Sozialarbeiter in Sachen Bausubstanz
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. .. FREITAG, 2.FEBRUAR 2007 DIE SEITE DREI SÄCHSISCHE ZEITUNG ■ 3 Sozialarbeiter in Sachen Bausubstanz tennisklub mit kleiner Bar im Hin- Wohnraum. In Leipzig terzimmer“, sagt Alena Bleicher hüten Hauswächter vom und zeigt in einen Raum, der früher einmal ein Geschäft war. „soltieZ Verfall bedrohte eirelaG“ liest man von innen in gol- Gründerzeitbauten. denen Jugendstil-Lettern auf dem Fenster: „Galerie Zeitlos“. Die Christina Wittich Tischtennisplatte steht schon. Schläger und Bälle sind nett an ei- er Geruch steigt gleich in nem Netz aufgehängt. Der Raum die Nase: Muffig riecht es, drumherum ist kaum größer als die D nach Staub und feuchter Er- Platte. In der zukünftigen Bar da- de, nach Putz und Mörtel und mod- hinter stehen ein alter Elektroherd rigem Holz. Leipzigs Schmuddel- und Stühle. Zusammen mit Freun- kinder riechen wirklich nicht gut. den haben die Hauswächter bereits Schön sind sie auch nicht. Jeden- in diesem Klub gefeiert. Ein Cate- falls nicht schön im sauberen Sinn. ring-Service und ein Nähstudio sol- Patina hat sich über die Fenster- len außerdem im Erdgeschoss un- simse gelegt, der Zahn der Zeit nagt terkommen. Koch und Näherin heftig. So stehen sie dann zwischen wohnen allerdings nicht im Haus, all den Schönheiten und an den sondern arbeiten nur tagsüber an Straßenecken ihrer Stadt. Kaputt, ihren Projekten. verlottert und verlassen. Es ist die Rede nicht von altern- Kein kuscheliger Komfort den Prostituierten, denen Sozialar- Womöglich ist das auch bequemer. beiter mit ein bisschen Geduld wie- Im ersten Stock wohnen Alena Blei- der auf die Beine helfen könnten. cher und vier weitere Hauswächter Hier geht es um teilweise denkmal- in einer Wohngemeinschaft. Alle geschützte Häuser, die, wenn sie anderen Wohnungen sind leer. verschwinden, eine kaum zu schlie- Über ihnen gründet sich gerade ßende Lücke im Stadtbild hinter- noch eine Vierer-WG. Die Räume lassen. Mit mehr als 12 000 Grün- sind spartanisch eingerichtet, die derzeithäusern hat Leipzig Wände bunt bemalt. In der Küche deutschlandweit die meisten Ge- fehlen Dielen. Die haben die Be- bäude aus der Zeit zwischen 1870 wohner entfernt, um den Zwi- und 1914. Gründerzeit und Jugend- schenraum austrocknen zu lassen. stil dominieren ganze Straßenzüge In die Lücke hat jemand einen Topf und Stadtviertel – die Südvorstadt, Petersilie gestellt. Es mangelt am Lindenau und Plagwitz beispiels- kuscheligen Komfort, den Leipzigs weise. Rund drei Viertel der Gebäu- sanierte Altbauten sonst bieten. de sind saniert. Das übrige Viertel Doch zwei Dinge fehlen nicht: DSL- bildet den schmuddeligen Rest. Seit Anschluss und Spülmaschine. 1990 sind in Leipzig etwa 100 dieser Im Hinterhof, da wo nur noch ei- Gebäude abgerissen worden. Rund ne frei stehende Holztreppe an eine 2 000 Häuser sind vom direkten Zwölf neue Bewohner hat das Haus in der Merseburger Straße 17. Vorher stand es sieben Jahre lang leer. Jetzt sollen dort Kunstprojekte und ein Cateringser- ehemalige Glaserei erinnert, möch- Verfall bedroht. vice entstehen. Fotos: Sebastian Willnow te Alena Bleicher vielleicht eine Freiluftbühne einrichten. „Für Klammkühles Klima Gegend. Gegenüber das Mütter- vor sie einzogen, stand das Haus et- auch keine Geschäfte.“ Meistens ben und erhalten gleichzeitig das Kleinkünstler“, sagt sie. „Ganz ge- Zugenagelt und mit Graffiti be- zentrum Plagwitz. Der dazugehöri- wa sieben Jahre lang leer. „An den seien die Besitzer selbst ratlos, was Haus – weniger Leerstand, weniger nau steht das Konzept aber noch sprüht waren zum Beispiel die La- ge Spielplatz ordentlich umzäunt, Schmutz und die Kälte muss man sie mit dem Steinklotz am Bein an- Vandalismus. Die Bewohner nen- denfenster im Erdgeschoss des der Rasen sauber geschnitten. Eine sich gewöhnen“, sagt Alena. fangen sollen: „Sanieren lohnt sich nen sich Hauswächter und zahlen „Wer schön wohnen will, muss Hauses Merseburger Straße 17 in ältere Frau spaziert vorbei und ent- „Durch einen Abriss nimmt man in Leipzig nicht mehr.“ lediglich eine Fördermitgliedschaft es sich eben schön machen.“ Leipzig-Plagwitz. Rechts und links fernt eine Plastiktüte, die sich im den Stadtvierteln einen Teil ihrer an HausHalten. Auf einem gelben präsentieren sich apricotfarben sa- Draht verfangen hat. Im nächsten Geschichte und ihres Gesichtes“, Legale Hausbesetzer Banner vom Dach bis zum ersten Astrid Heck, HausHalten e.V. nierte Backstein-Schönheiten in ei- Mülleimer wird die aufmerksame sagt Astrid Heck. Die 32-Jährige ist Und genau diese Häuser und damit Stock steht groß „Wächterhaus“. ner ruhigen, familienfreundlichen Dame ihr Fundstück entsorgen. freiberufliche Landschaftsplanerin die gesamte Nachbarschaft zu ret- Sechs solcher Häuser gibt es nicht fest.“ Erst einmal müsse das Der einzige Schandfleck in dieser und engagiert sich ehrenamtlich im ten, hat sich ihr Verein vorgenom- schon in Plagwitz und Lindenau. Haus einigermaßen hergerichtet Gegend, der nicht in eine Müllton- Verein „HausHalten Leipzig“, hat men – mit einem Konzept, das an Weitere sind in Planung. Anfangs werden. Die Zeit dafür ist vorhan- ne passt, ist dieses große, schmut- den Verein vor zwei Jahren mit ge- die Hausbesetzungen der 80er Jah- sei es schwer gewesen, die Eigentü- den, die Geografin ist seit Januar ar- zig gelbe Backsteinungetüm mit gründet. „Die unbewohnten, unsa- re erinnert. Diesmal aber legal. „Ei- mer vom Nutzen des Projektes zu beitslos. „Das Haus lenkt gut von blinden Fensteraugen und löchri- nierten Häuser beeinflussen das gentümer stellen uns ihre Häuser überzeugen. Einige Verzweifelte der Erwerbslosigkeit ab“, sagt sie. ger Eingangstür. Die Klingeln funk- soziale Klima in der Gegend“, sagt für maximal fünf Jahre zur Verfü- melden sich mittlerweile von sich Das Material zur Instandsetzung tionieren nicht. Wer die Bewohner sie. „Die Schaufenster sind verna- gung“, sagt Astrid Heck. Kunstpro- aus. „Das Problem ist nicht, ausrei- kaufen die Nutzer gemeinsam, sie erreichen will, muss sie anrufen. gelt, die Scheiben eingeschlagen. In jekte, gemeinnützige Vereine oder chend Häuser zu bekommen“, sagt suchen und sammeln in anderen Dann kommt zum Beispiel Alena so einer Nachbarschaft will doch angehende Selbstständige bekom- Astrid Heck. „Wir müssen eher auf- leer stehenden Gebäuden. Aber Bleicher aus dem ersten Stock ge- niemand wohnen, dort eröffnen men günstigen Wohnraum, bele- passen, dass es nicht irgendwann Alena sagt: „Ich will nicht nur in laufen. Man hört ein Rumpeln auf zu viel werden und wir unseren ei- und mit dem Haus leben.“ Die Ver- der Treppe. Leises Schlurfen. Sie gentlichen Berufen nicht mehr pflichtung, die sie und ihre Mitbe- schließt die dunkle Holztür durch Wächterhaus-Projekte in Sachsen und Sachsen-Anhalt nachgehen können.“ wohner gegenüber dem Verein deren Eurostück-große Löcher man Ist man sich einmal einig gewor- HausHalten eingegangen sind, bin- in den Flur gucken kann. Dort tür- p Halle/Saale hat das Projekt nach Mieter in sanierungsbedürftige Häuser. den, muss der Hausbesitzer nicht de sie an das Haus als wäre es das men sich Holzbretter, Holzleisten, dem Leipziger Vorbild übernommen. Im Hier kümmern sich die Bewohner inten- viel tun: Er lässt Strom und Wasser eigene. Wenigstens moralisch. Au- Kabel, mittendrin ein Elektroherd. vergangenen November gründete sich siv um ihr Haus und haben ausreichend wieder anschließen, das Dach fli- ßerdem habe sie hier viel Platz für Die Fliesen am Boden sind schmut- der Verein HausHalten Halle. Auch in Gestaltungsmöglichkeiten. cken und das Treppenhaus sichern. wenig Geld. Rund 100 Euro zahlt je- zig und gesprungen. Der Stuck und der Saalestadt sollen Gründerzeithäuser p In Görlitz interessiert sich das Ar- Stadt, Land und Bund tragen einen der Hauswächter an HausHalten. die zarten Blumenornamente an geschützt werden. beitsamt seit Ende vergangenen Jahres Teil der Auslagen. HausHalten zahlt Mit der Leipziger Wohnungsbau- der Decke starren vor Dreck. p In Chemnitz kämpft derzeit das für das Leipziger Wächterhausprojekt. die Betriebskosten. Mehr nicht. genossenschaft LWB habe es des- Alena Bleicher, eine zierliche jun- Stadtforum Chemnitz für den Erhalt ver- Man denke darüber nach, es in ein Be- „Wer schön wohnen will, muss es wegen Probleme gegeben, sagt ge Frau mit kurzen blonden Haaren schiedener Gebäude, zum Beispiel dem schäftigungsmodell umzuwandeln. Ge- sich eben schön machen.“ Und Astrid Heck. „Die hatten die Be- steht inmitten dieser Unordnung in der Zschopauer Straße 152. Das Ju- nauere Angaben macht Eberhard Nagel, sollte sich doch ein Investor für das fürchtung, dass wir ihnen Mieter und fröstelt. Trotz des dicken Flee- gendstilhaus wurde mittlerweile abge- Arge-Geschäftsführer, noch nicht. Der- Gebäude finden, sollen Eigentümer aus dem Billigsegment abspenstig cepullis ist ihr kalt. Es gibt keine rissen. Ein an das Leipziger Projekt an- zeit arbeitet die Stadt Görlitz an einer und Einwohner gemeinsam nach machen.“ Mittlerweile sei geklärt, Zentralheizung im Haus. Die Steine gelehntes Modell soll weiteren soge- Liste zu rettender Gebäude. einer Lösung suchen. dass bei ihrem Projekt das Wohnen verbreiten ein klammkühles Klima. nannten Rückbau verhindern. Die Stadt Frau Heck und ihre Kollegen vom nur an zweiter Stelle stehe: „Eine Die 29-Jährige ist hier seit Septem- hat die Agentur „Stadtwohnen“ ins Le- @ www.haushalten-leipzig.de Verein sind so etwas wie Sozialar- Konkurrenz sind wir nicht. Wir wol- Tino Grasselt, einer der Leipziger ber Hauswächterin, und mit ihr elf ben gerufen. Die Agentur vermittelt p Tel.: 0341/2 41 98 79 beiter in Sachen Bausubstanz. len Leute, die hier etwas schaffen