Mittenwald: Die Dummheit schießt ins Kraut baiern

Heldengedenken im Zeichen des Edelweiß

Gebirgsjäger und „Oberländer“ zelebrierten in Mittenwald und Schliersee lange unbehelligt ihre gespen- stischen Rituale. Das hat sich mittlerweile geändert.Von Magnus Bosch

Ex-Skirennstar Markus „Wasi“ Wasmeier hat in „Wir können es nicht akzeptieren, dass sich Schliersee dieses Jahr sein Bauernhof-Museum RechtsextremistInnen ungestört in Schliersee tref- eröffnet. Doch der oberbayerische Luftkurort nahe fen. Wir sind eine weltoffene Gemeinde und Tou- Miesbach geriet auch aus einem anderen Grund in rismusregion. Traditionspflege dieser Art, egal ob die Schlagzeilen. Hier findet nämlich jedes Jahr im in Schliersee, Mittenwald, Bad Reichenhall oder am Mai eine Gedenkveranstaltung mit braunem Publi- Ulrichsberg, darf nicht widerstandslos hingenom- kum statt. Die rechtslastige Kameradschaft „Frei- men werden“, erklärte das Bündnis. korps- und Bund Oberland“ lässt ihre 1921 in Oberschlesien gefallenen Kämpfer hochleben. Auf Gedenktafel soll weg dem Weinberg traditionell mit dabei ist die Lands- mannschaft der Oberschlesier. Ältere Menschen in Die AktivistInnen fordern, die in die Kapellenwand Trachten sowie jüngere Männer mit Seitenscheitel, eingelassene Gedenktafel zu entfernen. Auf dieser Lederhose oder auch Burschenschaftermütze pil- steht: „Freikorps Oberland - Dem Gedenken seiner gern zur Sankt-Georgs-Kapelle hinauf. Dort wird 52 im Freiheitskampf um Oberschlesien anno 1921 ein Gottesdienst gefeiert, man feuert Böllerschüsse gefallenen Kameraden. Sie werden wieder aufer- ab, singt „Deutschland, Deutschland über alles…“ - stehen“. Der Pfarrgemeinderat überlegt mittlerwei- und lässt revanchistische Sprüche vom Stapel. le, ob eine zweite Inschrift neben der bereits vor- Anschließend geht es ins Wirtshaus. Dass sich Ver- handenen Tafel angebracht werden sollte. Kaum triebene und Neonazis beim Annaberg-Gedenken gerät Schliersee in die Negativ-Schlagzeilen, schon ein trautes Stelldichein geben, hat in Schliersee geht die Pfarrei „ganz eindeutig auf Distanz zu jahrelang kaum jemanden gestört. Doch heuer allen Personen oder Gruppierungen, die versu- kam alles anders: Die Landsmannschaft sagte den chen, das Totengedenken ideologisch zu instru- Gottesdienst kurzfristig ohne Angabe von Gründen mentalisieren und ihm eine rechtsradikale Ausrich- ab. Ein Erfolg für das „Bündnis gegen rechtsextre- tung zu geben“. me Umtriebe im Oberland“, das eine Demonstra- tion gegen das braune Heldengedenken auf die Das paramilitärische Freikorps Oberland wurde Beine gestellt hatte. Laut Polizei nahmen 220 Men- 1919 in Eichstätt von Rudolf von Sebottendorf schen daran teil. gegründet. Der hatte zuvor bereits die Thule- Gesellschaft aus der Taufe gehoben, die wiederum Ein paar versprengte Neonazis und ältere Herr- aus dem Germanen-Orden hervorgegangen war. schaften schauten zwar vorbei, waren aber deut- Die „Oberländer“ bekämpften die Münchner Räte- lich in der Minderheit. Die Hilfsgemeinschaft auf republik, gingen gegen revolutionäre Arbeiter im Foto: Magnus Bosch Magnus Foto: Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Ruhrgebiet vor und beteiligten sich später dann Waffen-SS e.V. (HIAG) München legte an der mit brutaler Gewalt bei der Eroberung des Anna- Kapelle einen Kranz nieder. Zwei Frauen entrollten bergs in Oberschlesien. ein NPD-Transparent.

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In Oberschlesien kam es 1921 zu einer Volksab- lange Jahre Eleonore Baur, die unter dem Namen stimmung, bei der sich eine Mehrheit für den Ver- Schwester Pia bekannt und berüchtigt und als Trä- bleib bei Deutschland aussprach. Am 21. Mai gerin des NSDAP-„Blutordens“ im KZ Dachau an brachten schließlich Freikorps-Soldaten die höchste Kälteversuchen beteiligt war. Später schaute Erhebung Oberschlesiens unter ihre Kontrolle. Himmler-Tochter Gudrun Burwitz gerne vorbei. Noch im gleichen Jahr gliederten die Alliierten die Region in einen polnischen und einen deutschen Die Kameradschaft tritt übrigens nicht nur in Teil auf. Schliersee in Erscheinung. Jeden 1. Mai findet auf dem Waldfriedhof der bayerischen Landeshaupt- Die Ausrichtung des Frei- stadt eine Feier zur Erinnerung an die „Befreiung korps war deutschnational Münchens“ von der Räterepublik statt. 2005 waren „…mit allen Mitteln dem und antikommunistisch, unter anderem der „Stahlhelm“, der „Deutsche Deutschtum den Sieg außerdem agitierte man Block“ sowie der „Treue-Ring“ vor Ort. In der Mit- erringen“ gegen den „Schandfrieden teilungs-Postille „Der Oberländer“ wird schon mal von Versailles“. Doch auch eine NPD-Erklärung abgedruckt und auf die letzte Antisemitismus spielte eine „Julfeier“ zurückgeblickt. Anfang 2007 war darin Rolle. 1921 wurde anstelle des Freikorps der Bund ein Artikel aus der Feder von Erwin Arlt zu lesen, Oberland gegründet, „ein Kreis von treuen Freun- Mitgründer der DVU als Verein sowie der Aktion den, deren Heiligtum ihr Volk ist, die allen Schick- Oder-Neiße. Sepp Obermeier, Landesvorsitzender salsschlägen zum Trotz unerschütterlich festhalten der Linkspartei und Anmelder der Demonstration an dem Glauben an die Größe des deutschen Rei- in Schliersee, kündigte an, dass man die Annaberg- ches, die zäh entschlossen sind, mit allen Mitteln Gedenkfeier auf alle Fälle weiter beobachten dem Deutschtum den Sieg zu erringen“ (aus dem wolle. „Oberländer“ tragen übrigens das Edelweiß Selbstverständnis). als Abzeichen.

1923 ging der Verband zusammen mit dem Bund Böllerschüsse über dem Karwendel Reichsflagge und der SA im Vaterländischen Kampfbund auf, in dessen Vorstand Am Edelweiß sind auch die Gebirgsjäger zu erken- saß. Die „Oberländer“ waren auch beim Hitler- nen, denen seit einigen Jahren bei ihrem Mitten- Putsch mit von der Partie. Der spätere „Führer“ walder Pfingsttreffen der Wind gehörig ins Gesicht war dem Freikorps wohl gesonnen: So stattete er bläst. Zahlreiche Protestaktionen haben mittlerwei- dem Schlierseer Oberland-Denkmal, das 1923 ent- le einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt, hüllt wurde, einen Besuch ab. Auf einem Foto welche Greuel deutsche Gebirgsjäger der Wehr- posiert er mit örtlichen Nationalsozialisten. Neben macht zu verantworten haben. Wie in Schliersee und anderen NSDAP-Mitgliedern verlief die Gedenkfeier lange ungestört. zählte in den zwanziger Jahren auch Sepp Die- trich, Generaloberst der Waffen-SS, Befehlshaber Die beiden Stelen, die am Hohen Brendten in den der Leibstandarte Hitlers und der 6. Panzerarmee Himmel ragen, waren vor 50 Jahren mit einem Rie- zu den Mitgliedern des Freikorps. Das Denkmal senbrimborium eingeweiht worden. Seitdem findet wurde im Mai 1945 dem Erdboden gleich gemacht. in Mittenwald jedes Jahr ein militaristisches Spekta- Seit nunmehr 50 Jahren werden die Freikorps- kel statt, an dem neben Wehrmachtsveteranen Kämpfer mit einer Gedenktafel geehrt. Star der auch stets Soldaten der Bundeswehr teilnehmen. Schlierseer Annaberg-Feier war nach dem Krieg für Fahnen werden in Anschlag gebracht, man singt

48 soldatisches Liedgut, Böllerschüsse hallen über das lichen Drills, jedes unwürdigen Zwangs. (…) Gut Karwendelgebirge und ein Kranz nach dem ande- ausgebildet, an Härte und Opfer gewöhnt, geht ren wird herangeschleppt. Man gedenkt der gefal- der Gebirgsjäger in den Krieg, der das ‘Edelweiß lenen und vermissten Kameraden, die Opfer fallen zum Schrecken der Feinde’ werden lässt. Höchste unter den Tisch. Leistungen zeichnen seinen Weg.“ Lanz befehligte die Täter von Kephallonia. Rechercheure des AK Unter dem granitenen Ehrenmal halten Militärgeist- Angreifbare Traditionspflege haben herausgefun- liche salbungsvolle Ansprachen. Veranstalter des den, dass Wehrmachts-Gebirgsjäger Massaker an Pfingsttreffens ist traditionell der Kameradenkreis knapp 60 Orten verübten. Von einem deutschen der Gebirgstruppe mit Sitz in München. Anlässlich Gericht ist freilich bis zum heutigen Tage keiner des Jubiläums wurden in diesem Jahr Bayerns Kul- der Edelweiß-Krieger verurteilt worden. tusminister Thomas Goppel sowie Christian Schmidt vorstellig, Staatssekretär im Verteidigungs- Auch die Greuel, die sie 1944 im toskanischen ministerium und Mitglied in besagter Gebirgsjäger- Dorf Falzano verübten und 14 Menschen das Vereinigung. Dessen Teilnahme sei „ein Affront für Leben kosteten, sind ungesühnt. Das Gebirgspio- die Angehörigen der ermordeten italienischen Sol- nierbataillon 818 sperrte als „Vergeltung“ gegen daten von Kephallonia“, kritisierte der Arbeitskreis Partisanenangriffe Zivilisten in ein Bauernhaus und „Angreifbare Traditionspflege“, neben der sprengte es anschließend. Mit Ausnahme eines 15- VVN/BdA Veranstalter der Proteste in Mittenwald. jährigen Jungen kamen alle ums Leben. Die Ein- Auf der griechischen Insel hatten deutsche heit stand unter Befehl von Kompanieführer Josef Gebirgsjäger 1943 mehrere tausend italienische Scheungraber. Ein italienisches Militärgericht in La Soldaten erschossen, nachdem diese sich bereits Spezia hat ihn dafür in Abwesenheit zu lebenslan- ergeben hatten. Das Gemetzel ist bis heute nicht ger Haft verurteilt. gesühnt. Im Rahmen der diesjährigen Proteste wur- den zum Gedenken etwa tausend Namen von Scheungrabers Anwalt Gerhart Klamert kann man Opfern der Bluttaten auf Kephallonia, in Komme- kennen, wenn man gelegentlich im Mitteilungsblatt no und Lyngiades verlesen. Zudem wurde eine des Kameradenkreises blättert. In der „Gebirgstrup- Veranstaltung mit Marcella und Enzo De Negri und pe“ tritt er als Artikelschreiber in Erscheinung. Kla- Paola Fioretti, die Kinder von auf Kephallonia mert soll das Militärgericht als „Sondergericht à la ermordeten italienischen Soldaten, mit dem grie- Freisler“ diffamiert haben. Sein Mandant Scheun- chischen Partisanen Nikos graber bekam im Zuge der diesjährigen Fokas sowie dem österrei- Proteste Besuch von einigen Aktivisten. chischen Wehrmachtsdeser- „Höchste Leistungen teur Richard Wadani auf die zeichnen seinen In Mittenwald kommt inzwischen Beine gestellt. Weg“ Bewegung in den Umgang mit der Historie: In diesem Jahr wurde auf dem Das archaische Selbstver- örtlichen Friedhof eine Tafel ange- ständnis der Gebirgsjäger mögen folgende Sätze bracht, die an die Opfer der KZ-Todesmärsche des Wehrmachtsgenerals Hubert Lanz illustrieren: erinnert. In dem Geigenbauort waren bei Kriegsen- „Also steht er vor uns: kraftvoll und hart, wortkarg de 80 Häftlinge aus dem Konzentrationslager und zäh, mit kantigem Gesicht, selbst ein Stück Dachau gestorben. Zu einem Mahnmal an einem Fels - der Kämpfer der Berge. (…) Naturhaft zentraleren Platz konnten sich die Kommunalpoliti- bewegt er sich im Gelände, abhold jeden natür- ker allerdings nicht durchringen.

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Mit Protesten wegen einer nach einem Nazi-Gene- ral benannten Kaserne müssen sich die Mittenwal- der übrigens nicht mehr herumplagen - dieses Thema ist seit einigen Jahren erledigt. Damals ent- schied das Verteidigungsministerium, dass die General-Kübler-Kaserne neu zu benennen sei. Gleiches wurde für die Generaloberst-Dietl-Kaser- ne in Füssen angeordnet. Die Mittenwalder Kaser- ne erhielt daraufhin den Namen Karwendel-Kaser- Magnus Bosch ne. Die Anordnung rief beim Kameradenkreis sei- ist freier Journalist nerzeit helle Empörung hervor. Man werde weiter- und lebt in Oberbay- hin „kompromisslos für die Ehre der Soldaten der ern. Wehrmacht und der Bundeswehr eintreten“, polter- te der Traditionsverband, dem auch Ministerpräsi- dent Edmund Stoiber angehört.<

Wir haben ein Riesenkloster!

Eine Veranstaltung zum Flüchtlingsrecht. Ich schildere die Situation – die ja nicht erfreulich ist. Nachher kommen zwei Ordensschwestern zu mir, eine ältere und eine junge, die voller Enthusiasmus helfen will, sie fragt mich, was sie tun kann, will Flüchtlinge in ihr Kloster aufnehmen: „Wir haben ein Riesenkloster und viele leere Zellen.“ Nicht nur ihre Mitschwester will sie bremsen, sondern auch ich muss es tun: Die Residenzpflicht und die Lagerunterbringung von Flüchtlingen steht ihrem Enthusiasmus im Wege.<

In Bayern Wahlen gewinnen - Howto

Die Parteien haben sich die Abschaffung des Asyl-Grundge- setzes von Art. 16 Abs. 2 GG nicht leicht gemacht. Die bay- rische SPD beispielsweise hat einen Sonderparteitag nach Augsburg einberufen. Als Vertreter von Pro Asyl war ich eingeladen und durfte das Asylgrundrecht verteidigen. Der Parteitag hat sich dann als einer der wenigen Landesver- bände für die Beibehaltung des alten Art. 16 Abs. 2 GG aus- gesprochen. Zwei Delegierte haben mich dann mit ihrem PKW mit nach München zurückgenommen. Ich weiß nicht, wie sie gestimmt haben. Sie galten als liberal. Sie haben aber keinen Zweifel daran gelassen, dass ihnen das Ergebnis überhaupt nicht behagte: Das Volk wolle die Abschaffung des Asylgrundrechts – mit diesem Beschluss könne man nie- mals Wahlen in Bayern gewinnen.<