ROTFUCHS / Juni 2007 RF-Extra n I

Eine Antwort an Fabulierer, die sich für Historiker halten Verhaftung und Kerkerzeit Ernst Thälmanns

er KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann schichtsschreibung lautet, dies nicht pu- ihrer „Abhängigkeit von Moskau“ nicht Dbefand sich mehr als 11 Jahre in bliziert zu haben. Sassning hat beispiels- auf eine umfassende Illegalität eingestellt Einzelhaft. Er war der , einem weise einzelne Dokumente gefunden, die gewesen sei. heimtückischen Feind, ausgeliefert. Die- ihm unbekannt waren, und entwickelte Inwieweit die KPD von der Machtüber- ser Lebensabschnitt Thälmanns bedarf aus ihnen seine Deutungen. Doch Ge- tragung an Hitler überrascht wurde eines besonders verantwortungsvollen schichtsforschung ist das Suchen nach und in welchem Maße sie den umgehend Umgangs mit den uns überlieferten Quel- den tatsächlichen Zusammenhängen. Blo- einsetzenden faschistischen Terror len. Kritische Vorsicht ist besonders bei ße Vermutungen haben da keinen Platz. zunächst unterschätzte, ist auch in der den Gestapo-Dokumenten geboten, DDR zu wenig untersucht worden. kundige Sorgfalt bei den Materialien, Doch mit Thälmanns Verhaftung hat die von Thälmann erhalten geblieben diese Frage nur indirekt zu tun. Vom sind. Stets müssen die zu uns gedrun- Sicherheitsapparat der Partei waren genen Fakten unter den jeweils kon- für das Untertauchen der Parteiführer kreten Umständen analysiert werden. notwendige Vorkehrungen getroffen Das Verhalten Thälmanns im Haft- worden. Das bestätigte Hans Kippen- zeitraum manifestiert nicht nur die berger, der Leiter des Militärischen Ethik des Klassenkampfes und die Apparats und der Sicherheitsgruppen Unbeugsamkeit eines Kommunisten, der KPD. sondern auch die Verantwortung der Thälmann hatte schon im Oktober Partei als Solidargemeinschaft ge- 1932 den Vorschlag gemacht, „in ge- genüber ihrem gefangenen Genossen. eigneter Entfernung zu ein Daraus ergibt sich ein Anspruch an isoliertes Haus ausfindig zu machen“ die Thälmann-Forschung, der nicht und gefordert, daß niemand außer nur unsere Widerstandskultur prägt, den unmittelbar Beteiligten den Zu- sondern auch die unseres Antifaschis- fluchtsort kennen sollte. Aufgrund von mus überhaupt. Schwierigkeiten bei der Bezahlung der Es sind nicht nur die wechselvollen Miete erfuhren mehrere Genossen von Bedingungen zu untersuchen, unter diesem Objekt. Thälmann verlangte denen Thälmann die 4000 Tage und die strikte Einhaltung der Regeln der Nächte der Isolierhaft durchstand, Konspiration und die Auswahl eines sondern auch die Faktoren, die ihn neuen Domizils. Zwei weitere Häuser dazu befähigten, ihr genauso zu wi- wurden nun angemietet. Ende Februar derstehen wie der Heimtücke seines 1933 besichtigte der KPD-Vorsitzende brutalen Feindes. Wir finden, daß eines davon. Es konnte bis Oktober diese Zusammenhänge in der Thäl- von Illegalen, darunter Hermann mann-Biographie des Instituts für Schubert, genutzt werden. Erst dann Marxismus-Leninismus nicht ausrei- hob es die Gestapo infolge des Verrats chend dargelegt wurden. von Alfred Kattner, einem ehemaligen Wir wollen mit der Recherche zum technischen Mitarbeiter Thälmanns, Verhalten Thälmanns bei unter- aus. schiedlichen Haftbedingungen in Doch bevor der Quartierwechsel ein- Moabit, Hannover und Bautzen dar- Ernst Thälmann im Hof des Untersuchungs- geleitet werden sollte – noch stand zulegen versuchen, wie es ihm gelang, gefängnisses in Berlin-Moabit, wo er von die Partei im Reichstagswahlkampf seinen Widerstandswillen zu formen Mai 1933 bis August 1937 eingekerkert war – durchkreuzte der Reichstagsbrand und seine politische Isolierung zu dieses Vorhaben. In den ersten Tagen durchbrechen, gleichzeitig aber auch die Als der Vorsitzende der KPD am 3. März nach der faschistischen Provokation war Strategie des faschistischen Feindes zu 1933 ohne Haftbefehl festgenommen es unter den Bedingungen des brutalen erkennen; wie er diesen nicht ohne Erfolg wurde, war das ein verfassungswidriger SA- und Polizei-Terrors unmöglich, eine täuschen und dessen Absichten durch- Akt. Thälmann gehörte dem Auswärtigen so markante Person wie Thälmann bei kreuzen konnte. Ausschuß des Reichstages an und besaß ständigen Straßenkontrollen in einem Eine solche Analyse vermag uns heute auch zwischen Reichstagsauflösung und Auto zu transportieren. Es bestand die bedeutende Erkenntnisse zum Faktor Neuwahl Immunität. Das war in Artikel akute Gefahr, daß er erkannt und auf der Widerstand zu vermitteln. Die Wahrheit 40 a der Reichsverfassung so festgelegt. Stelle verhaftet werden würde. Aus dieser über Thälmanns Verhalten in der Haft ist Die Notverordnung des Reichspräsiden- Überlegung beschloß der Sicherheitsap- zweifellos ein Moment, das unseren anti- ten vom 28. Februar 1933 „Zum Schutz parat, einige Tage mit dem Austausch der kommunistischen Gegnern mißfällt. Des- von Volk und Reich“ hatte ihn nicht auf- Quartiere zu warten. Dieser Entscheidung halb gerät jeder leichtfertige Umgang mit gehoben. Es ist richtig, daß sich die Igno- lag zugrunde, daß die Unterbringung bei den Akten über Thälmanns Haft, wie ihn rierung des Verfassungsgebots im März den seit 1924 erprobten „Gastgebern“ Klu- u. a. Ronald Sassning tätigt, zu einer Un- 1933 bereits deutlich abzeichnete. czynski – wo sich Thälmann befand – in terstützung der Verleumder Thälmanns. Sassning behauptet nun, Thälmann habe jedem Falle sicherer sei als das Betreten Wenn wir einigen Neuforschern Glauben nur durch die fehlende Wachsamkeit des der Straße. Wie aus Dokumenten bekannt, schenken, dann war es der Leichtsinn KPD-Sicherheitsapparates verhaftet wer- hatten weder Polizei noch SA oder Gesta- Thälmanns, der zu seiner Verhaftung den können. Diese sei ursächlich darauf po bis zum Verrat der Anwesenheit Thäl- führte. Ihr Vorwurf an die DDR-Ge- zurückzuführen, daß die Partei infolge manns von dieser Wohnung Kenntnis. II n RF-Extra ROTFUCHS / Juni 2007

Dessen Umstände wurden erst in den ge geraten, zumal mit Kattners Tötung begeben. Es gelang ihm dabei, seinen Jahren 1946/47 vollständig durch die Ber- ihr entscheidender Trumpf nicht mehr Gestapo-Begleiter abzuhängen. Im März liner Polizei aufgeklärt. Eine erste Veröf- zur Verfügung stand. Thälmann selbst 1939 traf er nach allen Sicherheitsüber- fentlichung über die Zusammenhänge der bezeichnete die ihm vorgehaltenen Se- prüfungen mit Franz Dahlem zusammen. Verhaftung Thälmanns erfolgte durch kretariats- und Politbüroprotokolle vom Anschließend wurden seine Tätigkeit als Genossen Hermann Dünow (ND vom 18. Januar und Februar 1933 als Fälschungen. Kurier sowie sämtliche Kontakte zum April 1966), wobei Walter UIbricht, wie Die Gestapo war nicht bereit, den „Infor- KPD-Sekretariat in beendet. Er eine handschriftliche Notiz dokumentiert, manten“ zu nennen. Sie hielt geheim, von wurde zum Schweigen verpflichtet. Anton ärgerlich nachfragte, warum diese Infor- wem sie diese Unterlagen und die proto- Ackermann veranlaßte ihn, Frankreich zu mationen nicht schon früher übermittelt kollarische Niederschrift der Tagung in verlassen. Nach einer Odyssee gelangte worden seien. Ziegenhals erhalten hatte. Die Frage ist Trautzsch 1941 in die Schweiz. Doch in Nachdem Thälmanns illegaler Aufenthalt bis heute nicht geklärt. Moskau war Dimitroff inzwischen infor- im März 1933 verraten worden und sei- So mußte Hitler, von Goebbels inspiriert, miert worden, daß der Kurier möglicher- ne Festnahme erfolgt war, strebten die der einen internationalen Skandal be- weise Gestapo-Agent geworden sei. Und Faschisten zunächst einen Schauprozeß fürchtete, seine „Juristen“ anweisen, von als Anton Ackermann 1940 in Moskau gegen ihn an. Damit sollte vor aller Welt einem Prozeß gegen Thälmann Abstand eintraf, bestätigte er, daß sich Trautzsch nachgewiesen werden, daß die KPD im zu nehmen. Der KPD-Vorsitzende wurde mit der Gestapo eingelassen habe. Was Februar einen bewaffneten Aufstand daraufhin formal aus der Untersuchungs- dieser ihr gesagt habe, wußte Ackermann vorbereitete, was den brutalen Terror haft entlassen und von der Gestapo bis jedoch nicht. Der Bericht von Trautzsch gegen sie gerechtfertigt habe. Diese Goe- zum Tage seiner späteren Ermordung in an Dahlem war verlorengegangen. Das bbelsche Propagandathese war schon „Schutzhaft“ genommen. KPD-Politbüromitglied aber hatten die im Reichstagsbrandprozeß widerlegt Deren Bedingungen gestalteten sich in Franzosen inzwischen inhaftiert. worden. Georgi Dimitroff und die kom- allen drei Haftanstalten – Moabit, Han- Die Folge dieser Affäre war, daß Ernst munistischen Zeugen hatten die Lüge vom nover und Bautzen – sehr unterschied- Thälmann fortan ohne Kontakt zur Par- Zusammenhang zwischen dem Aufruf lich. Thälmann gelang es während der teiführung blieb und auch Rosa für das zum Generalstreik und einem angebli- Zeit seiner Untersuchungshaft bis 1938, Ausbleiben des Kuriers keine Gründe chen bewaffneten Aufstand ad absurdum die Verbindung mit der Parteiführung wußte. Thälmann bat seine Frau zu klä- geführt. Besonders markant war in die- in Paris und Moskau aufrechtzuhalten. ren, warum dieser nicht mehr komme, sem Zusammenhang der Dialog zwischen Sowohl Rosa Thälmann als auch Walter und schrieb mehrere Briefe an das ZK. Dimitroff und Theodor Neubauer. Trautzsch hatten daran, daß die Gestapo Rosa sollte versuchen, sie über die sowje- Doch die Faschisten wollten sich damit nicht imstande war, diese Kontakte aus- tische Botschaft zu befördern. nicht zufriedengeben und dachten nach zuspähen, einen entscheidenden Anteil. dieser Niederlage an einen großen Prozeß Auch Thälmanns Rechtsanwälte unter- Die Genossin Thälmann erfüllte diesen gegen Thälmann. Nachdem es ihnen nicht stützten diese geheime Verbindung. Sie Auftrag und übergab die Briefe ihres gelungen war, entsprechende Dokumente haben wesentlich dazu beigetragen, dem Mannes der Vertretung der UdSSR in Ber- im Karl-Liebknecht-Haus zu „entdecken“ wichtigsten politischen Gefangenen Hit- lin. Der damalige Botschafter Wladimir bzw. so zu verfälschen, daß sie auch das lers die Gestapohaft zu erleichtern. Dekanosow und Geschäftsträger Asta- Ausland überzeugten, mißlang der Ver- Noch ein paar Worte zu den angeblichen chow blieben skeptisch. Sie befürchteten such, Thälmann auch nur ansatzweise „Briefen Thälmanns an Stalin“. Auch hier eine Provokation. Dekanosow ließ daher brauchbare Aussagen zu entlocken. So brüsten sich gewisse Leute mit ihrem die Echtheit dieser Briefe zunächst in sahen sie sich nach Verrätern um. Es Halbwissen. Moskau überprüfen. Sie erreichten erst gelang der Gestapo, einige in Konzen- Vor über zehn Jahren wurden im Berliner im November 1940 das sowjetische Au- trationslager geworfene Kommunisten Dietz-Verlag 24 Schreiben Thälmanns, die ßenministerium, wie Dimitroff in seinen unter physischem Druck zur Mitarbeit zwischen 1939 und 1942 verfaßt worden Tagebüchern festhielt. Alle Briefe waren zu gewinnen. Unter ihnen befand sich waren, als vermeintliche Briefe an Stalin an die Parteiführung der KPD gerichtet, Alfred Kattner, der ihr als „Kronzeuge“ veröffentlicht. Doch nur eines von ihnen nur ein einziger – als Thälmann von den dienen sollte. Die Behauptung des bereits ist tatsächlich an den Führer der KPdSU eigenen Leuten keine Antwort bekam erwähnten Sassning, Hermann Dünow gerichtet. Die Begleittexte des Heraus- – auch an Stalin. Bis zum 16. April 1941 habe der Gestapo in der Haft die „Kern- gebers reihen sich in die antikommuni- versuchte der KPD-Vorsitzende, die abge- dogmatik Thälmannscher Militärpolitik stische Propaganda bürgerlicher Medien rissene Verbindung mit der Zentrale wie- vom bewaffneten Aufstand“ erläutert, ist ein und strotzen von Fehleinschätzungen. derherzustellen. Warum diese Briefe nach frei erfunden. In der von mir eingesehe- Um so wichtiger scheint es mir, die Briefe 1939 weder an das ZK noch an das Exeku- nen Quelle Sassnings findet sich keiner- in ihren historischen Zusammenhängen tivkomitee der Kommunistischen Interna- lei Beleg, der diese Behauptung stützen sachlich einzuordnen. tionale (EKKI) übergeben wurden, dürfte könnte. Thälmann hatte in der Haft selbst Nachdem durch einen Zufall der Kurier allerdings noch zu klären sein. Auch dazu Stellung genommen, wie aus seinem des ZK an der Grenze verhaftet worden wenn das Politbüro der KPD 1937 vom Nachlaß hervorgeht. Die Gestapo konnte war, riß die Verbindung zwischen Thäl- EKKI aufgelöst worden war, gab es doch Dünow nicht gegen Thälmann verwenden, mann und der Zentrale 1939 ab. Walter als Führungsorgan ein Sekretariat, und obwohl sie es hart versuchte. Trautzsch hatte für den Fall der Ent- die in Moskau anwesenden ZK-Mitglieder Nachdem es dem Militärapparat der deckung vom Politbüromitglied Franz beschäftigten sich kontinuierlich mit der KPD gelungen war, Alfred Kattner als Dahlem die Anweisung erhalten, sich Lage Ernst Thälmanns. Ihr Versuch einer Belastungszeugen gegen Thälmann aus- als Mitarbeiter der Nachrichtenabtei- erneuten Kontaktaufnahme mit ihm über zuschalten (er wurde in seiner Wohnung lung des ZK vorzustellen und auf das Alfred Kowalke gelang nicht. Als der Ku- erschossen), geriet der geplante Thäl- zu erwartende Angebot der Gestapo zur rier in Hamburg eintraf, waren Rosa und mann-Prozeß der Nazis in eine ausweglo- Mitarbeit einzugehen. Er gab sich also Irma bereits nach Solingen verzogen, wo se Sackgasse. Die Gestapo rächte sich für verabredungsgemäß zu erkennen und Thälmanns Tochter geheiratet hatte. Alf- die Beseitigung Kattners mit dem Mord an täuschte die faschistische Geheimpolizei red Kowalke wurde später verhaftet. John Schehr und Genossen. über seine Tätigkeit als Thälmann-Kurier. Walter Trautzsch hat seine ihm auferlegte Die Standhaftigkeit Thälmanns und Die Gestapo, die des Glaubens war, einen Schweigepflicht eingehalten. Das gehörte die ihm zuteil werdende internationale guten Mann für sich gewonnen zu haben, zur Disziplin. Er hat über seine Tätigkeit Solidarität, die Veröffentlichung der An- bot Trautzsch wie erwartet eine Zusam- als Kurier zu Thälmann erst berichtet, als klageschrift gegen den KPD-Vorsitzen- menarbeit im Ausland an, auf die der ihn Franz Dahlem Ende der 50er Jahre den, welche von seinen Rechtsanwälten erfahrene Kommunist – seiner Weisung von der Verschwiegenheit entband. Alfred ins Ausland lanciert worden war, ließen folgend – auch einging. Er wurde darauf- Kowalke hat seinen Auftrag mit in den die Nazi-Justiz in eine schwierige La- hin entlassen und sollte sich nach Paris Tod genommen. Dr. Eberhard Czichon ROTFUCHS / Juni 2007 RF-Extra n III

Wie sich der Militärisch-Industrielle Komplex der BRD die Bundeswehr unterordnet Privatisierung einer Armee

en Medien war zu entnehmen, daß Privatisierungsprozeß auch überprüft, DBundeskanzlerin Merkel am 14. No- welche bisher vom Militär eingenommene vember vergangenen Jahres dem Heer, Planstelle gestrichen oder anderweitig der größten Teilstreitkraft der Bundes- besetzt werden kann, um die Soldaten wehr, ihren Antrittsbesuch abstattete. wieder ihrer „Hauptaufgabe“ zuzuführen. Er fand auf dem Truppenübungsplatz Ein „Sachzwang“ ist auch der Prozeß der Altmark (Letzlinger Heide, nördlich von Internationalisierung und der „europä- Magdeburg) statt. Dort befindet sich das ischen Einigung“. Der BDI stellte mit Blick Gefechtsübungszentrum (GÜZ) des Hee- auf die Entwicklung der Streitkräfte und res. Es ist die größte und modernste An- Rüstungen in Europa klipp und klar fest: lage. Auf ihr üben alle Einheiten, die für „Die Entwicklungen in Brüssel abzuwar- den Auslandseinsatz vorgesehen sind. Der ten und nur zu reagieren ist eine mögliche, Kanzlerin wurde das „breite Fähigkeits- aber keine akzeptable Handlungsoption spektrum“ des Heeres erläutert. In einer der deutschen Rüstungsindustrie.“ Waffenschau konnte sie nahezu alle Arten Es waren die „rot-grüne“ Bundesregie- von Kampftechnik sowie die Bewaffnung rung und ihr erster Verteidigungsmini- und Ausrüstung der Soldaten in Augen- für gelungene Zusammenarbeit zwischen ster Scharping, die die Privatisierung schein nehmen. Ihr wurden auch der „In- Bundeswehr und Wirtschaft. großen Stils auf den Weg brachten. fanterist der Zukunft“, mit Computer und Die Privatisierung im militärischen Be- Ihre „Geburtsurkunde“ ist der „Rah- Nachtbrille versehen, und Herr Tiemann reich (Zusammenarbeit, Kooperation oder menvertrag Innovation, Investition und vorgestellt. Er ist Geschäftsführer der öffentlich-private Partnerschaft sind Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“, Firma Serco, die an 35 Standorten in der Synonyme) ist nicht allein aus den hohen 1999 von Schröder, Scharping sowie 100 BRD „qualitativ hochwertige öffentliche Gewinnerwartungen der Konzerne zu Konzernvertretern unterzeichnet. Dieser Dienstleistungen“ für Behörden, Institu- erklären. Es gibt noch andere Ursachen, „Verpflichtung zur strategischen Partner- tionen und Unternehmen erbringt. Sachzwänge, die bestimmte Kräfte in schaft“, wie der Vertrag genannt wurde, Auf dem 23 000 ha großen Truppen- Politik, Wirtschaft und Militär vor noch schlossen sich in kurzer Zeit weitere 350 übungsplatz betätigt sich Serco als „indu- nicht einmal zehn Jahren veranlaßten, Unternehmen an. Etwa zeitgleich grün- strieller Betreiber des GÜZ“. Unterstützt die Privatisierung in der Bundeswehr dete das Verteidigungsministerium die von Subunternehmern ist Serco seit 2004 generalstabsmäßig anzugehen. Bei diesen „Gesellschaft für Entwicklung, Beschaf- auf der Grundlage eines Leistungsvertra- Kräften handelt es sich um den Militär- fung und Betrieb GmbH“ (g.e.b.b.). Sie war ges mit der Bundeswehr für den gesamten Industrie-Komplex der BRD. Für ihn ist als „Scharnier“ zwischen Ministerium Betriebsablauf zuständig. Rund 200 zivile nach dem Ende des kalten Krieges der und „Wirtschaft“ gedacht und nahm bald Mitarbeiter gewährleisten, daß die üben- heiße Krieg wieder normales Mittel der selbst eine Schlüsselrolle im Privatisie- den Einheiten so gefechtsnah wie nur Politik geworden. Seitdem vollzieht sich rungsprozeß ein. Der Großraum für diesen irgend möglich ausgebildet werden. Die in der Bundeswehr der tiefgreifendste wurde abgesteckt. Er umfaßte jene nicht- Felddienstuniform der Soldaten wird mit Wandlungsprozeß seit ihrer Aufstellung militärischen Bereiche, auf die immerhin Sensoren bestückt, alle Waffen, von der vor 50 Jahren, offiziell als „Transforma- 40 Prozent des Rüstungshaushalts (über Maschinenpistole bis zum Panzer, erhal- tion“ bezeichnet. zehn Milliarden Euro jährlich) entfallen: ten Duellsimulatoren , die den scharfen Verändert wurde der Auftrag der Bun- Versorgung mit Verpflegung, Bekleidung Schuß durch augensichere Lasertechnik deswehr. Landesverteidigung, wie im und Ausrüstung, Instandhaltung und ersetzen. Modernste Technik erlaubt, Mi- Grundgesetz verankert, ist abgehakt. Wartung von Waffen und Gerät, Verkehr nenfelder und Artilleriefeuer zu imitieren, Heute steht an oberster Stelle, „die außen- und Transport, Informations- und Kom- jederzeit den Standort der Soldaten und politische Handlungsfähigkeit Deutsch- munikationstechnologien, Liegenschaf- der Technik zu ermitteln, ihren äußeren lands zu sichern“ (Weißbuch 2006). Das ten, z. T. auch Ausbildung u. a. m. Zustand mittels mobiler Videokameras im erfordert eine weltweit einsatzfähige In- Eine regelrechte Goldgräberstimmung Bild festzuhalten, alle anfallenden Daten terventionsarmee. Dafür wird viel mehr erfaßte Unternehmen der Industrie und – einschließlich der mündlichen Befehle Geld benötigt, als der Rüstungshaushalt Firmen des Handwerks. Im Bereich Infor- und Meldungen an die Zentrale – zu über- hergibt (2007: 27,87 Mrd. Euro). Deshalb mationstechnologie wurde Ende 2006 das mitteln, auf den Computer-Arbeitsplätzen soll mit der Privatisierung zusätzliches europaweit bisher größte Privatisierungs- der militärischen Ausbilder sicht- und Kapital „mobilisiert“ werden. Bestimmte vorhaben unterzeichnet. Es trägt den Na- hörbar zu machen und für abschließende Aufgaben innerhalb der Bundeswehr kön- men „Herkules“. Siemens und der US-Kon- Auswertungen zu speichern. Serco unter- nen die Unternehmen mit ihren Erfahrun- zern IBM werden die Informations- und hält den Fuhrpark mit 300 Ketten- und gen in Sachen Wirtschaftlichkeit besser, Kommunikationstechnik (außer Waffen Radfahrzeugen, die Waffenkammer und schneller und auch billiger erfüllen. Das und Feldführung) umfassend moderni- das Ersatzteillager. Aufgrund steigender ermöglicht es der Bundeswehr, sich auf sieren und betreiben. An 1500 Standorten Anfragen ermöglicht Serco in diesem ihren „Kernauftrag“ zu konzentrieren. So erhält die Bundeswehr 140 000 Computer, Jahr 21 statt bisher 16 Übungen im GÜZ. die Überlegungen. 7000 Server, 300 000 Festnetztelefone und Jede von ihnen dauert 14 Tage, an ihr Ein anderer „Sachzwang“ ergibt sich 15 000 Mobiltelefone. Dazu kommen noch nehmen bis zu 1500 Soldaten und 600 aus der Personallage. Der Bestand der neue Rechenzentren und IT-Servicelei- Gefechts- und Transportfahrzeuge teil. Bundeswehr verringert sich von 550 000 stungen. Das Finanzvolumen beträgt Die Bundeswehr erhöhte den Etat für (3. Oktober 1990) auf 250 000 (Soll 2010) 7,1 Mrd. Euro, verteilt über eine zehnjäh- Serco rückwirkend auf 90 Millionen Euro. Mann. Aber noch dienen viele Soldaten rige Laufzeit. Für Siemens – so ein Kon- Minister Jung und Geschäftsführer Tie- in Bereichen, die mit dem neuen Auftrag zernsprecher – ist es der größte Auftrag mann sprechen von einem Paradebeispiel nichts zu tun haben. Deshalb wird im in der 159jährigen Firmengeschichte. Die IV n RF-Extra ROTFUCHS / Juni 2007

Branche erhofft sich eine Signalwirkung Vertrages jeglichen Einfluß verloren. Der Der Militär-Industrie-Komplex vervoll- auf Vorhaben in anderen Ministerien: Bundestag kann nicht einmal eine Haus- kommnet auch sein Instrumentarium. Dabei ist an die Gesundheitskarte der haltssperre verhängen, falls Siemens und Vor drei Jahren hat sich neben der be- Ministerin Schmidt und Schäubles digi- IBM die Vorgaben nicht einhalten. Der reits seit 1963 stattfindenden Münchener talen Polizeifunk gedacht. Erinnern sollte Vertrag sieht vor, daß der Bund in jedem Sicherheitskonferenz, früher unter dem man sich an Herrn von Pierer, bis 2004 Fall zahlen muß. Wo es im Verlauf der Pri- Namen Wehrkundetagung bekannt, die Vorstandvorsitzender und bis vor kurzem vatisierung punktuell zu Einsparungen „Handelsblatt-Konferenz Sicherheitspoli- Aufsichtsratvorsitzender des Konzerns. für die Bundeswehr kommt – hier wird tik und Verteidigungsindustrie“ etabliert. Von einer Korruptionsaffäre größten Aus- die Zahl von 800 Millionen innerhalb von Die größte deutschsprachige Wirtschafts- maßes nicht unberührt, ist er weiterhin vier Jahren genannt –, bringt das dem und Finanzzeitung schlägt mit dieser Berater der Bundeskanzlerin und gehörte Steuerzahler nichts. Die Bundesregierung jährlich zusammentretenden Konferenz beim letzten Bundestagswahlkampf zu hat festgelegt, daß „Effizienzgewinne auf die „Brücke zwischen sicherheitspoliti- ihrem „Kompetenzteam“. Grund hoher Wirtschaftlichkeit aus der schen, militärstrategischen und industri- Privatisierung ist kein öffentlichkeits- Zusammenarbeit mit privaten Kreisen ellen Entwicklungen und Erwartungen“. wirksames Thema für die Medien. Es ist und aus abgesenkten Betriebskosten“ Auf der 3. Konferenz im September 2006 im Denken vieler Bundesbürger negativ im Etat des Verteidigungsministeriums wurden u. a. Themen wie die Entwicklung besetzt. Doch alles deutet darauf hin, verbleiben können. Im Klartext, Einspa- moderner Streitkräfte, der Rüstungsbe- daß ihre Rolle in der Bundeswehr weiter rungen werden sofort wieder an einer darf ausgewählter Länder und die Lehren zunimmt. Im Mai 2006 wurde im Ver- anderen Stelle rüstungswirksam. aus der Fußball-Weltmeisterschaft unter teidigungsministerium eine Abteilung Die Privatisierung verstärkt eine bereits dem „Aspekt der Annäherung von inne- „Modernisierung“ geschaffen. Minister seit Jahren erkennbare Entwicklung rer und äußerer Sicherheit“ referiert und Jung hat Modernisierung und Entbüro- im Personalbestand der Bundeswehr: diskutiert. kratisierung der Bundeswehr zu einem Der prozentuale Anteil der Freiwilligen Vom russischen Kosmodrom Plessezk Schwerpunkt der nächsten Jahre erklärt. wächst, entsprechend rückläufig ist der (800 km nordöstlich von Moskau) star- Dabei soll der „privatwirtschaftliche Anteil der Wehrpflichtigen. Betrug dieser tete der erste Aufklärungssatellit der Sachverstand“ ein noch höheres Gewicht im Jahr 2000 noch 17 Prozent, so werden Bundeswehr. Im kommenden Jahr soll in der Bundeswehr erhalten. es nach der Bundeswehrplanung für 2010 das System – SAR Lupe genannt – voll Die Entstaatlichung in der Bundeswehr nur noch 12 Prozent sein. An Auslandsein- einsatzfähig sein. Dann umkreisen fünf ist Bestandteil der weltweiten Privatisie- sätzen dürfen grundsätzlich nur Freiwil- Satelliten in 500 km Höhe die Erde. SAR rung von Gewalt und Krieg. Obwohl bei lige teilnehmen. Und der Bedarf ist groß. Lupe basiert auf Radartechnologie. Der der Bundeswehr noch im Anfangsstadium, Aktuell sind es 9000 Soldaten auf drei Kon- Vorteil gegenüber optischen Aufklärungs- zeichnen sich bereits schwerwiegende tinenten. Künftig werden es 14 000 in fünf satelliten besteht darin, daß wetter- und Folgen und ernste Gefahren ab. Sie gehen Krisengebieten sein. Dazu kommen 6600 tageszeitunabhängig hochauflösende Bil- weit über das hinaus, was Bundesbürger Soldaten für die Schnelle Eingreiftruppe der gewonnen werden können. Bisher ver- durch die Liquidierung staatlichen und der NATO und seit Januar 2007 weitere fügten nur die Streitkräfte der USA und kommunalen Eigentums bereits spüren. 1700 Mann für entsprechende Einheiten Rußlands über diese Technologie. Der Die Bundeswehr wird immer wieder als der EU. Freiwilligkeit als Voraussetzung zuständige Bundeswehrgeneral brachte „Parlamentsarmee“ gelobt Doch sie ist, für Auslandseinsätze ist keine juristische es auf den Punkt: „Uns steht nun ein In- wie der gesamte Sicherheitsbereich, einer Spitzfindigkeit. Hier geht es zuallererst strument zur Verfügung, mit dem wir aus wirksamen parlamentarischen Kontrolle um die erforderliche Ausbildung und Er- eigenem politischem Antrieb exklusiv und weitgehend entzogen. In diesem Kern- fahrung. Beides aber ist in neun Monaten weltweit unabhängige Daten ermitteln stück staatlicher Gewalt erfolgt die Pri- (Dauer des Grundwehrdienstes) nicht zu können, wann immer wir sie benötigen.“ vatisierung ohne gesetzliche Grundlage. schaffen. Vor Jahren war für die Bundes- Die Privatisierung von Aufgaben und Weder gab es eine Grundgesetzänderung wehrführung die „Schmerzgrenze“ mit 12 Funktionen der Bundeswehr führt ob- noch eine Art Bundeswehr-Privatisie- Monaten erreicht. jektiv zu einem langfristigen Wandel im rungsgesetz. Die Zusammenarbeit zwi- Mit der Privatisierung in der Bundes- Verhältnis Bundestag und Bundeswehr schen Streitkräften und kapitalistischen wehr erhöht sich der Einfluß des Mili- mit erheblichen Konsequenzen für die Unternehmen beruht auf Entscheidungen tär-Industrie-Komplexes nicht nur auf Kontrolle dieses Gewaltinstruments. des Verteidigungsministers. Jung betont die Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist Selbst wenn Bundeswehreinsätze mit immer wieder, daß die Privatisierung aufschlußreich, welche Probleme z. B. der UN-Mandat erfolgen, fehlt jegliche demo- nicht den militärischen Kernbereich er- BDI in den letzten Jahren untersuchte. kratische Aufsicht. Denn der weitgehend fasse. Aber es fehlt eine Definition, was Die Schlußfolgerungen aus der Analyse von den imperialistischen Hauptmächten zivile und was militärische Aufgaben- wurden in „Positionspapieren“ festgehal- beherrschte Weltsicherheitsrat wird von felder sind. Fehlende gesetzliche Grund- ten und – verbunden mit Forderungen der keinem demokratisch legitimierten Organ lagen und mangelnde parlamentarische „Wirtschaft“ – an die Bundesregierung überwacht. Es entsteht die permanente Kontrolle leisten dem Vordringen von weitergeleitet. Im einzelnen hießen die Gefahr, daß über die Bundeswehr und ih- Konzernstrukturen in den militärischen Papiere: 2004 – „Streitkräfte und Indu- ren Einsatz im In- und Ausland letztlich Kernbereich Vorschub. Die Privatisierung strie“ („Eckpunkte zur Sicherung unserer Kräfte des Militär-lndustrie-Komplexes, in der Bundeswehr fördert die Gewichts- strategisch wichtigen Sicherheits- und also private Akteure im Bunde mit der verlagerung vom Bundestag zur Bundes- Rüstungsindustrie“); 2005 – „Sicherheit NATO, entscheiden. Die hier nur ange- regierung. Diese Entmündigung nimmt und Verteidigung für Deutschland – Her- deuteten Gefahren werden in der breiten die große Mehrheit der Abgeordneten ausforderungen für Industrie und Politik“ Öffentlichkeit vorerst kaum wahrgenom- billigend in Kauf. („Der Weg, um Bundeswehr und Industrie men. Bundespräsident Köhler stellte fest, Entgegen den Behauptungen, durch Pri- zukunftsfest zu machen!“); ebenfalls 2005 daß die Entwicklung der Bundeswehr von vatisierung würden finanzielle Einspa- – „Positionspapier zur Interessenwahr- der BRD-Bevölkerung mehrheitlich mit rungen erzielt, ist das keineswegs der Fall. nehmung der deutschen wehrtechnischen „freundlichem Desinteresse“ zur Kenntnis Die Privatisierung wird ausschließlich Industrie in Europa“; 2006 – „Positions- genommen wird. vom Profitinteresse bestimmt. „Herkules“ papier der deutschen Sicherheits- und Übrigens: Der anfangs erwähnte „indu- steht als Beispiel für viele Projekte. Die Verteidigungsindustrie zur Europäischen strielle Betreiber des GÜZ“, Serco, wurde Bundestagsopposition kritisierte dieses Verteidigungsagentur“. Für das laufende am 14. Juni 2006 in Berlin als „familien- überteuerte Unterfangen. Nahezu eine Jahr ist eine Konferenz geplant, auf der freundlicher Betrieb“ ausgezeichnet. Die Mrd. Euro hätte gespart werden können. der BDI seine „politische Strategie zur Urkunde überreichten Familienministe- Bundestag und Bundesregierung haben Rohstoffsicherung“ vorstellen will. rin von der Leyen und Wirtschaftsmini- sich in eine fatale Abhängigkeit begeben Es werden indes nicht nur Positionen ster Glos. und für die zehnjährige Laufzeit des formuliert und Forderungen erhoben: Dr. Dieter Hillebrenner, Oberst a. D.