DIE MANAGER DER NAZIS Wohl kalkuliert und bereitwillig hat sich die deutsche Großwirtschaft in Hitlers militärisch-industriellen Komplex eingefügt. Der I. G.-Farben-Konzern wurde aktiver Teil der Kriegsmaschine – er baute sogar ein eigenes KZ: in Auschwitz-Monowitz / VON NORBERT FREI

n der Frankfurter Konzernzentrale herrschte Unzufriedenheit. Vor ein paar IMonaten erst hatte das Unternehmen ein übereiltes politisches Engagement mit einer millionenschweren Bauruine bezahlt. Der „Gedanke eines wirtschaftlichen Aufschlus- ses des Ostraumes“, dem die I. G. Farben gern und gierig gefolgt waren, hatte sich als Flop erwiesen. Nun, so wollte es die Politik, sollte sich die Sünde wider Wettbewerb und Weltmarktpreise wiederholen – gegen alle ökonomische Vernunft und offenkundig vor dem Hintergrund riskanter Pläne. Im Spätherbst 1940 rangen die Manager der I. G. Farben, wieder einmal, mit den Spitzen des Dritten Reiches. Ein Jahr zuvor, in der Aufbruchstimmung nach dem „Po- lenfeldzug“, als das eroberte Territorium nur darauf zu warten schien, den „neuen großen fabrikatorischen Stützpunkt für die I. G.“ abzugeben, hatte man sich auf den Bau einer Anlage für synthetischen

DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT DER GEGENWART DIE Kautschuk im grenznahen Rattwitz bei

Breslau verständigt; das Werk sollte die Pro- MUSEUM AUSCHWITZ duktion in und Hüls ergänzen. Buna-Werke in Auschwitz: Zur Arbeit oder direkt ins Gas Doch dann war auch Frankreich gefallen wie im Spiel, und die nationalsozialistische drastischen Eingriffen in die private Unter- rer Gesamtheit seit 1933 eingegangen war. Nachkriegszukunft verhieß ein deutsches nehmerwirtschaft nicht zurückschreckte. Dabei gab es zunächst deutliche Unter- Kolonialreich mit unbegrenztem Zugriff auf Statt es zur Kraftprobe oder gar zum of- schiede. Anders als etwa bei den deutsch- billigen Naturkautschuk. Noch mehr teures fenen Konflikt mit der NS-Führung kom- nationalen Häuptern der Schwerindustrie Buna aufwendig aus Kohle zu erzeugen er- men zu lassen, suchte der I.G.-Vorstand an Rhein und Ruhr konnte im vielköpfigen gab wirtschaftlich keinen Sinn; im Sommer nach Wegen, das politisch Gewünschte mit Vorstand der „Interessengemeinschaft Far- 1940 ließ I.G.-Vorstand Dr. dem ökonomisch Profitablen zu verbinden benindustrie A. G.“ von besonderer Nähe die Baustelle Rattwitz einmotten. – was am Ende um so leichter fiel, als im zum Nationalsozialismus vor der „Macht- Die verlorene Luftschlacht über England neuen deutschen Osten glänzende steuer- ergreifung“ keine Rede sein. Ein einziges und die sich mehrenden Zeichen für einen liche Abschreibungsmöglichkeiten wink- Vorstandsmitglied, so berichtet der ameri- langen Krieg veränderten die Situation ten. Also entschloss sich der Konzern im kanische Historiker Peter Hayes, war 1932 schon wenig später allerdings erneut, je- Spätherbst 1940 dann doch, ein Buna-Werk für ein paar Monate in der NSDAP. denfalls aus der Perspektive der Rüstungs- „im Osten“ zu bauen. Wochen später stand Allerdings gilt für die I. G. wie generell für planer, die nun nicht nur auf höhere Ka- auch der genaue Standort fest: Auschwitz. die deutsche Industrie: Viel ist über die pazitäten zur Herstellung des potenziell Dieser moralfreie Pragmatismus war mit- „Männer der Wirtschaft“ und ihr individu- kriegswichtigen Buna drängten, sondern nichten eine Spezialität des größten deut- elles Verhalten im Dritten Reich noch immer auch auf „luftgeschützte“ Produktion. schen Unternehmens: Es war die Basis je- nicht bekannt. Zwar mehren sich in den letz- Wollte die I. G. ihr Kunstgummi-Mono- ner verhängnisvollen Kooperation mit dem ten Jahren – als Folge der Globalisierung pol in Deutschland nicht gefährden, musste Regime, die die deutsche Wirtschaft in ih- und einer kritischen internationalen Öffent- sie reagieren. Immerhin hatte das Regime mit der Gründung der „Reichswerke Her- mann Göring“ demonstriert, dass es zur „Im Frieden für die Menschheit, im Krieg für das Vaterland.“ Durchsetzung seiner Autarkieziele auch vor Fritz Haber, Erfinder der von BASF genutzten Ammoniakgewinnung

180 der spiegel 20/2001 SERIE – TEIL 2 ❚ MANAGER OHNE MORAL

Buna-Vorstandschef Ambros (stehend), Mitangeklagte beim I. G.-Farben-Prozess 1947 in Nürnberg*: „Für gesundes Deutschtum“ lichkeit – die Unternehmensgeschichten: von rem Maße Teil der Kriegsmaschine gewor- dem „Führerstaat“ gehörte eine Persona- VW über die Deutsche und die Dresdner den – obwohl die Vorstellungen der Natio- lie, die selbst in dem an Interessenver- Bank bis zu IBM. Managerbiografien aber nalsozialisten von einer rassenimperialis- quickungen nicht armen Hitler-Reich ihres- sind noch immer äußerst dünn gesät. tisch geprägten Großraumwirtschaft der gleichen suchte. Der Fall der I. G. Farben ist nicht allein ursprünglich liberalen Weltmarktorientie- Als es dem Regime nach der erstaunlich wegen der Größe des Konzerns von be- rung des Unternehmens zuwiderliefen. raschen Überwindung der Arbeitslosigkeit sonderem Interesse, er ragt auch als mora- Doch seit dem „Benzinvertrag“ vom De- seit 1935 verstärkt darum ging, die Wirt- lisches Desaster heraus: Annähernd die zember 1933, durch den es gelungen war, schaft auf Autarkie und Rüstungsproduk- Hälfte der 333000 Menschen, die das 1925 das Verlustgeschäft der synthetischen tion zu verpflichten, hatte der Konzern den zusammengefügte Kartell gegen Kriegs- Treibstoffproduktion staatlich abzusichern, richtigen Experten im Angebot: Vor- ende in seinen 334 Betrieben beschäftigte, hatten die I.G.-Chefs begonnen, sich den standsmitglied . In der neu ge- waren Fremd- und Zwangsarbeiter. Kein neuen Gegebenheiten anzuverwandeln. Zu schaffenen „Vermittlungsstelle W“ (W wie anderes Privatunternehmen war in höhe- den Feinheiten dieses Arrangements mit Wehrmacht) koordinierte er die Zusam- menarbeit zwischen Privatwirtschaft und Protestierende KZ-Überlebende*: „Industrielle Kriegsverbrecher“ Reichsbehörden. Er tat dies offenkundig zur Zufriedenheit sowohl von Wirtschafts- minister Schacht als auch von Göring, dem kommenden starken Mann auf diesem Ge- biet, der den promovierten Chemiker schon bald zum Leiter der Abteilung für Forschung und Entwicklung im „Amt für Deutsche Roh- und Werkstoffe“ machte. Im Sommer 1936, als der „Führer“ höchstselbst auf dem Obersalzberg an der Vierjahresplan-Denkschrift feilte, arbeite- te ihm der I.G.-Manager entgegen: mit de- taillierten Berechnungen über die Verfüg-

* Oben: I.G.-Farben-Vorstandsmitglieder Heinrich Hör- lein, August von Knieriem, (vordere Reihe); Carl Lautenschläger, Hans Kühne, Wilhelm Mann und Monowitz-Betriebsmanager Walther Dürrfeld (hintere Rei- he); unten: 1997 in Frankfurt am Main während der Haupt-

ACTION PRESS ACTION versammlung der „I. G. Farben in Abwicklung“.

181 SERIE – TEIL 2 ❚ MANAGER OHNE MORAL

„HEIL, HERR HITLER“ Ist der Parvenü Hitler dank Millionenspenden der Großindustrie an die Macht gelangt? Tatsächlich schafften die Nationalsozialisten den Aufstieg ohne nennenswerte Hilfe der Schlotbarone.

ormalerweise ließ der Düsseldor- fer Industrieclub nur einen klei- Nnen Konferenzraum im Parkhotel reservieren, wenn er seine Mitglieder zum Vortrag eines Gastredners lud. Der Club- vorstand wusste, dass üblicherweise le- diglich ein Bruchteil der Mitglieder kom- men würde. Doch am Abend des 26. Januar 1932 war sogar der Große Ballsaal des Luxus- hotels überfüllt. Einige der über 600 In- dustriellen mussten stehen; zu spät Ge- kommene konnten nur noch in einem angrenzenden Raum über Lautsprecher mithören, was der Referent von der Red- nertribüne im Ballsaal herab vortrug. Es war , der Shooting Star der Polit-Szene Anfang der dreißiger Jah- re, der dem vornehmen Industrieclub ein volles Haus bescherte. Die Unternehmer, Verbandsfunktionäre oder Syndizi woll- ten von ihm Näheres über die obskuren Wirtschaftsprogramme der Nationalsozia- listen (NS) erfahren, die mal die Verstaat- lichung der Banken und der Großindu- strie forderten, mal das Privateigentum garantierten. Hitler wusste natürlich, was das konser- vative Auditorium von ihm hören wollte – und was nicht. Er pries Leistungsprinzip und Privateigentum, wetterte gegen die Hitler, Ruhrindustrielle*: Hoffnung auf gefüllte Auftragsbücher Demokratie, in der die Fähigen von den DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT DER GEGENWART DIE Dummen, Feigen und Faulen majorisiert nen Gönnern, indem er die Linken aus- vorsitzender der Gutehoffnungshütte, würden. Er geißelte die Vorstellungen von schaltete und die Konzerne mit Rüstungs- Fritz Springorum vom Hoesch-Konzern, einer Wirtschaftsdemokratie und warnte, orders eindeckte? Stahlmagnat Peter Klöckner und Paul Sil- natürlich, vor dem Bolschewismus. Richtig ist die These vom frühen Macht- verberg, Herr über das größte Braunkoh- Dass der Parvenü Hitler vor einem so kartell der Reichen und der Braunen den- le-Unternehmen, mochten sich nicht dem illustren Kreis auftreten durfte, werte- noch nicht. „Bei den Ereignissen, die Hit- Volkstribun im Ballsaal zu Füßen setzen. ten Sozialdemokraten und Kommunisten ler schließlich an die Macht brachten“, Krupp schützte einen anderen Termin vor. prompt als Beweis für das Zusammenspiel konstatiert der US-Historiker Henry Tur- Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender von Großkapital und NSDAP. Und auch ner, „spielte das Unternehmertum keine der Vereinigten Stahlwerke, und dessen linke Nazis, die – anders als Hitler selbst nennenswerte Rolle. Politisches Gewicht Stellvertreter Ernst Poensgen waren zwar – das Sozialistische im Namen der Partei und politischer Einfluss, nicht wirtschaft- erschienen, aber angetan von Hitlers Rede ernst nahmen, wurden misstrauisch, weil liche Potenz, gaben beim Zustandekom- waren sie keineswegs. Vögler warnte, aus die NS-Propaganda den Abend in Düs- men des Dritten Reiches den Ausschlag.“ Düsseldorf heimgekehrt, „aufs Eindring- seldorf als „Durchbruch bei den west- Auch die Bedeutung des Düsseldorfer lichste vor den nationalsozialistischen Ex- deutschen Industriekapitänen“ feierte. Treffens wurde weit überschätzt. Die wirk- perimenten“, berichtete der Dortmunder So entstand und verfestigte sich das Bild lich einflussreichen Industriellen an Rhein „Generalanzeiger“. vom Großkapital, das den Aufstieg Hitlers und Ruhr waren dem Abend ferngeblie- Unter den Angehörigen der Crème de la förderte, weil der versprach, die Macht ben oder zeigten sich enttäuscht. Crème im Revier war allein Konzernerbe der Linken zu brechen, und mit seinem Gustav Krupp von Bohlen und Hal- Fritz Thyssen vom Gast begeistert. Seine Traum von der nationalen Wiedergeburt bach, Chef des Hauses Krupp und Vorsit- Dankadresse an den Redner beendete er große Rüstungsaufträge verhieß. Wie sonst zender des Reichsverbandes der Deut- mit einem „Heil, Herr Hitler“. Thyssen denn hätten die Nazis ihre Daueragitation schen Industrie, Paul Reusch, Vorstands- hatte auch die Einladung betrieben. finanzieren können, wenn nicht mit Mil- Schon seit 1930 hatte der Ruhrindu- lionen von Krupp, Klöckner und Co.? Und * Mit Albert Vögler (2. v. l.), Fritz Thyssen (4. v. l), Walter strielle offen mit den Nazis sympathisiert. dankte nicht der „Führer“ nach 1933 sei- Borbet (5. v. l.) im Ruhrgebiet 1935. Zur Finanzierung des „Braunen Hauses“

182 der spiegel 20/2001 barkeit kriegswichtiger Rohstoffe und über deren Produktionskapazitäten. in München steuerte er sechsstellige biger Parteisoldaten war die NSDAP weit Zwei Jahre später, 1938, im Jahr der von Spendenbeträge bei. Seinem „Freund weniger auf Fremdmittel angewiesen als Hitler inszenierten internationalen Krise, Hauptmann Göring“, wie Thyssen den mitgliederschwache bürgerliche Parteien. gelang der Durchbruch. Krauch, inzwischen späteren Reichsmarschall nannte, steckte Als die NS-Macht installiert war, rea- Parteigenosse, wurde „Generalbevollmäch- er persönlich Zehntausende zu, um die- gierten die standesbewussten Konzern- tigter für Sonderfragen der chemischen Er- sem den „seiner Persönlichkeit angemes- lenker wie alle anderen Eliten: Sie ord- zeugung beim Beauftragten des Führers für senen“ Lebensstil zu ermöglichen. neten sich geschmeidig den neuen Herren den Vierjahresplan“. Die neue Aufgabe, zu Die anderen Ruhrma- unter. Das fiel ihnen insofern be- gnaten, die, wenn über- sonders leicht, als sich nach der haupt, Nazis nur relativ ge- Weltwirtschaftskrise die Auf- Die Chemie des Krieges ringe Summen zukommen tragsbücher füllten und Deutsch- Um seine Truppen mit Munition, Treibstoffen und ließen, betrachteten Thys- land die Depression weit schnel- Reifen ausrüsten zu können, muss ein Land über die sens NS-Engagement als ler überwand als die meisten an- natürlichen Rohstoffe Salpeter, Erdöl und Kautschuk ver- dessen private Angelegen- deren Industrieländer. fügen – oder in der Lage sein, diese durch synthetische heit. Ärger gab es nur, als Während Hitler und seine Produkte zu ersetzen. Deutsche Chemiker erwiesen sich Thyssen den Geschäftsfüh- Komplizen den Rechtsstaat be- dabei als besonders kreativ: rer des Arbeitgeberverban- seitigten, die Juden verfolgten des Nordwest veranlass- und politische Gegner terrori- Durch die synthetische Gewinnung von Ammoniak aus te, den Nationalsozialisten sierten, war in der Wirtschaft Stickstoff und Wasserstoff in großen Mengen sorgte die 100 000 Mark aus einem zunächst Business as usual ange- BASF dafür, dass dem deutschen Heer im Ersten Welt- Fonds zu spenden, der zur sagt. Ein so distinguierter Herr krieg das Schießpulver nicht ausging. Das industriell Unterstützung bestreikter wie der einstige Berufsdiplomat erzeugte Ammoniak ersetzte das aus Chile importierte Firmen dienen sollte. Thys- Krupp von Bohlen und Halbach Naturprodukt Salpeter, das zuvor als Grundstoff für die sen musste, um den Raus- fand nichts dabei, seinen Arm Produktion von Sprengstoff (und Düngemitteln) gedient wurf des Funktionärs durch zum Hitlergruß zu heben. hatte, wegen einer Handelsblockade aber nicht mehr Gustav Krupp zu verhin- Der einzige Großindustrielle, ins Land gelangte. dern, den Betrag erstatten. der im Dritten Reich offen mit Mit zunehmender Motorisierung des Heeres und wach- Wie Göring hatten ande- Hitler brach, war ausgerechnet sender Bedeutung der Luftwaffe wurden Öl und Kau- re, vermeintlich modera- jener Mann, der vor 1933 als Ein- tschuk Rohstoffe, ohne die eine Kriegsmaschinerie nicht te Nazi-Größen ebenfalls ziger seiner Kaste vom Führer funktionieren konnte. Auch hier half die deutsche chemi- Gönner in der Industrie – geschwärmt hatte: Fritz Thyssen. sche Industrie den Militärs aus der Bredouille. wenn auch in bescheidene- Am Tag des Kriegsausbruchs Weil Deutschlands Untergrund kaum Öl, aber reichlich rem Maße. So erhielt NS- setzte sich der schon längst von Braun-und Steinkohle barg, baute die I.G. Farben Hydrier- Wirtschaftsexperte Walther der Gewaltpolitik der Nazis an- Anlagen, die Kohle in Benzin und andere Ölprodukte um- Funk spätestens seit Früh- gewiderte Magnat in die Schweiz wandelten. Und den Kautschuk für die Reifen, auf denen jahr 1931 vom Bergbauver- ab und ging dann nach Süd- die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg erst nach vorn, dann ein monatlich 2000 bis 3000 frankreich. Dort ließ die Mario- zurück rollte, stellte die I.G. Farben ebenfalls synthetisch

AKG Mark, Organisationsleiter netten-Regierung von Vichy das her (Handelsname des Kunstgummis: Buna). Gregor Strasser sogar 10000 Ehepaar Thyssen 1940 festneh- Mark. Vielfach verjuxten die Spenden- men und lieferte es den rach- empfänger die Zuwendungen einfach nur. süchtigen Nazis aus. So schilderte NS-Wirtschaftsberater Otto Die steckten ihren einstigen SÜDD. VERLAG Wagener dem „Führer“ empört, dass Vorzeige-Industriellen und des- Funk bei einer Sauftour durch Münchner sen Ehefrau erst in eine Nerven- Lokale sturzbetrunken Kellner und Toi- heilanstalt, später in die KZ Ora- lettenfrauen mit Trinkgeldern bis zu 100 nienburg, Buchenwald und Da- Mark bedachte und dennoch überall her- chau. Während der Haft erschien ausgeflogen sei. Zur Enttäuschung Wa- im Ausland unter Thyssens Na- geners lachte Hitler nur über Funks Es- men das Buch „I paid Hitler“, ge- kapaden. schrieben von einem Journalisten, Bis zur Errichtung der Nazi-Diktatur dem der Emigrant seine Karriere Lagerung von synthetischem blieb Fritz Thyssen der einzige Großin- unter dem Hakenkreuz geschil- Kautschuk (Buna) 1936 dustrielle, der ganz und gar auf Hitler dert hatte. Nach dem Krieg blieb setzte. Die anderen spendeten ungleich der Ex-Nazi zunächst in Haft – mehr Geld für die bürgerlichen Rechts- diesmal als Gefangener der Amerikaner. der auch noch die Ehrenpflichten eines parteien DNVP und DVP als für die 1948 stufte eine Spruchkammer ihn als „Wehrwirtschaftsführers“ kamen, vertrug suspekte NSDAP. Aber woher kam dann „minderbelastet“ ein und ließ ihn frei. sich nicht nur mit der Tätigkeit als Vor- das Geld für Hitlers Partei? Auch Albert Vögler, den letzten der al- standsmitglied der I. G. 1940, auf dem Hö- Es waren vor allem die Beiträge, Geld- ten Revierfürsten, der bei Kriegsende hepunkt der deutschen Siegeszuversicht, und Sachspenden, Eintrittsgelder und un- noch an der Spitze seines Konzerns betrauten die Kapitaleigner den „GBChem“ entgeltlichen Arbeitseinsätze der Partei- stand, wollten die Amerikaner internie- mit dem Vorsitz im Aufsichtsrat der I. G. mitglieder und -anhänger selbst, die es ren. Doch der Chef der Vereinigten Stahl- Farben. Die Personalunion war perfekt. den Nationalsozialisten von 1930 an er- werke zerbiss eine Giftampulle, nachdem Der militärisch-industrielle Komplex, möglichten, permanent Wahlkampf zu ihn US-Soldaten in seiner Villa festge- der durch die Zusammenarbeit zwischen führen. Dank der Opferbereitschaft gläu- nommen hatten. Walter Knips Großwirtschaft und Kriegerstaat entstand, verwickelte den Chemiegiganten massiver noch als viele andere Unternehmen in die

der spiegel 20/2001 183 SERIE – TEIL 2 ❚ MANAGER OHNE MORAL Verbrechen des Regimes. Exemplarisch Tatsächlich begannen unverzüglich die dafür steht die I. G. Auschwitz. Deportationen, und schon im April stand Zuständig für das neue Buna-Werk im die Stadt Auschwitz zur Hälfte leer. Bald ostoberschlesischen Grenzstreifen wurde, wurde jedoch klar, dass die Entvölkerung wie schon für Rattwitz, Otto Ambros. Von der einstmals stolzen, mehrheitlich jüdi- einer mehrtägigen Erkundungsfahrt nach schen Stadt nur der Anfang sein konnte. Auschwitz war der Buna-Spezialist Anfang Bei der I. G. nämlich hielt man den gewon- Februar 1941 ein wenig enttäuscht zurück- nenen Wohnraum für unzumutbar. „Keine gekehrt. Nicht nur hatten die Stadt und die Wasserversorgung, keine geordnete Fäkal- umliegenden Dörfer auf ihn „einen sehr beseitigung, keine Bildungsstätte, kein deut- schmutzigen und verwahrlosten Eindruck“ sches Kino“, klagten Ambros und sein gemacht. Mehr noch be- kümmerte den Manager, dass seine reichsdeut- schen Gesprächspartner in den Besatzungsbehör- den allesamt die „Ar- beitsleistung der Polen“ als „sehr gering“ be- zeichneten. Da war es gut zu wis- sen, dass nahe der vorge- sehenen Baustelle für „die Juden und Polen ein Konzentrationslager ge- baut“ – genauer gesagt: das seit Mai 1940 beste- hende KZ „vergrößert“ wurde. Denn Arbeits- kräfte waren – neben

Kohle, Wasser, reichlich AKG Platz und einer guten Ei- SS-Delegation in Monowitz 1942*: „Kraft im Osten“ senbahnverbindung – ein entscheidender Standortfaktor, angesichts Mann vor Ort, Walther Dürrfeld, im Herbst des leer gefegten Arbeitsmarktes aber be- 1941 gegenüber Krauch. sonders schwer zu beschaffen. Also musste Das Schreiben sollte vorantreiben, was man mit denen sprechen, die über die Häft- der Breslauer Architekt Hans Stosberg in- linge in Auschwitz geboten. zwischen entworfen hatte: eine monu- Am 6. Februar 1941 besuchten Ambros mentale „Musterstadt Auschwitz“, in der und sein Vorstandskollege Fritz ter Meer es den deutschen Volksgenossen an nichts in Berlin ihren Aufsichtsratsvorsitzenden fehlen würde. Neben einer neuen „Bereit- Krauch, und zwar in dessen Eigenschaft schaftssiedlung“ für bis zu 15000 Werker als „GBChem“. Rasch kamen sie überein, und deren Familien plante Stosberg die ra- das nunmehr vierte Buna-Werk in Ausch- dikale Umgestaltung der Altstadt. witz zu bauen. Krauch informierte seinen Ein paar Kilometer östlich, in Monowitz, Duzfreund Hermann Göring, der wieder- wuchs derweil eines der größten industri- um Heinrich Himmler. Innerhalb von nicht ellen Investitionsvorhaben des Zweiten einmal vier Wochen hatte Ambros, was er Weltkriegs aus dem Boden – als Beitrag der brauchte: eine Zusage des Reichsführers I. G., wie Ambros formulierte, „für ein SS, „das Bauvorhaben durch die Gefange- kräftiges, gesundes Deutschtum im Osten“. nen aus dem Konzentrationslager in jedem Auf der Baustelle allerdings hielt sich die nur möglichen Umfange zu unterstützen“. Präsenz der Deutschen in engen Grenzen. Darüber hinaus befahl Himmler, der das Gerade ein Zehntel der 2700 Mann, die mitt- KZ am 1. März besichtigte – in seiner Be- lerweile neun verschiedene Teilprojekte vor- gleitung auch „führende Herren der I. G. anbrachten – längst ging es nicht mehr nur Farben“ –, die „Juden in Auschwitz … ra- um Buna, sondern auch um Treibstoff-Syn- schestens auszusiedeln, ihre Wohnungen these, Phenol-Erzeugung und Chlorchemie … frei zu machen und für die Unterbrin- gung der Bauarbeiterschaft des Bunawer- * Baustellen-Inspektion mit SS-Führer Heinrich Himmler kes sicherzustellen“. (2. v. r.) und Buna-Bauleiter Max Faust (r.). „Hitlers Hauptauftrag an die I. G. lautete: Die Befreiung der deutschen Außenpolitik von den Fesseln, die sie an die Ölquellen und Kautschukplantagen ihrer Feinde banden.“ Joseph Borkin, US-Autor („Die unheilige Allianz der I. G. Farben“)

186 der spiegel 20/2001 SERIE – TEIL 2 ❚ MANAGER OHNE MORAL –, waren Fachleute aus dem „Altreich“. Etwa Erliegen kam, forcierten die Manager in 1000 Beschäftigte waren Fremdarbeiter, de- Chemie-Monster I.G. Farben Monowitz ein Projekt, das allen späteren ren Anwerbung der Konzern in den nächs- Bekundungen, unter dem Druck der SS ten Jahren sogar in Paris und Rom betrieb. 1904 gestanden zu haben, Hohn sprach: Um die Den größten Anteil an der Baubelegschaft Die Farbenhersteller BASF, und Agfa Häftlingskommandos nicht zweimal täg- aber, rund die Hälfte, stellten im ersten Jahr schließen sich zum „Dreibund“ zusammen. lich auf den kilometerlangen, zeitrauben- die Häftlinge aus dem benachbarten KZ. Sie bleiben selbständig, treffen aber den und kräftezehrenden Marsch vom Dass der Bedarf an Bauhäftlingen auch wettbewerbsbeschränkende Absprachen. Konzentrationslager zur Baustelle und in den beiden kommenden Jahren nicht Die Konkurrenten Hoechst, und zurück schicken zu müssen, planten sie, abreißen würde, hatte Dürrfeld dem La- Kalle gehen 1907 ebenfalls ein diese direkt am Einsatzort zu internieren. gerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Bündnis ein. Die I. G. baute ihr privates KZ. Höß, schon in den ersten Verhandlungen signalisiert. Damals, im Frühjahr 1941, hat- 1916 te man sich in „herzlichem Einvernehmen“ Beide Gruppen gründen die Interessen- gegenseitig „jede mögliche Hilfe“ zugesagt gemeinschaft der deutschen Teerfarben- und die Bedingungen des Häftlingseinsat- fabriken („Kleine I.G.“). Die nach wie vor zes festgelegt: vier Reichsmark pro Tag und Facharbeiter, drei für jeden Hilfsarbeiter. selbständigen Firmen koordinieren Zwar schätzte Dürrfeld die Arbeitsleistung Produktion und Absatz. der KZ-Insassen nur „auf 75 Prozent eines normalen deutschen Arbeiters“, aber er war 1925 mit dem Geschäft ganz offenbar zufrieden: Gründung der Interessengemeinschaft „In diesen Kosten ist alles einbegriffen, Farbenindustrie AG (I.G. Farben). Durch Transport, Verpflegung u.s.w. Über diese die Fusion von BASF, Bayer, Hoechst,

Kosten hinaus fallen keinerlei Unkosten für Agfa und weiteren Firmen entsteht der AKG uns für die Häftlinge an, es sei denn, dass größte Chemiekonzern der Welt mit „“-Behälter in Auschwitz zum Ansporn dann und wann kleine Vergü- über 83000 Beschäftigten. Tod vom Chemiegiganten tungen (Zigaretten u.s.w.) gegeben werden.“ Im Winter 1941/42 war die allgemeine Zu- 1928/29 Fünf Millionen Reichsmark ließ sich der versicht verflogen. Denn nicht nur herrsch- Gründung von Auslandsgesellschaften Konzern das doppelt umzäunte, elektrisch te in Monowitz gewaltiger Termindruck, (unter anderem in den USA und der gesicherte und von der SS bewachte „Lager auch die Zusammenarbeit mit der Lager-SS Buna“ kosten, das Ambros eine halbe De- hatte sich eingetrübt. Die nämlich hatte das Schweiz). Der Chemietrust sichert seine kade und ein Moralsystem später als „groß Angebot der I. G., bei der Materialbeschaf- dominierende Stellung auf dem Weltmarkt angelegt, geheizt und hygienisch“ in Erin- fung für die Erweiterung des KZ behilflich zu durch Kartellabsprachen mit anderen nerung hatte. Derart komfortabel jedoch sein, allzu großzügig interpretiert und ein europäischen sowie mit japanischen waren nicht einmal die Unterkünfte für die eigenes Bauprogramm über sieben Millionen und amerikanischen Herstellern ab. Mehrzahl der knapp 5000 deutschen „Ge- Reichsmark aufgelegt; bei zwei Millionen folgschaftsmitglieder“ und schon gar nicht setzten die Werksdirektoren nun ein Limit. 1941 die Baracken der, in der üblichen rassisti- Die Episode illustriert, wofür die Ge- Baubeginn der „I.G. Auschwitz“ zur schen Abstufung, getrennt nach Nationa- schichte der I.G. Auschwitz nur ein Beispiel Produktion von synthetischem litäten untergebrachten 15000 „fremdvöl- unter vielen ist: Anders als die deutsche In- Kautschuk und Öl. kischen“ und „fremdländischen“ Arbeiter. DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT DER GEGENWART DIE dustrie seit 1945 verbreitete, stand sie kei- Mitten in einem Krieg, in dem die Wehr- neswegs ohnmächtig unter der Kuratel der 1945 macht längst in der Defensive kämpfte, Mil- SS, bestimmte Himmler beim Handel mit Die Alliierten beschlagnahmen das lionen sowjetischer Kriegsgefangener ver- den Häftlingen nicht allein die Geschäftsbe- gesamte Vermögen des Konzerns. hungert waren und sieben Kilometer wei- dingungen. Im Falle des Farben-Trusts war ter westlich der Genozid an den europäi- das Machtverhältnis sogar eher umgekehrt. schen Juden auf vollen Touren lief, konzi- Als der Nachschub von Arbeitskräften 1947 pierten die Ingenieure der I. G. – in klarem aus dem KZ Auschwitz wiederholt stockte Beginn der Kriegsverbrecherprozesse Gegensatz zu Himmlers Vorstellungen von und im Sommer 1942 wegen einer Fleck- gegen 24 I.G.-Farben-Manager und einer einfachen Rohstoffproduktion für fieber-Epidemie vorübergehend völlig zum andere deutsche Unternehmer Rüstungszwecke – in Monowitz für mehr (prominenteste Angeklagte: als eine halbe Milliarde Reichsmark ein Friedrich Flick und Alfried Krupp). multifunktionales, nachkriegstaugliches „Großwerk der deutschen chemischen In- 1948 dustrie“. Im Spätsommer 1944 war es Haftstrafen für vier I.G.-Manager wegen schließlich so gut wie produktionsbereit. Versklavung von KZ-Häftlingen, Kriegs- Doch da kamen, am helllichten Tag, die gefangenen und Zivilbevölkerung; „Fliegenden Festungen“ der Amerikaner. Haftstrafen für acht I.G.-Manager wegen Für Häftlinge und Zwangsarbeiter bedeu- wirtschaftlicher Ausplünderung in den teten die Bomberverbände Hoffnung auf besetzten Gebieten; ein Schuldspruch baldige Befreiung und Gefahr zugleich, in beiden Punkten. denn in die Schutzräume auf dem Werks- gelände durften sich nur die deutschen Be- 1952 legschaftsangehörigen flüchten. Trotz der Zerschlagung der I.G. Farben (Nachfolge- erheblichen Schäden, die 300 Tonnen gesellschaften: BASF, Bayer und Hoechst). Sprengstoff angerichtet hatten, drängte die I. G.-Farben-Vorstand Krauch* Experten im Angebot * Nach seiner Verhaftung (1947).

188 der spiegel 20/2001 SERIE – TEIL 2 ❚ MANAGER OHNE MORAL Betriebsleitung weiter kompromisslos auf schienen, um anstatt direkt ins Gas, zur mus in die Hände gefallen waren. Den die Fertigstellung der Anlagen. Nach zwei Arbeit nach Monowitz geschickt zu wer- Blick auf die konkreten Verbrechen über- weiteren Fliegerangriffen im Dezember den. Kaum einer dieser Arbeitssklaven ließ man drei Richtern aus Amerika. 1944 sollte die Buna-Produktion schließlich überlebte die extremen Bedingungen län- Untersuchungen gegen den Farben- Mitte Februar 1945 angefahren werden. ger als ein paar Wochen. Trust, der natürlich auch in den USA ope- Mitte Januar jedoch begannen sich die Von den im Laufe der Bauarbeiten in rierte, waren dort schon während des Krie- Reichsdeutschen vor der sowjetischen Monowitz insgesamt eingesetzten 35000 ges im Rahmen der Antikartellpolitik an- Großoffensive aus Ostoberschlesien abzu- KZ-Häftlingen starben etwa 25000: viele gelaufen. Doch die Vorbereitungen für eine setzen. Am 27. Januar 1945 marschierte die davon zu Tode erschöpft direkt auf dem Anklage begannen erst nach Abschluss des Rote Armee in Auschwitz ein; seit 1996 ge- Gelände der I. G., andere – nach entspre- Internationalen Militärtribunals von Nürn- denken die Deutschen auf Anregung von chender Selektion im Häftlingskrankenbau berg, gegen Jahresende 1946, als deutlich Roman Herzog an diesem Tag der Opfer des konzerneigenen KZ – in den Gaskam- war, dass dem „Hauptkriegsverbrecher- des Nationalsozialismus. mern von Auschwitz. Ein rentierliches Ge- prozess“ keine weiteren gemeinsamen Ver- Während der letzten Monate in Mono- schäft, das haben die Untersuchungen des fahren der zerfallenden Anti-Hitler-Koali- witz hatte I. G.-Manager Dürrfeld einen jungen Historikers Bernd Wagner ergeben, tion folgen würden. Ziel der zwölf so ge-

Kurs gesteuert, in dem sich Realitätsver- war der Häftlingseinsatz im Übrigen nicht. lust, Durchhalte-Fanatismus und exaltierte Doch er nützte dem Konzern insofern, als Selbststilisierung in einer Weise vermeng- andere Arbeitskräfte in ausreichender Zahl ten, wie sie auf den Führungsebenen auch nicht zur Verfügung standen. Es war inter- der Industrie nun häufiger anzutreffen war. essanterweise allenfalls diese Frage des Gegen alle Moral, aber auch gegen alle Ra- „Profits“, den die I. G. in Auschwitz er- tionalität, auf die man sich in der Wirtschaft wirtschaftet hatte oder auch nicht, mit der ansonsten viel zugute hielt, kalkulierte der man sich im Nachkriegsdeutschland befas- Betriebsführer am Ende ganz offen den sen mochte: im Osten zum Zwecke der Agi- „Verbrauch“ der auf der Baustelle einge- tation gegen einen vorgeblich prinzipiell setzten KZ-Häftlinge. mörderischen Kapitalismus; im Westen um Als im Sommer 1944 in Birkenau die Er- darzutun, welche Werte dem Bolschewis- mordung Hunderttausender ungarischer Juden begann, zählte auch das Leben der Ungarische Juden in Auschwitz (1944) wenigen nichts mehr, die kräftig genug er- Genozid vor dem Werkstor

190 der spiegel 20/2001 nannten Nürnberger Nachfolgeprozesse, die die Amerikaner nun im Alleingang auf den Weg brachten, war – mehr noch als die Abrechnung mit der SS – die exemplari- sche Auseinandersetzung mit führenden Vertretern der deutschen Funktionseliten

in Staat und Justiz, Wehrmacht, Wissen- AP schaft und Wirtschaft. I. G.-Farben-Haus in Frankfurt: Teil des Verbrechens Bei den Unternehmen konzentrierten sich die Amerikaner auf drei große Na- mit den Briten, die ihn im Spätsommer 1945 gemonie und „Lebensraum“ identifiziert men: Krupp, Flick und die I. G. Farben. zu ihrem Berater machten, auf Druck der hatten. Sie waren darüber Teil des Verbre- Das gesamte Feld des Zusammenwirkens Amerikaner plötzlich in der Internierung chens geworden – und wenigstens ein Teil von Wirtschaft und NS-Staat vermochte wiederfand. Und mancher Unternehmer, von ihnen sollte dafür vor Gericht. diese Auswahl nicht abzubilden – bei- der inzwischen schon wieder wirtschaftete, Nach dem Ende des Hauptprozesses in spielsweise blieben die Banken, anders als als sei nichts geschehen, rieb sich verwun- Nürnberg bereiteten zwölf US-Ankläger, un-

noch 1945 vorgesehen, am Ende so gut wie dert die Augen, als er nach einem Spruch- terstützt von einer Hand voll Mitarbeiter, unberücksichtigt, obwohl ihre Bedeutung kammerverfahren seinen Posten verlor. die Auseinandersetzung mit den führenden für Aufrüstung und „Arisierung“ auf der Auch wenn es in den Wirren der ersten Köpfen der I. G. Farben vor. I.G.-Farben- Hand lag. Doch keineswegs konnte, wie Nachkriegswochen mancherorts vielleicht Manager Fritz ter Meer und einige weitere später gern behauptet wurde, die Rede da- so ausgesehen haben mochte: Für „business Vorstandsmitglieder befanden sich seit Früh- von sein, die USA hätten im Kalten Krieg as usual“ war keine der Besatzungsmächte sommer 1945 in alliiertem Gewahrsam, alles Interesse daran verloren, Hitlers Ma- zu haben. Zu frisch war die Erinnerung dar- Walther Dürrfelds wurden die Amerikaner nager zur Rechenschaft zu ziehen. an, mit welcher Verve die deutsche Wirt- gegen Jahresende habhaft. Otto Ambros hin- Im Gegenteil mussten 1945/46 nicht we- schaft sich Hitler an den Hals geworfen hat- gegen übergaben die Franzosen erst Tage nige erfahren, mit wie viel Kenntnis und te. Und allzu oft hatten Deutschlands Un- vor Prozessbeginn. Konsequenz die amerikanischen Spezial- ternehmer im okkupierten Osten, aber In gewisser Weise war Ambros dadurch teams ermittelten. Hermann Josef Abs et- auch im Westen demonstriert, dass sie dem ins Hintertreffen geraten, denn er hatte die wa, der starke Mann der Deutschen Bank, Nationalsozialismus nicht nur ihre Fähig- sorgfältigen Beratungen versäumt, in de- schien einigermaßen irritiert zu sein, als er keiten geliehen, sondern sich mit den ideo- nen seine länger internierten Kollegen un- sich nach ein paar freundlichen Interviews logisch begründeten Ansprüchen auf He- ter der rigiden Leitung Fritz ter Meers ihre

der spiegel 20/2001 191 SERIE – TEIL 2 ❚ MANAGER OHNE MORAL Angesichts einer solchen öf- fentlichen Stimmung konnten die in Landsberg einsitzenden Industriekapitäne seit Grün- dung der Bundesrepublik auch in der Politik auf Fürsprecher hoffen: von über Theodor Heuss bis zu Her- bert Wehner. Carl Krauch, Otto Ambros und Fritz ter Meer wurden, ebenso wie ihr „Schicksalsge- nosse“ Friedrich Flick, bereits im Sommer 1950 auf Grund neuer Anrechnungsregeln für „gute Führung“ entlassen. Voll- ends erledigte sich das Problem

AKG der „industriellen Kriegsver- US-Luftangriff auf das Buna-Werk Monowitz (1944): Ende unter 300 Tonnen Bomben brecher“ (Heuss), als der ame- rikanische Hohe Kommissar Erklärungen aufeinander abgestimmt hat- (Ambros und Dürrfeld) beziehungsweise John McCloy Ende Januar 1951 einen ten. Wer dabei Schwächen zeigte, wie Ge- sieben (ter Meer) und sechs Jahren Ge- Großteil der Landsberger Häftlinge begna- org von Schnitzler, wurde unter Druck ge- fängnis (Krauch). 10 der verbliebenen 23 digte; auch Alfried Krupp von Bohlen und setzt, die „Vorstandsinteressen“ nicht zu Angeklagten sprach das Militärtribunal frei, Halbach und acht seiner Mitarbeiter ka- vergessen. Als der Prozess gegen Ambros, die übrigen 9 erhielten Haftstrafen zwi- men nun frei. Dürrfeld, Krauch, ter Meer und 20 weitere schen 18 Monaten und 5 Jahren. Hatte ein Die Erfahrung dieser Zwangspause im I.G.-Manager am 27. August 1947 begann, Großteil der Deutschen das Urteil im Rücken, hielten sich die Manager des Wie- waren vor allem die Aussagen zu Auschwitz Nürnberger Hauptprozess seinerzeit noch deraufbaus mit Selbstzweifeln nicht auf, exakt justiert. akzeptiert, lehnten weite Teile der deut- allerdings auch nicht mit politischer Fun- So bestritten die Angeklagten, dass bei schen Öffentlichkeit die neuen Schuld- damentalopposition – im Unterschied zu der Standortwahl für das vierte Buna-Werk sprüche ab – als „Siegerjustiz“ und „Kol- 1918. Vielleicht war dafür, so paradox es die Frage des Häftlingseinsatzes von Be- lektivschuldvorwurf“. klingen mag, ein Hauptgrund das außer- deutung gewesen sei. Sie behaupteten, sie Hans-Georg von Studnitz, der die Nürn- ordentlich hohe Maß an – wiederherge- seien von der SS genötigt worden, KZ- berger Nachfolgeprozesse für die „Zeit“ be- stellter – Kontinuität. Häftlinge zu verwen- Auch da ging die I. G. Farben, obwohl den – und hatten nichts auf Druck der Alliierten 1952 doch noch gewusst von den Ver- „zerschlagen“, voran: Bei der BASF, bei gasungen in Birkenau Bayer oder bei Hoechst (um nur die wich- (für die eine I.G.- und tigsten der Nachfolgegesellschaften zu nen- Degussa-Tochter na- nen) begegnete man längst wieder alten mens Degesch das Zy- Führungskräften, und überall wurden glän- klon B geliefert hatte). zende Geschäfte gemacht. Das Anlagever-

DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT DER GEGENWART DIE Lediglich zwei- oder mögen der „Großen Drei“ lag 1955 mit gut dreimal wollte Dürrfeld zwei Milliarden Mark fast um das Dreiein- einen „besonderen Ge- halbfache über dem der I. G. im Siegjahr ruch“ bemerkt haben, 1940; die Bilanzsumme hatte sich mit fast

als er in Auschwitz B. HEINZ PRESS / ACTION vier Milliarden Mark mehr als verdoppelt. Richtung Westen fuhr. Israelische Besucher in Auschwitz: Gräuel der Epoche Otto Ambros beriet die Bundesregierung Während sein Fahrer nach seiner Entlassung aus amerikanischer wusste, „dass dies vom Krematorium kam, obachtete, schrieb, diese Verfahren dienten Haft bei der Neuordnung der süddeutschen wo, wie die Leute sagten, Leichen verbrannt dazu, die 1945 von Amerikanern und Rus- I.G.-Werke. Wo er auftrat, wurde die Ver- wurden“, habe ihn ein SS-Mann beruhigt: sen verfügte Zerschlagung der deutschen gangenheit diskret beschwiegen, jeden- Schuld sei die „hohe Sterblichkeitsrate im Wirtschaft zu rechtfertigen. Viele – auch falls von seinen Generationsgenossen. Im Lager“ gewesen, „wegen der Typhus-Epi- kleine – Aktionäre und Pensionäre der I. G. Frankfurter Auschwitz-Prozess trat er 1965 demie, die aus dem Osten kam“. seien dadurch geschädigt worden. als Zeuge auf. Mit Blick auf seine Nach- Doch weder taktisches Leugnen und ein „Beschämend“ an dem „Monsterpro- kriegshaft sagte er: „Mir ist heute noch un- gesäubertes Firmenarchiv noch eine Ar- zess“ erschien dem „Zeit“-Berichterstatter, klar, warum ich verurteilt wurde.“ mada von 87 Verteidigern konnten verhin- „dass der größte und angesehenste deut- dern, dass das Gericht nach 152 Verhand- sche Industriekonzern, dazu noch der lungstagen klare Schuldsprüche fällte: nicht Erzeuger von Mitteln, die die Mensch- NORBERT FREI allein wegen der Plünderung ausländischen heit von Geißeln wie der Malaria und der lehrt Neuere und Neueste Eigentums und des massenhaften, als Schlafkrankheit befreit haben, im Zusam- Geschichte an der Ruhr- „Kriegsverbrechen“ gewerteten Einsatzes menhang mit Dingen genannt wird, die Universität Bochum. Frei, von Zwangsarbeitern in den Niederlassun- zu den fürchterlichsten Gräueln der ab- 46, schrieb jüngst ein gen der I. G., sondern auch und vor allem gelaufenen Epoche gehören“. Welche Gräu- Buch über „Vergangen- wegen der in Monowitz begangenen „Ver- el das waren, erläuterte von Studnitz so we- heitspolitik“ – die Aufar- brechen gegen die Menschlichkeit“. nig wie der SPIEGEL, der die Legitimität beitung der NS-Zeit in Die Hauptverantwortlichen bekamen der Industrieprozesse überhaupt in Zwei- den frühen Jahren der

am 30. Juli 1948 Höchststrafen von acht fel zog. Bonner Republik. HAMANN H. A. FRIEDRICHS / AGENTUR

192 der spiegel 20/2001