Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der Partei DIE LINKE. am 31. Mai 2013 im Pfefferberg in Berlin Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung 3 Programm der Konferenz 5

Protokoll: I. Kulturpolitik neu denken – neue Heraus­ forderungen, neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung im 21. Jahrhundert Begrüßung Dr. Annette Mühlberg und Elli Strauven-Dejean 7 Tobias J. Knoblich: Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt. Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? 9 Klaus Schöpp: Ansätze für eine zeitgemäße Kulturförderung – »Hochkultur« oder »Freie Szene«, ist das noch die Frage? Forderungen der Koalition der Freien Szene 20 Dr. Lukrezia Jochimsen: Kultur für alle – Jetzt erst recht! 28 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung 31

II. Kulturförderung neu denken – Initiativen und Konzepte in den Ländern und Kommunen Olaf Zimmermann: Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? 4 3 Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt: Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art. Ihre Förderung am Beispiel des Sächsischen Kulturraumgesetzes 52 Katrin Framke: Initiativen der Linken zur Kultur­förderung in den Ländern – Ein Überblick 61 Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte 63 Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten 72 Dr. Annette Mühlberg: Fazit und Ausblick 82

Anlagen Selbstdarstellung Ständige Kulturpolitische Konferenz 83 Auszug aus dem Bundestags- wahlprogramm 2013 zur Kultur 84 Selbstdarstellung Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH 86 1 Partei DIE LINKE. Ständige Kulturpolitische Konferenz Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Tel. 030/24009-357 E-Mail: [email protected] V.i.S.d.P.: Gert Gampe Redaktion: Dr. Annette Mühlberg Redaktionsschluss: April 2014 Titelbild: »Berlin Pfefferberg 2013« aus der Bilder­ serie »Berlin Häuserflucht«, Stefan Paubel, 2013 Satz und Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation 2 Vorbemerkung › ›

Vorbemerkung

Am 31. Mai 2013 diskutierten im Pfefferberg in einen Antrag für ein Kulturfördergesetz in den Berlin Mitglieder der Ständigen Kulturpolitischen Landtag eingebracht. Er wurde mit der Begründung Konferenz der Partei DIE LINKE. mit verschiedenen abgelehnt, dann solle man doch besser gleich Akteuren aus Politik, Wissenschaft und der Kultur­ einen Gesetzentwurf machen. Das will die Links- szene auf einer eintägigen Beratung über neue fraktion nun tun. Am 10. Januar 2014 verständigte Herausforderungen und neue Ansätze für Kultur­ sich die Landtagsfraktion auf einer Klausur über politik und Kulturförderung. Eckpunkte für ein Kulturfördergesetz in Mecklen- burg-Vorpommern. Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte dieses Tages. Hier zum Eingang ein kurzer Überblick über In Sachsen-Anhalt hat sich über 14 Monate ein den Verlauf der Diskussion und deren Ergebnisse: Kulturkonvent mit der Situation und den Perspek­ Kulturelle Vielfalt braucht auch weiterhin öffentliche tiven der kulturellen Infrastruktur beschäftigt. Förderung. Daran bestand für die Anwesenden kein Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Zweifel. Neu aber muss bedacht werden, in welcher Kulturrates und Moderator des Kulturkonvents Weise sie künftig zu gestalten ist. Sachsen-Anhalt) fasste dessen Ergebnisse und Erfahrungen zusammen und ging der Frage nach, Tobias J. Knoblich (Vizepräsident der Kulturpoli- ob dies ein verallgemeinerungsfähiges Modell auch tischen Gesellschaft e. V.) beschrieb in seinem für andere Länder sei. Das Besondere dieses Einstiegsreferat mit dem Titel »Zwischen Kreativität Konvents war seine Zusammensetzung. Er war kein und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte kleines Expertengremium, sondern bot ein breites Kulturpolitik und was kann sie leisten?« die derzei- Abbild der Gesellschaft des Landes Sachsen- tige Situation in der Theoriebildung und kultur­ Anhalt. Er war breit demokratisch legitimiert, es politischen Praxis und zeigte Möglichkeiten und wurde gemeinsam an Lösungen gearbeitet. Des- Grenzen konzeptbasierter Kulturpolitik auf. Klaus halb sei dieser Konvent ein nachahmenswertes Schöpp (Musiker und Sprecher der Koalition der Modell für andere Länder – meinte Olaf Zimmer- Freien Szene, Berlin) setzte sich mit dem Verhältnis mann. Allerdings verdeutlichte er auch, dass das von Hochkultur und Freier Szene auseinander und eigentliche Problem nun in der Umsetzung der erläuterte die Forderungen der Koalition der Freien Empfehlungen des Konvents liege, denn die Spar- Szene an die Politik. Gerade hier wurde deutlich, beschlüsse in Sachsen-Anhalt konterkarieren seine dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Und Ergebnisse. Es gelte nun gemeinsam für die Kultur Lukrezia Jochimsen (MdB, Kulturpolitische Spreche- in Sachsen-Anhalt zu streiten. rin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.) erneuerte den Anspruch einer »Kultur für alle«. Um diesen Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt (Professor für einzulösen, müssen wir eine Diskussion über unsere Kulturgeschichte und Kulturpolitik an der Hoch- öffentlichen Güter anstoßen, zu denen Kultur schule Zittau/Görlitz, Geschäftsführender Direktor weitgehend gehört. Stellen wir doch allerorten fest, des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen) dass diese Gemeingüter der Bevölkerung genom- referierte über Mittelstädte als kulturelle Zentren men und vorenthalten, dass sie zerstört oder eigener Art und ihre Förderung am Beispiel des kommerzialisiert werden. Dagegen müssen wir Sächsischen Kulturraumgesetzes, welches er politisch angehen, aktuell vor allem bei der Diskus- maßgeblich mit auf den Weg gebracht hatte. sion um das Freihandelsabkommen der Europä- Sein Resümee lautete, dass durch die Pflichtauf­ ischen Union mit den USA – war ihr Plädoyer. gabe Kultur im Sächsischen Kulturraumgesetz die Garantie von Artikel 28 Grundgesetz und Artikel 82 In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde Sächsische Verfassung, nämlich Gestaltungshoheit über vorhandene Ansätze für eine neue Kulturpoli- der Kommunen, überhaupt erst hergestellt worden tik und Kulturförderung – nicht zuletzt auch am sei. Und deshalb wäre es in der Tat gut, einen Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern – disku- Artikel im Grundgesetz zu haben, mit dem Kultur tiert. Dort engagiert sich eine Volksinitiative für den zur Pflichtaufgabe wird und einen entsprechenden Erhalt der Theater- und Orchesterlandschaft. Dafür in allen Landesverfassungen. braucht es eine verlässliche längerfristige Förde- rung. Zum Schutz von Kultur sollten verpflichtende In den folgenden zwei Podiumsdiskussionen wurde Regelungen zur Förderung von Kultur auf Landes- über Initiativen und Konzepte zur Kulturförderung und Bundesebene geschaffen werden. Linksfrakti- in Flächenländern einerseits und Großstädten/ on und Grüne hatten zum Anfang des Jahres 2013 Stadtstaaten andererseits mit ihren jeweils spezi-

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fischen Rahmenbedingungen diskutiert. Interes- und außerparlamentarische Aktivitäten erhalten, sant waren hier insbesondere die Erfahrungen die ernsthaft weiter verfolgt und umgesetzt werden der LINKEN in Sachsen bei der Entwicklung von müssen. Das reicht von den Kulturfördergesetzen kulturpolitischen Leitlinien und ihrer breiten über die Formulierung von kulturpolitischen öffentlich Diskussion. Ähnlich die öffentliche Leitlinien, nicht nur in einem Land, bis hin zum Debatte über den Vorschlag für ein Kulturförder­ Einfordern einer »kulturellen Ausnahme« bei den gesetz der Linksfraktion in Thüringen. Auch in Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwi- Hamburg oder Berlin könnte ein Kulturfördergesetz schen der Europäischen Union und den USA. Wir hilfreich sein, allerdings sind dort andere Gegeben- werden der Frage nachgehen, wo und in welcher heiten zu beachten. In Berlin gab es dafür ja schon Weise es sinnvoll ist, Ähnliches wie das Sächsische Ansätze. Wolfgang Brauer (Kulturpolitischer Kulturraumgesetz oder Beteiligungsformen wie den Sprecher der Linksfraktion in Berlin) sprach sich Kulturkonvent auf den Weg zu bringen. Der Forde- für ein Landeskulturgesetz anstelle von vielen rungskatalog der Koalition der Freien Szene in Einzelkulturgesetzen aus. Darin sollte erstens Berlin enthält für uns ein ganzes Bündel von festlegt werden, dass das Land Berlin Kultur Aufgaben zur Verbesserung der Situation von fördert und unterstützt und zweitens sollte sehr freiberuflich tätigen Kreativen. Mit den Forde- genau definiert werden, wofür der Senat zuständig rungen stimmen wir in der Grundrichtung überein. ist, was die Landesebene zu machen hat und was Relevant sind sie nicht nur für diese eine Stadt. von den Bezirken als »Teilkommunen« erwartet Wir sind eine »Ständige Kulturpolitische Konferenz« wird. Klar werden muss, wie sich das Land selbst und werden uns mit den Themen, die im Mai in die Pflicht nimmt, um die Bezirke in die Situation vergangenen Jahres diskutiert wurden, weiter zu versetzen, die zugewiesenen Aufgaben auch beschäftigen.1 Wir bedanken uns bei allen erfüllen zu können. Mit­wirkenden für ihre Beiträge.

Das Ergebnis des Tages lässt sich aus Sicht der Veranstalter kurz zusammenfassen: Wir haben eine Annette Mühlberg ganze Reihe von Anregungen für parlamentarische April 2014

1 Mehr Informationen zu den kulturpolitischen Positionen und Initiativen der LINKEN finden Sie auf den Internet-Seiten der Partei DIE LINKE unter: http://www.die-linke.de/politik/positionen/ kulturpolitik/ 4 Programm der Konferenz › ›

Programm der Konferenz

Fragestellung munen entwickelt worden, nicht zuletzt auch von der LINKEN. Dabei rücken Strategien einer »kon- Kulturelle VieIfalt braucht auch weiterhin öffent- zeptbasierten Kulturpolitik« mit der Entwicklung liche Förderung. Daran besteht zumindest unter von Leitlinien, Plänen, Konzepten immer mehr in Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern kein den Mittelpunkt. Daneben werden vor allem Zweifel. Die Frage aber ist, in welcher Weise diese Forderungen nach gesetzlichen Regelungen zur künftig zu gestalten ist. Sowohl die Rahmenbedin- Sicherung der »freiwilligen« Aufgabe Kultur und für gungen als auch die Formen kultureller Arbeit einen gerechten Leistungs- und Nutzenausgleich haben sich in den letzten Jahren entscheidend zwischen den Städten und ihrem Umland unter verändert. Ein einfaches »Weiter so« kann es in Beteiligung der Länder lauter. der Kulturpolitik und Kulturförderung nicht geben. Wir wollen auf der Kulturkonferenz den Fragen Im neuen Grundsatzprogramm der Kulturpoli- nachgehen, welche Modelle, Konzepte und Strate- tischen Gesellschaft werden die Herausforde- gien in Bund und Ländern zur Bewältigung dieser rungen treffend beschrieben: »Die politischen, neuen Herausforderungen entwickelt wurden, kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedin- welche sich in der Praxis schon als tragfähig gungen verändern sich weltweit grundlegend. Ein erwiesen haben und welche es sich noch auszupro- tief greifender Strukturwandel hin zu einer digitalen bieren lohnt. Wir laden herzlich zur Debatte über und globalen Wissensgesellschaft schafft neue diese Fragen ein und hoffen auf eine anregende Optionen, birgt aber auch Risiken. Die ökologische Diskussion mit allen Anwesenden, auch über den und finanzwirtschaftliche Krise sowie die demo­ Kreis der Referentinnen und Referenten hinaus. grafische und sozio-ökonomische Entwicklung be­einträchtigen die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen und bedrohen den sozialen Frieden. Alle Politikbereiche sind aufgerufen, sich diesen Ablauf: Herausforderungen zu stellen – auch die Kulturpoli- tik! Notwendig sind alternative Gesellschaftsent- 10.00–10.15 Uhr würfe, die die kulturelle und soziale Teilhabe mit Begrüßung: Dr. Annette Mühlberg (Bundessprecherin­ nachhaltiger Entwicklung zusammen denken und der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz) und Elli dabei auch die Arbeits- und Produktionsbedin- Strauven-Dejean (Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH) gungen in der Kunst und in der Kulturwirtschaft in den Blick nehmen.«2 I. Kulturpolitik neu denken – neue Heraus­ Das heißt auch alternative Entwürfe und Konzepte forderungen, neue Ansätze für Kulturpolitik für eine Kulturförderung zu entwickeln, die sich und Kulturförderung im 21. Jahrhundert über den Erhalt und die Pflege des kulturellen Erbes hinaus auf die vielgestaltige kulturelle 10.15–10.45 Uhr Szene – von den öffentlichen Kultureinrichtungen Einstiegsreferat: Zwischen Kreativität und über die frei-gemeinnützigen Projekte und Initiati- Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte ven bis hin zu den privatwirtschaftlichen Kulturan- Kulturpolitik und was kann sie leisten? bietern – richtet und in stärkerem Maße als bisher Tobias J. Knoblich (Vizepräsident der Raum für Neues schafft. Vor allem muss von der Kultur­politischen Gesellschaft e. V.) Förderung deutlich mehr bei den Kreativen selbst ankommen. 10.45–11.15 Uhr Nachfragen an den Referenten/Diskussion Ansätze dafür sind in den letzten Jahren in ver- Moderation: Dr. Annette Mühlberg schiedener Weise sowohl auf Bundesebene (so zum Beispiel von der Enquete-Kommission »Kultur in 11.15–11.45 Uhr Deutschland«) als auch in den Ländern und Kom- Ansätze für eine zeitgemäße Kulturförderung – »Hochkultur« oder »Freie Szene«, ist das noch die Frage? Forderungen der Koalition 2 Vgl. Grundsatzprogramm der Kulturpolitischen Gesellschaft, der Freien Szene beschlossen am 21. September 2012 in Berlin, digitale Fassung Klaus Schöpp (Musiker, Koalition der Freien Szene, verfügbar unter: http://www.kupoge.de/dok/programm_kupoge.pdf Berlin) 5 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

11.45–12.15 Uhr 16.00–16.15 Uhr Kaffeepause Kultur für alle – Jetzt erst recht! Dr. Lukrezia Jochimsen (MdB, Kulturpolitische 16.15–16.30 Uhr Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.) Initiativen der Linken zur Kulturförderung in den Ländern – Ein Überblick 12.15–13.30 Uhr Katrin Framke (Projektmanagerin, Berlin) 1. Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung 16.30–17.30 Uhr Mit Dr. Lukrezia Jochimsen, Klaus Schöpp, 2. Podium: Kulturförderung in Isa Kathrin Edelhoff (Kulturvermittlerin und Flächen­ländern – Initiativen und Konzepte -managerin, Berlin, Regionalsprecherin der Mit Volker Külow (MdL, Kulturpolitischer Sprecher Kulturpolitischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg), der Linksfraktion im Landtag Sachsen), Jayne-Ann Torsten Koplin (MdL, Kulturpolitischer Sprecher Igel (Schriftstellerin, Sprecherin der Landesarbeits- der Linksfraktion im Landtag Mecklenburg- gemeinschaft Kultur Sachsen), Dr. Birgit Klaubert Vorpommern), Ralph Reichel (Chefdramaturg (MdL, Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, im Landtag Thüringen), Lorenz Müller-Morenius Volksinitiative für den Erhalt der Theater- und (Freier Maler und Zeichner, ver.di NRW) Orchesterstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern) Moderation: Dr. Annette Mühlberg Moderation: Kathrin Senger-Schäfer (MdB, Medienpolitische Sprecherin der Bundestags­ 17.30–18.30 Uhr fraktion DIE LINKE.) 3. Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten 13.30–14.00 Uhr Mittagspause Mit Wolfgang Brauer (MdA, Kulturpolitischer Sprecher der Linksfraktion in Berlin), Heimo Lattner (Bildender Künstler, Haben und Brauchen, Berlin), II. Kulturförderung neu denken – Siri Keil (Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Initiativen und Konzepte in den Ländern Norbert Hackbusch, MdHB, Fachsprecher für und Kommunen Kultur der Linksfraktion in Hamburg), Alexander Pinto (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Hafencity 14.00–14.30 Uhr Universität Hamburg/Kultur der Metropole) Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Moderation: Matthias Zarbock (Sprecher der Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? LAG Kultur Berlin) Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Moderator des Kulturkonvents 18.30 Uhr Sachsen-Anhalt) Fazit und Ausblick: Dr. Annette Mühlberg 14.30–14.45 Uhr Nachfragen an den Referenten/Diskussion Ab 19.00 Uhr Moderation: Isa Kathrin Edelhoff Teilnahme am Auftakt zum Fest der Linken im Kino Babylon 14.45–15.15 Uhr Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Ab 21.00 Uhr Art. Ihre Förderung am Beispiel des Ausklang im Café Luxemburg Sächsischen Kulturraumgesetzes am Rosa-Luxemburg-Platz Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt (Professor für Kulturgeschichte und Kulturpolitik an der Hoch- schule Zittau/Görlitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen)

15.15–16.00 Uhr Nachfragen an den Referenten/Diskussion Moderation: Jochen Mattern (Parlamentarisch- wissenschaftlicher Berater in der Linksfraktion des Landtags von Sachsen)

6 »Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung« am 31. Mai 2013 in Berlin › ›

Protokoll der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der Partei DIE LINKE. »Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung« am 31. Mai 2013 in Berlin

Begrüßung Dr. Annette Mühlberg die Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH vorstellen. Sie und Elli Strauven-Dejean ist Abteilungsleiterin Ausbildung Medien und Kultur. Ich werde ihr gleich das Wort geben. Zuvor möchte ›› Dr. Annette Mühlberg: Meine sehr verehrten ich noch auf kleine Programmänderungen hinwei- Damen und Herren, liebe Mitstreiterinnen und sen. Tobias Knoblich, muss leider Punkt 11.15 Uhr Mitstreiter. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich diesen Raum verlassen, so dass wir pünktlich mit zu unserer Kulturkonferenz »Kulturpolitik neu seinem Referat beginnen müssen und nur kurze Zeit denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung«. für Nachfragen an ihn haben. Er wird zum Thema Veranstalter ist die Ständige Kulturpolitische »Grenzenlose Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt Konferenz der Partei DIE LINKE. Ich bin die Bun- heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann dessprecherin dieser Arbeitsgemeinschaft. Die sie leisten«. sprechen. Es folgt der Beitrag von Klaus Ständige Kulturpolitische Konferenz gibt es schon Schöpp, Musiker, Vertreter der Koalition der Freien seit 1995. Wir sind ein ehrenamtliches Gremium Szene, dann wird Lukrezia Jochimsen sprechen und von kulturpolitisch Aktiven innerhalb der Partei, anschließend findet das erste Podium statt. Und die sich zusammengeschlossen haben, um etwas jetzt bitte ich Elli Strauven-Dejean ans Mikrofon. für Kultur und Kulturpolitik in der LINKEN zu tun. Wir verstehen uns als ständiges Diskussionsforum, ›› Elli Strauven-Dejean: Ich leite hier im Haus die deswegen auch der Name: Ständige Kulturpoli- Abteilung Ausbildung Medien und Kultur und möchte tische Konferenz.­ Wir beraten den Parteivorstand Sie ganz herzlich bei uns auf dem Pfefferberg und die verschiedenen Gremien der Partei. Ge- begrüßen. Ich versuche meinen Beitrag weitestge- stern Abend, das will ich nur erwähnen, habe ich hend zu raffen und gebe Ihnen nur einen kleinen den Änderungsantrag der Ständigen Kulturpoli- Einblick in die bewegte Geschichte des Pfefferberg. tischen Konferenz zum Bundestagswahlprogramm 1841 hat der bayrische Braumeister Joseph Pfeffer an den Parteivorstand geschickt. Im Entwurf ist hier am Ort eine Brauerei gegründet. Damals war schon eine Passage zur Kultur enthalten, ein das noch außerhalb von Berlin. In der Gründerzeit eigenständiger Abschnitt, was wir gut finden. wurde ja viel gebaut, unter anderem auch die Aber wir wollen ihn noch verbessern. Wir verste- Mietshäuser hier um uns herum. Es wurden die hen uns also als Be­ra­tungsgremium und gleich­ Anlagen ausgebaut und alles wurde unterkellert. zeitig koordinieren wir auch die Kulturpolitik der Das Bier schmeckte gut, hat sich gut verkauft. LINKEN im Bund und in den Ländern bis hin zur 1919 hat Schultheiss die Brauerei übernommen und Europäischen Ebene. leider gleich danach still gelegt. Von 1920 bis zum Zweiten Weltkrieg waren hier viele verschiedene Warum eine Konferenz »Kulturpolitik neu denken«? Nutzer ansässig, unter anderem die Bezirksverwal- Uns alle eint die Wertschätzung von Kultur und tung Prenzlauer Berg inklusive Bürgermeister, die Kulturarbeit. Wir wissen aber ebenso, dass sich Hoffmann Schokoladen Kommanditgesellschaft, sowohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Bäcker- und Konditoreigenossenschaft,­ die als auch die Kulturszene selbst, also die Bedin- Germania Brotbäckerei und viele mehr. gungen kultureller Arbeit, grundlegend verändert Im Zweiten Weltkrieg wurden relativ viele Gebäude haben, und dass die bisherigen Formen öffentlicher auf dem Gelände zerstört oder sind stark in Förderung in Zukunft nicht einfach so fortgesetzt Mitleidenschaft gezogen worden. Die Tiefkeller werden können wie bisher. Und da wir zu den dienten u. a. als Luftschutzbunker. Perspektiven öffentlicher Förderung noch mehr Fragen als Antworten haben, wollen wir uns nun Ab 1946 sind der Verlag und die Druckerei vom auf dieser eintägigen Konferenz mit Ihnen darüber Neuen Deutschland hier eingezogen. Später verständigen, wie wir Kulturpolitik neu denken und wurden durch die kommunale Wohnungsverwal- neue Ansätze in der Kulturförderung finden können. tung Prenzlauer Berg Gebäude als Lager, Büros, Garagen, Werkstätten verwendet und u. a. auch Ganz kurz zum Programm: Nach mir wird Elli eine Außenstelle der Poliklinik für Bauarbeiter Strauven-Dejean etwas zum Ort unserer Veranstal- eingerichtet. tung, dem Pfefferberg, sagen und ihre Institution 7 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

1987/1988 hat das Institut für Städtebauliche viele Veranstalter in Berlin den Spagat machen Architektur der DDR ein Konzept für diesen Ort zwischen Veranstaltungen, die uns inhaltlich entwickelt – als kultureller und sozialer Standort. besonders am Herzen liegen, wie zum Beispiel 1991 wurde das Gebiet zum Denkmal erklärt. Der die Förderung junger Bands oder Events und Pfefferwerk Verein hat die Idee, die ja vorher schon Veranstaltungen, die wir eher aus wirtschaftlichen bestand, aufgegriffen, hieraus ein soziokulturelles Gründen durchführen. Zentrum zu machen. Sie fingen auch damit an, die Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen kleinen Einblick stark in Mitleidenschaft gezogenen Räume zu geben, bedanke mich und wünsche Ihnen noch Ver­anstaltungszwecken zu nutzen. Dazu gehören eine fruchtbare und erfolgreiche Diskussion heute. z. B. der Saal, wo jetzt das Restaurant Tauro ist, der Biergarten und das Haus 13, in dem wir uns ›› Dr. Annette Mühlberg: Herzlichen Dank unserer heute befinden und das im Prinzip eine Ruine war. Gastgeberin und auch dafür, dass Sie uns heute Berlinerinnen und Berliner, die nicht mehr ganz so hier Asyl gewährt und uns mit Speis und Trank super jung sind, so wie ich, können sich noch an bewirtet. Ich muss noch etwas nachtragen, was ich viele legendäre Veranstaltungen hier auf dem vorhin vergessen habe. Wir möchten heute diese Gelände erinnern. Der Pfefferwerk Verein hat wie Konferenz mitschneiden, um im Ergebnis eine gesagt versucht darauf hin zu wirken, dass hieraus ähnliche Dokumentation zu erstellen, wie wir sie ein soziokulturelles Zentrum wird. 1999 hat die schon nach unserer Konferenz 2011 veröffentlich Pfefferwerk Stadtkultur als Tochter der Pfefferwerk haben. Ich frage also an, ob Sie einverstanden Stiftung, die Immobilie vom Land Berlin und der sind, dass mitgeschnitten wird. Jeder Referent wird Bundes­republik Deutschland erworben und seit seinen Beitrag vor Veröffentlichung zum Gegen­ 2001 wird hier saniert. Wie man sieht, sind die lesen und eventuellen Korrekturen erhalten. Ich Arbeiten immer noch nicht ganz abgeschlossen. sehe, es gibt keinen Widerspruch. Dann können Insgesamt hat der Pfefferberg 21 Gebäude. In 2001 wir so verfahren. hat gleich als erstes die Akira Ikeda Galery Berlin Dann kündige ich jetzt Tobias J. Knoblich an. eröffnet, die sich immer noch hier befindet. Seit Er ist Kulturwissenschaftler, hat an der Humboldt 2002 haben sich hier verschiedene Interessenten, Universität in Berlin studiert. Und er ist Kulturpoliti- die im Rahmen des Nutzungskonzeptes, Kultur, ker, langjährig in verschiedenen Gremien tätig, die Soziales, Dienstleistung und Kunst, angesiedelt ich jetzt nicht alle aufzähle. Zurzeit ist er Kulturdi- und konnten Teile des Pfefferbergs erwerben oder rektor in Erfurt und heute hier als Vizepräsident pachten. Ich nenne jetzt nicht alle, möchte aber ein der Kulturpolitischen Gesellschaft. Die Ständige paar Beispiele anführen, dazu gehört das Architek- Kulturpolitische Konferenz ist seit 1998 als Bun- turforum Aedes, die unsere Nachbarn sind, der desarbeitsgemeinschaft Mitglied in der Kulturpoli- Künstler Olafur Eliasson, die Galerie Meinblau, jetzt tischen Gesellschaft und beteiligt sich dort auch gerade neu hat die Tchouban Foundation zur Christi- aktiv an Konferenzen und Diskussionen. Wir freuen nenstraße hin ein Museum für Architekturzeichnung uns, dass wir heute zwei Vertreter/innen der erbaut, was morgen feierlich eröffnet wird. Auf der Kulturpolitischen Gesellschaft begrüßen können. Baustelle nach vorn zur Schönhauser Allee hin wird Neben Tobias Knoblich ist das Isa Kathrin Edelhoff, durch den VIA Unternehmensverbund ein Theater die nachher mit im Podium sitzen und am Nach­ und auch eine kleine Pfefferbrauerei eröffnet, wo mittag Olaf Zimmermann zum Kulturkonvent in dann wieder ein eigenes Bier gebraut wird. Sachsen-Anhalt befragen wird. Sie ist Regional- sprecherin Berlin-Brandenburg. Jetzt zu uns und diesem Saal. Die Pfefferwerk Stadtkultur hat mit Unterstützung des Landes Im möchte Ihnen in der ersten Reihe noch Gert Berlin diesen Standort als Ausbildungsstandort Gampe vorstellen, er ist Mitarbeiter beim Parteivor- sanieren können. Wir bilden in der Berufsausbil- stand der LINKEN und dort verantwortlich für Kultur dung Berufe im Veranstaltungswesen, in Medien, in der Öffentlichkeitsarbeit. Er verantwortet zum IT-Berufen, Gastronomie und im Bürobereich aus, Beispiel das große Fest der LINKEN, das heute mit einem besonderen Fokus auf benachteiligte Abend eröffnet wird und dann über zwei Tage geht. Jugendliche und Jugendliche mit besonderem Auch Dir Gert einen herzlichen Dank für die Hilfe bei Förderbedarf. Das heißt, Ihre Veranstaltung hier der Organisation der Veranstaltung und ein Dank an und auch das was Sie essen, wird alles mit und von Michaela Klingberg von der Rosa-Luxemburg-Stif- unseren Jugendlichen zubereitet, bereitgestellt tung, die uns heute hier ehrenamtlich unterstützt. usw. Darüber hinaus führen wir verschiedene Projekte der Berufsorientierung, Berufsvorbe­ Nun zurück zur Kulturpolitischen Gesellschaft und reitung und Berufseingliederung durch. zu Tobias J. Knoblich, dem ich jetzt einfach das Wir führen hier im Haus 13 ganz verschiedene Wort zu seinem einleitenden Referat gebe. Ich Veranstaltungen durch. Vom Band-Contest bis zur werde ihn danach kurz befragen, bevor er uns Konferenz ist fast alles dabei, wobei wir wie so leider wieder verlassen muss. 8 Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? › ›

Tobias J. Knoblich »Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?«

Liebe Frau Mühlberg, meine sehr geehrten Damen natürlich inspiriert von Vorgängerbüchern. Eines und Herren. Ich bedanke mich ganz herzlich für davon ist »Der exzellente Kulturbetrieb« von Armin die Einladung. Ich will noch sagen, warum ich eher Klein, mit dem dieser schon einmal aufgezeigt gehen muss, obwohl ich sehr gerne noch zur hatte, wohin ein Umdenken führen sollte, nämlich Diskussion geblieben wäre. Wir haben in Erfurt dass man auch den Betriebscharakter von Kultur- zurzeit das Deutsche Kinder-Medien-Festival einrichtungen stärker fördern sollte, dass man »Goldener Spatz«, in dessen Trägerstiftung ich den Mitarbeiterführung und Mitarbeiterentwicklung Oberbürgermeister im Präsidium vertrete, und betreiben, also den »Wissensmitarbeiter« in den heute findet die große Abschlussveranstaltung Blick nehmen muss, dass es um die Mehrdimensi- statt. Der OB hat mich kurzfristig gebeten, für ihn onalität von Finanzierungsstrategien und um die einzuspringen, so dass ich um 13.00 Uhr sein Kraft von Zukunftsbildern geht, die zu produzieren Grußwort im Theater Erfurt überbringen darf. Ich man nicht anderen überlassen darf. Wer entwirft bitte dafür um Verständnis. eigentlich die Perspektiven und welchen Anteil daran hat der öffentliche Kulturbetrieb? All das Mein Titel ist ein wenig sperrig: »Zwischen Kreativi- und vieles mehr hat Armin Klein dort aufgearbei- tät und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptba- tet. Das Buch ist zwar nun auch in zweiter oder sierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?« Ich dritter Auflage erschienen, aber hat – vielleicht will versuchen – weil es ja ein Einstieg für die weil es aus meiner Sicht sein bestes Buch bisher Tagung sein soll, die Sie heute haben – ein paar ist – bei weitem nicht diesen Protest ausgelöst wesentliche Debatten nachzuzeichnen, die uns wie der Kulturinfarkt. Ein anderes Buch, dessen gerade bewegen in Deutschland, teilweise auch Einfluss man spüren kann, ist Hans Abbings darüber hinaus. Dann möchte ich andeuten, welche »Why are artists poor?«, ein Buch, in dem Abbing neue Fachlichkeit es zum Kulturbereich gibt, die versucht, die Grundlagen der besonderen Ökono- mit diesen Debatten entweder gegenläufig sind mie von Kunst und Künstlern darzustellen und zu oder mit diesen korrespondieren, um dann in zeigen, dass für diese der Markt immer etwas ganz einem dritten Schritt zu zeigen, welche Möglich- schwieriges, etwas ganz schlechtes, verderbliches keiten und Grenzen sich für konzeptbasierte ist, der die Kunst und das Handeln der Künstler Kulturpolitik daraus ergeben und was überhaupt »kontaminiert«, und dass sie auf der anderen Seite konzeptbasierte Kulturpolitik in meinem Verständ- natürlich von der öffentlichen Hand leben können, nis heißen soll. die eine Kulisse bietet, die es ganz, ganz vielen Künstlern – mehr als jemals in der Geschichte I. zuvor – ermög­licht, sich im System zu halten und Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt, so will ich mehr oder minder gut im Status zu bleiben. Das das erste Kapitel einmal überschreiben und auf führt aus seiner Sicht erst dazu, dass es diese zwei Bücher hinweisen, die im vergangenen Jahr breite Debatte um Kunstförderung gibt und die erschienen sind und die kulturpolitische Debatte Frage danach, wie man Künstlern »ihr Leben« angeheizt und zu sehr kontroversen Debatten sichern, wie der Staat seine Sozialgestaltungs- geführt haben. Das eine haben Sie bestimmt alle macht wahrnehmen kann und soll. Und er sagt, gelesen – das Buch »Der Kulturinfarkt«. Es gibt kein das Problem ist eigentlich die Kulturpolitik, die kulturpolitisches Buch, das im Verkauf jemals so Kunstförderung selbst, sie erst erzeuge eine erfolgreich gewesen ist, wie dieses. Die Autoren Schieflage und strukturelle Armut. Diese beiden haben mehr davon verkauft als die Kulturpolitische Bücher sind ganz wesentliche Grundlagen für Gesellschaft seit ihrem Bestehen mit allen Büchern diesen »Kulturinfarkt«, der natürlich alles zuspitzt zusammen. Das finde ich schon sehr bemerkens- und unter anderem die weitreichende These wert, das heißt, man kann mit Kulturpolitik durch- vertritt, dass die Geschichte des Kulturstaats die aus auch Geld verdienen. Geschichte einer permanenten politischen und gesellschaftlichen Kompensation sei, dass das Der Kulturinfarkt ist eine Streitschrift, eine Pole- aufklärerische Diktum, den Menschen durch Kultur mik, die sich mit dem Kulturstaat, der Kulturförde- zu bessern, durch breite Teilhabe eine Wohlfahrt rung, überhaupt mit Subventionen und wohlfahrts- insgesamt zu stimulieren, im Kern autoritär und staatlichen Axiomen auseinandersetzt; es ist etatistisch sei, ja dass »Kulturhoheit« ein hoheit- 9 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

liches Handeln des Staates bedeute und im mehr so gefreut über ein Buch, das auch kultur­ Kulturbereich eigentlich gar nichts zu suchen politisch relevant ist, und wir wissen ja, dass die habe. Soziologen bisher die wichtigsten Beiträge zur Reflexionstheorie im Bereich Kulturpolitik in den Aus Sicht der Infarkt-Autoren sind dies alles letzten Jahren beigesteuert haben, denken wir etwa Prozesse, die zur Zementierung eines Status Quo an Gerhard Schulze oder Albrecht Göschel. In beitragen. Dies solle nunmehr alles aufhören, man diese Reihe können wir Reckwitz (auch dank solle Kulturgüter und Institutionen verknappen, die anderer Bücher, die er publiziert hat) jetzt schon Infrastruktur halbieren, neue Finanzierungsmodelle einordnen. Wir werden seinen Gedanken das finden, mehr Markt zulassen, weniger Kanon nächste Heft der Kulturpolitischen Mitteilung festschreiben und von den Nutzern her denken. widmen, dort wird auch sein kompletter Vortrag Letzteres ist auch ein Aspekt, den Klein sehr zu publiziert sein. Recht, wie ich meine, in seinem »Exzellenten Kulturbetrieb« stark gemacht hatte. Alles ist sicher Bei diesem »Kreativinfarkt« – aber das ist meine nachdenkenswert, aber vielleicht nicht in dieser Zuschreibung – geht es darum, dass wir inzwi- Melange, in der es für viele ungenießbar schien. schen nicht mehr nur kreativ sein sollen, dass es Das Buch, das vor Erscheinen zunächst den nicht nur eine bevorzugte Gruppe innerhalb der Arbeitstitel »Aufräumen« trug, geht ja auf eine Gesellschaft gibt, nämlich die Künstler, die kreativ Tagung der Kulturpolitischen Gesellschaft zurück, sind, sondern wir alle sollen, ja müssen inzwischen wo die Autoren zum Teil anwesend waren; aus kreativ sein. Reckwitz spricht von einem regel- diesem »Aufräumen« ist dann der »Infarkt« gewor- rechten »Kreativitätszwang«, der sich aus einer den (oder der Verlag hat es so zugespitzt, um den Ökonomisierung und Medialisierung des Sozialen Verkauf anzukurbeln). Dieses »Aufräumen« ist im ergebe, und im Grunde genommen kippt jenseits Kern ja nicht verkehrt. Wir wissen andererseits, der Genieästhetik, die ja für den Künstler historisch dass es auch andere Bücher gab, die Kulturpolitik- maßgeblich ist, alles ins Soziale. In allen Bereichen geschichte geschrieben haben und die Polemik der Gesellschaft – wir sprechen ja inzwischen von nutzten, um Aufmerksamkeit zu : Alexan- Creative Industries, Creative Cities und Körper- der Mitscherlichs explizite »Anstiftung zum Unfrie- techniken bis hin zum durchgestylten, durchtäto- den«, »Die Unwirtlichkeit der Städte«, gehört dazu. wierten, gepiercten und operativ umgewandelten Körper –, überall also greifen Ästhetisierungsstra- Der Kulturinfarkt stellt im Grunde genommen tegien. Seit den 1970er Jahren, das ist seine These, die gewachsene kulturelle Infrastruktur und das entfalte sich das »Kreativitätsdispositiv«. Er bedient gesamte Setting unseres kulturpolitischen Handelns sich bei seiner Argumentation eines Machtbe- nachdrücklich in Frage und sagt eigentlich primär, griffes von Foucault und wendet ihn so an, so dass der Nutzer wird es schon richten, der Markt wird es wir sagen müssten, »Kultur für alle« ist vor diesem schon richten, und wir müssen im Grunde genom- Hintergrund und zu Ende gedacht nicht mehr eine men diese wettbewerbsbefreiten Zonen, die merito- Befreiungsbewegung, sondern lediglich der Aus- rischen Güter im Kulturbereich, präziser definieren druck eines Prinzips im Gewand einer politischen und nach deren Berechtigung fragen. Das Nachden- Strategie. Eigentlich ist es nicht steuerbar, wir kenswerte am Buch wird durch die Verkürzung und agieren lediglich in seiner Wirkungsmacht. Überzeichnung für viele ungenießbar. Kulturpolitische Leitformeln wie Soziokultur Das andere Buch, das mit dem vermeintlichen künden davon, dass das Laienschaffen im Verbund Kulturinfarkt durchaus korrespondiert, ist ein Buch, mit dem Profischaffen, die Aufhebung der Distanz das man auch »Der Kreativinfarkt« titulieren zwischen Produktion und Rezeption etwas progres- könnte: »Die Entstehung der Kreativität« von sives, emanzipatorisches sei; mit Reckwitz erleben Andreas Reckwitz, das ebenfalls ein Bestseller zu wir eher ein »Regime des Neuen«, die fortwährende werden verspricht. Im Untertitel heißt es »Zur Erfindung neuer Ausdrucksweisen, das Einsickern Ästhetisierung gesellschaftlicher Prozesse«. Ein des »Terrors« von Kreativität in alle Lebensbe- sehr kluges Buch von einem Kultursoziologen aus reiche, so dass das Ganze auch als ein Infarkt von Frankfurt/Oder, das er auf einer Tagung in Loccum Gestaltungsansprüchen und – eo ipso – von kürzlich vorgestellt hat. Er hat dort einen Vortrag Kulturpolitik betrachtet werden kann. Man muss dazu gehalten und kulturpolitische Thesen ge- dann natürlich fragen, welche Bedeutung Kulturin- bracht; dieses Buch ist wesentlich differenzierter stitutionen, die gewachsen sind, bestimmte Zonen und spielt in einer anderen wissenschaftlichen von Kreativität, die in der Gesellschaft existieren, Liga als der »Kulturinfarkt«, das will ich gleich zur mit denen wir uns als Kulturpolitikerinnen und Ehrenrettung von Reckwitz vorab sagen. Kulturpoli- Kulturpolitiker beschäftigen, dann noch haben. tisch forschende Soziologen und Wissenschaftler Werden diese dann obsolet, verändern sich ihre angrenzender Disziplinen haben sich lange nicht Berechtigung oder Daseinsformen oder ihre 10 Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? › ›

Entwicklungsmöglichkeiten, also wird damit nicht System der Kunst zu elementaren Fragen an die exklusive Aufgabe von Kulturpolitik, so breit sie die Politik des Kulturellen. auch immer gestreut sei, gänzlich in Frage gestellt? Ist nicht der erweiterte Kulturbegriff dann eher ein Diese beiden Dimensionen verhandeln wir also Symptom, das den Anfang vom Ende von Kulturpo- derzeit. All dies passiert in einer Zeit, in der wir litik bedeutet und nicht eine breite Emanzipation? eigentlich sehr viele Gewissheiten gewonnen Also hat dort nicht auch Kulturpolitik versagt oder haben, was wir mit Kulturpolitik erreichen können. anders gefragt: hatte sie überhaut eine historische Wir haben im Grunde genommen in den letzten Chance? Diese Fragen könnte man stellen, wobei Jahrzehnten eine neue Fachlichkeit erreicht, etwa das Kreativitätsdispositiv kein Subjekt der Ge- mit der Rede von einer aktivierenden Kulturpolitik, schichte ist, wenn man so will, sondern eher eine die Strategien sucht, um mit Bürgerinnen und Dynamik, die entfacht wird durch unterschiedliche Bürgern ins Gespräch zu kommen, Konzepte zu Elemente bis hin zu einem ausgeprägten »ästhe- entwickeln, Kulturentwicklungspläne – die ersten tischen Kapitalismus«, wenn es zu einer Verkop­ kommunalen waren ja etwas ganz Revolutionäres –, pelung von Vermarktlichung und Ästhetisierung und auch der obsolete Begriff der Kulturpflege, kommt. bei dem man immer das Gefühl hatte, es gehe um einen Patienten, ist längst vergessen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Buches sehr und will es einmal mit dem Kulturinfarkt in eine II. Beziehung setzen. Ganz neu sind nicht alle seine Inzwischen verfügen wir auch über ein ausdifferen- Thesen. In Gerhard Schulzes »Die beste aller ziertes Kulturmanagement mit unübersehbar vielen Welten« zum Beispiel finden wir auch schon das Studiengängen in ganz Deutschland und Europa. Regime des Neuen, aber wie diese Ästhetisierung Ein Kulturmanagement, das sich wirklich wandelt das Ganze antreibt, das habe ich bei Reckwitz in und einen kulturpolitischen Reflexionsrahmen dieser Stringenz erstmals gelesen. Man könnte zulässt und nicht mehr nur als Werkzeugkoffer vielleicht danach fragen, was heute affirmative für die Kulturpolitik greift, nach dem Motto: das Kultur heißen kann, die damals von der neuen Versagen des Staates und der Kommunen helfen Kulturpolitik kritisiert worden ist. Hier ging es wir heilen, indem wir die adaptierten Instrumente darum, Idealismus und Weltflucht im Kulturbegriff aus der Wirtschaft anbieten. Das wissenschaftliche zu kritisieren und danach zu fragen, wie Kultur Verständnis ist ein anderes geworden, gleichwohl auch die Gegenwart verändern, wie sie kritisch und noch immer kritisiert wird – jüngst hörte ich es lebensnah sein kann. Wenn damals die Kultur als von Carsten Winter –, dass eigentlich veraltete Flucht in den Idealismus affirmativ war und damit Managementinstrumente­ adaptiert worden seien. keinen realen Wandel unterstützte, ist heute Im Kulturbereich steckt freilich auch die Bertels- vielleicht diese innerweltliche Auflösung der mann-Ideologie mit den neuen Steuerungsmodel- Kreativität eine kritische Zone des Affirmativen, im len. Das kann man alles kritisch dekonstruieren, Sinne des unausweichlichen Erwartungsdrucks, was ich jetzt leider nicht vertiefen kann. Aber: im kreativ sein zu sollen. Bei beiden verfestigt sich ja Kern hat sich doch eine sehr starke Professionali- ein Gesellschaftsbild, in dem ein kritischer Kultur- sierung ergeben, die sich etwa umfassend im bereich nicht greifen kann. Insofern könnte man Bericht der Enquete-Kommission »Kultur in auch von einem »Kreativinfarkt« sprechen. Das Deutschland« widerspiegelt. Dieser Bericht ist sind aber unfertige Fragestellungen, die sich mir 2008 erschienen, und Oliver Scheytt, der Präsident ergeben haben, denn aus kulturpolitischer Pers­ der Kulturpolitischen Gesellschaft, hat parallel pektive war ich sowohl fasziniert als auch erschüt- dazu ein Buch geschrieben »Kulturstaat Deutsch- tert davon, dass dieses Maß an Kreativität uns land – Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik«, auch handlungsunfähig machen kann. Der in dem er seine Erfahrungen und Erkenntnisse Foucaultsche Begriff des Dispositivs fasst ja eine systematisch entwickelt. Dazu gehört zum Beispiel prägende Instanz unseres sozialen Handelns, also die Vertiefung des neu gefassten Infrastrukturbe- Vorbedingungen, während wir uns in der Kulturpoli- griffs, der die Debatte um eine kulturelle Grundver- tik auf einer bewussten Steuerungsebene bewe- sorgung aufnimmt, das Bewusstsein, dass zur gen. Ein Kreativitätsdispositiv beschreibt eine »Kernausstattung« mehr dazu gehört, als nur die Summe von diskurs- und handlungsbestimmenden Kultureinrichtungen, sondern eben auch kulturelle Elementen, die uns formieren, die aber sicher auch Bildung, Kulturförderung oder auch Rahmenbedin- bestimmte Formen politischen Handelns zur Folge gungen für künstlerisches und kulturwirtschaft- haben. Wir befinden uns hier letztlich auf einer liches Schaffen. Man kann diese nicht gegeneinan- erkenntnistheoretischen Reflexionsebene, die nur der aufwiegen. Gerade das Zusammenspiel von bedingt kulturpolitisch verhandelbar ist. Und Staat, Markt und Zivilgesellschaft, das wir heute dennoch führen die Stringenz des Aufstiegs der als trisektorale Kulturpolitik bezeichnen, scheint Kreativität und ihr Herauswachsen aus dem besonders wichtig, wenn es um die Übernahme 11 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

von Verantwortung in allen Sektoren und Formen der Köpfe zu investieren. Darin drückt sich letztlich der Kooperation oder Lastenteilung geht. Vieles ist dieser aufklärerische Impetus aus, der ja gerade heute auf kluge Weise auf den Begriff und auch in von den Kulturinfarktautoren in Frage gestellt wird. ein System gebracht worden, und ich habe es zum Ein anderes Beispiel ist »Kultur für alle«; hier war Beispiel im Kulturkonzept der Landeshauptstadt ja immer die große Kritik, dass man der große Erfurt aufgegriffen und gemerkt, dass es in der Heilsbringer sei und nicht danach fragt, was die politischen Debatte nicht so leicht aufgeknüpft und Leute wirklich wollen. Manche sagten, es müsse in Frage gestellt werden kann. Mit definitorischer richtigerweise heißen »meine Kultur für alle«, um Stringenz und konzeptioneller Kraft kann man den Teilhabegestus auf den Punkt zu bringen. schon einiges an Verbindlichkeit schaffen. Oder: die Debatte um »Kultur als Pflichtaufgabe«. Es erscheinen inzwischen fast wöchentlich neue Das ist Ihnen auch bekannt, bis hinein in den Bücher zum Kultur- und Medienmanagement, man Enquete-Bericht beschäftigte uns das Thema kann das Feld gar nicht mehr beherrschen; ich intensiv; der Zwischenbericht widmete sich voll- versuche es immer noch, mir alles zu bestellen ständig der Frage, ob man eine Kulturstaatsklausel und, wo leistbar, auch zu rezensieren, um den im Grundgesetz brauche. Ich meine ja, manche Überblick zu behalten. Oliver Scheytt hat in seinem meinen nein, dritte wiederum sagen, das ist nicht Buch die ganze Bandbreite des Handels pragma- so wichtig, es gebe dringendere Themen. Aber, tisch aufgemacht, also vom Kulturbürger (das ist diese Pflichtigkeit von Kultur, die Bedeutung der Nutzer, wenn man Armin Klein jetzt mal dazu in kulturverfassungsrechtlicher Dokumente bis hinein Beziehung setzt) über die Kulturgesellschaft (das ins Völkerrecht, die wird immer wieder debattiert. ist all das, was auf anderer Reflexionsebene zum Große Verfassungsrechtler wie Peter Häberle zum Beispiel mit dem Kreativitätsdispositiv thematisiert Beispiel sprechen sich vehement dafür aus und wird), bis hin zum Kulturstaat (der vom Kulturin- bringen auch kluge Argumentationen. Er hat mit farkt als paternalistischer angegriffen wird). Diese seinem Buch »Verfassungslehre als Kulturwissen- gesamte Bandbreite wird theoretisch und mit schaft« gezeigt, wie stark Verfassungen kulturell praktischen Beispielen durchdrungen, und es aufgeladen sind und welche Rolle der Kulturbegriff werden die wesentlichen Felder kulturpolitischen für das Kulturverfassungsrecht spielt, das ist keine Handelns aufgemacht, die im Grunde genommen nur deklaratorische Spielwiese. Aus solchen durch einen breiten Konsens auch rückversichert Debatten können sich konkrete legislative Vor­ sind. Die hitzige Debatte heute lebt dennoch von stöße speisen. der Mischung aus ordnungs-, steuerungs- und haushaltspolitischer Zuspitzung und – mit Reck- Es gibt ein Bundesland, das – ausgehend vom witz – einem kultursoziologischen Entwurf, für die innovativen Verfassungsrecht der neuen Länder – die als Fachdisziplin bisher noch schwache und auf Nägel mit Köpfen machte: Sachsen. Es ist das Interdisziplinarität verwiesene Kulturpolitik gar einzige Bundesland, das in einem Gesetz nieder- nicht satisfaktionsfähig reagieren kann, mausert legt, dass Kultur eine Pflichtaufgabe der Kommu- sie sich doch erst seit wenigen Jahrzehnten zu nen sei und dass diese solidarisch von Kommunen einem echten Reflexions- und Gestaltungsfeld. und Land auch zu finanzieren sei. Das Land gibt Viele reagieren also subjektiv, verteidigend, jährlich 86,7 Millionen Euro dafür aus. Peter empört, fasziniert, unsystematisch. In einem Rühmkorf hat natürlich Recht, wenn er sagt, Kultur Sonderheft der »Kulturpolitischen Mitteilungen« ist nur eine unmaßgebliche Schutzbehauptung, haben wir daher versucht, die Debatte etwas zu aber die Verbindung des besonderen Nimbus, den bündeln. dieses Gesetz hat, mit den dort aufgezeigten Verfahrenswegen führt zu echten Debatten und Die Sorge um mehr Verbindlichkeit in der Kultur hat guten Entwicklungsplanungen. Am Ende wird in den letzten Jahren zugenommen. Sie ist natürlich erreicht, dass alle – vor allem die Landkreise – auch durch rhetorische Behauptungen gekenn- über ihren Tellerrand hinausblicken und mit zeichnet. Ich will einmal Parolen aufzählen, die das Strukturentscheidungen größere Zusammenhänge zeigen, die einen hilflos, die anderen mit mehr Biss. reflektieren und berücksichtigen. Eine ist zum Beispiel, dass man Kulturausgaben nicht als Subvention, sondern als Investition Der Rahmen verändert sich also, aus Programmfor- begreifen soll. Das hat sogar die Bundeskanzlerin meln werden Systeme, aus Diskursen im besten immer wieder gesagt. Es ändert aber nichts daran, Falle rechtliche Flankierungen, und aus dem dass die Finanzleute darüber lachen und sagen, Wissen um notwendiges fachliches Handeln entste- Investitionen bedeuten etwas anderes. Wir behaup- hen Reflexionstheorien, ja neue Lehren. Auf dem ten dann – wenn es bei Investitionen darum geht, Weg dorthin befindet sich das Kulturmanagement, Kapital zu binden – Kulturausgaben führen dazu, für das es seit kurzem auch einen Fachverband Humankapital zu binden, also in die Entwicklung gibt. Auch gibt es inzwischen eine neue Spezialdis- 12 Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? › ›

ziplin, die sich mit dem gesamten Komplex von andere Wege gegangen und tun sich schwerer, die Institutionen im Kulturbereich befasst: die Kultur- Balance zwischen Kommunen und Land zu finden. betriebslehre. Ich verweise nur auf das gleich­ Jedenfalls ist mit der Einigung ganz viel an namige Lehrbuch von Tasos Zembylas aus Wien, Schwung in das föderale Konzert gekommen. er ist einer, der dieses Gebiet vorangebracht hat. Bis auf Baden-Württemberg hatte ja bis dahin Aber es gibt auch eine ganze Reihe anderer kein Bundesland ein richtiges Kulturkonzept. Auch Forschungsstränge bis hin zu Audience Develop- heute kann man teilweise noch große Unterschiede ment, bei dem es darum geht, die Aufmerksamkeit feststellen, aber in der Gesamtbilanz hat sich von Zielgruppen zu binden, sich damit auseinan- Landeskulturpolitik seit dem wesentlich weiter derzusetzen, wie sich alle Milieus – unsere Ziel- entwickelt, was Sie etwa im Jahrbuch für Kulturpoli- gruppen sind ja heterogener denn je – ansprechen tik 2012 (»Neue Kulturpolitik der Länder«) sehr gut lassen und wie wir mit der »neuen Unübersichtlich- nachlesen können. Die meisten Länder verfügen keit« inmitten einer prosperierenden Unterhal- inzwischen über kulturpolitische Leitlinien, über tungskultur herkömmliche, aber auch neue Ange- Landeskulturkonzepte und dergleichen, und es gibt bote positionieren können. Es gibt neue Standards, eine Reihe von Spezialgesetzen, die es vorher nicht was die »Planbarkeit von Kultur« anbelangt. Das ist gegeben hat. Zum Beispiel die Musikschulgesetze ein Topos, der immer umstritten ist – kann man in Brandenburg und Sachsen-Anhalt oder Biblio- Kultur wirklich planen? Da sagt man immer gerne theksgesetze – Thüringen hat zum Beispiel eines, nein, man kann nur die Rahmenbedingungen kein gutes zwar, aber es hat eines – oder das noch beeinflussen. Was früher so ein bisschen hemdsär- in der Debatte befindliche Kulturfördergesetz in melige Kulturentwicklungpläne gewesen sind, das Nordrhein-Westfalen. Wenn es dort gelingt (auch sind heute zum Teil umfassende Kompendien, an wenn es nur ein Rahmengesetz, kein Leistungs­ denen Expertengruppen arbeiten, schauen Sie sich gesetz werden sollte), ein Gesetz auf den Weg allein den Kulturentwicklungsplan einer vergleichs- zu bringen, dann ist das ein Meilenstein für die weise kleinen Stadt wie Brandenburg an der Havel Sicherung eines breiten Engagementrahmens für an, da ist der Kulturentwicklungsplan in zwei den Staat und freilich auch für die Kommunen, was Bänden erschienen. Ich frage mich aber, wer von in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Rolle spielt, den Entscheidungsträgern das wirklich bewältigen weil der Kommunalisierungsgrad dort wesentlich kann. Aber es ist hervorragend gemacht. Im höher ist als beispielsweise in Sachsen durch das Vergleich zu den 70er Jahren haben wir hier eine Kulturraummodell. Das föderale Konzert bleibt ein ganz andere Messlatte. Da hat sich sehr, sehr viel vielstimmiges, ist aber wesentlich solider als vor getan, und es existiert auch ein sehr lebhafter 1990. Parallel dazu hat sich ja auch der Bund Diskurs, das heißt, man setzt solche Dokumente in gestrafft mit der Behörde des BKM seit 1998, der Beziehung zueinander, man versucht von Praxis­ Wiedereinsetzung eines Kulturausschusses im beispielen zu lernen, und es wird auch sehr viel oder etwa der Gründung der Bundes­ publiziert zu diesem Thema. kulturstiftung 2002.

Wir haben schließlich, das will ich auch noch als Das sind nur ein paar Beispiele. Es zeigt aber, wir ein Feld der Professionalisierung in den Blickpunkt erleben durchaus eine Konjunktur der wissen- rücken, im legislativen Bereich einiges erreicht. Die schaftlichen Debatten und Reflexionstheorien, der deutsche Einigung gilt dafür als ein ganz wesent- kulturpolitisch-interdisziplinären Publizistik und der licher Stimulus, sie hat noch einmal für einen konzeptionellen Durchdringung des Feldes. Und richtigen Schwung gesorgt. Durch den Artikel 35 parallel erleben wir – und das führt wahrscheinlich des Einigungsvertrags, die kulturelle Substanz zu dieser polemischen Zuspitzung von Kulturinfarkt dürfe keinen Schaden nehmen, ist ja so etwas wie und Kreativinfarkt – eine dramatische Veränderung das sächsische Kulturraumgesetz erst möglich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, vor geworden, das natürlich auch ein Zeichen dafür ist, allem die Zuspitzung der Krise der öffentlichen dass die Bundesländer ganz andere Aufwendungen Haushalte. Meine Stadt, in der ich jetzt arbeite, hat für Kultur tätigen müssen, konzeptionell wie bis heute keinen bestätigten Haushalt für 2013, finanziell. Ohne den postulierten Substanzerhalt also wir befinden uns in der vorläufigen Haushalts- wäre Sachsen nicht in die Not geraten, neue führung. Dabei reden wir über eine Stadt, der es Modelle der Lastenteilung zwischen Land und vergleichsweise gut geht, die Perspektiven hat, Kommunen zu entwickeln. Die Kommunen wären eine Stadt, die wächst, die wirtschaftlich prospe- nach Auslaufen der Übergangsfinanzierung Kultur riert und trotzdem an den massiven Umbau ihrer des Bundes schlicht überfordert gewesen, die Infrastruktur denken muss. Was wir dennoch Substanz zu erhalten, es hätte ein Kultursterben in konstatieren müssen, bei all diesen positiven diesem Land mit dichtester kultureller Infrastruktur Entwicklungen einer reflektierten Kulturpolitik, eingesetzt. Sachsen-Anhalt und Thüringen, die bei diesem Schub an Professionalisierung, an auch sehr dichte Angebotskulissen haben, sind Austausch, an Anregung: Große konzeptionelle 13 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Entwürfe, die den Namen verdienen, sind nach gern nennt, intellektuelle Führerschaft. Man wie vor eher selten. möchte über jede Veränderung, die es gibt, über Es ist nicht so, dass jedes Konzept, jede kultur­ jedes Szenario Bescheid wissen, man möchte über politische Leitlinie, jeder Gesetzestext, den man demografischen Wandel genauso sicher reden einmal entwirft, der Weisheit letzter Schluss ist. können wie über wirtschaftliche Entwicklungen, Es gibt noch immer viel zu tun, wenn es um die über globale Verflechtungen, die Medialisierung, Über­windung des Sonntagsredenhabitus gehen das Internet, über das kulturelle Gedächtnis, man soll. möchte wissen, was die UNESCO im Detail macht, worin die Debatten über immaterielles und materi- Das Gutgemeinte ist ja nicht immer das Gute. Es elles Kulturerbe wurzeln, über die Konvention wird immer noch zu wenig an wirklicher Professio- kultureller Vielfalt in der Welt, man möchte über nalität zugelassen, und es gibt zu wenig an Profes- die GATS-Verhandlungen Bescheid wissen und sionalität sowohl in den Kulturverwaltungen als dergleichen mehr und möchte aus all dem dann auch in Stadträten, in Kreistagen oder Parlamen- eine intellektuelle Führerschaft generieren und ten. Die Kulturpolitiker, die adäquat ausgebildet sie letztlich in der Debatte so zuspitzen, dass für sind, die selber wissenschaftlich ein wenig aktiv die Kulturpolitik im engeren Sinne etwas heraus- bleiben, die die Möglichkeiten haben, zu reisen, zu kommt. Das ist eine sehr, sehr große Erwartungs- vergleichen, sich zu engagieren; diese Leute sind haltung, weil eben Kulturpolitik noch immer für das sehr, sehr selten. Man kennt sich in der Regel. Ich Große und Ganze zuständig scheint und daraus bilde mir ein, alle Wesentlichen inzwischen zu auch eine gewisse Schwungkraft gewinnt, das darf kennen und bin immer wieder überrascht, wie man nicht unterschätzen. Ich bin immer schon wenige wir sind, wenn es darauf ankommt, und wie zufrieden, wenn es so ist, dass es hinreichend viele wenige ganz bestimmte Themen transportieren Leute gibt, die überhaupt eine Haltung einnehmen, und dann doch die eine oder andere Wirkung auch wenn sie nicht gleich die Vision einer post-­ erzielen. Das ist dann statistisch wahrscheinlich kapitalistischen Gesellschaft entwickeln, sondern über dem Durchschnitt und lässt einen freuen. überhaupt erst einmal eine Haltung zu Kulturfragen Aber auf der anderen Seite, wenn man das Auf­ einnehmen, und nicht nur im engeren Sinne gabenspektrum sieht, das da vor uns liegt, und die­jenigen, die für Kulturverwaltung und Kulturpo­ darüber wird auf Ihrer Tagung zu debattieren sein, litik zuständig sind, sondern eben auch die Ent- dann ist das auch beängstigend. Da habe ich noch scheidungsträger, also Oberbürgermeister, Bei­ nicht darüber gesprochen, wie es mit der Durch- geordneter, Minister, Fraktionsvorsitzende und setzbarkeit bestimmter Konzepte bestellt ist. Damit dergleichen, also diejenigen, die sich an vielen kommen wir auf die Ebene der Verfahren und zum Schnittstellen bewegen und eben auch zwischen Lobbying. Ich will es dabei zunächst bewenden Haushaltspolitikern und Kulturpolitikern, zwischen lassen, was die Diagnose anbelangt. Ich muss auf Jugendhilfe und Bildung und anderen Themen die Uhr schauen, dass ich nicht ins Trudeln komme. vermitteln müssen. Das ist entscheidend. Das kann ich mir heute nicht leisten. Das jedenfalls sind die großen Eckdaten aus meiner Sicht. Damit einher geht natürlich auch – und das gehört zur konzeptbasierten Kulturpolitik – der Inhalt, man III. braucht eine Programmatik. Die ist oft zum Teil Was heißt das nun für die Praxis, wenn wir über rudimentär oder aber die Wiederholung der die Möglichkeiten und Grenzen konzeptbasierter immergleichen Floskeln, die wir aus Sonntagsreden Kulturpolitik sprechen wollen? Worum geht es im kennen. Programmatik ist immer wieder zu hinter- Detail? Was sind überhaupt Konzepte? Was ist eine fragen, zu erneuern. Ich bin ein großer Freund nicht konzeptbasierte Kulturpolitik? Natürlich geht es einer sehr breiten und ausgewalzten Programma- im Wesentlichen um Kulturentwicklungspläne, tik, sondern einer zugespitzten, die dann eben das Gesetze oder thematische Konzepte, wie wir sie Gegenteil von reiner Verwaltung ist, die vielmehr neuerdings im Bereich der kulturellen Bildung der Verwaltung Eckpunkte an die Hand gibt, die vielerorts entstehen sehen. Eine Kulturpolitik, die auch Strategien entwickelt, die nicht gleich in diese Elemente aufgreift und damit eine Grundlage Konzepte übersetzt werden können, aber über- strategischen Handelns schafft, kann man als haupt erst einmal bestimmte Veränderungspro- konzeptbasiert bezeichnen. Dazu gehört freilich zesse andenkt und auch Beteiligungsprozesse auch die Kommunikation, der Diskurs, der öffent- anstrengt, mit den Bürgern debattiert, mit den liche Aushandlungsprozess. Aber man muss es Nutzern von Kultur ins Gespräch kommt, überhaupt noch ein bisschen präzisieren und sagen, dass es debattentauglich ist und eine öffentliche Wirkung um Inhalte, Verfahren, Kommunikation und Institu- erzielt. Das ist es ja häufig, was in der kommunalen tionen geht, vielmehr um das Zusammenwirken all Kulturpolitik viel zu kurz kommt, weil die Instru- dieser Elemente. An oberster Stelle steht natürlich mente von Kulturverwaltung begrenzt sind und die immer die Haltung, oder wie es Carsten Winter politische Aufmerksamkeit von anderen Feldern 14 Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? › ›

gebunden wird. Ich habe vorhin mit Volker Külow kommunaler Ebene und Landesebene einzugehen. am Rande ein paar Beispiele debattiert, unkonven- Solche Modelle finde ich immer sehr gut. Bünd- tionelle Sachen zu machen, die Leute herauszufor- nisse, Lastenteilungen sind wichtig, freilich nicht dern und auch für diejenigen, die nicht die üblichen nur im öffentlichen Kulturbereich, sondern auch Nutzer sind, etwas anzubieten, also durchaus auch zwischen öffentlicher Hand und anderen Trägern, plakativ zu sein. Der »Kulturinfarkt« hat das in etwa frei-gemeinnützigen. Das Drei-Sektoren-Mo- gewisser Weise vorbildlich erreicht. Das halte ich dell (Staat, Markt, Zivilgesellschaft) bildet ab, in für eine ganz wesentliche Dimension, wenn man welche Funktionslogiken die Gesellschaft zerfällt. über konzeptbasierte Kulturpolitik spricht, denn Trisektorale Kulturpolitik arbeitet, wie schon wenn Kultur ein Thema der Minorität bleibt, was sie gesagt, mit allen drei Sektoren und fragt danach, ja bei allem Selbstbewusstsein der Kulturpolitik wer welche Aufgaben übernehmen kann und wie noch ist, dann kommen wir auch nicht weiter. Man Kooperationen gelingen können. Im subsidiären muss die Kreise größer ziehen. Finanzierungssystem kommt natürlich auch die Kompatibilität der unterschiedlichen Ebenen ins Wenn man die Inhalte hat und die programma- Spiel, also zwischen Landeskonzepten, Kommunal- tischen Gewissheiten destilliert sowie eine gewisse konzepten und Gesetzen, so vorhanden. Konzept- Kommunikation darüber, erst dann kommen die basierte Kulturpolitik funktioniert am besten im Verfahren. Wenn man wirklich anfängt, Konzepte Zusammenspiel der Sektoren und der Ebenen, aber zu entwickeln, kommunale Kulturkonzepte, Kultur- auch horizontal, also zwischen kommunalen entwicklungspläne, dann auch Beschlüsse herbei- Gebietskörperschaften oder in der Kooperation führt und damit auch eine Fachlichkeit sanktio- einzelner Länder. Im Grunde ist hier auch die niert, beginnt die Arbeit mit den Instrumenten. Und Konsistenz des Politikfeldes Kultur angesprochen, da ist es auch gut, wenn Kulturentwicklungspläne das ja eine freiwillige Aufgabe umreißt und relativ über Systematik verfügen und nicht nur eine regelungsarm ist. Freiwilligkeit vereitelt aber nicht Aneinanderreihung von programmatischen Positi- gemeinsame normative Setzungen. onen wiedergeben. Man muss auch zeigen, wofür man nicht zuständig ist und wo man Änderungen Zur konzeptionellen Arbeit zählt auch das institu­ tatsächlich in Gang setzen kann. Mit guten Konzep- tionelle Gefüge jener, die zur Stabilisierung der ten arbeitet man, man entwickelt Umsetzungspläne Debatte und der Dignität öffentlicher Kulturange- oder eben Verfahren, um sie in einen Prozess zu bote beitragen, etwa Verbände, die funktionsfähig bringen. In Erfurt haben wir das mit einer gleich- sind, wie der Deutsche Kulturrat. Beim Deutschen sam pyramidalen Argumentation versucht. Wir Kulturrat ist es aber leider manchmal so, dass man haben die Kultur von der Kulturverwaltung her nur das Gute an der Kultur verteidigt und eine rote gedacht. Das hat manche sehr irritiert. Aber dem Liste vom Aussterben Bedrohter fortschreibt; das liegt natürlich die Behauptung zu Grunde, dass hilft natürlich nur bedingt beim konzeptionellen Kulturpolitik in der Stadt erst einmal nur das sein Umbau. Weil man offiziell nicht schlichtweg gegen kann, was man auch ernsthaft mit Kommunalpolitik Kultur sein kann, ist Kultur nicht immer und überall verändern kann. Es macht keinen Sinn, mit einem nur gut; auch hier greift das schon genannte ganz weiten Portfolio anzufangen und in der Rühmkorfsche Diktum von der unmaßgeblichen Umsetzung dann zu merken, dass man dafür Schutzbehauptung. Das ist natürlich auch das, was eigentlich überhaupt nicht zuständig ist, dass man im Kulturinfarkt beklagt wird. Aus dieser Haltung gar kein Verfahren zur Hand hat, mit dem man muss man raus. Konzeptbasiertes Arbeiten heißt etwas ausrichten kann. Das finde ich verheerend; immer auch, Dinge methodisch in Frage zu stellen. es schwächt letztlich das Zutrauen in Kulturpolitik, Und das, das habe ich jetzt in der kommunalen da sie in ihrer Machtlosigkeit in ein deklarato- Praxis selber gelernt, tut natürlich auch weh. Sie risches Stadium zurücksinkt. Dann ist es doch kommen freilich an Grenzen der Partizipation, besser, sehr genau zu schauen, was man wirklich wenn Sie etwa ein Museum schließen, wenn Sie verändern kann, und einen wahrnehmbaren irgendeine Einrichtung privatisieren wollen, wenn konkreten Veränderungsprozess einzuleiten. Sie ein Interessenbekundungsverfahren starten Man muss über die Konzepte und ihre Grundlagen und sagen, das können andere besser als die sehr genau nachdenken, man muss natürlich auch eigenen Mitarbeiter, die es gerade tun. Dann Lastenteilungen vereinbaren und Bündnisse stehen Sie sehr schnell alleine da und müssen ihr eingehen, also scheinbare Verluste kommunaler Konzept gut begründen, während die politische Aufgabenerledigung in neue Modelle übersetzen. Ebene gern ihre Partikularinteressen zu entfalten Das gehört auch zu konzeptbasierter Kulturpolitik beginnt, um aus dieser Schwäche Vorteile zu dazu: beschreiben, was man anderen zumuten ziehen. Verbände und Fachorganisationen sind kann und das Gesamtsystem in den Blick nehmen. dann besonders hilfreich, wenn sie nicht nur Das Kulturraumgesetz in Sachsen beispielsweise verteidigen, sondern eben auch kritikfähig sind schreibt es ja regelrecht vor, ein Bündnis zwischen und Veränderung zulassen. 15 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Dieser korporatistische Rahmen, also die Ver- lichen Handelns und was konzeptbasierte Kultur­ bandslandschaft, ist ganz wichtig, sie funktioniert politik heißt, habe ich an einigen Beispielen mancherorts sehr gut. Das hat natürlich auch versucht zu verdeutlichen. Die Grenzen liegen in etwas mit der Förderkulisse zu tun. Welches einem ungeheuren Traditionalismus; egal, welche Personal kann ich mir leisten? In welcher kultur­ politische Partei sich in der Verantwortung befin- politischen Gemengelage bringe ich mich ein? det, wer in den Institutionen wirkt, jeder hat es Welches sind die kulturpolitisch denkenden Köpfe? gerne, wenn viel von dem weitergeht, was es gibt, Aber Vereine, Initiativen, Verbände, also all das, woran man sich gewöhnt hat. Jeder Oberbürger- was im intermediären Bereich zwischen Staat, meister, jeder Minister ist dankbar, wenn er keine Markt und Zivilgesellschaft passiert, ist unheimlich Briefe bekommt, in denen Leute sich beschweren wichtig, um Konzepte zu transportieren, um ein und protestieren, wo irgend etwas durchargumen- Feedback zu bekommen, um auch eine Macht tiert werden muss, was der/die Leser/-in doch außerhalb von Verwaltung, außerhalb der unmittel- wieder durch seine/ihre subjektive Brille sehen baren politischen Gestaltbarkeit aufzubauen und wird. Es gibt eine gewisse natürliche Reformresi- mit Leuten zu arbeiten, die letztlich nicht nur stenz. »Das war schon immer so«, heißt es dann. Betroffene sind, sondern eben auch ganz wichtige Statt eines Arguments hört man über das eigene systembildende Elemente. Da ist man gut beraten, Handeln der Leute: »Das haben wir schon immer wenn es neben guten Konzepten auch Akteure gibt, so gemacht.« Das Wissen ist verloren gegangen, die sich beteiligen, die ein Motor sind für eine warum bestimmte Dinge einmal auf bestimmte Debatte. Diese sind vielerorts rar, besonders in Weise etabliert wurden, der Blick für Veränderung Ostdeutschland. ist trübe geworden. Es gibt einen stillschweigenden Traditionalismus oder Konservatismus, wie immer Der wissenschaftliche Anspruch ist natürlich auch man das nennen will. Es gibt auch ein Welterbege- ein wichtiges Element. Sie können keine guten fühl, eine Pathosneigung für die Kulissen, die wir Konzepte machen, wenn Sie niemanden haben, der haben. Manches können wir uns aber auch nicht es kann, wenn Sie niemanden bezahlen wollen aussuchen. Es gibt ein echtes Problem: Burgen, oder können, der extern auch einmal einen ande- Schlösser, historische Parks und dergleichen, die ren Blick einnimmt, der nicht der eigene ist. Ich kann man nicht wegtragen, auch wenn es nur ein beobachte, dass bundesweit da, wo zum Beispiel paar Kilometer bis zur Landesgrenze sind. Hier in Leute wie Patrick Föhl aktiv gewesen sind, konzep- Berlin hat man zwar mal ein Gebäude umgesetzt, tionelles Niveau entsteht. Er bringt natürlich das am Potsdamer Platz, aber bis über die Landesgren- ganze Vergleichswissen aus anderen Regionen und ze hat es auch noch keiner geschafft. Aber man Projekten mit, ob das in Dessau-Roßlau ist oder in wünschte sich manchmal, dass man es könnte. Wittenberge. Er ist auf unterschiedlichen Ebenen Burgen, ich habe auch zwei in meinem Verantwor- unterwegs. Es gibt eine Reihe von solchen Leuten, tungsbereich, die würde ich gerne nach Branden- aber es sind auch nicht viele, man kennt sie burg geben zum Beispiel. Gute Konzepte scheitern, inzwischen fast alle schon. Solche Expert/innen das will ich damit sagen, auch an objektiven sind wichtig, weil sie nicht nur eine Expertise Gegebenheiten, an der Verwaltung schwieriger mitbringen, sondern die Akteure vor Ort unterstüt- Immobilien oder anderweitiger Aufgaben. Der Fluss zen, ihnen neue Perspektiven eröffnen und den der Zeit hinterlässt Sedimente. Aber manche Rücken stärken. Man ist am Anfang, wenn man lassen sich auch verändern. eine neue Aufgabe beginnt, immer besonders glaubhaft, weil man noch den Nimbus des Fremden Es ist ein Problem, dieses Welterbegefühl, im trägt. Je länger man da ist, desto mehr wird man Theaterbereich begegnet es uns es mit dem Slogan verändert, vereinnahmt, bekommt seinen Platz im »Theater muss sein«, das Stadttheatersystem als Getriebe. Man erwirbt letztlich selber den Habitus Weltkulturerbe, das finde ich höchst problema- dessen, der voll dazu gehört und wird dann rasch tisch. Dann gibt es auf der anderen Seite eine man- zum Nestbeschmutzer, wenn man Änderungen gelnde Durchsetzungsfähigkeit für große Struktur- anstrebt. Auch die Distanz zu den eigenen Mitar- veränderungen, weil die Leute Angst haben, dass beitern nimmt ja beständig ab, je länger man da ihnen alles genommen wird. Der massive Eingriff ist, desto stärker beginnt es zu menscheln. Diese ist immer das Argument, es lieber gar nicht anzu- Gefahr ist immer vorhanden und auch ganz natür- packen, bevor wir etwas gänzlich falsch machen. lich. Hinzu kommt die Unbeweglichkeit des Öffent- Diese Haltung korrespondiert freilich auch mit lichen Dienstes. Ein Externer kann da viel ausrich- dem, was man lokale oder regionale Identität ten und ist ein Korrektiv. nennt. Ob es sinnvoll ist, ob es finanzierbar ist, ob es zukunftsfähig ist oder nicht, ob da Leute hinge- Ich möchte noch etwas über die Grenzen des hen oder nicht, man kennt es halt und es gehört Ganzen, was Sie heute näher verhandeln wollen, irgendwie dazu. Wir haben in Erfurt eine kleine sagen. Die Möglichkeiten des konzeptionell-fach- museale Gedenkstätte, da geht kaum einer hin. 16 Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? › ›

Aber sobald Sie sie zumachen wollen, geht die Welt Debatte, die Sie in den »Kulturpolitischen Mittei- unter. Das sagt jetzt nichts über die Qualität lungen« nachlesen können. Begriffsarbeit ist ganz dessen, was dort vorgehalten und wie es gepflegt wichtig, doch was können die Begriffe dafür, dass wird, sondern nur über die gesellschaftliche wir mit ihnen schlecht umgehen? Sie werden Resonanz. Diese ist aber eine (nicht die einzige) immer neu aufgeladen oder neu belebt. Sie tragen Kategorie, wenn es um das Maß an Erinnern und jedoch auch ihre semantischen Hypotheken mit Bewahren geht, um das Betreiben authentischer sich und fordern Umsicht ein. Aber wenn man Orte. Slogans und Programmatik nur weiter trägt, wenn man sie nicht beständig neu füllt mit einer Debatte, Und es gibt, das will ich vielleicht abschließend als die auch wirklich trägt, dann bekommen wir ein Beispiel für Grenzen nennen, einen Wildwuchs Leerformeln. Das greift der Kulturinfarkt ja an, in der Entstehung auch neuer Einrichtungen. Das dass wir vielleicht zu stark den Begriffen vertraut wird im Kulturinfarkt ebenfalls beklagt. Es ist dies haben und unsere Praxis zu unkritisch hinnehmen, eine Debatte, die uns eigentlich schon so lange die wir mit diesen Begriffen fassen. Konzeptbasier- beschäftigt, wie die öffentliche Hand höfisches und te Kulturpolitik, hat eine Chance, ein Motor von bürgerliches Erbe übernommen und weiterent­ Veränderungsprozessen zu sein, wenn sie wirklich wickelt hat. Ich habe es vor allem in den neuen systematisch greift. Das wünsche ich mir sehr, und Ländern nach der politischen Wende beobachtet, ich wünsche Ihrer Debatte, dass Sie dafür Beispiele wo alle Angst vor Verlusten hatten; vielerorts ist finden, bis in die Kulturförderung hinein, auf die ich das Gegenteil der Fall: ein Aufwuchs an kleinen jetzt gar nicht eingegangen bin. Vielen Dank! Museen, an Gedenkstätten, natürlich in Bereichen, die vorher so nicht verhandelbar waren, Schul­ museen, bestimmte Gedenkstätten, Orte im Bereich Industrie- und Technikgeschichte infolge Nachfragen zum Referat und Antworten der flächengreifenden Deindustrialisierung. Am von Tobias J. Knoblich Anfang sind es die Ehrenamtlichen, und irgend- wann gibt dann die Gemeinde Geld dazu, irgend- ›› Dr. Annette Mühlberg: Tobias, wenn Du bitte noch wann findet es in die Förderung, weil man es aus einen Moment hier vorne bei mir bleiben könntest. bestimmten Gründen den Kollegen nicht ausschla- Vielen Dank, lieber Tobias. Wir haben ja das gen kann, und dann wächst eben das, was im Problem, dass Du uns in zehn Minuten verlassen Kulturinfarkt als Subventionsschleife bezeichnet musst. Deshalb frage ich jetzt einfach ins Publikum, wird. Das ist ein großes Problem, zumal zahlreiche ob es unmittelbare Nachfragen an den Referenten Einrichtungen in einem prekären Status betrieben gibt. Wir haben dann, mit dem folgenden Podium werden und in diesem dauerhaft verbleiben. und noch den ganzen Tag Zeit, die Dinge zu vertie- fen. Und wir werden uns ja mindestens zum Das heißt, wir brauchen Konzepte, Gesetze, kulturpolitischen Bundeskongress am 13. und Verfahren und Kommunikationsstrategien, um ein 14. Juni wieder begegnen und weiter diskutieren. Denken in größeren räumlichen, zeitlichen und Dennoch jetzt die Frage an das Publikum, ob trägerkritischen Zusammenhängen zu ermöglichen, jemand von Ihnen unmittelbar Nachfragen an den um den Zufall zu bremsen, mit Gewohnheiten zu Referenten hat. Und bitte den Namen sagen. brechen, um die eigenen Denkfiguren und Argu- mentationsmuster zu hinterfragen. Das ist nicht ›› Ulrich Wilke: Ich möchte mal die Gelegenheit immer leicht. Es wird gerne behauptet, die alten nutzen, dass wir einen Erfurtkenner hier haben. Leitformeln seien auch die neuen: Kultur für alle! Wie geht es denn den Theatern in Erfurt und Damit ist es aber, glaube ich, nicht getan. Man Weimar. Sind die noch eigenständig? muss sie schon auch neu interpretieren, kritisch wenden, man muss sie mit Zukunftsbildern in ›› Tobias J. Knoblich: Jetzt muss ich aufpassen, dass Verbindung bringen und auch die wissenschaft- ich nicht gleich auf die Abschussliste komme, denn lichen Erkenntnisse berücksichtigen, was die das ist eine regionale Glaubensfrage! Sie sind noch Wirkung solcher Slogans wirklich ist. Wenn ich eigenständig. Wollen Sie auch hören, was ich dazu dann Andreas Reckwitz zum Beispiel lese oder meine? Es ist immer ein heikler Punkt, sich mit Carsten Winter, merke ich die Dringlichkeit einer dem Deutschen Nationaltheater in Weimar anzule- Revision und Reformulierung von Programmatik. gen und mit all dem, was dort an Beharrungsver- Natürlich reformulieren sich Formeln auch durch mögen entfaltet worden ist, um diese Institution zu den Wandel im Begriffsgebrauch. So ist es etwa stabilisieren. Dass man in Erfurt vor zehn Jahren mit dem Kulturstaat, der heute mehrheitlich für ein ein neues Theater gebaut hat, eines der moderns­ positives Bild eines kulturell wachen und zuständi- ten, das wir in Deutschland haben, aber keine gen Staates steht und nicht für die Vereinnahmung Schauspielsparte mehr drin ist, wirft natürlich mit Sinn. Dazu hatte ich mit Max Fuchs einmal eine Fragen auf. Auch bleibt immer wieder der kritische 17 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Kommentar, ob es sein müsse, 20 km von Weimar konzeptbasierte Arbeit ist dies natürlich interes- entfernt eine eigene Institution zu betreiben, ob sant, weil es Möglichkeiten der alternativen das nicht nur Symbolpolitik ist. Natürlich gibt es Betreibung von Einrichtungen eröffnet. Dennoch auch in Erfurt eine gewisse Tradition, aber nicht muss man auch sehen, dass jeder Sektor seine eine solche wie in Weimar. Ich würde mir eine Eigenlogik hat. Auf dem Feld der Kultur- und ehrliche, pragmatische und verantwortungsvolle Kreativwirtschaft und der angesprochenen Debatte über die Theater- und Orchesterstruktur in Teilmärkte­ sind die Regionen zudem sehr unter- ganz Thüringen wünschen. Jeder weiß, dass wir so schiedlich bestückt; ich kann keine Maßnahmen nicht zukunftsfähig sind. Die Kommunen können von oben und für alle generieren, sondern bin das Problem nur lösen, wenn es eine umfassende auf regionale Konzepte angewiesen. Strategie gibt, die politisch auch durchgehalten werden kann. Die ist leider nicht in Sicht. Erfurt ›› Konstanze Kriese: Die Frage schließt eigentlich steht natürlich zu seinem Theater, aber ich kann unmittelbar an. Es ist ja in der europäischen und mir auch alternative Konstellationen vorstellen, da dann speziell in der deutschen Kulturtradition das wir mit den Kosten kaum noch zurande kommen. kulturstaatliche Denken sehr ausgerägt, ist ein Und darunter leiden alle anderen Akteure im lange gewachsenes. Das wonach ich frage ist: Kulturbereich, von den Museen bis zu den freien Wenn über neue Kulturplanungs-, Kulturfinanzie- Kulturträgern. Besonders schade ist, dass der rungsmodelle nachgedacht wird – und wir hatten Freistaat Thüringen sein neues Landeskulturkon- das Dreisektorenmodell im Gespräch – wird, wenn zept nicht genutzt hat, das Thema offensiv anzu­ man auf den freigemeinnützigen Sektor guckt, denn gehen. Das wäre eine große Chance gewesen. wirklich konsequent in neuen Planungsmodellen oder neuen Kulturfinanzierungsmodellen darüber ›› Alexander Pinto: Sie sind in Ihrem Vortrag auf das nachgedacht, dass die Akteure dann auch vom Dreisektorenmodell Staat, Markt, Zivilgesellschaft, freigemeinnützigen in den privaten Bereich wech- oder intermediären Sektor, eingegangen. Bernd seln können und umgekehrt? Denn es ist irgendwie Wagner hat mal analysiert, dass sich Kulturpolitik, immer dieses uralte Problem bis heute, dass eine insbesondere der Staat von einem etatistischen zu Gruppe eine Finanzierung für ein Projekt erhalten einem pluralistischen Akteur entwickelt und sich hat, das aber eine Subventionsfinanzierung war und eigentlich selber zu einer intermediären Instanz wenn sie dann irgendwie in einen Marktbereich entwickelt. Insofern würde sich ja theoretisch wechseln es schnell heißt dass sie irgendwie nicht dieses Dreisektorenmodell verschieben, vom Staat mehr kritische Kulturleute sind, nicht mehr kreativ bzw. der Öffentlichen Hand hin zu einem intermedi- sind und so weiter. Sie stehen sogar eventuell bis in ären Akteur. Sehen Sie ähnliche Entwicklungen und gesetzlichen Problematiken einer Rückzahlsituation wie wirkt sich das beispielsweise auf konzeptba- gegenüber oder dergleichen. Das ist ein uraltes sierte Kulturpolitik aus? Problem, aber es wird nie angegangen. Ich habe immer das Gefühl, das »Diffundieren« funktioniert ›› Tobias J. Knoblich: Was Bernd Wagner gezeigt hat, nicht. Da sage ich mir immer, guckt mal auf die ist eigentlich eine Verflüssigung, die da stattfindet. alten amerikanischen Modelle, wo ja viele hinge- Ich glaube, das zeigen auch Begriffe wie Gewährlei- wandert sind aus Europa und bringe immer das stungsstaat oder Gewährleistungskommune: man Uraltmodell Lorey Andersen, 10 Jahre gefördert vom macht nicht mehr alles selber, sondern überträgt Council of Art, aber dann eine erfolgreiche kom- oder überlässt anderen bestimmte Aufgaben. Hinzu merzielle Künstlerin und keiner, weil es eine andere kommt, dass natürlich die Akteure selbst auch Kulturtradition ist, regt sich dort darüber auf. Hier zwischen diesen Sektoren zirkulieren. Es ist ja wird sich über so etwas aber grundsätzlich aufge- nicht so, dass alle sich immer in einem Sektor regt und es wird diesen Akteuren abgesprochen, aufhalten und dort aktiv sind, sondern da gibt es dass sie weiterhin kritische Kulturleute sind. Das eine zunehmende Mobilität, wenn man so will, und »Diffundieren« wird irgendwie nicht ermöglicht. das ist eigentlich ein wünschenswerter Prozess. Wird es inzwischen im konzeptionellen Denken oder Das Dreisektorenmodell ist ja ein idealtypisches, im Verfahrensdenken ermöglicht? die Sektoren sind nicht abgegrenzt. Kulturpolitik ist Das ist meine Frage. nicht nur etwas für die Öffentliche Hand, sondern gerade im frei-gemeinnützigen Bereich ist unheim- ›› Tobias J. Knoblich: Das ist ja schon eher ein lich viel an Kultur gewachsen, ebenso in der Kommentar. Sie haben vieles schon gesagt. Es ist Privatwirtschaft, die sogar das Hauptwachstums- eher eine Einstellungsfrage. Wie verhält man sich feld darstellt (Kultur- und Kreativwirtschaft). zu den Leuten, die aus dem subventionierten Trotzdem sehe ich die öffentliche Hand nicht nur Bereich rausgehen, die also nicht rückzahlbare als intermediären Akteur, es wird auch künftig Zuschüsse, wie es immer so schön heißt, in darauf ankommen, zwischen Etatismus und Anspruch nehmen und zu einem bestimmten Liberalismus Mischformen zu finden. Für die Zeitpunkt sagen, wir verzichten jetzt darauf. 18 Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? › ›

So etwas ist natürlich auch möglich. Ich kann mich gibt es kein öffentliches Geld mehr und wir gehen natürlich entwickeln und auf weniger Förderung an den Markt, das stößt nicht nur an Einstellungs- zugreifen, weil ich mehr selbst erwirtschafte. Dies grenzen, sondern freilich auch an Grenzen der ist eine Gratwanderung, gerade wenn Sie in einem Geschäftspolitik, des Steuerrechts u. ä. Sie können Verein sind: wie viel wirtschaftliches Engagement nicht alles plötzlich verkaufen, nicht alles funktio- ist da möglich, da muss man den richtigen Punkt niert, und da eine Mischung hinzukriegen und zu finden, wo man abspringt. Das funktioniert schon. sagen, ich bin jetzt mal so ein bisschen Kulturwirt- Aber dass es jetzt eine regelrechte Strategie gibt, schaft und so ein bisschen eigenwirtschaftlich wie man da Übergänge schafft, das bezweifle ich. in derselben Institution, das ist ein juristisches Das kenne ich zumindest nicht. Wir kennen Problem, das ist ein Problem der Gemeinnützigkeit zumindest Ansätze. In Thüringen etwa gibt es eine und solcher Fragestellungen. Das ist schwierig. Je Agentur für die Kreativwirtschaft, die aber von größer, je stärker institutionalisiert ein Akteur ist, vornherein eher neue Geschäftsmodelle unter- desto schwerer fällt es ihm freilich auch, einen stützt, also diejenigen abholt, die wirklich von Wandel durchzuführen. Leichter ist es eher für die ihren kreativen Ideen leben wollen, die nicht in Individuen; wenn ich Künstler bin, da kann ich im den frei-gemeinnützigen Bereich wollen oder aus Theater angestellt sein, ich kann bei einem freien diesem kommen und sagen, mit meinen Produkten Theater etwas machen und ich kann bei einem kann ich auch am Markt bestehen. Aber da ist ein privaten Theater meine Dienstleistung oder meine gewisser Mentalitätsunterschied vorhanden. Der Arbeitskraft verkaufen (wenn wir jetzt schon bei bleibt natürlich. Das ist ein Problem auch der den LINKEN sind: am Markt als doppelt freier institutionellen Förderung. Es gibt ja viele im Lohnarbeiter). Das geht alles. Aber ein Generalmo- Bereich der Soziokultur (West), die am Anfang gar dell, das sich da jetzt auftut, das sehe ich nicht. kein staatliches Geld wollten, dann aber große Hütten ausgebaut haben und so richtig in diesem ›› Dr. Annette Mühlberg: Ich bedanke mich bei Dir, subventionierten Bereich drin sind und sich, ich dass Du hier warst, uns einen anregenden Vortrag sage es mal ein bisschen bösartig, das trifft auch gehalten hast. Wir sehen uns. Wir sind ja ein andere Bereiche, sich eingenistet haben. Das sagt kleiner Kreis, Du hast ja Recht. Wir diskutieren jetzt nichts über ihren Erfolg oder Misserfolg aus. weiter. Vielen, vielen Dank. Ich gebe jetzt das Wort Aber, mit so einer Institution einen Mentalitäts- an Klaus Schöpp. wandel vorzunehmen und zu sagen, ab morgen

19 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Klaus Schöpp Hochkultur versus Freie Szene – Ist das noch die Frage?

Zunächst möchte ich mich vorstellen: 2) Sujet: Ich bin – Musiker, klassisch ausgebildeter Interpret Zusammenhängend mit dem Begriff der Hochkultur – improvisierender Musiker ergeben sich bestimmte Merkmale der Sujets des – Komponist Hochkulturellen: Sie müssen die Eigenschaften – Instrumentalpädagoge an den Musikschulen besitzen, die sich für eine diskursive Arbeit eignen, Zehlendorf und Kleinmachnow also in sich schon eine Mehrschichtigkeit besitzen, – Organisator eines Ensembles für Moderne nicht einfach banal sein. Je wertvoller der Stoff Musik, des modern art ensembles einer Arbeit, desto näher befinden wir uns schon – Stellvertretender Vorsitzender am Zentrum der Hochkultur. Auch da ein einfaches der Initiative Neue Musik Berlin Beispiel aus der Musik: Der edle Ton der teuersten – Sprecher der Koalition der Freien Szene Instrumente ist das Surplus, was unter anderem die Qualität eines Spitzenorchesters gegenüber Das von Ihnen vorgeschlagene Thema lautet: einem lediglich sehr guten Klangkörper ausmacht. Hochkultur versus Freie Szene – Ist das noch die Frage? 3) Produktionsbedingungen: Ich habe das Thema angenommen, da ich als Musiker sowohl in Bereichen der Hochkultur Das edelste Sujet, die teuersten Akteure, arbeite als auch in Projekten der Freien Szene. die diskursivsten Ansätze: Das bedarf einer Ausgehend von Ihrer Frage werde ich versuchen, institutionalisierten Förderung, die für die großen mich den Begriffen »Hochkultur« und »Freie Szene« Kulturinstitutionen unabdingbar ist. Die Idee ist es, zu nähern, im Zentrum meines Vortrages werden diesen Institutionen die Ausstattung zu geben, dann die Forderungen der Koalition der Freien die für die Ziele der Hochkultur nötig ist. Szene stehen. Die Frage, die sich stellt, ist: Stellt die Freie Szene Sehr wohl wissend, dass ich diesem komplexen einen Gegenentwurf zu dieser Kulturbeschreibung Thema in diesem kurzen Vortrag nicht umfassend dar? Weiter gefragt: Will unsere Gesellschaft gerecht werden kann, möchte ich mich gleichwohl wirklich fast ausschließlich eine Art Kultur fördern, dem Begriff »Hochkultur« durch drei thematische deren Beschreibung ziemlich genau mit den Umkreisungen nähern: ästhetischen Positionen zusammentrifft, die z. B. auch schon ein Richard Wagner vertreten hat? 1) Qualität: Die Antwort auf diese Fragen kann nicht einfach Der Begriff »Qualität« scheint mir ein zentrales sein. Freie Szene bedeutet nicht bloßer Antagonis- Element zur Bestimmung von »Hochkultur«: mus zum Überlieferten. Aber gerade durch ihre Dieser moderne Begriff – »kulturelle Qualität« – Unabhängigkeit von den Institutionen, durch ihre verdeutlicht vielleicht noch besser als der Begriff Verwurzelung in einer Art künstlerischen Basis, hat »Hochkultur« die »bürgerliche« Sehnsucht nach sie sich doch entscheidend von dem entfernt, was einer hochwertigen Kultur. Die sog. Hochkultur­ als Hochkultur umstandslos gefördert wird. ist also die Kultur, die den diskursiven Charakter Und diese Entwicklung betrifft alle drei Merkmale, besitzt, den der gebildete Anteilnehmer voraus- die ich für die Beschreibung der Hochkultur setzt, um sie ernst zu nehmen. Im Bereich der verwende: Musik kann ich das durch ein einfaches Beispiel Der Qualitätsbegriff bekommt andere Zuschrei- erläutern: Im traditionellen Sinne macht erst bungen, er wird nicht einfach aufgegeben, aber die die Notenschrift ein Musikstück zu einem Kunst- historischen Komponenten der Qualitätsmerkmale werk der Hochkultur.­ Ein durch bloßes Spielen werden hinterfragt. Beispiel der Musik: Die Einbe- oder Singen ohne diesen zweiten Boden der Schrift ziehung von Improvisation und populärer Musik hervorgebrachtes bzw. ein durch Improvisation wird in der Freien Szene in einer Weise und in gefundenes Musikwerk kann in dieser Tradition einem Maße selbstverständlich realisiert, wie es keine hochkulturelle Hervorbringung sein. Ich in den klassischen Institutionen nicht vorgesehen denke, im Bereich des Theaters gelten ähnliche ist und wie es dort darüber hinaus auch nicht Prinzipien. möglich wäre.

20 Hochkultur versus Freie Szene – Ist das noch die Frage? › ›

Die Sujets der Freien Szene decken sich nicht die Akteure der Freien Szene nur ein Bruchteil mehr mit denen der in den Institutionen stattfin- dessen, was in den Institutionen bezahlt wird. denden Hochkultur: Freie Szene deckt die kultu- Sie sind sozial weitaus schlechter als ihre Kollegen rellen Bereiche ab, die dort überhaupt nicht oder in den Institutionen abgesichert und von Alters­ nur am Rande beachtet werden. Wenn Sie sich z. B. armut bedroht. die Homepage von »Tanzraum Berlin« anschauen: Der moderne Tanz in Berlin besteht fast ausschließ- Einige Zahlen: lich aus Projekten der Freien Szene. Diese Beobachtung lässt sich auch auf die Neue »Das durchschnittliche jährliche Gesamteinkommen Musik, auf die Alte Musik, auf das Experimentelle bei den freien Theater- und Tanzschaffenden, die Theater usw. übertragen. vielfach eine akademische Ausbildung haben, liegt Für die bildende Kunst gilt ohnehin: 40 Prozent unter dem aller Arbeitnehmer in Deutsch­ Sie ist Freie Szene, außerhalb von ihr existiert land, einschließlich geringfügig Beschäftigter.« lediglich museales Verständnis. »Im Bereich der Darstellenden Kunst liegt das Und leider lässt sich die Freie Szene nur als künstlerische Nettoeinkommen (inkl. künstlerischer negatives Abbild der Beschreibung der Produktions- Nebentätigkeiten wie Ausbildung, Synchronisation, bedingungen darstellen: Ihre Förderung ist mit der kulturelle Bildungsarbeit …) bei einer (…) Größen- der Kulturinstitutionen schlichtweg nicht mehr zu ordnung von durchschnittlich 11.701 Euro im Jahr, vergleichen. Es lässt sich von der Freien Szene was einem Monatseinkommen von knapp 975 Euro umstandslos behaupten, dass sie in jeder ihrer entspricht.« Verästlungen hoffnungslos unterfinanziert ist. »Mehr als die Hälfte der Freischaffenden (52 Pro- Und das, obwohl sie grundsätzlich den gleichen zent) bewegen sich mit einem künstlerischen Netto- Anstrengungen wie die Institutionen unterworfen einkommen von unter 10.000 Euro im Niedriglohn- ist. Gerade hier in Berlin: In einer Stadt, in der sich sektor. 86 Prozent der ksk-Versicherten und internationale Künstler die Türklinken in die Hände 83 Prozent der nicht-ksk-versicherten Freischaffen- geben, können Sie als Mitglied eines Ensembles den verdienen mit künstlerischen Erwerbstätig- der Freien Szene nicht einfach eine mittelmäßige keiten jährlich unter 20.000 Euro.« Leistung vor dem Berliner Publikum mit unge­ nügender finanzieller Ausstattung entschuldigen. »Das Jahresgesamteinkommen der freiberuflich Ich behaupte, es passiert das Gegenteil: tätigen/ksk-versicherten Theater- und Tanzschaf- Gerade die Freie Szene in Berlin beeindruckt fenden setzt sich zu 62 Prozent aus künstlerischer durch ihre Originalität und ihre Qualität. Haupttätigkeit, zu einem Drittel (30 Prozent) aus künstlerischen Nebentätigkeiten und zu ca. 8 Pro- Die Annahme, die Akteure der Freien Szene sind zent aus nichtkünstlerischen Nebentätigkeiten die, die den Sprung in die Institutionen nicht zusammen.« geschafft haben, möchte ich weit abweisen. Ein Gegenbeweis ist, dass viele Akteure nach »Das Durchschnittseinkommen der Bildenden Jahren in der Freien Szene einen Arbeitsplatz in Künstlerinnen und Künstler in Berlin erreicht Institutionen annehmen. Der umgekehrte Weg wird nicht einmal die Hälfte des durchschnittlichen seltener, aber durchaus auch, genommen – Einkommens aller abhängig Beschäftigten, fast der Grund liegt hier eindeutig in den finanziellen 70 Prozent verfügen über ein Einkommen von unter Bedingungen der Arbeit. 12.000 Euro im Jahr. Viele sind von Zuwendungen von Lebenspartnern oder Eltern abhängig, ebenso Stärker noch aber wiegt ein anderes Argument: viele, nämlich 10 Prozent von Hartz IV. Nur bei Die Qualität der Akteure der Freien Szene liegt etwa 20 Prozent reichen die Einnahmen aus eben oft in anderen Bereichen, als in den Institu­ Berufsfeldern der Bildenden Kunst aus, um auch tionen gefordert: Dem Spezialistentum und den nur die Kosten der eigenen Produktion zu decken.« Hierarchien in den großen Häusern steht die Vielfältigkeit und die Individualität der Akteure »Bei einer regelmäßigen Einzahlung in die KSK über der Freien Szene gegenüber. Um diese Tatsache einen Zeitraum von 45 Jahren liegt die zu erwarten­ zu verdeutlichen, habe ich die diversen Tätigkeiten, de Rente bei 447 Euro pro Monat in den alten, bei die mein Leben als freiberuflicher Musiker in Berlin 408 Euro pro Monat in den neuen Bundesländern.­ umfassen, zu Beginn aufgelistet. Die Altersarmut unter den Künstlern der derzeit tätigen Generation ist also vorprogrammiert.« Die Freiheit wird teuer bezahlt: Obwohl längst unverzichtbar für unsere Stadt, international Ich möchte festhalten, dass wir es hier mit einem anerkannt, vom Publikum angenommen, verdienen wachsenden Bereich unserer Gesellschaft zu tun 21 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

haben. Nach Berlin streben viele Künstler, in Berlin Erstmalig hat sich deshalb in Berlin eine sparten­ werden viele junge Menschen zu Künstlern ausge- übergreifende Koalition der Freien Szene aller bildet. Die Freie Szene macht einen großen Anteil Künste gebildet, um die die Substanz der viel der Attraktivität des Berliner Kulturlebens aus. beschworenen und international gefeierten Berliner freien Kunstszene für die Zukunft zu sichern. Dagegen steht die Entwicklung des Berliner Kultur- haushaltes in den letzten 10 Jahren. Sie ist in Bezug Die Künste in ihrer Vielfalt und in ihrem Zusammen- auf die Förderung von freien Strukturen mehr als spiel machen die Attraktivität Berlins aus und sind Besorgnis erregend. Standen vor zehn Jahren noch auch ein entscheidender Wirtschafts- und Touris- rund 10 Prozent des Kulturhaushaltes an disponi- musfaktor. Die Koalition der Freien Szene wehrt blen Mitteln zur Verfügung, sind es heute mit rund sich gegen den sich abzeichnenden Paradigmen- 10 Millionen Euro nur noch 2,5 Prozent. Hinzu wechsel von Kulturförderpolitik hin zu einer Investi- kommen weitere 10 Millionen Euro aus dem vom tionspolitik, die die Künste in freien Strukturen Bund finanzierten Hauptstadtkulturfonds, die aber primär Verwertungszwängen aussetzt und damit nur zu etwa 60 Prozent freien Projekten zur Ver­ die Autonomie der Kunst beschädigt und die fügung stehen. gesellschaftliche Funktion von Kunst marginalisiert.

Die Regierungskoalition aus SPD und CDU hat in Die Kultur wird eine Schlüsselrolle für die Zukunft ihrem aktuellen Koalitionsvertrag festgehalten: der Stadt spielen. Berlin steht an einem Scheideweg. »Berlin ist eine globale Kulturmetropole, unser Die Koalition der Freien Szene fordert eine neue kultureller Reichtum ist unser Kapital. (…) Kunst, Förderpolitik. Kultur und die Kreativszene gehören zu den zentra- Sie hat 10 Punkte formuliert, in denen die Forde- len Grundressourcen der Stadt. (…) Die Koalition rungen benannt werden und die auf einer gründ- will die Freie Szene verstärkt fördern (…).« lichen und sehr genauen Analyse der gegenwär- Die Koalition der Freien Szene fordert jetzt die tigen Situation beruhen. Einlösung dieses Versprechens und eine substanti- elle Aufstockung der disponiblen Mittel im Kultur­ Sie fordert, gemäß ihrer Bedeutung für das kultu- etat. Die Tatsache, dass die Summe aller institutio- relle Leben der Stadt, 50 Prozent aus der Einnah- nellen Förderungen kontinuierlich zunimmt und im men der zu verwirklichenden City Tax. Gegenzug die Mittel für freie Strukturen immer weiter abgesenkt werden, ist nicht mehr hinnehm- Unabhängig von der Einführung dieser Tax ist die bar und wirkt vor dem Hintergrund von Slogans wie Bereitstellung der geforderten Mittel notwendig, »Kultur bewegt Berlin« (Kulturförderbericht des um die lebendigste Kulturszene Berlins am Leben Berliner Senats 2011) geradezu zynisch. zu erhalten.

22 Die Zukunft der Freien Szene: Zehn Punkte für eine neue Förderpolitik (Kurzfassung) › ›

Die Zukunft der Freien Szene: Zehn Punkte für eine neue Förderpolitik (Kurzfassung)

Die Koalition der Freien Szene fordert:

1) 50 Prozent der Einnahmen aus der City Tax.

2) Kulturförderung aus der künstlerischen Praxis heraus. Entstandene Produktionsstrukturen bedürfen neuer Förderinstrumente: Eigenmittelfonds Neuansatz: 1 Millionen Euro jährlich Förderetat für Wiederaufnahmen Neuansatz: 0,5 Millionen Euro jährlich Fonds für Forschung, Recherche etc. Neuansatz: 1 Millionen Euro jährlich

3) Gewährleistung von Honoraruntergrenzen. Honoraruntergrenze Darstellende Kunst Mehransatz: 4,5 Millionen Euro jährlich Ausstellungshonorare Bildende Kunst Neuansatz: 1 Millionen Euro jährlich Projektförderung freie Musikszene Mehransatz: 1,5 Millionen Euro jährlich

4) Die Fördersysteme für Bildende Kunst müssen nachhaltige professionelle künstlerische Arbeit ermöglichen. Fonds zur Produktionsförderung Neuansatz: 2,5 Millionen Euro jährlich

5) Schaffung und Förderung von Orten mit eigenen Produktionsetats für die Freie Szene. Interdisziplinäre Ankerpositionen (Häuser und Räume) Neuansatz: 4,5 Millionen Euro jährlich

6) Bezirkliche Kunst- und Kulturförderung muss erhalten und ausgebaut werden. Mehransatz: 1 Millionen Euro jährlich

7) Ertüchtigung der Selbstverwaltungsstrukturen. Selbstverwaltungsstrukturen Mittelansatz: 0,15 Millionen Euro jährlich

8) Die Liegenschaftspolitik muss zugunsten von Kultur und Stadt neu gedacht werden.

9) Solidaritätsprinzip, Gerechtigkeit, Transparenz und Subsidiarität. a) Solidaritätsprinzip und Bereitstellung von institutionellen Infrastrukturen b) Gerechtigkeit und Transparenz, Subsidiarität

10) Weitere Strukturvorschläge zur Förderung der Freien Szene: a) Hauptstadtkulturfonds – Freie Mittel für freie Strukturen! b) Fonds für kulturelle Vielfalt c) Förderinstrumente für die Literatur Mittelansatz insgesamt: 17,65 Millionen Euro

23 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Die Zukunft der Freien Szene: Zehn Punkte für eine neue Förderpolitik

1. Die Koalition der Freien Szene fordert 50 Prozent der Einnahmen aus der City Tax.

Die Koalition der Freien Szene fordert eine Erhöhung der Mittel für freie Produktionsstrukturen und ihre Akteure. Es muss sichergestellt werden, dass mindestens 50 Prozent der Einnahmen aus der City Tax in die Förderung freier künstlerischer Projekte fließen und somit die stagnierenden Förderetats für freie Projekte substanziell aufgestockt werden.

2. Kulturförderung aus der künstlerischen Praxis heraus. Entstandene Produktionsstrukturen bedürfen neuer Förderinstrumente: ›› Eigenmittelfonds a) Schaffung eines Eigenmittelfonds: Damit sollen nicht-institutionell geförderte Neuansatz: Ensembles, Kulturproduzent/-innen und Künstler/-innen in die Lage versetzt 1 Mio. Euro jährlich werden, Anträge bei Förderinstitutionen zu stellen, die den Nachweis von Eigenmitteln voraussetzen (z. B. Kulturstiftung des Bundes, Privatstiftungen oder auch EU). Das Land Berlin kann hier einen Hebel schaffen, um mit Einsatz relativ geringer Landesmittel ein Vielfaches an Drittmitteln für die Berliner Freie Szene einzuwerben. Erforderlicher Neuansatz: 1 Millionen Euro jährlich. ›› Förderetat für b) Schaffung eines spartenübergreifenden Förderetats für Wiederauf­nahmen Wiederaufnahmen erfolgreicher Projekte und Produktionen, der anders als im bisherigen Neuansatz: Verfahren innerhalb der Einzelprojektförderung eine flexible Struktur 0,5 Mio. Euro jährlich aufweist, so dass die Zuwendung zeitnah erfolgen kann. Erforderlicher Neuansatz: 0,5 Millionen Euro jährlich. ›› Fonds für Forschung, c) Schaffung eines spartenübergreifenden Fonds für Künstler/-innen Recherche etc. und Kunstproduzent/-innen. Dieser Fond stellt Mittel zur Entwicklung Neuansatz: von Projekten zur Verfügung und beinhaltet die Förderung von Forschung, 1 Mio. Euro jährlich Recherche, Künstlerresidenzen, sowie Kuration, Vermittlung, Dokumentation und Publikation. Erforderlicher Neuansatz: 1 Millionen Euro jährlich

3. Gewährleistung von Honoraruntergrenzen.

Berliner Künstler/-innen und Kulturproduzent/-innen arbeiten unter extrem prekären Einkommensverhältnissen, Stundenlöhne liegen häufig bei 3 Euro, oft wird künstlerische Arbeit gar nicht bezahlt. Dieser Zustand ist in einem sozialen Rechtsstaat unhaltbar. Zugleich gefährdet er Professionalität und Qualität der Kunst und letztlich die Attraktivität Berlins für die internationale Avantgarde. Spartenübergreifend sind deshalb Mindeststandards bei der Honorierung künstlerischer Arbeit notwendig. Sie sind für alle künstlerischen, kuratorischen und Kunstvermittlungsleistungen zu formulieren und zu verbindlichen Fördervoraussetzungen zu machen.

24 Die Zukunft der Freien Szene: Zehn Punkte für eine neue Förderpolitik › ›

›› Honoraruntergrenze a) Die Darstellende Kunst orientiert sich dabei an den Tarifverträgen deutscher Mehransatz: Stadttheater. Die dort vereinbarte Mindestgage ist Orientierungspunkt für 4,5 Mio. Euro jährlich das Mindesthonorar, das für die Dauer des Projektes an alle künstlerisch Mitwirkenden bei vom Land Berlin geförderten Projekten gezahlt werden muss. Zugrundegelegt wird dabei das entsprechende Arbeitgeberbrutto nach dem Mindesttarif des NV Bühne. Die Anzahl der geförderten Projekte muss dabei gewahrt bleiben, da bereits jetzt lediglich ein Mindestmaß an förderungswürdigen Anträgen berück- sichtigt werden kann und eine Verringerung dem Anspruch an Vielfalt und Bandbreite der Förderung widersprechen würde. Erforderlich ist deshalb eine Aufstockung des Etats zur Förderung von privatrechtlich organisierten Theatern und Theater-/Tanzgruppen. Erforderlicher Mehransatz: 4,5 Millionen Euro jährlich. ›› Ausstellungshonorare b) Bildende Künstler/-innen, die Werke für Ausstellungsprojekte für vom Neuansatz: Land Berlin betriebene oder regelmäßig geförderte Ausstellungsinstitutionen 1 Mio. Euro jährlich zur Verfügung stellen, erhalten für diese Leistung Ausstellungshonorare. Die Höhe der Honorare orientiert sich an festen Sätzen von 2.000 Euro für eine Einzelausstellung und 250–500 Euro für die Teilnahme an einer Gruppenausstellung. Erforderlich ist ein neuer Mittelansatz zur zweck­ gebundenen Aufstockung der Zuwendungen für die Kunstvereine und der Etats der kommunalen Galerien. Erforderlicher Neuansatz: insgesamt 1 Millionen Euro jährlich. ›› Projektförderung c) Auch im Bereich der Musik müssen neben der Garantie eines Mindest­ freie Musikszene standards bei der Honorierung künstlerischer Arbeit Strukturen geschaffen Mehransatz: werden, die der Förderstruktur der Projektförderung (Projekt-, Basis- und 1,5 Mio. Euro jährlich Konzeptförderung) in der Darstellenden Kunst vergleichbar sind. Erforderlicher Mehransatz: 1,5 Millionen Euro jährlich.

›› Fonds zur 4. Die Fördersysteme für Bildende Kunst müssen nachhaltige Produk­tionsförderung professionelle künstlerische Arbeit ermöglichen. Neuansatz: 2,5 Mio. Euro jährlich Analog zur Produktionsförderung in der Darstellenden Kunst wird ein Fonds zur Produktionsförderung in der Bildenden Kunst eingerichtet. Aus ihm sollen Zuschüsse für künstlerische Arbeitsvorhaben und Projekte von Einzelkünst- ler/-innen und Künstlergruppen mit jeweils einem Festbetrag von 7 000 Euro gefördert werden. Förderentscheidungen werden von einer 2-mal jährlich einzuberufenden Fachjury getroffen. Die so entstehenden Werke werden digital dokumentiert und archiviert. Eine Auswahl daraus oder Werkgruppen werden der Öffentlichkeit in geeigneter Weise (Ausstellungen bzw. digitale Präsentationen) zugänglich gemacht.

›› Ankerpositionen 5. Schaffung und Förderung von Orten mit eigenen Produktionsetats Neuansatz: für die Freie Szene. 4,5 Mio. Euro jährlich Interdisziplinär arbeitende Häuser und Projekt-Räume nehmen innerhalb der freien Strukturen sogenannte Ankerpositionen ein, indem sie z. B. eigen­ ständig nationale und internationale Koproduktionen und Festivalkooperationen anstoßen und durchführen können. Auf eine solche Infrastruktur kann die Freie Szene nicht mehr verzichten, da sonst keinerlei Möglichkeit zur kontinuierlichen Entwicklung und Planungssicherheit besteht und die Chance, durch Kooperati- onspartner künstlerische Projekte mit finanzieller Beteiligung anderer Länder zu produzieren, ungenutzt bliebe. Erforderlicher Neuansatz: 4,5 Millionen Euro jährlich

25 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

›› Bezirkliche Kunst- 6. Bezirkliche Kunst- und Kulturförderung muss erhalten und Kulturförderung und ausgebaut werden. Mehransatz: 1 Mio. Euro jährlich Eine Stärke Berlins ist seine historisch gewachsene Dezentralität. Die Kultur­ förderung in den Bezirken für Projekte und Institutionen bildet die Grundlage für kulturelle Vielfalt und schafft ein Angebot, das die Berliner Bevölkerung in ihrer sozialen Vielschichtigkeit erreicht. Der Bezirkskulturfonds als wichtiges Instrument für die Verknüpfung von bezirklicher und gesamtstädtischer Kunst- und Kulturförderung muss daher um 1 Millionen Euro aufgestockt werden. Bedingung dieser Aufstockung ist, dass die Bezirke ihre Ausgaben für Kultur nicht weiterhin vermindern. Erforderlicher Mehransatz: 1 Millionen Euro jährlich.

›› Selbstverwaltungs- 7. Ertüchtigung der Selbstverwaltungsstrukturen. strukturen Mittelansatz: Um als Partner und Subjekt der Kulturförderung handlungsfähig zu bleiben, 0,15 Mio. Euro jährlich müssen die Selbstverwaltungsstrukturen vor allem für den Bereich Freies Theater und Musik gestärkt werden. Erforderlicher Mittelansatz: 0,15 Millionen Euro jährlich.

›› Kulturelle Nutzung 8. Die Liegenschaftspolitik muss zugunsten von Kultur und Stadt von Liegenschaften neu gedacht werden.

Die Koalition der Freien Szene fordert ein Moratorium zum Verkauf von Landes­ immobilien. Der Vergabe von Grundstücken im Erbbaurecht ist Vorrang gegen- über einem Verkauf zu gewähren. Stadtentwicklungspolitik ist Kulturpolitik. Landeseigene Immobilien, die für unmittelbare Verwaltungszwecke dauerhaft oder für einen längeren Zeitraum nicht mehr benötigt werden, müssen vorrangig zunächst auf ihre Eignung für Zwecke der kulturellen Infrastruktur oder künstlerischer Projektrealisierungen geprüft werden. Hauptverwaltungen, Bezirke und Liegenschaftsfonds müssen unverzüglich die dafür notwendigen organisatorischen und strukturellen Voraus- setzungen schaffen. Entsprechende Liegenschaften müssen dauerhaft im Eigentum des Landes bleiben. Diese Liegenschaften sollen qualifizierten ge- meinnützigen freien Trägern angeboten werden und von ihnen für Zwecke der kulturellen Infrastruktur und/oder kultureller Veranstaltungen genutzt werden können. Für die Nutzung dieser Grundstücke erhebt das Land Berlin nur symbo- lische Pachtbeiträge.

9. Solidaritätsprinzip, Gerechtigkeit, Transparenz und Subsidiarität. ›› Solidaritätsprinzip Die Freie Szene steht für Kooperationen und Partnerschaft auch mit und Bereitstellung festen Institutionen und lädt diese ausdrücklich dazu ein. Auch fordert sie von institutionellen Zuwendungsgeber und Politik dazu auf, diese Zusammenarbeit stärker zu Infrastrukturen unterstützen und zu fördern. ›› Gerechtigkeit Alle öffentlich geförderten Institutionen müssen evaluiert werden. und Transparenz, Die Evaluierungen sollen öffentlich und transparent sein. Subsidiarität Die Benennung aller Jurys, die Projektmittel des Landes Berlin vergeben, erfolgt auf Vorschlag aus der Freien Szene selbst. Diese hat rechtzeitig zu erfolgen und muss ebenfalls transparent sein. Die Verwaltungsstrukturen der jurierten Förderverfahren bedürfen einer Überprüfung in Bezug auf ihre Effizienz mit dem Ziel einer Neustrukturierung, um Kosten einzusparen.

26 Die Zukunft der Freien Szene: Zehn Punkte für eine neue Förderpolitik › ›

›› Hauptstadt ­kulturfonds 10. Weitere Strukturvorschläge zur Förderung der Freien Szene: Freie Mittel für freie Strukturen! Die Koalition der Freien Szene fordert, dass der Hauptstadtkulturfonds seine Förderaufgabe wieder an denen bei seiner Gründung vereinbarten Kriterien orientiert: Aus dem Hauptstadtkulturfonds dürfen keine Regelförderungen finanziert werden, damit die Fördermittel in vollem Umfang freien Projekten zur Verfügung stehen. Das Votum der Jury muss über das Gesamtvolumen des Fonds eingeholt werden und bindend sein. Die sogenannte Fondsreserve darf nicht zu einer demokratisch nicht kontrollierbaren Handkasse der Politik werden. Außerdem sollen Anträge von institutionell geförderten Kultureinrichtungen nur berücksichtigt werden, wenn das Projekt maßgeblich mit Künstler/-innen und Kulturproduzent/-innen freier Strukturen realisiert wird. Auch muss sicherge- stellt werden, dass diese Förderung nicht in die Finanzierung der Infrastruktur der festen Institutionen fließt. ›› Fonds für kulturelle Stärkung der Strukturen für kulturelle Vielfalt in Anlehnung an die Forderung Vielfalt des Rates für die Künste. ›› Förderinstrumente Die Koalition der Freien Szene fordert eine Stärkung der Förderinstrumente für die Literatur für die Literatur.

27 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Dr. Lukrezia Jochimsen Kultur für alle – Jetzt erst recht!

Ich beginne mit einem fast 100 Jahre alten Text: Das brauchen Kinder von Anfang an. Wer es ihnen »Wir müssen uns abgewöhnen und aufhören, die verweigert, lässt sie hungrig und durstig aufwach- Kultur als enzyklopädisches Wissen zu verstehen, sen, verkümmern, verwahrlosen. Eine Menschen- wobei der Mensch nur als ein Gefäß gesehen wird, rechtsverletzung! Deshalb muss die Forderung das mit empirischen Daten angefüllt und vollge- lauten: Kultur für alle – von Anfang an. pfropft werden muss, mit nackten und zusammen- hanglosen Fakten, die er dann in seinem Gehirn wie Was ist unsere Realität in diesem reichen Land? in den Abschnitten eines Wörterbuchs rubrizieren Zunächst drei Zahlen, damit wir wissen, worum muss […]. Wirkliche Kultur ist etwas völlig anderes. es geht: Kulturförderung – das heißt 2009 Kultur ist Disziplinierung des eigenen inneren Ichs, 1,64 Prozent des Gesamtetats der öffentlichen Inbesitznahme der eigenen Persönlichkeit und die Haushalte. Laut dem Kulturfinanzbericht 2012 des Erlangung eines höheren Bewusstseins, mit dem Statistischen Bundesamtes stellte die öffentliche man dazu kommt, den eigenen historischen Wert Hand, also Bund, Länder und Gemeinden 2009 zu verstehen, die eigene Funktion im Leben, rund 9,1 Milliarden Euro für Kultur zur Verfügung. die eigenen Rechte und Pflichten.« Das sind 0,38 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Ich drehe jetzt mal den Spieß um und sage: Antonio Gramsci hat diesen Text geschrieben, Wir brauchen mehr! Wir nehmen weniger nicht 1916 in Grido del popolo. mehr hin!

Langsam setzt sich bei vielen die Erkenntnis Forderung nach antizyklischer Politik: durch, dass die politische Arbeit für die Kultur Ländliche Regionen attraktiver machen – kein Elfenbeinturm-Unternehmen ist – sondern die weniger Werdenden stützen und schützen!!! eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe quer Patriotismus – nennt das der Berliner Kultur- über alle politischen Fachgebiete: das Soziale, Staatssekretär André Schmitz im Spiegel und die Gerechtigkeit, das Weiterkommen der schreibt am 19. März 2012 in seinem Artikel nächsten Generation – unsere Identität – »Schlechte Patrioten«: »Kulturpolitischer Kanni­ das alles ist auch eine kulturelle Frage. balismus ist auf jeden Fall der falsche Weg. Kunst bleibt ein krisenfester Resonanzraum für Wer sind wir? die Probleme unserer Zeit. Deshalb ist ein Mehr Wer wollen wir sein? für die Kultur gerade in Krisenzeiten ein gesell- Wofür wollen wir uns einsetzen? schaftlich nützliches Konjunkturpaket.« Gutes Leben – geht nicht ohne Kultur. Aufarbeitung 1,64 Prozent des Gesamtetats plus 0,38 Prozent der Vergangenheit, Denken in die Zukunft, globale am Bruttoinlandsprodukt – mit diesen Beträgen Kommunikation … alles hat mit Kultur zu tun, die lässt sich kein Haushalt retten, aber mit diesen immer im Dreischritt gedacht werden sollte: Beträgen wird unendlich viel für die Gesellschaft Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft! Und eine geleistet! Partei, die keine kulturelle Identität schafft, wird sich auf Dauer in der Gesellschaft nicht halten. Was wir brauchen ist eine umfassende Diskussion über eine neue Steuerpolitik und ein neuer Dialog Wir kommen auf diese Welt – lebensunfähig, wenn zwischen Politik, Kreativen und den Bürgerinnen wir keine Nahrung bekommen. Diese Nahrung und Bürgern, die Kultur brauchen und wollen und müssen uns die Eltern geben und die Gemein- lieben. Wie solch‘ ein Dialog stattfinden könnte, schaft/Gesellschaft, in die wir hinein­geboren dafür gibt es ein aufschlussreiches Beispiel: Jena. worden sind: Essen und Trinken, sonst verhungern und verdursten wir, aber auch andere Nahrung: Hier wurde ein Jahr lang eine Kulturkonzeption für unser Gehirn, für die fünf Sinne, für das erarbeitet – immer in enger Zusammenarbeit von Bewusstsein, früher auch Seele genannt. Also: Politik, Bürgern und Kulturschaffenden. Genau Wörter, Bilder, Töne, Bewegungsanreize, Stimula­ ausgerichtete Arbeitsgruppen haben in den unter- tion zum aufrechten Gang. Vielfache Nahrung. schiedlichen Bereichen, wie zum Beispiel Musik und Tanz, Jugend und Szene oder Migrantenkul- Als »Nourishment«, hat Shakespeare sie bezeich- turen und Kultur für Migranten, Bedürfnisse net und auch beim Namen genannt: »Culture is festgestellt; geschaut, was ist bereits vorhanden nourishment« – Lebensmittel Kultur. und funktioniert das Bestehende? Es wurden 28 Kultur für alle – Jetzt erst recht! › ›

Lösungsvorschläge formuliert, die den Verände- Künstlerinnen und Künstler zu Dienstleistern einer rungen in den Anforderungen an Kulturförderung Freizeitbranche. Gott sei Dank hat das Europä- und Gestaltung Rechnung tragen und auch an die ische Parlament dagegen vehement Widerspruch gegebenen finanziellen Möglichkeiten des Haus- eingelegt. Im Entschließungsantrag wurde formu- haltes angepasst sind. Das Ergebnis ist ein beacht- liert, das Europäische Parlament »hält es für licher Kompromiss mit teilweise ganz neuen unerlässlich, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten Ansätzen: so wurden Kulturpartnerschaften mit die Möglichkeit wahren, ihre Politik im kulturellen Institutionen, Vereinen und der Wirtschaft ins und audiovisuellen Bereich zu erhalten und weiter- Leben gerufen; eine spartenübergreifende Netz- zuentwickeln, und zwar im Rahmen ihres Besitz- werkarbeit geschaffen; ein zentrales Beratungs- standes an Rechtsvorschriften, Normen und und Informationszentrum gegründet, welches Übereinkommen, fordert daher, dass die Ausklam- umfassende Informationen und Hilfsangebote zu merung von Diens­ten mit kulturellen und audiovisu- Förderprogrammen auf kommunaler, regionaler, ellen Inhalten, auch online, im Verhandlungsmandat bundes- und europaweiter Ebene, wie auch bei eindeutig festgehalten­ wird.« Raumsuche und Vermittlung geben kann. Fragen Dem müssen wir uns auf nationaler Ebene sofort der Erreichbarkeit, d. h. des öffentlichen Nahver- anschließen und als Kulturpolitiker und Parlamen- kehrs wurden genauso bedacht, wie die Möglich- tarier fordern, dass der Bereich Kultur und Medien keit, Gebäude zeitversetzt unterschiedlichen aus dem Mandat herausgenommen wird – und Nutzungen zugänglich zu machen. Auch wurde zwar von Anfang an, bevor überhaupt über das ermöglicht, Projekte über mehrere Jahre zu finan- Abkommen verhandelt wird. Das scheint mir im zieren, um so Planungssicherheit zu geben und die Moment unsere wichtigste Aufgabe zu sein. »Hängepartien« zu beenden, von Jahr zu Jahr, von Haushaltsberatung zu Haushaltsberatung in Wir müssen sowieso eine Diskussion über unsere Unsicherheit arbeiten zu müssen. öffentlichen Güter, zu denen Kultur weitreichend gehört, anstoßen und führen in unserem Land – die Genau diesen Mut, mit den bestehenden Verände- Commons – öffentliche Plätze, Gemeineigentum in rungen und Problemen kreativ umzugehen und all seinen Ausformungen und die Kultur gehört neue, für alle zufriedenstellende Lösungen zu dazu. Überall stellen wir fest, dass der Bevölkerung schaffen, brauchen wir. diese Gemeingüter weggenommen werden, vorenthalten werden, zerstört werden, kommer­ Das Thema Kulturförderung hält uns den Spiegel zialisiert werden. Dagegen müssen wir politisch vor, wer wir sind und was wir sein wollen, Kultur­ angehen. Wir wollen uns nicht enteignen lassen, nation oder Wirtschaftsmacht – oder Kulturnation wir sollten uns nicht selbst enteignen – wir wollen und Wirtschaftsmacht – und vor allem eine gerechte keine amerikanischen Verhältnisse! Gesellschaft, die nicht Teilen der nächsten Genera­ tion vorenthält, was ihre Vorfahren geschaffen Übrigens »amerikanische Verhältnisse«: haben: Theater, Museen, öffentliche Plätze, Büche- »Wir wollen BROT UND ROSEN!« – sagten die reien und was sie dringend braucht: Worte, Musik, Arbeiterinnen von Massachusetts vor 93 Jahren. Geschichten, Bücher, Bilder, Tanz und Spiel … Das waren dieselben Arbeiterinnen, die den »Frauentag« ausriefen. KURZ: Was nur Künstler und Kreative schaffen können. Stellen wir uns als Linke auf ihre Seite!!! Arbeit allein sichert kein gutes Leben – genauso Es geht um nichts geringeres, als um eine existentiell ist das Bedürfnis der Menschen nach Enteignung unserer europäischen Kultur – Schönheit, Liebe und Kunst. Deshalb fordern wir eine Selbstenteignung sozusagen. das Staatsziel Kultur. Im Grundgesetz soll festge- legt sein: Der Staat schützt und fördert die Kultur. Am 1. April 2012 enthielt die Süddeutsche Zeitung in ihrer Beilage der New York Times einen großen Kunst braucht Brot. Wer ein reiches Kunst- und Artikel von Larry Rohter: »CULTURE CUTS TOUCH Kulturschaffen will, muss gute, existenzsichernde THE CORE IN «. Die Kernaussage ist, dass Arbeit im Kulturbereich ermöglichen. Künstlerinnen wir in Europa davor stehen amerikanische Verhält- und Künstler und Kreative müssen von ihrer Arbeit nisse zu bekommen, die Kultur nicht als einen leben können – deshalb engagieren wir uns für Grundwert ansieht, sondern Freizeitunterhaltung eine Reform der sozialen Sicherungssysteme und und diese ganz und gar dem Markt überlässt. Honoraruntergrenzen.

Das ist auch der Kern des Freihandelsabkommens Kultur ist Vielfalt, das heißt: unterschiedliche zwischen Europa und den USA (TTIP), das eine Sichtweisen, Gedanken, Visionen, Positionen Bedrohung für unsere Kultur darstellt. Darin wird kommen zusammen. Ihre Widersprüche stoßen Kultur zur Ware und Freizeitunternehmung, werden Prozesse an, deren Wirkung weit über den Kultur- 29 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

bereich hinausgehen. Kulturpolitik ist Gesell- Kultur ist Erinnerung. Menschen haben unter- schaftspolitik. Deshalb ist es unser Ziel, dass jeder schiedliche kulturelle Traditionen und Geschichten. Mensch auf seine Weise an Kultur und Bildung Erst die Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe teilhaben kann. lässt ein gemeinsames Kulturverständnis entste- hen. Denn in jeder Kultur mischt sich Vertrautes Kultur hat Kraft. Weltweit hat die Kunst große mit Neuem, Eigenes mit Fremden. Kultur verbindet. emanzipatorische Wirkung. Deswegen werden Tradition und Moderne. Deshalb liegt in der Kultur Künstler und Künstlerinnen verfolgt, unterdrückt, die Basis für Verständigung und Toleranz. zum Schweigen gebracht. Deshalb erklären wir uns mit all jenen solidarisch, die mit ihrem Leben und Das heute herrschende Motto heißt: Denken für eine freie und gerechte Gesellschaft Brot und Spiele. Wir aber wollen Brot und Rosen! eintreten.

30 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung › ›

Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung

mit Dr. Lukrezia Jochimsen, Klaus Schöpp, Isa Nordischen Filmtage Lübeck, dort im Marketing, Kathrin Edelhoff (Kulturvermittlerin und -manage- und für die Theater, Oper und Orchester GmbH in rin, Berlin, Regionalsprecherin der Kulturpoli- Halle. Aktuell koordiniert sie im Auftrag der Stadt tischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg), Torsten Eberswalde die Landesmusikschultage Branden- Koplin (MdL, Kulturpolitischer Sprecher der Links- burg 2013. Eingeladen ist sie aber als Regional- fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern), sprecherin der Kulturpolitischen Gesellschaft Ralph Reichel (Chefdramaturg am Mecklenbur- Berlin-Brandenburg. Herzlich Willkommen. gischen Staats­theater Schwerin, Volksinitiative für den Erhalt der Theater- und Orchesterstrukturen Dann möchte ich Torsten Koplin vorstellen. Er ist in Mecklenburg-­Vorpommern) Gesundheits- und Kulturpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Landtag Mecklenburg- Moderation: Kathrin Senger-Schäfer Vorpommern und aktives Mitglied der Ständigen (MdB, Medienpolitische Sprecherin Kulturpolitischen Konferenz (SKK) der LINKEN und der Bundestagsfraktion DIE LINKE.) als ich das gelesen habe, mit dieser Verbindung des gesundheitspolitischen Sprechers und des kulturpolitischen Sprechers, musste ich selbst an mich denken, weil ich auch noch Pflegepolitische ›› Kathrin Senger-Schäfer: Sehr verehrte Damen und Sprecherin bin und immer wieder die Frage gestellt Herren, liebe Freundinnen und Freunde aus der bekomme, wie kann man diese unterschiedlichen Kulturszene, liebe Kulturschaffende, ich begrüße Bereiche zusammen bringen. Das frage ich jetzt Sie, Euch heute ganz herzlich zu unserer kulturpoli- natürlich nicht. Wir reden heute über das Thema tischen Konferenz. Wir haben eben schon ganz Kulturpolitik und auch Dir ein Herzliches Willkom- viele Anregungen bekommen. Ich war sehr be- men. schäftigt damit, nicht nur aktiv zu zuhören, son- dern aktiv mitzuschreiben. Ich hoffe, denke und Dann begrüße ich ganz herzlich Ralph Reichel. Er wünsche mir, dass wir nachher in eine interessante ist Chefdramaturg und Regisseur. Er begann als Diskussion einsteigen werden. Mein Name ist Assistent unter anderem bei Inszenierungen von Kathrin Senger-Schäfer. Ich bin die medienpoli- Frank Castorf an der Volksbühne und am Deut- tische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Ich schen Theater Berlin, dann als Dramaturg in möchte Ihnen zunächst etwas zum Ablauf sagen, Weimar. 2008 gründete er in Schwerin die Spiel- wie wir uns das vorgestellt haben. Wir beginnen stätte »werk3« und ist seit der Spielzeit 2011/2012, jetzt mit einer kurzen Vorstellung der Teilnehmerin- Chefdramaturg am Schauspiel des Mecklenbur- nen und Teilnehmer. Ich werde aber aus Zeitgrün- gischen Staatstheaters Schwerin. Im Frühjahr 2012 den und weil ich peinlichst genau darauf hingewie- hat Herr Reichel mit anderen Theatermitarbeite- sen worden bin, nicht zu überziehen und in der Zeit rinnen und Theatermitarbeitern und engagierten zu bleiben, die beiden, die sich schon selbst Menschen aus Stadt und Umland das Aktionsbünd- vorgestellt haben, mit ihren Aktivitäten und ihrer nis »Kulturschutz« gegründet. Diese Initiative setzt Vita, sprich Herrn Schöpp und Frau Dr. Jochimsen, sich nicht nur für den Erhalt des Theaters in nicht mehr vorstellen, das haben wir ja gehört. Schwerin ein, sondern hat als Fernziel, dass der Daran anschließend, wird es eine Fragerunde Schutz der Kultur, ebenso wie zum Beispiel der geben, die sich zunächst an alle Podiumsteilneh- Schutz der Natur als Pflichtaufgabe in die Verfas- merinnen und -teilnehmer richtet. Danach werde sungen der Länder und des Bundes aufgenommen ich eine Runde ins Publikum geben und am Ende wird und ich denke, dazu können wir nachher noch einmal hier oben ein Abschlussstatement in der Diskussion viel fragen und erfahren. vorbereiten. Herr Reichel, schön dass Sie da sind und herzlich willkommen. Jetzt zu unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Ich beginne mit Frau Isa Kathrin Edelhoff. Herzlich Wir haben jetzt vieles gehört in den vorausgegan- willkommen und schön, dass Sie da sind. Sie leitete genen Referaten und kurz zusammengefasst stellt als freie Kulturvermittlerin von 2002 bis 2008 die sich ja diese Bipolarität auf der einen Seite zwi- Internationalen Seminare für Kulturmittler des schen der etablierten Kulturszene und der freien Goethe-Instituts in Berlin und Weimar. Außerdem Kulturszene, auf der anderen Seite. Und dazu arbeitete sie für die Berliner Festspiele GmbH, die möchte ich zunächst an alle Podiumsteilnehmerin- 31 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

nen und -teilnehmer ein paar Fragen in den Raum ›› Dr. Lukrezia Jochimsen: Vielleicht müssten Sie werfen. Sie dürfen sich dann gerne eine aussuchen. sagen, die Hauptthese dieses Buches ist: Es genügt die Hälfte der öffentlichen Förderung für die Mehr Kultur und mehr Geld, oder andere Konzepte öffentlichen Einrichtungen. und Umverteilen? Und wenn ja, wie? Etwas haben wir dazu schon gehört. Etwa von der sogenannten ›› Isa Kathrin Edelhoff: … um die andere Hälfte z. B. Hochkultur und ihren Institutionen zur Freien verstärkt für Projektförderung einzusetzen. Ich Szene? Sind aber nicht die Kulturinstitutionen werde am Ende noch einmal darauf eingehen und selbst schon unterfinanziert, wie zum Beispiel ich will auch nicht über den Kulturinfarkt diskutie- die Theater? Sollten wir die Theater und Opern ren. Das ist nämlich immer die große Gefahr, zugunsten der Freien Szene schließen? Wenn deshalb habe ich das kleine rote Buch auch nur im nicht, welche Wege gehen wir dann? Förderge- Hintergrund erwähnt. Es rutscht ganz schnell in den setze in den Ländern? Kulturentwicklungskon­ Vordergrund. Vielleicht nur so viel dazu, meine zeptionen? Oder, wie soll es gehen? Als Erstes persönlich Meinung dazu ist, dass das Buch nicht würde ich gerne Frau Edelhoff die Fragen zur besonders sauber gearbeitet ist. Aber das ist ein Beantwortung geben. anderes Thema. Sie reden schon von einer Umver- teilung der Mittel, aber in meinen Augen ist es nicht ›› Isa Kathrin Edelhoff: Also, abschließende Antwor- ganz zu Ende gedacht. Projektmittel sind immer die ten auf diese Fragen kann ich sicher nicht geben, ersten Mittel, die zur Disposition stehen. Auf jeden aber deshalb sind wir ja hier. Es ist eine Debatte, Fall aber ist es gut, wenn man sich darüber sehr die vor einiger Zeit begonnen hat und die sicher sorgfältig und sehr vorsichtig unterhält. noch einige Zeit anhalten wird. Die Frage lautet, ob wir die Kultur, die wir haben, uns in dieser Form Stichwort Umverteilung: Es ging bei der letzten noch leisten können und wenn nein, wie kann es Veranstaltung auch darum, öffentliche Mittel, die denn dann gehen? In der Regionalgruppe der institutionell gebunden sind, insofern umzuvertei- Kulturpolitischen Gesellschaft in Berlin-Branden- len, als dass man diese freigibt zugunsten von burg haben wir angefangen, Veranstaltungen zu Freier Szene und Projektförderung. Da gab es konzipieren zu diesen Themen mit Referenten. Im keine Schlüssel, keine Ergebnisse, sondern das April letzten Jahres haben wir eigentlich hierzu Ergebnis war, dass man weiter sorgfältig darüber fachlich diskutieren wollen, es ging um Sicherungs- nachdenken muss, ob das wirklich so eine gute systeme, Finanzierungsmodelle im Kulturbereich Idee ist. Die Einen sagen »Ja!«, die Anderen sagen, und so weiter. Wir haben ein Podium zusammen­ und ich gehöre zu den Anderen, »Vorsicht!«, denn gestellt, nicht wissend, dass in der Zwischenzeit das Erste, was gestrichen wird, sind Projektmittel. ein kleines rotes Buch erscheinen wird und einer Solange Kultur eine freiwillige Aufgabe ist, sind der Podiumsgäste war einer der Autoren, Dieter Projektmittel schnell in Gefahr. Auch ich bin noch Haselbach. Außerdem war Adrienne Goehler nicht am Ende des Nachdenkens. Ich denke, dass eingeladen. Mit Ihr wollten wir das Modell und die in diesem ganzen Bereich ein Umdenken stattfin- Idee des bedingungslosen Grundeinkommens im den muss und wohin das hinführen kann oder wird, kulturpolitischen Zusammenhang diskutieren, ist noch offen. Haselbach war als eher wirtschaftsliberaler Kontra- hent eingeladen. Und weil eben dieses kleine rote ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank. Ich möchte Buch »Der Kulturinfarkt« gerade erschienen war, jetzt erst einmal die bereits Referierenden schonen ist die Diskussion hochgradig emotional gewesen und gebe die Frage, an die beiden Herren Torsten und wenig sachlich geführt worden. Also das ist Koplin und Ralph Reichel. Wer möchte zuerst? eine Veranstaltung, die wir sicherlich noch einmal Ralph Reichel. wiederholen können, etwas gemäßigter, weil es da hauptsächlich um‘s Kämpfen ging. Jeder fühlte ›› Ralph Reichel: Dieses Thema – Hochkultur und sich vom Anderen angegriffen und jeder versuchte Freie Szene, ich erlebe permanent diese Vertei- etwas zu verteidigen. Wir haben weiter gemacht. lungskämpfe. Ob zwischen Hochkultur und Freier Jetzt vor kurzer Zeit, da ging es um Umverteilung, Szene oder zwischen Musiktheater und Schauspiel. wo wir das Thema City Tax auch mit auf die Die Basis muss doch eigentlich eine andere sein. Agenda geholt haben. Christoph Knoch von der Wir rechtfertigen dauernd, dass wir Geld brauchen. Koalition der Freien Szene war eingeladen und Es gibt eine City Tax und wir reden also darüber, wieder Dieter Haselbach, einer der Autoren vom für Kultur eine extra Erfindung zu machen. Keiner »Kulturinfarkt«. Diese Diskussion war schon etwas kommt auf die Idee, eine City Tax für den Nahver- sachlicher. Auch da ging es immer noch um kehr oder dass die Polizei da ist zu machen. Wir Verteilungskämpfe zwischen Hochkultur und Freier sind in einem permanenten Rechtfertigungszwang. Szene und jeder wollte von dem großen Kuchen Der ist völlig absurd, eben weil wir nicht dieses etwas abhaben.­ Selbstverständnis haben, dass »Kultur« zu unserer 32 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung › ›

Kultur gehört. Wir machen permanent einen dertes Projekt, wo die Zusammenarbeit von großen Grundfehler: wir schlagen uns gegenseitig intern Schiffen und freien Gruppen befördert werden soll. die Schädel ein. Wenn ich vorhin das Beispiel Jena Bei uns und nicht nur bei uns, ist passiert, dass in höre. Es basiert darauf, dass in Jena ein Theater- dieser Phase, die über zwei Jahre angelegt ist, haus existiert, dass nach der Wende in der Thea- Leute aus freien Gruppen, mit denen man fest terruine neu gegründet wurde. Also sie haben ihr geplant hatte, wenn sie irgendwo ein festes Theater geschlossen, weil ein DDR-Fürst dachte, Engagement haben, natürlich dahin gehen. Das wenn er die Hälfte seines Theaters abreißt, kriegt heißt, die Fluktuation in den freien Gruppen ist er ein neues Haus gebaut, das fand nicht statt. enorm hoch, weil es einen Überlebensdruck gibt. Also hatten sie erst einmal keins und dann wurde Und ich glaube, wir dürfen nicht die Freie Szene an als ABM-Projekt ein neues Theater gegründet. sich idealisieren, sondern müssen ihre Notwendig- Dieses Haus funktioniert nur, weil das Theater keit akzeptieren. Sie ist das Feld, in dem Talente nicht Mitglied im Arbeitgeberverein ist, also sie und Konzepte erprobt werden. Beides wandert, nicht tarifgemäß bezahlen. Das ist doch kein wenn sich der Erfolg einstellt, meist sehr schnell in nachahmenswertes Modell! Was sie in Jena außer- die festen Häuser oder findet Koproduktionsstruk- dem haben, ist die Philharmonie. Dass in diesem turen mit diesen. Lande überall die Musiktheater, die Orchester so vergleichsweise gut ausgestattet sind, beruht auf Hier könnte man noch lange darüber reden, warum einer Schwerpunktsetzung der Reichskulturkam- eine erfolgreiche Projektförderung meist erst mer, die in Kriegszeiten entschied, für die Volksge- funktioniert, wann es eine institutionelle Förderung sundheit sind die Orchester gleichzusetzen mit den gibt. Die Freie Szene Berlins braucht für ihre Lehrern. Deswegen werden Orchestermusiker wie Projekte auch die sicheren Orte, die eine Grund­ Lehrer behandelt und bezahlt. Wir aber behandeln förderung besitzen. Eine Grundgefährdung, die wir die Orchestermusiker jetzt alle so, als würden sie haben, ist heute wieder, dass wir gegeneinander exorbitant unverschämt viel Geld bekommen. Sie kämpfen, statt miteinander, um Stellenwert und werden bezahlt wie Lehrer, was ich jetzt nicht Finanzierung von Kultur prinzipiell zu verbessern. absurd finde. Sie sind aber absolut an der Spitze der Lohnpyramide im Theater und es gibt einen ›› Kathrin Senger-Schäfer: Das war für die erste permanenten Verteilungskrieg untereinander. Wir Runde ein schönes abschließendes Wort. Aber müssen uns also fragen, ist das, was wir machen jetzt übergebe ich an Torsten Koplin. richtig? Wir lassen uns zu immer größeren Teilen in eine Prekariatsrolle drängen und kämpfen auch ›› Torsten Koplin: Danke für das Wort und einen noch gegeneinander. schönen Guten Tag. Ich möchte ganz gerne da anknüpfen. Vorhin fiel der Satz: »Man muss zur Das heißt, wir diskutieren jetzt mit der Freien Kultur eine Haltung haben.« Ich möchte gerne ein Szene wie hoch vom Kuchen ist der jeweilige Wort sprechen für die Haltung, dass wir widerste- Anteil. Warum nehmen wir als gottgegeben, dass hen müssen, dieser Argumentation, es ist kein der Kuchen begrenzt ist und in genau dieser Größe Geld da. Und, wir müssten umbauen und wir zwischen den Futterkonkurrenten aufgeteilt werden müssten uns beschränken. Ich nehme mal Zahlen muss? aus Mecklenburg-Vorpommern. Ich bin Finanzaus- schussvorsitzender und ich will nicht kokettieren Natürlich müssen wir uns klar sein, dass wir eine damit, ich will nur sagen, seit ich in dem Ausschuss Freie Szene brauchen. Das zynische an der Situati- sitze, weiß ich etwas mehr Bescheid über Geld und on ist doch, dass die Freie Szene der Raum für die wo das Geld noch ist. Wir haben einen Haushalt un- und unterbezahlte Nachwuchsarbeit der von 7,2 Milliarden Euro und eine Rücklage von Hochkultur ist. Dort findet sozusagen zu 90 Prozent 875 Millionen Euro. Expertinnen und Experten die Jugendarbeit der großen Mannschaften statt. Es sagen, eine Rücklage bei diesem Gesamtbudget gibt natürlich auch die reine idealistische Entschei- von 500 Millionen wäre angemessen. Wir haben dung für unabhängiges Arbeiten, aber in ganz vielen also einen Überhang an Rücklagen von 375 Millio- Fällen, ich habe selber dort gearbeitet, ist es so, nen Euro. Hinzu kommen noch bestimmte Puffer dass man natürlich lieber mit einem ordentlichen in einzelnen Haushaltstiteln zum Beispiel, wenn Einkommen und ordentlichen Mitteln arbeiten das Land Zinsen und Darlehen bezahlen muss, da wollen würde. Man zeigt sich auf dem Markt. Man haben wir einen Puffer von 25 Millionen Euro. Es macht auch Lieblingsprojekte, man kämpft und wären also verfügbar für Gestaltung in jedweden man geht aber ganz schnell, wenn man die Möglich- Bereichen etwa 400 Millionen Euro. Die Zahlen keit hat, natürlich unter ein finanziertes Dach. mögen an der Stelle genügen, um zu beweisen, es steht am Ende die Frage, was politisch gewollt ist. Wir realisieren gerade ein von der Bundeskulturstif- Und ich behaupte, was politisch gewollt ist, wird tung unter dem Dachbegriff »Doppelpass« geför- dann auch bezahlt. Und wenn Kultur als das 33 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

begriffen wird, als dieses Lebensmittel, von dem wollen eine Verstetigung der Zuwendungen. Das vorhin gesprochen wurde, dann ist es nur ange- kann andere Formen annehmen. Das kann auch messen und Grund genug dafür Geld aufzuwenden, Formen von Kooperationen annehmen, selbstver- denn es ist für unser Zusammenleben elementar. ständlich – das ist ein mitgedachter Gedanke, Dafür wollte ich gern ein Wort sprechen. wenn ich aufgefordert werde über den Antagonis- mus Freie Szene – Hochkultur zu sprechen – aber ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank. Dann würde für mich stellt sich, wie ich ja auch erläutert habe, ich jetzt Herrn Schöpp noch einmal das Mikrofon schon biografisch dieser Widerspruch gar nicht geben. dar, sondern es ist ein dauerndes Geben und Nehmen. Man arbeitet in den Strukturen, neben ›› Klaus Schöpp: Zu diesen Fragen: Die Koalition der den Strukturen, miteinander, nebeneinander, man Freien Szene hat sich in dieser Frage der Konkur- bereichert sich, aber man nimmt sich nichts weg, renz dahingehend eindeutig geäußert, dass wir sondern man ist Teil einer gemeinsamen kultu- nicht daran denken, ein Konkurrenzverhältnis zu rellen Leistung. Ich finde es aber ganz schwierig, den institutionell geförderten Kultureinrichtungen dass man aus dem Verhältnis Projektförderung der Stadt Berlin aufzubauen. Wir wollen ein Mitei- versus Institutionelle Förderung folgert: Was nander und kein Gegeneinander und wir fordern – einmal da ist, das will man nicht mehr wegnehmen. und das durchaus in Ihrem Sinne in der Haltung, Die Folgerung davon ist, man schafft nichts Neues dass es möglich sein muss in Berlin, eine wirklich mehr. Man hat nämlich Angst, etwas Neues zu letzten Endes geringe Summe von 18 Millionen schaffen, in dem Moment, weiß man genau, man aufzubringen – die Freie Szene in den Stand zu hat etwas etabliert und das führt dazu, man kriegt setzen, dass sie wenigstens zu erträglichen Bedin- das nie mehr weg. Der Haushaltspolitiker unter den gungen ihre wichtige Arbeit leisten kann. Deshalb Kulturpolitikern sagt, das klebt mir jetzt auf immer ist die Forderung nach Schließung, nach Umvertei- und ewig an der Backe und deshalb werde ich das lung als erstes mal ganz und gar nicht Bestandteil auch nicht einführen. Das finde ich ganz, ganz unserer Agenda. problematisch. Wir haben eine Kulturlandschaft, deren Institutionen mehr als 50 Jahre alt sind und Zu dem was Herr Reichel gesagt hat: Ich unter­ seit der Zeit nicht mehr reformiert worden sind. stütze Sie voll und ganz, aber auf eine Kleinigkeit Eine neue Form von Institutionalisierung von Kultur möchte ich hinweisen. Ich musste auch lernen als wird überhaupt nicht mehr angedacht und das Musiker, dass die Freie Szene in Berlin weitaus einzige, das vielleicht noch ein bisschen gewünscht mehr ist als nur Theater und Musik. Zum Einen ist ist, ist Freie Szene, da laufen wir offene Türen ein. natürlich die freie Theaterszene in Berlin der Freie Aber weiter zu gehen und zu sagen, wir brauchen Szeneakteur. Aber wenn ich mir die Zahlen ansehe eine Verstetigung und auch eine vernünftige und die Gespräche mit den Kollegen anhöre, muss Ausstattung auf Dauer, in diesen Schritt der ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass zum Diskussion kommen wir gar nicht erst, weil wir auf Beispiel die Bildende Kunst ausschließlich Freie dem Weg dahin schon längst verhungert und Szene ist, dass auch, wie eben schon gesagt, der verdurstet sind. Tanz ausschließlich Freie Szene ist. Also ganze künstlerische Bereiche sind überhaupt nicht ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank. Jetzt frage institutionell vertreten. Schon aus diesem Grunde ich die Kulturpolitikerin Lukrezia Jochimsen. Was muss Politik und Gesellschaft an dieser Stelle ein sagst Du dazu Luc? ganz anderes Denken einnehmen. Während man sich als Politiker vielleicht noch im Bereich der ›› Dr. Lukrezia Jochimsen: Naja, ich habe das ja Musik und des Theaters zurücklehnen kann und vorhin schon gesagt. Ich schließe mich da Torsten sagen, ich habe ja meine Staatsphilharmonie und Koplin an. Ich finde, es geht um unsere Haltung zur da ist auch das Staatstheater, sind andere Bereiche Kultur, unser Bewusstsein. Was haben wir denn? vollkommen undenkbar ohne die Freie Szene. Und Nehmen wir mal Berlin als ein Beispiel, das bietet auch weiterhin, was ich eben schon ausgeführt sich sehr gut an. Worin besteht denn die Faszinati- habe, die neuen Impulse in den verschiedenen on Berlins? Doch vor allen Dingen in seiner Kultur Kunstbereichen, die durchaus eine Förderung und in seiner kulturellen Vielfalt, in seinem Alt und haben, kommen ebenfalls aus der Freien Szene Neu, in seinem Bekannten, Traditionellen und in und werden nicht entsprechend in den Häusern dem, was ganz überraschend entsteht. Wien, hat umgesetzt. das längst begriffen. Die Hauptstadt eines viel kleineren, weiß Gott nicht so reichen Landes wie Zu Ihrer Bemerkung wollte ich auch etwas sagen die Bundesrepublik, sie gibt nach meiner Kenntnis Frau Edelhoff. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht. doppelt so viel für ihre Kultur aus, wie Berlin, für Das Problem mit der Projektförderung ist tatsäch- die Kultur ausgibt und lebt damit hervorragend. lich, dass sie immer das erste Opfer wird. Wir Nun kann man nicht sagen, dass die Leute der 34 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung › ›

Freien Szene in Wien auf Rosen gebettet sind und Kulturentwicklungsplanung und Sicherung der sehr viel mehr Geld zur Verfügung haben. Aber, es Infrastruktur z. B. von Theatern und Orchestern gibt eine Wertschätzung, wie wichtig das ist, dass unternommen hat? man das braucht, dass man davon auch lebt, dass man im Übrigen als Stadt davon auch wirtschaft- ›› Torsten Koplin: Danke für die Frage. Jetzt sind lich lebt. einige Stichworte gefallen und die treffen zu auf parlamentarische Aktivitäten, die wir in den letzten Eins will ich allerdings noch einmal sagen zu der Jahren hatten. Wir hatten uns mal die Aufgabe Frage, was immer schon da war, ist sozusagen alt. gestellt, das klingt so ein bisschen formal, dem Nehmen wir mal das Deutsche Schauspielhaus in Landtag in jeder Landtagssitzung einen kulturpoli- Hamburg, weit über 140 Jahre alt. Das Deutsche tischen Antrag vorzulegen. Das haben wir auch Schauspielhaus in Hamburg, öffentlich gefördert, durchgehalten bis zum Januar dieses Jahres. können Sie überhaupt nicht mehr mit dem verglei- Die Themen, die wir aufgegriffen haben, kommen chen, was das Deutsche Schauspielhaus mal mitten aus dem Leben. Die Theater- und Orches­ gewesen ist. Das Deutsche Schauspielhaus früher terlandschaft spielt eine große Rolle, aber auch war ein Haus, das hat abends um 8.00 Uhr aufge- Musikschulen. Es mögen an die 50 Anträge in den macht für eine Vorstellung und um 10.30 Uhr oder letzten Jahren gewesen sein. Es sind zwei durchge- 11.00 Uhr spätestens, gingen die Leute nach Hause kommen. Einmal Weltkulturerbe Schloss Schwerin und das war es. Das war das auch geförderte und einmal ein Bibliothekskonzept, das war im Deutsche Schauspielhaus. Heute existiert im vergangenen Jahr, dass ein Bibliothekskonzept Deutschen Schauspielhaus das Junge Schauspiel- entsteht. Ansonsten sind wir auf Ablehnung haus, das Schauspielhaus für Kinder, ein Betrieb gestoßen. Aber, es war dennoch nicht umsonst. der morgens um 9.00 Uhr seine Türen öffnet und Ich habe immer den Eindruck gehabt, es ist wie wo sozusagen als Anlaufstelle für Kinder und einen Stein ins Wasser werfen, dann bewegt sich Jugendliche und Heranwachsende ein Kosmos etwas. Im Januar haben wir gemeinsam mit der geschaffen ist an Kulturzugang. Dieser Kosmos ist Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN einen Antrag zu umso wichtiger, weil wir ja feststellen, dass inner- einem Kulturfördergesetz gestellt. Da haben wir es halb des Schulsystems der Kosmos Kultur, also uns ein bisschen einfach gemacht. Wir haben sprich Musik, Bildende Kunst, vernachlässigt wird. gesagt, die Landesregierung soll einen Gesetzent- Früher hatten viel mehr Schulen Orchester, Thea- wurf vorlegen. Der Minister wiederum hat den Ball tergruppen, für all das ist heute nicht mehr die Zeit zu uns zurückgeworfen und hat gesagt, vornehme da und das fällt auch aus dem Rahmen eines Aufgabe der Opposition ist es nicht nur die Regie- neuen Erziehungs- und Qualifikationsbetrachtens. rung zu kontrollieren, womit er Recht hat, sondern Man kann wirklich nicht sagen, dass sich die eigene Vorstellungen einzubringen, dann schreibt herkömmlichen, traditionellen, öffentlich geför- mal eins. Mit der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜ- derten Kultureinrichtungen, auch wenn sie alt sind NEN, mit dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Suhr und gerade wenn sie alt sind nicht doch unglaub- haben wir verabredet, dass er seine Connection lich geändert haben, auch in ihrer Zielführung, was nutzt aus Nordrhein-Westfalen und wir uns ge- Kulturleistung heute ist. Und da ist das Deutsche meinsam dran machen. Das stockt jetzt so ein Schauspielhaus in Hamburg nur ein Beispiel. bisschen und ich merke auch, dass wir an die Nehmen Sie mal das schwer bedrängte Theater in Grenzen unserer Kompetenzen gelangen. Es gibt Wuppertal. In Wuppertal ist überhaupt nichts mehr, auch einen Moment der Mutlosigkeit. Wenn man außer diesem Schauspielhaus und dieses Schau- immer wieder Anlauf nimmt und wenn wir immer spielhaus ist auch von morgens bis spät abends wieder Themen, die das Leben uns ins Stammbuch geöffnet und samstags und in den Ferien. Ich will schreibt, aufgreifen und etwas entwickeln und damit nur sagen, auch das Alte künstlerische dann abrutschen, dann zerrt das an den Kräften. gebiert in sich Neues. Aber gestern, die Landtagssitzung läuft bei uns gerade, gab es einen schönen Zwischenfall, der ›› Kathrin Senger-Schäfer: Das war sehr schön für motivierend war. Der Kollege Reinhardt, er ist die erste Runde. Ich bedanke mich. Ich möchte Innenausschussvorsitzender aus den Reihen der jetzt ein bisschen mehr aus der Praxis fragen und CDU, kam zu mir und sagte, er würde kulturpoli- da frage ich gleich mal Torsten. Welche Position tische Anträge vermissen, die sie dann immer vertritt eigentlich DIE LINKE? Moment, die Frage regelmäßig ablehnen, aber das fand ich schön und geht noch weiter, bevor Du Luft holst. Ich weiß, wir wir haben uns dann gestern dran gemacht, meine sind ja alle in dieser Richtung sehr engagiert, ob in Mitstreiterin und ich und haben für die Junisitzung den Arbeitsgruppen, ob auf Bundesebene oder auf zwei Anträge formuliert, die wir natürlich erst Landesebene. Was mich umtreibt ist die Frage, einmal der Fraktion vorlegen. Also, wir gehen welche Aktivitäten DIE LINKE in Mecklenburg-­ wieder an den Start. Vorpommern zu den Themen Kulturfördergesetz, 35 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

›› Kathrin Senger-Schäfer: Wunderbar. Das war der Das Erschreckende, was ich immer wieder erlebe, parlamentarische Ansatz. Ich würde gleich mal ist, dass wenn irgendwo eine Energie entsteht, weiter fragen, Herrn Reichel zum außerparlamen­ entsteht auf der anderen Seite ein Nachgeben. Das tarischen Ansatz, da sind wir dann beim Aktions- ist zum einen positiv. Als Zeichen für unsere Aktion bündnis Kulturschutz, von dem Sie kurz gespro- hatten wir dieses Kreuz in eckigen Klammern. Das chen haben. Aber was mich interessieren würde ist war dann überall in der Stadt und wir hatten die eigentlich, wie funktioniert dieses Aktionsbündnis, Solidarität in der Stadt so groß, dass selbst in der wie kann man sich das vorstellen. Wie viele Men- Kneipe, wo der Ministerpräsident essen geht, in schen sind dabei aktiv? Welche Aktivitäten stehen der Speisekarte oder an der Tür unser Flugblatt für Sie im Vordergrund? Haben sie auch etwas klebte. Die Stadt war zuplakatiert, also die Ge- bewirkt für den Erhalt der Theater- und Orchester- schäfte, Kneipen, öffentlichen Einrichtungen – strukturen in Mecklenburg-Vorpommern? Geld für Klebeflächen brauchten wir nicht. Wir Wie könnte das aussehen? Was meinen Sie, wie hatten es wirklich geschafft, die Stadt hinter uns die Chancen ihrer Initiative sind? Was können zu haben. Das hatte eine ungeheure Wirkung. Kurz die so bewirken? bevor die Demonstration auf dem Markt stattfand, gab es auch das Zeichen der Landesregierung an ›› Ralph Reichel: Ziemlich viele Fragen auf einmal. die Stadt, dass noch einmal Geld kommt, also dass die große Kürzungswelle, die geplant war, nicht ›› Kathrin Senger-Schäfer: Halten Sie sich bitte kurz. stattfinden muss, es ging um 2 Millionen, die bei uns ein riesen Thema waren. Die 2 Millionen gab ›› Ralph Reichel: Ich versuche es. Ganz kurz zu Herrn es aber nur, weil die CDU mitspielte und die CDU Reinhard, den ich auch kenne. Er ist nicht nur ein sagte, dafür kriegt dann aber auch noch die humorvoller Innenausschussvorsitzender, sondern Einrichtung XY in Greifswald weitere 2 Millionen. auch kulturpolitischer Sprecher. Es ist relativ Über diese 2 Millionen hat keiner gesprochen, was frustrierend in Mecklenburg, dass sowohl der total bestätigt, was Torsten Koplin sagt, es geht Kulturpolitische Sprecher der CDU als auch der der nicht darum, dass kein Geld da ist, sondern es geht SPD in den Job reingelobt wurden und es ist nicht darum, dass der politische Wille da sein muss, ihre ursprüngliche Herzensangelegenheit bzw. ihr dieses Geld für bestimmte Dinge auszugeben. Fachgebiet ist. Dasselbe gilt für den Kultusminister, der von Herzen Bildungsminister ist und Kultur Was ich dann im Weiteren erlebe, das noch ganz eben mitmacht. Und dies beschreibt den Stellen- kurz, eben zu diesem Gegeneinander. Es gibt wert der Kultur auch im Selbstverständnis der immer auch wieder Anfeindungen, statt das sich regierenden Parteien. Da bevorzuge ich die Platzie- alle Theaterstandorte oder Kulturstandorte solidari- rung der Kulturverantwortlichen in der jeweiligen sieren. Ich habe es inzwischen in Schwerin so weit, Staatskanzlei. dass die städtischen Kultureinrichtungen mitma- chen. Die Chefs dürfen es nicht. Angestellte dürfen Das Aktionsbündnis Kulturschutz ist entstanden es nicht. Es gab eine Anfrage eines Kommunalpoli- aus dem Ansatz, dass ein Intendant als städtischer tikers, der verlangte, dass aufgeschlüsselt wird, Angestellter viele Initiativen nicht machen kann. wie viele Stunden Arbeitszeit oder wie viele Dass ein Betriebsratsvorsitzender viele Dinge nicht indirekte Geldmittel für diesen kulturpolitischen machen kann, weil er bestimmten Dingen verpflich- Kampf für den Erhalt der städtischen Kultureinrich- tet ist. Beide sind Verhandlungspartner oder tungen eingesetzt wurden. Das schüchtert ein. Das -gegner im Tarifkonflikt. Wir haben dann sozusagen ist bösartig. Und es gibt auch eine Situation im aus der Mitte des Hauses heraus etwas gegründet. Lande, welche dann eskaliert. Da kommt unser Das funktioniert mit Aktionen so zwischen einer Klavierstimmer nach Stralsund und wird dort und viertausend beteiligten Personen und das ist zugeparkt und von Theatermitarbeitern beschimpft auch letztlich die aktuelle Struktur – solange wir als »Du Schweriner Wessi«, soziologisch extrem keinen Apparat, kein sonst was aufbauen. Manch- interessant, weil Schwerin ist nicht wirklich Wessi- mal sitze ich alleine im Landtag und höre mir an, Land, aber für den fernen Osten reichte dieses was da Lustiges verhandelt wird. Der Höhepunkt Feindbild dieser Reicheren, dieser Größeren, um war eine Demo, die wir auf dem Marktplatz ge- aus der Angst heraus, dieses zu projizieren und zu macht haben, wo dann auf einen Schlag mal verbinden. Das ist ein psychologischer Vorgang, vier- bis fünftausend Leute da waren und das der in Größenordnungen stattfindet. bewirkt natürlich was. In unserem Landeshaupt- dorf, wo die Menschenmengen doch überschaubar ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank. Jetzt habe ich sind, war es die größte Demonstration seit der an Klaus Schöpp eine Frage. Wir haben uns vorher Wende und damit sehr eindrucksvoll. Es waren nicht abgesprochen, das muss ich dazu sagen und auch Kollegen aus Hamburg und Berlin und ande- vieles, was Sie jetzt genannt haben, von diesem ren Orten gekommen. Das war ergreifend. 10-Punkteprogramm, hätte ich Sie jetzt auch noch 36 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung › ›

mal gefragt, aber ich glaube, das können wir uns Ich habe gerade selber biografisch überlegt, ich jetzt schenken. Wenn in der Diskussion noch war einige Jahre in Halle am Theater, die Kulturpoli- Fragen sind, können wir sie dann auch noch tik in dieser Stadt oblag der Oberbürgermeisterin, beantworten. Ich habe noch eine andere Frage an es gab allerdings keine Vision, kein Konzept für die Sie. Das Stichwort fiel vorhin auch schon – Bedin- Kultur in der Stadt, außer: »Wir müssen sparen!« gungsloses Grundeinkommen. Das ist eine Frage, Als Erstes wurden alle Theater und das Orchester die bei uns in der Partei oder auch in der Fraktion zusammengefasst zu einer GmbH, weil man fand, selbst sehr unterschiedlich diskutiert wird. Jetzt das ist eine gute Idee. Ein Ergebnis ist, dass es das gibt es aber Forderungen, gerade in der kulturellen Kinder- und Jugendtheater, an dem ich engagiert Szene, nach einem Bedingungslosen Grundeinkom- wurde, nicht mehr gibt. Die Spielstätte wurde men. Wie ist Ihre Meinung dazu? geschlossen, die Intendantin ist von ihrer Arbeit freigestellt und das Ensemble spielt noch solange, ›› Klaus Schöpp: Ich muss an der Stelle auf die wie die Verträge eben laufen, in anderen Räumen. Gesamthaltung der Koalition verweisen, dass wir Das finde ich ist ein bisschen kurz gedacht für eine Honoraruntergrenzen fordern und insofern sind Kulturpolitik, wenn man immer nur guckt, wir unsere Forderungen zunächst einmal wirklich haben weniger, wo schneiden wir jetzt etwas ab? pragmatischer Natur und an unseren Projekten Was machen wir denn jetzt zu? Die Oper oder das orientiert und nicht so sehr gesamtgesellschaftlich. Schauspiel oder welches Museum oder in Berlin: Das ist also eine Frage, die mehr an mich persön- Was können wir dem Bund überlassen? Das ist lich geht. Und jetzt muss ich in dieser Frage alles so ein bisschen kurz gedacht und operiert an einfach passen. Für mich als Projektmensch, ist den Symptomen herum. Ich denke, man muss und meine Arbeit mit den Projekten verbunden und ich sollte komplett neu und umdenken. bin es gewohnt, in Projekten zu denken und letzten Endes mich mit meiner Arbeit zu definieren. Ich ›› Kathrin Senger-Schäfer: Ich denke, wir haben jetzt kann diese Forderung nach dem Bedingungslosen ganz viel gehört hier oben und ich merke auch eine Grundeinkommen sehr gut nachvollziehen, aber sie gewisse Unruhe im Publikum. Ich glaube es wäre trifft sich gar nicht mit meiner Lebensrealität. jetzt an der Zeit, dass Sie, dass Ihr Fragen stellt. Ich sehe schon Wortmeldungen. ›› Kathrin Senger-Schäfer: Ja, herzlichen Dank. Das ist ja durchaus eine Antwort, über die man nach- ›› Volker Külow: Mein Name ist Volker Külow, aus denken kann, über die man diskutieren kann und Leipzig, Kulturpolitischer Sprecher der Linksfrak­ auch weiter arbeiten kann. Wie gesagt, die Fragen tion im Sächsischen Landtag. Es steht ja einer sind nicht abgesprochen gewesen und das macht Kulturkonferenz der LINKEN ganz gut zu Gesicht so eine Diskussion auch immer ein bisschen etwas radikaler und visionärer zu sein als andere lebendig. Frau Edelhoff, wollten Sie dazu noch Parteien und ich würde gerne einen Ansatz von Luc etwas sagen? Jochimsens Diskussionsbeitrag aufgreifen und den mal etwas polemisch zuspitzen oder provokativ zu ›› Isa Kathrin Edelhoff: Ja, gerne. Immer wenn man fragen: Wenn wir mehr Geld fordern, und da sind über Kulturförderung und Kulturfinanzierung wir uns glaube ich alle einig, brauchen wir da nicht spricht, wird es eben ganz schnell ein Verteilungs- bloß gewissermaßen einen Neuansatz für die kampf. Dann sagt das eine Theater, wir wollen aber Kulturpolitik, sondern auch für unser Kulturver- und das andere wir wollen aber auch und die ständnis. Wie könnte man quasi Gramsci 100 Jahre Politiker sagen, wir haben aber immer weniger später aktualisieren. Und jetzt werde ich wie Geld. Oder die Freie Szene und die so genannte gesagt relativ radikal. Es wurde ja vorhin gesagt, Hochkultur fangen an, gegeneinander zu kämpfen wir müssen Begriffe neu besetzen und gibt es und so weiter. Ich denke, da muss man rauskom- gewissermaßen neue Bücher, die eigentlich einen men. Man muss ganz anders und viel weiter ganz neuen Diskurs aufmachen und ich habe denken und in diesem Zusammenhang stand glaube ich eines dieser neuen Bücher, aus meiner unsere Veranstaltung, wo es um Sicherungs­ Sicht das spektakulärste, das ich in den letzten systeme ging. Also wenn man Kulturpolitik als Jahren gelesen habe, hier in der Hand. Das ist Gesellschaftspolitik begreift, könnte man ja weiter Harald Welzers »Selbstdenken: Eine Anleitung zum gehen und sagen, die Lebensrealität von Künstlern Widerstand«. Ich weiß nicht, wer es von Ihnen, von und Kulturschaffenden ist sozusagen ein Vorreiter, Euch schon gelesen hat. Luc, Du hast ja auf ein denn mittlerweile trifft es sehr viele Berufsgrup- paar Zahlen aufmerksam gemacht. 0,38 Prozent pen, dass sie von ihrem Gehalt nicht mehr leben des Bruttoinlandprodukts, die wir alle kennen aus können. Da könnte man ja anfangen, weiter dem Kulturwirtschaftsbericht 2012 und wenn wir nachzudenken, einfach komplett, total umdenken, jetzt sagen wir mal Forderungen stellen, was weiß auch in Richtung eines bedingungslosen Grund­ ich, es steht der Bundesrepublik gut zu Gesicht, einkommens. 2 Prozent des Haushalts, also 1 Prozent des 37 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Bruttoinlandsprodukts für die Kultur zu nehmen, Schöpp und Luc Jochimsen entnommen. Im dann müssen wir glaube ich auch deutlicher Hinblick auf die Beziehung zwischen freien Künst- machen, was wir für eine Kultur meinen oder was lern oder Freie Szene als Kollektiv und Instituti- für eine Gesellschaft. Du hast gesagt, Brot und onen erinnere ich mich an einen schönen Ver- Spiele. Ich glaube, wenn man den Ansatz von gleich, in dem man fragt, warum geht ein Herrscher Harald Welzer nimmt, dann greift das noch zu kurz. oder ein König zur Jagd. Er hat in seinem König- Er ist ja sehr, sehr radikal. Er führt Günther Anders reich oder in seinem Land so viel Fleisch und kann und Rudolf Barow an, er spricht vom totalitären genug essen. Die Antwort ist, dass er jagen geht Konsumismus. Wir bewegen uns glaube ich noch in mit dem Ziel, den freien Adam oder den freien dem Modell, Brot und Spiele, das greift zu kurz. Impuls in der Natur zu töten. Dieser freie Vogel stört ihn und er will ihn töten. Frau Jochimsen hat ›› Dr. Lukrezia Jochimsen: Brot und Rosen! über das neue System gesprochen, das sich Das brauchen wir. entwickelt, der amerikanische Stil. Meiner Erfah- rung nach Frau Jochimsen hat sich dieses System ›› Volker Külow: Ja, Brot und Rosen. Aber Brot und schon durchgesetzt in Berlin und in der Bundesre- Spiele ist das, was uns vorgesetzt wird, sagst Du, publik Deutschland, seit Jahren. Das heißt, es gibt aber er geht viel weiter, er sagt, wir sind Produkte eine große Ungerechtigkeit in der Förderung von in diesem totalitären Konsumismus. Wir alle im Kultur, in dem die Förderbeträge nicht gerecht Grunde genommen. Und in den kulturpolitischen nach Kreativität verteilt werden. Es ist eine große Thesen der Linken in Sachsen heißt es, die große Frage, wer bewertet wen und warum? Das ist eine Aufgabe der Kultur ist es, die Gesellschaft ständig Frage und ich denke, dass es ganz wichtig und zu konfrontieren mit anderen Möglichkeiten – so notwendig ist, dass diejenigen die zwischen Politik Robert Jung, vor ein paar Tagen 100 Jahre alt und Wirtschaft und Kultur verbinden sollen und in geworden. Gremien sitzen und in verschiedenen Stiftungen tätig sind und das Wort und die Entscheidung ›› Kathrin Senger-Schäfer: Jetzt zur Frage bitte. haben, sollten auch zwei Eigenschaften haben und diese Eigenschaften sind Gewissen und Talent. ›› Volker Külow: Die Frage: Müssen wir nicht wie gesagt hier einfach ein bisschen radikaler, visio- ›› Kathrin Senger-Schäfer: Ich danke Ihnen für die närer werden mit unserem Kulturverständnis und Anmerkungen. Wir sammeln das jetzt mal und wir mit unseren Kulturbegriffen? Man kann doch schauen, wer sich in der Diskussion noch gemeldet Kulturpolitik nur neu denken, wenn man ein hat. anderes Kulturverständnis hat oder eine andere Kultur. Welzer sagt, wir sind in der Kultur des ›› Jayne-Ann Igel: Ich bin Sprecherin der LAG Kultur immer und heute und jetzt sofort. in Sachsen und ich habe auch wirklich nur eine kurze Frage. Was mich ein bisschen verwundert in ›› Kathrin Senger-Schäfer: Also die Frage ist ange- diesem Diskurs ist, ich bin jetzt erst gekommen, kommen. Vielen Dank und jetzt kommt Luc dran. vor einer halben Stunde: Hier geht es doch mehr um Freie Szene versus Hochkultur und Förderung. ›› Dr. Lukrezia Jochimsen: Ja, aber er hat ja Recht. Was mir da ganz aus dem Blick gerät sind zum Ich bin da vollkommen auf Volkers Seite. Ich will Beispiel basiskulturelle Einrichtungen, sind sozio- nur mal erklären, Brot und Rosen, mit Rosen ist kulturelle Einrichtungen und ist auch das kulturelle kein Konsumartikel gemeint, sondern damit ist Lernen, was ja auch in solchen Einrichtungen Schönheit gemeint, damit ist genau das gemeint, stattfindet und nicht nur in der Schule. Wie sehen was sozusagen nicht käuflich über Konsum zu Sie den Stellenwert solcher Einrichtungen in der erwerben ist. Natürlich sollte gerade unser Ansatz Kulturförderung? Gibt es dazu Überlegungen? ein radikaler sein oder radikalerer sein und wir sollten selbstbewusster mit unseren Forderungen ›› Kathrin Senger-Schäfer: Wir haben uns gerade nach dem Lebensmittel Kultur umgehen und das verständigt, dass Herr Reichel etwas zu Ihrer Frage ist in der Tat etwas anderes als das, wohin unsere sagen wird, wenn Sie damit einverstanden sind. Gesellschaft treibt. ›› Ralph Reichel: Ich würde beschreiben wollen, dass ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank Luc. Jetzt Sie damit genau das Missverständnis fortsetzen. würde ich diejenigen bitten, die noch Fragen Zu der Konfrontation Hochkultur – Freie Szene, haben. setzen Sie noch die Abgrenzung Basiskultur. Genau das, was Luc Jochimsen beschrieb für das Schau- ›› Karim Al-Asadi: Ich habe keine Fragen aber zwei spielhaus Hamburg, es findet eine permanente Bemerkungen, die ich miteinander verbinden kann. Grenzüberschreitung statt und wir müssen uns als Ich habe das den Reden unserer Kollegen Klaus eine Kulturszene beschreiben, die miteinander 38 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung › ›

Kultur macht und wir müssen für den Stellenwert ›› Olaf Zimmermann: Ich bin Geschäftsführer des der Kultur in der Gesellschaft eintreten und wir Deutschen Kulturrates. Meine Frage ist eigentlich lassen uns immer wieder auseinander dividieren. mehr eine freche Forderung, wenn ich die stellen Ich habe vorhin erzählt, wir hatten die größte darf. Demonstration nach der Wende für die Kultur in einer Extremsituation. Ein Jahr später gab es von ›› Kathrin Senger-Schäfer: Ja, natürlich. einer Untergruppe den Ansatz diese Demonstration zu wiederholen. Drei Wochen vorher kam der ›› Olaf Zimmermann: Frau Jochimsen hat in ihrem Hilferuf, könnt Ihr uns mal doch helfen? Dann bin Eingangs-Statement ein, wie ich denke, wichtiges ich dort mit rein, habe das mit unserem Aktions- Thema angesprochen, nämlich das Handelsabkom- bündnis und den städtischen Kulturleuten natürlich men zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. unterstützt. Wir haben das noch so hingekriegt, Am 14. Juni wird aller Voraussicht nach im Handels- dass es funktioniert hat. Aber in der Gruppierung, ministerrat in Dublin das Verhandlungsmandat für die das startete, waren Leute aus kleinen Einrich- die Europäische Kommission festgezogen. Bis zu tungen, die in der Tradition der deutschen LINKEN, diesem Zeitpunkt haben die Mitgliedsstaaten noch also in einer totalen Zersplitterung schon wieder die Möglichkeit auf den Verhandlungskorridor diese starke Bewegung, die wir geschaffen hatten, Einfluss zu nehmen, wenn der erst einmal festge- in Lager zu spalten drohten, weil sich einzelne an legt ist, wird es ganz schwierig, weil die EU für die den Rand gedrängt fühlten. Und wenn wir uns Mitgliedstaaten verhandelt und diese Verhand- immer wieder untereinander zerlegen, machen wir lungen geheim geführt werden. Das heißt, sie es kaputt. Nein, wir sind alle Kultureinrichtungen, werden eben nicht mehr im Austausch mit den wir sind alle aktiv beteiligt an der Basisarbeit, am Parlamenten und besonders nicht mit den Zivilge- kulturellen Lernen und es geht darum, die 2 plus sellschaften geführt. Was dort geplant wird, kann x Prozent von welchem Haushalt auch immer zu so große Auswirkungen auf den Kulturbereich kriegen, es geht darum zu sagen, wir haben einen haben, dass vieles von dem, was auf dem Podium Wert, wir haben einen Anspruch auf Geld und richtigerweise diskutiert wurde, davon in den nicht, wie verteilen wir das untereinander. Das Schatten gestellt wird. An einem Beispiel wird dies muss die Richtung sein. meines Erachtens deutlich, dem sogenannten Herkunftslandprinzip. Wenn das umgesetzt würde, ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank. könnten amerikanische Kulturunternehmen in Ich habe gerade in meinen Unterlagen nachge­ Deutschland nach amerikanischem Recht handeln. blättert. Herr Schöpp hatte etwas zu dem Aspekt Im schlimmsten Fall würde das amerikanische der Basiskreativität gesagt. Können Sie ganz kurz Copyright System und nicht mehr unser europä- ergänzen. isches Urheberrecht gelten. Das hätte so funda- mentale Auswirkungen, wovon der gesamte ›› Klaus Schöpp: Ja, das ist durchaus auch ein Teil Kulturbereich betroffen wäre. Wir haben derzeit die unserer Forderungen. Wenn wir fordern, dass in Hoffnung, dass die französische Regierung das Berlin die kommunalen Einrichtungen gestärkt Schlimmste verhindern wird, da Präsident Hollande werden, dann sind natürlich auch diese soziokultu- eine Ausnahme für den Kultur- und Medienbereich rellen Einrichtungen mit gemeint, wie alle Einrich- energisch einfordert. Ob sich Frankreich durchset- tungen, die für uns Kooperationspartner für unsere zen wird und eine solche Ausnahme im Verhand- Anliegen der Künste sind. Was wir ausdrücklich lungsmandat verankert wird, wissen wir aber nicht. ausgeklammert haben, aber nicht aus Gründen, weil wir es nicht mitdenken, sondern weil es uns Meine Forderung geht aber auch an die Länder, als Koalition der Freien Szene überfordern würde, besonders auch an Sie Herr Koplin als ein Vertreter sind alle Bereiche der pädagogischen Arbeit und der Länder. Ländervertreter betonen sehr oft, dass der Kunstvermittlung. Das ist noch einmal ein ganz Kultur Länderaufgabe ist, meine Frage ist, was die anderer weiterer Bereich, über den ich überhaupt Länder bislang in dieser Sache gemacht haben und nicht geredet habe. Aber nicht aus Desinteresse was sie gegebenenfalls noch planen. Eine besonde- und schon gar nicht, weil wir den unwichtig finden, re Verantwortung haben natürlich die Bundespoliti- sondern weil es einfach jeden Maßstab sprengen ker, ich freue mich, dass sich der Kulturausschuss würde, sich für jeden notwendigen Bereich in die damit beschäftigt hat. Ich finde aber, dass sich bei Bresche zu schlagen. Aber das ist natürlich mitge- einem solch zentralen Thema das gesamte Parla- dacht, der Erhalt und die Unterstützung dieser ment damit befassen müsste. Das Europäische Strukturen. Parlament schafft es, sich dazu zu äußern. Das deutsche Parlament hat sich dazu noch nicht ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank. geäußert. Das wäre meine herzliche Bitte, ob Sie Sind noch Fragen aus dem Publikum? Bitte. da noch ein bisschen Druck machen könnten.

39 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank. Spontaner ›› Isa Kathrin Edelhoff: Da bin ich selbst am Nach- Applaus ist durchaus erlaubt. Ich bitte meine denken. Natürlich muss ich jetzt sagen nein, parlamentarischen Kollegen darum, wenn Sie natürlich nicht, wer ist schon gerne schwach, wer möchten, sich dazu zu äußern. ist schon gerne hilfsbedürftig, niemand. Aber natürlich ist es so, ich habe eben auch über meine ›› Dr. Lukrezia Jochimsen: Es ist wohl nicht so eigene Berufsbiografie nachgedacht als das so zur einfach zu machen. Wir sind im Endspurt einer Sprache kam und muss sagen: Das ist ein anstren- Legislatur. Wir erleben, dass die Koalitionsfrakti- gendes Leben. Punkt. Da war ein Dreijahresvertrag onen alles, was ihnen nicht in den Kram passt, von an einem Theater sehr komfortabel. Jetzt bin ich der Tagesordnung runter nehmen. Wie man das für ein Festival für ein halbes Jahr angestellt. Auch noch in das Parlament bringen könnte, ist die komfortabel. Zwischendurch ist es weniger kom­ Frage, das ginge ja im Grunde genommen nur über fortabel. einen Antrag, der bei den anderen Fraktionen auf Zustimmung stößt, eine Art Blitzantrag. Ich muss ›› Ralph Reichel: Zweifellos. Ich bin in einem festen ehrlich gestehen, ich habe das in den acht Jahren, Vertrag in einem Theater. Ich bin auf zwei Ebenen in denen ich hier war, nicht erlebt. Ich war in der tätig und ich bin, wenn ich als Regisseur arbeite Tat eigentlich der Auffassung, da geht am 14. in extrem gefährdet, das zu ertragen, was man an Dublin ein Prozess, ein Diskussionsprozess los auf täglichem politischem Kampf untereinander und der europäischen Ebene, aber wenn wir dann nach Außen machen muss. Es sind Lebenswelten, schon wieder vor vollendeten Tatsachen stehen. die nicht zusammen passen. Ich will mir das gerne noch einmal überlegen, ob wir in der Lage sind, etwas zu tun, es ginge ja nur, ›› Klaus Schöpp: Ich würde diese Frage auch nicht wenn wir in der Lage sind, einen Antrag in das unbedingt ganz ablehnen. Zum Einen, mir persön- Parlament rein zu bekommen und die anderen lich geht es gut. Vielleicht kann ich an dem Punkt Fraktionen auch mit darauf dringen. Die Chancen mal darauf hinweisen, dass mein Großvater noch dafür sehe ich in der augenblicklichen Situation als ein einfacher Arbeiter war. Dass mein Vater Bildung sehr gering an. bekommen hat, hing mehr mit einem glücklichen Zufall zusammen. Und dass ich in die Lage gekom- ›› Kathrin Senger-Schäfer: Ganz kurz von der Landes- men bin, dann auch Musiker zu werden, das ist ein ebene. unglaublicher Lebensumstand. Wenn ich sozusa- gen von der Generation meines Großvaters her ›› Torsten Koplin: Ja, zunächst lediglich ein Danke- denke, der noch Bergmann war, dann ist das ein schön für diese Anregung. Der Wert, einer solchen unglaublicher Fortschritt. Deshalb finde ich auch Zusammenkunft, wie wir heute hier sitzen, besteht die grundlegende Forderung, die hier im Raum ja darin, solche Anregungen und Hinweise zu steht, absolut unverzichtbar und sie muss immer bekommen. Ich nehme den Hinweis gerne so auf mitgedacht werden: Kultur für alle! Und da brau- und muss darüber nachdenken, wie wir aktiv chen wir gar nicht großartig über neue Bedin- werden können. Aber dass da Handlungsbedarf ist, gungen von Kultur nachzudenken. Kultur für alle ist das ist ganz offensichtlich. das Kernthema und der Kernmoment jeder Überle- gung. Das beinhaltet mehrere Folgerungen. Das ›› Kathrin Senger-Schäfer: Ja, vielen Dank. Ich habe beinhaltet natürlich den Zugang für alle zu den gerade ein Zeichen bekommen, dass ich jetzt Institutionen. Das heißt die Institutionen müssen wieder ans Podium zurückgeben muss. Noch eine sich, wie Frau Jochimsen schon so schön dargelegt Frage und dann ist Schluss, ok? hat, öffnen. Und sie machen das ja auch. Kultur für alle bedeutet auch die Ermöglichung der Freien ›› Alexander Pinto: Meine Frage schließt unmittelbar Szene für ihre Produktivität, für ihre Produktion. an die Ausführungen von Herrn Külow zum neuen Auch das ist ein Aspekt. Man darf nicht nur diese Kulturverständnis an und richtet sich an die drei im Forderung in eine Richtung denken, die muss in engeren Sinne Kulturschaffenden Frau Edelhoff, zwei Richtungen gedacht werden. Kultur für alle Herrn Schöpp und Herrn Reichel. Frau Jochimsen bedeutet auch Ermöglichung von Kultur, also hat mit Blick auf die Institutionen und die Freien Ermöglichung für die Kulturtreibenden ihre Kultur gesagt, dass die Kreativen und Kulturschaffenden zu machen. Nur dann haben Sie eine Kultur für die neuen Schwachen und Ausgebeuteten sind. alle. Würden Sie sich selbst als schwach und ausge­ beutet bezeichnen? Die Frage, die gestellt wurde, wie sieht die neue Kultur aus, da plädiere ich doch für eine gewisse ›› Kathrin Senger-Schäfer: Fangen Sie gleich an, Gelassenheit, weil in dem Moment, wo wir es der Zeit wegen. erreichen in unserem Land eine Kultur für alle durchzusetzen, in der die Leute, die diese Kultur 40 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung › ›

machen wollen, in den Stand gesetzt werden, ihre ›› Torsten Koplin: Mir widerstrebt dieser Gedanke, Kultur auch zu verwirklichen, in dem Moment wird dass man meint über eine Umschichtung, die dann die neue Kultur auch stattfinden. Dann werden angeordnet wird im Rahmen dessen, was man auch die neuen Konzepte kommen. Ich sehe so viel zubilligt, nun Kulturpolitik oder Kultur in der Entwicklung, ich bin da gar nicht Gesellschaft gestalten will. Vorhin ist gesagt so pessimistisch, dass ich sage unsere kulturelle worden, wo der radikal andere Ansatz ist. Ich finde, Situation entwickelt sich nicht. Das ist gar nicht das ist genau die Gegenposition. Vorhin ist gesagt unser Problem. Unser Problem ist die grassierende worden, es geht darum, Kultur zu ermöglichen und materielle Ungleichheit. Das ist das Problem. Das das zweite ist, dazu zu ermuntern. Wir kommen muss verändert werden, da muss gedacht werden. jetzt nicht dazu darüber noch zu sprechen. Ralph Es geht wirklich nicht, dass man Arbeitnehmern, Reichel und ich waren Mitinitiatoren einer Volksini- die so viel verdienen, wie ein Lehrer und eine tiative in Mecklenburg-Vorpommern zum Erhalt der äußerst anstrengende Ausbildung hinter sich Theater und Orchester. 51.000 Unterschriften haben, ihre Tarifverträge anzweifelt. Das kann haben wir in sieben Wochen gesammelt. So viele einfach nicht unser Weg sein. Es muss der Weg Unterschriften hat es in keiner Volksinitiative sein, dass für weitere Ebenen Mittel gefunden gegeben, weil viele Menschen sich angesprochen werden in unseren Haushalten. fühlten und gemerkt haben, hier sind wir gefragt, es geht um unser Leben und die Bedingung zu ›› Kathrin Senger-Schäfer: Vielen Dank für die schaffen, eben Kultur zu ermöglichen und zu Beantwortung der Frage und vielen Dank auch an ermuntern, sein Leben in die eigene Hand zu Sie, an Euch, das Publikum. Ich habe jetzt zum nehmen, selbstbestimmt aufzutreten und sich zu Abschluss noch eine Frage an alle auf dem Podium. engagieren, dass verstehe ich als einen Kontra- Ich bitte, auch wenn die Frage ein wenig kompli- punkt zu dieser These. ziert ist, um eine ganz kurze Beantwortung und dann müssen wir hier unser Podium beenden. Ich ›› Dr. Lukrezia Jochimsen: Also ich kann das ganz gehe noch einmal zum Anfang zurück. Ich schlage kurz machen. Ich finde es geht genau nur anders noch einmal die Brücke zu dem Buch »Der Kultur­ herum. Nicht weniger und anders verteilen, son- infarkt«. Von allem zu viel und überall das Gleiche. dern mehr. Ich sehe auch überhaupt nicht ein, Das ist ja mehrfach jetzt hier auch schon zitiert warum es ein Mehr nicht geben könnte oder sollte, worden. Die Autoren empfehlen ja eine Halbierung wenn ich mir angucke, wofür wir in unserer Gesell- der kulturellen Infrastruktur. Luc hat vorhin noch schaft Geld haben. Wir tun doch bitte jetzt mal einmal darauf hingewiesen. Hier wird ja die Frage nicht so, als seien wir ein armes und verarmendes gestellt, was tatsächlich gefährdet wäre, wenn die Land, sondern wofür haben wir denn Geld, wofür Hälfte der Theater und Museen verschwände, geben wir denn Geld aus. Ich finde, da müssen die, einige Archive zusammen gelegt werden würden, die für die Kultur sich einsetzen, immer den Finger Konzertbühnen zum Beispiel privatisiert werden in die Wunde legen und müssen sagen, wieso so würden. Wenn die Infrastruktur halbiert würde, wenig für die Kultur und wieso so viel für anderes. wären Mittel frei, die sich auf die verbleibenden Von daher ist diese Idee natürlich extrem kultur- Einrichtungen, ihre angemessene Ausstattung, auf feindlich, sie ist aber auch menschenfeindlich. neue Formen und Medien kultureller Produktion, Sie ist menschen- und kinderfeindlich und sie ist auf Laienkultur, die Kunstausbildung und eine feindlich gegenüber der Gerechtigkeit in einer tatsächlich interkulturell ausgerichtete kulturelle Gesellschaft und gegenüber von Chancengleichheit Bildung verteilen könnten. Ich frage jetzt mal ganz in einer Gesellschaft. Sie ist insgesamt würde ich ketzerisch und bitte um eine kurze Antwort, wieso sagen gesellschaftsfeindlich, diese These und wir ist dieser Vorschlag eigentlich so hemmungslos sollten wirklich versuchen, unsere Kräfte zu kulturfeindlich? Ich würde mit Herrn Reichel sammeln und einen anderen Weg zu gehen. anfangen und dann gehen wir gerade der Reihe nach durch. ›› Isa Kathrin Edelhoff: Daran anknüpfend: Ich bin absolut der gleichen Meinung. Was mich ›› Ralph Reichel: Wenn wir ich sage mal 100 Maler daran unheimlich stört, ist der dem Gedanken zu ausbilden an einer Akademie und jemand bei der Grunde liegende betriebswirtschaftlich begründete Aufnahmeprüfung sagen kann, das wird van Gogh Effizienzgedanke. Ich finde, der hat in Kunst und und die anderen werden nichts, wenn wir diesen Kultur nur sehr bedingt etwas zu suchen. Also, Professor haben, der das kann, dann können wir Kunst ist Kunst. Und nicht Kunst »um zu«, also Mittel kürzen. Solange wir das nicht haben, solange Kunst um Geld zu verdienen, Kunst um ein Stadt­ wir außerdem sagen, wir wollen nicht nur den Star, image aufzupolieren, Kunst um Kinder sozialfähig sondern wir wollen Kultur in der Breite, dann zu machen und so weiter. Kunst ist Kunst. Punkt. funktioniert das nicht. Aus. Und muss insofern öffentlich gefördert werden. 41 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

›› Klaus Schöpp: Ich schließe mich meinen Vorred- mitdiskutiert haben, bei den Teilnehmerinnen auf nern selbstverständlich an. Vielleicht nur ganz kurz. dem Podium. Zusammenfassend möchte ich ganz Ich habe Kollegen, die haben nicht nur eine Orches­ kurz noch sagen, wir hatten so eine engagierte terschließung erleben müssen, sondern zwei. Die Diskussion, die mich wirklich gefreut hat. Brot und haben zwei Stellen verloren, hintereinander weg, in Spiele oder Brot und Rosen, Überlebenskampf verschiedenen Orchestern, Kulturorchester, große Kultur, two different dramas, also diese zwei Einrichtungen, nicht einfach nur 20 Leute-Bands. Aspekte passen nicht zusammen. Kunst ist keine Größte Kulturorchester wurden in Deutschland Ware. Kultur kostet – aber ohne Kultur haben wir gestrichen. In Berlin wurden in den vergangenen einen sehr viel höheren Verlust in der Gesellschaft 20 Jahren dutzende von Kulturinstitutionen gestri- und deshalb müssen wir unbedingt sagen, Kultur chen. Das dürfen wir doch nicht vergessen. Dieser für alle. Und, was ich immer noch sage, Kultur ist Kahlschlag hat doch schon längst angefangen und ein Menschenrecht und damit gebe ich jetzt wieder wir müssen uns dagegen wehren. ab an Annette Mühlberg und bedanke mich ganz herzlich für dieses tolle Podium und das tolle ›› Kathrin Senger-Schäfer: Ich bedanke mich jetzt Publikum. noch einmal bei allen, die so aktiv zugehört und

42 Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? › ›

Olaf Zimmermann Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell?

Meine sehr verehrten Damen und Herren. Herz- Fusionen von Kultureinrichtungen. Wenn in den lichen Dank für die Einladung, den Kulturkonvent neuen Bundesländern über die Veränderung der Sachsen-Anhalt als ein Modell der Kulturentwick- kulturellen Infrastruktur gesprochen wird, ist daran lungsplanung vorstellen zu können. Der heutige zu erinnern, dass vor 20 Jahren viel Kultur abge- Tag ist insofern bedeutsam, als dass heute die baut worden ist. Ich will aber gleich sagen, dass Landesregierung Sachsen-Anhalt ihre Finanzpla- nicht nur abgebaut wurde, sondern auch Einrich- nung – und damit auch ihre geplanten Einspa- tungen renoviert, neue etabliert und neue inhalt- rungen – für die nächsten Jahre bekanntgeben liche Konzepte erarbeitet wurden. Das heißt, die wird. Darauf komme ich am Schluss meines kurzen 1990er Jahre waren nicht nur eine Zeit der Ver- Vortrages noch einmal zu sprechen. Ich wurde luste, sondern sie waren auch eine Zeit der Neu- gebeten, neben der Vorstellung des Kulturkonvents aufstellung. Sachsen-Anhalts mich auch mit der Frage zu befassen, inwiefern er ein Modell für andere Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundes- Länder zur Kulturentwicklungsplanung ist. tages »Kultur in Deutschland«, der ich angehörte, hat in ihrem Schlussbericht 2007 den Ländern und Erlauben Sie mir, dass ich zunächst allgemein auf Kommunen empfohlen, wieder Kulturentwicklungs- die Kulturentwicklungsplanung in Deutschland pläne zu erarbeiten. Diese Empfehlung haben eingehe und auf dieser Folie den Kulturkonvent sowohl Länder als auch Kommunen aufgenommen: Sachsen-Anhalt vorstelle. Vorweg gleich einmal Baden-Württemberg hat 2010 seine Planung gesagt: Kulturplanung in Deutschland ist nichts Kunstkonzeption »Kultur 2020« vorgelegt, Bayern Neues, sondern hat eine lange Tradition. Im Westen hat 2012 seine Planung »Staatliche Förderung von Deutschlands gab es vom Anfang der 1970er Jahre Kunst und Kultur in Bayern« präsentiert, Branden- bis in die 1980er Jahre hinein geradezu eine Pla- burg hat im selben Jahr die »Kulturpolitische nungseuphorie. Es wurden in vielen Kommunen und Strategie« vorgestellt. Bereits 2010 hat Niedersach- teilweise auch in Ländern Kulturentwicklungspläne sen einen Kulturbericht veröffentlicht und Thürin- auf den Weg gebracht. Diese Pläne waren von der gen hat 2012 ein Kulturkonzept vorgelegt. Und, Idee des Wachstums getragen. Wachstum, Zugang natürlich Sachsen-Anhalt, 2013, die Empfehlungen zu Kultur und kulturelle Teilhabe, prägnant auf die des Kulturkonvents. Formel »Kultur für alle« gebracht, waren das Motto jener Zeit. Und tatsächlich wurde in dieser Zeit viel Es gibt allerdings einen grundlegenden Unterschied entwickelt. Vorher gab es keine soziokulturellen zwischen den Kulturentwicklungsplanungen in Zentren, keine Museums- oder Theaterpädagogik. Westdeutschland in den 1970er und 1980er Jahren Und, Kultur wurde gerade im Westen Deutschlands und den aktuellen Kulturentwicklungsprozessen. in starkem Maße als Distinktionsmerkmal begriffen. Ging es seinerzeit vor allem um den Ausbau einer Der Ausbau der kulturellen Infrastruktur im Rahmen kulturellen Infrastruktur, so stehen heute vor dem der Kulturentwicklungsplanung war ein wesentlicher Hintergrund der demografischen Veränderungen Schritt zur Demokratisierung des Zugangs zu Kultur. viele Länder vor der Herausforderung wie Ein- Anfang der 1990er Jahre standen besonders die wohnerzahl, Kulturinteresse und kulturelle Infra- Kommunen und Länder in Ostdeutschland vor ganz struktur überein gebracht werden können. anderen Aufgaben. Es galt die Finanzierung der ostdeutschen kulturellen Infrastruktur auf neue Ich möchte dies am Beispiel von Sachsen-Anhalt Füße zu stellen. Das Kulturraumgesetz in Sachsen, verdeutlichen. Viele von Ihnen wissen, dass auf das nachher Herr Vogt eingehen wird, ist eines Sachsen-Anhalt in den letzten 20 Jahren knapp der zentralen Modelle, das ganz besondere Auf- 20 Prozent seiner Bevölkerung verloren hat. Ein merksamkeit bekommen hat und nach wie vor Verlust von einem Fünftel der Bevölkerung ist erzeugt. Dieses Modell hat auch in Sachsen-Anhalt spürbar, das kann kein Land, keine Kommune so seine Spuren hinterlassen. einfach übergehen. In den Prognosen wird davon ausgegangen, dass Sachsen-Anhalt im Jahre 2025 In den sogenannten neuen Bundesländern wurde, deutlich unter 2 Millionen Einwohner haben wird. trotz erheblicher Bundesförderung kulturelle Dieser Bevölkerungsverlust entsteht nicht mehr in Infrastruktur abgebaut. Es gab Schließungen und erster Linie durch Wegzug, sondern weil jüngere 43 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Menschen und ganz besonders junge Frauen Kürzung, da kann mich Frau Jochimsen ausdrück- fehlen. Sie haben aus ökonomischen Gründen das lich anschließen, die Auswirkungen werden fatal Land verlassen und leben nun in anderen Bundes- sein. In Sachsen-Anhalt, aber selbstverständlich ländern. Das Potenzial derer, die Kinder bekommen nicht nur dort. können, ist also kleiner geworden und damit sinken die Chancen durch die Geburtenrate dem demo- In dieser Situation hatte der Kulturminister von grafischen Wandel eine Wende zu geben. Diese für Sachsen-Anhalt, Stephan Dorgerloh die Idee, einen Sachsen-Anhalt beschriebene Situation trifft aber Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt einzurichten. nicht nur auf dieses Bundesland zu, sondern ist in Ausgangspunkt waren seine positiven Erfahrungen anderen Bundesländern oder anderen Regionen aus dem Bildungskonvent Sachsen-Anhalt, der für genauso anzutreffen. Neben dem Bevölkerungsver- die Bildungsplanung des Landes wegweisend war. lust müssen sich die Länder auch mit einer verän- Er hat die Fraktionen im Landtag von Sachsen-An- derten Bevölkerungszusammensetzung auseinan- halt von seiner Idee des Kulturkonvents überzeugt. dersetzen. Der Anteil der älteren Bevölkerung Die Landtagsfraktionen haben den Auftrag des wächst und entsprechend sinkt der der jüngeren. Kulturkonvents formuliert und einstimmig be- schlossen. Das heißt, alle Parteien haben sich Das ist das eine Problem, mit dem sich heute jede gemeinsam auf das Konzept eines Kulturkonvents Kulturentwicklungsplanung auseinandersetzen eingelassen und der Aufgabenstellung zugestimmt. muss. Sie haben dem Kulturkonvent 12 Monate Zeit gegeben und noch einmal um zwei Monate ver­ Das zweite große Problem ist das liebe Geld. Die längert, so hatte der Kulturkonvent insgesamt Länder stehen aufgrund der im Jahr 2006 in das 14 Monate Zeit, sich intensiv mit dem Ist-Zustand Grundgesetz eingefügten Schuldenbremse vor der kulturellen Infrastruktur Sachsen-Anhalts zu großen Herausforderungen. Die grundgesetzlich befassen, die aktuellen und künftigen Anforde- verankerte Schuldenbremse ist verbindlich. Und rungen zu analysieren und Empfehlungen zu sie trifft die Länder stärker als den Bund. Aller- erarbeiten. Das besondere dieses Kulturkonvents dings muss zur Ehrenrettung des Bundes deutlich ist seine Zusammensetzung. Er war nämlich kein gesagt werden, dass die Länder an der Vorberei- kleines Expertengremium, er wurde auch nicht von tung der Schuldenbremse mitgewirkt und ihr mit der Kulturverwaltung erstellt, sondern der Kultur- voller Begeisterung zugestimmt haben. Die Schul- konvent ist in seiner Zusammensetzung ein breites denbremse verlangt ausgeglichene Haushalte bis Abbild der Gesellschaft von Sachsen-Anhalt. zum Jahr 2020 und begrenzt danach die Möglich- keiten der Schuldenaufnahme. Für die meisten Mitgewirkt haben die Kulturverbände des Landes, Länder stellt die Einhaltung der Schuldenbremse also – vom Landesmusikrat über den Landesver- eine immense Herausforderung dar. Die ostdeut- band des Deutschen Bühnenvereins, den Landes- schen Länder müssen zusätzliche Abschmelzungen verband von ver.di, den Landesverband des in ihren Haushalten auffangen, da sie den Status Museumsbunds sowie des Bibliotheksverbands bis der Ziel-1-Region bei der EU-Förderung verlieren hin zur Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und und der Solidarpakt II im Jahr 2019 ausläuft. Jugendbildung, um nur einige Beispiele zu nennen. Alle einigermaßen wichtigen bedeutsamen Verbän- Das sind die Rahmenbedingungen für eine Kultur- de in Sachsen-Anhalt, die sich mit Kultur beschäf- entwicklungsplanung in diesem Jahrzehnt: eine tigen, haben im Konvent mitgewirkt. Daneben veränderte Bevölkerungszusammensetzung und: waren alle Landtagsfraktionen durch einen Abge- alle Ausgaben der öffentlichen Hände kommen auf ordneten vertreten. Darüber hinaus gehörten dem den Prüfstand. In einer solchen Situation ist es Kulturkonvent die kommunalen Spitzenverbände, kaum zu vermeiden, dass auch bei Kulturplanungen die Kirchen, Vertreter der Wissenschaft, der die finanziellen Schere im Kopf ist. Landesseniorenrat, der Landesschülerrat, der Landestourismusverband, die Industrie und Trotzdem möchte ich an dieser Stelle Frau Jochim- Handelskammer, der Arbeitgeber- und Wirtschafts- sen in ihrer vorherigen Rede gerade auch mit Blick verband von Sachsen-Anhalt und andere mehr an. auf den Kulturetat von Sachsen-Anhalt zustimmen. Sie alle hatten volles Rede- und Stimmrecht in Der Kulturetat des Landes Sachsen-Anhalt beträgt dem Konvent. Das Kultusministerium, das Innen- mickrige 0,85 Prozent des Landeshaushalts. Egal, ministerium und das Finanzministerium waren wie man sich dreht und wendet, egal, welche tolle durch jeweils einen Ministeriumsvertreter vertre- Idee man auch immer entwickeln wird, selbst ten, der volles Rede-, allerdings kein Stimmrecht wenn man alle Kultureinrichtungen in Sachsen-An- hat. Mit mir, dem Moderator, gehörten dem halt schließt, wird das den Landeshaushalt nicht Kulturkonvent 39 Personen an, davon waren 35 sanieren, sondern wird ihn nur am Rande berüh- stimmberechtigt. ren. Aber die Auswirkungen einer massiven 44 Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? › ›

Dieser Kulturkonvent war, und das möchte ich ganz illustrieren, in welche Richtung die Vorschläge des besonders herausstreichen, für seine Aufgabe breit Konvents gehen. demokratisch legitimiert. Es war eben keine Selbst- bespiegelung des Kulturbereichs im engeren Sinne. Der erste Vorschlag ist die Etablierung von inter- Aber es war auch kein kulturfreies Gremium. Es kommunalen Zusammenschlüssen und Zweckver- war vielmehr die Idee, die unterschiedlichen bänden in Sachsen-Anhalt. Hier ist das Kulturraum- gesellschaftlichen Gruppen zusammenzubringen. gesetz von Sachsen, das in einer Anhörung eigens Und am Anfang war die erste Aufgabe, das gegen- beleuchtet wurde, ein Vorbild. Zugleich stand seitige Kennenlernen und sich untereinander eigentlich schon sehr schnell fest, dass eine Eins verständigen. zu Eins-Übertragung des Sächsischen Kulturraum- gesetzes nicht möglich ist. Allein weil Sachsen-An- Das hört sich auf den ersten Blick vielleicht ein halt mit Halle, Magdeburg und Dessau drei größere bisschen seltsam an, warum sich die Akteure Städte hat. Es gilt einen Ausgleich zwischen den untereinander verständigen müssen, da Sach- Zentren und der Peripherie zu schaffen und es sen-Anhalt aufgrund seiner Fläche nicht so groß muss auch in den ländlicher geprägten Regionen ist, dass es keine Begegnung geben müsste. wie beispielsweise der Altmark oder dem Mans- Dennoch habe ich einmal mehr die Erfahrung felder Land eine Grundversorgung geben. Dies gesammelt, dass die verschiedenen kulturellen umso mehr als in Sachsen-Anhalt auch in den Bereiche sehr getrennt voneinander arbeiten. Der ländlichen Regionen bemerkenswerte Kultur Theaterbereich hat wenig mit dem der bildenden anzutreffen ist. Das liegt einfach an der histo- Kunst, der Literatur oder anderen zu tun und vice rischen Bedeutung Mitteldeutschlands. Im Kon- versa: Im Kulturkonvent waren alle gezwungen, vents-Bericht haben wir uns intensiv mit dem eine Menge miteinander zu tun zu haben. Verhältnis Stadt-Land auseinandergesetzt und vor diesem Hintergrund empfohlen, Kulturregionen zu Der erste Arbeitsschritt im Kulturkonvent war also bilden. Die Kultureinrichtungen sollen in diesen das gegenseitige Kennenlernen und die Scheu zu Kulturregionen gemeinsam und solidarisch gestal- überwinden, über Probleme zu sprechen. Pro- tet, finanziert und geführt werden. Das ist eine bleme, die durch äußere Rahmenbedingungen sehr große, aber wie ich meine notwendige Aufga- entstehen, aber auch hausgemachte Probleme. be, wenn man sich den bestehenden Strukturen Hierfür das Vertrauen untereinander zu schaffen, stellt. war eine der ersten Aufgaben und ich bin stolz, dass es uns gemeinsam gelungen ist, diese Öff- Eine weitere Empfehlung ist die Einführung einer nung untereinander zu erreichen. Kulturförderabgabe, wie sie in vielen Regionen diskutiert und teilweise erfolgreich erhoben wird, Die zweite Aufgabe war sich mit den Realitäten Für den Kulturkonvent stand fest, dass eine auseinanderzusetzen und sie zu akzeptieren. Wenn Kulturförderabgabe der Kommunen nur dann Sinn man liest, 19 Prozent Verlust an Menschen inner- macht, wenn das Land vorher die Bedingung halb von 20 Jahren und aller Voraussicht nach noch schafft, dass dieses Geld auch wirklich der Kultur einmal 20 Prozent Verlust bis zum Jahr 2025, dann zugute kommt. Das ist besonders bei den über- liegt es auf der Hand, Veränderungen anzumahnen. schuldeten Kommunen in Sachsen-Anhalt kein Doch wenn man selbst in dem Land lebt, ist die einfacher Weg. Wenn eine Kommune keinen Situation viel schwieriger. Ein Verlust von 19 Pro- ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen kann, und zent an Bevölkerung in 20 Jahren passiert nicht das trifft auf die meisten Städte und Gemeinden von heute auf morgen. Es ist ein Prozess, der teils in Sachsen-Anhalt zu, kann sie zusätzliche Einnah- schnell, teils aber auch schleichend verläuft. Am men nicht zweckgebunden verwenden, sondern Anfang wurde von großen Teilen des Konvents muss diese Mittel zur Schuldentilgung nutzen. diese Veränderung einfach schlichtweg als nicht Das Land muss also einen Weg finden, damit die existent abgetan. Es wurde unterstrichen, dass es zusätzlichen Mittel aus der Kulturförderabgabe sich nur um Statistiken und Prognosen handele auch wirklich der Kultur zufließen können. Hierfür und bei den Prognosen unklar sei, ob alles wirklich gibt es rechtlich sichere Wege, das Land muss nur so eintreten wird. Nach meiner Einschätzung wollen. bestand am Ende des Konvents Einigkeit, dass es derzeit keine einigermaßen realistische Möglichkeit Ein weiterer Vorschlag ist ein Kooperations- und gibt, diese demografische Veränderung zu ändern. Investitionsfonds. Dieser soll insbesondere dazu Es gilt vielmehr sich darauf einzustellen und dienen, Kooperationen zwischen Kultureinrich- Strategien des Umgangs zu entwickeln. tungen und Kulturakteuren, also der Freien Szene, zu ermöglichen und zu befördern. Das ist darum Von den 163 Empfehlungen des Kulturkonvents erforderlich, weil in Sachsen-Anhalt, und nicht nur möchte ich im Folgenden fünf herausgreifen, die hier, die Schere zwischen den Mitteln zur Erhaltung 45 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

von Kultureinrichtungen und der Freien Szene Euro auf 100 Millionen Euro im Jahr. Dabei haben auseinandergeht. Dieses war eines der sicherlich wir entsprechend unserem Auftrag nur den Kultur­ am meisten kontrovers diskutierten Themen des etat des Landes gemeint. Ein Kulturetat von Konvents. Wenn erhebliche Mittel in den Erhalt und 100 Millionen Euro ist immer noch knapp unter Unterhalt von Kultureinrichtungen fließen, bedeutet 1 Prozent des Landeshaushalts. Damit wird bereits dies bei gedeckelten Kulturetats, dass immer deutlich, dass eine Erhöhung mit Augenmaß weniger Geld für die Freie Szene, die Soziokultur gefordert wird. Für eine vernünftige Weiterentwick- und freischaffende Künstler zur Verfügung steht. lung der kulturellen Infrastruktur ist diese Erhöhung Ich bin der festen Überzeugung, dass Kultureinrich- erforderlich. Zusätzlich soll diese Erhöhung mit tungen, die immer größere Anteile der Kulturförde- einem Dynamisierungsfaktor in Höhe des Inflations- rung erhalten, die Verpflichtung zur Solidarität mit ausgleiches ausgestattet werden, damit nicht der Freien Szene haben, damit diese Menschen, innerhalb kürzester Zeit erneut eine Notlage die Akteure und die Gruppen diese Infrastruktur entsteht. auch mit nutzen können. Ich bin mir allerdings Ein wichtiger Grund für diese Erhöhung ist das bewusst, dass dies ein ganz schwieriger Weg ist Erfordernis, den Haustarifverträgen in den Theatern und bei vielen Kultureinrichtungen dafür erst noch ein Ende zu bereiten. In meinen Augen ist es ein geworben werden muss. Ich denke, dass ein unhaltbarer Zustand, dass fast alle Theater in Kooperations- und Investitionsfonds Anreize für die Sachsen-Anhalt ihre Beschäftigten, also ihre Zusammenarbeit bieten könnte und dieses letztlich künstlerischen Beschäftigten, nicht mehr nach Tarif für beide Seiten – für die Freie Szene und die bezahlen, sondern sogenannte Haustarifverträge Kultureinrichtungen bereichernd sein könnte. gemacht haben. Bis zu 40 Prozent weniger verdie- nen die künstlerischen Mitarbeiter als ihre Kollegen, Kommen wir zum dritten Vorschlag, der den Bund die nach regulärem Tarif bezahlt werden. Eigentlich stärker in die Verantwortung nimmt, Sachsen-­ waren die Haustarifverträge dazu gedacht, eine Anhalt ist das Bundesland in Deutschland, dass kurzfristige Notlage in den Kulturhaushalten zu die meisten UNESCO-Welterbestätten hat. Diese überbrücken und nach kurzer Zeit wieder zum vier UNESCO-Welterbestätten belegen, welche normalen Tarifvertrag zurückzukehren. Doch aus kulturelle Bedeutung das Land Sachsen-Anhalt der kurzfristigen Überbrückung einer Notsituation nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen ist eine Dauereinrichtung geworden, die letztendlich Welt hat. Zugleich muss gesehen werden, dass das dazu führt, dass die Kulturschaffenden selbst ihren Land und auch die Kommunen mit dem Unterhalt eigenen Kulturetat finanzieren. Im Kulturkonvent und dem teilweise erforderlichen Ausbau dieser herrschte Einigkeit, dass dieser Zustand beendet Welterbestätten überfordert ist. Wir haben dem werden muss. Es wurde daher gefordert, den Land empfohlen, den Bund aufzufordern, bei den Theaterbereich mit einer einmaligen Zahlung in die UNESCO-­Welterbestätten in der Zukunft 50 Pro- Lage zu versetzen, wieder zu den normalen Tarifen zent der Finanzierung zu übernehmen. Bei den zurückzukehren. Aber, um nun auch nicht die UNESCO-Welterbestätten handelt es sich eindeu- Bäume in den Himmel wachsen zu lassen, wurde tig um keine lokalen Kultureinrichtungen. Sie diese einmalige Aufstockung des Etats zur Abschaf- haben vielmehr per definitionem einen weltweiten fung der Haustarifverträge an ein Einfrieren der Status. Wenn mindestens 50 Prozent der Kosten Theaterförderung des Landes bis zum Jahre 2025 vom Bund übernommen würden, würde dies zu gekoppelt. Dieses Einfrieren des Landesetats für einer sehr deutlichen Entlastung des Haushaltes Theater verlangt nach Strukturveränderungen in des Landes und auch der Kommunen führen. Die der Theaterlandschaft in Sachsen-Anhalt. Diese freiwerdenden Mittel sollten dann der anderen Veränderungen bedürfen ausreichender Zeit und kulturellen Infrastruktur zu Gute kommen. Ähn- einer gemeinsamen Diskussion mit den Verantwort- liches gilt für das Reformationsjubiläum in den lichen vor Ort. Denn, um beim Beispiel Theater zu nächsten Jahren. Dieses Jubiläum ist eine riesige bleiben, Träger der Theater sind die Kommunen, Chance für Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalt ist das Land hilft bei der Finanzierung. Es handelt sich das Kernland der Reformation und wird 2017 nicht aber mitnichten um Einrichtungen in Landesträger- nur deutschlandweit, sondern darüber hinaus schaft. In den Diskussionen zwischen Land, Kom- große Beachtung finden. mune, Kultureinrichtungen und den Bürgern vor Ort muss auch offen diskutiert werden, welche kultu- Als letzten der fünf Punkte, die ich herausgreifen rellen Schwerpunkte gesetzt werden sollen. Dieses möchte, möchte ich den Kulturetat nennen. Ich will muss vor dem Hintergrund der eingangs genannten nicht verhehlen, dass ich ein bisschen betrübt war, demografischen Entwicklung und der Verantwor- dass von den 163 Vorschlägen, die der Kulturkon- tung für den gesamten Kulturbereich geschehen. vent gemacht hat, eigentlich nur ein Vorschlag Kunst und Kultur sind zum Glück vielfältig, es gibt medial transportiert wurde, nämlich die Erhöhung nicht nur die verschiedenen Künste, sondern auch des Kulturetats von heute ungefähr 85 Millionen innerhalb der Künste die unterschiedlichen Aus- 46 Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? › ›

drucksformen. Verantwortliche Kulturpolitik heißt Modell für andere Bundesländer ist, die ebenfalls den gesamten Kulturbereich im Blick zu halten und die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die nicht nur auf einzelne Sparten zu schauen. Und ich Kulturakteure, die Politiker und die Verwaltung an bin fest davon überzeugt, dass die Kulturverant- einen Tisch holen, um über die zukünftige Kultur- wortlichen und die Künstler in der Pflicht sind, an entwicklung in unserem Land nachzudenken. In Lösungen mitzuarbeiten. diesem Sinne hoffe ich auf viele Nachahmer.

Im Kulturkonvent Sachsen-Anhalt haben wir Diskussion: versucht, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und darum glaube ich, kann er ein Modell für andere ›› Isa Kathrin Edelhoff: Herr Zimmermann, herzlichen Länder sein. Er wurde vom Landtag eingesetzt, Dank! Ich wurde gebeten, die folgende Diskussion demokratisch legitimiert und mit einem kulturpoli- zu moderieren. Ich habe es mal mitgebracht – das tischen Auftrag versehen. Eine solche Bandbreite ist wirklich ein eindrucksvolles Werk, die Empfeh- an mitwirkenden Akteuren gab es bei anderen lungen des Kulturkonvents. Vielleicht kurz zu mir. Kulturentwicklungsplanungen nicht. Er ist meines Ich habe in Sachsen-Anhalt in Halle an der Saale Erachtens auch deshalb ein Modell, weil sowohl die gelebt von 2008 bis Ende 2012 und bin zurückge- Kulturverbände als auch andere gesellschaftlichen kehrt nach Berlin, weil ich keine Möglichkeit Gruppen sowie die Politik bei der Analyse und der gesehen habe, dass ich dort noch einmal Arbeit Formulierung von Empfehlungen wirklich aktiv finde im Kulturbereich. Das ist jetzt nur so zum einbezogen waren. Er hat dadurch zur Vertrauens- Hintergrund, warum ich hier stehe. bildung untereinander geführt. Am diesjährigen 21. Mai, dem Internationalen Tag der kulturellen Herr Zimmermann, die erste Frage von mir, die ich Vielfalt, dem Aktionstag des Deutschen Kulturrates habe angesichts der Spar- und Kürzungsdebatten »Kultur gut stärken«, da gab es in Sachsen-Anhalt in in Sachsen-Anhalt, die haben Sie gerade selbst Halle, in Magdeburg, in Dessau und in einigen beantwortet. Gerade zur Stunde tagt die Regie- anderen Städten Demonstrationen gegen Kulturab- rung, ist in Klausurtagung, berät den Haushalt bau. Hier haben sich Künstler, Kulturvermittler und 2014. Meine erste Frage wäre gewesen, ist der kulturinteressierte Bürger zusammengetan und sind Bericht bei Erscheinen nicht schon Makulatur? gemeinsam für ihre kulturelle Infrastruktur auf die Aber Sie sehen es als Positionspapier mit dem jetzt Straße gegangen. Das ist ein sehr schönes Beispiel gearbeitet wird. Ist das richtig? von Solidarität im Kulturbereich, das hoffentlich kein Strohfeuer, sondern von Dauer sein wird. ›› Olaf Zimmermann: Ich glaube, dass dieser Bericht die Chance für die Kultur in Sachsen-Anhalt ist und Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung zum nicht Makulatur. Wir wussten von Anfang an, dass Erfolg oder Misserfolg des Kulturkonvents. Immer es ein schwieriger Weg wird. Bereits während der musste ich lesen oder hören, dass ja, wenn es zu Erarbeitung dieses Berichtes fanden Einsparungen Kürzungen im Landeskulturhaushalt kommt, der statt. Man darf nicht vergessen, bereits in diesem Kulturkonvent gescheitert ist. Ich bin fest davon Jahr sind schon 5,8 Millionen Euro im Kulturhaus- überzeugt, dass er mitnichten gescheitert ist. Es halt eingespart worden und zwar vor allem im war von vornherein klar. Den Kulturkonvent gab es Museumsbereich. Selbstverständlich hat der nur, weil die Kürzungen am Horizont standen, weil Kulturkonvent sich mit den Einsparungen befasst. bekannt war, dass der Finanzminister massiv im Das ging soweit, dass wir diskutiert haben, ob wir Kulturbereich einsparen wollte. Der Kulturkonvent angesichts solcher massiven Einsparungen im hat ein ganzes Kaleidoskop von denkbaren Mög- Kulturetat des Landes uns gleichzeitig quasi noch lichkeiten für Sachsen-Anhalt vorgelegt. Aber: in Klausur zurückziehen und über eine Kulturent- von selbst wird gar nichts passieren. Wenn jetzt wicklungsplanung nachdenken. Dann stellt sich die Akteure um jede dieser einzelnen Maßnahmen aber auch die Frage der Alternative. Wenn der wirklich kämpfen und gemeinsam versuchen, die Kulturkonvent gleich resigniert hätte, dann hätten Konvents-Empfehlungen umzusetzen, dann wird die die Kulturakteure zum einen jeweils allein gestan- Politik in Sachsen-Anhalt daran auch nicht vorbei- den und zum anderen hätte kein Gegenvorschlag gehen können. Das unterscheidet den Kulturkon- zu den Einsparungsvorschlägen des Finanzminis­ vent von den anderen von mir eingangs erwähnten ters vorgelegen. Und diese Einsparungsvorschläge Kulturentwicklungsprozessen in den Ländern, jene sind in allen Ressorts von einer gewissen Gewalt­ haben nicht eine so breite demokratische Legitima- tätigkeit geprägt. Ich bin davon überzeugt, dass tion. es sehr wichtig und nützlich ist, dass mit dem Schlussbericht des Kulturkonvents Empfehlungen In diesem Sinne hoffe ich, dass der Kulturkonvent für den Kulturbereich vorliegen. Diese Empfeh- in Sachsen-Anhalt mittel- bis langfristig erfolgreich lungen beschränken sich nicht auf Forderungen ist. Und ich erhoffe mir, dass der Kulturkonvent ein nach mehr Geld, es werden zugleich Reformvor- 47 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

schläge gemacht, wie sich der Kulturbereich ›› Isa Kathrin Edelhoff: Ich habe jetzt ganz viele strukturell und substantiell verändern muss. Und Wortmeldungen. In der Reihenfolge, wie ich sie selbst von der Landesregierung angekündigte gesehen habe. Jetzt würde ich einfach mal das Einsparungen sind nicht unabänderlich. Sie sind Mikrofon weitergeben. ein Vorschlag und müssen in den parlamenta- rischen Beratungen durchgesetzt werden. Die ›› Matthias Zarbock: Danke. Ich bin ein bisschen Entscheidung über den Landeshaushalt trifft das provoziert worden, ein bisschen angestachelt Parlament. Jetzt müssen die Fraktionen im Landtag worden durch eine Bemerkung von Ihnen und zwar von Sachsen-Anhalt entscheiden, ob sie diesen will ich jetzt gar nicht die Qualität der Ergebnisse oder einen anderen Weg gehen wollen. Wir haben des Kulturkonvents in Frage stellen oder bewerten, für den Kulturbereich eine Alternative vorgelegt. aber genau in der Kommunalpolitik erlebe ich es Und ich hoffe, dass sich möglichst viele im Land immer wieder, dass runde Tische und öffentliche und im Landtag für die Umsetzung der Alternative Beteiligungen in dem Moment kommen, wo Abbau einsetzen werden. stattfinden soll: Soziales, Kultur, Jugend. Und genau das beschreiben Sie und Sie sagen, das ist ›› Isa Kathrin Edelhoff: Und jetzt, wo es sozusagen zur Nachahmung empfohlen und sie nennen es ans Eingemachte geht, stehen Sie denn nach wie demokratisch legitimiert. Das muss ich hinter­ vor als Moderator zur Verfügung? Jetzt, wo Sie alle fragen. an einen Tisch gebracht haben, wo alle miteinander reden, wo Solidarität vielleicht nicht im Arbeitsver- ›› Olaf Zimmermann: Ich habe nicht gesagt, dass der trag des Intendanten steht, aber vielleicht die Idee Abbau demokratisch legitimiert ist. Ebenso wenig in den Köpfen ist. Jetzt sind Sie ja weg, also jetzt habe ich den Abbau zur Nachahmung empfohlen. beginnt das Hauen und Stechen? Dennoch ist das Problem des Abbaus letztendlich in der Mehrzahl der Bundesländer und in vielen ›› Olaf Zimmermann: Also meine Moderationstätig- Kommunen nicht wegzudiskutieren. Das ist keit ist eindeutig Ende Februar dieses Jahres zu einfach eine Realität im Kulturbereich. Eine Ende gegangen. Der Kulturkonvent hat mit der Ausnahme ist der Bundeskulturetat. Er wächst Vorlage des Schlussberichts seine Arbeit erledigt derzeit. Ich finde es dennoch besser, wenn sich und damit habe auch ich meine Arbeit als Modera- die Kulturakteure an der Debatte beteiligen als tor zu Ende geführt. Selbstverständlich spreche ich sich in einen Schmollwinkel zurückzuziehen. Denn auch als Geschäftsführer des Deutschen Kultur- nur so können sie mitreden über die Frage was rates mit den in Sachsen-Anhalt Verantwortlichen. passiert und wie es passieren soll. Möglicherweise Ich denke aber genauso, dass die Hauptarbeit nicht gilt es ein Stoppschild aufzustellen und deutlich zu bei mir, sondern bei den Kulturakteuren in Sach- machen: dieser Abbau ist aber absolut kontrapro- sen-Anhalt liegt. Sie müssen zusammen arbeiten duktiv. Sich an solchen Debatten zu beteiligen, und gemeinsam für die Kultur streiten. Ich finde es heißt letztlich Verantwortung zu übernehmen. geradezu abstrus, mit welcher Inbrunst man noch Diese Verantwortung mit zu übernehmen ist nicht alte Schlachten zwischen Halle und Magdeburg einfach, weil Veränderungen vorgeschlagen und zwischen Magdeburg und Dessau schlagen werden müssen. Ich möchte dies am Beispiel der kann, wenn man gerade also letztendlich zu Grabe Theaterfinanzierung zeigen. Der Kulturkonvent getragen werden soll. Da muss man einfach sagen: Sachsen-Anhalt hat zwar vorgeschlagen, den Leute, das könnt Ihr Euch jetzt nicht mehr leisten. Theateretat einmalig zu erhöhen, damit sollte er Das könnt Ihr Euch in Zeiten leisten, wo es allen aber zugleich bis zum Jahr 2025 eingefroren gut geht, da kann man auch mal diese Auseinan- werden. Das ist letztlich, wenn man die Inflations- dersetzungen machen, aber ich finde man kann sie rate bedenkt, ein Abbau. Aber es ist ein Abbau mit nicht machen, wenn man eigentlich Solidarität Planungssicherheit. Die Institutionen haben in den braucht. Ich finde, die Hochschulen in Sachsen-An- Beratungen im Kulturkonvent unterstrichen, dass halt haben es gerade vorgemacht. Bei denen sollte für sie die Planungsunsicherheit das Schlimmste ja zuerst massiv gespart werden. Sie haben sich ist. Diese Planungsunsicherheit verhindert Ver­ nicht auseinander dividieren lassen nach dem änderungen und Reformen. Eines der Ziele im Motto, dass die Hochschule, die möglicherweise Konvent war zu verdeutlichen, dass für Struktur- besser dabei wegkommen würde als die andere, veränderungen längerfristige Planungshorizonte sagt, ich schau ich, dass ich mein Schäfchen ins aufgemacht werden müssen. Trockene bringe, sondern die Hochschulen haben deutlich gemacht, dass sie zusammenstehen und ›› Alexander Pinto: Ich habe drei Fragen. Die erste sich gegenseitig unterstützen. Das hat die Politik ist: Sie sagten, dass die Kultur vom Land in die in riesige Schwierigkeiten gebracht. Ich habe die Stadt wandert und auf dem Land nur noch eine Hoffnung, dass die Arbeit im Kulturkonvent dazu Grundversorgung stattfinden wird. Könnten Sie das geführt hat, dass man ähnlich solidarisch ist. konkretisieren, was mit Grundversorgung gemeint 48 Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? › ›

ist? Das ist meine erste Frage. Das zweite ist: Sie Oberzentren unvermeidlich sein. Und das leitet zur sagten, es ist als Empfehlung rausgegeben worden, nächsten Frage über. dass regionale Zusammenschlüsse, sogenannte Kulturregionen gegründet werden sollen. Meine Diese vorgeschlagenen Kulturräume sind pragma- Frage ist, auf welchen Grundlagen werden diese tische Räume. Sie können nicht in erster Linie Kulturregionen gegründet? Ist es die räumliche aufgrund von geschichtlichen Bedingungen gebil- Nachbarschaft, sind es Verwaltungsstrukturvorga- det werden, sondern es müssen letztendlich ben, sind es historische Komponenten? Auf wel- pragmatische Strukturen geschaffen werden, damit cher Grundlage sollen diese Kulturregionen gegrün- die kulturelle Infrastruktur finanziert werden kann. det werden? Und die dritte Frage, vielleicht geht Das heißt letztlich, dass Gemeinden, die einem diese aber auch an die Parlamentarier hier, die Kulturraum angehören, nicht das gesamte Spek- mich interessieren würde: Ich hatte Sie so verstan- trum an kultureller Infrastruktur bereithalten, den, der Landtag hat den Kulturkonvent eingesetzt. sondern der Kulturraum als ganzer gesehen wird. Die Ergebnisse aber hat er sich nicht als verbind- liche Vorgabe für die weitere Arbeit gleich mit ins ›› Isa Kathrin Edelhoff: Ja, das wäre jetzt auch meine Stammbuch geschrieben. Insofern verstehe ich das Frage gewesen. Wie ist dieser Vorschlag in den Papier, zumindest das was ich hier gehört habe, Kommunen aufgenommen worden? was Sie ausgeführt haben, durchaus als eine wirklich tolle Arbeit, aber nur einseitig scharf. ›› Olaf Zimmermann: Wir haben einen Beratungs­ Insofern haben Sie eine Empfehlung, wie man auftrag des Landtags gehabt und nicht der Kom- solche Sachen auch zweischneidig machen munen. Wir haben aber auch Anhörungen mit könnte? Oberbürgermeistern der Städte gemacht. Die Kommunen ächzen in Sachsen-Anhalt noch stärker ›› Olaf Zimmermann: Fangen wir hinten an: Der als das Land unter den Schulden, die sie haben. Landtag hat den Kulturkonvent beauftragt, ihn Und um es am Beispiel der Theater zu verdeutli- zu beraten. Die Entscheidungen muss aber der chen, in Sachsen-Anhalt gibt es kein Staatstheater, Landtag treffen, denn er hat schließlich die Haus- sondern alle Theater sind in kommunaler Träger- haltshoheit. Ebenso ist bereits im Einsetzungsbe- schaft. Das heißt also, die Kommunen müssen schluss festgelegt gewesen, dass der Schlussbe- Wege finden, wie sie dauerhaft die Theater, aber richt des Kulturkonvents als Beratungsgrundlage letztlich auch die anderen Kultureinrichtungen für ein Kulturkonzept der Landesregierung dienen sowie die Freie Szene finanzieren bzw. unterstüt- soll. Neben dem Landtag ist also auch das Kultus- zen können. Letztlich wird es zur Stimulierung der ministerium gefordert, sich mit dem Bericht Zusammenarbeit erforderlich sein, Anreize zu auseinanderzusetzen und die entsprechenden schaffen, also sie mit dem berühmten Zuckerbrot Schlüsse für ein Kulturkonzept des Landes zu zu locken. Ich denke, Herr Vogt wird über Anreize ziehen. beim Kulturraummodell Sachsen berichten.

Die zweite Frage, die sie gestellt haben, bezieht ›› Sabine Schöneburg: Ich komme von ver.di Ber- sich auf das Verhältnis von Land und Stadt. Da lin-Brandenburg, früher IG Medien und bin für die muss ich einfach sagen, schauen Sie sich die Situa- Theaterlandschaft in ganz Deutschland zuständig tion in Sachsen-Anhalt an. Es wird in den nächsten gewesen. Ich begleite seit langem Theaterstruk- Jahren Gemeinden geben, in denen man sich turen in der Bundesrepublik, ihre Veränderungen Gedanken macht, wie die Wasserversorgung, die und ihre Tarifverträge. Meine Frage an Sie: Erst Stromversorgung und speziell die Abwasserversor- einmal finde ich wunderbar, dass so etwas stattge- gung aufrecht erhalten bleiben kann, wenn die funden hat, dass Sie die Verbände alle an einem Bevölkerungszahl schrumpft. Denn speziell beim Tisch hatten, dass Sie Empfehlungen ausgesproch­ Abwasser wird eine bestimmte Anzahl an Men- en haben. Was mich jetzt besonders bewegt sind schen benötigt, um den Abtransport zu gewährleis­ natürlich ihre Theatervorschläge und da hätte ich ten. Und ich kann ihnen versichern, das ist kein schon eine Vielzahl von Fragezeichen hinter dem, kleines Problem. In einer solchen Situation stellt was Sie vorschlagen. Zum Beispiel sind die Haus­ sich auch die Frage nach der kulturellen Infrastruk- tarifverträge, der von Dessau ist am allerschlimm- tur. Wer hiervor die Augen verschließt, betreibt sten, ja soweit herunter gefahren, dass, Sie haben Augenwischerei. Der Kulturkonvent hat aufgrund völlig Recht, nicht nur die Schauspieler, auch die der Struktur des Landes unterstrichen, dass nicht Beleuchter, auch die Techniker davon nicht mehr die gesamte Infrastruktur aus den Regionen leben können, in der Regel einen Zweitjob haben abgezogen werden darf. Ein solches Vorgehen müssen. Und trotzdem werden große Events würde den Abwärtstrend mancher Regionen noch gemacht und trotzdem finden große Kulturereig- verstärken. Es wird aber eine stärkere Konzentrati- nisse statt. Ein Haus wie das in Dessau kann man on bestimmter kultureller Einrichtungen in den nicht wegrationalisieren. Dieses Haus ist da und es 49 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

ist gut bespielbar, auch für 1.200 Menschen, aber ›› Olaf Zimmermann: Die Tarifparteien haben im natürlich kommen nicht 1.200, auch wenn Gregor Theaterbereich eine ganz besondere Verantwor- Seifert seine Tanzcompagnie da auftreten lässt. Wir tung. Und ich befürchte, dass sie sich aus ehren- haben seit vielen Jahren diese Haustarifverträge, werten Motiven in den letzten Jahren, fast schon die Verzichtstarifverträge. Es ist ein riesiger Batzen Jahrzehnten haben erpressen lassen. Ganz simpel Geld, der reinkommen muss, damit es wieder gesagt, lautet die Erpressung: wenn ein Theater plus/minus null ist. Und Sie sagen dann, wir oder eine Sparte erhalten bleiben soll, muss es machen den Etat bis 2025, dazwischen kommen einen Haustarifvertrag geben. Das ist wie bei einem natürlich ständige Tarifverhandlungen, die wir nicht Banküberfall mit Geiselnahme. Der Täter geht in mitbestimmen, jedenfalls nicht auf Länderebene, eine Bank, nimmt eine Geisel, hält ihr eine Pistole sondern ganz woanders. Sie wissen das alles. Das an den Kopf halten und sagt, für eine Million gebe heißt, man muss da jetzt dran bleiben und mit wem ich die Geisel frei. Und in zwei Jahren beginnt das bleiben Sie bitte dran, dass in der nächsten Zeit die gleiche Spiel. So ist es im Theaterbereich passiert. Strukturveränderung so ist, dass sie für die Region Diese Erpressung konnte auch gelingen, weil es passt, dass sie für die Beschäftigten passt und verschiedene Gewerkschaften gibt, die unterein­ dass sie weiterhin eine Vielfalt an kulturellen ander konkurrieren und weil der Deutsche Bühnen- Theatern, in jeglicher Form auch immer, im Land verein als Arbeitgeberverband eine gewisse Zwit- Sachsen-Anhalt anbietet? Wir waren immer stolz terstellung hat, als Arbeitgeberverband, als in der DDR auf diese Vielfalt. Wir haben sie mit Zusammenschluss der Träger und als eine Art Hängen und Würgen erhalten. Die Theaterland- Berufsverband der Intendanten. Trotz alledem schaft war in der DDR gut und hatte auch ein müssen die Tarifpartner dieses Problem lösen, wer großes internationales Ansehen, da sind wir sicher sollte es sonst lösen. Und dazu gehört, anzuerken- gleicher Meinung. nen, dass es bei einem 20-prozentigen Bevölke- rungsverlust und einem drohenden weiteren Und die zweite Frage. Das eine sind die Tarif­ 20-prozentigen Bevölkerungsverlust Veränderungen verhandlungen und dann bis 2025, wie soll das geben muss. Meines Erachtens kann man sich gehen? Es muss mit Strukturveränderungen angesichts massiver demografischer Verände- einhergehen, die nicht nur Empfehlungscharakter rungen nicht einfach hinstellen und sagen, bei mir haben, sondern die gemeinsam von Gewerkschaf- darf es keine Veränderungen geben, alles muss so ten, Arbeitgeberverbänden, Politikern durchgesetzt bleiben wie es ist. Und ich denke, dass es besser werden und von der Bevölkerung getragen. Ich bin ist, wenn es die Betroffenen selbst machen als keine Verfechterin, die sagt, das muss alles bleiben wenn allein die Politik handelt. Das war die Idee wie es ist. Es muss Veränderungen geben, die des Konvents, Ideen und Vorschläge angesichts tragfähig sind. einer schwierigen Situation aus dem Kulturbereich selbst einholen. Und drittens, ihre vorherige Sequenz mit der Freien Szene, wofür ich ja sehr bin, bei mir sind ›› Isa Kathrin Edelhoff: Ich bekomme jetzt von allen die Mitglieder natürlich sowohl aus der Freien Seiten Zeichen, dass die Zeit eigentlich um ist. Es Szene als auch aus den festen Häusern. In der ist hier noch eine Wortmeldung. Freien Szene haben wir keine Tarifverhandlungen. Da wachsen aber die Wünsche und Forderungen ›› Birgit Klaubert: Ich komme aus Thüringen. Ich nach Tarifen in Anführungsstrichen und Gagen und hätte manche Anmerkungen zu machen, habe ja Honoraren in die Höhe. Die sind auch immer aber dann noch die Möglichkeit. Ich habe eine unglaublich. Das heißt Sie sagen, gut Ihr Theater Frage an Sie an dieser Stelle. Diese Kulturregionen, kriegt Etat Ypsilon, der stagniert bis 2025 und Kulturräume, die unsolidarischen Intendanten und dann fördert ihr die Freie Szene noch. Die Inten- die zurückgehende Bevölkerung, mal in eine Frage danz sagt, wieso, steht nicht im Vertrag. Welche gebracht. Hat der Konvent, die Rolle der Kulturin- Freie Szene, ist auch so eine Frage? Kultur und stitutionen im Sozialraum und die Verflechtung zu Kunst sind frei, beziehungsweise Kunst und Kultur Bildungseinrichtungen, zu Mehrgenerationenpro- nicht, welche Freie Szene wird wie gefördert? jekten, zu Stadtteilprojekten, zu dörflichen Kultur­ Überlasse ich das dem oder dem oder dem? Also zentren und ähnlichem untersucht? Ist dies unter- wie fahre ich jetzt weiter fort, unabhängig von dem sucht worden und wenn ja, gab es da Er­gebnisse? Geld, was kommt, meine ich jetzt die mehr kultur- politischen, mehr ästhetischen Fragen, die Fragen ›› Olaf Zimmermann: Also erst einmal, der Konvent mit Publikum zusammen, damit die Vielfalt der hat keine Untersuchungen gemacht. Er war keine Kultur, die wir am 21. Mai ja favorisiert haben, wissenschaftliche Struktur, sondern hatte einen ver.di, Sie, wir alle gemeinsam, wie können wir kulturpolitischen Auftrag. Dabei haben die Mit- realisieren, dass das, und da interessiert mich glieder versucht, so viele Aspekte wie möglich besonders der Theaterbereich, präsent bleibt? mitzudenken. Es wird mit Sicherheit aber manches 50 Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? › ›

fehlen. Der Schlussbericht des Kulturkonvents ›› Isa Kathrin Edelhoff: Vielleicht ganz zum Schluss, besteht in jedem Kapitel aus drei Teilen. Als erstes unabhängig von allen Sachzwängen, Niederlagen gibt es eine Bestandsaufnahme. Der zweite Teil ist und Erfolgen. Haben Sie eine Phantasie oder die Problembeschreibung. Im dritten Teil sind dann Utopie, nachdem Sie jetzt Sachsen-Anhalt so die Empfehlungen zu finden. Diese Empfehlungen intensiv kennengelernt haben? sind immer mit einer Erläuterung versehen. Ich glaube wir konnten zeigen, um wie viel ärmer ›› Olaf Zimmermann: Ich komme sonst aus dem Sachsen-Anhalt wäre, wenn auf diese Kultur »Forderbereich«. Mein Job als Geschäftsführer des verzichtet werden würde. Und ich denke, dass Deutschen Kulturrates ist zu fordern. Das heißt, ich wir gute Argumente liefern, um die Verantwort- muss immer und überall den Finger in die Wunde lichen zu überzeugen, damit sie bereit sind, mit legen. Für mich war der Kulturkonvent eine span- uns diesen Weg zu gehen. nende Erfahrung der Erdung nicht nur zu fordern, sondern konkrete, auch teils schmerzliche Vor- ›› Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt: Herr Zimmer- schläge zu machen. Ich würde mich freuen, wenn mann, es ist immer wieder schön, Ihrer Kompetenz andere Länder den Kulturkonvent Sachsen-Anhalt zu lauschen. Eine Frage aber haben Sie offen zum Vorbild nehmen würden, um einen Prozess der gelassen. Der Kulturkonvent ist ja eigentlich eine Selbstvergewisserung zu durchlaufen, welche Adhoc-Kommission gewesen. Was ist mit Vorschlag kulturelle Infrastruktur im Land vorhanden ist, eine 164, ihn zur ständigen Einrichtung zu machen? Analyse der Probleme vorzunehmen und auf dieser Grundlage Reformvorschläge zu erarbeiten. Das ›› Olaf Zimmermann: Ich muss zugeben, dass es bei wäre für mich eine Utopie, wenn viele Länder das allen positiven Entwicklungen auch einen Niederla- machen würden. gepunkt gibt. Auf diese »Wunde«, diese persönliche Niederlage, sprechen Sie mich an. Ich hatte zum ›› Dr. Annette Mühlberg: Vielen Dank Herr Zimmer- Abschluss des Kulturkonvents vorgeschlagen, den mann. Vielen Dank Isa. Jetzt geht es weiter mit Kulturkonvent zu einem Landeskulturrat weiterzu- Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt. Er ist Professor entwickeln, der zur dauerhaften Einrichtung werden für Kulturgeschichte und Kulturpolitik an der könnte. Mir wurde zu diesem Vorschlag sehr Hochschule Zittau/Görlitz und geschäftsführender deutlich gesagt, dass man in Sachsen-Anhalt keine Direktor des Instituts für kulturelle Infrastruktur Räte mehr haben wolle. Das wirklich Kuriose dabei Sachsen. Warum wir ihn heute eingeladen haben, war, es war der Vertreter des Landesmusikrates, hat nicht zuletzt den Hintergrund, dass er maßgeb- der genau dieses gesagt hat. Es wurde also der lich an der Erarbeitung des Sächsischen Kultur- Beschluss gefasst, keinen Landeskulturrat vorzu- raumgesetzes beteiligt war. Es wird auch gesagt, schlagen. Das heißt, im Schlussbericht des Kultur- er sei der Erfinder des Sächsischen Kulturraum­ konvents wird keine strukturierte Fortsetzung gesetzes. Ihn haben wir heute hier. Ich freue mich eingefordert. Damit wurde eine Chance vertan, sehr darauf. Er wird zunächst einen Vortrag halten aber vielleicht schafft man irgendwann in einer und dann wird ihn Jochen Mattern, wissenschaft- neuen Runde noch einmal einen neuen Anlauf. licher Referent in der Landtagsfraktion in Sachsen, befragen. Sie haben das Wort.

51 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art Ihre Förderung am Beispiel des Sächsischen Kulturraumgesetzes

Liebe Frau Dr. Mühlberg, auch im Namen meiner Gemeinde Arosa für teures Geld in den Nieder­ Studenten danke ich ganz herzlich für die Einla- landen plakatieren ließ: »Das Original ist besser«. dung. Es ist schön, dass wir die Görlitzer Vorlesung Kultur­politik hier in Berlin unmittelbar fortsetzen Stellen wir uns nun vor, wir hätten eine Grafik, können in der Diskussion mit so wichtigen Ak- die alle Wünsche und Hoffnungen der hier Anwe- teuren. senden erfüllte. Herr Abgeordneter Külow, bitte tragen Sie auf der X-Achse den Zeitverlauf ein und Meine Ausgangsfrage für heute heißt: auf der Y-Achse die steigenden Kulturausgaben des »Sind Mittelstädte kulturelle Zentren eigener Art?«. Sächsischen Landtags; Jahr für Jahr ansteigend. Auf dem Bild (Abb. 1) sehen Sie Kinder auf der Wenn Sie nun meinen, die Abb. 2 sei schon wieder Vorbühne des Theaters Görlitz. Kinder gehen ins ein Photoshop-Motiv aus der Vorstellungswelt, Theater und entwickeln dort Vorstellungen. Ist dann irren Sie. Sie zeigt die tatsächliche Entwick- nicht unsere Welt wesentlich Vorstellungswelt, lung der öffentlichen Ausgaben für Kultur Deutsch- die auch und gerade durch Theater geprägt werden lands in den dreißig Jahren von 1975 bis 2004. kann? Wir bewegen uns in Vorstellungsräumen. Diese haben sich von 1,8 Mrd. Euro auf 8 Mrd. Euro entwickelt, also mehr als vervierfacht. Dies Ein Beispiel: In den Niederlanden grübelte der Radfahrer Zonneveld im Sommer 2011 in seinem Blog darüber nach, warum eigentlich seine Lands- 1 Vgl. Westdeutsche Zeitung newsline vom 01.09.2011 Thomas leute im Alpinsport nicht erfolgreich sein können. Burmeister: Holland träumt vom 2000er im Flachland, im Internet Der Grund, so Zonneveld, sei einfach der, dass die abrufbar unter: http://www.wz-newsline.de/home/panorama/ de-nederlandse-berg-holland-traeumt-vom-2000er-im-flach- Niederländer keine Alpen hätten. Eine Ingenieurs- land-1.753470; Vgl. die Abbildung Erik van der Horst: Eine künstle- firma amüsierte sich. Sie rechnete aus, dass rische Darstellung des holländischen Schneebergs vor der Küste der 77 Milliarden Kubikmeter Sand vonnöten seien, Niederlande in der Nordsee unter http://www.wz-newsline.de/ damit sich ein Berg höher als die Schneegrenze polopoly_fs/1.753478.1314863546%21/httpImage/onlineImage. direkt vor der Niederländischen Küste erhöbe.1 Das jpg_gen/derivatives/landscape_550/onlineImage.jpg; Vgl. Allgemeine Tagblatt (Allgemeen Dagblad, heutiges europeonline-mazine, Traum vom Schneeberg, unter http://www. AD) versetzte für seine eigene Photoshop-Bildversi- europeonline-magazine.eu/traum-vom-schneeberg_151740.html 2 2  Vgl. AD.nl vom 31.08.2011, Die nederlandse Berg van twee on den Fujiyama im Maßstab 1:2 vor die Küste. kilometer kommt er, im Internet abrufbar unter: http://www.ad.nl/ Das Phantom schlug im Sommerloch 2011 solche ad/nl/1012/Nederland/article/detail/2878880/2011/08/31/ Wellen, dass am Ende des Sommers die Schweizer Die-Nederlandse-berg-van-twee-kilometer-komt-er.dhtml

Abb. 1: Theater Görlitz, Kinderkonzert. Foto: Pawel Sosnowski. 52 Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art › ›

wiederum bedeutet, dass die meisten Beiträge, bischen Ursprung. Nach tausend Jahren deutsch- die wir heute und hier gehört haben, tatsächlich in sprachiger Immigration in das sorbische Siedlungs- einer Vorstellungswelt angesiedelt sind, die wenig gebiet ist das zwar eine etwas schwierige zu tun hat mit der tatsächlichen Entwicklung der Kulturfinanzen. Natürlich muss man die Inflati- Entwicklung der öffentlichen Ausgaben für Kultur (in Mrd. Euro) on und die vereinigungsbe- dingten Sonderlasten,­ die kalte Progression und die allgemeine Erhöhung des Staatsanteils herausrechnen. Aber auch dann bleibt eine substantielle Ent- wicklung zu konstatieren, die aus der heutigen Vorstellungs- welt von Kulturdiskussionen meistens ausgeblendet wird. Die Lage der Kultur in Gesamt- deutschland 2013 ist deutlich besser als in Westdeutschland 1975.

Ähnlich verhält es sich, Herr Abb. 2: Entwicklung der öffentlichen Ausgaben für Kultur (in Mrd. Euro). Külow, mit dem Land, aus dem Eigene Zusammenstellung. wir beide heute nach Berlin gekommen sind. Der Begriff Sachsen ist seit dem 4. Jahr­hundert belegt. Er galt bis zu Heinrich dem Löwen einem Gebiet an der Unterelbe (Abb. 3).

Im Jahre 1180 machte sich – wenn Sie das Bild gestatten – die Krone auf den Weg und schwamm die Elbe hoch zu den Askaniern. Von den Askaniern schwamm sie weiter zu den Wettinern und kam ins spätere Ursprungsland des Protestantismus. Dann, nach der Leipziger Teilung von 1485, schwamm sie zu den Albertinern erst nach Torgau, dann nach Dresden (die Ernestiner dagegen wurden Binde­ strich-Sachsen und heirateten überall hin). Als die Albertiner 1918 abdankten, gaben Sie den Begriff weiter an den Freistaat, der ihn bis heute trägt. Es war eine die Elbe hochschwimmende Krone, die dem Volk seinen Namen gab; nicht das Volk, das der Abb. 3: Die Verschiebung des Begriffs Sachsen. Krone den Namen gab; ein mehr als ungewöhnlicher Eigene Darstellung. Vorgang. Auch dies ist eine Vorstellungswelt. Und wenn wir heute über Kulturpolitik reden wollen, dann müssen wir natürlich immer fragen: wie lassen sich solche Vorstellungsräume gestalten?

Sie haben mich heute gebeten, über Sachsen zu sprechen. Es war einmal, um 700, ein nicht-deut- sches Sprachgebiet. Abbildung 4 zeigt das damalige deutsche Sprachgebiet, das keineswegs an die späteren Städte Leipzig, Dresden, Bautzen oder Görlitz heranreichte. Sorbisch ist denn auch der Name Lindenbaum (Leipzig), Sumpfdorf (Dresden) oder Brandstatt (Görlitz), aber dieser Ursprung bleibt in der Vorstellungswelt der heutigen Sachsen ebenso ausgeblendet wie in der der Besucher. Wahrscheinlich haben 25 Prozent aller heute in Abb. 4: Deutsches Sprachgebiet um 700. Ostdeutschland lebenden Menschen einen sor- Quelle: Archiv des IKS. 53 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Mathematik allerdings keine sinnfreie: Wer heute in Sachsen lebt, sollte sich bewußt sein, dass er auf sorbischer Erde lebt und dass die auf Sachsen entfallenden zwei Drittel von 16,8 Mio. Euro Zuwen­ ­ dung an die So rbenstiftung kein besonders hoher Pachtzins für 18.000 km2 sind – fünf Euro pro Hektar; üblich in Deutschland sind 100–400 Euro/m2.

Sachsens Deutsche sind keine Autochthone, sie sind eingewandert. Die Elbe hoch kamen die Sachsen, die Flamen aus Belgien, die Thüringer und die Franken aus dem Westen. Abbildung 5 zeigt, dass sie in verschiedenen Zügen kamen, die wir heute immer noch ablesen können – Thüringer alleine, Thüringer mit Sachsen, Thüringer mit Flamen, Thüringer mit Sachsen und Flamen. Dies ist der Ursprung der verschiedenen sächsischen Dialekte, die durch spätere Einwanderungen Abb. 5: Einwanderung nach Blaschke3: Sachsen, Flamen, immer weiter geformt und überformt wurden. Thüringer, Franken. Der Dialektunterschied zwischen Zwickau und Chemnitz resultiert auch aus dem polnischen Zuzug im 19. Jahrhundert nach Chemnitz.

Die Dialektvielfalt auf sächsischem Boden ist erstaunlich; das Kleine sächsische Wörterbuch benennt 21 unterschiedliche Dialektzonen, wobei es, wohl aus Gründen des weißgrünen Heimat- stolzes, die schlesische Färbung rund um Görlitz unterschlägt (Abb. 6). Man kann die Bevölkerung der heutigen Gemeinden nach diesen Dialektzonen einteilen und kommt dann auf die Graphik Abb. 7: rund um Dresden spricht man Ostmeißnisch, rund um Leipzig Südwestosterländisch, rund um Chem- nitz Westerzgebirgisch etc.

1992 saß ich eines Morgens bei einer meiner vielen Reisen durch Sachsen beim Frühstück und Abb. 6: Dialektzonen Sachsen. Quelle: Archiv des IKS. dachte, da stimmt doch etwas nicht. Es war nicht nach Bergmann: Kleines sächsisches Wörterbuch4 das miserable Hotel, es war nicht der Kaffee, es waren nicht die Brötchen. Es waren die Laute vom Bevölkerung Sachsen am 31.12.2010 nach Dialektzonen Nachbartisch, die nicht zur Stadt passten. Wir waren in Zwickau, und die Nachbarn sprachen Vogtländisch. Mir war der falsche Dialekt aufgestoßen.­ Man könnte

3 Vgl. Blaschke, Karlheinz: Geschichte Sachsens im Mittelalter, München/ Berlin 1990, Abbildung: Die Einwanderung der Deutschen in den obersächsischen Raum nach 1150 (Entwurf Blaschke) S. 78 4 Vgl. Bergmann, Gunter: Kleines sächsisches Wörterbuch, Leipzig 1990, Abbildung: Die Mundartland- schaften im Gebiet des Kleinen Abb. 7: Bevölkerung Sachsen nach Dialektzonen. Eigene Berechungen aufgrund sächsischen Wörterbuches, S. 1. der Kommunalstatistik des Sächsischen Statistischen Landesamts. 54 Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art › ›

die These wagen: ein Äquivalent zum Stallgeruch, setzes. Ich musste dem Kreistag vorschlagen, das der über die Nase geht, ist das heimische Klang- Theater Döbeln als eigenständige Einrichtung zu bild, das über die Ohren geht. Man könnte die schließen, um Raum zu schaffen für eine Fusion zweite These wagen, dass sich die Menschen mit Freiberg. Hintergrund war allerdings, dass innerhalb einer Dialektzone eher gut verstehen und Döbeln gegen Ende der DDR als Abschiebebahnhof miteinander können; die in zwei unterschiedlichen für besonders schlechte Künstler galt; aus eigenen Dialektzonen eher nicht. Ausgehend von dem Erleb- Kräften wäre es schwer geworden, einen Neuan- nis am Zwickauer Frühstücks­tisch, wurde ich fang zu wagen. Und der Erfolg der Kulturraumidee neugierig, wie denn Sachsens Theater verteilt sind. setzte Qualität voraus. Döbeln und Freiberg Und siehe da: sie sind im wesentlich nach Dialekt- zusammenzubringen war qualitativ gesehen zonen verteilt. Das stimmte mich nachdenklich und unumgänglich. Wie gut das im Laufe dieser nun wurde zur Grundlage der Kulturraum-Planung. Wie zwanzig Jahre funktioniert hat, können Sie daran Sie alle wissen, hatte diese Einteilung durchschla- sehen, dass es auch inhaltlich punktet nämlich: Zur genden Erfolg und hat sich über Jahre bewährt. Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution Leider hatte sie sich dann so bewährt, dass der bestellte Rom – Rom immerhin – bei Lorenzo Innenminister die Kulturräume nahm und bei der Ferrero »Charlotte Corday«. Und ausgerechnet Kreisgebietsreform daraus Großlandkreise schuf. dieses kleine Döbeln wagte sich mit Erfolg an die Diese funktionieren gut. deutsche Erstaufführung in einer sehr respektablen Es hatte allerdings zur Konsequenz, dass die neuen und bestens besuchten Aufführung. Großkulturräume dialektal nicht zusammenhängen­ de Gebiete administrativ zusammenfassen. Qualitativ, unter internationalen und eben auch Und das kann eigentlich nicht richtig funktionieren; unter inhaltlichen und sogar ethischen Gesichts- denken Sie an die Entfernung von Morgenröthe- punkten, floriert dieses Theater wieder, mitten in Rautenkranz im Westerzgebirge bis nach Döbeln der Provinz, in einer typisch sächsischen Mittel- in Mittelsachsen. stadt von noch nicht einmal 20.000 Einwohnern. Von der Neuberin bis heute gibt es eine Theatertra- Nehmen wir als Beispiel für Sachsens durchaus dition, sie wurde bewahrt, weil Stadt und Landkreis imposante Theatergeschichte außerhalb der drei und die Gemeinschaft der sächsischen Kommunen Großagglomerationen eben dieses Döbeln. gemeinsam ein ›Boot für die Kultur‹ gebaut haben, eben die Kulturräume. Auf dem Schüttboden des Rathauses Döbeln spielte vor gut 250 Jahren die Neuberin, die große Sie sehen hier die Dialektkarte in etwas anderer Wiederbegründerin deutschen Theaterwesens. Form, nämlich als Grenzziehung der Kulturräume Später überführte man das Theater in den Marstall. rund um die Theater (Abb. 8). Sachsen hatte 1993 Da es dort Heizung gab, machten die fahrenden mehr Opernhäuser als Italien, und dies bei damals Schauspielertruppen dort besonders gerne Winter- 4,5 Millionen Einwohnern; mehr Kulturorchester als station. Das zugrundeliegende System war, dass Frankreich, viele hundert Museen, ein konsistentes die Stadt ein Gebäude errichtete und es verpachte- Bibliothekennetz und so weiter. Das war die te, für ein paar Tage, Wochen oder Monate, nicht Ausgangslage, deren Strukturen wesentlich aber selbst eine Truppe und ihren Intendanten erhalten werden und nicht dem Systemwechsel anstellte. Döbeln war denn auch, soweit ich weiß, die letzte deutsche Stadt mit einem Theaterunter- nehmer klassischer Form; erst 1934 unter Göbbels wurde das Haus gleichgeschaltet und ›intendanti- siert‹ (wenn Sie den Ausdruck verzeihen).

Es gibt die bekannte Metapher von der Kultur als Feuerwehr. In Döbeln waren ab 1872 Theater im Obergeschoß und Feuerwehr im Untergeschoß tatsächlich gemeinsam untergebracht. Leider hat dies nichts genutzt, das Haus ist abgebrannt und musste im Jahre 1911 neu errichtet werden. Das schmucke Haus war lange Zeit das Zentrum städtischen Lebens und ist es weiterhin, gerade eben wurde es nach einer Sanierung gerade wieder eröffnet einschl. eines interessanten Anbaus.

Für mich bedeutet Döbeln eine der bittersten Abb. 8: Lage von Döbeln innerhalb der sächsischen Episoden bei der Vorbereitung des Kulturraumge- Kulturräume. Eigene Darstellung. 55 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

zum Opfer fallen sollten. War doch die Wieder­ die durchschnittliche Einzelhandelsfläche in Mittel- vereinigung der vierte Systemwechsel im 20. Jahr- städten 50 Prozent größer als in Großstädten oder hundert: am 9. November 1989 der Übergang zur in Metropolstädten. Und das gleiche gilt natürlich Republik; am 30. Januar 1934 (sic!) die Abschaf- auch für die kulturelle Infrastruktur und den Versor- fung des Föderalismus; am 9. Mai 1945 das Ende gungsauftrag der Mittelstädte. des Kriegszustandes mit kurzer Reföderalisierung Ein kurzer Blick auf die rechtliche Situation. Gibt es bis 1952 in Mitteldeutschland; und jetzt am eigentlich einen ländlichen Raum? Nur 22 Prozent 3. Oktober 1990 die friedlich errungene Wieder­ der Bevölkerung leben in einer Gemeinde, die nicht vereinigung. Die Theater- und Orchesterlandschaft hatte alle diese Systemwechsel einigermaßen überlebt. 1993 waren 71 Prozent der Theater und Orchester älter als 100 Jahre, 41 Prozent sogar älter als 200 Jahre; das Gewandhaus ist nicht nur eines der größten, sondern auch eines der ältesten bürgerlichen Orchester der Welt; die Staatskapelle eines der ältesten staatlichen Orchester der Welt; Kreuz- und Thomanerchor rund 800 Jahre alt. Dies alles war nun substantiell bedroht durch die Einführung neuer administrativer Regelungen.

Die Kulturraumkarte ist eine heterarische Landkarte, sie geht nicht von einem Zentrum aus. Anders die Landesentwicklungsplanung Sachsen (deren erster Entwurf das Erzgebirge zum »Naherholungsgebiet Abb. 9: Raumstrukturen im Landesentwicklungsplan 2003. der Stadt Chemnitz« herunterstufte). Den Raum- Quelle: Sächsisches Staatsministerium des Inneren. strukturen des Landesentwick- lungsplans 2003 (Abb. 9) liegt die hierarchische Gliederung Urbane vs. rurale Bevölkerung Sachsen rechtlich Ober­zentren – Mittelzentren – Unter­zentren – Nichtzentrum zugrunde. Würde man diese Logik auf die Theaterpolitik übertragen, so gäbe es Metro- polen wie Dresden und Leipzig größer 500.000 Einwohner mit Abb. 10: Urbane versus rurale Bevölkerung Sachsen rechtlich. Eigene Darstellung. Theateranspruch, Großstädte wie Chemnitz größer 100 000 Einwohner mit gerin- Urbane vs. rurale Bevölkerung nach Arbeitsplätzen gerem Theateranspruch, und schließlich Mittelstädte zwi- schen 20 000 und 100 000 Einwohnern mit unklarem bzw. im Westen der Republik generell negiertem Theateranspruch. Die Bewohner der Kleinstädte und die Landgemeinden der Größen- Abb. 11: Urbane versus rurale Bevölkerung Sachsen nach Arbeitsplätzen. ordnung kleiner 20 000 Einwoh- Eigene Darstellung. ner könnten generell zum Theaterbesuch in die Metropo- len fahren. Wer so denkt, kennt Bevölkerung Sachsen nach Stadttypen aber beispielsweise die Vertei- lung der Einzelhandelsflächen nicht. Der Prenzelberg oder Berlin Mitte, wer auch immer, muss sich selbst versorgen. Anders Mittelstädte. Mittelstäd- te müssen nicht nur sich selbst versorgen, sondern auch das umliegende Land. Deshalb ist Abb. 12: Bevölkerung Sachsen nach Stadttypen. Eigene Darstellung. 56 Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art › ›

die Bezeichnung Stadt trägt, Schlüsselzuweisungen FAG 2011 pro Kopf kreisfreie vs. 78 Prozent sind rechtlich kreisangehörige Kommunen gesehen Städter (Abb. 10). Wie sieht es aus bei den Arbeits- plätzen? 2 Prozent sind rural, also Land-, Holz- und Fischwirt- schaft; 27 Prozent gehören zum produzierenden Gewerbe, 71 Prozent zu den Dienstlei- stungen (Abb. 11). Kurz: die Selbstdefinition der heutigen Sachsen ist urban. Ein wichtiger Teil der Einwohner lebt durch- aus im Grünen, mit Raum, mit Luft und ohne Lärm. Ländlich Abb. 13: Einwohnerwichtung 1,52 bei der Finanzkraft als Summe von sind sie nur, wenn man sie aus Finanzausgleichgewicht und Eigensteuereinnahmen. Kreisfreier Raum = den Fenstern der Ministerien 1.296 Euro pro Kopf; Kreisangehöriger Raum = 849 Euro pro Kopf. betrachtet und alles, was nicht Eigene Darstellung nach dem Gesetz über einen Finanzausgleich 2011. Metropole ist, als Ländlichen Raum definiert. Als hinterletzte Bauern fühlt sich der Großteil der Sachsen sicherlich nicht. Bevölkerungsentwicklung Sachsen nach Stadttypen bis 2020 Untersucht man die Einwohner Zielstellung für SOLIDARPAKT III Sachsens nach Stadttypen, so leben 31 Prozent der Bevölke- rung in den Metropolstädten ab 500.000 Einwohnern (Abb. 12 Bevölkerung Sachsen nach Stadttypen). Sie erhalten allerdings deutlich mehr Zuwei- sungen pro Kopf als die anderen 69 Prozent (Abb. 13). Im Finanz- ausgleichsgesetz 2011 ist als Summe der Zuweisungen an die Gemeinden und Landkreise 449 Euro pro Kopf festgelegt, die drei kreisfreien Städte erhalten 653 Euro oder 52 Prozent mehr pro Kopf. Im Jargon der Finanzer Abb. 14: Bevölkerungsentwicklung Sachsen nach Stadttypen vom 31.12.2010 bis zum 30.06.2011. Eigene Darstellung. heißt die Besserstellung der Bewohner kreisfreier Städte »Einwohner­veredelung«.

Nach 20 Jahren Veredelungs­ Höchster allgemein bildender Schulabschluß politik sehen wir einen signifi- kanten Einfluss auf die Bevölke- rungsentwicklung Sachsens. Die Metropolstädte wachsen um ungefähr 1 Prozent per annum. Die Landstädte schrumpfen um 1 Prozent (Abb. 14). Dies ist die quantitative Seite. Bei den qualitativen Daten gibt es in den Metropolstädten mehr als doppelt so viele Einwohner mit Fachhochschulreife oder Hochschulreife als in den Landstädten (Abb. 15). Bei Abb. 15: Bevölkerungsentwicklung Sachsen nach Stadttypen: Höchster den berufsbildenden oder allgemeiner Schulabschluß. Eigene Darstellung. 57 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Hochschulabschlüssen­ sind es exakt doppelt so Einrichtung (Würfel 1) ist Voraussetzung für den viele. Da zwar noch niemand durch den Doktortitel Beitrag des Trägers bzw. der Sitzgemeinde (Würfel ein besserer Mensch geworden ist, es aber bekannt- 2), ist Voraussetzung für Kulturum­lage des Kultur- lich eher die Gebildeten sind, die eine Region raums (Würfel 3), ist Voraussetzung für Zuwendung dynamisch nach vorne bringen, ist der Ländliche aus der Gemeinschaftskasse der sächsischen Raum schlechter aufgestellt (Abb. 16). Besonders Kommunen (FAG) sowie des Freistaates (zusammen fatal ist der Jugendüberschuss von 50 Prozent in den Kohorten von 20 bis 35 Jahren. Es sind die Höchster berufsbildender oder Hochschulabschluss Jungen, die Frauen, die besser Gebilde­ten, die Dynamischen, die es zur Emigration treibt, weg aus dem als ländlicher Raum stigmatisierten Gebiet. Übrig bleiben die Älteren, die Männer, die weniger Gebildeten (Abb. 17).

Muss man diese Entwicklung hinnehmen oder sogar begrüßen oder kann man etwas dagegen tun? Wie sieht es mit der Sächsischen Kulturpolitik aus? Der überwiegende Teil der vom Land getragenen Kultureinrich- Abb. 16: Bevölkerungsentwicklung Sachsen nach Stadttypen: Höchster tungen befindet sich in der berufsbildender oder Hochschulabschluss. Eigene Darstellung. Landeshauptstadt (Abb. 18), 53 Prozent der Aufwendungen Kunst und Kultur des Säch- sischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst fließen in die eigenen Einrichtungen. Immerhin 33 Prozent (51 Mio. EUR zzgl. Musikschulmittel 4,8 Mio. EUR und Mittel für die kulturelle Bildung von 0,6 Mio. Euro) fließen an die Gemeinden und Gemeindeverbände als der eine Teil der Kulturraummittel (Abb. 19). Der andere Teil der Kulturraummittel (30 Mio. Euro) stammt unmittelbar aus dem Finanzausgleich zwischen Sachsen und seinen Kommunen Abb. 17: Bevölkerungsentwicklung Sachsen nach Stadttypen: als Vorwegabzug von ursprüng- Jugendüberschuß Metropolen. Eigene Darstellung. lich 1 Prozent der Gesamtsum- me. Diese Mittel von derzeit 86 Mio. Euro stehen den kommunal gesteuerten Kulturräumen für Regionale Verteilung der Landeseinrichtungen Kultur in Sachsen die Einrichtungen und Vorhaben von regionaler Bedeutung unmit- telbar zur Verfügung. Etwa 800 Personen wirken ehrenamtlich an der Verteilung der Mittel mit.

Wie funktioniert das Solidarprin- zip des Sächsischen Kulturraum- gesetzes? Das lässt sich leicht veranschaulichen (Abb. 20): Der Abb. 18: Regionale Verteilung der Landeseinrichtungen Kultur in Sachsen. Eigenbeitrag der betreffenden Eigene Darstellung auf der Grundlage des EP 12 SMWK. 58 Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art › ›

Würfel 4). Gemeinsam ist Regionale Verteilung der Landeseinrichtungen Kultur in Sachsen Sachsen stark, weil tendenziell keine Ebene überfordert wird. Dies nun sind Mittel, mit denen an einer urbanen Selbstverstän- digung der Menschen außerhalb der Metropolen gearbeitet werden kann und an der Vorstel- lungswelt Dritter. Zum Beispiel in Döbeln mit der »Charlotte Corday«. Abb. 19: Aufwendungen Kunst und Kultur 2011. Ich danke Ihnen. Eigene Darstellung auf der Grundlage des EP 12 SMWK. ›› Jochen Mattern: Ich danke Ihnen erst einmal für Ihren Kulturräume in Sachsen anregenden und analytisch fundierten Vortrag und möchte im Grunde nur die Runde freigeben. Ich habe vorhin schon gesehen, dass sich jemand gemeldet hat. Gibt es Fragen? Herr Reichel. ›› Ralph Reichel: Wir haben es ja vorhin schon gehört, wir brauchen Solidarität. Was Sie in Sachsen aber beschreiben ist, Abb. 20: Solidarprinzip des Sächsischen Kulturraumgesetzes:­ Eigenbeitrag dass die Strukturen nicht durch der betreffenden Einrichtung (Würfel 1) ist Voraussetzung für Beitrag des Solidarität entstanden sind, Trägers bzw. der Sitzgemeinde (Würfel 2) ist Voraussetzung für Kulturumlage sondern letztendlich durch des Kulturraums (Würfel 3) ist Voraussetzung für Zuwendung aus dem Biedenkopf mit seiner Macht Gemeinschaftskasse der sächsischen Kommunen (FAG) sowie des Freistaates durchgesetzt wurden. (zusammen Würfel 4). Eigene Darstellung. ›› Prof. Dr. Matthias Vogt: Der was durchgesetzt hat? gegründet. In ihr waren alle Räume und alle poli- tischen Ebenen vertreten. Im Ergebnis der langen ›› Ralph Reichel: Na, dass dieses Kulturraumgesetz Untersuchungen und Diskussionen schrieben der möglich wurde. Sächsische Städtetag und der Sächsische Land­ kreistag im April 1993 einen Brief an Staatsminister ›› Prof. Dr. Matthias Vogt: Zuständig war der Staats- Meyer: »Herr Minister, wir brauchen ein Kulturraum- minister für Wissenschaft und Kunst, Hans Joachim gesetz«. Bis zur dritten Lesung im Sächsischen Meyer. Im Bereich Wissenschaft einigte man sich Landtag am 17. Dezember gab es 19 Versionen des letztendlich auf eine gegenüber den westlichen Kulturraumgesetzes, die 19. Fassung ging dann ohne Flächenländern deutlich überproportionale Stellen- Gegenstimmen durch. Der Kern der Überzeugungsar- ausstattung von 10.000 Stellen, konnte also von beit bestand darin, dass alle sagten: ›Wir wollen nicht 20.000 Stellen die Hälfte erhalten. Im Bereich verzichten auf Theater und Orchester und Museen Theater und Orchester gab es 6.000 Stellen. Meine und Bibliotheken und Tiergärten und die Soziokultur; Analyse war, salopp formuliert: ‚Herr Minister, Sie wir sollten nach einem solídarischen Mechanismus haben nicht zu viele Theater und Orchester, Sie der Finanzierung suchen‹. Diskussion und Ergebnis haben zu wenig Geld. Weil es in Deutschland keine folgten einem heterarischen Prinzip, alles war sehr Umlandmitfinanzierung gibt’. Es fehlt an einem stark von unten gedacht und gerade eben nicht von solidarischen Prinzip, dass nämlich nicht alleine der einem Ministerpräsidenten einsam durchgesetzt. Es Träger, sondern der Kreis derer, die die Einrichtung war gerade die Stärke von , sehr nutzen, bezahlt. Erforderlich war eine finanzielle eigenständigen Ministern wie Angleichung des Nutzerkreises und des Träger- oder Georg Milbradt Raum für die Entfaltung neuer kreises. Aber wie dorthin kommen? Als ersten Ideen zu geben, und diese wiederum mir. Schritt habe ich parallel zur Kommission aus Theaterfachleuten, der Naumann-Kommission, die ›› Ralph Reichel: Die Ergebnisse kenne ich sehr gut. Interparlamentarische Arbeitsgruppe Kulturräume Ich würde gerne noch genauer den Ursprung unter Schirmherrschaft des Landtagspräsidenten wissen. Das heißt letztlich ist es eine Initiative von 59 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Ihnen und wenigen Leuten, die sich die Legitimation aber Ihr Anliegen war es ja, die Mittelstädte in geholt haben. Ich kenne immer die gegenläufigen Sachsen zu stärken. Also so wie die Band in Varianten. In Mecklenburg, da ist ein Kulturrat, den Chemnitz singt, Kraftclub: »Ich will nicht nach hat der Minister einberufen, da ist kein Mensch Berlin«. Warum soll jemand nach Görlitz gehen, vom Theater dabei und die funktionieren als der Trend ist ein anderer und die Politik der Feigenblatt, genauso wie viele Räte. Sie haben es ja Staatsregierung­ operiert mit dem Bild der Leucht- irgendwie geschafft, wirklich relevant zu werden. türme. Man will ganz bewusst die Metropolen stärken und Sie kennen ja diesen Gegenentwurf ›› Prof. Dr. Matthias Vogt: Am Beginn stand Anfang des späteren Ministerpräsidenten, Georg Milbradt, 1992 ein Gespräch zwischen dem Abteilungsleiter als er Finanzminister unter Biedenkopf war: ›Wer Kunst Reiner Zimmermann und mir über die Kultur will, der soll in die Städte fahren‹. Damit Notwendigkeit schnell zu handeln, da im Moment meinte er die drei urbanen Kulturräume. zwei Bundesprogramme für Stabilität sorgten, aber deren Auslaufen absehbar war. Genau so sollte es ›› Prof. Dr. Matthias Vogt: Politik hängt immer mit Mitte 1994 ja auch ziemlich überraschend kom- Personen zusammen. Und wenn die Landrätin men. Es war Gefahr in Verzug. Wir haben uns dann Fischer aus Kamenz dem Finanzminister sagte, sie geeinigt auf die Einsetzung einer Kommission, der sei ohnehin Stammgast in der Semperoper, dann schon angesprochenen Naumann-Kommission, zu muss man das geduldig besprechen. An dieser einen der dann die interparlamentarische Arbeitsgruppe Person drohte mehrmals das Ganze zu scheitern. hinzukam. Ich ahnte, dass es irgendwann mal Krach geben würde, aber mit Ausnahme von einem ›› Jochen Mattern: So geht Kulturpolitik manchmal. sind tatsächlich auch alle dabei geblieben und wir haben das Konzept gemeinsam durchgetragen. Das ›› Prof. Dr. Matthias Vogt: Ja. Ich muss Ihnen aber in erforderte viel Fingerspitzengefühl. Andererseits einem widersprechen. Görlitz zum Beispiel ist in war die Situation in Sachsen sehr günstig – unter der Zwischenzeit so attraktiv geworden ist, dass den Landräten und Abgeordneten gab es sehr viele wir höhere Zahlen beim Zuzug als beim Wegzug Menschen, die sich ein Leben ohne Musik, Buch, haben. An der Hochschule kann dies nicht alleine Kunst nicht vorstellen konnten. liegen, da die Zahl der Studienplätze ja jedes Jahr Aber ein Gesetz ist immer nur auf Papier gedruckt. etwa die gleiche ist. Das Entscheidende ist in der Gestern Abend hat mir der jetzige Abteilungsleiter Tat der Ruch der Provinzialität, und dieser Ruch Kunst erzählt, wie mühsam es für ihn und seine beginnt sich offensichtlich in einigen Städten Leute sei, die Verwaltungen davon zu überzeugen, gerade zu wandeln. Daran nun zu arbeiten, wäre dass nach Paragraph 2 Absatz 1 des Sächsischen die Aufgabe der Sächsischen Landespolitik, aber Kulturraumgesetzes Kultur in Sachsen eine auch in anderen Ländern. Wenn Sie zum Beispiel Pflichtaufgabe­ der Gemeinden und Gemeinde­ an die Oberpfalz denken, da sind die Probleme verbände ist. Insofern wäre es in der Tat gut, im eigentlich gravierender als im Erzgebirge. Insofern Grundgesetz und in allen entsprechenden Landes- ist das Problem der Mittelstädte ein gesamtdeut- verfassungen die Kultur als Pflichtaufgabe festzu- sches und weit darüber hinaus gehendes. Ein schreiben – damit wäre noch nichts über die Höhe berühmt gewordener schwedischer Innovations­ gesagt, aber über die Gleichrangigkeit mit anderen forscher fragte sich: Wo passieren eigentlich die Aufgaben. Erfindungen. Und er stellte fest: Normalerweise in der Peripherie. Das wird dann diffundiert in die ›› Ralph Reichel: Großartig, Glückwunsch. Ich glaube, Metropolen und geht von dort aus dann national es braucht trotzdem immer irgendwo diese einzel- oder auch international weiter. Ein britischer nen kleinen Kerngruppen, die in irgendeiner Humangeograph hat dies Beatles Pattern genannt. Regierungskoalition es schaffen, so etwas durch­ In Liverpool wird die Musik kreiert und dann von zusetzen. Das Kulturraumgesetz hat bei uns London aus diffundiert sie in die ganze Welt. momentan leider keine Chance. Es ist tragisch. Dieses Phänomen hält die sächsische Industrie seit 700 Jahren aufrecht. Und wenn sie einen vertieften ›› Prof. Dr. Matthias Vogt: Ich bin aktuell angespro- Blick in die Kulturgeschichte Europas werfen, gilt chen worden in Bayern von SPD und GRÜNEN. das analog auch für die Kultur. Europas Künste Sachsen-Anhalt wird derzeit von drei Finanzmini- wurden bedeutend durch ein Gleichgewicht stern gleichzeitig regiert. Es ist logisch, dass die zwischen Metropolen und kunstsinnigen kleineren sparen und nicht in die Zukunft investieren wollen. Orten. Da sollten wir weiter dran bleiben. ›› Jochen Mattern: Um das Stichwort Sachsen-Anhalt ›› Jochen Mattern: Gut, ich denke, das ist ein ordent- aufzugreifen, würden Sie sagen, dass Sachsen mit liches Schlusswort. Ich wünsche uns viel Erfolg. ganz ähnlichen Problemen ringt wie Sachsen-An- halt? Vielleicht nicht in dieser dramatischen Form, ›› Prof. Dr. Matthias Vogt: Danke. 60 Initiativen der Linken zur Kulturförderung in den Ländern – Ein Überblick › ›

Katrin Framke Initiativen der Linken zur Kulturförderung in den Ländern – Ein Überblick

Einen recht schönen guten Tag. Annette Mühlberg der Initiativen zur Kulturförderung durch die und ich haben uns darüber verständigt, dass ich LINKEN im Rahmen von Haushaltsdebatten nicht die Ergebnisse der Untersuchung insgesamt stattfindet. Da werden unzählige Anträge einge- vorstelle, sondern Sie versuche neugierig zu bracht, mündliche Anfragen, kleine Anfragen, alles machen auf diese Untersuchung, denn sie wird in Mögliche. Es ging auch nicht darum, einen vollstän- einer Form, die noch nicht ganz absehbar ist, digen Überblick zu erhalten, sondern eigentlich veröffentlicht werden. Ich hatte den Auftrag von wollten wir auch wissen, das ist hier heute auch der Rosa-Luxemburg-Stiftung einmal zusammenzu- deutlich geworden im Verlauf der Konferenz, dass tragen, welche politischen Initiativen der LINKEN es riesen Herausforderungen gibt, demografischer es eigentlich in Bund und Ländern im Bereich der Wandel, leere Kassen in den Kommunen, Schulden- Kulturförderung gibt. bremse, Legitimationsprobleme der Kultur und Kunst als Politikfeld, Probleme in der Kulturförde- Gregor Gysi ist ja der Auffassung, so formuliert er rung, Intransparenz, Kriterien, darüber ist heute es jedenfalls in seinem Beitrag für die Publikation sicher auch schon gesprochen worden. der Linksfraktion im Bundestag, die demnächst erscheinen wird, dass die Kernkompetenz der Die wohl wichtigste Initiative der LINKEN aus LINKEN nicht im Bereich der Kultur liegt. Ich kann meiner Sicht war die Initiative auf Bundesebene zur sagen, dass zumindest die Untersuchung ein etwas Einführung der Staatszielbestimmung Kultur im anderes Bild darstellt. Jedenfalls was die Kulturpoli- Grundgesetz. Warum war die wichtig? Sie war zum tikerinnen und Kulturpolitiker in Bund und Ländern einen ein deutliches kulturpolitisches Signal von betrifft, konnte von mir einiges zusammengetragen Seiten der LINKEN und knüpft nicht nur an Forde- werden. Allein die Tabelle mit der Auflistung der rungen des Deutschen Kulturrates und der Kultur- Initiativen ist sehr umfangreich. Sie umfasst viele politischen Gesellschaft an, sondern auch an die Seiten und es gibt dann eine Zusammenfassung. vieler anderer Verbände und Initiativen. Im Grunde ist es auch die Position der SPD bis hin zu den Ich will mal an dieser Stelle allen Ländern und auch KulturpolitikerInnen der GRÜNEN. Es gibt auch der Bundestagsfraktion und besonders Annette Vertreterinnen und Vertreter der CDU, die das für Mühlberg danken, für ihre Zuarbeit, für Unterstüt- sinnvoll halten. Die FDP will es ausdrücklich. Sie zung und Hinweise. Ich habe gesagt, ich mache es sitzen ja auch alle im Bund, in den Ländern, in den kurz. Ich sage mal, welche Fragen wir gestellt Kommunen, sehen, wie sich Kultur dort entwickelt, haben. welche Rolle sie für die Entwicklung der jeweiligen Standorte hat und wie darum gekämpft wird in Welche politischen Initiativen, Gesetzentwürfe habt Haushaltsberatungen. An der Initiative zur Aufnah- Ihr für gesetzliche Regelungen zur Kulturförderung me von Kultur ins Grundgesetz als Staatszielbe- auf dem Weg gebracht? Auch wollten wir wissen, stimmung ist, die herausragende Rolle der Stän- was wurde umgesetzt. Welche Initiativen habt Ihr digen Kulturpolitischen Konferenz (SKK) der Partei zu Kulturkonzepten, Kulturentwicklungsplänen, DIE LINKE deutlich geworden. In dem Maße, wie kulturpolitischen Leitlinien auf den Weg gebracht? ich mich noch einmal mit den Strukturen beschäf- Wurde die Initiative umgesetzt? Dann wollten wir tigt habe bei der LINKEN und auch im parlamenta- wissen, welche Initiativen es zu verschiedenen rischen Bereich, ist mir folgendes klar geworden. Kulturbereichen gibt. Die letzte Frage, die lag mir Das ist das strategische Zentrum. Dort finden besonders am Herzen, was gibt es denn für Diskussionen statt. Von dort gehen Initiativen aus sogenannte Best Practice Beispiele? und ich wünsche mir, dass nach der Bundestags- wahl 2013, egal wie das Ergebnis der LINKEN Dann gingen die Zuarbeiten etwas langsam ein. aussehen wird, dass dieses Zentrum weiter Wir hatten eigentlich ursprünglich mal gedacht, wir existiert. Denn, es gibt bei der Rosa-Luxemburg- werden vielleicht in vier bis fünf Wochen fertig. So Stiftung kein wirklich arbeitsfähiges Kulturforum. richtig fertig sind wir immer noch nicht. Jetzt haben Es gibt jenseits der Fraktionen in der Partei wir vier Monate. Die Qualität des Materials war DIE LINKE, also ich meine in der Bundesgeschäfts- ganz unterschiedlich. Bei allen Ländern und auch stelle, keinen Referenten für Kultur. Innerhalb der im Bund ist deutlich geworden, dass ein Großteil Partei DIE LINKE gibt es kaum Konzepte für dieses 61 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Politikfeld. Sachsen und Nordrhein-Westfalen Frage, ist das nicht aufgreifbar für andere Bundes- haben sich auf den Weg gemacht, das wird in der länder. Mecklenburg-Vorpommern hat ja danach Untersuchung auch dargestellt, wie sozusagen gefragt. Ist es ein Weg, den man natürlich mit Bausteine aussehen können. Also das Gremium regionalen Besonderheiten, auch in anderen ist unverzichtbar. Bundesländern gehen könnte? Das gilt gleicherma- ßen für alle möglichen Initiativen zum Erhalt und Die Untersuchung bildet weiterhin Initiativen der zum Ausbau der kulturellen Infrastruktur, wie Länder zu Kulturgesetzen, zu kulturellen Leitlinien, Bibliotheksgesetze, Gesetze, die sich auf Musik- zu Rahmenplänen und so weiter ab – einiges ist schulen, die Opern- und Theaterförderung bezie- hier vorgestellt worden. Es ist hier gerade eben hen. Unsere Fraktionen sind ja ressourcenmäßig dargestellt worden, dass wenn es ein Kulturraum- eng ausgestattet in den Parlamenten. Also, warum gesetz gibt, ein Kulturfördergesetz, dann gibt es kann man sich nicht einen solchen Entwurf etwas weniger Probleme mit der Legitimation. Ich nehmen und ihn ebenfalls einbringen? Ich habe will auch noch anfügen, dass die Diskussion um die selber mal in einem Abgeordnetenhaus gearbeitet Staatszielbestimmung für Kultur nicht nur dazu und weiß, dass Gesetzentwürfe die hohe Form geführt hat, dass DIE LINKE dieses Thema auf die sind. Da arbeitet man lange dran. politische Agenda gehoben hat und zwar in allen Bundesländern, wo DIE LINKE vertreten ist und auf Es ist im Übrigen auch deutlich geworden, dass der Bundesebene, sondern es ist auch innerhalb Initiativen zur Kulturförderung, die sich besonders der Partei nicht wirkungslos geblieben, weil auf Gesetze beziehen und auf Verstetigung, auf natürlich dann auch die Partei DIE LINKE sich mit grundsätzliche Problematiken, nicht selten über dem Stellenwert von Kultur beschäftigen muss. Ich mehr als eine Legislaturperiode verfolgt werden wünsche mir, dass sie sich auch mit ihrer kultu- und verfolgt werden müssen. Das hat zum einen zu rellen Praxis und ihrer kulturellen Ausstrahlung tun mit den innerparteilichen und innerfraktio- beschäftigt, und dass auch Kulturpolitikerinnen nellen Zusammenhängen. Da gibt es auch mal und Kulturpolitiker mit ihrem politischen Feld einen Themenwechsel. Es gibt durch Wahlen auch anderen Stellenwert bekommen, einen der viel- abbrechende Personenkontinuitäten. Dann muss leicht auch mithält mit anderen Feldern wie das Thema neu aufgegriffen werden und wird dann Bildung, Soziales, Innenpolitik und so weiter. mühsam wieder geboren. Auch dafür wäre ein solches Themenportal wichtig, damit man dort Was haben wir für Schlussfolgerungen gezogen? schnell den Anschluss findet. Dann kann man Best Und da nehme ich nur eine heraus. Zur Partei habe Practice Beispiele besser nachahmen. Entschei- ich schon etwas gesagt. Kultur muss einen ande- dend ist, finde ich, dass die SKK fortbesteht und ren Stellenwert bekommen, in der Partei DIE LINKE sich dort der weitere Austausch vollzieht. Irgend- und in der Rosa-Luxemburg-Stiftung muss dieses wann wird diese Untersuchung erscheinen. Ich Arbeitsfeld personell und finanziell anders ausge- hoffe, Sie finden Interesse und Vergnügen daran. stattet werden, sonst wird das nichts. Weil, nur Vielen Dank! eine Partei, die sich als kulturelles Projekt versteht, wird erfolgreich sein. Zur Kulturförderung selbst: ›› Dr. Annette Mühlberg: Vielen Dank an Katrin. Ich empfehle unbedingt, dass die Antragsdaten- Natürlich erscheint sie. Wir werden sie vorher auch banken, die es gibt mal überprüft werden. Ich habe in die Länder schicken, damit gegebenenfalls noch versucht, da was zu finden, zur Kultur. Die werden etwas ergänzt werden kann, weil wir ja noch nicht nicht regelmäßig aktuell eingepflegt. Das ist auch aus allen Ländern dafür einen Rücklauf bekommen ein Ressourcenproblem, aber vielleicht misst man haben.1 diesen Antragsdatenbanken auch nicht so eine Bedeutung bei. Wichtig finde ich ein zentrales Themenportal Kultur, das existiert schon, das sollte noch besser aufbereitet werden. Das wünsche ich mir im Übrigen auch für die Rosa-Luxemburg- Stiftung.

Warum ist so ein Themenportal wichtig? Also mal abgesehen davon, dass andere Leute sehen sollen, was machen die da eigentlich auf diesem Feld, geht es vor allem darum und das spielt in der Untersuchung eine große Rolle, dass man sozusa- 1 Die Untersuchung von Katrin Framke ist inzwischen veröffentlicht. Sie ist auf den Internet-Seiten der LINKEN zu finden unter: gen voneinander lernt. Und zwar die linken Ak- http://www.die-linke.de/politik/positionen/kulturpolitik/ teure untereinander. Wenn es eine so tolle Initiati- politische-initiativen-der-linken-zur-kulturfoerderung-in- ve wie den Kulturkonvent gibt, dann stellt sich die bund-und-laendern-ein-ueberblick/ 62 Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte › ›

Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte

mit Volker Külow (MdL, Kulturpolitischer Sprecher immer scherzhaft nennen. Wenn ich jetzt ein paar der Linksfraktion im Landtag Sachsen), Jayne-Ann kritische Bemerkungen zum Kulturraumgesetz und Igel (Schriftstellerin, Sprecherin der Landesarbeits- seinen Wirkungen mache, dann ist mir völlig gemeinschaft Kultur Sachsen), Dr. Birgit Klaubert bewusst, dass wir auf sehr, sehr hohem Niveau (MdL, Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion klagen. Vorhin wurde ja die Kulturfinanzstatistik im Landtag Thüringen), Lorenz Müller-Morenius 2012 bemüht. Die hat wahrscheinlich doch jeder (Freier Maler und Zeichner, ver.di NRW) hier halbwegs parat. Die besagt, dass Sachsen mit 175 Euro pro Kopf unter den Flächenländern Moderation: Dr. Annette Mühlberg gewissermaßen ganz vorn liegt, getoppt von zwei Stadtstaaten. Ich will jetzt zu den Funktionsmecha- nismen nicht viel sagen. Wenn es da Nachfragen gibt. Gerne. Es ist ja weiland gegründet worden, ›› Dr. Annette Mühlberg: Wir kommen jetzt zum das kam vorhin nicht ganz so raus, um vor allem zweiten Podium »Kulturförderung in Flächenlän- die Struktur der Orchesterlandschaft in Sachsen zu dern – Initiativen und Konzepte«. Hier gibt es eine erhalten, die nach wie vor enorm dicht ist, mit 15 kleine Änderung zum ursprünglich vorgesehenen Theatern. Viele Mittelstädte haben noch immer ihr Programm. Gerd-Rüdiger Hoffmann, der heute eigenes Theater und wir haben, das ist vielleicht in Vormittag noch da war, er ist im Landtag von anderen Ländern nicht ganz so, so eine Provinzfür- Brandenburg und ist auch Sprecher der LAG Kultur stenstruktur. Die konservative Hegemonie der CDU Brandenburg, konnte leider nicht hierbleiben, weil ist für Ostdeutschland und für die Bundesrepublik er einen Todesfall in der Familie hat und da einfach insgesamt sehr stabil, so ähnlich ist es nur in Beistand leisten muss. Das ist das Leben. Ich habe Bayern mit der CSU. Und wir haben überall Land­­ kurzfristig die Moderation für das Podium über- räte von der CDU, die sich aber inzwischen gewis- nommen und werde da mein Bestes tun. Ich bitte sermaßen gerne ans Revert heften, dass sie ein auf das Podium: Volker Külow, Kulturpolitischer eigenes Theater haben. Das ist an der Stelle ein Sprecher der Linksfraktion im Landtag Sachsen. vernünftiger Wandel, der in den Köpfen stattgefun- Jayne-Ann Igel. Sie ist Schriftstellerin. Sie hat sich den hat. Leider ist es aber auch in den sächsischen vorhin schon selbst vorgestellt, ist heute wesent- Theatern so, dass dort Haustarife gelten und dass lich als Sprecherin der LAG Kultur Sachsen hier. dort die soziale Situation der Beschäftigten nicht Ich bitte Dr. Birgit Klaubert, Mitglied des Landtags besonders komfortabel ist. und Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag Thüringen und Lorenz Mueller-Moreni- Leider wurde im letzten Jahr ein Orchester abge- us aus Nordrhein-Westfalen, freier Maler und wickelt. Das hatte auch überregional Schlagzeilen Zeichner, ver.di NRW auf das Podium. gemacht, das Orchester der Landesbühnen Sach- sen. Wir haben dagegen vehement angekämpft im Da wir vor Katrin und vor der Kaffeepause ja den Parlament, alle Register gezogen. Das Orchester Vortrag von Professor Vogt gehört haben, würde selber hat noch gespielt vor dem Landtag. Das war ich in dem Falle, was sich ja logisch anschließt, mit eine ziemlich dramatische Situation. Und das Sachsen beginnen und Dich lieber Volker zunächst, wirklich tolle Kulturraumgesetz ist dann auch um einen Kommentar insbesondere zum Säch- geschröpft worden und aus den 86,7 Millionen sischen Kulturraumgesetz bitten, welche Erfah- Euro, die in die drei urbanen und fünf ländlichen rungen Ihr damit habt. Schützt das vor Kulturab- Kulturräume fließen, sind etwas über 3 Millionen bau, schützt das vor Kürzungen, hilft das den zweckentfremdet für die Zwangskommunalisierung Kulturschaffenden etwas zu behaupten oder der Landesbühnen in Sachsen verwendet worden. weiterentwickeln zu können und welche Position Wenn ich das wie gesagt alles kritisch moniere, hat DIE LINKE dazu? dann muss ich deutlich sagen, wir wissen, dass wir auf hohem Niveau klagen. Das Kulturraumgesetz ›› Volker Külow: Es ist nicht ganz einfach nach dem ist in der Tat ein Schutzschirm. Trotzdem findet Meister höchst selbst zum Kulturraumgesetz zu auch in Sachsen ein schleichender Kulturabbau sprechen. Möglicherweise wird das jetzt etwas statt. Um vielleicht mal eine Zahl zu nennen. Nach epigonenhaft, weil natürlich keiner in Sachsen so der Wende hatten wir tausend Bibliotheken in tief drin steckt im Kulturraumgesetz wie Prof. Vogt, Sachsen, jetzt sind es noch etwa über 500. Die der Erfinder oder Vater oder wie wir das auch Zahl hat sich zum Beispiel halbiert. Anders die Zahl 63 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

der Museen, vorhin hatte glaube ich der Tobias nächste Frage an Jayne-Ann richten. Ihr habt ja als Knoblich etwas von Wildwuchs gesagt, sie ist erstes Land den Versuch gestartet, kulturpolitische enorm nach oben gegangen. Also es gibt auch Leitlinien zu entwickeln. Ich finde das sehr vorbild- gegenläufige Tendenzen. Vielleicht noch eine gute lich. Mich interessieren Eure Beweggründe und Nachricht auf einer Konferenz der LINKEN, auch auch Eure Erfahrungen. Ich weiß, dass Ihr noch wenn es mit dem Kulturraumgesetz nichts zu tun immer in der Diskussion über den Entwurf2 seid hat, aus Zwickau. Ab morgen ist dort der Eintritt in und den sehr breit diskutiert habt. Ich war selber den städtischen Museen, weil gerade das Stich- auf Eurem Konvent. Was waren die Beweggründe wort Museen fiel, frei, kostenlos. Die LINKEN und was sind die Erfahrungen mit diesen Leitlinien? haben einen Antrag dazu im Stadtrat gestellt, dann ist anderthalb Jahre hin und her verhandelt wor- ›› Jayne-Ann Igel: Wir begannen 2009/2010 damit den. Die anderen Fraktionen hatten andere Priori- und eigentlich war unser Ansatzpunkt damals gewe- täten. Wir haben aber den kostenlosen Einlass in sen, Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpoliti- die Museen in Zwickau durchbekommen. Das will kern, die als erste unter einem Konsolidierungs- ich an der Stelle einfach mal würdigen. druck stehen und immer in einer Rechtfertigungspflicht sind, wenn es um kulturelle Ich möchte noch eine Tendenz benennen, die für Sachen geht, Argumente an die Hand zu geben, um uns sehr bedenklich ist, sie hat nicht unmittelbar in den Haushaltsdebatten, wo das eine große Rolle etwas mit dem Kulturraumgesetz zu tun. Ich will es spielt, sich besser aufstellen zu können. Wir hatten aber deutlich machen, weil es wahrscheinlich in damit auch ein Weiterbildungsangebot verknüpft anderen Ländern ähnlich ist: Zunehmend hat die und das auch in ein, zwei Regionen durchgeführt Sächsische Staatsregierung den Hang zur Privati- und merkten aber recht schnell, dass wir mit sierung, es ist gewissermaßen so eine Art Entstaat- unseren Thesen, die wir erarbeitet haben, so 12, 13 lichung, so will ich es mal nennen, der Kulturstruk- Stück, längst nicht dem gerecht werden, was wir turen, das gilt für die Sächsischen Schlösser, für das Land Sachsen eigentlich brauchen an Burgen und Gärten zum Beispiel. Da wird dem kulturpolitischen Ansätzen. Den Hintergrund bildete Ganzen im Augenblick die Spitze aufgesetzt. Jeder ja zum einen die Banken- und Finanzkrise. Es ist ja hier im Saal kennt sicherlich das Meißener Porzel- bekannt, wer die Mittel dafür dann aufgebracht hat lan, Böttcher, August der Starke und so weiter und und wo sie dann eben auch fehlen. Zum anderen, so fort. Nach dem Willen der Gesellschaft, das ist dass die EU-Sonderfördermittel für die neuen der Freistaat Sachsen, wird das jetzt in einen Länder, das wurde heute auch schon mal genannt, internationalen Lifestyle- und Luxuskonzern sich in absehbarer Zeit verringern bzw. dass sie umgewandelt und dadurch, dass es eine private auslaufen werden und der Staatshaushalt entspre- Rechtsform hat, haben wir als Landtag überhaupt chend schmaler aussehen wird. Was auch ein keine Möglichkeit mehr, dort noch in irgendeiner Problem ist, weshalb die Decke dieser löblichen Form einzugreifen. Wir haben einen Antrag gestellt, Kulturräume resp. deren Ausstattung doch ein dass das mal thematisiert wird. Da sind wir vor bisschen enggestrickt ist oder löchrig. Löchrig zwei Tagen abgebürstet worden von der Staatsre- aufgrund der fehlenden Dynamisierung der finanzi- gierung. Das ist nicht mehr feierlich. Es gibt eine ellen Ausstattung dieser Kulturräume. Das muss enorme Unruhe. Es hat inzwischen abnorme man schon benennen. Das ist ein Fakt: die gleiche Aspekte angenommen, da wird schon ganz viel gar fixe Summe für jedes Jahr ohne Inflationsausgleich, nicht mehr mit Porzellan gearbeitet, sondern in da kann man sich ausrechnen, dass das eigentlich Italien wird der Schmuck hergestellt, wo bloß noch eine Kürzung ist. Von Sparen möchte ich gar nicht die Schwerter reingestampft werden. sprechen. Also das waren die Ansatzpunkte gewe- sen. Aus diesen Thesen haben wir einen Text Im Großen und Ganzen muss man schon sagen, gemacht und sind dann ins Gespräch getreten, mit das Kulturraumgesetz ist ein Erfolgsmodell. Wir den Akteuren, d.h. wir haben das Papier flächende- haben mehrmals seine Aufstockung von 86,7 auf ckend versandt an die Kulturraumsekretäre, die 100 Millionen wegen Inflationsausgleich gefordert Kulturraumpräsidenten und so weiter, an Akteu- in den Haushaltsverhandlungen. Damit konnten wir rinnen und Akteure in den verschiedenen Regionen uns nicht durchsetzen. Aber im Großen und und auch Rückmeldungen bekommen. Darin Ganzen ist es toll und wie gesagt, wir haben noch wurden auch Probleme benannt und Fragen immer eine relativ stabile Infrastruktur in Sachsen und wenn ich hier kritische Anmerkungen mache, dann weiß ich, wie dramatisch anderswo die Situation ist. 2 Die Kulturpolitischen Leitlinien der LINKEN in Sachsen sind am 8. Februar 2014 vom Landesverband verabschiedet worden, die digitale Fassung ist verfügbar unter: http://www.die-linke.de/ ›› Dr. Annette Mühlberg: Vielen Dank. Ich möchte fileadmin/download/kultur/weitere_texte/140208_kulturpolitische_ zunächst im Sächsischen Raum bleiben und die leitlinien_sachsen.pdf 64 Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte › ›

gestellt. Zum Beispiel: Wollt ihr vorrangig eine sind vorhin noch einmal darauf eingegangen, vor Bestandswahrung hier haben oder geht es nicht dem Hintergrund der Definition der Kultur als vielmehr auch um eine Kulturentwicklung und wie Pflichtaufgabe. Wir haben lange Zeit auf der soll die aussehen? Es kommen immer mehr Pro- politischen Ebene darüber diskutiert, ob das zu jekte dazu, die sich diesen Kuchen teilen und wie einem Verwaltungswirrwarr führen könnte, wo müssen wir da verfahren? Muss es da nicht wirklich dann vielleicht noch die Zuordnung von Kulturein- auch um ein Kulturentwicklungskonzept gehen? richtungen je nach Verwaltungsgröße stattfinden könnte. Aber Sie haben das ja vorhin noch einmal Es ging auch um den demografischen Wandel, was sehr deutlich erläutert, vor dem Hintergrund, dass machen wir mit den ländlichen Räumen, die immer auf der kommunalen Ebene die Decke immer mehr ausdünnen. Es gibt jetzt in Sachsen so ein kürzer wird und nicht alle politisch engagierten Beispiel. Man kämpft in Seifhennersdorf um den Bürger Kulturbürger sein wollen, wenigstens nicht Erhalt einer Schule. Und wahrscheinlich sind sich dann, wenn es um das Geld geht, ist es immer sehr die Akteurinnen und Akteure, die um den Erhalt leicht, wenn bei der Bewertung der Haushalte dieser Schule in dieser Kleinstadt kämpfen, gar gesagt wird, es werden erst die Pflichtaufgaben nicht so recht bewusst, was sie da eigentlich tun: erledigt und die werden oft nicht mehr in ausrei- Dass sie diese Schule auch als kulturellen Ort ihrer chender Form erledigt werden können und dann Stadt erhalten wollen. Es ist vielleicht ein letzter die freiwilligen Aufgaben. Wir haben in vielen kultureller Ort und Anknüpfungspunkt, den es da Bereichen ein Verständnis dafür, dass diese noch gibt in Seifhennersdorf und Umland. Also Gestaltungskraft da sein muss und ich muss auch solche Prozesse gibt es schon auf dem Land, und sagen, in Thüringen jammern wir gewissermaßen ich denke, in dieser Hinsicht müssen die Leitlinien auf hohem Niveau. Ich werde es aber dann auch noch weiter qualifiziert werden. Da ist noch nicht eingrenzen. Wir jammern deshalb auf hohem alles getan. Oder es wurde angefragt: Was ist Niveau, weil es tatsächlich gelungen ist mit dieser eigentlich mit den basiskulturellen, soziokulturellen Landesregierung, die aus SPD und CDU besteht, Einrichtungen. Wie steht Ihr dazu? Ich will jetzt den Kulturhaushalt zu erhöhen, bei einem sinken- wirklich nicht diese Trennung zwischen Hoch- und den Gesamthaushalt. Wir haben ja aus Sachsen Basiskultur aufmachen, aber ich meine, letztere den Finanzstaatsekretär importiert bekommen sind wirklich an der unteren Kante der Förderung, samt seiner großartigen Vorstellung zum kommu- weil die Förderung in Sachsen in den letzten Jahren nalen Finanzausgleich. Die Wirkungen sind jetzt oder fast schon ein Jahrzehnt oft von einer institu- unmittelbar vorhanden. Und es ist gelungen und tionellen auf eine Projektförderung umgestellt das sage ich auch ein bisschen mit Selbstbewusst- wurde, und das macht es schwierig, in solchen sein, auch durch den Druck der LINKEN und früher Projekten vorausschauend zu arbeiten. der PDS, dass wir jetzt einen Kulturlastenausgleich in Höhe von 9 Millionen im Haushalt eingestellt ›› Dr. Annette Mühlberg: Danke. Von den Regionen haben, der so ausgereicht wird, dass drei Land- würde ich jetzt zunächst gerne nach Thüringen kreise und mehrere Gemeinden, also Städte, einen gehen. Liebe Birgit. Das Kulturraumgesetz in Zuschuss erhalten, wenn sie einen bestimmten Sachsen war oder ist das für Euch in irgendeiner Betrag an Kulturförderung aus dem eigenen Form Anregung auch über gesetzliche Regelungen Haushalt selbst aufbringen und die Kulturquote, und über einen Lastenausgleich zwischen den das hat heute Morgen Tobias Knoblich noch einmal Kommunen nachzudenken? gesagt, über 4 Prozent ist. ›› Dr. Birgit Klaubert: Als ich vor einigen Jahren, das Wir haben jetzt in der eigenen Partei die Diskussi- war im vergangenen Jahrtausend, in den Thüringer on, wir haben eben nicht nur CDU-Landräte, wir Landtag kam, war dieses Modell aus Sachsen haben drei linke Landräte und wir haben auch eine eigentlich das Vorbildmodell. Dazu muss ich sagen, Oberbürgermeisterin in Eisenach mit dem Partei- dass ich aus Altenburg komme und Sie werden das buch der LINKEN, dass dort jetzt so die Vorstellung wissen, dass in der Naumann-Kommission dieser entsteht, dass dieses Geld pauschal zugeordnet Standort Altenburg eine Rolle gespielt hat damals würde. Und wir sagen aus kulturpolitischer Sicht, in der Überlegung mit dem Bergarbeiterorchester, nein, es ist völlig richtig, dieses Geld daran zu dem Symphonieorchester Borna und dem Zeitzer binden, dass die Kulturaufgaben erledigt werden. Theater zusammen zu arbeiten. Es gab nur drei Es ist gewissermaßen ein Belohnungsmechanis- Probleme, nämlich drei Landesgrenzen. Vor diesem mus, der stattfindet und den man durchaus noch Hintergrund bin ich damals in den Landtag gegan- ausweiten kann. Ich denke und da will ich noch gen und habe mir vorgestellt, dass das Modell für einmal bei Volker Külow, aber bei seiner Interventi- Thüringen übertragbar wäre. Aus heutiger Sicht on heute Morgen, anknüpfen. Ich denke wir muss ich sagen, es ist insgesamt nicht übertragbar, müssen radikaler die Forderung nach Förderung aber eben in vielen Bereichen. Und als Erstes, Sie von Kultur aussprechen. Und es tut mir sehr weh, 65 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

dass der Genosse Gysi zu solchen Aussagen und auch über die Chancen in Thüringen eventuell kommt, wie sie vorhin genannt wurden. Und ich etwas in Anlehnung an das Sächsische Kulturraum- weiß auch nicht aus welchen Informationen er gesetz auf den Weg zu bringen. diese Aussage speist, dass die Kultur nicht die Kernkompetenz der LINKEN ist. Ich glaube, Kultur ›› Dr. Birgit Klaubert: Ja, wir haben begonnen mit ist Kernkompetenz keiner Partei unter heutigen einem Kulturfördergesetz, in dem wir uns dann an Bedingungen. Aber wir hätten die Chance, dieses einem bestimmten Bearbeitungspunkt ganz einfach zur Kernkompetenz zu machen, als bildungsdemo- mal Prof. Zembylas einluden, der sich maßgeblich kratisches und soziales Problem. Das könnte ihm für die österreichischen Kulturfördergesetze ja mal mitgeteilt werden, dem Genossen Gysi. Dem einsetzte. Und da haben wir auch eine größere Genossen Riexinger habe ich das übrigens schon Veranstaltung gemacht und alle Kulturverbände, mal gesagt. alle Kulturschaffenden, übrigens auch verschie- dene politische Parteien haben gesagt, wir brau- Wir müssen da auch selbstbewusster sein und da chen ein Kulturfördergesetz. Dann haben wir das geht es nicht nur darum, um noch mal an Zimmer- erstmal definiert: Kulturförderung, es geht nicht mann anzuknüpfen, immer nur das Bestehende zu nur um den Erhalt, wir wollen die Förderung. Und erhalten oder wie Tobias Knoblich heute Morgen dann sind wir in die Falle geraten. Und die war zu sagte, jedes neu gefundene Denkmal, in welchem beschreiben, was Kultur für DIE LINKE ist und das sich jemand befindet und dieses als Museum in Gesetzesform zu gießen. Und dann hatten wir erklärt, gleich in den nationalen Kulturbestand unendlich viele Ausformulierungen für jeden aufzunehmen und es zu fördern. Aber ich denke, Bereich, den wir im kulturellen Umfeld haben und Kulturförderung, um unserer Nachwelt etwas von haben dann erst einmal aufgegeben. Dann sind uns uns zu übergeben, könnte zur ursprünglichen die GRÜNEN als Partner abhanden gekommen, Aufgabe der LINKEN im Interesse des demokra- dass muss ich auch dazu sagen, die hatten dann tischen Funktionierens der Gesellschaft werden. plötzlich finanzpolitische Richtlinien, da ging es Da wünsche ich mir mehr Radikalität, mehr Freude dann mehr darum, dass man die Haushalte sanie- an diesem Thema und auch mehr Selbstbewusst- ren möchte und dann haben die dann plötzlich sein, so wie das jetzt im Bundestagswahlprogram- gesagt, dass sie solche Kulturfördergesetze nicht mentwurf ist, geht das gar nicht. Aber das ist ja mehr mitmachen können aufgrund ihrer eigenen jetzt nicht das Thema. Die Situation, was wir in den politischen Entscheidungen. Das Gesetz liegt vor, Flächenländern als kulturpolitische Ideen einbrin- also in dieser Rohfassung und ich würde mir sehr gen, ist glaube ich ein beredtes Beispiel dafür, dass wünschen, dass wir dann vielleicht in der SKK dazu wir diese Kompetenz auch haben, aber anders mit noch eine Beratung vornehmen. Wir müssen das dieser Kompetenz umgehen müssen. Ich wünsche eindampfen auf einen händelbaren Gesetzentwurf mir weniger die Bestätigung unserer Positionen, und trotzdem in diesem Gesetzentwurf es wenig- sondern ich wünsche mir vielmehr, dass wir als stens so weit verankern, dass wir Kultur entwickeln LINKE die Kraft in den Ländern haben bei einem können für die Zukunft. Vielleicht gelingt uns das gestaltenden Kulturföderalismus, die Ideen der auch mit den unterschiedlichen Ansätzen in den Kulturschaffenden, der Kulturorganisatoren, die einzelnen Ländern und wir würden da gerne unser Ideen aus der Soziokultur, die Idee der Vernetzung, angearbeitetes Werk zur Verfügung stellen. von Bildungs- und Kultureinrichtungen, also der bisher klassischen Bildungs- und Kultureinrich- ›› Dr. Annette Mühlberg: So sollten wir das machen. tungen, aufzunehmen. Und ich denke da liegt ein Das nehmen wir uns heute vor. Das nehmen wir mit ungeheures Potential für uns und ich denke im und ist schon auf meinem Aufgabenzettel. Ich Kontakt auch mit jenen, die Kultur gestalten wollen wollte jetzt aber kurz etwas zu Gregor Gysi sagen, und genießen wollen und zwar von ganz klein an, weil die zitierte Äußerung aus dem Zusammenhang können wir die Erfahrungen der Länder auch in die gerissen ist. Zunächst kann ich etwas sehr positives Bundesrepublik und ich sage jetzt noch mal auch vermelden, draußen liegen Vorankündigungszettel. ganz deutlich in eine europäische kulturelle Vielfalt Wir werden noch im Juni eine umfassende kultur- einbringen. Wir stellen dabei derzeit unser Licht und medienpolitische Publikation der Bundestags- unter den Scheffel. Das tut mir manchmal sehr fraktion DIE LINKE veröffentlichen, mit dem Titel weh und deswegen muss ich sagen, mehr Selbst- »Zukunft ist ein kulturelles Programm«3. Wer die bewusstsein.

›› Dr. Annette Mühlberg: Liebe Birgit, bevor ich noch 3 Die Publikation der Bundestagsfraktion DIE LINKE. »Zukunft ist ein etwas zu Gregor Gysi sage, etwas Erläuterndes, kulturelles Programm. Kultur- und medienpolitische Positionen« ist möchte ich noch bei Dir nachbohren. Ihr habt im Juni 2013 erschienen, die digitale Fassung ist verfügbar unter: einen Entwurf für ein Kulturfördergesetz in die http://dokumente.linksfraktion.net/download/130506-linkekul- Diskussion gegeben, dass Du dazu etwas sagst tur-komplett-100dpi.pdf 66 Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte › ›

Geschichte des Programms »Kultur für alle« kennt Nordrhein-Westfalen gehen, und Lorenz Mueller- weiß, dass das ein Zitat von Hilmar Hoffmann ist, Morenius befragen, der ja ein richtiger bildender das wir da ganz bewusst aufgreifen, und diese Künstler, Maler, Zeichner ist, aber auch ein Multi- Bewertung zieht sich eigentlich durch die Beiträge, funktionär in den vergangenen Jahren. Ihn möchte auch Birgit Klaubert hat einen Beitrag in dieser ich zunächst nach den Chancen eines Förderge- Publikation. Es schreiben Gregor Gysi, Oskar setzes in Nordrhein-Westfalen fragen. Lafontaine, Katja Kipping, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Rosemarie Hein, unsere Bildungspolitische ›› Lorenz Mueller-Morenius: Liebe Kolleginnen und Sprecherin, Kathrin Senger-Schäfer, sie war heute Kollegen. Die Kulturdebatte in NRW ist geprägt von Moderatorin, unsere Medienpolitische Sprecherin, gegensätzlichen Diskussionen. Wir haben einen Dr. Petra Sitte, unsere Technologie- und Wissen- Kulturrat, aber dieser Kulturrat ist ausschließlich schaftspolitische Sprecherin über Digitalisierung, den Urheberinnen und Urhebern vorbehalten und Herbert Behrens über soziale Lage von Künstlern, verpflichtet. Da sind alle Landesverbände organi- Heidrun Blum über Stadtentwicklung und Kultur, siert, die Urheber vertreten, Musikschule, Medien, Norbert Hackbusch über Hamburg – eine Stadt ist Bildende Kunst und so weiter. Das ist deshalb keine Marke, Wolfgang Brauer: Berlin am Bundes- anders als hier beim Bundeskulturrat mit Olaf tropf über Sinn, Licht und Schatten der Hauptstadt- Zimmermann, weil auf Landesebene die Verwerter kulturförderung und Birgit eben über das Kulturland sich eigentlich nicht organisieren, denn sie sehen Thüringen, Stefan Liebich, für eine Kultur des ihre Lobby in Berlin, beim Bundestag. Das heißt, Friedens, Prof. Dr. Lothar Bisky, Europa als kultu- wir haben einen starken Kulturrat, der sehr selbst- relles Projekt. Also eine umfassende Publikation. bewusst und markant die Belange der aktiven Schon alleine dies ist denke ich ein absolutes Plus Künstlerinnen und Künstler vertritt und der schon und ein Zeichen, dass wir den Wert von Kultur fast Zelte im Landtag hat, weil er regelmäßig schon sehen. Und Gregor hat dort einen Aufsatz, hingeht und sagt, so und so ist das mit dieser oder den wir dann alle nachlesen können, wo er beginnt jener Sache. Wir haben um den Haushalt sehr und das hatte ich in einer kleinen Runde vorab gestritten in diesem Jahr. Er ist linear gekürzt erzählt, dass Kultur gemeinhin nicht zum Marken- worden. Uns hat es nicht eingeleuchtet, dass man kern der LINKEN gehört. Das seien nicht nur eigene einen Minihaushalt für Kultur auch noch mitkürzt. Versäumnisse, sondern das hänge auch mit unserer Wir sind tatsächlich reingegangen und haben Geschichte zusammen, weil sich die LINKE nun mal gesagt, es kann auch sein, dass man an einer in der Geschichte als eine Partei der sozialen bestimmten Stelle einen Haushalt erhöht. Nämlich Gerechtigkeit formiert hat. In seinem Beitrag aber dann, wenn man einsieht, dass das ein besonders sagt er dann, dass Kultur etwas ist, was scheinbar wichtiger Teil der gesellschaftlichen Realität ist. außerhalb der sozialen Frage liegt, aber eben nur Davon sind wir ausgegangen. Wir haben natürlich scheinbar, denn im Folgenden erläutert er dann wie nicht gewonnen. Aber, die Debatte steht an und ich auch in der Geschichte der Arbeiterbewegung das muss Euch ehrlich sagen, was Olaf Zimmermann Thema Kultur immer wieder aufgerufen wurde, in hier geschildert hat, mit der Beteiligung des den verschiedenen Stationen und tatsächlich einen Parlaments und den Parteien in solch einem ziemlich hohen Stellenwert hatte und er argumen- Kulturkonvent, das ist für mich ein bisschen tiert dann in seinem Beitrag mit verschiedenen gefährlich, weil dann ein vorgebliches Konsensmo- Gründen dafür, dass es ein Mehr an Kultur in der dell herauskommt, das auch im Landtag fortwirkt, Gesellschaft geben muss. Insofern, liebe Birgit, aber am Ende keine Auswirkungen auf den Haus- lesen wir vielleicht erstmal alle den Beitrag von halt hat. Aber es geht ja noch weiter. Dieses Gregor. Modell, das Ergebnis wird als Alibi gegen die Akteure verwendet. Die Politiker können, wenn sie ›› Dr. Birgit Klaubert: Na ich habe ja vorhin nur den kürzen, den Akteuren sagen, wieso, da waren Sie Satz korrigieren müssen, weil mir das immer weh doch dabei. Das haben Sie doch mitgemacht. Da tut, wenn so ein Satz im Raum steht. ist in Nordrhein-Westfalen die Sache viel strenger, viel kontroverser und heftiger, obwohl ich zugeben ›› Dr. Annette Mühlberg: Wir haben nach der Publika- muss, dass im Vorstand, ich bin selbst Mitglied im tion aber sehr wohl diskutiert, dass wir uns in der Vorstand des Kulturrats NRW, dass im Kulturrat LINKEN mit diesem Zusammenhang von Kultur sehr viele Geschäftsführer von Landesverbänden und sozialer Frage auch in der Arbeiterbewegung sind, die mittelbar in ihren Zuschüssen von der und unseren eigenen linken Traditionen näher Landesregierung abhängig sind. Wenn die inzwi- beschäftigen wollen und wollen das auch in der schen auch sagen, jetzt müssen wir was tun, dann Rosa-Luxemburg-Stiftung tun. Also das ist die ist es wirklich nötig, dann wird es ernst. Konsequenz. So, jetzt kommen wir aber sozusagen nach dem Werbeblock wieder zum Thema des Wir haben mobilisiert und wir werden das noch Podiums zurück. Jetzt würde ich gerne nach weiter machen, wir haben eine Unterschriften- 67 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

sammlung im Internet veröffentlicht, mit 8000 offen ist und wo alles stattfindet, was wichtig ist Unterschriften. Wir haben im Vorstand eine ganz für Stadt. Neulich war in Münster eine Aufführung eigentümliche Allianz. Es gibt eigentlich nur zwei »Der Räuber«. Da hat eine kleine Gruppe von unabhängige Gruppierungen. Das ist einmal der Occupy-Leuten die Bühne besetzt, hat getanzt, Vorsitzende, der ehemalige Bundesminister Baum gesungen und mitgemischt. Und Kollegen, was von der FDP und ver.di. Wir beide haben mit der meint Ihr denn was passiert ist im Publikum? Die Landesregierung nur Diskussionen, keine finanzi- haben geklatscht. Die Eltern haben gesagt, endlich ellen Abhängigkeiten. Und wir haben tatsächlich Theater, das mit den aktuellen Problemen etwas zu den ganzen Kulturrat davon überzeugt, dass wir tun hat. Das ist möglich. Und das wird auch diesmal hingehen müssen und sagen nein, der unterstützt, das heißt, die Leute wollen einen Raum Kulturetat soll nicht gekürzt werden. in der Stadt, der ihnen gehört und in den sie alle gehen können. Das heißt nicht, dass Theater sich Das was jetzt hier zur Debatte steht in diesem total ändern muss. Das heißt nicht, dass nicht alles Raum, dieses Kulturfördergesetz, dafür liegt aufgeführt werden kann. Aber es muss sich momentan in Nordrhein-Westfalen nur eine Ankün- weiterentwickeln. digung vor. Und das ist nicht das, wovon hier geredet wird. Diesem Kulturfördergesetz liegt kein Der Intendant von Bochum bringt Opel auf die Geld zu Grunde. Es geht hier nicht um Förderung. Bühne. Das ist ein Thema der Stadt. Das muss im Es geht um all die Gefahren, die hier debattiert Theater besprochen werden. Meiner Ansicht nach worden sind, die hier nur verschlüsselt in der braucht er gar kein Drama daraus zu machen, Ankündigung formuliert werden, um Zusammenle- sondern er kann das Thema bringen. Wie er das gungen, um Schließungen und so weiter und so macht, weiß ich nicht. Aber das sind doch Zeichen fort. Und da muss man verdammt aufpassen, wie dafür, dass wir in das Verständnis von Theater auch man da agiert. Da muss man auch klar Kante ganz anders eindringen und damit auch das zeigen. Da muss man auch klar sagen, ich bin Theater immer wichtiger machen, die Kultur immer Künstler und ich vertrete die und ich will etwas für wichtiger machen. Und ich glaube, dass es gar die erreichen. Unser Intendant in Münster erzählte nicht so schwer ist, den unglaublich wichtigen mir neulich, er wisse, die Kulturschaffenden, die Charakter von Kultur, für jeden einzelnen von uns Angestellten im Theater sind prekär beschäftigt. zu verdeutlichen, also ich halte es für eine Erkennt- Gleichzeitig warf er ver.di vor, es mache die nisebene, ein Weg zur Erkenntnis der Gesellschaft, Theater kaputt, weil es Tarifverhandlungen führe zur Kommunikation. Das heißt, es ist ursächlich mit relativ gutem Ergebnis im öffentlichen Dienst. unser Leben, dass wir als Kultur bezeichnen, uns Das kann man nicht so nebeneinander stellen, aneignen und damit umgehen. Und dann können zumal der Mann selber in der Tarifkommission des wir auch Erkenntnisse über unseren Zustand und Bundesverbandes ist, der hier gerade genannt unser Wollen gewinnen und uns meinetwegen worden ist. Bei uns in Münster, ich bin auch ein unsere politische Meinung bilden. Das ist eine Mitglied des Kulturausschusses im Rat der Stadt, Kette. Sehen Sie, wir haben neulich in ver.di über ich muss allerdings sagen, ich habe den Vorteil, ich Arbeitszeitverkürzung diskutiert. Ganz tolle Leute brauche keine Finanzbeschlüsse zu fällen. Ich kann aus Betrieb, Betriebsräten, Vorsitzende, es war wirklich reine Interessenvertretung betreiben. Das alles vertreten und sie diskutierten darüber, wollen finde ich sehr gut, das mache ich auch. Und es ist die Leute denn das, wollen die nicht mehr Geld und also so, das Theater als GmbH, kann die Tariferhö- so weiter und so fort. Dann hat ein Künstler sich hungen nicht erwirtschaften also muss die Kom- gemeldet und alle haben sich gefragt, was will der mune die Mehrkosten tragen, das macht sie. denn, der arbeitet doch gar nicht. Was meldet sich ein Künstler zum Thema Arbeitszeitverkürzung. Und wissen Sie, was in NRW sich eingebürgert hat? Dann habe ich denen gesagt, Leute, das Leben ist Das ist ein ganz interessantes Phänomen. Es hat endlich. Wir müssen alle wissen, dass es zeitlich sich eingebürgert, dass man direkt zum Bürger begrenzt ist. Dass wir Entscheidungen fällen, die geht. Die Politiker haben geglaubt, wenn wir im nicht widerrufbar sind. Das wir Zeit brauchen für Internet den ganzen Haushalt darstellen und uns, zum Nachdenken, zum Genießen, zur Freude sagen, Leute sagt uns mal, wo wir sparen können, und so weiter. Das heißt, Arbeitszeitverkürzung dann kriegt die Kultur einen drauf und wir brau- muss auch unter Aspekten diskutiert werden, die chen überhaupt nichts mehr zu machen. Und das wir in der klassischen Diskussion der Gewerkschaft ist nicht passiert. Das ist der Ansatz, mit dem wir gar nicht drin haben. Und ich glaube, das berührt arbeiten müssen. Die Bürgerinnen und Bürger in die Leute viel mehr, als man annimmt. Was glaubt unserem Land wollen Kultur. Und wenn es uns Ihr, was da geschehen ist? Ich bin nicht ausgelacht gelingt, das aktiv weiter zu verbreiten, mehr daraus worden. Sie haben nichts mehr gesagt. Sie haben zu machen, ich sage immer, das Theater muss ein gesagt, na Mensch, das ist ja ein toller Gedanke. kommunaler Raum sein, der 24 Stunden am Tag Und damit war die Diskussion vorbei. Das heißt, 68 Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte › ›

wir müssen den Kulturbereich als viel wichtiger ›› Dr. Annette Mühlberg: Ich bitte Dich recht herzlich, erfinden und darstellen, als er allgemein angenom- eine Frage an das Podium zu richten. Nun gut, men wird. Es ist so, dass er als dekorativ angenom- dann war das eher eine Feststellung. Vielen Dank. men wird. Er ist klassisch bürgerlich. Wir haben ja Gibt es weitere Fragen beziehungsweise Kurzkom- das Theater in die Städte geholt. Aber wir müssen mentare? Keine? Da das nicht der Fall ist, würde es erobern. Wir können es auch erobern. Wir sind ich jetzt gerne zu einer kleinen Abschlussrunde das dabei. Dankeschön. Wort wieder ans Podium geben und zwar unter folgender Fragestellung, wo Du ganz sicher auch ›› Dr. Annette Mühlberg: Danke Lorenz. Ich bin mir was zur Freien Szene sagen kannst Lorenz. Tobias nicht so sicher, ob der Kulturbereich noch so Knoblich hat heute früh in seinem Vortrag über die bürgerlich ist. (Einwurf Lorenz Mueller-Morenius: Ja Notwendigkeit gesprochen, dass sich in der eben nicht!) Ich möchte jetzt gerne die Debatte ins Kulturförderung etwas ändern muss, weil Kulturför- Publikum und die Möglichkeit zu Anfragen an das derung arm macht. Also Kreative, gerade die, die Auditorium geben. sich im soziokulturellen Bereich bewegen, freie Kulturmanager, Angehörige der Freien Szene ›› Steffen Reichardt: Gut. Als Erstes mal folgendes, können von ihrer Arbeit nicht leben. Ich richte die zu dem Kollegen aus Nordrhein-Westfalen. Ich abschließende Frage an die Runde, aus Euren kann folgendes sagen. Wir haben vor zwei Jahren in Erfahrungen in den Ländern, Luc hat heute kurz Leipzig, im Sinne von »occupy«, ein Tänzchen etwas aus der Bundesperspektive gesagt, was gemacht. Und zwar, dieses Adventssingen, das wir denn in den Ländern dafür getan werden kann, gemacht haben, da haben wir klassische Weih- dass sich das ändert? nachtslieder umgedichtet und zwar mit brisanten politischen Texten. Die Leute blieben auf dem ›› Lorenz Mueller-Morenius: In Münster setze ich Weihnachtsmarkt stehen und klatschten uns Beifall mich immer für das städtische Theater ein. Einmal und wollten uns Geld geben. Wir haben kein Geld weil da Leute beschäftigt sind und zweitens tue von ihnen genommen. Wir haben gesagt, wenn ihr ich das aus folgendem Grund: Wenn wir das die Texte verinnerlicht, dann ist euch viel mehr Theater in Münster einstampfen, dann wird das geholfen, als dass ihr uns Geld dafür gebt. Im Geld in den Straßenbau fließen und nicht in die letzten Jahr habe ich Theater mitgespielt. Ich stand Kultur. Wenn wir es einstampfen, wird ein wesent- auf der Bühne, mit einer Hauptrolle im Leipziger licher Diskussionsfaktor von Kultur in einer Stadt, Zentraltheater. Wir haben dort von Bertolt Brecht der auch der Freien Szene zu Gute kommt, flach- die »Heilige Johanna der Schlachthöfe« gespielt, die fallen. Das heißt, wir brauchen eigentlich gar haben wir für die Jugend umgeschrieben, mit keinen Kulturausschuss mehr. Also ich bin da Punkmusik, mit allem Drum und Dran und haben offen für Anregung und Diskussion, aber ich bin das dann bloß noch »Heilige Johanna der Schlacht- der Meinung, dass diese Abhängigkeit zwischen höfe« genannt. Ich kann nur eins sagen, dieses institutioneller Kultur, also der Bühnen und den Stück kam ganz groß raus. Es kam zwar zu einer Freien schon da ist und das man das Eine nicht Kritik in der Leipziger Volkszeitung, einem bürger- schließen kann. Im Geheimen habe ich bei den lichen Blatt, aber die können das auch ruhig GRÜNEN in Münster den Eindruck, vertreten sie kritisieren, das macht nichts aus. Leider Gottes hat tendenziell die Ansicht, macht doch das Theater unsere Partei davon keine Kenntnis gehabt, zu einer Hülle, ladet einmal, fünfmal oder zehnmal jedenfalls habe ich niemanden von der Partei in im Jahr ein Ensemble ein, fertig ist der Lack, das den Rängen gesehen. Das erst mal dazu. kostet keine 19 Millionen. Da bin ich skeptisch. Da sehe ich mehr untergehen, gerade weil Mün- Ich möchte noch etwas sagen zum Thema Hochkul- ster eine Stadt in einem ländlichen Raum ist, tur – Freie Szene. Die Hochkultur ist für mich ein ringsum nur Wiesen und Weiden und dann kommt Unwort, sage ich ganz ehrlich. Es kommt auf die schon Holland und das geht ja sowieso bald unter. Qualität an, die geboten wird. Das kann die Hoch- Also, da muss man schon überlegen, soll man dem kultur genauso wie die Freie Szene. Auch in der zustimmen, Theater weg, Geld sparen, also wie Freien Szene werden sehr gute Stücke bearbeitet. gesagt, ich glaube, dass das so im Kulturbereich Es gilt auch für unsere Partei, der Freien Szene eingesparte Geld anderen Etats zufließt und noch mehr Augenmerk zuwenden zu müssen, dass deshalb der freien Szene nicht automatisch zu wir selber uns der Volkskunst widmen, Volkskunst Gute kommt. Das ist ein großer Irrtum der Freien nicht im Sinne von Volksliedern, ich spreche von Szene. Deshalb meine Mahnung, freie Kultur und der Kunst, die im Volk zu Hause ist. Und da sollten Kulturinstitutionen einer Stadt müssen zusammen wir uns viel mehr auch um diese Sachen kümmern. mit den Bürgerinnen und Bürger einer Stadt Wir sollten uns darum kümmern, dass diese Arbeit agieren und ihre Kultur erhalten und die Gelder nicht immer bloß umsonst erfolgt. dafür sichern.

69 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

›› Dr. Birgit Klaubert: Es geht ja um die Überwindung ›› Volker Külow: Ich teile erst einmal die Einschät- der prekären Beschäftigung und was dazu nötig ist, zung. Ich glaube, das müssen wir uns wirklich noch das kann man nicht kurz sagen. Nur auf zwei Dinge einmal ins Bewusstsein rücken, dass die prekäre will ich dabei verweisen. Das eine ist, wir haben Beschäftigung, die gewissermaßen oftmals Schlag- zahlreiche Beschäftigte in diesem Bereich, die zeilen in bestimmten Branchen macht, die man so durchaus unter Tarifbedingungen arbeiten könnten, allgemein kennt, bei den Friseuren, bei der Logistik aber die Tarife werden unterlaufen. Das ist nicht oder wo auch immer gestreikt wird, dass die im nur an den Theatern so mit Haustarifverträgen. Das Kulturbereich extrem stark ist und die funktioniert ist zum Teil an den Musikschulen so, ist auch an nur deshalb so wenig schlagzeilenträchtig, weil der den Jugend- und Kunstschulen so, dort haben wir Grad der Selbstausbeutung gekoppelt ist mit einer hervorragende, hochqualifizierte, langjährig zum Teil falschen Selbstverwirklichung. Katja schaffende Kulturmenschen, auch teuer ausge­ Kullmann hat das in ihrem Buch »Echtleben« sehr bildete, die für einen Hungerlohn arbeiten. Dort gut beschrieben, die Prozesse, die dort stattfinden. müsste man die kommunale Ebene mit Geld Und wir haben mal eine bekannte Berliner Losung verstärken und natürlich auf der kommunalen mit »Arm ist nicht sexy« paraphrasiert und dazu Ebene auch zulassen, dass im Rahmen der kommu- glaube ich ein ganz interessantes Positionspapier nalen Selbstverwaltung Musikschulen, und Jugend- geschrieben. Ich will die Radikalität von heute kunstschulen mit festem Lehrpersonal ausgestattet Vormittag noch einmal aufgreifen. Es wird enorm sein können. Da wäre ein Ganzteil schon gelöst. viel Geld in vermeintliche Zukunftstechnologien Für die Bereiche der Freien Szene, für verschie- gesteckt, die aus meiner Sicht völlige Sackgassen- dene Bereiche der Subkultur, die wir oft gar nicht projekte sind. Stichwort Automobilwerke, was da erkennen, die also erst entstehen und irgendwann zum Teil an öffentlichen Fördermitteln 50, 100, da sind, für viele bildende Künstler wäre es gut, wir 200 Millionen Euro reingesteckt wird, wenn man könnten, ich weiß nicht, nennen wir es noch so die den Kreativen zur Verfügung stellen würde, einen »öffentlich geförderter Beschäftigungssek- könnte man aus meiner Sicht viel mehr erreichen, tor« finanzieren. Das ist ein Unwort eigentlich, natürlich auch viel mehr Wandlungsprozesse in der heißt aber, dass wir Projekte finanzieren mit Gesellschaft und ich weiß schon, worüber ich Personal und Sachkosten, die kann man durchaus spreche, also Leipzig boomt ja gerade, zieht ja nach bestimmten Zeiten anschauen, evaluieren, ob sogar aus Berlin, Hamburg und so weiter Kreative sie einen entsprechenden Beitrag für die Gesell- ab, einfach weil es dort noch sehr billigen Wohn- schaft gebracht haben. Aber sie werden in jedem raum gibt. Gerade in meinem Wahlkreis, da mar- Fall im Non-Profit Bereich angesiedelt sein. Würde schiert die Gentrifizierungswalze durch. Wer sich in man solche Projekte über längere Jahre, zum Leipzig ein bisschen auskennt, so aus der Südvor- Beispiel drei bis fünf Jahre ausstatten, dann stadt, aus Connewitz geht es jetzt nach Lindenau könnten in diesen Bereich übrigens sogar Aus­ und Leutzsch rüber und natürlich ist das alles bildungsplätze für junge Kreative entstehen. richtig, was die Birgit gerade gesagt hat oder auch der Lorenz. Aber wie gesagt, ich denke wir müssen Eine dritte Idee, die hatten wir im letzten Wahl­ an der Stelle mitunter auch ein bisschen kühner programm schon, die hieß Kreativitätsinseln. Das werden als LINKE, ohne dass ich das jetzt aus der war so eine Art Aufforderung zur Instandbesetzung Hand schütteln kann, aber nach meinem Dafürhal- von Denkmalen. Das Staatswesen sichert dafür, ten muss es stärker von uns aus auch zur Sache dass Dach und Fenster dicht sind und die Zuwe- gehen. Vielleicht noch eine Zahl. Wie gesagt, gung vorhanden ist. Es hatte sich damals übrigens Sachsen klagt auf hohem Niveau, aber der Kultur­ eine Universität, die Bauhaus Universität in anteil am Haushalt ist in den letzten Jahren von Thüringen angeboten, die Projektsteuerung zu 2,17 Prozent, ich weiß, das ist enorm viel, im übernehmen und das gibt man an insbesondere Vergleich zu anderen Haushalten, auf 2,02 Prozent junge Leute auch aus aller Welt, die in solchen zurückgegangen. Das sind fast 10 Prozent, wenn Objekten alle möglichen kreativen Berufe ausüben man das ins Verhältnis setzt. Mit Kultur kann man können, vom Filmemachen in der Fabrikhalle bis keinen Haushalt sanieren, mit Einsparungen, aber zum Restaurator in einem denkmalgeschützten man kann unglaublich viel kaputt machen, was Gebäude. Man gibt ihnen einen Coach an die eigentlich in der Gegenwart und vor allem für die Seite, damit sie den ganzen Verwaltungskram nächste Generation in der Zukunft viel leisten kann nicht selber machen müssen und hätte tatsächlich und wie gesagt, ich wünschte mir, dass wir das in eine Willkommenskultur auch in diesem Bereich. ein paar griffigeren Formeln hinbekommen. Ich will Das könnte man politisch umsetzen. Das wären nicht gegen Brot und Rosen polemisieren, aber schon mal drei Bereiche, in denen Berufe für ich weiß nicht, ob das noch genau der Slogan ist, Künstlerinnen und Künstler oder für Kreative auch mit dem man jetzt in den nächsten Jahrzehnten gesichert wären. oder nächsten Jahren schon des 21. Jahrhunderts mobilisieren kann und unser Anliegen auch wirklich 70 Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte › ›

auf einen Begriff bringen kann. Aber ich habe auch die in der sogenannten Kultur- und Kreativwirt- keinen besseren, im Augenblick. schaft tätig sind, in Klein- oder Kleinstunternehmen oder halt als Selbständige. Dringlich wäre es zum ›› Jayne-Ann Igel: Wir hatten ja schon mal in den, ich Beispiel, dass es da Honorar-Untergrenzen gibt. möchte es mal so nennen, Goldenen 90er Jahren, Dringlich wäre für Kreative, für Künstlerinnen und so etwas wie einen öffentlichen Beschäftigungs- Künstler, z. B. für MusikerInnen, dass die Kommu- sektor. Der nannte sich damals ABM und Struk- nen gucken, ob sie Räume zur Verfügung stellen turanpassungsmaßnahmen (SAM). Ich habe davon können, leerstehende Räume, die dort eben damals selber profitiert und konnte mit dieser SAM bespielt werden könnten. Da gibt es genug. Wir Literaturförderung für Jugendliche betreiben. Mit haben genug Bürohäuser, die leerstehen und gut ausgestatteten Mitteln, das Gehalt war in andere, die instandgesetzt werden könnten. Ordnung, aber auch die Mittel für unsere Projekte Wichtig wäre auch eine Vernetzung, zwischen den mit den Jugendlichen waren in Ordnung. Das ist Institutionen, die gut oder hoch subventioniert dann weggebrochen oder wurde immer mehr werden und der freien Szene. Da könnte es Syner- eingeschmolzen. Dann kam Schröder mit seinem gieeffekte geben. Es wäre gut, wenn die Häuser Versprechen an alle Kreativen, dass das die sich öffnen. Das wurde heute auch schon mal von Zukunft ist, kreativ tätig zu sein und man selbstbe- Herrn Zimmermann genannt und das finde ich sehr stimmt arbeiten und leben kann. Da sind viele förderlich da auch dran zu bleiben. drauf eingestiegen, aber das ist dann ziemlich rasch neo-liberal umformuliert worden und aus ›› Dr. Annette Mühlberg: Vielen Dank Jayne-Ann, dieser Selbstbestimmtheit und Flexibilität sind vielen Dank an die Podiumsteilnehmer. Und damit neue Abhängigkeitsverhältnisse entstanden, das beenden wir dieses Podium und kommen zum steht bis heute zu Buche und darunter leiden viele, nächsten.

71 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten

mit Wolfgang Brauer (MdA, Kulturpolitischer ›› Matthias Zarbock: Lohnt es sich nicht über Sprecher der Linksfraktion in Berlin), Heimo Lattner Popkultur zu reden, wenn wir über Kulturförderung (Bildender Künstler, Haben und Brauchen, Berlin), reden? Siri Keil (Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Norbert Hackbusch, MdHB, Fachsprecher für ›› Siri Keil: Ich glaube, sich jetzt über eine Sparte wie Kultur der Linksfraktion in Hamburg), Alexander Popmusik zu unterhalten, also sind wir jetzt beim Pinto (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Hafencity Thema Kulturwirtschaft? Es wäre zu differenzieren, Universität Hamburg/Kultur der Metropole) inwieweit Popmusikkultur gefördert wird, in welchen Städten und mit welchen Maßnahmen und Moderation: Matthias Zarbock Fördermitteln und Möglichkeiten. Das wäre eine (Sprecher der LAG Kultur Berlin) Möglichkeit, auf so eine Frage einzugehen. Das andere, einfach nur die Frage Hamburg oder Berlin, Hauptstadt der Popkultur… ›› Matthias Zarbock: Einen wunderschönen fast ›› Matthias Zarbock: Gegenstandslos? schon Abend von mir, Matthias Zarbock, kommu- nalpolitischer Kulturpolitiker hier im Bezirk Pankow! ›› Siri Keil: Ja. Bis alle meine Gesprächspartner hier oben im ›› Matthias Zarbock: Wir reden heute Abend aber Podium sind, vielleicht noch einmal eine kleine auch über den Wettbewerb der Städte. Ich begrüße Anmerkung zum Ort der heutigen Veranstaltung. Wolfgang Brauer, Kulturpolitischer Sprecher der Heute Morgen haben wir ja viel über die Geschich- Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und der te gehört. Eine Ergänzung könnte da durchaus Landesarbeitsgemeinschaft Kultur der LINKEN. sinnvoll sein. Der Pfefferberg hat sich von einem Neben ihm Alexander Pinto. Ihn stelle ich jetzt mal sozialen und kulturellen Projekt zu einer touristi- wieder etwas mehr vor. Künstlerischer Projektlei- schen Infrastruktur entwickelt. Nähe zur Kommu- ter, Produzent Theater und Tanz, Kurzfilm, K3 nalpolitik gibt es in letzter Zeit vor allem bei Zentrum für Choreografie Tanzplan Hamburg, Baugenehmigungen. Böse formuliert von einer ehemaliger Vorsitzender des Dachverbandes Freier MieterInnendemo: der Pfefferberg ist Teil der Theaterschaffender Hamburg, Wissenschaftlicher Gentrifizierung geworden. Wir sind also mitten in Mitarbeiter der Hafencity Universität, Schwerpunkt einer Metropole mit Metropolenphänomenen und Kulturpolitik und Management, Altstipendiat der reden über Kultur- und Stadtstaaten und ich Hans Böckler Stiftung. Fehlt etwas? begrüße dazu neben Berlinern zwei Hamburger, eine Hamburgerin, einen Hamburger und stelle ›› Alexander Pinto: Sicher, aber das reicht. jetzt die Gesprächspartner vor. ›› Matthias Zarbock: Und als letzten, vorhin schon Zuerst neben mir Siri Keil, freie Kulturarbeiterin, aufgerufen, jemand der eigentlich dann in Sachsen Aktionshopperin beim Netzwerk »Recht auf Stadt«, relativ wenig Spuren hinterlassen hat, aber anson- Radio-Moderatorin, Wissenschaftliche Mitarbeite- sten auf der Welt so einige. Heimo Lattner, bilden- rin/persönliche Referentin von Norbert Hack- der Künstler, stellte aus und arbeitete in Wien, busch, dem Kulturpolitischen Sprecher bei der London, Salzburg, New York, Linz, Tokio, Shanghai, LINKEN in der Hamburger Bürgerschaft. Wer bist Christchurch (Neuseeland), lebte sechs Jahre in Du noch? Wenn Du noch ergänzen willst? New York und hat international Radiobeiträge und Vorträge geliefert. Fehlt etwas? ›› Siri Keil: Lassen wir es dabei, ist alles gut. ›› Heimo Lattner: Ach, das ist letztlich auch nur eine ›› Matthias Zarbock: Dann vielleicht eingangs, weil ganz normale Künstlerbiografie, wie sie sich heute die Konkurrenz zwischen den beiden Städten steht schreibt. Aber aus dieser Auflistung lassen sich sowieso im Raum, die Frage: Hamburg oder Berlin, Schlüsse auf die aktuelle Situation in Berlin ziehen, Hauptstadt des Pop? nämlich dass man hier als Künstler noch verhält- nismäßig gut arbeiten kann, aber sein Geld ver- ›› Siri Keil: Kein Kommentar. dient man meist wo anders.

72 Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten › ›

›› Matthias Zarbock: Hamburg, aus der Ferne eine ›› Siri Keil: Der Zeitpunkt, an dem »Recht auf Stadt«, Stadt, die ihre Großbauprojekte nicht stemmen dieses stadtpolitische Netzwerk in Hamburg sich kann. Eine Stadt, die versucht, mit der Kultur eine gegründet hat 2009, fiel zusammen mit der Marke zu bilden und genau von den Kulturschaffen- Besetzung des Gängeviertels in Hamburg. Das war den eine große Gegenbewegung hervorruft. Was ist tatsächlich eine Situation, wo sehr günstige Hamburg noch? Eine Metropole von Weltgröße und Rahmenbedingungen für Vernetzungen stattgefun- Rang oder so piefig wie Berlin manchmal ist? den haben. Sprich, das Netzwerk »Recht auf Stadt« hat sich gegründet. Das Gängeviertel wurde ›› Siri Keil: Ich glaube Hamburg ist beides. Hamburg besetzt, bespielt und das Gängeviertel stand als ist selbstverständlich eine große Stadt und darf eine Form von genau dieser Verknüpfung mit der sich auch ruhig Metropole nennen. Das ist völlig in Stadtentwicklungspolitik, weil es darum ging, dass Ordnung. Das trifft nämlich zu. Versagt an seinen diese historischen Häuser im Höchstpreisverfahren Großbauprojekten, konkret Elbphilharmonie, ja zuerst an den Investor verkauft worden sind, der klar. Lässt sich auch nicht leugnen. Macht Kultur- sie komplett umwandeln wollte, sprich die histo- marketing beziehungsweise vermarktet die Kultur rische Substanz abreißen wollte. Vor dem Hinter- in Hamburg, ja tut Hamburg auch. Ich finde man grund diese historische Substanz zu erhalten, muss ein bisschen differenziert darüber reden, weil sprich Denkmalschutz und vor dem Hintergrund es auf eine Art einer Stadt oder einer Metropole fehlender Räume für Kulturschaffende in Hamburg, wie Hamburg nicht übel zu nehmen ist, dass sie hat sich das dann relativ schnell ausgeweitet. Das nach Außen hin damit wirbt, dass es Kultur in der Gängeviertel sollte zu einem offenen Ort der Stadt gibt, weil es ist ein guter Grund in eine Stadt Begegnung werden, sprich ein soziokulturelles zu fahren. Das geht mir auch so. Ich kucke ja auch, Zentrum. Da kamen relativ viele Punkte zusammen, wenn ich in andere Städte fahre, was haben sie für wo Kultur und Stadtentwicklung sich tatsächlich ein kulturelles Angebot und so weiter. Von daher berühren. Und die gibt es auch, das ist gar nicht zu würde ich jetzt einer Stadt wie Hamburg nicht leugnen, im Gegenteil und es sind auch Punkte, die vorwerfen, dass sie mit ihrer Kultur Marketing man sehr gut nutzen kann und sollte. Von daher betreibt. Die Frage in Hamburg ist und die stellt war die Situation sehr günstig und hat zur Folge sich jetzt zuletzt aufgrund der Kultur- und Touris- gehabt, dass im Nachklang der Kulturkürzungen im mustaxe, die eingeführt wurde, inwieweit liegt der Herbst 2010 die Solidarisierung tatsächlich gut Schwerpunkt in der Kulturpolitik auf der attraktivi- funktioniert hat. Damals hatte es durch den tätssteigernden Kultur und welche Schlüsse sind Schwarz-Grünen Kultursenat eine relativ große daraus zu ziehen. Wenn es um die Verteilung der Steilvorlage für Solidarisierungsaktionen gegeben, Mittel geht, da gibt es eine relative klare Tendenz, dadurch dass es drastische Kürzungen im Kulture- die vielleicht auch nachvollziehbar ist. Aber was ich tat geben sollte, bei denen das Schauspielhaus um für problematisch halte ist, dass es mit einer sehr mehrere Millionen gekürzt werden sollte, bei denen großen Selbstverständlichkeit in den Diskussionen das Altonaer Museum geschlossen werden sollte um die Frage welche Kultur in Hamburg wie und es ein relativ schneller und starker Protest gefördert werden soll, eine Unterscheidung gibt war. Ob das heute immer noch so wäre, ist fraglich, zwischen attraktivitätssteigernder und weniger wenn ich z. B. an die Debatten und Auseinanderset- attraktiver Kultur. Das empfinde ich tatsächlich als zungen um die Kulturtaxe denke. Ich habe relativ ein Problem. Aber trotzdem diese Vermark- lange vermisst, dass es eine starke Formulierung tungsstrategie der Stadt beziehungsweise die von Forderungen oder eine starke Solidarisierung Attraktivitätssteigerung gehört mit in den Diskurs mit Kulturschaffenden gibt. Auch in Hamburg hat darüber, wie Kultur in Hamburg wahrgenommen sich jetzt eine Koalition der Freien Szene mit Hilfe wird. der Berliner Kollegen gegründet. Von daher, es gibt Bewegung, das ist auch gut. Inwieweit das aktivier- ›› Matthias Zarbock: Nun haben wir diese Attraktivi- bar ist, hängt glaube ich wie überall sehr stark an tätsanker und Vorgänge wie den um das Museum konkreten Anlässen. Altona. Zu Deutsch, wir haben Leuchtturmprojekte und auf der anderen Seite haben wir Dinge, die ›› Matthias Zarbock: Es gibt nicht nur Strukturen, aufgrund der knappen Kassen wie überall auch in Initiativen und Netzwerke, sondern es werden auch Hamburg wegfallen. Aber nun gibt es in Hamburg Texte produziert und in diesen Texten lesen wir und auch in Berlin und wie gesagt, Du bist ja Teil jetzt oft von Künstlerinnen und Künstlern Aussagen davon, sicherlich nicht in irgendeiner Form von zu städtischen Räumen und zu Metropolen, auch Sprecher oder Funktion, eine Form von Vernet- dazu, wie so eine Stadt sich selbst definiert. Ich zung, von ganz verschiedenen Initiativen, auch aus zitiere mal aus dem einen Papier von »Recht auf dem kulturellen Bereich, nicht nur, »Recht auf Stadt«. Wolfgang Brauer würde ich bitten, sich Stadt« seit ein paar Jahren, welche Erfahrungen schon mal eine Reaktion dazu einfallen zu lassen. hast Du damit gesammelt? »Ein städtisches Programm, das tatsächlich die 73 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Menschen und ihre Bedürfnisse an die erste Stelle und der Regierende Bürgermeister, der gleichzeitig setzt und eben nicht die Ökonomie, wird das Kultursenator ist, wird juckig bei allem, was nach neoliberale System nicht von sich aus hervorbrin- Event riecht. Der Rest interessiert ihn nicht. Das ist gen.« die Situation in Berlin. ›› Wolfgang Brauer: Da kann ich nicht widerspre- ›› Matthias Zarbock: Eine nette Überleitung, die Du chen. Nein, es ist einfach so, aber diese Aussage mir abgenommen hast. »Haben und Brauchen« berührt schon ein Kernelement kulturpolitischen Berlin, da haben wir ja jetzt hier oben jemanden zu Denkens, was wir auch versucht hatten gemeinsam sitzen, ist eine Initiative, die aus dem Bereich der zu finden, auch hier in Berlin. Es ist heute den bildenden Künste kommt, aber die nicht nur über ganzen Tag viel über Konzeptionen und Strategie- Förderung und Institutionen redet, sondern auch findung gesprochen worden. Über Geld will ich darüber hinaus geht und viele dieser Forderungen jetzt gar nicht reden. Berlin hat genug. Die Frage dann auch in anderen Politikbereichen nahe der ist nur, wo geht es hin. Das ist der entscheidende LINKEN sind. Phänomenal immer wieder, Räume in Punkt. Wir hatten in Berlin um die Jahrtausendwen- der Stadt werden nicht nur als Räume, die man de eine Expertenkommission »Zukunft Berlin«. abbildet oder als Ateliers, betrachtet. Wie kommt Dann gab es daraus resultierend ein bürgerschaft- es, hat es mit der historischen Entwicklung in liches Forum »Zukunft Kultur«. Die Fraktion der Berlin zu tun, dass dieses Themenspektrum von PDS und dann später der LINKEN hat sich in diese »Haben und Brauchen« so breit aufgestellt ist. Und, Diskurszusammenhänge eingebracht. Wir haben in würdest Du es in Kürze vorstellen, dass wäre eine unserer Regierungszeit versucht, in der Landeskul- sehr gute Gelegenheit. turpolitik das, was sich an Konsequenzen für diese Metropole aus der Arbeit der Enquete-Kommission ›› Heimo Lattner: Diese breite Aufstellung, wie Du es des Bundestages »Kultur in Deutschland« herunter- nennst, hat mit der historischen Situation in Berlin brechen lässt, tatsächlich in Politik einfließen zu zu tun. Dieser Boom in Berlin beruht darauf, dass lassen, waren dann gemeinsam so weit im Jahre es lange Zeit erschwinglichen und günstigen 2011 und da begegnet sich das mit dem Hambur- Wohn- und Arbeitsraum gab und dass in diesem gischen Gedanken. Auf der Vorgängerveranstaltung Umfeld, in dem man auch weitgehend auf Förde- der heutigen Konferenz setzte sich dann der rungen verzichten konnte, auch eine bestimmte Gedanke durch, dass Kulturpolitik Stadtentwick- künstlerische Praxis entstanden ist. Eine künstle- lungspolitik ist und Stadtentwicklungspolitik ohne rische Praxis, die an demokratischen und gesell- Kulturpolitik einfach zum Scheitern verurteilt ist. schaftsbildenden Prozessen teilhaben möchte. Wir Wir gossen das in unser Wahlprogramm, leider sprechen jetzt nicht von der klassischen Ausstel- kriegten wir fürchterlich eine abgewatscht bei den lung, von Messen, dem Kunstmarktbetrieb, son- darauf folgenden Wahlen. Zu diesem Gedanken dern das ist wirklich eine komplett andere Praxis, bekannten sich übrigens merkwürdigerweise auch die heute Gang und Gebe ist, und an Universitäten die Parteien, die heute in der Senatskoalition im Kunststudium gelehrt wird. Die Leute, die in sitzen. Die vergaßen das aber noch am Wahlabend »Haben und Brauchen« tätig sind, sind in erster und erschreckender Weise für mich setzte sich Linie Leute aus dieser Zeit. Kulturschaffende, die dieser gedankliche Ansatz auch in unserer eigenen 10, 20 Jahre oder vielleicht noch länger in Berlin Partei, im eigenen Landesverband nicht unbedingt leben und eben diese Phase miterlebt und mitge- durch. Das macht das Ganze schwer. Insofern sind prägt haben, und diese Beschleunigung, diese wir sehr glücklich darüber, dass sich in diesen Veränderung des Stadtraums in ihrer Arbeit Prozessen nach 2011 Künstlerinnen und Künstler reflektiert haben. Konkret entstand Haben und zusammen taten und einen ganz anderen kulturpo- Brauchen in Reaktion auf die 2011 geplante litischen Ansatz einforderten, in Gestalt der »Leistungsschau«, die später dann »Based in Initiativen Haben und Brauchen und der Koalition Berlin« genannt wurde. Eine Ausstellung, die eine für die Freie Szene und versuchten, Kulturpolitik in Wahlkampfveranstaltung des Bürgermeisters war. Berlin wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Als einige bildende Künstlerinnen und Künstler Und wir begegnen uns da fast zu 100 Prozent davon Wind bekommen haben, haben sie das kongruent in den Ansätzen. Die Frage ist nur, wie Konzept der Ausstellung angefordert und siehe da, kriegt man es durch. Weil die offizielle Kulturpolitik es gab eigentlich kein Konzept, aber es gab 1,2 Mil- des Landes ist eigentlich von zwei Zielstellungen lionen Euro für diese Ausstellung, wo man sich bestimmt: Da wo der Bund das Reden hat, über auch gefragt hat, wie kann das denn sein. Wir sind das Geld hauptsächlich, folgt man einem Leitge- so Pleite, aber 1,2 Millionen für irgendetwas, wofür danken, den seinerzeit Christina Weiss mal salopp es kein anspruchsvolles Konzept gibt, da bleiben formulierte in einem Interview »Es muss mehr wir doch jetzt mal kurz dran. Und so kam es dann Glanz in die Hütte.« Da braucht Daniel Baremboim eben auch zu der Gründung von »Haben und nur zu schnipsen und dann sind 100 Millionen da Brauchen« und seither ist es einfach verdammt viel 74 Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten › ›

Arbeit, die da hineingeht und man versucht mit risch gewachsene sprachliche Kultur abgezielt, die dem Senat, beziehungsweise mit der Politik in er versucht hat in Verfahrenstechniken und gesetz- Kontakt zu treten und überhaupt erstmal über liche Regelungen zu übertragen. In der Stadtfor- Gesprächsformen und über Themen nachzuden- schung gibt es einen ähnlichen Ansatz. Der grün- ken, die eine zeitgenössische Kulturpolitik in der det sich auf den Begriff der Kapitalien von Pierre Stadt dringend nötig hätte. Bourdieu und geht davon aus, dass jede Stadt einen bestimmten Habitus hat mit einem bestimm- ›› Matthias Zarbock: Nötig hätte, Alexander Pinto, ten kulturellen Kapital. Mein Ansatz oder das, was diese Stadt wahrscheinlich auch irgendwie Kultur- ich eigentlich interessant finde, wäre zu überlegen, förderung aus dem Metropolenbegriff endlich neu macht denn jede Kultur in jeder Stadt überhaupt abzuleiten. Du hast Dich intensiv mit Stadtfor- Sinn auf der Grundlage eines solchen bestimmten schung und dem Blick auf Kultur beschäftigt. Worin Habitus der Stadt? Allgemein kann man sagen, unterscheidet sich das, was derzeit Praxis ist von Hamburg ist eine Stadt der Pfeffersäcke. Das ist dem was für Dich ein adäquaterer Ansatz wäre. eine Kaufmannsstadt. Sie haben sich erst 1912 eine Universität gegönnt. Das heißt, da ist ein ganz ›› Alexander Pinto: Also intensiv mit Stadtforschung anderes Bildungs- und Kulturverständnis als direkt beschäftige ich mich erst seit 3 bis 4 Jahren. beispielsweise in einer Stadt wie Berlin, die in Vorher war ich freischaffend im Theaterbereich Brüchen gelebt hat, wo Kreativität eine kulturelle tätig. Was die Praxis betrifft, so haben wir zumin- Praxis sein musste, in West-Berlin aufgrund der dest in Hamburg, was die freie Theaterszene räumlichen Gegebenheiten, in Ost-Berlin aufgrund anbelangt, ziemlich Glück gehabt. Wir haben wie der politischen Gegebenheiten. Da sind ganz alle freien Künstler auch natürlich mehr Geld andere kulturelle Praxen entstanden als in Ham- gefordert und eine Differenzierung der Förderstruk- burg, ist eine ganz andere Kreativität, ganz andere turen. Wir haben aber eine Strategie gefahren, improvisatorische Praxen entwickelt worden, auch dass wir gesagt haben, wir würden vorschlagen, durch die Vereinigung. Mit so einem Ansatz dass es eine Potentialanalyse gibt. Dafür hatten wir beschäftige ich mich und schaue, wie lässt sich so auch aus der Bürgerschaft von der LINKEN sowie ein Ansatz auch in den Bereich von Kulturförderung von den GRÜNEN eine starke Unterstützung. Diese übertragen. Ich gehe davon aus, das hat man auch Potentialanalyse des freien Theaters in Hamburg bei Herrn Zimmermann gesehen, dass es eine gab es dann, von der Kulturbehörde beauftragt und andere Ertüchtigung braucht und wenn das aufgrund dieser Potentialanalyse gab es Verände- aufgrund des speziellen kulturellen Potentials einer rungen der Förderstrukturen und zusätzlich mehr Stadt oder Region geht, dann ist mir das lieber als Geld. Jetzt ist es natürlich so, dass mit der Kultur- wenn die Politik sagt, wir können uns das nicht taxe die freie Theaterszene wieder fordert, wir mehr leisten, jetzt machen wir das nicht mehr. brauchen mehr Geld, was auch durchaus legitim ist. So kann man das ganze sicherlich weiter ›› Matthias Zarbock: Bei der Frage nach den soge- drehen und die Argumentationen und die Forde- nannten neuen Ideen, neuen Konzepten bin ich vor rungen werden nie ein Ende nehmen. Aber wo ist kurzem bei Heiner Goebbels gelandet. Er fordert in die Grenze? Im Gegensatz dazu fand ich diesen einem Text freie Häuser mit ganz kleiner Ausstat- Potentialansatz spannend und dann hatte ich die tung an Personal, Technik ist dabei, aber kein Möglichkeit, in die Wissenschaft zu gehen und in echtes großes Ensemble, ohne Vorgabe für ein der Stadtforschung gibt es einen ähnlichen Ansatz. Repertoire, ohne Vorgabe für Einnahmen, für Es ist leicht, vor allem aus der Opposition heraus, Effektivität und behauptet, dass dadurch For- den Abbau der kulturellen Infrastruktur zu bekla- schungsstätten der Kunst eigentlich nur möglich gen und dagegen zu sein. Auch hier muss ich wären, weil man weggehen müsste von den festen gestehen, habe ich nicht wirklich viele Ansätze Institutionen und eine neue künstlerische Freiheit gehört, sondern habe gerade so ein bisschen den suchen sollte. Ich weiß nicht, vor wenigen Stunden Eindruck, dass es, was vielleicht auch an der fiel mir irgendetwas von den Augen runter und ich Parteiveranstaltung liegt, so eine Selbstvergewisse- dachte dann, dass wir genau das haben: Das rungsgeschichte ist, dass wir ja alle gegen den Thälmannpark-Areal hier im Bezirk, ein ehemaliges Abbau von Kultur sind. DDR-Kulturhaus, das inzwischen so runter gespart ist. Da haben wir eine leere Hülle. Da spielen nur Einen interessanten Ansatz fand ich den von Herrn freie Theatergruppen im Theater Unterm Dach. Wir Vogt mit dem Kulturraumgesetz und ich bin sehr haben eine künstlerische Leiterin, die die Qualität dankbar, dass ich ihn erleben durfte, insofern bin sicherstellt, aber es ist trotzdem kein Konzept, ich auch sehr gern hier gewesen. Vielleicht haben was marktgängig ist und das ist natürlich auch ein Sie das mitbekommen. Er hat eine Folie gezeigt Begriff, mit dem Du Dich auseinandersetzen musst und zwar gründet das Kulturraumgesetz auf den an der Stelle. Von innerer Logik und von der Bewer- Dialekträumen. Das heißt, er hat auf eine histo- tung von Außen, Qualität, Marktgängigkeit etc., das 75 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

formt ja eine Stadt auch mit. Wir sind in einer habe, da war dann das Argument, man muss die Stadt, die unheimlich viel kulturelle Produktion hat, jungen Künstler dem Markt zuführen, dann läuft unheimlich viel Content, in einem Überangebot, das schon von selbst. Worauf der Verband Bilden- dass jeder die Gefahr eingehen muss, prekär zu der Künstler eine Studie in Auftrag gegeben hat, arbeiten, produzieren muss, immer wieder sich neu die gezeigt hat, dass von den in Berlin lebenden erfinden muss und er stellt es in den Stadtraum. Künstlern ungefähr 6 Prozent permanent mit einer Ich glaube, dass der Berliner Stadtraum, da ist die in Berlin ansässigen Galerie zusammen arbeiten. Frage – vielleicht auch der Hamburger? – inzwi- Also dieses Modell funktioniert schon von vornhe- schen fast überformt von diesen Selbstinszenie- rein nicht. Berlin ist keine Stadt, in der Kunst rungen ist. Dadurch entsteht ein Bild einer Stadt, verkauft wird, sondern Berlin ist eine Stadt, in der die kulturell noch attraktiver wird, die wiederum Kunst produziert wird. Genau das zeichnet die nach Außen hin vermarktbar ist, die im Wettbewerb Stadt aus, genau das macht diese inhaltliche mit anderen Städten ist, die dann als Metropole Aufladung, diese Vitalität Berlins aus. Und genau die Kultur sehr marktwirtschaftlich oder sehr darauf, vielleicht ist es auch schon zu spät, ich ökonomisch definiert. Das ist die Frage, die ich weiß es nicht, darauf muss jetzt geachtet werden, da an die Stadtforschung habe. dass diese Räume, dass diese Strukturen erhalten bleiben. Dafür setzen sich Künstler der Freien ›› Alexander Pinto: In solchen Konzepten wird immer Szene ein. Vorhin wurde gesagt, die Freie Szene sei noch unterschieden, zum einen zwischen dem Subkultur. Das stimmt nicht. Die Situation in der Image einer Stadt und der Imagination einer Stadt. Bildenden Kunst, das wurde auch von Klaus schon Das Image einer Stadt ist, das hat Siri gerade auch erwähnt, ist eine andere als im Theaterbereich. für Hamburg ganz klar gemacht, Hamburg vermark- Bildende Künstler sind nicht an Häuser gebunden, tet Kultur und auch nur einen bestimmten Kultur- oder an Ensembles. Wir haben keine Tarifverträge, bereich, ganz klar um Touristen anzuziehen und nur die Einkünfte der bildenden Künstler in Berlin Tourismus ist neben dem Hafen der zweitgrößte sind ähnlich gering wie die der Darstellenden Wirtschaftsfaktor mittlerweile in Hamburg. Vor Künstler. 31 Prozent der bildenden Künstler in allem Musicals, Hamburg ist europaweit mittlerwei- Berlin leben von einem Einkommen bis maximal le eine der Musical-Städte. Das heißt in Hamburg 1 000 Euro im Monat. 24 Prozent bis zu 500 Euro, ist Kultur in diesem Sinne auch immer einem 6 Prozent haben gar keine Einnahmen. gewissen Vermarktungsdruck unterworfen. Nichts- destotrotz stellt sich aber die Frage nach der Es sind, gerade mal 3 Prozent, die über 2 500 Euro Relevanz, welche Kultur ist relevant. Für manche im Monat verdienen, da fallen aber auch die hinein, kann sich die Relevanz durchaus auch darin die Millionen machen mit ihrer Kunst. begründen, dass eine Stadt Touristen anzieht, ein Wirtschaftsfaktor ist. Es kann für mich aber auch ›› Matthias Zarbock: Jetzt kam hier natürlich, weil Relevanz produzieren in dem Sinne, dass sich eine jemand der ehemalig die Macht mitvertreten hat, städtische Öffentlichkeit, eine städtische Gesell- der Hinweis auf unsere Berliner Regierungsbeteili- schaft mit sich selbst befasst, mit sich selbst gung. Mich interessiert ja auf gewisse Art und diskutiert. Das Gängeviertel ist in dem Fall wirklich Weise die Überforderung der Macht in der derzei- ein großartiges Beispiel, weil da genau das passiert tigen Situation, gar nicht eine finanzielle Überfor- ist, was Kunst, was Kultur für mich im Sinne von derung, sondern eine Überforderung, wie geht man gesellschaftlicher Relevanz am wichtigsten tun soll, eigentlich mit solchen vollständig neuen Konzepten nämlich miteinander zu diskutieren, wie wollen wir in Gesprächen um. Ich stelle mir jetzt vor, »Haben hier leben. Das ist immer wieder ein Spannungs- und Brauchen« wendet sich an den Staatssekretär feld, das gerade auch in Hamburg, was ja eben Kultur und der sagt, ja aber das ist doch Stadtent- sehr kaufmännisch, sehr wirtschaftlich orientiert wicklung. Dann müssen Sie sich zur Senatsverwal- ist, ganz klar gegeben ist. Im Gegensatz dazu tung für Stadtentwicklung bewegen. So ein Bei- Berlin, da muss ich auch gestehen, verstehe ich spiel: Es gibt hier im Bezirk ein Atelierhaus, das Berlin manchmal nicht, dass da so einer Eventkul- jetzt einfach als Liegenschaft verwertet werden tur anheim gefallen wird, weil aus meiner Sicht hier soll. Die Künstler wehren sich dagegen, dass sie ein ganz anderes Potential liegt, als in Hamburg, ihre Ateliers verlieren und da sind drei Senatsver- gerade im freien subkulturellen Bereich. waltungen, die über Bande in der Öffentlichkeit sehr unterschiedliche Darstellungen davon geben, ›› Heimo Lattner: Die große Frage, die im Raum steht was sie eigentlich wollen. Der Kulturstaatssekretär ist die: Worin besteht denn die Anziehungskraft sagt, natürlich will er die Ateliers erhalten, die einer Stadt, wenn sie nicht mehr inhaltlich gefüllt Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sagt: »Ja ist. Berlin ist keine Stadt, in der Kunst groß ver- gut, wir wollen es eigentlich nicht mehr verkaufen« kauft wird. Das läuft nicht. Das ist eine Illusion. und der Finanzsenator sagt, na das wollen wir erst Dieses »Based in Berlin«, von dem ich gesprochen mal sehen, ob wir nicht dieses Areal irgendwie 76 Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten › ›

besser nutzen und abreißen können, so lautet dann Eventkultur, ja, genau das versuchen sie zu pu- die Variante beziehungsweise: Wohnungsbau. schen bis zum Gehtnichtmehr und wenn es halt nur eine Zusage ist. Ich sagte vorhin, Geld ist Aber die Frage, die ich eigentlich jetzt an Wolfgang genug da, also wurde dann ganz locker mal ein hatte ist: Wie ist das eigentlich mit diesem merk- bissel die Popkultur »gefördert«, wurde dann ein würdigen Konstrukt der Kulturmächtigen in dieser »Musicboard« gegründet und mit mehreren Millio- Stadt? Ist ein Gespräch über Inhalte überhaupt nen ausgestattet. Dem Parlament gegenüber noch möglich? Sind das Türen, die man einrennt, wurde aber fast zwei Jahre lang eine Auskunft wenn man da mit Ideen kommt? Hat sich da etwas verweigert, was der Senat denn mit dem Geld verändert in den letzten Jahren? vorhaben würde. Da haben wir nichts (zu) erfahren. 4 Millionen waren das, die hätten wir gerne woan- ›› Wolfgang Brauer: Das ist fast ein abendfüllendes ders hin gegeben. Thema. Ich versuche das mal ganz kurz zu machen. Wir waren in zwei Wahlperioden beteiligt an der Oder was weiß ich, wegen des Tourismuspotentials Regierung, es gab zwei Wahlperioden lang eine eines Kirchentages schaute der Senat gebannt Rot-Rote Landesregierung, in der ersten stellten auf Hamburg. Diese 140 000 Besucher wollte der wir sogar den Kultursenator. Das war Thomas Senat auch gerne nach Berlin haben. Er sprach mit Flierl. In diesen ersten fünf Jahren waren wir den Bischöfen, wir wollen einen Kirchentag – und tagtäglich nur mit einem einzigen Thema beschäf- wir kriegen ihn jetzt wahrscheinlich 2017. Das ist tigt und zwar mit dem Stopp des bis dahin Usus ja auch ein Treppenwitz der Weltgeschichte, die gewesenen Kultur-Abbaus. Wir haben fünf Jahre Stadt, die sich am hartnäckigsten der Reformation lang nichts anderes versucht zu tun, und da hat widersetzte, macht den Kirchentag 2017. Und wir Thomas sich auch große Verdienste erworben als, finanzieren ihn zu einem Drittel! Nicht unbedingt, na ich sage es mal mit einem Bild: Ihr erinnert weil wir alle so fromm sind, sondern weil wir auf Euch vielleicht noch an diese dramatischen diese 140 000 Menschen gieren, die hier natürlich Aufnahmen der großen Elbeflut. Als das technische Geld lassen. Das ist das, wo man gegensteuern Hilfswerk mit den Gummiplanen zu dem Deich ging muss, denke ich, was aber verteufelt schwer ist und versuchte, mit Tauchern am Deichfuss die und ich kann wirklich nur darum bitten, dass dieser Risse zu stopfen. Genau das haben wir gemacht. Diskurs am Leben bleibt, wie ihn Haben und Nichts anderes. Das ist nicht zu 100 Prozent Brauchen angestoßen hat, wie ihn die Koalition der gelungen, auch in diesen fünf Jahren starb ein Freien Szene angestoßen hat, wo es das erste Mal Orchester, ein Sinfonieorchester, in Berlin. Auch in in der Kulturgeschichte Berlins gelungen ist über diesen fünf Jahren wurden in den Bezirken Kiezbi- die Spartengrenzen hinweg diesen gegenseitigen bliotheken geschlossen, wurden Kleine Galerien Kannibalismus zu überwinden und zu sagen, ja dicht gemacht. Das ist alles passiert. Aber im o.k., wir haben hier gemeinsame Interessen. Prinzip gelang es, diesen Abbau erstmal anzuhal- Freunde, wir kämpfen hier gemeinsam gegen ten. Dann gab es einen Wechsel, und Klaus Wowe- unseren Untergang. Das ist der sinnvolle Ansatz, reit übernahm diesen Senatsposten und dann glaube ich, für die nächste Zeit. Inwieweit es da wurde innerhalb des Senats umgesteuert auf die gelingt, sozusagen Früchte an den Baum zu krie- Förderung von Eventkultur. Man benutzte dabei gen, das weiß ich nicht, ich hoffe es nur. auch Erkenntnisse, die in der ersten Wahlperiode von »Rot-Rot« sozusagen gefunden wurden, Ich weiß nur eins, dass wir auch gut beraten wären, nämlich die Tatsache, dass Kunst nicht nur so bei einer bislang fast ausschließlich angebotsorien- elfenbeinturmmäßiges Zeug für elitäre Sachen, tierten Kulturpolitik, mal ein bisschen die Nachfra- sondern für eine Stadt wie Berlin, die großflächig ge zu fördern und zwar Nachfrage da, wo sie industrialisiert wurde, auch ein Wirtschaftsfaktor entsteht, nämlich bei den Kindern. Kulturpolitik ist ist. auch Bildungspolitik und die Bildungspolitiker machen gerne mal so einen rabiaten Schnitt nach Aus dieser Erkenntnis wurde der »Wirtschaftsfaktor dem Motto, wenn mal wieder eine Pisa-Studie sagt, Kultur« gemacht, der Kulturwirtschaftsbericht dass die Kids nicht richtig rechnen können mit der wurde erstmals aufgelegt und daraus entstand Prozentrechnung oder ein Integral nicht verste- dann diese verteufelte Situation, dass Kunst und hen – dann fördern wir Mathematikunterricht zu Kultur immer wieder weniger mit ihrem Eigenwert Ungunsten von musischer Bildung und Erziehung. argumentierten, sondern mit dem schlagenden Das ist eine Katastrophe. Argument, Ihr müsst uns mal schützen, schonen und fördern, weil wir sind Wirtschaftsfaktor. Tolles ›› Matthias Zarbock: Siri, wie ist denn der parlamen- Ergebnis, weil der jetzige Senat stiert fast nur noch tarische Alltag in Hamburg. Setzt Ihr auf Landesge- auf diesen sozusagen renditeschaffenden Aspekt setze? Zum Beispiel in Berlin haben wir uns lange mit sehr merkwürdigen Förderentscheidungen. gestritten, Wolfgang und ich, ob ein Bibliotheksge- 77 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

setz notwendig ist oder ob ein schlechtes besser die Finanzierungsparagraphen kriegt ihr da nicht ist als keins. Ich glaube, Ihr habt dazu eine Haltung rein, da bin ich mir sicher –, wenn wir stattdessen entwickelt? eine Art Landeskulturgesetz hinkriegten. Da gab es schon Anläufe, ein Landeskulturgesetz, was sehr ›› Siri Keil: Wir hatten einen Antrag für ein Biblio- genau definiert, dass das Land Berlin Kultur fördert theksgesetz eingebracht. Der wurde abgelehnt. und unterstützt und zweitens sagt, wofür ist der Das ist das einzige, was wir konkret gemacht Senat zuständig, was hat die Landesebene zu haben. Was Initiativen für Kulturgesetzentwürfe machen, was erwarten wir von den Bezirken als betrifft, das wäre tatsächlich die Frage. Ich bin mir sozusagen Teilkommunen und wie nimmt sich das persönlich, muss ich hier ganz ehrlich zugeben, Land selbst in die Pflicht, die Bezirke zum Beispiel sehr unsicher, das wäre auch etwas, worüber ich in die Situation zu versetzen, dass sie die Aufgaben, sehr gerne mit denjenigen sprechen würde, die die wir ihnen überhelfen, auch erfüllen können. Erfahrungen damit haben. Wir haben heute über Und das ist der Casus Knaktus. Die Landesebene die Kulturgesetzgebungen in Flächenländern schichtet ja sehr gerne Aufgaben ab. Aber selten gesprochen. Das ist ja eine ganz andere Situation wird das Geld mitgegeben und wenn dann viel- als in Stadtstaaten wie Hamburg. Da sind ganz leicht so 80 oder 85 Prozent, denn es muss ja einen andere Aspekte zu beachten. Ich bin auch nicht Einspareffekt geben. Diesen Teufelskreis gilt es zu hundertprozentig überzeugt davon, weil ich zum durchbrechen. Das ist mein Problem mit solchen Beispiel bei der Findung der Grundsätze eines Gesetzen. solchen Gesetzes auch immer in irgendeiner Form einen partizipativen Prozess erwarten würde. Den ›› Matthias Zarbock: Ich weiß gar nicht genau, wie zu organisieren und wie die Erfahrungen damit die Bevölkerungsentwicklung in Hamburg ist. Wir sind, da würde ich einen Austausch nochmal sehr hier in Berlin haben eine positive Prognose und spannend und sehr wichtig finden, gerade für sitzen gerade in einem Bezirk, der angesagt Hamburg. Und in wie weit das für Hamburg sinnvoll bekommt: 16 Prozent Zunahme der Bevölkerung in ist, ich würde im ersten Moment sage, ja klar ist es den nächsten 20 Jahren – stellt Euch mal darauf sinnvoll, aber wie ein konstruktiver, guter Prozess ein! Alle Planungen setzen dann auf Wohnungsbau. aussehen kann, da bin ich mir persönlich jetzt Da kämpfen wir jetzt um die Zukunft von Fried­ gerade total unsicher. höfen oder Kleingartenanlagen und sehen schon längst: Die Verwaltung wächst natürlich nicht mit ›› Matthias Zarbock: Wolfgang, Du meintest struktu- der Bevölkerungsentwicklung und es kommen rell würde da ein Problem bestehen. Ich habe das immer neue Aufgaben hinzu. Aber Alexander, vorhin mit dem Zitat aus »Recht auf Stadt« ange- Du hattest eine Idee. deutet. Eine Abgrenzung bestimmter Bereiche, eine Poesie des Bekennens zur Wichtigkeit und Rolle ›› Alexander Pinto: Nein, ich habe keine Ideen. Die und Bedeutung erhält natürlich noch nicht die Ideen muss man dann immer in den Wahlprogram- Musikschullandschaft. Eine Aussage zu den men nachlesen, oder? Ich kann nur Fragen stellen. Finanzen ist notwendig. Mit solchen Argumenten, Ich weiß gar nicht, wer das gesagt hat, eigentlich würdest Du denken, sind solche Teilgesetze nicht geht es darum, erstmal die richtigen Fragen zu nötig, sind Kulturförderpläne in dem Sinne, in dem stellen und nicht gleich die Antworten zu liefern. wir sie heute übergreifender vorgestellt bekommen Es gab zwei Punkte, auf die ich noch einmal kurz haben, die Idee für die Stadtstaaten? eingehen will. Das eine ist, Sie sagten das gerade Herr Brauer, man muss bei den Kindern ansetzen. ›› Wolfgang Brauer: Stadtstaaten haben eine Beson- Dann gab es spontan Applaus und das hat man derheit. Alle politischen Grundsatzentscheidungen hier den ganzen Tag immer wieder durchklingen regeln sich über den Haushaltsplan, über das hören. Ich habe oft den Eindruck, dass Bildung Haushaltsgesetz. Das Landesparlament eines zunehmend zum einzigen Legitimationsgrund für Freistaates oder Nicht-Freistaates hat die schöne kulturelles Handeln der Politik wird. Ich merke Aufgabe, räsonierende Gremien wie Kreistage, mittlerweile einen großen Widerstand bei mir Stadtverordnetenversammlungen und alle solche gegen so eine Pädagogisierung der Kunst und der kommunalen Dinge, die so auf ihre Selbständigkeit Kultur. Jetzt gibt es zum Beispiel für Hamburg bestehen, irgendwie zu disziplinieren im Rahmen unglaublich viele Projekte, die gerade in diesem der Landesgesetzgebung. Das ist in einem Stadt- Bereich ansetzen, weil da auch gerade ganz viele staat nicht nötig und völlig überflüssig. Ich würde Fördergelder hineingehen. Da gibt es dann auch es für viel wichtiger halten, wenn es uns gelänge, immer so Wanderungsbewegungen der Künstler, zum Beispiel in Berlin anstelle einer Vielzahl von das ist ganz logisch. Wir hatten gerade die IBA, da einzelnen Kulturgesetzen, wo der Finanzierungspa- zog alles in diese Richtung, weil es da viel Geld ragraph immer rausgestrichen wird und das ist die gab. Dann gibt es die kulturelle Bildung. Dann zieht Gefahr, auch wenn Hamburg Gesetze macht – also auf einmal alles dahin. Dann ist das der Markt. Die 78 Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten › ›

Frage ist, wann ebbt diese Welle wieder ab und profitieren, muss man ja irgendwie sagen, an was kommt dann als neuer Fördermarkt, wo auch kultureller Bildung. Er hatte als Maler nicht genug wieder alle hingehen. Einkommen, aber irgendwie in die Schulen gehen und da Zeichenkurse machen, konnte ihm dann ein Das zweite ist, noch einmal die Kreativitäts- und bisschen Geld bringen. Heimo, haben diese Kulturwirtschaft, die Du vorhin ansprachst. Das Programme irgendwann mal außer solchen Neben- Problem, was ich sehe und für das ich auch noch effekten auch einen fördernden Impuls auf Leben keine Lösung oder keine Ideen habe, ist, dass wir und Arbeitsmöglichkeiten von Künstlern gehabt? grundsätzlich ja in einem sehr starken sozio-ökono- Du sprichst ja auch davon, eigentlich über so eine mischen Strukturwandel stecken. Und unsere unregulierte Zeit, wo die Räume unreguliert waren gesamten Stadtstrukturen sind nach wie vor noch in Berlin. Wo es einfach billig war. Wo man was einem fordistischen Stadtmodell verhaftet, zum machen konnte. Wo man Freiheit hatte. Gab es Beispiel bei der Bedeutung der Gewerbesteuern, irgendwann mal einen politischen Impuls, der die für die Kommunen mit eine der größten Einnah- Kunstproduktion wirklich geholfen hat? mequelle ist. Wenn Du aber mit erhöhter Mobilität zu tun hast, beispielweise mit Unternehmen, die ›› Heimo Lattner: huch, mmh (überlegt) global agieren, gibt es eine andere Einnahmesitua- tion bei den Steuern. Die städtischen Strukturen ›› Matthias Zarbock: Ist auch eine Antwort. sind aber nach wie vor auf ein sehr stark lokal orientiertes fordistisches Konzept von Stadt ›› Heimo Lattner: Ich habe leider keine Beispiele zugeschnitten. Und entsprechend merkt man parat. natürlich in den kommunalen Haushalten, dass das irgendwie nicht mehr miteinander zusammen geht. Ich sehe in der jüngsten Vergangenheit hier in Die Städte verteilen den Wohlstand nicht mehr, Berlin diesen, wie sagt man denn, diesen kleinen sondern sind dazu gezwungen, Wohlstand selber zu Versuch oder diese kleine Aufmerksamkeit, diese generieren, Wachstum selber zu generieren. Und Förderung der freien Projekträume. Gefordert war dann kam das, was Du gerade von mir eingefordert ein Bekenntnis zu diesen Orten, heißt strukturelle hast, nämlich die Idee der Kultur- und Kreativwirt- Maßnahmen zur Sicherung deren Existenz als schaft. Charles Landry mit seiner Idee der creative wichtige Orte für die Kunstproduktion in dieser cities und Richard Florida mit der creativ class. Stadt. Und die ganze Politik nimmt das komplett und unkritisch auf, weil ihnen selber die Ideen fehlen, Herausgekommen ist wieder mal ein Preis, ein und die GRÜNEN bei uns in Hamburg entwickeln Leuchtturmprojekt verbunden mit viel politischem das Konzept der kreativen Stadt Hamburg und Schnick-Schnack und Presse. 210.000 Euro verteilt gründen mit der CDU eine städtische Kreativgesell- auf 7 Räume, a 30.000 Euro. Das reicht gerade mal schaft. Wir haben heute gehört, selbst in Thüringen aus, um die Miete für zwei Jahre für so einen Raum gibt es jetzt Kreativgesellschaften. zu decken.

Ich war selbst vier Jahre kreativ schaffend in Es gibt aber Initiativen, die sich erfolgreich durch- Thüringen tätig. Insofern ist es natürlich in einer gesetzt haben, zum Beispiel das ExRotaprint oder gewissen Weise gerechtfertigt, dass sich Stadtpoli- jetzt das neueste Projekt, das Zentrum für Kunst tik auch darauf konzentriert, was sind die nächsten und Urbanistik, die es hinbekommen haben, Wachstumsmotoren. Und wenn da Kultur- und Erbpachtverträge mit der Stadt abzuschließen. Kreativwirtschaft dabei ist und Kultur damit auch eine neue Aufmerksamkeit erfährt, ist das auch ›› Matthias Zarbock: Das Atelierprogramm des positiv zu sehen. Ich glaube, ohne den ganzen Landes Berlin ist auch so eine Merkwürdigkeit. Diskurs hätten wir für die freien Theaterschaffen- Auch da erleben wir immer wieder Überraschun- den in Hamburg lange nicht das durchsetzen gen. Da, wo die Infrastruktur vorhanden ist und wo können, nämlich eine Verbesserung der Förder- sie mit Müh und Not gehalten wird, wird dieser strukturen. Insofern muss man es zwar kritisch große Kunst-Tanker Berlin, gar nicht so verortet. sehen, aber es komplett zu verteufeln, da wäre ich Und lässt sich dann natürlich schwer irgendwie eher vorsichtig. verteidigen in diesem tröpfelnden Prozess: Hier wird eine Bibliothek geschlossen, da eine kleine ›› Matthias Zarbock: Wir haben jetzt von Prinzipien Galerie – das sind wenigstens öffentlich greifbare gehört, die einwirken, ob sie aus der Politik oder Einrichtungen. Aber wie kann man die Öffentlich- aus der Gesellschaft oder vom Markt oder aus keit für den Erhalt von Ateliers mobilisieren? irgendwelchen ideologischen Konstrukten kom- men, aber, wo bleibt die Kunst? Wo bleiben die ›› Heimo Lattner: Für Projektföderung stehen seitens Kunstproduzenten. Ein Freund von mir, der konnte des Senats 50.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. 79 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Dazu kommen dann noch die Einzelstipendien, kommen, der Hotel- und Gaststättenverband ist Katalog- und Atelierföderung. Aber konkret für immer noch dagegen, aber irgend etwas wird da künstlerische Projekte und damit Honorare, sind kommen, da setzt sich die Senatsverwaltung für es eben nur 50.000 Euro. Finanzen schon durch. Vollkommen übertrieben von vielen, vielen Menschen, ich meine jetzt nicht ›› Matthias Zarbock: Wir hören, jetzt sind unbedingt die Künstlerinnen und Künstler, sind die 500.000 Euro eingeplant, die Stadt hat nämlich Einnahmeerwartungen, die werden bescheiden auf einmal genügend Geld. sein, im Höchstfall 25 Millionen Euro, da gehen dann schon mal 2 bis 3 Millionen Verwaltungsko- ›› Heimo Lattner: Die Ziffer bezieht sich auf den sten weg und jetzt hat die Koalition gesagt, nicht Projektraumpreis, der vorerst zweimal vergeben die der Freien Szene, sondern die des Senats, wird. 50 Prozent davon geben wir in die Förderung von Kunst und Kultur, in die Förderung von Tourismus Sollte die City Tax kommen und sollte ein Teil der und tourismusnahen Leistungen. Das heißt also, Einnahmen daraus wirklich in die Freie Szene wenn es denn gut geht, sind die Herrschaften fließen, werden eventuell bestehende Förderinstru- bereit, 5 bis 6 Millionen Euro rauszurücken tat- mentarien aufgestockt. Bloß auf aktuelle Gegeben- sächlich für Belange der Freien Szene zum Beispiel. heiten zu reagieren statt systematisch vorzugehen Das ist natürlich ein lächerlicher Betrag, ein reicht eben nicht aus. Es müssen akut Maßnahmen absolut lächerlicher Betrag im Vergleich zu dem her um zum Beispiel die Gewährleistung von was wirklich gebraucht wird. Mindestgagen und die Bezahlung von Ausstellungs- honoraren zu bewerkstelligen. Oder Maßnahmen Und was jetzt die Diskussion anbelangt um die zur Sicherung des Betriebs kommunaler Kulturein- Höhe von Projektfördermitteln et cetera pp haben richtungen. Das lässt sich alles detailliert ausgear- wir ein Grundproblem. Der Ansatz von Mitteln, die beitet bei Haben und Brauchen und der Koalition im Haushaltsplan zur Verfügung stehen, ist relativ der Freien Szene nachlesen. konstant geblieben in den letzten Jahren. Was sich jedes Mal verändert hat aufgrund einer kulturpoli- ›› Matthias Zarbock: Stichwort City Tax. Bereits tischen Debatte, das sind die Verteilungsmechanis- erwähnt wurden die 10 Punkte der Koalition der men. Dann wurde da noch ein Fonds gegründet, Freien Szene. Aber das Gesetz zur City Tax kommt aus demselben Topf, mit noch einer Vergabejury. nicht, ist immer so meine Befürchtung. Will die Man meinte, jetzt müsste man das und das auch Politik nicht? Ist sie wirklich nicht in der Lage, ein noch fördern, dann griff man da wieder rein und vernünftiges Gesetz zustande zu bringen? veränderte den Zuschnitt, so dass wir inzwischen ein Fördergeflecht in der Stadt haben, durch das ›› Heimo Lattner: Den 10-Punkte Plan hat die kaum noch jemand so richtig durchblickt. Das ist Koalition der Freien Szene erarbeitet. Darin wird das Problem. Der Topf ist nicht größer geworden, aufgeschlüsselt, wie mit 50 Prozent der Mehrein- aber die Mechanismen sind unendlich schwieriger nahmen aus der City Tax die Freie Szene nachhal- geworden und das war jetzt der Punkt, wo dann die tig gefördert werden kann. Haben und Brauchen Koalition der Freien Szene sagte, o.k., wir wollen hat in einem offenen Brief an den Bürgermeister diese City Tax als zusätzliches Instrument und wir 100 Prozent gefordert, weil wir sagen, woher möchten, dass das anders geregelt wird. Ich kommt diese Ziffer, diese Festlegung auf 50 Pro- meine, das muss man unterstützen. Das ändert zent. Es geht hier um ein grundsätzliches Bekennt- nichts daran, dass dieser gigantische Batzen von nis zur Freien Szene. Das können auch 5 Prozent 450 Millionen Euro, den wir alljährlich in Berlin zur oder 35 Prozent sein, das ist erstmal zweitrangig. Verfügung haben für Kultur im weitesten Sinne, aus unterschiedlichsten Quellen, das ist fast eine halbe ›› Wolfgang Brauer: Als diese Zahl 50 Prozent Milliarde, das ist eine Menge Geld, einfach mal entstand, das war in einer Diskussion in der vollkommen schizophren verteilt ist. Es wird eine Pappelallee, wo diese 10 Forderungen dann auch Verteilungsdebatte geben in den nächsten Jahren zustande kamen. Das war Ergebnis eines zornigen und die wird viel, viel heftiger werden, als wir sie Zwischenrufes innerhalb der Beratung in der bislang hatten. Das finde ich auch o.k. Koalition der Freien Szene, nun seit mal nicht so bescheiden und beschränkt Euch mal nicht auf 20 ›› Alexander Pinto: Ich muss aber nun, wenn ich oder 25 Prozent, wir wollen 50 Prozent. Das war schon mal mit einem Kulturpolitiker auf dem sozusagen ein Widerstandsaufruf gegen eine zu Podium sitze, noch mal nachfragen. Wenn es eine große Bescheidenheit. Das Problem an der ganzen Verteilungsdebatte ist, und ich habe das den Sache mit der City Tax besteht tatsächlich darin, es ganzen Tag durchhören können, dass man eigent- ist keine Kulturförderabgabe. Punkt. Das heißt, lich etwas ganz anderes machen würde, auf grundsätzlich sind die Weichen gestellt, sie wird welcher Grundlage würden Sie denn verteilen. Also 80 Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten › ›

welche Kultur würden Sie denn fördern und in 150 Jahren herausgebildet hat, deckt, denke ich, welchem Begründungszusammenhang hat denn die Bedürfnisse der Stadt und ihrer Besucherinnen diese Kultur das Recht gefördert zu werden? Oder und Besucher, plus Tourismusfaktor, ab. Punkt. ist das dann auch, wer am lautesten schreit oder Den kann und muss man wahren. Das wird sehr wem man sich persönlich nahe fühlt. Für mich ist schwer sein, das zu halten, weil die Kosten enorm die Frage, auf welcher Grundlage entscheiden explodiert sind. Das bedeutet dann, weil sie von Politiker welche Kultur gefördert wird? Abbau sprachen, dass ich mir einige luxeriöse zusätzliche Sachen nicht mehr leisten kann. Das ist ›› Wolfgang Brauer: Gefährliche Frage, jetzt kommen richtig. Das aber bedeutet nicht, dass ich per se wir doch zum abendfüllenden Programm. Nein, ich schließen muss. Das große Problem wird dabei mache es wirklich jetzt ganz, ganz kurz. Die sein in den kommenden Jahren tatsächlich für frei augenblicklichen Entscheidungsgrundlagen sind arbeitende Künstlerinnen und Künstler genau diese tatsächlich politische Mehrheiten. Der Senat fragt Produktionsräume zu sichern, zusätzlich oder in sich, was kann und muss ich fördern, damit mehr Kooperation mit diesen Einrichtungen. Natürlich ist Glanz in die Hütte kommt. Das wird dann auch es ein Unding, dass große, sehr teure – und jetzt gemacht. sage ich das Reizwort – Opernhäuser nur zu einer bestimmten Zeit am Tage gewissermaßen öffent- Ich würde diese Eventfinanzierung zurückschrau- lich zugänglich sind und für künstlerische Produkti- ben. Es muss gewährleistet sein, dass das, was an on nur eingeschränkt öffentlich zugänglich sind. Es kultureller Infrastruktur da ist, auch gesichert ist. ist ein Unding, dass ein Kinder- und Jugendtheater, Es muss gesichert werden, dass die Leute, die dort ein frei arbeitendes Kinder- und Jugendtheater, weil arbeiten, so bezahlt werden, dass sie tatsächlich es die Idee hat, mal irgendetwas mit Bach zu davon leben können. Und es muss mehr Geld in machen, brauchte es irgendwelche Barockperü- die Hand genommen werden, um Zugangshürden cken, die nicht von einem Berliner Hause gekriegt abzubauen und – Sie haben mich da vorhin etwas hat – die haben sie sich ausleihen dürfen in der missverstanden mit dieser Bildungsschiene: Ich Semperoper in Dresden. Die waren bereit, ihnen meinte damit nicht, jetzt schicken wir mal noch ein unter die Arme zu greifen. Die Berliner Häuser paar Malerinnen und Maler in die Schulen, die nicht. Diese Zustände müssen beendet werden. sollen mal so ein paar Arbeitsgemeinschaften da machen am Nachmittag und nennen das Ganze ›› Matthias Zarbock: Es gibt da eine Frage aus dem kulturelle Bildung, sondern wir haben das entsetz- Saal. liche Problem in der Stadt, das ist in Hamburg wahrscheinlich ähnlich in bestimmten Quartieren, ›› Andreas Jähnig: Ich bin Bildhauer. Wir diskutieren dass wir zum Beispiel – jetzt rede ich von dem seit längerem in der Fachgruppe Bildende Kunst Bezirk aus dem ich komme – quasi in einer Stadt von ver.di, dass es immer um Förderung geht. Das mit 264 000 Einwohnern eine reale Kinderarmut Problem der bildenden Künstler in unserem von 60 bis 65 Prozent haben. Wenn diese Kinder Bereich ist doch, dass schlicht und einfach der erwachsen werden, dann sind sie zu einem großen Markt weggebrochen ist oder es ihn in bestimmten Teil für ihre künstlerischen Angebote einfach mal Bereichen ja noch nie gegeben hat. Performance- verloren. Da muss Geld rein gesteckt werden. Da künstler, da gibt es eigentlich keinen richtigen möchte ich umverteilen. Markt. Wir sind der Auffassung, dass dort, wo kein Markt ist, die Gesellschaft, der Staat, sozusagen als ›› Alexander Pinto: Sie sagten gerade, das der Marktteilnehmer sich engagieren müsste, wie er Bestand der kulturellen Infrastruktur bewahrt es ja in anderen Bereichen auch macht, wenn die werden soll. Jetzt ist aber hier den ganzen Tag Autos nicht mehr zu verkaufen gehen, dann tritt dort kommuniziert worden, dass die Infrastruktur der Staat als Käufer auf, indirekt. Das gibt es in abgebaut wird, also das die kommunalen Rahmen- anderen Bereichen auch. Warum kann man diese bedingungen so sind, dass es de facto zum Abbau Debatte nicht auch mal in diese Richtung führen, kommt. Das heißt auch, wenn Sie in der Politik, um ein anderes Selbstverständnis rein zu bekom- was ich an vielen Stellen hoffen würde, an der men. Dann käme man nämlich nicht auf einen Macht sind, werden Sie sicherlich auch mit den Fördergedanken, sondern einen Gleichstellungsge- entsprechenden Rahmenbedingungen konfrontiert danken. Dass man die Künstler praktisch in ihrer sein und den Bestand zu wahren kann ja dann aber wirtschaftlichen Tätigkeit gleichstellt all den ande- auch nicht die Lösung sein, oder? ren, die in dieser Gesellschaft auch wirtschaften. ›› Wolfgang Brauer: Der augenblickliche infrastruktu- ›› Matthias Zarbock: Ich interpretiere das jetzt als relle Bestand an landesgeförderten Einrichtungen, eine Anregung oder einen Hinweis. Aufgrund der jetzt rede ich wirklich nur von Landeseinrich- voran geschrittenen Zeit kann ich jetzt nicht mehr tungen, der sich in Berlin in den letzten 100 bis ins Podium geben zu einer Antwort und ich kann 81 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

nun auch nicht mehr das Thema Bedingungsloses von Leitlinien, nicht nur in einem Land. Wir werden Grundeinkommen diskutieren, das mir sehr am der Frage nachgehen, ob es sinnvoll ist so etwas Herzen liegt. Wenn nicht jemand vom Podium noch Ähnliches wie das Kulturraumgesetz auch in etwas sagen möchte? Nein, das ist nicht der Fall, anderen Ländern zu versuchen und prüfen, inwie- dann bedanke ich mich bei allen, die hier sitzen weit solche Formen wie der Kulturkonvent sinnvoll und bei allen, die im Saal noch sitzen vor allem. Ich sind. Der Forderungskatalog von der Koalition der finde es hat sich gelohnt, solange auszuhalten, freien Szene enthält für uns einen ganzen Katalog auch wenn es später geworden ist als geplant. von Aufgaben. Mit den Forderungen, Wolfgang hat Annette wird uns ja jetzt den Abend und den Tag es ja gesagt, stimmen wir gänzlich überein. zusammenfassen. Insofern ist mein Fazit: Wir sind eine Ständige Fazit und Ausblick Kulturpolitische Konferenz. Wir bleiben an diesen Themen, die hier heute diskutiert wurden, weiter ›› Dr. Annette Mühlberg: Nein, nicht erschrecken. Ich dran. Wir machen eine schöne Dokumentation, die werde jetzt nicht den Tag zusammenfassen. wie gesagt vorab allen, die hier auf dem Podium Zunächst bedanke ich mich bei allen, die auf den waren, vorher zur Kenntnis gegeben wird, damit Sie Podien waren, die mitgeholfen haben, die mitdisku- noch etwas verändern können. tiert haben, bei allen Gästen. Und wenn wir jetzt zu fortgeschrittener Stunde weniger sind, dass macht Zum Ausblick: Da möchte ich auf den Abend und ja überhaupt nichts, weil wir werden ja eine das Fest der LINKEN hinweisen. Wer möchte, kann Dokumentation erstellen, so dass jeder Satz hier, jetzt mit ins Babylon kommen, wo um 19:00 Uhr zumindest jeder wesentliche Satz auch noch sein »Authentisch ein Stück weiter, jetzt noch glaub- Publikum erreicht, auch bei denen, die hier jetzt hafter« – ein Solo-Abend mit Uwe Steimle stattfin- nicht mehr waren. det und anschließend die Verleihung des Kabarett- preises »Der EDDI 2013«. Ihr werdet verstehen, Fazit und Ausblick hieß es im Programm. Ich habe dass Volker Külow zur Verleihung dieses Preises heute eine andere Wahrnehmung als Alexander dabei sein muss und deshalb schon vorher zur Pinto. Wenn es vielleicht auch nicht so viele neue Vorbereitung gegangen ist, weil ja der Eddi, Edgar Ideen waren, war es ja aber eine Summe von Külow, sein Vater ist, für diejenigen, die das Anregungen und auch von Dingen, die ganz ernst- vielleicht nicht so wissen. Das ist der Auftakt des haft verfolgt und umgesetzt werden müssten, Festes der LINKEN. Das Programm für die näch- angefangen bei den Fördergesetzen, mit denen wir sten zwei Tage liegt draußen und anschließend uns in der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz können wir alle uns auch noch im Café Luxemburg weiter beschäftigen werden, bis zur Formulierung treffen, wer Lust hat. Soweit der Ausblick.

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BAG Ständige Kulturpolitische Konferenz

Wer wir sind und sozial gerechte Gesellschaft. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik. Die Ständige Kulturpolitisch Konferenz ist ein Zusammenschluss von kulturpolitisch Aktiven Wie wir arbeiten innerhalb und außerhalb der Partei DIE LINKE. Sie besteht seit 1995 und wurde im Jahre 2009 als Wir haben 14 Landesarbeitsgemeinschaften, in Bundesarbeitsgemeinschaft anerkannt. Wir verste- denen rund 360 Mitglieder der Partei DIE LINKE hen uns als ein ständiges Diskussionsforum für und weitere Künstler/-innen und Kulturschaffende, linke Kulturpolitik und zugleich als ein Beratungs- die der LINKEN nahestehen, mitwirken. Die Spre- gremium für die Bundespartei. Wir sind offen für cherInnen der LAGs treffen sich vierteljährlich. alle, die sich an der Formulierung neuer Leitbilder Sprecherin der BAG ist Annette Mühlberg. und Zielstellungen einer demokratisch-sozialis- tischen Kulturpolitik beteiligen wollen und laden ausdrücklich zu dieser Debatte ein. Kontakt Was wir wollen Gert Gampe Wir wollen die Debatte um den Stellenwert von Bundesgeschäftsstelle DIE LINKE. Kultur in der Gesellschaft befördern und zu einem Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin neuen Verhältnis von Kultur und Politik in der Telefon: (030) 24009-357 Partei beitragen. Kulturelle Vielfalt und die Künste Telefax: (030) 24009-777 in allen ihren Ausdrucksformen sind unverzichtbar E-Mail: [email protected] für eine lebendige Demokratie. Günstige Rahmen- Internet: http://www.die-linke.de/partei/ bedingungen und Freiräume für ihre Entwicklung zu zusammenschluesse/staendigekultur­ schaffen ist deshalb für uns als Linke wesentlicher politischekonferenz/ Bestandteil des Ringens um eine demokratische

83 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Auszug aus dem Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl 2013 Kultur für alle – kreativ, vielfältig, dialogorientiert

Die Künste, kulturelle Bildung, Erinnerungskultur sich vergrößert. Die Mehrzahl der Künstlerinnen sind unverzichtbar für eine lebendige Demokratie. und Künstler kann von ihrer künstlerischen Arbeit Wir wollen Vielfalt des kulturellen Lebens und allen nicht leben. An den Gewinnen, die mit ihren Menschen die Teilhabe an Kultur ermöglichen. Werken erwirtschaftet werden, sind sie nur unzureichend beteiligt. Kultur ist Alltagskultur und hohe Kunst gleicher­ maßen, kulturelles Erbe und Subkultur. Kultur ist Wir wollen gute, existenzsichernde Arbeit und Normalität und Irritation, Fortschritt durch Kreativi- soziale Sicherung im Kulturbereich. tät und staunende Besinnung auf Geschaffenes. Kultur und Kunst ermöglichen Kommunikation und – Wir wollen Mindestlöhne und Honorarunter- Verständigung, Identität und Integration, Bildung, grenzen und ein Urhebervertragsrecht, das Freiheit und Selbstvergewisserung. Auch wenn die Verhandlungsmacht der Kreativen stärkt. Kunst verstören darf, stiftet sie doch Anregung. – Die Verwertungsgesellschaften müssen transpa- Kultur und Kunst setzen Impulse und stärken die rent und demokratisch strukturiert sein. Für Phantasie. Kultur ist nicht zuletzt Genuss und bildende Künstlerinnen und Künstler soll eine Freude. All das ist kein Luxus, den sich die Gesell- Ausstellungsvergütung eingeführt werden. schaft leisten sollte, sondern Sinn des Lebens. – Die Künstlersozialversicherung muss erhalten DIE LINKE tritt für eine demokratische Kultur ein, und ausgebaut werden. Kreative, die freiberuf- in der alle in Deutschland Lebenden, unabhängig lich und selbständig vor allem in den neuen von ihrer sozialen, regionalen oder ethnischen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig Herkunft ihre kulturelle Identität finden und sind, müssen besser in die sozialen Sicherungs- ausdrücken können. Wir wollen das kulturelle systeme einbezogen werden. Leben in allen Regionen und Milieus fördern als – Der ermäßigte Umsatzsteuersatz für Kulturgüter Basis für die Verständigung zwischen den verschie- ist eines der wesentlichen Instrumente indi- denen Gruppen der Gesellschaft. rekter Kulturförderung und sollte unbedingt beibehalten werden. Linke Kulturpolitik richtet sich darauf, günstige Rahmenbedingungen und Freiräume für die Ent- – Die öffentliche Kulturförderung wollen wir wicklung der Künste und des kulturellen Lebens zu stärken, indem wir den kooperativen Kultur­ schaffen. Wir setzen uns für den Erhalt der öffentli- föderalismus ausbauen. chen Kulturförderung ein und wollen die vielgestal- – Wir fordern ein klares Bekenntnis zur Verantwor- tige kulturelle Szene fördern – von den öffentlichen tung des Staates für den Schutz und die Förde- Einrichtungen über die freie Szene, gemeinnützige rung der Kultur. Das Staatsziel Kultur gehört ins Projekte und Initiativen bis hin zu kleinen Unter- Grundgesetz. nehmen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. – Wir wollen die Aufnahme einer Gemeinschafts- Als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise und aufgabe Kultur ins Grundgesetz und den Wegfall einer verfehlten Finanz- und Steuerpolitik der des sog. Kooperationsverbotes, um das Zusam- Bundesregierung stehen immer mehr Kommunen menwirken von Bund und Ländern bei der vor dem finanziellen Aus. Kürzungen setzen oft bei Kulturfinanzierung endlich auf eine gesicherte den sogenannten freiwilligen Leistungen wie der Grundlage zu stellen. Kultur an. Es ist höchste Zeit umzusteuern und – Wir fordern einen Bundeskulturminister mit Maßnahmen zur finanziellen Stärkung von Ländern Kabinettsrang und ein Kulturministerium, um die und Kommunen und zum Erhalt der kulturellen Belange der Kultur gegenüber anderen Ressorts Infrastruktur zu ergreifen. sowie auf europäischer Ebene wirksamer vertreten zu können. Unterfinanzierung oder Schließungen von Einrich- tungen, Personalabbau und Privatisierungen haben – Wir wollen einen Kulturbericht und ein Kulturkon- nicht zuletzt Folgen für die Kulturschaffenden. zept des Bundes, das den veränderten Rahmen- Deren wirtschaftliche und soziale Risiken haben bedingungen kultureller Arbeit Rechnung trägt. 84 Kultur für alle – kreativ, vielfältig, dialogorientiert › ›

– Wir wollen kulturelle Bildung für alle von Anfang in diesem Bereich unternehmerisch tätig zu an und eine demokratische Erinnerungskultur werden, weil sie von ihrer künstlerischen Arbeit zur Auseinandersetzung mit unserer allein nicht leben können. Sie müssen in unterneh- widersprüchlichen Geschichte. merischen Risiken denken. Solche Verhältnisse führen zur betriebswirtschaftlichen Beschäftigung – Wir wollen, dass die UNESCO-Konvention und nicht zum kreativen Output. für kulturelle Vielfalt umgesetzt wird. Die Besonderheiten der Branchen sind ihre Kleintei- – Wir setzen uns für die Förderung der Vielfalt von ligkeit, ihre Unzahl an Einzelunternehmungen und Kulturen im Einwanderungsland Deutschland, kleinere und mittlere Unternehmen auf der einen für interkulturelle Öffnung und interkulturellen Seite. Auf der anderen Seite hat Kreativität häufig Dialog in der Innen- und Außenpolitik ein. etwas mit Phantasie und Enthusiasmus zu tun. Kein Musiker und keine Musikerin hört auf Musik zu – Wir wollen die Partizipationsrechte der Minder- machen, nur weil man davon nicht leben kann. heiten auf Bundesebene stärken und eine angemes- sene Ausstattung der Institutionen und Projekte zur DIE LINKE will sich verstärkt um die Entwicklung Pflege und Entwicklung der anerkannten Minderhei- dieser Branche bemühen und eigene, linke Akzente tensprachen und -kulturen erreichen. setzen. Die Verknüpfung von Kulturpolitik und Kultur- – Wir wollen die kulturelle Dimension der euro­ und Kreativwirtschaft ist dabei der Dreh- und Angel- päischen Einigung durch einen intensiveren punkt. Politik, Verwaltung und Akteure müssen Austausch und gemeinsame kulturelle Projekte ressort­übergreifend denken und arbeiten. Schnittstel- fördern. len müssen ausgebaut und neu geschaffen werden.

Kultur ist mehr als eine Ware und darf nicht nur DIE LINKE möchte die Förderinstrumente für unter kommerziellen Gesichtspunkten betrachtet diesen Wirtschaftszweig spezialisieren und aus­ werden. DIE LINKE tritt dafür ein, dass der in der bauen. Ressortübergreifende Förderprogramme UNESVO-Konvention festgehaltene besondere müssen eingerichtet werden. Befindlichkeiten Charakter von Gütern und Leistungen im Kultur und sollen durch gegenseitiges Verständnis von Krea- Medienbereich auch bei internationalen Freihan- tiven und Wirtschaftsverwaltung ersetzt werden. dels- und Investitionsabkommen berücksichtigt wird. Die Kleinteiligkeit und die damit verbundene Unorganisiertheit der Kreativbranchen bedarf einer Kultur- und Kreativwirtschaft von links speziellen Netzwerkförderung, wie beispielsweise von Verbandsstrukturen, um Ansprechpartnerinnen Die Kultur- und Kreativwirtschaft kommt dem und Ansprechpartner aufzubauen. Umfang nach großen Branchen wie Chemie, Maschinenbau oder Autoindustrie gleich. Ihre Die regionalen Kompetenzzentren für die Kultur- und Bedeutung dagegen wird erst nach und nach Kreativwirtschaft sind personell zu vergrößern und erkannt. besser auszustatten, damit nicht zuletzt auch Beratungsleistungen verstärkt angeboten werden Im Jahre 2011 arbeiteten 984.166 Selbstständige können. und versicherungspflichtige Menschen in der Kultur- und Kreativwirtschaft und setzten 143,38 Die spezifischen Arbeitsbedingungen der Kreativen Milliarden Euro um. Allgemein wird von elf Teilmär- müssen verbessert werden. Die Honorar- und kten ausgegangen: Musikwirtschaft, Buchmarkt, Gehaltssituation muss genauso verbessert werden, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, wie die Alterssicherung. Verbindliche Ausstellungs- Designwirtschaft, Architekturmarkt, Pressemarkt, honorare für Einrichtungen der öffentlichen Hand Werbemarkt, Software- und Games-Industrie. können ein erster Schritt dazu sein. Die Öffnung der Künstlersozialkasse für weitere Berufsgruppen Die Begrifflichkeiten, wirtschaftsstatistische aus der Kultur- und Kreativwirtschaft trüge der Erhebungen und Förderinstrumente sind noch prekären Lage vieler Kreativer Rechnung. Fortbil- unzulänglich. Die Stärkung der Kultur- und Kreativ- dung muss auch für künstlerische Bereiche förder- wirtschaft ist integraler Bestandteil linker Politik, fähig sein. ohne die ambivalente Situation in diesem stark anwachsenden Bereich zu ignorieren. Kultur- und Kreativwirtschaft bedarf einer linken Perspektive. http://www.die-linke.de/wahlen/archiv/archiv-frue- Viele der Kreativen, der Künstlerinnen und Künstler here-wahlprogramme/wahlprogramm-2013/wahlpro- und Kulturschaffenden arbeiten prekär und werden gramm-2013/i-solidaritaet-neu-erfinden-gute-arbeit- durch Erhebungen gar nicht erst erfasst. So sind und-soziale-gerechtigkeit/kultur-fuer-alle-kreativ- z. B. viele Künstlerinnen und Künstler gezwungen, vielfaeltig-dialogorientiert/ 85 ›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH

– die Abteilung Ausbildung | Medien | Kultur, in der junge Menschen eine wirtschaftsnahe und marktorientierte Berufsorientierung, Berufs­ vorbereitung oder Berufsausbildung der Berufs- felder IT, Medien, Kultur, Gastronomie und Büro im Rahmen von REHA,JBH oder BaE bzw. als Verbundausbildung in Kooperation mit kleinen und mittleren Unternehmen absolvieren,

– den Bereich Stadtteilarbeit |Schulen, in dessen Mittelpunkt die Förderung von generati- onsübergreifendem, bürgerschaftlichem Engage- ment und die Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe stehen. Aus diesem Verständnis Die 1991 gegründete Pfefferwerk Stadtkultur heraus gründeten und betreiben wir drei Grund- gGmbH ist ein soziales Dienstleistungsunterneh- schulen mit aufwachsender Sekundarstufe men. Ziel unserer sozialraum- und gemeinweseno- gemeinsam mit den Elternvereinen und sind rientierten Arbeit ist die Mitgestaltung positiver anerkannter Schulträger. Wir fördern zivilgesell- Lebensbedingungen im Stadtteil. Wir entwickeln, schaftliches Engagement für Demokratie und fördern und realisieren dafür Bildungs-, Erziehungs- gegen jede Form der Ausgrenzung und Diskrimi- und Beratungsangebote und vernetzen sie unterei- nierung. nander. Wir sind Tochter der Stiftung Pfefferwerk und ein Unternehmen im Pfefferwerk Verbund. Die kontinuierliche Qualitätsentwicklung unserer Fünf Geschäftsfelder spiegeln unsere Kernkompe- Angebote gewährleisten wir über die Zertifizierung tenzen wider und umfassen: nach DIN EN ISO 9001:2008 für den Geltungsbe- reich Kinder- und Jugendhilfe, Ausbildung, Jugend- – 17 Kindertagesstätten, in denen durchschnitt- berufshilfe, Familien- und Gemeinwesenarbeit. In lich 1.840 Kinder im Alter von acht Wochen bis unseren Kindertagesstätten sichern wir die Quali- zum Schuleintritt betreut und auf der Grundlage tätsentwicklung durch interne und externe Evaluati- des Berliner Bildungsprogramms in ihren onen der pädagogischen Prozesse nach KiQu. Die Bildungsprozessen unterstützt werden, Abteilung Ausbildung | Medien | Kultur ist als Träger von Maßnahmen der Arbeitsförderung nach – den Jugendhilfeverbund, der mit einem diffe- dem SGB III über AZAV zertifiziert. Wir sind Mitglied renzierten und aufeinander abgestimmten im Deutschen PARITÄTischen Wohlfahrtsverband. System an erzieherischen Hilfen vielfältige integrative Angebote für Kinder, Jugendliche und KO-Allg-Traegertext_PW-2013-06-01 Familien entwickelt und anbietet, Stand 01.06.2013

– die Kooperation von Jugendhilfe und Schule, die ihren Fokus auf die Unterstützung von schuldistanzierten Jugendlichen, ihre Reintegra- Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH tion in die Regelschule sowie auf die Ganztags- Fehrbelliner Straße 92, 10119 Berlin betreuung, Beratung und berufliche Orientierung Telefon: 030/44383-0, Fax: 030/44383-100 von Schüler/-innen an Integrierten Sekundar- E-Mail: [email protected], schulen legt, www.pfefferwerk.de

86 www.die-linke.de