Oliver Rathkolb: Das Parlament Als Ort Des Gedenkens Und Der
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Demokratiezentrum Wien Quelle: Forum Parlament, 2/2005, S. 44-49 Online: www.demokratiezentrum.org 44 Parlament im Wandel – offenes Parlament? Oliver Rathkolb Das Parlament als Ort des Gedenkens und der Vergangenheitspolitik Deskriptoren: BGBl 1995/432; BGBl I 1998/181; züglich der Entnazifizierungsfolgen bis hin zur BGBl I 2000/74; BGBl I 2001/11; BGBl I 2001/12; großen umfassenden Amnestie 1957 sind aus E 90 (XX. GP); E-176-BR; Entschädigungsfonds; Na- tionalfonds; Restitution; Vergangenheitsbewälti- heutiger Sicht höchst irritierende Dokumente gung; Versöhnungsfonds. einer kollektiven Unschuldsvermutung und des Verantwortungstransfers auf das ehemalige Deutsche Reich und die spätere Bundesrepu- Umgang mit der Geschichte blik Deutschland (BRD). Die Stenographischen Protokolle des Natio- Hier sei nur eines der vielen Beispiele für nalrates sind eine hervorragende Quelle, um die höchst zurückhaltende österreichische Po- die gesellschaftlichen Entwicklungen und Än- sition kurz ausgeführt. Im Staatsvertrag 1955, derungen der kollektiven Einstellungen ge- Art 26, hat die Republik Österreich zuge- genüber historischen Vorstellungen und Inter- stimmt, noch offene Vermögensfragen zu lö- pretationen von jüngerer und jüngster Vergan- sen: Obwohl am 17. März 1959 auf Ebene des genheit sichtbar zu machen. Im Zentrum steht österreichischen Ministerrates von ÖVP und die Auseinandersetzung über den Zivilisations- SPÖ eine Entschädigungssumme von sechs bruch Auschwitz, über die systematische Aus- Mill US-Dollar plus zehn Prozent Verwaltungs- grenzung, Verfolgung und letztlich Ausrottung kosten genehmigt worden war, sollte sich die der europäischen Juden/-innen durch das NS- weitere Umsetzung noch weitere zwei Jahre in Regime. Viele Jahrzehnte war die Debatte die Länge ziehen, denn diese Frage wurde mit über den Anteil von Österreichern/-innen an den Ansprüchen Österreichs gegenüber der der NS-Verfolgungs- und Vernichtungsmaschi- BRD junktimiert nerie, die Simon Wiesenthal bereits in den Diese Frage war auch im Nationalrat heftig 1960-er Jahren in einer Dokumentation1 an umstritten, wie Außenminister Bruno Kreisky Bundeskanzler Josef Klaus thematisiert und am 15. Juli 1960 zugab: „Art 26 verweist ganz dokumentiert hatte, überlagert von der per- offen über unsere Schwierigkeiten in dieser sönlichen Erfahrung der KZ-Generation unter Beziehung. Er vertrat die persönliche Überzeu- den politischen Entscheidungsträgern um Bun- gung, dass die österreichische Regierung nicht deskanzler Leopold Figl, die im Opfermythos genug getan hat für politische Opfer, die in über fast alle Österreicher/innen gebreitet Österreich selbst leben. Eine kleine Minderheit worden war. von Helden. Aber Helden sind zu Lebzeiten nie Wer heute die tausenden Seiten in den Ste- populär. (Finanzminister) Kamitz hatte mehr nographischen Protokollen über die Entnazi- Verständnis für ausländische Flüchtlinge als für fizierungsgesetzgebung, über die sieben die Opfer im Inland. Die Parlamentarier warten Rückstellungsgesetze 1946–1949, die vier nun auf (die) Gelegenheit, um (den) Finanz- Rückstellungsanspruchgesetze (1947–1949) minister unter Druck zu setzen – zugunsten der oder das Opferfürsorgegesetz 1947, das Be- inländischen Opfer“.2 amtenentschädigungsgesetz 1952 bis zum 1961 fand man letztlich eine Lösung. Sie Hilfsfondsgesetz 1956 und dem Abgeltungs- war ein Ergebnis der zeitgleich stattfindenden fondsgesetz aus 1961 nachliest, wird einen deutsch-österreichischen Vermögensverhand- Eindruck über die Folgen dieser überzogenen lungen – erst als hier die Eckdaten klar waren, Opferdoktrin gewinnen. Auch die Debatten die dann im Bad Kreuznacher Abkommen mit über die diversen Amnestierungsgesetze be- der BRD vom 27. November 1961 endeten, 1 Vgl dazu Pick, Simon Wiesenthal. Eine Biographie 2 Österreichisches Institut für Zeitgeschichte, Tage- FORUM PARLAMENT 2/2005 Jg. 3, Nr. (1997). Übersetzt von Susanne Klockmann. bücher Martin Fuchs, Eintragung 15. Juli 1960. FORUM PARLAMENT, Nr. 0/2002 Nr. FORUM PARLAMENT, Demokratiezentrum Wien Quelle: Forum Parlament, 2/2005, S. 44-49 Online: www.demokratiezentrum.org Parlament im Wandel – offenes Parlament? 45 wurde der Abgeltungsfonds zur Entschädi- wie das ganze deutsche Parlament stand hin- gung von Vermögensverlusten wie Bankkon- ter ihr3. Die österreichische Regierung war ten, Wertpapiere, Hypotheken, am 22. März vom Beginn an entschlossen, nichts zu geben, 1961 vom Nationalrat per Gesetz begründet nicht mit uns zu arbeiten und alle unsere Be- und zumindest formal die Junktimierung ge- mühungen zu sabotieren. Und das ganze Par- löst. Gleichzeitig wurde auch die 12. Novelle lament stand hinter ihr“.4 zum Opferfürsorgegesetz beschlossen. Letzt- lich erhielten auch die „Heimatvertriebenen“, Verantwortung für Vergangenheit in dh die deutschen Flüchtlinge nach 1945, die in Gesetzen Österreich lebten, 125 Mill DM, für die NS- Verfolgten waren 95 Mill DM vorgesehen. Wei- Erst 1991 hat der damalige Bundeskanzler tere sechs Mill DM zahlte die BRD an die Sam- Franz Vranitzky von der Regierungsbank aus melstellen, sodass mit der Verdopplung durch für eine österreichische Bundesregierung die Republik Österreich dann letztlich der Ge- „eine moralische Mitverantwortung für Taten samtbetrag von 1,3 Mrd Schilling aufgebracht unserer Bürger“ anerkannt.5 Diese neue wurde. Staatsdoktrin, die die umfassende Opferdok- Der Zeitraum zw dem Abschluss des trin auch im Gefolge der heftigen nationalen Staatsvertrages 1955 und der Entfertigungs- und internationalen Diskussion über die erklärung bezüglich der Erfüllung des Art 26 Kriegsvergangenheit des Bundespräsident- Staatsvertrag durch Nahum Goldmanns na- schaftskandidaten und späteren Bundespräsi- mens des Jewish Claims Committee am 19. denten Kurt Waldheim seit 1986 langsam ab- Dezember 1961 signalisiert diese konfliktbe- zulösen begann, wurde in einer weiteren ladene Nachverhandlungsphase. Dies ist zum Grundsatzrede Vranitzkys an der Hebrew Uni- einen auch auf die zu ungenaue Formulierung versity in Jerusalem vertieft, indem er eine An- des Art 26 zurückzuführen und zum anderen erkennung der „kollektiven Verantwortung“6 dem Faktum geschuldet, dass zum Unter- aussprach, aber gleichzeitig auch eine Kollek- schied von den sowjetischen Ansprüchen auf tivschuld ablehnte. das Deutsche Eigentum keine präzisen Verein- In der parlamentarischen Debatte über den barungen – vergleichbar mit dem Moskauer Nationalfonds, gegr als aktives Erinnerungsin- Memorandum 1955 – getroffen wurden. Selbst strument zum 50. Jahrestages des Endes des die USA begnügten sich trotz der bereits seit Zweiten Weltkrieges im Gefolge eines parla- Juni 1953 deutlich zurückhaltend bis verzö- mentarischen Initiativantrages7 der SPÖ-ÖVP- gernd von der österreichischen Bundesregie- Koalitionsregierung Bundeskanzler Franz Vra- rung geführten Verhandlungen mit dem Com- nitzkys und Vizekanzler Erhard Buseks, wurde mittee for Jewish Claims on Austria mit dem deutlich, dass inzwischen trotz mancher lauter status quo des Art 26. Zwischenrufe die Revision der Opferdoktrin Die zitierte Entfertigungserklärung des Je- eine klare Mehrheit fand. In diesem von Peter wish Claims Committee sollte jedoch nicht Ein- Kostelka und Andreas Khol als Klubobleute zelansprüche abdecken und auch nicht jene ausgearbeiteten Antrag wurde die Verpflich- Institutionen binden, die nicht dem Committee angehörten. Einer der Chefverhandler auf Sei- 3 Anm d Verf: Zahlreiche Mitglieder der CDU/CSU- ten des Committee, Gustav Jellinek, 1885 in Fraktion im Bundestag enthielten sich oder ver- Mistelbach geboren, zog den Schluss, der weigerten die Zustimmung zu dem Luxemburger durchaus die politisch unterschiedliche Strate- Abkommen über Entschädigungsleistungen auch gie der BRD und Österreichs zum Ausdruck an den Staat Israel. 4 Jellinek, Die Geschichte der österreichischen bringt und damit der letztlich doch gezahlten Wiedergutmachung, in: Frankel (Hrsg), The Jews Entschädigung in Österreich viel an politischer of Austria. Essays on their life, history and de- Akzeptanz nimmt: „(...) die deutsche Regie- struction (1967) 426. rung war, (...) vom Beginn an bereit, mit der 5 XVIII. GP, 35. NR-Sitzung v 8.7.1991, 3283. 6 Kabinettsunterlagen Franz Vranitzky, Reden, 9.6. Claims Conference zu arbeiten und rasch zu 1993 (Stiftung Bruno Kreisky Archiv). einem gedeihlichen Ende zu kommen; so gut 7 XIX. GP, IA 251/A. FORUM PARLAMENT 2/2005 Jg. 3, Nr. Demokratiezentrum Wien Quelle: Forum Parlament, 2/2005, S. 44-49 Online: www.demokratiezentrum.org 46 Parlament im Wandel – offenes Parlament? tung untermauert, „sich an das unermessliche wenn nicht – aufgrund der zunehmenden inter- Leid zu erinnern, das der Nationalsozialismus nationalen Vernetzung der Finanzmärkte – über Millionen Menschen gebracht hat, und Schweizer Unternehmen und Konzerne in New der Tatsache zu gedenken, dass auch Österrei- York und generell in den USA zunehmend mit cher an diesen Verbrechen beteiligt waren“. rechtlichen und va ökonomischen Problemen Der Nationalfonds8, der auch im Parlament di- konfrontiert worden wären, wobei die mög- rekt institutionalisiert wurde, hat seit 1995 an lichen Konsequenzen eines breiten Boykotts 29.461 Opfer des nationalsozialistischen Ter- durch US-Aktieninhaber (va US-Aktienfonds) rors symbolische Pauschalzahlungen geleis- nicht absehbar waren. tet.9 Die österreichische Politik griff die Schwei- 1997 haben sowohl Nationalrat als auch zer Debatte auf und schottete sich nicht ab. Bundesrat Entschließungen angenommen, die Die unabhängige „Kommission zur Prüfung den Tag der Befreiung des Konzentrations-