der Perfektion ge- (Lachen bei der SPD) trieben hat. Die Konzentration der Kräfte zur Machterhaltung übersteigt bei weitem die offene Dieses Zitat aus der „Welt am Sonntag", die in der konzeptionelle Pionierarbeit, von geistiger Füh- Regel beste Kontakte zu Ihnen hat, ist bis zum heuti- rung ganz zu schweigen. gen Tag nicht dementiert. Wer von seinem Finanzmi- nisterverlangt, daß er eine solch zweifelhafte Aktion Es war kein Wunder, daß Sie hier wieder versucht durchzieht, und nachher in den Büschen zu finden haben, Wahlkampf zu machen und Siegeszuversicht ist, der hat es im Grunde genommen verwirkt, noch zu verbreiten statt Konzepte vorzustellen, wie jetzt Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen sei, wie jetzt die sein. Steuerreform durchzuführen sei, wie jetzt die Ren- tenreform durchzuführen sei, wie jetzt die ökologi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sche Steuerreform durchzuführen sei und wie jetzt ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die Lehrstellenmisere zu bekämpfen sei. und der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nun haben Sie dargelegt, was Sie in den zurücklie- DIE GRÜNEN) genden Jahren alles getan haben. Nur, Sie kommen an der Bilanz nicht vorbei. Wir sagen nicht, daß Sie in Nein, kein Wort davon. Sie beschäftigen sich im- den zurückliegenden Jahren nichts getan hätten. mer nur mit dem Machterhalt. Hier ist die Analyse Ri- Aber es ist eine Tatsache, daß Sie die höchste Ar- chard von Weizsäckers absolut treffend: Ihnen geht beitslosigkeit, die höchsten Schulden und die höch- die Macht vor der Lösung der Probleme und vor den ste Steuer- und Abgabenlast nach dem Krieg zu ver- Sachfragen. Das ist der Fehler Ihrer Regierungsarbeit antworten haben. in all den Jahren. (Zuruf von der CDU/CSU: Saarland!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Das ist Ihre Bilanz und nicht das, was Sie hier an beschönigenden Reden vorgetragen haben. Richard von Weizsäcker fährt fo rt: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Auch leidet die Glaubwürdigkeit der politischen DIE GRÜNEN - Weitere Zurufe von der Führung darunter, wenn nicht offen über die un CDU/CSU: Saarland!) gelösten Probleme gesprochen wird. Und die 16998 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Mehrzahl der Probleme sind ungelöst und wer- Da begann eine Serie von politischen Unwahrheiten. den durch Gesundbeten 17mal haben Sie seitdem die Steuern erhöht. Wo gibt es ein ähnliches Beispiel in der ganzen Welt, daß - hier hätte er sagen können: durch Ihr Gesundbeten - eine Regierung einer Bevölkerung sagt, es muß keine nicht besser. Steuer erhöht werden, aber seitdem 17mal die Steu- ern erhöht wurden? Die Mehrzahl der Probleme ist ungelöst, aber das eigentliche Problem ist, daß Sie so mit der Wahrheit (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ und der Wahrhaftigkeit umgehen, daß kein offener, DIE GRÜNEN]: Mit der F.D.P.!) ehrlicher, demokratischer Dialog mehr möglich ist. Das ist eine Fehlentwicklung der letzten Jahre, die - Mit der F.D.P. selbstverständlich. Sie war immer da- dringend korrigiert werden muß. bei, wie sie immer gern dabeisein will. Diesmal wird sie auch bei der Niederlage dabeisein. Insofern run- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE det sich das Bild dann ab. Sie ist immer dabei. GRÜNEN und der PDS) Daß Sie überhaupt noch im Zusammenhang mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne der Steuerpolitik glauben, an irgend jemanden kriti- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sche Aufforderungen richten zu können, ist im und der PDS) Grunde genommen unfaßbar. Keine Regierung auf der ganzen Welt hat sich in der Steuerpolitik ein sol- Als Sie dann die ersten Steuererhöhungen durch- ches Desaster, ein solches Rein und Raus, eine solche führen mußten, haben Sie wiederum die Unwahrheit Serie von Lügen gegenüber der Bevölkerung erlaubt gesagt. Sie sagten: Es ist wegen des Golfkrieges. wie Ihre Regierung. Und dann stellen Sie sich hier hin und appellieren an andere, seriöse Steuerpolitik (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das weiß ich zu machen! sehr wohl noch!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Diese Lüge erhielten Sie noch aufrecht, als mittler- DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/ weile jeder wußte, daß es eine völlig unzureichende CSU) Begründung war. Als der Golfkrieg dann als Begrün- dung nicht mehr ausreichte, kam die dritte Unwahr- Es ist unglaublich, wie wenig Sie in der Lage sind, heit: Sie sagten, Sie müßten die Mehrwertsteuer we- Ihre eigenen Fehler kritisch aufzuarbeiten. gen Europa erhöhen. Diese Nummer steht uns ja Sie sagen immer, Sie hätten als einziger die deut- noch bevor, daß Sie die Mehrwertsteuer wieder we- sche Einheit gewollt. gen Europa erhöhen müssen. Nein, Sie brauchten diese Serie von Steuererhöhungen wegen Ihrer Fehl- (Zuruf von der CDU/CSU: Absahner!)- einschätzungen, Ihrer falschen Wirtschafts- und Fi- nanzpolitik. Sie schoben es immer auf unredliche Wenn man Ihnen zuhört, sind Sie der einzige, der die und unehrliche Weise auf andere Gründe. Das ist zu- Entwicklung in Gang gesetzt hat, die zur deutschen nächst einmal die Ursache dafür, daß Sie sich hoff- Einheit geführt hat. Übernehmen Sie sich doch nicht nungslos verheddert haben. so! Daß der Kommunismus zusammengebrochen ist, hat viele Gründe, aber zuallerletzt den Grund Hel- (Zustimmung bei der SPD) mut Kohl. Übernehmen Sie sich nicht so. (Beifall bei der SPD und der PDS) Dann kam die traurige Geschichte um den Solida- ritätszuschlag. Sie haben diejenigen, denen es um die innere Ein- heit ging, um das konkrete Schicksal der Menschen, (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ um die Frage, wie es mit der Arbeitslosigkeit in den DIE GRÜNEN]: Rein - raus!) neuen Ländern sein wird, diffamiert und haben statt dessen Ihren harten Kurs durchgesetzt, der im Da steht das Wort „Solidarität" am Anfang. Zunächst Grunde genommen auf Grund ökonomischer Fehl- wurde also der Solidaritätszuschlag erhoben, dann entscheidungen Massenarbeitslosigkeit in den abgeschafft, dann wieder erhoben. Danach gab es neuen Ländern zur Folge hatte; und das wußten Sie. eine Serie von Versprechungen, daß er jetzt doch Sie haben trotzdem diese Entscheidungen durchge- wegfallen solle. Ich mache mir ausdrücklich die Kri- setzt, weil Ihr Ziel nur Machterhalt und Machtge- tik derer zu eigen, die sagen: Muß man, wenn man winn war und nicht die Verbesserung der Lebensbe- bei Steuersenkungen anfängt, unbedingt diese dingungen der Menschen. Steuer zunächst ins Visier nehmen? Denn daß die Menschen in den neuen Ländern wissen, daß wir (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE noch jahrelang erhebliche Hilfen geben müssen, um GRÜNEN und der PDS) dort den Aufbau zu unterstützen, das ist unstreitig. Sie haben doch bei der Steuerpolitik ungezählte Male von hier aus gesagt: Wegen der Einheit brau- (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt hat er es chen wir keine Steuern zu erhöhen. begriffen!) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ - Jetzt hat er es begriffen, sagen Sie Schnösel da? Ich DIE GRÜNEN]: Portokasse!) habe hier gesagt, Steuererhöhungen sind unver- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 16999

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) meidlich, um die deutsche Einheit zu finanzieren, weiß mittlerweile die große Mehrheit der deutschen während Sie das Volk belogen haben. Bevölkerung. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Widerspruch bei GRÜNEN und der PDS) der CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein blockflö Wenn Sie Steuern senken wollen - hier sieht man tender Schnösel!) die Unehrlichkeit, die ich Ihnen vorwerfe, Herr Bun- deskanzler, die Unwahrhaftigkeit, die in den letzten Wenn man beim Solidaritätszuschlag beginnt, Jahren schlimm war, insbesondere in der Steuerpoli- dann sind selbstverständlich Fragen notwendig. Si- tik, und die den demokratischen Dialog erschwert -, cherlich gibt es ökonomische Gründe, die dafür spre- dann können Sie den Solidaritätszuschlag senken, chen, die Steuern weiter zu senken. Dazu ist ja be- ohne daß Sie die SPD brauchen und ohne daß irgend reits einiges gesagt worden. Wenn Sie aber, meine jemand Sie blockiert. Sie haben doch gesagt, Sie Damen und Herren, Steuersenkungen wollen, muß würden handeln, wir würden nur reden. Nun han- klar sein - hier liegt der weitere Fehler -, daß Sie deln Sie doch! Aber belügen Sie nicht ständig das nicht das Mandat haben, für Länder und Gemeinden Volk und verstecken Sie sich nicht ständig hinter einfach Steuersenkungen zu beschließen. dem Bundesrat. Es ist unglaublich, was hier in den letzten Monaten vorexerziert worden ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und der PDS) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Das ist der Irrtum Ihrer Steuerpolitik. Sie haben dazu gar nicht das Mandat. Sie tun immer so, als hätten Die Soli-Absenkung können Sie ohne die SPD und Sie dazu' ein Mandat und könnten über Länder- und ohne den Bundesrat machen. Gemeindehaushalte verfügen. Sie haben dazu über- haupt nicht das Mandat. Die Vertretung der Interes- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sind Sie sen der Länder- und Gemeindehaushalte erfolgt im denn dafür?) deutschen Bundesrat. Wenn der eine irrsinnige Steu- Sie können sie aber nicht machen, weil Sie in etwa erpolitik nicht mitmacht, stellt das die Wahrung der eine Ahnung haben, wie die Bundesfinanzen sich berechtigten Interessen der Länder und der Gemein- entwickeln. Das wird wirklich ein hervorragendes den dar. Erbe, das da angetreten werden muß. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN]: Erblast!) und der PDS - Zurufe von der CDU/CSU) - Wenn die nächste Steuerschätzung da ist, wird es Warum Ihre Steuerpolitik so total unglaubwürdig ganz verheerend. ist, will ich Ihnen hier kurz darlegen. Als Sie das Pe- tersberger Konzept vorstellten, bekamen Sie zu- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Darauf nächst einige gute Kritiken. Wer hört nicht gerne, freuen Sie sich schon!?) daß die Steuern um 30 Milliarden DM gesenkt wer- Sie verschleiern die wirkliche Situation des Bundes- den sollen? Aber dann kam eine neue Steuerschät- haushaltes, indem Sie das Tafelsilber verkloppen. zung. Wir hatten geraten, sie abzuwarten, das wäre vernünftig gewesen, dann wären Sie nicht so in Wi- Die Wahrheit über den Bundeshaushalt ist gar nicht dersprüche verstrickt worden und hätten nicht Ge- bekannt - durch Nebenhaushalte, durch künstliche setze vorgelegt, die keiner mehr ernst nimmt. Wir ba- Buchungen. In Wirklichkeit ist der Bundeshaushalt ten darum, die Steuerschätzung abzuwarten, um in viel, viel schlechterem Zustand, als die Zahlen das dann auf seriöser Grundlage argumentieren zu kön- oberflächlich ausweisen. nen. Diese Steuerschätzung ergab ein Minus von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne rund 20 Milliarden DM. Daraufhin hätte man doch ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erwarten können, daß vernünftige Menschen ihre und der PDS) Steuerpläne revidieren und sagen, wenn jetzt plötz- lich 20 Milliarden DM fehlen, müssen wir es uns Ich hätte gerne einmal erleben wollen, was gesche- noch einmal überlegen, ob wir Steuersenkungen von hen wäre, wenn ein sozialdemokratischer Finanzmi- 30 Milliarden DM aufrechterhalten können. nister ein solches Zahlenwerk vorgelegt hätte. Jetzt steht die nächste Steuerschätzung ins Haus. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das muß Darin sind weitere 10 Milliarden DM Steuerausfall Ihnen doch noch gut in Erinnerung sein!) avisiert, also genau das Volumen des Ausfalls, das Sie von der F.D.P. stehen wiederum als die betroge- Sie für die nächsten Jahre versprochen haben. Man nen Betrüger da. Denn Sie kriegen die Solidaritätszu- hätte doch erwarten können, daß Sie darauf reagie- schlagsabsenkung nicht hin. ren und sagen: Unsere Kalkulationen waren falsch; wir überarbeiten diese Kalkulationen und legen ein (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sind Sie neues Konzept vor. Aber weil Sie untereinander zu- denn für die Senkung oder gegen die Sen tiefst zerstritten sind und sowieso an keine einzige kung? - Joseph Fischer [Frankfu rt] Zahl mehr glauben, ist das auch egal. Sie tragen hier [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen! Versprechungen vor, die völlig unhaltbar sind. Das Gegen!) 17000 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Sehen Sie, alle außer der F.D.P. - sie sagt: 5 Prozent ob Sie persönlich als Ministerpräsident des Saarlan- wollen Steuersenkungen hören; der Rest interessie rt des für die Senkung des Soli-Zuschlages sind oder uns nicht - haben gesagt: Das ist nicht machbar. dagegen? (Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist „alle"? - Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.] meldet Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): sich zu einer Zwischenfrage) Herr Kollege Westerwelle, ich danke Ihnen für diese Information. Sie läßt Befürchtungen in mir aufkei- - Selbstverständlich, Sie kommen gleich dran. men. Wenn Sie so viel Zustimmung für Ihre Steuer- Von der Koalition hören Sie immer wieder: Das politik in den neuen Bundesländern haben, könnten geht aber nur, wenn gegenfinanziert wird. Dann ist Sie ja dort über die 5-Prozent-Hürde kommen. eine sinnvolle Frage: Wo erhöht man Steuern, um das Verstecken Sie sich hier nicht wieder hinter dem Lieblingskind der F.D.P. zu finanzieren? Ist es wirk- Bundesrat. Ich habe mehrfach öffentlich gesagt: Falls lich sinnvoll, beispielsweise Unternehmenssteuer- Sie hier den Soli aus eigener Kraft absenken können, subventionen zu streichen, um den Solidaritätszu- entscheiden die sechs Ministerpräsidenten der CDU/ schlag zu senken? Das ist eine sachliche Frage. CSU darüber, ob es eine Einspruchsmehrheit im Bun- Meine Damen und Herren, genau an dieser Stelle desrat gibt. Wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, sind Sie einfach der Unwahrheit überführt. Sie kön- Ihre eigene Partei unter Kontrolle zu halten, dann nen den Soli senken. Weil Sie sich nicht einigen kön- setzen Sie sich hin und machen Sie Ihre Hausaufga- nen, schimpfen Sie unwahrhaftig auf den Bundesrat ben! So platt ist das. und lenken damit von Ihrem eigenen Versagen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ihrer eigenen Verantwortung ab. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und der PDS - Dr. Guido Westerwelle ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN [F.D.P.]: War das die Antwort?) und der PDS) Wenn Sie Steuern senken wollen, können Sie nicht einfach über Länder und Gemeinden verfügen. Die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister- Strukturen der Länderhaushalte und der Gemeinde- präsident, Sie gestatten die Zwischenfrage? - Bitte. haushalte sind ganz anders. Die Höhe der Personal- -kosten, die ein fester Block sind, ist in den Länder Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Herr Ministerpräsi- und Gemeindehaushalten ganz anders, so daß Ihr dent, Sie haben die Auffassung vertreten, daß die Re- ganzes Steuerstrukturreformkonzept völlig falsch duzierung der Steuer- und Abgabenlast ein 5-Pro- konstruiert ist. Es ignoriert auf der einen Seite die zent-Thema sei. Deswegen möchte ich Ihnen die Tatsache, daß die Steuerschätzungen schon einen Frage stellen, ob Ihnen die Umfrage des- Leipziger In- Ausfall in der Höhe ergeben haben, die Sie zurück- stituts für Marktforschung im Auftrag der Chemnit- geben wollten. Es ignoriert auf der anderen Seite, zer „Freien Presse" bekannt ist, daß die Gemeindehaushalte und die Länderhaus- halte bei weitem nicht so elastisch sind, wie Sie vor- (Lachen bei der SPD) geben, daß der Bundeshaushalt sei. die heute wie folgt veröffentlicht: „Während von al- Ich sage noch einmal: Sie können doch die zweite len Befragten 44 Prozent dafür sind, den Solizuschlag Stufe beschließen. Schaffen Sie doch den Soli ganz 1998 zu senken, möchten ihn immerhin 39 Prozent ab, wenn Sie Geld zuviel haben! Aber in Wirk lichkeit beibehalten. 17 Prozent konnten sich für keine der wissen Sie ganz genau, daß Sie keine Mark übrig ha- beiden Varianten entscheiden." Bei den unter 30 jäh- ben. Statt dessen heucheln Sie hier und spielen der rigen will es sogar mehr als die Hälfte, nämlich Öffentlichkeit ein Theater vor, Herr Bundeskanzler, 55 Prozent. das zutiefst unwahrhaftig ist. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Vielleicht haben Sie vergessen - nachdem Sie be- DIE GRÜNEN]: Komm, setz dich!) züglich der Mehrwertsteuer an uns appelliert haben -, Wohlgemerkt, meine lieben Kolleginnen und Kolle- daß Sie mehrfach versprochen haben, die Mehrwert- gen, diese Umfrage wurde von 1200 Ostdeutschen - - steuer werde in dieser Legislaturperiode nicht er- höht. Sie sind doch der Mann, der von gebrochenem Versprechen zu gebrochenem Versprechen taumelt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Man weiß bei dem, was Sie hier vortragen, doch gar Westerwelle, die Frage bitte! nicht mehr, was man ernst nehmen soll. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (F.D.P.): 1200 Ostdeutsche Dr. Guido Westerwelle ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN wurden befragt. Sind Sie bereit, diese Umfrage zur und der PDS) Kenntnis zu nehmen? (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nun glauben Sie immer, Sie müßten uns und die DIE GRÜNEN) Länder und Gemeinden überzeugen, daß wir eine Steuerreform brauchen. Verfolgen Sie denn nicht, Sind Sie deswegen bereit, dann auch klarzumachen, was in den Ländern und Gemeinden los ist und was daß das eben kein 5-Prozent-Thema ist? Im übrigen: dort diskutiert wird? Weil Sie ununterbrochen Steuer- Sind Sie auch bereit, dem Plenum einmal mitzuteilen, gesetze gemacht haben, deren Folgen Sie nicht kal- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17001

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) kulieren konnten oder die Sie immer fehlkalkuliert Es ist ein sozialpolitischer Skandal, daß die veran- haben, ist das deutsche Steuerrecht praktisch zer- lagte Einkommensteuer von 40 Milliarden DM auf stört. Es ist nicht mehr handhabbar. Es ist niemand Null zurückgegangen ist. Das heißt: Sie haben aus mehr in der Lage, Einnahmen und Ausfälle, was die dem Steuerrecht, das nach Leistungsfähigkeit be- Steuern angeht, zuverlässig zu kalkulieren. steuern soll, ein Bereicherungsrecht für die Wohlha- benden gemacht. Wir sehen darin einen sozialpoliti- Ich nenne nur ein Beispiel: das Standortsiche- schen Skandal ersten Ranges. rungsgesetz. Das Finanzministerium schätzte bei der Körperschaftsteuer einen Ausfall von 4 Milliarden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne DM. Nordrhein-Westfalen sagte: Das ist viel zu nied- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN rig gegriffen; es sind 9 Milliarden DM. Das Ergebnis und der PDS) waren 13 Milliarden DM. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Wenn unser Steuersystem so zerzaust wird, Der Fall aus Baden-Württemberg, der die Presse daß keine Einnahmen mehr kalkuliert werden kön- beschäftigt hat, daß jemand bei Einnahmen von nen, dann erodie rt die Basis der Staatsfinanzen. Das 3 Millionen DM nicht nur seine Steuerlast im lauf en- liegt in Ihrer Verantwortung. den Jahr auf Null drücken konnte, sondern auch noch durch den Erwerb einer Immobilie im Wert von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne 12 Millionen DM Rückerstattungen in Millionenhöhe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zugesprochen bekam - das a lles auf der Grundlage und der PDS) des Steuerrechts -, zeigt doch die Fehlentwicklung des Steuerrechts in den letzten Jahren. In jedem Erstsemester des Studiums der Finanz- wissenschaft lernt man, daß die Grundvoraussetzun- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Dann gen der Steuerpolitik Stetigkeit, Verläßlichkeit und machen Sie doch mit!) längerfristige Rahmenbedingungen sind. Da stellen Sie sich hier hin und sagen, wir würden, (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Saarland!) wenn wir solche Dinge ansprechen, Neid schüren. Ich sage einmal kritisch an unsere Adresse: Wir ha- Das reicht nun wirklich. ben in den letzten Jahren allzuoft auch Kompromisse Die Gewinn- und Vermögenseinkommen haben mitgetragen, die zweifelhaft waren. Ich will Ihnen sich in Ihrer Amtszeit verdreifacht. Die Einkommen den letzten und den vorletzten nennen: Zunächst der Selbständigen, die in erster Linie die veranlagte den Kompromiß bei der Abschaffung der Vermögen- Einkommensteuer zahlen, haben sich in Ihrer Amts- steuer. Wenn man in einer lahmenden Baukonjunk- zeit verdreifacht, und die Lohneinkommen haben tur zur Kompensation die Grunderwerbsteuer dra- sich knapp verdoppelt. Wenn wir dann leichte Kor- stisch erhöht, ist das ökonomischer Unfug. Wir haben - rekturen für Arbeitnehmer und Familien fordern, das mitgetragen, um im Steuerrecht überhaupt wei- werfen Sie uns pure Umverteilungsideologie vor. Sie terzukommen. Aber das ist ökonomischer Unfug. haben in einem Maße schamlos umverteilt, wie das (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das war doch in den Jahren davor unvorstellbar war, und haben eine Forderung von Ihnen!) deshalb schwere ökonomische Verwerfungen zu ver- antworten. Wenn man zweitens beispielsweise bei der Ab- schaffung der Gewerbekapitalsteuer dem Finanzmi- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE nisterium die Ausführung überläßt und dann rück- GRÜNEN und der PDS) wirkend datiert wird, so daß die Kalkulation ganzer Betriebe ins Wanken kommt, dann ist das ebenfa lls Sprechen Sie also nicht von Sozialneid in einer eine handwerklich unsolide Arbeit. Ihre Steuerpolitik Situation, in der die Kirchen zu Recht feststellen, daß hat weder Stetigkeit noch Verläßlichkeit, noch ist sie die Reichen immer reicher und die Armen immer eine handwerklich solide Arbeit. Deshalb sind Sie so ärmer werden. Manchmal wünsche ich mir, daß sehr in Verschiß bei den Wählerinnen und Wählern jemand aus den christlichen Sozialausschüssen das und auch bei der Wirtschaft. etwas deutlicher artikulierte. Es kann so nicht weiter- gehen. Das ist auch mit den Stichworten „Standort- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne politik" und „Globalisierung" nicht begründbar. Auf ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN diese beiden Herausforderungen müßten wir, so und der PDS) heißt es dann, mit Sozialkürzungen, Senkung der Steuern für Wohlhabende und immer stärkerer Bela- Nun werben Sie immer für die große Steuerreform stung der Arbeitnehmer antworten. bei den Ländern und bei den Gemeinden. Da brau- chen Sie nicht zu werben. Die veranlagte Einkom- Ich will Ihnen sagen, welche seit über 40 Jahren mensteuer lag im Jahre 1992 noch bei 40 Milliarden aufgeschobene Reform zu bewältigen ist: Wenn die DM. Sie ist jetzt faktisch bei Null. Das ist ein Ergeb- Globalisierung dazu geführt hat, daß sich die Rela- nis Ihrer fehlerhaften Steuerpolitik, einer überhaupt tion zwischen Lohneinkommen und Gewinn- und nicht mehr kalkulierbaren Steuerpolitik. Jedes Jahr Vermögenseinkommen immer weiter zugunsten der gab es drei Gesetze, von denen Sie nicht wußten, letzteren verschoben hat, dann ist es eine große Re- was überhaupt die Folgen sein würden. Das ist Ihre formaufgabe, die Sie seit Jahren verschleppt haben, Steuerpolitik. Wie soll da ein Mensch noch verläßlich nämlich Arbeitnehmer am Vermögens- und Gewinn- kalkulieren können? einkommen zu beteiligen. Das wäre eine Reform, die 17002 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) wieder mehr Gerechtigkeit in dieser Republik her- Da zeigt sich wieder Ihre Verlogenheit, nämlich Ihr stellen würde. Streben nach Machterhalt. Es ist natürlich unpopulär, eine Rentenkürzung im Jahre 1998 zu verantworten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aber Sie sind nicht in der Regierung, um unpopulä- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ren Entscheidungen auszuweichen und um perma- PDS) nent immer wieder die Unwahrheit zu sagen. Sie Merkwürdig ist folgendes: Selbst die F.D.P. - es ist können die Rentenreform aus eigener Kraft durch- nicht ungewöhnlich, daß Sie alle Monate Ihre Mei- führen. nung ändern; das scheint offensichtlich moderne Fle- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) xibilität zu sein - hatte ein paar Ansätze zur Einfüh- rung ökologischer Komponenten in das Steuer- Es kommt dabei auf die Gegenfinanzierung an. system. Die sind dann alle wieder in der Versenkung Schäuble schleudert jeden Tag mit irgendeiner Argu- verschwunden. mentation, um aus der Ecke herauszukommen. Da (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wir können hören wir auf einmal, nur die Erhöhung der Mehr- nicht nur draufsatteln! - Dr. Wolfgang Weng wertsteuer könne zur Gegenfinanzierung herange- [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir haben ein Gesamt zogen werden. Warum geht das nicht mit der Mine- konzept! Haben Sie das noch nicht ralölsteuer? Was ist die sachliche Begründung? gemerkt?) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Auch in der CDU gibt es immer wieder nette DIE GRÜNEN]: Stoiber!) Diskussionen, wie man im Steuersystem ökologische Die sachliche Begründung ist, daß Sie in den eige- Reformen durchführen kann. Wenn es dann ernst nen Reihen überhaupt nichts mehr zustande bringen, wird oder zum Schwur kommt, sind Sie alle do rt, wo weil Sie ja schon vor Stoiber in die Knie gehen, bevor der Kanzler war, als er Waigel beistehen sollte, näm- er überhaupt den Mund aufgemacht hat. Das ist lich in den Büschen. So kann man keine Steuerpolitik doch nicht mehr zu fassen. betreiben. So verschleppt man Reformen, und so baut sich der Reformstau in Deutschland weiter auf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und der PDS) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man das einmal sachlich betrachtet, müssen Ich habe Ihnen bei der Steuerpolitik vorgeworfen, wir uns die Frage stellen: Kann der Einzelhandel jetzt daß Sie in höchstem Maße die Unwahrheit sagen. eine Mehrwertsteuererhöhung gebrauchen? Das Dasselbe werfe ich Ihnen auch bei der Rentenpolitik vor. Dies ist mittlerweile das Urteil auch der Presse. Handwerk, das ab und zu lauter und ab und zu weni- ger laut ist - wir wissen auch immer einzuordnen, Sie gehen zunächst einmal hin und sagen:- Wir wol- wer wann wo wen unterstützen will -, weist darauf len doch Gemeinsamkeit. Das sagt immer insbeson- hin, daß ein Prozentpunkt Mehrwertsteuererhöhung dere der Bundesarbeitsminister. Als Sie aber aus zum Wegfall von 60 000 Arbeitsplätzen führt. Auch eigener Kraft im Bereich der Renten die Altersgrenze die Mineralölsteuer ist unter dem Gesichtspunkt der der Frauen nach oben geschoben und die Anerken- Wirtschaft nicht unbedingt we rtfrei und hat auch nung der Ausbildungszeiten drastisch zusammenge- Struktureffekte. Nur, ich habe der Presse nicht ent- strichen haben, da haben Sie diese Gemeinsamkeit nommen, daß die Automobilwirtschaft in einer tiefen nicht gesucht. Krise ist Es geht nicht, daß Sie zum einen auf die Tränen- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: drüse drücken, also an die Gemeinsamkeit appellie- Wollen Sie sie denn reinbringen?) ren, und zum anderen, wenn es Ihnen gerade in den Kram paßt, Dinge allein durchziehen. So kann man und daß beispielsweise der Einzelhandel blüht. mit dem Bundesrat und der Opposition nicht um- Wenn Sie schon Reformen angehen, dann versu- springen. chen Sie doch, zumindest ein bißchen ökonomisch zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne argumentieren, und versuchen Sie dann, wenn es ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) darum geht, eigene Entscheidungen durchzusetzen, sich nicht hinter anderen zu verstecken. Das ist schä- Sie haben nun wiederum den Versuch unternom- big und zeigt, wie kraftlos diese Koalition geworden men, die Kulisse aufzubauen, daß der Bundesrat ist. schuld sei, wenn Sie die Rentenreform nicht durch- setzten - wo doch General Motors, wie der Bundes- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kanzler selbst gehört hat, in Deutschland nur dann DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der investiert, wenn er die Rentenreform durchzieht. PDS) Herr Bundeskanzler, nun machen Sie es doch! Es Auch bei der Rentendebatte - es ist nicht mehr zu wäre ja wirklich schrecklich, wenn Sie die Rentenre- fassen - wird jeder Ansatz eines weitergehenden form nicht durchzögen; dann kommt General Motors Reformschrittes nicht aufgegriffen, weil Sie wie das nicht mit den Investitionen. Sie haben doch hier die Kaninchen auf die Schlange nur noch auf den Wahl- Mehrheiten. Machen Sie es doch! Oder haben Sie termin fixiert sind und hoffen, daß Sie noch einmal Angst vor der eigenen Courage? davonkommen, Herr Bundeskanzler, und darüber (Beifall bei der SPD) alle notwendige Sacharbeit vergessen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17003 Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Nun komme ich auch zur Jugendarbeitslosigkeit. kamen, der Standort Deutschland sei hervorragend. Es ist nicht so, daß irgend jemand hier behaupten Wir hatten das auch schon anders gehört. würde, er hätte ein durchgreifendes Patentrezept, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Was (Zustimmung bei der SPD) hier zunächst einmal gesagt wird, ist: Wir können Aber immerhin, wenn die kritische Debatte der letz- nicht tatenlos zusehen, daß 500 000 Jugendliche ten Zeit etwas genutzt haben sollte und wenn Sie ge- arbeitslos sind und daß etwa 100 000 Jugendliche merkt haben, daß die Exportwirtschaft wieder boomt immer noch nicht wissen, ob sie eine Lehrstelle und daß im Grunde genommen die ganze Diskussion bekommen. Das ist unsere Position. unter falschen Voraussetzungen geführt wird, wäre das schon ein Fortschritt. (Beifall bei der SPD) Aber die Standortdebatte ist nur ein Synonym für Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, wiederum eine andere geistige Fehlorientierung, die während die Frage zurückgewiesen, ob man nicht ausbildende Ihrer Amtszeit zu beklagen ist, nämlich die Fehl- Bet riebe zur Ausbildung heranzieht, und gesagt, das orientierung, alles in ökonomische, in betriebswirt- sei nicht in Ordnung und das könne man nicht ver- schaftliche Kategorien zu fassen. In der geistigen treten. Ich will Ihnen einmal ein Zitat vorlesen: Diskussion unseres Landes wird dies schon themati- Wir gehen davon aus, daß eine Reform der beruf- siert. In der unverdächtigen „Frankfu rter Allgemei- lichen Bildung ein neues Finanzierungssystem nen " stand ein Aufsatz unter dem Titel „Die Welt als für die betriebliche Ausbildung verlangt. Dabei Betrieb", in dem diese Fehlentwicklung des Denkens wird es notwendig sein, auch jene Bet riebe stär- gegeißelt wurde. Sie findet vielfach Ausdruck. Wenn ker zur Finanzierung der beruflichen Bildung beispielsweise - auch noch unter Beifall von konser- heranzuziehen, die sich nicht unmittelbar an der vativer Seite - eine Diskussion um den Shareholder für die gesamte Wirtschaft erforderlichen Ausbil- Value geführt wird, mit der Aussage, daß es das Ziel dung des Nachwuchses beteiligen. eines Unternehmens sei, den Aktienwert zu steigern und immer wieder auf die Kurssteigerung des näch- So Ministerpräsident Helmut Kohl am 20. Juni 1973 sten Tages zu schauen, dann ist das Ausdruck einer vor dem Rheinland-Pfälzischen Landtag. geistigen Fehlorientierung der Gesamtgesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich gebe Ihnen gerne die Quelle. Sie haben schon so viele Reden gehalten, Herr Bundeskanzler, daß Sie Es kann nicht das Ziel eines Unternehmens sein, in natürlich nicht mehr wissen, was Sie alles erzählt erster Linie auf den Aktienkurs zu starren, denn ein haben. Aber das hier ist aus dem Protokoll; das ist Unternehmen hat gesamtgesellschaftliche Verant- autorisiert. Das war also einmal Ihre Meinung. Nun wortung; es ist auch seinen Arbeitnehmern verpflich- darf jeder die Meinung ändern und ordnungspoli-- tet. Daher spricht es unserem Konsens nach dem tische Einwendungen haben, natürlich. Aber wenn Kriege Hohn, daß die Aktienkurse nach oben schnel- Sie ordnungspolitische Einwendungen gegen diese len, wenn Massenentlassungen angekündigt wer- Abgabe haben, dann ist Ihr Ansatz, jetzt bei der Auf- den. Das versteht langsam keiner mehr in unserem tragsvergabe auf einmal zwischen Bet rieben, die Lande, und das ist auch richtig so. ausbilden, und solchen, die nicht ausbilden, zu unter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne scheiden, ordnungspolitisch zumindest ebenso be- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN denklich. So astrein ist das nicht. und der PDS) Da sage ich noch einmal: Es geht nicht um die Mit dieser geistigen Fehlorientierung hat natürlich Frage, ob man eingreifen muß. Sie wollen nur ein auch die Misere auf dem Lehrstellenmarkt zu tun. bißchen eingreifen, und Sie wollen dabei nicht Eine solche Entwicklung wäre nach dem Kriege nicht erwischt werden. Nein, es geht um die Frage, ob wir vorstellbar gewesen. Damals war der innere Zusam- uns dieser Herausforderung stellen. Wir sagen: Wenn menhalt unserer Gesellschaft noch stärker. Damals Tony Blair in England ein steuerfinanziertes Ausga- wußten viele Unternehmen, daß es, Standortdiskus- benprogramm aufgelegt hat, um Jugendlichen einen sionen hin, Standortdiskussionen her, Globalisierung Arbeitsplatz zu geben - 200 000 Jugendliche sollen in hin, Globalisierung her, eine Investition in die Zu- Arbeit kommen -, und wenn Lionel Jospin in Frank- kunft, in den Standort Deutschland, in die Herausfor- reich ein ebensolches Programm aufgelegt hat mit derung der Globalisierung ist, wenn wir die jungen dem Ziel, 300 000 Jugendliche in Arbeit zu bringen, Menschen gut ausbilden, damit sie die Zukunft dann können wir hier in der Bundesrepublik nicht bestehen können. tatenlos zusehen, daß 500 000 junge Menschen ar- beitslos sind und 100 000 nicht wissen, ob sie eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Lehrstelle bekommen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Genau hier ist auch die Trennlinie zwischen der und der PDS) Politik der Opposition und Ihrer Politik sowie dem, was Sie in den letzten Jahren vertreten haben. Sie Ich möchte hinsichtlich Ihrer Regierungsarbeit glauben, die Reduzierung des Kündigungsschutzes aber noch einen anderen Aspekt beleuchten. Es war sei sinnvoll gewesen. Sie haben die Kürzung der interessant, daß Sie vorhin hier zu dem Ergebnis Lohnfortzahlung wieder angesprochen. Sie sind 17004 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) gegen staatliche Maßnahmen etwa zur Verbesserung in Ihrer eigenen Partei widerstehen. Das ist aus mei- auf dem Lehrstellenmarkt. Jetzt sind Sie ein bißchen ner Sicht anerkennenswert. auf diese Linie gekommen. Sie haben in den letzten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Jahren soziale Leistungen in großem Umfang ge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf kürzt. von der CDU/CSU: Voscherau!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo denn?) Daß wir Ihren Rücktritt verlangen, ist in der Haus- haltspolitik begründet, die nicht mehr überschaubar Wo ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns? und nicht mehr verläßlich ist, und in der Steuerpoli- Der Unterschied liegt da rin, daß wir sagen, man tik, die zu einem Ergebnis geführt hat, das unter kei- kann diese Entscheidungen nicht nur nach ökonomi- nem Gesichtspunkt akzeptabel ist. schen Kategorien treffen. Herr Bundeskanzler, wer beispielsweise die Lohnfortzahlung kürzen will, der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie denken darf nicht nur die Entlastung der Bet riebe sehen, son- an das Saarland!) dern der muß berücksichtigen, was die Kürzung für Sie haben das vielleicht in guter Absicht get an. Aber einzelne Kranke im Bet rieb bedeutet. Hier zeigt sich das Ergebnis ist eindeutig; das wollte ich noch einmal die unterschiedliche Herangehensweise an diese klarstellen. Thematik. Jetzt stellt sich der Bundeskanzler hier hin und tut (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne so, als müsse er uns Nachhilfe in Sachen Europa ge- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ben. Da Sie sich an dieser Stelle schon häufiger als jemand zu profilieren versucht haben, der sowohl die Wer noch stolz darauf ist, daß er den Kündigungs- deutsche Einheit als auch die europäische Einheit schutz bei kleineren Betrieben abgebaut hat, der stets im Auge gehabt hat, betone ich: Wir haben, als weiß nicht, was die daraus entstehende Unsicherheit Sie noch jede Rede mit der Formel „Gott segne unser für einzelne Menschen bedeutet, die von der Gefahr Vaterland" abschlossen, schon immer wieder gesagt: bedroht sind, daß ihnen plötzlich gekündigt wird, Die deutsche Einheit muß eingebunden werden in wenn die Geschäfte einmal etwas schlechter gehen. die europäische Einigung. Versuchen Sie nicht, einer Es kommt nicht nur auf die ökonomischen Katego- Partei, für die ich hier spreche und die schon seit zig rien an. Nein, es kommt darauf an, daß man immer Jahren die europäische Einigung im Programm hat, die Situation des einzelnen Menschen in der Gesell- irgendwie die europäische Verläßlichkeit abzuspre- schaft sieht. chen, sehr verehrter Herr Bundeskanzler! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) - Dann sagten Sie hier, kein europäischer Regie- rungschef wünsche Ihre Ablösung oder einen Wahl- Das Interessante ist ja, daß die Forderung nach Ab- sieg der Opposition. Mit wem reden Sie eigentlich bau des Kündigungsschutzes oder der Lohnfortzah- (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Mit allen!) lung immer von denjenigen erhoben werden, die ent- weder als Professoren Lebenszeitbeamte sind oder und in welcher Sprache? als Unternehmer natürlich überhaupt nicht daran denken, wenn sie einmal krank sind, eine Minde- (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung ihrer gewaltigen Bezüge in Kauf zu nehmen. Das ist doch die geistige Fehlentwicklung in Vielleicht liegt es an der Sprache, Herr Bundeskanz- Deutschland: daß man den anderen, den Kleinsten, ler; auf jeden Fall erzählen sie mir etwas ganz ande- zumuten will, was man für sich selbst nicht gelten res. lassen will. (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE glaube ich!) GRÜNEN und der PDS) Stellen Sie sich nur einmal vor, daß ich einige schon gekannt habe, als Sie sie noch gar nicht kannten. Sie Herr Bundeskanzler, Sie haben dann noch etwas verfügen also nicht über ein Monopol des Wissens. zum Euro und zur europäischen Politik gesagt. Ich möchte zunächst deutlich machen, daß es, wenn wir Ich sage Ihnen vor dem Beschäftigungsgipfel: Der hier Ihren Rücktritt verlangen, Herr Bundesfinanzmi- von Ihnen und von Theo Waigel stets wiederholte nister, nicht um eine persönliche Auseinanderset- Satz, Beschäftigung machten wir zu Hause, stößt in zung geht der ganzen Europäischen Union nur auf Kopfschüt- teln. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Persönlich lieben wir Sie!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) und daß ich das Urteil unterstütze, daß Sie auf euro- päischer Ebene, was die Einführung des Euro und Sie machen im zusammenwachsenden Europa Be der Europäischen Währungsunion angeht, Fahne schäftigungspolitik nicht nur zu Hause, Herr Bundes zeigen und daß Sie populistischen Strömungen auch kanzler. Auch wenn ökonomische Dinge nicht so Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17005 Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) sehr Ihr Interesse finden, möchte ich Sie darauf auf- Die Steuer- und Abgabenlast bekommen Sie nicht merksam machen, daß dies schlicht und einfach ein herunter, sondern sie geht weiter nach oben. Das ist gewaltiges Fehlurteil und mit Veranlassung dafür ist, doch die Wahrheit. daß in Europa die Arbeitslosenzahlen immer weiter nach oben gehen. Wenn diese Politik, die teilweise Bei einer solchen Bilanz, meine Damen und Her- auch von Major und anderen befürwortet worden ist, ren, braucht unser Land einen politischen Neuan- Grundlage der europäischen Wirtschafts- und Fi- fang. Wir brauchen eine neue Wirtschafts- und Fi- nanzpolitik war, dann darf man sich nicht wundern. nanzpolitik. Wir brauchen vor allen Dingen aber eine Wenn dies dann auch noch durch Wechselkurs- Politik, die begreift, daß sich die Welt nicht nur in be- schwankungen überlagert wurde, die realwirtschaft- triebswirtschaftlichen Größen erfassen läßt, sondern lich nicht begründet waren, dann darf man sich erst daß Politik auch stets darauf zielen muß, die konkrete recht nicht wundern. Wenn die Märkte in Europa im- Situation des einzelnen Menschen zu verbessern. mer mehr zusammenwachsen, dann müssen auch Sie Wir sind bereit, dafür Verantwortung zu überneh- endlich begreifen, daß Beschäftigungspolitik auch men. auf europäischer Ebene gemacht werden muß. Wir hoffen, daß auf dem Europäischen Gipfel in Luxem- (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem burg ein Durchbruch im Interesse der Arbeitslosen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Beifall bei erreicht wird. der PDS) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolle- Dann haben Sie den Stabilitätspakt angesprochen. ginnen und Kollegen, wie Sie wissen, hat der amtie- Natürlich ist das Geld wichtig. Aber, meine Damen rende Präsident keine Ordnungsbefugnis gegenüber und Herren, wäre es nicht längst an der Zeit gewe- Mitgliedern der Bundesregierung und des Bundesra- sen, ebenso, wie man Kriterien für die Stabilität ein- tes. Das entspricht unserem Verständnis vom Ver- führt, auch einmal Kriterien für die Bekämpfung der hältnis der Verfassungsorgane zueinander. Das kann Arbeitslosigkeit einzuführen? Wir fordern dies am aber in einer solchen Sitzung nur funktionieren, heutigen Tage ausdrücklich. wenn man sich gleichwohl an die parlamentarischen Regeln hält. Falls es in Vergessenheit geraten sollte: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Die Anrede „Sie Schnösel" liegt jenseits der parla- PDS - Siegfri ed Hornung [CDU/CSU]: Was mentarischen Regeln. tun Sie denn zu Hause?) Ein Beschäftigungspakt, der genauso Kriterien für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit festsetzt, wie Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Sie es für die Geldwertstabilität getan haben,- ist drin- DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, er hätte gender als jede andere Maßnahme in Europa. sagen müssen: „Sie Blockflöte" !)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Schäuble, CDU/ DIE GRÜNEN) CSU. Da ist es auch zulässig, meinetwegen über die Euro- päische Investitionsbank oder andere Möglichkeiten Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren, die das zu- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Präsi- sammenwachsende Europa braucht. Auch die Schie- dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- nenwege, auch die Telekommunikationswege, auch gen! Herr Ministerpräsident Lafontaine, als ich die die Energieversorgung können wir national nicht ruhige - so habe ich es jedenfalls empfunden -, den mehr organisieren. Wir müssen sie europäisch orga- Problemen angemessene und für Zusammenarbeit nisieren. Deshalb war Ihr Widerstand gegen den werbende Rede des Bundeskanzlers Ausbau der transeuropäischen Netze ein Fehler, den Sie schleunigst korrigieren sollten. (Lachen bei der SPD)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und anschließend die Art Ihrer Reaktion gehört habe, DIE GRÜNEN) fiel mir ein, was mir meine Eltern gelegentlich gesagt Die Kernauseinandersetzung aber bleibt: Wir müs- haben: Wer schreit, hat unrecht. sen die Wirtschafts- und Finanzpolitik ändern, weil die jetzige widerlegt ist. Wir können Ihnen ja noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. unterstellen, daß Sie immer in guter Absicht gehan- Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]) delt haben, als Sie jedes Jahr mit neuen Standortsi- cherungsgesetzen und anderen Gesetzen kamen Weil ich nicht weiß, ob Sie dem Präsidenten zuge- und versprachen, jetzt würde die Arbeitslosigkeit hört haben aber zurückgehen. Das Ergebnis war immer das glatte Gegenteil; die Arbeitslosigkeit und die Staats- (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ schulden sind immer weiter angestiegen. CSU]: Er hört auch jetzt nicht zu!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Im Saar - Sie hören ja noch immer nicht zu -, wi ll ich es Ihnen land vor allem!) noch einmal sagen: Wir möchten es nicht, daß je- 17006 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Wolfgang Schäuble mand, wer auch immer es sein mag, in diesem Hause - Er hat es ziemlich genau so gesagt. Lesen Sie es im Kollegen als Schnösel bezeichnet. Protokoll nach! (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ich weiß jedenfalls eines: Wenn es jemanden in Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.] - diesem Hause gibt, der davon nicht reden sollte, Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar dann sind Sie es, Herr Lafontaine. land]: Was ist mit „Lumpen", „Sie Heuch ler"?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) - Sie dürfen im übrigen auch nicht von der Bundes- ratsbank Zwischenrufe machen. Sie wollten die Einheit nun wirklich nicht. Ihnen habe ich schon im Jahre 1990 in der Debatte zum Ei- d Matthäus-Maier [SPD]: Der Bundes (Ingri nigungsvertrag sagen müssen: Sie haben vergessen, kanzler hat gestern aber öfters etwas ein einziges Mal ja zur deutschen Einheit zu sagen. gesagt! - Dr. Peter Struck [SPD]: Das macht die Regierung laufend! Regen Sie sich dar (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) über nicht auf! Das ist lächerlich! Die Regie rung ruft laufend dazwischen!) Sie haben doch damals in Bundesrat und Bundestag ein gespaltenes Votum herbeiführen wollen und ähn- - Herr Struck, bevor man zur Sache kommt, muß liches mehr. Reden Sie doch jetzt nicht davon! Es man immer einige Bemerkungen machen. wäre besser, Sie schwiegen darüber. (Dr. [PDS]: Oberlehrer!) (Michael Glos [CDU/CSU]: Blamabel!) Herr Kollege Scharping, Sie haben eine Rede ge- halten, die zu hören für uns nicht nur angenehm war. Herr Gysi, auch Sie haben gezeigt, wes Geistes Das ist ja in Ordnung; das gehört zu solchen Debat- Kind Sie sind, so nach dem Motto: Kontrolle ist bes- ten. Wir haben Sie aber ungestört reden lassen. ser, und dann noch möglichst totalitär. Das haben Sie gut gelernt. Das sind wir ja schon gewöhnt; der Bun- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ deskanzler hat das Notwendige dazu gesagt. DIE GRÜNEN]: Das ist erstaunlich!) Was mich stört, ist die Erfurter Erklärung von Poli- Ich finde es ziemlich skandalös, daß Ihre Parlamentari- tikern der SPD, der PDS und den Grünen, in der zur schen Geschäftsführer während der Rede des Bundes- neuen Volksfront aufgerufen wird. Das ist ein un- kanzlers durch Ihre Reihen gegangen sind, um Unruhe glaubliches Dokument. zu organisieren. Das ist dieses Hauses unwürdig. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - DIE GRÜNEN]: Vorlesen!) Lachen bei der SPD) - - Wir alle haben es beobachtet. - Ich habe sie da; ich lese sie Ihnen vor. (Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch! - Horst Ich will Ihnen sagen, wie ich darauf gestoßen bin: Kubatschka [SPD]: Lügen!) Wir begehen den Tag der deutschen Einheit nach ei- ner gemeinsamen Absprache zwischen Bund und Ich bin ja gewohnt, daß Sie versuchen, uns am Re- Ländern seit dem Jahre 1990 - ich habe als Innenmi- den zu hindern, nister viel damit zu tun gehabt - jedes Jahr in einer (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ anderen Landeshauptstadt, und zwar immer in der DIE GRÜNEN) Hauptstadt des Landes, das den Vorsitz im Bundesrat hat, also an diesem 3. Oktober in Stuttga rt, Baden- und zwar durch Lärm, den Sie organisieren. Sie ha Württemberg hat gerade den Vorsitz im Bundesrat. ben es auch beim Kollegen Michael Glos so gemacht. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Stuttgart bei Gerlingen!) Genauso ist es!) Welcher Narr reitet Sie eigentlich, zum 3. und Aber ich finde, Ihr Anliegen wirkt durch die A rt, wie 4. Oktober 1997 zu einer Versammlung zur Erfurter Sie sich verhalten, nicht sehr glaubwürdig. Erklärung in Erfurt einzuladen, also zu einer Gegen- Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich will Ihnen veranstaltung der offiziellen Veranstaltung zum Tag noch etwas sagen: Sie haben von der deutschen Ein- der deutschen Einheit? heit gesprochen und gesagt, der Bundeskanzler habe damit relativ wenig zu tun. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer macht das denn?) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat er nicht gesagt!) - Herr Thierse, der stellvertretende Fraktionsvorsit- zende der SPD. Ziehen Sie ihn zurück. Sie sind doch Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. daran beteiligt. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das hat (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) er nicht gesagt! Nein!) Der Kollege Richter der SPD-Fraktion moderiert. Sie - Doch. sind alle mit dabei. Auf der einen Seite reden Sie von (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein!) Gemeinsamkeit und Demokraten, und auf der ande- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17007 Dr. Wolfgang Schäuble ren Seite organisierten Sie die nächste Volksfront. Ich wollte gerade sagen: Wir sind vielleicht alle Das paßt nicht zusammen. nicht ganz vor der Versuchung gefeit, nicht nur an das Wohl des Landes zu denken, sondern auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daran, daß wir überzeugt sind, selber den besseren Entweder oder - mit dieser Art von Doppelstrategie Weg für die Zukunft des Landes zu haben, und des- wegen für eine Mehrheit und für unsere Politik (Klaus Lennartz [SPD]: Wer schreit hier kämpfen. eigentlich?) Nur, wenn Sie in einem Zusammenhang davon re- entlarven Sie sich und die Glaubwürdigkeit Ihrer den, daß man über die Probleme des Landes wahr- Handschrift. heitsgemäß und problemorientiert diskutieren muß, (Jörg Tauss [SPD]: Lächerlich!) Herr Lafontaine, dann können Sie nicht so tun, wenn Sie ernstgenommen werden wollen, als seien die - Ich finde das überhaupt nicht lächerlich. Es ist tod- schweren Sorgen, die wir mit der Arbeitslosigkeit traurig, daß wenige Jahre nach der deutschen Ein- haben - das ist doch völlig unbestreitbar - nur die heit durch eine Zusammenarbeit von SPD, Grünen - Folgen der Politik der Bundesregierung und der Ko- die sind genauso dabei - und PDS in Sachsen-Anhalt alition. Sie gehen völlig an der Wirklichkeit vorbei. regiert wird gegen die stärkste Partei und gegen die Da können Sie doch gar nicht ernstgenommen wer- Gemeinsamkeit der Demokraten. Das, was wir mit den. Herrn Gysi heute erlebt haben, ist Anlaß, daran zu erinnern. Der Bundesfinanzminister Theo Waigel hat ge- stern - Frau Matthäus-Maier, es war ein bißchen (Jörg Tauss [SPD]: Ablenkung! - Friedhelm schade um Ihre Nichtantwort -, in einer ungewöhn- Julius Beucher [SPD]: Und Ihre Blockflö lich klugen und die Probleme in den Gesamtzusam- ten?) menhang stellenden Einbringungsrede für den Bun- - Verzeihen Sie, beim Einzelplan des Bundeskanzlers deshaushalt darauf hingewiesen, wird über die Lage der Nation und über die Verhält- nisse in Deutschland insgesamt geredet. Das gehört (Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Wieso fällt mit dazu, auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen. Ihnen der Waigel beim Stichwort Arbeitslo Ich finde Sie in Ihrem Engagement für die Überwin- sigkeit ein?) dung der Folgen der deutschen Teilung unglaubwür- daß wir eine sehr gespaltene Situation haben. Wir dig, solange Sie mit der PDS gemeinsame Sache ma- haben am heutigen Tag die Meldung, daß wir im chen. zweiten Quartal dieses Jahres im Schnitt 2,9 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) reales Wirtschaftswachstum haben. - Weil Sie davon geredet haben, daß man vor den (Peter Conradi [SPD]: Ein Nachruf nach Wahlen den Wählern die Wahrheit sagen soll - dazu dem anderen!) fordern wir uns ja immer gegenseitig auf -: Dazu ge- hört auch, daß Sie vor den Wahlen so tun, als würden Das ist doch nicht schlecht. Aber wir haben am sel- Sie mit der PDS keine gemeinsame Sache machen, ben Tag die Meldung, daß es im August 4,4 Millionen wie Sie es in Sachsen-Anhalt gemacht haben. Arbeitslose gibt. Das ist verheerend. Beides gehört 24 Stunden nach der Wahl bilden Sie entgegen allen zusammen. Deswegen wäre es gescheiter, wenn wir Ankündigungen mit der PDS faktisch eine Koalition. in der Debatte an das angeknüpft hätten, was Theo Das ist die Wahrheit, und das dürfen wir für das Waigel schon gestern in seiner Einbringungsrede ge- nächste Jahr auch erwarten. sagt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU) Die Tatsache, daß es gute Nachrichten gibt - wir Herr Ministerpräsident Lafontaine, haben doch eine Menge Erfolg gehabt - und daß es schlechte Nachrichten gibt, hat doch entscheidend (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ damit zu tun, daß sich die Welt in einem ungeheuren CSU]: Er hört wieder einmal nicht zu!) Tempo verändert. „Globalisierung" kann man es nennen. Ich nenne weiter: Veränderungen in der in- Sie haben davon gesprochen, es ginge dem Bundes- dustriellen Arbeitswelt durch technologische Revolu- kanzler und der Koalition Ihrer Meinung nach mehr tion, Veränderungen in der sozialen Wirk lichkeit un- damm, die Macht zu bewahren und sie in den näch- seres Landes - ich möchte als Beispiel die demogra- sten Wahlen wieder zu gewinnen, als die Probleme phische Entwicklung, die Tatsache, daß die Men- des Landes zu lösen. schen länger leben, und den Sachverhalt, daß wir in ( [Wiesloch] [SPD]: Das Großstädten 50 Prozent Ein-Personen-Haushalte ha- sagt Weizsäcker!) ben, anführen - und dergleichen mehr. Dann kommt Herr Lafontaine so plump daher. Die 3 Millionen Ar- - Er hat uns doch den Vorwurf gemacht. beitsplätze, die in den 80er Jahren in diesem Land (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Er hat Weiz entstanden sind, sind nicht allem von der Regierung säcker zitiert! - Jörg Tauss [SPD]: Es ist geschaffen worden. Das war das Ergebnis des Enga- trotzdem wahr!) gements von Arbeitgebern und Gewerkschaften in unserem Lande, einer gesamtgesellschaftlichen und - Ist doch in Ordnung. wirtschaftlichen Anstrengung, und auch das Ergeb- 17008 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Wolfgang Schäuble nis einer richtigen Politik. Daran müssen wir anknüp- Sie haben die auch nicht erfreuliche Situation auf fen. dem Lehrstellenmarkt angesprochen und haben ge- sagt, sie stelle sich so dar, wie sie in diesen Tagen be- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber es gibt schrieben worden ist. Die Wirklichkeit ist differen- bessere Antworten!) zierter und komplizierter - das hat der Bundeskanz- - Ja, es gibt auch eine Reihe von Problemen, an de- ler zu Recht angesprochen -, als es an Hand der Zah- ren Lösung wir weiter arbeiten müssen. len, etwa der Zahl 150 000, den Anschein hat. Aber niemand kann zufrieden sein, wenn wir so große (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Probleme haben, für alle jungen Menschen, die aus- DIE GRÜNEN]: Bündnis für Arbeit!) bildungsfähig und ausbildungswillig sind, die ge- Ich sage: Wir müssen das Tempo der Innovation wünschten oder die notwendigen Ausbildungsplätze beschleunigen. zu finden. (Detlev von Larcher [SPD]: Dann los!) (Jörg Tauss [SPD]: Wäre ja noch schöner!) Frau Matthäus-Maier, ich habe aus den letzten Jah- Es hat sich übrigens kaum jemand persönlich stärker ren die Erinnerung behalten, daß immer, wenn es dafür engagiert, daß das Problem gelöst wird, als der darum ging, konkrete innovatorische Prozesse in Bundeskanzler Helmut Kohl, dem dafür auch einmal unserem Land voranzubringen - damit wir, wie der gedankt werden soll. Bundesfinanzminister gefordert hat, in der Lage sind, auf weltweite Entwicklungen angemessen zu reagie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ren -, Sie im Bremserhäuschen waren. Heute haben ordneten der F.D.P.) Sie das wieder gemacht. Ich habe übrigens früher als andere von dieser (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Stelle aus immer wieder darauf hingewiesen, auch ordneten der F.D.P.) die Verantwortlichen in der Wirtschaft und zwar auch die in der Großindustrie - das Handwerk ist ja Die Art, wie Sie teilweise - Sie, Herr Fischer, in die- nach wie vor vorbildlich in seiner Ausbildungsbereit- sem Fall besonders - über die Privatisierung gespro- schaft -, daß die Glaubwürdigkeit und Legitimität chen haben, verkennt doch völlig, daß, wenn es eine der Reformansätze, die wir alle miteinander, Politik, Antwort auf die Entwicklungen unserer Zeit und der Wirtschaft, Gewerkschaften - alle, denen das Schick- Welt von heute und morgen gibt, sie ganz sicher lau- sal unseres Landes nicht gleichgültig ist -, betreiben tet, daß die großen bürokratischen Strukturen nicht müssen, nicht zuletzt dadurch eine Bestätigung er- in der Lage sind, angemessen schnell zu reagieren. fahren, daß es gelingt, rechtzeitig und genügend (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ausbildungsplätze im Jahre 1996, im Jahre 1997 und DIE GRÜNEN]: Richtig!) darüber hinaus zu schaffen. - Deswegen ist Privatisierung der richtige Weg, (Vorsitz: Vizepräsident Dr. ) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber nicht so!) Nun sagen Sie wieder: Wir machen eine Ausbil- und deswegen ist die Privatisierung der Telekom der dungsumlage, wenn es nicht funktioniert. richtige Weg. Das bekämpfen Sie. (Jörg Tauss [SPD]: Wenn es nicht funktio (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge niert!) ordneten der F.D.P. - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wenn Sie privatisieren wollen, müs Sie machen da wieder den Fehler, daß Sie aus der sen Sie privatisieren!) Unzufriedenheit mit einer Situation heraus - sie tei- len wir; niemand ist mit der Lage auf dem Ausbil- Welchen Widerstand haben Sie geleistet, bevor wir dungsmarkt, wie sie im Augenblick erscheint, zufrie- die Postreform und die Bahnreform zustande bringen den - zur Lösung des Problems nach den großen bü- konnten! rokratischen Strukturen greifen, die zur Lösung der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Probleme ungeeignet sind. Das ist der falsche Weg. Deswegen lehnen alle diejenigen, die in Ihrer Partei Wenn Sie jetzt bessere Einsichten gewonnen haben, konkret Verantwortung für die wirtschaftliche Ent- ist das ja zu begrüßen. wicklung tragen, das ab. Der Wi rtschaftsminister von Schleswig-Holstein - der Kollege Dietrich Auster- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Es hat mann hat ja gestern den Artikel aus der FAZ zitiert; lange gedauert!) ich habe ihn ebenfalls mitgebracht, wenn Sie ihn Es interessiert mich überhaupt nicht, daß in 12 Mo- noch einmal hören wollen -, der Wi rtschaftsminister naten Wahl ist. Wir haben in dieser Legislaturpe riode von Nordrhein-Westfalen - ich weiß nicht, wer a lles noch 12 Monate vor uns, in denen wir gemeinsam noch -, also alle diejenigen, die sich konkret für die noch eine Menge voranbringen können, um die Ar- wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich fühlen, beitslosigkeit in unserem Lande zu bekämpfen. Das haben ja inzwischen verstanden, daß die großen ist das vorrangige Thema. bürokratischen Strukturen zur Lösung der Probleme ungeeignet sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17009

Dr. Wolfgang Schäuble Wenn wir auf diesen enormen Wandel, der sich mit - Ach, Pleitewelle. Herr Fischer, Ihre Zwischenrufe den Stichworten „Globalisierung", „technologische werden immer schwächer. Revolution" und dergleichen mehr verbindet, ange- messen reagieren wollen, brauchen wir mehr Flexibi- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ lität, brauchen wir mehr Subsidiarität, brauchen wir DIE GRÜNEN]: Nein!) mehr Eigenverantwortung und Engagement in allen Bereichen. Sie waren schon früher nicht so toll, und sie werden immer schwächer. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. - Jörg Tauss [SPD]: „Subsidiarität" steht wörtlich (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ in unserem Gesetz drin!) DIE GRÜNEN]: Die Finanzierung ist nicht Deswegen ist es übrigens falsch, wenn Sie immer klar!) wieder diese Neiddebatte führen. Wir brauchen in al- len Bereichen Veränderungen. Es darf nicht der eine Sie zeichnen sich inzwischen - das fiel mir auch bei gegen den anderen ausgespielt werden. Es gab sogar Ihrer Rede auf, wenn ich Ihnen das sagen darf - nur Ansätze für eine kommunale Arbeitsmarktpolitik. noch durch ein beachtliches komödiantisches Talent Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber können aus. wir uns schnell verständigen. Meine Fraktion arbei- tet seit langem an der Frage: Wie können wir Sozial- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ hilfe, arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium und DIE GRÜNEN]: Das habe ich von Theo Wai subsidiäre Eigenverantwortung der Gemeinden stär- gel!) ker zusammenbringen? Dazu gehört aber auch die Frage: Wie können wir die Schwelle zwischen Trans- Aber Sie tragen nichts mehr zur Substanz der Politik fereinkommen, die richtigerweise ohne eigene Lei- bei. stung bezahlt werden, und geringer bezahlter Arbeit auf dem Arbeitsmarkt so erhöhen, daß es für die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Menschen nicht attraktiver erscheint, gar nicht zu ar- Jörg Tauss [SPD]: Glos ist besser!) beiten, als eine geringer bezahlte Arbeit anzuneh- men? Sie haben einen großen Rivalen. Was komödianti- sches Talent anbetrifft, Herr Kollege Fischer, haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Sie natürlich einen ernsthaften Wettbewerber, und ordneten der F.D.P. - Ingrid Matthäus-Maier zwar in Gestalt des Hamburger Bürgermeisters. Auf [SPD]: Grundfreibetrag!) eine Kanzel zu gehen und zu sagen „Ich würde nie- - Nein, allein mit dem Grundfreibetrag lösen Sie das mals wegen Geld aus der Kirche austreten; ich bin Problem nicht. auch nie aus der Kirche ausgetreten" und dann ver- - gessen zu sagen, daß man nie in der Kirche gewesen (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Alleine ist, das ist schon eine beachtliche schauspielerische nicht!) Leistung. Ich glaube, daß wir intelligentere Lösungen haben. Die Arbeitgebervereinigung hat den Kombilohn ge- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU nannt. sowie bei Abgeordneten der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wir haben seit langem gesagt: In der Sozialhilfe NEN]: Was hat das mit mir zu tun? Bezwei müssen wir die Verrechnung von geringeren Arbeits- feln Sie, daß ich meine Kirchensteuer einkommen und einem Rest Sozialhilfe ändern. Der bezahle?) Bundesgesundheitsminister, , hat in diesen Wochen einen sehr klugen Vorschlag in die - Ich habe Ihr komödiantisches Talent gelobt und be- Tat umgesetzt, die Anrechnung zu verringern. Wenn klagt, daß Sie ansonsten keinen Beitrag zur Substanz wir auf diese Weise vorangehen, haben wir bessere der Politik leisten. Chancen, die Arbeitsmarktprobleme zu lösen. Wenn Sie diese Sozialneiddebatte, Herr Lafon- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ taine, aber so führen, wie Sie es heute wieder getan DIE GRÜNEN]: Einem alten Ministranten haben, dann schaden Sie genau dem Anliegen, die- wie mir so etwas vorzuwerfen! Unglaublich! ses Ziel zu verwirklichen. Denn wenn den Menschen Vom Weihrauchfaß-Schwenken verstehe ich eingeredet wird, es seien nur die sogenannten Bes- mehr als Sie!) serverdienenden und der Staat schuld an ihrem Schicksal, dann ermutigen Sie sie nicht, ihre eigenen Wenn Sie auf die Forderung nach mehr Selbstän- Möglichkeiten im Rahmen dessen, was ihnen gege- digkeit „Pleitewelle" rufen, dann sage ich Ihnen: Es ben ist, zu nutzen. wird vielleicht gescheiter sein, wir machen uns auch an die Novellierung unseres Konkursrechtes in dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sinne heran, daß wir die Bereitschaft zur Existenz- Deswegen brauchen wir mehr Bereitschaft zur gründung nicht durch die lebenslange Haftung für den Fall Selbständigkeit. , daß die Existenzgründung scheitert - - (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Jörg Tauss [SPD]: Wer regiert denn, und DIE GRÜNEN]: Siehe Pleitewelle!) wann wollen Sie anfangen?) 17010 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Wolfgang Schäuble - Wir sind ja dran. Wir machen das ja. Haushalte zu reißen, sondern geeignet ist, die Löcher zu schließen, weil die Steuereinnahmen wieder stei- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gen. DIE GRÜNEN]: Seit wann? Ihr seid seit 14 Jahren dran! Kapitalmarktreform! Ban (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - kensystem!) Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber nur ohne Nettoentla - Ich mache das Schnitt für Schnitt. stung!) Sie haben Selbständigkeit, Unternehmertum in - Langsam! Kollege Michael Glos hat Herrn Schar- diesem Lande durch Ihre Neiddebatten immer diffa- ping schon vorgehalten, man müsse zwischen unse- miert. ren Vorschlägen für 1998 und denen für 1999 unter- (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist doch scheiden. Es macht auch gar keinen Spaß, wenn Sie Quatsch!) unser Bemühen, festzustellen, wo Möglichkeiten ei- ner Einigung sind, nicht differenzie rt betrachten. Wir So schafft man doch nicht das Klima, das man nehmen ja Ihre Erklärungen ernst und versuchen braucht, um die Menschen zu ermutigen, den Schritt dennoch, auszuloten, wo man sich einigen kann. ins Risiko, in die Selbständigkeit zu tun, um Arbeits- plätze zu schaffen. Herr Lafontaine, Sie haben von diesem Pult aus des öfteren erklärt, die Mehrheit im Bundesrat sei (Jörg Tauss [SPD]: Sie lenken nur von Ihrem nur bereit, über eine Steuerreform zu verhandeln, Scheitern ab!) wenn sie zum 1. Januar 1998 in Kraft tritt. Über a lles Wir brauchen ein Klima der Ermutigung. nach der Wahl wollten Sie nicht verhandeln. Das ha- ben Sie oft genug gesagt. Dies halten wir für falsch, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) weil wir glauben, daß eine Steuerreform die Spiel- räume für Nettoentlastungen längerfristig ausloten Deswegen brauchen wir auch eine Steuerreform. muß, wie wir dies übrigens in den 80er Jahren in drei Je schneller wir sie zustande bringen, um so besser. Stufen sehr erfolgreich durchgeführt haben. Herr Ministerpräsident Lafontaine, lassen Sie uns (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) das noch einmal in aller Ruhe gegeneinanderstellen, so daß es vielleicht auch für jemanden außerhalb die- Deswegen schlagen wir vor: Laßt uns ein mittelfri- ses Saales verständlich ist: Wir haben in Bundestag stiges Konzept vereinbaren. Unser Petersberger Kon- und Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten; beide zept ist ja nicht auf 1998 bezogen. 1998 können die sind gleich legitim, denn sie beruhen auf Wählerent- Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden Steu- scheidungen. Sie freut die Mehrheit im Bundestag ermindereinnahmen in Höhe von 30 Milliarden DM nicht, uns freut die Mehrheit im Bundesrat nicht. Das nicht verkraften. Das haben wir nie vorgeschlagen, ist in Ordnung. Wir sind gleichwohl bei- Gesetzen, haben wir auch nicht beschlossen. Vielmehr haben die nach dem Grundgesetz der Zustimmung des wir im Bundestag ein Gesetz beschlossen, das für Bundesrats bedürfen - das sind ja nicht alle -, darauf 1998 die Auswirkungen für die Haushalte der öffent- angewiesen, zu gemeinsamen Lösungen zu kom- lichen Gebietskörperschaften insgesamt men. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Kalkulier Wir sind immer noch davon überzeugt, daß die bar hält!) Konzeption unserer Steuerreform, die wir unter der Federführung von Theo Waigel vorgelegt - Peters- auf 1 Milliarde DM begrenzt. Das ist zumutbar und berger Beschlüsse - und im Bundestag verabschie- verkraftbar. det haben, richtig und angemessen ist. Und wir wer- Wenn Sie also bereit sind, über eine Steuerreform den Woche für Woche durch alle tatsächlichen Ent- zu reden, die über 1998 hinausgeht, müssen wir mit wicklungen und durch alle Sachverständigen in einer Nettoentlastung in der Größenordnung der Wirtschaft und Bundesbank bestätigt. Summe rechnen, die in den Petersberger Beschlüs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sen entwickelt und vorgeschlagen worden ist. Die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden Wenn Sie darauf bestehen, nur über 1998 zu ver- sind gleichermaßen von dem Problem betroffen, daß handeln - was wir für falsch halten -, dann sind wir die- Einnahmen aus der veranlagten Körperschaft auch zu diesem Schritt bereit. Den nächsten können und Einkommensteuer bei hohen Steuersätzen und wir dann halt erst nach der Wahl gehen. Dann blei- einer wachsenden Wirtschaft immer stärker zurück- ben wir in dem Rahmen, den wir festgelegt haben. gehen. Das ist leider so, und das betrifft alle. Die Begrenzung der Einnahmeverkürzungen für den Haushalt 1998 muß dann in der Größenordnung des- (Jörg Tauss [SPD]: Das hat Lafontaine ja sen sein, was im Steuerreformgesetz 1998 beschlos- gesagt!) sen wurde. Auch diesbezüglich sind wir nicht nur ge- sprächs-, sondern einigungsbereit. - Herr Kollege Zwischenrufer, dann könnte man doch gemeinsam zu der Erkenntnis kommen, daß Wenn es allerdings bei der Entlastungsstufe 1998 eine Steuerreform, die das Prinzip verwirklicht, Aus- bleibt, schlagen wir gemeinsam vor - da gibt es über- nahmen von der Besteuerung zu beseitigen und die haupt keinen Unterschied zwischen F.D.P., CDU und Steuersätze insgesamt zu senken, nicht dazu führt - CSU; wir alle sind derselben Meinung -, 1998 wenig- wie Herr Lafontaine gesagt hat -, neue Löcher in die stens den Teil der Beseitigung von Ausnahmetatbe- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17011

Dr. Wolfgang Schäuble ständen, dem auch Sie zustimmen, zu verabschieden. Ich will gar nicht daran festhalten. Ich bin nie ein Sie haben dazu ja gelegentlich schon Presseerklärun- Anhänger der flat tax gewesen. Ich sage Ihnen: Rich- gen abgegeben. Von unserer Seite hat Hans-Peter tig ist, daß wir die Ausnahmen von der Besteuerung Repnik das immer wieder vorgetragen. Vielleicht soweit irgend möglich beseitigen und das gleichzei- können wir uns auf die Beseitigung einiger Schlupf- tig dazu nutzen - Herr Bundesfinanzminister, wir ha- löcher verständigen, um damit die Steuersätze - aber ben das gemeinsam erarbeitet -, alle Steuersätze, alle, vom Eingangssteuersatz bis zum Spitzensteuer- den Eingangssteuersatz, die Steuersätze für mittlere satz - zu senken. Einkommen und die Steuersätze für höhere Einkom- men, gleichmäßig und gleichgewichtig zu senken. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ist es!) Das ist der Inhalt unserer Steuerreformkonzeption. Nur das macht Sinn. Das können wir in einer ersten Stufe notfalls auch Sie wissen ganz genau: Wenn wir die Spitzensteu- mit geringen Auswirkungen für den Haushalt 1998 ersätze nicht senken, können wir das Problem nicht verwirklichen. Darüber sollten wir in den nächsten lösen, daß ein immer größer werdender Teil derjeni- Stunden und Tagen vernünftig reden und rasch zu gen, die höhere Steuersätze zu bezahlen hätten, sie einem Ergebnis kommen. Es würde die Chancen für nicht bezahlen, weil sie entweder ihre Einkünfte ins weniger Arbeitslosigkeit in unserem Land verbes- Ausland verlagern oder weil sie legale, zum Teil auch sern. illegale Schlupflöcher nutzen, um sich der Besteue- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge rung zu entziehen. ordneten der F.D.P.) Wenn es dabei einen Zweifel gegeben hätte, daß Eine zweite Bemerkung: Herr Kollege Scharping, Sie das verstanden haben, dann, Herr Lafontaine, ha- Sie haben heute morgen in Ihrer Rede - ich habe es ben Sie ihn selber beseitigt, indem Sie einen Vor- mir aufgeschrieben - sinngemäß gesagt: Laßt uns schlag gemacht haben, über den ich einen Moment doch jetzt wenigstens mit einem ersten Schritt zur lang gedacht habe: Mein lieber Mann, ob er sich das Senkung der Lohnnebenkosten beginnen. genau überlegt hat? Sie, Herr Lafontaine, haben etwas Bemerkenswer- Sie haben vorgeschlagen, einen Mindeststeuersatz tes gemacht. Sie haben eine Erhöhung der Mehr- von 20 Prozent einzuführen. wertsteuer ganz schlechtgeredet. Sie haben gesagt, der Einzelhandel könnte keine Erhöhung der Mehr- (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar wertsteuer verkraften. land]: Wie in den Vereinigten Staaten!) (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar - In den Vereinigten Staaten nennt man das flat tax. land]: Habe ich nicht gesagt!) Da zahlen alle oberhalb eines Freibetrags für ihr Ein- - Doch, das haben Sie hier gesagt. Unmittelbar vor kommen denselben Prozentsatz. - mir haben Sie gesagt, eine Mehrwertsteuererhöhung Sie führen eine Sozialneidkampagne gegen uns, wäre ganz schlecht. Das Handwerk und den Einzel- weil wir unseren Spitzensteuersatz von 53 Prozent handel haben Sie angesprochen. Sie müssen das Pro- auf 40 Prozent absenken wollen. Gleichzeitig schla- tokoll schon ziemlich umschreiben, wenn das nach- gen Sie vor, einen Mindeststeuersatz von 20 Prozent, her nicht mehr drinstehen soll. der im Ergebnis der Spitzensteuersatz ist, einzufüh- ren. Haben Sie denn noch alle Tassen im Schrank? (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie wol len es nicht verstehen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Sie sollten bei dem, was Sie hier sagen, nicht ver- ordneten der F.D.P.) gessen, daß Sie gerade mit Ihrer Mehrheit im Ver- Wenn Sie diesen Vorschlag verwirklichen, dann mittlungsausschuß eine Erhöhung der Mehrwert- führt er dazu, daß ein Steuerpflichtiger, der die ent- steuer vorgeschlagen haben. So schlecht kann sie sprechenden steuerlichen Möglichkeiten nutzt, für also nach Ihrer Auffassung auch nicht sein. jede zusätzliche Mark auch dann, wenn er über 1 Mil- Ich sage Ihnen jetzt, worüber wir uns einigen lion DM oder 1,1 Million DM Einkommen verfügt, könnten. Ich stimme Ihnen zu, daß die Rentenreform nicht 40 Prozent oder wie heute 53 Prozent Einkom- nach dem Grundgesetz nicht der Zustimmung des mensteuer bezahlt, sondern 20 Prozent. Das ist für Bundesrats bedarf. Sie ist eine Gesetzgebungsmate- uns keine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. rie, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf. (Beifall bei der CDU/CSU) Es spricht gleichwohl viel dafür - deshalb unter- Deswegen glauben wir, daß unser Reformansatz stütze ich Norbert Blüm, ich habe ihn immer der richtige ist. unterstützt -, in der Rentenpolitik zusammenzuarbei- ten, weil die Reform eine sehr langfristige ist. Wenn (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das war es aber nicht geht, weil Sie sagen: Das machen wir nicht sonderlich intelligent, sondern milch nicht, dann machen wir es auch alleine. mädchenhaft! - Zuruf des Abg. Rudolf Scharping [SPD]) Aber eine Erhöhung von Verbrauchsteuern - je- denfalls der Mehrwertsteuer - bedarf, außer der Mi- - Es ist so, Herr Scharping. Sie wissen das selber. Der neralölsteuer, der Zustimmung des Bundesrates. Mindeststeuersatz, den Lafontaine vorgeschlagen Herr Kollege Lafontaine, selbst Sie und die SPD ha- hat, hat genau diese Wirkung. ben gesagt, eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 17012 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Wolfgang Schäuble 15 Pfennig in einem Schritt ist aus wirtschaftspoliti- sichts der demographischen Entwicklung - es ist er- schen Gründen nicht zu verantworten. Sie haben freulich, daß die Menschen länger leben; weniger er- darin recht. Verursachen wir doch keine Differenzen freulich ist, daß wir weniger Kinder haben - kommt in Punkten, in denen wir uns bisher einig waren. Das doch niemand, der auf längere Sicht - Herr Fischer, ist auch die Position der SPD: Die Mineralölsteuer ist es geht also um Ihre Generation und die nächsten ein Kostenfaktor, und schockartige Veränderungen Generationen - die Renten sichern wi ll, darum sind immer schwierig. herum, diese demographische Entwicklung in der Rentenformel zu berücksichtigen. In der Koalition gibt es in der Frage, ob man die Mineralölsteuer nicht behutsam Schritt für Schritt er- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ höhen kann, unterschiedliche Positionen. Lieber DIE GRÜNEN]: Habe ich etwas anderes Himmel, das ist so aufregend nun nicht. Das habe ich gesagt?) oft gesagt. Meine Meinung dazu kennen Sie. Warum wird denn das Reformwerk von Norbe rt Aber Sie können das Problem einer Senkung des Blüm und der Koalition von der SPD so diffamiert, Rentenversicherungsbeitrags um einen Prozentpunkt wenn es unausweichlich notwendig und richtig ist, - das kostet nämlich 15 Milliarden DM - nach Ihrer die demographische Entwicklung in der Rentenfor- eigenen Auffassung nicht allein über die Mineralöl- mel zu berücksichtigen? steuer lösen. Deswegen brauchen wir dafür die Mehrwertsteuererhöhung. Ihre Forderung, dies bis (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: zum 1. Oktober 1997 zu verwirklichen, geht tech- Wahlspektakel!) nisch nun wirklich nicht. Es ist auch sehr schwierig, Ihre Position ist reines Umfinanzieren: Steuern her- die Mehrwertsteuer jetzt noch zum 1. Januar 1998 zu auf, Beitrag herunter, ansonsten nichts einsparen. So erhöhen; denn natürlich haben zum Teil die Versand- senken wir die Staatsquote nicht. Aber die Staats- häuser ihre Kataloge schon gedruckt. Eine solche Er- quote ist zu hoch. Deswegen brauchen wir beides: höhung ginge natürlich auch in die Preiskalkulation Strukturreform und Umfinanzierung; aber eben nicht ein. nur Umfinanzierung, sondern auch Strukturreform. Trotzdem hat die Koalition, haben CDU, CSU und Der zweite Punkt ist genauso falsch; dabei geht es F.D.P. in einer Entschließung in der Sitzung des Bun- umdie versicherungsfremden Leistungen, mit de- destags Anfang August vorgeschlagen: Laßt uns zum nen Sie argumentieren. Das macht sich zwar gut. 1. Januar 1998 den Rentenversicherungsbeitrag um Man kann die Leute leicht aufhetzen; das tun Sie ge- einen Prozentpunkt senken und dieses durch eine Er- legentlich gerne. Sie haben mit den versicherungs- höhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt fremden Leistungen viel vor und erzählen, wie Sie finanzieren. diese bei den Aussiedlern berücksichtigen wollen Wenn Sie sagen, jetzt müsse schnell ein Schritt ge- oder gegen wen es Ihnen paßt, die Propagandamüh- macht werden, dann erklären Sie doch jetzt- hier und len zu drehen. heute, im übrigen unbeschadet unterschiedlicher Wenn Sie alle versicherungsfremden Leistungen Meinungen zur Rentenreform: Sind wir uns in der konsequent aus der Rentenversicherung herausneh- Frage, Rentenversicherungsbeitrag und Arbeitsko- men, haben Sie keine solidarische Rentenversiche- sten zu senken und dafür einen maßvollen Schritt zu rung mehr, sondern ein System, bei dem jeder mit tun, die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zum Hilfe der Versicherungsmathematik und der Lebens- 1. Januar zu erhöhen, einig? Dann können wir es ge- erwartung ausrechnet, was er in die Versicherung meinsam machen. Im übrigen streiten wir über die einbezahlt hat und wieviel er zurückbekommen richtige Rentenpolitik und ob es do rt Gemeinsamkei- kann. Das ist dann eine private Lebensversicherung; ten gibt. dazu brauchen Sie keine solidarische Rente. Wenn Sie es heute oder morgen erklären - das Unsere solidarische Rente beruht auf dem Gedan- kann man dann im Vermittlungsausschuß schnell zu ken der Solidarität und des Ausgleichs. Darüber Ende bringen, schon nächste Woche können wir dem waren wir uns bei der Rentenreform Anfang der 90er mit Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat Jahre übrigens noch einig. zustimmen -, dann haben wir, Herr Scharping, den , Schritt, den Sie hier konkret gefordert haben. Wenn (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Sie es aber damit verknüpfen, daß Sie sagen: Nur DIE GRÜNEN]: Dann aber auch die Beam wenn ihr die an sich nicht zustimmungsbedürftige ten hinein!) Rentenreform so macht, wie wir es uns vorstellen, Ich kann Ihnen das vorlesen, wenn Sie wollen. Wenn weil Sie im letzten Vermittlungsverfahren vor Herrn Sie die versicherungsfremden Leistungen aus der Dreßler eingeknickt sind - so war doch der Ablauf -, Rentenversicherung herausnehmen, dann geht das dann blockieren Sie auch wieder in dieser Frage, ob- Prinzip der Solidarität in der Rentenversicherung flö- wohl wir uns an sich in der Sache einig sind. Das soll- ten. Dann ist es nicht mehr diese Republik und nicht ten Sie nicht tun. mehr dieser Sozialstaat. Deswegen wollen wir das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nicht. ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt will ich Ihnen dazu noch etwas sagen. Ihre Im übrigen ist der Streit für die Bürger in Wahrheit Position in der Rentenversicherung ist aus meiner doch völlig uninteressant. Denn das, was Sie in Ihren Sicht in zwei Punkten wirklich falsch. Erstens: Ange Reden als versicherungsfremde Leistungen sehr be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17013 Dr. Wolfgang Schäuble tredt brandmarken - allerdings wahrheitswidrig -, is Zweitens nehme ich an diesem Tag abends an durch den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung einer Podiumsdiskussion teil, die von Unterzeichnern längst abgedeckt. Wir haben ja einen Zuschuß zur der Erfurter Erklärung veranstaltet wird, Rentenversicherung, der übrigens der größte Einzel- posten auch in den Haushalten 1997 und 1998 ist. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! - Hanne Über 80 Milliarden DM Bundeszuschuß zur Renten- lore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Schä versicherung! men Sie sich!) wo ich die Gelegenheit nutzen werde, Grundauffas- Wenn wir diesen Bundeszuschuß nach unseren sungen - meine und die der SPD - zur deutschen Vorstellungen um weitere 15 Milliarden DM erhöhen Politik zu artikulieren, und etwas mit Selbstverständ- wollen, uni den Rentenversicherungsbeitrag entspre- lichkeit tue, was ich für angemessen halte, nämlich chend abzusenken, dann gibt es überhaupt keine die demokratische, die inhaltliche politische Ausein- reale Grundlage mehr für eine Debatte über versi- andersetzung mit anderen Parteien zu betreiben, cherungsfremde Leistungen in der Rentenversiche- zum Beispiel mit Positionen der PDS. rung. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Er hat (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gesagt, er lädt mit dazu ein! Herr Schäuble, ordneten der F.D.P.) das müssen Sie jetzt zurücknehmen!) Wir wollen die Unterschiede gar nicht einebnen. Ich kann nicht sehen, was daran in irgendeiner Aber dort, wo gemeinsames Handeln notwendig und Weise dem Tag der Deutschen Einheit unangemes- möglich ist, wo es also darum geht, gemeinsam zu sen wäre - es sei denn, Sie meinten, an diesem Tage handeln, lassen Sie uns doch jetzt eine erste Stufe sollten nur Reden in Stuttga rt gehalten werden, an- der Steuerreform mit Auswirkungen, die für die derswo sollte nicht politisch debattiert werden. Ich Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden ver kann mir nicht ernsthaft vorstellen, daß Sie dies mei- kraftbar sind, nach gemeinsamer Überzeugung ma- nen. chen, und lassen Sie uns ferner den Rentenversiche- rungsbeitrag senken, indem wir es insoweit machen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wie wir Gemeinsamkeit haben. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Dann hätte diese Debatte mehr Sinn als alle Ihre Reden. Denn in der Zeit, in der wir angesichts der Si- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Abgeord- tuation unseres Landes sind, angesichts der unge- neter Schäuble, Sie können darauf antworten. heuren Veränderungen und angesichts der Gefah- renpotentiale, die neben allen Chancen darin auch liegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist Reden Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Präsi- - in diesem Fall nur Silber und Handeln Gold. Handeln dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol- Sie mit uns! lege Thierse, alles das, was Sie jetzt gesagt haben, ändert nichts an dem, was ich gesagt habe. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] (Zurufe von der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht - Sehen Sie, das ist der Unterschied: Wir hören Ihnen doch der falsche Kanzlerkandidat!) immer zu, ,wir lassen Sie immer ausreden, ohne Sie zu stören, auch wenn wir das, was Sie sagen, für falsch halten. Sie dagegen fangen sofort an dazwi- Zu einer Kurz- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: schenzureden, wenn wir nur den ersten Satz sagen. intervention gebe ich dem Abgeordneten Wolfgang Das ist der Unterschied. Thierse das Wort. Ich wiederhole das, was ich bereits gesagt habe: Erstens. Die Erfurter Erklärung ist eine Aufforderung Wolfgang Thierse (SPD): Herr Kollege Schäuble, zu gemeinsamer Regierungsverantwortung von SPD, Sie haben in Ihrer Rede die Behauptung aufgestellt Grünen und PDS. Ich habe sie da. Sie ist auch von und den Eindruck erweckt, daß ich am 3. Oktober an Sozialdemokraten unterschrieben. einer Gegenveranstaltung zur offiziellen Veranstal- tung zum Tag der Deutschen Einheit teilnehme und Zweitens. Ich habe wirklich nicht von der Veran- mich insofern an „Volksfrontambitionen" beteilige. staltung des Zentralkomitees der deutschen Katholi- ken gesprochen, sondern von der Einladung zur Ver- Ich möchte Ihnen dazu erstens mitteilen, daß ich sammlung im Zusammenhang mit der Erfurter Erklä- an diesem Tage an einer Veranstaltung des Zentral- rung am 3. und 4. Oktober 1997 in Erfurt: „Einheit komitees der deutschen Katholiken, dessen Mitglied verpflichtet, sie soll dem Wohl der Allgemeinheit die- ich bin, in Erfurt teilnehme. nen. " Die ganze Veranstaltung soll den Appell der Erfurter Erklärung - Volksfrontregierung gemeinsam (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Schämen mit SPD, Grünen und PDS - am Tag der Deutschen Sie sich, Herr Schäuble!) Einheit erneuern. Daran beteiligen Sie sich. Daran würde ich mich als Sozialdemokrat nicht beteiligen. Diese Tagung befaßt sich mit dem Thema „Dialog und Verantwortung von Ch risten in der heutigen Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - sellschaft" . Zurufe von der SPD) 17014 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es liegen keine letzung von Menschenwürde, die wir nicht hinneh- weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aus- men, was notwendige Auseinandersetzungen um in- sprache zu diesem Geschäftsbereich. ternationale Einsätze der Bundeswehr und ge- schichtlichen Militarismus und andere Dinge selbst- Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Gysi das Wo rt zu verständlich mit einschließt. Das werden wir auch zu- einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung. künftig tun, genauso wie wir für die Freiheit des Tucholsky-Zitats sind. Dies wollte ich in diesem Zu- Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- sammenhang bemerken. men und Herren! Sowohl der Bundeskanzler als auch Zu dem letzten Hinweis, daß wir uns in Erfu rt an der Kollege Schäuble glaubten in Zusammenhang sozusagen unzulässigen Diskussionen am Tag der mit meinem Hinweis, daß auch bei Spendenverspre- Deutschen Einheit beteiligen: Dazu kann ich nur sa- chen eine Kontrolle angebracht sei, darauf hinweisen gen, wenn die CDU/CSU nicht aufgehört hätte, die zu müssen, wes Geistes Kind ich bin. Es sollte hier Diskussion auch mit linken Wissenschaftlerinnen der Eindruck vermittelt werden, als ob ich ein Kon- und Wissenschaftlern, mit linken Christinnen und trollfetischist wäre, wenn nicht noch Schlimmeres. Christen, mit linken Kulturschaffenden und linken Dies würde auch meine Herkunft besonders deutlich Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu führen, wä- zeigen. ren wir in dieser Gesellschaft weiter. Hierzu möchte ich erstens erklären, Herr Bundes- (Beifall bei der PDS) kanzler und Herr Schäuble, daß Sie nicht falsch Zeugnis reden sollten. Sie wissen, daß das nicht stimmt. Es ist völlig klar, daß ich dafür bin, daß man Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir setzen die Leute, die versprechen, zu spenden, dahin gehend Haushaltsberatungen fo rt und kommen zum kontrolliert, ob sie es tatsächlich tun. Sonst gäbe es Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzel- zu viele Versprechen, die nicht eingehalten werden. plan 05. Das Wort hat der Bundesminister des Aus- wärtigen, Dr. Klaus Kinkel. Zweitens. Ich bin zum Beispiel auch für eine Kon- trolle, wenn man Hunderte Millionen an die Vulkan- werft überweist und dann nicht mehr weiß, ob sie Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: wirklich an die ostdeutschen Werften gegangen sind, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wie man es vorgesehen hatte. der FAZ ist heute zu lesen: Aber ich bin gegen eine Kontrolle, ich bin gegen Deutschland ist zur Zeit mit sich selbst beschäf- ein Spionieren auf der Ebene, auf die Sie sich gerade tigt. Die Perspektive verengt sich zunehmend auf verständigt haben, nämlich zum Beispiel auf der die Kontroversen im Inneren, und der Blick über Ebene, daß man in private Wohnungen hineinhört. die nationalen Grenzen hinaus fällt schwer ... So etwas können Sie mir nicht unterstellen.- Des Gei- Daran ist etwas Richtiges. Es darf aber natürlich nicht stes Kind bin ich nicht, und so etwas würde ich auch richtig sein. Bei all den Problemen, die wir im Innern nie befürworten. Dies kommt aus Ihrer Richtung, haben, müssen wir wahrhaftig daran denken, daß nicht aus meiner. außen- und sicherheitspolitische Fragen für dieses Der Bundeskanzler hat zweitens noch einmal auf Land wichtig sind und von ihnen ganz entscheidend das Hamburger Plakat hingewiesen und dabei auch abhängt, wie es hier im Innern weitergeht. auf mich und andere Mitglieder der Gruppe verwie- Anfang des Jahres standen wir vor nicht ganz ein- sen. Ich hatte mich vorhin bereits davon distanziert fachen außenpolitischen Weichenstellungen. Vor uns und möchte die Gelegenheit nutzen, den sehr kurzen lagen drei große Konferenzen: der Europäische Rat, Beschluß des Bundesvorstandes der Partei dazu zu die NATO-Gipfelkonferenz und der Weltwirtschafts- verlesen, damit dies auch klargestellt ist: gipfel, in Amsterdam, Madrid und Denver. Heute Der Parteivorstand der PDS distanziert sich von können wir wirklich sagen, daß wir die Hauptziele dem Plakat der Hamburger PDS „Soldaten sind erreicht haben. Die Tür für ein modernes, ungeteiltes Mörder" und dem konkretisierenden Zusatz Europa mit einer gemeinsamen Währung und ge- „Soldaten benutzen bisweilen Schaufeln statt meinsamer Sicherheitspolitik nach innen und nach Gewehre". außen ist geöffnet worden. Dies ist ganz unbestreit- bar auch ein Erfolg dieser Bundesregierung.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Gysi, ich muß Sie unterbrechen. Eine Erklärung nach ten der CDU/CSU) § 30 der Geschäftsordnung darf nur dazu dienen, Unsere Partner schauen auf uns, bauen auf entweder eigene Erklärungen richtigzustellen oder Deutschland als Lokomotive für Europa und als Kraft auf Gegenstände hinzuweisen, die sich auf Sie per- für weltweite Stabilität. Deshalb ist es so enorm wich- sönlich beziehen. tig, daß wir Kurs halten. Wir werden das insbeson- dere bei den beiden jetzt anstehenden Weichenstel Dr. Gregor Gysi (PDS): Hier ist mir die Verantwor- lungen für das moderne Europa: bei der zügigen Er- tung für dieses Blatt nachgesagt worden. Ich wollte weiterung und Öffnung von EU und NATO und bei damit sagen, daß der Bundesvorstand und damit der Einführung eines stabilen Euro zum 1. Januar auch ich uns von diesem Plakat distanziert haben, 1999. Bonn und Paris, Gott sei Dank nach wie vor weil dahinter auch Arroganz steht und auch eine Ver- Motor dieser europäischen Integration, halten - es ist Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17015

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel ganz wichtig, dies zu betonen - ohne Wenn und Aber vor Augen geführt: Der Nahostfriedensprozeß hängt am Zeitplan wie auch an den Konvergenzkriterien im Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes an ei- für den Euro fest, weil dieser Euro gut für Europa ist, nem seidenen Faden. Ich bin sehr dankbar dafür - weil er für ganz Europa, für unsere Arbeitsplätze, für ich habe versucht, darauf hinzuwirken -, daß Made- unsere Exporte und auch - bitte nicht vergessen - für leine Albright ihre Reise nicht abgesagt hat, sondern unsere Glaubwürdigkeit in Europa und in der übri- heute ihren Besuch in der Region beginnt. Die fest- gen Welt wichtig ist. gefahrenen Friedensverhandlungen müssen wieder in Gang kommen; dazu gibt es keine Alternative. Wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wollen als Europäer durch den Botschafter Morati- Deshalb ist die Verschiebungsdiskussion falsch; sie nos, der sich - im positiven Sinne - stärker einge- ist - ich sage es so deutlich und klar - verantwor- schaltet hat - das sage ich ganz offen -, als ich es ur- tungslos und gefährlich, sogar sehr gefährlich. sprünglich vorhergesehen hatte, weiter helfen. Ich habe gerade in den letzten Tagen mit dem Außenmi- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nister der Palästinenser gesprochen, die natürlich in Wir machen hier keine Laborversuche, sondern wir einer verzweifelten Lage sind. Die Abschottung, aus müssen uns in bezug auf den Euro auch von außen Sicherheitsgründen von Israel vorgenommen, treibt her messen lassen. Wenn Sie sich ansehen, wie die den schrecklichen Zirkelschluß von Gewalt und Ge- Kurse weltweit auf ganz bestimmte Erklärungen rea- gengewalt hoffentlich nicht weiter voran. Beide Sei- gieren, und wenn Sie sich im Ausland umhören - ich ten sind jetzt aufgefordert, guten Willen zu zeigen. höre es als Ihr Außenminister tagtäglich -, stellen Sie Ich glaube, wir sollten uns in diesem Deutschen Bun- fest, daß wir sehr genau beobachtet werden, ob wir destag einig sein: Die Rechnung der Terroristen darf in der Lage sind, diesen Euro nun zu bringen oder nicht aufgehen. Es war ganz typisch, daß dieser Ter- nicht. Die Ansehensfrage sollte deshalb bitte nicht roranschlag im Vorfeld der angekündigten Reise von beiseite gekehrt werden. Madeleine Albright erfolgte. Sie sollte unterbunden werden; das war Sinn und Zweck der ganzen Sache. Der Euro wird pünktlich zum 1. Januar 1999- ich Die Palästinenser und Arafat müssen alles in ihrer wiederhole es noch einmal, obwohl es mittlerweile Macht Stehende tun, um dem Terrorismus Einhalt zu als abgedroschen gilt - unter Einhaltung der vertrag- gebieten. Mit aller Vorsicht, weil wir Deutschen - lich vereinbarten Stabilitätskriterien kommen. auch da sind wir uns einig, wie ich weiß - hier keine Das zweite große Vorhaben, das wir in Europa ha- geeigneten Ratgeber sind, sage ich - ich glaube, daß ben, die Erweiterung, wird der Europäische Rat auf das in Israel verstanden wird -: Ein Morato rium in der Basis der Vorschläge der Kommission - Agenda der Siedlungsfrage, in der Frage Ha Homa, wäre sehr 2000 - im Dezember in Luxemburg entscheiden. Die hilfreich. Verhandlungen werden zunächst - wie von der Korn- mission vorgeschlagen - nur mit einigen- mittel- und (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der osteuropäischen Ländern und mit Zypern beginnen. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber - das ist von zentraler Wichtigkeit - die Tür bleibt für alle anderen offen. Wichtig ist auch, daß der Vorschlag, ein baltisches Land, nämlich Estland, Ich füge hinzu - auch da herrscht Einigkeit hier im mit in die erste Kandidatengruppe aufzunehmen, ein Deutschen Bundestag; ich sage das, weil da in den Signal über dieses Land hinaus ist. Alle drei balti- letzten Tagen alle möglichen Äußerungen gemacht schen Staaten gehören zu uns. Sie können auch auf worden sind -: Alle Regierungen in der Nachkriegs- uns zählen. zeit waren sich darin einig, daß die Sicherheitsfragen Israels für uns ein besonders sensibles Problem sind (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU und wir uns darin Israel in besonderer Weise verbun- sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wies den fühlen. loch] [SPD]) Mein neuer türkischer Kollege wird am Freitag (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies erstmals nach Bonn kommen. Auch die Türkei, unser loch] [SPD]) traditioneller Pa rtner und Freund, ein strategisch wichtiger Partner an der Schnittstelle zu Nahost, zum Das heißt nicht, daß wir eine unausgewogene Nah- Kaukasus und zu Zentralasien - sehr oft vergessen -, ostpolitik machen. Im Gegenteil: Gerade weil wir uns muß weiter an Europa herangeführt werden, über bei der Abstimmung über die beiden Resolutionen die jetzige Zollunion hinaus. Aber wir müssen unse- enthalten haben, weil sie total unausgewogen waren, ren türkischen Freunden deutlich und klar sagen, sage ich: Wir alle - ich als deutscher Außenminister, daß es auf absehbare Zeit wohl nicht möglich sein Sie als Abgeordnete - können erhobenen Hauptes in wird, sie zum Vollmitglied in der Europäischen Union sämtliche arabischen Länder reisen, einschließlich zu machen, und zwar einfach deshalb, weil der Weg der palästinensischen Gebiete. Denn es gibt prak- nach Europa zwingend über den Schutz der Men- tisch keinen Ruf nach Unterstützung, der nicht erfüllt schenrechte, eine rechtsstaatliche Lösung der Kur- wird; das gilt bilateral wie multilateral. Ich habe dem denfrage, die Beilegung des türkisch-griechischen Streits und eine Verhandlungslösung des Zypernpro- Außenminister der Palästinenser am vergangenen Freitag zugesagt, daß wir ihn wegen seiner Budget- blems führen muß. lücke von 80 Millionen DM am kommenden Montag Zum Nahen Osten: Der neuerliche schreckliche im Rat und auch gegenüber der Kommission unter- Bombenanschlag in Tel Aviv hat uns allen grausam stützen werden. 17016 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Algerien: Hier in Deutschland fast vergessen, Ter- Es bleibt dabei: Wer den Frieden und die Rückkehr ror mit traurigem Höhepunkt. Wir können relativ we- der Flüchtlinge blockiert - das ist natürlich für uns nig tun. nach wie vor eine ganz zentrale und wich tige Frage -, bekommt keine Wiederaufbauhilfe. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Doch! Abschiebestopp!) (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) Deshalb möchte ich Sie bitten, mich dabei zu unter- Umgekehrt müssen wir den Gemeinden helfen, die stützen, wenn ich alle religiösen, gesellschaftlichen konstruktiv mitmachen. Das ist - hoffentlich - mit der und politischen Kräfte aufrufe, den Weg der nationa- Hilfe des Kollegen Schlee, dem ich für sein Engage- len Versöhnung zu gehen und der Gewalt und dem ment, seinen Einsatz und seine Bereitschaft danke, Terror jetzt ein Ende zu setzen. Auch das algerische auch in der Republik Srpska zumindest in Einzelfäl- Volk hat ein Recht darauf, in Frieden zu leben. len möglich. Immerhin sind 60 Prozent der Flücht- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und linge, die noch in der Bundesrepublik sind, aus der der SPD) Republik Srpska. Rugova war vor zwei Tagen bei mir und sagte: Bitte Meine Damen und Herren, ich habe in der vorver- den Kosovo nicht vergessen. Auch in diesem Punkt gangenen Woche den Herrn Bundespräsidenten müssen wir natürlich Milosevic auf die Füße treten, nach Moskau begleitet. Die NATO-Rußland-Grund- und zwar mächtig. akte und die Entscheidung des NATO-Gipfels von Madrid, in einer ersten Öffnungsrunde Polen, Un- Menschenrechte bleiben für uns Kernstück unse- garn und die Tschechische Republik als neue Mit- res politischen Selbstverständnisses. Sie alle wissen, glieder aufzunehmen, markieren wirklich einen Mei- daß es da keinen Königsweg gibt. Aber: Wer die lenstein auf dem Weg zur Errichtung einer neuen Menschenrechte mit Füßen tritt - leider Gottes findet europäischen Sicherheitsarchitektur. Europas Tren- das noch viel zu häufig auf dieser Welt statt -, der soll nung wird im Einvernehmen mit Rußland überwun- nicht ruhig schlafen können. Deshalb möchte ich den; Europas neue Sicherheit wird im Zusammenwir- mich gern - ich hoffe, daß Sie mich dabei ken mit Rußland gewährleistet. Das ist von histori- unterstützen - für eine möglichst baldige Errichtung scher Bedeutung. Präsident Bo ris Jelzin hat in dem eines effektiven internationalen Strafgerichtshofs Gespräch, das der Bundespräsident und ich zusam- einsetzen. men mit ihm hatten, einen Satz gesagt, den ich nicht (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der so schnell vergessen werde. Er hat erklärt, die Bezie- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hungen Rußlands zu Deutschland seien „die vorran- gigsten unter den vorrangigen" . Wer hätte sich das Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich noch ein vor zehn Jahren träumen lassen? Die- Beziehungen Wort zum Iran sagen. Wir hatten - und wünschen haben sich auf eine Art und Weise entwickelt, für die uns dies wieder - zu diesem 70-Millionen-Volk in wir etwas getan haben und auf die wir gemeinsam strategisch wichtiger Lage enge und freundliche Be- stolz sein können. ziehungen. Der neue Außenminister, den ich aus ver- schiedenen Begegnungen in New York, wo er bisher (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Botschafter war, kenne, hat mit seinen Äußerungen zum Thema „Terrorismus, Vertrauensbildung und re- Zu Bosnien: Was sich in diesen Tagen dort abspielt, gionaler Frieden" ganz zweifellos einen neuen Ton ist äußerst kritisch und zeigt, daß wir wahrscheinlich angeschlagen. Wir begrüßen diesen Schritt; er hat an einem Wendepunkt sind. Der Verweigerungsfront die Hand ausgestreckt, die wir vorsichtig ergreifen in Pale steht jetzt ein innenpolitischer Gegner in wollen. Banja Luka gegenüber. Ich habe Präsident Milosevic in den letzten Tagen massiv aufgefordert, sich in den Ich hoffe, daß sich in New York am Rande der VN- Machtkampf zwischen Pale und Banja Luka hinter Generalversammlung eine Möglichkeit zu einem Ge- die gewählte Präsidentin Plavsic zu stellen, die un- spräch der EU-Troika mit ihm ergibt. Die beste Vor- sere Ansprechpartnerin ist, solange sie den Dayton- aussetzung wäre natürlich, wenn die EU-Botschafter Prozeß unterstützt, ihn implemen tiert und umsetzt, zurückkehren könnten. Das wird nicht geschehen und sich nicht hinter die Hauptgegner des Friedens, unter Diskriminierung des deutschen Botschafters. Karadzic und seine Helfershelfer, zu stellen. Die Wir werden nicht als letzte zurückgehen. Die euro- Hetzkampagnen der von Karadzic gesteuerten Me- päische Solidarität steht. Dafür bedanke ich mich dien sind unerträglich und müssen - notfalls auch mit nachdrücklich und ausdrücklich. Gewalt - unterbunden werden. Das Mandat der (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und SFOR erlaubt dies. Das ist auch schon geschehen; der SPD) wir sollten das unterstützen. Die ausgestreckte Hand wird nicht um jeden Preis Am kommenden Wochenende sind in Bosnien die angenommen. Wir erwarten, daß der Iran posi tive Kommunalwahlen. Sie wissen, wie die kroatische Zeichen setzt und sich völkerrechtskonform verhält. Seite reagiert hat. Ich war gestern zusammen mit Wir erwarten auch, daß im Prozeß gegen den Schrift- dem britischen Außenminister Cook in Hamburg. steller Sarkuhi nach Recht und Gesetz verfahren Wir haben der kroatischen Seite deutlich und klar er- wird. Der Ball liegt eindeutig im iranischen Feld. klärt, daß der vorgesehene Boykott nicht hinnehmbar Nicht wir haben „Mykonos" zu vertreten, sondern ist. die iranische Seite. Deshalb können wir mit Ruhe Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17017

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel und Gelassenheit dem entgegensehen, was da denzen, daß Außenpolitik zum Handlanger inter- kommt. Ich sage nochmals: Wir sollten die ausge- nationaler Standortkonkurrenz werden könnte. streckte Hand ergreifen. (Dr. [F.D.P.]: Nicht bei Was wir uns in Europa vorgenommen haben, ist uns!) eine Herkules-Arbeit, insbesondere deshalb, weil die - Auch darüber wage ich nachzudenken. Aber, Herr Länder, die jetzt ihre Aufnahme in die Europäische Kollege Haussmann, ich gehe jetzt einmal einen Gemeinschaft beantragt haben, über Jahrzehnte Schritt zurück. Es ist immer gut, wenn man, bevor kommunistische, diktatorische Regime hatten und man sich um internationale Politik kümmert, auch keine Marktwirtschaft, sondern eine Kommandowirt- andere Erfahrungen hat. Als ich mich um die Städte schaft. Das wird eine gigantische Anstrengung wer- in Deutschland kümmerte, habe ich gelernt: Zuviel den, weil völlig anders strukturierte Länder in die lokale Standortkonkurrenz ist Kirchturmsdenken. Ich Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden übertrage das auf die internationale Politik: Zuviel sollen. Wir werden und müssen das schaffen. Außenpolitik zugunsten des Standorts ist provinziell. Ich möchte, wenn Sie erlauben, zum Schluß etwas (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne tun, was vielleicht unüblich ist. Aber ich tue es ein- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mal, weil ich gemerkt habe, daß gerade in letzter Zeit Haushaltsfragen, sprich: Stellenabbau und weniger Damit käme man zu der Frage, was zu tun ist. Die Mittel, im Auswärtigen Dienst dazu geführt haben, Antwort ist sehr deutlich: Wir brauchen internatio- daß meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich nale Politik. Außenpolitik muß sich in ihrem Selbst- gerade im letzten Jahr für dieses Land hochmotiviert verständnis hin zu internationaler Politik verändern. geschlagen haben, ein bißchen Unterstützung brau- Sie braucht dazu den Rahmen der UNO. Hier sind chen. Wir sollten stolz auf sie sein. wir an einem wichtigen Punkt. Die Funktionsfähig- keit der UNO ist derzeit durch Meinungsverschie- Ich danke den Haushältern und dem Parlament da- denheiten mit der wirtschaftsstärksten - und bevöl- für, daß immerhin das, was wir benötigen, bereitge- kerungsreichen - Nation, mit den Vereinigten Staa- stellt wurde. Hellen Sie uns noch ein bißchen mehr! ten, beeinträchtigt. Das hat mehr mit der Rolle des Denn wir können Deutschland - unser Land, Ihr Kongresses zu tun als mit der Rolle der Regierung in Land - nach außen nur würdig und so vertreten, wie den Vereinigten Staaten. Sie es alle wünschen und wie wir es unserem Volk schuldig sind, wenn wir die notwendige Unterstüt- Ich komme damit zu der Frage: Wird es nicht die zung des Parlaments haben. wichtigste Aufgabe der europäischen Parlamente sein, hier in einen intensiveren Dialog mit dem ame- Vielen Dank. rikanischen Parlament einzutreten? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sowie bei Abgeordneten der SPD)- ten der F.D.P.) Wir Sozialdemokraten wollen das gerne mit den De- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem mokraten tun. Ich hoffe, Sie von CDU und CSU ha- Abgeordneten Dr. Christoph Zöpel das Wo rt. ben bei den Republikanern genausoviel Erfolg. Daß die UNO funktioniert, wäre die erste Voraus- Dr. Christoph Zöpel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihrer nachdenkli- setzung für eine Weltinnenpolitik, die dann interna- chen Eingangsfrage, Herr Außenminister, nach dem tionale Regeln beachten muß. Ich nenne die beiden wichtigsten: Achtung der Menschenrechte und Ver- Stellenwert internationaler Politik kann ich nur bei- pflichten. Mein Eindruck ist, daß gerade bevölke- pflichtung auf die Nachhaltigkeit. Man kann über rungsreiche und wirtschaftsstarke Staaten ihrer poli- die weltweite Wirkung der Medien viel diskutieren. tischen Verantwortung als Teile der internationalen Ein positives Ereignis ist, daß es der UNO gelungen Gemeinschaft immer weniger gerecht werden. Nicht ist, weltweit diese Vokabel, Sustainability oder Nach- an allem auf dieser Welt ist das politische System haltigkeit, zu einem Leitgedanken von Politik zu ma- schuld, sogar für immer weniger. Aber gerade dafür chen. trägt das jeweils nationale politische System eine er- (Beifall bei der SPD) hebliche Verantwortung. Ich halte die Achtung von Menschenrechten und Sustainability angesichts der Globalisierung für die (Beifall bei der SPD) beiden wichtigsten Aufgaben. Wenn man das so sagt - vor allem hier heute mit- Ich halte aber an Weltinnenpolitik fest. Diese fängt tag -, kommt man fast ins Nachdenken und fragt zu Hause an. Was wir, so glaube ich, am wenigsten sich: Was ist Außenpolitik eigentlich noch, Herr merken, ist, daß, sosehr Außenpolitik zu internatio- Außenminister, in einer global vernetzten Welt, in naler Politik und Weltinnenpolitik wird, umgekehrt der Unternehmensentscheidungen, Finanzströme Innenpolitik automatisch immer mehr internationale und vor allem Informationen in einer Weise global Politik wird. Es ist eine provinzielle Kurzsichtigkeit, vernetzt und international sind, wie wir es täglich wenn überhaupt noch Innenpolitik in Deutschland diskutieren? Wir kommen dann ganz schnell zu be- gemacht wird, ohne daß ihre internationalen Wirkun- stimmten Schlagworten. Die gängigste Vokabel, gen reflektiert werden. wenn wir in globalen ökonomischen Dimensionen denken, lautet „Standort". Manchmal gibt es Ten- (Beifall bei der SPD) 17018 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Christoph Zöpel Ich will das an einem Auseinandersetzungsfeld Der Konflikt, der im Augenblick akut ist, ist von Ih- verdeutlichen, das wir aktuell haben und das viele nen angesprochen worden. Jeder Tote im Nahen und besonders bewegt: die Frage der inneren Sicherheit. Mittleren Osten, der nicht hätte sterben müssen, Dazu kann man sich viele inte rnationale Gedanken wenn alle friedfertiger wären, ist zu bedauern. Das machen. Ich glaube, man kann über die Medien viel sage ich an dieser Stelle. Ich gehe jetzt aber einen lernen, was man gegen Gewalt in Städten tun Schritt weiter: Europa ist bei diesem Konflikt kein Be- könnte, zum Beispiel aus New York. Da muß man obachter, sondern Europa ist wegen der regionalen aufpassen; aber ich glaube, man kann von New York Nachbarschaft in globaler Dimension und inzwi- lernen, was man gegen Gewalt in großen Städten tun schen auch durch unser großes wi rtschaftliches En- kann. Andererseits: Ob man tatsächlich, wie man das gagement involviert. Ich meine, Frau Albright ver- im Bundesrat - provinziell? - dient - wie Sie dargestellt haben, Herr Außenmini- ster - alle Unterstützung; ich teile das. Die europäi- (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sehr wahr!) schen Initiativen müssen weitergehen, über das er- diskutiert hat, internationalen Verbrechertums mit folgreiche Wirken von Herrn Moratinos hinaus. Ich nationalen Maßnahmen Herr werden könnte, da halte es für richtig, darüber nachzudenken, daß auch habe ich meine Zweifel. Da hilft vermutlich nur inter- geeignete europäische Institutionen bei der Terroris- nationale Kriminalitätsbekämpfung. Das muß man in musbekämpfung helfen. Ich halte auch einen Dialog diesem Zusammenhang sehen. mit Israel darüber, ob sich Israel aus dem Südlibanon zurückziehen kann und wer statt dessen unter den (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ul rich Blauhelmen der UNO dort Hilfe leistet, für berech- Irmer [F.D.P.]: Schade, daß Herr Schröder tigt. Wir müssen auch darauf hinweisen, daß Wi rt nicht hier ist!) -schaftshilfe keinen Sinn hat, wenn durch - offenkun- dig wirkungslose - Strafaktionen der Effekt dieser - Ein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, das Hilfe außer Kraft gesetzt wird. Chaostage mit internationalem Verbrechen verwech- selt, zeigt, daß mein Vorwurf der Provinzialität hier (Beifall bei der SPD) voll trifft. Das gehört zu dieser regionalen Nachbarschaft, in (Beifall bei der SPD) die wir alle Staaten dieser Region einbeziehen soll- Der andere Fall ist die Abschiebung. Also, über Al- ten, ich sage bewußt: alle. gerien mitfühlende Worte finden, Herr Bundesau- Der vielleicht am wenigsten erfolgreiche Teil Ihrer ßenminister - die ich Ihnen voll abnehme -, aber sich Außenpolitik, Herr Minister, ist nun einmal die Teil- nicht mit dem Bundesinnenminister einigen, daß in habe am kritischen Dialog mit dem Iran. Das hat diesen Wochen niemand nach Algerien abgeschoben nicht gut gewirkt; das wissen wir alle. Ich meine, es werden kann, das verletzt Menschenrechte schon bei macht auch keinen Sinn mehr, zu einzelnen Staaten uns. dieser Region besondere Beziehungen aufzubauen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Statt dessen sollten wir - bei allen Schwierigkeiten - GRÜNEN und der PDS) daran arbeiten, ein regionales Beziehungsgeflecht aufzubauen, niemanden auszuschließen und nie- Ich halte Bemühungen um die Abschiebung von Al- manden zu bevorzugen. Das macht in Einzelfällen geriern in diesen Wochen für eine Menschenrechts- Schwierigkeiten. Aber jegliche Politik des leeren verletzung durch die daran beteiligten deutschen Stuhls - weil irgendein anderer teilnimmt, die Araber Abschieber. - Das zur Menschenrechtspolitik. weggehen, weil Israel da ist; Großbritannien weg- geht, weil Libyen da ist - sollten wir vermeiden. Das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE gilt für alle Staaten. Wir sollten uns daranmachen, GRÜNEN und der PDS - Zuruf des Bundes- dieses Geflecht - alle Staaten reden über a lles, und ministers Dr. Klaus Kinkel) jeder bleibt da - aufzubauen. Nur das kann helfen. - Ich sprach von deutschen Abschiebern. Alles andere war bisher nicht besonders erfolgver- sprechend. Mit diesem Stichwort komme ich zu dem Punkt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) daß diese global vernetzte Welt natürlich gegliedert bleibt. Sie ist gegliedert in Weltreligionen. Das wurde uns am meisten bewußt, als ein Wissenschaft- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege ler, der gute Samuel Huntington, die Konflikte zwi- Zöpel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- schen den Weltregionen beschrieben hat. Wenn der ordneten Irmer? Krieg zur Sprache kommt, ist das seit Heraklit immer besonders interessant. Die Antwort von zivilisierten, (SPD): Selbstverständlich, bevölkerungsreichen, wirtschaftsstarken Ländern Dr. Christoph Zöpel Herr Präsident. kann aber nur sein: Wir wollen nicht den Krieg zwi- schen Regionen, sondern wir müssen die größte europäische Erfahrung in der internationalen Politik Ulrich Irmer (F.D.P.): Vielen Dank, Herr Kollege Zö- auch in die Beziehungen zu unseren regionalen pel. - Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie es für richtig Nachbarn einbringen, nämlich die Politik gemeinsa- halten, immer noch daran festzuhalten, daß der soge- mer Sicherheit und Zusammenarbeit. Das gilt vorran- nannte kritische Dialog, den die Europäische Union gig gegenüber der Region im Nahen und Mittleren mit dem Iran geführt hat, etwas Herausgehobenes Osten. gewesen sei, oder ob Sie mir zustimmen, daß es doch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17019

Ulrich Irmer im wesentlichen darum ging, die Beziehungen zu - Ich glaube, daß ich versucht habe, Ihre Frage zu be- diesem Land nicht abzubrechen, sondern im Ge- antworten. Danke für Ihren Respekt, daß Sie so lange spräch zu bleiben, dabei aber deutlich zu machen, gestanden haben, Herr Kollege. daß das Im-Gespräch-Bleiben keineswegs bedeutet, daß man untragbare, nicht hinnehmbare Positionen Damit komme ich zu Algerien, Herr Außenmini- des Iran etwa akzeptiert hätte, sondern daß man das ster. Ihr Urteil teilen wir. Ich gehe aber einen Schritt Wort „kritisch" dem Wort „Dialog" deshalb vorange- weiter. Ich glaube, in unserer informationell und in stellt hat, weil man deutlich machen wollte, daß man der Verpflichtung auf die Menschenrechte vernetz- auf diese Weise auf den Iran einwirken will, um ihn ten Welt können wir es nicht mehr hinnehmen, daß von seinen verbrecherischen Eskapaden abzulen- die algerische Regierung uns sagt: Das geht keinen ken. etwas an, außer uns selbst, (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Außen (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek politik als Semantik!) Zeul [SPD]) - Lieber , ich frage doch nur, ob der daß sie fortfährt, die Presseberichterstattung einzu- Kollege Zöpel mir zustimmt. schränken und sich damit selbst schadet, (Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Irmer, entschuldigen Sie bitte, kein Dialog hier zwi- nämlich Gerüchte aufkommen läßt, es könnten Mili- schendurch. War das Ihre Frage, die Sie stellen woll- tärkräfte in diesem Lande sein - ob sie von der Regie- ten? rung kontrolliert werden können oder nicht, sei da- hingestellt -, die verantwortlich sind. Ich meine, die Bundesregierung sollte zusammen mit der EU einen Ulrich Irmer (F.D.P.): Das war meine Frage, die ich Versuch machen, damit der algerischen Republik Herrn Zöpel gestellt habe. Ich hoffe, sie ist trotz aller deutlich gemacht wird: Die UNO möchte sehen, was Semantik verständlich geworden. dort passiert, und auch die EU als Teilnehmer am Barcelona-Prozeß möchte sehen, was do rt passiert. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann, Herr Kollege Zöpel, bitte, würden Sie antworten? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dann kann man mit der algerischen Regierung und Dr. Christoph Zöpel (SPD): Herr Kollege Irmer, wir allen auf die Menschenrechte verpflichteten Kräfte haben das sehr oft diskutiert. Der sogenannte kriti- dort darüber sprechen, wie unter Beachtung nationa- sche Dialog mit dem Iran ist besonders als Mediener- ler Souveränität geholfen werden kann. eignis gescheitert. Eine richtige Wortwahl aus der Damit bin ich zum Schluß noch einmal bei den Tradition der deutschen Philosophie heraus- ordnet Ich habe die positiven Dinge genannt; ich das Wort „kritisch" richtig ein; das ist ganz unstreitig. Medien. Nur, so war es in keiner Zeitung zu lesen, vielleicht nenne auch die negativen. Unsere Politik gegenüber den Staaten der Nah- und Mittelost-Region wird weil die Journalisten der Zeitungen, die darüber be- richten wollten, Kant nicht gelesen haben. Aber da auch dadurch beeinträchtigt, daß sich Abgeordnete, Menschen, die in der Zeitung stehen wollen, bis hin besteht dann eine Mitverantwortung der Politik. Be- zu Diplomaten in ihrer Einstellung, welcher der griffe, die in den Medien nicht richtig verstanden islamischen Staaten denn nun gut oder schlecht ist, werden, sollte man nicht gebrauchen. Das ist der davon leiten lassen, was zufällig in der Weltpresse Fehler. aufgeblasen wird. Was Journalisten, die das kennen (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das war - nehmen wir Herrn Scholl-Latour -, dazu sagen, ist kein deutscher Begriff!) beängstigend. Wir müssen ein ganz dichtes Geflecht von Beziehungen der Regierungen, der Diplomaten, - Herr Minister, ich habe gesagt, Sie haben mitge- von Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisa- wirkt. Das können Sie nicht bestreiten. tionen aufbauen, das Beziehungen zu diesen Staaten Das Ganze hat allerdings eine positive Seite - das auch unabhängig von spektakulär aufgeblasenen füge ich ausdrücklich hinzu -, nämlich die Solidarität Nachrichten jedes einzelnen Tages ermöglicht. Da- der EU-Staaten mit Deutschland gegenüber dem von hängt die Sicherheit Europas ab, nachdem es Iran. Auch alles, was nicht ganz gut geht, hat doch seine geopolitische Gestalt durch die Osterweiterung wieder etwas Gutes. In diesem Sinne wollten Sie wiedergefunden hat - ein Aspekt, den ich deshalb mich das ja fragen. nicht genannt habe, weil mein Kollege Meckel dar- über sprechen wird. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Richtig!) Herzlichen Dank. Ich glaube nur, daß Versuche und Anstrengungen, mit möglichst allen Staaten Netze aufzubauen, kei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nen auszuschließen und keinen zu bevorzugen, ein ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ geeigneterer Weg sind, als den Eindruck entstehen DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) zu lassen, ein Land ist besonders wesentlich. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Jetzt darf ich mich set Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das zen?) Wort dem Abgeordneten Dr. E rich Riedl. 17020 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Präsi- Wiedervereinigung Deutschlands leisten sollten. Wir dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bewältigen ja die Aufgaben der deutschen Außen- Kollege Karsten Voigt hat einen Begriff in die De- politik heute - bis auf wenige 0,0 ... Prozent - mit batte eingebracht, der mir gut gefallen hat: Außenpo- dem gleichen Personal wie im geteilten Deutschland. litik bedeutet Semantik. Als Haushälter sage ich: Au- ßenpolitik bedeutet natürlich auch Geld. In groben Zügen teilt sich dieser Haushalt in vier Blöcke auf, in drei große und einen winzigen. Der (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Ich größte Block sind die Betriebsausgaben mit 42 Pro- meinte das eher kritisch!) zent des Haushalts oder 1,5 Milliarden DM. Dann Ich bitte die hochgeehrten Vertreter der noch hö- kommt der Kulturhaushalt, also die Finanzierung der heren Diplomatie in diesem Haus um Nachsicht, deutschen auswärtigen Kulturpolitik, mit 33 Prozent wenn in dieser ersten Lesung des Haushalts für das oder 1,2 Milliarden DM. Dann kommen mit erstaun- Auswärtige Amt auch das Geld angesprochen wer- lich niedrigen 900 Millionen DM oder 24 Prozent An- den muß. Es tut mir leid; aber wir sind ja in der ersten teil die Ausgaben für den sogenannten politischen Lesung des Haushalts. Bereich. Daß das Deutsche Archäologische Institut mit 1 Prozent beim Außenminister etatisiert ist, Herr Kollege Zöpel, hinsichtlich Ihres Appells, an- kommt unter anderem daher, daß wir kein deutsches gesichts der dramatischen, menschenverachtenden Bundeskultusministerium haben, was unserer Ver- Situation in Algerien das Thema Abschiebung von fassung entsprechend ja auch richtig ist. Algeriern aus Deutschland nach Algerien einer be- sonderen Würdigung zu unterziehen, haben Sie die Ich habe einmal die Betriebskosten von 1,5 Milliar- Unterstützung unserer Fraktion. Ich bin genauso wie den DM auf die etwas mehr als 80 Millionen Einwoh- Sie über die verheerenden Massaker bedrückt, die ner in Deutschl and umgerechnet und dabei nach angesichts vieler dramatischer Massaker in ganz Adam Riese festgestellt, daß auf jeden Bundesbürger Afrika eigentlich fast beispielhaft sind. Aber Algerien rund 18 DM pro Jahr für die Bezahlung der Betriebs- ist in bezug auf das Mittelmeerprogramm der EU bei- kosten des deutschen auswärtigen Dienstes entfal- nahe schon im Türrahmen des Hauses Europa. Daher len. Das ist bei über 8000 Mitarbeitern einschließlich sollten wir dieses Thema im Bundestag und, soweit der lokalen Kräfte - wir sind mit dem deutschen aus- wir es von der Kompetenz her können, mit den deut- wärtigen Dienst rund um die Welt tätig - eigentlich schen Innenministern so diskutieren, wie Sie es an- eine sehr gut vertretbare Ausgabe. Wenn man sich gesprochen haben. einmal überlegt, daß sich Millionen Deutsche jahr- aus, jahrein im Ausland befinden und nicht wenige (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) von ihnen die Unterstützung unserer Auslandsvertre- Der Regierungsentwurf für 1998 sieht für den tungen dringend brauchen, dann ist dies meiner An- Haushalt des Auswärtigen Amtes eine Summe von sicht nach - ich sage es noch einmal - eine vernünf- rund 3,5 Milliarden DM vor. Das sind 1,2- Prozent we- tige Ausgabe. niger als 1997, auch wenn man den Nachtrag, den wir hier ebenfalls behandeln, mit einbezieht. 3,5 Mil- Beim Kulturhaushalt ist das ähnlich: Die deutsche liarden DM sind natürlich eine Menge Geld; in der auswärtige Kulturpolitik kostet jeden deutschen Bun- Relation gesehen ist es jedoch nominell der niedrig- desbürger im Jahr rund 14 DM. ste Haushaltsansatz für das Auswärtige Amt seit 1992. Ich erinnere mich noch an die erstaunten Ge- In diesem Haushalt haben wir ein Problem beson- sichter der Kolleginnen und Kollegen, als ich im letz- derer Art, das ich erwähnen möchte. Dies ist die lei- ten Jahr den Anteil des Einzelplans 05 am gesamten der nicht mehr ganz wiederherstellbare Etatisierung Bundeshaushalt erwähnte. Auch 1998 geht der An- der Ausgaben für den politischen Bereich. Wir müs- teil des Etats des deutschen Außenministeriums, ge- sen uns einmal im Auswärtigen Ausschuß und im messen am gesamten Bundeshaushalt, wieder ein Haushaltsausschuß darüber unterhalten, ob wir Stück zurück und beträgt jetzt nur noch 0,77 Prozent. durch Umschichtung mehr erreichen können. So Die Statistik besagt, Herr Minister, daß dies der nied- wird zum Beispiel der Etat für die humanitäre H ilfe, rigste Anteil des Einzelplans 05 am Gesamthaushalt der 1996 immerhin 80 Millionen DM betragen hat, im der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung Vorschlag für 1998 mit 70 Millionen DM angesetzt. im Jahr 1949 ist. Herr Kollege Kuhlwein, wir müssen einmal überle- gen, wie wir umschichten. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist bedenklich!) Zur UNICEF. Ich habe der Generalsekretärin der Sie erbringen damit - ich wi ll das auch als Mitglied UNICEF leichtfertigerweise versprochen, daß sie im Haushaltsausschuß sagen - einen bemerkenswer- 1998 genausoviel bekommt wie 1997. ten Beitrag zur Stabilität und zur Haushaltskonsoli- dierung in Deutschland. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Ihr versprecht ja (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE immer eine ganze Menge!) GRÜNEN]: Na, ob das für die Qualität des Ministers spricht?) - Du hast der charmanten Präsidentin mehr verspro- chen als ich. Das kommt, weil du dem Charme dieser - Er hat es ja nicht ganz einfach; denn er hat soeben Dame offensichtlich mehr unterlegen bist als ich. auch mit Ihrer Zustimmung, meine Damen und Her- ren, an uns appelliert, daß wir vielleicht noch ein biß- (Freimut Duve [SPD]: Kein Geheimnis ver chen mehr für die deutsche Außenpolitik nach der raten, lieber Kollege Riedl!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17021 Dr. Erich Riedl (München) - Dich nehme ich gar nicht mit, weil du, was das an- vom Bundesrat ratifiziert wurde. Wir haben ebenfalls betrifft, noch gefährlicher bist. zugestimmt; auch ich war dabei.

(Heiterkeit) (Karsten D. Voigt [Frankfu rt] [SPD]: Wir würden ihn heute einstimmig revidieren!) Hier geht es um eine Summe in Höhe von 2 Millio- nen DM. Jetzt stellen wir fest - das ist eine Frage, Herr Mi- nister, die einmal grundsätzlich angegangen werden Auch im Bereich UNHCR müssen wir noch ein biß- muß -, daß der Zeitraum der Beschlußfassung durch chen nachbessern und den Betrag von 8,2 Millionen den EU-Ministerrat und die EU-Kommission mit dem DM auf 9 Millionen DM anheben. Das müßte uns Zeitraum, den wir bräuchten, um solche Beschlüsse durch Umschichtung gelingen. ausführlich zu überprüfen, gar nicht vereinbar ist. Wenn ich die Wirkungen des Edinburgher Eigenmit- Ein Problem besonderer Art sind die Haushaltskür- telbeschlusses heute bewerte, dann muß ich sagen - zungen. Wir haben bei der Wochenendklausurta- dies gilt nur für mich -: Ich habe dies weitgehend un- gung der Haushaltsgruppe von CDU/CSU und F.D.P. terschätzt. Ohne Vorwürfe sage ich: Auch die verfas- einmal grundsätzlich die Frage erörtert: Wie oft kann sungsgebenden Organe, die Gesetzgebungsorgane es sich der Staat noch leisten, jährlich 1,5 Prozent in Deutschland konnten die Auswirkungen gar nicht Personal einzusparen? Ich muß offen gestehen, daß überblicken. Dies zeigen die Zahlen, die jetzt vorlie- wir, die Haushälter, bei Bundesfinanzminister gen. Dr. Waigel auf ein sehr offenes Ohr gestoßen sind, und dafür bin ich dankbar. Wir haben es schon im Herr Kollege letzten Jahr einmal versucht. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Riedl, gestatten auch Sie eine Zwischenfrage des Ab- (Günter Verheugen [SPD]: Das kann ich geordneten Irmer? verstehen! Er will ja Außenminister wer den!) Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Es ist mir ein Vergnügen. - Da hätte ich an Ihrer Stelle weniger Angst.

(Heiterkeit) Ulrich Irmer (F.D.P.): Vielen Dank, Herr Kollege Riedl. Ich hole mir dann Ihren Rat ein, wie man so etwas macht. Sie haben ja, als Sie noch bei der F.D.P. wa- Auch wenn ich alldem zustimme, was Sie gesagt ren, bei Ihren Außenministern gewisse Erfahrungen haben, möchte ich Sie doch fragen, ob Sie nicht wie sammeln können, Herr Verheugen. ich die Gefahr sehen, daß die breite Erörterung die- - ses Problems in der Öffentlichkeit zu dem falschen (Günter Verheugen [SPD]: Aber gute!) Eindruck führen könnte, als bemesse sich der Nut- zen, den die Bundesrepublik Deutschland wirtschaft- Das war eine positive Bemerkung. Ich bitte, sie mir lich aus ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen nicht allzusehr nachzutragen. Union zieht, lediglich nach dem Vergleich der Salden im europäischen Unionshaushalt. (Freimut Duve [SPD]: Der Riedl will der Ver heugen vom Waigel werden!) Ist es nicht vielmehr so, daß wir den Menschen im- mer wieder sagen sollten, daß diese rein fiskalische - Das werde ich Theo Waigel schon ersparen. So soli- Betrachtungsweise nicht ausreicht, sondern daß man darisch bin ich; darauf können Sie sich verlassen. ermessen muß, was wir als exportorientierte Wi rt -schaft allein für unsere Arbeitsplätze davon haben, Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den daß wir überhaupt die Vorteile dieses freien Marktes letzten Wochen ist das Wo rt „Nettobeitrag" durch die genießen? Es ist manchmal eben etwas kurz gegrif- Gazetten gegeistert; die Gesellschaft für deutsche fen, wenn man dieses auf die Vergleiche von Zahlun- Sprache wird es vielleicht zum Wort des Jahres erhe- gen, die aus Deutschland in den bescheidenen EU- ben. Ich will dazu einige Worte verlieren: Deutsch- Haushalt fließen, mit dem, was aus diesem Haushalt land hat im Zeitraum von 1991 bis 1996 insgesamt wieder nach Deutschland zurückfließt, reduziert. 140 Milliarden DM mehr an die EU gezahlt, als es zu- rückerhalten hat; das ist ein echtes Problem. Allein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) im Jahr 1996 hat Deutschland trotz verstärkter Rück- flüsse aus den EU-Strukturfonds einen Nettobeitrag Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Da gebe von 22,5 Milliarden DM an den EU-Haushalt gelei- ich Ihnen im Prinzip schon recht, nur sollten wir diese stet. Dies beruht auf dem sogenannten Eigenmittel- Rechnung einmal im einzelnen durchführen. beschluß der EU von Edinburgh vom 31. Oktober 1994. Ich habe Unterlagen aus dem Bereich aller 16 deut- schen Länderfinanzminister, die besagen, daß die Ef- Da wir dies alle miteinander beklagen, muß ich fizienzrendite bei der Bewertung der Arbeitsplätze, doch einmal feststellen - ich habe das Bundesgesetz- die durch die Europäische Union in Deutschland und blatt zu diesem Eigenmittelbeschluß in meinem Büro in den einzelnen Mitgliedstaaten anfallen, sich im liegen -, daß er fast einstimmig vom Deutschen Bun- Durchschnitt für Deutschland nicht günstig darstellt. destag gefaßt worden ist und auch fast einstimmig Während die Effizienz bei der Schaffung von Arbeits- 17022 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Erich Riedl (München) plätzen im europäischen Durchschnitt bei 8 Prozent daß wir Europa unter dem Gesichtspunkt „schlanker liegt, liegt sie in Deutschland nur bei 6 Prozent. Staat" sympathischer machen müssen. Ich weiß natürlich auch, daß sich die Friedensdivi- (Eckart Kuhlwein [SPD]: E rich, das ist dende eines vereinigten Europas - einer anderen Sozialneid!) Sichtweise schließe ich mich auch nicht an - nicht in der Nettorechnung widerspiegeln darf. Aber es darf Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege natürlich auch nicht übersehen werden - ich darf Riedl, gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen noch einmal die Länderfinanzminister und den Bun- Brecht? desfinanzminister erwähnen -, daß diese auf der Län- derfinanzministerkonferenz am 3. Juni 1997 in Bad Homburg festgestellt haben, daß die deutsche Lei- Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Kollege Riedl, Sie stungsbilanz im Verhältnis zu den EU-Ländern im- haben heute das wiederholt, was Sie in einer Presse- mer tiefer ins Defizit gerät. Im Jahre 1996 hat die erklärung vor einiger Zeit schon einmal verkündet deutsche Leistungsbilanz innerhalb der EU das Re- haben; Sie haben nämlich die Behauptung aufge- korddefizit von nahezu 31 Milliarden DM erreicht. stellt, daß die Gehälter bei internationalen Organi- Da die deutschen Exporte mit den Nettotransfers sationen zu hoch seien. Haben Sie sich einmal die nicht Schritt halten, hat sich Deutschland als der mit Mühe gemacht, die Gehälter, die zum Beispiel bei Abstand größte Nettozahler immer stärker verschul- der UNO gezahlt werden, mit denen zu vergleichen, det. die auf dem entsprechenden Level in der Europäi- schen Union gezahlt werden? (Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Das ist doch nicht mehr die Antwort auf die Frage!) Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Vielen - Es tut mir leid, wenn ich Sie so mit Zahlen belasten Dank für diese Frage. Gestern oder vorgestern hat uns der Bundesfinanzminister den von uns angefor- muß, aber auf die Frage hatte ich mich ohne Ansagen ausdrücklich vorbereitet. derten Bericht genau zu diesem Thema übermittelt. Wir werden ihn in einer der ersten Sitzungen des (Zuruf von der CDU/CSU: Haushalt sind Haushaltsausschusses beraten. Es verhält sich in der nun einmal Zahlen!) Tat so, daß es hier gravierende Unterschiede gibt. Ich hätte besser von den überzogenen Gehältern bei Im Zeitraum 1991 bis 1996 verringerte sich auf allen internationalen Organisationen sprechen sol- diese Weise das Nettoauslandsvermögen Deutsch- len, angefangen bei den Vereinten Nationen über die lands gegenüber den EU-Ländern um insgesamt Weltbank und die OECD bis zur EU, der WTO und 87 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das wie sie alle heißen. Ich darf Ihnen einmal folgendes kann so nicht bleiben, weil wir dadurch zwei Dinge sagen. Wir haben uns neun Monate - der Kollege nicht erreichen: Zum einen erreichen wir- nicht eine Kuhlwein weiß das - über die Bundesregierung be- volle, uneingeschränkte Akzeptanz der deutschen müht, nur das Gehalt des Generalsekretärs der WTO Bevölkerung für Europa, und wir erreichen auch in Genf zu ermitteln. Neun Monate mußten wir war- nicht, daß Solidarität und Beachtung gleicher Le- ten, um hinter dieses Problem zu kommen. Gleichzei- bensverhältnisse in Europa zu einem tragenden Prin- tig machen wir in Deutschland Nullrunden im öffent- zip der europäischen Einheit werden. lichen Dienst. Das Thema muß angesprochen wer- den; ich habe es x-mal angesprochen - ich freue Ich bin Ihnen für diese Frage ausdrücklich dank- mich ja, daß Sie meine Presseerklärungen lesen -, bar. aber wir sind noch zu keinem Ergebnis gekommen. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Ich auch für Ihre Ant Im übrigen gibt es hier unter den Parteien im Deut- wort! Vielen Dank! - Eckart Kuhlwein schen Bundestag nicht den geringsten Konsens. [SPD]: Daß du mutig genug warst, eine Ant wort zu geben!) (Zurufe: Dissens!) - Dissens, ja. Der Kollege schaut so liebenswürdig, - Ich finde es sehr lustig, wenn sich ausgerechnet die daß es mir gar nicht in den Sinn kommt, von Dissens Opposition noch einmal dafür bedankt, wenn ein zu sprechen. CSU-Abgeordneter sich über einen F.D.P.-Abgeord- (Heiterkeit) neten freut. Herr Kollege, Sie sehen es mir nach, daß ich Sie Meine Damen und Herren, die Außenpolitik - das schon rein optisch so positiv beurteile. kann ich auch nach der Rede vom Kollegen Zöpel sa- gen - ist Gott sei Dank ein Gebiet, wo wir nicht mehr Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ich so ins Streiten kommen wie in den letzten zwei Ta- könnte jetzt einen Katalog von Beispielen bringen, gen. Ich möchte nur stichwortartig ansprechen, daß an Hand dessen wir den europäischen Verwaltungs- es zum erstenmal im Deutschen Bundestag seit ein, apparat einmal kritisch durchleuchten könnten. Ich zwei Jahren möglich geworden ist, uns über einige brauche mir nur die europäischen Agenturen anzu- ganz gravierende Fehlentwicklungen in Europa zu schauen, die in ganz Europa wie Pilze aus dem Bo- unterhalten: zum einen über die schrecklich ausge den geschossen sind. Ich kann das aus zeitlichen uferte Bürokratie in Europa, zweitens über die Gründen nicht tun, weil ich zum Schluß noch auf das schrecklich ausgeuferten Gehälter bei den interna- eingehen möchte, was der Kollege Zöpel im Hinblick tionalen Organisationen und drittens auch darüber, auf die Vereinten Nationen als wichtigen Rahmen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17023

Dr. Erich Riedl (München) der deutschen Außenpolitik und der Außenpolitik wird, ein Desaster in der Arbeit der Vereinten Natio- überhaupt gesagt hat. Ich will das Thema Finanzre- nen gibt, das sich verheerend für die Bevölkerung in form kurz anschneiden, auch unter dem Gesichts- Algerien, im Iran und im Nahen Osten auswirken punkt, daß Sie, Herr Minister, wie ich glaube, in kann. 14 Tagen zur 52. Generalversammlung der Vereinten Nationen fahren. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Immer, wenn wir hier im Deutschen Bundestag das Ihre Redezeit ist abgelaufen. Thema UNO-Finanzreform diskutierten, hatte ich als - das gebe ich zu - relativer außenpolitischer Laie Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Nur noch den Eindruck: Das schaffen wir. Jetzt muß ich fest- ein Satz, Herr Präsident. Ich bin sofort fertig. - Ich stellen: Nichts ist geschafft worden. Wer dachte, die möchte Ihnen vorschlagen, Herr Kinkel, daß wir Anfang des Jahres 1995, also vor fast zweieinhalb Ihnen, bevor Sie nach New York fahren, vielleicht Jahren, von der UNO-Generalversammlung be- durch eine gemeinsame Sitzung des Auswärtigen schlossene Überprüfung der prekären finanziellen Ausschusses und des Haushaltsausschusses die par- Situation der UNO durch eine eigens eingesetzte lamentarische Rückendeckung des Deutschen Bun- Arbeitsgruppe erfolgreich umsetzen zu können, sieht destages geben. Es ist in dieser Frage fast schon fünf sich jetzt, nach fast zwei Jahren, einer großen Enttäu- nach zwölf. schung, nämlich dem Scheitern, gegenüber. Am 16. Juni hat die von der Generalversammlung der (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Vereinten Nationen eingesetzte Arbeitsgruppe ihre NEN]: Das war mehr als ein Satz!) Arbeit eingestellt, ohne substantielle Ergebnisse vor- Wer wie auch Sie, Herr Zöpel, in der deutschen zuweisen. Ich dachte immer, wenn Boutros-Ghali Außenpolitik sehr großen Wert auf eine leistungs- weg ist und Annan kommt, dann klappt es. Ich fähige Organisation der Vereinten Nationen legt - da dachte immer, die Amerikaner haben dieses Perso- sind wir uns völlig einig -, der kann den Minister in nalproblem dazu benutzt, die UNO-Finanzreform zwei Wochen nicht im Stich lassen. voranzutreiben. Nichts ist passiert. Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die wohl schwerste Finanzkrise in der Geschichte der Vereinten Nationen - ich habe mir lange über- legt, ob ich das so sagen soll - ist durch ein Zusam- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das menspiel zahlreicher Faktoren entstanden, erstens Wort dem Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt. durch die nach wie vor mangelnde Zahlungsmoral zahlreicher Mitgliedstaaten, insbesondere des größ- Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ten Beitragszahlers, der USA, zweitens durch das - Herr Präsident, ich hoffe auf Ihre gütige Nachsicht. Zahlungsunvermögen von Staaten, die durch das Dem Terminplan nach hätte ich genau die Hälfte der überkommene Beitragssystem überbelastet sind, Redezeit von Herrn Riedl. Ich hoffe, unter dieser zu drittens durch eine ungerechtfertigte Begünstigung bleiben. Vielleicht überschreite ich trotzdem um eine von Staaten, die nicht ihrem eigentlichen Leistungs- Minute. vermögen entsprechend veranlagt werden, und vier- tens durch das unbef riedigende Ressourcenmanage- (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Wenn Sie das nicht ment und die schwerfälligen administrativen Abläufe gesagt hätten, hätten Sie schon viel Zeit im VN-Sekretariat. Ich sage es jetzt einmal als meine gespart!) ganz persönliche Meinung: Vielleicht war es doch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr falsch, Herr Minister, daß man zum neuen Generalse- Riedl hat eine Anfangsbemerkung gemacht, über die kretär der Vereinten Nationen einen Mann gemacht wir kritisch nachdenken sollten, Herr Außenminister. hat, der, ich glaube, schon fast 35 Jahre lang Beamter Das, was Herr Riedl über den proportionalen Anteil der Vereinten Nationen war. Ich weiß es nicht. Ich des Haushalts des Auswärtigen Amtes - historisch will ihm auch nicht unrecht tun. Ich habe den neuen betrachtet - am Gesamthaushalt gesagt hat, hat Generalsekretär durch freundliche Vermittlung von wenn man bedenkt, daß Sie das Resso rt verwalten, Karsten Voigt hier in Bonn kennenlernen dürfen. Er das präventive und nicht-militärische Außenpolitik hat einen sehr guten Eindruck gemacht. macht - anderwärts könnte viel mehr eingespart wer- Das Scheitern der jetzigen Finanzreformkommis- den -, zur Folge, daß präventive Außenpolitik er- sion ist ein größeres Desaster, als es die Zustände schwert wird. Die Aufgaben nehmen doch zweifellos waren, die wir zur Zeit von Boutros-Ghali hatten. zu. Der Zahlungsrückstand der Amerikaner beträgt Ich will mich auf ein Thema des Sommertheaters 1,5 Milliarden US-Dollar. Jeder kennt den heutigen beschränken. Ich kann hier keine Tour d'ho rizon ma- Dollarkurs und weiß, was das bedeutet. Herr Mi- chen. Dazu ist meine Redezeit zu knapp. nister, ich beneide Sie schon allein wegen dieses Punktes nicht um Ihre Reise zur 52. Generalversamm- Ich will mich nicht auf das Thema Euro-Neurose lung der Vereinten Nationen. beziehen, das eine große Rolle spielte. Dazu hat der Bundeskanzler die nötigen Erklärungen abgegeben, Ich befürchte, daß es, wenn die Frist zur Festle- mit denen wir übereinstimmen können. Ich möchte gung neuer Beitragsskalen und Finanzierungsrichtli- vielmehr über die Abschiebungshysterie sprechen, nien am 31. Dezember dieses Jahres abgelaufen sein die wir in diesem Sommer erlebt haben. 17024 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Helmut Lippelt Der Ausgangspunkt war ganz klar ein opportuni- spricht die Personenzahl der eines größeren Dorfes stischer gegenüber vermeintlichem Wählerwillen. im jetzt wieder so großen Deutschland. Das Problem Dabei ging es um die Feststellung, daß das Profil der ist also beherrschbar. größeren Oppositionspartei vom Kandidaten ge- schärft werden müsse, um Herrn Kanther zu überbie- Ich denke, es ist an der Zeit, das Verfahrensrecht ten; denn da wurde eine Schwäche gesehen. Trotz- zu humanisieren. Natürlich hat dieser Ungeist der dem wundert mich, daß sich so viele daran beteiligt Abwehr des Fremden auch mit Ihrer Außenpolitik zu haben. Auch unser Außenminister hat sich an dieser tun, Herr Kinkel, die sich ihre Zielvorgaben nicht nur Diskussion wenig rühmlich beteiligt. von der Wirtschaft, sondern auch vom Innenminister holt. Und nun rangieren diese innenpolitischen Vor- Warum wird der Begriff der „hier straffällig gewor- gaben vor außenpolitischen Notwendigkeiten. denen Ausländer" sofort unterschiedslos auch auf die noch nicht eingebürgerten, aber hier geborenen Beispiel: Normalisierung der Beziehungen zu Milo- Ausländer der zweiten Generation übertragen? Dem sevic nach Dayton. Plötzlich hat für Sie, Herr Kinkel, Justizminister ist zu danken, daß er hier als erster ein die Umsetzung eines Repatriierungsabkommens bißchen Klartext geredet, und Herrn Westerwelle ist höchste Priorität, das doch, wie Sie selber und wir zu empfehlen, daß er sich von ihm beraten läßt. alle wissen, zu 75 Prozent Kosovo-Albaner trifft. Und die Forderung an Milosevic, politisch zuvor das Ko- Warum verschiebt sich die Diskussion sofort auf sovo-Problem zu lösen, ist zweitrangig geworden. afrikanische Länder, von denen wir doch alle wissen, daß ein großer Teil heute von mörderischen Diktatu- Die Folgen weist der Bericht des Diakonischen ren beherrscht wird, die ihre Gegner nicht zurück- Werks Stuttgart aus. Hier wurde den Schicksalen der nehmen wollen. Warum verschiebt sich die Diskus- von der ersten Abschiebewelle Betroffenen nachge- sion auf die Konditionierung von Entwicklungshilfe? gangen. Bei mehr als 50 von ihnen sind schwere Das sind doch ganz andere Themen. Menschenrechtsverletzungen, von Mißhandlung bis hin zum Verschwinden einzelner, dokumentiert. Das zugrunde liegende Problem - dabei will ich einen Moment verweilen - ist ein ganz anderes. Was für ein Paradox, wenn wir plötzlich aus Ihrem Natürlich gibt es Gründe, weswegen Menschen aus Munde, Herr Außenminister, die Forderung nach aller Welt zu uns fliehen - natürlich sind manche ausländerfreundlicher Stimmung in unserem Land dieser Gründe nicht anzuerkennen -, natürlich gibt hören. In diesem Punkt unterstützen Sie Bildungsmi- es Schlepperbanden usw. Alles das wissen wir. nister Rüttgers, der feststellen mußte, daß die Attrak- tivität der deutschen Universitäten für ausländische Aber: Wer die asylpolitischen Lageberichte des Studenten nachgelassen hat. In der Tat: Die vom Auswärtigen Amtes in Stichproben kennt, wer die Bundeskanzler 1982 angekündigte geistig-morali- Verharmlosungen in ihnen gelesen hat, wer sich die sche Wende ist in einen Salto mortale umgeschlagen. Mühe gemacht hat, in die Kasuistik der Urteile einzu- Wir sprechen von Globalisierung nur noch unter dem steigen, mit denen Asylanträge und Nachfolgean-- Aspekt des Kostendrucks auf die Indust rie mit der träge abgeschmettert werden, wer auch den einen Folge der Arbeitsplatzverluste und bemerken nicht oder anderen vor Angst zitternden Ayslbewerber ein- die Provinzialisierung unserer Bildung. Nur noch 2 mal in eine sogenannte Heimatbotschaft begleitet bis 3 Prozent der deutschen Studenten zieht es ins hat, wo er unter dem Druck des Ausländeramts Er- Ausland. Auch das ist eine Folge der Abschottung satzpapiere beantragen mußte, und do rt neben den gegen das Fremde, wie sie in der Abschiebung von Konsularbeamten den Geheimdienstleuten begegnet Fremden zum Ausdruck kommt. Weltoffenheit ist ist, die die Immigration in unserem Lande kontrollie- nicht teilbar zwischen Harvard-Studenten und Ko- ren, der weiß, daß die wirklich politisch Verfolgten sovo-Albanern. oft keine Chance haben, das ihnen von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes zugedachte politische Die äußerste Zuspitzung solch gewendeten Geistes Asyl bei uns zu finden, und allein deshalb ihre Her- erleben wir jetzt in der irrealen Sicherheitsphiloso- kunft verschleiern, weil sie kein Zutrauen zu unse- phie unseres Verteidigungsministers, der für 23 Mil- rem Asylverfahren haben und verhindern möchten, harden DM, das heißt die Hälfte eines Jahresmilitär ins Land ihrer Verfolger zurückgesandt zu werden. budgets, 180 Eurofighter kaufen will und der damit eklatant gegen den Geist der NATO-Rußland- Dabei ist das Problem längst beherrschbar. Die Grundakte verstößt. Asylbewerberzahlen sinken von Jahr zu Jahr. Der Bundeskanzler hat heute morgen eine Zahl von Zu- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ein selte wanderern genannt, die ich für 1996 nicht nachvoll- ner Unfug! - [CDU/ ziehen kann. Für 1992 - Höchststand der Asylan- CSU]: So ein Unsinn!) träge; 300 000 aus Rußland Umgesiedelte - könnte - Darüber können wir mit etwas mehr Zeit reden. ich die Zahl akzeptieren, für 1995 oder 1996 kann ich Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann rechnet es der es nicht. Im Augenblick beträgt die Zahl der Asylan- Herr Präsident nicht auf meine Redezeit an. träge 100 000 pro Jahr, (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Die Bos- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege nier sind dabei!) Lippelt, Sie müssen zum Schluß kommen. das entspricht genau der Höhe des gesamtgesell schaftlichen Sterbeüberschusses in Deutschland. Bei Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): einer Anerkennungsquote von 5 bis 8 Prozent ent Ich bin gleich am Schluß. -Vornehmste Aufgabe des Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17025

Dr. Helmut Lippelt Außenministers sollte es sein, die Probleme der Welt Logik unserer Bemühungen um die europäische Eini- jenseits unserer Grenzen zu uns durchzulassen und gung, um unsere Rolle in den Vereinten Nationen. Anwalt einer weltoffenen Gesellschaft zu werden. Europabegeisterung kann man eben nur mit Weltof- Herr Zöpel, Sie haben recht, wenn Sie anmahnen, fenheit erzielen und nicht über Eurokratie und wäh- daß wir Weltinnenpolitik machen müssen. Aber wir lerbezogenen Streit um das richtige Datum zur Ein- sollten nicht verkennen, wo die eigentlichen Pro- führung des Euros. bleme liegen. Probleme entstehen doch dann, wenn zwei Völkerrechtsprinzipien unversöhnlich auf einan- Vielen Dank. derprallen, wenn ein Widerspruch besteht, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zum Beispiel das Recht auf Selbstbestimmung in Wi- derstreit mit dem Recht und dem Anspruch einzelner Länder, ihre territoriale Integrität zu bewahren, ge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das rät. Ich nenne nur Kurdistan. Wort dem Abgeordneten Ulrich Irmer. Dann bekommen wir Probleme und müssen die Entscheidung darüber treffen, wie wir uns verhalten (F.D.P.): Vielen Dank, Herr Präsident! Ulrich Irmer und woran wir uns orientieren wollen. In solchen Fäl- Meine Damen und Herren! Es wird niemanden ver- len ist es sehr gut, wenn man Prinzipien hat, die sich blüffen, wenn ich zunächst die Gelegenheit beim bewährt haben und an denen man sich orientieren Schopf ergreife, um im Namen meiner Fraktion dem kann. Bundesaußenminister Klaus Kinkel herzlich für seine Arbeit für unser Land, für Europa, aber auch für den Außenminister Kinkel wird nicht müde, immer Frieden in der Welt zu danken. Herr Kinkel, herzli- wieder die Bedeutung der drei Säulen der Außenpo- chen Dank! Machen Sie weiter so! litik zu betonen. Das sind die traditionelle Außenpo- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) litik, die Außenwirtschaftspolitik - selbstverständlich in dem Sinne, wie ich sie umschrieben habe - und Herr Zöpel, bei mir ist richtige Freude aufgekom- die auswärtige Kulturpolitik. Hier gefällt mir der Aus- men, als ich Ihren Worten gelauscht habe. Vor allem druck wesentlich besser, den Bundespräsident Her- hat mir das gutgetan, was Sie über den weitverbrei- zog geprägt hat: kulturelle Außenpolitik. teten Provinzialismus gesagt haben. Ich kann Ihre Worte nur aus voller Seele teilen. Das gilt auch in (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger) Richtung auf den Bundesrat, der durch einzelne sei- ner Mitglieder oder Vertreter der Bundesländer Ich glaube, daß wir ihnen in Zukunft ein noch stär- durch die Debatte um die Verschiebung des Euro keres Augenmerk als bisher widmen müssen. Ich bin nachdrücklich unterstrichen hat, daß das sächsische den Haushältern und dem Außenminister, der oder bayerische Hemd bei weitem näherliegt als der schwer dafür gekämpft hat, dankbar, daß die Ein- europäische Rock. schnitte in diesem Bereich nicht so bitter sein wer- ( [PDS]: Nichts gegen den den, wie das zu befürchten war. bayerischen Rock!) Wir müssen doch sehen, daß die kulturelle Dimen- - Nichts gegen das bayerische Hemd. Dagegen sion unserer Beziehungen zu den anderen Ländern, würde ich als Bayer nie etwas zu sagen wagen. zu unseren Nachbarn - genauso wie im Inneren - im- mer bedeutender wird und daß wir mit anderen nicht Herr Zöpel, ein Weiteres, das Sie gesagt haben, richtig umgehen können, wenn wir uns nicht darum war sehr vernünftig; denn man sollte die Außenpoli- bemühen, sie zu verstehen. Das gilt für ihre Traditio- tik nicht dazu benutzen, in einen Standortwettbe- nen, ihre Herkunft und für das, was sie auf Grund werb einzutreten, der die eigene Rolle gegenüber ihrer Wertvorstellungen für richtig halten. Dies gilt den Interessen der anderen ohne Rücksicht durchzu- auch dann, wenn das ganz anders ist als das, was wir setzen versucht. gewöhnt sind. Das ist auch nicht die Politik, die diese Bundesre- gierung wie die Bundesregierungen in der Vergan- Wir müssen uns darum bemühen, das zu verste- genheit betrieben hat. Ich möchte die Reihe der libe- hen, genauso wie sich unsere auswärtige Kulturpoli- ralen Außenminister noch einmal nennen dürfen: tik nicht darin erschöpfen darf, den Ländern und Scheel, Genscher, Kinkel. Hier gibt es eine Kontinui- Völkern weit weg von uns jetzt auf Glanzpostillen darzulegen, wie toll doch Beethoven war oder wie tät, die sich nicht nur an dem orientiert, was von Fall zu Fall an Entscheidungen ansteht, sondern hier gibt großartig irgendwelche kulturellen Errungenschaf- es eine Kontinuität von Werten und von einer wert- ten heute bei uns sind. orientierten, den Menschenrechten verpflichteten Außenpolitik. Nein, es geht darum, ein gegenseitiges Verständ- nis von Kulturen zu erwecken, die auf den ersten Es ist ganz klar, daß deutsche Außenpolitik auch Blick nur schwer in Einklang zu bringen wären. die deutschen Interessen vertreten muß. Es hat sich aber erwiesen, daß die Vertretung eigener Interes- Das fängt natürlich - da haben Sie recht - bei uns sen nicht möglich ist, wenn die Art, in der die Interes- zu Hause an. Wir können vieles wieder kaputtma- sen vertreten werden, gegen die elementaren Inter- chen, was wir durch auswärtige Kulturpolitik aufge- essen anderer gerichtet wird. Das ist doch auch die baut haben, wenn wir hier mit den bei uns lebenden 17026 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Ulrich Irmer Ausländern nicht anständig umgehen und nicht ver- der Minister wolle noch etwas mehr lockermachen. suchen, auch diese Menschen zu verstehen. Ich habe für ihn auch einen ganz konkreten Vor- schlag. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der SPD) (Zuruf des Bundesministers Dr. Klaus Kin kel) Insofern plädiere ich hier noch einmal an alle: Wenn wir von auswärtiger Kulturpolitik reden, müs- - Im Haushalt stehen jetzt 3 Millionen DM. sen wir uns darüber im klaren sein, daß sie im Grunde - für jeden Bürger zu verwirklichen möglich (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Ich mache - hier bei uns vor jeder Haustür anfängt. 13 Millionen locker!) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. - Ich schlage Ihnen etwas anderes vor, und zwar runde 300 Millionen DM. Gehen Sie zu Ihrem Kolle- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gen Volker Rühe, und verlangen Sie dort von ihm, das Geld für die Produktion und für die Erforschung von High-Tech-Minen in Höhe von 300 Millionen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Andrea Gysi, PDS. DM in seinem Haushalt freizumachen und für Mi- nenräumung zu verwenden. (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wen lobst du jetzt?) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Andrea Gysi (PDS): Dich ,nicht und auch den Au- Ich finde, so wie Sie sich immer als Vorreiter in der ßenminister nicht. Minenbekämpfung dargestellt haben, stimmt diese Rolle einfach nicht mit der Wahrheit überein, wenn Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wiederum erstens nur ein Stagnieren festzustellen ist Es ist schon mehrfach gesagt worden, daß in den und zweitens diesem Betrag für Minenräumung ein Haushaltsberatungen sicher die sozialen Probleme in unglaublich viel höherer Betrag für Entwicklung und diesem Land im Vordergrund stehen. Aber auch die- Produktion von Minen in anderen Haushalten ge- ser kleine auswärtige Haushalt läßt die Strategie der genübersteht. Zynischer läßt sich eine Prioritätenset- Politik der Bundesregierung ganz gut durchschei- zung eigentlich kaum beschreiben. nen. Ich möchte da, wo die Ausgaben der Bundesregie- Da gibt es eine Devise. Diese gilt inte rnational wie rung erhöht werden, noch einige Posten anführen. national in der Politik der Bundesregierung: Sparen Das ist der zivile Haushalt der NATO. Das ist der Bei- da, wo es um die Befriedigung der existentiellen Be- trag für die WEU. Das wird das Aufstocken bei der dürfnisse der Menschen, um die Linderung von Not- Weiterführung der Finanzierungshilfen für den Bau lagen geht; und Ausgabensteigerung- dort, wo der Meko-Fregatten sein. Auch die Ausstattungshilfe Macht, Prestige und Einflußnahme, und zwar auch soll erhöht werden, in der sich häufig Ausgaben mit militärische, winken. durchaus militärischem Bezug verstecken. Weil ich nur fünf Minuten Redezeit habe, dazu nur Ein letztes Beispiel für die Prioritätensetzung der ein paar Fakten. Innerhalb des auswärtigen Haus- Bundesregierung: Der OSZE werden lediglich halts gibt es Kürzungen beim Fonds des Kinderhilfs- 600 000 DM mehr als im letzten Jahr gegeben: werks der UN, beim Hilfsfonds des Flüchtlingskom- 8,6 Millionen DM. Das Verhältnis zu dem, was die missars der UN, beim UN-Hilfsprogramm für palästi- Bundesregierung im Vergleich zur OSZE für die nensische Flüchtlinge und bei der besonderen deut- NATO ausgibt, beträgt 500 zu 1. Das heißt, die Parole schen Hilfe für palästinensische Flüchtlinge. „OSZE first" ist blanker Hohn, wenn Sie ihn ausspre- Herr Außenminister, haben Sie bei Ihrem Gespräch chen, weil in der Politik der Bundesregierung ein- dem palästinensischen Außenminister auch das er- deutig die Parole gilt: „NATO first". zählt? Ich finde solche Kürzungen absolut indiskuta- Was man in diesem Haushalt vergeblich sucht, ist bel und empfinde sie angesichts der Lage im Nahen ein Ansatz für Friedens- und Konfliktforschung. Kein Osten als einen Skandal, wo es wirklich von zentraler Pfennig und keine müde Mark dafür im Haushalt des Bedeutung ist, vor allem was die Lage der palästi- Auswärtigen Amtes! Ich finde, daß diese Prioritäten- nensischen Bevölkerung betrifft, den Standard zu he- setzung Bände spricht. Ich bin der Meinung, daß ben und diesen zu sichern. nicht nur in den Haushaltsberatungen, sondern ganz (Beifall bei der PDS) grundsätzlich eine Diskussion über die Orientierung der deutschen Außenpolitik stattfinden müßte. Dazu Gekürzt werden humanitäre Maßnahmen im Aus- gehört nicht nur eine Diskussion, sondern ganz klar land außerhalb der Entwicklungshilfe. Demgegen- ein Regierungswechsel, der zu einer anderen, einer über stehen die Schätzungen des Roten Kreuzes, wo- völkerverständigenden, einer auf tatsächliche euro- nach es heute 45 Millionen Flüchtlinge gibt und päische Einheit orientierten Außenpolitik beiträgt. diese Zahl bis zum Jahr 2005 auf 90 Millionen anstei- gen wird. Zum Schluß deshalb nur eine Anmerkung, Herr Außenminister: Nicht die Diskussion zum Thema Ein weiteres Beispiel. Für das Minenräumen setzt „Verschiebung der Einführung des Euro" ist falsch die Bundesregierung im auswärtigen Haushalt 1998 und gefährlich, sondern falsch und gefährlich ist es, zunächst nur lächerliche 3 Millionen DM an. Es heißt, wenn Sie die Bevölkerung für dumm verkaufen wol- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17027

Andrea Gysi len, sie nicht ausreichend informieren, so wie Sie das gen: Dieses eine haben wir geschafft, und jetzt lassen schon beim Vertrag von Maastricht I getan haben, wir sie links liegen. wenn Sie meinen, der Bevölkerung irgend etwas auf- geheure Erwar- oktroyieren zu können, von dem Sie wissen, daß es Ebenfalls ist es so, daß die Ukraine tungen an uns hegt. Wir werden nicht alle und schon nur Nachteile hat. Diese Orientierung werden wir zu gar nicht alle gleich erfüllen können. Doch wir sollten durchkreuzen wissen, indem wir weiterhin dafür ein- uns bemühen, auch hier die Kontakte intensiver, als treten werden, hierzu einen Volksentscheid durchzu- es in der Vergangenheit geschehen ist, zu halten. führen. Ich danke Ihnen. Mit dieser Neugestaltung der verbindlichen Ko- operation mit Rußland und der Ukraine ist nun die In- (Beifall bei der PDS - Ul rich Irmer [F.D.P.]: tegration der Staaten Ostmitteleuropas die zentrale Frau Gysi, als ob Sie es nicht besser wüß Herausforderung europäischer Politik. Die Öffnung ten!) und Erweiterung der eigenen Strukturen sind schon deshalb schwieriger, weil die damit verbundenen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Probleme nicht allein unsere Beziehungen nach au- jetzt der Abgeordnete Markus Meckel, SPD-Frak- ßen betreffen, sondern weil wir damit selbst zur Ver- tion. änderung herausgeforde rt sind. Allzuleicht ist es, Versprechungen nach außen zu Markus Meckel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- machen. Es wird darauf ankommen, die damit ver- men und Herren! Es läßt sich nicht leugnen, daß bundenen Veränderungen innerhalb unserer eige- mancher Punkt, den Frau Gysi hier eben angespro- nen Strukturen auch wirklich ernst anzugehen und chen hat, ein Punkt ist, den auch wir kritisieren. Des- durchzusetzen. Daß dies oft nicht ganz einfach ist, halb muß ich Ihnen jenseits aller Volksfrontgeschich- hat gerade die zu Ende gegangene Regierungskonfe- ten sagen: Wir stehen hinter manchem dieser Punkte. renz mit ihren recht mageren Ergebnissen im institu- Was meine Haltung zur PDS ist, ist wahrscheinlich al- tionellen Bereich gezeigt. Hier wird es darauf ankom- len bekannt. men, noch in diesem Jahrzehnt zu tragfähigeren Er- gebnissen zu kommen, um den Erweiterungsprozeß, (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Gott sei Dank!) den wir alle brauchen und wollen, nicht zu behin- Insgesamt aber stimme ich dem zu, was Herr Riedl dern. vorhin gesagt hat, daß wir uns in den zentralen Fra- Ich komme zuerst zur NATO. Der Beschluß der gen der Außenpolitik hier einig sind und daß dies ge- NATO-Öffnung kann in seiner Bedeutung kaum rade angesichts der zerrütteten innenpolitischen Si- überschätzt werden. Damit ist der sehnlichste tuation in unserem Land ein wichtiger Punkt ist. Wunsch der betroffenen Staaten in Erfüllung gegan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gen. Wenn alles gutgeht, wird die NATO an ihrem ten der CDU/CSU und der F.D.P.)- 50. Jahrestag drei neue Mitglieder haben. Wir als Deutsche sollten insofern dazu beitragen, als wir Nach den tiefen Umbrüchen in Europa, nach dem diese Verträge nach ihrem Abschluß so bald wie Zusammenbruch des sowjetkommunistischen Sy- möglich - ich frage uns: warum nicht als erste? - rati- stems ist gerade dieses Jahr von besonderen und fizieren. sehr zentralen und wichtigen Entscheidungen ge- prägt, an die ich noch einmal erinnern möchte: an die (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) Grundakte der NATO mit Rußland, die, wie ich Wir Sozialdemokraten hätten uns in Mad rid einen denke, eine ganz zentrale Voraussetzung für die Zu- größeren Wurf gewünscht und bedauern es sehr, daß kunft und für die Bedeutung Rußlands und seine Prä- Slowenien und Rumänien nicht mit eingeladen wur- senz in Europa ist, gleichermaßen aber auch der Ver- den. trag mit der Ukraine, die Öffnung der NATO sowie die wichtigen Entscheidungen und Vorschläge der (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) Kommission für die Erweiterung der Europäischen Um so wichtiger ist der Schritt weiterer Öffnung Union. und daß der intensive Kontakt mit den Ländern, die daran interessiert sind, weiter gepflegt und ausge- Neue Strukturen der Integration und Kooperation zeichnen sich ab, durch welche das Zusammenleben baut wird. Das gilt auch für die baltischen Staaten, in Europa ein neues Gesicht erhält. Wenn der Herr deren Wille zur Integration nicht mit einer aussichts- Außenminister jetzt hier gewesen wäre, losen Perspektive beantwortet werden darf. (Freimut Duve [SPD]: Er ist da!) Für die innere Entwicklung der betreffenden Staa- ten noch wichtiger als die NATO-Öffnung ist jedoch hätte ich sogar gesagt, daß er daran einen nicht un- die EU-Osterweiterung, betrifft sie doch alle Berei- wichtigen Anteil hat. - Er ist doch da; mein Dank che der Gesellschaft und nicht nur - wie oft gedacht geht dann doch an ihn. - der Wirtschaft. Die Kommission hat die Beitrittsan- träge und den erreichten Entwicklungsstand der (Beifall bei der F.D.P.) zehn ostmitteleuropäischen Staaten gründlich ge- In der Grundakte der NATO wurde die besondere prüft und im vergangenen Juli in der von ihr vorge- Bedeutung Rußlands für die europäische Entwick- legten Agenda 2000 die Aufnahme der Verhandlun- lung anerkannt. Es wird für uns jetzt wichtig sein, gen mit Estland, Polen, Ungarn, der Tschechischen daß wir dies inhaltlich mit Leben füllen und nicht sa Republik und Slowenien befürwortet. 17028 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Markus Meckel Die Kommission hat den mutigen und meines Er- ßerdem ist die Unsicherheit, die jedes Jahr neu ein- achtens richtigen Schritt der Differenzierung der tritt, eine schwerwiegende Belastung für die Arbeit Kandidaten unternommen und ist zu klaren Aussa- in diesen Ländern. gen gelangt. Die SPD hat in ihrer Präsidiumserklä- rung diese Entscheidung ausdrücklich begrüßt. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- Wir fordern die Bundesregierung auf, bei dem ter Meckel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- Europäischen Rat in Luxemburg im Dezember, bei geordneten Dr. Riedl? - Bitte schön, Herr Dr. Riedl. dem endgültig über die Aufnahme der Beitrittsver- handlungen entschieden wird, die Vorschläge der Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Frau Präsi- Kommission tatkräftig zu unterstützen. dentin, vielen Dank! Herr Kollege, die Kürzungen, Wichtig ist es jedoch auch, hervorzuheben, daß die die Sie ansprachen, tun jedem weh. Gerade Sie und Kommission nicht nur vorgeschlagen hat, mit wel- wir alle, die in unseren politischen Stiftungen arbei- chen Ländern im Januar die Verhandlungen begin- ten, wissen natürlich, welche besondere Leistung nen sollen, sondern daß sie auch die Länder nicht aus dort auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe der Au- dem Blick verloren hat, die noch mehr Schwierigkei- ßenpolitik geleistet wird. ten haben, den Transformationsprozeß zu bewältigen Sind Sie mit mir der Meinung, daß es unvertret- und die Anpassung an den „acquis communautaire" bar wäre, wenn wir angesichts der notwendigen zu schaffen. Auch für sie soll mehr als bisher getan Kürzungen im Bundeshaushalt, angefangen beim werden, um die Heranführungsstrategie zu verstär- Goethe-Institut und dem Deutschen Akademischen ken. Ich halte das auch für dringend notwendig, Austauschdienst, über die Alexander-von-Humboldt- denn gerade diese Länder, die in ihrer Entwicklung Stiftung und die Auslandsstipendien bis hin zur in der zweiten Reihe stehen, brauchen eine verbind- kirchlichen und gewerkschaftlichen Arbeit, ausge- liche Beitrittsperspektive. Die Verhandungen sollen rechnet unsere politischen Stiftungen ausnehmen beginnen, sobald im jeweiligen Land die notwendi- würden? Ich glaube doch, mit Ihnen einer Meinung gen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Daß die zu sein, daß dies ein Akt der Ungerechtigkeit wäre, Kommission einen nächsten Bericht für Ende 1998 den ich auch gegenüber dem Steuerzahler und den ankündigt, ist dafür ein wichtiger Punkt. sonstigen Zuwendungsempfängern nicht gerne ver- Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir von der treten würde. Europäischen Kommission gerade hinsichtlich der Perspektive der Erweiterung gegenüber Polen und Markus Meckel (SPD): Verehrter Herr Riedl, Sie ha- der Tschechischen Republik angesichts der Katastro- ben mich gründlich mißverstanden. Ich habe nicht phe des Hochwassers, die diese Länder noch sehr die Meinung vertreten, daß man den Stiftungen viel stärker getroffen hat als Deutschland, noch mehr mehr Geld geben sollte und allen anderen gesell- erwarten, als bisher getan wurde. Bisher- wurden nur schaftlichen Institutionen weniger, sondern ich habe Mittel umgewidmet. Hier braucht es aber stärkere gesagt und vertrete dies ausdrücklich für meine und substantielle Hilfe. Fraktion, daß wir die gesellschaftspolitische Dirnen- (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei sion der Außenpolitik überhaupt verstärken sollten. Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn es darum geht, einen Haushalt zu kürzen, sind wir der Meinung, daß es eben nicht gerechtfertigt ist, Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind uns ver- den Stiftungen oder den anderen von Ihnen aufge- mutlich alle darin einig, daß die Integration der ost- zählten Institutionen die Mittel zu kürzen, sondern mitteleuropäischen Staaten und die Kooperation daß es eher darum geht, diese Dimension der Außen- wichtig sind für die Stabilisierung Europas. Gleich- politik sehr deutlich zu verstärken. zeitig ist jedoch klar, daß die makropolitischen Struk- turen nicht ausreichen, um Demokratie entwickeln (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zu lassen. Es braucht einen breiten gesellschaftlichen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kontakt, es braucht mikropolitische Entwicklungen, Meine Damen und Herren, ich denke, daß hier ein um hier gesellschaftspolitisch noch mehr zu tun., als wichtiger Punkt berührt wird, der für unsere Außen- bisher getan wurde. Die gesellschaftspolitische Di- politik insgesamt wichtig ist, wenn wir von gesell- mension der Außenpolitik muß deutlich verstärkt schaftspolitischen Fragen und von Menschenrechten werden. reden. Es wird darum gehen, daß wir Außenpolitik Dies ist keine neue Erkenntnis. Auch im Haushalt nicht nur als einen Kontakt zwischen Regierungen in des Auswärtigen Amtes ist dies deutlich zu erken- sicherheitspolitischen Fragen verstehen, sondern daß nen, wobei ich an den DAAD, an manche Projekte gerade bei Ländern, die auf dem Weg zur Demokra- der Kulturpolitik oder eben auch an die parteinahen tie oder inzwischen halbwegs gefestigte Demokra- Stiftungen denke. Doch - damit knüpfe ich an das tien sind, diese gesellschaftlichen Kontakte unter Ju- an, was Frau Gysi gesagt hat - gerade in diesem Be- gendlichen, Wissenschaftlern und Gewerkschaftlern reich wurde - wie wir finden - eklatant gekürzt. stärker unterstützt werden müssen. Nehmen wir die politischen Stiftungen, und zwar In einer so kurzen Zeit ist es nicht möglich, alle allesamt, die in Ostmitteleuropa und Osteuropa eine wichtigen Themen auch nur der europäischen Politik ganz wichtige Arbeit leisten. Die Mittel für ihre Ar- anzusprechen. Lassen Sie mich deshalb zu Bosnien beit werden im neuen Haushalt um 10 Prozent redu- nur eines sagen: Ich halte es für dringend erforder- ziert. Auch die Mittel des BMZ werden gekürzt. Au lich, daß wir uns schon jetzt darüber Gedanken ma- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17029 Markus Meckel chen, wie es dort nach Ende des Mandates im näch- Ausrüstung hält. Die dringend notwendige Moderni- sten Sommer weitergehen soll. Wir wissen alle, daß sierung für Heer, Luftwaffe und Marine kann weiter- ein Abzug der Truppen sehr schnell zu Krieg, Mord gehen. Dazu gehört auch das neue Jagdflugzeug für und Totschlag führen würde. Wenn man eine zweite, die Luftwaffe. Die Finanzierung ist im Verteidigungs- für Bosnien wichtige Dimension hinzunehmen wi ll, haushalt abgesichert. ist es die Rückführung der Flüchtlinge. Auch das hat wiederum handfest mit unserer Innenpolitik zu tun. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wir müssen - das ist heute schon oft angesprochen NEN]: Das stimmt doch gar nicht!) worden - diese Fragen einfach integra tiver betrach- Die Bundesregierung wird hierzu Ende September ten und auch integrativer miteinander angehen und entscheiden. Wir haben trotz angespannter Haus- dürfen uns nicht scheuen, hier auch den Amerika- haltslage eine Vorhabenplanung, die dem Bedarf al- nern heute schon zu sagen: Bleibt da, auch wir wol- ler Teilstreitkräfte angemessen Rechnung trägt. len dableiben. (Erneuter Zuruf der Abg. Angelika Beer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ten der F.D.P.) - Frau Beer, nicht aufregen! Ich habe mich gestern Meine Damen und Herren, wir befinden uns hier über die Kollegin von der SPD amüsiert, die früher in der Haushaltsdebatte. Alle genannten Aktivitäten immer vorgerechnet hat, wie viele Kindergärten an- kosten Geld. Wir müssen entscheiden, ob wir dieses geblich nicht gebaut werden können. Jetzt hat sie Geld aufbringen wollen, um der gewachsenen Be- sich Sorgen um das deutsche Heer gemacht, fast so, deutung Deutschlands in Europa gerecht zu werden, als ob sie, Frau Matthäus-Maier, die Heeresbeauf wie es der Kanzler zu Recht auszudrücken pflegt. tragte der Sozialdemokraten wäre. Wie gezeigt, lassen wir jedoch manche Chancen un- genutzt, wo mit wenig Geld sehr viel und mit langfri- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Die Kinder sind stiger Wirkung zu erreichen wäre; siehe den oben inzwischen groß geworden!) angesprochenen gesellschaftlichen Bereich. Über- Das Heer ist in guten Händen. Die Teilstreitkräfte haupt stünde es dem deutschen Finanzminister, der werden ausgewogen unterstützt. gerne Außenminister werden möchte, gut an, der deutschen Außenpolitik dafür die angemessenen (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich denke, daß schon NEN]: Die Finanzierung ist überhaupt nicht die Kürzungen der vergangenen Jahre im personal- abgesichert!) politischen Bereich wirklich kontraproduktiv für die notwendige deutsche Präsenz in anderen Ländern Ich hoffe, Sie machen sich keine Sorgen um - das sind. Heer, liebe Frau Beer. Es ist in guten Händen und auch in diesem Haushalt hervorragend berücksich- Vom Außenminister - er hat ja vorhin -schon darum tigt. geworben - erwarten wir deshalb, daß er seinen Ich bin dankbar für die breite Übereinstimmung in Haushalt wirklich mit Zähnen und Klauen gegen jede Kürzung verteidigt. Wir werden ihm dabei bei- der Regierungskoalition, aber auch darüber hinaus, stehen. hier im Parlament und in der Öffentlichkeit, daß beim Verteidigungshaushalt nicht mehr gespart wer- (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) den kann und eine mäßige Konsolidierung notwen- dig ist, Vizepräsidentin Michaela Geiger: Liebe Kollegin- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: nen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zum Ge- Hunger- pastor!) schäftsbereich des Auswärtigen Amtes liegen nicht vor. damit die Bundeswehr ihre Aufgaben erfüllen kann. Wir setzen die Haushaltsberatungen fo rt und kom- Der Haushalt wächst mittelfristig von 46,3 Milliar- men zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums den DM im Jahre 1997 bis auf 48,6 Milliarden DM im der Verteidigung, dem Einzelplan 14. Ich erteile das Jahre 2001. Wort dem Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe. (Gerhard Neumann [Gotha] [SPD]: Das hofft der Minister!)

Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Dadurch steigt der investive Anteil von heute 22,5 Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prozent auf über 28 Prozent im Jahre 2001. Mit dem Verteidigungshaushalt 1998 halten wir die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Bundeswehr einsatzbereit und zukunftsfähig. Der und der F.D.P.) Haushalt ist ein annehmbarer Kompromiß. Die schwierige Finanzlage erfordert von allen schmerz- Damit kommen wir näher heran an das notwendige hafte Eingriffe. Die Bundeswehr hat sich dieser Not- und gute Verhältnis von Bet riebsausgaben und Inve- wendigkeit schon in den letzten Jahren nicht ver- stitionen von 70 : 30. schlossen. Die Streitkräfte haben einen einzigartigen Sparbeitrag geleistet. Beim Betrieb steht jetzt die Materialerhaltung vor allem beim Heer im Vordergrund. Das ist eine kom- Aber unsere Verantwortung verlangt, daß unsere plexe Herausforderung an die Logistik. Denn zur Bundeswehr ihren hohen Stand bei Ausbildung und Zeit wird das gesamte logistische System grund- 17030 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundesminister Volker Rühe legend umgestellt und an die neuen Bedingungen Gegenüber dem Haushalt 1997 steigen die verfüg- angepaßt. Zugleich laufen Versorgung und Instand- baren Mittel im nächsten Jahr um rund 550 Millionen setzung für Ausbildung und Einsatz weiter. Da sind DM. Das ist ein wichtiges Signal für die Bundeswehr. Friktionen und Engpässe unvermeidbar. Allerdings bleibt der Haushaltsentwurf hinter dem sorgfältig begründeten Bedarf zurück. Deshalb sind Wir müssen unsere Soldaten auf den Einsatz in einige Eingriffe unvermeidbar. Bosnien sorgfältig vorbereiten. Deshalb muß die Truppe für jedes Kontingent intensiv üben. Das Ma- (Günter Verheugen [SPD]: Aha!) terial wird daher besonders beansprucht. Im Einsatz in Bosnien wird es ungleich mehr belastet als im Frie- - Was heißt hier aha? Was meinen Sie denn, was Rot den am Standort. oder Rot-Grün für die Bundeswehr bedeuten würde? Das wäre im Vergleich zu diesen kleinen Eingriffen Die Probleme sind erkannt. Wir gehen sie zielge- die Zerstörung der Bundeswehr. Man muß das immer richtet und mit Nachdruck an. Für die Materialerhal- wieder sagen. tung vor allem des Heeres haben wir beträchtliche zusätzliche Mittel im Haushalt bereitgestellt. Mein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - besonderes Augenmerk gilt allen Maßnahmen, mit Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist ein Gespenst! denen die Ersatzteilversorgung Schritt für Schritt den - Zuruf von der SPD: Wir wollen doch nicht neuen Erfordernissen angepaßt wird. besser als der Kanzler sein!) Vorrang haben, was der Einsatz verlangt, Ausbil- - Ich wußte doch, daß es mir gelingen würde, Sie dung und Ausrüstung. Unsere Streitkräfte müssen nach dieser staatsmännischen Debatte über den Etat heute nicht mehr in 48 Stunden aufmarschieren kön- des Auswärtigen Amtes aufzuwecken. nen, wie das in der Zeit des kalten Krieges der Fall Ich bleibe bei unserer Linie: war. Sie müssen nicht mehr in 48 Stunden verteidi- gungsbereit sein. Deshalb können wir in der Einsatz- Erstens. Eingriffe in die Umfangstärke und die bereitschaft und auch in der Materialausstattung dif- Struktur der Bundeswehr kommen nicht in Frage. ferenzieren. Ich bin schon erstaunt über den einen Zweitens. Auch bei Ausbildung und Übung wird oder anderen Kollegen von den Sozialdemokraten, es keine haushaltsbedingten Eingriffe geben. der ein öffentliches Geheul über die schwierige Lage des Heeres veranstaltet, in Zusammenarbeit mit dem Drittens. Der Aufbau Ost und wichtige Infrastruk- Freundeskreis des deutschen Heeres. Zum Teil ver- turvorhaben zur Einnahme der neuen Struktur wer- bergen sich dahinter eher Industrieinteressen, als den ebenfalls geschont. daß es sich um besondere Freunde des deutschen Heeres handelte. Einige Bemerkungen zur Lage der Bundeswehr. Ich glaube, da können wir alle übereinstimmen: Das (Walter Kolbow [SPD]: Da tun Sie- aber man Ansehen unserer Streitkräfte war noch nie so hoch chem Kollegen arg unrecht!) wie heute. Die Zustimmung der Bevölkerung zur - Der Kollege weiß schon, wen ich meine. Bundeswehr ist überwältigend. Deswegen kann ich Ihnen nur mit aller Deutlich- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ keit sagen: Wir sind in einer anderen Lage als NEN]: Das ist erschreckend!) 1989. Meine zentrale Verantwortung ist es, wo immer - Ach, für Frau Beer ist das erschreckend. Ich glaube, Soldaten zum Einsatz kommen, ihre Ausbildung und das sollte festgehalten werden. Wenn Soldaten in ei- Ausrüstung optimal zu regeln. Aber nicht alle ner Demokratie die Unterstützung der Bevölkerung 340000 Soldaten der Bundeswehr müssen in jeder haben, dann ist das nicht erschreckend. Es ist viel- Stunde kurzfristig voll ausgebildet, voll ausgerüstet mehr eine phantastische Sache, wenn die Soldaten in einen Einsatz geschickt werden können. vom Vertrauen der Bevölkerung getragen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Lisa Peters [F.D.P.]) der SPD sowie des Abg. Hanns-Peter Ha rt Es hat schon etwas für sich, daß sich die Sozialde- mann [PDS]) mokraten von einem Verteidigungsminister dieser Es ist nur erschreckend für diejenigen, die eine an- Koalition sagen lassen müssen, in ihrem Kopf ein biß- dere politische Strategie betreiben. chen für Ordnung zu sorgen. Ich finde es übrigens auch interessant, daß sich (Zuruf von der SPD: Märchenstunde!) Frau Beer morgen bei der angeblich so geheimen - Ich weiß, das tut weh, wenn man darauf hingewie- KSK-Evakuierungsübung abgemeldet hat. sen wird, daß man umdenken muß. Die Soldaten, die (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ in den Einsatz gehen, erhalten das Beste, was wir ha- NEN]: Schaulaufen!) ben. Ihre Ausrüstung in Bosnien hält jedem Ver- gleich stand. Ich habe sie für die Abgeordneten a ller Fraktionen geöffnet. Selbst Vertreter der PDS kommen. Das sind (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist Berührungsängste mit der neuen erfolgreichen Bun- wohl wahr!) deswehr. Wir öffnen uns dort für alle, damit sie sich Vergleichen Sie sie einmal mit den Ausrüstungen der angucken können, was wir machen. Wenn Sie kom- Streitkräfte anderer Länder! men würden, würde es Ihnen etwas schwerer fa llen, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17031

Bundesminister Volker Rühe in der Öffentlichkeit weiterhin bestimmte Dinge über dänischen Jütland-Division und der 12. polnischen den Einsatz der Soldaten zu sagen. Division aus Stettin feierlich eine Pa rtnerschaft zur Vorbereitung des gemeinsamen Korps besiegeln - Mit den Leistungen, dem erfolgreichen Kampf ge- übrigens unter einem Chef, der 1993 die Führungs- gen die Flut an der Oder, dem Einsatz für den Frie- akademie der Bundeswehr in Blankenese absolviert den in Bosnien, dem Aufbau der Armee der Einheit, hat. Dies ist eine ganz bewußte Entscheidung des findet die Bundeswehr heute große Anerkennung polnischen Verteidigungsministers, für die ich ihm und Unterstützung. sehr dankbar bin. Es ist eine sehr gute Geste, in der An der Oder hat die Armee der Einheit die große Stettiner Division jemanden einzusetzen, der diese Bewährungsprobe bestanden. Wir haben do rt Solda- Führungsakademie absolviert hat. ten aus 70 Verbänden aus allen Regionen Deutsch- In dieser Zusammenarbeit entstehen persönliche lands im Einsatz gehabt. Insgesamt waren es über Beziehungen, die unsere Völker verbinden: Truppen- 30000 Männer und Frauen. Heute weiß jeder, daß besuche, Soldatenaustausche, Seminare, Sportveran- dort mehr geschehen ist als das Verbringen von acht staltungen, gemeinsame Ausbildung - im Grunde Millionen Sandsäcken. Hier sind Menschen sozusa- ein Jugendaustausch in Uniform. Es sind alles junge gen zusammengewachsen. Die Soldaten können auf Männer. Ich glaube, das ist der beste Stabilitätsex- das, was sie dort geleistet haben, stolz sein. Die port, den wir uns vorstellen können. Dankbarkeit der Bevölkerung ist ihr schönster Lohn. (Gerhard Zwerenz [PDS]: Nur die Russen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. fehlen noch!) sowie bei Abgeordneten der SPD) - Natürlich. Auch mit ihnen wollen wir enger zusam- Ich habe an der Oder, auch in Hohenwutzen, zu menarbeiten. Es gibt ja auch schon die Teilnahme den Soldaten immer über Bosnien gesprochen, weil von russischen Soldaten an PfP. Vor allen Dingen in ich wußte, was es für eine kritische Entscheidungssi- Jugoslawien arbeiten sie auf das engste zusammen. tuation ist. Das wird auch in den nächsten Wochen Also auch hier wollen wir eine engere Zusammenar- der Fall sein. Unsere Soldaten dort leisten einen beit. großartigen Dienst für den Frieden. In diesen Tagen ist das sechste Kontingent bezüglich IFOR und SFOR Ich muß mich jetzt etwas kürzer fassen. Wir haben in den Einsatz gegangen. Man muß sich einmal fol- die richtigen Streitkräfte für jede Aufgabe, die dieses gendes vor Augen halten, um zu sehen, daß es eine deutsche Parlament den deutschen Streitkräften stel- ganz andere Armee ist: Insgesamt haben jetzt über len kann: für die Landes- und Bündnisverteidigung - 31000 Soldaten und Soldatinnen aus der ganzen die klassischen Aufgaben -, die neuen internationa- Bundeswehr, aus Hunderten von Einheiten, aus allen len Einsätze und eben auch für einen so gewaltigen Bundesländern an dem Einsatz im früheren Jugosla- Katastropheneinsatz wie den an der Oder. wien mitgewirkt. Ich glaube, das ist die wichtigste Aussage, die wir Der dritte Punkt. Wie kaum eine andere Armee un- treffen können: Unsere Soldaten haben die richtige terstützt die Bundeswehr unsere Nachbarn im Osten Ausbildung und die richtige Ausrüstung. Bei allem auf ihrem Weg in das Atlantische Bündnis. Wir helfen Gejammere, das gelegentlich aufkommt, muß man ihnen dabei, daß die Integration in die NATO im sehen: Die Hubschrauber, über die manche früher Frühjahr 1999 reibungslos erfolgen kann. Militäri- gespottet haben, haben sowohl Menschen aus Tirana sche Integration ist ein Signal dafür, daß das Schick- gerettet als auch Sandsäcke nach Hohenwutzen ver- sal unserer Völker auf das engste miteinander ver- bracht. Sie haben beide Aufgaben glänzend bestan- bunden ist. Diese Schicksalsgemeinschaft ist im We- den. sten über Jahrzehnte gewachsen. Ähnliches soll jetzt Ich kenne mit Ausnahme der Amerikaner eigent- mit Polen und den anderen neuen Mitgliedstaaten lich niemanden, der ein solches technologisches „as- geschehen. set" hätte. Das heißt, bei allen Lücken, die es immer Sie haben die Verabredung zwischen dem däni- wieder geben mag und die man über Nacht auch schen, dem polnischen und dem deutschen Verteidi- nicht beseitigen kann oder muß, weil wir uns nicht in gungsminister verfolgt, ein gemeinsames Korps zu einer zugespitzten Sicherheitslage befinden, gibt es bilden. Schon im nächsten Monat werden die ersten eine hervorragende technologische Ausrüstung der sechs polnischen Offiziere nach Rendsburg zu Bundeswehr für alle Aufgaben, die sich ihr stellen. LANDJUT kommen. Dann wird es in Stettin ein ge- Das gilt auch für die ausgewogene Mischung von Be- meinsames Hauptquartier mit wechselnder Leitung rufs- und Zeitsoldaten, Wehrpflichtigen und Reservi- zwischen diesen drei Ländern geben. Es ist phanta- sten. stisch, daß wir im dänisch-polnisch-deutschen Ver- Jetzt lassen Sie mich als letztes noch kurz sagen: hältnis Vergleichbares schaffen können, wie wir das Die Bundeswehr ist das Spiegelbild der Gesellschaft. mit unseren westlichen Nachbarn, den Franzosen, Dies ist auch gut so. Wir bekommen so in die Streit- den Niederländern oder auch den Dänen im Norden haben schaffen können. kräfte viel Intelligenz, Jugendlichkeit und Mobilität, was wir in einer Berufsarmee nie hätten. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie Aber wir erhalten natürlich auch die schwarzen bei Abgeordneten der SPD) Schafe und werden mit den Fehlentwicklungen der Wir werden im Oktober in Greifswald zwischen Gesellschaft konfrontiert, zum Beispiel mit jungen der 14. deutschen Division aus Neubrandenburg, der Menschen, die 18 Jahre in Familie und Schule ge- 17032 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundesminister Volker Rühe formt wurden und nach zwei Monaten bei der Bun- Walter Kolbow (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- deswehr auffällig werden. Deswegen ist festzustel- leginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Rühe, haben len: Jeder Soldat muß wissen, wofür er dient. Nie- Sie recht: Das Ansehen der Bundeswehr ist in diesem mand sagt das so hart und klar wie wir. Er muß wis- Sommer - zu Recht - gestiegen. Unsere Soldaten ha- sen, daß er als Soldat im Dienst und außerhalb des ben beim Katastropheneinsatz an der Oder Großarti- Dienstes für die Würde aller Menschen einzutreten ges geleistet. Ohne ihren koordinierenden und hel- hat. Die Bundeswehr kann und will Schule und El- fenden Einsatz wäre es mit großer Wahrscheinlich- ternhaus nicht ersetzen. Die Versäumnisse können keit zu erheblich mehr Dammbrüchen und noch grö- nicht in wenigen Monaten Grundausbildung aufge- ßeren volkswirtschaftlichen Schäden gekommen. Be- holt werden. sonders dankbar möchte ich die Tatsache hervorhe- ben, daß es beim gesamten Einsatz nicht zum Verlust Aber wir können auf keinen Fall Kriminelle und von Menschenleben gekommen ist. Gewalttäter in der Bundeswehr dulden. Auf diese Debatte freue ich mich; denn einige haben sich, so Dagegen mußten wir gestern leider mit tiefem Be- glaube ich, im Sinne einer Verabsolutierung des Da- dauern zur Kenntnis nehmen, daß es in Bosnien ei- tenschutzes voreilig festgelegt. Ich bin dankbar für nen weiteren Verkehrsunfall mit Todesfolge gegeben die Unterstützung, die ich von Frau Schulte und von hat und dabei ein Stabsunteroffizier aus dem anderen bekommen habe. Gebirgsbataillon 232 in Bischofswiesen, Bayern, ge- tötet und zwei Soldaten verletzt worden sind. Den (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Angehörigen gilt unser Mitgefühl, und den verletz- der SPD) ten Soldaten wünschen wir baldige Genesung.

Wehrdienst ist ein Ehrendienst. Dafür steht auch (Beifall im ganzen Hause) die Uniform. Wir können es nicht dulden, daß Extre- Frau Kollegin Beer, beim Katastrophenschutz an misten an der Waffe ausgebildet werden und daß wir der Oder hat die Bundeswehr in der Tat mit ihrer her- ihnen die Uniform geben. ausragenden Leistung ihren Platz und ihre Rolle in der Gesellschaft und im Verfassungssystem gefestigt. Ich kann übrigens auch nicht akzeptieren, daß ju- Noch vorhandene Skepsis in den neuen Bundeslän- gendliche Straftäter eine Woche nachdem sie bei der dern ist breiter Zustimmung gewichen. Durch diese Bundeswehr sind, plötzlich zu Straftätern der Bun- helfende Leistung sind die Streitkräfte ein noch deswehr werden. In Wirklichkeit handelt es sich um selbstverständlicherer und akzeptierterer Teil unse- jugendliche Straftäter, die eingezogen werden und res Volkes geworden, als sie es schon waren. Deswe- der Bundeswehr in der nächsten Sekunde zugerech- gen möchte ich dies im Namen der sozialdemokrati- net werden. schen Bundestagsfraktion ausdrücklich hervorheben, begrüßen und mich bei allen Soldaten herzlich be- Ich möchte durch einen Einblick in -das Zentralre- danken. So etwas Törichtes wie Ihre Bemerkung gister, in das Erziehungsregister, was die Reststrafen hierzu, daß dies erschreckend sei, habe ich schon angeht, und durch Informationen der Landesbehör- lange nicht mehr gehört - den wissen, ob beides zusammenkommt, nämlich Gewaltbereitschaft und politischer Radikalismus, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der und ob sich das in Straftaten geäußert hat. Es ist doch F.D.P. - Widerspruch der Abg. Angelika ein Unding, daß wir darüber nicht Bescheid wissen Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Paul und diese Leute unwissend zum Wehrdienst heran- Breuer [CDU/CSU]: Ein Topkoalitionspart ziehen. Eine Woche später heißt es dann: Soldaten ner!) haben dieses und jenes gemacht. um mich Ihnen gegenüber als Kollege höflich zu äu- Darum geht es. Ich glaube, man kann den Daten- ßern; mir läge auch etwas anderes auf der Zunge. schutz für junge Männer in vernünftiger Weise ge- Ich glaube, daß von diesen Sonnenstrahlen, die auf währleisten und ihnen keine Jugendsünden auf ewig die Bundeswehr gefallen sind, zu Recht auch der Ver- anhängen. Aber wenn Gewalttaten und politischer teidigungsminister einige abbekommen hat. Das ist Radikalismus zusammenfallen, müssen wir darüber auch deswegen bemerkenswert, weil Ihre Koalitions Bescheid wissen. Denn es bleibt immer noch eine kollegen in der Regierung trotz des schönen Som- Ehre und auch eine Verpflichtung, wenn wir ihnen merwetters, zumindest im August, im übertragenen Uniform und Gewehr geben. Deswegen werden wir Sinne eher im Regen standen, den Sie auch noch diese Diskussion offen führen. Sie zeigt im übrigen selbst - bayrisch - herbeigeredet haben. Zehren Sie auch: Für diese Leute ist kein Platz in der Bundes- also, lieber Kollege Rühe, von den Strahlen, die wehr; da gibt es kein Zurückweichen von unserer durch die gute Leistung Ihrer Soldaten auch Sie ge- Seite. troffen haben. Denn was ich zu anderen Bereichen anzumerken habe, ist leider nicht nur glänzend und Ich bedanke mich. anerkennend. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Die Probleme des Rechtsradikalismus in der Bun- sowie bei Abgeordneten der SPD) deswehr haben, wie wir in den letzten Tagen erfuh- ren, nun doch einen zahlenmäßig größeren Umfang angenommen, als es uns bisher glaubhaft gemacht Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat wurde. Wir begrüßen es daher, daß der Generalin- jetzt der Abgeordnete Walter Kolbow, SPD-Fraktion. spekteur die Kommandeure gegenüber den Erschei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17033

Walter Kolbow nungsformen des Rechtsradikalismus hat sensibili- nen markigen Worten, die ihm so eigen sind, ka- sieren können. Es ist richtig und erforderlich, um schiert. Schaden von der Bundeswehr abzuwenden, wenn nun jeder Fall der insgesamt 110 Fälle aufgegriffen (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Er hat und gemeldet wird. Gleichwohl meine auch ich, daß Zahlen vorgelegt!) es die Sachlage verbietet, von einem rechtsradikalen Trend in der Bundeswehr zu sprechen, Denn die finanzpolitische Lage, in die die Bundesre- gierung die Bundeswehr mit dem 1998er Haushalt (Zustimmung des Abg. Paul Breuer [CDU/ bringt, läßt leider befürchten, daß sich die dunklen CSU]) Wolken, die durch die Politik dieser Regierung schon bisher über die Bundeswehr geschoben worden sind, weil - so meine Information jedenfalls - 94 Prozent weiter verfinstern. Die düstere Lage der Streitkräfte der gemeldeten Täter Wehrpflichtige und 93 Prozent läßt sich eben nicht schönreden und auch nicht auf der Fälle sogenannte Propagandafälle sind. Der Foren und in sonstigen Reden im Lande kaschieren Kampf gegen rechtsextremistische Verhetzung und und - wie im Forum der „Welt am Sonntag" gesche- Ausländerfeindlichkeit muß daher auch - ich stimme hen - einfach mit der Behauptung beseitigen, es Ihnen zu, Herr Minister - in der Familie, in der gebe in der Strukturfrage - so Volker Rühe - eine völ- Schule, im Ausbildungsbetrieb und im Vereinsleben lige Übereinstimmung zwischen der politischen und zivilcouragiert geführt werden, aber eben auch in der militärischen Führung. Bundeswehr. Eine gesunde Struktur kann nur erhalten werden, (Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) wenn sie bezahlbar ist. Davon beißt die Maus eben keinen Faden ab: Sie, Herr Rühe, haben für diese Die erhebliche Zahl der nun gemeldeten Fälle be- Struktur seit Jahren nicht genügend Mittel aufbrin- weist, daß die im Verteidigungsausschuß einhellig er- gen können, und für die verfügbaren Mittel haben hobene Forderung der Verteidigungspolitikerinnen Sie keine Struktur. und Verteidigungspolitiker richtig war, mit der Ver- nachlässigung der staatsbürgerlichen Bildung der (Beifall bei der SPD) Soldaten Schluß zu machen und auch in der Bundes- In dieser Frage helfen Ihnen auch nicht die von Ih- wehr konsequent gegen den in Teilen der jungen nen erlassenen Denkverbote. Wer wie Sie 53 Prozent Generation vorhandenen Rassismus vorzugehen und des Etats für den Personalhaushalt der Bundeswehr die Erziehungsmöglichkeiten der Bundeswehr auch ausgeben muß und eben nur 22 Prozent für Investi- zu nutzen. tionen übrig hat - so die Zahlen -, der untergräbt die eigene Strukturpolitik. Die vergleichbaren Zahlen für Dem Generalinspekteur danken wir für seine gesunde Streitkräftestrukturen, zum Beispiel bei den Initiative zur stärkeren Nutzung der politischen- Bil- Briten und den Amerikanern, aus dem Jahr 1995 se- dung in den Streitkräften. Er liegt richtig, wenn er hen gänzlich anders aus. Die Briten wenden 40,9 Pro- Kommandeure und Chefs anweist, die vielfältigen zent für das Personal und 37 Prozent für Investitionen Möglichkeiten des staatsbürgerlichen Unterrichts auf; die Amerikaner 39,4 Prozent für das Personal zu nutzen, um den Soldaten die verheerenden Fol- und 29,7 Prozent für Investitionen. gen von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus vor Augen zu führen. Wir hätten diese klaren Worte Selbst Ihr Parteifreund Thomas Kossendey, Herr und auch die deutliche Information, wie viele Fälle Rühe, stellt an Hand der neuen sicherheitspolitischen dies nun sind, auch von Ihnen, Herr Rühe, erwar- Lage in Europa fest, daß eine Verkleinerung der tet. Schlechte Botschaften überbringen bei Ihnen Bundeswehr vor allem in der Teilstreitkraft Heer be- immer andere; das ist ja auch nicht so medienwirk- züglich der knappen Haushaltsmittel zukunftswei- sam. send sei. Ich hoffe, er bekommt keine weiteren Schwierigkeiten. Aber wer die Wahrheit sagt wie Dem, was Sie dazu gesagt haben - wie wir vorbe- wir, der bekommt ja auch öfter Probleme mit dem reitend, präventiv tätig werden -, wollen wir Ihnen Verteidigungsminister. gerne rechtstaatlich folgen. Aber Sie konnten leider auf meine schriftliche Anfrage an die Bundesregie- Ich zitiere den Kollegen aus der SZ vom 20. Juni, rung, wie Sie das denn tun wollen unter Beachtung der sagt: rechtstaatlicher Kriterien des Datenschutzes, aber auch des Jugendschutzes, keinerlei Auskünfte ge- Immer mehr soll also mit immer weniger Geld ge- ben. Sie sagen, Sie prüften noch. Sagen Sie uns bitte leistet werden. Diese Rechnung geht nicht auf. aus Sicht der Bundesregierung, auch im Rechtsaus- Da helfen weder Denkverbote, wie der Verteidi- schuß, auch im Innenausschuß und natürlich im Ver- gungsminister sie gerne verkündet, noch populi- teidigungsausschuß, wie wir dies machen wollen. Sie stische und phantasielose Schnellschüsse, wie erhalten dann unsere Unterstützung. wir sie in diesen Tagen schon von einigen F.D.P.- Kollegen hören. Ich komme nun zum heutigen Hauptthema, der fi- nanziellen Lage der Bundeswehr. Hier hat, wie im- Die koalitionsinternen Schnellschüsse des Herrn mer in diesem Zusammenhang, der Bundesminister Kollegen Koppelin machen die Unzuf riedenheit mit der Verteidigung Zweckoptimismus verbreitet und Ihrer Haushalts- und Strukturpolitik deutlich, wenn einen Haushaltskompromiß zu seinen Lasten mit sei er fordert - ich zitiere -: 17034 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Walter Kolbow Würde man 10 000 Wehrpflichtige weniger einbe- nen. Hinzu kommt offener Widerspruch von seiten rufen, könnten schon 300 Millionen DM für an- der Bundeswehr, die die geringe Investitionsquote dere Aufgaben freigesetzt werden. öffentlich kritisiert. So ist es Ihnen selbst beim Forum der „Welt am Sonntag" gegangen, als Sie sagten, es Solche Schnellschüsse lösen das Problem in der Tat gebe keinen Militär, den Sie kennten und der Ihnen nicht, sie machen aber, liebe Kolleginnen und Kolle- in dieser Frage widerspreche. Prompt stand ein gen, den Handlungsbedarf deutlich. Oberstleutnant auf - hoffentlich wird seine Karriere (Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] meldet sich dadurch nicht geknickt -, der sagte, die Bundeswehr zu einer Zwischenfrage) laufe Gefahr, „ein Koloß auf tönernen technologi- schen Füßen zu werden", wenn es mit dem Verteidi- Deshalb treten wir für eine parteiübergreifende gungsetat so weitergehe. So ist die Lage. Wehrstrukturkommission ein, die seriös zu neuen, tragbaren Lösungen kommt, die die Wehrpflicht so Das bisherige Tabuisieren des Themas muß also zu lange wie möglich als die für die Bundeswehr beste Ende gehen, die offen ausgebrochene Kritik muß alle Wehrform erhalten. Bereits heute liegen interessante zum Umdenken anregen. Auch der Verteidigungsmi- Vorschläge hierzu vor, über die es sich parteiüber- nister muß sein Schönreden beenden. Wenn die Bun- greifend zu diskutieren und einen Konsens anzustre- deswehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, als inte- ben lohnt. graler Bestandteil der Gesellschaft effektiv erhalten bleiben soll, müssen intelligente Reformen zur zu- Bitte schön, Herr Kollege. kunftsweisenden Modernisierung her. Die so gewon- nenen Haushaltsmittel könnten dann effizienter in Vizepräsidentin Michaela Geiger: Nein, erst muß Ausbildung und Mate rial investiert werden. Damit ich fragen. wäre auch gleichzeitig eine innova tive Weiterent- wicklung der Wehrpflicht möglich. Walter Kolbow (SPD): Ich bitte um Nachsicht. Selbst ein renommierter Expe rte wie Professor Dr. Huber von der Universität der Bundeswehr in Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich gehe also da- München plädiert für eine Reduzierung der Bundes- von aus, daß Sie eine Zwischenfrage gestatten. - wehr um 15 bis 20 Prozent. Lesen Sie einmal - auch Bitte schön, Herr Abgeordneter Koppelin. für die offene Debatte im Verteidigungsausschuß - das, was in der neuesten Ausgabe der „Zeitschrift für Wehrtechnik" steht. Er sagt: Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Kolbow, nachdem Sie mich zitiert haben - Sie haben mich ... eine erneute Reduzierung der Bundeswehr um richtig zitiert -, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit etwa 15 bis 20 Prozent stellt keine Gefährdung sind, zuzugeben, daß es auch in Ihrer Fraktion solche der Wehrgerechtigkeit und damit der Wehrpflicht - Auffassungen gibt. Ich nenne bewußt den Kollegen dar. Opel, der hier ebenfalls die Debatte verfolgt. Sind Sie dann auch bereit, den Kollegen Opel und nicht nur Ich füge hinzu: Es schafft Investitionsspielräume, und mich darauf anzusprechen? die neue sicherheitspolitische Lage erlaubt dies auch. Walter Kolbow (SPD): Ja, natürlich, Herr Kollege. Eine neue Wehrstruktur kann auch aufgabenge- Sie haben ja gestern schon gehört, daß auch wir eine recht und bündnispolitisch verträglich sein. Die Per- pluralistische Partei sind. sonalkosten könnten verringert und die Investitions- (Lachen des Abg. Günther F riedrich Nolting anteile heraufgesetzt werden. Dadurch bekäme die ch wieder eine gesunde Struktur. [F.D.P.]) Bundeswehr endli Herr Kollege Zierer in der CSU, Sie in der F.D.P., der Ich sage an dieser Stelle, daß wir darüber reden Kollege Opel in meiner Partei treten für die soge- wollen. Wir wollen darüber parteiübergreifend dis- nannte Freiwilligenarmee unter Ruhen der Wehr- kutieren und im Interesse der Soldatinnen und Sol- pflicht ein. Ich halte das für falsch. Ich zitiere Sie nur daten und ihrer Familien einen Konsens erzielen. deshalb, weil Sie ja in einer Koalition sitzen und weil Hier ist kein Hauruckverfahren verlangt. Der Sozial- Sie als Koalitionsabgeordneter natürlich auch mit Ih- verträglichkeit räumen wir einen wesentlichen Stel ren Entscheidungen für Ausgaben, zum Beispiel für lenwert ein, weil es hier natürlich auch um die Stand- den Eurofighter, dem Verteidigungsminister erhebli- orte und die Regionalverträglichkeit geht. che Sorgen machen. Diese Sorgen macht uns der Dies wäre zu machen, wenn wir uns alle miteinan- Kollege Opel nicht, denn er berät uns mit seinem der anstrengten und nicht ab rupt, wenn man dieses Sachverstand. In einer Frage folgen wir ihm halt Thema anspricht, von seiten des Herrn Bundesmi- nicht. nisters eine Mauer der Feindlichkeit errichtet würde. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Lachen Ich fordere Sie auf: Öffnen Sie sich, Herr Rühe! Dis- bei der F.D.P.) kutieren Sie mit uns, im Interesse der Streitkräfte und einer sinnvollen Verwendung von Geld, der Ihr Denkverbot, Herr Minister, ist also kontrapro- Modernität und Zukunftsreformen auch im Bereich duktiv. Es scheint so zu sein, daß sich selbst Mitglie- der Verteidigungspolitik! der der Regierungskoalition sinnvollen Argumenten für eine neue Wehrstruktur nicht verschließen kön (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17035 Walter Kolbow Es bleibt natürlich nicht aus, auch auf den euro Finanzierung. Für mich bleibt die Frage, ob Sie, fighter einzugehen. wenn nachgewiesen werden kann, daß die Finanzie- rung gesichert ist, erwarten, daß die volle Zustim- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aha!) mung der SPD-Fraktion zum Eurofighter erfolgt. Das ist eine unendliche Geschichte. In den Medien wird viel über das größte Rüstungsprojekt in der Ge- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das ist schichte der Republik geschrieben; es gibt auch wirklich Käse! - Günter Verheugen [SPD]: einen Kommentar in der „SZ" vom 8. September. Es So einfach nun auch wieder nicht!) wird viel gemutmaßt. Ich meine, alle Spekulationen dienen der Sache nicht, weder der Bundeswehr, die Walter Kolbow (SPD): Lieber Kollege Breuer, wenn ein Luftverteidigungsflugzeug als Nachfolger für die Sie mich hätten zu Ende reden lassen, dann hätten „Phantom" braucht, noch unserer wehrtechnischen Sie diese Frage nicht zu stellen brauchen; denn dann Industrie und den betroffenen Arbeitnehmern und hätten Sie das runde Bild meiner Argumentation zur Arbeitnehmerinnen, die um ihre Arbeitsplätze ban- Kenntnis nehmen können. Ich lasse aber immer Fra- gen. gen zu, wenn Sie sie stellen wollen. Deshalb beant- (Beifall des Abg. Otto Hauser [Esslingen] worte ich diese Frage gerne. [CDU/CSU]) Ich war beim Effekt der Verdrängung durch den Diese unendliche Geschichte hat zum größten Teil Eurofighter im Bundeswehretat mit einem Volumen die Bundesregierung insgesamt zu verantworten, von 2 Milliarden DM pro Haushaltsjahr stehengeblie- insbesondere aber der Finanzminister als Herr der ben. Dies konnte der Bundesverteidigungsminister Haushaltslöcher und natürlich auch Sie, Herr Rühe, nicht verhindern. Auch in einer Tischvorlage des als Ressortverantwortlicher, als Verteidigungsmi- Rechnungshofes vom 4. September 1997 für die Be- nister. Durch die sprunghafte Planung, durch unso- richterstattergespräche zum Eurofighter wird dieser lide Haushaltspolitik und durch handwerkliche Feh- erhebliche Verdrängungseffekt auf andere Rüstungs- ler haben Sie dieses Projekt in noch schwierigere programme festgestellt. Fahrwasser gebracht, als es ohnehin schon war. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Sie kündigen seit 1995 eine Beschaffungsvorlage NEN]: Will die SPD den Eurofighter, oder für dieses Flugzeug an, die wir bis heute noch nicht will sie ihn nicht?) gesehen haben. Statt dessen sind im Entwurf des Verteidigungshaushaltes für die Beschaffung des Ausbildung, Übung und Betrieb würden dann also in Jagdflugzeuges 847 Millionen DM eingestellt. Mitleidenschaft gezogen. Auch die Materialerhal- tung und die Ersatzteilversorgung würden noch (Otto Hauser [Esslingen] [CDU/CSU]: Gott schlechter, als sie ohnehin schon sind. sei Dank!) - Hören Sie zu, Herr Kollege! Ich kann ja verstehen, Sie haben im Finanzpoker • mit Herrn Waigel um daß Sie ungeduldig sind, weil das alles nicht so läuft, den Eurofighter verloren; das war einer der wenigen wie Sie es sich vorstellen. Ich weiß das ja aus den De- Siege, die der Finanzminister errungen hat. Das Pro- batten des Verteidigungsausschusses. jekt muß jetzt allein aus dem Verteidigungsetat be- zahlt werden. Sie bekommen keine zusätzliche Mark (Paul Breuer [CDU/CSU]: Wenn jetzt die vom Finanzminister, keine Anteile aus den DASA- Antwort kommt, stehe ich wieder auf!) Rückflüssen für geleistete Subventionen. Das war also ein völliger Einbruch, eine volle Verdrängung in Nur, ich möchte gerne eine Argumentationskette ent- den Verteidigungsetat. wickeln und Ihnen dann Gelegenheit geben, darüber nachzudenken. (Abg. Paul Breuer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Die SPD wird sich auf eine Beschaffungsentschei- dung zum Eurofighter sorgfältig vorbereiten. Dazu - Bitte. aber brauchen wir eine Beschaffungsvorlage. Für das größte wehrtechnische Projekt aller Zeiten werden Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich muß wieder schon jetzt, einschließlich der Beschaffungs- und fragen: Sie gestatten die Zwischenfrage des Abge- Entwicklungskosten, für das Jahr 1998 1,24 Milliar- ordneten Breuer? den DM veranschlagt; es soll laut Rechnungshof am Ende 30 Milliarden DM kosten. Und dann machen Sie noch nicht einmal eine Beschaffungsvorlage für Walter Kolbow (SPD): Gerne. das Kabinett und den Bundestag? Das ist natürlich eine Zumutung. Ohne Beschaffungsvorlage sagen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön, Herr wir zu diesem Flugzeug nein. Breuer. Wenn die Beschaffungsvorlage kommt, dann wer- den die damit verbundenen Risiken, die technischen, Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Kollege Kolbow, ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß Sie in dieser De- die finanziellen und die vertraglichen, geprüft und batte so vehement für den Eurofighter eintreten. bewertet. Letztendlich werden wir unsere verteidi- gungspolitische Entscheidung davon abhängig ma- Wenn ich Ihren Redebeitrag richtig verfolgt habe, chen, ob der Schaden für die gesamte Bundeswehr, dann sehen Sie die Unsicherheiten lediglich bei der die Streitkräfte und die Bundeswehrverwaltung, 17036 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Walter Kolbow durch eine Beschaffung des Flugzeuges nicht größer Kollegen Augustinowitz als stellvertretenden Vorsit- sein wird als der Nutzen für unsere Luftverteidigung. zenden und den Kollegen Zumkley, die sich im Hee- resbereich besonders engagieren - als der Industrie nahestehend, wenn sie sich um das Heer sorgen. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- ter, es liegt ein weiterer Wunsch nach einer Zwi- (Günther Fried rich Nolting [F.D.P.]: Du hast schenfrage vor, diesmal vom Kollegen Kastning. - mich vergessen!) Bitte schön, Herr Kollege Kastning. - Herr Kollege Nolting bittet mich gerade auch um Ehrenschutz, den ich im übrigen gerne gebe. Ernst Kastning (SPD): Herr Kollege Kolbow, ich möchte dem Ganzen noch etwas hinzufügen, indem (Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und ich Sie frage: Ist Ihnen aufgefallen, daß nach dem der F.D.P.) derzeitigen Stand des Regierungsentwurfs zum Ver- teidigungshaushalt der Auftrag für den Bau des Eu- Das heißt schlicht und einfach, daß Sie auch da die rofighters überhaupt nicht vergeben werden kann? wirkliche Lage - Engpässe in der Materialausstat- Er soll ja über Jahre laufen, im Haushalt ist aber nur lung, bei der Ersatzteilkette, wo über 5000 Ersatzteile Geld für das nächste Jahr eingestellt. Keine müde fehlen - beschönigen. Sie wollen die Perspektive Mark Verpflichtungsermächtigung! Das ist doch be- eines Generationswechsels oder einer ausreichenden zeichnend, meinen Sie nicht auch? Ersatzteilversorgung nicht sichtbar machen, sondern Sie möchten es auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ver- schieben. Damit lösen Sie einen riesigen Investitions- Walter Kolbow (SPD): Herr Kollege Kastning, wer stau für die Zukunft aus, der kaum aufzulösen sein könnte Ihren haushaltspolitischen Erfahrungen und wird. Deswegen unsere Forderung, jetzt darüber Einsichten widersprechen? Ich hoffe nur, daß dies nachzudenken. auch bei der Koalition Niederschlag findet und daß sie nicht kritiklos ihren Entscheidungsweg geht. Wenn man aus den Begegnungen mit der Truppe zitiert: Es sieht finster aus, sagte mir jüngst ein Kom- Ich war gerade dabei hinzuzufügen, daß es jeder mandeur im Generalsrang. Die jüngsten Bemühun- und jede Abgeordnete in diesem Parlament mit sich gen des Heeresinspekteurs, das Heer trotzdem mo- ausmachen muß, ob wir uns angesichts der finanz- dern erscheinen zu lassen, gelingen nicht. Ein Trup politischen Misere, in die uns die Regierung gebracht penführer, der täglich mit den Problemen konfron- hat, ein solches Flugzeug mit diesem Finanzvolumen tiert wird, bewe rtet Ihre Politik folgendermaßen: für unser Land noch leisten können. „Entweder die militärische und politische Führung (Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]) weiß überhaupt nicht mehr, was in der Truppe vor sich geht, oder aber sie nimmt es mit der Wahrheit Können wir uns dieses Flugzeug noch leisten? So lau- nicht so genau.." Beides wäre schlimm; ersteres ist tet die Frage auf. Grund der verfehlten- Haushalts-, wahrscheinlicher, freilich noch bedenklicher. Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser Regierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir er- kennen die Arbeit des Verteidigungsministers an, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich stelle fest, daß mit dem gegenwärtigen Vertei- digungsbudget die Bundeswehr in derzeitiger Struk- die Bundeswehr mit Augenmaß für die erweiterten tur und in diesem Personalumfang unterfinanziert ist, Aufgaben im Zusammenhang mit den sicherheitspo- daß dieser Verteidigungsetat die Schere zwischen litischen Herausforderungen zu öffnen und sie be- Aufgaben, Personalumfang, Materialplanung und hutsam mit unserer Hilfe an die neuen Aufgaben her- Geld in bezug auf das Gesamtsystem Bundeswehr anzuführen. Dazu konnte in diesem Hause Konsens noch weiter öffnet. hergestellt werden; dieser Weg ist dann beschritten worden und hat jetzt auch Erfolge im ehemaligen Ju- Man kann trefflich darüber streiten, ob die Bundes- goslawien gezeitigt. Das wird akzeptiert, auch die wehr überdimensioniert oder unterfinanziert ist. Des- großen Leistungen, die das SFOR-Kontingent in Bos- halb noch einmal, damit niemand sagen kann, er nien erbringt. hätte es nicht gewußt oder er könnte mit uns Sozial- demokratinnen und Sozialdemokraten keine Diskus- In anderen Bereichen - das habe ich versucht dar- sion führen: Für die heutige Bundeswehrstruktur. ha- zulegen - haben Sie versäumt, Ihre Arbeit zu ma- ben Sie in der Koalition nicht das erforderliche Geld. chen. Deshalb rufen wir Ihnen zu: Halten Sie ein, Für das vorhandene Geld haben Sie keine Planung. und wenden Sie sich nicht weiter gegen unsere For- Das muß auch dieser Verteidigungsminister endlich derungen, eine parteiübergreifende Wehrstruktur- einsehen. Er muß seine Scheuklappen beiseite legen, und Personalkommission einzusetzen, um die Folgen damit er nicht weiter falsche politische Entscheidun- Ihrer gescheiterten Reformpolitik für die Streitkräfte gen trifft. aufarbeiten zu können, um die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr mit Wehrpflichtigen entwickeln und Daß dieses Planungs- und Finanzchaos auch die endlich die damit verbundenen notwendigen politi- Soldaten und die zivilen Mitarbeiter demotiviert und schen Entscheidungen für die Jahre nach 2000 vor- sie zur inneren Kündigung treibt, das nennen Sie, bereiten zu können. Herr Kollege Rühe, die komplexe Herausforderung insbesondere in der Logistik. Dann diffamieren Sie Die SPD-Bundestagsfraktion wird Sie jedenfalls in noch Kollegen, die sich um das Heer kümmern - den der Debatte über Ihre Antwort auf unsere Große An- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17037

Walter Kolbow frage über die Lage und den Zustand der Bundes- chen, und man muß sagen: Wir stehen voll hinter der wehr damit konfrontieren. Die Kolleginnen und Kol- Truppe. Wir warten mit Spannung darauf, Herr Kol- legen der Koalition haben jetzt schon Gelegenheit, bow, daß Herr Kastning und seine Freunde im Haus- nicht nur darüber nachzudenken, sondern im Inter- haltsausschuß substantie lle Anträge zur Erhöhung esse unserer Streitkräfte und der Zukunftsfähigkeit des Verteidigungsetats stellen, um den Eurofighter unserer Gesellschaft hoffentlich eine solche Position möglich zu machen und um dafür zu sorgen, daß die- einzunehmen, die es erlaubt, daß wir diese Aufgabe ses Projekt endlich gestartet werden kann. gemeinsam angehen können. Denn sonst würden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wir einen großen Fehler begehen, den allerdings Sie dann zu verantworten hätten. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- Ich danke. ter Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Beifall bei der SPD) des Abgeordneten Kastning?

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ja. jetzt der Kollege Dietrich Austermann, CDU/CSU- Fraktion. Ernst Kastning (SPD): Mal abgesehen davon, Herr (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Kollege Austermann, daß Sie ganz genau wissen, NEN]: Jetzt wird die Finanzierung des wie wir bei den Einzelberatungen verfahren sind, die Eurofighters erklärt!) weit seriöser waren, als Sie es hier jetzt nach draußen darzustellen versuchen, möchte ich Sie fragen: Ha- ben Sie eigentlich mitbekommen - auch laut Aus- (CDU/CSU): Frau Präsiden- Dietrich Austermann sage des Herrn Ministers -, daß der Etat der Bundes- tin! Meine Damen und Herren! Wenn man über wehr unter der Regierung CDU/CSU und F.D.P. von Jahre hinweg Diskussionen zum Verteidigungsetat 1989 bis 1995 um 6 Milliarden DM abgespeckt wor- geführt hat, muß man sich manchmal wundern, wenn man heute diese Krokodilstränen des Kollegen den ist? Kolbow erlebt, so nach dem Motto: Das verkümmert Haben Sie eigentlich mitbekommen, daß der Bun- ja alles, wenn wir, die Sozialdemokraten, nicht end- deswehr allein in den Jahren 1996, 1997 und fol- lich dafür sorgen. Ich denke, daß in der weiteren gende rund 7 Milliarden DM gegenüber der Planung Haushaltsberatung die SPD viele Anträge dahin ge- 1997 entzogen werden? hend stellen wird, die Verteidigungsausgaben zu er- höhen. Zuvor hat man jahrelang jeweils Kürzungen Können Sie sich vorstellen, daß all die Kürzungen, beim Betrieb, bei Übungen, bei der Munition und bei die die SPD in Anträgen vor Jahren vorgeschlagen hat, nur ein geringer Teil dessen sind, was diese Re- allen Dingen, die man für das praktische- Alltagsge- schäft braucht, gefordert. Jetzt auf einmal diese gierung der Bundeswehr an Summen entzogen hat? Kehrtwendung; Kolbow als Retter der Armeefinan- zen. Ich glaube, Sie wissen selber, dieser Zirkel- Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Kollege schluß ist etwas schnell. Allmählich hat man den Ein- Kastning, mein Gedächtnis ist durchaus in Ordnung. druck, manch einer entwickelt sich zum Kreisel, so schnell versucht er, seine Position zu verändern. (Ernst Kastning [SPD]: Na, na, na!) Was Sie, Ihre Partei und Ihre Fraktion von der Bun- Sie haben auf das Jahr 1990 Bezug genommen. Ich deswehr tatsächlich halten, wird klarer und deutli- gehe gar nicht so weit zurück, nur bis zum März cher, wenn man sich Ihre Große Anfrage anschaut. 1995. Da gab es hier von Ihrer Seite Änderungsan- Es sind knapp 150 Fragen, unterteilt in viele Unter- träge, die Sie so beschämt haben, daß Sie nicht zu fragen. Das ist sicherlich sehr fleißig, aber noch fleißi- der Debatte gekommen sind, wo es darum ging, den ger ist die Bundesregierung bei ihren Antworten. Sie Bundeswehretat um 675 Millionen DM zu kürzen. sagen Ihnen ein bißchen, wo es langgeht. Diese Änderungsanträge kamen von Ihnen. An der Diktion war es auch heute wieder erkenn- Zum gleichen Zeitpunkt, also im Frühjahr 1995, bar, daß man sich mit der Struktur der Bundeswehr - gab es im Bundesrat einen Vorschlag, den Bundes- Sie haben ja ständig von neuer Struktur gesprochen, wehretat über das hinaus, was die Regierung ge- ohne zu sagen, was Sie damit meinen - eigentlich macht hat, um weitere 1,25 Milliarden DM zu kürzen. nicht abgefunden hat. Ich habe die Fragen und die Diesen Vorschlag hat man im Laufe der Beratungen Antworten gelesen und habe festgestellt: Man fallenlassen. Unser Gedächtnis ist durchaus in Ord- schlägt ein bißchen mehr Abrüstungsschritte vor; nung. man will ein bißchen weiter abbauen. Man versucht, Es geht auch nicht, daß man einerseits sagt, Aus- durch die neue Struktur zu kaschieren, daß man die bildung, Übung, Betrieb seien wichtig, andererseits Bundeswehr, so wie sie ist, eigentlich nicht wi ll. Aber aber die Einsatzbereitschaft nachher nicht unterstüt- man sagt das nach draußen nicht so deutlich. Immer- zen will. hin sind ja 340 000 Soldaten und 140 000 zivile Mitar- beiter dort beschäftigt. Auch sie sind Wähler. Also Ich könnte einen langen Katalog von Zitaten - SPD muß man vorsichtig und zurückhaltend sein. und Bundeswehr, Kolbow und Bundeswehr, Opel und Bundeswehr - vortragen. Wenn man regierungsfähig werden wi ll, muß man auch langsam versuchen, eine Kehrtwendung zu ma (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Mach doch mal!) 17038 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dietrich Austermann - Ich möchte meine Gedanken und nicht seine fal- Umfang auf Beschaffung hinauslaufen, weil wir zu- schen vortragen. - Dann würde deutlich, daß Sie im- nächst einmal über die Serienvorbereitung beschlie- mer für eine kleinere Armee, eine wesentlich klei- ßen müssen. Herr Kollege Kastning, das sagt doch nere Armee - mit der Folge: wesentlich weniger was über das Thema Verpflichtungsermächtigung. Standorte - plädiert haben. Nein, es wäre an der Zeit gewesen, hier heute der (Erwin Horn [SPD]: Er ist doch Youngster! Bevölkerung eine klare Antwort auf die Frage zu ge- 29 Jahre muß man da drin sein! - Gegenruf ben: Wird eine klare Mehrheit der SPD ja sagen zum des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU]: Er sagt Flugzeug? - Ein Teil wird sich bei der Abstimmung doch die Wahrheit!) vielleicht herausschleichen, damit die Mehrheit ge- währleistet ist. - Wird die Mehrheit der Fraktion zu - Ich gebe gerne zu, Herr Kollege, daß Sie in Ihrer diesem Projekt ja sagen? Partei, in Ihrer Fraktion eine Ausnahme darstellen. Ich kenne Sie aus vielen Zitaten in der Zeitung. Vor- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: hin hat einer von der „Welt am Sonntag" gesprochen. Was sagt Frau Matthäus-Maier?) Wo auch immer Ihre Position mit einem Zitat verbun- den war, hätte ich alles unterschreiben können. Das Diese Frage haben Sie heute nicht beantwortet, un- Problem ist aber: Sie waren damit eine Rarität in Ihrer abhängig davon, ob die Beschaffungsvorlage vorliegt Fraktion, insbesondere auch in der Frage, aus was oder nicht. Sie gehen dann zu den DASA-Betriebsrä- Verteidigung, Bundeswehr und Wehrpflicht be- ten und klopfen Ihnen auf die Schulter, in der Hoff- stehen. nung, die Koalition werde es schon richten. Aber selbst lassen Sie die klare und eindeutige Aussage Meine Damen und Herren, der Auftrag der Streit- vermissen. kräfte besteht nach dem politischen Umbruch der vergangenen Jahre nicht nur in der Befähigung zur Meine Damen und Herren, Frau Matthäus-Maier Verteidigung des eigenen nationalen Territoriums - hat ja gestern im Zusammenhang mit dem Auftrag dies ist hier gesagt worden -, sondern auch in huma- für den Eurofighter das Wo rt von der „bajuwarischen nitären Hilfsmaßnahmen bei Katastrophen und Not- Selbstbedienung" gebraucht. lagen im Frieden und dem Beitrag zum Krisenmana- gement außerhalb Europas. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre ter, es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwi- anschaut, wird man feststellen: Auch das war nicht schenfrage, und zwar des Abgeordneten Heister- selbstverständlich. Wir halten es hierbei wie auch mann. sonst immer: Wer wie die Grünen besonders lange nein gesagt hat, wird bei seinem Meinungsum- Dietrich Austermann (CDU/CSU): Bitte sehr. schwung besonders herzlich begrüßt. Ich gehe davon aus, daß der Verteidigungsetat Dieter Heistermann (SPD): Herr Kollege Auster- mindestens mit dem Volumen, mit dem er vorgelegt mann, darf ich Ihre Hinweise in Richtung SPD-Frak- worden ist, erhalten bleibt, daß wir keine weiteren tion als Hilferuf verstehen, da Sie nicht sicher sein Kürzungen vornehmen. Der Haushalt steigt um können, daß alle F.D.P.-Kollegen diesem Vorhaben 0,8 Prozent. In der mittelfristigen Finanzplanung zustimmen, und wollen Sie aus Angst, in der Koali- wird die Struktur weiter verbessert. tion keine Stimmenmehrheit zusammenzubekom- men, nun die SPD einspannen? Der Verteidigungsetat - ich möchte dies noch ein- mal klar sagen, auch für die anwesende Bevölkerung (Ina Albowitz [F.D.P.]: Machen Sie sich - beantwortet auch mit dem Etatvolumen eine lang- keine Sorgen, Herr Heistermann!) gestellte Frage: Kommt der Eurofighter oder nicht? Wir beantworten die Frage mit einem klaren Ja, und (CDU/CSU): Ich gehe davon zwar aus vielen Gründen. Die Diskussion über die Dietrich Austermann aus, daß diese Koalition - wie bei allen Vorhaben, die absehbare Rückzahlung der Airbus-Entwicklungsko- sie seit 1994 mit einer knappen Mehrheit einmütig sten hat dieses erleichtert. Wenn die DASA gut bera- durchgebracht hat - auch bei diesem Projekt eine ten ist, macht sie bald ein Angebot, das akzeptabel klare Mehrheit finden wird. ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kolbow, selbst die Arbeitsgruppe Luftvertei- digung der SPD ist davon überzeugt, daß wir ein Sie wissen es genau: Es gab einige Kommentato- neues Jagdflugzeug brauchen. So weit, so gut. Das ren, die im Jahre 1994 sagten, die Mehrheit sei zu haben Sie beschlossen. Da sind Sie mit uns einer knapp: Wer weiß, ob sie wichtige politische Entschei- Meinung. dungen beschicken. Aber es gibt keinen einzigen Fall, in dem es der Opposition gelungen ist, mit einer Wir haben inzwischen auch erhebliche Mittel für Verwirrung von Positionen dazu beizutragen, daß die die Entwicklung eines eigenen Flugzeugs mit drei Mehrheit hätte geknackt werden können. Partnern ausgegeben. Die Entwicklung ist weit ge- diehen, hat einen Haufen Geld gekostet. Da kann man sich doch nicht herstellen und sagen: „Ich warte Vizepräsidentin Michaela Geiger: Auch der Abge- auf die Vorlage", um dann konkret die Entscheidung ordnete Breuer hat den Wunsch nach einer Zwi- zu treffen. Die Vorlage kann natürlich nicht in vollem schenfrage. - Bitte schön, Herr Breuer. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17039

Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Kollege Auster- der Förderung neuer Technologien nicht erkennen mann, können Sie bestätigen, daß das Wirrwarr in- würde. Aber wer sich mit Wehrtechnik und Beschaf- nerhalb der SPD-Fraktion komplettiert wird dadurch, fung der letzten Jahre befaßt hat, wird wissen, daß daß der Herr Fraktionsvorsitzende Scharping in der Flugzeuge nicht nur südlich des Mains und Schiffe Öffentlichkeit ausgeführt hat, die Beschaffung eines nicht nur nördlich der Weser gebaut und ausgestattet Transportflugzeuges sei wesentlich dringlicher als werden. Am Bau der Fregatte sind baden-württem- die eines Jagdflugzeuges? Können Sie darüber hin- bergische und bayerische Firmen ebenso beteiligt aus bestätigen, daß das im krassen Gegensatz zu wie die großen deutschen Werften. Der Eurofighter dem steht, was der Kollege Kolbow heute ausgeführt sichert unser Land und erhält etwa 18 000 'Arbeits- hat? plätze in ganz Deutschland, viele auch in mittelstän- dischen Betrieben nördlich der Elbe. Dietrich Austermann (CDU/CSU): Selbstverständ- Der Zeitpunkt steht vor der Tür, wo Sie Farbe be- lich kann ich das bestätigen. Aber das ist das Pro- kennen und eine Entscheidung treffen müssen. Es blem dieser Partei: daß sie versuchen muß, mehrere reicht nicht aus, sich bei den Betriebsräten anzubie- Flügel unter einen Hut zu bringen und nach außen dern, weil es um Arbeitsplätze geht; vielmehr müs- den Eindruck zu vermitteln, sie habe eine klar defi- sen Sie ganz klar sagen, was Sie wollen. nierbare Position. Deswegen verlangt Herr Kolbow auch eine „neue Struktur" ; darunter kann sich jeder (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ das Passende vorstellen. NEN]: Das ist doch nicht auszuhalten, diese Zwiespältigkeit!) (Abg. Brigitte Schulte [Hameln] [SPD] mel det sich zu einer Zwischenfrage) - Daß Sie sich vor etwa 20 Jahren festgelegt haben, - Wir können hier natürlich eine Fragestunde veran- ist mir klar. Bei Ihnen warten wir auch nicht auf Ein- stalten, wenn die Frau Präsidentin das genehmigt. sicht. Aber ich gehe davon aus, daß der eine oder an- dere hier noch eine vernünftige Entscheidung mit- trägt. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Wir müssen langsam an den Zeitplan denken. Aber bitte schön, Sie sollten sich von den vielen überflüssigen Rede- noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten beiträgen Ihrer Kollegin Matthäus-Maier zu diesem Schulte. Thema entfernen. Wenn Sie nach Vorliegen der Be- schaffungsvorlage ja sagen, dann hat sie in den letz- ten sieben, acht Jahren ständig Unfug erzählt. Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): Herr Kollege Au- stermann, ich möchte Sie bezüglich des militärischen Neben dem Eurofighter sind als wichtige weitere Nachwuchses der Offiziere fragen, welcher Sinn Großvorhaben, die im kommenden Jahr mitfinanziert darin zu sehen ist, daß gemäß augenblicklicher Pla- werden, der Unterstützungshubschrauber UHU, der nung der Bundeswehr die Zahl der Leutnante- in der jetzt in Serie anläuft und die alten, nicht mehr ein- A-9-Besoldung 4 913 beträgt, während im Haushalt satzfähigen Hubschrauber ersetzt, und die Beschaf- 6 293 Stellen vorgesehen sind? In Wirklichkeit sind fung des NATO-Hubschraubers und der Panzerhau- Sie schon lange dabei, die Struktur zu verändern. bitze hervorzuheben. Die Vorhaben Gefechtübungs- Viele Kolleginnen und Kollegen von Ihnen haben es zentrum, Fregatte 124 und U-Boot 212 werden fortge- nur noch nicht gemerkt. Wer den Stellenkegel beim setzt. Nachwuchs verändert, hat eine andere Struktur im Kopf. Können Sie mir das vielleicht einmal erklären? Die vorgeschlagenen Ausgaben für die Materialer- haltung tragen der angespannten Situation beim Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Kollegin, Heer Rechnung. Wir haben diese Mittel im letzten Sie wollen Ihre Ernsthaftigkeit als Gesprächspartne- Jahr verstärkt, und ich bin sehr dafür, daß wir diese rin im Bereich der Bundeswehr doch nicht in Frage Praxis in diesem Jahr fortführen. Das durch Haus- stellen, indem Sie behaupten, es gebe nur 4 000 Offi- haltsbewirtschaftung bedingte Stop-and-Go der letz- ziere in der Bundeswehr. ten Jahre hat zu erheblicher Verunsicherung beige- tragen. Unsere Vertragspartner in der Indust rie, in (Walter Kolbow [SPD]: A9!) der Wirtschaft und bei den Werkstätten müssen auf absehbare Zeit wissen, woran sie mit der Bundes- Abgesehen davon, daß die Frage zu diesem Zeit- wehr sind. Es wird keine neue Hängepartie bis Ende punkt völlig fehl am Platz ist - wir haben gerade über des Jahres und darüber hinaus geben. das Jagdflugzeug geredet, da reden Sie von der Zahl der Offiziere -, ist mir der Sinn Ihrer Fragestellung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) überhaupt nicht ersichtlich. Wir werden im Bereich der sonstigen Betriebsaus- Ich möchte zu meinem roten Faden zurückkehren, gaben Eingriffe in Aus- und Fortbildung und um vorzutragen, was ich gerne sagen möchte. Übungsbetrieb vermeiden. Im investiven Bereich be- Also: Die Kollegin Matthäus-Maier hat hier im Zu- ruht die Reduzierung der Ausgaben für Forschung, sammenhang mit der beabsichtigten Beschaffung Entwicklung und Erprobung auf dem planmäßigen des Eurofighters von einer „bajuwarischen Selbstbe- Rückgang bei dem Entwicklungsaufwand für den dienung " gesprochen. Ich bin der letzte, der die gro- Eurofighter. Das gehört in den Zusammenhang der ßen Anstrengungen des Freistaates Bayern bei der Debatte um den Eurofighter: In dem Maß, in dem die Sicherung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen sowie Serienproduktion anläuft, werden die Mittel für die 17040 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dietrich Austermann Entwicklung reduziert, im kommenden Jahr um bezahlbar ist. Die Alternative wäre - das ist das 250 Millionen DM. System Opel -: Armee halbieren und die Hälfte der Standorte schließen. Spätestens dann setzt Gott sei Abweichend von der bisherigen Planung waren Dank auch bei den Genossen das Denken ein. aus Haushaltsgründen gleichwohl einige Dinge als nicht so dringlich anzusehen. Sie können verschoben In letzter Zeit ist - auch das sollten Sie wissen - die werden. Ich sage das klar als Abgeordneter, der aus Attraktivität des Wehrdienstes gestiegen. Die Zahl Norddeutschland kommt: Noch in diesem Jahr wird der Verweigerer geht zurück. Ich sage für mich per- trotz einer Verschiebung des Einsatzgruppenversor- sönlich: Für mich ist die ganze Debatte um die Frage gers der Vertrag mit den Bietern, die die Ausschrei- „Wehrpflicht ja oder nein" bei dem Einsatz im Oder- bung gewonnen haben, unterschrieben. bruch versenkt worden. Ich halte den vorliegenden Entwurf des Die Wehrpflichtarmee ist in der Politik und in der Einzelplans 14 für eine gute Grundlage für die parla- Gesellschaft fest verankert. Sie ist nicht nur Garant mentarischen Beratungen, mit dem die Zukunftsfä- einer größtmöglichen gesellschaftlichen Integration, higkeit der Bundeswehr auch im personellen Bereich sondern sie steht auch für weitestgehende gesell- gesichert ist. Es bleibt bei 340 000 Soldaten. Wir schaftliche Kontrolle. schließen uns nicht den jahrelangen Forderungen der SPD an, eine Freiwilligenarmee von etwa 200 000 Deswegen bin ich skeptisch, ob es richtig ist, be- sei das Ziel der Zukunft. stimmte junge Leute, die sich auf einem politischen Irrweg befinden, von vornherein auszusortieren. Das Die SPD pirscht sich jetzt an die Regierungsverant- Problem, diese zu erkennen, ist nicht leicht. Nicht wortung heran. Die Wortmeldungen zu diesem jeder Glatzkopf ist ein Radikaler, wie man bei jedem Thema machten deutlich: Die Gegner der Wehr- Bundesligaspiel erkennen kann. pflicht - Herr Opel und andere - haben Sprechver- bot, und man gab sich staatstragend, um deutlich zu Die Bundeswehr ist kein Hort für Rechtsradikale machen, daß man es mit der Bundeswehr gut meint. und wird es auch nicht werden. Wenn man die Zahl der rechtsextremen Vorkommnisse im Jahre 1996 Im Rahmen des neuen Haushalts stellen wir be- betrachtet, so stellt man fest, daß es ganze 46 Mel- trächtliche Mittel zur Verbesserung der Beförde- dungen und 59 Ermittlungen gab. Prozentual ist dies rungssituation der Unteroffiziere und der Offiziere bei 340 000 Bundeswehrangehörigen noch nicht ein- des Truppendienstes zur Verfügung. Es bleibt bei mal als Stelle hinter dem Komma zu erkennen. 340 000 Soldaten und 140 000 zivilen Mitarbeitern und Stellen. Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der Bun- deswehr bleibt, daß der Plafond des Einzelplans mit- Wir sagen ein klares Ja zur Wehrpflicht. Das sage telfristig moderat steigt. Dies hat die Regierung in ich auch an den Koalitionspartner gerichtet. ihrem Finanzplan vorgesehen. Wir sind dem Finanz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) minister dafür dankbar; denn es darf nicht übersehen werden, daß der Verteidigungshaushalt im vergan- Es ist falsch, aus einem veränderten, aktuellen Be- genen Jahr überproportional zur Konsolidierung der drohungsszenarium, aus dem Augenblick heraus di- Staatsfinanzen beigetragen hat. Weitere Einschnitte rekt auf die Möglichkeit zur Verkleinerung der Streit- gefährden die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. kräfte zu schließen. Genauso falsch ist die Behaup- Die Gefährdung hochqualifizierter Arbeitsplätze in tung, weniger, aber professioneller ausgebildete der wehrtechnischen Indust rie Deutschlands er- Freiwillige würden mehr leisten als unsere Wehr- wähne ich nur der Vollständigkeit halber. pflichtigen. Ich bekunde meine volle Sympathie für die Kolle- Einen direkten Vergleich mit den Erfahrungen in gen, die sich engagiert im Förderkreis „Heer" und in den Armeen anderer Länder zu ziehen, halte ich anderen Einrichtungen betätigen. Diese Arbeit halte nicht für richtig. Deutschland muß auch die Erfah- ich für sinnvoll. Wir wollen die Zusammenarbeit mit rungen der Vergangenheit berücksichtigen. Wir ha- der Industrie. ben in den letzten 40 Jahren Loyalität im Bündnis eingefordert. Ich denke, Gleiches müssen wir jetzt Wenn man sich allein vor Augen hält, daß nach der gewähren. Tatsache ist, daß wir, bezogen auf die Be- Wiedervereinigung in Ost und West die Zahl der völkerungszahl, eine der kleinsten Armeen Europas Menschen, die im Bereich Sicherheit gearbeitet haben. haben, um etwa 800 000 zurückgegangen ist - in Ost und West jeweils etwa 400 000 -, dann ist es an der Was die Kosten angeht: Wer behauptet - das wäre Zeit, daß wir deutlich machen, mit welcher Politik im falsch -, eine verkleinerte Freiwilligenarmee sei billi- Verteidigungsbereich wir Strukturen erhalten wollen ger als unsere derzeitige Mischstruktur aus Freiwilli- und wie wir uns die Position in der Zukunft denken. gen und Wehrpflichtigen, der muß sich die Frage ge- Dazu brauchen wir verläßliche Pa rtner auch in der fallen lassen, ob sie die gleichen Fähigkeiten wie un- Industrie. sere Bundeswehr behalten würde oder welche ver- nachlässigt werden sollen. Lassen Sie mich schließen. Insgesamt läßt der vor- liegende Entwurf den Streitkräften den erforder- Wir halten am aktiven Umfang der Bundeswehr lichen Raum für eine den Verhältnissen angemes- fest, der sich an der jetzigen Größenordnung orien- sene Entwicklung und Zukunftsfähigkeit. Verän- tiert und der nur mit der allgemeinen Wehrpflicht derte Aufgabenstruktur unserer Armee, die vielfäl- machbar, das heißt für einen Haushaltspolitiker, auch tigen humanitären und UN-Einsätze, eine weitge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17041

Dietrich Austermann hende Übereinstimmung in letzter Zeit in der Wahr- humanitäre Minenräumung zu einer Makulatur ge- nehmung dieser Aufgaben durch unsere Soldaten rät? und zivilen Mitarbeiter sollten dazu führen, daß wir die Beratung über den Verteidigungsetat im Haus- Wie können Sie eigentlich die Beschleunigung der haltsausschuß in größtmöglichem Einvernehmen vor- Rückkehr der Flüchtlinge nach Bosnien betreiben, nehmen. Unsere Soldaten und die zivilen Mitarbeiter während sich Ihre Bundesregierung weige rt, lächer- haben nichts anderes verdient. liche 20 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, um Bosnien zu entminen? Herzlichen Dank. Ihr Kollege Austermann hat in den letzten Tagen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sehr viel sinnvollere Ausführungen getätigt als ordneten der F.D.P.) heute. Er betonte nämlich, daß die Nettokreditauf- nahme unbedingt eingehalten werden muß und des- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat halb alle möglichen Einsparpotentiale ausgenutzt jetzt die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die werden müssen. Herr Kollege Austermann, es kommt Grünen. selten vor, aber in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Die Grünen wollen erstens die Einsparpotentiale Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau im Verteidigungsbereich ausnutzen und auf Wahn- Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! sinnsprojekte wie den Eurofighter verzichten. Dar- Verehrte Damen und Herren! Die Kabinettsvorlage über hinaus wollen wir abrüsten. Wir sagen ganz über den Jahreshaushalt 1998 ist nur noch als para- klar: Wer abrüsten will, muß die Wehrpflicht abschaf- dox zu bezeichnen. fen. Wir verweigern ferner die Zustimmung zu fahr- lässigen Beschaffungsplanungen im Rüstungsbe- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie haben reich, die durch Verpflichtungsermächtigungen in ihn nicht einmal gelesen!) Milliardenhöhe eine Belastung nicht nur dieses Par- Paradox, weil die Diskussion über Milliardenlöcher laments, dieser Gesellschaft heute, sondern zukünfti- im Bundeshaushalt, zunehmende Arbeitslosigkeit ger Generationen festlegen und festzurren. und Aufkündigungen des Solidarvertrages schlicht weg nicht mit einem Verteidigungshaushalt verein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bar sind, der im Vergleich zu den anderen Titeln Es geht nicht nur um die 850 Millionen DM für den überproportional ansteigt und nach NATO-Kriterien Eurofighter als Einstiegskosten. Es geht insgesamt runde 60 Milliarden DM verschlingen wird. Paradox, um zirka 40 Milliarden DM für diesen Industrievogel, weil eine offensichtlich in allen Bereichen hand- der weder sicherheitspolitisch noch politisch bei uns lungsunfähige Regierung glaubt, im militärischen hier zu verantworten ist. Bereich durch eine weitere Aufrüstung noch Hand- lungsfähigkeit vortäuschen zu können. - (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Es ist ja unglaublich, wie Sie die Zahlen hineinwer Herr Rühe, wie erklären Sie älteren Menschen, die fen, ohne Ahnung!) in der Apotheke stehen und auf einmal 13 Mark für ein Medikament bezahlen sollen, daß die Investitio- Der Erfolg, Herr Verteidigungsminister Rühe, den nen ins Militär auf 24 Prozent angehoben werden Sie hier vertreten, der Anstieg der Rüstungsausga- und die militärischen Beschaffungen um 19 Prozent ben, in Zeiten größter Finanznot ist für die Menschen ansteigen? Wie verträgt sich das sympathieträchtige in unserer Republik ein Desaster. Sie verhindern Bild des Oder-Einsatzes der Bundeswehr mit der An- nicht nur langfristig die Konsolidierung der Staatsfi- schaffung von Waffensystemen, die eben diese Bun- nanzen, sondern Sie führen Deutschland in eine Au- deswehr in die Lage versetzen, nach Bedarf weltweit ßenpolitik, die sich mehr auf das militärische als auf militärisch zu agieren? das politische Standbein konzentrieren soll. Da geht es nicht urn humanitäre Hilfe, wie die mit Es bleibt eigentlich nur ein Trost: Durch Ihre Starr- 11 Millionen DM finanzierten Werbespots verspre- sinnigkeit, an einer 340 000-Mann-Armee festzuhal- chen, sondern um Elitekampfeinheiten. Es ist richtig ten, eine Zweiklassenarmee aufzubauen, weil nur - Sie haben es vorhin erwähnt -: Die Grünen weigern noch die Krisenreaktionskräfte ausgerüstet werden sich, morgen einen Showlauf für das Kommando und die Landesverteidigungskräfte zum Ersatzteilla- Spezialkräfte vor den Medien unter dem Motto: ger verkommen, haben Sie Ihre Hausaufgabe als „Retten und evakuieren die Elitetruppe, die Speer- Verteidigungsminister nicht erfüllt. Das macht uns spitze der Krisenreaktionseinheiten", in der Öffent- zuversichtlich. Es gibt keine Planungssicherung für lichkeit zu legitimieren. Wir fordern Sie auf: Verzich- die Bundeswehr. Ihr Konstrukt ist so rissig, wie die ten Sie auf das Kommando Spezialkräfte. Deiche im Oderbruch es waren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir wollen eine andere Politik. Wir wollen abrü- SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) sten. Wir wollen zivile Konfliktprävention unterstüt- Wie rechtfertigen Sie gegenüber den Menschen, zen. Die Weigerung der Bundesregierung, selbst zi- die in mehr als 63 Ländern der Welt von dem Minen- vile Friedensdienste in Bosnien auch nur anschubzu- tod bedroht sind, die Weiterentwicklung ihrer High- finanzieren, macht deutlich, daß sie in den politi- Tech-Minen, um diese Massenvernichtungswaffe zu schen Bereichen unterhalb der militärischen perfektionieren, während der Haushaltsansatz für Schwelle schlichtwegblind ist. 17042 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Angelika Beer Ich will das ernste Thema „Rechtsradikalismus in ment der Bundeswehr beim Oder-Einsatz ausspre- der Bundeswehr" ansprechen. Manifestieren Sie chen. Genauso würdigen wir den Beitrag der Bun- nicht grundsätzliche Fehlentscheidungen! Lenken deswehr beim SFOR-Einsatz, der übrigens auch Sie nicht vom eigentlichen Problem ab! Zu sagen: zeigt, daß unsere Soldaten wissen, welch große Ver- „Es sind alles nur Einzelfälle", reicht nicht aus. Was antwortung sie in diesem Einsatz übernommen ist ein Einzelfall? Dresden, Hammelburg, Detmold - haben. eine Indizienkette, die zeigt, daß es im Gebälk der Bundeswehr kracht und daß sich Rechtsradikalismus (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU längst breitgemacht hat. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist In diesem Zusammenhang, Frau Kollegin Beer, ist doch wirklich dummes Zeug!) es wirklich unerträglich, das zu hören, was Sie hier gesagt haben. Es ist eine Zumutung für die große Die innere Führung hat versagt, Kollege. Mehrheit des Hauses - ja, ich schaue auch hier in (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Es ist Richtung SPD; Herr Kolbow hat vorhin auch schon zu unglaublich, was Sie hier vortragen!) Recht etwas dazu gesagt -, das ertragen zu müssen, was Sie uns heute hier gesagt haben. Die Zahlen, die gestern bekanntgeworden sind, be- weisen, daß über Jahre das Problem von Rechtsradi- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU kalismus in der Bundeswehr verharmlost und ver- sowie bei Abgeordneten der SPD) schwiegen wurde. Der vorliegende Haushaltsentwurf für den Vertei- Wir sind gegen Ihre Vorschläge, die mit dem Da- digungshaushalt 1998 mit einem Umfang von tenschutz nicht vereinbar sind und vom eigentlichen 46,7 Milliarden DM zeigt, daß es dem Bundesvertei- Problem ablenken. Die Zurückweisung, die Bundes- digungsminister gelungen ist, sich mit großem Enga- wehr sei eine Wehrpflichtarmee und damit Spiegel gement für seinen Etat einzusetzen und weitere Kür- der Gesellschaft, versucht, davon abzulenken, was zungen zu verhindern. Das wird von seiten der F.D.P. Ihr Kollege Glos heute morgen hier noch einmal ex- begrüßt. plizit ausgeführt hat: Eine Regierung, die Ausländer- (Beifall bei der F.D.P.) feindlichkeit schürt und zum Regierungsprogramm erklärt, ist verantwortlich für eine Gesellschaft, in der In den anstehenden Haushaltsberatungen werden Rechtsradikalismus und Neofaschismus neuen Raum wir als F.D.P. uns dafür einsetzen, daß es keine Ein- bekommen. griffe in die Ausbildung gibt, daß es keine Eingriffe (Paul Breuer [CDU/CSU]: Schämen Sie sich! in den Übungsbetrieb gibt und daß die notwendigen - Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Unsinn!) Investitionen, die in diesem Haushaltsentwurf bei zirka 24 Prozent liegen, dazu genutzt werden, in der Das Echo dessen haben Sie in der Tat in der Bundes- Ausstattung das finanziell Machbare zu erreichen. wehr zu ertragen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Sie als Verteidigungsminister dagegen vorge- Bei den Haushaltsberatungen muß sehr sorgfältig hen. darauf geachtet werden, daß es bei der Bundeswehr nicht zu Soldaten erster und zweiter Klasse kommt. Herr Verteidigungsminister, Sie haben den Struk- Es muß dem Eindruck entgegengewirkt werden, daß turwandel verschlafen. Ziehen Sie jetzt wenigstens es bei der Ausstattung eine einseitige Bevorzugung die richtigen Konsequenzen! Manifestieren Sie nicht der Krisenreaktionskräfte gibt und es durch diese grundsätzliche Fehlentscheidungen durch panikar- bevorzugte Ausstattung der Krisenreaktionskräfte tige Rüstungsbeschaffungsverträge, sondern fangen innerhalb unserer Bundeswehr zu einer Zwei-Klas- Sie an, die Hardthöhe abzuwickeln! Wir sind nicht sen-Armee kommt. bereit, Ihre Lasten im nächsten Jahr zu übernehmen. Deswegen sage ich hier für die F.D.P.: Der Einsatz Vielen Dank. der Krisenreaktionskräfte ist ohne den Einsatz und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Dienst der im Inland eingesetzten Soldaten nicht und bei der PDS - Ina Albowitz [F.D.P.]: Das denkbar. müssen Sie auch gar nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin, F.D.P.-Frak- Um die gesamte Bundeswehr modern und einsatz- tion. bereit zu halten, brauchen wir ein gesundes Verhält- nis von Betriebskosten zu Investitionen. Dafür setzen wir uns ein. Es kann nicht verschwiegen werden, daß Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach vielen engagierten der Haushaltsentwurf für 1998 nicht alles das bietet, Debatten hier im Hause ist es erfreulich, festzustel- was wir erwartet haben, nämlich einen Investitions- len, daß unsere Soldaten wissen, daß der Einsatz der anteil von 30 Prozent. Wenn wir jetzt im Haushalts- Bundeswehr von einer großen Mehrheit des Deut- entwurf einen Investitionsanteil von 24 Prozent schen Bundestages getragen wird. haben, muß es Zielsetzung der Haushaltsberatungen sein, dafür zu sorgen, daß Heer, Luftwaffe und Auch wir als F.D.P. möchten heute noch einmal Marine genügend Mittel erhalten, um ihre Ausbil- unsere anerkennenden Worte zum großen Engage- dungs- und Einsatzfähigkeit zu sichern. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17043

Jürgen Koppelin Herr Minister, der Zustand des Materials in vielen ter Fragen, die einer Beantwortung durch das Bereichen wirft bei den Soldaten die Frage auf - das Ministerium bedürfen: Warum müssen 180 Flugzeuge erfährt man bei jedem Truppenbesuch -, ob noch so beschafft werden, obwohl nur sieben Staffeln mit dem ausgebildet wird, daß jederzeit der Auftrag der Bun- Flugzeug ausgerüstet werden sollen? Das ergäbe deswehr zu erfüllen ist. Der Zustand des Mate rials dann eine andere Zahl. Ist es nicht so, daß man die bei der Bundeswehr kann dazu führen, daß die Moti- Stückzahl 180 nur genommen hat, um den 30 prozen- vation unserer Soldaten in wenigen Jahren erheblich tigen Arbeitsanteil bei der DASA zu halten, daß also schlechter sein wird. keine verteidigungspolitische Entscheidung zu- grunde liegt? Ist es nicht so, daß es bei der Entwick- Was sagen wir eigentlich einem Soldaten, der die lung des Eurofighters noch immer erhebliche tech- ersten Wochen seiner Bundeswehrzeit den ganzen nische Probleme zu lösen gibt? Ich nenne hier den Tag Dienst im Trainingsanzug machen muß, weil die Gewichtsaufwuchs, die Radarleistung und auch die Bundeswehr nicht in der Lage ist, ihm die entspre- Flugkontrollsoftware. Ist es nicht so, daß über die chende Kleidung zur Verfügung zu stellen? Was Beschaffung des Flugzeuges erst dann entschieden sagen wir dem Soldaten, der in Kantinen essen muß, werden kann, wenn die gesamte Flugerprobungszeit die den Charme eines Bahnhofswartesaals dritter von über 4000 Flugstunden durchgeführt wurde? Zur Klasse haben? Fast überall haben wir einen ungenü- Zeit sind erst etwas über 400 Stunden absolviert. genden baulichen Zustand. Wie begründen wir Auch die Kosten der Bewaffnung des Eurofighters gegenüber den Soldaten, daß die Bundeswehr inzwi- sind - so meinen wir - nach wie vor unklar. Diese schen viele Küchen hat, die nur noch mit Ausnahme- Fragen können in der nächsten Zeit vom Verteidi- genehmigung arbeiten dürfen und erhebliche hygie- gungsministerium durchaus noch zufriedenstellend nische Mängel aufweisen? Wir als F.D.P. werden ver- beantwortet werden. Aber Sie sollten sie beantwor- suchen, auch in den Haushaltsberatungen unseren ten, genauso wie wir als Haushälter und auch die Beitrag dazu zu leisten, daß es hier Verbesserungen Verteidigungspolitiker erwarten können, daß wir gibt. eine Beschaffungsvorlage bekommen, die bis heute An den Behauptungen des Bundesverteidigungs- nicht vorliegt. ministeriums, daß es 1996 zum Beispiel bei der Be- Dem Haushälter stellt sich auch die Frage, warum triebsstoffversorgung keine Probleme gegeben hat, im Haushaltsplan 1998 zwar ein Betrag für die Be- daß es bei der Munitionsversorgung für Manöver, schaffung des Waffensystems ausgewiesen wurde, Übungs- und Gefechtsmunition keine gravierenden nicht jedoch - da muß ich dem Kollegen Austermann Probleme gegeben hat, sind - so meine ich - Zweifel widersprechen, wir sind da anderer Auffassung - angebracht. eine Verpflichtungsermächtigung für die Jahre dar- In vielen Bereichen gibt es Engpässe. Diese Eng- auf. Was ich beim NH 90 und beim „Uhu" mache, pässe sind 1996 und auch 1997 nicht behoben wor- muß ich doch auch beim Eurofighter machen. Das den. Das Ausschlachten von Fahrzeugen und Gerä- wäre dann notwendig, wenn man dieses Projekt wi ll. ten - bei der Bundeswehr nennt man dies Kannibalis- Ich sage noch einmal: Der Bedarf an einem neuen mus - ist inzwischen zum Tagesgeschäft geworden Jagdflugzeug dürfte im Grundsatz nicht streitig sein, und sollte uns alle besorgt stimmen. Die auf diese aber es müssen bei der Beschaffung des Flugzeuges Weise gewonnenen Ersatzteile sind nicht die so drin- Kosten und Technik kritisch hinterfragt werden dür- gend benötigten neuen Ersatzteile, sondern haben fen. Ich erwarte insofern eine Beschaffungsvorlage, oft auch schon Materialermüdungen vorzuweisen. damit wir vernünftig über Kosten und Technik disku- tieren können. Die vorgesehenen Ansätze für die Materialerhal- tung haben sich zwar gegenüber dem Vorjahr ver- Ich will noch einen anderen Bereich ansprechen, bessert, sie sind jedoch nach unserer Auffassung der mir wichtig erscheint; er ist auch hier in der De- nach wie vor nicht ausreichend. batte schon erwähnt worden. Das sind im Truppen- alltag die Rahmenbedingungen für die politische Bil- Mit dem Haushaltsplan 1998 sollen wir im investi- dung bei den Streitkräften. Nicht nur die Vorgänge ven Bereich einige wesentliche Großvorhaben auf in Hammelburg und einzelne Vorfälle, die Sie, Frau den Weg bringen; das ist schon erwähnt worden. Es Kollegin Beer - ich sehe sie jetzt nicht, sie ist anschei- geht einmal um die Serieneinführung des Unterstüt- nend gleich wieder davongeeilt -, nicht auf die ge- zungshubschraubers „Tiger/Uhu" . Sie kann ebenso samte Bundeswehr übertragen können, sollten uns begonnen werden wie die Beschaffung des NATO- darüber nachdenken lassen, ob wir genügend für die Hubschraubers „NH 90". Die Beschaffung eines Ein- politische Bildung in der Bundeswehr tun. satzgruppenversorgers für die Ma rine wird auf den Weg gebracht. Ebenso werden die Vorhaben Für die politische Bildung in der Bundeswehr gibt Fregatte 124 und U-Boot 212 fortgesetzt. es zur Zeit keinen gesonderten Haushaltstitel. Es wäre die Frage, ob wir in den Haushaltsberatungen Bedauerlich ist, daß die notwendigen Beschaf- einen zusätzlichen Haushaltstitel schaffen; denn poli- fungsvorhaben, die wir begrüßen, nun durch eine tische Bildung in der Bundeswehr kann nicht nur aus Diskussion um die Beschaffung des Eurofighters dem Bezahlen von Vortragshonoraren oder von Ta- überlagert werden. Ich meine, daß es doch unstrittig geszeitungsabonnements bestehen. Die Bedeutung ist, daß die Bundeswehr einen Nachfolgebedarf we- der politischen Bildung ist unbest ritten. Wenn die gen der heute bereits mangelhaften Einsatzbereit- Haushaltsberatungen ergeben, daß es notwendig schaft des Waffensystems „Phantom" hat. Jedoch wird, noch zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stel- stellen wir bei der Entscheidung über den Eurofigh- len, so werden wir uns als F.D.P. dafür einsetzen und 17044 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Jürgen Koppelin stark machen. Dem staatsbürgerlichen Unterricht gekostet hat, viele hundert Milliarden DM in den und der politischen Bildung in den Streitkräften muß letzten Jahrzehnten, in einem solchen Notfall einge- in den nächsten Jahren eine verstärkte Bedeutung setzt wird. zukommen. (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ihre Redezeit ist Und so bemerkenswert diese Leistung auch gewesen zu Ende. ist, so kann sie doch unmöglich als ein Argument da- für dienen, wie das eben Herr Austermann gesagt hat, die allgemeine Wehrpflicht beizubehalten, (F.D.P.): Ich komme zum Schluß, Jürgen Koppelin 340 000 Mann unter Waffen zu halten und zig Milliar- noch einen Satz. - Herr Verteidigungsminister, Sie den DM für ein neues militärisches Großgerät auszu- haben in diesen Tagen angekündigt, daß es von geben. Ihnen auf Grund der rechtsradikalen Erscheinungen, die wir erlebt haben, eine Gesetzesinitiative geben (Beifall bei der PDS) wird. Wir werden sehr kritisch prüfen, was Sie uns vorlegen. Die Bundeswehr als Personaldatensammel- Das entscheidende Problem, vor dem unsere Ge- stelle wird nicht die Zustimmung der Freien Demo- sellschaft steht, ist doch nicht die militärische Sicher- kratischen Partei finden. heit, sondern die ständig steigende Massenarbeitslo- sigkeit, die die soziale Sicherheit, also den Ke rn un- Unseren Soldaten sagen wir ausdrücklich unseren serer inneren Sicherheit, unsere Gesellschaft gefähr- Dank und werden versuchen, in den Haushaltsbera- det. tungen besonders auch die Interessen der Bundes- wehrangehörigen und ihrer Familien zu berücksich- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne tigen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank für Ihre Geduld. Wir sind der Überzeugung, daß diese Probleme nur dadurch gelöst werden können, daß die Politik Mittel (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne und Wege findet, um einen Teil der gewaltigen Ge- ten der CDU/CSU) winne, die sich nicht erst unter Ihrer Regierung bei knapp 10 Prozent der Bevölkerung angehäuft haben, Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat zu rekanalisieren, das heißt zu investieren. Sie be- jetzt der Abgeordnete Hein rich Graf von Einsiedel, haupten, Sie werden dieses Ziel erreichen, indem Sie PDS. die Steuern auf diese Gewinne und die sozialen Lei- stungen noch weiter senken und damit Anreiz für neue Investitionen schaffen. Aber daß dieser Weg Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Frau Präsiden- uns nur noch weiter in die Sackgasse treibt, in der tin! Meine sehr verehrten Damen und- Herren! Es wir uns schon befinden, dazu ist heute bereits genug wurde eben gesagt, daß es manchmal unerträglich gesagt worden. ist, was man sich anhören muß. Besonders unerträg- lich und schmerzhaft ist es natürlich, wenn das Uner- Wir sind der Meinung, daß eine wirksame Be- trägliche von einer Seite gesagt wird, die man eigent- kämpfung der Massenarbeitslosigkeit nur über den lich als die eigene betrachten müßte oder sollte. Was öffentlichen Beschäftigungssektor zu erreichen ist. sich der Landesverband Hamburg der PDS geleistet Es gibt gewaltige Aufgaben in dieser Gesellschaft, hat, ist ein Skandal. die der Markt nicht löst, weil do rt keine Gewinne zu erzielen sind, ob es sich nun um Schulen, Universitä- (Beifall bei Abgeordneten der PDS, bei der ten, um Kultur schlechthin handelt, um eine Reorga- CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abge nisation des Verkehrswesens, der Energiewi rtschaft ordneten der SPD - [CDU/ oder die riesigen Probleme des Umweltschutzes und CSU]: Wer kommt denn von Ihnen aus des Gesundheitswesens. Dafür haben Sie aber kein Hamburg? Ist das Frau Gysi?) Geld, weil Sie den Staat durch Ihre Steuersenkungen Der Landesverband Hamburg der PDS nimmt gegen systematisch verarmen und zulassen, daß er durch den Willen des PDS-Bundesvorstandes an der Bür- das global wirksame System des Steuerdumpings gerschaftswahl teil und will sich offensichtlich als noch weiter verarmt wird. eine eigene Partei innerhalb der Partei etablieren. Kein Mensch - auch nicht diese Siebendreiviertel- (Beifall bei der PDS) Monats-Revoluzzer in Hamburg - hat das Recht, zu Nun ist die Bundeswehr ohne Zweifel ein bedeu- bestreiten, daß die Bundeswehr bei der Bekämpfung tender Faktor des öffentlichen Beschäftigungssek- des Oderhochwassers einen wunderbaren Job gelei- tors. Nach NATO-Kriterien geben wir fast 60 Milliar- stet hat den DM, weit über 10 Prozent des Haushaltes, für die (Beifall im ganzen Hause) Bundeswehr aus. Sie ist der einzige Posten in Ihrem und daß die Soldaten, die dort geschuftet haben und Haushalt, der nicht gekürzt wird, sondern 1998 und teilweise ihr Leben riskiert haben, höchstes Lob und in den folgenden Jahren noch steigen soll. Anerkennung verdienen. Wenn diese Regierung im nächsten Jahr abtritt, Aber es ist doch schließlich auch eine Selbstver- wird sie der kommenden Regierung, wer das auch ständlichkeit, daß diese Bundeswehr, die uns so viel immer sein mag, eine schwere Erbschaft hinterlas- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17045

Heinrich Graf von Einsiedel sen: langfristige Festlegungen wie eben zum Beispiel Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 e die Investitionen, die Sie für den Eurofighter 2000 auf: planen, die sich bis in das nächste Jahrhundert auf, vorsichtig geschätzt, 80 bis 100 Milliarden DM stei- Überweisungen im vereinfachten Verfahren gern werden. Die erste Milliarde davon soll im näch- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung sten Jahr fällig werden. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeswasserstraßenge- Es ist mir unerklärlich, mit welchem Starrsinn Sie setzes in dieser Zeit, wo weit und breit nicht die geringste militärische Bedrohung unseres Landes in den näch- - Drucksache 13/7955 — sten 15 oder 20 Jahren erkennbar ist, an der Wehr- Überweisungsvorschlag: pflicht und an den gigantischen Umrüstungsplänen Ausschuß für Verkehr (federführend) für die Bundeswehr festhalten, während die soziale Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Sicherheit aufs äußerste gefährdet ist. b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Hel- dem Abkommen vom 31. Oktober 1996 zur mut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Änderung des Abkommens vom 8. April 1960 Ich gebe zu, ich bin in vielem, was hier eben über zwischen der Bundesrepublik Deutschland Details dieser Rüstungspläne geäußert wurde, abso- und dem Königreich der Niederlande über lut überfragt und kann da nicht mitreden. Aber niederländische Kriegsgräber in der Bundes- wenn ich einfach an die Geschichte denke, dann republik Deutschland (Kriegsgräberabkom- kann ich mir vorstellen, daß das vielleicht zur Zeit men) des kalten Krieges sinnvoll war. Vielleicht hätten - Drucksache 13/7991 — die Demokratien in Westeuropa, als Hitler aufrü- Überweisungsvorschlag: stete, solche Diskussionen führen können. Aber wir Auswärtiger Ausschuß (federführend) tun ja gerade so, als ob wir kurz vor einem Kriege Auschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ständen und 180 Eurofighter für diese ungeheuren c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Summen bräuchten. Altmann (Aurich) und der Fraktion (Beifall des Abg. Manfred Müller [Berlin] BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [PDS]) Wesertunnel-Planungen beenden Wir verstehen nur allzu gut, daß eine grundsätzli- - Drucksache 13/7963 - che Veränderung der Struktur der Bundeswehr, das Überweisungsvorschlag: heißt ein Verzicht auf die Wehrpflicht, eine langwie- Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit rige und äußerst schwierige Aufgabe ist. Die Bundes- Haushaltsausschuß wehr ist in dieser Größe eine Erblast des kalten Krie- ges. Aber sie ist, wie gesagt, das mit Abstand größte d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vol- öffentliche Beschäftigungsprogramm. Sie nutzen ker Beck (Köln), Franziska Eichstädt-Bohlig, gerne das Argument, wie viele Arbeitsplätze mit der (Berlin), weiterer Abgeordne- Bundeswehr zusammenhängen. Deshalb begrüße ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich mit Nachdruck die Initiative von 47 Kollegen aus NEN der SPD-Fraktion, die Vorschläge unterbreiten, wie Gedenken und Erinnern durch die Kenn- man dieses Arbeitsplatzproblem, das zum Beispiel zeichnung historisch bedeutsamer Orte im mit dem Eurofighter zusammenhängt, auf vernünf- Berliner Parlaments- und Regierungsviertel tige Art und Weise lösen kann. Ich hoffe, daß dies - Drucksache 13/4182 — nicht eine Schwalbe bleibt, die den Sommer verfrüht ankündigt, sondern daß die rot-grüne Koalition, die Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend) Sie hoffentlich im nächsten Jahr ablösen wird, wei- Ältestenrat tere kreative Projekte dieser A rt auf den Weg bringen Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wird. e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vol- (Beifall bei der PDS) ker Beck (Köln), Halo Saibold, Joseph Fischer (Frankfurt), Kerstin Müller (Köln) und der Vizepräsidentin Michaela Geiger: Graf Einsiedel, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Ihre Redezeit ist längst zu Ende. Kommen Sie bitte der Abgeordneten Ute Vogt (Pforzheim), Frei- zum Schluß. mut Duve, Monika Ganseforth, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD 60. Jahrestag der Bombardierung von Guer- Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Danke. nica/Gernika (Beifall bei der PDS) - Drucksache 13/7509 — Überweisungsvorschlag: Liebe Kollegin- Innenausschuß (federführend) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Auswärtiger Ausschuß nen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zum Ge- schäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidi- Es handelt sich um Überweisungen ohne Debatte. gung liegen nicht vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an 17046 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Vizepräsidentin Michaela Geiger die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des überweisen. von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von SPD 29. September 1995 zwischen der Bundesre- und Bündnis 90/Die Grünen zum 60. Jahrestag der publik Deutschland und der Republik Sim- Bombardierung von Guernica auf Drucksache 13/ babwe über die Förderung und den gegensei- 7509 - das ist der Tagesordnungspunkt 3 e - soll zur tigen Schutz von Kapitalanlagen federführenden Beratung dem Innenausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß über- - Drucksache 13/7612 - wiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das (Erste Beratung 178. Sitzung) ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) Bei den folgenden Tagesordnungspunkten handelt - Drucksache 13/8357 - es sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu de- nen keine Aussprache vorgesehen ist. Berichterstattung: Abgeordneter Siegmar Mosdorf Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 41 auf: e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. September 1995 zwischen der Bundesre- 13. September 1994 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und der Republik Süd- publik Deutschland und der Republik Costa afrika über die gegenseitige Förderung und Rica über die Förderung und den gegenseiti- den Schutz von Kapitalanlagen gen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7613 - - Drucksache 13/7609 - (Erste Beratung 178. Sitzung) (Erste Beratung 178. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) - Drucksache 13/8358 - - Drucksache 13/8354 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Siegmar Mosdorf Abgeordneter Siegmar Mosdorf f) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. April 1993 zwischen der Bundesrepublik 11. August 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan Deutschland und der Republik Paraguay über über die Förderung und den gegenseitigen die Förderung und den gegenseitigen Schutz Schutz von Kapitalanlagen von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7614 - - Drucksache 13/7610 - (Erste Beratung 178. Sitzung) (Erste Beratung 178. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) - Drucksache 13/8355 - - Drucksache 13/8359- Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Siegmar Mosdorf Abgeordneter E rich G. Fritz c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des g) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Oktober 1993 zwischen der Bundesrepu- 31. Januar 1996 zwischen der Regierung der blik Deutschland und der Republik Slowe- Bundesrepublik Deutschland und der Regie- nien über die Förderung und den gegenseiti- rung Hongkongs zur Förderung und zum ge- gen Schutz von Kapitalanlagen genseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7611- - Drucksache 13/7615 - (Erste Beratung 178. Sitzung) (Erste Beratung 178. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) - Drucksache 13/8356 - - Drucksache 13/8360- Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Siegmar Mosdorf Abgeordneter Erich G. Fritz Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17047

Vizepräsidentin Michaela Geiger h) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des 1) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Dezember 1994 zwischen der Bundesrepu- 3. April 1993 zwischen der Bundesrepublik blik Deutschland und Barbados über die För- Deutschland und der Sozialistischen Republik derung und den gegenseitigen Schutz von Vietnam über die Förderung und den gegen- Kapitalanlagen seitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7616 - - Drucksache 13/7622 - (Erste Beratung 178. Sitzung) (Erste Beratung 178. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) - Drucksache 13/8361 - - Drucksache 13/8365 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Abgeordneter E rich G. Fritz i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf den von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Drucksachen 13/8354 bis 13/8365, die Gesetzent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom würfe unverände rt anzunehmen. 21. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über Deutschland und der Republik Honduras die 12 Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Da- über die Förderung und den gegenseitigen gegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren Schutz von Kapitalanlagen wir so. - Drucksache 13/7617 - Ich bitte diejenigen, die den 12 Gesetzentwürfen (Erste Beratung 178. Sitzung) zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt da- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- gegen? - Wer enthält sich? - Dann sind die Gesetz- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) entwürfe mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthal- - Drucksache 13/8362 - tung der PDS angenommen. Berichterstattung: Abgeordneter E rich G. Fritz Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4 m: j) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Zweite und dritte Beratung des von der Bun- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- desregierung eingebrachten Entwurfs eines wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom Dritten Gesetzes zur Änderung statistischer 24. Februar 1995 zwischen der Bundesrepu- Rechtsvorschriften blik Deutschland und der Republik Ghana (3. Statistikbereinigungsgesetz -3. StatBerG) über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7392 - - Drucksache 13/7620 - (Erste Beratung 172. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- (Erste Beratung 178. Sitzung) ausschusses (4. Ausschuß) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- - Drucksache 13/8384 - schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) Berichterstattung: - Drucksache 13/8363 - Abgeordnete Berichterstattung: Ute Vogt (Pforzheim) Abgeordneter E rich G. Fritz Manfred Such Dr. k) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Ulla Jelpke von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der 28. Februar 1994 zwischen der Bundesrepu- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- blik Deutschland und der Republik Moldau zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - über die Förderung und den gegenseitigen Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit Schutz von Kapitalanlagen den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei - Drucksache 13/7621 - Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. (Erste Beratung 178. Sitzung) Dritte Beratung Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- - Drucksache 13/8364 - ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann Berichterstattung: ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenver- Abgeordneter E rich G. Fritz hältnis wie bei der zweiten Lesung angenommen. 17048 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Vizepräsidentin Michaela Geiger Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4 n: gen? - Dann ist die Sammelübersicht 226 mit demsel- ben Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen jetzt schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Gila die Haushaltsberatungen fo rt und kommen zum Ge- Altmann (Aurich), Franziska Eichstädt-Bohlig, schäftsbereich des Bundesministeriums für wirt- Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einzelplan 23. Fahrrad-Fahrbereitschaft für den Deutschen Bundestag in Bonn Ich erteile dem Bundesminister Carl-Dieter Spran- ger das Wort. - Drucksachen 13/3328, 13/8078 - Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- Ina Albowitz schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Rudolf Purps Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haus- Antje Hermenau halt 1998 steht wie seine Vorgänger in den letzten Jahren unter dem strikten Gebot des Konsolidierens Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- und Sparens. Für die Bundesregierung bedeutet che 13/3328 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- dies, daß die aus den verschiedenen Einzelplänen zu schlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- finanzierenden Ausgaben nach ihrer Bedeutung für tungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den die Zukunft unseres Landes zu gewichten sind. Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD, wobei es bei der SPD eine Enthaltung gab, gegen die Stimmen Wenn vor diesem Hintergrund der Einzelplan 23 von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. mit dem Ausgaberahmen des vergangenen Jahres erhalten bleibt, ist dies, so meine ich, ein respektab- Tagesordnungspunkt 4 o: les Ergebnis für die Entwicklungspolitik. Beratung der Beschlußempfehlung und des (Beifall bei der CDU/CSU) Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- zialordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrich- Wenn wir trotz dieser Tatsache schmerzliche Ein- tung durch die Bundesregierung schnitte in einigen Bereichen hinnehmen, so liegt Mitteilung der Kommission zur Entwicklung dies im wesentlichen an dem gestiegenen Dollarkurs. des sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene Ich verstehe und teile die Sorgen all derer, die sich mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit - Drucksachen 13/6129 Nr. 1.29, 13/7966- wünschen. Andererseits kann ich feststellen, daß die - Mittel von über 7,6 Milliarden DM auch im nächsten Berichterstattung: Abgeordnete Leyla Onur Jahr unsere Handlungsfähigkeit erhalten. Deutsch- Der Ausschuß empfiehlt, unter Kenntnisnahme der land bleibt ein verläßlicher Pa rtner der Entwick- Mitteilung eine Entschließung anzunehmen. Wer lungsländer. stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußemp- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fehlung bei mäßiger Beteiligung mit den Stimmen Wenig nützlich sind allerdings Unkenrufe der SPD des ganzen Hauses angenommen. noch während der Aufstellung des Haushalts, der Entwicklungsetat werde um über eine halbe Mil- Tagesordnungspunkt 4 p: liarde DM gekürzt, ein Herunterrechnen der An- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- sätze, wie es die Grünen in einer Pressemitteilung tionsausschusses (2. Ausschuß) vom 29. August dieses Jahres versucht haben, oder unqualifizierte Behauptungen der Geschäftsführer Sammelübersicht 226 zu Petitionen von Welthungerhilfe und „terre des hommes", die (Regelung im Einigungsvertrag, wonach eini- die Handlungsfähigkeit der deutschen Entwick- ge mineralische Rohstoffe als bergfreie Boden- lungspolitik in Abrede stellten. Dies schadet unserer schätze gelten) gemeinsamen Sache und untergräbt das Vertrauen, das zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Ent- - Drucksache 13/8068 - wicklungszusammenarbeit in letzter Zeit in sehr er- Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS freulichem Maße gewachsen ist. vor. Dazu hat der Abgeordnete Gerhard Jüttemann eine schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäfts- Trotz aller Besorgnis brauchen wir nach wie vor den ordnung abgegeben. Wer stimmt für den Änderungs- internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Das zeigt der Blick auf die OECD-Statistik. Drastische antrag der PDS auf Drucksache 13/8478? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Än- Einbrüche, wie sie zum Beispiel Japan, Kanada und Australien zu verzeichnen haben, konnten vermie- derungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, den werden. Auch Frankreich fiel in den Zahlen für F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Zustim- 1996 erstmals hinter uns zurück. Deutschland hält mung der Gruppe der PDS abgelehnt. nun seine Position als weltweit drittgrößter Geber. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petiti- Das ist, so glaube ich, eine erfreuliche und zu begrü- onsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun ßende Position. Dabei werden - das muß man immer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17049

Bundesminister Carl-Dieter Spranger wieder betonen - unsere Leistungen für Osteuropa Für diese beiden Bereiche besteht in den parlamen- mit vielen Millionen DM überhaupt nicht mitgezählt. tarischen Beratungen sicher noch Diskussionsbedarf. (Beifall bei der CDU/CSU) Die multilateralen Ausgaben bleiben mit rund 2,5 Milliarden DM im Verhältnis zu diesem Jahr kon- Partnerschaft ist keine Einbahnstraße. Pa rtner- stant. Die auch von uns angestoßenen Reformen bei schaft zwischen Staaten berührt das gesamte Feld vielen multilateralen Organisationen haben inzwi- der politischen Beziehungen. Die Entwicklungszu- schen deutliche Effizienzgewinne und damit einen sammenarbeit ist bei vielen Ländern ein wichtiger beschleunigten Mittelabfluß zur Folge. Die vom BMZ Faktor, aber eben nur ein Faktor neben anderen. Es bei UNIDO bewirkte Straffung und Verschlankung ist selbstverständlich, daß wir auch in unserer Ent- ist beispielhaft dafür, wie wir unserer Forderung wicklungszusammenarbeit berücksichtigen, wie sich nach mehr Effizienz und Einsparung auch im multi- ein Staat bei der Erfüllung seiner völkerrechtlichen lateralen Bereich zum Durchbruch verhelfen können. Verpflichtungen uns gegenüber verhält. Wir sind uns innerhalb der Bundesregierung deshalb völlig einig, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß die Weigerung von Staaten, eigene Staatsange- Jetzt kommt es darauf an, daß der neue Generaldi- hörige, die Deutschland verlassen müssen, aufzuneh- rektor, der traditionell von einem Entwicklungsland men, alle Bereiche der auswärtigen Beziehungen be- gestellt wird, die angefangenen Reformen beherzt rührt und Konsequenzen erfordert. Die Entwick- fortführt. Im VN-Bereich müssen aufgeblähte Ver- lungszusammenarbeit allein kann diese Probleme, waltungsapparate weiter abgeschmolzen und zusam- die letztlich ihre Ursachen im riesigen Mißbrauch ei- mengelegt werden. Wir werden die knappen Mittel nes großzügigen Asylrechts haben, nicht lösen. im Bereich der multilateralen technischen Zusam- Eine wichtige Aufgabe der Entwicklungspolitik ist menarbeit auf die maßgebliche Organisation, näm- die Bekämpfung von Fluchtursachen, aber auch die lich UNDP, konzentrieren. Gleichwohl - auch das ist Reintegration von Flüchtlingen und abgelehnten festzustellen - müssen auch bei diesem Titel aus Asylbewerbern. Dabei erwarten wir - und können Sparsamkeitsgründen Kürzungen vorgenommen wir zu Recht erwarten - die Kooperationsbereitschaft werden. unserer Partnerländer. Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bleibt mit etwa zwei Dritteln des Gesamthaushaltes unser schlagkräftigstes Instrument. Trotz des be- Wenn dem Entwicklungsetat nur ein Bruchteil der grenzten Handlungsspielraums setzt der Haushalt Mittel zur Verfügung stünde, die Deutschland für hier einige deutliche Akzente. Die zahlreichen ent- Asylbewerber und Flüchtlinge jährlich aufbringt, wicklungspolitisch nützlichen Initiativen p rivater könnten wir den Menschen in ihrer angestammten Träger werden mit einer kleinen, aber wichtigen Er- Heimat außerordentlich wirkungsvoll zusätzliche höhung des Titelansatzes honoriert. Hilfe leisten. In der finanziellen Zusammenarbeit wird das zu- Nirgends wird die friedenspolitische Funktion der kunftsweisende Instrument der Verbundfinanzie- Entwicklungszusammenarbeit derzeit deutlicher als rung weiter ausgebaut. Dies zeigt, daß wir auf die bei unseren östlichen Nachbarn. Von dort richten veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingun- sich an Deutschland große Erwartungen. Gleichzeitig gen für Entwicklung schnell und gezielt reagieren. bietet der sich im Osten vollziehende Wandel für uns auch große Chancen. Der Haushalt des BMZ wird Das Ausmaß der privaten Kapitalströme in Ent- deshalb 1998 noch deutlicher als in den Vorjahren wicklungsländern stellt die öffentliche Entwicklungs- zum zentralen Finanzierungsinstrument der Bundes- zusammenarbeit vom Volumen her inzwischen weit regierung für die Unterstützung der MOE/NUS-Staa- in den Hintergrund. Es geht deshalb darum, mit Hilfe ten. Bei den Ressorts hat sich endgültig die richtige von Anreizen aus öffentlichen Mitteln p rivate Finan- Erkenntnis durchgesetzt, daß die Instrumente der zierungen zu stimulieren. Genau diese Mobilisie- Entwicklungszusammenarbeit am besten geeignet rungsfunktion hat unsere Verbundfinanzierung. Ihr sind, Transformation und Reformen in den ehemals zweiter unbestrittener Vorteil ist der positive Neben- sozialistischen Staaten im Osten nachdrücklich zu effekt für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Auf- fördern. träge im Rahmen der Verbundfinanzierung sichern Arbeitsplätze und Exportanteile in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zum Stichwort Standort Deutschland noch eine Ich möchte aber auch Schwierigkeiten, die sich wichtige Zahl aus dem Haushalt: Trotz äußerster durch die vorgeschlagenen Haushaltsansätze erge- Sparsamkeit gelang es uns, den Ansatz für Stipen- ben, nicht verschweigen. Für unsere Planungen sind dien und Wissenschaftleraustausch auf der Basis von die Verpflichtungsermächtigungen von besonderer 1995 um fast 60 Prozent zu erhöhen. Wir ziehen hier- Bedeutung. Die Einschnitte in diesem Bereich er- mit die Konsequenz aus einer Reihe von Veranstal- schweren eine langfristige Politik. Wir müssen auch tungen im letzten Jahr, wo wir auch unter Hinzuzie- in Zukunft in der Lage bleiben, Zusagen in dem er- -hung ausländischer Experten den Wissenschafts forderlichen Umfang zu machen. Ein gravierendes und Hochschulstandort Deutschland aus der Sicht und verstärkendes Problem ist die Entwicklung des der Entwicklungsländer analysiert haben, was mich Dollarkurses. Sie führt zu zusätzlichen Ausgaben im dazu veranlaßt hat, mit den Kultusministern Verbin- multilateralen Bereich, die das BMZ angesichts des dung aufzunehmen, um eine Reihe von Schwierig- engen Verfügungsrahmens nicht auffangen kann. keiten zu beseitigen, die offensichtlich dazu geführt 17050 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundesminister Carl-Dieter Spranger haben, daß die Zahl der jungen Menschen, die zur sicher, daß Sie rechtzeitig aus Hongkong wieder da Ausbildung nach Deutschland kommen, in den letz- sein werden. Die Weltbankkonferenz, auf der Sie ten Jahren immer rückläufiger geworden ist. Das ist dort sind, ist sicherlich wichtig, aber ich denke, in eine Situation, mit der wir uns aus vielerlei Gründen diesem Fall sind wir noch wichtiger. nicht abfinden können. (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das wird die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Welt nicht bewegen!) Deswegen gehört diese Erhöhung auch zu dem Be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Etat für die standteil unserer Anstrengungen, den Hochschul- Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik standort Deutschland zu stärken, und erfüllt unsere wird 1998, wenn es nach den Haushaltsansätzen Zusagen auf dem Symposium der Alexander-von- geht, nominell zwar annähernd konstant bleiben, Humboldt-Stiftung im April dieses Jahres. Für unser real aber sinken. Herr Minister Spranger mag dies internationales Ansehen, für die politischen und wirt- angesichts der teilweise stark gekürzten Haushalts- schaftlichen Verbindungen zu anderen Staaten ist es ansätze der Mehrzahl der anderen Ministe rien zwar ungeheuer wichtig, daß unser Land für ausländische als Erfolg feiern; dessenungeachtet muß sich Bundes- Studenten und insbesondere auch für Studenten aus kanzler Kohl fragen lassen, was denn aus seinem Ziel Entwicklungslände rn offen bleibt. von 0,7 Prozent geworden ist, das in Rio so vollmun- dig angekündigt worden ist. Außer hohlen Phrasen (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das ist ist nichts geblieben. wahr!) Die Nerven liegen in dieser Frage auch bei Herrn Natürlich müssen wir dem Mißbrauch entgegenwir- Minister Spranger blank. In einer Presseerklärung ken. Dies darf aber nicht zu neuen Schranken für Ihres Hauses hat Ihr Pressesprecher die Äußerungen Wissenschaftler und Studenten führen, die in ehrli- der Deutschen Welthungerhilfe und von „terre des cher Absicht zu einer Ausbildung nach Deutschland hommes" zur deutschen Entwicklungspolitik nicht kommen. nur als irreführend und maßlos zurückgewiesen, son- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dern auch die darin enthaltene Zahl von 0,29 Prozent als Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozial- Meine Damen und Herren, der Regierungsentwurf produkt als pure Spekulation zurückgewiesen. Wei- für den Entwicklungshaushalt stabilisiert die Ausga- ter heißt es in dieser Presseerklärung: ben für Entwicklungspolitik auf dem Niveau der ver- gangenen Jahre. Auf dieser Grundlage werden wir Tatsächlich weisen die vor kurzem für 1996 offi- auch 1998 vernünftige Politik zum Wohle der Men- ziell vorgelegten Zahlen eine Quote von 0,32 Pro- schen in unseren Pa rtnerländern und in unserem ei- zent aus. Damit liegt Deutschland weit über dem genen Interesse gestalten können. internationalen Durchschnitt von 0,25 Prozent. (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll- Hierzu möchte ich zweierlei bemerken: Erstens mer) sollte man in seiner Wortwahl gegenüber zwei Orga- nisationen, die seit Jahren vorbildliche Entwick- Ich darf im vorhinein schon den Kolleginnen und lungsarbeit leisten, doch etwas höflicher sein. Zwei- Kollegen herzlich danken, die sich in den zuständi- tens entspricht es einfach der Realität, daß in gen Ausschüssen in den kommenden Tagen und Wo- Deutschland seit Jahren der Anteil der Entwick- chen mit dem Haushalt beschäftigen und mit viel lungshilfe am Bruttosozialprodukt sinkt. 0,25 Prozent Mühe, Einsatz und hoffentlich auch Wohlwollen be- bedeuten nach Angaben der OECD die niedrigste raten und mitgestalten. Quote seit Beginn der Erfassung. Wenn Sie, Herr Mi- Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit. nister, jetzt sagen, mit 0,32 Prozent liege man weit über dem internationalen Durchschnitt, dann ist dies (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Schlichtweg falsch und beschämend für die deutsche Entwicklungspolitik. Dafür tragen Sie die politische Verantwortung. Vizepräsidentin Dr. : Das Wort hat jetzt die Kollegin Adelheid Tröscher. (Beifall bei der SPD und der PDS) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stimmt augen- Adelheid Tröscher (SPD): Frau Präsidentin! Kolle- scheinlich etwas nicht an der Entwicklungspolitik ginnen und Kollegen! Ich freue mich, Sie, Herr Mi- dieser Bundesregierung. In diesem Zusammenhang nister Spranger, heute so frisch wiederzusehen; denn fand ich es doch sehr bemerkenswe rt, was der Kol- Sie hätten ja leicht dem Sommerspektakel Ihres Par- lege Laschet auf einer Pressekonferenz anläßlich des teifreundes Waigel zum Opfer fallen können. Das Beschlusses des Bundesfachausschusses Entwick- hätten wir doch sehr bedauert. lungspolitik der CDU dazu gesagt hat. Herr Kollege (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten Laschet, was ich hierzu der Presse entnehmen der SPD) konnte, war, daß Sie sich für eine stärkere Ausrich- tung der deutschen Politik an entwicklungspoliti- Wir brauchen den Dialog mit Ihnen, und wir gehen schen Aufgabenstellungen ausgesprochen haben, davon aus, daß Sie am 24. September auch noch in für eine Stärkung der multilateralen Zusammenar- den Ausschuß kommen, um mit uns den Einzel- beit plädiert haben, kritisiert haben, daß derzeit elf plan 23 zu beraten. Haushaltsberatungen sind das ur- Ressorts in unterschiedlicher Weise entwicklungs- eigenste Recht des Parlaments. Deshalb bin ich mir politisch aktiv sind und dabei einzelne Häuser, die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17051 Adelheid Tröscher im selben Land engagiert sind, zum Teil nicht einmal im Bereich der selbsthilfeorientierten Armutsbe- von den Aktivitäten anderer Ministe rien wissen, be- kämpfung in den letzten Jahren immer weiter gesun- mängelt haben, daß eine Reihe großer UN-Konferen- ken ist. Wir fordern Sie daher auf, den Anteil auf min- zen zu Fragen der internationalen Entwicklung wäh- destens 20 Prozent der finanziellen und technischen rend der vergangenen fünf Jahre von unterschiedli- Zusammenarbeit zu steigern. chen Ministerien federführend betreut worden seien, obwohl es zentral stets um Fragen der Entwicklungs- Zweitens fordern wir die Erhöhung der Mittel für politik, also des BMZ, gegangen sei, und auch den die entwicklungspolitische Bildung und für private Stellenabbau im BMZ kritisiert haben. Gleichzeitig Träger der Entwicklungszusammenarbeit. Dies wäre haben Sie gefordert - das fand ich besonders bemer- durch Umschichtung im Haushalt zu erreichen; denn kenswert; ich stehe Ihnen da ganz nahe, Herr La- gerade die besondere Bedeutung entwicklungspoliti- schet -, daß globale Strukturpolitik zur Chefsache scher Bildungsarbeit und der Nichtregierungsorgani- beim Bundeskanzler erklärt werden müsse, sationen ist auch von Ihnen immer wieder hervorge- hoben worden. Es geht nicht an, daß die NROs von (Beifall bei der SPD) Ihnen immer wieder dann instrumentalisiert werden, wenn Sie sie brauchen; aber wenn sie Geld von Ih- und betont, das vorgelegte Papier sei kein Beitrag nen fordern, dann werden sie in den Senkel gestellt. zur neuentflammten Diskussion über eine Kabinetts- umbildung. Daß Sie das noch erwähnen mußten, ist Drittens fordern wir die verstärkte Förderung von natürlich besonders pikant. Kleinkreditprogrammen. Kleinkreditprogramme ge- winnen insbesondere im Bereich der Förderung von Es liegt doch an Minister Spranger selbst - ich Frauen in Entwicklungslände rn zunehmend an Be- spreche ihn hier direkt an -, die Federführung bei deutung, da sie besonders nachhaltig wirken. Herr den großen UN-Konferenzen anzumahnen und für Kollege Pinger, mir wäre es sehr wichtig, wenn wir in sich zu beanspruchen. Es liegt doch an ihm, den Stel- dieser Frage zu einer gemeinsamen Initiative finden lenabbau im BMZ zu stoppen. Es liegt auch an ihm, würden. die Auslandsarbeit besser zu koordinieren. Schließ- lich liegt es auch an Minister Spranger, die multilate- Viertens fordern wir keine Kürzungen bei Stiftun- rale Zusammenarbeit zu stärken. Aber ein Minister, gen und Kirchen. Gerade die Entwicklungszusam- der es zuläßt, daß sein Haushalt immer weiter sinkt, menarbeitsprojekte der Kirchen und Stiftungen die- der sich mit Außenminister Kinkel über den Sicher- nen in besonderer Weise der Förderung der Zivilge- heitsrat streitet, der den Austritt aus der UNIDO for- sellschaft in den Entwicklungslände rn; wir dürfen dert - das ist ja jetzt Gott sei Dank korrigiert worden das wirklich nicht unterschätzen. - und Etatkürzungen bei der UNDP zustimmt, macht keine vorbildliche Politik, sondern schadet dem inter- Wir fordern, fünftens, keine Kürzungen bei UNDP nationalen Ansehen deutscher Entwicklungszusam- und UNIDO. Die Armut ist zwar in den letzten 50 Jah- menarbeit. - ren auf der Welt deutlich zurückgegangen, dennoch weist auch der letzte UNDP-Bericht darauf hin, daß (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE die Zahl der Menschen, die von weniger als einem GRÜNEN und der PDS) Dollar pro Tag leben müssen, auf 1,3 Milliarden ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte stiegen ist. Dies betrifft über ein Viertel der Bevölke- rung in den Entwicklungslände Haushalt führt vor dem Hintergrund hoher Rechts- rn. Kürzungen bei verpflichtungen zu schmerzhaften Eingriffen in na- der UNDP sind ein falsches Signal, und Sie haben hier ja doch eine erhebliche Kürzung vorgesehen. hezu allen Bereichen des Einzelplans 23. Dies gilt so- wohl für die Ausgabenseite als auch für die Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich pflichtungsermächtigungen. Gerade bei den Ver- zum Schluß noch auf einige grundsätzliche Punkte pflichtungsermächtigungen als herausragendem Ge- eingehen. staltungselement für eine wirkungsvolle Entwick- lungszusammenarbeit wird dies für die Zukunft zu Aus sozialdemokratischer Sicht muß Entwick- schweren Fehlentwicklungen und Belastungen füh- lungspolitik eine am Ziel der Nachhaltigkeit orien- ren. Die Kürzungen in diesem Bereich gehen über tierte Querschnittsaufgabe durch Vernetzung von das hinaus, was wirklich erforderlich gewesen wäre. Entwicklungs-, Außen-, Wirtschafts-, Europa-, Land- wirtschafts- und Umweltpolitik werden. Wir wollen, Nun komme ich zu den Schwerpunkten, die wir, daß die multilateralen Institutionen gestärkt werden. die SPD-Bundestagsfraktion, daher bei den Haus- Das heißt: Die Programme und Transfers der UNO haltsberatungen setzen werden. Als erstes mit ihren Unter- und Sonderorganisationen, der (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wegfall des WTO, des IWF und der Weltbank sowie der regiona- Ministeriums als erstes!) len Entwicklungsbanken, müssen besser koordiniert werden. Das heißt auch, daß wir den eingeleiteten nenne ich die verstärkte Förderung von Projekten Reformprozeß unterstützen und unserem politischen der selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung. Gewicht entsprechend mitgestalten und Stellung be ziehen. Das wird einfach von uns erwartet. Herr Minister Spranger, Sie haben unter anderem bei der Vorstellung des Berichts des United Nations Im Bereich der Wirtschafts- und Handelspolitik Development Programs über die menschliche Ent- wollen wir erreichen, daß arme Entwicklungsländer wicklung erklärt, daß der Schwerpunkt Armutsbe- im Prozeß der Globalisierung aufholen können. Ent- kämpfung längst zum Bestandteil deutscher Ent- sprechende Strukturhilfe muß daher ein Schwer- wicklungspolitik gehöre. Fakt ist aber, daß der Anteil punkt unserer Entwicklungszusammenarbeit sein. 17052 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Adelheid Tröscher Entwicklungsländer brauchen einen fairen Zugang mich, daß Sie sich das selbst dann noch trauen, wenn zu den Märkten. Herr Scharping den Saal bet ritt. Immerhin hat uns Herr Scharping als Kanzlerkandidat vorgeschlagen, Wir müssen stärker als bisher die Entschuldung das ganze Ministerium aufzulösen. Ich hätte zumin- der am stärksten verschuldeten Entwicklungsländer dest in dem Moment, wo Herr Scharping hier den bei privaten und staatlichen Gläubigern wie auch bei Saal betritt, nicht den Minister wegen dessen be- multilateralen Organisationen vorantreiben. schimpft, was in unserem Papier steht. Bemühungen von Entwicklungsländern um demo- kratische Strukturen, die Garantie von Menschen- (Rudolf Scharping [SPD]: Sie müssen auf- und Minderheitenrechten und effektive Verwaltung passen, sonst gibt es einen Antrag!) müssen wir verstärkt unterstützen. Ein letztes, Herr Scharping. Ich weiß nicht, ob Sie Wir müssen auch stärker zwischen Schwellenlän- noch einmal Kanzlerkandidat werden. dern und armen Entwicklungsländern unterschei den. Schwellenländern müssen wir öffentliche Mittel (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nicht in die vorrangig für die ökologische Umlenkung im Produk- sem Jahrhundert!) tions-, Energie- und Verkehrssektor bereitstellen. Für die armen Länder brauchen wir Mittel vorwiegend Aber wenn ich daran denke, daß das ein Beitrag zur für Programme im Bereich der Armutsbekämpfung, Entwicklungspolitik sein soll, und daran, was uns im der Bildung, der Gesundheit, des Umweltschutzes, nächsten Wahlkampf droht, nachdem Herr Schröder der eigenen Ernährungssicherung, der Frauenförde- in unverantwortlicher Weise über Abschiebungen rung und der gesellschaftlichen Partizipation. und über die Entwicklungshilfe als Instrumentarium Bei aller Unterschiedlichkeit, die wir manchmal in gesprochen hat, dann wünsche ich mir, daß man das der Sache haben: Bei diesen Punkten sollten wir ge- so differenziert, wie Minister Spranger es gemacht meinsam handeln. hat, daß man hier nicht pauschal Entwicklungshilfe einsetzt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das Zitat dabei, GRÜNEN und der PDS) dazu kommen wir gleich noch!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- Ich fürchte mich schon aus entwicklungspolitischer tervention erhält der Abgeordnete Armin Laschet das Sicht vor diesem nächsten Bundestagswahlkampf, Wort. nachdem ich erlebt habe, was im letzten hier von Ih- - nen praktiziert worden ist. Armin Laschet (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf das (Beifall bei der CDU/CSU) eingehen, was Frau Tröscher bezüglich des Papiers gesagt hat, dem sie fast vorbehaltlos zugestimmt hat. Möchten Sie Zunächst einmal: Es war kein Privatpapier, son- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: antworten? - Bitte. dern ein Papier des Bundesfachausschusses unserer Partei, der sich über momentane Situationen, über die Tagesaktualität hinaus mit Fragen globaler Zu- kunftssicherung befaßt hat Adelheid Tröscher (SPD): Herr Laschet, regen Sie sich darüber doch nicht so auf! Wir waren lernfähig. (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜNDNIS In dieser Form hat Herr Scharping das auch im Wahl- 90/DIE GRÜNEN]: Der im Tagesgeschäft kampf nie gesagt. nichts zu sagen hat!) und daraus, als Konsequenz, einige Forderungen (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Was hat er aufgestellt hat. denn wirklich gesagt?) Diese Ansammlung internationaler Abteilungen in Es ist immer wieder mißbräuchlich zitiert worden. verschiedenen Ministe rien, ist nichts, was Sie spe- ziell dieser Bundesregierung vorwerfen könnten. Sie Die Entwicklungspolitik hat bei uns einen großen wissen genau, daß das über Jahre hinweg entstan- Stellenwert. Wir hatten kürzlich einen außenpoliti- den ist, daß dieses Unwesen schon in den 70er Jah- schen Kongreß, auf dem die Entwicklungspo litik ren, als Sie mit der F.D.P. regiert haben, begann: die gleichberechtigte Partnerin war. Verlagerung von Zuständigkeiten aus einem Mi- nisterium heraus in ein anderes. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wollen Sie das Ministerium behalten?) (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: 15 Jahre sind genug!) Wenn Sie monieren - wir monieren das ja auch -, Ich frage mich allerdings, wie Sie es fertigbringen daß Entwicklungspolitik in so vielen Resso rts stattfin- konnten, in Ihrer Rede aus diesem Papier heraus det oder auch nicht stattfindet, auf jeden Fall nicht so Herrn Minister Spranger zu kritisieren. Es wundert stattfindet, wie wir das gerne hätten, dann muß man Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17053

Adelheid Tröscher sagen, daß Sie natürlich 15 Jahre Zeit hatten, das zu unser Augenmerk bei den Projekten mehr denn je ändern. der Nachhaltigkeit gelten. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wir brauchen (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Richtig!) weitere 15! - Wolfgang Schmitt [Langen Ich begrüße deshalb, daß der BMZ die begleitende feld] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] [zur Kontrolle und die abschließende Bewe rtung von CDU/CSU gewandt]: Ihr seid die Partei der Maßnahmen verstärkt hat. Leistungsträger! Das hat mit Arbeit in bestimmen Zeiteinheiten zu tun!) Der Anteil der multilateralen Leistungen liegt bei etwa 2,5 Milliarden DM, was rund ein Drittel des Ge- Es ist keine Entschuldigung, zu sagen, daß die F.D.P. samtetats ausmacht. Wir sind damit noch von unse- und die SPD das falsch gemacht haben. rem Ziel entfernt, die 30-Prozent-Marke wieder deut- lich zu unterschreiten. Wir denken, daß man die Organisationsentwick- lung nicht immer nur anderen aufoktroyieren darf. In den nächsten Jahren werden unsere Zahlungen Vielmehr muß man, wenn man wirklich Entwick- an internationale Finanzierungsinstitute, die heute lungspolitik betreiben möchte, das selbst in die Hand noch rund 1,8 Milliarden DM ausmachen, deutlich nehmen. Das habe ich gerade bei Minister Spranger absinken, weil dank der Darlehensrückflüsse in die- angemahnt. Er muß es in die Hand nehmen. Er muß sem Bereich eine immer größere Selbstfinanzierungs- hier die Führung für die Entwicklungspolitik über- kraft heranwächst. nehmen. Das ist die Aufgabe des BMZ. Soviel dazu. Die deutsche Beteiligung an Einrichtungen der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Weltbankgruppe kann daher 1998 um 103 Millionen DIE GRÜNEN) DM auf nunmehr 918 Millionen DM zurückgenom- men werden. Bei der Asiatischen Entwicklungsbank und auch bei der Afrikanischen Entwicklungsbank Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat sind noch einmal Kapitalerhöhungen zu finanzieren, jetzt der Abgeordnete Michael von Schmude. die den Haushalt zusätzlich mit 141 Millionen DM belasten. Michael von Schmude (CDU/CSU): Frau Präsiden- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Viel zuviel!) tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalts- ansatz 1998 für den Einzelplan 23 bewegt sich fast Wir werden hier im Haushaltsausschuß einen Bericht auf der gleichen Höhe von 1997. Offen ist allerdings der Bundesregierung anfordern, insbesondere be- noch, wie der Mittelabfluß in 1997 tatsächlich ausse- züglich der Asiatischen Entwicklungsbank. hen wird. (Dr. R. Werner Schuster Unter Nach - [SPD]: haltigkeitsgesichtspunkten!) Die Fortschreitung der Mittel in einer Zeit des knappen Geldes wird natürlich nicht jeder Wunsch- Das erscheint uns vor dem Hintergrund der jüngsten vorstellung gerecht, aber wir liegen mit unseren Währungsturbulenzen in Ostasien angezeigt. Möglichkeiten und Mitteln durchaus im Rahmen dessen, was andere große Geberländer aufbringen. Deutschland nimmt mit seinen Zahlungen an inter- nationale Organisationen und Einrichtungen eine Wer uns unterstellt, wir würden nur wiederwillig Spitzenstellung ein. Es bleibt für uns deshalb eine einer lästigen Pflichtaufgabe nachgehen, verkennt Daueraufgabe, zu prüfen, inwieweit wir Entlastun- die wirtschaftliche und finanzielle Gesamtsituation. gen erreichen können. Dies gilt insbesondere bezüg- Er verkennt aber auch das elementare Interesse lich der Beiträge an verschiedene internationale Or- Deutschlands, im Kampf gegen Hunger und Elend, ganisationen. Im Haushalt 1998 werden bereits die gegen Unterdrückung und Unfreiheit mitzuhelfen. UNDP-Mittel von 120 Millionen DM auf. 90 Millionen Er verkennt insbesondere aber das, was von Tausen- DM zurückgenommen, und für UNIDO sind es nur den auch ehrenamtlich Tätigen, was von Kirchen noch 10 Millionen DM gegenüber bisher 17,6 Millio- und Stiftungen und anderen Nichtregierungsorgani- nen DM. Der. Vorschlag von Minister Spranger, aus sationen in der Entwicklungshilfe mit unserer finan- der UNIDO auszutreten, hat meine volle Unterstüt- ziellen Unterstützung geleistet wird. Wir sind den zung gefunden. Die Satzung der UNIDO ist überholt; vielen in diesem Bereich engagierten Menschen zu das Ziel der Industrialisierung der Entwicklungslän- großem Dank verpflichtet. Sie können auch weiter- der steht offenbar nicht mehr allein im Mittelpunkt, hin auf unsere Unterstützung rechnen. da man sich ständig neue Aufgaben sucht, so daß man Überschneidungen mit anderen internationalen Auf Kritik gehen wir im Rahmen der Haushaltsbe- Organisationen herbeiführt. Ich füge auch hinzu: Das ratungen noch ein, vielleicht nicht immer so, wie Be- Image der UNIDO wird sich nicht unbedingt verbes- troffene es sich vorstellen. Bei den Stiftungen und sern, wenn sich das Gerücht bewahrheiten sollte, Kirchen - das kann ich hier schon zusagen - werden daß jemand zum Generalsekretär berufen werden wir den Ansatz noch etwas nach oben korrigieren. soll, der früher im kommunistischen Polen Professor für Planwirtschaft war. Wir wissen alle, meine Damen und Herren, daß nackte Zahlen allein nichts über Effizienz und Effek- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Es lebe das tivität aussagen. Angesichts der manchmal überra- Vorurteil! - Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Der schenden Rückschläge in einzelnen Ländern muß braucht selber Entwicklungshilfe!) 17054 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Michael von Schmude Obwohl die Zahlungen an internationale Organisa- wirtschaften, in den übrigen Ministerien für 150 Mil- tionen künftig sinken werden, wird das deutsche Vo- lionen DM MOE-Mittel aber 43 Beamte eingesetzt lumen für den Europäischen Entwicklungsfonds auf werden. Grund der vertraglichen Vereinbarungen weiter an- wachsen und in der Spitze zu einer Zahllast von (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Da haben 1,2 Milliarden DM jährlich führen. Hier rächt sich, Sie recht! Und wer kämpft?) daß nur Zuschüsse gewährt werden und somit keine Darlehensrückflüsse zur Refinanzierung zur Verfü- Das ist ein Punkt, der uns gemeinsam beschäftigen gung stehen. In den Haushalten 1996 und 1997 hat- wird. ten wir für den EEF jeweils 850 Millionen DM einge- Auch in diesem Jahr erreichen uns zeitgerecht zu plant, ausgegeben wurde 1996 nur ein Betrag von den Haushaltsberatungen Wünsche nach totalem 472 Millionen DM, und auch 1997 wird das Haus- Schuldenerlaß. Das, was wir in der Vergangenheit haltssoll bei weitem nicht erreicht. Der Mittelabfluß dazu gesagt haben, gilt auch heute noch. Wir bewe- beim Europäischen Entwicklungsfonds läßt sich be- gen uns aus gutem Grund nicht anders als die Soli- dauerlicherweise kaum noch realistisch einschätzen. dargemeinschaft des Pariser Clubs. In bestimmten Hier wirkt sich nicht nur negativ aus, daß der achte Fällen und unter ganz bestimmten Auflagen sind wir EEF immer noch nicht ratifiziert ist, sondern hier aber bereit, neue Wege zu gehen. Wir haben das be- spiegelt sich auch die Schwerfälligkeit bei der Um- wiesen bei der Umwandlung der DDR-Altforderun- setzung von Maßnahmen in Brüssel wider. gen und mit dem Schuldenerlaß in einer Größenord- Die Bindung von Haushaltsmitteln, die möglicher- nung von bis zu 210 Millionen DM, wenn die betref- weise in größerem Umfang nicht in Anspruch ge- fenden Länder im Gegenzug Projekte zur Armutsbe- nommen werden, ist für den Einzelplan ein großes kämpfung und für den Umweltschutz realisieren. Hemmnis. Der Finanzminister hat ja immer wieder Wir, die Union, und auch die F.D.P. wollen diesen Möglichkeiten genutzt, nicht abgeflossene Mittel zur Haushaltsvermerk erweitern, damit auch der Bil- Deckung anderer Positionen und auch für Einspar- dungsbereich einbezogen werden kann. Ich glaube, maßnahmen einzufordern. Angesichts des deutschen darüber gibt es unter den Fraktionen Einvernehmen. Anteils beim Europäischen Entwicklungsfonds von Damit wird auch sichergestellt, daß dieser Titel wirk- 26 Prozent muß der deutsche Einfluß auf die ent- lich ausgeschöpft wird. wicklungspolitischen Vorstellungen der Europäi- schen Union bei der Projektauswahl verstärkt wer- Wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Entwick- den. Darüber hinaus entspricht die deutsche Beteili- lungshilfe setzt faire Pa rtnerschaft voraus. Das gilt gung bei der Auftragsvergabe im Rahmen der Pro- für das gesamte Spektrum der politischen Zusam- jekte immer noch nicht unseren Vorstellungen. Das menarbeit. Wir können es deshalb nicht länger dul- gleiche gilt für EU-Mittel hinsichtlich deutscher den, daß sich Regierungen in Afrika weigern, ihre - Nichtregierungsorganisationen. eigenen Bürger zurückzunehmen.

Der Haushalt 1997 stand unter dem Eindruck eines (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜNDNIS rasanten Anstiegs der Baranforderungen bei der 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie, daß finanziellen Zusammenarbeit. Die Opposition geriet das Afrikaner sind? Die haben ihren Paß geradezu in Panik. Wir hatten die Bundesregierung weggeworfen!) ermächtigt, zusätzlich zu den bar veranschlagten 2,2 Milliarden DM durch Forderungsverkauf gegebe- Bei den rund 140 000 in Deutschland offiziell leben- nenfalls weitere 250 Millionen DM als Barmittel ein- den Schwarzafrikanern - von den anderen rede ich zusetzen. Davon brauchte bis heute noch kein Ge- gar nicht - gibt es 26 282 Abschiebungs- und 1 360 brauch gemacht zu werden. Dennoch halten wir es Ausweisungsfälle. Bei fast allen muß die Identität ge- für richtig, eine solche Klausel im Haushalt auch für klärt werden, weil sie ihre Ausweispapiere vernichtet 1998 beizubehalten. Das Volumen der FZ bestimmt oder versteckt haben. Wir erwarten von ihren Hei- vor allem mittel- und langfristig Projekte der Infra- matländern, daß sie mit uns zusammenarbeiten, struktur. Um mehr Kontinuität und Planungssicher- wenn es darum geht, die Herkunft zu klären, um die heit zu erreichen, werden wir hier ein Zeichen setzen Rückkehr zu ermöglichen. und im Rahmen der Haushaltsberatungen die Ver- pflichtungsermächtigungen deutlich anheben. Damit (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Nige ria und aber sollen nach unseren Vorstellungen beschäfti- Algerien!) gungspolitische Effekte in der Bundesrepublik aus- gelöst werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist schon bemerkenswert, daß einer der SPD- Kanzlerkandidaten zunächst mit markigen Worten Die Konzentration bei der Förderung der mittel- die deutsche Entwicklungshilfe als Druckmittel ge- und osteuropäischen Länder ist nun ein gutes Stück genüber diesen Ländern ins Gespräch bringt und vorangekommen. Dem Ministe rium stehen 136 Mil- dann aus dem eigenen Lager gescholten wird, er lionen DM zur Verfügung, die wohl noch etwas auf- würde die Stammtische in Deutschland von rechts gestockt werden, weil Bulgarien neu dazugekommen bedienen. ist. Inzwischen läßt Herr Schröder seine Äußerungen Wir Haushälter werden uns dabei aber auch mit schon wieder modifizieren, man kann auch sagen: der Frage auseinandersetzen müssen, warum beim einsammeln. Er muß seine Thesen jetzt von links ab- BMZ drei Beamte ausreichen, um diese Mittel zu be räumen. Man könnte es auch anders formulieren. Er Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17055

Michael von Schmude hat an den Stammtischen Platz genommen und straffällig gewordener Ausländer erleichtern möchte, schleicht sich jetzt als Zechpreller davon. indem er die jeweiligen mutmaßlichen - mutmaßli- chen! - Heimatländer entwicklungspolitisch unter (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Druck setzt, eine Einzelmeinung - wenn auch eine Wolfgang Schmidt [Langenfeld] [BÜNDNIS bedeutende Einzelmeinung - innerhalb des Unions- 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie lassen sich wei lagers darstellt. ter vollaufen!) Ich gehe davon aus, daß die Äußerungen des Es ist für uns - da stimmen wir mit Minister Spran- Kollegen von Schmude nicht nur seine persönlichen ger überein - überhaupt keine Frage, daß mit den be- waren, sondern tatsächlich die Position der CDU/ treffenden Ländern eine deutliche Sprache zu spre- CSU-Bundestagsfraktion wiedergeben. Ich bin er- chen ist. Einige Länder ragen besonders heraus. Ich schrocken darüber und weise die Inanspruchnahme will das hier mal deutlich machen. Ghana: Spitzen- der Entwicklungszusammenarbeit für die Abschiebe reiter mit 3 859 Abschiebungs- und 348 Ausweisungs- praxis der Bundesregierung schärfstens zurück. maßnahmen, Zaire mit 3 282 Abschiebungs- und 47 Ausweisungsmaßnahmen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Wann waren und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Willi- Sie zuletzt in Zaire?) bald Jacob [PDS]) Liberia mit 2652 Abschiebungs- und 51 Ausweisungs- Wir haben es in den vergangenen 30 Jahren häufi- maßnahmen, Nige ria mit 2 597 Abschiebungs- und ger erlebt, daß die Entwicklungszusammenarbeit für 218 Ausweisungsmaßnahmen. andere Politikbereiche instrumentalisiert wurde. Ich glaube, die Ergebnisse, die dabei herausgekommen (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Ihr habt sie sind, sind wenig schmeichelhaft für die Entwick- wohl nicht mehr alle!) lungszusammenarbeit. Sie haben dazu geführt, daß entwicklungspolitisches Engagement diskreditiert Die Liste läßt sich beliebig fortsetzen. Es sind wurde mit dem Hinweis: Die Dinge, die ihr vorhattet, 23 Länder, von denen nicht nur etliche in beträchtli- habt ihr nicht erreicht. chem Umfang Hilfe von uns erhalten, sondern die zu- dem noch in erheblichem Maße bei uns verschuldet Wenn man Ihre Vorstellungen zu Ende denkt, heißt sind. Diesen Ländern muß klargemacht werden, daß das, daß in Zukunft Regime, die sich möglicherweise uns ihr Verhalten erhebliche Kosten verursacht und alles andere als förderlich in der Entwicklungszu- daß wir diese Gelder viel besser für andere sammenarbeit verhalten, aber bereit sind, ihre Bür- Zwecke - auch für die Entwicklungshilfe - einsetzen ger aufzunehmen, im Sinne eines entwicklungspoliti- könnten. schen Menschenhandels dafür belohnt werden, daß Wir erwarten aber auch von den Bundesländern, die Leute zurückgenommen werden, daß sie Abschiebungen konsequent vollziehen- und (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: So ist es!) daß nicht wie in Niedersachsen 30 000 Asylbewer- bern, die keinen Anspruch auf Bleiberecht haben, während die entwicklungspolitischen Kriterien dabei ein Bleiberecht gewährt wird, wovon insgesamt überhaupt keine Rolle spielen. eigentlich nur 5 Prozent politisch Verfolgte sind. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nein!) Zum Schluß gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, die unsere Vor- Es wird allerhöchste Zeit, daß sich an der Spitze gaben im Bereich der Entwicklungshilfe erfolgreich des Bundesministeriums für wi rtschaftliche Zusam- und kostengünstig umgesetzt haben. Das letztere menarbeit und Entwicklung - oder sollte ich besser wird an der Entwicklung der Verwaltungsausgaben sagen: des Bundesministeriums für wirtschaftliche beim Einzelplan 23 deutlich, die 1998 fast auf dem Zusammenarbeit in Abwicklung; denn die erwähn- Stand von 1997 fortgeschrieben werden. ten Äußerungen haben mit wi rtschaftlicher Zusam- menarbeit weiß Gott nichts mehr zu tun - nicht nur Die Personaldecke des Hauses ist heute kleiner als personell, sondern auch konzeptionell etwas ändert. vor der Vereinigung Deutschlands, wovon andere Häuser noch weit entfernt sind. Den Mitarbeiterin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen und Mitarbeitern gebührt deshalb unser beson- und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wil li- derer Dank. bald Jacob [PDS]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, der Gehalt des Einzel- plans 23 ist wirklich ernüchternd. Der Minister, aber auch andere Redner haben darauf hingewiesen: Wir Jetzt spricht der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: haben es mit real sinkenden Haushaltsansätzen zu Abgeordnete Wolfgang Schmitt. tun. Die absehbaren Einbrüche in den nächsten Jah- ren durch die deutliche Reduzierung der Verpflich- Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE tungsermächtigungen - die sind unser wichtigstes GRÜNEN): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kolle- Instrument - verringern die Spielräume einer Ent- gen! Ich dachte, daß die Einlassung des Ministers für wicklungspolitik, die diesen Namen verdient, bis zur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Unkenntlichkeit. In Zukunft stehen für die durch die Sommer, wie sie zumindest die „Frankfurter Rund- Bundesregierung selbst benannten Schwerpunkte schau" überliefert hat, nach der er die Abschiebung der Entwicklungszusammenarbeit, nämlich für den 17056 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Wolfgang Schmitt (Langenfeld) Umwelt- und Ressourcenschutz sowie die Armutsbe- gebracht haben. Mein persönlicher Eindruck ist, daß kämpfung, deutlich weniger Mittel zur Verfügung. man die darin aufgeführten Thesen auch aus grüner Sicht vorbehaltlos unterstützen kann. Die Fülle der Aufgaben des Ministeriums hat zuge- nommen. Das haben Sie richtig benannt, Herr Kol- Sie sind aber in der Regierung. Wir wollen von lege Schnell. Sie haben auch erwähnt, daß der Perso- Ihnen keine Konzepte lesen, sondern wir müssen Sie nalbestand, anders als bei allen anderen Häusern - das werden Sie mir nachsehen -, weil Sie in der dieser Bundesregierung, auf den Stand von vor 1990 Regierung sind, an Ihren Taten messen. zusammengeschmolzen ist. Aber Ihnen bleibt nichts (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anderes übrig, als mit Dank an die Mitarbeiterinnen sowie bei Abgeordneten der SPD) und Mitarbeiter des Hauses zu reagieren. Die not- wendige Konsequenz wäre, a) den Personalbestand Wenn man den Inhalt dieses Papiers mit der kon- oder b) die Aufgabenanforderung zu erhöhen. Aber kreten Entwicklungspolitik dieser Regierung kon- mit einem warmen Händedruck werden Sie den be- trastiert, dann finde ich in der Politik des Hauses vorstehenden Schwierigkeiten, daß die wachsende Spranger sehr wenig von dem wieder, was Sie zu Aufgabenfülle von immer weniger Beamtinnen und Papier gebracht haben. Beamten bewältigt werden muß, nicht gerecht. Ich bin davon überzeugt, daß das Ministerium un- Schließlich zu der ungeklärten Finanzierung der ter dieser Führung keine Zukunft hat. Man bedient internationalen Verpflichtungen des Hauses auf sich jetzt der „kreativen Buchführung", um etwaige Grund des höheren Dollarkurses: Das ist weiß Gott Ausgaben, die eigentlich in diesem Jahr anfallen ein Bubenstück von Lastenteilung innerhalb der müßten, ins nächste Jahr zu vertagen - Maast richt Bundesregierung. In der Vergangenheit war es so, läßt grüßen. Man steht konzeptionell vor einem daß das Bundesministerium für wi rtschaftliche Zu- Trümmerhaufen. Ich bin davon überzeugt, daß die sammenarbeit und Entwicklung mögliche Erlöse, die nächste Bundesministerin für wi rtschaftliche Zusam- auf Grund des überraschend niedrigen Dollarkurses menarbeit und Entwicklung um ihre Aufräumauf- anfielen, umgehend an das Bundesministerium der gabe wahrlich nicht zu beneiden ist. Finanzen abführen mußte und dies mit dem Hinweis Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. darauf erklärte, daß es sich schließlich nicht um eigene Verdienste handelte. Das leuchtete ein, so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lange man davon ausgehen konnte, daß im umge- sowie bei Abgeordneten der SPD und der kehrten Falle Mehrausgaben infolge eines überra- PDS - Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wo ist schenden Steigens des Dollarkurses ebenfalls vom eigentlich die Uschi? Können wir das mal Bundesministerium der Finanzen übernommen wer- feststellen: Wo ist Uschi?) den. Jetzt müssen wir feststellen: Die Vereinbarun- gen werden so gestrickt, daß Bundesfinanzminister Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- Waigel wenigstens in diesem einen Fa ll immer auf nen und Kollegen, in diesem kleinen Kreis kann ich der Seite der Gewinner steht. Das ist er sonst ja nicht es sicher wagen, dem Kollegen Schmitt in Ihrer a ller mehr gewöhnt. Entsprechende Veränderungen am Namen dazu zu gratulieren, daß er gestern Vater ei- Devisenmarkt gehen immer zugunsten seines Hau- ner kleinen Tochter geworden ist. ses und zu Lasten des betreffenden Ministe riums. (Beifall) Der Minister selbst hat im Rahmen seiner Aktion "Rette, was zu retten ist" offensichtlich - so meine Man sieht: Der Abgeordnete ist immer im Dienst; ich - die Übersicht verloren. Es hat eine Pressekonfe- auch dann. renz gegeben. Auf dieser Pressekonferenz hat er den Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Kohn. vorliegenden Haushaltsentwurf charakterisiert: Der Haushalt ist eine sinnvolle Kompromißlösung; so Ori- ginalton Spranger. Fünf Minuten später: Es hat in Roland Kohn (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- meiner Amtszeit noch keine so drastischen Ein- men und Herren! Ich darf mich den Glückwünschen schnitte gegeben. an den Kollegen Schmitt für die F.D.P.-Fraktion aus- drücklich anschließen. Ich verzeihe ihm deswegen Das gipfelt auf der gleichen Pressekonferenz in der sogar die Rede, die er gerade gehalten hat. Aussage: Der Personalabbau im BMZ kann nicht schlimmer werden, das heißt, wir sind praktisch am Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ende. Die Existenz des Hauses oder die Sinnhaftig- öffentlichen Haushalte sind - wir wissen das - struk- keit der Arbeit steht grundsätzlich zur Debatte. turell in hohem Maße belastet und die Bürger mit Steuern und Abgaben überlastet. In dieser Zeit müs- Die Frage ist: Handelt es sich bei dem hier vorlie- sen sich Politiker zu ihrer Gesamtverantwortung für genden Entwurf um einen Kompromiß, oder ist es ein unser Land bekennen. Auch ein Entwicklungspoli- entwicklungspolitisches Desaster. Ich glaube, die tiker kann nicht vor die Bürger treten und ausschließ- zweite Charakterisierung trifft zu. lich ressortbezogene Interessen vertreten. Herr Laschet, es ist bereits darauf hingewiesen Für das Jahr 1998 sind im Einzelplan 23 7,64 Mil- worden, daß Sie auf einer Pressekonferenz, wohl im liarden DM vorgesehen. Dies entspricht nicht ganz Auftrag des Bundesfachausschusses Ihrer Partei, dem Ansatz von 1997, ist aber mehr, als man ange- einige konzeptionelle Überlegungen zur bundes- sichts der angespannten Haushaltslage erwarten deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu Papier konnte. Im Vergleich zum Haushalt 1997 liegt der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17057

Roland Kohn Anteil des Einzelplans am Gesamthaushalt 1998 in die Lage versetzen, sich selbst helfen zu können. weiterhin bei 1,7 Prozent. Vornehmstes Ziel der Entwicklungspolitik muß es nämlich bleiben, sich selbst überflüssig zu machen. Um es ganz deutlich zu sagen: Deutschland gehört damit auch in Zukunft zu den Staaten, die in hervor- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Dem stim gehobener Weise weltweit Verantwortung überneh- men wir zu!) men. Der Einzelplan 23 beweist, daß wir auch in fi- rivates Kapital haben für die nanziell schwierigen Zeiten gewillt sind, unser ent- Freier Handel und p Entwicklung von Entwicklungsländern mittlerweile wicklungspolitisches Engagement fortzusetzen. Da- weit größere Bedeutung erlangt als die öffentliche für gebührt insbesondere unserem erfolgreichen Ent- Entwicklungshilfe. Der gestern vorgelegte Bericht wicklungsminister Carl-Dieter Spranger ausdrück- der Weltbank weist dies in eindrucksvollen Ziffern lich Dank. noch einmal aus. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Wir Liberalen drängen deshalb auf die Öffnung insbesondere auch unserer Märkte für Produkte aus Ich bleibe dabei: Wir Liberalen lehnen eine Beur den Entwicklungsländern. Die europäische Handels- teilung der Entwicklungspolitik nach rein quantitati- politik muß verändert, Handelshemmnisse müssen ven Maßstäben ab. Es kommt auf die Qualität von abgebaut werden, und protektionistische Maßnah- Entwicklungspolitik an. Deswegen, Frau Kollegin men und Subventionierungen, beispielsweise von Tröscher, kann ich es, ehrlich gesagt, nicht mehr hö- Agrarexporten der EU, müssen ein Ende haben. Es ren, daß dieses 0,7-Prozent-Ziel wie eine Monstranz gibt aus der Vergangenheit ganz schlimme Beispiele. durch die Gegend getragen wird. Die Wahrheit ist, daß keine Regierung in Deutschland, wie immer sie Auf der anderen Seite müssen die Entwicklungs- aussehen wird, in der Lage sein würde, dieses Ziel zu länder auch ihre eigenen Hausaufgaben machen. Ich erreichen. Ich finde, es wäre ein Gebot der Ehrlich- spreche hier von der Eigenverantwortung der Eliten keit, den Menschen darüber die Wahrheit zu sagen in diesen Ländern, die dafür zu sorgen haben, daß und nicht zu versuchen, sie hinter die Fichte zu füh- ihre Staaten die Chancen der Teilnahme am freien ren. Welthandel auch tatsächlich nutzen und im Wettbe- werb um Kapital, Investitionen und Arbeitsplätze be- Wir Liberalen engagieren uns für die Entwick- stehen können. lungspolitik aus einer ethisch-humanitären Überzeu- gung heraus, Wir Liberalen fordern die st rikte Bindung entwick- lungspolitischer Zusammenarbeit an den Gesichts- (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜNDNIS punkt guter Regierungsführung. Das möchte ich ins- 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie so etwas?) besondere an die Adresse des Kollegen Schmitt sa- aber auch deshalb, weil wir ein Land mit weltweiten gen, der hier eben abenteuerliche Dinge über die Entwicklungspolitik der Bundesregierung vorgetra- Interessen und einer gewachsenen internationalen- gen hat. Verantwortung sind. Um so problematischer ist es, daß das Interesse der Deutschen - der Bürger, der Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, daß in zu- Medien, aber auch von Teilen der Politik - an inter- künftigen Abmachungen die Bundesregierung über nationalen Beziehungen rückläufig ist. Ich halte das Entwicklungszusammenarbeit eine Klausel aufneh- für eine gefährliche Entwicklung. men will, in der sich beide Partner zu effektiven Maß Wir haben aber auch ein legitimes Eigeninteresse nahmen gegen Korruption verpflichten. Korruption daran, diesen Ländern zu hellen. Die Vergangenheit ist eines der Krebsübel der Entwicklung. Deswegen hat gezeigt, daß sich Deutschland nicht von den Fol- ist diese Entscheidung überfällig. gen abschotten kann, die Armut, ungebremstes Be- Das gleiche gilt auch für Länder, die straffällig ge- völkerungswachstum, Umweltzerstörung, Bürger- wordene Flüchtlinge nicht aufnehmen wollen. Klaus krieg oder Drogenanbau in den Entwicklungslän- Kinkel hat richtigerweise gesagt: Wer die Ampel bei dern bedeuten. Das beweist die immer größer wer- völkerrechtlich gebotener Wiederaufnahme eigener dende Zahl von Flüchtlingen und Auswanderern, die Staatsangehöriger auf Rot stellt, darf sich nicht wun- auch nach Europa streben. dern, wenn über entwicklungspolitische Leistungen Ziel muß es deshalb sein, Probleme do rt zu be- nachgedacht wird. kämpfen, wo sie entstehen. Für uns ist Entwicklungs- Aber wir müssen auch im Inland noch sparsamer politik Teil einer Politik globaler Zukunftssicherung. mit Mitteln der Steuerzahler umgehen. Alle Institu- Wir wollen einen Beitrag zum Frieden, zur wirtschaft- tionen und Organisationen, die ihre entwicklungspo- lichen Zusammenarbeit und zur Sicherung der natür- litische Arbeit teilweise oder ganz aus öffentlichen lichen Lebensgrundlagen leisten. Geldern finanzieren, müssen auf die aktuellen Haus- Entwicklungspolitik - ich sage das deutlich - ist haltszwänge reagieren. nicht der Transfer riesiger Geldmengen. Entwick- (Zustimmung des Abg. Dr. Wolfgang Weng lungspolitik als weltweite Sozialhilfe wäre zum [Gerlingen] [F.D.P.]) Scheitern verurteilt. Natürlich müssen wir do rt hel- fen, wo Notsituationen entstehen. Aber Entwick- Auch sie müssen in Zukunft über die eigenen Ziele lungspolitik muß beim Aufbau leistungsfähiger und und Aufgaben nachdenken. Alle vermeintlichen menschenwürdiger politischer, wirtschaftlicher und oder tatsächlichen Besitzstände gehören auf den sozialer Strukturen helfen. Wir wollen die Menschen Prüfstand. 17058 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 Roland Kohn Nichtregierungsorganisationen leisten neben den Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie staatlichen Einrichtungen einen wichtigen Beitrag noch eine Zwischenfrage, und zwar des Kollegen zum Bild der deutschen Entwicklungspolitik. Das be- Schily? grüßen wir Liberalen ausdrücklich. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger Roland Kohn (F.D.P.): Ich würde gern zum Ende lingen] [F.D.P.]) kommen. Aber auch für sie gilt wie für alle staatlichen Insti- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ihre Redezeit ist tutionen der Entwicklungszusammenarbeit: Wir schon vorbei. Sie dürfen nur noch Fragen beantwor- brauchen mehr Transparenz und Ergebnisorientie- ten. - Bitte. rung. Wir brauchen verbesserte Kooperation und Ko- ordinierung. Wir brauchen Wirksamkeitsanalysen und Erfolgskontrollen, die Einführung marktwirt- Otto Schily (SPD): Da ich die Auffassung des Kolle- schaftlicher Prinzipien bis hin zur Vergabe von För- gen Koppelin teile, daß es ein Unsinn wäre, das Stu- dermitteln im Wettbewerb der Durchführungsorgani- dium von Personen aus Entwicklungsländern hier sationen bei Geber- und Pa rtnerländern. Dies alles nicht zu ermöglichen, möchte ich Sie fragen, Herr trägt dazu bei, Entwicklungspolitik wirksamer zu Kollege, ob Kollege Koppelin oder Sie über genü- machen. gend Erkenntnisse über die Regierungsarbeit verfü- gen, um sagen zu können, ob die Meldung, daß Herr Kanther solche Planungen in seinem Hause vorhat, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege zutrifft oder nicht. Kohn, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kolle- gen Koppelin? Sie sind mit Ihrer Redezeit fast am (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ende. Vorstellen können wir es uns nicht!)

Roland Kohn (F.D.P.): Ich kann Ihnen sagen, daß Roland Kohn (F.D.P.): Wenn ich darf. Herr Kollege Koppelin als haushaltspolitischer Spre- cher für diesen Bereich und ich als fachpolitischer Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. Sprecher gemeinsam dafür eintreten, daß hier eine vernünftige Politik zustande kommt. Ich werde Sie auffordern, uns an den Ergebnissen zu messen und Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege, Sie spre- nicht an Planungen, die irgendwo im Regierungsap- chen so schnell, daß es schwierig ist, zu Wo rt zu kom- parat vorgenommen werden. men. Aber ich verstehe das ja; es ist wegen der Rede- zeit. (Otto Schily [SPD]: Es wäre aber interessant, - zu wissen, was die Regierung plant!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wenn man das Richtige sagt, darf es auch Deswegen möchte ich, zum Schluß kommend, dar- schnell sein!) auf hinweisen, daß es drei Punkte gibt, die aus unse- rer Sicht besonders wichtig sind. Wir müssen den Se- Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Sie meine Auf- nior-Experten-Service stärken, weil er gute Arbeit fassung teilen, daß es auch ein Beitrag zur Entwick- leistet. Wir müssen die integrierten Fachkräfte stär- lungshilfe ist, wenn man für ausländische Studenten ken, weil sie ebenfalls gute Arbeit leisten. Wir müs- - vor allem für Studenten aus den Entwicklungshilfe- sen auch die politischen Stiftungen stärken, die ins- ländern - Studienplätze an den Universitäten in besondere in Osteuropa hervorragende Arbeit lei- Deutschland schafft? Teilen Sie meine Auffassung, sten. daß wir, sollte es tatsächlich stimmen, was ich den Wir als Liberale stimmen der Überweisung des Medien entnommen habe, nämlich daß im Innenmi- Haushalts in den Ausschuß zu und freuen uns auf die nisterium darüber nachgedacht wird, das Studieren Beratungen dort, in die wir mit sehr viel Motivation ausländischer Studenten an unseren Universitäten hineingehen. zu erschweren, dem auf jeden Fall widersprechen sollten? Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Roland Kohn (F.D.P.): Herr Kollege, ich teile aus- drücklich Ihre Auffassung. Wir haben bei unserer Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- Reise nach Indonesien vor wenigen Tagen dieses tervention erhält jetzt der Abgeordnete Hedrich das Problem als ein zentrales Problem kennengelernt. Es Wort. hat sich gezeigt, daß die starke Stellung Deutsch- lands auf dem indonesischen Markt von der Tatsache abhängig ist, daß viele Indonesier früher in Deutsch- Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Frau Präsiden- land studiert haben. Diesen Strom müssen wir wieder tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Er- herstellen - in unserem eigenen Interesse. Deswegen stens. Gerade die letzten Wortbeiträge geben mir ist das, was Sie eben angesprochen haben, in der Tat Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß die Koaliti- eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. onsfraktionen eine Große Anfrage eingebracht ha- ben, die sich mit der gesamten Problematik der Ver- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) besserung der wissenschaftlichen und kulturellen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17059

Klaus-Jürgen Hedrich Beziehungen mit unseren Partnerländern beschäf- stitutionen, die den Gedanken der gesellschaftlichen tigt. In der Antwort werden wir die gesamte Proble- Entwicklung tragen und menschliche Entwicklung matik erläutern. fördern, werden finanziell unterhöhlt. Dem kann die PDS nicht zustimmen. (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Differen ziert!) Zu den Kürzungen: Erstens. 0,2 Prozent des Baran- satzes werden gekürzt. Zweitens. Die Verpflichtungs- rt. - Und zwar differenzie ermächtigungen für die kommenden Jahre werden Zweitens. Wenn man den Ausführungen des Mi- um mehr als 16 Prozent gekürzt; das sind 750 Millio- nisters vorhin sorgfältig gefolgt ist, wird man festge- nen DM. Drittens. Besonders die Mittel von Nichtre- stellt haben, daß er gerade diesem Aspekt besondere gierungsorganisationen und Kirchen werden verrin- Aufmerksamkeit gewidmet hat. Wer sich nun seiner- gert. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem seits die zusätzliche Mühe macht, einen Blick in den die polytechnische. Ausbildung und damit die Ar- Einzelplan 23, also in den Haushalt des BMZ, zu wer- mutsbekämpfung. Viertens. Die Unterstützung der fen, wird feststellen, daß unter den wenigen Punk- ungeliebten UN-Organisationen wird beschnitten. ten, an denen wir eine Steigerung des Haushaltes Das heißt, Entwicklungsanalytikern (UNDP), Ent- vornehmen können, wir gerade bei den Wissen- wicklungstechnikern (UNIDO), Frauenprogrammen schaftskooperationen eine Ausweitung vornehmen. (UNIFEM) und dem Kinderhilfswerk (UNICEF) wird Das gilt insbesondere für die Tätigkeit der Alexan- Schritt für Schritt die Unterstützung entzogen. der-von-Humboldt-Stiftung und des Deutschen Aka- Damit verbunden ist das Gegenteil dessen, was die demischen Austauschdienstes. Praktiker der Entwicklungshilfe erwarten: Erstens. Wir sind also ganz im Gegenteil daran interessie rt, Die Regierung ist nicht bereit, ersparte Mittel der die Probleme des Standortes Deutschland zu beseiti- Entwicklungshilfe dieser wieder zuzuführen, son- gen. Aber ich mache hier in aller Deutlichkeit darauf dern sie stopft damit die allgemein bekannten Haus- aufmerksam: Es gibt durchaus eine jetzt bestehende haltslöcher im reichsten Land Europas. Zweitens. Die ausländerrechtliche Beschwernis, die wir beseitigen Regierung ist keineswegs zum vollständigen Schul- wollen, um zu erreichen, daß ausländische Studen- denerlaß für die ärmsten Länder bis zum Jahre 2000 ten hierherkommen können. Aber ich weise auch bereit. Drittens. Sie unterhöhlt damit de facto die Be- darauf hin - hoffentlich wird das jetzt im Rahmen der schlüsse aller UN-Gipfelkonferenzen der letzten Neuformulierung der Hochschulrahmengesetzge- Jahre. Viertens. Die Regierung ist dabei, das Bundes- bung deutlich -, daß ein Großteil der Hemmnisse ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und darin besteht, daß die deutschen Universitäten nach Entwicklung überflüssig zu machen und damit auch wie vor nicht ausreichend in der Lage sind, auf die den entsprechenden Bundestagsausschuß. Forderung von ausländischen Wissenschaftlern und Studenten nach anerkannten Abschlüssen zu reagie- Das Fazit: Was nach innen wahr ist, ist auch nach ren. Das wird Gott sei Dank immer besser.- außen wahr. In unserem eigenen Land wachsen die Massenarbeitslosigkeit und gleichzeitig die Gewinne Frau Präsidentin, als letzte Bemerkung mache ich von Banken und Großbetrieben. In den Entwick- auf folgendes aufmerksam: Ob man es gern hat oder lungsländern wächst die Armut, und gleichzeitig nicht, aber die Zeiten - das haben wir mit unserer wachsen die Gewinne von Großbanken und multina- Geschichte übrigens auch verspielt -, in denen tionalen Konzernen. So wie im eigenen Land Armuts- Deutsch die klassische Wissenschaftssprache war, bericht und Reichtumsbericht fehlen - von der Regie- sind vorbei. Wir müssen einfach zur Kenntnis neh- rung verweigert -, so fehlen sie auf Weltebene. men, daß dies für Deutsch nicht mehr gilt. Heute ist Englisch die entscheidende Sprache, übrigens neben Von Armutsbekämpfung wird gesprochen. Gleich- einer zunehmenden Bedeutung für Spanisch. zeitig sollen wir Schritt für Schritt unfähig gemacht werden, die Ursachen von Armut, Hunger, Fluchtbe- Deshalb ist es gut, wenn deutsche Universitäten wegungen und Bürgerkriegen zu verstehen und zunehmendem Maße darauf reagieren und ausländi- nach ihnen zu fragen. Aber ich denke, unsere Regie- sche Wissenschaftler in Deutschland ihre Abschlüsse rung irrt, wenn sie meint, Menschen, die das erkannt in der Wissenschaftssprache Englisch und auch in haben, würden Ruhe geben. Spanisch machen können. Das ist ein ganz entschei- dender Beitrag zur Erhöhung der Attraktivität Sie haben längst begriffen, daß eine „Störung der Deutschlands als Wissenschaftsstandort und für die gesamtwirtschaftlichen Lage" vorliegt, wie Herr Dr. wissenschaftliche Kooperation gerade mit unseren Waigel es gestern sagte. Praktiker der Entwicklungs- Partnerländern. zusammenarbeit fügen hinzu: Diese Störung ist eine globale Erscheinung. Eine Ausgewogenheit der welt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wirtschaftlichen Lage hat es nie gegeben. Kolonialis- mus, Rassismus und der dann folgende Neoliberalis- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat mus waren und sind Indikatoren für eine Störung der jetzt der Abgeordnete Willibald Jacob. weltwirtschaftlichen Lage. Wenn der Bundesminister der Finanzen gestern Dr. Willibald Jacob (PDS): Frau Präsidentin! Meine sagte: „Die Märkte müssen handeln. Finanzmärkte Damen und Herren! Wiederum ist der Haushalt für bestrafen schlechte und belohnen gute Politik" , dann Entwicklungszusammenarbeit von skandalösen Kür- hat er damit ein Etwas zum Subjekt erklärt. Die zungen bestimmt. Zugleich ist ganz deutlich: Die In Märkte, anonyme Gewalten, sind Herren über uns; 17060 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Willibald Jacob sie strafen und belohnen. Dieser Paradigmenwechsel Es ist ja das gute Recht der Opposition, Kritik zu scheint sich durchzusetzen. Wir werden weggeführt üben. Dazu mag es ja hin und wieder auch eine ge- von unserer Persona lität hin zu einer Art Anonymität, wisse Berechtigung geben. Aber das scheint mir nun die wir bisher kaum kannten, hin zu einem neuen richtig danebenzuliegen. Ich komme nachher darauf Kollektivismus. Seine Ausführungen gestern doku- zurück. mentierten für mich nicht nur die finanzielle Pleite, sondern noch stärker die Elemente einer philosophi- Lassen Sie mich feststellen - es ist ja bekannt -, schen Pleite, eines geistigen Mißstandes, der sich daß die 80er Jahre für Afrika ein verlorenes Jahr- wie ein Krebsgeschwür ausbreitet. Menschen fragen, zehnt waren. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf ver- wer denn in dieser Gesellschaft überhaupt noch ver- ringerte sich von Jahr zu Jahr, um insgesamt 15 Pro- antwortlich ist, wenn der Markt nun der Plan ist und zent pro Kopf. Die Leidtragenden waren die Ärmsten die Vorgaben macht. Der politische, für das Gemein- der Armen. Die Situation hat sich geändert. Es wesen wirkende Mensch sollte sich seiner Würde scheint so, daß sie sich nachhaltig geändert hat. Für und Verantwortung neu bewußt werden! dieses Jahr stellt der Inte rnationale Währungsfonds eine Steigerung des Bruttosozialproduktes um 5 Pro- Eine Stimme aus der Zentrale der Franziskaner in zent fest, auch für Schwarzafrika. Die Weltbank pro- Bonn: gnostiziert in ihrem gestern vorgestellten Bericht, Was wäre Globalisierung doch für ein Zauber- den Sie heute in allen Zeitungen lesen können, daß wort, ginge es nicht nur um die Märkte, sondern die Entwicklungsländer ihren Weltmarktanteil bis um die Köpfe. Dann nämlich würde Globalisie- zum Jahr 2020 insgesamt verdoppeln werden. rung bedeuten: Es gibt nur eine Erde, auf der nicht länger zwei Drittel der Menschheit bitter- (Roland Kohn [F.D.P.]: Richtig!) arm und das andere Drittel auf Kosten der Armen in Wohlstand lebt, die Ressourcen plündert und Das Erfreuliche ist, daß diese Entwicklung an die Welt in eine Katastrophe zu treiben droht. Afrika nicht vorbeigeht, sondern auch für Schwarz- afrika auf Grund der vorhandenen Fakten eine Dann wäre Globalisierung das, was uns eigentlich durchschnittliche Steigerungsrate von 4,1 Prozent geboten ist: Die Bewahrung der Schöpfung durch prognostiziert wird. Nun sind Prognosen immer et- uns Menschen, gegen den Eigennutz der Geldbesit- was vorsichtig zu behandeln, aber die Tendenz ist zenden, die meinen, sich mit ihren Interessen hinter eindeutig. Und die Tendenz hat sich geändert. Sie der anonymen Kollektivität der Märkte verstecken zu hat sich gebessert. Die Ursachen hierfür sind im we- können. sentlichen Änderungen der Politik in den Entwick- lungsländern, aber auch Verbesserungen der Ent- Die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsaus- wicklungspolitik; daran hat die deutsche Entwick- schusses erinnere ich daher an ihre personale Ver- lungspolitik konzeptionell, Herr Kollege Schmitt, we- antwortung. Lassen Sie es nicht zu, daß- die deutsche sentlichen Anteil. Die Formulierung der Schwer- Entwicklungshilfe zu einem lebensunfähigen Torso punkte - Armutsbekämpfung, Bildungsförderung wird. Lassen wir es vor allen Dingen nicht zu, daß sie und Umweltschutz - und nicht zuletzt der Kriterien als Druckmittel gegen die bedürftigen Länder in der im Jahre 1991 hat ein Signal gegeben. Nun geht es Asylpolitik mißbraucht wird und damit in ihrem Ke rn darum, diese in der Politik umzusetzen. Das ist in der verkommt. Tat nicht ganz so einfach. Danke sehr. Wir müssen uns allerdings auch die Gefahren der (Beifall bei der PDS) Entwicklung vor Augen halten, die insgesamt positiv ist. Nehmen wir die Länder, die im Transforma tions- prozeß sind. Das sind fast alle Länder, mehr oder we- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat niger, vor allem aber auch die ehemals kommunisti- jetzt der Abgeordnete Winfried Pinger. schen Länder. Dort ist ein Teil der Wirtschaft dyna- misch und privat; an den Vorteilen hat ein Teil der (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND Bevölkerung besonders Anteil. Aber wir müssen ein- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der fach sehen, daß die Gefahr besteht, daß ein anderer Gesundbeter! - Gegenruf des Abg. Jochen Teil der Bevölkerung nicht partizipiert, weil er die Feilcke [CDU/CSU]: Das finde ich nicht Chancen in einem veränderten, privatwirtschaft- nett!) lichen Umfeld nicht wahrnehmen kann. Da muß die Entwicklungspolitik ansetzen. Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich natür- Armutsbekämpfung ist nicht eine Randerschei- lich dem Glückwunsch an Herrn Schmitt an. Mir nung der Entwicklungspolitik, sondern zentrale Auf- scheint, daß er etwas länger und ausgiebiger gefeiert gabe. Unsere Zielgruppen sind nicht die, die weniger hat, was ich ja verstehen kann; jedenfalls scheint er leistungsfähig sind, sondern die leistungsfähigen, die heute noch gut drauf zu sein. Er ist hierhingekom- unterprivilegiert waren und auch heute noch unter- men, hat den Colt herausgeholt, kräftig in die Luft privilegiert oder gar diskriminiert sind. Das ist in vie- geschossen und gemeint, der Minister stehe konzep- len Ländern die Masse der Bevölkerung. Das heißt tionell vor einem Trümmerhaufen. Armutsbekämpfung. Wir wollen nicht Umverteilung, sondern wollen, daß die produktiven Fähigkeiten (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Unglaublich!) dieser Bevölkerungsschichten gestärkt und dazu Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. 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Dr. Winfried Pinger auch institutionell die Voraussetzungen geschaffen der deutschen Entwicklungspolitik im nächsten werden, Jahr zukommt, sind für unsere langfristig ange- legte Zusammenarbeit die Verpflichtungser- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Aber doch mächtigungen (VE) von besonderer politischer nicht mit diesem Haushalt!) Bedeutung. Sie legen den Rahmen der möglichen zum Beispiel dadurch, - neuen Zusagen, die uns bilateral möglich sind, fest. Dieser ist 1998 kleiner als 1997. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Nicht einmal das Wort „leider" ist Ihren Mitarbeitern Pinger, leider ist Ihre Redezeit, die angemeldet war, eingefallen, Herr Minister. Seit wissen überschritten. wir, was das bedeutet: Verpflichtungsermächtigun- gen - hinauf oder herunter. Sie aber, Herr Minister, Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): - daß das Finanz- kneifen schlicht. wesen entwickelt wird. Drittens. Sie, Herr Minister nehmen nicht einmal Ich denke, daß wir in dieser Richtung gemeinsam Ihre eigenen fünf Kriterien ernst. Nehmen Sie sich ei- unsere Entwicklungspolitik konzeptionell betreiben gentlich selber ernst? Oder wie erklären Sie sich, daß und daß wir da auf gutem Wege sind, und zwar mit nach wie vor FZ-Spitzenreiter Länder wie Indien, dem Minister. China, Türkei und Indonesien sind? Offenkundig wird die Einhaltung der Menschenrechte und der Danke. Rechtsstaatlichkeit - im besten Kolonialstil - nur von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) afrikanischen Staaten verlangt. In Afrika nennt man Sie inzwischen den „Minister mit den zwei Maßstä- ben" : mit dem strengen Maßstab für die Schwarzen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat und mit dem soften Maßstab für die wi rtschaftlich in- jetzt der Abgeordnete Werner Schuster. teressanten Länder Asiens. Wollten Sie das eigent- lich, Herr Minister? Dr. R. Werner Schuster (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im (Zuruf von der CDU/CSU: Wer sagt denn Rahmen der heutigen Haushaltsdebatte heißt mein das?) Thema: Bundeskanzler Kohl verspielt die Zukunft Ich bin sehr gespannt, wie Sie Ihr sechstes - richtiges der deutschen EZ, - Kriterium, die Korruptionsklausel, in die Praxis um- (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] setzen werden, ob Sie dann auch wieder zwei ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er weiß ja schiedene Metermaße anlegen werden. gar nicht, was das ist!) Viertens. Herr Minister, einstimmige Beschlüsse und der zuständige Entwicklungsminister- kneift. Das des Fachausschusses, um die Sie dauernd werben, will ich an sieben Punkten darlegen. kümmern Sie und Ihr Haus offensichtlich nicht. Das will ich an zwei Beispielen deutlich machen: Erstens. Herr Minister, als ich die ersten Pressemit- teilungen las, war ich angenehm überrascht. Ich Wir haben im Januar dieses Jahres, Herr Graf von hatte erwartet, daß „Mister Goldfinger" stärker zu- Waldburg-Zeil, ganz mühselig und ernsthaft disku- schlagen würde, und las dann - ich habe Ihre Worte tiert und differenzie rt, wie wir im Sudan helfen kön- im Ohr -: Soll 1998 ungefähr wie Soll 1997. Wenn nen. Wir haben dann einstimmig beschlossen: Ja- man dann aber analysiert, stellt man als erstes fest: wohl, wir brauchen eine koordinierte Förderung der 90 Millionen DM haben Sie schon für den Dollarkurs Zivilgesellschaft und keine Förderung der staatlichen eingerechnet -1,55 DM -, 100 bis 150 Millionen DM Strukturen. Wir haben bewußt gesagt: Förderung kommen für den aktuellen Dollarkurs mindestens über den DED und die NGOs. Sie skippen das ein- dazu. Das sind schon 240 Millionen DM weniger, und fach. Wenn es dann im Sudan zum großen Bürger- die Haushaltsberatungen und die Steuerschätzung krieg kommt, dann zahlen wir wieder und weinen. - im November sind noch gar nicht vorüber bzw. hat Unverständlich! noch nicht stattgefunden. Da sind Größenordnungen Zweites Beispiel: Armutsbekämpfung. Scheinbar von weiteren 500 Millionen DM genannt worden. Ich erhöhen Sie die Mittel von 14 auf 15 Prozent. Erstens behaupte: Das bereinigte Soll, das reale Soll von sind 15 Prozent immer noch nicht 20 Prozent, und 1998 wird um 0,7 Milliarden DM unter dem von 1997 zweitens verschweigen Sie, daß Sie durch Manipula- liegen. Dann sind wir bei rund 10 Prozent Rückgang tion der Bezugszahl den Titel Armutsbekämpfung, Ihres Etats, und das sind keine Peanuts mehr. Da, Herr Pinger, de facto um 60 Millionen DM reduzie- Herr Minister, hätte ich mehr Redlichkeit statt Schön- ren. Aus lauter Angst, Sie könnten Armutsminister färberei in Ihren vielen Pressemitteilungen erwartet. genannt werden, verkommt die deutsche Entwick- Zweitens. Die VE, Verpflichtungsermächtigung, lungszusammenarbeit zur falsch verstandenen Indu- wird um 0,8 Milliarden DM reduziert. Das sind 15 Pro- striepolitik. Die engagierten Menschen im Süden, zent. Genau damit, Herr Staatssekretär, verspielt die auf die wir als Träger der Entwicklung angewiesen Regierung Kohl die Zukunft der EZ. Oder mit Ihren sind, bleiben auf der Strecke. - Unverständlich! eigenen Worten in den Erläuterungen: In die gleiche Rille paßt Ihre seltene Teilnahme an Ungeachtet der Bedeutung, die dem Barmittelan Sitzungen des Fachausschusses. Ich kenne keinen satz für die Flexibilität und Handlungsfähigkeit Minister, der sich im Ausschuß so wenig dem Dialog 17062 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. R. Werner Schuster stellt, wie Sie: weder Herr Blüm noch Herr Waigel, konstruktive Vorschläge. Sie wissen, wo man etwas weder Herr Seehofer noch Herr Rühe und Herr Kin- ändern müßte. Aber sie trauen sich nicht, weil sie um kel. ihren Job fürchten müssen. Ich habe das vor Jahren einmal als das Problem der zwei Wahrheiten bezeich- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Er net. Ich kann Ihnen nur empfehlen, mit deutschen ist halt viel in den Entwicklungsländern!) Entwicklungshelfern vor Ort zu sprechen. Sie ma- Den Boden des Fasses schlägt die Information aus, chen einen strategischen Fehler, wenn Sie auf dieses daß Sie nicht einmal Zeit haben werden, bei den Feedback verzichten. Haushaltsberatungen im Ausschuß anwesend zu Sechstens. Machen Sie es sich nicht zu einfach, sein. Herr Minister, indem Sie sagen: Es ist die Aufgabe der SPD und der Grünen als Opposition zu kritisie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege ren. Können Sie eigentlich noch ruhig schlafen, Schuster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- nachdem Sie dieses Büchlein mit dem Titel „Die gen Pinger? Wirklichkeit der deutschen Entwicklungshilfe" gele- sen haben? Oder sollten Ihre lieben Mitarbeiter Ih- Dr. R. Werner Schuster (SPD): Lassen Sie mich den nen dieses Büchlein gar vorenthalten haben? Es ist Satz noch zu Ende formulieren. nicht unqualifiziert, wie Sie behauptet haben. Es steht sehr viel Nachdenkenswertes darin, auch wenn Welcher engagierte Entwicklungspolitiker mit ich manche Passage nicht teile. Charakter sollte eigentlich noch Lust haben, die von Ihnen immer wieder eingeforderten gemeinsamen (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: Anliegen zu unterstützen? Welche denn?) In diesem Buch steht als zentrale Forderung: „Ent- Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Kollege wicklungspolitik muß Querschnittsaufgabe werden", Schuster, stimmen Sie mir zu, daß es Sache der Ob- (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) leute und des gesamten Ausschusses ist, ob. der Mi- nister in den Ausschuß kommt? Stimmen Sie mir wei- wie es die SPD in ihrem Gesetzentwurf verlangt und ter zu, daß er immer gekommen ist, wenn wir ihn ein- wie Sie, Herr Laschet, es auch formulieren. Aber geladen haben? dann, Herr Minister, muß man eben kämpfen und darf nicht kneifen. Denn kein Finanzminister - weder eine grüne noch eine rote Ministerin bzw. Minister - Dr. R. Werner Schuster (SPD): Nein, Herr Pinger. So sehr ich Sie schätze, muß ich Ihnen sagen, daß es wird uns so viele Mittel für die EZ geben, um das eine Bringschuld ist. Die Frage, ob er eingeflogen wieder gutzumachen, was all die Borcherts, Waigels kommt und uns seine Themen unterbreitet, ob er an und Rexrodts im Süden verkehrt machen. unserem Dialogprozeß teilnimmt, in dem wir - wie ( [Meschede] [SPD]: Das ist Sie wissen - unter Schwierigkeiten versuchen, uns leider wahr!) zu einigen, ist primär seine Sache und nicht die Sa- che des Ausschusses. Wir haben dieses Problem im Das ist der Punkt. Deswegen brauchen wir endlich Ausschuß wiederholt thematisiert und wiederholt ein kompetentes „Querschnittsministerium". einstimmig darum gebeten, daß er regelmäßiger Siebtens. Zum Schluß die Conclusio: Wir brauchen kommt. eine Reform des BMZ an Haupt und Gliedern. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) brauchen einen Minister und ein BMZ, die sich nicht schämen, offensiv zu sagen: Jawohl, unser oberstes Fünftens. Herr Minister, wenn es schon weniger Ziel ist es, die Interessenvertretung von 5 Milliarden Geld gibt, dann gilt auch für die bilaterale Entwick- Menschen im Süden - immerhin 80 Prozent der Welt- lungszusammenarbeit: Das Geld dafür muß effekti- bevölkerung - und vor allem derjenigen 1,3 Milliar- ver und nachhaltiger ausgegeben werden. den Menschen zu sein, die unterhalb der Armuts- grenze leben. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, zu Recht sind wir stolz Wir alle stecken als Entwicklungspolitiker gegen- auf die Wertvorstellungen unseres Grundgesetzes. über unseren Wählerinnen und Wählern in einer Le- steht: „Die Würde des Menschen ist unantast- gitimationsproblematik. Wir brauchen vorzeigbare Dort bar." Das gilt doch auch für die Menschen im Süden Erfolge; sonst sind unsere Wählerinnen und Wähler - oder? nicht mehr bereit, solche Typen wie mich und wie manche von Ihnen zu wählen. Ich bedanke mich. Unser Problem ist, daß wir für das Anliegen der (Beifall bei der SPD und der PDS) dritten Welt werben müssen. Und doch überfahren wir unsere Partner im Süden häufig und überfordern Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt erteile ich sie mit unseren Angeboten. Herr Minister, ich dem Abgeordneten Otto Graf Lambsdorff in seiner schlage Ihnen vor: Tun Sie einmal das, was wir jetzt Funktion als fraktionsübergreifender Sprecher der auf unserer Reise nach Westafrika wieder gemacht politischen Stiftungen das Wort. haben. Sprechen Sie einmal informell mit den do rt tä- tigen deutschen Entwicklungshelfern. Ihnen würden (Dr. Winfried Penner [SPD]: Das ist seit die Ohren klingen. Denn diese haben zum Teil sehr 25 Jahren etwas ganz Neues!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17063

Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Penner, es che Übergangsprozesse, und nicht alle verlaufen auf gibt auch manchmal Neues. Warum eigentlich nicht? Anhieb erfolgreich. Der jüngste Putsch in Kambo- Wir sollten doch flexibel und wandlungsfähig sein. dscha - um ein besonders krasses Beispiel zu nennen - verdeutlicht auf erschreckende Weise, wie schwach (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) verankert vielerorts die demokratisch-rechtsstaatli- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie chen Strukturen noch sind. Mit einem Schlag wurden haben es soeben gehört: Der Ältestenrat hat dem hier die 1993 von der internationalen Staatengemein- Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung schaft mit über 2 Milliarden US-Dollar und rund freundlicherweise einige Minuten Redezeit einge- 20 000 Soldaten unterstützten Bemühungen zunichte räumt. Dafür bedanke ich mich im Namen aller politi- gemacht, über freie Wahlen die Agonie von 20 Jahren schen Stiftungen bei den Fraktionen. Was ich hier Bürgerkrieg zu überwinden. Auch die anhaltende sage, haben wir unter den Stiftungen abgestimmt. wirtschaftliche und politische Krise in Thailand sowie Wir arbeiten nämlich gut und nahezu völlig konkur- die Entwicklung in anderen Teilen der Welt - im ehe- renzlos zusammen. maligen Jugoslawien, in Pakistan, in Indonesien oder in Nigeria - zeigen, wie wichtig die Arbeit für den (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) Aufbau und die Sicherung von demokratischen, plu- Die Stiftungen begrüßen, daß das BMZ seinen Etat ralistischen und rechtsstaatlichen Strukturen ist. für 1998 nahezu auf dem Stand des laufenden Jahres Diese Arbeit ist mitunter mit einem erheblichen halten konnte. Angesichts der Gesamthaushaltssi- persönlichen Risiko - denken Sie bitte einmal an die tuation ist eine Kürzung von lediglich 0,2 Prozent Sicherheitslage in Südafrika - für unsere Auslands- wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Eines kann mitarbeiter und deren Familien verbunden. Ich man jedenfalls sagen - ich habe den Ausführungen möchte hier heute die Gelegenheit nutzen, ihnen im hier natürlich zugehört; da gibt es unterschiedliche Namen aller Stiftungen für ihr Engagement herzlich Meinungen -: Andere Ressorts haben in dieser Haus- zu danken. haltsvorlage mehr Federn lassen müssen. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und Besorgt stimmt uns die Tatsache, daß dieser der SPD) 0,2 prozentigen Kürzung des BMZ-Gesamthaushaltes eine weitere Kürzung von 5 Prozent bei den Stiftun- Sie leben dort nicht mit diplomatischem Status und gen gegenübersteht. Zum Vergleich die Situation den damit verbundenen Vorrechten. hinsichtlich der Förderung der Länder Mittel-, Süd- ost- und Osteuropas: Hier soll der Ansatz um über Der Aufbau ziviler Bürgergesellschaften ist eine 100 Millionen DM gegenüber dem des laufenden originäre Aufgabe der politischen Stiftungen im Rah- Jahres steigen. Dieser Zuwachs wird aber überwie- men der Entwicklungszusammenarbeit, eine Auf- gend der Finanziellen Zusammenarbeit und zu ei- gabe, deren Wahrnehmung durch die fortgesetzten nem geringeren Teil der Technischen Zusammenar-- Kürzungen zunehmend schwieriger wird. Wenn wir beit zugute kommen. Die Mittel für die politischen mit unseren Bemühungen in den Transformationslän- Stiftungen hingegen, deren Aufgaben gerade in den dern gerade jetzt nachlassen, werden wir bald einen Transformationsländern in jüngster Zeit stark ge- höheren Preis bezahlen. Vergessen wir bitte gerade wachsen sind, sollen mit insgesamt 38,5 Millionen hier in Deutschland nicht: Die Staaten in Ost- und DM unverändert bleiben. Weitere Kürzungen auch in Mitteleuropa konnten am gemeinsamen europäi- diesem Bereich sind wohl zu befürchten. Ob damit schen Zivilisationsprozeß während des letzten halben die politischen Gewichte richtig gesetzt sind, bezwei- Jahrhunderts nicht teilnehmen, aus Gründen, die feln wir. letztlich Deutschland zu vertreten hat, wenn auch das Veto der Sowjetunion nach dem Kriege die un- Insgesamt muß die finanzielle Situation für die mittelbare Ursache für den Ausschluß der Ost- und politischen Stiftungen durch die erneuten Kürzungen Mitteleuropäer aus Europa gewesen ist. im Baransatz und - was noch schwerer wiegt - bei den planungsrelevanten Verpflichtungsermächtigun- Unsere Arbeit in Rußland, der Ukraine, Bulgarien gen als fortschreitend kritisch bezeichnet werden. und Rumänien bedarf der Fortsetzung. Unser Enga- Vielerorts bereitet es uns bereits jetzt erhebliche gement in den Ländern, die sich der Europäischen Mühe, den Kernbestand nachhaltig aufgebauter Union anschließen möchten, müßte verstärkt werden. Strukturen und Kontakte zu sichern und - auch das Gleichzeitig, Herr Minister Spranger, fordern Sie - muß erwähnt werden - den Verpflichtungen gegen- ebenso wie Ihr Kollege Kinkel - uns völlig zu Recht über unseren Partnern nachzukommen. zu neuen Aktivitäten in weiteren Ländern auf. Aber um diesen Anforderungen gerecht zu werden, brau- Die Bedeutung der Auslandsarbeit der politischen chen die politischen Stiftungen mindestens 45 Millio- Stiftungen und ihre Erfolge werden nicht zuletzt nen DM aus dem „Programm zur Förderung der Län- dank der Ausführungen von Bundespräsident Her- der Mittel-, Südost- und Osteuropas" für 1998. Sie zog zunehmend gewürdigt. Es erscheint mir aller- werden besser beurteilen können als ich, ob das in dings wichtig, einmal auf die besondere Bedeutung Ihrem Etat überhaupt möglich ist. der Arbeit der Stiftungen gerade in den Transforma- tionsländern hinzuweisen. Dabei beziehe ich mich Bei der Auslandsarbeit der politischen Stiftungen nicht nur auf die Länder in Mittel-, Südost- und Ost- geht es um den Aufbau klarer marktwirtschaftlicher europa, sondern auch auf zahlreiche Länder Afrikas, Strukturen sowie um die Durchsetzung und Siche- Lateinamerikas und Asiens. Auch do rt vollziehen rung der Freiheitsrechte und der politischen Partizi- sich zum Teil schwierige politische und wirtschaftli pationsmöglichkeiten der Bürger. Es geht um die tat- 17064 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Otto Graf Lambsdorff kräftige Unterstützung umfassender Reformprozesse, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Vielen Dank. - wie ich sie mir im übrigen auch für Deutschland in Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des viel stärkerem Maße wünschen würde. Die politi- Bundesministeriums für wi rtschaftliche Zusammen- schen Stiftungen erfüllen eine Aufgabe, wie sie so arbeit und Entwicklung liegen nicht vor. von staatlichen Trägern nicht wahrgenommen wer- den kann. Sie erfüllen sie mit unterschiedlichen An- Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- sätzen und unterschiedlichen Partnern. Das ist so ge- desministeriums des Innern; das sind die wollt, und es kann auch nicht anders sein. Einzelpläne 06 und 33. Das Wort zur Einbringung des Haushaltes hat zu- Damit wir unsere Arbeit zum Nutzen für die Pa rt nächst Herr Bundesminister Manfred Kanther. -nerländer und für unser eigenes Land fortsetzen kön- nen, appelliere ich im Namen aller politischen Stif- tungen an die Bundesregierung, an den Bundesmi- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Frau nister der Finanzen und auch an die Mitglieder des Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Haushaltsausschusses des Bundestages: Unterstüt- Herren! Der Kampf gegen das Verbrechen, der zen Sie bitte Herrn Bundesminister Spranger bei sei- Kampf für die innere Sicherheit ist der Schwerpunkt nen Bemühungen zur Sicherung eines den Aufgaben der Innenpolitik dieser Bundesregierung. des BMZ angemessenen Etats. Ich habe Ihre Bemer- (Beifall bei der CDU/CSU) kungen, Herr von Schmude, über das Thema Stiftun- gen natürlich mit Interesse und Wohlgefallen gehört. Nach den herkömmlichen Gesetzen, die in unserem Fach gelten, wird die Richtigkeit dieser Politik immer Neben der Technischen und Finanziellen Zusam- dann ganz besonders ausgewiesen, wenn sich die menarbeit gilt es dabei, verstärkt auch den Bereich Opposition der Regierung anschließt. der politischen Bildung, der Politikberatung und des politischen Dialogs zu unterstützen. Auch wir, die po- ( [CDU/CSU]: Die Wahl litischen Stiftungen, werden unseren Beitrag zum kämpfe nahen!) Fortbestand des auf diesem Gebiet bislang Erreich- Es ist offenkundig, daß die SPD jetzt erklärt: Die ten leisten. Wir werden den eingeschlagenen Weg Innenpolitik der Regierung ist richtig; so wollen auch der Kostenreduzierung, der Effizienzsteigerung und wir sie haben. - Das ist zunächst einmal als Erfolg zu der Nutzung von Synergieeffekten konsequent fo rt bewerten; denn was man gemeinsam tun kann, ist -setzen. Wir wissen, daß wir mit dem Geld des Steuer- besser als das, was im Streite geschehen muß. Aber zahlers sparsam umzugehen haben. es ist zu fragen, ob es zutrifft, was da so vollmundig Stiftungsfinanzierung, meine Damen und Herren, in Interviews erklärt wird und was in Abhakkalen- ist keine verdeckte oder gar offene Parteienfinanzie- dern an Aktionen, die nötig seien, zusammengefaßt wird. Wenn man das glauben soll, muß mehr gesche- rung. Wer das behauptet, der hat sich mit- den Aufga- ben der Stiftungen nicht befaßt. hen als das Geben von Interviews. Denn die Krimina- lität ist eine Reflexion der gesellschaftlichen Um- (Beifall bei der F.D.P.) stände. So überschreitet - um nur ein Beispiel zu nennen - Die sozialdemokratische Gesellschaftspolitik vie- meine eigene Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stif- ler Jahre war in vielen einschlägigen Aspekten au- tung, in ihrer Kampagne „Umdenken - Anstiftung ßerordentlich falsch: in der Erziehungspolitik, in der zur Freiheit" nicht die vom Bundesverfassungsge- Familienpolitik, in der Ausländerpolitik, bei der Defi- richt gesetzten Grenzen. Ich habe Herrn Professor nition von „freihändigen" Gewaltbegriffen oder Wi- von Arnim, der bekanntlich zu unseren häufigen Kri- derstandsrechten. Wenn man bedenkt, was allein aus tikern gehört, angeboten, das einmal in einem öffent- dem niedersächsischen Regierungslager im Umfeld lich mit ihm geführten Streitgespräch vielleicht zu ei- von Castor-Transporten erschallt, dann muß man die nem Ende zu bringen. Er hat zugesagt; wir suchen Frage stellen: Ist eigentlich alles wahr, was an ande- noch nach einem Termin. rer Stelle nunmehr neu eingefordert wird? Herr Minister Spranger, Ihnen und Ihren Mitarbei- Die Sicherheitspolitik braucht eine geistige Basis. tern gilt für Ihre Bemühungen unser Dank. Vor kur- Ich würde mich freuen, wenn wir uns auf die gleiche zem hat eine wohlmeinende Journalistin eine Auf- Basis verständigen könnten. Aber ich muß schon dar- wertung und stärkere Profilierung ihres Ministeriums auf hinweisen: Was etwa im Zusammenhang mit der als Zukunftsministerium gefordert. Ich will hier kei- Asylpolitik an Kübeln von Schmutz über uns ausge- nen Anlaß zu neuen Spekulationen über zukünftige gossen worden ist, Ressortzuschnitte liefern, aber daß mit den Mitteln (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Ihres Hauses wichtige Zukunftschancen eröffnet werden, steht außer Frage. Die politischen Stiftungen während jetzt eine schnellere Abschiebung gefordert wollen gerne dabei helfen. wird, das geht doch auf keine Kuhhaut! Vielen Dank, meine Damen und Herren, für Ihre (Beifall bei der CDU/CSU) Aufmerksamkeit. Lassen Sie mich Ihnen einmal ein Zitat für unge- zählte andere hier darbieten: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Die Staatsräson der Nazis war die Verfolgung eth BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nischer und politischer Minderheiten. Teil der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17065

Bundesminister Manfred Kanther Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland ist Beispiel die Polizeiaufgabe der Bewahrung der öf- deren Schutz. ... Albrecht zerstört damit einen fentlichen Ordnung unter dem Aspekt eines Pseudo- Teil unserer freiheitlichen Ordnung, deren Kraft liberalismus, der immer falsch war, eliminiert worden sich gerade in Schwierigkeiten beweisen muß. ist. Ich fordere die Verantwortlichen auf, ihre Polizei- Aber so sind sie, diese Patentchristen: Wenn es gesetze so zu ändern, daß sie zu ihren Interviews pas- schwierig wird, geht die Ethik über Bord. Was sen. bleibt, ist Machtwille, gestützt auf kalten Zynis- (Beifall bei der CDU/CSU) mus. Jeder Abgeordnete kann zeigen, wohin er gehört: auf die Seite des Anstands oder auf die Ich fordere sie auf, ihre faktische Landespolitik so der Unanständigkeit, auf die Seite der Moral oder einzurichten, daß sie zu ihren Forde rungen paßt. die der Unmoral. Der Bundesgrenzschutz hat in den letzten Jahren So Herr Schröder vor zehn Jahren. Deshalb müssen 3 000 Beamte mehr erfahren, und die Aufwendungen wir hinterfragen, ob es wahr ist, wenn er nun richti- für den Bundesgrenzschutz sind in den Haushalten gerweise schnellere und mehr Abschiebungen von von 1993 bis 1998 um über 40 Prozent gestiegen. Ausländern ohne Bleiberecht und insbesondere von Aber in Niedersachsen gibt es in den letzten drei Straftätern forde rt, zumal er doch so sehr zuständig Jahren 247 Planstellen für die Polizei weniger. Da wäre. muß doch erklärt werden, wie man damit mehr Si- cherheit gewährleisten will. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Ja, er kann es doch tun!) Ich muß daran erinnern, daß im föderativen Staats- und die ganz überwiegend Aber 51,5 Prozent all derer, die ausreisepflichtig sind, gebilde die Polizei Justiz Aufgabe der Länder sind. Es kann nicht zugelassen tauchen in Niedersachsen ab. Im ganzen vergange- werden, daß man diese Aufgabe wegdrückt, indem nen Jahr sind vier Straftäter abgeschoben worden - bei 200 000 Ausländerdelikten im Lande. Das ist die man sich nur noch mit bundespolitischen Forderun- Realität, und auch sie gehört zum Problem. gen an die Gesetzgebung tummelt, aber die eigenen Schularbeiten höchst unzulänglich macht. Polizei Wenn man sich mit Jugendkriminalität beschäftigt und Justiz sind Länderaufgabe. und dies auch noch mit starken Worten tut, dann muß daran erinnert werden, daß sich hier in besonde- (Dr. Wilfried Penner [SPD]: Eben!) rem Maße gesellschaftliche Umstände widerspie- Die innere Sicherheit zu gewährleisten ist Länderauf- geln, die auf Erziehung in Familien und Schulen fu- gabe. ßen. (Dr. Wilfried Penner [SPD]: Nicht nur!) (Hans-Peter Kemper [SPD]: Sehr richtig!) - „Sehr richtig" . - Aber das ist sehr schwierig, wenn - Ganz entscheidend Länderaufgabe. - man bedenkt, daß noch vor nicht langer Zeit einer (Dr. Wilfried Penner [SPD]: Das stimmt, ja!) Ihrer Kanzlerkandidaten erklärt hat, daß Pflicht- gefühl eine Sekundärtugend sei, mit der man auch Der Bund hat seine gesetzgeberischen Schularbei- ein KZ betreiben könne. Wie wollen wir denn die ten gemacht oder ist zur Zeit dabei. Mit Grund sage Rechtsordnung bei jungen Leuten als eine einzuhal- ich das so: Wir haben das Anti-Korruptionsgesetz, tende verankern, wenn wir Werte gleichzeitig so her- das Verbrechensbekämpfungsgesetz, das BKA-Ge- absetzen? setz, das BGS-Gesetz und das Ausländergesetz novelliert. Wir stehen kurz vor der Novellierung der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gesetze betreffend Abhören und Geldwäsche. Ich wünsche mir, daß sich das bei denjenigen in der SPD wirklich ändert, von denen all diese endlo- Die gesetzgeberischen Schularbeiten sind im sen Zitate stammen. Es geht ja nicht um alle in der wesentlichen, jedenfalls dem Grunde nach, gemacht. SPD; ich will hier nicht alle über einen Leisten schla- Nun geht es um die Durchführung. Aber auch da gen. Gerade im Innen-Fach gibt es ja viele Männer sind die bundespolitischen Schularbeiten gemacht: und Frauen, die anders denken. Aber wenn es eine mit der ins Haus stehenden BGS-Reform, mit den grundsätzliche Umkehr der Sozialdemokratischen genannten Organisationsgesetzen. Nun muß durch- Partei in der Sicherheitspolitik geben soll, dann ge- gesetzt werden, was angeblich gemeinsamer politi- hört auch die Aufarbeitung dieser offenkundigen De- scher Wille ist. fizite dazu. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ferner gehört ein Nachweis in der Praxis dazu, daß Ina Albowitz [F.D.P.] - Erwin Marschewski es nun anders hergehen soll. Was eigentlich braucht [CDU/CSU]: Großartige Arbeit!) ein Politiker noch als eine absolute Mehrheit mit den Wir werden nicht zulassen, daß die Länder, insbe- eigenen Freunden, um genau die Politik zu machen, sondere die sozialdemokratisch regierten, die Auf- die er gerne machen möchte? gabe ihrer Staatlichkeit im wesentlichen darin sehen, (Dr. Willfried Penner [SPD]: Wir sind hier Entscheidungen zu bundespolitischen Themen zu doch nicht im Niedersächsischen Landtag!) blockieren, während sie zu Hause ihre eigenen si- cherheitspolitischen Schularbeiten nicht machen. Deshalb ist doch die Frage, warum in den sozialde mokratischen Polizeigesetzen im Saarland, in Schles (Dr. [CDU/CSU]: Hört! Hört! wig-Holstein und besonders in Niedersachsen zum - Zuruf von der SPD: Ich bin entsetzt!) 17066 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundesminister Manfred Kanther Sie müssen sich einmal die Statistiken vornehmen. Ich freue mich, daß sich die Sozialdemokraten der Darin stehen Bayern und Baden-Württemberg, was Politik anschließen wollen, die wir, auch ich, immer die Aufklärungsquote anbetrifft, mit einem riesigen unbeirrt vertreten haben, Abstand vor den norddeutschen Ländern. Die lang- fristig stetige Sicherheitspolitik unionsgeführter Lan- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Ja, dann freuen desregierungen hebt sich sichtbar von der sozialde- Sie sich doch einmal!) mokratischer Landesregierungen ab. Diese Länder- insbesondere in wesentlichen Fragen der Ausländer- aufgabe gilt es hier zu betonen. politik. Nur, Ihre Kandidaten müssen das noch mit der Verheißung in Einklang bringen, daß die Zukunft Ich habe einen Vorschlag für eine völlig neue der ganzen Bundesrepublik rot-grün aussehen soll. besonders gefährdeten Sicherheitspolitik in den Ein institutionalisierteres Sicherheitsrisiko als eine gemacht. Maßnahmen sind dringend Großstädten Koalition mit den Grünen kann es doch allen Erfah- erforderlich, wenn wir die Sorgen unserer Mitbürger rungen nach gar nicht geben. ernst nehmen; (Beifall bei der CDU/CSU) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Das Polizeigesetz, das Herr Schröder jetzt nachzu- bessern verheißt, stammt doch aus rot-grüner Feder. denn das Bild wird insbesondere von den Erlebnissen und den Vorgängen zumindest in einigen Großstäd- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr ten geprägt. Hier müssen wir aus amerikanischen wahr!) Erfahrungen lernen, ohne sie blind abkupfern zu Was aus der Arbeit des hessischen grünen Justizmi- wollen. nisters lädt zum Nachmachen oder gar zur Übertra- gung auf die Bundesebene ein? Was machen denn (Dr. Wilfried Penner Richtig!) [SPD]: Ihre rot-grünen Landesregierungen als erstes ange- sichts des gefundenen Kompromisses zu den The- Dieser Vorschlag wurde in den letzten Tagen von den Bundesländern damit beantwortet, daß gesagt men des Abhörens und der Geldwäsche? Sie erklä- ren, sie werden sich im Bundesrat der Stimme enthal- wurde: Ja, Herr Kanther, schicken Sie doch einmal ten. Sie können aber doch die Sicherheitspolitik, die 100 Leute vom BGS. Dann ist das neue Sicherheits- Sie uns ansinnen und die Sie mit rotgrüner Mehrheit konzept in Ordnung. - durchsetzen wollen, in diesem Hause auf gar keinen (Zuruf von der CDU/CSU: So nicht!) Fall mit Enthaltung durchbringen. Das heißt also, bevor das sicherheitspolitische Godes- Das wird ganz sicher nicht geschehen. berg der Sozialdemokraten glaubwürdig ist, muß es - in der Praxis dort nachgewiesen werden, wo Sie Ein neues großstädtisches Sicherheitskonzept ver- selbst Verantwortung tragen. langt nach neuen Ansätzen in der praktischen Poli- tik, auch nach neuen geistigen Ansätzen. Für die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Sicherheitsarbeit in der Großstadt ist der Ordnungs- ordneten der F.D.P.) begriff wesentlich. Dort müssen großstädtische Ver- waltungen und Sicherheitsbehörden zusammenar- Wir haben die Sicherheitspolitik zu einem Haupt- beiten, um Prävention und Verbrechensbekämpfung aspekt der Koalitionsarbeit gemacht. zu stärken. Dort muß die Justiz in einem stärkeren Maße, als es heute geschieht, ihren Sicherheitsauf- (Zuruf von der SPD: Das sieht man an den trag reflektieren. Do rt muß insbesondere gegen die steigenden Zahlen in der Realität!) Alltagskriminalität, auch gegen solche mit einem Sie hat sich in den vier Jahren, die ich jetzt im Amt geringeren Unrechtsgehalt, vorgegangen werden. Es bin, als der wesentliche und vorankommende Aspekt darf nicht von Bagatellkriminalität und von der Frei- der eigenen Arbeit erwiesen. Das, was wir mitein- gabe von Drogen in Apotheken geredet werden. ander anpacken wollen, ist geschehen. Es hat häufig Ihren Widerspruch gefunden. Ich freue mich, wenn (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr es jetzt in wesentlichen Fragen Ihre Zustimmung fin- wahr!) det. Aber ich weiß nicht, ob das so bleiben wird. Man darf nicht die Leute verwirren und die Hemm- Wenn man schnellere Verfahren vor deutschen schwelle senken, statt sie zu verteidigen. Das alles Gerichten fordert, darf man nicht, wie zuletzt die sind die grundlegenden Ansätze eines neuen Kon- Herren Voscherau und Schröder, der Hauptverhand- zepts. Es geht nicht darum, daß der Bund 100 Beamte lungshaft hier im Hause und im Bundesrat wider- des Bundesgrenzschutzes an die Seite der Landesre- sprechen. Das paßt nicht zueinander. gierung stellt. Es geht gerade in der Sicherheitspolitik darum, Ich würde mich freuen, wenn es zu mehr Gemein- glaubwürdig zu sein. Diese Glaubwürdigkeit ist samkeit in der Praxis käme. Das aber bedeutet, daß etwas, was wir mit vielen praktischen Punkten der die Landespolitiker in diesem Sinne tätig werden Gesetzgebung und des Vollzuges - ich verweise auf müssen und sich damit als glaubwürdig erweisen. die hohen Aufwendungen für die Sicherheitskräfte des Bundes, BKA und Bundesgrenzschutz - immer (Dr. Willfried Penner [SPD]: Genau!) nachgewiesen. haben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17067 Bundesminister Manfred Kanther Ich freue mich, wenn wir auf eine Zeit der Gemein- menarbeit im Bund, in den Ländern und in den Kom- samkeit als einem Hauptanliegen unserer Bürge] mumen, wo immer sie möglich ist, bereit. zugehen sollten, aber nicht nur durch ein Abhaken von vordergründigen Handlungskalendern, sondern In diesem Sinne ist es zu begrüßen, daß wir in den durch die geistige Fundierung von Sicherheitspolitik. Verhandlungen über ein Gesamtkonzept zur Be- Ich hoffe das, aber ich möchte es gern in der Praxis kämpfung der organisierten Kriminalität einen gu- nachgewiesen wissen. ten Kompromiß gefunden haben, der hoffentlich auch die Zustimmung dieses Hauses finden wird, Danke sehr. einen Kompromiß, der die Möglichkeiten zur Be- kämpfung der organisierten Kriminalität deutlich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) verbessert und zugleich garantiert, daß staatliches Handeln an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat der bleibt. Mit Ruhe und Respekt sollte jedoch auch das Abgeordnete Otto Schily das Wo rt. Gespräch mit jenen gesucht werden, die Vorbehalte gegen die Einschränkung des Grundrechts in A rt. 13 geltend machen. Die Otto Schily (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen Unverletzlichkeit der Woh- und Herren Kollegen! Bisher habe ich einigen Pres- nung, die in Art. 13 des Grundgesetzes verbürgt sebemerkungen, daß der Kabinettsposten von Herrn wird, ist ein hohes Gut, dessen Rang außer Zweifel Kanther gefährdet sei, keinen Glauben geschenkt. stehen sollte. In einem freiheitlich-demokratischen Aber nach dieser hochfahrenden, aggressiven Rede, Rechtsstaat muß - das ist meine tiefe Überzeugung - die Sie gehalten haben, Herr Kanther, das Individuum einen Raum haben, in dem er nur für sich ist und in dem er der Kontrolle und Aufsicht des (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Schily, Staates entzogen bleibt. Das ist übrigens ein Unter- was ist denn los?) scheidungsmerkmal zum totalitären Staat, der in alle Lebensverhältnisse des Menschen eindringt und sich muß ich den Eindruck haben, daß meine Skepsis ihrer bemächtigt. nicht so ganz falsch zu sein scheint. Vielmehr müssen Sie offenbar um Ihren Kabinettsposten kämpfen. Ich Der Staat hat aber nicht nur die Pflicht, das Grund- weiß nur nicht, ob Ihnen das auf diese Weise gelingt. recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung zu achten und zu schützen, sondern er steht ebenso in der Ver- Es ist bedauerlich, daß Sie versuchen, ein Ergeb- antwortung, die Menschen in ihren anderen Grund- nis, das wir gemeinsam in mühsamen Verhandlun- rechten zu schützen, in ihrem Grundrecht auf Leben, gen erreichen wollten, in anmaßender Form nun so auf körperliche Unversehrtheit, auf freie Entfaltung zu interpretieren, als ob wir nur Ihre Forderungen ab- ihrer Persönlichkeit und auf Wahrung ihrer Würde. gehakt hätten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) Durch die sich ausbreitende organisierte Kriminalität So war es gewiß nicht. Wer die Verhandlungen sind diese Grundrechte in hohem Maße bedroht. kennt, weiß, daß wir uns, wie ich finde, in einem fai- Wenn beispielsweise in Europa, leider auch in ren und freimütigen Meinungsaustausch aufeinan- Deutschland, Frauen in großer Zahl von gewissenlo- der zubewegt haben. Sie sollten eine solche Möglich- sen Verbrecherbanden verschleppt und zur Prostitu- tion gezwungen werden, ist das eine massive Verlet- keit gemeinsamen Handelns nicht durch dera rtige Reden in Gefahr bringen. zung von Grundrechten, denen der Staat ebenso wie anderen Formen des organisierten Verbrechens nicht Am 26. Mai 1994 hat der Bielefelder Polizeipräsi- tatenlos zusehen kann. dent Horst Kruse in einem Vortrag vor der Friedrich- Ebert-Stiftung seine Überlegungen zur Kriminali- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Cornelia tätsbekämpfung unter das Leitmotiv gestellt: Mehr Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) Sicherheit durch Zusammenarbeit. Er hat in diesem Deshalb muß, wenn alle anderen Mittel zur Straf- Zusammenhang zugleich vor der Illusion gewarnt, verfolgung nicht zum Ziel führen, in Ausnahmefällen die juristische Regelung eines Sachverhalts der tat- auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Woh- sächlichen Problemlösung gleichzusetzen. nung zurückstehen, wenn es um die Aufklärung In der Tat, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schwerster Verbrechen geht. Selbstverständlich muß brauchen wir ein breites gesellschaftliches Bündnis ein solcher Eingriff in das Grundrecht der Unverletz- gegen Kriminalität und gegen Gewalt. Wenn diese lichkeit der Wohnung immer am Verhältnismäßig- Erkenntnis an Boden gewinnt - ich zitiere noch ein- keitsgrundsatz gemessen werden und darf nur letz- mal Horst Kruse -, wird sich auch zunehmend die tes Mittel bei der Strafverfolgung sein. Wir über- Überzeugung durchsetzen, daß die Gewährleistung schätzen dabei keineswegs - um auch diesem Miß- der inneren Sicherheit nicht nur Sache von Polizei verständnis zu begegnen - die Erfolgschancen einer und Justiz ist, sondern letztlich jeden einzelnen von akustischen Wohnungsüberwachung. Wir folgen uns angeht. aber dem Rat von Experten, darunter Luigi Violante, dem italienischen Parlamentspräsidenten und frühe- Um den Gefahren für die innere Sicherheit zu ren Vorsitzenden des Anti-Mafia-Ausschusses, der begegnen, die insbesondere in Gestalt der organi- uns dringend empfohlen hat, auch die akustische sierten Kriminalität besonders bedrohliche Ausmaße Wohnungsüberwachung zur Strafverfolgung zuzu- erreicht haben, ist die Sozialdemokratie zur Zusam- lassen, nicht zuletzt um die internationale Zusam- 17068 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Otto Schily menarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kri- Nebenbei sei angemerkt: Wir müssen nicht zuletzt minalität zu unterstützen. auf punktgenauen Einsatz der knappen Ressourcen von Justiz und Polizei achten. Wenn beispielsweise Die weitaus größere Bedeutung bei der Bekämp- die Staatsanwaltschaft ein halbes Jahr damit ver- fung der organisierten Kriminalität hat für uns der bringt, herauszufinden, ob die bekannte Wehr- Zugriff auf kriminell erworbenes Vermögen. Das machtsausstellung in irgendeiner Weise strafrecht- Bündel von Maßnahmen, das wir vorgesehen haben, liche Bedeutung hat, muß man sich nicht wundern, wird es Polizei und Justiz ermöglichen, das organi- daß anderswo Kapazitäten zur Strafverfolgung feh- sierte Verbrechen an der empfindlichsten Stelle zu len. treffen, dem Geld. Wir verdanken es der Initiative meines Fraktionskollegen Jürgen Meyer, daß wir ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne weiteres wichtiges Instrument mit einsetzen, nämlich ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Steuerrecht, was in anderen Rechtsgebieten und der PDS) heute schon zu erheblichen Erfolgen führt. Wenn die Polizei zur Überwachung der Einhaltung Ich will Sie, wenn Sie schon diese hochfahrende von Parkverboten eingesetzt wird, dann muß man Rede hier heute gehalten haben, Herr Kanther, daran sich, denke ich, nicht wundern, daß es anderswo an erinnern, daß das Wirtschaftsministerium noch in den notwendigen Polizeikräften mangelt. letzter Minute versucht hat, diese Regelung abzu- Die innere Sicherheit, meine Damen und Herren schwächen und diese Maßnahme aus dem Paket her- Kollegen, wird nicht nur - das wissen wir alle - durch auszubekommen. das organisierte Verbrechen, sondern auch durch die (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ihr wa rt sogenannte Alltagskriminalität bedroht, wobei - das 10 Jahre gegen den Lauschangriff! Das gab sollte nicht übersehen werden - die sogenannte All- es auch!) tagskriminalität häufig zum Aktionsfeld der organi- sierten Kriminalität gehört. Wir hoffen, daß es außerdem gelingt, zusätzlich im Polizeirecht entsprechende Regelungen zu veran- Alltagskriminalität wird in der Bevölkerung unmit- kern. Ohnehin kann das, was wir vereinbart haben, telbar wahrgenommen. Zunehmende Gewalttätig- nur Teil einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung der keiten in den Großstädten, eine besorgniserregende organisierten Kriminalität sein. Entwicklung der Jugendkriminalität, Drogenhandel, Wohnungseinbrüche, Taschendiebstähle, Betrüge- Leider verweigern Sie sich insbesondere einer reien und ähnliches beeinträchtigen das Sicherheits- Neuorientierung in der Drogenpolitik. Mit Recht hat gefühl der Menschen. Der Staat ist in der Pflicht, der angesehene frühere Präsident des Bundeskrimi- Rechtsverletzungen zu unterbinden und die Men- nalamtes, Herr Zachert, auf folgendes hingewiesen - schen vor Straftaten zu schützen. ich zitiere -: - Auch auf dem Gebiet der Alltagskriminalität errei- Die gebotene Aburteilung organisierter Straftäter chen wir mehr Sicherheit nur durch Zusammen- hat langfristig nur Sinn, wenn gleichzeitig die arbeit. So wichtig wirksame Strafverfolgung durch von den Tätern genutzten Logistikstrukturen auf- Justiz und Polizei ist - wichtiger ist die Prävention, gebrochen und die Beschaffungs- und Absatz- die Verbrechensvorbeugung. Auf diesem Gebiet ist märkte zerstört werden. noch viel zu tun. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau deswe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gen!) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ohne eine solche Gesamtstrategie dürfte eine Selbstverständlich, Herr Kanther - Sie haben das bloß strafrechtliche Verurteilung der OK-Straftä- erwähnt -, sind wir bereit, auf Ihren Vorschlag einzu- ter langfristig eher zu einer Stärkung besonders gehen, in deutschen Großstädten unter Federfüh- gefährlicher Straftäterorganisationen führen als rung der jeweiligen Landespolizei Modellversuche zu deren Zerschlagung. zur Kriminalitätsbekämpfung unter Mitwirkung des Bundesgrenzschutzes zu beginnen. Herr Glogowski Ich denke, daraus sollten auch Sie, Herr Geis, die hat diese Anregung bekanntlich aufgenommen. Sie notwendigen Konsequenzen ziehen. hätten ihm nicht so antworten sollen, wie Sie das heute hier im Bundestag getan haben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Innerhalb einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität muß ferner die interna- Ihre Anregung - manches, was Sie in Pressemel- tionale Zusammenarbeit intensiviert werden. Insbe- dungen verlautbaren, ist von gleicher A rt und Güte -, sondere muß unter anderem das Europol-Abkommen in den Städten und Kommunen Polizeiarbeit gemein- zügig ratifiziert und umgesetzt werden. Die sicher- denah zu gestalten und Sicherheitsräte oder Bürger- heitsrelevanten Rechtsbereiche müssen vergemein- komitees einzurichten, kommt allerdings ein wenig schaftet werden. Defizite der Durchführungsbestim- spät; denn diese Sicherheitsräte gibt es seit Jahren. mungen des Schengener Abkommens müssen be- Sie nennen sich unterschiedlich, haben aber dieselbe reinigt werden. Gemeinsam müssen inte rnational Zielsetzung. Ob deren Arbeit noch verbesserungsbe- arbeitende Ermittlungsgruppen zur Bekämpfung der dürftig ist, sollten wir gemeinsam vorurteilsfrei prü- organisierten Kriminalität gebildet werden. fen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17069

Otto Schily Soweit Sie auch Kräfte des Bundesgrenzschutzes menhalt brüchig wird, in einer Gesellschaft, die vie- für eine dezentrale Verbrechensbekämpfung anbie- len Jugendlichen die Teilhabe an Ausbildung und ten, sollten Sie, Herr Innenminister Kanther, Ihre Pla- am Arbeitsleben verweigert, in einer Gesellschaft, in nungen im Bereich der Strukturreform des Bundes- der die Gerechtigkeit notleidend wird, nehmen die grenzschutzes überdenken und Einheiten des Bun- Abwehrkräfte gegen Verbrechen ab. desgrenzschutzes weiterhin dort stationieren, wo sie benötigt werden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Verbesserung und Intensivierung von Kriminali- tätsbekämpfung haben im übrigen zur Vorausset- Justiz und Polizei können nie und nimmer die Ver- zung, daß wir uns nicht an Schlagworten orientieren, säumnisse aufholen, die der Bundesregierung und sondern mit großer Sorgfalt daran arbeiten, unsere der Koalition auf den Gebieten der Wirtschafts- und Erkenntnisse über Erscheinungsformen der Krimina- Sozialpolitik, der Bildungs-, der Finanz- und Steuer- lität auszuweiten und zu präzisieren. politik anzulasten sind. Leider hat die Bundesregierung die Anregungen meines Fraktionskollegen Frank Hofmann bis heute (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!) nicht aufgenommen, ein Sachverständigengremium zur Beurteilung der Sicherheitslage der Bundesrepu- Wenn wir diesen Zusammenhang aus dem Auge blik Deutschland einzurichten, das pe riodisch einen verlieren, verkommt Strafjustiz zu einer Alibiveran- Sicherheitsbericht erstellt und die unterschiedlichen staltung, die von den wahren Ursachen gesellschaft- Statistiken - Kriminalstatistik, Strafverfolgungsstati- licher Fehlentwicklungen ablenkt. stik usw. - mit dem Ziel verknüpft, ein besseres Lage- bild der Kriminalitätsentwicklung zu liefern. (Beifall bei der SPD)

Nur auf einer solchen Grundlage - auch das sollte Herr Kanther, da Sie von der „geistigen Basis" ge- Sie interessieren, Herr Marschewski -, die die quali- sprochen haben: Ich weiß gar nicht, wo Ihre geistige tativen Komponenten bei der Auswertung kriminal- Basis ist. Ich kenne Ihre geistige Basis nicht. Weil Sie polizeilicher Erkenntnisse stärker berücksichtigt und hier ein Pflichtgefühl beschwören, sage ich Ihnen: die Ergebnisse der kriminologischen Forschung ein- Wenn Pflicht nicht mit Werten verbunden ist, dann bezieht, ist eine zuverlässige Analyse der Erschei- kann Pflichtgefühl in der Tat vom Staat mißbraucht nungsformen von Kriminalität möglich. Ohnehin ist werden, wie wir das in der dunkelsten Vergangen- eine allzu forsche Wortwahl in Fragen der Innenpoli- heit Deutschlands leider erlebt haben. Daran sollten tik unangebracht. Sie sich orientieren, und darüber müssen Sie mit (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr! - Rezzo Jugendlichen sprechen. Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) - (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Innenpolitik muß Aggression abbauen und darf sie nicht fördern. Es ist sicherlich zulässig und sogar not- Deshalb dürfen wir uns keinesfalls auf törichte Vor- wendig, ohne Beschönigungsversuche zu prüfen, ob schläge einlassen, das Strafmündigkeitsalter herab- und auf welchen Gebieten Ausländer an bestimmten zusetzen. Deliktsformen überproportional beteiligt sind. Aber pauschale und vergröbernde Schuldzuweisungen (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Rich sollten wir tunlichst unterlassen. tig! - Ina Albowitz [F.D.P.]: Haben Sie Herrn (Beifall bei der SPD - Rezzo Schlauch Schröder schon einen B rief geschrieben?) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hannover, höre!) Ich halte auch nichts davon, Kinder zu vermeint- lichen Erziehungszwecken in geschlossenen Heimen Ich rate im übrigen zur Vorsicht gegenüber An- unterzubringen. Solche Überlegungen führen in die wandlungen, Modelle aus Übersee oder anderswo Irre. Ein Kind einzusperren, weil die Erziehung durch umstandslos zu übernehmen. Familie und Gesellschaft scheitert, ist die erbärm- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr lichste Antwort auf eigenes Versagen. wahr!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wer uns die Erfolge der Polizei in New York anpreist GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) und deren Methoden zur Nachahmung empfiehlt, sollte daran erinnert werden, daß allein in New York Wir sollten aber auch einsehen, daß die zuneh- immer noch dreimal soviel Morde begangen werden mende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen mit wie in ganz Deutschland. anderen gesellschaftlichen Strukturen etwas zu tun (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: So ist hat: mit dem geistig-kulturellen Umfeld, mit verfehl- es!) ter Erziehung, mit einer Verschandelung des Men- schenbildes und nicht zuletzt mit den verrohenden Verbrechensvorbeugung gelingt dann am besten, und brutalisierenden Suggestivbildern, mit denen wenn wir die Gesellschaft gegen Kriminalität immu- wir Kinderseelen überfluten und verwüsten. nisieren. Nun hören Sie gut zu, Herr Marschewski: In einer Gesellschaft jedoch, in der der soziale Zusam (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) 17070 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Otto Schily Das läßt sich auch nicht durch beschwörerische For- einzulassen, in dem Zuwanderung nicht als Verhäng- meln vom Werteverfall und ähnlichem kompensie- nis, sondern als kulturelle und wi rtschaftliche Berei- ren. cherung unseres Landes verstanden wird, das aber zugleich nicht in den wirklichkeitsfremden Irrtum (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Vor verfällt, daß unbegrenzte Zuwanderung möglich sei. allem: Wer trägt dafür die Verantwortung nach 15 Jahren?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich denke, Sie sollten die Shell-Jugendstudie ein- Innenpolitik verträgt am allerwenigsten ein Entwe- mal sehr intensiv lesen. Daß die Politik insgesamt bei der-Oder. Wer Kriminalität wirksam bekämpfen will, der Jugend an Ansehen eingebüßt hat, werden Sie muß umsichtige und umfassende Kriminalitätsvor- nicht durch Appelle ausgleichen, sondern nur durch beugung mit einer entschlossenen Bekämpfung der selbstkritische Prüfung, ob Worte und Taten in der akut auftretenden Kriminalität verbinden. Wer die Politik wirklich übereinstimmen. Verwaltung modernisieren will, sollte staatliche Bü- rokratie dort abbauen, wo es vernünftig ist, und zu- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Ruth gleich staatliche Institutionen do rt verstärken, wo sie Fuchs [PDS] - Ina Albowitz [F.D.P.]: Das gilt zur Aufgabenerfüllung besser geeignet sind. Wer aber für alle!) den inneren Frieden wahren wi ll, muß Integration - Das gilt für alle. und Steuerung der Zuwanderung als gleichgewichti- gen Bestandteil einer Gesamtaufgabe verstehen. Wir werden uns zudem fragen müssen, ob die Le- gitimationsverluste des Staates ganz allgemein nicht Eine ausgewogene moderne Innenpolitik kann von auch dadurch zustande kommen, daß eine durchgrei- dieser Bundesregierung nicht erwartet werden. Dazu fende Modernisierung der Verwaltung und des bedarf es einer Erneuerung der Politik. Dazu wird im Staatsapparates bis heute nicht gelungen ist. nächsten Jahr Gelegenheit sein. Ungeachtet vieler verdienstvoller Ansätze in den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Kommunen hat die Bundesregierung auf diesem Ge- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN biet außer zahllosen Ankündigungen so gut wie und der PDS) nichts zustande gebracht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat der Abgeordnete Klaus-Dieter Uelhoff das Wo rt. Sie versäumt die Chance, den Umzug von Bonn nach Berlin für eine grundlegende Reform auf der Bundes- ebene zu nutzen. Sie war nicht bereit, die Dienst- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Frau Präsi- rechtsreform mit einer umfassenden Reform der Ver- dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf den Regierungsentwurf zum Innenetat, waltung zu verbinden. Dadurch läßt sie- viele Mög- lichkeiten brachliegen, erhebliche Effizienzgewinne den Einzelplan 06, der immerhin 8,7 Milliarden DM zu erzielen, die den Bundeshaushalt in nicht unbe- umfaßt, eingehe, möchte ich sagen, daß die Rede, die trächtlichen Größenordnungen entlasten könnten. hier gewissermaßen als Prolog zum Wahlkampf von Ihnen, Herr Kollege Schily, gehalten worden ist, nach Von einer Bundesregierung, die offen eingesteht, einer Replik verlangt. Weil es mich in der Sache in- daß sie im letzten Jahr der Legislaturpe riode ihre Ar- teressiert, habe ich das Bundesratsprotokoll vom letz- beit einstellt und nur noch Wahlkampf betreiben wi ll, ten Freitag gelesen. kann leider eine notwendige und durchdachte Ver- waltungsmodernisierung nicht erwartet werden. Ich erinnere insbesondere Sie, der Sie hier den Ein- druck erweckt haben, als würden Sie im Kreis von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Blauäugigen reden, die ein schlechteres Gedächtnis haben, als ich Ihnen unterstelle, daran, daß im Proto- Zur Negativbilanz Ihrer Innenpolitik gehört koll zu lesen ist, wie lange man im Bundesrat bei- schließlich, daß Sie bis heute ungeachtet a ller Ver- spielsweise über das Verbrechensbekämpfungsge- sprechungen und Ankündigungen kein Konzept zur setz diskutiert hat, bei dem es um die Beschleuni Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und zur gung des Verfahrens ging. Steuerung von Zuwanderung vorgelegt haben. Wer aber die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ver- Ich habe dort nachgelesen, wie lange man über weigert, erschwert und verhindert die Integration eine Novelle zur StPO geredet hat, bei der es um die von vielen Menschen, die zu Unrecht noch Auslände- Hauptverhandlungshaft ging. Ich erinnere gerade rinnen und Ausländer genannt werden. Sie, der Sie ein Verdienst daran haben, daß es end- lich zu einer elektronischen Überwachung von Diesen Menschen wird ein Rechtsstatus vorenthal- Gangsterwohnungen kommt, daran, wie lange Ihre ten, der sie zu gleichberechtigten Bürgerinnen und Parteifreunde in den Landesregierungen im Bundes- Bürgern dieses Staates macht. Ein veraltetes, eth- rat und auch anderswo blockiert haben, bevor es nisch verortetes Staatsverständnis hinde rt Sie daran, endlich zu diesem Gesetz zur elektronischen Über- ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht zu schaffen, wachung von Gangsterwohnungen kommen konnte. in dem das Abstammungsprinzip mit dem Territorial- prinzip verbunden wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine angstbesetzte Abwehrhaltung hinde rt Sie Seit 1990 diskutieren wir doch darüber. Sieben kost daran, sich auf ein modernes Zuwanderungskonzept bare Jahre sind vergangen, bis Sie endlich Ihr sicher- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17071 Dr. Klaus-Dieter Uelhoff heitspolitisches Godesberger Programm erkannt ha- Ich hoffe, daß Herr Schröder nicht ein kreidefres- ben. sender Wolf war. Er hat die Chance, durch seine Ta- ten, zum Beispiel durch eine Änderung des Landes- Ich kann Ihnen, Herr Schily, und Ihren Parteige- polizeigesetzes in Niedersachsen, zu beweisen, daß nossen der SPD nur wünschen, daß das alles ernst er es so meint, wie er sagt. gemeint ist, so wie es Minister Kanther hier gesagt hat. Wir hoffen, daß es ernst gemeint ist. Sie haben Daß die Bundesregierung - damit komme ich zum aber dem Minister, als er die berechtigte Sorge äu- Einzelplan 06 - den Bereich der inneren Sicherheit ßerte, ob es Wahlkampfgeklingel oder wirk lich ernst sehr ernst nimmt und in Taten und ganz konkret im gemeint sei, vorgeworfen, er habe eine hochfahrende Haushalt auch in Moneten deutlich macht, können Rede gehalten. Sie, Herr Kollege Schily, haben eine Sie daraus entnehmen, daß sogar mehr als ein Drittel unglaublich arrogante und hochfahrende Rede ge- dieses Etats für den Bereich der inneren Sicherheit halten und überhaupt nichts von dem verstanden, ausgegeben wird. was Minister Kanther hier gesagt hat. Der Bundesgrenzschutz und das Bundeskriminal- (Beifall bei der CDU/CSU) amt sind die Herzkammern des Etats beim Bereich der inneren Sicherheit. Es gibt eine Steigerung in Sie haben dem Minister abgesprochen, daß er sich diesen Bereichen, die überdimensional ist, weil es als über die Werte geäußert hat. Die Werte, um die es notwendig erkannt worden ist. Wir haben eine Stei- geht, sind leider in der Folge der Jahre uni 1968 in gerung in diesem Bereich des Innenetats von 3,1 Pro- Mißkredit geraten. Ich frage Sie: Wie haben Sie es zent, der im übrigen - wie auch anderswo - sehr denn gehalten, als Sie von Gewalt gegen Sachen und sparsam ausgefallen ist. Personen geredet haben? Haben Sie nicht mit dazu beigetragen, daß es hier zu diesem feinen Unter- Wir haben beispielsweise im Gegensatz zu Nieder- schied und zu einer Verschiebung kommt? Ich frage sachsen in den letzten fünf Jahren 5 400 neue Plan- Sie danach. stellen für BGS-Beamte bekommen, so daß man jetzt etwa bei der Zahl von 30 000 ist, wie sie der Bund mit Ich könnte Ihnen noch andere Beispiele nennen. der Innenministerkonferenz der Länder vereinbart Aber ich will Ihnen nur das eine sagen: Ich hoffe mit hat. Wir haben durch übereinstimmende Beschlüsse dem Bundesminister Kanther und den Freunden der im Haushaltsausschuß auch bei den Beförderungen Koalition, daß das, was jetzt angeleiert worden ist, Nachbesserungen ermöglicht, so daß etwa 22 000 Be- auch im Bundesrat, was do rt von den Ministerpräsi- förderungen beim Bundesgrenzschutz in den letzten denten in erfreulicher Übereinstimmung gesagt wor- Jahren möglich waren und damit auch erheblich zur den ist, ernst gemeint ist. Motivation der Beamten beigetragen worden ist. (Abg. Otto Schily [SPD] meldet sich zu einer Aber ich will in diesem Zusammenhang kritisch Zwischenfrage) deutlich machen: Der Bundesgrenzschutz ist in sei- - Nein, vorläufig lasse ich keine Zwischenfrage zu. ner Planstellenfiguration noch nicht da, wo die Län- Ich will noch einiges sagen. derpolizeien sind. Es wird eine wesentliche Aufgabe auch der nächsten Jahre sein, in dieser Richtung - (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD]) wie wir es übrigens in den letzten drei Jahren sehr - Entschuldigen Sie einmal, ich spreche gerade. Ich übereinstimmend im Haushaltsausschuß und mit den möchte meine Ausführungen zu Ende bringen. Innenpolitikern gemacht haben - fortzufahren. Ich will Ihnen noch eines sagen. Es ist davon gere- Ich meine, die Kritiker müssen sich schon die Frage det worden, der niedersächsische Ministerpräsident gefallen lassen, welches Bundesland in vergleichba- sei vom Saulus zum Paulus geworden. Ich kenne rer Weise seine Anstrengungen für die Landespolizei mich ein bißchen in der Bibel aus. Ich erinnere daran, in den letzten Jahren so verstärkt hat, wie es der daß Saulus von Tarsos auf dem Wege nach Damaskus Bund bei dem Bundesgrenzschutz getan hat. vom Blitz getroffen wurde und, als er dann wieder In diesem Zusammenhang möchte ich bei der Be- aufwachte, erkannte, daß er im vergangenen Leben ratung des Einzelplans 14 die großartige Leistung völlig falsch gearbeitet hat und etwas völlig Neues der Bundeswehr bei der Erhaltung der Dämme an machen wollte. der Oder würdigen. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) (Otto Schily [SPD]: Das haben wir schon Ich bin noch nicht bereit, den Ministerpräsidenten getan! - Gegenruf der Abg. Ina Albowitz von Niedersachsen mit Paulus zu vergleichen. [F.D.P.]: Das machen wir noch einmal!) (Zurufe des Abg. Otto Schily [SPD]) Ich möchte für sie alle deutlich machen, daß wir mit großem Respekt und großer Anerkennung den Be- Ich will es etwas konkreter sagen. Mich erinnert dies amten des Bundesgrenzschutzes, die auch über die an Grimms Märchen. Ich erinnere Sie an das Mär- grenzschützende Tätigkeit hinaus an der Oder ihre chen vom Wolf und den sieben Geißlein, in dem ein Pflicht getan haben, genauso danken wie den haupt- kreidefressender Wolf auftauchte, der eine verhee- amtlichen und ehrenamtlichen Helfern des Techni- rende Wirkung auf die sechs Geißlein hatte, die sich schen Hilfswerks. hinterher im Magen des Wolfes wiederfanden. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der (Beifall bei der CDU/CSU) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17072 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gab Dies ist deshalb sehr wichtig, weil es in der Frage im Bundesrat eine erfreuliche Diskussion zum Thema des Haushalts und der Haushaltsberatungen zu einer innere Sicherheit. Ich hoffe, daß jetzt seitens der So- gravierenden Änderung kommen wird. Die größere zialdemokraten im Bund und in den Ländern Taten Flexibilisierung besagt nämlich, daß mehr Verant- folgen. wortung vor Ort möglich gemacht wird, daß der ein- zelne Mitarbeiter, die einzelne Verwaltungseinheit Ich will aber, da wir uns hier über den sehr viel selbstverantwortlicher mit dem Geld der Einzelplan 06 unterhalten, nicht nur etwas über das Steuerzahler umgehen können. Um nur drei Kern- eine Drittel innere Sicherheit - so wichtig es ist - punkte zu nennen: erstens volle Deckungsfähigkeit sagen, sondern ein weiteres wichtiges Problem an- innerhalb von verschiedenen Hauptgruppen - etwa sprechen, das den Innenetat belastet. Immerhin sind Personalausgaben, sächlichen Ausgaben und Bau- 50 Prozent der Ausgaben do rt für Personal vorge- maßnahmen -, zweitens Deckungsfähigkeit in Höhe sehen. Dies ist in einem Bereich, in dem die Ver- von 20 Prozent zwischen den Hauptgruppen und waltung eine große Rolle spielt, eine normale Ange- - das ist ganz wichtig - drittens die überjährige Ver- legenheit. Aber ich finde, daß es zwei große Problem- fügbarkeit nicht in Anspruch genommener Haus- bereiche gibt, nämlich die Gauck-Behörde und das haltsmittel. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt Bundesamt für die Anerkennung ausländischer gegen das Dezember-Fieber, das wir in unseren Ver- Flüchtlinge, BAFI. Zu dem Zeitpunkt, als sie gegrün- waltungen immer wieder mit Recht beklagt haben. det wurden, hatten sie einen riesigen Personalbedarf. Durch die Übertragung der Verantwortung vor O rt, Nachdem es endlich zu einem vernünftigen Asyl- durch die größere Flexibilisierung wird nicht nur ein recht gekommen war, bestand ziemlich schnell nicht effektiveres, sondern auch ein wi rtschaftlicheres Ver- mehr die Notwendigkeit eines so hohen Beamtenbe- waltungshandeln geradezu herausgeforde rt. Der Be- satzes. Der Bundesinnenminister sitzt allerdings auf richt des Bundesrechnungshofs war dazu sehr erfreu- einem beachtlichen Sockel von Planstellen, die er lich. 100 Millionen DM Effizienzrendite, dies ist das nicht ganz schnell loswerden kann. Es ist - wahr- im Innenetat allein dadurch freigemachte Sparpoten- scheinlich für den gesamten Bereich dieser Bundes- tial. regierung - vorbildlich gewesen, mit welch einer Pe- netranz - ich bezeichne das einmal so - und mit Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine welch einer verbindlichen Konsequenz der Bundes- letzte Bemerkung zu einem weiteren Punkt machen, innenminister die Personalpolitik in seinem Hause der weit von der inneren Sicherheit entfernt ist, aber gefahren hat. in dem der Bund doch deutlich macht, daß auf ihn dann, wenn es um Kulturförderung geht, Verlaß ist. Wir können mit Freude feststellen, daß dem Willen des Parlaments, 1,5 oder gar 2 Prozent Planstellen ab- Wenn der von mir sehr geschätzte Hans Zender, zubauen, im Bundesinnenministerium mit großem ein Musiker, ein namhafter Komponist und Dirigent, Erfolg entsprochen worden ist. neulich bei der Verleihung des Goethe-Preises in - Frankfurt als die beiden Hauptgegner der Kulturpoli- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr tik: die Medien und die öffentliche Haushaltspolitik wahr!) nannte, hatte er bezüglich der Unterhaltungsindu- Wir haben im Bereich des Einzelplans 06 in den letz- strie sicher recht. Ich bin davon überzeugt, daß Fern- ten fünf Jahren einen Abbau von 226 Stellen zu ver- sehen und Videos überhaupt nicht so viel Kultur ver- zeichnen. mitteln können, wie sie gleichzeitig zerstören. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Bei der Aber hinsichtlich der staatlichen Kulturpolitik und Bundestagsverwaltung müssen wir auch der Mittelkürzung beim Bund hat er nicht recht. noch abbauen!) Denn wir haben uns vor drei Jahren auf eine Budge- tierung von etwa 690 Millionen DM verständigt. Der Es ist durchaus aller Anerkennung we rt, daß ein Mi- Bund fühlt sich für die Stiftung Preußischer Kultur- nisterium deutlich gemacht hat: 226 Stellen weniger, besitz, für die Flaggschiffe, diese hervorragenden so wie es der übereinstimmende Wunsch des Parla- Einrichtungen in den neuen Bundesländern - gerade ments war. Herr Minister, ich glaube, ohne Ihre Kon- sind die Luther-Stätten Weltkulturerbe geworden -, sequenz und Penetranz wäre dies so nicht möglich in der Verantwortung. Hier läßt er auch niemanden gewesen. hängen. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Denkmal- NEN]: Das stimmt!) schutz mit 45 Millionen DM. Noch niemals hat es in Wir haben darüber hinaus einen Etat in einer Figu- Deutschland einen so hohen Ansatz für Denkmal- ration, wie er bisher nicht gewesen ist, nicht nur im schutz gegeben. Wir werden uns bemühen, das Einzelplan 06, sondern auch sonst. Denn es gibt, aus- „Dach-und-Fach-Programm", das wir gemeinsam gehend von den Erfahrungen, die wir mit der Budge- vor zwei Jahren zum Schutz von heruntergekomme- tierung insbesondere im Innenetat gemacht haben, nen, restaurierungsbedürftigen Einrichtungen in den jetzt eine Flexibilisierung über den gesamten Bun- neuen Bundesländern auf den Weg gebracht haben, deshaushalt, so wie er im Entwurf des Haushaltsge- so weiterzufahren wie bisher. setzes 1998 und auch in dem hier in den nächsten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wochen zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund Gerade bei der Kulturpolitik hat der Einzeletat 06 und Ländern vorgesehen ist. schon in der Vergangenheit bewiesen, daß sich der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17073 Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Bund seiner Verantwortung in dem Rahmen, den der nalität ist, hätten besser erst vor der eigenen Tür ge- Bund für die Kulturpolitik hat, nicht entzieht. Er wird kehrt, bevor Sie in platter Weise nach dem eisernen dies kontinuierlich fortsetzen. Wir verstehen uns Besen in Bonn rufen. nicht nur als Kulturnation, sondern sind auch bereit, die materiellen Sicherheiten dafür zu geben. Wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, es im einzelnen noch Verbesserungsmöglichkeiten bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gibt, werden wir diese in den Haushaltsberatungen - Ich glaube, der Beifall von Ihnen kommt ziemlich sicher im einzelnen nutzen. falsch. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Die Rede (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ist gut! Jetzt müßtet ihr nur sagen: Wählt CDU!)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das - Warten Sie nur ab, Sie kommen auch noch dran. - Wort dem Abgeordneten Rezzo Schlauch. Dann hätten Sie sich vielleicht auch einmal darüber kundig machen können, daß in den letzten Jahren 40 Gesetze verabschiedet wurden, die alle an der Re- Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): pressionsschraube gedreht haben. Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Man kann eigentlich die Uhr danach stellen: Wenn (Ina Albowitz [F.D.P.]: 39!) von den politischen Marktschreiern die innere Si- cherheit in die Öffentlichkeit gepuscht wird, dann ist Das hat zur Folge, daß es kein Defizit in der Gesetz- Wahlzeit, dann wird auf Teufel komm raus gehobelt, gebung gibt - wir haben ja eine Inflation von Geset- und dann fallen grobe Späne. Diese bewirken alles, zen -, sondern, wenn überhaupt, ein Defizit im Voll- nur keine seriöse Diskussion und noch viel weniger zug. Ich bin mit vielen Polizeipräsidenten in dieser Sicherheit für die Bürger. Republik einig, die sagen, daß ein noch mehr an Si- cherheit nur durch verstärkte Prävention, nur durch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vorbeugung zu erreichen ist. Es ist wichtiger - dahin gehend müssen wir unsere politischen Kräfte bün- Oft bewirken sie das Gegenteil von dem, was mit deln -, daß ein Delikt nicht begangen wird, als daß es ihnen beabsichtigt wird. Die kostbaren Wählerstim- zur Freude der Polizei aufgeklärt wird. men, die man auf seine Schultern schaufeln will, lan- den nämlich ganz woanders. So ist es in Baden-Würt- Meine Damen und Herren, den Menschen, die von temberg geschehen, wie viele von uns wissen. Kriminalität bedroht sind und sich bedroht fühlen, helfen Sie mit dem Lauschangriff nicht. Die Alltags- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ist das kriminalität vom Handtaschenraub bis zum Woh- jetzt Bundespolitik?) nungseinbruch kann man nur durch Präsenz von Sie können eben nicht wie Herr Schröder- den Polizei auf den Straßen in Verbindung mit präventi- durchreisenden Drogendealer mit 4 Kilogramm He- ven Maßnahmen im Stadtviertel in den Griff bekom- roin mit dem hier in Deutschland geborenen auslän- men. Was passiert aber beispielsweise bei all denje- dischen Jugendlichen mit ausländischem Paß, der nigen, die nach mehr Polizei rufen? Beispielsweise hier aufgewachsen ist, eine Lehrstelle durchlaufen bei der Großen Koalition in Berlin wird Polizeiprä- hat und wie seine deutschen Altersgenossen in sei- senz abgebaut; man erhält nicht den Bestand. ner Jugendzeit mal eben auf die schiefe Bahn gerät, Auch New York hilft nicht viel weiter. Der bei den vergleichen und über einen Kamm scheren. Wir kön- konservativen Innenpolitikern in Mode gekommene nen doch nicht die Strafe für ein Fehlverhalten der Begriff der Nulltoleranz entblößt nur die Doppelzün- hier in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen gigkeit der Konservativen. Wenn es darum geht, Ver- von Eltern ausländischer Herkunft davon abhängig kehrsdelikte, das Zuparken von Rad- und Gehwegen machen, welchen Paß der Betreffende nun gerade oder Geschwindigkeitsüberschreitungen, zu verfol- hat. gen, dann tönt der konservative Chor: Mehr Tole- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ranz, mehr Großzügigkeit, weniger staatliche Ein- bei der SPD, der PDS und der F.D.P.) griffe! Meine Damen und Herren, wenn in Hamburg ei- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ner durch die Stadt tingelt und ruft, die Kriminalität GRÜNEN]: Alkohol am Steuer!) sei zu hoch, wir brauchten neue Gesetze, um die Ver- Noch schräger wird es, wenn der Rechtsprotago- brecher fassen zu können, und wenn er gleichzeitig nist Gauweiler einem Herrn Krenz, der wegen Tot- die Staatsanwaltschaft unterbesetzt und ganze Stadt- schlags verurteilt wurde, die höchste Form der Tole- teile sozial verelenden läßt, weil er lieber nach den ranz in Gestalt der Begnadigung zukommen lassen Pfeffersäcken schielt, dann werden ihm solche ideo- will. Das, meine Damen und Herren Konservative, ist logischen Kampagnen auf die eigenen Füße fallen. keine Kriminalpolitik. Das ist Willkür und Unbere- Der Kandidat aus Hamburg, der in seinem eigenen chenbarkeit, die es in einem Rechtsstaat eigentlich Kiez mit einer hausgemachten und im Vergleich zu nicht geben sollte. anderen Großstädten erschreckend niedrigen Auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klärungsquote bei dem Delikt Raub aufwartet, und der Kandidat aus Hannover, einer Stadt, die offen- Es liegt auf der gleichen Ebene, wie wenn die PDS in sichtlich führend in der Statistik über Jugendkrimi Hamburg Plakate mit dem Sp ruch „Soldaten sind 17074 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Rezzo Schlauch Mörder" klebt und man darunter kleben müßte: stein gemacht? Warum haben Sie es vorher nicht in „Aber Krenz' Soldaten nicht". Niedersachsen gemacht?

Herr Kanther, Sie beklagen den Werteverfall und (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr -verlust. Es muß Ihnen im Echo zurückschallen. Wer wahr!) betreibt denn einen gnadenlosen Modernisierungs- Da haben Sie Polizeigesetze abgeschafft. kurs ohne Rücksicht auf Verluste? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Thomas Krüger [SPD]: Nicht so leise!) GRÜNEN]: Die haben doch keine Polizeige Wer höhlt denn die Solidargemeinschaft aus? Wer setze abgeschafft!) predigt ständig: Das Recht des Stärkeren soll sich Und jetzt Ihr Ministerpräsident - das bringt uns in durchsetzen? Wer hat denn den Fernsehkanälen für dieser Republik nicht weiter und hängt den Leuten Sex and Crime durch die Unterwerfung der Rund- inzwischen zum Hals raus. Ich sage Ihnen das in aller funklandschaft unter die Marktgesetze den Weg be- Deutlichkeit. reitet? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das erste Thomas Krüger [SPD]: Ich dachte, denen und das zweite Programm sind auch nicht hängt die F.D.P. zum Halse raus!) besser!) - Herr Krüger, zu Ihnen oder zur SPD komme ich Das waren doch Sie mit Ihrer Regierung. Das können jetzt. Sie doch jetzt nicht beklagen. Jetzt ist Herr Schily weg, und er hat sich dafür (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - auch entschuldigt. Das ist akzeptabel. Ich würde Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Es ist doch trotzdem gern zwei Bemerkungen machen. dieselbe Wichse im ersten und zweiten Pro- gramm!) Erstens möchte ich ihm danken für seine eindeu- tige Haltung und die der SPD-Bundestagsfraktion, Die Mehrheit in diesem Hause hat hierfür offen- für die er geredet hat, zur Strafmündigkeit von Kin sichtlich überhaupt kein Gespür. -dern.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Bei (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. „Eurosport" gibt es kein Sex and Crime!) Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU])

Sie setzt auf alte, abgedroschene Rezepte. Wir wer- Ich finde das, was Herr Schröder im Bundesrat erklärt hat, völlig inakzeptabel. Es ist ein Armuts- den uns an diesen ideologischen kriminalpolitischen- Schlachten von gestern nicht mehr beteiligen. Wir zeugnis für einen Mann, der offensichtlich selber wollen die präventiven Instrumente ausbauen. Wir keine Kinder hat und nicht weiß, wie man damit um- wollen die jugendlichen Delinquenten tatnah und geht. Das wird er vielleicht noch irgendwann lernen. ohne Zeitverzögerung den Prozessen zuführen. Wir Soll das das einzige Mittel der Gesellschaft sein, wollen die völlig fehlgeschlagene und in hohem wenn Eltern versagen, wenn die Gesellschaft versagt Maße Kriminalität verursachende Drogenpolitik re- und möglicherweise auch die Schule versagt? Ich formieren. Wir wollen eine aktive Sozialpolitik betrei- denke, das trägt nichts bei. ben. Das ist nämlich die beste Vorsorge gegen wach- Der zweite Punkt: Lauschangriff. Ich sage das jetzt sende Jugendkriminalität. auch für Herrn Schily zu Protokoll. Die SPD hat das ganz flott auf einem Parteitag beschlossen. Meine Danke schön. Partei hat sich außerordentlich schwer mit diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thema getan. Ich finde, es ziert eine Partei, wenn sie sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sich bei einem so massiven Eingriff in die Grund- SPD und der PDS) rechte der Menschen mit einem Thema schwertut. Wir haben einen Mitgliederentscheid herbeigeführt, und wir haben lange in einer großen Koalition ver- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das handelt. Aber daß man sich jetzt hier hinstellt und Wort der Abgeordneten Ina Albowitz. den Innenminister prügelt und dabei selber schon weiß, daß mindestens vier Bundesländer, wo Koalitio- nen regieren, die Koalitionsklausel ziehen werden, Ina Albowitz (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen kann ich nicht akzeptieren. und Herren! Herr Schlauch, das war schon ganz (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schön dramatisch, was Sie a lles vorgetragen haben - vor allen Dingen wie. Aber ich frage mich vor allem Der innere Frieden einer Gesellschaft beruht aber bei dem letzten Teil Ihrer Ausführungen, warum Sie auf der Freiheitlichkeit ihrer Rechtsordnung, ebenso das alles bis jetzt nicht getan haben. Sie tragen, wie beim Schutz von Leib und Leben und Eigentum wenn ich das richtig sehe, in vier Ländern Verantwor- der Bürger, nämlich auf den Grundrechten. tung mit, unter anderem in Nordrhein-Westfalen, in Hessen, in Sachsen-Anhalt. Warum tun Sie das da (Beifall des Abg. Wolfgang Zeitlmann nicht? Warum haben Sie es nicht in Schleswig-Hol [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17075

Ina Albowitz Kriminalität ist ein Verstoß gegen die Zivilisation, windows” -Programm ist inzwischen eines, mit dem dem sich der Rechtsstaat mit allen zur Verfügung man sich ernsthaft auseinandersetzen kann. stehenden Mitteln entgegenstellen muß. Aber im Gegensatz zu zahlreichen Vertretern anderer Par- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das gab teien greifen die Liberalen das Thema innere Sicher- es bei euch schon vor der Gründung von heit nicht erst dann auf, wenn die nächste Wahl vor New Amsterdam!) der Tür steht; dazu ist heute schon viel gesagt wor- den. Diese Problematik steht bei uns ständig auf der - Genau, Herr Kollege Marschewski. Tagesordnung. Allerdings beschäftigen wir uns mit ihr in einer angemessenen und verantwortungsvollen Auch in haushaltsmäßiger Hinsicht haben meine Art. Für eine erfolgreiche liberale Innenpolitik gibt es Partei und meine Fraktion alles, was der Verbesse- zahlreiche Beweise. Sie hat nämlich die Geschichte rung der inneren Sicherheit dienen konnte, mitgetra- dieser Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt. gen oder angeregt. Ob es sich um die Neuorganisa- tion des BGS, des BKA, den Aufbau einer schlagkräf- Die Lufthoheit über den Stammtischen zu erringen tigen europäischen Polizei oder die Ausrüstung die- und Ängste zu schüren war nie unsere Sache. ser Behörden mit modernster Technik handelt, die F.D.P. hat sich dafür immer stark gemacht. Die Brem- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ist ser saßen häufig woanders, und zwar in den Ländern. es!) Auch das wissen wir. Natürlich freuen wir uns besonders, wenn sich Statt dessen haben wir uns intensiv mit Lösungsmög- auch der Bundesinnenminister unserer Meinung an- lichkeiten auseinandergesetzt. Das war oft schwierig schließt. Ich nehme das jetzt für uns in Anspruch. Ge- genug für die eigene Partei. Was an gesetzgeberi- nau wie er jetzt sind wir nämlich schon seit langer schen Maßnahmen notwendig war, haben wir auf Zeit der Meinung, daß unsere Gesetze zur Verbre- den Weg gebracht oder mitgetragen, oft nach schwe- sehr gut und ausreichend sind. rem Ringen. Hätten sich andere Verantwortungsträ- chensbekämpfung Das Problem in unserem Land besteht nicht in den ger beim Bund und in den Ländern einige unserer gesetzlichen Grundlagen, sondern in ihrem Vollzug. Ideen früher zu eigen gemacht, wäre das, was Herr Kanther heute als neue Form der Verbrechensbe- Davon abgesehen kann sich die gesetzgeberische kämpfung vorschlägt, längst gang und gäbe. Herr Arbeit der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. zur Kanther, das war so auch vor Ihrer Zeit als Bundesin- Verbesserung der Strafprozeßordnung wirklich se- nenminister. hen lassen. In dieser und in der letzten Legislaturpe- riode haben wir eine Vielzahl von Gesetzen verab- Schließlich fordern wir seit langem den Ausbau schiedet, um vorhandene Lücken zu schließen und von Prävention und Bürgerbeteiligung. In unserem um auf neue Formen der Kriminalität zu reagieren. Thesenpapier zur inneren Sicherheit von- 1993 kön- Wend man die einzelnen bundesgesetzlichen Maß- nen Sie das alles nachlesen: die Einrichtung soge- nahmen seit 1991 zusammenzählt, dann kommt man nannter kriminalpräventiver Räte - Herr Schily hat zur Zeit auf die stattliche Anzahl von 39 und nicht eben gesagt, das geschehe längst; das geschieht auf 40, Herr Schlauch. Die 40. Maßnahme müssen längst nicht in allen Bundesländern - wir erst noch verabschieden. Darunter sind so wich- tige wie das Geldwäschegesetz, das Verbrechensbe- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ kämpfungsgesetz, das kürzlich beschlossene Korrup- NEN]: In Schleswig-Holstein ist es zum Bei tionsgesetz oder die Hauptverhandlungshaft, die wir spiel flächendeckend!) gegen den massiven Widerstand der SPD durchge- setzt haben. - ich sage ja: Es passiert nicht in allen; Herr Schlauch, es passiert zum Beispiel nicht in Bayern; wir reden ja Es zeugt im übrigen auch nicht von innerer Über- von allen Bundesländern - zeugung eines Landes, wenn man, bevor die erlasse- nen Gesetze ihre Wirkung überhaupt entfalten kön- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ nen, schon wieder nach neuen ruft. NEN]: Vorhin haben Sie gesagt: In Schles wig-Holstein passiert nichts!) (Beifall bei der F.D.P.)

- das habe ich nicht gesagt -, Die Kriminalitätsbekämpfung krankt nicht an man- gelnden gesetzlichen Möglichkeiten, sondern an (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Vollzugsdefiziten. Was nützen neugeschaffene NEN]: Sie haben gesagt: Tun Sie es da!) Methoden wie das beschleunigte Verfahren, wenn sie in manchen Ländern so gut wie überhaupt nicht die Modernisierung und Neuorganisation der Poli- angewandt werden und wenn die Bürger wegen der zei, um mehr Bürgernähe und Polizeipräsenz auf den schleppenden Fallbearbeitung bei den Länderjustiz- Straßen zu erreichen, zusätzliche Stellen und techni- behörden den Eindruck gewinnen müssen, daß sche Aufrüstung usw. Strafe nicht mehr auf dem Fuß folgt?

Was jetzt als besondere Erfindung der New Yorker Interessanterweise gibt es gerade bei denjenigen Polizei zur Nachahmung empfohlen wird, steht schon Ländern die größten Vollzugsdefizite, deren oberste seit Jahren in unseren Konzepten. Das „Broken Repräsentanten sich in den letzten Wochen und 17076 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Ina Albowitz Monaten mit law-and-order-Parolen als Seelenver- Ich möchte gerne noch einmal ganz kurz auf Pro- käufer betätigt haben. fessor Pfeiffer zurückkommen, weil mir der Präsident das erlaubt hat. Er stellt den Großstädten Hamburg (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist und Hannover in puncto innere Sicherheit ein ver- doch einfach Schwachsinn!) nichtendes Zeugnis aus. Was wir in diesem Landjetzt - Frau Kollegin, ich bitte Sie, lesen Sie sich nur ein- brauchen - damit komme ich zum Schluß, Herr Präsi- mal das Protokoll der Sitzung des Bundesrates in der dent -, ist eine kluge Mischung aus innerer Liberali- letzten Woche durch. Dann fällt Ihnen nichts mehr tät, Toleranz und rechtsstaatlicher Härte bei der Ver- ein. Der in den letzten Tagen so viel zitierte Professor brechensbekämpfung. Wir Liberale werden das wie Pfeiffer stellt den Städten Hamburg und Hannover bisher unterstützen, wo wir nur können; denn für uns ein vernichtendes Zeugnis in puncto innere Sicher- sind Freiheit und Sicherheit zwei Seiten derselben heit aus. Medaille. Danke. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin Albowitz, Ihre Redezeit ist eigentlich beendet, aber (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) würden Sie noch eine Frage zulassen und dann zum Schluß kommen? Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort der Abgeordneten Ulla Jelpke. Ina Albowitz (F.D.P.): Ja, wenn ich dann zum Schluß noch einen Satz sagen darf. Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön, und Herren! Herr Innenminister, mir kommt es so Frau Däubler-Gmelin. vor, als versuchten dieser Tage nicht nur Sie, sondern auch die Herren Stoiber, Schröder und Voscherau, sich gegenseitig unter den Tisch zu saufen, was den Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ich habe doch gar nichts dagegen, wenn Sie hier den Namen Schröder innenpolitischen Stammtisch angeht. Anders kann fünfmal bringen. Das macht ihn bei denen nur noch ich auch die Art, wie Sie hier weiter diskutieren, bekannter, bei denen er es noch nicht ist. nicht nachvollziehen. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Aber nicht Sie haben heute zwar häufig dieses Hamburger in diesem Hause! Da kennt ihn doch jeder!) Plakat angesprochen, das jeder kritisieren mag. Aber dieses Plakat wird in Hamburg bei weitem nicht so Wenn Sie sich einmal die vom Bundesinnenmini- kritisch gesehen wie die Kampagne, die Sie hier mit sterium herausgegebenen Zahlen im Jahresbericht Ihrer Politik und den genannten Innenministern bzw. zur Kriminalitätslage in der Bundesrepublik- Deutsch- dem Bürgermeister von Hamburg ausgelöst haben. land anschauen und wenn Sie dann nicht nur auf die Sie haben erreicht, daß Rechtsextremisten in Ham- Bereiche schauen, in denen die Straftaten tatsächlich burg, wo genau diese Vorstellungen eine Akzeptanz zurückgegangen sind, sondern in denen insbeson- finden, mit solchen Plakaten auftreten können. Ich dere die Aufklärungsquote - also eine reine Länder- meine, daß letztendlich Sie dafür verantwortlich sind, vollzugsangelegenheit - gestiegen ist, dann können daß Rechtsextremisten und Neofaschisten in den Sie feststellen, liebe Frau Kollegin, daß Sie Ihre The- Städten wieder so frech Plakate kleben. sen einfach nicht halten können. Darauf wollte ich Sie aufmerksam machen. Eine traurige Nachricht in diesem Zusammenhang ist - sie sollte von solchen Auseinandersetzungen nicht losgelöst gesehen werden -, daß im ersten Ina Albowitz (F.D.P.): Ich danke Ihnen sehr. Trotz- dem bin ich anderer Auffassung. Möglicherweise Halbjahr die Zahl der Anschläge von Rechtsextremi- trennt uns das, Frau Kollegin. sten mit antisemitischem Inhalt wieder angestiegen ist. Das sollte man sich einmal vergegenwärtigen. (Zuruf des Abg. Erwin Marschewski [CDU/ CSU] - Gegenruf der Abg. Dr. Herta Däub Ich möchte in diesem Zusammenhang zu zwei wei- ler-Gmelin [SPD]) teren Punkten Stellung nehmen. Die Bundesregie- rung läßt wirklich keine Möglichkeit aus, das soziale - Sie können gegenseitig die Argumente austau- Netz zu zerschneiden. Innenminister Kanther hat schen, dann kann ich mir das sparen und zu meinem auch heute wieder deutlich gemacht, daß er dieses Konzept reden. Ich dachte, die Frage sei an mich durch ein Sicherheitsnetz ersetzen möchte. Zusam- gerichtet gewesen. men mit seinen sozialdemokratischen Kollegen aus (Zuruf der Abg. Dr. Herta Däubler-Gmelin Niedersachsen, Bremen und Hamburg - ich denke, [SPD]) da ist die Diskussion längst weiter, als hier teilweise auch vom Kollegen Schily getan wird - will Innen- - Ich hatte den Eindruck, Frau Kollegin, Sie waren an minister Kanther den Bundesgrenzschutz auf die meiner Antwort nicht interessie rt. Jagd nach den sozialen Verlierern Ihrer neoliberalen (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Da irren Politik schicken. Gemeint sind Ausländerinnen und Sie!) Ausländer, Jugendliche, Bettler und Obdachlose. Die PDS hält überhaupt nichts von dieser Kampagne, die Ich fahre mit meiner Rede fort. Sie jetzt à la New York starten wollen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17077

Ulla Jelpke Der zweite Punkt. In einer faktisch großen Koali- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, tion wollen CDU/CSU und SPD den großen Lausch- Sie müssen zum Schluß kommen. angriff einführen. Von Herrn Schily ist heute sehr plastisch dargelegt worden, warum man in einer gro- Ulla Jelpke (PDS): Ja. ßer Koalition zunächst das Grundrecht auf Asyl ge- killt hat und jetzt auch die Unverletzbarkeit der Woh- Keinerlei Initiativen sind hier wahrzunehmen. Wir nung killen wird, obwohl doch die Argumentation haben ja noch eine Beratung im Innenausschuß. sehr hanebüchen war, die Kollege Schily vorgetragen Aber dieses Versprechen sollte die SPD auf jeden hat. Fall einhalten, weil es nicht angehen kann, daß Organisationen, die weiterhin die Auschwitzlüge All dies muß man in dem Zusammenhang sehen, und rassistisches Gedankengut verbreiten, so viel daß dies im Jahr des Antirassismus stattfindet. Dieses Geld erhalten. Jahr ist meiner Meinung nach zu einer Farce gewor- den, wenn man sieht, welche Taten der Hauptkoordi- Danke. nator, Innenminister Kanther, der dafür verantwort- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ lich ist, in diesem Jahr vollbracht hat, zum Beispiel DIE GRÜNEN) die Einführung der Kindervisa-Verordnung und das Asylbewerberleistungsgesetz. Dadurch werden die Leistungen an Flüchtlinge unter das Niveau der So- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Weitere Wort- zialhilfe gedrückt. Die CSU will die Erteilung von Ar- meldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht beitserlaubnissen zudem erneut verschärfen. vor. Wir kommen dann zu den Einzelplänen 07 und 19, Es ist darauf hinzuweisen, welche Verschlechte- Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Ju- rungen vor der Sommerpause im Bereich der Auslän- stiz. Das Wort hat der Bundesminister Professor Dr. dergesetzgebung , insbesondere die Verschlimmbes- Edzard Schmidt-Jortzig. serung für nichtdeutsche Ehefrauen bzw. Partner in § 19 des Ausländergesetzes, durchgesetzt wurden. Nichts hat sich im Bereich der Staatsbürgerschaft Dr. Edzard Schmidt -Jortzig, Bundesminister der getan. Ich frage mich, welchen Beitrag es überhaupt Justiz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! zum Jahr des Antirassismus gibt. Meine Herren! Es wird zwar behauptet, Haushaltsbe- ratungen seien dieser Tage nicht unbedingt vergnü- Statt dessen - das hat Herr Kanther hier stolz aus- gungsteuerpflichtig. Das mag zutreffen, wenn man geführt - sind die Mittel entsprechend gestiegen, den Blick auf die in der Tat schwierige Haushaltslage wenn es darum geht, die Grenzen abzuschotten. Al- richtet. Aber es trifft überhaupt nicht zu, wenn man lein beim BGS sind seit 1992 die Ausgaben um zwei die Leistungsbilanz der Bundesregierung betrachtet, Drittel, also um 60 Prozent, gestiegen. jedenfalls im Bereich der Rechtspolitik. - In den letzten Jahren hatten wir folgende Politik: (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS Erst schickt man die Vietnamesen weg. Dann müssen SES 90/DIE GRÜNEN) die Bürgerkriegsflüchtlinge nach Bosnien-Herzego- Gerade im Bereich der Rechtspolitik - darüber wol- wina zurück. Jetzt sollen es die palästinensischen len wir in dieser schönen Isolierung hier sprechen, Flüchtlinge sein. Man fragt sich, wer die nächsten obwohl die Fußballübertragung begonnen hat - hat sein werden. die Koalition nämlich eine Vielzahl von Reformen auf Zum Schluß möchte ich einen weiteren Punkt an- den Weg oder sogar schon ans Ziel gebracht. Ich will sprechen, der immer wieder von mir angeführt wird, nur die Kindschaftsrechtsreform, die umfassende wenn es um die sogenannten Minderheiten in Ost- Strafrechtsreform sowie die Reformen im Handels- und Transportrecht herausgreifen. Mit diesen Arbei- europa geht. Die Vertriebenenverbände werden auch in diesem Jahr wieder 170 Millionen DM ten bieten wir in der Rechtspolitik dem Bürger das, bekommen. Zum Teil ist das für die Aussiedler und was er eigentlich erwartet, nämlich Lösungen statt Aussiedlerinnen natürlich nicht zufriedenstellend. Blockade. Sie haben im übrigen dazu aufgerufen, anläßlich der Eine gute Gesetzgebungsarbeit alleine genügt Bundestagswahlen die Republikaner zu wählen, weil aber nicht. Darauf hinzuweisen ist gerade in diesen die Bundesregierung ihren Forderungen zuwenig Tagen der lauten Töne ganz angebracht. Ein Rechts- nachkommt. staat kann seine friedensstiftende Funktion nur erfül- len, wenn er auch im Alltag der Bürger präsent ist. Es geht, wie Sie wissen, beispielsweise um die Angriffe der Vertriebenenverbände auf den Bundes- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) präsidenten Herzog, der am „Tag der Heimat" als Nicht ein abstraktes Gedankengebäude, nicht eine „Vaterlandsverräter" beschimpft worden ist. Ich noch so gerechte Rechtsordnung, nicht eine ausge- möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, wogene gesetzliche Regelung allein machen einen daß die SPD - der Kollege Körper, der leider nicht Rechtsstaat aus. Erst die konsequente Anwendung mehr da ist - dies zum Anlaß genommen hat, zu dieser Rechtsordnung im Einzelfall schafft Vertrauen. sagen, daß man genau prüfen werde, ob Verbände, die rechtsextremistische Aussagen machen bzw. Pro- Ich will dies zunächst am Beispiel der Krimina- paganda betreiben, noch Geld bekommen sollen litätsbekämpfung verdeutlichen. Verbrecher fängt oder nicht. Ich sehe das im Moment nicht. man bekanntlich nicht mit tosenden Worten in 17078 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Pressekonferenzen, Verbrecher fängt man auch versucht wird. Ich sage das hier in aller Gelassenheit, nicht, jedenfalls nicht nur, mit Gesetzen, sondern aber auch Deutlichkeit. Verbrecher fängt man mit Polizisten, mit Staats- anwälten, Richtern und allem übrigen Personal und Aber nicht nur im materiellen Strafrecht, auch im deren Anstrengungen in diesem Bereich. Aber nach Strafprozeßrecht hat die Koalition gehandelt. Die dieser Überzeugung muß dann auch gehandelt wer- Hauptverhandlungshaft den. Dafür ist nach unserer föderativen Ordnung nun (Dr. [SPD]: Ganz schlechte einmal die Länderebene zuständig. Sache!) Hier bestehen Defizite - soweit ich das am Bild- baut das beschleunigte Verfahren zu einem wirksa- schirm mitbekommen habe, hat dieser Punkt auch in men Instrument gegen die Alltagskriminalität aus. der Debatte zum Innenressort eine wesentliche Rolle Jetzt müßte es nur noch stärker von den Ländern ge- gespielt -, wenn ich bedenke, daß zum Beispiel Nie- nutzt werden. dersachsen - woher jetzt so laute Töne kommen - bundesweit die geringste Polizeidichte hat, in Ham- Wenn ich es richtig höre, wollen das ja nun alle burg im letzten Jahr 200 Polizeistellen gestrichen Länder tun. Jedenfalls ist es schon merkwürdig, daß worden sind und allseits Richterstellen abgebaut etwa gerade in Niedersachsen nur ein Bruchteil der werden. Ich denke, man muß hier an die praktischen Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Ver- Umsetzungsdefizite erinnern, bevor man die ganz fahren gestellt wird wie in Nachbarländern. Wenn große Gesetzgebung, die möglichst weit von der Ba- Sie sich umsehen, wer dort in der Nachbarschaft die sis entfernt sein soll - deshalb läßt sich so gut nach Regierungen stellt, ist das ganz bemerkenswe rt . Die Bonn verweisen - in den Vordergrund stellt. dortige Justizministerin hatte ja schon immer ideolo- gische Bedenken gegen dieses Verfahren, freilich - Lassen Sie mich drei Projekte bei der Bekämpfung so muß ich nun annehmen - ohne Abstimmung mit der organisierten Kriminalität herausgreifen. Bei der Ihrem Landesherrn. akustischen Wohnraumüberwachung - früher mal ganz vulgär „großer Lauschangriff" geheißen - ha- Zur Kriminalitätsbekämpfung bedarf es auch einer ben wir nach zähen Verhandlungen eine Einigung Überarbeitung des strafrechtlichen Sanktionensy- erzielt. Jetzt kommt es darauf an, den gefundenen stems. Kompromiß ins Gesetzblatt zu bringen. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist wahr!) Wir haben zweitens in diesen Verhandlungen auch einen Kompromiß bei der Geldwäschebekämpfung Die Handlungsmöglichkeiten für die Gerichte müs- erzielt. Ohne eine Umkehr der Beweislast wird der sen erweitert werden, um flexibler auf den Unrechts- Zugriff auf verdächtiges Vermögen erleichtert. gehalt der jeweiligen Tat reagieren zu können und auch um dem Täter flexibler und angemessener be- - Die dritte Maßnahme, nämlich die verbesserte Kor- gegnen zu können. Hier hat - das will ich ausdrück- ruptionsbekämpfung, ist bereits Gesetz, steht schon lich anerkennen und erwähnen - auch die SPD-Frak- im Gesetzblatt. tion schon interessante, wichtige und maßgebende Meine Damen und Herren, die Bekämpfung der or- Anstöße geliefert. Das ist das Schöne in unserem Be- ganisierten Kriminalität allein reicht aber nicht aus. reich, liebe Frau Kollegin Däubler-Gmelin: daß wir Das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat muß uns in vielen Dingen einig sind. sich im Alltag bilden und bewähren. Ein ganz we- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber wir müssen sentliches Element in diesem Prozeß ist, daß die sie nicht zu sehr loben! - Dr. Herta Däubler Sanktionen, die der Staat für Normverletzungen an- Gmelin [SPD]: Das hören wir aber gern! Das droht und auswirft, von den Bürgern als gerecht und vermissen wir seit zehn Jahren!) ausgewogen empfunden werden. Mein Gesetzent- wurf zur Strafrahmenharmonisierung trägt dem - In Maßen dort, wo es angemessen ist, gerne. Rechnung. Diese Reform, meine Damen und Herren, soll noch Zeitgleich hat die Koalition schon im März das ge- in dieser Legislaturperiode begonnen werden, indem meinsam erarbeitete Gesetzespaket zur Bekämpfung wir dazu eine Kommission zur Aufarbeitung und Dis- der Sexualdelikte gegen Kinder in den Bundestag kussion des Komplexes einsetzen. Danach kann zü- eingebracht. Ich komme darauf aus gegebenem An- gig mit einem Gesetzentwurf seitens der Regierung laß zu sprechen. Der an mich gerichtete Vorwurf, die- aufgewartet werden. ses Paket zu behindern, ist also nicht nur falsch Zum Vollzugsdefizit habe ich schon gesprochen. adressiert, er ist auch in der Sache völlig an den Fak- Ich will nur noch auf einen Punkt zu sprechen kom- ten vorbeigehend, ja abenteuerlich, kommt er doch men, nämlich auf den, der jetzt sehr in die Diskussion aus dem Freistaat, geraten ist - wie ich glaube, zu Unrecht. Bundestag (Beifall bei der F.D.P. - Norbe rt Geis [CDU/ und Bundesrat haben schon 1994 mit überwältigen- CSU]: Herr Minister, da muß ich doch heftig der Mehrheit die Reform des Insolvenzrechts be- widersprechen!) schlossen. Diese Reform soll zum einen denjenigen eine Chance geben, die hoffnungslos überschuldet auf dessen Drängen der Gesetzentwurf nämlich beim sind. Sie wird es aber vor allem gerade bei mittelstän- einzig wirksamen Therapiezwang verwässert wurde dischen Unternehmen ermöglichen, von einer kon- und über den Bundesrat noch weiter zu verwässern kursmäßigen Abwicklung abzusehen und die lei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17079 Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig stungs- wie überlebensfähigen Teile eines Bet riebes weil die für die Insolvenzrechtsreform benötigten zu retten. Rechtspfleger gerade im Registerwesen freigesetzt werden könnten. Man sollte angesichts der Lage auf dem Arbeits- (Dr. Wolfgang von Stetten [CDU/ markt meinen, daß sich niemand gegen die Sanie- CSU]: Eine gute Idee!) rung von Unternehmen und die Erhaltung von Ar- beitsplätzen in dieser Form sperrt. Aber weit gefehlt! Außerdem wird mit der zweiten Zwangsvollstrek- Nachdem die Reform auf Drängen der Länder über- kungsnovelle beabsichtigt, die Abnahme eidesstattli- haupt erst zum 1. Januar 1999 in Kraft treten soll, for- cher Versicherungen auf die Gerichtsvollzieher zu dern jetzt viele trotz der Lage auf dem Arbeitsmarkt übertragen. Auch dadurch werden Rechtspfleger sogar eine weitere Verschiebung. entlastet.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Es sind (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ alle Länder! - Dr. Ma rtin Pfaff [SPD]: Es gibt CSU]: Auch eine gute Idee!) ein Komplott des Bundeskanzlers mit den Selbst wenn die Insolvenzrechtsreform indes ei- Ländern!) nige zusätzliche Stellen erfordern sollte, so werden die verhältnismäßig geringen Mehrausgaben im Ju- Sie tun dies, um die erforderlichen Stellen in der stizhaushalt sicherlich bei weitem durch die Einspa- Justiz einzusparen, und sie tun dies, obwohl die von rungen im Sozialhaushalt aufgewogen, wenn eben mir durchgesetzten, auf den Weg gebrachten und auf diesem Wege betriebliche Arbeitsplätze erhalten noch geplanten Maßnahmen eine deutliche Entla- werden können. stung der Justiz bewirken. Aber nicht nur um der Arbeitsplätze willen muß Ich will sie aufzählen: Die Änderung der Verwal- die Insolvenzrechtsreform pünktlich in Kraft treten. tungsgerichtsordnung ist am 1. Januar 1997 in Kraft Die Wirtschaft, namentlich die Banken haben sich getreten. Die Novelle des Ordnungswidrigkeiten- bereits auf die Reform eingestellt. Einmal beschlos- rechts wird durch die Anhebung von Wertgrenzen sene Reformen sind umzusetzen, weil gerade die oder die Reduzierung der Zahl der Richter beim OLG Wirtschaft - Wirtschaftsstrukturen ebenso wie die zu Entlastungen führen. Mit dem Kindesunterhalts- wirtschaftenden Personen - Planungssicherheit gesetz wird im Unterhaltsrecht der prozessuale Auf- durch verläßliche Rahmenbedingungen benötigt. wand durch die gesetzliche Dynamisierung des Re- Meine Damen und Herren, das gilt auch und ge- gelunterhalts und die auf Antrag mögliche Dynami- rade für den Euro, auf den ich als letzten Sachpunkt sierung des individuellen Unterhalts reduziert. noch zu sprechen kommen möchte, selbst wenn Sie vielleicht etwas überrascht sind, daß das beim Be- Auch die Novelle des Schiedsgerichtsverfahrens- reich Justiz zur Sprache kommt. Um meinen Beitrag wird die Justiz entlasten. Natürlich sind wir gern be- und den des Bundesjustizministeriums dazu zu lei- reit, auf weitere angemessene Entlastungsmöglich- sten, daß von Anfang an mit der neuen Währung ver- keiten für die Länder einzugehen und mit den Län- trauensvoll gearbeitet werden kann, haben wir die dern darüber nachzudenken; denn kein Prozeß bela- Federführung für die Euro-Begleitgesetzgebung stet die Justiz weniger als einer, der überhaupt nicht übernommen. vor ihre Schranken gerät. In. diesem Sinne soll den Ländern durch eine Öffnungsklausel ermöglicht wer- Es gilt, für die Übergangszeit vom 1. Januar 1999 den, dem Klageverfahren eine außergerichtliche bis zum 31. Dezember 2001, in der noch keine Euro Streitschlichtung in Nachbarschaftsstreitigkeiten Münzen und -Banknoten zur Verfügung stehen, die und in Bagatellsachen vorzuschalten. Hemmnisse für eine erfolgreiche Einführung des Euro zu beseitigen. So soll zum Beispiel das Gesell- Außerdem hätte ich keine Bedenken, bestimmte schaftsrecht für den Euro geöffnet werden, damit be- Aufgaben aus der Justiz auszugliedern. Auch dieses stehende Aktiengesellschaften und GmbHs ihr Kapi- Stichwort soll hier fallen, selbst wenn Einzelheiten tal schon auf Euro umstellen und neue Gesellschaf- hierzu noch umstritten sind. Natürlich denkt man da ten auf Euro-Basis gegründet werden können. Eine an die Handelsregister, Öffnung des Bilanzrechts soll vor allem den europa- weit tätigen Unternehmen die Aufstellung ihrer Jah- (Dr. Eckhart Pick [SPD]: Ausgerechnet das! resabschlüsse in Euro ermöglichen. Den Gesetzent- - Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Wir wurf werden wir im übrigen noch in diesem Monat nicht!) dem Bundeskabinett vorlegen können. Solche Leistungen erfordern - damit schließe ich die statt von den Gerichten auch von den Industrie- den Kreis zum Haushalt - genügend Personal. Sie und Handelskammern geführt werden könnten. Dar- werden mich als alles andere denn als Anhänger Par- über werden wir zu sprechen haben. Dem Wunsch kinsonscher Apparate kennengele rnt haben. Ich des Justizministers aus Baden-Württemberg, dies in gebe auch offen zu, daß die Stellenkürzungen zu seinem Land expe rimentell einzuführen, stehe ich manch sinnvoller Verschlankung geführt haben. Wir auch deswegen offen gegenüber, haben dies im Bundesministerium der Justiz zu einer ganz hilfreichen Umorganisation genutzt. In meinem (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Haus sind aber angesichts der Menge der Gesetzent- CSU]: Sehr gut!) würfe - bitte gestatten Sie mir, daß ich das zum 17080 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Schluß doch erwähne -, der Vielzahl der Anfragen keit in unserem Land nicht bedarf. Soldaten sind und der Präzision der Arbeit, die von uns erwartet Staatsbürger in Uniform. wird, die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Ich bitte also den Haushaltssouverän, das Parlament, um Un- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Mein terstützung für mein Anliegen, in künftigen Haus- Gott, ist das noch immer nicht tot?) haltsjahren Kürzungen im Personalhaushalt kleinerer Häuser, wie etwa des Bundesministeriums der Justiz, Ich bin gespannt, wie dieses Thema im Haushalts- stärker zu hinterfragen. ausschuß behandelt wird. Im vorigen Jahr hat spe- ziell der Kollege Weng angeregt, daß sich, wenn es Insgesamt, meine Damen und Herren, bitte ich Sie tatsächlich nie zur inhaltlichen Ausfüllung dieses Ka- jetzt, 1997, um Zustimmung für die Einzelpläne 07 pitels kommt, die Frage stellt, ob die Wehrstrafge- und 19. richtsbarkeit überhaupt noch im Haushaltsentwurf auftauchen muß. Herzlichen Dank. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wir kennen das überhaupt nicht! - Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Ich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem dachte, das sei schon längst weg!) Abgeordneten Gunter Weißgerber das Wo rt. - Herr Kollege Weng hat das voriges Jahr im Haus- haltsausschuß angesprochen. Momentan ist es noch Gunter Weißgerber (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Nachtragshaushalt im Ansatz vorhanden. ging glücklicherweise .am Einzelplan 07 vorbei, ohne Ein weiteres großes Kapitel im Haushalt des Justiz- größeren Schaden anzurichten. Es drängt sich immer ministeriums ist das, was die Föderalismuskommis- wieder der Gedanke auf: Was wäre bewirkt worden? sion 1992 empfohlen hat und der Bundestag zur Wäre hier zu stark gekürzt worden, liefe man Gefahr, Kenntnis genommen hat. Ganz wichtig: Der Bundes- den Haushalt letztendlich in Luft aufzulösen. gerichtshof und die Dienststelle des Generalbundes- Zum Haushalt für das Jahr 1998. Gegenüber dem anwaltes, soweit bisher beide in Berlin ansässig, sind letztjährigen Haushalt erfolgt ein Rückgang um seit 14. Juli dieses Jahres in Leipzig. Damit sind die 1,9 Prozent auf rund 692,7 Millionen DM. Das ent- ersten Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland an- spricht in etwa einem Anteil am Bundeshaushalt von gesiedelt. Ich als Leipziger nehme das sehr bef riedigt 0,15 Prozent. zur Kenntnis. Ich bin auch sehr froh, daß der Kosten- rahmen nicht ausgenutzt worden ist: Ursprünglich Erfreulich am vorliegenden Entwurf ist der Täter- waren 21 Millionen DM veranschlagt; am Ende hat Opfer-Ausgleich. Auch für 1998 ist wieder ein Ansatz - es zirka 18 Millionen DM gekostet. Auch solche Maß- in Höhe von 151 000 DM enthalten. Ich erinnere Sie nahmen können also durchaus billiger werden. Wir daran: Bis 1995 war der Bund mit 300 000 DM im Jahr werden sehen, wie das mit dem Berlin-Umzug noch in alleiniger Verantwortung. Ab 1996 galt die Verein- wird. Man sieht an dem Leipziger Beispiel: Die Dinge barung, daß sich Bund und Länder die Kosten hälftig haben durchaus die Chance, wesentlich billiger zu teilen, zu je 150000 DM. Die Länder waren 1996 werden. noch nicht in der Lage, ihren Teil beizusteuern. Des- halb war der Täter-Opfer-Ausgleich generell in Ge- In dem Zusammenhang möchte ich mich seitens fahr. Für dieses Jahr - ich habe den B rief des Bundes- des Bundesjustizministeriums, seitens des Finanzmi- justizministers vorliegen - haben sich die Länder nisteriums - ich sehe Frau Diehl hinten sitzen - bei endlich geeinigt; die Kofinanzierung ist gesichert. allen Beteiligten, dem Generalbundesanwalt, dem Land Sachsen und natürlich der Stadt Leipzig, dafür Aus meiner Sicht ist dabei erstaunlich, daß, obwohl bedanken, daß es zu dieser Entwicklung gekommen nicht alle Länder dabei sind, der Gesamtbetrag be- ist. Natürlich besonderen Dank an Sie, meine Kolle- reitgestellt worden ist. Es scheint in den Ländern, gen im Rechts- und Haushaltsausschuß, vor allem an was den Täter-Opfer-Ausgleich angeht, eine Solida- die, die hier sitzen. Herzlichen Dank, daß das erste rität parteiübergreifender A rt zu geben. Projekt gelungen ist. Ich erinnere den Kollegen Kolbe an die letzten Haushaltsberatungen. Es war vorwiegend die Oppo- Allerdings gibt es beim Bundesgerichtshof noch sition, die letztendlich den Täter-Opfer-Ausgleich ge- ein Problem, die sogenannte Rutschklausel. Sie wis- rettet hat. sen sicherlich - sonst bringe ich es in Erinnerung -, die Föderalismuskommission hat 1992 unter anderem ( [CDU/CSU] Wer hat denn auch beschlossen, für jeden neu entstehenden Senat die Mehrheit?) in Karlsruhe wird ein Strafsenat in Leipzig angesie- delt. Das stand bisher fest. Ausgerechnet am Tag der - Ja, der Einwand ist richtig: Wir konnten die Mehr- Einweihung des Bundesgerichtshofes in Leipzig am heit überzeugen. Die Widerstände aber waren sehr 3. September ist das von mehreren Rednern zur Spra- groß. che gebracht worden, mit der Hoffnung verbunden, Das Kapitel „Wehrstrafgerichtsbarkeit" taucht im daß diese Rutschklausel hinfällig wird. Ich warne alle Haushaltsentwurf jedesmal wieder auf. Die SPD im Haus. Es hat genug Enttäuschungen die ganzen lehnt dies natürlich weiterhin ab. Wir sind der Mei- Jahre gegeben. Die Politik muß auch einmal zu dem nung, daß es einer speziellen Wehrstrafgerichtsbar stehen, was sie formuliert hat. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17081 Gunter Weißgerber Außerdem gibt es ein noch größeres Problem. Der Das nächste Projekt: Verlagerung der Dienststelle Bundesgerichtshof will seit Jahrzehnten in Karlsruhe Berlin des Deutschen Patentamtes nach Jena. Auch bauen. Ich meine, das ist sehr berechtigt. Die Richter dies wird im nächsten Jahr angegangen und wird sind miserabel untergebracht. Das ist also ein be- Mitte 1999 abgeschlossen sein. In Jena werden da- rechtigtes Anliegen. durch 183 zusätzliche Stellen entstehen. (Dr. Martin Pfaff [SPD]: Schlechter als Ich komme jetzt zu einem Problem, welches mit Abgeordnete?) dem Haushalt erst einmal wenig zu tun hat. Aber Sie - Auf jeden Fall viel schlechter als Abgeordnete. Ich als die versammelte juristische Kompetenz im Bun könnte noch ganz andere Vergleiche anstellen. Ich destag sollten mir deshalb trotzdem zuhören. Das komme aus dem Osten. Sie wurden wirklich nicht Problem der Zahlungsmoral öffentlicher und privater gut untergebracht. Auftraggeber ist im Osten ein nahezu existentielles Problem für sehr viele Unternehmen. Wie ich vielfach Ich bin nicht rachsüchtig und daher nicht geneigt, höre, wird es auch im Westen des Landes zu einem es den Richtern in Karlsruhe nicht zu gönnen, nur wesentlich größeren Problem als bisher. weil die Gesamtentscheidung nicht für Leipzig aus- gegangen ist. Ich bin der Meinung, die Ansprüche Wir diskutieren vielerorts über Eigenkapitalhilfe sind berechtigt. Wir sollten dem stattgeben. Aber die programme und über die Aufstockung des Eigenka- Betroffenen in Karlsruhe sollten auch bitte die Hände pitals. Das alles ist richtig. Ich meine, solche Pro- von der Rutschklausel lassen. Das eine bedingt das gramme dienen vor allem auch dem Zweck, daß Un- andere. ternehmen säumige Zahler besser verkraften kön- nen. Hier muß auch auf justiziellem Wege etwas ge- (Beifall des Abg. Manfred Kolbe [CDU/CSU]) schehen. Nun bin ich kein Ju rist par excellence, aber Thema Reichsgerichtsbibliothek. Ich gehe davon wir alle sind aufgerufen, dieses Problem noch einmal aus, daß es das letzte Mal sein wird, daß ich in die- gründlich anzugehen. sem Rahmen davon spreche. Es ist schließlich zu ei- Im Arbeitsrecht gibt es eine Regelung, daß es nem guten Konsens gekommen. Die Bestände bis dann, wenn jemand meint, zu Unrecht entlassen wor- 1801 kommen alle nach Leipzig. A ll es das, was das den zu sein, innerhalb von vier Wochen den Verwaltungsrecht angeht, wird ebenfalls in Leipzig Gerichtstermin gibt. Leute, die auf säumige Zahlun- untergebracht. gen warten, müssen sehr oft zum Gericht laufen, und (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Das, aus ihrer Sicht geschieht auch sehr wenig. was man zum Nachschlagen braucht!) Nun weiß ich nicht, wie das in der Marktwirtschaft Ich bin zufrieden mit dem Konsens, und ich denke, bewertet werden soll und wie das hier im Hause ge- wir sollten alle gut damit leben können. Es stellt sich sehen wird. Aber wir als Politiker schaffen schließlich nur die Frage, wieso das überhaupt so lange- gedau- auch die Rahmenbedingungen, in denen sich Markt- ert hat. wirtschaft abspielen soll. Aus meiner Sicht jedenfalls bedarf es in dieser Beziehung Regelungen. Zum Bundesverwaltungsgericht. Auch dieses könnte, was Föderalismus angeht und die Verteilung Die Industrie- und Handelskammern regen da von Bundesinstitutionen, eine Art späte Erfolgsge- auch vieles an. Sie sind der Meinung, daß man mit schichte werden. Herr Minister, Sie werden aber ver- einem Notaranderkonto arbeiten könnte, auf dem stehen: Mir wäre es lieb, wenn die Geschichte ab 60 oder 80 Prozent der vereinbarten Geldleistungen dem nächsten Jahr durch einen sozialdemokrati- geparkt werden, damit der Auftraggeber sieht, daß schen Justizminister weitergeschrieben würde. Aber das Geld da ist. Das ist vielleicht eine Möglichkeit. das, was Sie und Ihre Vorgängerin bisher auf dem Gebiet geleistet haben, verdient Anerkennung. Eine andere Möglichkeit wäre, zu fragen, ob man per se von einem Betrugsverdacht ausgehen kann. (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Reine Phant Das ist eine Möglichkeit des Strafrechts. Das sind sierede!) Fragen, die ich aufwerfe. Ich erwarte jetzt nicht von Ab Januar 1998 wird das Reichsgerichtsgebäude Ihnen, daß Sie sofort Regelungen vorlegen. in Leipzig renoviert. Dafür stehen 16 Millionen DM im Haushaltsentwurf. An die Stadt Leipzig ergeht Aber die Menschen nehmen es nicht mehr hin, von hier aus der Appell, alles dafür zu tun, daß das wenn wir nicht auch diesen Dingen auf den Grund Reichsgerichtsgebäude bis zum Jahresende auch gehen, die sie tatsächlich zu Hause sehr stark betref- geräumt sein wird. Zur Zeit befindet sich das Mu- fen. Ich bitte Sie also ganz einfach, sich dieses Pro- seum der bildenden Künste darin. Die Stadt Leipzig blem einmal gründlich zu überlegen. hat zugesichert, dies termingemäß zu leisten. A lles Danke schön. andere wäre sehr blamabel. Es ist ganz schlecht, wenn man Leistungen fordert und selbst die Gegen- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker leistungen nicht zu erbringen imstande ist. Die Stadt Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leipzig steht hier in der Pflicht. Ich hoffe ganz stark, und des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] daß sie dieser Pflicht auch nachkommt. [F.D.P.]) Eine Anerkennung auch an den Rechtsausschuß für die Entscheidung, daß die Wehrdienstsenate von Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das München ebenfalls nach Leipzig kommen. Wort dem Abgeordneten Manfred Kolbe. 17082 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Manfred Kolbe (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr gebührt hier das Verdienst, gesamtdeutscher Vorrei- Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Haus- ter zu sein. Sie haben das alte Sprichwort „Die Müh- haltsdebatten zu den Einzelplänen Justiz und Bun- len der Justiz mahlen langsam" Lügen gestraft. Dazu desverfassungsgericht stehen immer im Spannungs- herzlichen Glückwunsch Ihnen und Ihrer Vorgänge- feld von Gerechtigkeit und Geld. rin. Dabei steht es auch einer Haushaltsdebatte gut an, Mehr als unpassend - da schließe ich mich den die zentrale Bedeutung des Rechtsstaats zu betonen. Ausführungen meines Kollegen Weißgerber an - ha- Unser Rechtsstaat verkörpert das Wesen der Bundes- ben viele Gäste des Festaktes vor einer Woche und republik Deutschland, ist Grundlage unseres friedli- auch ich persönlich es empfunden, daß der BGH-Prä- chen Zusammenlebens, auch unseres wirtschaftli- sident und der Generalbundesanwalt ausgerechnet chen Wohlstands und hat uns nach 1945 wieder zu anläßlich dieses gesamtdeutschen Festaktes die Be- Ansehen in der Welt verholfen. Dies kann man nicht schlüsse der Föderalismuskommission heftig kriti- oft genug betonen. sierten, insbesondere die vielleicht erst in Jahren zur Debatte stehende Einrichtung eines zweiten BGH- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Senats in Leipzig. Seine jüngste Bewährungsprobe hat dieser unser Nicht nur unter Juristen gilt der Grundsatz: Pacta Rechtsstaat bravourös mit dem erstinstanzlichen Ab- sunt servanda. Wir erinnern uns alle: In der Födera- schluß des Berliner Politbüroprozesses bestanden. lismuskommission ist hart gerungen worden, ob der Dieses Verfahren und die do rt verkündeten Urteile BGH in Karlsruhe bleibt oder an den Standort Leip- haben unzweifelhaft deutlich gemacht, daß auch die zig, wo das Reichsgericht seinen Sitz hatte, zurück- Repräsentanten eines Staates sich nicht nach Belie- kehrt. ben über Menschen- und Bürgerrechte hinwegset- zen können. Auch die von einem Unrechtsstaat zur Ein Kompromiß ist zugunsten von Karlsruhe als Durchsetzung und Erhaltung seiner Macht geschaf- Hauptsitz gefunden worden. Unverzichtbarer Teil fenen „Gesetze" oder „Erlasse" sind kein Freibrief dieses Kompromisses ist aber die Klausel, daß neue dafür, elementare rechtsstaatliche Grundsätze zu BGH-Senate in Leipzig errichtet werden. Alle Betei- mißachten. ligten wissen seit 1992, daß es nach der Jahrtausend- wende vielleicht mal einen zweiten oder dritten Se- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nat in Leipzig geben wird. Der Politbüroprozeß hat den Rechtsstaat gestärkt, Es kann nicht angehen, aus einem mühsam errun- weil, für jedermann erkennbar, der berühmt-berüch- genen Kompromiß den Teil, der einem nicht tigte Satz „Die Kleinen hängt man, die Großen läßt schmeckt, herauszubrechen. Wer das wie der BGH- man laufen" sich gerade nicht bewahrheitet hat. Präsident versucht, der gefährdet den ganzen Kom- Weiter war der Prozeß auch kein Schauprozeß, im promiß und eröffnet die Sitzfrage erneut; denn dann Gegenteil: Eine Show daraus zu machen hat allein wird die Grundsatzfrage wieder aufgeworfen. Die der mitangeklagte Krenz versucht. Schließlich war er Beschlüsse der Föderalismuskommission gelten zur auch kein Ausdruck von „Siegerjustiz", sondern ein Gänze, Herr Minister. Sieg der Justiz und des Rechtsstaates, und er hat ge- rade auch im Osten Deutschlands, Herr Heuer, etwa Erfreulich ist in diesem Zusammenhang - auch da in meinem sächsischen Wahlkreis, große Zustim- schließe ich mich dem Kollegen Weißgerber an -, daß Reichsge- mung gefunden. wir endlich den Streit um die ehemalige richtsbibliothek beendet haben. 75 000 zum Teil äu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ßerst kostbare Bücher aus der Zeit vor 1800 kehren nach Leipzig zurück. Der Teil aus der Zeit nach 1800, Die Revision gegen die Urteile im Berliner Politbü- von dem die BGH-Richter meinen, daß sie ihn bei der roprozeß wird nächstes Jahr vor dem 5. Strafsenat täglichen Arbeit brauchen, verbleibt in Karlsruhe. des BGH in Leipzig verhandelt werden. Dies ist von Ich glaube, das ist ein vernünftiger Kompromiß, Herr politisch und psychologisch großer Bedeutung, wird von Stetten, den Sie mittragen können. doch durch den Sitz von Bundeseinrichtungen auch im Osten Deutschlands augenfällig dokumentiert, In der Haushaltsdebatte müssen die verantwortli- daß dieser Landesteil gleichwertig dazugehört. chen Politiker dem Steuerzahler aber natürlich auch Rechenschaft über die Effizienz und die Kosten der In der Tat, Herr Minister, hat die Justiz vor exakt Justiz ablegen. Es ist ähnlich wie bei der Gesundheit: einer Woche in Leipzig ein denkwürdiges gesamt- Auch diese ist nach dem Volksmund unbezahlbar. deutsches Ereignis begangen. Mit dem nach Leipzig Dennoch muß der Kollege Seehofer gelegentlich dar- verlegten 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf achten, daß sie nicht tatsächlich unbezahlbar die erste oberste Bundeseinrichtung ihre Arbeit in wird. den östlichen Bundesländern außerhalb auf- genommen. Sieben Jahre nach der Einheit ist zwar (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ etwas spät, aber immerhin nicht zu spät, die erste DIE GRÜNEN]: Daß ihm die Haare nicht von 16 Empfehlungen der Föderalismuskommission ausfallen!) umgesetzt worden. Vergleicht man das einmal mit Hier vertritt die Koalition das Konzept des schlan- dem, was in dieser Zeit in den Ländern geleistet wor- ken Staates. den ist - dort sind ganze Landesverwaltungen errich- tet worden -, dann ist der Bund leider nicht der (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Schnellste gewesen. Aber Ihrem Haus, Herr Minister, DIE GRÜNEN]: Ach!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17083

Manfred Kolbe - Sie, Herr Kollege Fischer, personifizieren geradezu genden Anwaltsdichte nicht zu leugnen. Obwohl die Verschlankung. Sie sind wirklich ein augenfälli- hier natürlich die Berufsfreiheit des A rt. 12 GG zu be- ges Beispiel dafür. achten ist, darf auch dieses Thema nicht tabuisiert werden. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie mal dem Ich darf mich bei der folgenden Frage noch einmal Herrn Kohl!) dem Kollegen Weißgerber anschließen - es ist erfreu- lich, daß es soviel parteipolitische Übereinstimmung Die Gründe dafür liegen nicht nur in der gegebenen gibt -: Enge der öffentlichen Haushalte, sondern auch in dem Bedarf einer grundlegenden Erneuerung im (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Hinblick auf vielfältige Verkrustungen und Effizienz- DIE GRÜNEN]: Verdächtig!) mängel. Auch die Zahlungsmoral ist in der Tat ein echtes Pro- Derzeit häufen sich in Deutschland aber leider die blem, insbesondere im Osten des Landes. Viele Klagen über zu komplizierte Gesetze, zu lang andau- kleine und mittlere Betriebe verzweifeln daran. Hier ernde Verfahren und zu hohe Personalkosten. müssen wir etwas tun, um zu einer Effizienzsteige- rung zu kommen. Wir haben in Deutschland heute knapp 85 000 zu- gelassene Rechtsanwälte. Das sind 10 000 mehr als (Beifall des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/ bei der Haushaltsdebatte zum Bundeshaushalt 1996, CSU]) also vor zwei Jahren. Das sage ich nur, um die Ent- Es besteht also Handlungsbedarf. Lassen Sie uns wicklung plastisch vorzuführen. Wir haben 20 600 aber zunächst einmal die Einzelpläne 07 und 19 be- Richter, 5 000 Staatsanwälte und 12 500 Rechtspfle- raten. ger. Danke schön. Ein vergleichbarer Industriestaat wie Japan kommt bei einer Bevölkerungszahl von 120 Millionen Ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wohnern mit 14 000 Rechtsanwälten, 2 800 Richtern und 1 200 Staatsanwälten aus. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Personalmehrungen sind da nicht mehr möglich. Wort dem Abgeordneten Volker Beck. Die Verfahren sind kritisch und kreativ zu überprü- fen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundes- Ich meine, daß die erste Instanz grundsätzlich die minister Schmidt-Jortzig hat sich in den letzten Ta- einzige Tatsacheninstanz sein sollte. Jeder ange- gen ja ganz mutig gegen das „Herumschrödern" in hende Jurist, Herr Kleine rt, wundert sich schon im der Innenpolitik stark gemacht. Herr Bundesminister, - Studium da, wo Sie gegen Populismus und für Besonnenheit (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Wieso bei der Kriminalpolitik eintreten, werden Sie auf die „angehend"?) Unterstützung unserer Fraktion immer rechnen kön- nen. Als Schutzpatron für Bürgerrechte und Rechts- - auch jeder, der das Studium abgeschlossen hat -, staatlichkeit oder gar als Garant für Liberalität in der warum es bei Mord nur eine Tatsacheninstanz gibt, Rechtspolitik sind Sie allerdings eine Fehlbesetzung. während ein Zivilrechtsstreit über 2 000 DM, der un- zweifelhaft ein geringeres Gewicht hat als ein Mord- Sie und Ihre Partei wurden schon viel zu oft beim prozeß, zwei Tatsacheninstanzen hat. Dieser Wer- vorsätzlichen „Mitkanthern" ertappt. Sie verdanken tungswiderspruch muß nicht sein. Ich glaube, wir Ihr Amt - daran wollen wir uns doch erinnern - der können auch in Zivilverfahren grundsätzlich mit ei- endgültigen Wende der F.D.P. von einer schmalbrü- ner Tatsacheninstanz auskommen. Das Rechtsmittel stigen und kurzatmigen Rechtsstaatspartei zur rech- verfahren könnte sich dann grundsätzlich auf die ten Staatspartei. rechtliche Würdigung beschränken. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Auch bei der Besetzung der Spruchkörper sollten CSU]: Jawohl, Staatspartei!) wir kreativ sein. Das Einzelrichterprinzip ist auszu- Bei allen Gesetzesverschärfungen und Maßnah- bauen. Kollegialgerichte könnten in bestimmten Fäl- men zum Grundrechtsabbau war die F.D.P. mit dabei: len auch mit lediglich zwei Berufsrichtern auskom- bei der faktischen Abschaffung des Asylgrundrech- men. Herr Kleinert, Sie kennen ja die aus dem Stu- tes, jetzt beim Großen Lauschangriff, bei der Einfüh- dium und der Praxis bekannte Figur des sogenann- rung verdeckter Ermittler, bei der Ausdehnung und ten „Beischläfers", der nicht in allen Spruchkörpern Verlängerung der Kronzeugenregelung und bei der vertreten sein muß. Einführung der Hauptverhandlungshaft. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Auch Ihr rechtspolitisches Gesellenstück, die Straf- DIE GRÜNEN]: Wie bitte?) rechtsreform, ist ein plattes und phantastisches Pro- jekt der Verschärfung von Strafrahmen, statt die not- - Der ist nur den Juristen bekannt, Herr Fischer, da wendige Harmonisierung als Chance zur Neujustie- können Sie ausnahmsweise einmal nicht mitreden. rung der Strafrahmen - zwischen Straftaten gegen Schließlich ist auch ein Zusammenhang zwischen die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche der steigenden Verfahrensflut und der ebenfalls stei- Integrität auf der einen Seite und Eigentumsdelikte 17084 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Volker Beck (Köln) auf der anderen Seite - zu nutzen und das heutige auf den Kopf. Da kann man doch nicht mehr von Ver- System von Höchst- und Mindeststrafen dahin ge- hältnismäßigkeit der Mittel sprechen. hend zu reformieren, daß weniger oder kürzere Frei- heitsstrafen in Deutschland verhängt werden müs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen. Das Prinzip, das Sie mit der Hauptverhandlungs- haft eingeführt haben - die Kleinen hängt man, und In dem Werk finden sich fragwürdige Regelungen die Großen läßt man laufen -, soll fortgeführt wer- wie die Neukriminalisierung der versuchten Körper- den. verletzung. Vermißt werden dagegen Vorschläge zu -einer Sanktionenrechtsreform, die weniger Freiheits Herr Scholz hat in der Sommerpause einen interes- und Ersatzfreiheitsstrafen ungleich macht, sowie santen Vorschlag gemacht - ich bedaure sehr, daß er Ideen zugunsten einer bürokratieärmeren und opfer- jetzt nicht hier ist -: Er hat unseren Vorschlag über- freundlicheren Sanktionsform bei Kleinkriminalität. nommen, bei den Ladendieben in Zukunft die dop- pelte Schadenswiedergutmachung als Sanktion vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zusehen. Herr Minister, besonders putzig fand ich, daß Sie (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ in Ihrem Interview heute in der SZ schon Ihre eigene CSU]: Aber doch nicht ohne Strafe, Herr Opposition geben. Sie machen sich stark gegen die Beck!) Abschiebung straffälliger Ausländer, die hier gebo- ren sind oder schon lange hier leben. Das unterstüt- Das ist ein guter Vorschlag. Aber wenn Sie jetzt zen wir voll und ganz. Vor wenigen Wochen haben sagen, das soll nicht ohne zusätzliche Strafe gelten, Sie aber erst ein Gesetz durch den Bundestag ge- dann wird es völlig absurd. Wer nicht den Mut hat, paukt, mit dem gerade dies zukünftig leichter mög- Schadenswiedergutmachung vor die Strafe zu stel- len, den Rückzug des Strafrechts in diesem Bereich lich sein soll. Wenn Sie denn schon eine solche Initia- tive - im Gegensatz zu uns - für inhaltlich richtig hal- vorzunehmen, wenn der Schaden ausgeglichen ist, ten, hätten Sie diese Initiative als Hebel nutzen müs- der kommt zu dem rechtspolitischen Ergebnis, daß der kleine Ladendieb schärfer bestraft wird als derje- sen, um endlich ein neues Staatsbürgerschaftsrecht hier im Deutschen Bundestag durchzusetzen. nige, der große Betrugsverbrechen und Steuerhinter- ziehungen begeht, weil dieser mit Freiheits- und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geldstrafe allein davonkommt. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei Sonntagsreden zur Staatsbürgerschaft hören Es ist modern geworden, New York zu zitieren. wir immer etwas von liberaler Rechtspolitik. Wenn es Kanthers sozialdemokratischer Background-Chor im Bundestag unter der Woche zur Sache geht, dann von Schröder über Voscherau, Scherf und Schmal- sind Sie bei der Abschiebung von Ausländern mit da- stieg intoniert in diesen Tagen das Frank-Sinatra- bei. Wir bleiben dabei: Das Ausländerrecht ist kein Lied „New York, New York": If we can make it there, Strafrecht, und Abschiebung ist keine akzeptable we can make it everywhere. Nebenstrafe. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sing es Zur Opposition zu Ihrer gescheiterten Kriminalpoli- mal!) tik besteht allerdings in der Tat Anlaß: Mehr als - Dafür reicht die Redezeit nicht. 40 Gesetze haben Sie hier seit 1991 durch den Bun- destag gepaukt, mit denen Strafvorschriften ausge- Nulltoleranz und „broken windows sind die dehnt, Strafrahmen erhöht und Ermittlungsbefug- Schlüsselbegriffe. Wir können aus New York lernen. nisse erweitert wurden. Wenn Stadtviertel und Straßenzüge verwahrlosen, dürfen wir nicht wegschauen. Hier müssen wir so- Rechtsstaatliche Prinzipien und Bürgerrechte ha- zialpolitisch und städtebaulich eingreifen und auch ben Schaden genommen, die Kriminalität ist nicht mit Polizeipräsenz reagieren. Aber allein auf die Poli- gesunken. Die kriminalpolitische Bilanz der Kohl-Re- zei zu setzen, ist der Grundfehler in New York. gierung liest sich wie eine einzige Bankrotterklä- rung: 1 Million mehr Straftaten in den alten Ländern Stichwort „broken windows": Bei zerbrochenen seit dem Antritt der konservativ-liberalen Bundes- Fensterscheiben bestellt man den Glaser und nicht regierung. Die Zahl der jährlichen Drogentoten hat den Polizisten, weil der Glaser das besser reparieren sich seitdem um 346 Prozent erhöht. kann. Ihr Setzen auf Repression statt Prävention, Ihr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wegschauen bei der Verbrechensvorbeugung hat Ich möchte noch ein paar Fakten nennen. Es wird gezeigt, daß Kriminalität so nicht zu bekämpfen ist. die Wundermär erzählt, wie toll es in New York ge- Mit Ihren Konzepten sind Sie am Ende, und um das worden ist. Waigel hat im „Focus" gesagt, New York zu verdecken, hat jetzt Ihr Kollege Kanther - ohne sei die sicherste Stadt auf dieser Welt. Na, danke für Ihre Kritik hervorzurufen Herr Minister - den großen Obst, kann ich da nur sagen. Krieg gegen die Bagatellkriminalität ausgerufen. In New York sind im letzten Jahr so viele Men- Er hat den Ländern angeboten, den Bundesgrenz- schen umgebracht worden wie in der ganzen Bun- schutz im Kampf gegen Schwarzfahrer und Laden- desrepublik. Stellen Sie sich das einmal vor: In einer diebe einzusetzen. Das stellt doch die Verhältnisse Stadt mit 7,3 Millionen Einwohnern wurden so viele Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17085

Volker Beck (Köln) Menschen ermordet wie in unserem Land mit 81 bis Es nützen keine Musicalaufführungen, sondern 82 Millionen Menschen. Das ist eine zehnmal höhere man muß sich der Sache stellen, anstatt andere Leute Kriminalitätsbelastung. Das kann doch wohl nicht einfach so mir nichts, dir nichts zu beschimpfen. Ausgangspunkt unserer Überlegungen und Vorbild für unsere Kriminalpolitik sein. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich komme bei den Haushaltsdebatten immer wie- und bei der PDS) der auf die Idee, wir würden über diesen Haushalt sprechen, es ginge um Geld und darum, wie Geld In anderen amerikanischen Städten, in denen eine ausgegeben werden soll. Das habe ich heute von andere Strategie verfolgt wurde, zum Beispiel in Los wohlmögenden und großartigen Rednern schon ganz Angeles, haben wir gute Ergebnisse bei der Krimina- anders vernommen. Es wäre überhaupt die Stunde litätssenkung und der Senkung der Mordrate. für eine Debatte über die Lage der Nation, hat einer gesagt. Aber das ist eine andere Abteilung.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Es geht darum: Wie geht der Bundesjustizminister Sie müssen zum Schluß kommen. mit dem Geld der Bürger um? Prozentual - das haben wir schon gehört - ist es ein ganz erstaunlich kleiner Betrag, der in diesem Lande für die Rechtspflege auf- gewendet wird. Es ist noch kleiner, wenn man den Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bund betrachtet, der allerdings zugegebenermaßen Einen Satz noch, Herr Präsident. die geringsten Lasten für die tatsächliche Durchfüh- rung der Rechtsgewährung zu tragen hat. Die Gründe dafür sind der demographische Wan- del in der Gesellschaft, die sinkende Arbeitslosigkeit Aber es ist im Lauf der Jahre immerhin eine stabile und die Tatsache, daß do rt ein Problem, das wir Gott Tatsache geblieben, daß hier sehr wenig Geld ausge- sei Dank nicht haben, durch die Entwaffnung eines geben wird - im Bund sowieso. In den Ländern kann Teils der Bevölkerung gelöst werden kann. Die Be- man schon eher sagen: leider. waffnung ist auf Grund der dortigen laschen Waffen- gesetzgebung ein großes Problem. Ich hoffe, daß wir (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wahr!) uns dieses Problem nicht erst schaffen werden. Wir In den Ländern hören wir immer wieder, daß eine sollten mit Prävention mehr Sicherheit schaffen. Ein Instanz genügt. Von Herrn Kolbe habe ich zu mei- alleiniges Setzen auf Regression wird die zu hohe nem Mißfallen gehört, daß man den Einzelrichter Kriminalitätsbelastung nicht senken, unserer Demo- fördern muß. kratie allerdings schaden. Wenn alles ganz anders würde - auch das Thema (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- hatten wir schon -, wenn wir einen anderen Zugang und der SPD) zum Richteramt hätten und wenn daraus eine andere Art von Vertrauen in die Richterpersönlichkeiten er- wachsen würde, dann könnten wir mehr Einzelrich- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das ter haben. Wort dem Abgeordneten Detlef Kleine rt. Die Kunst wird sein, einen Übergang zwischen Kammer und Einzelrichter dergestalt zu finden, daß man sagt: Dieser oder jener ist besonders befähigt, Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Herr Präsident! als Einzelrichter tätig zu sein. Er wird auch anders Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die besoldet - allerdings nur ein wenig anders; mehr läßt Aufführung des Beckschen Musicals „New York, das System ohnehin nicht zu; da bin ich schon ganz New York" war eindrucksvoll, aber rechtlich, rechts- sicher -, damit man vielleicht auch von außen zusätz- politisch und kriminalpolitisch kolossal wenig ergie- liche, besonders lebenserfahrene Kräfte gewinnen big. kann. Dann kann man auf dem Weg zum Einzelrich- ter weiterkommen. Auch hilft es nicht, wenn Sie andere Leute be- schimpfen, die sich der unglaublich schwierigen Auf- In unserem jetzigen System wird die Mehrheit der gabe stellen, zu erkennen, daß der Bürger genauso Anwaltschaft davon abraten, daß man den Einzel- ein Recht auf seine Garantien in gerichtlichen Ver- richter fördern muß. Wir möchten schon gerne noch fahren, ein Recht auf ein faires Verfahren, auf die Un- eine zweite Chance haben. Wenn uns der eine nicht schuldsvermutung bis zur Verurteilung hat, wie er zuhören mag, dann hört vielleicht der vorhin er- auch ein Recht auf Sicherheitsgewährung durch den wähnte Beischläfer zu - ein hartes Wo rt. Ich würde Staat hat. Auf Grund sich ständig wandelnder Um- eher sagen: „fleet in being" . So ein Mann sitzt da weltverhältnisse in ständig neuer Abwägung dazwi- und sieht fast etwas müde aus. Aber wenn die Her- schen einen fairen Weg zu finden, das ist eine Auf- ausforderung kommt, wird er wieder wach und dann gabe, bei der man wenig Freunde erwerben kann, hallo. bei der man viele Risiken läuft, insbesondere die, in (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ der Gunst des Bürgers zu sinken, der m an sich aber, CSU) wenn man verantwortliche Rechtspolitik machen will, immer wieder stellen muß. Dadurch kann er dann sein Gehalt verdienen. 17086 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Detlef Kleinert (Hannover) Diesen Möglichkeiten sollten wir uns nicht leicht- Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Herr Präsident! Meine fertig verschließen, und wir sollten schon gar nicht Damen und Herren! Minister Kanther hat über gei- Vergleiche zu Japan anstellen. Die Zahlen sind zu- stige Erneuerung und Werte gesprochen. Nun kann treffend. Reisen bildet bekanntlich, obwohl immer man über geistige Erneuerung und Werte sehr ver- wieder schlecht darüber gesprochen wird. Frau schiedener Meinung sein. Ich möchte über ein Däubler-Gmelin weiß genau, was jetzt kommt. Auch Thema sprechen, worüber es mehr Einverständnis sie war dabei. geben kann, weil es einen eindeutigen Maßstab, das Grundgesetz, gibt, nämlich über das Verfassungsver- Als wir uns einmal der Mühe unterzogen haben, ständnis von Politikern dieses Landes. an viel zu kleinen Tischen Platz zu nehmen, um her- auszufinden, wieso sie in Japan mit so wenigen Rich- Sie wissen, daß in den jährlichen Berichten des tern auskommen, stellten wir fest: Sie lassen das Bundesamtes für Verfassungsschutz wiederholt die Ganze einfach vollaufen, und dann gibt es eben kein PDS und auch einzelne Bundestagsabgeordnete un- Urteil. Das Verfahren dauert eben 10 oder 15 Jahre ter der Rubrik Linksextremismus als Verfassungs- und erledigt sich unter Umständen dadurch, daß die feinde genannt werden. Als Beleg reichte im Bericht Parteien, ich sage einmal höflich: aus welchen Grün- 1995 in meinem Fall dafür die sicherlich in keiner den auch immer kein Interesse mehr an der Sache Weise grundgesetzwidrige Äußerung „Wer Sozialis- haben. Das ist natürlich nicht die Lösung, die wir für mus will, kann an dem gescheiterten Sozialismusver- unser Land anstreben sollten. Ich kenne hier auch such nicht vorbeigehen ...". 1996 wurde zitiert, es sei niemanden, der das ernsthaft vertreten würde. eine notwendige Aufgabe, eine „sozialistische Alter- (Zuruf von der SPD: Doch, der Herr Kolbe! - native aus den heutigen Widersprüchen und gesell- Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/ schaftlichen Problemen theoretisch abzuleiten und CSU]: Nein, nein! Das haben Sie wohl miß sie theoretisch zu rekonstruieren". Für die Aufdek- verstanden!) kung solcher „Verschwörungen" werden Steuergel- der verwandt. - Herr Kolbe muß auch einmal reisen. Dann ändert sich seine Einstellung zu der vorbildhaften Natur des (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Rechtssystems in Japan. - Das mag für die dortigen CSU]: Soll das jetzt eine Verteidigungsrede Verhältnisse so richtig sein, aber nicht für uns. sein?) Ich möchte noch ganz kurz sagen: Es gibt prakti- Die faktisch gegebene uneingeschränkte Defini- sche Möglichkeiten, auch hier Geld zu sparen, ohne tions- und Denunziationsmacht der Bundesregierung den genannten Interessen der Bürger zu widerstrei- hinsichtlich der Frage der Verfassungsfeindlichkeit ten. Wir werden in Kürze den Entwurf der Bundesre- von Personen und Organisationen macht so etwas bis gierung für eine Änderung der Zwangsvollstrek- heute möglich. kungsordnung im Rechtsausschuß zu beraten haben. Wir haben interfraktionell - es ist immer- wieder das Das Grundgesetz von 1949 war Ergebnis der ver- Gute und Schöne in unserem Bereich, daß die Freude heerenden Niederlage des deutschen Faschismus. Es an der Sache durchschlägt - eine Lösung über den sollte ein neues demokratisches, sozial- und rechts- Entwurf der Bundesregierung hinaus erdacht, die staatliches Deutschland begründen, das der Aggres- dazu führen wird, daß die Verfahren wesentlich sionspolitik abschwört. schneller, wesentlich preiswerter und viel effizienter werden. Darüber unterhalten wir uns dann zu gege- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ bener Zeit. CSU]: Und das hat es getan!) Dieser „historische Kompromiß" ist heute tatsächlich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie müssen bedroht, aber nicht durch die PDS, sondern aus der zum Schluß kommen, Herr Kleine rt. rechten Mitte heraus.

Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Ich höre, daß (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ ich meine kaum begonnene Rede zum Schluß brin- CSU]: So ein dummes Zeug!) gen soll. Das ist eine schwerwiegende Behauptung, aber ich (Heiterkeit) meine, daß sie zu belegen ist. Das hängt damit zusammen, daß wir versuchen, in dieser einen Woche a lles gleichzeitig zu beraten, Der Gesetzgeber engte 1993 das Asylrecht rigoros eine Idee, von der ich Abstand zu nehmen rate. Denn ein - Art. 16a. die Öffentlichkeit wird es eh nicht zur Kenntnis neh- men. Um so schöner ist es, daß wir uns wenigstens in (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ dieser Runde sehen konnten. CSU]: Deshalb kommen 110000 Leute jedes Jahr! - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Seitdem ist Danke schön. die Kriminalität zurückgegangen!)

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der Die Politik des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „zur Wahrnehmung deutscher Interessen" wurde 1994 mittels einer höchst fragwürdigen Auslegung Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat des Grundgesetzes - Art. 87 - abgesegnet. Ignoriert der Herr Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Heuer. wurde seit 1995 in immer schärferem Maße das So- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17087

Dr. Uwe-Jens Heuer zialstaatsgebot des Grundgesetzes - A rt. 20 - als Bar- das Konsensgesülze im System der Zusammenarbeit riere gegen den Sozialabbau. von Gewerkschaften und Unternehmen „zuwider". Ihm wird von den Kollegen Graf Lambsdorff und (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Schäuble sekundiert. CSU]: Herr Heuer, Sie müssen uns gerade belehren!) Wenn ich aus dieser Entwicklung ein Fazit ziehen kann, so meine ich, daß dies nicht besser geschehen Das Bundesministerium der Justiz versteht sich kann als durch ein Zitat aus einem Artikel von Heri- auch als „Verfassungsressort" der Bundesregierung. bert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung" vorn 9. Au- Tatsächlich aber betätigte sich der Bundesminister gust. Er schreibt: der Justiz selbst aktiv als Mittäter des Grundgesetz- abbaus. Der große Lauschangriff, auf den sich kürz- 1992/94 wurde das Grundgesetz quasi unter lich eine große Koalition von CDU/CSU, F.D.P. und Denkmalschutz gestellt. Heute bedauern die SPD geeinigt hat, fand seine aktive Unterstützung. Denkmalschützer von gestern die Schwierigkei- Damit ist Art. 13 des Grundgesetzes fällig. Noch vor ten, die sich jetzt beim Umbau des Hauses erge- dreieinhalb Jahren gab es einen entsprechenden An- ben. Deshalb kommen sie nun mit der Abrißbirne. trag zu Art. 13 des Grundgesetzes in der Gemeinsa- Ist das jetzt die große Wende, die Helmut Kohl men Verfassungskommission. Die SPD lehnte sofort 1982 angekündigt hat? kategorisch ab. (Beifall bei der PDS) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/ CSU): Sie haben Ihre frühere Ideologie ver teidigt!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Herta Däubler- Auch der CDU war dieser Antrag offenbar peinlich. Gmelin. Damals wurden die Reformvorschläge der Opposi tion immer wieder mit der Erklärung, das Grundgesetz habe sich bewährt, vom Tisch gewischt. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte Es war und bleibt ein Skandal der deutschen Ju- zeigt in jedem Jahr wieder in gleicher Weise erstens, stizgeschichte, daß der damalige Justizminister Klaus daß wir nicht ganz so giftig miteinander sind wie an Kinkel auf dem 15. Deutschen Richtertag am 23. Sep- rt kann sein Wort von-dere, und zweitens: Herr Kleine tember 1991 an die anwesenden Richter und Staats- der „fleet in being" loswerden. Drittens geht es gele- anwälte appellierte, es müsse der Justiz gelingen, gentlich auch um Zahlen, wenn es um den Haushalt „das SED-Regime zu delegitimieren" . geht, nicht nur um den Versuch, in der einen oder an -deren grundsätzlichen Frage miteinander zu reden Wie verfuhr die unabhängige Justiz? Weil das rechtsstaatliche Prinzip „nulla poene, sine lege" aus oder sie zumindest anzusprechen. Art. 103 des Grundgesetzes einer politischen- Straf- Ich möchte zunächst einige Bemerkungen zu den verfolgung der führenden Politiker der DDR im Wege Zahlen machen. Ich glaube, es ist durchaus wich tig, stand, wurde es mit dem Beschluß des Bundesverfas- daß wir uns in Erinnerung holen, was Gunter Weiß- sungsgerichts vom 24. Oktober 1996 in bezug auf die gerber zur Wehrstrafgerichtsbarkeit gesagt hat: Die Grenzordnung der DDR aufgehoben. Institution ist töter als tot. Kein Mensch wi ll sie, je- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ denfalls keiner, der seine Sinne beisammen hat. CSU]: Herr Heuer, Sie glauben doch selbst Wir sind auch durch niemand gezwungen, sie zu nicht, was Sie da erzählen! - Dr. Herta machen. Im Haushalt ist auch kaum mehr Geld dafür. Däubler-Gmelin [SPD]: Er liest vor!) Ich bin der Meinung, man sollte die jetzigen Haus- Ich meine, dieser Beschluß war verfassungswidrig. haltsberatungen dazu benutzen, dieses Kapitel zu Am 25. August entschied das Landgericht Berlin im streichen. Ich glaube, es sind zweimal 5000 DM. sogenannten Politbüroprozeß entsprechend. Im Ge- Diese könnten Sie doch hervorragend woanders un- gensatz zum Kollegen Kolbe meine ich nicht, daß der terbringen. Wenn Sie dazu Anregungen brauchen, Rechtsstaat hier seine Probe bravourös bestanden würde ich mir gestatten, eine zu machen. Die Bera- hat. tungshilfe für den Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft in den Nachfolgestaaten der ehema- Die deutsche Einheit ist nicht zu rea lisieren, wenn ligen Sowjetunion, den Staaten Mittel- und Osteuro- die einen ein Grundrecht ganz haben und die ande- pas, ist eine nützliche Sache. ren nur eingeschränkt. Wohin wir auch immer kommen, sagen uns unsere (Widerspruch bei der CDU/CSU und der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, daß F.D.P.) sie an sehr viel mehr Aufbauhilfe und Unterstützung Ich sehe es auch als ein Alarmzeichen an, daß vom interessiert wären. Hier könnte man mühelos etwas rechten Spektrum der politischen und ökonomischen sinnvoller unterbringen, was jetzt von der Symbolik Elite grundsätzliche Aufforderungen ergehen, nun und vom Geld her -10 000 DM zuviel - falsch ist. eine Systemveränderungsdebatte zu beginnen. (Beifall des Abg. Hans-Joachim Hacker Hans-Olaf Henkel, Präsident des BDI, möchte unter [SPD]) anderem die föderalistische Struktur der Bundesre- publik - Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes - zur Dis- Weiter möchte ich noch einmal die Not des Bun- position stellen. Ihm ist auch laut „Spiegel", 30/1997, desgerichtshofs unterstreichen, der nun wirk lich teil- 17088 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Dr. Herta Däubler-Gmelin weise in Karnickelställen sitzt, die nicht nur polizei- widersprechen kann, die Eingangsgerichte zur widrig sind, sondern auch eindeutig nicht der Rechts- Hauptsache der Gerichtsbarkeit zu machen. findung dienen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir alle wissen, daß 2,8 Millionen DM Planungs- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Projektierungsmittel gefunden werden müssen. Die Stellungnahmen des Rechnungshofes sind uns Das würde natürlich nach sich ziehen, daß die ver- auch bekannt. Ich glaube, daß wir in den Haushalts- nünftigsten, besten und erfahrendsten Richter und beratungen jetzt einen Weg finden müssen, diese vor allen Dingen die Richter mit der größten sozialen Projektierungsmittel freizusetzen, damit angefangen Kompetenz in diesen Bereichen sitzen. Das hat dann werden kann. Ich bitte Sie ganz ausdrücklich darum, auch wieder Auswirkungen vom Dienstrecht bis hin mit uns zu versuchen, einen Weg zu finden. zum Besoldungsrecht. Hierfür brauchen wir eine Kommission, weil wir spätestens in der nächsten Lassen Sie mich aber auch noch einige andere Legislaturperiode, in der es andere Mehrheiten Anmerkungen machen. Sie, verehrter Herr Bundes- geben wird, wie wir wissen, entscheidend weiter- justizminister, haben eine große Zahl von Einladun- kommen müssen. gen zu Ihrem Lob ausgesprochen. Nun wi ll ich gar nicht so unkameradschaftlich sein und mich da mehr (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ als nötig zieren, zumal Sie wissen, daß ich einiges CSU]: Das glauben Sie ja selbst nicht!) von dem, was Sie sagen, außerordentlich sympa- thisch finde, das um so mehr, als Sie freundlicher- Meine Damen und Herren, ich würde den Justiz- weise durchaus auch zugegeben haben, daß Sie ge- minister noch gerne wegen anderer Dinge loben. legentlich auf Ideen von uns im Kindschaftsrecht Manche Interviews, die Sie geben, gefallen mir sehr oder beim Strafrahmen zurückgreifen. und finden auch meine Sympathie. In der Praxis sähe ich gerne noch ein wenig mehr Durchsetzungsver- Auch das, was jetzt beim Zwangsvollstreckungs- mögen hier im Haus und auch sonst. recht und beim Ordnungswidrigkeitenrecht auf den Weg gebracht wurde, könnte, sollte und müßte Fangen wir beim Sexualstrafrecht an. Sie wissen, durchaus in dieser Kategorie genannt werden. Nun ich teile die Auffassung, daß hier vieles in der Praxis brauchen wir uns nichts vorzumachen. In unserem im argen liegt. Je mehr m an hereinschaut, um so Beruf gilt der Satz plagiare necesse est. Warum auch schlimmer ist es. Ich finde es auch gut und darf es nicht? Es wäre natürlich gut, wenn wir über das hin- ausdrücklich sagen, daß wir Ihre Unterstützung bei aus, worauf wir uns vernünftig verständigen können, der Ermittlung von mehr Zahlenmaterial bekommen ein bißchen schneller vorankämen. Dann fiele es mir haben. In diesem Bereich wird noch mehr erforder- noch leichter, Sie zu loben; dann würde ich zum Bei- lich sein. Aber warum zum Teufel muß m an mitma- spiel auch noch deutlich erwähnen, daß ich es gut chen, wenn im Bereich der Sicherungsverwahrung finde, daß dieses bescheuerte Gesetzesvorhaben zu Gesetze in die falsche Richtung geändert werden? - dem Thema „Soldaten sind Mörder" nicht kommt. Das verstehe ich einfach deswegen nicht, weil das Da hat sich wirklich auch Vernunft durchgesetzt. kein Kind besser schützen wird, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das müssen wir (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] erst noch abwarten!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Dr. Wolf - Herr Geis, nehmen Sie mir bitte nicht schon wieder gang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber jede Illusion. mit Sicherheit!) ( [CDU/CSU]: Illusionen sondern lediglich dazu führen wird, daß hier wahr- müssen immer genommen werden!) scheinlich, Herr Geis, die falschen Täter und nicht die, die Sie und ich einsperren möchten, zu Lasten Ich möchte ja so gerne auch an die Vernunft in Ihren des Steuerzahlers länger im Gefängnis sitzen. Kreisen glauben. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das glaube ich (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ein sehr ver nicht!) nünftiges Gesetz! - Ecka rt von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist natürlich etwas ande Wir haben in der Anhörung von Montag relativ res!) lange darüber geredet und werden es auch fortset- Es wäre dann natürlich auch ganz gut, wenn m an zen. Sie haben das gleiche Ziel wie ich, nämlich die sich noch auf andere Dinge verständigen könnte. Die Kinder mehr zu schützen. Lassen Sie uns doch um Flexibilisierung und Ausweitung des Sanktionensy- Gottes willen prüfen, wo die Mängel wirklich liegen, stems ist mittlerweile so weit vorangeschritten, daß und sie beheben und nicht ständig diesem Pawlow- man dazu keine Kommission mehr einzusetzen schen Reflex gehorchen, neue Gesetze machen zu braucht. Es wäre sehr sinnvoll, wenn Sie die Kommis- wollen, um einfach etwas vorzeigen zu können. sion für ganz andere Dinge einsetzen würden, die (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist jetzt auch dann einen gesamtstaatlichen Impuls zur Justizre- sehr plakativ!) form geben und auch den Ländern zusätzliche Entla- stung bringen könnten, zum Beispiel die Anglei- Auch der gute Herr Kanther hat heute so get an, als chung der unterschiedlichen Verfahrungsordnungen hätte er es jetzt verstanden. Warum sollte m an dann oder das Projekt, das wir gemeinsam unternehmen in der Frage des Sexualstrafrechts nicht konsequent sollten und dem ein vernünftiger Mensch nicht sein? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17089

Dr. Herta Däubler-Gmelin Herr Bundesjustizminister, ich hätte gerne ihre schnelle und auf eine würdige Weise zu Ende brin- Unterstützung für ein paar andere Dinge. Sie haben gen. Europa erwähnt. In der Tat muß es darum gehen, daß Herzlichen D ank. wir in kürzester Zeit sozialstaatliche, demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse, kurz, einen ge- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE meinsamen europäischen Rechtsraum bekommen, GRÜNEN und der F.D.P.) wie wir ihn uns - ich sage es jetzt einmal - gemein- sam vorstellen. Dazu gehört nicht nur das Projekt Ich gebe das „Gemeinsame europäische Bürgerrechte", das wir Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wort dem Abgeordneten Norbert Geis. dringend wollen; dazu gehört auch die Verbesserung des Rechtsschutzes. Dazu gehört freilich auch eine klar verbesserte Zusammenarbeit zur Bekämpfung Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine der über die Grenzen hinausgehenden Kriminalität, sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin sei sie nun organisiert oder nicht. Däubler-Gmelin, der Erlaß liegt vor. Nur, Sie sind nicht damit einverstanden - aus Gründen, die ich (Beifall bei der SPD) nicht nachvollziehen kann. Ich bin der Auffassung, daß der Erlaß sich ganz und gar nach der Entschlie- Dazu gehört auch, daß Europol seine Tätigkeit aufnehmen kann. Aber warum - ich wiederhole: ßung richtet. Danach hat er sich auch zu richten. warum - muß das mit einem Immunitätsprotokoll in (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Zusammenhang gebracht werden, das jedem unserer GRÜNEN]: Warum sollen Kriegsdienstver rechtsstaatlichen Grundsätze ins Gesicht schlägt? Ich weigerer vor Kriegsbeginn nicht entschä verstehe gar nicht, warum m an die Amtstätigkeiten - digt werden?) Worte, Taten und auch Schriftlichkeiten - der Euro- pol-Beamten „von jeglicher Gerichtsbarkeit" aus- Es können in den Erlaß keine Dinge aufgenommen nehmen muß. Wo sind wir denn eigentlich? Sind wir werden, die nichts mit der Entschließung zu tun ha- wirklich der Meinung, sind Sie wirklich der Mei- ben. nung, wir sollten in der Schaffung des europäischen (Beifall bei der CDU/CSU) Rechtsraumes wieder da anfangen, wo wir vor hun- dert Jahren waren, und a lles das, was wir schon er- Aber wir können darüber vielleicht noch einmal in kämpft hatten, noch einmal erkämpfen müssen? Ich aller Ruhe reden. Ich will jetzt dazu nur deshalb bitte Sie: Das ist doch nicht allein ein sozialdemokra- Stellung nehmen, weil Sie das Thema aufgegriffen tisches Projekt. Da müßten doch auch bei Ihnen haben. sämtliche Warnlampen leuchten. Da müßten Sie Lassen Sie mich aber zu einem anderen Gedanken doch mit uns zusammenarbeiten. kommen. Es geht um die Prozesse in Berlin gegen (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]:- Da ste die Mitglieder des Politbüros, Herr Heuer. Es kam hen noch ganz andere Sachen drin!) das Wort von der „Siegerjustiz" auf. Wahrheit ist, daß sich die Bevölkerung der damaligen DDR in einer un- - Natürlich. Die sind zum Teil ganz vernünftig; blutigen Revolution gegen Lug und Trug und gegen die Gewaltherrschaft der SED gewandt hat und die (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Nein! Machthaber aus dem Amt vertrieben hat. Jetzt haben Nein!) sich diese Machthaber wegen ihrer Taten zu verant- aber dies ist es nicht. - Gut, ich weiß jetzt nicht, was worten. Sie meinen, Herr Kleinert. (Zuruf von der SPD: Die Ostdeutschen woll (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Ich ten das!) meine zum Beispiel die Besoldung!) Das ist gerecht. Anders kann sich der Rechtsstaat nicht verhalten. Das hat nichts mit Rache, das hat Möglicherweise müssen wir noch mehr Begründun- nichts mit Revanche zu tun. Das hätte nicht anders gen dafür nennen, daß wir das nicht akzeptieren sein können, wenn sich die DDR nicht mit der dama- können. Das ist mir recht; das wissen Sie auch. ligen Bundesrepublik vereinigt hätte, sondern ein Ich habe noch eine letzte Bitte - für heute; natür- selbständiger, aber demokratischer Staat geworden lich werden in Zukunft noch weitere kommen. Wir wäre. Deswegen ist dieses Wo rt von der sogenannten haben vor mehreren Monaten für die Deserteure in „Siegerjustiz" so falsch. einem, wie ich finde, ganz ordentlichen Aufeinander (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und zugehen eine gemeinsame Erklärung des Deutschen der SPD) Bundestages beschlossen, die durchaus würdig war, bei allen Schwierigkeiten und Mängeln, die ich oder Es ist schwer genug, diese Regierungskriminalität die andere darin noch haben sehen können. Erstens aufzuarbeiten, doch schon allein deshalb, weil auf steht der Erlaß des Bundesfinanzministeriums noch Grund des Rückwirkungsverbotes in Art. 103 des aus; zweitens können wir die Form so noch nicht ak- Grundgesetzes nicht unser Strafrecht angewendet zeptieren. Meine Bitte nicht nur an Sie, die Kollegen werden kann. Vielmehr können die damaligen SED- von der Union und der F.D.P., sondern auch an Sie, Funktionäre nur nach den damaligen Gesetzen der Herr Bundesjustizminister, obwohl Sie ressortmäßig DDR bestraft werden. Nur wenn nachgewiesen wird, nicht zuständig sind, ist, daß Sie mithelfen, daß wir daß sie gegen diese Gesetze verstoßen haben, ist ein dieses Kapitel der deutschen Geschichte auf eine Urteil überhaupt möglich. 17090 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997

Norbert Geis Das erklärt auch - das muß man der Bevölkerung Norbert Geis (CDU/CSU): Bitte sehr. sagen -, warum so viele Taten, die wir als Unrecht empfinden, gar nicht zur Anklage kommen können: Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Lieber Kollege Geis, weil unser Strafrecht keine Geltung hat. Unser Straf- räumen Sie mir erstens ein, daß ich nicht „Sieger- recht gilt nach einem Urteil des Bundesverfassungs- justiz" gesagt habe? gerichtes nur für die Fälle, für die es milder als das vormalige DDR-Recht ist. Das ist nicht ganz so oft der Zweitens haben Sie eine ganze Reihe anderer Fra- Fall. Aber es ist schon einmal bei den Mitgliedern gen überhaupt nicht berücksichtigt, zum Beispiel die des Verteidigungsrates angewendet worden, bei welthistorische Einbindung, die Frage, wie weit die Herrn Keßler, Herrn Albrecht und Herrn Streletz. In DDR überhaupt in der Lage war, selbständig zu ent- diesem Fall ist westdeutsches Strafrecht angewendet scheiden. Was ich gesagt habe, war - und ich frage worden, weil es in diesen Fällen milder als das DDR- Sie, ob sie das widerlegen wollen -, daß das Bundes- Recht war. verfassungsgericht im Gegensatz zu den Instanzge- richten gesagt hat: Der A rt. 103 des Grundgesetzes Nur dann, wenn die begangene Tat in Überein- findet hier keine Anwendung. Das halte ich wirklich stimmung mit dem DDR-Recht kraß gegen die Ge- für verfassungswidrig, weil der Art. 103 des Grund- rechtigkeit verstoßen hat, ist nach der Radbruch gesetzes einer der ganz eindeutigen Artikel ist. schen Formel aus dem Jahre 1946 eine Verurteilung möglich. Das hat Krenz zu spüren bekommen. Des- Ich habe das Wo rt „Siegerjustiz" nicht gebraucht. wegen ist das Urteil gegen Krenz auch nach meiner Ich habe nur gesagt, ich halte das für verfassungs- Auffassung richtig. Wie auch immer: Die Justiz hat es widrig, was das Bundesverfassungsgericht gemacht in den Händen. Über das Urteil mag ein Revisions- hat. Das widerlegen Sie nicht mit Ihren Ausführun- gericht befinden. Aber wir sollten hier nicht von „Sie- gen. gerjustiz" sprechen. Wir sollten dieses Urteil nicht als nicht verfassungsgemäß bezeichnen. Norbert Gels (CDU/CSU): Sie haben das Wort (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. „Siegerjustiz" hier nicht gebraucht. Aber es ist von sowie bei Abgeordneten der SPD) Krenz und von anderen Mitgliedern auch Ihrer Partei gebraucht worden. Darauf habe ich Bezug genom- Eine ganz andere Frage ist die Frage der Amnestie men. Sie selbst haben es hier heute nicht gesagt. Das und des Schlußstriches, der gefordert wird. Ich bin ist richtig. nicht dafür. Wenn überhaupt eine Gelegenheit be- stand, einen solchen Gedanken durchzusetzen, dann (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber er war es in der Zeit der Revolution oder in der Zeit da- hat so gesprochen!) nach, als der Westen und der Osten die Einigungs- - Er hat es wohl sinngemäß gemeint. Aber ich wi ll verträge ausgehandelt und durchgesetzt haben. Da darüber jetzt nicht finessieren. hätte man vielleicht eine Amnestie -erlassen und einen Schlußstrich ziehen können. Jetzt aber, wo es Aber eines hat das Bundesverfassungsgericht zu den Rechtsstaat gibt, müssen wir uns daran erinnern, Art. 103 des Grundgesetzes gesagt: Der A rt. 103 des was der Rechtsstaat tun muß. Er muß nämlich dafür Grundgesetzes gilt für den Fall nicht, wenn das deut- sorgen, daß Recht und Ordnung Geltung haben und sche Strafrecht, wie ich das vorhin ausgeführt habe, daß sich die Gerechtigkeit durchsetzt. Das kann er milder als das Strafrecht der DDR ist. In diesem Fall mit einem demokratisch legitimie rten Strafrecht, das verstößt die Anwendung des jetzigen Strafrechtes sich den Einzelfall anschaut und das dem Einzelfall Gesamtdeutschlands nicht gegen das Rückwirkungs- entsprechend sein Urteil spricht. verbot. Eine weitere Frage ist, ob wir die Verjährungsfrist Auch ein Zweites ist bestätigt. Das ist die Tatsache, für Straftaten, die jetzt am 31. Dezember verjähren, daß es dann zu einer Strafverfolgung kommen kann, verlängern. Das muß überlegt werden. In diesem wenn eine Tat mit dem vormaligen DDR-Strafrecht in Punkt müssen wir die dafür zuständigen Ländermi- Übereinstimmung steht. Wenn aber die Tat in einer nister hören. Wir müssen aber auch die Staatsanwalt- groben, massiven Weise - nicht in einer Nebenbei schaft hören, die in Berlin diese Taten von Regie- Weise - gegen das Gerechtigkeitsgebot verstößt, rungskriminalität verfolgt. Erst dann sollten wir dem dann ist es ebenfalls möglich, das sogenannte über- Gedanken nähertreten. Es stehen aber viele andere gesetzliche, das überverfassungsrechtliche allge- gewichtige Argumente dagegen. Auch das darf man meine Recht, wie es Radbruch für das Nazi-Recht for- nicht übersehen. muliert hat, entsprechend auch in diesem Fall anzu- wenden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich meine, darüber brauchen wir uns keine Gedan- Eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtspolitik ken zu machen. Ich halte das durchaus für verfas- bleibt die innere Sicherheit. Das ist heute oft genug sungskonform. gesagt worden. Wir haben einen Anstieg der organi- sierten Kriminalität, der Gewalt-, der Ausländer- und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Jugendkriminalität. Das hat viele Gründe. Ich möchte zu der Frage des Anwachsens der Kriminalität zurückkommen. Dies ist die wichtigste Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Aufgabe, die wir in der Rechtspolitik haben. Hierzu Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- wird ein Großteil aus Ihrem Ministerium, Herr neten Heuer? Minister, geleistet. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17091

Norbert Geis Es geht dabei um das Sexualstrafrecht, um den daß wir das Strafrahmenharmonisierungsgesetz ver- Schutz von Frauen und Kindern vor Sexualstraftä- abschieden - aber bitte nicht unbedingt zeitgleich tern. Wir diskutieren hierüber bereits ein Jahr lang. mit dem Sexualstrafrecht. Hier ist, wie ich meine, Es ist am 6. Oktober des letzten Jahres gewesen, daß eine Antwort dringend erforderlich. Die können wir der Rechtsausschuß eine erste Anhörung dazu durch- geben; hier sind wir weitgehend einig. geführt hat. Herr Präsident, ein Schlußsatz. Ich danke für die Wir haben damals gesagt: Es ist durchaus möglich, gute Zusammenarbeit und auch für die große Lei- daß wir bis zur Sommerpause ein entsprechendes stung, die aus dem Justizministerium kommt. Wir be- Gesetz im Bundesgesetzblatt haben. Wir haben auch fassen uns mit einer Vielfalt von Themen. Jedes gesagt, daß wir dann, wenn die beiden Gesetzge- Thema bedarf einer ganz intensiven Vorbereitung. bungsvorhaben, das Strafrahmenharmonisierungs- Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen im gesetz und das Sexualstrafgesetz, verschiedene Ge- Ausschuß und hoffe, daß sich das gute Klima auch im schwindigkeiten entwickeln, das Sexualstrafgesetz letzten Jahr dieser Legislaturpe riode fortsetzen läßt. vorziehen. Danke schön. Ich bin der Meinung, es ist jetzt der Augenblick gekommen, an dem wir uns das eingestehen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Strafrahmenharmonisierungsgesetz ist zwar ein wichtiges Gesetzgebungsvorhaben, benötigt aber Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wenn es heißt, sehr detaillierte Beratungen. Die Berichterstatter sind man wolle nur noch einen Satz sprechen, dann habe einfach überfordert, wenn sie in kürzester Frist all ich offenbar immer Probleme mit der Interpunktion. die vielen Punkte - die Anhörung hat gezeigt, wie Das ist schon mehrfach vorgekommen. notwendig es ist, daß wir in die Beratung über die einzelnen Punkte eintreten - gewissermaßen im Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sit- Schnellgalopp bewerten müssen. Ihr Haus hat da ei- zung nicht vor. nen Vorteil. Sie haben einen langen Vorlauf. Ihre Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Fachleute beschäftigen sich damit vielleicht schon destages auf morgen, Donnerstag, den 11. September jahrelang. 1997, 9 Uhr ein. Wir können das nicht in der Kürze der Frist so be- Die Sitzung ist geschlossen. urteilen, wie die Fachleute das tun. Ich sage Ihnen noch einmal hier vor dem Plenum: Ich bin sehr dafür, (Schluß der Sitzung: 20.54 Uhr)

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 188. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1997 17093*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gerhard Jüttemann (PDS) entschuldigt bis zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung Abgeordnete(r) einschließlich des Petitionsausschusses zur Sammelübersicht 226 zu Petitionen - Regelung im Einigungsvertrag, Augustin, Anneliese CDU/CSU 10.9. 97 ** wonach einige mineralische Rohstoffe als bergfreie Behrendt, Wolfgang SPD 10. 9. 97* Bodenschätze gelten - Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 10. 9. 97 ** (Tagesordnungspunkt 4 p) 90/DIE GRÜNEN Ich stimme der Beschlußempfehlung des Petitions- Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 10. 9. 97 ausschusses nicht zu, weil ich dringenden Hand- Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 10. 9. 97 ** lungsbedarf sehe. Friedhoff, Paul K. F.D.P. 10.9. 97 Günther (Duisburg), Horst CDU/CSU 10. 9. 97 Ich stimme nicht zu, weil zwar das Bergrecht inzwi- schen vereinheitlicht ist, jedoch infolge der Bestands- Marx, Dorle SPD 10. 9. 97 schutz-Klausel für bereits erteilte Gewinnungsrechte Müller (Düsseldorf), SPD 10. 9. 97 die Benachteiligung von Eigentümern sowie die Michael schweren Beeinträchtigungen ganzer Gemeinden so- PoB, Joachim SPD 10. 9. 97 wie von Natur und Umwelt in vielen Fällen anhalten. Dr. Probst, Albert CDU/CSU 10. 9. 97 * Auch würde sonst eine Ungleichbehandlung fortge- Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 10. 9. 97 schrieben. Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 10.9.97 Irmingard 90/DIE Ich lehne die Beschlußempfehlung auch deshalb GRÜNEN ab, weil die Begründung von 1990 für das unter- Schloten, Dieter SPD 10. 9. 97 ** schiedliche Bergrecht für die jetzige Zeit ohnehin nicht mehr angeführt werden kann. Es gibt heute Schmidt (), U lla SPD 10. 9. 97** keinerlei Engpässe hinsichtlich der Rohstoffversor- Schmidt (Fürth), CDU/CSU 10. 9. 97 ** gung für das Bauwesen im Osten, die Sonderrege- Christian lungen notwendig machen würden. Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 10. 9. 97 90/DIE Ich stimme deshalb nicht zu, weil dringend Er- GRÜNEN fordernis besteht, Rechtsgleichheit nicht nur auf Schütze (Berlin), CDU/CSU 10. 9. 97 dem Papier, sondern auch in der Praxis herzustel- Diethard len, damit in Zukunft teilweise irreparable Schäden Sebastian, Wilhelm Josef CDU/CSU 10. 9. 97 an touristisch nutzbaren Landschaften, wie in eini- Terborg, Margitta SPD 10. 9. 97 * gen Fällen geschehen, nicht wieder infolge berg- rechtlicher Bestimmungen eintreten können. Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 10. 9. 97 Tippach, Steffen PDS 10. 9. 97 Ich stimme auch deshalb nicht zu, weil es not- Dr. Wittmann, Fritz CDU/CSU 10. 9. 97 wendig ist, daß im Interesse der Bürgerinnen und Zierer, Benno CDU/CSU 10. 9. 97* Bürger in den neuen Bundesländern Möglichkeiten geschaffen werden müssen, um alle genehmigten

* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Abbauvorhaben neuen Planfeststellungsverfahren sammlung des Europarates mit umfassender Umweltverträglichkeitsprüfung zu

** für die Teilnahme an der 98. Jahreskonferenz der Interparla- unterziehen, ebenso genehmigte Vorhaben, wo der mentarischen Union Abbau noch nicht begonnen hat.