Wirtschaft Deutsche Peinlichkeiten Zeitgeschichte Die Wirtschaft war an den Verbrechen der NS-Zeit beteiligt, sie hat von ihnen profitiert. Doch die Unternehmen leugneten diese Schuld – noch Jahrzehnte nach dem Krieg.

s war ein fürchterlicher Satz, den Benz 1986 mit dem Thema Zwangsarbeit Tatbestand“. Business as usual. Firmenju - Fritz ter Meer 1948 sagte, in den Ver - konfrontiert. Die Reaktion des Konzerns biläen waren überhaupt willkommene An - Enehmungen der Alliierten. Es war markierte einen unternehmenshistorischen lässe, die Geschichte umzuschreiben. im IG-Farben-Prozess, in dem der deut - Wandel: Statt der üblichen Rechtfertigungs - Als der Edelmetallhersteller Degussa im sche Manager schließlich wegen Verskla - reflexe stellte man sich der Vergangenheit. Jahr 1973 sein 100-Jähriges feierte, wurden vung und Plünderung zu sieben Jahren Der Prozess dieses Eingeständnisses dau - Arisierungen zu Firmenübernahmen um - Haft verurteilt wurde. erte lange, und er liest sich von heute aus gebogen. Das Schädlingsbekämpfungsmit - Ter Meer hatte den Aufbau des IG-Far - wie eine Sammlung historischer Peinlich - tel eines Degussa-Ablegers, das ben-Werks in Auschwitz mitverantwortet, keiten. Noch 1992 blockte etwa Siemens zum industriellen Massenmord in Au- bei dem etwa 30 000 Menschen ums Leben Entschädigungen mit dem Argument ab, schwitz gedient hatte, wurde nicht er - gekommen waren. Seine Verteidigung? der Konzern habe Zwangsarbeiter „nicht wähnt. Stattdessen durfte Festredner Golo Den Zwangsarbeitern sei kein besonderes freiwillig genommen“ und sich an ihnen Mann die Firmengeschichte der Degussa- Leid zugefügt worden, „da man sie ohne - „nicht ungerechtfertigt bereichert“. Kaufleute zu einem Entwicklungsroman dies getötet hätte“. Brünger spricht von „eingängigen Ent - „im Stil der ,Buddenbrooks ‘“ verklären. Fritz ter Meer starb 1967. Doch beim IG- lastungsnarrativen“ – Erzählungen also, bei Die beliebteste Entlastungsmelodie war Farben-Nachfolger hielt man über denen Fakten allein nicht viel bedeuten. die der vermeintlichen vaterländischen Jahrzehnte ein ehrfürchtiges Gedenken an Die Täter schoben die vermeintliche NS- Pflicht – was auch immer an Grausamkei - ihn wach. Noch im Jahr 2006 ließen Auf sichts - Zwangswirtschaft vor, machten sich so klein ten sie einschloss. Sie wurde das prägende rat und Vorstand der Bayer AG an ter Meers wie möglich – und plötzlich waren sie Opfer. Nach kriegsnarrativ der Gesellschaft. Bald Grab in einen Kranz aufstellen. So geht das, quer durch die Jahrzehnte. kehrten die Täter von gestern an die Schalt - Bereits nach seiner Haftentlassung war Und es waren durchaus honorige Män - stellen zurück, ter Meer etwa wur de bei er in der Firmenzentrale mit offenen Ar - ner, die dabei assistierten, die deutsche Bayer Vorsitzender des Aufsichtsrats. men empfangen worden. Das Comeback Wirtschaft reinzuwaschen. Altbundesprä - Um kritische Stimmen im zusehends des Kriegsverbrechers, der den Alliierten sident Theodor Heuss etwa half dem wichtigeren amerikanischen Markt zu ent - die Stirn geboten hatte, beeindruckte und Krupp-Konzern bei dessen 150-Jahr-Feier, kräften, leistete sich Bayer ab 1954 einen prägte den Konzern über ein halbes Jahr - für ein sechsstelliges Honorar. Die Herstel - ehemaligen US-Generalmajor als PR-Be - hundert. Doch woher kam diese unver - lung von Waffen, formulierte Heuss rela- rater – für 50 000 Dollar im Jahr. Der konn - wüstliche Treue? Warum konnten sich ver - tivierend, sei ein „einfacher historischer te zwar nicht verhindern, dass die sich in harmlosende Lesarten vom „anständigen Kaufmann“ so lange halten und sich Täter zu Opfern stilisieren? Diese Fragen sind längst nicht abgehakt und auch nicht abschließend beantwortet. Der Politologe Sebastian Brünger hat sie nun zum Anlass genommen, den Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergan - genheit zu untersuchen*. Sein lesenswerter Längsschnitt – der erste dieser Art – reicht von 1945 bis in die Gegenwart. Brünger erzählt die Geschichte einer Verdrängung. Er zeichnet das Bild einer prosperierenden Wirtschaft und einer Republik, die Panik hatte, zurückzuschauen, und Jahrzehnte brauchte, um sich den Opfern anzunähern. Das Buch seziert die Entlastungsstrate - gien der Konzerne und ihrer Herren. Die eigene Verstrickung – sie wurde umgedich - tet, verleugnet, verschleppt. Der Phase ver - stockter Selbstbehauptung nach 1945 folgte in den Sechzigerjahren eine Art Ehren - rettung im Systemwettstreit: Kritik konnte als kommunistische Propaganda vom Tisch gewischt werden. Erst 40 Jahre nach dem Krieg löste sich die historische Verkramp -

fung – zunächst unfreiwillig: Zum Fest des K P B

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100-jährigen Bestehens wurde Daimler - Y M R A - S * Sebastian Brünger: „Geschichte und Gewinn“. Wall - U stein; 452 Seiten; 39,90 Euro. Angeklagter ter Meer in Nürnberg 1948: Woher kam diese unverwüstliche Treue?

68 DER SPIEGEL 02 / 1/02 Liquidation befindliche IG Farben nach wurden darin als skrupellose Profiteure tung für Sozialgeschichte stieß die Überset - langem Rechtsstreit mit der Jewish Claims der Expansionspolitik der Nazis dar- zung des teils in US-Archiven verschollenen Conference 1957 knapp 30 Millionen Mark gestellt, die okkupierte Länder mit aus- Omgus-Reports der US-Militärregierung an mehrere Tausend ehemaliger Zwangs - geplündert und von Arisierungen profitiert über die Deutsche Bank an. Übervater Abs arbeiter der „IG Auschwitz“ zahlen muss - hätten. Die Bank klagte auf Unterlassung, war nun nicht mehr zu entschuldigen. te. Dennoch lehnten Bayer-Manager eine es kam zum Ost-West-Showdown am Stutt - Der Omgus-Report drehte die Debatte. rechtliche Verantwortung strikt ab. garter Landgericht. Die Zeit des Leugnens war vorbei. Das Grundlage für diese Argumentation war Die DDR-Führung hatte Czichon zu - musste auch Daimler erfahren. Die Sozial- das Londoner Schuldenabkommen von nächst unterstützt. Im Keller des Deut - forscher aus Hamburg kündigten 1986 ihr 1953, mit dem individuelle Forderungen schen Wirtschaftsinstituts in Ostberlin war eigenes Daimler-Buch zur NS-Zeit an – ein ehemaliger ausländischer Zwangsarbeiter der Historiker nämlich auf Tausende bri - Gegenstück zu der zahmen Auftragsarbeit, in den Bereich staatlicher Reparations- sante Akten von Abs und der Bank gesto - mit der sich Daimler durchwurschteln woll - regelungen abgeschoben werden konnten. ßen, die diese 1945 in Berlin hatte zurück - te. Der Aktenzugang war ihnen zwar noch Auf einen endgültigen Friedensvertrag. lassen müssen. Er hatte allerdings auch ei - verwehrt worden, sie bekamen jedoch Do - Auf Sankt Nimmerlein. niges übersehen und anderes aufgeblasen, kumente aus dem Archiv zugespielt. Die Das Abkommen hatte ein Mann ausge - was die Akten so nicht hergaben. Schließ - Forscher beschrieben Daimlers Rolle bei handelt, der im „Dritten Reich“ gute Ge - lich ließ die SED Czichon fallen, und Abs der Kriegsvorbereitung und den techno - schäfte gemacht hatte und dann zur Ikone gewann den Prozess. kratischen Umgang mit Menschenleben. des Wirtschaftswunders geworden war: „Verraten und verkauft“ habe er sich ge - Vor allem aber: Sie kehrten das jahrzehnte - Deutsche-Bank-Vorstand Hermann Josef fühlt, sagt Czichon, heute 86 Jahre alt. Im lang gültige Opfernarrativ einfach um – Abs. Bei ihm liefen die Strippen der engen Arbeitszimmer seiner Ostberliner im „Dritten Reich“ habe nicht die Politik Deutschland AG zusammen: Abs saß in Wohnung schlurft der Historiker zwischen die Wirtschaft bestimmt, sondern die Wirt - über 25 Aufsichtsräten. Auf Reisen muss - Schreibtisch und Bücherstapeln auf einem schaft kommandierte die Politik. ten Assistenten 16 Aktenkoffer hinter ihm schmalen Gang zum Sofa. Aus den Pro - Das saß. Und Daimler reagierte: Der herschleppen, damit alles griffbereit war. zesstagen kann er jedes Detail abrufen: Konzern blickte nun erstmals auf die Op - Abs und die Bank waren es, die die Wie er unter der „Kuratel“ seines Ostber - fer. Eine Studie zu Zwangsarbeitern wurde deutsche Erinnerungskultur noch einmal liner Anwalts stand, wie man statt der ge - in Auftrag gegeben, man lud ehemalige weit zurückwarfen. Über Abs’ Rolle in der planten Propagandaschlacht plötzlich klein Zwangsarbeiter zu sich ein. Nazizeit war 1970 eine erbitterte Debatte beigab: Czichons Buch war in die Phase Die Reaktion der Daimler-Führung mar - ausgebrochen, ausgelöst durch einen His - der zaghaften Annährung zwischen der kierte die unternehmenshistorische Wende: toriker aus der DDR, Eberhard Czichon. DDR und der BRD geraten, scharfe Kritik Es kam zu einem Boom der Auftragsfor - Pünktlich zur 100-Jahr-Feier der Bank plötzlich nicht mehr opportun. schung. Und dennoch war es wieder nur ein 1970 brachte der Kölner Verlag Pahl-Ru - Der Mythos des mächtigen Bankiers Abs kleiner Schritt. Individuelle Entschädigungs - genstein, der von der SED gesponsert wur - begann erst 1985 zu bröckeln. Den alten ansprüche wehrte die Industrie weiter ab. de, Czichons Buch „Der Bankier und die Entlastungskanon sangen plötzlich nicht Die Lösung kam mehr als 50 Jahre nach Macht“ auf den Markt. Abs und die Bank mehr alle mit. Die neue Hamburger Stif - Kriegsende, im Jahr 2000 durch die mit zehn Milliarden Mark ausgestattete Stif - tung „Erinnerung, Verantwortung und Zu - kunft“. Der Weg dorthin war von Ärger begleitet. Auschwitz werde instrumentali - siert, hieß es, die verhandelnden US-An - wälte nannte  -Gründer Rudolf Augstein „Haifische“. Mit etwas Abstand ist jedoch erkennbar, welch günstiger Deal der deutschen Wirt - schaft geglückt war: Zum einen trug die Hälfte der Summe der Steuerzahler. Zum anderen waren fünf Milliarden Mark ein Bruchteil der Kriegsprofite: Um die vor - enthaltenen Löhne der Zwangsarbeiter zu begleichen, wären laut einer Studie in Zeit - wert 180 Milliarden Mark fällig gewesen. Bis heute weichen viele Unternehmen der Erinnerung an die eigene Geschichte aus. Der Düsseldorfer Henkel-Konzern etwa illustriert die 140-jährige Firmenge - schichte im Internet in einer lustigen Zeit - reise, in der fast jeder Bezug zum Natio - nalsozialismus ausgespart wird. Deutlich mitteilsamer war der Konzern noch 1947. In einer Broschüre mit dem Titel „Leben oder Tod“ sah man sich genötigt, „an das Weltgewissen“ zu appellieren. Durch die R E L

G Demontagepolitik drohte nämlich ein O B

Z unkalkulierbares Reinheits-Risiko: der Aus - N I E

H fall der Waschmittelproduktion in Düssel - Bankier Abs 1965: Im „Dritten Reich“ gute Geschäfte gemacht dorf. Nils Klawitter

DER SPIEGEL 02 / 1/02 69