ROTFUCHS / Juni 2007 RF-Extra n I Eine Antwort an Fabulierer, die sich für Historiker halten Verhaftung und Kerkerzeit Ernst Thälmanns er KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann schichtsschreibung lautet, dies nicht pu- ihrer „Abhängigkeit von Moskau“ nicht Dbefand sich mehr als 11 Jahre in bliziert zu haben. Sassning hat beispiels- auf eine umfassende Illegalität eingestellt Einzelhaft. Er war der Gestapo, einem weise einzelne Dokumente gefunden, die gewesen sei. heimtückischen Feind, ausgeliefert. Die- ihm unbekannt waren, und entwickelte Inwieweit die KPD von der Machtüber- ser Lebensabschnitt Thälmanns bedarf aus ihnen seine Deutungen. Doch Ge- tragung an Hitler überrascht wurde eines besonders verantwortungsvollen schichtsforschung ist das Suchen nach und in welchem Maße sie den umgehend Umgangs mit den uns überlieferten Quel- den tatsächlichen Zusammenhängen. Blo- einsetzenden faschistischen Terror len. Kritische Vorsicht ist besonders bei ße Vermutungen haben da keinen Platz. zunächst unterschätzte, ist auch in der den Gestapo-Dokumenten geboten, DDR zu wenig untersucht worden. kundige Sorgfalt bei den Materialien, Doch mit Thälmanns Verhaftung hat die von Thälmann erhalten geblieben diese Frage nur indirekt zu tun. Vom sind. Stets müssen die zu uns gedrun- Sicherheitsapparat der Partei waren genen Fakten unter den jeweils kon- für das Untertauchen der Parteiführer kreten Umständen analysiert werden. notwendige Vorkehrungen getroffen Das Verhalten Thälmanns im Haft- worden. Das bestätigte Hans Kippen- zeitraum manifestiert nicht nur die berger, der Leiter des Militärischen Ethik des Klassenkampfes und die Apparats und der Sicherheitsgruppen Unbeugsamkeit eines Kommunisten, der KPD. sondern auch die Verantwortung der Thälmann hatte schon im Oktober Partei als Solidargemeinschaft ge- 1932 den Vorschlag gemacht, „in ge- genüber ihrem gefangenen Genossen. eigneter Entfernung zu Berlin ein Daraus ergibt sich ein Anspruch an isoliertes Haus ausfindig zu machen“ die Thälmann-Forschung, der nicht und gefordert, daß niemand außer nur unsere Widerstandskultur prägt, den unmittelbar Beteiligten den Zu- sondern auch die unseres Antifaschis- fluchtsort kennen sollte. Aufgrund von mus überhaupt. Schwierigkeiten bei der Bezahlung der Es sind nicht nur die wechselvollen Miete erfuhren mehrere Genossen von Bedingungen zu untersuchen, unter diesem Objekt. Thälmann verlangte denen Thälmann die 4000 Tage und die strikte Einhaltung der Regeln der Nächte der Isolierhaft durchstand, Konspiration und die Auswahl eines sondern auch die Faktoren, die ihn neuen Domizils. Zwei weitere Häuser dazu befähigten, ihr genauso zu wi- wurden nun angemietet. Ende Februar derstehen wie der Heimtücke seines 1933 besichtigte der KPD-Vorsitzende brutalen Feindes. Wir finden, daß eines davon. Es konnte bis Oktober diese Zusammenhänge in der Thäl- von Illegalen, darunter Hermann mann-Biographie des Instituts für Schubert, genutzt werden. Erst dann Marxismus-Leninismus nicht ausrei- hob es die Gestapo infolge des Verrats chend dargelegt wurden. von Alfred Kattner, einem ehemaligen Wir wollen mit der Recherche zum technischen Mitarbeiter Thälmanns, Verhalten Thälmanns bei unter- aus. schiedlichen Haftbedingungen in Doch bevor der Quartierwechsel ein- Moabit, Hannover und Bautzen dar- Ernst Thälmann im Hof des Untersuchungs- geleitet werden sollte – noch stand zulegen versuchen, wie es ihm gelang, gefängnisses in Berlin-Moabit, wo er von die Partei im Reichstagswahlkampf seinen Widerstandswillen zu formen Mai 1933 bis August 1937 eingekerkert war – durchkreuzte der Reichstagsbrand und seine politische Isolierung zu dieses Vorhaben. In den ersten Tagen durchbrechen, gleichzeitig aber auch die Als der Vorsitzende der KPD am 3. März nach der faschistischen Provokation war Strategie des faschistischen Feindes zu 1933 ohne Haftbefehl festgenommen es unter den Bedingungen des brutalen erkennen; wie er diesen nicht ohne Erfolg wurde, war das ein verfassungswidriger SA- und Polizei-Terrors unmöglich, eine täuschen und dessen Absichten durch- Akt. Thälmann gehörte dem Auswärtigen so markante Person wie Thälmann bei kreuzen konnte. Ausschuß des Reichstages an und besaß ständigen Straßenkontrollen in einem Eine solche Analyse vermag uns heute auch zwischen Reichstagsauflösung und Auto zu transportieren. Es bestand die bedeutende Erkenntnisse zum Faktor Neuwahl Immunität. Das war in Artikel akute Gefahr, daß er erkannt und auf der Widerstand zu vermitteln. Die Wahrheit 40 a der Reichsverfassung so festgelegt. Stelle verhaftet werden würde. Aus dieser über Thälmanns Verhalten in der Haft ist Die Notverordnung des Reichspräsiden- Überlegung beschloß der Sicherheitsap- zweifellos ein Moment, das unseren anti- ten vom 28. Februar 1933 „Zum Schutz parat, einige Tage mit dem Austausch der kommunistischen Gegnern mißfällt. Des- von Volk und Reich“ hatte ihn nicht auf- Quartiere zu warten. Dieser Entscheidung halb gerät jeder leichtfertige Umgang mit gehoben. Es ist richtig, daß sich die Igno- lag zugrunde, daß die Unterbringung bei den Akten über Thälmanns Haft, wie ihn rierung des Verfassungsgebots im März den seit 1924 erprobten „Gastgebern“ Klu- u. a. Ronald Sassning tätigt, zu einer Un- 1933 bereits deutlich abzeichnete. czynski – wo sich Thälmann befand – in terstützung der Verleumder Thälmanns. Sassning behauptet nun, Thälmann habe jedem Falle sicherer sei als das Betreten Wenn wir einigen Neuforschern Glauben nur durch die fehlende Wachsamkeit des der Straße. Wie aus Dokumenten bekannt, schenken, dann war es der Leichtsinn KPD-Sicherheitsapparates verhaftet wer- hatten weder Polizei noch SA oder Gesta- Thälmanns, der zu seiner Verhaftung den können. Diese sei ursächlich darauf po bis zum Verrat der Anwesenheit Thäl- führte. Ihr Vorwurf an die DDR-Ge- zurückzuführen, daß die Partei infolge manns von dieser Wohnung Kenntnis. II n RF-Extra ROTFUCHS / Juni 2007 Dessen Umstände wurden erst in den ge geraten, zumal mit Kattners Tötung begeben. Es gelang ihm dabei, seinen Jahren 1946/47 vollständig durch die Ber- ihr entscheidender Trumpf nicht mehr Gestapo-Begleiter abzuhängen. Im März liner Polizei aufgeklärt. Eine erste Veröf- zur Verfügung stand. Thälmann selbst 1939 traf er nach allen Sicherheitsüber- fentlichung über die Zusammenhänge der bezeichnete die ihm vorgehaltenen Se- prüfungen mit Franz Dahlem zusammen. Verhaftung Thälmanns erfolgte durch kretariats- und Politbüroprotokolle vom Anschließend wurden seine Tätigkeit als Genossen Hermann Dünow (ND vom 18. Januar und Februar 1933 als Fälschungen. Kurier sowie sämtliche Kontakte zum April 1966), wobei Walter UIbricht, wie Die Gestapo war nicht bereit, den „Infor- KPD-Sekretariat in Paris beendet. Er eine handschriftliche Notiz dokumentiert, manten“ zu nennen. Sie hielt geheim, von wurde zum Schweigen verpflichtet. Anton ärgerlich nachfragte, warum diese Infor- wem sie diese Unterlagen und die proto- Ackermann veranlaßte ihn, Frankreich zu mationen nicht schon früher übermittelt kollarische Niederschrift der Tagung in verlassen. Nach einer Odyssee gelangte worden seien. Ziegenhals erhalten hatte. Die Frage ist Trautzsch 1941 in die Schweiz. Doch in Nachdem Thälmanns illegaler Aufenthalt bis heute nicht geklärt. Moskau war Dimitroff inzwischen infor- im März 1933 verraten worden und sei- So mußte Hitler, von Goebbels inspiriert, miert worden, daß der Kurier möglicher- ne Festnahme erfolgt war, strebten die der einen internationalen Skandal be- weise Gestapo-Agent geworden sei. Und Faschisten zunächst einen Schauprozeß fürchtete, seine „Juristen“ anweisen, von als Anton Ackermann 1940 in Moskau gegen ihn an. Damit sollte vor aller Welt einem Prozeß gegen Thälmann Abstand eintraf, bestätigte er, daß sich Trautzsch nachgewiesen werden, daß die KPD im zu nehmen. Der KPD-Vorsitzende wurde mit der Gestapo eingelassen habe. Was Februar einen bewaffneten Aufstand daraufhin formal aus der Untersuchungs- dieser ihr gesagt habe, wußte Ackermann vorbereitete, was den brutalen Terror haft entlassen und von der Gestapo bis jedoch nicht. Der Bericht von Trautzsch gegen sie gerechtfertigt habe. Diese Goe- zum Tage seiner späteren Ermordung in an Dahlem war verlorengegangen. Das bbelsche Propagandathese war schon „Schutzhaft“ genommen. KPD-Politbüromitglied aber hatten die im Reichstagsbrandprozeß widerlegt Deren Bedingungen gestalteten sich in Franzosen inzwischen inhaftiert. worden. Georgi Dimitroff und die kom- allen drei Haftanstalten – Moabit, Han- Die Folge dieser Affäre war, daß Ernst munistischen Zeugen hatten die Lüge vom nover und Bautzen – sehr unterschied- Thälmann fortan ohne Kontakt zur Par- Zusammenhang zwischen dem Aufruf lich. Thälmann gelang es während der teiführung blieb und auch Rosa für das zum Generalstreik und einem angebli- Zeit seiner Untersuchungshaft bis 1938, Ausbleiben des Kuriers keine Gründe chen bewaffneten Aufstand ad absurdum die Verbindung mit der Parteiführung wußte. Thälmann bat seine Frau zu klä- geführt. Besonders markant war in die- in Paris und Moskau aufrechtzuhalten. ren, warum dieser nicht mehr komme, sem Zusammenhang der Dialog zwischen Sowohl Rosa Thälmann als auch Walter und schrieb mehrere Briefe an das ZK. Dimitroff und Theodor Neubauer. Trautzsch hatten daran, daß die Gestapo Rosa sollte versuchen, sie über die sowje- Doch die Faschisten wollten sich damit nicht imstande war, diese Kontakte aus- tische Botschaft zu befördern. nicht zufriedengeben und dachten nach zuspähen, einen entscheidenden Anteil. dieser Niederlage an einen großen Prozeß Auch Thälmanns Rechtsanwälte unter- Die Genossin Thälmann
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