Felsenstein-Bio
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54 LITERATURUND KUNST Neuö Zürcör Zäitung Samstag, 20.Februar 2016 «Es wird ziemlich furchtbar werden» BorisKehrmanns «Dokumentarische Biographie» revidiert das Bild der Regie- undTheater-Ikone Walter Felsenstein Vierzig Jahrenach dem Tod gen von einem Theater nicht anders Walter Felsensteins leuchtet eine denn als regieführender Intendant mit freier Entscheidungshoheit über Probe- monumentale Publikation das zeiten, Besetzungen und Spielpläne ver- Schaffen und die Persönlichkeit wirklichen konnte.Das der sowjetischen des Regisseurs und Gründers Militäradministration unterstehende der Komischen Oper neu aus. Berliner Metropol-Theater übernahm Dabei kommen unangenehme er dann nach dem Krieg nur in Erman- gelung attraktiverer Alternativen, und Wahrheiten ans Licht. wie später in den Debatten um das «rea- listische Musiktheater» bedurfte es MARIANNE ZELGER-VOGT eines terminologischen Tricks,umdie Forderungen seiner Dienstherren zu er- Wo der Namen Felsenstein fällt, gesellt füllen. Diese hatten das Metropol-Thea- sich ungerufen der Begriff«realistisches ter nämlich zur Spielstätte der Operette Musiktheater» hinzu. Mit der Komi- ausersehen. Felsenstein verschaffte sich schen Oper im Ostteil Berlins hat der Spielraum, indem er versprach, in dem 1901 geborene Regisseur das Modell Haus «die künstlerische Operette und eines Musiktheaters geschaffen, das die heitereOper» zu pflegen. Damit war lange als kulturelles Aushängeschild, ja die Umbenennung in Komische Oper als regelrechtes Propaganda-Instrument legitimiert. der DDR-Führung diente,daesinScha- renauch Besucher aus dem Westteil der Ideal und Wirklichkeit Stadt und dem westlichen Ausland an- zog.Ineiner als Dissertation verfassten, Deren Geschichte von der Gründung über 1300-seitigen Publikation stellt 1947 bis zu Felsensteins Tod1975 nimmt Boris Kehrmann das Schlagwort «realis- in Kehrmanns Publikation vergleichs- tisches Musiktheater» im Hinblick auf weise wenig Raum ein, doch zählen Felsensteins Theaterarbeit nun grund- diese Kapitel zu den brisantesten, weil sätzlich infrage. sie hautnah miterleben lassen, welch DasResultatrevidiert dasBilddieses schwierigen Bedingungen das künstleri- Regisseursradikal. Kehrmann weist sche Schaffen im besetzten und geteilten nach, dassFelsenstein dieentschei- Berlin in den ersten Nachkriegsjahren, dende künstlerische Prägung durchdas während des Kalten Krieges und insbe- expressionistischeTheaterempfangen Walter Felsenstein (2. v. l.) mit Anny Schlemm, Rita Streichund GerhardNiese 1949 in der Komischen Oper. ABRAHAM PISAREK /ULLSTEIN sonderenach dem Bauder Mauer abge- hat.Tairov, Meyerhold und Leopold rungen werden musste.Sowurde auf Jessner warenseine grossen Vorbilder. Felsenstein immer wieder Druck ausge- Sein Theaterhabe nierealistischsein übt, weil ein Grossteil seines künstleri- wollen,seineStilmittel seien vielmehr Jahre1918/19prägte sein Theaterver- an seine Mutter und an die Söhne folgen hymnisch, es sei eine Regieleistung, schen und technischen Personals im eineüberzeichneteGestik, eine oft zir- ständnis nachhaltig: Theater sollte ge- stets demselben Schema: Liebesbeteue- «wie wir sie im Gebiet der Operette auf Westteil der Stadt wohnte und in West- zensische Bewegungssprache,phantas- meinschaftsbildend, allgemein ver- rungen, wortreiche Entschuldigungen unserer Bühne überhaupt noch nie er- geld bezahlt werden musste.Erselbst tische, abstrakte oderstilisierte Büh- ständlich und unmittelbar erlebbar sein. über verspätete oder kurze Antworten, lebt haben, [. ..]die ganze Bühne lebte». übersiedelte erst 1966 aus einer Dahle- nenräume gewesen. DieseTheselässt Daraus ergaben sich später Berüh- dann die eingehende Begründung mit Nur wenige Tage vor der «Gaspa- mer Villa in den Osten. sichauch damit untermauern, dass Fel- rungspunkte sowohl mit der national- Zeitmangel, «Arbeitssklaverei» und rone»-Premierehatte in Deutschland Ein ständiger Konfliktherdwar auch senstein seine Hinwendung vom Schau- sozialistischen wie mit der DDR-Kultur- Überforderung,unter Aufzählung sei- mit der «Reichskristallnacht» die syste- das Verhältnis zur repräsentativeren spiel zur Opermehrfach mitder «höhe- politik. Auch sein Prinzip,ander Komi- ner vielfältigen Aufgaben und Pflichten. matische Verfolgung der Juden begon- Staatsoper Unter den Linden. Jahrelang renIrrealität» des musikalischen Thea- schen Oper fremdsprachige Werkein nen. Felsensteins Schwiegereltern wur- konnte Felsenstein mit der Drohung,in tersbegründethat. (häufig von ihm selbst erstellten) deut- Stationen in Basel und Zürich den enteignet, seine Frau übersiedelte den Westen abzuwandern, den Repres- schen Übersetzungen aufzuführen, ba- mit den Söhnen nach Zürich. Er selbst sionen begegnen. An Angeboten fehlte Genese eines Begriffs siert letztlich auf dieser Überzeugung. Im Herbst 1927 wurde Felsenstein unter aber setzte nach seiner Wiederaufnah- es nicht, denn auch als Intendant der Um sich als Schauspieler ausbilden Oskar Wälterlin Oberspielleiter am Bas- me in die «Reichstheaterkammer» er- Komischen Oper war er kein «DDR- Wiekonnte es dann aber überhaupt zu lassen, kehrte Felsenstein nach Wien ler Stadttheater.Inzwei Spielzeiten neut auf die Karte Berlin und erhielt Regisseur», sondern an prominenten dazu kommen, dass Felsensteins Regie- zurück, wo er sich als Besucher von führte er in über dreissig Theaterstücken 1940 eine feste Anstellung am Schiller- westlichen Bühnen tätig,unter anderem arbeit als «realistisch» definiert wurde? Repertoire- und Gastspielaufführungen und Opern Regie.Schon damals gelang Theater,womit er sich wieder dem bei Rolf Liebermann in Hamburg, an Laut Kehrmann waren es DDR-Funk- mit verschiedensten Strömungen des es ihm, das Ensemble auf sich einzu- Sprechtheater zuwandte.Wie Kehr- der Scala, in Stuttgart, Frankfurt und am tionäre, die ihr im Zuge der von der zeitgenössischen Theaters vertraut schwören. Doch er fühlte sich an dem mann nachweist, stand Felsenstein dem Wiener Burgtheater.Sosicherte er sei- sowjetischen Kulturpolitik gesteuerten machte.Lübeck und Mannheim waren kleinen Mehrspartenhaus ausgenützt, NS-Regime kritisch gegenüber,akzep- nem Haus wie sich persönlich erstaun- Formalismus-Debatte dieses Etikettok- dann die ersten Stationen seiner Schau- und so wechselte er in der Hoffnung auf tierte aber die verordneten Produk- liche Privilegien. Dennoch setzten sich troyierten. Felsenstein selber habe den spielerlaufbahn. Es war die Zeit der bessereArbeitsbedingungen 1929 ins tionsbedingungen. Dass er mit seiner ge- etliche seiner Künstler in den Westen ab. Begriffnie für seine Arbeit in Anspruch Weimarer Republik, von Wirtschafts- nahe FreiburgimBreisgau. Während fährdeten Familie während des Krieges Trotz seiner Überzeugung,«dass für genommen, ihn als gewiefter Taktiker krise und Arbeitslosigkeit, und die in der Produktionszwang dort nicht gerin- aus Zürich nach Deutschland zurück- unseren Beruf politische Grenzziehun- aber in seinem Sinne umgedeutet: Rea- ihrer Existenz gefährdeten Theater stan- ger war,verdüsterte sich der politische kehrte,bleibt dagegen unbegreiflich. gen untragbar sind», musste er sich mit lismus als die Realität der Theaterauf- den ständig unter Produktions- und Er- Horizont durch den Aufstieg der Kehrmann enthält sich wertender den Gegebenheiten arrangieren, denn führung,als Identität von Musik und folgszwang.Für seine weitereLaufbahn NSDAP,dem er mit Zeitstücken gegen Urteile und Kommentare, er lässt die er war sich bewusst, dass sein Modell- Theater,als durch glaubhaft singende entscheidend war 1925 das Engagement Antisemitismus und Militarismus ent- Quellen sprechen, und diese beschöni- theater nicht reproduzierbar war.So Darsteller verwirklichtes Musiktheater. an die Vereinigten Bühnen der schlesi- gegenzuwirken suchte. gen nichts.Damit, dass seiner Ehefrau machte er bei nachlassenden Kräften Der Autor holt sehr weit aus,umden schen Städte Beuthen, Gleiwitz und 1932 wechselte Felsenstein als Ober- Sonderrechte wie die Genehmigung und wachsenden Selbstzweifeln weiter. Nachweis für seine Thesen zu erbringen. Hindenburg. Hier amtierte Felsenstein, spielleiter an die Kölner Oper,umsich zum Besuch öffentlicher Kulturveran- Zunächst kaum merklich, begann sein Er arbeitet Felsensteins Biografie von der es als Schauspieler nie über solides ganz auf die Sparte Musiktheater kon- staltungen zugestanden wurden, glaubte Nimbus zu verblassen. Dass er im eige- der Kindheit bis 1951 umfassend, von da Mittelmass hinausbrachte,zugleich als zentrieren zu können. Ein Jahr darauf sich Felsenstein abgesichert zu haben. nen Haus immer seltener inszenierte, bis zu dessen Tod1975 zumindest in den Dramaturgund Stellvertreter des Inten- kam Hitler an die Macht, erste Entlas- Alles seiner Arbeit unterordnend, zeig- ständig Premierentermine hinausschob Hauptzügen auf; er schöpft neu er- danten, hatte Stückeund Künstler aus- sungen jüdischer Ensemblemitglieder te er weder Verständnis für Ellens De- oder manche Produktionen nach mona- schlossenes,bisher unveröffentlichtes zuwählen, Programmheftbeiträge zu folgten. Als Ehemann einer Jüdin war pressionen und Ängste angesichts der telangen Proben ganz abbrach, bot An- Quellenmaterial aus,insbesondereFel- verfassen sowie Strategien gegen Fi- auch Felsenstein von den neuen Rassen- Demütigung und Bedrohung der jüdi- griffsflächen. Auch im Westen wurde sensteins Briefe an seine erste Frau; er nanzengpässe und Besucherschwund zu gesetzen betroffen: Während seines schen Bevölkerung noch für ihreTrauer Kritik laut an seiner Arbeitsmethode, zieht eine Fülle von amtlichen Doku- entwickeln, und hier debütierte er auch