Außerschulische Bildung 4-2011 ISSN 0176-8212 ueshlsh idn 4-2011 Außerschulische Bildung Materialien zurpolitischenJugend-undErwachsenenbildung Rechnung tragen Der Vielfalt vonAfrika 2010 profitiert? Wer hatvonderFußball-WM Menschenrechte Ressourcenausbeutung und gen zurDemokratieförderung Beitrag derpolitischenStiftun- Afrikapolitik Grundlagen undZieledeutscher INHALTSVERZEICHNIS

ZU DIESEM HEFT 373 ADB-FORUM

Vorstand des Arbeitskreises deutscher Bildungs- SCHWERPUNKT stätten Politische Bildung für Mädchen und Günter Nooke Frauen Grundlagen und Ziele der deutschen Afrika- Plädoyer für eine eigenständige Mädchen- politik und Frauenbildung als Bestandteil politi- Aktuelle Herausforderungen in der Zusam- scher Bildung 423 menarbeit mit Afrika 374 Norbert Reichling/Friedhelm Jostmeier Elke Erlecke/Maria Zandt Die (Un-)Sichtbarkeit politischer Erwachsenen- Politische Bildung in Afrika bildung Der Beitrag der politischen Stiftungen zur Kleine Nachbemerkung zu blinden Flecken im Demokratieförderung 381 Evaluationsgutachten des DIE 426

Rita Schäfer Ressourcenausbeutung und Menschen- ADB-JAHRESTHEMA rechte Fallbeispiel Demokratische Republik Kongo 389 Daniel Möcklinghoff RevierVersion 2.1 – Wir mischen mit! Bettina Waldt Ideenwerkstatt für das Leben im Ruhrgebiet 430 Der Vielfalt von Afrika in der entwicklungs- politischen Bildungsarbeit Rechnung tragen 398 INFORMATIONEN Gerhart Schöll/Christoph Beninde Afrika als Schwerpunkt entwicklungspoliti- Meldungen 433 scher Bildungspraxis Zur Arbeit vom Arbeitskreis Entwicklungs- Aus dem AdB 445 politik mit seinen Kooperationspartnern 405 Personalien 463 Joel Sengi Afrika genau nehmen Bücher 465 Die Mission des Deutsch-Afrikanischen Zen- 414 trums in Bonn Markt 486

Nisa Punnamparambil-Wolf/Dieter Simon Fußball-WM Südafrika 2010 – wer hat profi- IMPRESSUM 491 tiert? 418

Thema des nächsten Heftes: Nachhaltige Klimapolitik mitgestalten

371 372 ZU DIESEM HEFT

Was fällt Ihnen zu Afrika stellen, aber auch bereit sein für die Auseinander- ein? Wenn Ihre Anschau- setzung mit den Ursachen von Missständen und ung von diesem Kontinent den Herausforderungen, denen wir in der Annähe- eine ausschließlich medial rung an Afrika begegnen, das sich wie kaum ein vermittelte ist, stellen sich anderer Kontinent als Projektionsfläche für unsere schnell Assoziationen zu Ängste, Sehnsüchte, aber auch Welterrettungs- Hungersnöten, Bürgerkrie- phantasien anzubieten scheint. gen, Flüchtlingslagern, Po- tentaten in Uniform, Ver- Die Beiträge in dieser Ausgabe sollen einen Ein- steppung und Dürre oder druck von den Möglichkeiten einer Beschäftigung sterbenden Kleinkindern mit Afrika in der politischen Bildung vermitteln. Da ein. Oft wird eine afrikani- geht es um die politische Konzeption, die der Afrika- sche Region oder ein Staat mit Katastrophen in politik der Bundesregierung zugrunde liegt, um Verbindung gebracht, die entweder durch mensch- Ansätze der entwicklungspolitischen Bildungs- liches Versagen oder Naturgewalten ausgelöst arbeit, die ja auch zugleich politische Bildung und wurden und in unserem Gedächtnis haften blie- Menschenrechtsbildung ist, um die Unterstützung ben. Und daneben stehen Bilder von grandiosen von Demokratiebestrebungen in Westafrika am Landschaften, fröhlichen, in farbige Gewänder Beispiel der dort tätigen Konrad-Adenauer-Stif- gekleideten Menschen, exotischen Tieren und an- tung und um die von Afrikanern und Deutschen deren fotogenen Safarimotiven. Meryl Streep und gemeinsam geleistete Aufklärung und Information Robert Redford grüßen aus „Jenseits von Afrika.“ über die Situation in den afrikanischen Staaten. Dass die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaft- Was wissen wir eigentlich von Afrika? Was interes- lichen Organisationen in Afrika und mit in siert uns an dieser Weltregion? Wie stark sind Deutschland lebenden Afrikanern und Afrikanerin- unsere Wahrnehmungen reduziert auf ein paar nen den partnerschaftlichen Austausch und gemein- zumeist deprimierende Ausschnitte afrikanischer same Initiativen fördert, wird deutlich in den Berich- Wirklichkeit, die der Komplexität dieses Konti- ten über Projekte und Veranstaltungen. Aber es nents, seiner Vielfalt und seinen Widersprüchen, wird auch nicht verschwiegen, dass im Engage- seinen Defiziten und Potenzialen, seinem Reich- ment für Afrika die Möglichkeit der Enttäuschung tum und den großen Unterschieden zwischen den liegt, wenn die Erwartungen zu hoch gesteckt und Lebensmöglichkeiten seiner Menschen in keiner mit eigenen politischen Zielen verbunden werden, Weise gerecht werden? „Afrika genau nehmen“ ist die der afrikanischen Wirklichkeit nicht angemes- der Titel eines in diesem Heft erscheinenden Bei- sen sind. Dies zu akzeptieren und dennoch in einem trags von Joel Sengi, der auf den Punkt bringt, was empathischen Interesse an Afrika nicht nachzulas- Ziel und Inhalt politischer Bildung zu Afrika sein sen, ist eine Aufgabe, die sich vor allem in der ent- sollte: Genau hinsehen, offen sein für Informatio- wicklungspolitischen Bildungsarbeit stellt. nen und Eindrücke, vor allem solche, die die tradi- tionell vermittelten Klischees über Afrika in Frage Ingeborg Pistohl

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Grundlagen und Ziele der deutschen Afrikapolitik Aktuelle Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Afrika Günter Nooke

Die Politik der Bundesregierung gegenüber Afrika Louis Vuitton für seine edlen Produkte mit dem soll fordern und fördern, die Potentiale des Konti- Slogan „Every journey began in Africa“. Afrika ist nents erschließen helfen und sich an den Interes- der Kontinent, wo europäische Kolonialsysteme zu sen und Werten der Bundesrepublik Deutschland schlimmsten Auswüch- orientieren. Günter Nooke erläutert, was dies kon- Afrika kann zu Recht sen eskalierten. Gleich- kret unter den aktuellen Bedingungen in Afrika auf eine reiche, eigene zeitig kann er zu Recht bedeutet, und verschweigt dabei nicht die Proble- Kultur und eine alte, auf eine reiche, eigene me, die sich stellen. Mit Blick auf die neuen politi- reiche Geschichte Kultur und eine alte, rei- schen Entwicklungen geht er auf die Herausforde- verweisen che Geschichte verwei- rungen in der Zusammenarbeit mit Afrika ein, sen. Häufig wird jedoch wobei er zwischen verschiedenen Regionen des die historische und aktuelle Bedeutung vorstaat- Kontinents differenziert. Besonderes Augenmerk licher Ordnungen und Zugehörigkeiten übersehen widmet er dem politischen Umbruch in den nord- oder unterschätzt. Die Geschichte Afrikas beginnt afrikanischen Staaten, der Anlass zur Hoffnung nicht mit der Kolonialisierung durch die Europäer, gibt, auch wenn sein Ausgang noch ungewiss ist. dem Sklavenhandel oder dem Erreichen der staat- lichen Unabhängigkeit seit den 50er Jahren, son- dern ist erheblich vielfältiger als allgemein ange- Afrika zwischen Mythos und Wirklichkeit nommen wird.

Afrika ist seit jeher Projektionsfläche zahlreicher Es gibt viele Afrikas! Wir erkennen heute in Afrika Mythen und Träume. In der Reise- und Abenteuer- nicht nur die staatliche Souveränität von 54 Staa- literatur über Afrika kehren zahlreiche Motive ten an, sondern kennen auch über 2000 Ethnien und immer wieder auf. Afrika ist darin geheimnisvoll Sprachen auf dem Konti- und dunkel, im gleichen Atemzug lebensfroh und Afrika ist nicht nur nent. Nordafrika unter- bunt. Reiseanbieter für Afrika-Reisen locken nicht vielfältig, es ist auch scheidet sich maßgeblich selten mit dem Zauber einer anderen Welt zwischen in weiten Teilen sehr von den Ländern des süd- Voodoo und Großwildjagd. Aber auch die histo- anders als Europa! lichen Afrikas. Neben der rische und politische Auseinandersetzung mit Afri- größten Wüste der Welt ka regt zur Stereotypenbildung an. Afrika ist Wie- gibt es hier die wasserreichsten Regionen der Erde, ge der Menschheit. Heute wirbt der Stardesigner einen Großteil des Tropenwaldes und fruchtbare Böden, die nicht vergleich- ©Pers. Afrikabeauftragter der BKin bar sind mit den zahlreichen verödeten Landstrichen am Horn von Afrika. Auch die Herrschaft der unterschied- lichen Kolonialmächte Frank- reich, Großbritannien, Bel- gien, Portugal, Spanien und Deutschland wirkte nicht im gleichen Maße. Afrika ist nicht nur vielfältig, es ist auch in weiten Teilen sehr anders als Europa!

Deutsche Afrikapolitik

Unsere Afrikapolitik wird von unseren ureigenen In- teressen und Werten gelei- tet. Neben dem Schutz ele- Der Matopos National Park liegt in Matabeleland in Simbabwe. Die San lebten hier mentarer Menschenrechte vor 2000 Jahren und haben ein reiches Erbe an Felszeichnungen hinterlassen. Cecil und der Wahrung des Frie- Rhodes, dessen Grab sich hier befindet, nannte diesen Ort wegen seiner atemberau- dens und der Sicherheit benden Aussicht ‚View Of The World'. Die Shona und viele andere Stämme im süd- sind das die wirtschaftliche lichen Afrika betrachten Matopos als Heiligtum. und soziale Prosperität un-

374 SCHWERPUNKT

Unsere Afrikapolitik seres Nachbarkontinents Quote. Der Kontinent ist in den letzten Jahren wird von unseren urei- und der Schutz der auch als Partner für die deutsche Wirtschaft inter- genen Interessen und natürlichen Ressourcen. essanter geworden. Die Bundesregierung hat dem Werten geleitet Auch die Arbeit der in den letzten zwei Jahren verstärkt Rechnung deutschen Botschaften getragen. Denn nachhaltiges und breitenwirksames vor Ort spielt natürlich eine besondere Rolle und Wachstum beginnt mit kennzeichnet unsere Afrikapolitik. Unsere gegen- Nachhaltiges und brei- dem Aufbau von Pro- seitigen Wahrnehmungen prägen auch die prakti- tenwirksames Wachs- duktionsstrukturen, der sche Politik und sind Herausforderung und Chance tum beginnt mit dem Erzeugung und dem zugleich. Aufbau von Produk- Vertrieb von Produkten, tionsstrukturen, der die Menschen in Lohn Uns ist wichtig: Die Menschen in Afrika sind in ers- Erzeugung und dem und Arbeit bringen. Vor ter Linie selbst für den Kontinent und ihre jeweili- Vertrieb von Produk- allem muss der inner- gen Länder verantwortlich. Stärker als früher streben ten, die Menschen in afrikanische Handel aus- wir echte Partnerschaften an. Von Paternalismus Lohn und Arbeit gebaut werden – er ist und einer Politik von oben herab haben wir uns bringen heute immer noch ge- verabschiedet, manchmal mehr verbal als immer ringer als zu Kolonial- auch real und in unserem Denken. zeiten. Investitionen von deutschen und interna- tionalen Unternehmen sind wünschenswert. Auch Unser Ziel ist es: Die afrikanischen Partner gleich- die Aktivitäten der Schwellenländer, aufstrebender zeitig zu fördern und zu fordern. Gleiche Rechte Volkswirtschaften, wie von China, Indien, Brasilien, und Pflichten in der Partnerschaft sollten selbstver- Südkorea, der Türkei oder Indonesien, sind zu ständlich sein. Wir müssen berechtigte Kritik an uns begrüßen und mehr als Herausforderung westlicher genauso anerkennen, wie wir uns nicht scheuen Staaten denn als Konkurrenz für sie zu bewerten. sollten, auch bei afrikanischen Ländern das zu kriti- sieren, was wir auch bei uns oder anderswo auf der Gemeinsam – afrikanische Regierungen, der Wes- Welt kritisieren würden; gemeint sind z. B. ende- ten und die Schwellenländer – sollten wir alles ver- mische Korruption und schwere Menschenrechts- meiden, damit keine neuen, einseitigen Abhängig- verletzungen. Unsere deutsche und europäische keiten Afrikas von anderen Ländern entstehen, die Afrikapolitik setzt auf die nur an der Ausbeutung billiger Ressourcen interes- Unsere deutsche und Chancen und Potentiale europäische Afrika- des Kontinents und auf politik setzt auf die seine Menschen. Sie darf Chancen und Potentia- aber nicht die Augen ver- le des Kontinents und schließen vor den großen auf seine Menschen Problemen und Heraus- forderungen, mit denen dieser Kontinent zu kämpfen hat. Realismus, nicht Romantik oder Wunschdenken, welches meist an den konkreten Gegebenheiten vorbei gehen kann, sind gefordert. Europa und Deutschland profitie- ren am meisten von einem friedlichen, sicheren und prosperierenden Nachbarkontinent. Frieden, Stabilität, Sicherheit, gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Schutz elementarer Menschen- rechte und Demokratie – vielleicht sogar in dieser ©Pers. Afrikabeauftragter der BKin Reihenfolge – stehen dabei im Zentrum unseres Engagements. Mo Ibrahim und Günter Nooke (von rechts nach links): Jährlich wird von dem sudanesischen Mobilfunkunter- Die Themen Wirtschaft; Klima und Umwelt; Ener- nehmer Mo Ibrahim der Mo Ibrahim Preis für gute gie und Rohstoffe sowie Bildung und Forschung Regierungsführung an afrikanische Staats- und Regie- bekommen eine immer größere Bedeutung. Afri- rungschefs vergeben. kanische Partner fragen nach mehr Kooperation Das diesjährige Mo Ibrahim Forum fand in Tunis statt, mit der deutschen Wirtschaft und weniger nach der „Prize for Achievement in African Leadership" Entwicklungszusammenarbeit und der Erfüllung wurde an den Präsidenten von Kap Verde, Pedro Pires, der 0,7 % ODA-(Official Development Assistance) vergeben.

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siert sind. Verantwortliche und Ressourcen und und gleichzeitig von umherziehenden Nomaden Umwelt schonende Investitionen sind für Afrika für ihre Viehherden beansprucht wird; ein Kon- genauso wichtig wie für andere Regionen der Erde. flikt, wie er schon in der Bibel im ersten Buch Mose zwischen Kain und Abel beschrieben ist. Zu punk- Das „Afrika-Konzept“ der Bundesregierung liefert tueller politischer Gewalt kam und kommt es im- den strategischen Rahmen und eine Klammer für mer wieder in schlecht regierten Ländern wie in unsere Außenpolitik auf diesem Kontinent. Es nimmt Simbabwe unter Präsident Mugabe. Auch Staaten Sicherheits-, Außenwirtschafts-, Entwicklungs- und wie Südafrika kennen z. T. massive Gewalt in den Menschenrechtspolitik gleichermaßen in den Blick Townships und auch gegen weiße Farmbesitzer. und verbindet sie in einer an Werten und Interes- Der Arabische Frühling hat z. B. in Ägypten zu neuer, sen orientierten Politik. allgemeiner Unsicherheit und zu mehr Gewalt gegen koptische Christen geführt. Die Entwicklung in Angestrebt wird dabei, den unterschiedlichen Län- Libyen muss auch nach Gaddafis Tod im positiven dern und ihren eigenen Entwicklungskonzepten wie im negativen Sinne als völlig offen einge- gerecht zu werden. Im Konzept wird deshalb ganz schätzt werden. Trotz all dieser Einschränkungen explizit auf die Vielfältigkeit und den Facetten- kann dennoch ein tendenziell positiver Trend ver- reichtum des Kontinents Bezug genommen. Das zeichnet werden, vergleicht man die Situation mit Wort Entwicklungshilfe kommt dabei nicht mehr den Konflikten und Kriegen der 90er Jahre und im vor, auch wenn bis heute noch zu viele Entwick- ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. lungsideologien fabriziert werden. Demokratie ist nach Demokratie ist nach dem dem Ende der Block- Ende der Blockkonfronta- Entwicklung in Afrika konfrontation zwi- tion zwischen Ost und schen Ost und West West flächendeckend zum Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ent- flächendeckend zum allgemeinen Bezugspunkt wicklungen auf dem afrikanischen Kontinent ver- allgemeinen Bezugs- des politischen Wandels liefen in der letzten Dekade rasant und durchaus punkt des politischen in Sub-Sahara-Afrika ge- positiv. Wie bei den Demonstrationen auf dem Wandels in Sub-Saha- worden. Heute gibt es Tahrir Platz in Kairo und anderen Städten Nordafri- ra-Afrika geworden nur wenige Staaten in kas deutlich wurde, fordern die Menschen zuneh- Afrika, die nicht Mehr- mend Freiheitsrechte und Demokratie ein. Dabei parteiensysteme haben und regelmäßig Wahlen dürfen soziale Ungerechtigkeiten als eine weitere abhalten. Gleichzeitig setzen sich in zahlreichen Triebfeder für die Entwicklungen in Nordafrika afrikanischen Staaten autokratische Herrschafts- nicht unterschätzt werden. praktiken hinter demokratischer Fassade fort. Wahlen werden zwar abgehalten, aber ihr demo- Die Anzahl der kriege- Die Anzahl der kriegeri- kratischer Charakter durch stark personalisierte rischen und gewalt- schen und gewaltsamen Parteien, die Übermacht des Präsidenten und samen Konflikte auf Konflikte auf dem afri- klientelistisch geprägte „Politik des Bauches“ dem afrikanischen Kon- kanischen Kontinent ist unterhöhlt. In Kamerun wurde im Oktober 2011 tinent ist in der letzten in der letzten Dekade Paul Biya, der drittdienstälteste Staatschef des Dekade deutlich zurück- deutlich zurückgegan- Kontinents (nach Robert Mugabe in Simbabwe gegangen gen. Einige Konflikte und Teodoro Obiang Nguema Mbasogo in Äquato- wie in Darfur, Somalia, rialguinea) durch freie und faire Wahlen erneut in Nordnigeria oder im Ost-Kongo dauern an und bestätigt. Doch das Land ist aufgrund der einge- werden teilweise gewaltsam ausgetragen. In Regio- schränkten Rechtssicherheit und ausufernden Kor- nen wie Nordnigeria kommt es zu Auseinanderset- ruption kein Vorzeigebeispiel einer funktionieren- zungen, die zumindest religiös beeinflusst sind. den Demokratie in Afrika. Um einzelne Länder Ethnisch bedingte Auseinandersetzungen gab es aber angemessen zu beurteilen, scheint es hilfreich nach den Wahlen 2008 in Kenia. Die Auseinander- zu sein, Trends zu beobachten und auch kleine setzungen nach den Wahlen 2010 in der Côte Schritte in Richtung mehr Demokratie und Rechts- d’Ivoire zeigten, wie labil die Lage in einzelnen staatlichkeit zu würdigen, und die gibt es auch in Staaten Afrikas sein kann und wie schnell Kämpfe Kamerun. um die politische Macht religiös und ethnisch ein- gefärbt werden. Oft handelt es sich bei Konflikten Nach Präsidentschaftswahlen in Ghana, Niger, Côte in Afrika um Ressourcenkonflikte. Es geht um d’Ivoire und Guinea sowie jüngst in Sambia kann Land, das von sesshaften Bauern bewirtschaftet man beobachten, dass auch langjährige Staats-

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chefs das Feld räumen müssen, wenn sich die Mehr- genommen. Doch aus „afrikanischen Löwen“ wer- heit der Bevölkerung in demokratischen Wahlen den deshalb noch nicht gleich die „asiatischen Tiger“, gegen sie entschieden hat. Eindrucksvoll ist dazu die inzwischen als starke Volkswirtschaften voll in auch die Position der Afrikanischen Union, die die die Weltwirtschaft integriert sind. Staatsoberhäupter Afrikas versammelt. Sie duldet den unrechtmäßigen Machterhalt altausgedienter Der Rohstoffreichtum eröffnet vielen Ländern süd- Staatsmänner in ihren eigenen Reihen nicht mehr lich der Sahara ein riesiges Potential zur nachhalti- und legt Wert auf verfassungsgemäße Machtwech- gen Bekämpfung von Armut und für wirtschaftli- sel. ches Wachstum. Gleichzeitig birgt der Reichtum an Ressourcen aber auch das Im Durchschnitt ist die Wirtschaft Afrikas seit der Der Reichtum an Risiko des Ressourcen- Jahrtausendwende um knapp sechs Prozent pro Ressourcen erhöht das fluchs, der soziale Kon- Jahr und damit stärker als der Weltdurchschnitt Risiko des Ressourcen- flikte perpetuieren kann gewachsen. Obwohl von fluchs, der soziale Kon- und der Korruption Vor- Obwohl von einem ver- einem vergleichsweise flikte perpetuieren schub leistet. Erwiesen gleichsweise niedrigen niedrigen Niveau ausge- kann und der Korrup- ist, dass die Armutsrate Niveau ausgegangen, gangen, stellt das enor- tion Vorschub leistet speziell in Ländern mit stellt das enorme Wirt- me Wirtschaftswachstum hohem Prokopfeinkom- schaftswachstum lang- langfristig eine große men auf der Basis von Rohstoffvorkommen wie fristig eine große Chan- Chance für die Reduzie- Erdöl und Erdgas oder wichtigen mineralischen ce für die Reduzierung rung der Armut auf dem Rohstoffen extrem hoch ist. Die meisten dieser der Armut auf dem Kontinent dar. Die Län- Rohstoffe werden nicht im Land weiterverarbeitet Kontinent dar der Afrikas wurden als und dementsprechend wenig Menschen finden im „Löwen auf dem Sprung“ Rohstoffsektor Arbeit. Besonders prekär für die bezeichnet. Tatsächlich betrifft dies nicht alle afri- langfristig positive wirtschaftliche Entwicklung kanischen Länder, sondern lediglich die regionalen rohstoffreicher Länder sind die fehlende Diversifi- ökonomischen Schwergewichte Südafrika, Nigeria, zierung der Wirtschaft und die hohe Korruptions- Kenia und Ghana. Südafrika wurde als einziges anfälligkeit beim Abbau und Handel mit Rohstoffen. afrikanisches Land als Mitglied in den Kreis der Auch können reiche Einnahmen aus Rohstoffen stärksten Volkswirtschaften, der G 20-Gruppe, auf- Regierungen zu einer falschen Sicherheit verleiten und die notwendige Dyna- ©Pers. Afrikabeauftragter der BKin mik für gesellschaftliche Entwicklungen verhindern. Hier sind der politische Wille der afrikanischen Regierun- gen und der Unternehmen, aber auch die Kontrolle der Zivilgesellschaft und Druck von unserer Seite gefragt. Regierungen und Unterneh- men müssen dafür Sorge tragen, dass faire und der Entwicklung des Landes zuträgliche Rohstoffverträ- ge geschlossen werden und die Einnahmen daraus der Gesamtheit der Bevölke- rung zugutekommen. Es ist einfacher, schon in den Explorationslizenzen und vor allem in den Abbau- verträgen wichtige Fragen zu Förderabgaben und Benin erwirtschaftet mehr als 80 % seiner Exporteinnahmen aus der Ausfuhr von Umwelt- und Sozialstan- Baumwolle. Die Baumwollkerne werden im Land zwar weiterverarbeitet, aber die es dards zu regeln, als das erst existiert keine wettbewerbsfähige Textilproduktion in Benin. später in den relativ schwa-

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chen Staaten und mit unzureichenden Administra- Eine große Herausfor- wortung und -vorsorge tionsstrukturen zu tun. derung jeder Afrika- zu meistern. Auf beiden politik besteht darin, Seiten die richtigen Sig- den Balanceakt zwi- nale zu setzen, fällt in der Aktuelle Herausforderungen in der schen Unterstützung Realität häufig schwer. Zusammenarbeit mit Afrika und Zwang zur Eigen- Was bedeutet afrikani- verantwortung und sche Eigenverantwortung, Eine Partnerschaft kann nur funktionieren, wenn -vorsorge zu meistern und wie können wir sie man sich grundsätzlich Vertrauen entgegenbringt. fordern und fördern, ohne Dies gilt insbesondere für die Außenpolitik. Daraus das Prinzip der gleichberechtigten Partnerschaft zu ergeben sich für den politischen Dialog mit dem verletzen? Sollten wir Staaten unterstützen, denen Partner zahlreiche Parameter, die für eine gute Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlich- Partnerschaft ausschlaggebend sind: gegenseitiger keit auf ihrem Boden wenig wert sind? Welche Respekt, trotz oder gerade wegen der Unter- Zugeständnisse sind nötig, weil die Stabilität in einer schiedlichkeit der Partner, sowie Ehrlichkeit und Region nicht gefährdet oder erst einmal herge- Kritikfähigkeit auf beiden Seiten. Es braucht bei- stellt werden muss? Wie bekämpft man erfolgreich des: die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und das sich zunehmend vernetzende terroristische Grup- feste Einstehen für die eigenen Überzeugungen. pen wie die al-Shabaab in Somalia, den Maghreb- Für uns sollte das bedeuten, universal geltende Zweig von al-Quaida und die nordnigerianische Menschenrechte im Sin- Boko Haram? Wie geht man die wirklichen Ursa- Wir sollten universal ne globaler Mindest- chen von Piraterie am Horn von Afrika und im Golf geltende Menschen- standards auch in Afrika von Guinea an? rechte im Sinne globa- einzufordern. Es wäre ler Mindeststandards falsch, nach einem Jahr- Für die gestellten Fragen gibt es keine einfachen auch in Afrika einfor- zehnt überzogener For- Antworten. Deutschland hat z. B. den Internatio- dern derungen, wie sie teil- nalen Strafgerichtshof in Den Haag mitgegründet. weise von westlichen Die Diskussion um die Auslieferung des von diesem NGOs vorgetragen werden, in einen totalen Kultur- Strafgerichtshof angeklagten und gesuchten suda- relativismus zu verfallen und schwere Menschen- nesischen Staatspräsidenten Al Bashir wird in Afrika rechtsverletzungen zu akzeptieren, weil wir einen und anderswo sehr unterschiedlich geführt. Aber anderen, uns vielleicht unbekannten kulturellen dieser Gerichtshof ist eben nicht gegen ein Land Hintergrund allzu schnell als gegeben akzeptieren. oder Afrika gerichtet, sondern versieht seine – wie Ziel ist der Erhalt der Vielfalt kultureller Ausdrucks- jedes gute Gericht: unabhängige – Arbeit. Wer das formen, wie es in einer UNESCO-Konvention heißt. nicht will, hätte ihn nicht gründen dürfen. Deutsch- Aber das muss auf einer Basis erfolgen, die für jeden land wird im Ausland, auch in Afrika, als Partner einzelnen Menschen ein würdiges Leben und ihm geschätzt und respektiert. Die Politik der Bundes- seine gleichen, unveräußerlichen Rechte sichert – regierung und auch der Bundeskanzlerin selbst gleich ob Mann, Frau, Kind, gleich welcher Her- genießen ein hohes Ansehen in Afrika, auch weil kunft und mit welchen Fähigkeiten und gleich unter wir nur kurze Zeit Kolonialmacht waren, die teil- welchen Umständen, ob Freund oder Feind, sym- weise sogar in positiver Erinnerung ist, und weil pathisch oder unsympathisch. Doch diese Rechte wir keine vordergründig eigenen Interessen auf können eben nur das würdige Leben sichern. Wie Kosten anderer verfolgen. das gute Leben aussehen soll, dazu braucht es in allen Gesellschaften eine öffentliche Verständi- gung. Dieses Ziel kann nicht per Gesetz verordnet Exkurs: Demokratiebewegungen in Nordafrika oder von westlichen Geberstaaten finanziert wer- den; dazu braucht es die harte Arbeit und das Enga- Allgemein gilt wohl, dass die meisten Länder in gement aller. Aus unserer europäischen Erfahrung Subsahara-Afrika zwar schwache Staaten, aber würde ich formulieren: Dieses Ziel ist leichter zu doch demokratische Staaten waren. Dagegen wur- erreichen, wenn für alle die gleichen Chancen beste- den alle Länder Nordafrikas autokratisch, wenn hen und vor allem den Eliten und den Regierenden nicht diktatorisch regiert. Die Öffnung der Regime das Wohl aller Menschen im Land am Herzen liegt. im südlichen Afrika begann schon in den 90er Jah- ren. Der „Arabische Frühling“ 2011 führte in Tune- Eine große Herausforderung jeder Afrikapolitik sien und in Ägypten zu großen Veränderungen besteht darin, den beschriebenen Balanceakt zwi- und demokratischen Wahlen. Doch wie die neuen schen Unterstützung und Zwang zur Eigenverant- Verfassungen aussehen werden und ob die islami-

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nicht voraussehbar. Sicher Vincent van Zeijst/Quelle: Wikipedia ist aber, dass einige zen- trale Errungenschaften der „Revolutionen“ nicht mehr zurückgenommen werden können. Die Diskussionen in Tunesien und Ägypten um neue Verfassungen und in den neu gewählten Par- lamenten zeigen aber eine bisher nicht gekannte Of- fenheit. Auch wenn darin Positionen deutlich wer- den, die wir nicht teilen können oder wollen, sollte darin ein positiver Schritt hin zu notwendigen Ver- änderungen und mehr Freiheitsrechten gesehen werden. Gerade westliche Regierungen stehen manch- mal in der Gefahr, Offen- Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag heit und damit eine gewisse Unbestimmtheit der Ent- schen Parteien den Schutz elementarer Menschen- wicklung zu schnell mit Chaos und Unsicherheit zu rechte, wozu auch freie Presse, Meinungs-, Ver- verbinden. Wichtig wäre dagegen, den Eindruck sammlungs- und Religionsfreiheit gehören, wirklich zu vermeiden, wir bevorzugten Diktatoren und garantieren werden, bleibt abzuwarten. Die Ver- undemokratische Staaten vor lebendigen und offe- änderungen in beiden Ländern hatten und haben nen Debatten in Parlament und Gesellschaft. Auswirkungen auf Marokko und die bewaffneten Gleichzeitig – und das ist das Wichtigste – können Auseinandersetzungen in Libyen, am wenigsten auch demokratische Staaten und Regierungen mit wohl auf Algerien. der neu gewonnenen Freiheit nicht tun und lassen, Die mit den Revolu- was sie wollen. Unterdrückung unliebsamer Perso- tionen verbundenen, Mit den Umbrüchen in nen und die Diskriminierung von Minderheiten vielleicht zu großen, Tunesien und Ägypten sind nicht akzeptabel, denn auch Staaten in Nord- Erwartungen für mehr im Januar 2011 verband afrika haben sich zu den entscheidenden Men- Gerechtigkeit und sich die Hoffnung auf schenrechtskonventionen bekannt. Universal gel- wachsenden Wohl- Freiheit und auf mehr tende Menschenrechte gelten damit auch für stand wurden bisher soziale Gerechtigkeit. christliche Minderheiten nicht erfüllt Gerade diese mit den Es kommt nicht nur in mehrheitlich islami- Revolutionen verbunde- darauf an, ob Macht schen Ländern. Es kommt nen großen, vielleicht zu großen, Erwartungen für demokratisch legiti- also nicht nur darauf an, mehr Gerechtigkeit und wachsenden Wohlstand miert ist, sondern auch ob Macht demokratisch sind bisher nicht erfüllt worden. Die machtvollen wie sie genutzt wird legitimiert ist, sondern Demonstrationen und leisen Rücktritte der Staats- auch wie diese Macht präsidenten Ben Ali von Tunesien und Hosni Muba- genutzt wird. Auch demokratisch gewählte Regie- rak von Ägypten sind Beweis dafür, dass Wandel rungen können, ja müssen kritisiert werden, wenn auf Druck breiter Bevölkerungsschichten möglich sie elementare Menschenrechte mit Füßen treten. ist. Zur Mobilisierung von Unterstützern und für ei- ne weltweite Wahrnehmung der Demonstrationen Welche Rolle spielten wir im arabischen Frühling? wurden die neuen Medien sehr erfolgreich als Ka- Die Bundeskanzlerin drückte schon früh ihre Soli- talysatoren eingesetzt. darität mit den friedlichen Demonstranten auf dem Tahrir Platz aus. Später wurden im Rahmen Ob die Umbrüche in Nordafrika, der „arabische der G 8-Staats- und Regierungschefs zahlreiche Frühling“, schon bald aber zur Demokratisierung Unterstützungsangebote für Nordafrika gemacht. und Öffnung der Länder führen, ist jetzt noch Dies ist gut und richtig. Noch wichtiger ist jedoch,

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wie sich die Menschen in Ägypten und Tunesien zu einer wirklich demokratischen Verfassung und selbst entscheiden bei der jetzt anstehenden Gestal- zu neuen Freiheiten für alle führt. tung der Verfassung und bei den kommenden Wah- len für Parlament, verfassunggebende Versamm- Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme sowie lung und Präsidenten. menschenrechtlichen Herausforderungen reißen also auch nach Ende der Demonstrationen nicht ab Die aktuellen Entwicklungen in Ägypten verlangen und sind nicht leicht zu lösen. Immerhin beteuern sehr nach einer genauen und differenzierten Beob- viele: „Man weiß jetzt, wo der Tahrir Platz ist!“ achtung der Interessen und Handlungen der wich- tigsten politischen Akteure, allen voran das Militär, die Muslimbrüder, die neuen Parteien. Was wurde Günter Nooke war Mitbegründer des Demo- aus den alten Eliten? Die Gestaltungsmacht des kratischen Aufbruchs und Mitglied der ersten Militärs war schon immer gegeben, denn Ägypten freigewählten Volkskammer der DDR. Er war wurde seit 1981 im Ausnahmezustand regiert. Die Bundestagsabgeordneter von 1998 bis 2005. Armee hat zwar die Sicherheit während der Ab 2006 war er Beauftragter der Bundes- Demonstrationen gewahrt und die Macht nach regierung für Menschenrechtspolitik und dem Rücktritt von Mubarak übernommen, aller- Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, bis dings mit dem Versprechen, diese bald an eine zivi- er 2010 die Position des Persönlichen Afrikabeauftragten der le und gewählte Regierung zu übergeben. Es wäre Bundeskanzlerin im Bundesministerium für wirtschaftliche an der Zeit, dies jetzt umzusetzen. Doch es kann Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin übernahm. eine mögliche Übereinkunft zwischen Militär und Er ist erreichbar über das BMZ. der Partei der Muslimbrüder geben, die vielleicht Stabilität sichert – was nicht wenig ist – aber nicht E-Mail: [email protected]

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Politische Bildung in Afrika Der Beitrag der politischen Stiftungen zur Demokratieförderung Elke Erlecke/Maria Zandt

Politische Stiftungen stellen in Afrika einen wesent- gemacht haben, weist die Demokratieentwicklung lichen Bestandteil der deutschen Entwicklungszusam- erhebliche Unterschiede zwischen den Staaten des menarbeit und westlichen Außenpolitik dar. Sie Kontinents auf. Während Länder wie Mauritius unterstützen durch politische Zusammenarbeit und und Botswana seit ihrer Unabhängigkeit als Demo- Bildung die demokratische Transformation und kratien gelten können, hat in den meisten afrikani- Konsolidierung nicht nur in Nordafrika, sondern in schen Ländern erst mit dem Fall des Eisernen Vor- vielen Staaten südlich der Sahara. Externe Demo- hangs ein Demokratisierungsprozess eingesetzt. kratieförderung orientiert sich an internationalen Parallel zu den Gescheh- Leitlinien und nationalen Interessen. Sie folgt dem In den meisten afrika- nissen auf dem europäi- Grundsatz „Keine Demokratie ohne Demokraten“ nischen Ländern hat schen Kontinent führten und richtet daran ihre nach Nachhaltigkeit stre- erst mit dem Fall des die desaströse wirtschaft- bende Etablierung von demokratischen Eliten und Eisernen Vorhangs ein liche Lage und die Fol- stabilen staatlichen Strukturen aus. Demokratisierungs- gen der Strukturanpas- prozess eingesetzt sungsprogramme Ende der achtziger Jahre zu Von Südafrika bis Tunesien – ein Abriss der vermehrten Protesten, die nach und nach auch mit Demokratieentwicklung in Afrika politischen Forderungen verbunden waren. Die „afrikanische Perestroika“ forderte in vielen afri- Das Afrikabild in der Öffentlichkeit ist vielerorts kanischen Staaten ein Ende der autoritären Herr- von Bildern von Armut, Krieg und Elend geprägt. schaftsführung und demokratische Reformen. Das Afrika gilt in den Augen vieler immer noch als ein Ende der Apartheid in Südafrika 1990 wurde zum Kontinent, der von Diktatoren regiert und von blu- Symbol des demokratischen Transformationsprozes- tigen ethnischen Auseinandersetzungen dominiert ses in Afrika. Doch während in Benin Präsident ist. Dennoch hat sich seit den Unabhängigkeits- Kérékou in eine Nationalkonferenz und eine Über- erklärungen der afrikanischen Staaten Anfang der gangsregierung einwilligte, waren die Zugeständ- 60er Jahre vieles geändert. Obwohl die meisten nisse in anderen Staaten geringer. Dennoch stand – afrikanischen Staaten demokratische Fortschritte Malawi und Sudan ausgenommen – eine demokra- tische Transition in allen afrikanischen Staaten zumindest zur Debatte, nicht alle haben sie aller- dings vollzogen.1

Die Demokratieentwicklung in Afrika ist noch jung und bedarf dementsprechend in vielen Staaten einer Konsolidierung. Viele der vermeintlichen Demokratien sind ledig- Wahlen werden zwar lich elektorale Demokra- regelmäßig durch- tien, die zwar regelmäßig geführt, dienen aber Wahlen durchführen, die- nur dazu, die herr- se aber nur dazu dienen, schende Partei oder die herrschende Partei die Präsidenten im oder herrschende Präsi- Amt zu bestätigen denten im Amt zu bestä- tigen. Laut dem Freiheits- index von Freedom House ist die Zahl der freien Demokratien zwischen 1990 bis 2011 von vier auf neun der 52 afrikanischen Staaten gestiegen, wäh- rend die Zahl der teilweise freien Staaten von 15 auf 23 stieg und 1990 28 Staaten im Gegensatz zu 20 Staaten im Jahr 2011 unfrei waren. Zu den Demo- kratien zählen Benin, Botswana, Ghana, Kap Ver-

1 Vgl. Erdmann, Gero: Demokratisierung und Demokraten in Afrika - Zwischenbilanz nach einem Dezennium, in: Jakobeit, ©Konrad-Adenauer-Stiftung Cord/Hofmeier, Rolf (Hrsg.) : Afrika-Jahrbuch 2000, Opladen Szene eines Wahlvorgangs in Benin 2001, S. 36-47 Afrika Jahrbuch 2000

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de, Mali, Mauritius, Namibia, São Tomé und Prínci- kratieförderung und Good Governance. War man pe und Südafrika.2 Dennoch: vorbildhafte Demokra- doch optimistisch, dass mit den eingeleiteten poli- tien gibt es in Afrika bislang nicht. Die wenigen tischen Transformationsprozessen Demokratie und Demokratien zeichnen sich vielmehr durch poli- eine freie Marktordnung triumphieren würden. tischen Elitismus und ein hohes Maß an sozialer Ohne Gute Regierungsführung keine Entwicklung, Ungerechtigkeit aus.3 so die These. Ohne den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und demokratisch legitimierter Institu- Während zur Jahrtausendwende der Optimismus tionen, ohne die Partizipation der Bevölkerung der 90er Jahre durch stagnierende Demokratisie- und effektive Ausübung der Kontrollfunktion des rungsprozesse und Rückfälle in blutige Kriege, wie Parlaments ist eine nachhaltige Entwicklung nicht in Rwanda, der Demokratischen Republik Kongo, möglich. Deren Aufbau zu unterstützen ist Aufga- Liberia und Sierra Leone, nachgelassen hatte, be externer Demokratieförderung. scheinen die Ereignisse in Nordafrika Anfang 2011 uns eines Besseren zu belehren. Die Jasmin-Revolu- Der entscheidende Eines steht allerdings fest: tion in Tunesien und die Flucht des tunesischen Wandel muss von die Festigung der Demo- Staatsoberhaupts Zine el-Abidine Ben Ali haben innen kommen und kratie muss von innen eine neue Welle von Demokratiebewegungen in kann von der inter- kommen. Ohne den poli- Nordafrika und im Nahen Osten losgetreten. Die nationalen Gemein- tischen Willen der Part- autoritären Regime, die vorher als undurchdring- schaft lediglich unter- nerregierungen, Eigen- bar und fest verankert galten, wurden entweder stützt, aber nicht verantwortung zu über- wie in Tunesien und Ägypten von den Demons- erzwungen werden nehmen und notwendige tranten der Straße vertrieben, oder wie in anderen Reformen durchzuführen, Staaten der Region doch zumindest in ihren Fugen wird die externe Demokratieförderung nicht von schwer erschüttert. Mit der Nutzung moderner Erfolg gekrönt sein. Der entscheidende Wandel Kommunikationsmittel muss von innen kommen und kann von der inter- Mit der Nutzung und sozialen Netzwer- nationalen Gemeinschaft lediglich unterstützt, moderner Kommunika- ken haben die Demo- aber nicht erzwungen werden. tionsmittel und sozia- kratiebewegungen in len Netzwerken haben Nordafrika und dem Na- Dennoch können internationale Geber den Demo- die Demokratiebewe- hen Osten eine neue Di- kratisierungsprozess fördern. Im Vordergrund stehen gungen in Nordafrika mension erreicht. Der dabei die Unterstützung beim Aufbau demokrati- und dem Nahen Osten Ausgang dieser epocha- scher Strukturen, unabhängiger Rechtsprechung, eine neue Dimension len Umwälzungen ist bei einem funktionierenden Mehrparteiensystem erreicht allerdings noch nicht ab- und einer aktiven Bürgergesellschaft. Hierbei gilt zusehen, und es wird es besonders die Führungseliten entsprechend abzuwarten bleiben, wo sie erfolgreich sein wer- weiterzubilden, seien es Vertreter der politischen den, und wo die derzeitigen Herrscher die Ober- Parteien, der Parlamente, der Regierungen oder hand behalten werden. Auch ist Vorsicht geboten, der Gerichte. Sie können dazu beitragen, demo- denn wie die Erfahrung anderer afrikanischer Staa- kratische institutionelle Strukturen aufzubauen ten zeigt, kann der Demokratisierungsprozess und Rechtsstaatlichkeit zu schaffen. Eine Demokra- auch schnell ins Stocken geraten und autoritäre tie lebt aber nicht nur von ihren Institutionen und oder extremistische Kräfte können erneut die politischen Eliten, sondern auch von einer effekti- Oberhand gewinnen. ven Partizipation und Kontrolle der Zivilgesell- schaft. Hier gilt es sowohl Nichtregierungsorgani- sationen als auch die Medien zu stärken. Externe Demokratieförderung – ohne Good Zunehmend verbreitet sich auch die Erkenntnis, Governance keine Entwicklung dass nicht nur einzelne Institutionen und Akteure unterstützt werden müssen, sondern besonders Der Transformationsprozess der 90er Jahre führte der politische Dialog zwischen der politischen und bei den internationalen Gebern zu einer verstärk- der zivilgesellschaftlichen Sphäre gefördert wer- ten Auseinandersetzung mit dem Thema Demo- den muss. Strategien der Armutsbekämpfung kön- nen nur nachhaltig sein, wenn von Anfang an alle Akteure einbezogen sind und es bei ihrer Umset- 2 Freedom House, http://www.freedomhouse.org/ zung kontinuierliche Kontrollmechanismen durch template.cfm?page=363&year=2011 die Parlamente, Gerichte, die Zivilgesellschaft und 3 Vg. Erdmann, Gero, a. a. O. die Medien gibt.

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Demokratieförderung Externe Demokratieför- förderung tätig. Die Unterstützung von politischen sollte als Querschnitts- derung darf dabei aber Transformationsprozessen und der Konsolidierung aufgabe in der Entwick- nicht in die Versuchung repräsentativer Demokratien und rechtsstaatlichen lungszusammenarbeit geraten, festgeschriebe- Prinzipien konzentrierte sich in den frühen Jahren verstanden werden ne Demokratiemodelle besonders auf Lateinamerika und weitete sich dann zu vermarkten. Vielmehr sukzessive auf die anderen Kontinente aus. Die geht es darum, universelle Werte von Freiheit, Konrad-Adenauer-Stiftung ist heute mit 80 Büros Transparenz, Rechtssicherheit und Respekt vor in über 100 Ländern rund um die Welt aktiv. Neben politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten den deutschen Stiftungen ist eine Vielzahl anderer zu vermitteln. Demokratieförderung sollte dabei internationaler politischer Stiftungen, wie zum als Querschnittsaufgabe in der Entwicklungs- Beispiel das amerikanische National Democratic zusammenarbeit, zum Beispiel bei der Unterstüt- Institute oder das niederländische Institute for zung des Aufbaus von funktionierenden Bildungs- Multiparty Democracy, im Bereich Demokratie- und Gesundheitssystemen oder Infrastrukturmaß- und Parteienförderung aktiv. nahmen, verstanden werden. Schwerpunkt der Stiftungsarbeit im demokratischen Transformationsprozess ist die Fortbildung von Die Rolle der politischen Stiftungen in der politischen und gesell- Demokratieförderung Schwerpunkte der Stif- schaftlichen Führungs- tungsarbeit im demo- eliten und die Unter- Die deutschen politischen Stiftungen gehören zu den kratischen Transforma- stützung beim Aufbau ältesten und erfahrensten Akteuren im Bereich der tionsprozess sind die demokratischer Struk- internationalen Demokratieförderung. Sie kom- Fortbildung von politi- turen. Dabei arbeiten plettieren damit die offizielle Entwicklungszusam- schen und gesellschaft- die Stiftungen schwer- menarbeit. Im Gegensatz zu dem erst in den 90er lichen Führungseliten punktmäßig auf der Jahren wachsenden Interesse der internationalen und die Unterstützung Basis einer werteorien- Geber an Demokratieförderung blicken die deut- beim Aufbau demokra- tierten Partnerschaft mit schen Stiftungen auf nahezu 50 Jahre Erfahrung in tischer Strukturen Parteien, aber auch mit diesem Bereich zurück. Die beiden großen politi- Parlamenten, Organisa- schen Stiftungen, die Friedrich-Ebert-Stiftung und tionen der Zivilgesellschaft und den Medien die Konrad-Adenauer-Stiftung, sind bereits seit den zusammen. Durch ihre relative Unabhängigkeit 60er Jahren neben ihren Aktivitäten in Deutschland von Regierungsverhandlungen mit den Partner- auch im Bereich der internationalen Demokratie- ländern können die politischen Stiftungen neben den staatlichen Autoritäten ©Konrad-Adenauer-Stiftung auch mit Oppositionspar- teien, zivilgesellschaftlichen Gruppen und kritischen Medien kooperieren. Die- ses Alleinstellungsmerkmal ermöglicht es ihnen, pro- demokratische Strömungen auch in autoritären und sensiblen politischen Rah- menbedingungen bereits an der Wurzel zu fördern.

Durch ihre langjährige Tä- tigkeit pflegen die politi- schen Stiftungen in vielen Ländern über Jahrzehnte gewachsene enge Verbin- dungen zu ihren Partnern und können sich so auf ein solides Netzwerk politi- scher und gesellschaftlicher Schulung Zivilgesellschaft regional Kräfte stützen. Das dadurch

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entstandene Vertrauensverhältnis ermöglicht es den log Westafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung Stiftungen, auch in politisch schwierigen Situatio- (KAS) gezeigt werden. nen den politischen Dialog aufrechtzuerhalten, besonders wenn sich bilaterale Geber zurückzie- Im Jahr 2012 werden es zwanzig Jahre her sein, hen müssen. dass die Konrad-Adenauer-Stiftung für die Staaten Benin, Togo, Côte d’Ivoire, Burkina Faso, Niger und Die Umwälzungen in der arabischen Welt zeigen, Mali ein Programm auflegte, das sich nach mehre- dass sich der langjährige Einsatz dort gelohnt hat. ren Umstrukturierungen heute drei Hauptziele So können sich die Stiftungen auf die jahrelang setzt: Zusammenarbeit mit Parteien und Parlamen- gepflegten Kontakte zu oppositionellen Gruppen ten, Sicherheitsdialog in der Region, Dialog über stützen und daran nun gezielt anknüpfen. Aller- Soziale Marktwirtschaft. Grundsätzlich hatte und dings zeigt sich hier auch das Dilemma der klaren hat die Arbeit zum Ziel, mit Eliten zusammenzu- Identifikation von pro-demokratischen Kräften. arbeiten und langfristig Strukturen zu ändern. Die ideologische Verortung der neuen politischen Kräfte lässt sich noch längst nicht ausmachen. Dies Stabil statt labil: Eliten fördern – Strukturen ist nicht nur eine Herausforderung für die Stiftun- verändern gen in Nordafrika, sondern in Afrika generell. In den Jahren nach den demokratischen Revolutio- Angesichts von strukturell und programmatisch nen von 1990 kam es zunächst darauf an, in einer schwachen Parteiensystemen gibt es oftmals keine Region von der Größe Westeuropas die Zivilgesell- direkten ideologisch und wertegleichen Schwester- schaft aufzubauen und damit Nichtregierungs- parteien für die Stiftungen. Hier gilt es zunächst organisationen (NGOs) eine verstärkte Rolle im breiter angelegt reformwillige politische und gesell- Dialog mit der Politik zu geben. Ein Beispiel: der schaftliche Kräfte weiterzubilden und besonders dreijährige Ausbildungslehrgang Contrôle Social. den politischen Dialog zwischen Politik und Zivil- Sechs Generationen lang bildete die Konrad-Ade- gesellschaft zu fördern.4 nauer-Stiftung junge Freiwillige zivilgesellschaft- licher Organisationen in einer dreijährigen Ausbil- dung aus. Sie kommen aus NGOs, die in den Politische Bildung in Afrika: Ansätze der Bereichen Demokratieförderung und Menschen- Konrad-Adenauer-Stiftung in Westafrika rechtsschutz arbeiten. Am Ende des Lehrgangs sind sie Animateure der Erwachsenenbildung, das heißt, Den Bürgern Wissen über Politik und Wirtschaft zu sie werden ihr Wissen an die Bevölkerung als Multi- vermitteln, sie als Mitglieder der Zivilgesellschaft plikatoren weitergeben. Die langjährige Zusammen- zu (politischem) Engagement zu motivieren – dies arbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zielte ist der kleinste gemeinsame Nenner aller politischen langfristig auf deren selbständiges Agieren ab. Bildungsmaßnahmen. Im afrikanischen Umfeld tre- Schulungen in Projektmanagement und -förderung ten Bedingungen und Hindernisse, Fortschritte machten die zivilgesellschaftlichen Gruppen wett- und Erfolge politischer bewerbsfähig auf dem freien Markt. Sie sind nun- Gemeinsame Interes- Bildung mit besonderer mehr fähig, Projekte in Eigeninitiative zu akquirie- sen und Werte bestim- Schärfe hervor. Politi- ren, sie definieren Zielsetzungen und entwerfen men Ausmaß, Metho- sche Bildung findet hier Projekte für demokratisches Lobbying. den und Zielsetzungen im Kontext politischer der politischen Bil- Zusammenarbeit statt. Zivilgesellschaft aufbauen heißt auch Wissen für dungsmaßnahmen Ziel ist die Kooperation die Bevölkerung bereitstellen. Studenten aus der auf Augenhöhe mit den Programmregion stehen zum Beispiel Studiengän- Partnern vor Ort, die Verantwortung für ihr politi- ge am UNESCO-Lehrstuhl für Menschenrechte an sches Handeln übernehmen und souverän über das der Universität Cotonou offen, der 1995 gegründet Schicksal ihres Landes bestimmen. Gemeinsame wurde, um die demokratische Entwicklung in Benin Interessen und Werte bestimmen Ausmaß, Metho- und in der Region zu unterstützen. Daneben wen- den und Zielsetzungen der politischen Bildungs- det sich der Lehrstuhl mit Seminaren und Konfe- maßnahmen. Beispielhaft soll dies im Folgenden renzen an die interessierte Öffentlichkeit. an Hand des Regionalprojektes Politischer Dia- Parteien in Afrika erfüllen ihre Rolle, die ihnen eigentlich in der Demokratie zugedacht ist, nur 4 Vgl. Weissenbach, Kristina: Wenn nicht jetzt, wann dann: Zur unvollständig. Politischen Parteien kommt in einer Parteienförderung der deutschen Stiftungen in Zeiten der Tran- Demokratie die Aufgabe zu, gesellschaftliche sition, in: Zeitschrift für Politikberatung, Juni 2011, Heft 1, Nomos. Interessen zu vertreten, sich selbst für diese Aufga-

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©Konrad-Adenauer-Stiftung

Der UNESCO-Lehrstuhl für Demokratie und Menschenrechte veranstaltete im Juli 2011 eine Regionalkonferenz zum Thema Menschen- und Flüchtlingsrechte in Cotonou ben zu organisieren und programmatisch aufzu- Methoden, die sich mit Leadership verbinden, sowie stellen sowie Personal für politische Führungsauf- Argumentations- und Programmtrainings erhöhen gaben eines Staates bereitzustellen. Alles dies die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Parteien. geschieht in einem ständigen Wettbewerb der verschiedenen politischen Anbieter. Afrikanische Das Mandat als Mission verstehen: Zusammen- Parteien haben in der arbeit mit Parlamenten Strukturelle Schwächen, Regel einen weiten Weg Parlamente sind Ausdruck der Volkssouveränität. wie fehlende Finanzie- vor sich, um diesem Bild Ihre Abgeordneten sind eine der Hauptzielgrup- rungsquellen, Konzen- zu entsprechen. Struk- pen der politischen Bildungsarbeit des Regional- tration auf wenige turelle Schwächen, wie programms in Westafrika. In den (semi-)präsiden- Führungspersönlichkei- fehlende Finanzierungs- tiellen Regierungssystemen des Projektgebietes ten und eine unzuläng- quellen, Konzentration vermittelt die KAS den Parlamentariern Kenntnisse liche Innen- und auf wenige Führungs- über Haushaltsrecht, über den Gesetzgebungspro- Außenkommunikation, persönlichkeiten und ei- zess sowie über ihre Funktion, die Exekutive zu verbinden sich mit ne unzulängliche Innen- kontrollieren. In der Praxis sieht dies zum Beispiel mangelnder Program- und Außenkommunika- im Sahelstaat Niger so aus: Nach der Parlaments- matik in afrikanischen tion, verbinden sich mit wahl Anfang 2011, die die Rückkehr von der Mili- Parteien mangelnder Programma- tärjunta zur Demokratie einleitete, waren 80 % tik. Junge Politiker haben der Abgeordneten neu gewählt. Weniger als ein große Schwierigkeiten, angesichts des herrschen- Viertel konnte Erfahrungen in der parlamentari- den Anciennitätsprinzips Führungs- und Entschei- schen Arbeit vorweisen. In diesem Fall konnte das dungspositionen innerhalb der Parteien zu erhal- Regionalprogramm direkt mit der Schulung der ten, bei Frauen kommt der Kampf gegen das Parlamentarier beginnen, da der Chef der Militär- Patriarchat hinzu. Entsprechend agiert politische junta die Konrad-Adenauer-Stiftung nach den Bildung im Parteienbereich: Coaching von Einzel- Wahlen bereits um Unterstützung gebeten hatte. persönlichkeiten, Aufbauhilfe für Parteistruktur Ein seltener Glücksfall – im Niger hatte das Militär und -organisation, Vermittlung von Inhalten und seine Verantwortung für stabile staatliche Struktu-

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ren ernst genommen. Weniger positiv waren die tenbüros, die den Kontakt mit der Bevölkerung Ausgangsvoraussetzungen für die Schulung: Die verstetigen sollen. Mehrzahl der neuen Abgeordneten hatte weder ein klares Bild von ihren Aufgaben noch von der Regionaler Sicherheitsdialog: Militär, Politik Rolle von Fraktionen oder Ausschüssen. Was die und Zivilgesellschaft Tätigkeiten eines Parlamentariers ausmacht, war Militär und Sicherheitskräfte halten sich in West- unklar. Was zu seiner Rolle bei Gesetzgebung und afrika in der Regel nicht an die in der Verfassung Regierungskontrolle gehört, ist nicht bekannt. Die verankerten Aufgaben wie dem Schutz der Außen- Folge für Methode und Inhalt der Schulung war grenzen und der Bevölkerung. Das Parlament bzw. ein dichtes Informationsangebot mit genügend die Regierung kontrollieren das Militär nur in den Freiraum zu vertiefender Diskussion und Nachfra- seltensten Fällen. Dabei sind die Sicherheitskräfte gen, um die politische Situation im eigenen Land zumeist der einzig stabi- zu reflektieren. Die kognitive Ebene war aber nur Sicherheitskräfte sind le und berechenbare eine Seite der Medaille bei dieser Schulung. Immer zumeist der einzig sta- Faktor eines Landes. Um wieder wurde bei allen Diskussionen deutlich, dass bile und berechenbare diesen auch zu einem die alten Grabenkämpfe aus der Zeit des Militär- Faktor eines Landes Faktor der Demokratie putsches im Jahr 2010 und aus den anschließend zu machen, leitete die heftig geführten Wahlkämpfen noch längst nicht Konrad-Adenauer-Stiftung in Westafrika daher beigelegt waren. Der frühzeitig demokratische Bildungsmaßnahmen für Der endgültige Schritt endgültige Schritt zu ei- Sicherheitskräfte ein. Soldatinnen und Soldaten zu einer politischen ner politischen Kultur, lernen, dass sie „Bürger in Uniform“ sind und nicht Kultur, die den Wechsel die den Wechsel zwi- eine privilegierte Sondergliederung der Gesell- zwischen Oppositions- schen Oppositions- und schaft, die ermächtigt ist, Menschenrechtsverlet- und Regierungsrolle als Regierungsrolle als nor- zungen zu begehen und sich willkürlich jenseits normal akzeptiert, ist mal akzeptiert, ist noch des Rechtsstaates zu begeben. Demokratische noch lange nicht getan lange nicht getan. Was Grundwerte und Spielregeln stehen im Zentrum ebenfalls völlig fehlte: der Maßnahmen. Daneben treffen sich Angehöri- das Bewusstsein für einen permanenten Dialog der ge des Offizierskorps mit zivilen Politikern und tau- Gewählten mit ihren Wählern – auch außerhalb schen sich über generelle Fragestellungen der Demo- von Wahlkampfzeiten. Erste Schritte in dieses kratie wie auch über aktuelle politische Fragen aus. demokratische Neuland wurden getan: Die Abge- Dieser Dialog sorgt für Verständnis und Vertrauen ordneten entwickelten nach dem Prinzip „Erfah- zwischen den beiden Gruppen.5 In innenpolitisch rungen teilen“ Überlegungen zu einem Parlamen- instabilen Situationen, in Kriegs- oder Putschszena- tarierhandbuch, zu Besuchen der Bevölkerung im rien, wie 2010 im Niger oder in der Elfenbeinküste, Parlament sowie zur Einrichtung von Abgeordne- können solche langjährig durchgeführten Maß- nahmen einen wichtigen ©Konrad-Adenauer-Stiftung

5 „Die Militärs konnten zeigen, dass sie auch „normale“ Men- schen sind, wie ihre Mitbürger – Väter, Ehemänner, Freunde, Nachbarn etc. - sobald sie nach Feierabend ihre Uniform abge- legt haben. (…) ‚Das Eis wurde gebrochen‘, so ein befragter Militär über die Wirkung der gemeinsamen Konferenz zwi- schen Sicherheitskräften und Zivilgesellschaft“, in: Evaluierung Regionalprojekt Politischer Dia- log Westafrika, hrsg. von der Hauptabteilung Internationale Zusammenarbeit der Konrad- Adenauer-Stiftung, Berlin 2009, Militärschulung in Mali S. 29.

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Beitrag dazu leisten, um die Stabilität in der Region gen zu teilen und die klare Vereinbarung von Wer- wieder zu etablieren. tegrundlagen.

Die Revolution in Nordafrika war zu großen Teilen Politische Bildung soll das Vertrauen in die Demokra- ein Produkt moderner Kommunikation und sozia- tie stärken. Dazu gehört zunächst das Vertrauen der ler Netzwerke. Vier Flugstunden weiter südlich, in Partner in die Institutionen der Politischen Bildung, den Staaten der Atlantikküste, hatte die politische der Glaube daran, dass unsere Maßnahmen (im Bildung bereits schon vor Gegensatz zu in Afrika vielfach erlebtem staatlichen Schon vor den Umwäl- den Umwälzungen im oder parteilichen Handeln) uneigennützig sind. Ver- zungen im Norden Norden begonnen, der trauen im Verlauf der Politischen Bildung entsteht wurde damit begon- rasanten Entwicklung der aber nur durch den Dialog der unterschiedlichen Ge- nen, der rasanten Ent- Medien Rechnung zu sprächspartner, welche die Programme in Beziehung wicklung der Medien tragen. So ergänzen oder setzen, seien es nun Parlamentarier eines Verteidi- Rechnung zu tragen ersetzen virtuelle Maß- gungsausschusses und Generalstabsoffiziere oder Un- nahmen die traditionel- ternehmer und Regionalräte. Nachhaltigkeit kann len Konferenzen und Seminare. Sie geben Raum weiterhin erreicht werden, wenn im Rahmen der Ver- für Diskussion und für die Erweiterung von Kennt- anstaltungen Diskussionen zugelassen und Gleichbe- nissen zu ausgewählten politischen und gesell- rechtigung erlebt werden. Nachhaltig werden die schaftlichen Fragestellungen. Das Angebot richtet Maßnahmen, wenn sie vor Ort stattfinden. Denn ernst sich sowohl an junge Nachwuchspolitiker als auch nehme ich meine Partnerorganisation nur, wenn ich an Vertreter der Zivilgesellschaft. Die Virtuelle als Veranstalter/-in bereit bin, mich in dezentralen Akademie benutzt das soziale Netzwerk NING als Maßnahmen an ihren Wohnort oder den ihrer politi- Plattform, auf der jeder Teilnehmer ein eigenes schen Tätigkeit zu begeben und zu sehen, in wel- Profil anlegt, auf der Dokumente, Videos und Fotos chem Umfeld ihr Denken gewachsen ist. Um wie viel hinterlegt werden können, und bei der eine Chat- mehr trifft dies zu, wenn es sich z. B. um so unter- funktion den direkten Austausch ermöglicht. Die schiedliche Regionen wie Benin an der Atlantikküste beiden Zielgruppen werden bei Präsenzseminaren oder Niger in der Sahel-Sahara-Zone handelt, das die im Umgang mit der Virtuellen Akademie geschult. Auswirkungen der nordafrikanischen Verwerfungen Um sie als aktive Mitgestalter einzubinden, konn- unmittelbar zu spüren bekommt. ten sie von Anfang an eigene Ideen zur Gestaltung des Forums einbringen. Debatten zwischen jungen Soziale Marktwirtschaft: Ein Thema – viele Politikern über das Thema Soziale Marktwirtschaft Wege finden so seit einiger Zeit nicht nur an Wochenen- Am Beispiel der Sozialen Marktwirtschaft lässt sich den in Abomey, Kpalime oder Niamey vor Ort statt. aufzeigen, wie ein Querschnittsthema mit methodi- Der intensiven Diskussion steht allerdings die in scher Vielfalt und multiperspektivisch über mehrere der Region mangelhafte Internetverbindung ent- Zielgruppen und Partner langfristig in die gesell- gegen. Die Lösung: Virtuelle Seminare werden schaftliche und politische Diskussion in den afrika- stets über einen Zeitraum von bis zu vier Wochen nischen Kontext implementiert werden kann. Es angeboten, dazu wird auf Direktnachrichten ver- gibt nicht das Modell für die afrikanische Soziale zichtet. Marktwirtschaft, es gibt Es gibt nicht das auch keine internatio- Modell für die afrika- nale Soziale Marktwirt- Was bleibt? Nachhaltige Demokratie- nische Soziale Markt- schaft. Europäer/-innen förderung in Afrika wirtschaft, es gibt auch können lediglich in Afrika keine internationale ihre Erfahrungen mittei- Wie erreicht man Nachhaltigkeit in einer Region, Soziale Marktwirt- len, mit Afrika in den in der defekte Demokratien vorherrschen, in der schaft Dialog eintreten und die politische Führung weniger durch verbale als durch Verantwortlichen in Afri- materielle Argumente erreicht wird und europä- ka aus vielen internationalen Quellen letztendlich ische Kategorien von Kommunikation und Zeit selbst das adäquate Modell für afrikanische Ver- eher fehlschlagen? Der Schlüssel liegt wohl in einer hältnisse finden lassen.6 Die Folge für die Arbeit konsequenten Anwendung aller uns bekannten Faktoren, die Nachhaltigkeit bewirken können. 6 So Bundespräsident a. D. Prof. Horst Köhler in seiner John A. Aber davor stehen Faktoren, die nicht auf der ratio- Kufuor Foundation Inaugural Lecture „Walking the Tight Rope: nalen Sachebene liegen, nämlich der langfristige Balancing State, Market and Society”, 20. September 2011, Uni- Aufbau von Vertrauen, die Bereitschaft, Erfahrun- versity of Ghana.

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politischer Stiftungen vor Ort: Diskussion über Kolb, Andrea: Demokratieförderung ist dringlicher Soziale Marktwirtschaft findet zum einen im uni- denn je, in: Konrad-Adenauer-Stiftung, Politische versitären Kontext statt, zum anderen ist die ord- Meinung, Nr. 457, Dezember 2007 nungspolitische Variante auch Top-Thema, wenn junge Politiker/-innen über Programme für die Mair, Stefan: ’s Stiftungen and Democracy nächsten Wahlen diskutieren oder Unternehmerin- Assistance: Comparative Advantages, New Challen- nen eine verbandliche Agenda neu formulieren. ges, in: Peter Burnell (Hrsg.): Democracy Assistance. Das Institut des Artisans de la Paix et de la Justice in International Co-operation for Democratization, Cotonou wiederum fügt mit seinen monatlichen London, 2000, Frank Cass, S. 128–149 Beiträgen den unerlässlichen Aspekt der christ- lichen Soziallehre hinzu. Vorträge und Diskussio- Weissenbach, Kristina: Wenn nicht jetzt, wann nen auf Expertenniveau allein haben aber noch dann: Zur Parteienförderung der deutschen Stif- nicht die angestrebte Breitenwirkung. Diese wird tungen in Zeiten der Transition, in: Zeitschrift für seit Jahren durch TV-Sendungen in vier westafrika- Politikberatung, Juni 2011, Heft 1, Nomos nischen Staaten erreicht.

Anstoß von außen, Wandel von innen kann die Elke Erlecke ist Leiterin des Regionalprogram- grundsätzliche Methode politischer Bildung in mes Politischer Dialog Westafrika der Kon- Afrika zusammenfassen. Was jedoch ihre Nachhal- rad-Adenauer-Stiftung, wo sie seit 1992 tigkeit ausmacht, ist die Verankerung demokrati- arbeitet. Sie war in Berlin, Erfurt, Karlsruhe scher Grundsätze in der Bevölkerung: Es gibt keine und Stuttgart tätig, dort zuletzt als Landes- Demokratie ohne Demokraten – das gilt auch zwi- beauftragte für Baden-Württemberg. schen Tunis und Cotonou.

Bibliographie Maria Zandt studierte Politikwissenschaft. Sie arbeitet als Projektassistentin im Regio- Burnell, Peter: Democracy Promotion: The Elusive nalprogramm Politischer Dialog Westafrika Quest for Grand Strategies, in: Internationale Poli- der Konrad-Adenauer-Stiftung in Cotonou/ tik und Gesellschaft, Nr. 3, 2004. Benin und ist dort an der Schnittstelle zwi- schen Demokratie- und Good Governance Erdmann, Gero: Probleme der internationalen Par- Förderung und Politischer Bildung tätig. teienförderung, in: KAS Auslandsinformationen Nr. 11, 2006. Beide sind zu erreichen über die Adresse: Fondation Konrad Erdmann, Gero: Demokratisierung und Demokra- Adenauer, Representante Residente Regionalprogramm Politi- ten in Afrika – Zwischenbilanz nach einem Dezen- scher Dialog Westafrika, Lot 07 Les Cocotiers, B.P. 01 - 3304 R.P. nium, in: Afrika Jahrbuch 2000. Cotonou, République du Bénin

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Ressourcenausbeutung und Menschenrechte Fallbeispiel Demokratische Republik Kongo Rita Schäfer

Die Republik Kongo ist im folgenden Beitrag das tung der Arbeiter an der Tagesordnung. Zudem Beispiel für eine Situation, die für viele afrikanische beeinträchtigt der Verkauf bzw. die Verpachtung Länder zutrifft: Die Gleichzeitigkeit von oft einan- großer Ländereien an ausländische Investoren, etwa der widersprechenden Phänomenen und Entwick- aus Indien, China und der arabischen Welt, durch lungen, von Problemen und Potenzialen. Rita Schä- Regierungen einzelner Länder wie Äthiopien oder fer stellt die Entwicklung dieses Landes dar und Mosambik die Selbstversorgung und den Markt- erläutert seine Gegenwart vor dem Hintergrund zugang der kleinbäuerlichen Bevölkerung dras- historischer Voraussetzungen und politischer Ver- tisch – und das in Regionen, die vom Klimawandel wicklungen. Besonderes Augenmerk gilt dabei den stark betroffen sind. kriegerischen Auseinandersetzungen um die Macht zur Ausbeutung der immensen Bodenschätze. Im Folgenden sollen die Gegensätze zwischen Res- sourcenreichtum einerseits und menschenunwürdi- gen Arbeitsbedingungen sowie der Rechtlosigkeit Für etliche afrikanische Länder ist die Gleichzeitig- der lokalen Bevölkerung andererseits am Beispiel keit gegensätzlicher Strukturen und Entwicklun- der Demokratischen Republik Kongo illustriert gen kennzeichnend. Einerseits beeinträchtigen werden. Hier sind die Probleme besonders offen- Armut, Unterernährung, mangelnde Bildungsmög- kundig; zum Verständnis der gegenwärtigen Situa- lichkeiten und medizinische Versorgungsleistun- tion ist ein historischer Rückblick notwendig. gen das Leben der Menschen, andererseits verfü- gen etliche Staaten über einen großen Reichtum an natürlichen Ressourcen. Dazu zählen Boden- Demokratische Republik Kongo – koloniale schätze wie Diamanten, Gold, Kupfer, Zinn, Kohle Hintergründe und Erze, die für die Industrie in Europa, Nordame- rika, Indien und China Rohstoffreichtum und Als am 30. Juni 1960 die Die Abhängigkeit der benötigt werden (Sou- landwirtschaftliche belgische Kolonie Kongo Industrieländer von thall/Melber 2009). Hin- Ressourcen des Kongo unabhängig wurde, lag den begehrten Ressour- zu kommen fruchtbare hatten die belgischen eine wechselvolle und cen verhindert klare Anbauflächen für Agrar- Kolonialherren über gewaltgeprägte Kolonial- Kritik an Missständen produkte – neuerdings mehrere Jahrzehnte geschichte hinter den für Biotreibstoffe. Häu- ausgebeutet Bewohnern dieses zen- fig ist die Menschenrechtssituation in den ressour- tralafrikanischen Landes, cenreichen Ländern katastrophal, und die Abhän- dessen Rohstoffreichtum und vielfältige landwirt- gigkeit der Industrieländer von den begehrten schaftliche Ressourcen die belgischen Kolonialher- Ressourcen verhindert klare Kritik an Missständen, ren über mehrere Jahrzehnte ausgebeutet hatten. die bereits beim Abbau der Mineralien beginnen. 1885 hatte der belgische König Léopold II den Immer wieder prangern Menschenrechtsorganisa- Kongo-Freistaat als Privatbesitz annektiert. Zur tionen häufige Unfälle und schwere Gesundheits- Beschaffung von Kautschuk, Tropenhölzern und schäden an. Auch auf Plantagen ist die Ausbeu- Elfenbein ordnete Leopold Zwangsarbeit an, zu- dem dienten Verstümme- ©Ulla Trampert/pixelio.de lungen, Folterungen und Morde über Jahrzehnte als Herrschaftsinstrumente (Renton/Seddon/Zeilig 2007, S. 21 ff.). Sie schufen die Grundlagen für eine Gewalt- kultur, die in der Folgezeit verfestigt wurde. Mehrere Millionen Menschen wur- den von Leopolds Handlan- gern umgebracht, zahllose starben an Erschöpfung und Krankheiten (Hoch- schild 2002).

Obwohl die belgische Regie- Afrika ist besonders vom Klimawandel betroffen (hier: Tsavo Nationalpark, Kenia) rung 1908 infolge interna-

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tionaler Kritik die Kolonie übernahm, blieben Aus- Missionierungsinstanz nicht ein (Paes/Shaw 2003, beutung und Gewalt an der Tagesordnung. Dage- S. 146). Die belgische Regierung wollte eine Mus- gen schritt die katholische Kirche als wichtigste terkolonie errichten und förderte die Ansiedlung belgischer Plantagenbesit- Quelle: Wikipedia zer im fruchtbaren und regenreichen Osten des Landes. Zu deren rassis- tischem Verhalten zählten Auspeitschungen und ande- re Formen der körperlichen Demütigung afrikanischer Männer, Vorschriften für das untertänige Verhal- ten der schwarzen Bevöl- kerungsmehrheit sowie die Trennung der Wohn- gebiete von Weißen und Schwarzen. Geschlechter- hierarchien wurden ver- schärft; Rechtlosigkeit und politische Repression gal- ten als Machtinstrumente. Die belgische Kolonial- macht setzte etliche tradi- tionelle Herrscher ab und zerschlug die lokale Selbst- verwaltung. Neue Auto- ritäten wurden in lokale Verwaltungsämter geho- ben; sie sollten Steuern eintreiben, Zwangsarbeiter rekrutieren und Wider- stand unterdrücken. Durch die Anlage neuer Planta- gen wurde der Landman- gel mancherorts zum exis- tentiellen Problem, zumal die verbliebenen Flächen weder für die bäuerliche Bevölkerung noch für die Viehzüchter reichten. Dar- über hinaus verstärkten die belgischen Kolonialherren ethnische Polarisierungen und Spannungen, weil sie im Rahmen ihrer politi- schen Interventionen häufig eng gefasste Ethnizitäts- konstrukte einführten (Vlas- senroot/Raeymaekers 2004, Die Herrschaft von Leopold II über den Kongo-Freistaat schuf die Grundlagen für S. 388 ff.). Sie verweigerten eine Gewaltkultur. der afrikanischen Bevöl- (Zur Abb.: „King Leopold’s Soliloquy - A Defense of His Congo Rule“ ist ein 1905 ver- kerungsmehrheit systema- öffentlichtes Pamphlet des Schriftstellers Mark Twain. Es enthält diese Darstellung tisch den Bildungszugang. verstümmelter Kongolesen unter der Herrschaft König Leopolds, denen zur Strafe Bis 1948 durften Afrikaner die Hände abgehackt wurden) keine Sekundarschulen be-

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suchen und während der Kolonialzeit bekleideten sie landesweit nur einzelne untergeordnete Posten im Verwaltungsapparat. Mit dieser schweren Bür- de wurde das Land 1960 in die politische Unabhän- gigkeit entlassen.

Nachkoloniale Entwicklungen unter Diktator Mobutu

Die belgische Regierung verhinderte weiterhin mit allen Mitteln eine eigenständige Entwicklung des unabhängigen Landes, und belgische Minenkonzer- ne wollten ihre wirtschaftliche Dominanz z. B. im Kupferabbau bewahren. Der erste demokratisch gewählte Premierminister Patrice Lumumba wurde als Kommunist gebrandmarkt und schließlich von belgischen Geheimdienstmitarbeitern ermordet (Turner 2007, S. 33). Armeechef Joseph-Désiré Mobutu übernahm die Macht; er war vom amerika- nischen Geheimdienst unterstützt worden, galt als verlässlicher Partner der Westmächte während des Kalten Krieges und als Lieferant für Uran sowie andere wichtige Mineralien (Nzongola-Ntalaja 2002, S. 143). Gleichzeitig vernachlässigte seine Regierung systematisch die Infrastrukturentwicklung; dies betraf insbesondere das Verkehrssystem (Baregu 2006, S. 60 f.). Vielerorts gab es weder Kranken- Urheber: Frank Hall/Quelle: Wikipedia häuser noch Schulen; hohe Kinder- und Mütter- Diktator Mobutu Sese Seko putschte sich an die Macht, sterblichkeit, Analphabetentum und Armut zähl- die er bis zu seinem Sturz 1997 aufrecht erhalten konn- ten zu den Strukturproblemen. Der desolate te. Hier: Ausschnitt eines Fotos von 1983, das anlässlich Zustand des Gesundheitssektors hatte katastrophale eines Treffens mit dem amerikanischen Verteidigungs- Auswirkungen auf die rasante Ausbreitung von minister Caspar Weinberg entstand. HIV/AIDS ab Anfang der 1990er Jahre, so dass zynisch von „Mobutus Krankheit“ gesprochen wurde. wirtschaft – ähnlich wie in der Kolonialzeit – die Existenzgrundlagen der kleinbäuerlichen Bevölke- Unregelmäßige und Die unregelmäßigen und rung beeinträchtigte. Rechtlosigkeit und Straffrei- unzureichende Gehalts- unzureichenden Gehalts- heit prägten die Gesellschaft. Zivilgesellschaftlicher zahlungen für Staats- zahlungen für Staats- Widerstand, der ein Ende der autoritären Herr- diener wie Soldaten, diener wie Soldaten, schaft verlangte, wurde wiederholt gewaltsam Polizisten oder Richter Polizisten oder Richter niedergeschlagen. öffneten der Korrup- öffneten der Korruption tion Tür und Tor Tür und Tor. Auch kor- Erst nach dem Ende des Kalten Krieges intervenier- rupte Politiker profitier- te die internationale Staatengemeinschaft gegen ten vom illegalen Ressourcenschmuggel z. B. mit Mobutus Machtmissbrauch und verlangte demo- Diamanten in die Nachbarländer. Gleichzeitig ver- kratische Reformen. Dennoch konterkarierte er stärkten politische Exklusionsmechanismen die jahrelang Demokratisierungsprozesse und setzte bestehenden sozio-ökonomischen Differenzen und seine Gewaltherrschaft unter neuen Vorzeichen die Verarmung ganzer Bevölkerungsgruppen. Zur fort. Absicherung seiner Macht setzte Mobutu auf weit- verzweigte Patronagenetze, in die er wohlhaben- de Vertreter einflussreicher Ethnien einband und Kriege um Macht und Ressourcenkontrolle somit ethnische Konflikte intensivierte (Vlassen- seit 1996 root/Raeymaekers 2004, S. 388 ff.). Diese Strategie war vor allem im fruchtbaren Osten des Landes Erst die von der ruandischen und ugandischen Regie- verbreitet, wo eine intensive private Plantagen- rung lancierte und militärisch ausgestattete Alliance

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des Forces Démocratiques pour la Libération du Con- zerne verstießen. Sie gab zu bedenken, dass alle go-Zaire (AFDL) bereitete Mobutu 1997 ein gewalt- Coltan-Exporte aus dem Ost-Kongo über Rebellen- sames Ende. 1996 hatte ihr Vormarsch auf die gruppen oder ausländische Akteure abgewickelt Hauptstadt Kinshasa im Osten des Landes begon- würden (Ratsch 2003, S.178). nen, dafür hatte AFDL-Chef Laurent-Désiré Kabila zahlreiche Kindersoldaten rekrutiert. Er selbst hat- Während der Kriegsjahre und im Kontext verän- te sich seit Jahrzehnten als Warlord in Ostkongo derter Kriegskonstellationen bauten verschiedene und in Tansania einen Namen gemacht, als neuer militärische Gruppen unter der Leitung diverser Präsident sorgte er keineswegs für die erhoffte Warlords temporäre Allianzen mit der kongolesi- Strukturreform (Turner 2007, S. 5). Faktisch blieb schen oder der ruandischen Regierung auf, spalte- die uneingeschränkte Alleinherrschaft sein Ziel, ten sich aber auch rasch wieder in einzelne Fraktio- was alsbald zu Konfrontationen mit der ruandi- nen. Etliche Beobachter schen und ugandischen Regierung führte. Kabila Den vergleichsweise gingen davon aus, dass umgab sich mit ausgewählten Exilkongolesen und rohstoffarmen Nach- es den vergleichsweise Günstlingen. Außerdem verbündete er sich nicht barländern ging es rohstoffarmen Nachbar- mit den demokratischen Kräften im Land, vielmehr vor allem um Kontroll- ländern vor allem um beschränkte er drastisch die Handlungsspielräume ansprüche über die Kontrollansprüche über von Nicht-Regierungsorganisationen. Ressourcen im Osten die Ressourcen im Osten Kongos Kongos ging (Nzongola- Weil Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen im Mittel- Ntalaja 2002, S. 233 ff.). punkt standen, übte die internationale Staaten- So erzielten die Regierungen Ruandas und Ugan- gemeinschaft kaum Druck auf Kabila aus, um eine das zwischen 1998 und 2002 durch den offiziellen stabile Demokratie aufzubauen (Taylor 2003, S. 45 ff.). Verkauf von Diamanten und Coltan hohe Einnah- Rohstoffausbeuter wie American Mineral Fields men, obwohl beide Länder gar nicht über die not- oder Barrick Gold Corporation setzten alles daran, wendigen Fundstätten verfügten. Zudem hatten weiterhin Gewinne in der D.R. Kongo zu erzielen ranghohe Vertreter der ugandischen Armee nach- und handelten entsprechende Verträge aus (Ren- weislich mit kongolesischen Geschäftsleuten Ver- ton/Seddon/Zeilig 2007, S. 186). einbarungen getroffen, um den Kaffee-, Diaman- ten- und Goldhandel aus Ituri im Ost-Kongo Die exklusive Ressourcenausbeutung bot diversen abzuwickeln. Ihnen wurde auch nachgesagt, in der Kriegsherren Anlass, Kabilas Macht gewaltsam Folgezeit Zwangsarbeiter für den Goldabbau ein- streitig zu machen. Eine Vielzahl unterschiedlicher gestellt zu haben (Vlassenroot/Raeymaekers 2004, Guerillagruppen, die teilweise von den Nachbar- S. 405 ff.). ländern aufgerüstet wurden, versetzte vor allem die Bevölkerung im Osten Verschärft wurde die Problematik durch die Tatsa- Das Gewalt- und des Landes in Angst und che, dass zahlreiche Hutu-Extremisten, die am Völ- Kriegskarussell wurde Schrecken. Das Gewalt- kermord in Ruanda 1994 beteiligt waren, in Flücht- jahrelang durch die und Kriegskarussell wur- lingslagern im Ost-Kongo Unterschlupf suchten. Kontrollansprüche de jahrelang durch die Etliche errichteten – auch durch ideologische über die reichen Roh- Kontrollansprüche über Unterstützung von außen – neue Kampfeinheiten, stoffvorkommen in die reichen Rohstoffvor- die bestialisch gegen Menschen in der Region vor- Schwung gehalten kommen, insbesondere gingen und vorgaben, Ruanda befreien zu wollen über Gold, Diamanten, (Johnson 2008, S. 90). Columbium/Tantalit-(Coltan), Uran, Kupfer, Zink, Kobalt, Silber u.a., in Schwung gehalten. Vor allem Kriegerische Konflikte Neben diesen diversen das für die Computer-, Unterhaltungselektronik- wurden ethnisch auf- Gruppierungen gab es und Rüstungsindustrie wichtige Coltan finanzierte geladen, wobei Kriegs- relativ autonome kleine die Aufrüstung der unterschiedlichen Warlords herren und mit ihnen Milizen, die u. a. um poli- und Gewaltakteure. Schließlich garantierten inter- paktierende Geschäfts- tische Macht und terri- nationale Konzerne, global agierende kriminelle leute verschiedene toriale Ressourcenkon- Netzwerke und diverse Regierungen gute Absatz- Bevölkerungsgruppen trolle kämpften. Hinzu märkte (Human Rights Watch 2005). gegeneinander auf- kam die ethnische Auf- brachten ladung dieser Konflikte, Eine UN-Expertengruppe zeigte 2002 auf, dass wobei Kriegsherren und mindestens 85 Unternehmen beim Rohstoffhandel mit ihnen paktierende Geschäftsleute verschiedene gegen die OECD-Richtlinien für multinationale Kon- Bevölkerungsgruppen, etwa die Lendu und Hema,

392 SCHWERPUNKT

gegeneinander aufbrachten. Dazu zählte die Front nend Unterstützung aus der D.R. Kongo erhielten. des Nationalistes et Intégrationistes (FNI), die von Hingegen versprach sich die namibische Regierung Lendu/Ngiti-Nationalisten aufgestachelt und vom Zugang zu Elektrizität und anderen Ressourcen. internationalen Konzern AngloGold Ashanti unter- Der simbabwische Präsident Mugabe zielte darauf stützt wurde. Dieser gehörte zum Minengiganten ab, seine Günstlinge – vor allem ranghohe Politiker Anglo-American. Die FNI hatte offenbar Verbin- und Militärs – mit Diamanten oder umfangreichen dungen zur ugandischen Regierung, zumal diese Konzessionen für den Zugriff auf Tropenhölzer zu jahrelang illegal Gold aus Ituri verkaufte, u. a. an belohnen (Renton/Seddon/Zeilig 2007, S. 188 ff.). Metalor Technologies in der Schweiz (Renton/Sed- Anscheinend sollten auch Absatzmärkte für sim- don/Zeilig 2007, S. 197 f.). Die FNI tätigte mit ihren babwische Exportwaren erschlossen werden (Bare- Einnahmen aus dem Ressourcenhandel Waffen- gu 2006, S. 63 f.). Nach langem Ringen wurde am käufe in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar. 10. Juli 1999 das Waffenstillstandsabkommen von Hingegen baute die Union des Patriotes Congolais Lusaka unterzeichnet; daran waren neben der kon- (UPC) auf Anhänger aus der Hema-Elite, unter ihnen golesischen Regierung Angola, Simbabwe, Nami- auf den Geschäftsführer der Kilo Moto Goldmine, der bia, Uganda und Ruanda beteiligt. Jedoch kehrte zunächst von Uganda, dann von Ruanda gefördert noch immer kein Frieden ein, erst nach weiteren wurde. So politisierten FNI und UPC Ressourcen- Friedensvereinbarungen verließen ruandische bzw. konflikte und forcierten ethnische Spannungen, ugandische Soldaten 2002 bzw. 2003 endgültig das wobei diese Auseinandersetzungen verdeutlich- Land. ten, dass es sich keineswegs um „ethnische“ Kon- flikte im engeren Sinne handelte (Paes/Shaw 2003, Zwischenzeitlich war Laurent-Désiré Kabila am S. 165). 18. Januar 2001 ermordet worden. Umgehend Die im August 1998 gegründete Miliz Rassemble- übernahm sein Sohn Joseph die Regierungsämter, ment Congolais pour la Démocratie (RCD), stand obwohl er über keine Machtbasis im Land verfügte der ruandischen Regierung nahe. Am 28. August (Nzongola-Ntalaja 2002, S. 247). Er bemühte sich 1998 scheiterte ihr Versuch, Kinshasa zu erobern, rasch um Neuwahlen, um seine Machtposition an der militärischen Intervention Simbabwes, Ango- landesintern zu legitimieren. Währenddessen setz- las und Namibias auf Seiten der kongolesischen te die nationale Elite die Rohstoffausbeutung in Armee. Die Regierungen dieser Länder im süd- großem Stil fort (Baregu 2006, S. 59 ff.). Die Entlas- lichen Afrika verbanden politische und ökonomi- sung einiger Minister, die am Rohstoffschmuggel sche Interessen mit ihrem Engagement (Johnson verdient und schwere Menschenrechtsverletzun- 2008, S. 127). So wollte die angolanische Regierung gen beim Diamanten- und Goldabbau geduldet ihre landesinternen Gegner ausschalten, die anschei- hatten, war nur ein kosmetischer Akt zur Beschwich- tigung der kurzzeitig auf- Urheber: L. Rose/USAID/Quelle: Wikipedia geschreckten Weltöffent- lichkeit. Kurz darauf stellte Joseph Kabila sie wieder als Regierungsberater ein (Human Rights Watch 2005, S. 124). Teilweise betätigten sich ranghohe Politiker als Kriegsherren und schlossen mit global agierenden Kon- zernen oder internationa- len kriminellen Netzwerken Verträge über die Ressour- cenausbeutung (Nzongola- Ntalaja 2002, S. 235 ff.). Staatliche Kontrollen fehl- ten, zumal zentralstaatli- che Institutionen vielerorts nicht präsent waren, und eine stabile Regierung mit realistischen wirtschafts- politischen Zielen sowie Ehemalige Kindersoldaten im Osten der Demokratischen Republik Kongo konkreten Konzepten für

393 SCHWERPUNKT

Bewaffnete Milizen deren Umsetzung an der nur eine kleine Minderheit der Kriegsopfer Gesund- konnten weiterhin um Basis eine Illusion blieb. heitsstationen aufsuchen konnte. Besonders fatal den gewinnbringenden Armee und Polizei wur- war das für Vergewaltigte, denn Vergewaltigun- Ressourcenzugang im den nach wie vor schlecht gen zählten zur verbrei- Ost-Kongo kämpfen ausgebildet und aus- Häufig wurden Massen- teten Kriegstaktik (Hu- und ungestraft schwe- gestattet; sie waren vergewaltigungen von man Rights Watch 2005, re Menschenrechts- bestechlich und schütz- den Kommandanten S. 18 f.). Allein in Nord- verletzungen verüben ten die Zivilbevölkerung angeordnet, um den und Süd-Kivu wurden nicht. So konnten bewaff- sozialen Zusammenhalt zwischen 1997 und 2002 nete Milizen weiterhin um den gewinnbringenden der jeweiligen Feinde mindestens 60.000 Frauen Ressourcenzugang im Ostkongo kämpfen und zu zerstören, ganze und Mädchen vergewal- ungestraft schwere Menschenrechtsverletzungen Bevölkerungsgruppen tigt; über die Zahl ver- verüben. zu vertreiben und sich gewaltigter Männer und die Kontrolle über res- Jungen gibt es wegen sourcenreiche Gebiete der noch größeren Tabu- Kriegerische Gewaltformen und Kriegsfolgen anzueignen isierung dieser Gewalt- akte keine genauen Während der jahrelangen Kriege wurden zahllose Angaben. Häufig wurden Massenvergewaltigun- Menschen ermordet; hinzu kamen Todesopfer gen von den Kommandanten angeordnet, um den durch Krankheiten, Unterernährung und mangeln- sozialen Zusammenhalt der jeweiligen Feinde zu de medizinische Versorgung. Einige humanitäre zerstören, ganze Bevölkerungsgruppen zu vertrei- Organisationen vermuteten, dass im Osten Kongos ben und sich die Kontrolle über ressourcenreiche

Urheber: L. Werchick / USAID/Quelle: Wikipedia

Zusammenkunft von Vergewaltigungsopfern der Kongokriege, nahe bei Walungu, Süd-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo

394 SCHWERPUNKT

Gebiete anzueignen. Dabei ging es nicht nur da- Der UN-Sicherheitsrat manten-, Gold- und Col- rum, die jeweiligen Opfer zu demütigen, sondern schuf 2008 mit der tanabbau sowie im Roh- den männlichen Verwandten jegliche Kontroll- Resolution 1856 eine stoffschmuggel vorzu- und Besitzansprüche über die weiblichen Familien- weitere Grundlage für gehen. Hierfür hätte die mitglieder abzusprechen. Männer und Jungen den Kampf gegen den UN-Friedensmission in wurden vergewaltigt, um sie extrem zu erniedri- illegalen Ressourcen- der D. R. Kongo ein er- gen. Die Gesellschaft sollte dauerhaft destabilisiert handel weitertes Mandat benö- werden (Schäfer 2008, S. 377 ff.). Vertreterinnen tigt. Dies geschah 2005 kongolesischer Frauenorganisationen prangerten ansatzweise, zudem verabschiedete der UN-Sicher- Vergewaltigungen im Kontext der Ressourcen- heitsrat 2008 die Resolution 1856 und schuf damit kämpfe mit dem drastischen Hinweis an, dass im eine weitere Grundlage für den Kampf gegen den übertragenen Sinn auf zahllosen Handys und Lap- illegalen Ressourcenhandel. tops das Blut von Vergewaltigten klebe. Im Juli 2004 begann ein Programm zur Entwaff- Neben der Infektion mit HIV zählte das Schwän- nung, Demobilisierung und Wiedereingliederung gern von Frauen und Mädchen zur nachhaltigen von Kombattanten, das zusammen mit umfangrei- Zerstörungstaktik der unterschiedlichen Kampf- chen Wiederaufbauaktivitäten von der internatio- gruppen. Die wenigen Krankenhäuser, die über- nalen Staatengemeinschaft gefördert wurde. Es haupt in der Lage waren, den HIV-Status zu testen, wurde wiederholt unterbrochen, denn für etliche dokumentierten Infektionsraten von 20-50 Pro- Warlords war die Kriegsökonomie lukrativer als ein zent. Wegen des mangelnden Medikamentenzu- für sie unabwägbarer Friede (Human Rights Watch gangs und der verbreiteten Unterernährung brei- 2005, S. 11). Außerdem mangelte es an Maßnah- teten sich AIDS-Erkrankungen mit hohen men für Mädchen, die von den Milizen als Sex- und Todesraten rasch aus. 2001 waren landesweit 2056 Arbeitssklavinnen oder für diverse andere Dienst- Ärzte für über fünfzig Millionen Kongolesen zu- leistungen und Kampfaufgaben missbraucht wor- ständig, davon arbeiteten 930 in Kinshasa, einer den waren. Schätzungsweise konnten nur zwei Pro- Stadt mit über acht Millionen Einwohnern. Er- zent aller Mädchen, die als Kindersoldatinnen oder schwerend kam hinzu, dass Kriegsherren und Kom- Sex-Sklavinnen verschleppt worden waren, an den mandanten die Zerstörung der wenigen medizini- Demobilisierungsprogrammen teilnehmen. Ihr Anteil schen Einrichtungen als Kriegstaktik einsetzten. So hatte aber in etlichen Kombattantengruppen etwa gelang es ihnen in Ituri ähnlich wie in Nord- und 30 Prozent betragen (UNIFEM 2006, S. 5 f.). Süd-Kivu, mögliche Hilfeangebote für die jeweili- gen Feinde zu vernichten, wobei verschiedene 2005 sollten die ersten demokratischen Wahlen Kriegstreiber ethnische Gegensätze manipulierten stattfinden; sie wurden aus politischen und logisti- und ihre Gewaltakte und Vertreibungen damit for- schen Gründen aber auf Ende Juli 2006 verscho- cierten (Tull 2005). ben. Allerdings verhalf der erste Wahldurchgang keinem Kandidaten zu einem eindeutigen Sieg. Die Stichwahlen Ende Oktober 2006 gewann Josef Interventionen der Vereinten Nationen und Kabila. Nach beiden Wahlgängen gab es gewaltsame nationale Wahlen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der Kandidaten. In den letzten Jahren konnte der Die UN entsandte einen Beobachter für die Men- siegreiche Kabila nicht das Vertrauen der Bevölke- schenrechtslage im Kongo und einen Sonderbeob- rung in den Staat gewinnen; massive Korruption, achter für das Gebiet der großen Seen. 2003 verab- Gewalt und Willkür stehen dem nach wie vor ent- schiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1493 gegen (Johnson 2008, S. 163 ff.). gegen die illegale Ressourcenausbeutung im Kongo und 2005 wurde mit der Resolution 1596 ein Waf- fenembargo erlassen. Schließlich nutzten zahlreiche Fragile Staatlichkeit und mangelnder Rechts- Milizenchefs ihre Einnahmen aus dem Mineralien- staat handel in großem Stil zum Waffenkauf. Menschen- rechtsorganisationen warfen der UN vor, kaum Zum Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaates Sanktionen gegen die Waffenhändler und -käufer und demokratischer Strukturen sind weiterhin um- zu verhängen und nicht entschieden genug gegen fassende Strukturreformen auf allen Ebenen not- die schweren Menschenrechtsverletzungen im Dia- wendig. Gute Regierungsführung, die von der

395 SCHWERPUNKT

internationalen Staatengemeinschaft verhalten len Ressourcenhandel involviert sind. Umso wichti- angemahnt wird, erfordert, Armee, Polizei und ger ist es nach Einschätzung internationaler Beob- Justiz grundlegend zu reformieren. Bessere Ausbil- achter, weiterhin an politischen Lösungen zu arbei- dung und Ausstattung sind auch bei den Verwal- ten (Vircoulon 2011, S. 24 ff.). tungseinrichtungen notwendig, die funktionieren- de Finanzsysteme und umfassende Programme zur Korruptionsbekämpfung schaffen müssen (Maban- Literatur za 2010, S. 23 f.). Aber es flammen immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Regie- Baregu, Mwesiga: Congo in the Great Lakes Con- rungssoldaten und diversen Rebellengruppen auf, die flict, in: Khadiagala, Gilbert (ed.): Security dyna- sich auch untereinander bekämpfen. Opfer schwe- mics in Africa’s Great Lakes Region, Boulder 2006, rer Menschenrechtsver- S. 59-80. Opfer schwerer Men- letzungen ist vor allem schenrechtsverletzun- die Zivilbevölkerung. Hochschild, Adam: King Leopold’s ghost – A story gen ist vor allem die Sexualisierte Gewalt, die of greed, terror and heroism in colonial Africa, Zivilbevölkerung oft eine Eroberungs- London 2002. und Vertreibungsstrate- gie ist, wurde bislang nicht gestoppt, und die Täter Human Rights Watch: The curse of gold, Democra- werden nicht strafrechtlich verfolgt. Selbst wenn tic Republic of Congo, Human New York/Washing- Vergewaltiger namentlich bekannt sind und von ton D.C. 2005. mutigen Frauenrechtsaktivistinnen angezeigt wer- den, können sie sich freikaufen. Dies war bei eini- Johnson, Dominic: Kongo – Kriege, Korruption und gen ranghohen Militärs der Fall; die Frauen wur- die Kunst des Überlebens, Frankfurt a. M. 2008. den anschließend bedroht. Wie gefährlich ihre Arbeit ist, zeigte die Ermordung von Menschen- Mabanza, Boniface: Kurieren an Symptomen, Hilfe rechtsaktivisten während der letzten Jahre. für einen Staatsaufbau in der Demokratischen Re- publik Kongo wirkt nicht, in: Welt-Sichten, 1, 2010, Die kongolesische Regierung ist eigentlich ver- S. 23-24. pflichtet, gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen und den Vergewaltigten, von denen viele mit HIV Nzongola-Ntalaja, Georges: The Congo - From Leo- infiziert werden, zu helfen. Dafür stellte der Glo- pold to Kabila, A people’s history, London 2002. bale Fond gegen HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose schon vor Jahren umfangreiche Gelder zur Verfü- Paes, Wolf-Christian/Shaw, Timothy: Praetorians or gung (Human Rights Watch 2005, S. 48). Außerdem profiteers?, The role of entrepreneurial armed forces hat die D.R. Kongo internationale Abkommen und in Congo-Kinshasa, in: Brömmelhörster, Jörn/Paes, Vereinbarungen der Afrikanischen Union zu Frauen- Wolf-Christian (eds.): The military as an economic rechten ratifiziert, jedoch bislang kaum realisiert. actor, Soldiers in business, Houndmills/Basingsto- Besonders wichtig wäre es, die Landrechte von ke/New York 2003, S. 143-169. Frauen abzusichern, um die Selbstversorgung der zahlreichen HIV-Infizierten und AIDS-Waisen zu Ratsch, Ulrich: Tantal, Gold und Diamanten – Der gewährleisten (Schäfer 2008, S. 394). Krieg im Kongo finanziert sich selbst, in: Hauswe- dell, Corinna et al. (Hrsg.): Friedensgutachten 2003, Grundsätzlich sollten die zuständigen Regierungs- Münster 2003, S.170-179. stellen die Rechte über Land und Minen klären, denn unklare Rechtsverhältnisse verschärfen lokale Renton, David/Seddon, David/Zeilig, Leo: The Con- Konflikte. Auch der im März 2011 von Regierungs- go - Plunder and resistance, London 2006. und Bergbauvertretern geschlossene Vertrag zur Unterbindung mafiöser Strukturen müsste umge- Reyntjens, Filip: The great African war, Congo and setzt werden. Bislang gibt es erst einzelne Pilotpro- regional geo-politics, 1996-2006, Cambridge 2010. jekte, die Transparenz in die Vertriebsnetze bringen sollen und die Mitarbeiter staatlicher Institutionen Samsons, Ann/Marysee, S. (eds.): Natural resources für bessere Kontrollen ausbilden. Das ist schwierig, and local livelihoods in the Great Lakes Region of denn vielerorts kontrolliert die kongolesische Armee Africa, A political economy perspective, London/ die Minen, wobei einige Armeechefs in den illega- New York 2011.

396 SCHWERPUNKT

Schäfer, Rita: Frauen und Kriege in Afrika. Eine Gen- Vircoulon, Thierry: Zertifikate allein reichen nicht, der-Analyse, Frankfurt a. M. 2008. Regierungsführung behindert Lösungsansätze beim Umgang mit Konfliktmineralien in der D.R. Southall, Roger/Melber, Henning (eds.): A new Kongo, in: Afrika Süd, Nr. 3, 2011, S.24-26. scramble for Africa? Imperialism, investment and development, Scottsville 2009. Vlassenroot, Koen/Raemaekers, Timothy: The poli- tics of rebellion and intervention in Ituri – The Taylor, Ian: Conflict in Central Africa - Clandestine emergence of a new political complex?, in: African networks and regional/global configurations, in: Affairs, vol. 103, no. 412, 2004, S. 385-412. Review of African Political Economy, no. 95, 2003, S. 45-55.

Tull, Denis: The reconfiguration of political order in Africa, A case study of North Kivu (DR Congo); In- stitut für Afrika-Kunde, Hamburg 2005. Dr. Rita Schäfer, Ethnologin, arbeitet als freiberufliche Wissenschaftlerin und Gut- Turner, Thomas: The Congo wars – Conflict, myths, achterin für Entwicklungsorganisationen. reality, London 2007. Sie ist Autorin mehrerer Buchpublikationen, u. a. „Frauen und Kriege in Afrika.“ UNIFEM: Gender profile of the conflict in the De- (www.frauen-und-kriege-afrika.de). mocratic Republic of the Congo, New York 2006.

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Der Vielfalt von Afrika in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit Rechnung tragen Bettina Waldt

Unser Bild von Afrika ist häufig geprägt durch mationen zum afrikanischen Kontinent im Umlauf mediale Einflüsse und damit einhergehend redu- sind, was sie bewirken und welche Möglichkeiten ziert auf die Nachrichten, die von diesem Konti- und Herausforderungen sich daraus für die ent- nent zu uns dringen. Bettina Waldt will den Blick wicklungspolitische Bildungsarbeit ergeben. weg von den herrschenden Stereotypen lenken und zeigt anhand ausgewählter Praxisbeispiele aus „Afrika“ in der Bildungsarbeit als ein Kontinent ihrer entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, wie voller Katastrophen und ohne hoffnungsvolle Ent- zu differenzierter Wahrnehmung der in Afrika wicklungen und in Abhängigkeit von reichen Indus- bestehenden Vielfalt angeregt werden kann. trieländern, dessen Menschen nicht für sich selbst sprechen können? Eine solche Darstellung in der Bildungsarbeit würde zu kurz greifen... viel zu Hör‘ ich ‚Afrika’, denk ich an… kurz, und sie widerspräche Ansätzen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung und des Globalen Ler- Gefragt, was ihnen zu „Afrika“ einfalle, antworten nens. Denn dann bestünde das Risiko, Stereotype jugendliche und auch erwachsene Teilnehmende und Vorurteile zu reproduzieren und Menschen von Workshops zum Thema Afrika des Öfteren ihrer Würde zu berauben. Das würde fernab jeg- zunächst mit Stichworten wie „Hunger(snöte)“, licher differenzierter, realitätsnaher und respekt- „Armut“, „Naturkatastrophen“, „Kinderarbeit“, voller Darstellung des Kontinents liegen. verweisen auf die Kriege im Kongo, in Ruanda, im Sudan oder in anderen Ländern oder auf Krankhei- ten wie HIV/AIDS, Malaria, usw. Gelegentlich werden Was bedeuten „Bildung für Nachhaltige auch „Musik, Tanz und Trommeln“, „die schnellen Entwicklung“ und „Globales Lernen“? Läufer und Läuferinnen aus Kenia“, „bunte Klei- der“ oder „Naturlandschaften und Tierwelt“ „Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat genannt. Dabei spielen die Bilder und Geschichten am 20.12.2002 für die Jahre 2005 – 2014 die Welt- aus der Medienwelt, zu denen die betreffenden dekade ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ Jugendlichen und Erwachsenen Zugang haben, ausgerufen. Die Mitgliedsstaaten der UN sind auf- eine wesentliche Rolle als Informationsquelle. gefordert, national und international durch ent- sprechende Bildungsaktivitäten die Ziele nachhalti- In der Annahme, dass sämtliche Katastrophen auf ger Entwicklung zu unterstützen, um die Lebens- dem afrikanischen Kontinent „beheimatet“ sind, und Überlebensbedingungen für die jetzt leben- fragte mich kurz nach der Erdbebenkatastrophe in den und die zukünftigen Generationen zu sichern. Haiti ein Jugendlicher während eines Workshops: Die Weltdekade orientiert sich dabei nicht nur an „Wo genau in Afrika liegt eigentlich Haiti?“ den Zielen der Weltgipfel in Rio 1992 und Johan- nesburg 2002, sondern auch an den ‚Millenium In diesem Artikel geht es darum zu beleuchten, Entwicklungszielen‘ in der Milleniumserklärung welche Bilder, Geschichten, Annahmen und Infor- der UN (2000).“ (Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Ent- ©Klaus Urban wicklung, S. 17)

Die Milleniumserklärung wurde beim UN-Milleniums- gipfel 2000 von einer inter- nationalen Gemeinschaft, bestehend aus 189 Natio- nen, verabschiedet, um den Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen bis zum Jahr 2015 zu hal- bieren. Aus dieser Mille- niumserklärung wiederum wurden die acht Mille- niumsentwicklungsziele – im Englischen die ,MDGs’ – abgeleitet, die definieren Solche Szenen gehören zu unserem Bild von Afrika sollen, welche Ziele die

398 SCHWERPUNKT

Internationale Gemeinschaft durch ihre Maßnahmen bis 2015 konkret erreichen will. (vgl. http://www. 2015.venro.org/hintergrund.html)

Der Orientierungsrahmen für den Lernbereich glo- bale Entwicklung, wie er 2007 von der Kultusminis- terkonferenz und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung formuliert wurde, ist eine bedeutende Komponen- te der Bildung für Nachhaltige Entwicklung und des Globalen Lernens.

Lernenden soll dadurch ermöglicht werden, Kompe- tenzen zu erwerben, „(...) die es ihnen ermögli- chen, sich in einer globalisierten Welt zu orientieren ©EPiZ und eigene Werte und Haltungen zu entwickeln. Dabei soll das Leitbild der nachhaltigen Entwick- Sinnbild für Globales Lernen lung ein wichtiger Bezugspunkt des Lernbereichs Globale Entwicklung sein.“ (Orientierungsrahmen Fälle erinnern, in denen wir – manchmal unbe- für den Lernbereich Globale Entwicklung, S. 15) wusst – durch unser Verhalten Stereotype reprodu- ziert haben, die sich für die Betroffenen nachteilig Globales Lernen kann betrachtet werden als päda- auswirkten oder in denen wir selbst von Stereoty- gogische Antwort auf Globalisierungsprozesse pen bzw. Vorurteilen betroffen waren. Die ent- oder wie von VENRO definiert: „Globales Lernen scheidenden Fragen bestehen darin, wie wir mit unterstützt den Erwerb von Kompetenzen, die wir Stereotypen bzw. Vorurteilen umgehen: Sind wir brauchen, um uns in der Weltgesellschaft – heute bereit, unsere Haltung und Verhalten zu hinterfra- und in Zukunft – zu orientieren und verantwortlich gen? Perspektiven zu wechseln und daraus zu ler- zu leben.“ (VENRO, Jahrbuch Globales Lernen nen? Welche Werte zählen für uns? 2007/2008, S. 8) Chimamanda Adichie beschreibt in ihrem Vortrag Diesen Definitionen liegt der Ansatz zugrunde, der Ereignisse, die sie selbst erlebte – zum Beispiel, wie die Lernenden ganzheitlich als handlungsfähige sie einen Aufruf an einem Flughafen hört: „Indien, Akteure begreift und sie mittels vielfältiger partizi- Afrika und andere Länder“; wie sie als Nigerianerin pativer Methoden beim Erwerb zukunftsfähiger während ihrer Zeit, die sie in den USA lebte, häufig Kompetenzen begleiten und bestärken möchte. angesprochen wurde, sobald in ihrem Umfeld von „Afrika“ die Rede war, oder wie überrascht ihre amerikanische Mitbewohnerin reagierte, als sie Einseitige und vielfältige Darstellungen – hörte, wie gut ihr Englisch ist (Englisch ist die unser Wirken in der Bildungsarbeit und im Amtssprache Nigerias) bzw. als sie die Musik von Alltag Mariah Carey als ihre Lieblingsmusik präsentierte.

2010 erlebte ich auf einem Seminar mit Inhalten Frau Adichie schildert, wie sie als Kind immerzu zur antirassistischen Bildungsarbeit einen Filmvor- von ihrer Mutter hörte, dass die Familie des Jun- trag von Chimamanda Adichie – eine Schriftstelle- gen, der bei ihrer Familie im Haushalt arbeitete, rin aus Nigeria. Sie spricht in ihrem Vortrag „The sehr arm sei. Und so war sie überrascht, als sie eines Danger of a Single Story“ über die Gefahren von Tages die schönen Körbe sah, die von Mitgliedern Stereotypen und Vorurteilen sowie die Chancen der Familie dieses Jungen hergestellt wurden. Es und die Notwendigkeit, Orte und Regionen in ihrer kam ihr nicht in den Sinn, dass Mitglieder dieser Vielfalt darzustellen. Dieser authentische, ermuti- Familie aktiv sind, etwas herstellen können. Ähn- gende und gut verständliche Vortrag ist auch auf lich tendieren Menschen in Ländern des Nordens YouTube zu sehen. (http://www.ted.com/talks/chima- häufig dazu, Menschen aus afrikanischen Ländern manda_adichie_the_danger_of_a_single_story.html) als arm und ausschließlich als arm zu sehen, weil sie nur dies immer wieder gehört haben. Dabei „Single Stories“, wie Frau Adichie sie nennt, sind in gerät häufig aus dem Blick, was Menschen in afri- unseren Köpfen, und sie hängen mit Machtstruktu- kanischen Ländern schaffen, wie sie denken und ren zusammen. Wir können uns vermutlich alle an fühlen, und was sie Positives bewirken.

399 SCHWERPUNKT

rungen entsprechend dif- ferenziert zu erörtern.

Beispiele aus der Praxis

In der entwicklungspoliti- schen Bildungsarbeit exis- tieren verschiedene Ansät- ze und Methoden, die die beschriebenen Ziele anstre- ben und insbesondere Men- schen und ihre Lebensrea- litäten in verschiedenen Orten der Welt möglichst respektvoll, differenziert ©Klaus Urban und realitätsnah darstel- Häufig gerät aus dem Blick, was die Menschen in Afrika denken und fühlen und Posi- len. tives bewirken Im Folgenden stelle ich drei Wege zu einer „Balance“ in der entwicklungs- Beispiele aus der Praxis der entwicklungspoliti- politischen Bildungsarbeit schen Bildungsarbeit vor:

Wie können wir allen diesen Fragen und Heraus- Workshop: Jugendgesundheitswelten forderungen in der Bildungsarbeit begegnen? Mit Themenfeldern wie „Gesundheit“ und „Ju- Chancen bestehen insbesondere darin, gend in Ländern Afrikas“ finden sich viele Anknüp- fungspunkte zur Lebenswelt von Jugendlichen in ■ Orte/Regionen und Lebenswelten von Menschen Deutschland. Dies bietet Chancen, an eigenen Erfah- in unseren Veranstaltungen vielfältig und facet- rungen der Jugendlichen anzusetzen und sie anhand tenreich darzustellen, vielfältiger und interaktiver Methoden dazu einzu- ■ in unseren Präsentationen zu berücksichtigen, laden, Lebenswelten von Jugendlichen in Ländern dass sowohl globale Schlüsselprobleme wie wie Sambia, Südafrika oder Uganda kennenzu- Armut oder Katastrophen als auch Chancen lernen und Bezüge zur eigenen Lebenswelt herzu- durch kulturellen Reichtum und vielfach enga- stellen. gierte Bürger/-innen weltweit existieren, ■ zu beachten, dass bei Darstellungen von Men- Werden die Workshop-Teilnehmenden in einer der schen stets deren Würde geachtet wird, dass Lokalsprachen Sambias begrüßt, Alltagsgegenstän- Menschen eine Stimme gegeben wird, sie als de oder Bilder aus Sambia präsentiert, ist zumeist Akteure, als gleichberechtigte Partner/-innen schnell das Interesse daran geweckt, mehr über die dargestellt werden. Region zu erfahren, insbesondere dann, wenn spontan ein kleiner Dialog in Nyanja oder Tonga Als Bildungsreferent/-inn/-en tragen wir Verantwor- zustande kommt. tung hinsichtlich der Frage, wie wir über Menschen und Lebensbedingungen in anderen Ländern berich- Viele Fragen in den Workshops beschäftigen sich ten. Dies erfordert zum einen die Fähigkeit zu kriti- mit dem Alltagsleben in Sambia. So fragen teilneh- scher Reflexion, zum Perspektivenwechsel sowie mende Jugendliche zum Beispiel: „Wie sehen die weitere Kompetenzen. Häuser dort aus? Gibt es dort auch Hochhäuser? Wie ist Schule in Sambia? Wie wohnen die Men- Zugänge zu vielfältigen Lebenswelten in der Einen schen? Was machen Jugendliche dort? Welche Welt zu eröffnen, den Teilnehmenden adäquate Feste werden dort gefeiert? Gibt es da auch Möglichkeiten zur politischen Meinungsbildung Weihnachten? Wie ist das Wetter dort? Ist es da anzubieten, so könnten Herausforderungen von gerade Sommer? Was isst man dort so? Was kosten Bildungsreferent/-inn/-en beschrieben werden. die Nahrungsmittel? Können wir das hier auch Chancen und zukunftsfähige Entwicklungen dar- kochen? Gibt es dort Computer, Internet, Handys, zustellen, ist daher von mindestens ebenso hoher Fernsehen usw.? Welche Mode und Frisuren gibt es Wichtigkeit wie die Probleme und Herausforde- dort so?“

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ansatzweise wider, wie facettenreich Bildungs- ©EPiZ arbeit sein kann, und welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben, sich mit verschiedenen Fragen zum Alltagsleben und zu spezifischen Themen aus- einanderzusetzen.

Referent/-inn/-en des Programms „Bildung trifft Entwicklung“ haben selbst in den Ländern gelebt und gearbeitet, bringen daher authentische Erfah- rungen aus der Entwicklungszusammenarbeit und mit dem Alltagsleben vor Ort ein. Entsprechende Bilder, Filme, Gegenstände, Musik aus der Alltags- welt und zu einem bestimmten Themenfeld kön- nen dabei unterstützen und vieles anschaulicher machen. Die Referenten/Referentinnen können aus der Vielfalt ihrer Erfahrungen schöpfen, die sie in den jeweiligen Ländern gemacht haben, bei- spielsweise mit

■ lokalen Begebenheiten (z. B. Schulen, Behörden, religiöse Einrichtungen, Geschäfte), ■ dort praktizierten Umgangsformen (z. B. begrü- ßen/verabschieden, danken, gemeinsam essen), ■ der Handy- und Internetkommunikation oder dem Transportwesen vor Ort ■ der Presse-, Radio- und Fernseharbeit, ■ dem Arbeitsalltag dortiger Nichtregierungsorga- Ausschreibung des Workshops „Jugendgesundheitswel- nisationen oder von Gesundheitszentren und ten“ des Programms Bildung trifft Entwicklung im EPiZ Krankenhäusern, Reutlingen; Ausschnitt des Flyers ■ HIV- oder Malaria-Tests in den jeweiligen Län- dern, Oder die Teilnehmenden stellen Fragen zu meinen ■ Ansätzen in der Jugendarbeit, die in dem jewei- Erfahrungen: „Wie ist es Ihnen dort ergangen? ligen Land existieren (z. B. „Peer Education“, Wie sind Ihnen die Menschen dort begegnet? Wie „Edutainment“, Medienarbeit). wurden Sie aufgenommen? Wie sind Sie auf die Idee gekommen, nach Sambia zu gehen?“ Interaktive Methoden1 wie beispielsweise das Welt- spiel, soziometrische Übungen, das Arbeiten mit Weitere Fragen, die mir von Jugendlichen gestellt Bildern und Gegenständen, Rollen- und Planspiele, werden, beziehen sich auf die angesprochenen Quiz, Film- und Musikvorträge bieten in den Work- Themen wie Gesundheit: „Warum ist die Lebens- shops viele Möglichkeiten, sich mit entwicklungs- erwartung dort so viel niedriger als hier? Wenn eine politischen Inhalten auseinanderzusetzen. Dadurch Mutter HIV-positiv ist, wird der Virus dann automa- können Zugänge zu den genannten Themen eröff- tisch auf das Kind übertragen? Wie wird man auf net und die Erweiterung von Kompetenzen in Berei- HIV getestet? Welche Organisationen gibt es in chen der Bildung für Nachhaltige Entwicklung Deutschland, an die man sich mit solchen Fragen unterstützt werden. wenden kann? Bekommen die Leute dort auch Medikamente, wenn sie krank sind? Gibt es in Afri- In den Workshops konnte ich beobachten, wie ka auch Kondome? Sind die sicher? Wie ist das mit Jugendliche Interesse an der Thematik rund um den Medizinmännern? Können die bei Krankhei- Liebe und HIV/Aids, an (Jugend-)Lebenswelten ten helfen? Gibt es dort eigentlich Zahnärzte? Wie sowie an konkreten Lebens- und Arbeitserfahrun- ist das mit Malaria? Kann man sich dagegen imp- fen lassen?“ 1 Methoden für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit: Diese Fragenpalette ist ein kleiner Ausschnitt aus http://www.bildung-trifft-entwicklung.de/bte/downloads/ der Bildungspraxis und ließe sich noch um einige Downloads/Arbeitsblaetterfuerdieentwicklungspolitische- weitere Aspekte erweitern. Sie spiegelt zumindest Bildungsarbeit.pdf

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gen in Sambia, entwickelten. In den Workshops mer stellen Kinder ihre Bälle selbst her. Oft, nicht äußerte sich dies beispielsweise in lebendigen immer und überall, ist es in Afrika heiß. Es lohnt Gesprächsrunden, kreativen Ideen, Aussagen, Fra- also immer, sich genauer zu informieren.“ gen und erarbeiteten Präsentationen. (Vorwort des EPiZ-Kalenders „Fußballwelten“, www.epiz.de) Während der Feedbackrunden kamen bisher z. B. folgende Statements zur Sprache: „Etwas über den Die Fußball-WM 2010 in Südafrika löste insbeson- Alltag der Leute in Sambia zu erfahren, fand ich dere im Vorfeld und während des Zeitraums, in gut. Jetzt weiß ich mehr über HIV und Aids, wie dem die Weltmeisterschaft stattfand, großes Inter- HIV übertragen wird und wie man sich schützen esse in der Öffentlichkeit aus. Dies erwies sich für kann. Es gab doch viele Informationen zum Leben die Workshops „Fußball und Fairplay“ zu dieser der Leute in dem Land, was sie machen und so. Zeit als Chance, Türen zum afrikanischen Konti- Manchmal war es anstrengend, aber es war doch nent zu öffnen. Die Kinder und Jugendlichen, die gut. Was mitzukriegen von Situationen der Leute, an den Workshops teilnahmen, kannten Vuvuze- auch wenn sie krank werden, und wie vieles damit las, die auch in Deutschland erhältlich waren, zusammenhängt, wie sie auch von ihrer Familie stimmten oft mit ein, wenn der Waka Waka Song und so unterstützt werden können. Danke, dass Sie anklang. Auch kannten sie häufig die Bedeutung uns Afrika ein bisschen näher gebracht haben.“ des WM-Balls „Jabulani“ und die Übersetzung von „Bafana Bafana“. Sie zeigten sich offen und inter- Die Herausforderungen liegen mitunter darin, ein- essiert, unterschiedliche Lebenswelten von Kindern erseits die Jugendlichen nicht mit zu viel Input zu und Jugendlichen in Südafrika und anderen afrika- überfüttern und andererseits darauf zu achten, die nischen Ländern kennenzulernen und mehr über angesprochenen Themen entsprechend zu diffe- diese Länder zu erfahren. renzieren. Auch der angemessene Umgang mit geäußerten Stereotypen bzw. Vorurteilen erweist sich häufig als Herausforderung, kommt es doch in der Bildungsarbeit darauf an, diese im Zusammen- hang mit der Achtung der Menschenwürde zu the- matisieren und dabei das „Überwältigungsverbot“ und das „Kontroversitätsgebot“ des Beutelsbacher Konsenses (vgl. http://www.lpb-bw.de/beutelsba- cher-konsens.html ) entsprechend zu beachten.

„Fußballwelten“: Kalender und Workshops zu „Fußball und Fairplay“ „Zum ersten Mal in der Geschichte der Fußball- weltmeisterschaft findet dieses große Ereignis, bei dem alle vier Jahre so viele Menschen aus aller Welt zusammen kommen, von Juni bis Juli 2010, in einem afrikanischen Land statt... nämlich in Süd- afrika! Eine gute Gelegenheit, ‚Fußballwelten‘ von Men- schen, die in verschiedenen Ländern Afrikas leben, kennen- und verstehen zu lernen. Der Kalender möchte euch Jugendliche einladen, ausgewählte Lebens- und Fußballwelten des afrikanischen Kon- tinents in Gedanken zu bereisen. ‚Fußball verbindet’ – wir freuen uns über alle, die sich diesen Kalender anschauen und in afrikanische Welten vertiefen. Im Mittelpunkt stehen Spaß, Kre- ©Angela Parszyk/pixelio.de ativität und faires Miteinander beim Sport in Afri- ka sowie zahlreichen Lebenssituationen aus der Die Fußball-WM 2010 in Südafrika löste großes Interesse Perspektive junger Fußballfans. (…) Oft, nicht im- am afrikanischen Kontinent aus

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Der EPiZ-Kalender „Fußballwelten“ präsentiert Aus- sie leben, lernen und arbeiten. Für Lehrkräfte und schnitte aus Jugend-Lebenswelten aus Ruanda, Schüler/-innen ist Global Eyes ein modernes globa- Burundi, Lesotho, Kamerun und Südafrika, in denen les Klassenzimmer. Sie können nach Ländern, The- sich Kinder- und Jugendstimmen dieser Länder arti- men und Schlagworten recherchieren, Alben anle- kulieren. „Fußballwelten“ wurde auch in den Work- gen, Präsentationen illustrieren und Anregungen shops „Fußball und Fairplay“ als didaktisches für den Unterricht gewinnen. Material eingesetzt. „Global Eyes“ wurde von Mitgliedseinrichtungen So konnten die Kinder und Jugendlichen in den des Landesarbeitskreises „Schule für Eine Welt“ Workshops erfahren, dass Fußbälle aus Sportge- Baden-Württemberg entwickelt, zu denen Brot für schäften in afrikanischen Ländern nicht überall die Welt, die Landeszentrale für politische Bildung selbstverständlich sind. Sie konnten erproben, wie (LpB) Baden-Württemberg und das Entwicklungs- sie Bälle aus Blättern, Ästen und weiteren Natur- pädagogische Bildungs- und Informationszentrum materialien oder aus Stoffresten, Plastiktüten und (EpiZ) gehören. (Quelle: www.global-eyes.de) Wollfäden möglichst stabil und rund herstellen können. Zudem setzten sie sich mit vielfältigen Die Plattform „Global Eyes“ eröffnet Möglichkeiten, Informationen zu den verschiedenen Lebenswel- sich in der Bildungsarbeit mit unterschiedlichen Facet- ten der Kinder und Jugendlichen sowohl in länd- ten verschiedener Länder auseinanderzusetzen und lichen als auch in städtischen Regionen der genann- auch selbst neue kreative Ideen einzubringen. So ten afrikanischen Länder auseinander. Themen können wir verschiedene Geschichten von Men- waren dabei: schen aus anderen Ländern kennenlernen. Unter- schiedliche Facetten eines Landes können durch ■ weshalb manche Jungen und Mädchen in den Bilder und Informationen (aus eventuell verschie- genannten Ländern ihre Fußbälle gelegentlich denen Regionen) vermittelt werden, zum Beispiel: oder öfter mal selber herstellen ■ „Street Soccer” (http://www.streetfootballworld. ■ einerseits zu Schwierigkeiten, die Ernährungs- org) situation betreffend, und andererseits zu einer ■ worin Chancen und Probleme für Jugendliche Kleinbauernkooperative, die mithilfe von Klein- aus Townships in Südafrika liegen. krediten, in Vieh und Gemüseanbau investiert und Landwirtschaft aufbaut; Auch setzten sich die Teilnehmenden in den ■ einerseits zu Problemen, bedingt durch hohe Workshops auseinander mit Fragen wie: unter wel- Arbeitslosigkeit, und andererseits zur Unter- chen Bedingungen viele Fußbälle, die hier im Han- stützung von Menschen beim Aufbau einkom- del erhältlich sind, hergestellt werden; welche gerin- menschaffender Aktivitäten durch Nichtregie- gen Löhne die Näherinnen und Näher der Fußbälle rungsorganisationen. erhalten, womit sie ihre Familien kaum versorgen können, und welche Alternativen durch den fairen Die entwicklungspolitische Bildungsarbeit bietet Handel ermöglicht werden, der Voraussetzungen vielfältige Möglichkeiten und auch Herausforde- schafft, die die Lebensbedingungen der Arbeiter/ rungen, sich mit globalen Zusammenhängen aus- -innen in der Fußballherstellung entscheidend ver- einanderzusetzen und Kompetenzen im Sinne einer bessern können. Bildung für nachhaltige Entwicklung zu erwerben. Auch haben wir dadurch Chancen, Globalisierungs- Plattform „Global Eyes“ prozesse nicht mehr ausschließlich als „passive/-r Die Internetplattform „Global Eyes“ für Globales Bürger/-in“ wahrzunehmen, sondern uns Kompe- Lernen enthält Fotos und Geschichten von Men- tenzen anzueignen, die uns dazu befähigen, unse- schen aus vielen Ländern der Erde, die zeigen, wie re Zukunft verantwortlich mitzugestalten.

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Literatur und Links http://www.epiz.de

KMK und BMZ: Orientierungsrahmen für den Lern- EpiZ-Kalender ,Fußballwelten’ bereich Globale Entwicklung, 2007 http://www.streetfootballworld.org http://www.2015.venro.org/hintergrund.html http://www.global-eyes.de VENRO, Jahrbuch Globales Lernen 2007/2008 http://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_th e_danger_of_a_single_story.html Bettina Waldt ist Diplom-Pädagogin und Diplom-Sozialpädagogin. Sie war für den http://www.lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens.html Deutschen Entwicklungsdienst von 2005 bis 2007 in Sambia. Heute arbeitet sie als frei- http://www.bildung-trifft- berufliche Referentin für „Bildung trifft entwicklung.de/bte/downloads/Downloads/Ar- Entwicklung“, ein vom Bundesministerium beitsblaetterfuerdieentwicklungspolitischeBil- für wirtschaftliche Zusammenarbeit dungsarbeit.pdf gefördertes Programm.

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Afrika als Schwerpunkt entwicklungspolitischer Bildungspraxis Aus der Arbeit des Arbeitskreises Entwicklungspolitik mit seinen Kooperationspartnern

Gerhart Schöll/Christoph Beninde

Der Arbeitskreis Entwicklungspolitik (AKE) ist ein Entwicklung) in Nordafrika, die sich schwerpunkt- Zusammenschluss verschiedener Bildungsorganisa- mäßig an Studierende und Multiplikator/-inn/-en tionen, die ihr Augenmerk auf Probleme der Ent- richten sollten. Sie gründeten hierfür den Arbeits- wicklungspolitik und den Nord-Süd-Konflikt richten kreis Entwicklungshilfe (später Arbeitskreis Ent- wollten. Schon bald trat Afrika in den Mittelpunkt wicklungspolitik, abgekürzt AKE). Ein erstes drei- der Aktivitäten, über die Gerhart Schöll in einem wöchiges Seminar als „Modell politischer Bildung Rückblick über die verschiedenen Stationen der nun- auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe“ fand im mehr 45jährigen AKE-Geschichte berichtet. Wie Herbst 1967 in Tunesien statt. ursprüngliche Ideale und Erwartungen, die sich mit dieser Arbeit verknüpften, einer Ernüchterung über Bereits im Frühjahr 1967 wurden in Vlotho, Berlin die gegenwärtigen politischen Verhältnisse vor allem und zwei anderen Orten fünf einwöchige Seminare in den erst spät zur Unabhängigkeit gelangten mit dem Titel „Geschenke, Geschäfte oder was Staaten des südlichen Afrika wichen und zu einer sonst? Einführungseminar in Probleme der Entwick- pragmatischeren Einstellung zu den Möglichkeiten lungsländer und Entwicklungshilfe“ veranstaltet. Sie entwicklungspolitischer Bildungsarbeit führten, stellt waren noch recht referatslastig, präsentierten aber AKE-Kooperationspartner Christoph Beninde vom durchaus interessante Referenten aus dem für die- Welthaus Bielefeld dar. sen Politikbereich zuständigen Ministerium (Bundes- ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) und unterschiedlichen Organisationen der Entwick- Es begann mit dem Studium regionaler lungshilfe (wie man damals die Entwicklungs- Entwicklung in Nordafrika zusammenarbeit generell noch nannte). Es gab allerdings auch intensive Diskussionen in Klein- (Nord-) Afrika steht bereits am Beginn der Arbeit: gruppen. Teilnehmende dieser Seminare konnten Ende 1966 beschlossen mehrere Träger der Jugend- sich für ein Seminar in Tunesien im Herbst bewer- und Erwachsenenbildung (darunter der Jugendhof ben – 39 wurden ausgewählt. Vlotho und die Internationalen Jugendgemein- schaftsdienste/IJGD) die gemeinsame Organisation Das Seminar in Tunesien begann mit einer zweitä- von Seminaren zum Thema Nord-Süd (bzw. Ent- gigen Einführung über Tunesien und die Entwick- wicklungsländer, Entwicklungshilfe und regionale lungspolitik des Landes, zu der tunesische und im Land tätige deutsche Ex- Foto: BishkekRocks/Quelle: Wikipedia perten als Referenten ein- geladen waren. Eine drei- tägige Rundreise, die den Teilnehmenden einen Über- blick über die Regionen des Landes und die soziale und wirtschaftliche Situation ver- mitteln sollte, schloss sich an.

Die nächsten zehn Tage ver- brachten die Teilnehmen- den in Kleingruppen an unterschiedlichen Orten des Landes, um dort ent- weder ein Projekt der Ent- wicklungszusammenarbeit, Institutionen der Entwick- lungspolitik oder örtliche wirtschaftliche und soziale Strukturen genauer kennen- zulernen.

Bei einem abschließenden Tunesien war das erste Land, dem der AKE in Afrika seine Aufmerksamkeit widmete. Treffen in Tunis gab es ers- Hier die Medina von Hammamet te Berichte über die Ergeb-

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nisse dieser Studien vor Ort und noch einmal Ge- gen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und spräche mit Expert/-inn/-en aus dem Land. Pauperia (das deutlich an den Hauptprodukten Tee und Sisal erkennbar war) entwickelt, mit ähnlichen Ein Auswertungs- und Nachbereitungstreffen folgte Spielgruppen.2 einige Wochen nach der Rückkehr. Die Teilnehmen- den sollten dazu auch Berichte aus den Studienauf- enthalten mitbringen. Diese und einige Artikel zu Jugend- und Fachkräfteaustausch mit den allgemeineren Themen wurden von einem Redak- Maghrebländern (Tunesien, Marokko, tionsteam abschließend zu einem Bericht zusam- Algerien) mengefasst.1 Mit Unterstützung aus dem Bundesjugendplan ent- Mehrere Teilnehmende bereiteten dann in den Fol- wickelte sich von 1973 an ein Fachkräfteaustausch, gejahren ähnliche Seminare in Tunesien, ab 1970 in dessen Rahmen auch regelmäßig Fachkräfte der auch in Marokko und ab 1975 in Algerien vor und Jugendhilfe aus den Partnerländern nach Deutsch- waren auch für die Durchführung verantwortlich land kamen. Inhaltlich ging es um unterschiedliche (entsprechend rekrutierten sich immer wieder neue Bereiche der Jugendhilfe. Auch hier fand ein Teil des Teamer/-innen aus den einzelnen Seminaren – Aufenthaltes in kleinen Gruppen an unterschied- Hauptamtliche waren so gut wie nicht beteiligt). lichen Orten statt. Die Anwesenheit der Gäste aus Der Ablauf wurde im Lauf der Jahre etwas modifi- den Partnerländern wurde im Rahmen der Bildungs- ziert, orientierte sich aber durchaus weiterhin am arbeit des 1978 gegründeten AKE-Bildungswerkes Modell des ersten Seminars in Tunesien. auch benutzt für Gespräche mit jungen Leuten, die nicht an den Maßnahmen selbst teilnahmen, sich Stärker verändert wurde allerdings die Struktur der aber für die Herkunftsländer interessierten. Auch einführenden Wochenseminare: Es waren überwie- während der Kleingruppenaufenthalte fanden gend die Leitungsteams und nicht mehr auswärtige regelmäßig solche Seminare mit örtlichen interes- Referent/-inn/-en, die die Inhalte einbrachten, und sierten deutschen Partnergruppen statt. im Mittelpunkt der Seminare stand ein Planspiel, das eigens vom AKE für diesen Zweck entwickelt Die Struktur der Seminare in den Partnerländern wurde – bewusst auch mit inhaltlichem Bezug auf entsprach zunächst noch weitgehend dem frühe- Tunesien: es ging darin um die Verlagerung eines ren Modell, inhaltlich standen aber zunehmend Textilbetriebs von Deutschland nach Tunesien und Fragen von Erziehung, Jugendarbeit und anderen Auseinandersetzungen, Probleme und Aktivitäten in Bereichen der Jugendhilfe im Vordergrund. Teilneh- diesem Zusammenhang. Das Planspiel, das schrift- mende waren ganz überwiegend haupt- und ehren- lich ablief und etwa eineinhalb Tage dauerte, trug amtlich Mitarbeitende in der Jugendarbeit. in der Regel ganz erheblich zur Bewusstseinsbil- dung über die Problematik Entwicklungsländer/In- Ab Ende der 80er Jahre wurden die Fachprogramme dustrieländer bei. Insbesondere wurden dabei auch mit Marokko und Tunesien vom Jugendhof Vlotho viele Fragen entwickelt, die dann in Arbeitsgruppen fortgeführt. im Anschluss an das Planspiel gemeinsam mit den Teamer/-innen diskutiert und wenn möglich geklärt Seit 1993 findet in der Regel einmal jährlich als wurden. gemeinsame Veranstaltung von AKE und Jugend- hof eine Tagung statt, zu der Vertreter von Trägern Ein weiteres Planspiel wurde zu einem späteren des Jugendaustauschs mit arabischen Ländern ein- Zeitpunkt, als auch Tansania Partnerland des AKE geladen werden. Partnerländer der Teilnehmen- geworden war, zu Wirtschaftsbeziehungen, Ent- den sind vor allem die nordafrikanischen Länder wicklungspolitik und internationale Verflechtun- Ägypten, Tunesien und Marokko, daneben Palästi-

1 Arbeitskreisentwicklungspolitik (Herausgeber): Tunesien- 2 Inhalte und Methoden dieser Planspiele wurden damals in Seminar 1967. Bericht über ein Informationsseminar als Modell einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bil- politischer Bildung auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe, Ver- dung dargestellt: Gerhart Schöll: Entwicklungspolitische Plan- lag der SSIP-Schriften Dieter Breitenbach, Saarbrücken 1968. spiele zum Themenschwerpunkt: Arbeitsplatzverlagerung, Der Bericht enthält auch eine ausführliche Darstellung zum internationale Arbeitsteilung, private Investitionen, Welthan- Ablauf und zur Methodik des Seminars und zum „Prozess der del, in: Von und mit der Dritten Welt lernen, hrsg. vom Institut Informationsgewinnung in der Gruppe“. für Internationale Begegnungen e. V. und der Bundeszentrale Weitere Berichte wurden zu den Seminaren in Tunesien 1968 für politische Bildung, Bonn 1987, Heft 3, S. 61-71 (dort ist auch sowie 1969/70 und in Marokko 1970 veröffentlicht. das Programm eines Wochenseminars wiedergegeben).

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Sambia. Hier gab es bei den Aufenthalten der Part- © Jugendhof Vlotho nergruppe in Deutschland ein besonders interessan- tes Modell: Teilnehmende waren Mitarbeiter/-innen vor allem kirchlicher Einrichtungen aus fast einem Dutzend verschiedener afrikanischer Länder, über- wiegend im südlichen Afrika, die in Mindolo eine einjährige Zusatzausbildung in Gemeinwesenarbeit absolvierten. Für die, die selbst im Schwerpunkt Jugendarbeit oder anderen Bereichen der Jugend- hilfe tätig waren, wurde das Fachkräfteseminar des AKE eine wichtige Erweiterung ihrer Zusatz- ausbildung. Aber auch für die deutschen Gesprächs- partner, Mitarbeitende in den einzelnen Partner- projekten und andere Interessierte, die an den Seminaren oder örtlichen Veranstaltungen teilnah- men, waren die Gespräche mit diesem Kreis über das Leben, die Menschen und Kulturen in Afrika eine interessante Erfahrung. Im Jugendhof Vlotho fanden später die Fachprogramme mit Tunesien und Marokko statt Langzeitwirkungen politischer Bildung na, gelegentlich Jordanien, selten andere arabi- sche Länder. Inhaltlich geht es dabei neben metho- Eine Umfrage 1987 unter allen ehemaligen Teilneh- dischen Fragen und Erfahrungsaustausch vor allem menden dieser Seminare, deren Adressen noch um aktuelle politische kulturelle und soziale Ent- bekannt waren, ergab einen Rücklauf von über wicklungen in der Region. In diesem Rahmen 100 Fragebögen. Im Sinne von Langzeitwirkungen konnte auch eine Tagung im September 2011 mit politischer Bildung ist es sicherlich interessant, dass Werner Ruf, einem der besten Kenner Nordafrikas über 80 % der Befragten angaben, aus diesen unter den deutschen Politikwissenschaftlern, zu Seminaren wichtige Impulse für ihr späteres Leben einer differenzierten Wahrnehmung der aktuellen erhalten zu haben. Für viele waren die Erfahrun- Entwicklungen in der arabischen Welt beitragen. gen wichtig für ihren späteren Beruf (und tätig Geplant ist, die Tagungen künftig auf europäischer waren sie insbesondere in Schule, Jugendarbeit Ebene fortzusetzen. und anderen Bildungs- sowie entwicklungspoliti- schen Bereichen) – bis hin zu grundlegenden beruflichen Entscheidungen. „Jugendpolitische Maßnahmen mit Entwick- lungsländern“: Tansania und Sambia Ein Teilnehmer, der 1980 mit in Tansania war, beant- wortete den Fragebogen damals nicht. Aber viele Gefördert aus dem Programm „Jugendpolitische Jahre später veröffentlichte Bartholomäus Grill, Maßnahmen mit Entwicklungsländern“ des Bun- Redakteur und Afrika-Korrespondent der ZEIT, in desjugendplanes fand Ende der siebziger Jahre einem Sammelband eine Reihe seiner Reportagen. zum ersten Mal in Zusammenarbeit mit der Fach- Dem AKE schrieb er dazu: „Erst zwei Seminare in hochschule Dortmund ein Seminar in Tansania Vlotho, dann eine Projektreise nach Afrika, schließ- statt mit der CCM-Jugend, dem Jugendverband der lich die Nachbereitung und ein kleines Büchlein, in Staatspartei CCM von Julius Nyerere. Weitere folg- dem wir unsere Erfahrungen reflektierten. Das ten, es schlossen sich Seminare für Fachkräfte und waren die Ergebnisse einer Veranstaltung des ehrenamtlich Mitarbeitende des Partnerverbandes Arbeitskreises Entwicklungspolitik vor über zwan- in Deutschland an – inhaltlich wurde das Modell zig Jahren. Wir haben damals viel gelernt über die aus Nordafrika fortgesetzt. Auf Anregung der IJGD Probleme eines armen Landes, und in meinem Falle wurden bei mehreren Seminaren auch Workcamp- war dieser Austausch eine Art Initiation: Ich bin als Elemente in das Programm aufgenommen, die es Korrespondent der ZEIT nach Afrika zurückgekehrt ermöglichen sollten, das Leben in den Dörfern inten- und berichte seit 1993 über die Welt im Süden der siver kennenzulernen. Sahara.“

Etwa zur gleichen Zeit begann ein ähnliches Pro- In seinem Buch schreibt er über die Reise mit dem gramm mit der Ökumenischen Mindolo-Stiftung in AKE: „Aus Tansania wurden revolutionäre Dinge

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dessen Bau wir helfen sollten. Wir machten uns also UK National Archives/Quelle: Wikipedia daran, Lehmziegel zu produzieren...“3

Als Grill im Spätherbst 2001 zum dritten Mal nach Longido kommt, bringt er eine Spende mit, die die ehemalige AKE-Gruppe gesammelt hat. Er erfährt, dass Esto am 28. Januar 2000 verstorben war.

„Estos kühne Visionen hatten sich nicht realisiert, aber da waren immerhin ein paar Arbeitsplätze und eine Hand voll selbstbewusster junger Leute. Ich ging an sein Grab im Schatten der großen Schirm- akazie, unter der wir einst unsere misslungenen Lehmziegel gebacken hatten. Dieser Mann hat meine Affaire mit Afrika eingefädelt. Er verkörpert den unerschütterlichen Optimismus der Afrikaner, ihren Humor und ihre Schlitzohrigkeit, ihren Müßig- gang und die Kunst, mit einfachsten Mitteln zu überleben. Esto Mollel war mein mwalimu, mein erster afrikanischer Lehrer. Auch seinem Andenken ist dieses Buch gewidmet.“4

AKE und Sudan

Seit 1993 arbeitet beim AKE ein Kollege, der in der sudanesischen Provinz Darfur, in einem kleinen Ort nahe der Grenze zum Tschad, geboren und aufge- wachsen ist. Inzwischen ist er Leiter des Bildungs- werks. Seine Mitarbeit hat dazu beigetragen, dass Afrikanischer Hoffnungsträger: Julius Nyerere, erster das Thema Afrika beim AKE noch einmal eine neue Staatspräsident von Tansania nach der Unabhängigkeit Dimension erhalten hat. berichtet. Wir hörten von einem afrikanischen Im Juni 1989 kam durch einen Putsch von Ahmad Sozialismus, von einem Dritten Weg zwischen dem Omar El Bashir das erste islamistische Regime der repressiven Sowjetkommunismus und dem räuberi- arabischen und afrikanischen Welt an die Macht. schen Kapitalismus. Wir studierten die Texte von Eine demokratische Entwicklung im größten Flä- Präsident Julius Nyerere, der ehrfürchtig mwalimu chenstaat Afrikas wurde jäh unterbrochen, der genannt wurde, großer Lehrer. Die Schlüsselbegrif- Bürgerkrieg im Süden verschärfte sich wieder, und fe seiner Philosophie hatten den Klang von politi- ab 2003 geriet auch der seit langem schwelende schen Mantras: Self reliance, mit eigenen Kräften und sich zum Bürgerkrieg entwickelnde Konflikt in die Unterentwicklung überwinden, und ujamaa, der Provinz Darfur zunehmend in den Blick der gemeinsam leben und arbeiten, eine politische Weltöffentlichkeit. Maxime, welche die Traditionen der Dorfgemein- schaft mit einem modernen Genossenschaftswesen Viele Sudanesen, Oppositionspolitiker, Wissenschaft- verband. Dort unten brannte uhuru, die Fackel der ler, Intellektuelle verließen ihr Land und suchten Freiheit, dort mussten wir hin. Wir, das waren neun Zuflucht, die meisten in den Nachbarländern oder junge Leute, Dritte-Welt-Bewegte, die in Longido, anderen arabischen Ländern, viele auch in Europa einem kleinen Nest nahe der kenianischen Grenze, oder Nordamerika. Insbesondere an jene unter von der Theorie zur Praxis schreiten und das tansa- ihnen, die in Deutschland und einigen Nachbarlän- nische Experiment unterstützen wollten. Unser dern lebten, richtete sich eine Tagung, in der seit Partner im Dorf hieß Esto Mollel, ein Masai, der in 1998 einmal im Jahr über die aktuelle Situation Sambia und Australien Soziologie studiert und sich für das kleine Longido große Pläne ausgedacht 3 Bartholomäus Grill: Ach, Afrika. Berichte aus dem Inneren eines hatte: einen Staudamm, ein alternatives Touris- Kontinents. München 2005, Wilhelm Goldmann Verlag, S. 22 f. musprojekt und ein Dorfgemeinschaftshaus, bei 4 a.a.O., S. 24 f.

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fenden Thema „Ethnizität COSV/Quelle: Wikipedia versus nation building in Afrika – Politisierung von Ethnizität im Zuge der Modernisierung – Chancen und Gefahren“ (mit einem Focus auf dem Sudan) be- fasste sich im Frühjahr 2003 ein Seminar in der Jugend- bildungsstätte Welper. Es richtete sich an Multipli- kator/-inn/-en der entwick- lungspolitischen Szene, Fachleute der Afrikanistik, Ethnologie und Anthropo- logie, interessierte deut- sche Bürger/-innen und vor allem an Afrikaner/-innen, die in der Bundesrepublik Deutschland oder in Nach- Alltag in Darfur barländern leben. Vor allem letztere waren unter den informiert und Perspektiven des Sudan für eine de- 44 Teilnehmenden vertreten. Aber sie kamen nicht mokratische Entwicklung erörtert wurden. Ehema- nur aus Großbritannien, Österreich und den Nie- lige Regierungsmitglieder aus der demokratischen derlanden, sondern sogar aus Saudi Arabien, Eri- Phase des Sudan und bekannte Wissenschaftler trea und dem Sudan. Da sich bereits am Samstag- gehörten zu den Referent/-inn/-en. Tagungsspra- nachmittag abzeichnete, dass das Interesse der che war in erster Linie Arabisch, zum Teil Englisch. meisten Teilnehmenden größer war als es die ein- Bei Bedarf wurde auch ins Deutsche übersetzt. Zwi- geplante Zeit (von Freitag bis Sonntag) erlauben schen 50 und 100 Teilnehmende kamen zu den würde, wurde spontan ein Ort für die Fortsetzung Tagungen, die meistens im Jugendhof Vlotho statt- des Seminars gesucht, das dann von Sonntagnach- fanden und schon allein von der Tagungsorganisa- mittag bis Montagnachmittag in Duisburg statt- tion her viel interkulturelle Kompetenz und Ein- fand. fühlungsvermögen sowie Improvisationsfähigkeit erforderten. Die Finanzierung dieser Tagungen war nicht leicht, und so konnte eine weitere nur noch einmal im Die Tagungen wurden bekannt bei der sudanesi- Jahr 2004 stattfinden. Ein engerer Arbeitskreis schen Community im Ausland, aber nicht nur dort: blieb aber darüber hinaus in Kontakt und beteiligte nach der vierten oder fünften Tagung erschien in sich auch noch einmal an der Jahrestagung des AKE einer sudanesischen Zeitung ein Artikel, in der die 2007 (s. u.). Das Thema Darfur blieb leider aktuell. zunehmende „Feindseligkeit der Deutschen gegen- Nicht zuletzt aus persönlichem Engagement für über dem Sudan“ beklagt wurde (der Verfasser seine Heimat beteiligten sich Ahmed Musa und das meinte damit wohl die zunehmende Kritik am Sudan AKE-Bildungswerk an zahlreichen Veranstaltungen bzw. dessen Regime wegen des Konflikts in Darfur über Darfur und/oder den Sudan in Kooperation und an den zunehmenden Menschenrechtsverlet- mit örtlichen Trägern und auch an Hilfsaktivitäten. zungen). Als Speerspitze der feindseligen Haltung gegenüber dem Sudan wurde der AKE gesehen, dessen Mitarbeiter Ahmed Musa Ali („a Zaghawa AKE-Jahrestagung 2007: Deutschland/Europa tribesman“) alljährlich eine Tagung gegen den und Afrika – ein Schwerpunkt zum Thema Sudan in Vlotho organisiere. Erst danach wurden Nord-Süd andere Organisationen wie die politischen Stif- tungen, spezielle Sudan-Hilfsorganisationen etc. Es lag nahe, Afrika auch zum Thema der Jubiläums- genannt. veranstaltung des AKE zu machen. Der bereits oben erwähnte Bartholomäus Grill referierte zum The- Mit welchem Engagement viele teilnahmen, zeigt ma: „Afrika – 50 Jahre nach der Dekolonisation – ein ganz besonderes Beispiel: Mit dem übergrei- noch ein Bildungsthema?“. Intensive Diskussionen,

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insbesondere über die Frage von endogenen und die große Zahl der Gruppen von Migrantinnen und exogenen Ursachen von Unterentwicklung schlos- Migranten unter diesen Kooperationspartnern. sen sich an: sind es eher die einheimischen Eliten, die eine Entwicklung verhindern, oder Einflüsse Der AKE kooperiert zum Thema Afrika seit vielen oder Eingriffe von außen, insbesondere aus den Jahren eng mit dem Welthaus und dem Zimbabwe Industrieländern? Netzwerk in Bielefeld. Der in beiden Organisatio- nen tätige Christoph Beninde stellt die Konzeption Der Sudan-Arbeitskreis (s. o.) beteiligte sich mit ei- dieser Arbeit und ihre Entwicklung im Folgenden ner Podiumsdiskussion zum Thema: „Darfur – ein dar: typisches Symptom für die Probleme des heutigen Afrika? Was haben wir, was hat Deutschland, was hat Europa damit zu tun?“ Dieses Thema wurde Wandel der Bildungsarbeit zum Südlichen unter verschiedenen Aspekten in Arbeitsgruppen Afrika: Amandla – Pamberi – A luta continua5 weiter erörtert. Das hier bei uns noch viel zu tun ist, wurde in beiden Gruppen deutlich. Es herrschte Aufbruchstimmung im Südlichen Afrika. Seit Mitte der 70er Jahre gewannen nacheinander Aber auch andere Länder oder Regionen Afrikas alle Staaten dieser Region die eigene Unabhängig- waren immer wieder Thema in einzelnen Veran- keit. Sie waren Nachzügler in dem Entkolonialisie- staltungen, von denen sich einige vor allem an rungsprozess, der in den 50er und 60er Jahren in Menschen richteten, die mit Flüchtlingen aus den den anderen Teilen Afrikas stattgefunden hatte. betreffenden afrikanischen Ländern oder Regio- Zunächst waren es 1975 die portugiesischen Über- nen kooperieren – und an die Flüchtlinge aus den seegebiete Angola, Mosambik, später Zimbabwe Ländern selbst. Zu einem Seminar „Das Horn von (ehemaliges Rhodesien 1980) und Namibia (1990) Afrika: Eine Region zwischen Resignation und Auf- sowie last but not least Südafrika selbst mit den bruch – der 11. September und seine Folgen für die ersten freien Wahlen im Jahr 1994. Dann war diese dortigen Länder“ im Frühjahr 2004 kamen auch Etappe geschafft. Ein unter schwierigen Bedingun- viele Teilnehmende aus europäischen Nachbarlän- gen erreichter großer Erfolg für die schwarze dern (Belgien, Niederlande, Frankreich – auch sie Mehrheit der Bevölkerung dieser Länder, ein Erfolg überwiegend aus dieser Region Afrikas stam- aber auch für die Zivilgesellschaften, Gewerkschaf- mend). Auch diplomatische Vertretungen und ten und Kirchen, die in teilweise jahrzehntelangem Journalisten aus Ostafrika waren beteiligt. Die Ost- Kampf zunächst das Recht auf politische Selbstbe- afrikaabteilung der Deutschen Welle führte Inter- stimmung z. T. in bewaffneten Kämpfen erreichen views mit zahlreichen Referenten und Teilnehmer/ konnten. Nicht erreicht haben sie – und dies ist eine -inne/-n. Belastung für die weitere Entwicklung – die öko- nomische Gleichstellung und einen gleichen Anteil Zum Selbstverständnis der Arbeit des AKE gehört am ökonomischen, landwirtschaftlichen und gesell- die Zusammenarbeit mit zahlreichen anderen bil- schaftlichen Reichtum ihrer Länder. dungspolitisch aktiven Gruppen und Institutionen. Eine Besonderheit des AKE ist dabei sicher vor allem Verspäteter Entkolonialisierungsprozess © Klaus Urban Dies gilt für alle neuen Staaten gleichermaßen: die sozialen, manchmal auch die ethnischen Gegensät- ze blieben weitgehend erhalten und die nächste und übernächste Generation hat nun die Aufgabe, diese schwere Bürde abzutragen.

Das Südliche Afrika stand in diesem Prozess jedoch keineswegs allein – auch in Lateinamerika gab es

5 „Amandla" ist ein Zulu-Wort für „Macht" und wird vervollstän- digt mit der Antwort „ngawethu“, d. h. „dem Volk“. „Pamberi“ ist ein ZANU-Schlachtruf aus Zimbabwe und bedeutet „vorwärts mit... .“ „A luta continua“ meint die Fortsetzung des Unabhän- Landschaft im südlichen Afrika gigkeitskampfes in den ehemaligen portugiesischen Kolonien.

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zeitgleich gewaltige politische Umwälzungen. Der- feststellen, dass unsere ehemaligen Bündnispart- einst stabile Diktaturen entwickelten sich in unter- ner mit der Übernahme von Machtpositionen von schiedlichem Maß in demokratischere Staaten. In Vertretern einer Befreiungsbewegung zu Diktato- diese Phase massiver Veränderungen fielen auch ren mutierten. So war schon Ende der 70er Jahre die ersten Kontakte von Personen und Gruppen aus dem antikolonialen Befreiungskampf in den aus dem Vor- und Umfeld des Welthaus Bielefeld portugiesischen Kolonien ein interner Bürgerkrieg zu außerschulischen Bildungseinrichtungen wie mit Stellvertretern spielenden Akteuren des damals dem AKE in Vlotho. noch herrschenden Kalten Krieges geworden. Bei den inneren Kämpfen z. B. in Mosambik und Angola Die Aufbruchstimmung steckte auch uns als Akteure trafen die handelnden Figuren (die Kämpfer waren in der Bildungsarbeit an. Zum Hintergrund meines entweder in einem prowestlichen sozialdemokrati- Engagements ist anzumerken, dass ich selbst nach schen Umfeld oder dem sowjetischen oder chinesi- einer sehr ausgeprägten Kindheits- und Jugend- schen Machtbereich sozialisiert worden) nun auf- phase in einer Großfamilie mit Migrationshinter- einander und mussten einerseits ihre ehemals grund aus Schlesien in Ostwestfalen aufwuchs und herrschende koloniale Elite, andererseits konkur- schon bald nach dem Ende der Protestbewegung rierende Interessengruppen bekämpfen. So hatten gegen den Vietnamkrieg und parallel zum Stu- sie allesamt die kaum lösbare Aufgabe, eine neue dium der Pädagogik Kontakt zum Bereich „Dritte Nation aufzubauen und neue zivilgesellschaftliche Welt“ bekam. In den 70er Jahren war dies für mich Strukturen zu schaffen. das AKAFRIK Aktionskomitee Afrika und später die Gründungsphase des (Dritte) Welthauses, noch In den Auseinandersetzungen mit Kolonialismus später 1981/82 die Gründung des überregionalen und Rassentrennung lernten wir Prämissen wie die Zimbabwe Netzwerks. Wichtig waren dabei die „Stärkung der eigenen Kraft“, Aufbau einer funk- kleinen sozial engagierten Gruppen, die sich u. a. tionierenden Gesellschaft durch „Bildung für alle“ in den christlichen Hochschulgemeinden engagier- und „Stimmrecht für alle“ oder „one (wo)man – ten. Bundesweit standen wir als undogmatische one vote“ kennen. Manches Seminar lernte an und undoktrinäre Kleingruppe in steter und hefti- konkreten Beispielen des Südens den Umgang mit ger Rivalität zu den verschiedensten Organisatio- der eigenen zunehmend kritischen Solidarität. Aus nen, die sich die internationale Solidarität – sei es dem Blickwinkel unserer Ideale nahm sich der reale zu Moskau oder China – auf ihre Fahnen geschrie- Alltag oft „normal“ aus. Die Kämpfe um die richti- ben hatten. Allesamt versuchten wir die Öffent- ge politische Linie in diesen Staaten wurden nicht lichkeit über die als „terroristisch“ und „aufstän- nur mit heftigen Debatten, sondern auch mit mas- disch“ diffamierten neuen Kräfte im Südlichen siver Gewalt bis hin zum politischen Mord geführt. Afrika zu informieren, für sie zu interessieren und gegen die dort präsenten weitgehend rassendiskri- Wir trafen bei den bundesweiten Seminaren viele minierenden Gesellschaften zu mobilisieren. Dabei neue Machthaber, die ehemals im Kampf gegen galt es auch bei unseren eigenen Regierungen kri- die Kolonialherrschaft gestanden hatten und nun tisch hinzuschauen und z. B. gegen die europäische Verantwortung für die eigene Politik tragen muss- Unterstützung der Apartheid anzugehen. Da half ten. Viele hatten schon eigene Lernprozesse in nur, Gegenöffentlichkeit zu schaffen und darüber kirchlichen oder gewerkschaftlichen Gruppierun- aufzuklären, wie die Rassentrennung entstand, gen hinter sich, manche kannten nur den bewaff- welche Unterschiede es zwischen den ehemaligen neten Kampf. Bestimmend in ihrem politischen portugiesischen Kolonien und z. B. dem englischen Denken waren für viele dieser Ex-Comrades der Rhodesien - später Zimbabwe – gab, oder wie sich Zentralismus und das ausdrückliche System von die Situation in Namibia (der vor dem ersten Welt- Befehl und Gehorsam anstelle partizipativer und krieg deutschen Kolonie „Deutsch-Südwest“) und demokratischer Verhaltensweisen und politischer in Südafrika darstellte. Willensbildungsprozesse. Wiederum konnte ich als Sprössling von Vertriebenen manche Parallele zur Nachkriegsphase im eigenen Land und zum dama- Von der Internationalen Solidarität zur ligen Aufbau einer neuen Demokratie ziehen. Das kritischen Solidarität galt dann auch noch einmal für die Zeit nach der „Wiedervereinigung“ 1990. Nach und nach wurde uns klar, dass sich mit inten- siver Betrachtung und Beschäftigung viele der Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte gehört Klischees und Feindbilder veränderten, und wir hier wie dort zum wichtigen Bestandteil der Bil- mussten – mit einem ausdrücklichen Bedauern – dungsarbeit. Wieder einmal kollidierte mitteleuro-

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Zivilgesellschaft in Zimbabwe nun ihrerseits Opfer von Verfolgung und Folter wurden. Zu unseren Mitstreitern in der Kritik an dem Strukturanpas- sungsprogramm in Zimbabwe zählten die Gewerk- schaften und ihr ehemaliger Sekretär Morgan Tsvangirai. Wir begrüßten ihn 1999 zusammen mit anderen Menschenrechtsaktivisten, um mit ihm seine damals neugründete Partei MDC dem Aus- wärtigen Ausschuss in Berlin vorzustellen. Im Jahr 2008 begegneten wir ihm wieder, und es tat richtig weh, ihn zusammen mit einer anderen NGO-Ver- treterin nach Folterung durch die Polizei schwer- verletzt und gerade nach Südafrika entkommen wiedersehen zu müssen und nicht intervenieren zu können. Was ist aus dem Modell Zimbabwe gewor- den, wenn wir bei Seminar- oder Veranstaltungs- ankündigungen bewusst mit Namensänderungen arbeiten müssen, weil die Betroffenen Angst vor staatlicher Verfolgung haben?

Abschied vom Modell Zimbabwe und prag- matische Annäherung an den Alltag

Marcello Casal/ABr/Quelle: Wikipedia Es ist sicherlich kein Zufall, dass die am längsten unter kolonialem Deckmantel ausharrenden Sied- lergesellschaften in Zimbabwe, Namibia und Süd- Der ehemalige Staatspräsident von Mosambik und Mit- afrika es schwer haben, den Übergang zu einer begründer der FRELIMO, Joaquim Alberto Chissano, gerechteren Verteilung von gesellschaftlichem wurde als erster afrikanischer Ex-Staatschef mit dem Reichtum an Land oder Rohstoffen hinzubekom- Preis der Mo Ibrahim Foundation für gute Regierungs- men. Auch hier sehe ich wieder Ähnlichkeiten zur führung ausgezeichnet. Nachkriegszeit in Europa: Die erste Phase der neuen Staatsform musste ohne demokratische Vorbilder päischer Idealismus mit pragmatischen Anforde- bewältigt und auch die demokratische Kontrolle rungen der Realität, in der die neuen Machthaben- musste erst eingeübt werden. Die Machteliten im den ihre eigenen Erfahrungen machen und nach Süden Afrikas laufen Gefahr, die Probleme auto- Lösungen suchen mussten. kratisch und zentral zu regeln und dabei oft auch Gewalt anzuwenden. Dabei gab es Exzesse wie z. B. die Liquidation von 20 000 Ndebeles im Wes- Distanz zu den neuen Machthabern – Förde- ten Zimbabwes, deren Angehörige traumatisiert rung einer starken Zivilgesellschaft zurückgelassen wurden, bis heute keine Entschädi- gungen, keine Entschuldigung, keine Aufarbei- Nach der schließlich erreichten Unabhängigkeit hat- tung ihrer Geschichte erfahren haben. Aber auch ten wir zunächst vor allem Kontakte zu den neuen Positives bleibt in Erinnerung wie die Wahrheits- Machthabern. Neben der Bildungsarbeit gab es und Versöhnungskommission in Südafrika. auch konkrete Unterstützung einzelner Gruppen, die zumeist in den Bereichen Schule, Erziehung, Diese widersprüchlichen Erfahrungen lassen mich Gesundheit agierten. Auf gemeinsamen Seminaren mit einer Bemerkung zur Entwicklung des Regen- traf sich dann die international interessierte euro- bogenstaates Südafrika schließen. Trotz der inte- päische Weiterbildungscommunity mit zahlreichen gren Lichtgestalt eines Mandela eskalieren in Süd- Lehrern und Pädagogen aus dem Süden. Vieles war afrika die sozialen Spannungen nach dem Ende der Austausch und Begegnung, ermöglichte gegensei- Apartheid schneller noch als in Zimbabwe. Wie tiges Lernen. Es gab aber auch schmerzhafte Erfah- wäre es nach dem alten mosambikanischen Motto rungen wie Gerüchte über die Anwesenheit von „a luta continua – der Kampf geht weiter“: den Spitzeln bei den Bildungswochenenden. Noch ärger Rat zu befolgen und sich von hochfliegenden traf uns, dass die Akteure einer sich entwickelnden Erwartungen zu befreien und der Bewältigung des

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Alltags zuzuwenden? Manche Hoffnung hat sich darauf bleiben, welche neuen Wege des Lernens noch nicht erfüllt, ist aber indes einem wohlwol- sich auch in Zukunft mit dem Südlichen Afrika ent- lenden Verständnis gewichen. Viele der zusammen wickeln lassen. mit dem AKE-Bildungswerk ermöglichten Begeg- nungen bei Seminaren dienten dazu, deutlich zu machen, welche Relevanz die internationale Soli- Christoph Beninde ist beim Welthaus Biele- darität im Verhältnis zu den Ländern des Südens feld zuständig für die Bildungs- und Öffent- haben kann. So tragen auch kleine Kurse und Tref- lichkeitsarbeit im Bereich Lobby- und Advo- fen dazu bei, die globalen Widersprüche z. B. auf cacy-Arbeit Südliches Afrika. Er ist dort dem Finanzmarkt zu betrachten und dabei das Ver- erreichbar unter der Adresse Welthaus Biele- halten unserer eigenen Regierung auf den Prüf- feld e. V., August–Bebel-Str. 62, 33602 Biele- stand zu stellen. Ein Beispiel aus dem sportlichen feld. Bereich: die Fußball-WM 2010 hatte eine Verschul- dung von 4 Mrd. Rand zur Folge und generierte E-Mail: [email protected] nur sehr begrenzt neue Infrastukturprojekte. Es gab Kritik an der FIFA einerseits aber andererseits Stolz auf das Großevent und anschließend das Gerhart Schöll war langjähriger Mitarbeiter gemeinsame Lernen für die nächste Ausrichtung des Jugendhofes Vlotho und ist Mitbegrün- der WM in Brasilien. Wie können die Gewerkschaf- der des AKE und dessen Bildungswerks. In ter der Bauarbeiter ihren Forderungen mehr Nach- den 80er Jahren arbeitete er für die Friedrich- druck verleihen? Wie wehren sich die „umgesiedel- Ebert-Stiftung in Ägypten und dem Sudan. ten" Slum- und Favelas-Bewohner, die wegen des Aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind: Migra- Baus von Stadien und Zufahrten ihre „Heimat" ver- tion, Islam, Muslime in Deutschland. lassen müssen? Was lernen sie im Süd-Süd Kontakt Er lebt in Vlotho und ist erreichbar über das AKE-Bildungswerk von den Erfahrungen Südafrikas? Diese Fragen unter der Adresse Südfeldstr. 4, 32602 Vlotho. bewegten uns vor ein paar Wochen auf einem Se- minar der KOSA in Bonn. Man darf also gespannt E-Mail: [email protected]

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Afrika genau nehmen Die Mission des Deutsch-Afrikanischen Zentrums in Bonn Joel Sengi

Ende des 20. Jahrhunderts, nach der Auflösung der Ost-West-Blockkonfrontation, wurde Afrika immer wieder als der große Verlierer, als der „vergessene Kontinent“ bezeichnet. In den letzten Jahren hat sich der Blickwinkel verschoben, wobei nicht unbe- dingt realistische Bestandsaufnahmen maßgeblich sind, sondern unterschiedliche Erwartungen und Prognosen, die in die Lagebeurteilung einfließen. In einem aktuellen Aufriss für die politische Bildung heißt es etwa, dass die „politische wie ökonomi- sche Entwicklung vieler afrikanischer Staaten (…) bemerkenswert“, in einigen Fällen „nahezu revo- lutionär“ sei; möglicherweise befinde man sich überhaupt „auf dem Weg vom Sorgen- zum Chan- cenkontinent“ (van den Boom 2011, S. 93). Andere Beobachter sehen den Kontinent „vor dem großen Sprung“ (Johnson 2011). Jenseits solcher Pauschal- einschätzungen versucht das Deutsch-Afrikanische Zentrum Bonn (DAZ) seit rund fünf Jahren, der Bil- dungs- und Aufklärungsarbeit zur konkreten Situ- ation in den afrikanischen Ländern wieder einen größeren Stellenwert zu verschaffen und die Begeg- nung vor Ort, vor allem im Raum Bonn-Köln, zu unterstützen. Photo: GEMEINSAM FÜR AFRIKA/Wagenzik Photography Photo: GEMEINSAM FÜR AFRIKA/Wagenzik

Bundespräsident a.D. Horst Köhler engagiert sich für Neue Partnerschaft: die zündende Idee Afrika. Hier beim Kick-off der Kampagne GEMEINSAM FÜR AFRIKA im Mai 2010 in Berllin Im November 2005 lud der ehemalige Bundespräsi- dent Horst Köhler, der sich bekanntlich in besonde- der Zivilgesellschaft eingeladen hatte, um gemein- rer Weise für Afrika engagierte, Staats- und Regie- sam Strategien für eine von der Zivilgesellschaft rungschefs afrikanischer Länder sowie Vertreter mitgetragene Partnerschaft mit Afrika zu entwi- aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf den Peters- ckeln. berg nahe Bonn ein, um an einer neuen Partner- schaft mit dem afrikanischen Kontinent zu arbei- Die Konferenz wurde ausschließlich ehrenamtlich ten. Einer Gruppe von Personen, die an Afrika geplant und organisiert. Finanziert wurde sie durch interessiert und für Afrika engagiert war, kam der Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Gedanke, als Ergänzung dazu eine neue Partner- Zusammenarbeit (BMZ), Veranstalter waren neben schaft mit der in Deutschland lebenden afrikani- schen Zivilgesellschaft zu gründen – leben doch Tohma/Quelle: Wikipedia allein im Raum Bonn laut Bevölkerungsstatistik ca. 10.000 Menschen mit afrikanischen Wurzeln.

Die Gruppe begann im Januar 2006, Verbündete zu suchen und sich zu vernetzen. Sie knüpfte an die Afrikanischen Begegnungswochen an, die in Bonn seit sieben Jahren regelmäßig im Herbst organi- siert werden, und kam in Kontakt mit dem Afrika- nischen Dachverband in NRW. Das Vorhaben stand anfangs finanziell auf wackligem Boden, bis im Herbst 2006 schließlich die ersten Zusagen zur För- derung des Projektes eintrafen. Am 1. und 2. Dezem- ber 2006 fand dann die Konferenz „Neue Partner- schaft mit Afrika“ statt, zu der das Internationale Frauenzentrum Bonn e. V. (IFZ) zusammen mit Ort der Konferenz „Neue Partnerschaft mit Afri- anderen Akteur/-inn/-en und Organisationen aus ka“: der Petersberg bei Bonn

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dem IFZ viele Kooperationspartner, nämlich der ner/-inne/-n und Deutschen als auch zwischen deren Afrikanische Dachverband NRW, der Agenda-Arbeits- institutionellen Vereinigungen und bietet dazu kreis, die Begegnungen mit Afrika, die Initiative Veranstaltungen unterschiedlichen Charakters an. Pro Afrika, der Marie-Schlei-Verein, IDEE-Europe, Mal geht es um Länderkunde, mal um interkultu- die Deutsch Kamerunische Gesellschaft, die Orga- relle, mal um politische Bildung – wobei auch die nisation Mondiale Panafricaine, die Initiative Kin- historischen Fragen der afrikanischen oder der duku, das Afrika Forum an der Katholisch-Theolo- Kolonialgeschichte nicht zu kurz kommen. Themen gischen Fakultät der Universität Bonn, Pax Christi, in der letzten Zeit waren z. B. der Schwerpunkt das Eine Welt Forum Bonn, das Allerweltshaus Region der Großen Seen (Kongo/Ruanda); die Köln, das Bonn International Center for Conversion „neue grüne Revolution“, die als Heilmittel für die (B.I.C.C.), das Eine Welt Netz NRW und viele inter- afrikanische Landwirtschaft angepriesen wird; die essierte Einzelpersonen. Die Konferenz mit ca. 350 Situation afrikanischer Kleinbauern. Es gab aber Teilnehmer/-inn/-en war ein großer Erfolg. Männer auch aktuelle Veranstaltungen zur Hungerkrise in und Frauen, Afrikaner/-innen und Europäer/-innen Ostafrika oder eine Präsentation afrikanischer deutscher und anderer Herkunft suchten gemeinsam Künstler. nach einem geschlechtergerechten Partnerschafts- konzept mit Afrika. Zusammenhänge zwischen Integrations- und Entwicklungspolitik wurden auf- Wir wollen Integration, Vielfalt als Chance gezeigt und im Laufe der beiden Konferenztage verdeutlicht. Wie es in der Satzung des DAZ heißt, ist Deutsch- land zur Heimat für viele Menschen mit afrikani- schen Wurzeln geworden. Viele Afrikaner und Nicht über Afrika, sondern mit Afrika(ner/ Afrikanerinnen haben in Deutschland ihre Berufs- -inne/-n) reden und Hochschulausbildung absolviert, wobei fast alle Fachbereiche vertreten sind. Viele haben promo- Die in der Initiative Mitwirkenden verbindet die viert, Familien gegründet oder nachziehen lassen Erkenntnis, dass ihre Zukunft in Deutschland nur und sind hier geblieben. Lange hat man sich poli- gemeinsam von Afrikanern/Afrikanerinnen und tisch in Deutschland zu Deutschen gestaltet werden kann. Die Afrikaner/ Lange hat man sich wenig damit beschäf- -innen und ihre deut- politisch in Deutsch- tigt, Afrikaner/-innen als Afrikaner/-innen wollen schen Freunde und Part- land zu wenig damit Teil der Gesellschaft zu an den Diskussionen ner hierzulande wollen beschäftigt, Afrika- betrachten bzw. ihnen über Afrika partizipie- nicht länger mit anse- ner/-innen als Teil Angebote zu machen, ren und die Entschei- hen, wie über Afrikafra- der Gesellschaft zu damit sie aktiv an der dungen mitgestalten gen diskutiert, debattiert betrachten Gesellschaft partizipie- und entschieden wird. ren können. Hier setzt Sie wollen partizipieren und die Entscheidungen das DAZ an: Es will sich aktiv für ein besseres Ver- mitgestalten. Übergeordnetes Ziel ist dabei eine ständnis zwischen Afrikaner/-inne/-n und Deutschen bessere Verständigung zwischen Deutschen und in einsetzen und Hilfen zur Partizipation in der Gesell- Deutschland bzw. Nordrhein-Westfalen lebenden schaft anbieten. Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Die Suche nach Wegen für ein harmonisches, für beide Seiten Das DAZ versteht sich als Plattform zum interkultu- bereicherndes Miteinander bedarf – das haben die rellen Austausch in der Bevölkerung und will insbe- Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt – einer guten sondere im Sinne einer Begegnungsstätte für die Organisation. Bürgerinnen und Bürger sowie als Netzwerkkno- ten engagierter Afrikaner/-innen und Deutscher, Im Februar 2007 erhielt dieses Partnerschaftspro- die sich mit den vereinbarten Zielen identifizieren, jekt den Namen „Deutsch-Afrikanisches Zentrum fungieren. Es will seinen Beitrag für ein konflikt- e. V. (DAZ)“, unter dem die begonnenen Aktivitä- armes und respektvolles Miteinander in Vielfalt leis- ten gebündelt wurden. Es hat seinen Sitz in Bonn ten, indem es Toleranz, Vielseitigkeit und Offen- (Kontaktadresse siehe unten). Das Deutsch-Afrika- heit fördert. Die Förderung der Sprache, der Aus- nische Zentrum soll eine von parteipolitischen und und Weiterbildung als wichtigste Voraussetzung konfessionellen Verpflichtungen freie Vereinigung von interkultureller Verständigung sind ihm ein sein. Es bezweckt die Förderung des interkulturel- dringendes Anliegen. Das DAZ begreift die Vielfalt len und partnerschaftlichen Dialogs sowohl zwi- als Chance und richtet den Fokus seiner Arbeit dar- schen afrikanischen Aktivitäten, zwischen Afrika- auf, das Potential von Afrikaner/-inne/-n und Deut-

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schen aufzudecken, Kompetenzen zu fördern und Themen, die den afrikanischen Kontinent betref- sie für die Gesellschaft nutzbar zu machen. fen. Dabei liegt der Fokus auf entwicklungspoliti- scher Bildung, insbesondere auf Vorgängen mit deutscher/europäischer Beteiligung. Ziel ist es, das Konkrete Arbeit zur Integration: Bewusst- Afrikabild zu justieren und damit ein neues Afrika- sein, Begegnung und Partnerschaft Bewusstsein zu bilden.

Seit seiner Gründung hat das DAZ trotz schwieriger Neben dieser Bildungsarbeit legt das DAZ viel Wert organisatorischer Arbeitsbedingungen und Kinder- auf die Förderung der interkulturellen Begegnun- krankheiten, wie z. B. dem Fehlen eines eigenen gen. Das DAZ nutzt die aktive Teilnahme an den Büros oder Mangel an Personal, unablässig an sei- wichtigen kulturellen Events in und um Bonn, um nem Ziel festgehalten. In der Leitungsstruktur des ein freundschaftliches Kennenlernen und damit Zentrums wird die Idee der neuen Partnerschaft als den Abbau von Vorurteilen zwischen Bonner Bür- Erfolgsmodell konsequent umgesetzt: der Vorsitz ger/-inne/-n und Mitbürger/-inne/-n afrikanischer ist paritätisch besetzt und besteht aus zwei Vorsit- Abstammung zu ermöglichen, was letztendlich zur zenden (Bürger bzw. Bürgerin mit afrikanischer erlebten Integration und zum gesellschaftlichen und mit deutscher Abstammung). Dies soll auch in Zusammenhalt beiträgt. Zu diesen Events zählen Zukunft die Regel bei der Besetzung der Vorstands- das jährliche Bonner Internationale Interkulturelle posten sein. Begegnungsfest, die Bonner Buchmesse Migration mit eigenem Afrikatag, die alle zwei Jahre stattfin- Die Bildungs- und Aufklärungsarbeit bildet nach det, der Bonner Karnevalszug und ähnliche Gele- wie vor die Hauptsäule der Arbeit. Die von dem genheiten. Gemeinsame Besuche von Museen, langjährigen deutschen Vorsitzenden Klaus Thü- Kunstausstellungen, Afrikafestivals etc. bieten den sing ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe „Län- unterschiedlichen Mitgliedern eine zusätzliche derportraits“, die in Kooperation mit der Volks- Möglichkeit für intensives Kennenlernen und für hochschule Bonn stattfindet, bewährt sich seit fast gegenseitige Wertschätzung. Dadurch entsteht eine fünf Jahren als erfolgreiches Angebot. In jedem persönliche, partnerschaftliche Beziehung zwischen Semester bietet das DAZ sechs bis acht Kurse zu den Mitwirkenden. verschiedenen Afrikathemen an. Neben diesen mittelfristig geplanten Kursen organisiert das DAZ Kooperations- bzw. Projektpartnerschaften runden Informationsveranstaltungen zu brandaktuellen die Arbeit zur Förderung von Bewusstseinsbildung

© Klaus Urban

Es gilt, das Afrikabild zu justieren und ein neues Afrika-Bewusstsein zu bilden

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und interkultureller Begegnung ab. Durch die inten- ger ist, der den begehrten Integrationspreis der sive Zusammenarbeit und Vernetzung jener Organi- Bundesstadt Bonn erhalten hat. Im Jahr 2012 feiert sationen, die zu Afrika arbeiten oder Afrikaprojek- das DAZ sein fünftes Jubiläum, was sicher einen te sowohl im Inland als auch in Afrika unterhalten, Anlass bietet, einen Rückblick und einen Ausblick strebt das DAZ danach, die Zivilgesellschaft für die zu wagen. Das bisher Erreichte stellt ein gutes Fun- neue Partnerschaft mit Afrika zu mobilisieren. Wir dament dar und wirft gleichzeitig die Frage auf: bündeln Impulse und Aktivitäten mit und für Afri- Wie wird sich das DAZ weiterentwickeln? Eine kaner/-innen in Deutschland und in afrikanischen spannende Zeit steht uns bevor. Ländern. Deshalb steht Integration in unserem Zentrum.

Literatur DAZ: in der Öffentlichkeit anerkannt van den Boom, Dirk: Afrika: Aufstieg mit Hinder- In letzter Zeit vermehren sich die Zeichen der öffent- nissen, in: Politische Bildung 3/11 lichen Anerkennung. Anlässlich des Tags der Deut- schen Einheit und des NRW-Tags am 3. Oktober 2011 Johnson, Dominic: Afrika vor dem großen Sprung, in Bonn wurde der Stand des DAZ als einer der Berlin 2011 wenigen Stände ausgewählt, die von der nord- rhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft besucht werden sollten. Oberbürgermeister Nimptsch überbrachte persönlich die Grüße der Ministerpräsidentin, die wegen Terminengpässen Joel Sengi ist neben Klaus Thüsing Vorstands- dann leider nicht kommen konnte. Das DAZ freut vorsitzender des Deutsch-Afrikanischen Zen- sich aktuell über die gerade beschlossene Förde- trum e. V. rung der Stadt Bonn. Erstmalig erhielt das DAZ einen Dort ist er erreichbar unter der Adresse festen Raum für seine Vereinsarbeit, den es kosten- Deutsch-Afrikanisches Zentrum e.V., Migra- los mitnutzen wird. polis – Haus der Vielfalt, Brüdergasse 16-18, 53111 Bonn. Ferner ist zu erwähnen, dass das DAZ-Mitglied Saico Balde aus Guinea Bissau der erste afrikanische Bür- E-Mail: [email protected], Internet: www.dazbonn.de

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Fußball-WM Südafrika 2010 – wer hat profitiert?

Nisa Punnamparambil-Wolf/Dieter Simon

Über das gemeinsame Interesse am Fußball, so wird Bielefeld, und Kobra e.V. (Kooperation Brasilien), angenommen, lässt sich eine Verbindung zu Afrika Freiburg, beteiligt waren. Sie fand zum Thema „Fuß- herstellen, die diesen fernen Kontinent näher ball-WM Südafrika – Perspektiven für Brasilien 2014“ bringt. Das gilt besonders dann, wenn Afrika Aus- vom 23.-24. September 2011 im Arbeitnehmer- tragungsort eines so spektakulären Events wie der Zentrum Königswinter (AZK) statt. Das Thema, so Fußballweltmeisterschaft ist, die 2010 dort statt- Dieter Simon von KOSA, spreche unterschiedliche fand. Dass dieser Blick auf Afrika aber auch dazu Gruppen an, und das zeigt auch die Vielfalt der verführt, die Auswirkungen einer solchen Großver- Organisationen/Institutionen, die das Seminar finan- anstaltung auf die Zivilbevölkerung und die ärme- ziell und ideell unterstützten: u. a. der Evangelische ren Schichten aus den Augen zu verlieren, schildert Entwicklungsdienst (EED) die Ev. Kirche im Rhein- der folgende Beitrag über ein Seminar in Königs- land und die Ev. Kirche von Westfalen, KASA (Kirch- winter. liche Arbeitsstelle Südliches Afrika) und Misereor, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung, das Welthaus Biele- Organisatoren und Veranstalter der Fußballwelt- feld sowie der Gemeindedienst für Mission und meisterschaft in Südafrika versprachen eine WM Ökumene. für alle. Dies wird wohl auch für die nächste WM in Brasilien die Losung sein. Aber wer hat in Südafrika wirklich von der WM profitiert? Kann Brasilien aus Gäste, Ziele, Zielgruppen & Konzept den Erfahrungen Südafrikas lernen? Diesen Fragen gingen die Teilnehmer/-innen einer Kooperations- Mit dem Seminar sollten hauptsächlich zwei Ziele veranstaltung nach, an der die Stiftung CSP e.V. erreicht werden: Die Teilnehmenden sollten zum mit KOSA e.V. (Koordination südliches Afrika e.V.), einen Informationen über die sozialen und wirt-

Foto: Nisa Punnamparambil, AZK

Teilnehmer/-innen des Seminars im Garten des AZK

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Foto: Nisa Punnamparambil, AZK tral U’nica dos Trabalhadores (CUT) und Rossana Tavares, von der Basisorganisation Solidariedade e Educaça˜o – FASE aus Brasilien, aus Südafrika kamen Eddie Cottle von der Gewerkschaft Building and Wood Worker‘s International (BWI) sowie Gaby Bikombo von der Organisation StreetNet. Prof. Dr. Norbert Kersting vom Institut für Politikwissen- schaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hielt den Eingangsvortrag „Fußballwelt- meisterschaften in Süd-Ländern – Chancen und Risiken“. Sigrid Thomsen begleitete als Moderatorin durch den Tag und moderierte auch die Podiums- diskussion.

Während des ersten Tages standen in den Vorträ- gen der Referent/-inn/-en die Analyse der WM in Südafrika und die Erwartungen der Menschen in Brasilien an die WM im Mittelpunkt. Im Anschluss an die jeweiligen Vorträge gab es die Möglichkeit Der Vortrag von Gaby Bikombo zur Diskussion. Vertreter/-innen der südafrikani- schen und brasilianischen Botschaft für die Podi- schaftlichen Auswirkungen von sportlichen Groß- umsdiskussion am Nachmittag konnten leider nicht ereignissen im Kontext der Entwicklungsprobleme gewonnen werden. der Länder Brasilien und Südafrika erhalten und zum anderen Ideen sowie Anregungen für gesell- Am zweiten Tag ging es um das zivilgesellschaft- schaftliche und individuelle Handlungsmöglichkei- liche Engagement in Südafrika und Brasilien. Nach ten im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaften Berichten aus Brasilien und Südafrika wurde in den entwickeln und diskutieren. Gleichzeitig sollte Erfah- Arbeitsgruppen gearbeitet, deren Ziel es war, rungsaustausch zwischen deutschen, schweizeri- jeweils die wichtigsten Erfahrungen und Merk- schen, südafrikanischen und brasilianischen Vertre- punkte für Mobilisierung und Kampagnenarbeit ter/-inne/-n der Zivilgesellschaft ermöglicht werden. zur Fußball-WM in Südafrika herauszuarbeiten und in einem zweiten Schritt zu diskutieren, was Durch das Seminar wurden hauptsächlich Vertreter/ davon transferierbar ist a) für eine Kampagne (in -innen und Multiplikator/-inn/-en entwicklungs- Deutschland) zur Fußball-WM 2014 in Brasilien und politischer und kirchlicher Foto: Nisa Punnamparambil, AZK Organisationen und Solida- ritätsgruppen, die zu Süd- afrika und Brasilien arbeiten, sowie eine breitere interes- sierte Öffentlichkeit erreicht. Besonders erfreulich war, dass auch einige Journalis- ten am Seminar teilnahmen, die Gäste interviewten und über das Seminar berichte- ten.

Um möglichst konkrete und authentische Informationen aus erster Hand zu erhalten und um auch einen Süd-Süd- Nord-Austausch zu ermög- lichen, wurden Gäste aus Brasilien und Südafrika ein- geladen: Leonardo Vieira von der Gewerkschaft Cen- Blick in den Konferenzraum

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b) für die Arbeit der brasilianischen Partner in Bra- in Deutschland hierzu aussehen und dazu bei- silien. Soweit möglich, waren in jeder AG ein Gast tragen, dass auch arme/benachteiligte Bevölke- aus Südafrika und Brasilien sowie eine Moderation rungsgruppen in Brasilien von der WM profitie- vertreten. ren und damit an Entwicklungsprozessen partizipieren? Thematisch sollten mit dem Seminar unter anderem folgende Aspekte aufgegriffen werden: Wer hat profitiert? ■ Wer hat in Südafrika wirklich von der WM profi- tiert? Welche Bevölkerungsgruppen und Akteu- So tauschten sich dann zwei Tage lang deutsche, re wurden benachteiligt? schweizerische, brasilianische sowie südafrikani- ■ Welchen Nutzen und welche Bedeutung hat eine sche Vertreter/-innen von Gewerkschaften, Nicht- Fußball-WM unter den gegebenen Rahmen- regierungsorganisationen und Solidaritätsgruppen bedingungen für ein Land, seine wirtschaftliche im Arbeitnehmer-Zentrum Königswinter über Erfah- Entwicklung und seine Menschen? Welche Risi- rungen mit der Durchführung sportlicher Mega- ken bergen sie? Events aus und diskutierten kritisch am Beispiel der ■ Was kann Brasilien aus den Erfahrungen Süd- Fußball-WM in Südafrika, wer die eigentlichen afrikas lernen? Welche Erwartungen knüpft Nutznießer in Südafrika gewesen sind und wer sie Brasilien, knüpfen insbesondere auch zivilgesell- in Brasilien sein werden. schaftliche Organisationen an die WM? Welche Forderungen können aufgrund der Erfahrungen Bereits kurz nach der WM in Südafrika wurde deut- Südafrikas an die FIFA sowie die brasilianische lich, was sich auch im Vorfeld schon andeutete: Die Regierung gestellt werden, damit benachteilig- Erwartungen der Zivilgesellschaft, auch vom Bau- te Bevölkerungsgruppen Brasiliens, eingebettet und vermeintlichen Touristenboom profitieren zu in eine spezifische Wirtschaftsstruktur, von der können, waren hoch, aber die Bilanz war mehr als WM profitieren können? ernüchternd, erläuterte der Südafrikaner Eddie ■ Wie könnte zivilgesellschaftliches Engagement Cottle von der Bau- und Holzarbeiter Internationa- (Bildungs-, Informations- und Kampagnenarbeit) le. Bauarbeiter konnten zwar durch Streiks gering-

Urheber: Ngrund/Quelle: Wikipedia

Das Stadion Nelson Mandela Bay, in Port Elizabeth, Südafrika

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fügige Lohnerhöhungen erzielen, aber schon kurz nalität und Verkehrschaos erwiesen sich in der Rea- nach der WM ging ein großer Teil der Arbeitsplät- lität als unangemessen. Die Fußball-WM in Südafri- ze wieder verloren. Von Nachhaltigkeit könne hier ka präsentierte sich gastfreundlich und friedlich. Es keine Rede sein. Schon im Vorfeld der WM wurden gelang, dem afrikanischen Kontinent ein neues viele Menschen zwangsumgesiedelt und mussten positives Image zu verleihen. Aber der Preis dafür ihre gewohnte Umgebung verlassen. Bettler und ist hoch. Straßenkinder wurden in so genannten „Städte- säuberungen“ vertrieben, und lokale Straßen- händler durften sich während der WM in einem Gewinn und Verluste für Südafrika festgelegten Umkreis nicht den Stadien nähern, um ihre Waren zu verkaufen. Das Problem der Un- Das Land hat mehr als 3,2 Milliarden in Stadien, gleichheit war allgegenwärtig. „Wir sind froh, dass Telekommunikation und in die Verkehrsinfrastruk- wir unseren Status nicht verloren haben, während tur gesteckt. Die Gesamtkosten der WM beliefen andere großen Profit gemacht haben", sagte Gaby sich auf ca. 5,34 Mrd. Euro. Südafrika musste 17mal Bikombo von der südafrikanischen Organisation mehr für Infrastruktur und Stadienbauten ausge- StreetNet. StreetNet setzt sich für die Rechte und ben als ursprünglich veranschlagt und blieb auf Interessen informeller Straßenhändler/-innen ein. Verlusten in Höhe von ca. 2,5 Mrd. Euro sitzen. Hin- Baufirmen, die Textilwirtschaft, offizielle Sponso- zu kommen noch die jährlichen laufenden Kosten ren und die FIFA sind die wahren Gewinner dieser für den Unterhalt der hochmodernen Stadien: Veranstaltung, an die sich so viele Hoffnungen Allein für das Green Point Stadium in Kapstadt fal- knüpften. len pro Jahr ca. 5,6 Mio. Euro an. Demgegenüber stehen gerade mal 1,2 Mio. Euro an Einnahmen. „Die Privilegien und Konzessionen, die wir der FIFA Die Rolle der FIFA zugestehen mussten, waren schlicht zu hoch und zu erdrückend“, wird der Sprecher der südafrikani- Die FIFA, in der Schweiz als gemeinnützige Organi- schen Steuerbehörde zitiert. sation geführt, hat mit der WM in Südafrika ca. 3,9 Mrd. US-Dollar eingenommen. „I am the hap- Der Politikwissenschaftler Norbert Kersting von piest man: the World Cup in South Africa was a huge der Universität Münster, Gastredner der Tagung in huge financial success .…“, so zitierte Gaby Bikom- Königswinter, stützte diesen Eindruck, betonte bo Sepp Blatter im Juni 2011 nach seiner Wieder- aber auch den positiven Effekt: „Das Image des wahl zum FIFA-Vorsitzenden. Zur Machtposition Landes wurde unheimlich aufgebessert und die der FIFA und ihrem Geschäftsgebaren gab es rege Menschen haben an Selbstbewusstsein gewonnen. Diskussion. Leider gelang es den Veranstaltern nicht, einen Foto: Nisa Punnamparambil, AZK Vertreter dieses Fußballver- bandes mit aufs Podium zu bekommen. Eine Beteiligung an der Veranstaltung wurde dankend abgelehnt. Außer- ordentliche Gesetze und Ver- einbarungen sichern der FIFA unter anderem exklusive Ver- marktungsrechte. Bikombo berichtete, dass Lizenzpart- ner wie Coca-Cola komplett steuerbefreit waren, so auch die Importe für Stadionbau- ten und Produkte, die wäh- rend der WM zum Einsatz kommen wie Medaillen, Medikamente und Nahrungs- mittel. In der Presse geschür- te Befürchtungen vor der Verbreitung von HIV-Epide- mien, extrem hoher Krimi- Während der Diskussion

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Auf die Frage eines Teilnehmers, wie sich die Vor- world“ von der FIFA die Rückzahlung von WM-Pro- bereitungen in Brasilien im Vorfeld der WM 2014 fiten an die südafrikanische Bevölkerung und einen und die Lage der Zivilgesellschaft und des Infor- Verhaltenskodex für die WM 2014 in Brasilien. Im mellen Sektors entwickelten, merkte Eddie Cottle Januar 2011 antwortete die FIFA, so wird auf der vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk kritisch an: Homepage der KOSA berichtet: „Für Brasilien ver- „In Brasilien drohen Zwangsräumungen von Häu- spricht die FIFA, das Anliegen der städtischen sern und ganzen Favelas. Eine Vorgehensweise, die Händler und Händlerinnen zu thematisieren.“ Für nicht neu ist." Das läuft ähnlich wie in Südafrika, Südafrika behauptet sie, dies ebenfalls gemacht zu wo schon 20 000 Menschen umgesiedelt wurden, haben – allerdings nicht mit denen, die Nachahmer- um freie Flächen für Stadien oder den Straßenbau produkte der lizenzierten FIFA-Produkte verkaufen zu erschließen. Stadtteile wurden regelrecht berei- wollten. Aber genau das war ein Teil des Problems: nigt. Die junge Menschenrechtsaktivistin Rossana zu wenig und zu späte Kommunikation und Einbe- Tavares aus Brasilien berichtet vom Streik der Arbei- ziehung der lokalen Interessengruppen, unter ihnen ter, die das Maracana-Stadion in Rio auf Druck der auch die informellen Straßenhändler/-innen. FIFA umbauen. Sie verlangen höhere Löhne, besse- res Essen und die Anwesenheit von Ärzten bei den Es bleibt abzuwarten, wie sich die erarbeiteten Nachtschichten. Die Zwangsumsiedlungen von Fave- Kampagnenideen und Arbeitsergebnisse für die la-Bewohnern seien bereits jetzt in vollem Gange. Arbeit zur WM 2014 in Brasilien umsetzen lassen Die Entschädigungssummen seien lächerlich, und und inwieweit die Zivilgesellschaft in Brasilien die es gebe keine Ausweichmöglichkeiten für die Armen. Entwicklungen vor Ort auch zu Gunsten marginali- Vieles davon ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. sierter Gruppen beeinflussen und mit gestalten In Brasilien herrsche momentan eher große Feier- kann. Allen gemeinsam bleibt die Begeisterung für stimmung, so Leonardo Vieira. So war eine der den Fußball und die Hoffnung, dass sich etwas in zentralen Forderungen der brasilianischen und die richtige Richtung bewegt! auch der südafrikanischen Gäste, sowohl in ihrem Land als auch die internationale Öffentlichkeit über die großen finanziellen Risiken, die mit der Nisa Punnamparambil-Wolf arbeitet als Austragung von Großevents verbunden sind, zu Bildungsreferentin am Arbeitnehmer-Zen- informieren und zu versuchen, politische Entschei- trum Königswinter und ist dort zuständig dungsträger in Brasilien davon zu überzeugen, die für die Bereiche Entwicklungs- und Inter- umfangreichen Ausnahmeregelungen für die FIFA nationale Politik, Integrationskurse und Aus- massiv einzugrenzen stellungen. Sie ist erreichbar über das AZK unter der Adresse Johannes-Albers-Allee 3, 53639 Königswinter. Wie geht es weiter? E-Mail: [email protected] Dieter Simon, verantwortlich für die Kampagne „Kick for one World“ bei der KOSA und Mitveran- stalter des Seminars, schreibt: „Mit dem Seminar Dieter Simon ist Bildungsreferent für den im September 2011 haben die Veranstalter erste Bereich Südliches Afrika im Welthaus Bie- Anstöße für Kampagnenüberlegungen deutscher lefeld und Geschäftsführer von KOSA Initiativen und NRO gegeben - unter Einbeziehung (Koordination Südliches Afrika), ihrer Erfahrungen im Rahmen der ‚kick for one August-Bebel-Straße 62, 33602 Bielefeld. world‘-Kampagne zu Südafrika.“ Anfang Dezem- ber 2010 forderte die Kampagne „kick for one E-Mail: [email protected]

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Politische Bildung für Mädchen- und Frauen Plädoyer für eine eigenständige Mädchen- und Frauenbildung als Bestandteil politischer Bildung

Vorstand des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten hat Mäd- erfahrungen von Mädchen und Frauen spielte dabei chen- und Frauenbildung seit Ende der 70er Jahre zu eine wichtige Rolle. einem wichtigen Bestandteil der Verbandsarbeit entwickelt und sich mit der Gründung einer eige- Die Entwicklung von Leitlinien zur Förderung femi- nen Fachkommission und Fortbildungsangeboten nistischer Mädchenarbeit und die Integration der für die didaktisch-methodische Qualifizierung die- parteilich-feministischen Mädchenarbeit in Jugend- ses Bildungsbereichs engagiert. Das vom AdB-Vor- hilfe und Jugendbildung waren Forderungen und stand kürzlich verabschiedete und hier dokumen- Aufgaben in den 90er Jahren. Nachdem sich in den tierte Positionspapier basiert auf dem Ergebnis von Folgejahren die Mädchen- und Frauenarbeit eta- Diskussionen in der AdB-Fachkommission Mädchen- bliert und professionalisiert hatte und es einen ge- und Frauenbildung und begründet seine Aussagen sellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeit mit Beobachtungen zur aktuellen Situation von spezieller (Bildungs-) Angebote für Mädchen und Mädchen und Frauen in Deutschland und daraus Frauen gab, scheinen aktuell diese Angebote nicht resultierenden Anforderungen an eine politische mehr gebraucht oder nicht mehr gewollt zu werden. Bildung, die auf Gleichberechtigung und Geschlech- tergerechtigkeit zielt. Die aktuell geführte Debatte zeichnet ein eindeu- tiges Bild: Mädchen und junge Frauen heute haben es geschafft. Sie sind die „Bildungsgewinnerin- In Zeiten von Gender Mainstreaming scheinen nen“, werden als „Alpha-Mädchen“ bezeichnet sich spezifische Angebote für Frauen und und gehören zum „starken Geschlecht“. Sie sind Mädchen überholt zu haben. Die Zahl von gebildet, klug und selbstbewusst, dadurch stehen Kursen, Seminaren und Projekten für Mäd- ihnen vor allem beruflich alle Möglichkeiten offen. chen und Frauen ist rückläufig, Modellprojek- Und sie sind clever genug, diese Möglichkeiten te und Strukturen wurden und werden abge- auch zu nutzen. Jungen und junge Männer werden baut. Parallel dazu suggeriert die öffentliche als „Bildungsverlierer“ beschrieben. Sie gehören Diskussion einen akuten Nachholbedarf der mittlerweile zum „schwachen Geschlecht“, sie sind Jungen, die als „Bildungsverlierer“ in den die „Sorgenkinder“, die im Schatten der leistungs- Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt fähigeren Mädchen stehen. werden. Dieser Benachteiligungsdiskurs über Jungen steht Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten, im Kontext der allgemeinen Bildungsdebatte und Fachverband der politischen Bildung in Deutsch- beeinflusst Politik und die politische Gestaltung land, vertritt vor diesem Hintergrund die Auf- von Gesellschaft. Aber, so ist kritisch anzumerken: fassung, dass spezifische Angebote der Mäd- Die Medien zeichnen ein eindimensionales Bild chen- und Frauenbildung nach wie vor von „den“ Mädchen und „den“ Jungen, die es in gesellschaftlich notwendig sind und damit dieser Eindeutigkeit nicht gibt. Der starken Ausdif- auch notwendiger Bestandteil der außerschu- ferenzierung und Komplexität gesellschaftlicher lischen politischen Jugend- und Erwachsenen- Wirklichkeit und der Vielfalt der Lebenswelten von bildung sein müssen. Jungen und Mädchen wird diese Diskussion in kei- ner Weise gerecht.

Entwicklung und aktuelle gesellschaftliche Das Bundesjugendkuratorium hat in seiner Stel- Debatte lungnahme „Schlaue Mädchen – Dumme Jungen? Gegen Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdis- Aus der Nische heraus ins Zentrum! Mädchen sicht- kurs“ herausgearbeitet, dass „eine Diskrepanz bar werden zu lassen und ihnen eine Stimme zu feststellbar [ist] zwischen der zunehmenden The- verleihen, war eine zentrale Aufgabe und Forde- matisierung von als problematisch empfundenen rung der Pädagoginnen in den 80er Jahren. Die Phänomenen (häufig betont werden etwa schlech- Pionierinnen der Mädchenarbeit und Mädchen- teres Abschneiden bei schulischen Leistungen oder politik kämpften für selbstbestimmte, geschlechts- jugendkulturelle Auffälligkeiten) und dem Fehlen homogene Zentren, um mädchenspezifische Bedürf- entsprechender theoretischer und empirischer Stu- nisse und Themen in „herrschaftsfreien“ Räumen dien, die einen fundierten Interpretationshinter- zu thematisieren. Die Enttabuisierung der Gewalt- grund für diese Phänomene bieten könnten.“

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Komplexität statt einfacher Lösungen Anforderungen an die politische Bildung für Mädchen und Frauen Die Ungleichheiten, die es bei der Bildungsbeteili- gung und dem Bildungserfolg von Mädchen und Aufgrund der kritischen Analyse des aktuellen Dis- Jungen gibt und die auch empirisch belegt sind, kurses, der gewachsenen Komplexität, des Zusam- sind jedoch nicht monokausal durch Geschlechts- menwirkens verschiedener Benachteiligungsfaktoren zugehörigkeit zu erklären. Sie werden im Zusam- und der Verpflichtung, positive Entwicklungsbedin- menwirken mit anderen Benachteiligungsfaktoren gungen für alle Mädchen und Frauen zu schaffen, wirksam. Dazu gehören vor allem Faktoren wie kommt der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten soziale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, kultu- zu dem Schluss, dass die Anforderungen an die reller Kontext, sexuelle Orientierung, auch lokale Frauen- und Mädchenarbeit sich verändert haben, und regionale Differenzen im Bildungsangebot. die Notwendigkeit spezifischer Angebote allerdings Innerhalb dieser Differenzkategorien erzeugt die weiterhin besteht. Aus diesem Grund setzt sich der Geschlechtszugehörigkeit wiederum hierarchische AdB für eine politische Bildungsarbeit für Mäd- Unterschiede. chen und Frauen ein,

Zudem fehlt – auch wenn Mädchenarbeit und ■ die die unterschiedlichen Gruppen von Mädchen Frauenpolitik akzeptiert scheinen – in allen gesell- und Frauen und deren verschiedene Ausgangs- schaftlichen Bereichen eine durchgängige Geschlech- lagen, Interessen und Bedürfnisse in den Blick terperspektive: nimmt und zielgruppengenaue Konzepte ent- wirft, stetig überprüft und weiterentwickelt; ■ Trotz aller Diskussionen und Modelle um die ■ die die unterschiedliche Historie, die unter- Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und schiedlichen Erfahrungen und Lebenswelten Familie sind nach wie vor die sozialen Siche- von Mädchen und Frauen berücksichtigt; rungssysteme auf eine männliche Normalbio- ■ die durch geschlechtshomogene Angebote Frei- graphie zugeschnitten. räume für Mädchen und Frauen schafft, in denen ■ Trotz aller Kampagnen und Beratungs- und Platz ist für eigene Themen, Perspektiven und Hilfsangebote rund um das Thema Gewalt gegen Vorstellungen; Mädchen und Frauen fehlt eine Reflexion der von ■ die in geschlechtergemischten Institutionen und der Gesellschaft produzierten Gewaltverhält- Einrichtungen Personen, Räume und Ressour- nisse, die auf Mädchen und Jungen unterschied- cen für Mädchen wie für Jungen anbietet und liche Auswirkungen haben. die eine „Entdramatisierung“ von Geschlecht ■ Trotz aller Modernisierungsansprüche, Gleich- sowie eine kritische Reflexion von geschlechter- stellungspolitiken und Förderprogramme ist die relevanten Aspekten ermöglicht; tatsächliche Partizipation von Mädchen und ■ die Möglichkeiten bietet, geschlechtsspezifische Frauen im Arbeitsleben, in Politik und Öffent- Sehgewohnheiten zu hinterfragen und rollen- lichkeit nach wie vor nicht verwirklicht. konforme Prägungen und Einstellungen zu prü- fen; Einige Zahlen, die dies verdeutlichen: Von den Aus- ■ die Geschlechterdifferenzen nicht als gegebe- bildungsanfängerinnen starteten nach Angaben ne, sondern als veränderbare und veränderliche des Statistischen Bundesamtes über die Hälfte in nur und gesellschaftlich immer wieder neu herge- zehn Ausbildungsberufen; der geschlechtsbezoge- stellte Unterscheidungen aufzeigt; ne Einkommensunterschied in Deutschland beträgt ■ die die spezifische Perspektive von Mädchen aktuell 23 Prozent und liegt damit deutlich über und Frauen auf Themen wie Chancengerechtig- dem europäischen Durchschnitt; der Anteil von keit, Ausgrenzung, Gewalt, Sexualität, Diskrimi- Frauen in Führungspositionen ist mit 27 Prozent in nierung, Diversität etc. in den Mittelpunkt von der Privatwirtschaft unterdurchschnittlich; Frauen Angeboten stellt; haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko wie ■ die die zentralen Kategorien von Politik wie Männer, niedrig entlohnt zu werden. (Zahlen Macht, Herrschaft, Interesse, Willensbildung, BMFSFJ) Konflikt und Konsens aus Sicht und Perspektive

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von Mädchen und Frauen darstellt, hinterfragt ■ den sofortigen Stopp des Strukturabbaus und und bearbeitet; die ausreichende Förderung von Strukturen und ■ die Frauen und Mädchen befähigt und ermu- Einrichtungen der Mädchen- und Frauenbildung; tigt, sich aktiv in Politik und Gesellschaft einzu- ■ Fortbildungsangebote für alle in der Jugend- bringen und ihre Anliegen zu vertreten. und Erwachsenenbildung Tätigen, um den ver- änderten Anforderungen an eine qualifizierte Mädchen- und Frauenbildungsarbeit gerecht zu Anforderungen an Politik und Gesellschaft werden; ■ Gelegenheiten und Begegnungsorte für alle in Mädchen- und Frauenbildung ist ein eigenständi- der Mädchen- und Frauenbildung Tätigen, um ges Arbeitsfeld, das kooperierend und vernetzend den Austausch und die Vernetzung untereinan- arbeitet. Es braucht die Unterstützung der Träger der zu ermöglichen und den Dialog auch zwi- politischer Bildung sowie der Verantwortlichen in schen den Generationen zu fördern. Politik und Verwaltung, insbesondere Nach Überzeugung des Arbeitskreises deutscher ■ eine differenzierte politische und öffentliche Bildungsstätten ist und bleibt Mädchen- und Debatte um die Bildungsteilhabe und die Bil- Frauenbildung notwendiger und wichtiger dungserfolge von Mädchen und Jungen, Frauen Bestandteil politischer Bildungsarbeit, der und Männern; entscheidend mit zur Gleichberechtigung und ■ eine Sensibilisierung aller Akteure/Akteurinnen Geschlechtergerechtigkeit beiträgt. Aus die- und politisch Verantwortlichen für Ungleichhei- sem Grund wird sich der AdB auch zukünftig ten und die Ermutigung zum Abbau von Diskri- für eine eigenständige, zielgruppenspezifische, minierungen; qualifizierte Mädchen- und Frauenbildungs- ■ die Entwicklung und Förderung differenzierter arbeit einsetzen. pädagogischer Konzepte, um den individuellen Bedürfnissen und Lebenslagen von Frauen und Mädchen gerecht zu werden; ■ sowohl ideelle Unterstützung als auch ausrei- chend finanzielle Förderung von Angeboten für Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten, Mädchen und Frauen; November 2011

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Die (Un-) Sichtbarkeit politischer Erwachsenbildung Kleine Nachbemerkung zu blinden Flecken im Evaluationsgutachten des DIE

Norbert Reichling/Friedhelm Jostmeier

Im vergangenen Frühjahr legte das Deutsche Insti- derung der Landeszentrale für politische Bildung tut für Erwachsenenbildung dem nordrhein-westfä- auf die politische Erwachsenenbildung spezialisiert lischen Ministerium für Schule und Weiterbildung haben, d. h. mindestens 75 % ihrer Angebote in ein Gutachten zur „Evaluation der Wirksamkeit diesem Bereich realisieren (die sog. „Spezialisten der Weiterbildungsmittel des Weiterbildungsgeset- der politischen Bildung“). zes“ in NRW vor, das in der Weiterbildungsszene des Landes inzwischen intensiv diskutiert wird. Nor- Aber es liegt auch und vor allem ein eklatantes bert Reichling und Friedhelm Jostmeier kritisieren Versagen des DIE-Evaluationsteams vor: Dieses hat im Folgenden die Vernachlässigung des Bereichs durchaus vorhandene Informationen und Daten Politische Bildung in dieser Untersuchung und for- recht selektiv ausgewertet und dargestellt und so dern eine stärkere Wahrnehmung dieses Bereichs hinsichtlich der politischen Bildung, ihres Stellen- und seiner Anbieter. Diese sollten aber auch darum werts und Zustands ein Zerrbild entworfen. Diese bemüht sein, die politische Bildung in der Öffent- Verzeichnung ist – wie das eingangs benannte Bei- lichkeit stärker sichtbar werden zu lassen. spiel plastisch macht – für die öffentliche Wahr- nehmung und Wertschätzung (und indirekt damit auch für künftige Förderung) problematisch. Als der Landtag von Nordrhein-Westfalen im Herbst 2011 eine Expertenanhörung zum Thema „Die poli- tische Bildung in nordrhein-westfälischen Schulen Lücken des DIE-Gutachtens stärken“ durchführte, kam hier und da auch die außerschulische Bildungsarbeit zur Sprache. Einer Dass die Landesregierung NRW (noch unter CDU- der eingeladenen Experten, der Kollege Stephan FDP-Vorzeichen) den Evaluationsauftrag an das Eisel von der Konrad-Adenauer-Stiftung, wies in Deutsche Institut für Erwachsenenbildung erteilte, seiner Stellungnahme sinnvollerweise auch auf war von der Weiterbildungslandschaft mit Erleich- Probleme der Kooperation zwischen Schulen und terung und Zustimmung quittiert worden. Das Sys- außerschulischen Trägern hin. Am Rande dieser tem der NRW-Weiterbildung ist in der Vergangen- Analyse wird vermerkt: „Trotz der guten Arbeit der heit nämlich schon von weniger feldkundigen Landeszentrale für Politische Bildung ist insgesamt Experten untersucht und bewertet worden. Und leider festzuhalten, dass auch in Nordrhein-West- für den Grundtenor des schließlich erstellten Gut- falen die politische Bildung sowohl in der schuli- achtens2 hat sich diese Zustimmung auch erhalten: schen als auch außerschulischen Bildung eher eine Es schildert und bewertet Leistungen und Schwie- Nischenrolle spielt. Jüngster Beleg dafür ist der rigkeiten der Weiterbildung auf informierte und Bericht des Deutschen Instituts für Erwachsenenbil- mit den Zielen des Gesetzes grundsätzlich solidari- dung (DIE) ‚Lernende fördern – Strukturen stützen: sche Weise, auch wenn nicht alle „Hausaufgaben“ Evaluation der Wirksamkeit der Weiterbildungs- (z. B. der Entwurf einer neuen Fördersystematik) mittel des Weiterbildungsgesetzes (WbG) Nord- befriedigend erledigt wurden.3 Inhalt und Untersu- rhein-Westfalen“; dort werde „festgestellt, dass chungssetting können hier nicht referiert werden; Politische Bildung lediglich 5,5 Prozent der Angebo- das Gutachten kommt zu der prinzipiellen Schluss- te von Volkshochschulen ausmacht und der Anteil folgerung, dass die NRW-Weiterbildung trotz der Förderung nach dem Weiterbildungsgesetz nur schwieriger Rahmenbedingungen ihren Auftrag bei 9,1 Prozent liegt.“1 erfüllt und „in hohem Maße systemrelevant“ ist.

Gab es da nicht noch ein paar andere Anbieter? Die Konrad-Adenauer-Stiftung hätte es besser wis- sen können – dass nämlich außerschulische politi- 2 Deutsches Institut für Erwachsenenbildung: Lernende för- sche Bildung auch bei der Mehrzahl der 324 Wei- dern – Strukturen stützen. Evaluation der Wirksamkeit der terbildungsanbieter in freier Trägerschaft, die nach Weiterbildungsmittel des Weiterbildungsgesetzes (WbG) dem Weiterbildungsgesetz anerkannt sind, statt- Nordrhein-Westfalen, Abschlussbericht, Bonn 2011 – im Netz findet. Dazu zählen neben den großen konfessio- einzusehen unter www.schulministerium.nrw.de/BP/Weiter- nellen Trägergruppen nicht nur die parteinahen bildung/Aktuelles/Gutachten_Weiterbildung/DIE_Evaluation_ Stiftungen, sondern auch mehr als 40 weitere Ein- WbG_NRW_Abschlussbericht_02-2011.pdf#Gutachten richtungen, die sich auf der Basis einer Sonderför- [23.12.2011] – siehe auch den Bericht in: Außerschulische Bildung, Heft 2-2011, S. 207 ff. 3 ... und manch unbegründeter Seitenhieb – vgl. die begrün- 1 Stellungnahme 15/908 vom 28.9.2011 – einsehbar auf der dungsfreien Ratschläge zur Novellierung des Arbeitnehmer- Website des Landtags NRW. weiterbildungsgesetzes – enthalten ist – vgl. Gutachten, S. 298.

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Der Umgang der Analy- Der Umgang der Analy- ten der politischen Bildung“4 und seine umfangrei- se mit der politischen se mit der politischen Er- chen Ergebnisse wurden vom DIE-Team schlicht aus- Erwachsenenbildung wachsenenbildung aber geblendet. Diese Erhebungen erlauben u. a. recht muss als äußerst unzu- muss als äußerst unzu- genaue Einblicke in die regionale Verteilung der reichend angesehen reichend angesehen wer- Angebote politischer Bildung im Lande, Verwen- werden den: Es wäre zu erwar- dungskontexte der Teilnehmenden, Adressaten- ten gewesen, dass auch gruppen, Finanzierungsanteile und Personalaus- dieser Sektor entsprechend seiner Bedeutung für stattung der Einrichtungen. Auch eine inhaltliche die demokratische Entwicklung in NRW eine ange- Grobgliederung, die Bedeutung unterschiedlicher messene Betrachtung und Würdigung erfahren Veranstaltungsformate und die Gesamtreichweite hätte. Leider sucht der Lesende im Abschluss- dieses Sektors sind dort bericht des Instituts vergeblich nach entsprechen- Wichtige Daten und kenntlich gemacht wor- den Fundstellen. Dies überrascht umso mehr, als Analysechancen zu den den. Qualifizierte Aussa- dem Forschungsteam die im bundesdeutschen Ver- genannten Themen gen also, nach denen die gleich durchaus herausragende Struktur politischer wurden verschenkt Gutachter/-innen an ande- Bildung in NRW nicht unbekannt ist. rer Stelle lauthals rufen, über fast 9 % aller Weiterbildungsveranstaltungen, Schon im Inhaltsverzeichnis kommt politische Bil- über 10 % der Veranstalter und 10 % der „Teilnah- dung mit keinem Wort explizit vor. Obwohl – wie mefälle“ im Land NRW wurden hier als quantité bereits gesagt – 10 % der anerkannten Weiterbil- négligeable behandelt. Man sei „dazu nicht mehr dungseinrichtungen des Landes fast ausschließlich gekommen“, lautet die Rechtfertigung. Damit diese anbieten und aufgrund dieser Spezialisie- wurden wichtige Daten und Analysechancen zu rung eine besondere Landesförderung erhalten, den genannten Themen verschenkt. erfährt dieser Inhaltsbereich nur beiläufige Erwäh- nungen. In der vom DIE vorgenommenen Katego- Ebenfalls ausgeblendet hat das Gutachten die zum risierung der Weiterbildungs-Inhalte geht politi- Teil durchaus aussagekräftigen Verbandsstatistiken sche Bildung in der Sammelschublade „Förderung und sogar die vom eigenen Institut entworfene der persönlichen Entfaltung und sozialen Teilha- und begleitete Statistik anderer Verbände – z. B. be“ ein weiteres Mal unter, obwohl die Gutachter der evangelischen und katholischen Erwachsenen- in vielen Fachgesprächen darauf hingewiesen wur- bildung, von Arbeit und Leben, des AdB. Diese bie- den, dass damit demokratiepolitische Aufträge ten nicht immer repräsentative Ergebnisse wegen und Funktionen der politischen Bildung vernebelt partiell schlechter Beteiligung – aber sie völlig werden. wegzulassen, ist sachlich ebenfalls durch nichts zu rechtfertigen. Gerade angesichts der immer wieder Der „Teilnehmertag“ Der „Teilnehmertag“ – von der Forschung konstatierten Ausdifferenzie- wurde aus der Darstel- die wichtigste Organi- rung von Trägersituationen, Angeboten, Zielgrup- lung des DIE systema- sations- und Förderform pen, Leistungen und Entwicklungsproblemen wären tisch ausgeklammert des NRW-WbG für die analytische Aussagen über Teilbereiche wertvoll Politische Bildung in den für die weiterbildungspolitische Diskussion gewe- Weiterbildungseinrichtungen „anderer Träger- sen. schaft“ und neben der „Unterrichtsstunde“ eine der beiden tragenden Säulen des Gesetzes – wurde Die kühne Behauptung, Ein weiterer Mythos zur aus der Darstellung des DIE systematisch aus- dass die Einrichtungen mangelhaften Datenlage geklammert, seine besondere Förderlogik (die das dem Land keine Leis- soll hier nicht weiter the- intensive Lernen vor Ort, an besonderen Stätten tungsdaten vorgelegt matisiert werden: Zwar und in spezifischer Intensität unterstreicht) wurde hätten, gehört ins ist die These richtig, dass ignoriert. Die auf dieser Basis realisierten Ver- Reich der Fabel. es kein einheitliches und anstaltungen haben die Gutachter/-innen in die valides Berichtssystem Kategorie der Unterrichtsstunde um- und so für die NRW-Weiterbildung gibt (das haben die „kleingerechnet“. Auch dies ist förderpolitisch Weiterbildungseinrichtungen selbst immer wieder gefährlich, weil der Teilnehmertag immer wieder moniert). Doch die kühne Behauptung, dass die umstritten war, sobald es um Gesetzesveränderun- gen ging. 4 Das System wurde ausführlich vorgestellt in: Werdin, Bernd: Und schließlich: Ein hoch entwickeltes und seit vier Qualitätsmanagement bei der Förderung der politischen Bil- Jahren erprobtes Berichtssystem für die „Spezialis- dung, in: Außerschulische Bildung, Heft 2-2011, S. 179-186.

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Einrichtungen dem Land keine Leistungsdaten vor- tisch-technokratischen Machart solchem Denken gelegt hätten, gehört natürlich ins Reich der Fabel. nichts entgegenzusetzen, sondern ihm zu folgen. Angesichts des Desinteresses des Landes NRW an Nur so ist die neue Systematik zu verstehen, in der Daten und aufgrund des Personalabbaus bei den das Hauptaugenmerk des DIE-Gutachtens offenbar Bezirksregierungen liegen dazu keine Auswertun- der Scheidung von gemeinwohlorientierten (= för- gen vor, aber selbstverständlich führen die Einrich- derfähigen) und anderen Angeboten gilt und tungen kontinuierlich Nachweise gegenüber dem Demokratie-Effekte nicht mehr vorkommen. Das Land! Die vermeintlich nicht vorliegenden Daten Insistieren von Fachvertretern der politischen zum Leistungsumfang der Weiterbildungseinrich- Erwachsenenbildung auf ihrer spezifischen Profes- tungen sind also lediglich nicht aggregiert und sionalität wurde denn auch von Mitgliedern des aufbereitet; auch sie hätten im Verlauf des nicht Evaluationsteams ins Lächerliche vermeintlich „alt- eben kurzen Untersuchungszeitraums (mehr als modischer Beharrung“ gezogen. zwei Jahre) u. a. für die Begründung eines neuen und plausiblen Fördermodells der Administration entlockt werden müssen. Wie sollte die politische Bildung reagieren?

Eine ausführlichere fachliche Kritik an den Schwach- Wie sind solche Fehlleistungen zu erklären? stellen der DIE-Analyse wäre das erste Erfordernis – man kann Zweifel haben, ob diese in den dialog- Diese eklatanten Fehlleistungen des DIE-Gutach- und ergebnisorientierten Arbeitsgruppen erfolgen tens sind schwer zu verstehen. Eine mögliche Fixie- kann, die nun zur Weiterarbeit am WbG durch das rung des ehemals VHS-nahen Instituts auf eine seit nordrhein-westfälische Schul- und Weiterbildungs- Jahrzehnten eingespielte VHS-Statistik und deren ministerium geschaffen werden. Systematik mag noch eine Rolle spielen, reicht aber als Erklärung nicht aus. Die Beschimpfung von Wis- Im Zeichen knapper öffentlicher Ressourcen knüp- senschaftlern als „praxisfern“ wäre ebenfalls zu fen öffentliche Geldgeber seit Jahren zunehmend einfach – für eine gewisse Distanz zum untersuch- Finanzierungszusagen an einen vermeintlichen ten Gegenstand wurden die Gutachter/-innen ja Nutzen. Dass sich der Nutzen politischer Bildung schließlich engagiert und bezahlt. nicht unmittelbar erschließen lässt, ist zwar hinrei- chend bekannt, befreit die gemeinwohlorientier- Der Starrsinn, mit dem sich das Gutachten an den ten Bildungseinrichtungen jedoch nicht von ent- Mängeln der Datenlage festbeißt, anstatt die Teil- sprechenden Anfragen nach ihren Leistungen. Die befunde sinnvoll auszuwerten, muss damit zusam- Vertreter/-innen einer menhängen, dass sich beim DIE die Logik der Analy- Die Vertreter/-innen guten Praxis politischer se gegenüber dem Weiterbildungssystem der 70er einer guten Praxis politi- Bildung sollten also mit und 80er Jahre doch etwas verschoben hat. Die scher Bildung sollten mit vielen alltäglichen und damaligen Begründungen für Weiterbildung – Recht vielen alltäglichen und unspektakulären Beiträ- auf Weiterbildung, mehr unspektakulären Bei- gen zur Sichtbarkeit Damalige Begründun- Demokratie und Parti- trägen zur Sichtbarkeit ihrer Arbeit beitragen. gen für Weiterbildung – zipation, zweite Chance ihrer Arbeit beitragen Solche Sichtbarkeit muss Recht auf Weiterbil- usf. – sind inzwischen in qualitativ hergestellt wer- dung, mehr Demokra- den Hintergrund gedrängt den – z. B. in Fachzeitschriften wie dieser hier oder tie und Partizipation, durch neue Normierun- mit Gute-Praxis-Berichten zu virulenten und ver- zweite Chance usf. – gen. Hier sollen nicht steckten gesellschaftlichen Problemen. Aber auch sind inzwischen in den die großen plakativen die allgemeinen Medien sollten wir öfter an unse- Hintergrund gedrängt Schreckgespenster des rer Tätigkeit zu interessieren versuchen, um deren durch neue Normie- Marktradikalismus und Bilder von Weiterbildung, politischer Bildung oder rungen Neoliberalismus bemüht gar Bildungsurlaub zu qualifizieren. werden – die spuken sicher auch weiterhin herum – sondern die europä- Der inhaltliche Austausch muss aber ebenso direkt ischen und weltweiten Rahmenbedingungen: Indi- und persönlich geführt werden, sowohl mit den vidualrechte auf Bildung und Teilhabe spielen darin politisch verantwortlichen Abgeordneten des Par- eine marginale Rolle, es geht primär um die Erzeu- laments als auch mit Fachwissenschaft, Öffentlich- gung, Pflege und Platzierung von Kompetenzen, keit und den zuständigen Fachabteilungen der Bil- die in erster Linie beruflich gedacht und formuliert dungsadministration. Denn das, was politische sind. EU-Systematiken pflegen in ihrer oft bürokra- Bildung in Veranstaltungen und Projekten leistet,

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lässt sich kaum hinreichend über Zahlen vermit- politischer Bildung – bedarf einer Verteidigung auf teln. Die Qualität von politischer Bildung wird vor mehreren Ebenen: Die sich in politische Debatten allem in der praktischen Bildungsarbeit erfahrbar, immer wieder naturwüchsig und vielleicht auch aus sei es in den besonderen Formaten der lebenswelt- einer unvermeidbaren Logik des Politischen heraus und zielgruppenorientierten Angebote oder in der einschleichende Überschätzung der Notwendigkeit, Entwicklung und Umsetzung von innovativen des Sinns und der Wirksamkeit politischer Steue- Ansätzen zur Unterstützung von Menschen aller rung ist eine unproduktive Selbsttäuschung der Poli- Milieus, auch von jenen gesellschaftlichen Grup- tik. Solchen Steuerungsillusionen6 gibt das DIE- pen, die in unserer Gesellschaft am meisten von Gutachten mit einigen seiner unbedachten und Ausgrenzung und Nicht-Teilhabe betroffen sind. unbegründeten Ausblendungen, Akzentuierungen und Vorschläge neues Futter. Die Fachwissenschaft – Mehr quantitative Berichterstattung – da muss man und somit auch das DIE – sollten von der politi- den DIE-Expert/-inn/-en ja Recht geben – ist ebenso schen Bildung verstärkt in die Pflicht genommen dringlich. Dazu können wir durch bessere Beteili- werden, sich regelmäßig mit dem Zusammenhang gung an Statistiksystemen und an deren Weiter- von Demokratie und politischer Bildung zu beschäf- entwicklung viel tun – gerade im Verband AdB, der tigen, damit der besondere Stellenwert politischer hinsichtlich der Repräsentativität seiner Statistik ei- Bildung angesichts der vielfältigen Umbrüche und nen peinlichen Rückstand gegenüber anderen auf- Demokratie-Krisen deutlicher wird. weist. Mit Zahlen, Fakten, Daten können die durch die Landeszentrale für politische Bildung geförder- Doch das Gutachten ist widersprüchlich, es gibt den ten Einrichtungen seit mehreren Jahren aufwarten.5 politischen Bildner/-inne/-n nämlich zugleich argu- mentative Rückendeckung für die gegenteilige Posi- Was fehlt, ist die Einbeziehung der politisch-bil- tion: Es unterstreicht die erfolgreiche Selbststeuerung denden Angebote der „Nicht-Spezialisten“, denn der letzten Jahrzehnte und die überaus bewegli- auch in Volkshochschulen, bei konfessionellen und che Neufokussierung einer hauptberuflich struktu- freien Trägern finden Veranstaltungen zur politi- rierten Weiterbildung, die zu vorzeigbaren Resul- schen Bildung statt, die über die jeweiligen Ver- taten hinsichtlich ihrer Kriterien, Flächendeckung, bandsstatistiken erfasst, Bedarfsorientierung und Vernetzung geführt hat – Es ist primär Aufgabe aber nicht in einer lan- vielleicht doch kein so schlechtes Gutachten, wenn des Landes NRW, für desweiten und -einheit- es so realitätsnah die Widersprüche unserer Profes- ein landeseinheitliches lichen Statistik aufberei- sion abbildet? Berichtswesen zu sor- tet werden. Hier ist es gen, in dem auch die primär Aufgabe des Lan- politische Bildung mit des NRW, für ein landes- Friedhelm Jostmeier war zehn Jahre lang all ihren Leistungen einheitliches Berichts- Leiter des AKE-Bildungswerks in Vlotho und abgebildet wird wesen zu sorgen, in dem leitet seit 2009 die Geschäfte der Landes- auch die politische Bil- arbeitsgemeinschaft für eine andere Weiter- dung mit all ihren Leistungen abgebildet wird. Eine bildung in NRW. Dort ist er erreichbar unter angemessene Datenerhebung ist im Interesse der der Adresse August-Bebel-Str. 135 – 145, politischen Bildung, denn ohne verlässliche Zahlen 33602 Bielefeld. fehlen der politischen Bildung in wichtigen Diskus- E-Mail: [email protected] sionen mit Politik und Verwaltung Argumente, um ihre Relevanz zu verdeutlichen. Dr. Norbert Reichling ist beim Bildungs- werk der Humanistischen Union NRW Die außerschulische politische Bildung hat zwei u. a. zuständig für die Bereiche Zeitgeschichte „Kunden“-Gruppen: die Bildungspolitik, deren Wert- und historisch-politisches Lernen, biografisch schätzung wir weiterhin brauchen, und die Teilneh- orientierte Bildung, soziale Bewegungen, Bil- menden, die nicht notwendig die gleichen Interes- dungsurlaub, Grundfragen politischer Bildung, sen haben. Unser stärkstes Argument gegenüber Bürgerrechte und Erwachsenenbildungs- den Teilnehmer/-inne/-n, für eine demokratie- und geschichte. Anschrift: Bildungswerk der Humanistischen Union partizipationsorientierte Bildungsarbeit aber – die NRW e. V., Kronprinzenstraße 15, 45128 Essen. Pluralität der Anbieter, Angebote und Nutzungen E-Mail: [email protected]

5 Der neueste Jahresbericht mit der Auswertung des Berichts- 6 Vgl. Reichling, Norbert: Symbolische Politik – realer Schaden. wesens für 2010 steht Interessierten auf der Homepage der (Politische) Weiterbildung in: NRW – aus dem Tagebuch eines Landeszentrale für politische Bildung NRW zur Verfügung. „Gesteuerten“, in: Außerschulische Bildung, Heft 2007,S. 180-183.

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RevierVersion 2.1 – Wir mischen mit! Ideenwerkstatt für das Leben im Ruhrgebiet Daniel Möcklinghoff

Wie Jugendliche an der Gestaltung ihrer Region beteiligt werden können, soll durch das im folgen- den Beitrag vorgestellte Projekt in Erfahrung ge- bracht werden, das von der Stiftung Mercator geför- dert und vom aktuellen forum nrw. e. V. realisiert wird. Die Jugendlichen konzentrieren ihre Vorstel- lungen dabei auf das Ruhrgebiet, das sich durch besondere Vielfalt der dort lebenden Menschen und ihrer Kulturen auszeichnet. Ziel des Projekts ist neben dem Beteiligungsaspekt deshalb auch die Förderung des Zusammenlebens in dieser Region durch die Beiträge der dort lebenden Menschen. © aktuelles forum nrw. e. V.

Projektlogo Ausgangslage Twitter) genutzt, um eine nachhaltige Handlungs- Bereits in den Jahren 2007 bis 2010 hat das aktuel- fähigkeit der Teilnehmenden zu gewährleisten. le forum nrw ein Projekt in Kooperation mit der Stiftung Mercator durchgeführt: Unter dem Motto „RevierVersion 2.0 – Meine Welt der Möglichkei- Zielsetzung ten“ haben damals über 50 Gruppen ihre Visionen für das Ruhrgebiet entwickelt und in Form von Eine Aufgabe der Schulpädagogik wie auch der Theaterstücken, Videos, Podcasts, Fotos, Bildern, Jugendarbeit und der politischen Weiterbildung Skulpturen etc. dargestellt. Die besten Beiträge liegt darin, der nachwachsenden jungen Genera- wurden prämiert, und viele der entstandenen Pro- tion durch konkrete (Projekt-) Arbeit an den ver- dukte zogen im Anschluss in einer Wanderausstel- schiedenen gesellschaftlichen und sozialen Fragen lung durch Nordrhein-Westfalen. die Erfahrung zu vermitteln, dass durch gemeinsa- mes Handeln von Projektgruppen, Schulklassen, Das Nachfolgeprojekt „RevierVersion 2.1“ richtet Gruppen in Jugendzentren und in der Jugend- sich nun speziell an Jugendliche, die nicht nur ihre arbeit Einfluss genommen werden kann auf die Ideen für das Leben im Ruhrgebiet formulieren, Gestaltung der Demokratie. sondern dieses auch aktiv mitgestalten sollen. Dafür wurde ein Projektkonzept entwickelt, in dem die Ziel des Projektes ist es deshalb, bildungsbenach- Beteiligung von Jugend- teiligten Jugendlichen mit und ohne Migrations- In dem Konzept wird lichen im Ruhrgebiet hintergrund zwischen 14 und 16 Jahren durch poli- die Beteiligung von selbst zum Gegenstand tische Bildung Möglichkeiten und Formen der Jugendlichen im Ruhr- des Lernens und Han- Partizipation näherzu- gebiet selbst zum delns wird. Sie erarbei- Jugendliche sollen bringen. Jugendliche sol- Gegenstand des Ler- ten und entwickeln praktisch erleben, len praktisch erleben, nens und Handelns Beteiligungsformate in erfahren und auspro- erfahren und ausprobie- ihrem direkten Umfeld – bieren, welche Betei- ren, welche Beteiligungs- Schule, Revier, Kommune – anhand ihrer alltäg- ligungsmöglichkeiten möglichkeiten es für sie lichen Themen und Probleme. Es gibt zehn feste es für sie gibt gibt. So soll das Interesse Gruppen mit je 10-15 Beteiligten, die jeweils an Jugendlicher an gesell- dem selbst gewählten und für die Gruppe relevan- schaftlicher Mitbestimmung geweckt bzw. geför- ten Thema arbeiten. Durch die Einbindung unter- dert werden. schiedlicher kultureller Medien und Methoden sol- len die Jugendlichen aktive gesellschaftliche Die interkulturelle Vielfalt ist gerade im Ruhr- Beteiligung bewusst erleben. gebiet und insbesondere für junge Menschen, die in dieser Gesellschaft aufwachsen, allgegenwärtig. Des Weiteren können sich die Jugendlichen im Integration findet dabei überall statt: in der Schu- Web 2.0 austauschen, ihre Projektbeiträge veröf- le, beim Sport, im Jugendzentrum. Die Jugend- fentlichen, kommentieren und bewerten sowie das lichen sollen im Rahmen des Projektes Integration Mobilisierungspotential des Web 2.0 für ihr Thema durch erlebte Partizipation auf kommunaler Ebene nutzbar machen. Dazu werden bereits bestehende vorantreiben. Dabei sollen alle Teilnehmenden, Tools und Communities (Wordpress, Facebook, gleich welcher Herkunft, die Chance haben, sich

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aktiv und mit ihren Vorstel- lungen an der Gestaltung ihrer Lebenswelt zu beteili- gen.

Bei der Umsetzung der ein- zelnen Teilprojekte von Re- vierVersion 2.1 steht daher die Leitfrage im Mittelpunkt: Wie können Jugendliche ihre Lebenswelt so mitbestimmen, dass das Zusammenleben in einer vielfältigen und inter- kulturellen Gesellschaft ge- fördert wird?

Im Rahmen des Projektes sollen Möglichkeiten zur strukturellen Verankerung in der Kommune und in den © aktuelles forum nrw. e. V. Institutionen Schule, Jugend- und Kultureinrichtungen von Wie können Jugendliche ihre Lebenswelt im Interesse des interkulturellen Zusam- Beteiligungsmöglichkeiten menlebens mitbestimmen? insbesondere für bildungs- benachteiligte Jugendliche mit und ohne Zuwan- cherweise über die klassischen Beteiligungsformen derungsgeschichte diskutiert, durchgeführt und hinausgehen. Durch die Einbindung unterschied- geprüft werden. licher zielgruppengerechter Methoden – unter Nutzung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen Den Kern des Projektes bildet nach einer Vorberei- wie Musik, Video, Theater sowie neuer Medien – tungsphase die Seminararbeit, die nach drei Arbeits- sollen die Jugendlichen praktisch erleben, erfahren schritten erfolgt und von jeder Gruppe individuell und erproben, welche Beteiligungsmöglichkeiten gestaltet werden soll. es für sie gibt. Dies kann reichen von einer Kam- pagne gegen die Schließung des Jugendzentrums bis hin zur Initiierung eines interkulturellen Stadt- Ablauf teilfestes – ganz nach den alltäglichen Problemen, Interessen und Herausforderungen der einzelnen Im Rahmen einer Ana- Zu Beginn der Seminar- Gruppen. Jugendliche sollen den Raum haben, ihre lyse sollen sich die Teil- arbeit stellt die Themen- eigenen Ideen für ihr direktes Umfeld umzusetzen. nehmenden die Frage findung einen Schwer- Es können auch globale Themen behandelt wer- stellen, wo und vor punkt dar. Hier bildet das den, solange es einen Bezug zur kommunalen Ebe- allem wie sie sich sinn- eigene, direkte, kommu- ne gibt. voll und unmittelbar nale Umfeld der Jugend- beteiligen und damit lichen – vom Quartier, Begleitet und gecoacht werden die Jugendlichen das interkulturelle über den Stadtteil bis hin dabei von Pädagog/-inn/-en der außerschulischen Zusammenleben stär- zum Revier die Grund- und politischen Jugendbildung (jeweils ein/-e Päda- ken können lage. Im Rahmen einer goge/Pädagogin pro Gruppe) sowie Vertreter/-innen Analyse sollen sich die der beteiligten Bildungseinrichtungen aus dem Teilnehmenden die Frage stellen, wo und vor allem Ruhrgebiet (Lehrer/-innen aus Haupt- und Gesamt- wie sie sich sinnvoll und unmittelbar beteiligen schulen, Pädagog/-inn/-en aus Jugend- und Kultur- und damit das interkulturelle Zusammenleben zentren). stärken können.

Anschließend soll ein Lösungsansatz entwickelt Nachhaltigkeit werden, wie genau die Jugendlichen zur Problem- lösung bzw. zu Möglichkeiten der aktiven Mitbe- Insgesamt sollen Aussagen zum Thema Chancen, stimmung gelangen können. Diese können mögli- Möglichkeiten und Grenzen des Web 2.0 als

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Herausforderungen © aktuelles forum nrw. e. V. Herausforderung wird sein, Jugendliche in den festen Strukturen der Institution Schule sowie in außer- schulischen Einrichtungen anzuleiten und zu motivie- ren, jedoch die Ideenfin- dung und Gestaltung der eigentlichen Projektarbeit vollständig in ihre Hände zu übergeben. Des Weiteren verfügen sowohl Schulen als auch Einrichtungen der of- fenen Kinder- und Jugend- arbeit über ihre ganz eige- nen Rahmenbedingungen, die spezifischen Anforderun- gen gemäß zu berücksich- tigen sind. Im schulischen Bereich wird beispielsweise die Einbindung des Pro- jekts in den Ganztag eine Ausstellungstafeln zum Projekt RevierVersion 2.0| wichtige Rolle spielen.

Medium für die politische Bildung getroffen sowie Dabei muss beachtet werden, dass sämtliche ope- Erfahrungen von Jugendlichen für Jugendliche zu rativen Ziele und Vorhaben offen sind und auch der Vielfältigkeit der erlebten Partizipationsmög- scheitern können. Das Projekt definiert keine fes- lichkeiten festgehalten werden. Am Projektende ten Zielvorgaben. Gerade dieser offene Aspekt ist wird eine Handreichung für Fachkräfte veröffent- jedoch eine Stärke des Projektes, da von der The- licht, die Anregungen – sowohl thematisch als auch menfindung bis zur Umsetzung weitestgehend alle methodisch – für die pädagogische Praxis enthält, Entscheidungsprozesse in den Händen der Jugend- damit es auch nach dem Projekt nachhaltig zu einer lichen liegen. strukturellen Verankerung kommt. Eine umfangrei- che Projektdokumenta- Weitere Informationen beim Team der Projektlei- Die Mediennutzung im tion soll den Aspekt der tung: Daniel Möcklinghoff und Miriam Jusuf, beide Rahmen des Projektes Nachhaltigkeit ebenso erreichbar über das aktuelle forum (Adresse s. u.). soll eine kritische unterstützen. Durch die Medienkompetenz der Mediennutzung im Rah- Beteiligten entwickeln men des Projektes soll Daniel Möcklinghoff ist Pädagogischer Mitar- und fördern eine kritische Medien- beiter beim aktuellen forum nrw e.V. und kompetenz der Beteilig- dort zuständig u. a. für die Bereiche Jugend- ten entwickelt und gefördert werden. Gleichzeitiges bildung und Medienkompetenz. Er ist er- Ziel ist die Stärkung der Demokratiekompetenz reichbar über das aktuelle forum unter der der Teilnehmenden. Zudem soll mit Hilfe von Adresse: Hohenstaufenallee 1, 45888 Gelsen- Methoden der politischen und der kulturellen Bil- kirchen dung einerseits das Lebensumfeld wahrgenommen www.aktuelles-forum.de und andererseits sollen neue Handlungs- und Aus- drucksmöglichkeiten aufgezeigt werden. E-Mail: [email protected]

In Ausgabe 3-2011 wurde bei dem Beitrag von Bernd Neufurth auf S. 320 leider versäumt, den Urheber des dort abgedruckten Fotos zu nennen. Es handelt sich dabei um Hans-Günther Mundt. Wir bitten um Entschuldigung für dieses Versehen.

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Meldungen

Auseinandersetzung bei Haushaltsdebatte über Regierungshandeln in Jugend- und Innenpolitik

Wie immer bei den Haushalts- lich, wohin es führen könne, stärken und mehr in die Präven- beratungen fand auch in der wenn Rechtsextremismus und tion durch politische Bildungs- Debatte über den Bundeshaus- Menschenfeindlichkeit herrsch- arbeit investieren. halt 2012 im November eine ten. Es gebe inzwischen Gemein- Auseinandersetzung mit den den, in denen eine rechtsextreme Jürgen Herrmann und Stephan politischen Schwerpunkten der Hegemonie herrsche. Die Regie- Mayer (CDU/CSU) warnten vor einzelnen Ressorts statt. Am rung nehme in der Rhetorik den einer Vorverurteilung der mit der 22. November 2011 debattierte Rechtsextremismus ernst, unter- Aufklärung der rechtsextremisti- der Deutsche in Drit- stütze jedoch die Menschen, die schen Morde befassten Behörden ter Lesung über den Haushalt sich gegen ihn einsetzten, nicht und vor einer parteipolitischen des Bundesinnenministeriums. in dem erforderlichen Maße. Kol- Besetzung dieses Themas. Sie Bundesinnenminister Dr. Hans- be forderte die Regierung dazu unterstützten die von der Bun- Peter Friedrich hatte in seiner auf, sowohl die Kürzungen bei desregierung vorgeschlagenen Rede darauf hingewiesen, dass der Bundeszentrale für politische Instrumente zur Bekämpfung die innere Sicherheit die Kern- Bildung wie die Extremismus- des Rechtsextremismus in aufgabe des Staates überhaupt klausel als Voraussetzung für Deutschland. sei. Deshalb und vor dem Hinter- eine Programmförderung grund der aktuellen Bedrohun- zurückzunehmen. Ihre Fraktions- Hartfrid Wolff und Gisela Piltz gen durch neue technologische kollegin von der FDP gingen in ihren Risiken, die organisierte Krimina- mahnte an, den Sport und seine Reden ebenfalls auf die sicher- lität und den Rechtsextremismus gesellschaftspolitische Bedeu- heitspolitischen Vorkehrungen sehe der Haushaltsentwurf eine tung sowohl bei der Diskussion und die Auseinandersetzung Aufstockung um 25 Mio. Euro über Integration wie über Rechts- mit dem rechtsextremistischen vor. Es gehe jedoch nicht nur um extremismus einzubeziehen. Terror ein. Sie sprachen sich für Sicherheit, sondern auch um den die Weiterentwicklung der Orga- Zusammenhalt in der Gesellschaft. und nisationsstruktur von Sicherheits- In diesem Zusammenhang zählte von der Fraktion DIE LINKE kriti- behörden und deren bessere Friedrich die verschiedenen Pro- sierten in ihren Beiträgen das Ausstattung aus. gramme gegen den Rechtsextre- Versagen der Sicherheitsbehör- mismus in allen Bereichen des den und den Umgang mit den Die Debatte über den Haushalt Haushalts auf und widersprach Opfern rechtsextremer Gewalt. des Bundesministeriums für Fami- dem Vorwurf von Kürzungen. lie, Senioren, Frauen und Jugend Wolfgang Wieland und Memet (BMFSFJ) am 24. November 2011 Der war vor allem von der Oppo- Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) befasste sich in großen Teilen mit sition erhoben worden. Die SPD- forderten eine „Rückeroberung der Familienpolitik der Bundes- Abgeordneten Dr. der Demokraten“ in Gegenden, regierung. Schwerpunkte der und kritisierten in denen sich rechte Szenen fest- Jugendpolitik mit Bezug zur poli- die Kürzungen in dem Bundes- gesetzt hätten. Man müsse zei- tischen Bildung wurden in den programm „Zusammenhalt durch gen, dass der Rechtsstaat nicht Redebeiträgen von Steffen Bock- Teilhabe“ und bei der Bundes- wehrlos sei. Kilic warf der Regie- hahn (DIE LINKE), zentrale für politische Bildung. rung vor, dass dem Staat sein (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Rolf Es gehe hier nur um einige Mil- Image wichtiger gewesen sei als Schwanitz und Sönke Rix (beide lionen zur Verstärkung präventi- die Opfer des Rechtsextremismus, SPD) angesprochen. Hier ging es ver Aufklärungsarbeit und Bil- und er Projekte gegen den Links- vornehmlich um die Programme dung. Daniela Kolbe warb vor extremismus zu 90 % kofinan- zur Bekämpfung des Rechtsextre- allem um die angemessene Aus- ziere, während er bei Projekten mismus, bei denen erneut kriti- stattung der Integrationskurse, gegen Rechtsextremismus Eigen- siert wurde, dass sie gegenüber die ebenso wie die Bundeszentra- mittel in Höhe von 50 % verlan- den Bedingungen, unter denen le für politische Bildung unver- ge. Das Vertrauen der Einwande- Projekte gegen Linksextremismus zichtbare Instrumente für den rer in den Rechtsstaat sei in gefördert würden, schlechtere Zusammenhalt in unserem Land seinen Grundfesten erschüttert. Konditionen bieten würden. seien. Die Geschehnisse um die Wer Rechtsextremismus bekämp- Zudem sei langfristige und fun- Zwickauer Zelle machten deut- fen wolle, müsse auch die Opfer dierte Arbeit durch institutionel-

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le Förderung nicht gewollt. Die neuen Freiwilligendienst ein und Rechtsextremismus werde nicht Auseinandersetzung zum Thema verwies auf die Startschwierig- relativiert, wenn auch Präven- Rechtsextremismus, Rassismus keiten bei seiner Einführung. Er tionsprogramme gegen Links- und gruppenbezogene Men- plädierte für einen gemeinsamen extremismus und Islamismus schenfeindlichkeit sei eine Dauer- Freiwilligendienst, der unter der gefördert würden. In ihrer Amts- aufgabe für die gesamte Gesell- Verantwortung der Zivilgesell- zeit sei kein einziger Cent für schaft. Lazar forderte eine schaft stehen solle. Projekte gegen Rechtsextre- Erhöhung der Mittel auf 50 Mio. mismus gekürzt worden. Diese Euro, die für ein neues Bundes- Die Bundesministerin für Familie, Bundesregierung gebe sogar programm zur Verfügung Senioren, Frauen und Jugend, mehr Geld für die Stärkung von gestellt werden und der Stär- Dr. Kristina Schröder, warf der Demokratie und Toleranz aus als kung der zivilgesellschaftlichen Opposition vor, sich bei der Ein- jede Bundesregierung zuvor. Zur Initiativen vor Ort dienen sollten. führung des Bundesfreiwilligen- Demokratieerklärung führte die Sie sprach sich erneut gegen die dienstes mit allen Annahmen Ministerin aus, dass sie nicht wol- Extremismusklausel aus, mit geirrt zu haben. Weder schade le, dass Rechtsextremismus von denen die Ministerin die Initiati- der Bundesfreiwilligendienst den Linksextremisten, Linksextre- ven „drangsaliere“. Demokratie Jugendfreiwilligendiensten, noch mismus von Rechtsextremisten lasse sich nicht per Verwaltungs- herrsche Mangel an Interessen- und Islamismus von Islamhassern akt absichern. Schwanitz kritisier- ten. Der neue Dienst übertreffe bekämpft werde. Sie verwies dar- te die Aufspaltung in „gute Anti- mit über 25.000 Verträgen in nur auf, dass auch in Mecklenburg- faschisten und in schlechte fünf Monaten schon jetzt alle Vorpommern Kita-Betreiber eine Antifaschisten“, wie sie in einer Erwartungen. Demokratieerklärung unter- an den Schulen verteilten Bro- schreiben müssten und sie die schüre gemacht werde, die Leh- Zur politischen Bildung führte sie zuständige SPD-Landesministerin rerinnen und Lehrer zum Unter- aus, dass es darum gehe, Kinder Manuela Schwesig darin unter- richt gegen Linksextremismus und Jugendliche vor totalitärem stütze. motivieren solle. Sönke Rix ging Gedankengut – gleich aus wel- Quellen: Bundestagsprotokolle in seinem Redebeitrag auf den cher Ecke – zu schützen. Der 17/141 und 17/143

Wird die Bildungsrepublik zur Fata Morgana?

Fast drei Jahre nach dem Dresde- krise das BPI deutlich geschrumpft rung der Quote junger Erwachse- ner Bildungsgipfel haben DGB, sei und zugleich im damaligen ner, die keinen Berufsabschluss ver.di und GEW eine Studie vor- Konjunkturpaket II die Bildungs- erwerben; sie liege im Jahr 2010 gestellt, die der Essener Bildungs- ausgaben zeitlich befristet stie- nach wie vor bei 17,2 %. Ob die forscher Professor Klaus Klemm gen, so dass sich faktisch der angestrebte Steigerung der Wei- im Auftrag des DGB erarbeitet Anteil der Bildungsausgaben terbildungsquote auf 50 % der hatte. Ingrid Sehrbrock, stellver- reduziere. Beim Krippenausbau Erwerbstätigen tatsächlich erfol- tretende DGB-Vorsitzende, prä- liege Deutschland im Betreuungs- ge, lasse sich mangels einer statis- sentierte sie im Oktober 2011. jahr 2009/10 mit einem Platz- tischen Grundlage nicht beurtei- Die Studie bilanziert die Entwick- angebot von 23 % noch weit len. Einzig das Ziel der Anhebung lung der Bildungspolitik auf der hinter dem für 2013 angesteuer- der Quote der Studienanfänger/ Grundlage der in Dresden gefass- ten Ziel von 35 %. Auch eine -innen auf 40 % wurde inzwi- ten Beschlüsse von Bund und Deckung des durch den Ausbau schen mit 46 % im Jahr 2010 Ländern. Bei der Finanzierung entstehenden Personalbedarfs übertroffen. Die Analyse der auf der Bildung konstatiert Klaus sei nicht in Sicht. Die angestrebte dem Dresdner Gipfel herausge- Klemm zwar eine Annäherung Halbierung der Quote der Absol- stellten Handlungsfelder ergebe an die beschlossene Steigerung venten allgemeinbildender Schu- mit Blick auf migrationsspezifi- der Bildungsausgaben auf 10 % len ohne Hauptschulabschluss sei sche Ausprägungen ein schwer des Bruttoinlandsprodukts im nicht einmal ansatzweise erkenn- erträgliches Maß an Ungleich- Jahr 2009, weist allerdings darauf bar. Das gelte gleichermaßen für heit. Es beziehe sich sowohl auf hin, dass durch die Wirtschafts- die ebenfalls angestrebte Halbie- den geringeren Anteil von Kin-

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dern mit Migrationshintergrund deutlich gekürzt werden, wovon für Bildung, Wissenschaft und an den Krippenplätzen und vor allem die Lehrerausbildung Forschung aus, was in Relation erheblich mehr ausländischen betroffen sei. Für Ganztags- zum Bruttosozialprodukt einem Jugendlichen ohne Hauptschul- schulen oder Inklusion sei kein Anteil von etwa 8,6 % entspricht. abschluss als auch den mehr als Geld da. Ein Jahr später erhöhte sich die- im Vergleich zu Deutschstämmi- ser Anteil bereits auf 9,3 %. gen doppelt so hohen Anteil jun- Dieser eher pessimistischen Pers- ger Erwachsener mit Migrations- pektive steht der Jahresrückblick Wie die Bundesregierung auf geschichte ohne Berufsabschluss. gegenüber, den das Bundesminis- eine Kleine Anfrage der SPD- terium für Bildung und Forschung Fraktion im Deutschen Bundes- Ingrid Sehrbrock stellte ange- (BMBF) gleich nach Weihnachten tag mitteilte, sind seit 2007 für sichts dieser Zahlen fest, dass veröffentlichte. Darin wird das das Rahmenprogramm zur Förde- Bund und Länder ihre Bildungs- Ergebnis des Hochschulpaktes rung der empirischen Bildungs- gipfelversprechen nur schlep- gelobt, den Bund und Länder zur forschung rund 86 Mio. Euro pend umsetzten und viele Steigerung der Studienanfänger- ausgegeben worden. Die Bundes- Bundesländer in der Bildungs- zahlen geschlossen hatten. Als regierung fördert die Bildungs- politik zum Rotstift griffen. „Die Erfolg wird auch die Vergabe von forschung im Kontext der all- Bildungsrepublik wird so zur Fata 150.000 Bildungsprämien seit gemeinen institutionellen Morgana“ so Ingrid Sehrbrock als 2008 vermerkt, mit dem das Forschungsförderung, der Fazit zur Studie von Klaus BMBF Erwerbstätige unterstützt, Ressortforschung und über die Klemm. die sich weiterbilden möchten. Projektförderung. Wichtiger 47 % davon sind Frauen, 89 % Bestandteil des Rahmenpro- In einem Artikel, der in Nummer Beschäftigte in kleinen und mitt- gramms sei die Forschung zum 11/2011 der GEW-Zeitschrift „Er- leren Unternehmen und 15 % nationalen Bildungspanel, das ziehung und Wissenschaft“ haben einen Migrationshinter- bis Ende 2013 mit insgesamt erschien, wird auf die desolate grund. Die Bundesregierung ver- etwa 85 Mio. Euro gefördert Kassenlage von Ländern und meldet auch einen Zuwachs von werde. Hier geht es darum, in Kommunen hingewiesen, die 1,8 % der von 2010-2011 neu Erfahrung zu bringen, wie sich den Ruf nach einer stärkeren abgeschlossenen Ausbildungs- Kompetenzen im Lebenslauf ent- Beteiligung des Bundes an der verträge gegenüber dem Vorjahr. falten, und wie die Aneignung Bildungsfinanzierung immer Gleichzeitig sei die Zahl der von Kenntnissen, Fähigkeiten lauter werden lasse. So werde außerbetrieblichen Ausbildungs- und Fertigkeiten innerhalb und die durch den Rückgang der verträge spürbar zurückgegan- außerhalb der Bildungsinstitutio- Schüler/-innenzahlen erwartete gen. Die Situation am Ausbil- nen am besten unterstützt wer- „demographische Rendite“ kei- dungsmarkt sei so gut wie lange den kann. nesfalls hinreichend zur Verbes- nicht mehr. serung der Qualität der Schulen Dass eine stärkere Unterstützung und der pädagogischen Rahmen- Das Statistische Bundesamt hat von Kommunen und Ländern bedingungen genutzt, sondern Anfang Dezember die neuen durch den Bund im Bereich der auch zur Konsolidierung von Zahlen für die Bildungsausgaben Bildung an Grenzen stößt, liegt Haushalten verwandt, wie das im Jahr 2011 veröffentlicht. Sie an dem vom Deutschen Bundes- Beispiel Rheinland-Pfalz zeige. werden mit 106,2 Mrd. Euro tag beschlossenen und vom Aber das gelte auch für Baden- beziffert, die von Bund, Ländern Bundesrat bestätigten Koopera- Württemberg unter der neuen und Gemeinden aufgebracht tionsverbot, das dem Bund ein rot-grünen Regierung. Die demo- wurden. Endgültige Angaben stärkeres Engagement für die Bil- graphische Rendite komme im zu den öffentlichen Ausgaben dungspraxis untersagt. Verschie- Osten der Republik wegen wieder liegen nur bis zum Jahr 2008 dentliche fraktionsübergreifende steigender Schüler/-innenzahlen vor. Der Bund stellte damals Anregungen im Deutschen Bun- erst gar nicht an. Nordrhein-West- 5,1 Mrd. Euro zur Verfügung, destag, dieses Kooperationsver- falen wolle, so wird die zuständi- die Länder waren mit 68,2 Mrd. bot wieder aufzuheben, stehen ge Ministerin Sylvia Löhrmann Euro und die Gemeinden mit im Widerspruch zu Beschlüssen zitiert, „die Demographiegewin- 20,4 Mrd. Euro mit von der Par- der CDU- und FDP-Parteitage. Die ne im System Schule belassen.“ tie. Der öffentliche und der CDU stellte auf ihrem Bundespar- In Hessen soll wie schon im ver- private Bereich gaben im Jahr teitag Mitte November in Leipzig gangenen Jahr der Bildungsetat 2008 insgesamt 214,2 Mrd. Euro zwar die Bildungspolitik in den

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Mittelpunkt, der von ihr dazu Dieser Bildungsrat wurde indes In der Haushaltsdebatte zum gefasste Beschluss enthält aller- von namhaften Bildungsexperten Ressort des BMBF, in der die SPD dings keine Forderung nach gefordert, die sich im Oktober ihren Vorschlag für einen „Natio- Änderungen am bestehenden 2011 in Berlin auf Initiative der nalen Pakt für Bildung und Ent- Kooperationsverbot von Bund Robert Bosch Stiftung trafen und schuldung“ verteidigte, wies und Ländern bei der Bildungs- für einen solchen Bildungsrat von der finanzierung. Nach Ansicht von Grundzüge erarbeiteten. Sie CDU/CSU die Aussagen des DGB Bundesbildungsministerin orientierten sich dabei am Wis- zur Bildungspolitik zurück. Er Dr. könne es senschaftsrat, in dem Fachleute machte geltend, dass die Haus- dabei nicht auf Dauer bleiben. gemeinsam mit Bundes- und Lan- haltsmittel von 2011 auf 2012 Auch für die Bildung müsse in despolitikern inhaltliche Themen im Bildungsressort um 11,1 % den nächsten Jahren gelten: und Strukturfragen der Hoch- erhöht worden seien. Die Effekte „Kindeswohl schlägt Koopera- schul- und Forschungspolitik der Förderung durch den Bund tionsverbot.“ bearbeiten. Sie waren sich darin seien bereits in allen Bildungs- einig, dass ein ähnlich aufgestell- bereichen messbar. Rehberg stell- Die FDP hatte auf ihrem kurz ter nationaler Bildungsrat einen te eine Aufhebung des Koopera- zuvor veranstalteten Bundespar- wichtigen Beitrag zur Reform des tionsverbots nicht in Aussicht; teitag mit knapper Mehrheit in deutschen Bildungssystems ein- Voraussetzung sei dafür eine einer Kampfabstimmung die Auf- bringen könne. Impulse würden Zweidrittelmehrheit im Deut- hebung des Kooperationsverbots vor allem erwartet bei der Ver- schen Bundestag und im Bundes- verworfen. Hier hatten vor allem besserung der Lehrerbildung, der rat, von der nicht ansatzweise die Landesverbände aus Baden- Qualitätssicherung in Schulen, ausgegangen werden könne. Württemberg, Hessen, Sachsen, bei der Definition einer Grund- und Niedersachsen die struktur des Schulsystems für alle Mehrheit hinter ihrem Gegen- Bundesländer, einer Novellierung antrag versammeln können. Die der Länderkooperation und der Quellen: bildungsklick Liberalen hatten sich zudem für regelmäßigen Vorlage des Bil- Nnr. 80882,81014 und 81493, eine Auflösung der Kultusminis- dungsberichts. Ein Bildungsrat Erziehung und Wissenschaft terkonferenz ausgesprochen und könne gemeinsame Entscheidun- Nr. 11/2011, BMBF-Pressemittei- auch dem Projekt eines Bildungs- gen der Bundesländer sinnvoll lung Nr. 172/2011, heute im rats als neuem kooperativen vorbereiten helfen und einen Bundestag Nr. 507, Der Tages- Organ von Bund, Ländern und nationalen Konsens und Akzep- spiegel vom 15.11.2011, Bundes- Wissenschaft eine Absage erteilt. tanz in der Bevölkerung fördern. tagsprotokoll 17/143

Neues aus der Weiterbildung

Das Weiterbildungsstipendium, zenkräfte zu erhöhen. Die För- Ein weiteres Instrument zur För- ein Programm des Bundesminis- derung erfolgt über eine öffent- derung der Weiterbildung ist die teriums für Bildung und For- lich-private Partnerschaft. 40 % „Bildungsprämie“, mit der das schung (BMBF), feierte im der ehemaligen Stipendiatinnen BMBF seit 2008 Erwerbstätige November 2011 sein 20jähriges und Stipendiaten übten mittler- unterstützt, die sich weiterbilden Bestehen. Mit diesem Stipendium weile Vorgesetztenfunktionen möchten. Sie können sich an eine wurden in der bisherigen Lauf- aus, so Cornelia Quennet-Thie- der fast 600 Beratungsstellen in zeit rund 97.000 Personen finan- len, Staatssekretärin im BMBF, ganz Deutschland wenden, die ziell unterstützt, damit sie sich zum Jubiläum. Das BMBF habe ihnen geeignete Anbieter von nach ihrem Berufseinstieg durch die Finanzierung des Programms Weiterbildung vermitteln. Über berufsbegleitende Weiterbildung deutlich aufgestockt. In 2011 die Beratungsstellen können weiter qualifizieren und ihre standen 22,74 Mio. Euro zur Interessierte dann auch einen Zukunftsaussichten verbessern Verfügung. Von Januar 2012 Prämiengutschein erhalten, können. Die Stipendien werden an soll die Förderung für die mit dem die Hälfte der Weiter- im Rahmen der Begabtenförde- dreijährige Stipendiendauer bildungskosten (bis zu maximal rung in der beruflichen Bildung von 5100 auf 6000 Euro ange- 500 Euro) übernommen wird. Die vergeben, um die Zahl der Spit- hoben werden. Nachfrage nach der Bildungsprä-

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mie sei in den vergangenen systems Weiterbildung und einen Anteil von 10 % an den Monaten stark gestiegen, so erscheint alle drei Jahre. Er ent- Gesamtunterrichtsstunden. das BMBF. Seit Programmbeginn hält Fakten zu Informellem Ler- konnten über 150.000 Prämien- nen, zum zeitlichen Umfang der Auf der Ebene der Europäischen gutscheine ausgegeben werden. Weiterbildungsaktivitäten, zu Union wurde eine erneuerte Die aktuelle Förderphase lief am Lernmotiven, Bildungsbarrieren Agenda für die Erwachsenen- 30. November 2011 aus. Ange- und Kosten. Ausgewählte Mate- bildung in Europa beschlossen, sichts des großen Interesses an rialien sind online unter http:// nachdem der bisherige Aktions- der Bildungsprämie soll das www.die-bonn.de/weiterbildung/ plan Erwachsenenbildung 2010 Programm aber weitergeführt Literaturrecherche/details.aspx? ausgelaufen war. Die neue Agen- werden. ID=9339 abrufbar. da soll die Perspektiven für die Erwachsenenbildung in Europa Zur Weiterbildungsbeteiligung Auch die VHS-Statistik des DIE für für den Zeitraum 2012-2014 vor- 2010 hat das Deutsche Institut für 2010 zeigt eine weitere Versteti- geben. Im Zentrum der neuen Erwachsenenbildung (DIE) im gung der Zahlen von Kursen und Agenda sollen die Lernenden Herbst 2011 einen Bericht vorge- Lehrgängen. Über alle Veranstal- und individuelle Lernergebnisse legt, der deutlich macht, dass der tungsarten hinweg fanden an stehen. Die Erwachsenenbildung Zugang zur Weiterbildung nach den knapp 950 Volkshochschulen soll stärker bestimmte Gruppen wie vor durch die soziale Lage 15,6 Millionen Unterrichtsstun- wie Geringqualifizierte, Schul- und den Bildungshintergrund den statt. Die Volkshochschulen abbrecher oder Erwerbslose bestimmt wird. Im europäischen konnten 9 Millionen Belegungen ansprechen. Auch die Senioren Vergleich sei die Weiterbildungs- verzeichnen. Gegenüber dem sollen künftig mehr am Lebens- beteiligungs zwar trotz einer Jahr 2009 ist die Zahl der Kurse langen Lernen beteiligt werden, leicht rückläufigen Quote gut um 1,3 % gewachsen. Die stärks- um sie für Fragen der intergene- aufgestellt, jedoch zeigt sich, ten Einbußen bei der Nachfrage rationellen Solidarität zu sensibi- dass Arbeitslose seltener als gibt es im Bereich „Politik – lisieren und für gesellschaftliches Beschäftigte, Menschen mit Gesellschaft – Umwelt“ mit Engagement zu gewinnen. Migrationsgeschichte seltener als einem Rückgang von 3,7 % Deutsche, geringer Qualifizierte gegenüber dem Vorjahr. Das seltener als höher Qualifizierte umfangreichste Angebot gibt es an Weiterbildung teilnehmen. erneut bei den Sprachkursen, die Quellen: BMBF-Pressemitteilun- Als besonders auffällig werden einen Anteil von 41 % am gesam- gen 143/2011 und 146/2011, der Rückgang der Weiterbildungs- ten Unterrichtsstundenvolumen Pressemitteilungen des DIE vom beteiligung unter den Jüngeren der Volkshochschulen stellen. Die 12.10.2011 und 25.10.2011, und die Zunahme bei den Älteren Bedeutung der Auftrags- und Newsletter 4/2011 des Europa- vermerkt. Der Adult Education Vertragsmaßnahmen nimmt büros für katholische Jugend- Survey ist Nachfolger des Berichts- weiter zu und hat inzwischen arbeit und Erwachsenenbildung

Weiterbildungsinitiativen in den Bundesländern

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE gewartet, jedoch bisher von dort weiter verzögert werden könne, GRÜNEN im Landtag von Thürin- keine Initiative erfahren, so bis die Landesregierung endlich gen hat einen Entwurf für ein Bil- Astrid Rothe-Beinlich, bildungs- ihren eigenen Entwurf vorlege. dungsfreistellungsgesetz vorge- politische Sprecherin der grünen Es gelte, mit einem die Arbeit- legt. Es soll den Thüringerinnen Landtagsfraktion. Sie freue sich nehmerinnen und Arbeitnehmer und Thüringern einen verbindli- auf eine konstruktive Debatte stärkenden Anspruch auf Bildung chen Rechtsanspruch auf bezahl- im Bildungsausschuss und sei ein Stück weit bundesweite Nor- te Freistellung von der Arbeit an gespannt, welche konkreten malität auch für Thüringen zu fünf Arbeitstagen im Jahr für Bil- Änderungswünsche von den schaffen. Der von der bündnis- dung ermöglichen. Man habe anderen Fraktionen zum Gesetz- grünen Landtagsfraktion vorge- zwei Jahre auf den im Koalitions- entwurf vorgelegt würden. Es schlagene Anspruch auf Bildungs- vertrag angekündigten Gesetz- müsse klar sein, dass der jetzt freistellung soll individuelle, entwurf der Landesregierung vorliegende Gesetzentwurf nicht kulturelle und politische Bildung

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für jede und jeden möglichen. veranstaltungen, die zur Inan- des Höheren Dienstes abgeben Für Kleinst- und Kleinunterneh- spruchnahme von Bildungsfrei- und die Kürzung ihrer sächlichen men soll eine Erstattungsrege- stellung berechtigen. Ansprech- Haushaltsmittel verkraften müs- lung für den Ausgleich der partner für die Veranstalter soll sen. Vor diesem Hintergrund sei bezahlten Freistellung gelten, künftig die Investitionsbank insbesondere die geplante um etwaige Belastungen aus- Schleswig-Holstein sein, die die Gebührenpflicht des Anerken- zugleichen. Bearbeitung der jährlich rund nungsverfahrens von Veranstal- 3000 Anträge auf Anerkennung tungen der Bildungsfreistellung Die Landeszentrale für politische übernehmen wird. Die Anerken- eine weitere Belastung. Steigen- Bildung Schleswig-Holstein hat nung der Veranstaltungen soll de Kosten müssten wiederum auf zum Entwurf des Weiterbildungs- künftig gebührenpflichtig sein. die Beiträge der Teilnehmer und gesetzes Schleswig-Holstein Stel- Teilnehmerinnen umgelegt wer- lung genommen. Es handelt sich Die Landeszentrale für politische den und erhöhten die individuel- dabei um eine von der Landes- Bildung begrüßt grundsätzlich le Barriere, eine politisch bilden- regierung im Mai eingebrachte das neue Gesetz, dessen Fokus de Veranstaltung zu besuchen. Novelle des geltenden Bildungs- auf der beruflichen und betrieb- Der schleswig-holsteinische Land- freistellungs- und Qualifizie- lichen Weiterbildung liege. Die tag wird aufgefordert, zwischen rungsgesetz von 1990, die das politische Bildung spiele dabei gemeinnützigen und kommer- Ziel verfolgt, die notwendigen nur eine untergeordnete Rolle. ziellen Angeboten der Weiter- Rahmenbedingungen zu schaf- Dennoch sei mit negativen Aus- bildung zu unterscheiden und fen, um das Recht auf Weiter- wirkungen der Novelle auf die folglich die Anerkennung von bildung zu sichern und die Qua- politische Bildung zu rechnen. Veranstaltungen zur politischen lität in der Weiterbildung zu Die Bildungsstätten, aber auch Bildung von der geplanten verbessern. Gleichzeitig würden andere Träger der politischen Gebührenpflicht auszunehmen. Verfahren vereinfacht und unnö- Bildung in Schleswig-Holstein, tige Berichtspflichten abgeschafft, seien von aktuellen Kürzungen so die Landesregierung. Neu der staatlichen Zuschüsse zuneh- Quellen: Schleswig-Holsteinischer geregelt werden sollen unter mend in ihrer Existenz bedroht. Landtag Umdruck 17/3185, anderem die Verfahren zur Aner- Auch die Landeszentrale für poli- Deutschland Today vom kennung der Weiterbildungs- tische Bildung habe zwei Stellen 17.11.2011

Bundestag einig in Empörung gegen den Terror von rechts

Unter dem Eindruck der rechts- vorbringt.“ Der Deutsche Bun- aufgefordert, Voraussetzungen extremistischen Morde setzte destag beklagt die Fehler der für ein NPD-Verbot zu prüfen. der Deutsche Bundestag am Sicherheitsbehörden bei der Alle demokratischen Gruppen 22. November 2011 ein Signal Ermittlung im Zusammenhang sollen gestärkt werden, die sich der Geschlossenheit gegen mit den Morden und mahnt eine gegen Rechtsextremismus, Frem- Rechtsextremismus. Einstimmig dringende Überprüfung ihrer denfeindlichkeit und Antisemi- verabschiedete er einen gemein- Strukturen an. Er ist entschlossen, tismus engagieren. samen Entschließungsantrag, in sowohl die politisch-gesellschaft- dem der Deutsche Bundestag liche Auseinandersetzung mit Bundesinnenminister Dr. Hans- seiner Trauer um die Mordopfer Rechtsextremisten und ihren Peter Friedrich bezeichnete in und seinem Mitgefühl mit deren Verbündeten vertieft fortzuset- der Debatte die Morde als einen Angehörigen Ausdruck verleiht zen als auch die unabdingbaren Angriff auf unsere Gesellschaft und sich zutiefst beschämt Konsequenzen für die Arbeit der und unsere freiheitliche Ord- darüber zeigt, „dass nach den Sicherheitsbehörden rasch zu zie- nung. Die Frage der Achtung ungeheuren Verbrechen des hen. Für rechtsextreme, rassisti- der Würde des Menschen sei nationalsozialistischen Regimes sche und verfassungsfeindliche jedoch nicht nur eine staatliche, rechtsextremistische Ideologie in Parteien gebe es in einem demo- sondern eine gesamtgesellschaft- unserem Land eine blutige Spur kratischen Deutschland keinen liche Aufgabe, vor der man unvorstellbarer Mordtaten her- Platz. Die Bundesregierung wird gemeinsam stehe. Er berichtete

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über den Stand der Ermittlungen ren des islamistischen Terrorismus Demokratie als Bindung an die und erste Schritte zur Verbesse- seien nicht unbedingt mit denen Förderung gewesen sei. Es beste- rung der Zusammenarbeit zwi- des Rechtsextremismus vergleich- he deshalb für die SPD kein schen den daran beteiligten bar, was auch bei der Frage nach Grund zur Aufregung. Er habe Behörden auf Bundes- und Län- dem richtigen Vorgehen gegen- sich gewünscht, dass das Gemein- derebene. Friedrich kündigte an, über dem Rechtsextremismus zu same in der Abwehr des braunen dass ein vergleichbares Abwehr- beachten sei. Terrors im Vordergrund dieser zentrum wie gegen den terroris- Debatte stehe und man nicht in tischen Islam auch gegen den Dr. (DIE LINKE) kriti- parteipolitisches Klein-Klein ver- Rechtsextremismus etabliert sierte die Arbeit der Ermittlungs- falle. Ein Bekenntnis zur Demo- werden solle. behörden und die mangelnde kratie als Grundlage für die För- Wahrnehmung rechter Gewalt derung zu verlangen, habe nichts Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) durch die Bundesregierung, die mit einem Generalverdacht zu bezeichnete die Morde als bei zahlreichen Mordfällen die- tun. Angriff auf die Art und Weise, sen Hintergrund nicht gesehen wie wir in diesem Land zusam- habe, was zu unterschiedlichen (SPD) for- menleben. Vor dem „Aufstand Zählungen der Opfer rechtsextre- derte, dass der deutsche Staat der Anständigen“ brauche man mer Gewalt bei der Bundesregie- in den Regionen handeln müsse, erst einmal den „Anstand der rung und bei zivilgesellschaft- in denen Rechtsextreme glaub- Zuständigen“, von dem indes lichen Organisationen führe. Gysi ten, das Kommando übernom- keine Rede sein könne. Der Ver- beklagte vor allem die Aktivitä- men zu haben. Ein NPD-Verbots- fassungsschutz in diesem Land ten des Verfassungsschutzes und verfahren solle wieder in Gang befinde sich in einer schweren seinen Umgang mit der rechts- gebracht werden. Diese Partei sei Glaubwürdigkeitskrise. Die Auf- extremen Szene. ausländerfeindlich, antisemitisch, klärung darüber, wie es zu seinen antidemokratisch und in Teilen Versäumnissen kam, müsse Auch Renate Künast (BÜNDNIS gewaltbereit. Man brauche keine öffentlich und für alle Bürger 90/DIE GRÜNEN) konstatierte V-Leute, um diesen Befund bele- und Bürgerinnen sichtbar gesche- eine Legitimationskrise der gen zu können. Den stärksten hen. Die Zeit der Verharmlosung Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutz könne nur rechtsextremer Gewalt sei vorbei. bezeichnete es als beschämend, eine wachsame, aktive demokra- Die NPD und der gewaltbereite dass man den Eindruck haben tische Zivilgesellschaft bieten. Rechtsextremismus seien dem- müsse, diese seien auf dem rech- selben Lager zuzuordnen. ten Auge blind. Wenn man hätte (FDP) stellte Steinmeier forderte die Bundes- sehen und wissen wollen, hätte fest, dass sich die föderale Struk- regierung, insbesondere Bundes- man auch sehen und wissen kön- tur im Bereich der Sicherheits- jugendministerin Dr. Kristina nen. Die Zivilgesellschaft und ins- politik nicht bewährt habe. Der Schröder, dazu auf, die Kürzun- besondere die Mitarbeiter der Rechtsstaat müsse effizienter gen der Mittel für zivilgesell- vielen Projekte gegen rechts gemacht werden, dabei aber schaftliche Gruppen, die sich wüssten offensichtlich mehr, als weiter dem Recht unterworfen teilweise auch unter Inkaufnah- der Verfassungsschutz je wusste. bleiben. Dazu gehöre, Geheim- me eigener Gefahren für Leib Künast forderte deren Unterstüt- dienstarbeit und Polizei getrennt und Leben gegen rechtsextreme zung und die Beseitigung von zu halten. Gewalt wenden, zurückzuneh- Hindernissen für ihre Arbeit, zu men und sie zu ermutigen, denen sie die Extremismusklausel (CDU/CSU) anstatt zu gängeln und unter und die Kofinanzierung von würdigte den gemeinsamen Ent- linksextremen Generalverdacht 50 % bei den Projekten zählte, schließungsantrag als Symbol zu stellen. die oft nicht aufgebracht werden dafür, dass es eine äußere Grenze könne. gebe, innerhalb derer man sich Bundesjustizministerin Sabine darin einig sei, dem Extremismus Leutheusser-Schnarrenberger Hermann Gröhe (CDU/CSU) entschieden entgegenzutreten. sprach sich dagegen aus, Gefähr- erinnerte daran, dass der ehe- Deshalb sei es unverständlich, dungen und Entwicklungen malige Staatssekretär Lutz Diwell eine parteipolitische Diskussion gegen die freiheitlich demokrati- im 2004 von der SPD geführten über linken und rechten Extre- sche Grundordnung gegenein- Bundesinnenministerium der mismus aufzumachen. Man sei ander auszuspielen. Die Struktu- Urheber eines Bekenntnisses zur sich darin einig, dass man rechts-

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extremistischen Tätern nur mit auch moderne Kommunikations- ihnen dabei begegnet werden der Stärkung des zivilgesell- methoden nutzen und es deshalb könne. schaftlichen Engagements erforderlich sei, darüber zu reden, begegnen könne. Dobrindt wies in welcher Weise sie sich des Quellen: BT-Drucksache 17/7771, darauf hin, dass die Extremisten Internets bemächtigten und wie Bundestagsprotokoll 17/141

Experten kritisieren Defizite in staatlicher Gegenwehr zum Rechtsextremismus

Bildungsexperten und Sozialwis- Der Soziologe Albert Scherr stell- im öffentlichen Diskurs drohe senschaftler äußern sich besorgt te fest, dass sich die Zuständig- angesichts moderner Kommuni- über die Defizite im präventiven keit für die Auseinandersetzung kationsformen entscheidend an Kampf gegen Rechtsextremismus mit der Problematik in den letz- Wirksamkeit zu verlieren. Ein und mahnen strukturelle Refor- ten zwei Jahrzehnten weitge- besonderes Gefahrenpotenzial men an. Ihnen geht es vor allem hend in den außerschulischen stellten im Internet geäußerte, um eine Thematisierung des Bereich verschoben habe. Hier nicht hinreichend geächtete anti- aktuellen Rechtsextremismus habe sich ein breites Spektrum semitische Äußerungen dar. Der und Rassismus und der Men- spezifischer Initiativen gebildet, wichtigste politische Träger des schenrechte an deutschen Schu- und es sei eine Fülle an Hand- manifesten Antisemitismus in len. Eva-Maria Stange, einstige lungsmethoden, Arbeitsmaterial Deutschland sei das rechtsextre- Vorsitzende der GEW und ehe- und Konzepten entstanden. Die me Lager; mehr als 90 % aller malige Wissenschaftsministerin Kehrseite dieser Entwicklung sei antisemitischen Straftaten wer- von Sachsen, forderte die Kultus- jedoch, dass sich der gesamte den von Tätern aus dem rechten ministerkonferenz dazu auf, das Kernbereich von Schule weit- Spektrum begangen. Ein weite- Thema dringend auf die Tages- gehend aus der Verantwortung rer Träger von Antisemitismus sei ordnung zu setzen. Zuvor schon für die Bearbeitung dieses Pro- inzwischen auch der extremisti- hatte der Deutsche Philologen- blems herausgezogen habe. sche Islamismus, wobei die weit- verband gefordert, dass die Schu- Auch sei die Finanzierung der gehend nicht offen agierenden len sich intensiver mit dem aktu- außerschulischen Jugendarbeit in islamistischen Gruppen sich ellen Neonazismus beschäftigen den vergangenen Jahren um gut hauptsächlich über moderne müssten. 20 % zurückgefahren worden. Kommunikationsmittel austau- Scherr wies zudem auf eine Lücke schen würden. Es sei dringend Der Präsident der Bundeszentrale in der Forschung hin. Zwar gebe notwendig zu untersuchen, ob für politische Bildung, Thomas es etliche bundesweite repräsen- durch diese Gruppen der Anti- Krüger, vermisst eine verlässliche tative Befragungen über Vor- semitismus Verbreitung finde. Finanzierung von Initiativen urteile in der Mitte der Gesell- Antisemitische Tendenzen wer- gegen rechts. Präventionsprojek- schaft, jedoch wisse man nichts den außerdem bei einzelnen Per- te müssten nachhaltig finanziert über die typischen Einstellungen sonen des linksextremistischen werden. von Lehrkräften. Lagers festgestellt, wobei sich diese Form des Antisemitismus Der Politikwissenschaftler Hans Im ersten Bericht des vom Deut- häufig hinter der Kritik an Israel Jaschke monierte, dass die Bil- schen Bundestag beauftragten verbirgt. dung an Schulen sehr stark auf „Unabhängigen Expertenkreises das Thema Drittes Reich und Antisemitismus“, der im Novem- Der Expertenkreis stellt fest, dass Nationalsozialismus fixiert sei. ber 2011 vorgelegt wurde, wird die gegen den Antisemitismus Dabei würden Kompetenzen für festgestellt, dass Vorurteile und unternommenen Maßnahmen das Leben in multikulturellen Klischees gegenüber Juden und weitgehend uneinheitlich und Gesellschaften und der Umgang dem Judentum in der deutschen unkoordiniert erfolgen würden. mit dem Fremden vernachlässigt. Mehrheitsgesellschaft in Teilen Es gebe kein einheitliches Ver- Die Lehrer seien zudem unzurei- tief verankert seien. Die bisher ständnis von Antisemitismus und chend ausgebildet für den päda- für die Bundesrepublik Deutsch- seiner Bekämpfung. Eine umfas- gogischen Umgang mit dem land geltende weitgehende sende Präventionsstrategie exis- Rechtsextremismus. Tabuisierung des Antisemitismus tiere nicht.

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Die Experten empfehlen, in eine liche Organisationen und Initiati- prävention sollten bekannter solche Strategie Justiz und Poli- ven sollten einen kontinuier- gemacht und verstetigt werden. zei, die staatliche Bildungspolitik, lichen Informationsaustausch Parteien, Kirchen, Sport und Ver- pflegen und gelungene Pro- Quellen: bildungsklick Nr. 81882, bände einzubeziehen. Staatliche gramme und Instrumentarien zu www.idw-online.de/pages/de/ Exekutivorgane und nichtstaat- Antisemitismus- und Vorurteils- news453774

Verbände-Kritik und -Forderungen zum Umgang mit Rechtsextremismus und Rassismus

Die von der neonazistischen Zelle des Ministeriums, in ihren ■ Vorbeugung, Erkennung und in Jena verübte Mordserie hat Reihen gebe es „Antidemo- Bekämpfung des Rechtsextre- zahlreiche Stellungnahmen zum kraten.“ mismus sind zentrale Forde- staatlichen und gesellschaft- ■ Das Kolpingwerk Deutschland rungen, die die Evangelische lichen Umgang mit den Ursachen forderte in einer Pressemittei- Jugend in Deutschland in ihrer und Erscheinungsformen rechts- lung vom 21. November 2011 Pressemitteilung vom 24. No- extremer Einstellungen und nicht nur eine Aufklärung vember 2011 formuliert hat. Gewalt provoziert, über die hier über die Rolle des Verfas- Die aej-Mitgliederversamm- in chronologischer Reihenfolge sungsschutzes gerade beim lung äußerte Wut und Trauer berichtet wird: Einsatz so genannter V-Leute, über die rechtsextremistische sondern auch die Organisa- Mordserie. Die Gefahr rechts- ■ Der Deutsche Bundesjugend- tion des Verfassungsschutzes extremistischer Tendenzen ring übte in einer Pressemit- in Bund und Ländern müsse werde von Verantwortlichen teilung vom 18. November auf den Prüfstand gestellt in Staat, Kirche, Politik und 2011 scharfe Kritik an Bundes- werden. Den rechts- und links- Gesellschaft seit Jahren über- jugendministerin Kristina extremistischen Taten liege sehen, unterschätzt, verleug- Schröder, deren Politik in eine ein auf Hass begründetes net oder verharmlost. Politik, völlig falsche Richtung laufe. Menschenbild zu Grunde, Kirche und Gesellschaft soll- Junge Menschen müssten für das sich gegen den Staat, sei- ten dazu beitragen, dass die die Gefahren von Rassismus ne Institutionen oder die hier Ächtung nazistischer, rassisti- und Nationalismus sensibili- lebenden Menschen richte. scher, antisemitischer und siert werden, und die Vermitt- Diesem Hass müsse mit politi- islamfeindlicher Gedanken, lung von demokratischen scher Bildung entgegengetre- Äußerungen und Aktivitäten Grundwerten gehöre zu den ten werden. Verbände und selbstverständlicher Konsens Grundpfeilern der Arbeit von ähnliche Träger politischer Bil- sein müsse. Bund, Länder und Jugendverbänden. Ihr Enga- dung seien so zu stärken, dass Kommunen sollten das ehren- gement ziele darauf, das sie ihrem Bildungsauftrag in amtliche und hauptberufliche demokratische Bewusstsein notwendigem Maße gerecht zivilgesellschaftliche Engage- und das Engagement junger werden könnten. ment für Demokratie und Menschen gegen Fremden- ■ Der Deutsche Gewerkschafts- Toleranz, gegen Rechtsextre- feindlichkeit zu stärken. Mit bund Hamburg forderte in mismus nachhaltig und dauer- der von ihm geforderten einer Pressemitteilung vom haft finanziell fördern. Zeit- Demokratieklausel stelle das 22. November 2011 eine Fest- lich befristete Projekte in Ministerium alle Initiativen schreibung der institutionel- diesem Bereich seien unzu- und Verbände unter General- len Förderung von politischer reichend. verdacht, insbesondere auch Bildung gegen Rechtsextre- ■ Der Vorsitzende des Bundes- jene, die sich gegen rechte mismus im Haushalt. Auch ausschusses politische Bildung Gewalt engagieren, so die eine Erhöhung der dafür zur (bap), Lothar Harles, forderte Vorsitzende des DBJR, Julia Verfügung gestellten Mittel in einer Erklärung vom 29. No- Böhnke. In diesem Bekennt- sei notwendig. Bislang wur- vember 2011 gründliche Auf- niszwang liege für viele Trä- den dafür aus Landesmitteln klärung und Information über ger der Jugend- und Präven- 40.000 Euro zur Verfügung Ursachen und Zusammenhän- tionsarbeit eine Unterstellung gestellt. ge rechtsextremer Entwicklun-

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gen und Aktivitäten. Er warn- werden. Harles beklagte in kratischen Gemeinwesens in te vor der Gefahr der Zerstö- diesem Zusammenhang die Deutschland seien. Der IB rung einer Gesellschaft, die bereits erfolgte und noch habe seit 2002 bundesweit auf der Achtung der Men- geplante Kürzung der Mittel Hunderte Projekte gegen schenrechte fuße, Gerechtig- für die Bundeszentrale für Rechts initiiert und dabei mehr keit sichere und demokrati- politische Bildung. als 20.000 Kindern, Jugend- sche Verfahrensweisen ■ Der Internationale Bund for- lichen und Erwachsenen die beachte, wenn sich demokra- derte in seiner Pressemittei- Grundwerte einer demo- tiefeindliche Ideologien, die lung vom 14. Dezember 2011 kratischen Gesellschaft ver- Fremdenfeindlichkeit oder ebenfalls einen Ausbau von mittelt. Vor allem im Rahmen Rassismus propagieren, durch- Angeboten in Schulen und der IB-Kampagne „Schwarz- setzen würden. Schule, Kindergärten und mehr Geld Rot-Bunt – Pro Demokratie Jugend- und Erwachsenen- für politische Bildung und und Akzeptanz“ seien viele bildung sollten noch inten- Projekte gegen rechte Gewalt. Initiativen gegen rechte Ideo- siver demokratische Grund- Politik dürfe nicht nach Kas- logie und rechte Gewalt ent- bildung betreiben, denn senlage entscheiden. Die wickelt worden. Die besten politische Bildung leiste hier deutliche Reduzierung der aktuellen Projekte sollen 2012 einen wichtigen Beitrag. Sie Finanzierung von Program- in Berlin prämiert werden. sei ganz nah an den Lebens- men gegen rechts und Semi- welten der Menschen und set- naren zur Demokratieerzie- Auch die Mitgliederversammlung ze dabei nicht auf Konfronta- hung sei falsch gewesen, des Arbeitskreises deutscher Bil- tion, sondern auf Dialog und kritisierte der Präsident des dungsstätten nahm in einer Erklä- Austausch. In dieser dramati- Internationalen Bundes, Bruno rung zu den rechtsextremen Ent- schen Situation sollten bun- W. Köbele. Besonders dras- wicklungen in Deutschland desweit alle gesellschaftlichen tisch seien die Kürzungen bei Stellung und forderte mehr Inves- Kräfte und finanziellen Res- den Seminaren zur politischen titionen in politische Bildung für sourcen für eine demokrati- Bildung ausgefallen, die Basis die Demokratie (s. dazu auch sche Gesellschaft mobilisiert zum Verständnis des demo- „Aus dem AdB“ in diesem Heft).

Opposition fordert, Mittelkürzungen bei der Bundeszentrale für politische Bildung zurück- zunehmen

Die SPD forderte in einem am gegen Rechtsextremismus sei. zentrale für politische Bildung zu 29. November 2011 veröffent- Politische Bildung könne zwar bekennen, diese zu stärken und lichten Antrag, die vom Deut- allein Rechtsextremismus und ihre inhaltliche Unabhängigkeit schen Bundestag beschlossenen Demokratieverdrossenheit nicht zu wahren, ein Anschlusspro- Kürzungen im Haushalt der beseitigen, leiste aber einen gramm für das bei der Bundes- Bundeszentrale für politische ungemein wichtigen Beitrag für zentrale angesiedelte Bundes- Bildung vor dem Hintergrund eine lebendige Demokratie. Der programm „Zusammenhalt durch der Geschehnisse um die Zwi- Antrag warnt zudem vor den Teilhabe“ sicherzustellen und ckauer Terrorzelle, der Wahl- dramatischen Auswirkungen der umgehend neue Richtlinien für erfolge der NPD, alltäglicher finanziellen Einschnitte, die nicht die Trägerförderung der bpb zu rechter Gewalttaten und der nur zur Einschränkung der Leis- erlassen, die die Fördersituation weiten Verbreitung rechtsextre- tungen der Bundeszentrale füh- der Träger verbessern und mistischer Einstellungsmuster ren würden, sondern auch zur Rechtssicherheit hinsichtlich der zurückzunehmen. Insgesamt Verringerung der Angebote der Umsatzsteuer schaffen sollten. 3,5 Millionen Euro weniger stün- bundesweit etwa 430 von der den für die inhaltliche Arbeit der Bundeszentrale geförderten Trä- und Monika Lazar, Bundeszentrale zur Verfügung, ger politischer Bildung. Die die im Kuratorium der Bundes- die unbestritten eine der wichtigs- Bundesregierung wird dazu auf- zentrale für politische Bildung ten Institutionen zur Demokra- gefordert, sich klar zur Aufgabe vertretenen Bundestagsabgeord- tieförderung und Präventions- der überparteilichen politischen neten der Fraktion BÜNDNIS arbeit unter anderem im Kampf Bildung und damit zur Bundes- 90/DIE GRÜNEN, wandten sich in

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einem Brief im Dezember gegen Planungssicherheit für die Bun- der Schuldenbremse genutzt die Kürzungen bei der politi- deszentrale und die Träger. würden, sondern nachweislich schen Bildung, die sie als eine direkt in den Topf für innere wichtige Zukunftsvorsorge für Dr. , Parl. Staats- Sicherheit geflossen seien, aus unsere Demokratie bezeichne- sekretär beim Bundesminister des dem auch die V-Männer bezahlt ten. Wer dem rechtsextremen Innern, hielt dem entgegen, dass würden. Mob den Nährboden entziehen der Haushalt 2012 in der voraus- wolle, müsse auch die politische gegangenen Woche verabschie- Dr. (FDP) warnte Bildung systematisch stärken. det worden sei. Er lege gern ein vor einer monokausalen Betrach- Die Kürzungen müssten schnellst- klares Bekenntnis zur politischen tung. Ein latenter Antisemitis- möglich zurückgenommen wer- Bildung im Allgemeinen und zur mus, der in Teilen der Bevölke- den, um die bundesweite Infra- Arbeit der Bundeszentrale für rung immer noch herrsche, sei struktur zu erhalten und die politische Bildung im Besonderen eben nicht durch mehr Förde- Arbeit der politischen Bildungs- ab, und auch der Anlass für diese rung an einzelnen Stellen zu träger vor Ort weiter aktiv för- Debatte treibe alle um. Aber es bekämpfen. Die Bürger erwar- dern zu können. sei daneben auch die Notwendig- teten, dass das Problem der keit der Haushaltskonsolidierung Haushaltsverschuldung gelöst Die SPD-Bundestagsfraktion zu beachten, der sich die Regie- werde. Wenn sich feststellen erinnerte daran, dass sowohl rung zu stellen habe. Auch in lasse, dass die Bundeszentrale das interfraktionelle Kuratorium der Regierungszeit von Rot-Grün für politische Bildung die zentra- der Bundeszentrale für politische sei der Titel von umgerechnet le Schaltstelle für die Bekämp- Bildung als auch der Wissen- 41 Mio. Euro auf 36,8 Mio. abge- fung des Rechtsextremismus sei, schaftliche Beirat dieser Behörde senkt worden. Bergner wandte werde man sich einer zusätz- einstimmige Beschlüsse gefasst sich gegen den im SPD-Antrag lichen Mittelaufwendung nicht hätten, die die Wichtigkeit der enthaltenen Vorschlag, die Höhe in den Weg stellen. Bundeszentrale für politische des Budgets der Bundeszentrale Bildung hervorheben und die für politische Bildung an die Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE Mittelkürzungen kategorisch Höhe des Budgets der partei- GRÜNEN) sprach sich für eine ablehnen. nahen Stiftungen zu koppeln. offensive Bekämpfung demo- Dies sei keine Frage, die die kratiefeindlicher Ideologien aus. Der SPD-Antrag wurde am Bundesregierung bei ihren Haus- Dazu sei ein Ausbau sämtlicher 1. Dezember 2011 im Deutschen haltsansätzen zu berücksichtigen präventiver Mittel notwendig. Bundestag debattiert. Daniela habe. Der Forderung nach einem Alle Oppositionsfraktionen hät- Kolbe (SPD) begründete die Anschlussprogramm für das Pro- ten in Anträgen gefordert, die Forderungen ihrer Fraktion und gramm „Zusammenhalt durch Mittelkürzungen zurückzuneh- klagte, dass trotz des einstimmi- Teilhabe“ stehe er hingegen auf- men. Es sei eine Frage des politi- gen Appells des Kuratoriums die geschlossen gegenüber, jedoch schen Willens, ob dies geschehe Koalitionsfraktionen nicht bereit sei es noch zu früh, um über die oder nicht. gewesen waren, die von ihnen Fortsetzung eines Programms zu beschlossenen Kürzungen der sprechen, das 2013 auslaufe. Zum (CDU/CSU) ver- bpb-Haushaltsmittel zurück- Erlass neuer Richtlinien für die wahrte sich gegen den Vorwurf, zunehmen. Sie habe gehofft, Trägerförderung der Bundes- die Bundesregierung hätte bei dass unter dem Eindruck der zentrale merkte er an, dass die der Extremismus-Bekämpfung rechtsextremistischen Morde neuen Richtlinien vorliegen und gespart. Man solle nicht den Ein- diese Fraktionen erkennen wür- man davon ausgehe, dass sie die druck erwecken, als könne man den, dass sie die Mittel für die rechtlichen Unsicherheiten bei Terroristen durch politische Bil- Bundeszentrale nicht in dieser der Umsatzsteuererhebung dung von ihren Taten abhalten. Weise kürzen könnten. Daniela beseitigen. Sie müssten aller- Politische Bildung sei Sensibili- Kolbe würdigte die Arbeit der dings noch mit den Ländern sierung der Öffentlichkeit. Bundeszentrale und der von ihr abgestimmt werden, die für den geförderten Träger, die ebenfalls Steuervollzug zuständig seien. Der Deutsche Bundestag wichtige Arbeit gegen den beschloss die Überweisung des Rechtsextremismus leisteten. Agnes Alpers (DIE LINKE) machte Antrags an den Innenausschuss Diese Aktivitäten seien durch geltend, dass die der Bundes- und den Ausschuss für Bildung, die beschlossenen Kürzungen zentrale gekürzten Mittel nicht Forschung und Technikfolgen- infrage gestellt. Sie forderte für die Einhaltung der Vorgaben abschätzung.

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Auch auf Landesebene wird die wegen der Einsparungen, die politische Bildung insgesamt politische Bildung von Sparmaß- auch den Verlust von Stellen zur gestärkt werden müsse und dazu nahmen bedrängt. Hier stellt sich Folge hatten, die Teilnehmer- auch die Ausstattung mit ausrei- die Situation aber unterschiedlich gebühren bei Veranstaltungen chenden finanziellen Mitteln dar. So muss die Landeszentrale deutlich erhöhen. Direktor Frick gehöre. für politische Bildung in Baden- äußerte die Hoffnung, dass die Württemberg mit einer Kürzung Landesregierung doch noch ein- In Mecklenburg-Vorpommern ihrer Mittel im Jahr 2012 rech- lenken werde. fand am 4. November 2011 in nen. In diesem Jahr feiert das Schwerin der vierte Jahreskon- Land seinen 60. Geburtstag. Dies In Nordrhein-Westfalen hat der gress zur politischen Bildung im ist ein Anlass, Jung und Alt dazu Landtagsausschuss für Schule und Lande statt. Im Mittelpunkt stand anzuregen, sich mit der Geschich- Weiterbildung am 12. Oktober die Frage, wie mehr Bürgerbetei- te des Landes zu beschäftigen 2011 die Bedeutung der schuli- ligung und mehr Demokratie und aktuelle Themen der Landes- schen und außerschulischen Bil- erreicht werden könnten und politik zu diskutieren. Das Land dung zum Thema einer öffent- welche Partizipationsmöglich- hat der Landeszentrale für diesen lichen Anhörung gemacht. Die keiten jenseits althergebrachter Zweck rund 208.000 Euro extra Grundlage waren zwei Anträge Beteiligungsformen über Par- bewilligt, damit sie Seminare zur Stärkung der politischen Bil- teien und Verbände sich anbie- und Ausstellungen ausrichten dung, die von den Fraktionen ten würden. In seinem Rahmen und viele andere Aktivitäten der FDP und von SPD und Bünd- fand zudem aus Anlass des 20jäh- realisieren kann. Im Zuge der nis 90/GRÜNE gestellt wurden. rigen Bestehens der Landeszen- Haushaltskonsolidierung soll Beide Antragsteller sehen die trale und der AG der freien Trä- der Landeszentrale aber auch kritische Aufarbeitung der natio- ger der politischen Bildung in ein erheblicher Betrag abge- nalsozialistischen Diktatur und Mecklenburg-Vorpommern eine zogen werden. Sie soll auf der DDR-Geschichte sowie die kleine Festveranstaltung statt. 200.000 Euro in ihrem Etat ver- Bekämpfung links- und rechts- Festredner war der ehemalige zichten. Alle Fraktionen haben extremer Tendenzen in der Direktor der Landeszentrale für sich gegen diese Pläne des Gesellschaft als Schwerpunkte politische Bildung Baden-Würt- Staatsministeriums ausgespro- der politischen Bildung und for- temberg, Dr. h.c. Siegfried Schie- chen, insbesondere die im Kura- dern vom Landtag, deren Umset- le, der in seiner Rede eindringlich torium der Landeszentrale ver- zung in Schulen zu fördern und auf die große, aber zumeist tretenen Landtagsabgeordneten. auszubauen. Der Ausschuss hatte unterschätzte Bedeutung der Dieses Kuratorium, dem daneben 15 Fragen zur Verbesserung der politischen Bildung aufmerksam auch Vertreter von Bildungsein- politischen Bildung innerhalb machte. richtungen und -Verbänden ange- oder außerhalb der Schule an hören, sprach sich einstimmig Experten gerichtet, in denen es Der neue Bildungsminister des gegen die Kürzungen aus. um Themen wie Radikalismus- Landes, Matthias Brotkorb, stell- prophylaxe, politische Partizi- te in seinem Grußwort eine Stär- Die seien keine Erfindung von pation, Verbesserung der Zusam- kung der politischen Bildung in Grün-Rot, sondern in den ver- menarbeit von Schulen und Mecklenburg-Vorpommern in gangenen 20 Jahren seien die Akteuren der außerschulischen Aussicht. Sachkosten der Landeszentrale Bildung sowie Vorschläge zum nominell bereits halbiert worden, Umgang mit Themen wie „NS- Quellen: BT-Drucksache 17/7943, sagte Lothar Frick, Direktor der Diktatur“ und „Geschichte der Bundestagsprotokoll 17/146, Landeszentrale, der darauf DDR“ ging. Die Sachverständigen Stuttgarter Nachrichten hinwies, dass schon heute nicht waren sich trotz unterschied- vom 21.12.2011, bap-News- alle Anfragen positiv beschieden licher Schwerpunktsetzung in letter 4/2011, Pressemitteilung werden könnten, weil Geld fehle. ihren Stellungnahmen in der zen- der LpB Mecklenburg-Vorpom- Die Landeszentrale musste tralen Forderung einig, dass die mern vom 08.11.2011

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Aus dem AdB

Was kann politische Bildung zur Gestaltung nachhaltiger Klimapolitik beitragen?

Das Jahresthema 2012 des werde als weiteres Ziel die Siche- auf 80 % erhöht werden könne. Arbeitskreises deutscher Bildungs- rung der Energieversorgung ver- Deutschland habe die Chance, stätten lautet: „Wachstum – folgt, dies auch vor dem Hinter- zur „Lokomotive“ für die erneu- Gerechtigkeit – Teilhabe – nach- grund, dass sich das Ende der erbaren Teile der Energiepolitik haltige Klimapolitik gestalten.“ Kohlevorräte ankündige und zu werden. Schon die zurzeit ver- Die Annäherung an dieses The- auch mit Blick auf die Ölvorräte fügbaren Techniken hätten das ma, das die Mitglieder des und den Atomausstieg mehr Potenzial, 40 %des Energie- Arbeitskreises deutscher Bil- erneuerbare Energiequellen verbrauchs einzusparen. Die dungsstätten im Jahr 2012 in erschlossen werden müssten. energetische Erneuerung von ihren eigenen Bildungsangebo- Schließlich gehe es auch darum, Gebäuden sei ebenso zu intensi- ten aufgreifen sollen, fand auf die inzwischen ständig steigen- vieren durch Förderung wie die der Jahrestagung statt, die der den Energiekosten zu begrenzen. Effizienzsteigerung der Energie- AdB vom 6. bis 7. Dezember 2011 Hier stelle sich vor allem die Fra- nutzung in Umwelt und Verkehr, in Haus Neuland, Bielefeld, ver- ge, ob mögliche Energieeinspa- was vor allem bei der Stadtpla- anstaltete. rungen mit der Preisentwicklung nung von Bedeutung sei. Schritt halten könnten und der Den Auftakt machte ein Referat Wettbewerb zwischen den Ener- Die Verfahren zur Nutzung von Dr. Stefan Thomas vom Wup- gieversorgern auch zu einer Ent- erneuerbarer Energien seien pertal Institut, der die Ziele und lastung bei den Preisen führen mittlerweile im Stadium der Herausforderungen der nationa- werde. In diesem Zusammenhang Marktreife. len Energiepolitik darstellte und verwies der Referent auf die Dis- auf die globalen Rahmenbedin- kussion über Perspektiven einer In seinem Resümee sprach sich gungen sowie aktuelle Entwick- möglichen Konjunkturentwick- Dr. Stefan Thomas für die Weiter- lungen in Wirtschaft und indus- lung durch Technologien, die entwicklung der erneuerbaren trieller Produktion einging. eine Erhöhung der Energieeffi- Energien aus und bezog sich hier Er wies auf die politische Ziel- zienz bewirken oder die Nutzung vor allem auf die Windenergie, setzung hin, nach der bis zum erneuerbarer Energien beför- aber auch auf den weiteren Aus- Jahr 2050 eine Treibhausgas- dern. bau von Photovoltaik, wobei es reduktion der Industrienationen hier darauf ankomme, den Strom von 80-95 % bis zum Jahr 2050 In seinen Ausführungen ging vom Land in die Stadt zu bringen, angestrebt werde, um einer wei- Dr. Stefan Thomas der Frage wo er gebraucht werde. Die Ziele teren Erhöhung der Erderwär- nach, ob die angestrebte Redu- der Energiepolitik seien ehrgei- mung entgegenzuwirken. Neben zierung der Treibhausemissionen zig, aber erreichbar. Allerdings diesen Zielen des Klimaschutzes auch tatsächlich erreichbar sei. sei nicht auszuschließen, dass sich Dass dies schwierig, aber gleich- das Gesetz zu erneuerbaren wohl machbar sei, wurde vor Energien in seiner bisherigen allem an den Bereichen Verkehr, Form als Bremse erweisen könne. Industrie und Landwirtschaft Deshalb sei die Notwendigkeit aufgezeigt. Energieeinsparung einer Nachjustierung der Ener- durch effektivere Formen der giepolitik zu prüfen. Energienutzung und erneuer- bare Energien seien die wichtigs- Im folgenden Vortrag von Profes- ten Faktoren für den Schutz des sor Dr. Roland Roth von der Klimas. Thomas verwies auf eine Hochschule Magdeburg-Stendal Studie, in der Perspektiven zum lag der Focus auf den Möglich- Verbrauch von Energien entwi- keiten der Bürger und Bürgerin- ckelt wurden. Auch das Energie- nen, sich gegenüber den Zumu- konzept der Bundesregierung tungen der Politik durch Proteste enthalte Ziele, wie beispielsweise und Initiativen zu wehren. Unter bei Gebäuden Energie eingespart der Themenstellung „Von der ©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten/Foto: Larissa Döring und der Anteil an erneuerbaren Protestbewegung zur Beteili- Dr. Stefan Thomas vom Wuppertal- Energien beim Verbrauch auf gungsdemokratie – Mitwirkung Institut bei seinem Referat 60 % und bei der Produktion von Bürgerinnen und Bürgern an

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Infrastrukturprojekten“ erläuter- Umsetzung und eine öffentliche de. Es müsse auch damit gerech- te Professor Roth die Bedeutung Debatte über Planungsalternati- net werden, dass Beteiligungs- von Bürgerinitiativen, die im ven bis hin zu Bürgerentscheiden. prozesse von Unternehmen Bereich der Umweltpolitik Alter- Allerdings werde eine frühzeitige gesteuert werden. Politische nativen zu den herrschenden Beteiligung bislang nirgendwo Bildung sei dazu aufgefordert, politischen Leitbildern entwickel- realisiert, sondern die Bürger/ sich an deliberativen Prozessen ten. Er erinnerte an die Zerstö- -innen würden erst einbezogen, zu beteiligen und sie zu beglei- rung von Städten durch ehemals wenn es eigentlich schon zu spät ten. dominierende Verkehrstrassen, sei. die zunächst ungehindert gebaut Diesen beiden Vorträgen schloss wurden. Erst durch die Proteste Roth erläuterte, was eine Betei- sich eine Podiumsdiskussion unter in den 70er/80er Jahren fand hier ligungskultur ausmacht: Sie Beteiligung der beiden Referen- ein Umdenken statt. Inzwischen braucht lokale Beteiligungs- ten, Rasmus Grobe von der Bewe- seien mehr Menschen in Bürger- agenturen zur Ansprache der gungsakademie in Verden/Aller initiativen aktiv als in Parteien. Bürger/Bürgerinnen und beteili- und Stephan Liening, Bundes- Formen unkonventionellen Han- gungsfreundliche Räume; die ministerium für Bildung und For- delns seien neben die parlamen- Bürgerforen sollen nicht nur der schung, unter der Moderation tarischen Formen politischer Entscheidungsfindung, sondern von Boris Brokmeier an. Sie ging Beteiligung getreten. Die Pro- auch der Meinungsbildung die- aus von der Frage nach der Bewer- duktivität dieser Kultur liege im nen; den Beteiligten muss deut- tung der Castor-Transporte, die Offenhalten von Alternativen zu lich werden, dass sie berücksich- unmittelbar vor dieser Veranstal- den Entscheidungen der Politik. tigt und ernst genommen tung unter starkem Protest durch Roth konstatierte, dass seit Mitte werden – Pseudobeteiligung Deutschland rollten. Rasmus Gro- der 60er Jahre die Kritik an einem wirkt hier kontraproduktiv. Nach be sah darin die Fortsetzung einer überzogenen repräsentativen wie vor werde jedoch nicht der Politik, die nicht als Auftakt für System wachse, und dieses Nach- Beteiligungsprozess prämiert, eine neue Ära überzeugen kön- kriegsmodell passiver Bürger- sondern der öffentliche Blick ne. Dem pflichteten auch Dr. Ste- schaft immer weniger Überzeu- richte sich auf die Entscheider. fan Thomas und Professor Roland gungskraft habe. Inzwischen sei Dabei werde die Produktivität Roth bei. Bislang sei eine neue die Hälfte der Bürger/-innen deliberativer Formen vernachläs- Kultur des Umgangs mit der Pro- bereit, gegen Projekte vorzuge- sigt, die ernst genommen wer- blematik, die nicht der alten hen, auch wenn diese formal den müsse. Roth warnte davor, Standortlogik folge, ausgeblie- korrekt zustande kamen. Deshalb dass der Privatisierungsdruck ben. Stephan Liening zeigte sich habe sich inzwischen die Erkennt- gegenüber bislang noch öffent- überrascht über die Vehemenz nis durchgesetzt, dass die früh- lichen Bereichen zunehme und der Proteste und verwies darauf, zeitige Beteiligung der Bürger damit Beteiligung erschwert wer- dass der Atommüll ja nun einmal und Bürgerinnen an sie betref- da sei und irgendwohin müsse. fenden Infrastrukturprojekten notwendig sei. Zu den Bedin- Die Runde diskutierte über die gungen einer gelingenden Möglichkeiten von Bürgerinitiati- Bürgerbeteiligung an Planungs- ven, sich die für Entscheidungs- prozessen gehöre die Ergebnis- findungen notwendigen Kennt- offenheit dieser Prozesse bis hin nisse zu verschaffen und in zu möglichem Verzicht auf das komplizierte Sachverhalte ein- Projekt. Außerdem brauche man zuarbeiten. Diese Fähigkeit sah Makler oder Gremien, die die Rasmus Grobe durchaus gege- Beteiligung organisieren und ben; es biete sich aber bei sehr moderieren. Es müsse ein Set von komplexen Zusammenhängen Beteiligungsmöglichkeiten auf an, Projekte auch mit Bildungs- den verschiedenen Ebenen mit angeboten zu verbinden. den dazu passenden Verfahren und Instrumentarien entwickelt ©Arbeitskreis deutscher Bildungs- Stephan Liening berichtete über stätten/Foto: Larissa Döring werden. Notwendig seien ferner die von der Bundesregierung ein- umfassende Informationen zur Prof. Dr. Roland Roth zu den Bedin- gerichtete Bürgerdialogreihe, die Schaffung von Transparenz, die gungen von Bürgerbeteiligung an ein Ergebnis der Koalitionsverein- Einbindung von Personen in die Planungsprozessen barungen sei. Sie habe vor allem

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Stefan Rostock von der Klima- ©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten/Foto: Larissa Döring initiative Germanwatch hatte in diesem Workshop zunächst die Arbeitsfelder von German- watch und Beispiele für Akti- vitäten vorgestellt. Hier ging es vor allem um die Verant- wortung von Unternehmen sowohl bei der Produktion wie bei den Lieferkosten, um Ernährungssicherung und Welthandel, um die deutsche, die europäische und die inter- nationale Klimapolitik, um Fragen der Finanzierung und um Bildung für nachhaltige Auf dem Podium von links nach rechts: Stephan Liening, Prof. Dr. Roland Entwicklung. Beispiele für Roth, Boris Brokmeier, Dr. Stefan Thomas und Rasmus Grobe Aktivitäten, in denen sich Ger- manwatch engagiert, sind die die Zukunftstechnologien zum von Beteiligung sei vor allem, Handyproduktion, der Anstieg Thema und solle den Bürgern die dass gemeinschaftliche Angele- der Meeresspiegel, Tempera- Möglichkeit bieten, ihre Ideen, genheiten zur eigenen Angele- turschwankungen und Treib- Sorgen und Erwartungen zu arti- genheit werden. Stephan Tho- hausemissionen. Für die politi- kulieren und mit Experten zu mas erinnerte daran, dass auch sche Bildung zum Thema besprechen, um sich eine Mei- die Industrie ein wichtiger Akteur Klimawandel stellte der nung bilden zu können. Diese sei, der einbezogen werden müs- Workshop fest, dass dieses Dialoge werden in Berichten se, um die Klimaschutzziele errei- Problem im Alltag nicht wahr- dokumentiert. Die Auswahl der chen zu können. Unternehmen genommen wird, weil man Gesprächspartner/-innen erfolgt müssten ebenso mitgenommen von den Schäden bislang noch über eine Agentur, die auf der werden wie die Bürger/-innen. nicht betroffen ist. Deshalb Grundlage von Telefonkontakten Roland Roth vertrat die Meinung, und weil der Eindruck besteht, eine repräsentative Gruppe dass die Bürgerinitiativen mehr dass der eigene Beitrag zur zusammenstellt. Allerdings zielen als staatlich finanzierte Träger an Verhinderung dieses Wandels diese Bürgerdialoge nicht auf die politischer Bildung bewirkt hät- marginal sei, entsteht Fata- Offenheit von Entscheidungs- ten. Er forderte eine Qualifizie- lismus. In der Vermittlung von prozessen oder die Zurücknahme rung für Active Citizenship. Die Inhalten in der politischen Bil- politischer Entscheidungen. Den- Qualitätssteigerung von Beteili- dung setzt man u. a. auf Satel- noch sind die an diesen Dialogen gungsprozessen könne eine litenbilder im Vergleich (zum Beteiligten mit Begeisterung wichtige Aufgabe für die Einrich- Beispiel beim Thema Über- dabei. Die Bürgerreporte kann tungen der politischen Bildung schwemmungen), auf Kurz- man auf der Homepage des sein. Dem stimmte auch Rasmus filme, Schulprojekte (zur Erör- BMBF abrufen. Stephan Liening Grobe zu, der als weitere Aufga- terung persönlicher und konzedierte aber auch, dass sol- be der politischen Bildung noch gesellschaftlicher Zukunfts- che Konsultationen keine echte die Differenzierung des Diskurses entwürfe) und Studiensemi- Beteiligung an Entscheidungen mit den Bürgern und Bürgerin- nare. Wichtig ist dabei das beinhalten, auch wenn die nen anmahnte. Andocken an Zielgruppen- Ergebnisse der Konsultationen erfahrungen, es bietet sich an, in Gremien potentieller Entschei- Am Folgetag wurden verschiede- den Klimawandel als Quer- dungsträger eingebracht wer- ne Aspekte des Jahresthemas in schnittsthema wahrzunehmen den. Roland Roth forderte, dass Workshops diskutiert, über deren und in andere Themen einzu- auch solche Konsultationen mehr Ergebnisse anschließend im Ple- beziehen (zum Beispiel Globa- Anerkennung finden müssten als num berichtet wurde: lisierung, arabischer Frühling, die Sichtbarmachung auf der Menschenrechte). Homepage und die Weiterlei- ■ WS 1: Klimapolitische Her- Weiterführende im Workshop tung von Gesprächsergebnissen ausforderungen für die po- entwickelte Perspektiven sind an bestimmte Gremien. Der Sinn litische Bildung die Profilbildung der Einrich-

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selbst sollte BNE stärker in die ©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten/Foto: Larissa Döring Arbeit der Kommissionen, der Geschäftsstelle, aber auch der Jugendbildungsreferent/-inn/- en einfließen.

■ WS 3: Energie selbstge- macht – Bildungsstätten werden Energieproduzen- ten Wie eine Reduzierung des Energieverbrauchs in Bil- dungsstätten erreicht werden kann, erläuterte Dr. Thomas Südbeck von der Historisch- Ökologischen Bildungsstätte Papenburg. Er empfahl, das Ziel der Energieeffizienz im Leitbild festzuschreiben und mit Bildungsangeboten in Verbindung zu bringen. Grundlage aller Bemühungen Die Diskussion wird während der Pause fortgesetzt um eigene nachhaltige Ener- gieerzeugung solle ein fun- tungen, die Suche nach neuen auch die von ihr erarbeiteten diertes Energie-Gutachten Kooperationspartnern, die Gestaltungskompetenzen bie- sein, von dem aus eine ganz- Ansprache von politischen ten Anknüpfungspunkte zum heitliche Umsetzung erfolgen Entscheidungsträgern und – Feld politischer Bildung. Zum könne. Wie Rasmus Grobe so eine Empfehlung – die Teil haben die Themen der und Thomas Grimm aus dem künftige Vertretung des AdB BNE bereits Eingang in die Workshop berichteten, seien in der Delegation von Ger- Angebote von Trägern politi- technisch ausgereifte Lösun- manwatch bei den Weltklima- scher Bildung gefunden. Es sei gen in der Praxis möglichen gipfeln. wichtig, konkrete Einstiege Innovationen vorzuziehen, und Anlässe zu finden (so bie- zumal hier auch der Weg das ■ WS 2: Das Prinzip Nachhal- tet sich beispielsweise der Ziel sei: Energieeffizienz müs- tigkeit in der politischen Strukturwandel in der Region se als kontinuierlicher Prozess Bildung als Aufhänger an), die Mitar- begriffen werden, für den Dr. Friedrun Erben, Evangeli- beiter und Mitarbeiterinnen permanent finanzielle Rück- sche Trägergruppe für gesell- für BNE zu qualifizieren, mit lagen zu bilden sind, der sich schaftspolitische Jugendbil- Akteur/-inn/-en von BNE zu aber auch angesichts rasant dung, führte in das Thema des kooperieren und BNE auch als steigender Energiepreise rela- Workshops ein, über dessen Querschnittsaufgabe in der tiv schnell rechnet. Der Work- Ergebnisse Andreas Kiesel- eigenen Arbeit zu verankern. shop empfahl, bei Investitio- bach berichtete. Die Teilnehmer/-innen des nen zur Effizienzsteigerung Sie gab eine Übersicht über Workshops waren sich darin des Energieverbrauchs einer die Genese des Lernfelds Bil- einig, dass Bildungsstätten Einrichtung gutachterliche dung für nachhaltige Entwick- über zahlreiche Ressourcen Beratung in Anspruch zu neh- lung (kurz BNE genannt), und und Methoden verfügen, die men, Rücklagen für notwen- verwies auf die drei Dimensio- auch für BNE zum Einsatz dige Instandsetzungen zu nen Ökologie, Ökonomie und kommen könnten. Allerdings bilden und die eigenen Soziales, die verdeutlichen, sei dabei auch wichtig, die Anstrengungen um nachhal- dass die Strategien der Nach- Nachhaltigkeit in den Häusern tige Energieversorgung mit haltigkeit nicht in separaten in allen Bereichen glaubwür- Bildungsangeboten zu ver- Dimensionen realisiert wer- dig und wahrnehmbar für die knüpfen. Im Workshop selbst den können. Sowohl die Teilnehmer und Teilnehmerin- war als Beispiel der Bildungs- Schlüsselthemen der BNE als nen zu organisieren. Im AdB ansatz „Klimalotse“ vorge-

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stellt worden. Hier geht es Verbraucher/-innen betreffe. Ihr um Schüler, die lernen, in der besonderer Dank galt Haus Neu- eigenen Schule Möglichkeiten land und seinen Mitarbeitern/Mit- der Energieeinsparung zu arbeiterinnen, die als gastgeben- prüfen. de Einrichtung zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen hat- Die Geschäftsführerin des ten. Gerühmt wurde hier vor Arbeitskreises deutscher Bil- allem der von Haus Neuland aus- dungsstätten, Ina Bielenberg, gerichtete Westfälische Abend, wies in ihrem Schlusswort darauf der nicht nur westfälische Lecke- hin, dass die Jahrestagung nicht reien bot, sondern auch kabaret- nur Anregungen für die Arbeit tistische Einblicke in das Leben der Mitgliedseinrichtungen westfälischer Regionen, an denen ©Arbeitskreis deutscher Bildungs- stätten/Foto: Larissa Döring geben sollte, sondern dass dieses Harald Meves von der Mitglieds- nächste Jahresthema auch alle in einrichtung Stätte der Begeg- AdB-Geschäftsführerin Ina Bielen- ihrem persönlichen Leben als nung großen Anteil hatte. berg beim Schlusswort

AdB-Mitgliederversammlung kritisierte Umgang mit Rechtsextremismus

Unmittelbar nach der Jahres- resthema 2012 – „Wachstum – tagung tagte die Mitglieder- Gerechtigkeit – Teilhabe. Nach- versammlung des Arbeitskreises haltige Klimapolitik gestalten“ – deutscher Bildungsstätten, die begründete und die Bedeu- vom 7. bis 8. Dezember 2011 tung des Themas für Politik ebenfalls in Haus Neuland, Biele- und politische Bildung erläu- feld, stattfand. terte. Diese nach einem kon- troversen Austausch verabschie- Gleich nach den einführenden dete Stellungnahme verweist Regularien und einer Vorstel- auf die aktuellen Anlässe, auf lung von Haus Neuland durch die ökologischen, politischen dessen Leiterin Ina Notteboom und ökonomischen Zusammen- ©Arbeitskreis deutscher Bildungs- stand die Diskussion einer hänge der Klimapolitik und stätten/Foto: Larissa Döring Stellungnahme an, mit der die benennt die Aufgaben, die der Freuten sich auf die Mitglieder: Mitgliederversammlung ihre politischen Bildung daraus Ulrich Ballhausen (links) und Peter Entscheidung für das AdB-Jah- erwachsen. Ogrzall vom AdB-Vorstand

Wachstum – Gerechtigkeit – Teilhabe. Nachhaltige Klimapolitik gestalten

Spätestens mit dem IPCC-Bericht (Intergovernmental Panel on Climate Change) von 2007 wurde der Klimawandel

gesellschaftlich wahrgenommen. Inzwischen ist unumstritten, dass Reduktionen des CO2-Ausstoßes um mindestens 20 % auf europäischer Ebene, bis 40 % auf Bundesebene notwendig sind. Das schwere Reaktorunglück von Fukushi- ma führte in der Bundesrepublik zu einem Ausstieg aus der Atomenergie. Um die Klimaziele zu erreichen, die Ener- gieversorgung ohne Atomenergie sicherzustellen und die Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit zu gewähr- leisten, sollen in Deutschland die regenerativen Energien auf 35 % bis 2020 ausgebaut werden. Nicht-fossile Energieträger wie Sonne, Windkraft oder Wasser leisten zwar mit inzwischen 20 % der Stromerzeugung einen er- heblichen Beitrag für die deutsche Energieversorgung, doch wollen sowohl Deutschland wie die Europäische Union die Anteile erneuerbarer Energien am Strommix weiter erhöhen, um so dem Prinzip von Nachhaltigkeit und Klima- schutz Geltung zu verschaffen. Dazu gehört auch eine Steigerung der Energieeffizienz um mindestens 20 % bis 2020 in Europa. Es ist abzusehen, dass die energiepolitische Wende zu tiefgreifenden Veränderungen bei Erzeugung, Versorgung und Preisentwicklung von Energie führen wird und politische Kontroversen um den einge- schlagenen Weg nicht ausbleiben werden. Diese Entwicklung sollte die politische Bildung aufgreifen, begleiten und kommentieren.

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Die deutsche Energieversorgung liegt heute zu großen Teilen in den Händen weniger großer Energieversorger. Die Zahl von Bürgerinnen und Bürgern sowie zivilgesellschaftlicher Akteure, die für eine verstärkte dezentrale Energie- versorgung durch viele kleine und größere sowie kommunale Unternehmen, Privathaushalte, aber auch durch gemeinschaftlich betriebene Anlagen wie z. B. Bürgerwindkraftanlagen plädieren, steigt. Sie wollen so den Bürge- rinnen und Bürgern mehr Mitwirkungs- und wirtschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen. Auch Auswahl und Entscheidung über Standorte neuer Energieanlagen sollen zukünftig verstärkt durch noch zu entwickelnde demo- kratisch legitimierte Verfahren der Bürgerbeteiligung vor allem im Vorfeld und am Anfang der Planungen erfolgen, um spätere – hochemotionale und kostenträchtige – Auseinandersetzungen zu verhindern. Da die deutsche Ener- giepolitik aber maßgeblich von der Bundesregierung bestimmt wird, bedürfte es einer bundespolitischen Initiative, um Veränderungen und mehr Bürgerbeteiligung herbeizuführen.

Politische Bildung greift aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf und fördert die Handlungs- und Partizipations- kompetenz der Bürgerinnen und Bürger durch vielfältige Bildungsangebote. Daher sind Initiierung, Begleitung und Moderation solcher Prozesse ihrem Wesen nach eine ureigene Aufgabe der politischen Bildung. Für diese Aufgabe muss sie die notwendigen Fördermittel erhalten.

Im Jahr 2012 liegt die Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung zwanzig Jahre zurück. Die Vereinten Nationen haben die Jahre 2005 bis 2014 zur Dekade der „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen und eine Vielzahl von Aktivitäten initiiert. Der AdB unterstützt das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung uneingeschränkt. Die Gerechtigkeit zwischen den Generationen, die Wahrung der Chancen aller jetzt und zukünftig lebenden Men- schen auf ein menschenwürdiges Leben und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen sind wichtige und berech- tigte Ziele, die auch in der politischen Bildung noch stärker thematisiert und berücksichtigt werden sollten.

Der AdB ruft daher seine Mitglieder auf, verstärkt Projekte und Bildungsangebote für eine nachhaltige Entwick- lung anzubieten, da diese sich im besonderen Maße dazu eignen, komplexe und globale Zusammenhänge zu ver- anschaulichen und mit den Teilnehmenden zu bearbeiten. Sie bieten auch Gelegenheit, die Kontroversen und poli- tischen Debatten über die Ursachen des Klimawandels und die besten Wege einer nachhaltigen Politik aufzugreifen und zusammen mit den Teilnehmenden unterschiedliche Sichtweisen zu diskutieren.

Beschluss der AdB-Mitgliederversammlung, Bielefeld, 7. Dezember 2011

Wie bei jeder Mitgliederversamm- über Entwicklungen in der Mit- Jugendbildung zuständigen lung wurde die Verbandsarbeit gliedschaft berichtet. In Gesprä- Referentin des Bundesministe- des letzten Jahres resümiert und chen mit der für die politische riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Julia Hiller, und Hanne Wurzel, Fachbereichs- leiterin Förderung bei der Bun- deszentrale für politische Bil- dung, hatten die Mitglieder Gelegenheit, Fragen nach der Entwicklung des Kinder- und Jugendplans und zu den jugend- politischen Schwerpunkten des BMFSFJ beziehungsweise zum vorerst unterbrochenen Prozess der Revision der Richtlinien der Bundeszentrale für politische Bil- dung und den dort bereits erfolg- ten und noch bevorstehenden Mittelkürzungen zu erörtern. Nachdem im laufenden Jahr ©Arbeitskreis deutscher Bildungs- bereits 1,55 Mio. Euro im Haus- stätten/Foto: Larissa Döring halt der Bundeszentrale für poli- Rückfragen und Kommentare durch die Mitglieder. Hier: Dr. Paul Ciupke, Bil- tische Bildung gestrichen wur- dungswerk der Humanistischen Union NRW den, von denen rund 550.000 die

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Trägerförderung betrafen, ist mit die Beteiligung an der Statistik der Mitgliederversammlung ange- der Fortsetzung dieser Kürzungen des Deutschen Instituts für nommen wurde, beschlossen die in den Folgejahren zu rechnen. Erwachsenenbildung und eine Mitglieder, die Entscheidung über Hanne Wurzel plädierte deshalb Erklärung zum Rechtsextremismus die weitere Beteiligung des AdB auch an die Anwesenden, sich bezogen. Während die für die an der Statistik um ein Jahr zu ver- neue Ressourcen zu erschließen. Implementierung von Gender tagen. Der vom Vorstand vorge- Mainstreaming einberufene legte Entwurf für eine Erklärung Die Mitgliederversammlung Steuerungsgruppe ihren Auftrag des AdB zu den Konsequenzen aus beschloss Anträge, die sich auf inzwischen als erfüllt ansah und den rechtsextremistischen Morden die künftige Handhabung von einen Vorschlag für die Weiter- wurde mit einigen Änderungsvor- Gender Mainstreaming im AdB, arbeit unterbreitet hatte, der von schlägen verabschiedet.

Menschen für die Demokratie gewinnen Erklärung des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten zum Rechtsextremismus

Die Mitglieder des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten (AdB) sind entsetzt über die bekannt gewordenen Mor- de und fassungslos darüber, dass sich rechtsextremistischer Terror über Jahre ungehindert in unserer Gesellschaft ausbreiten konnte. Es wurde deutlich, dass die Mörder nicht alleine handelten, sondern auf ein Netz von aktiven Unterstützern und schweigenden Duldern zurückgreifen konnten. Dabei konnte diese Entwicklung nicht wirklich überraschen. Fachleute und zivilgesellschaftliche Akteure haben seit langem auf die von verschiedenen Strategien rechtsextremer und nationalistischer Bewegungen ausgehenden Gefahren und auf die zahlreichen Straftaten hingewiesen. In der aktuellen Situation hat viele Bürgerinnen und Bürger aber darüber hinaus erschreckt, dass staatliche Organe wie der Verfassungsschutz, die eigentlich die demokratische Verfassung schützen sollten, augen- scheinlich eine zweifelhafte Rolle spielten. Eine solche Entwicklung ist nicht hinnehmbar. Deshalb brauchen wir die lückenlose Aufklärung und Bestrafung aller Täterinnen und Täter.

Unabhängig von den aktuellen rechtsterroristischen Verbrechen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass sich rechts- extreme Einstellungen nicht nur am Rande der Gesellschaft zeigen, sondern breite Schichten durchdringen. Faschis- tische, rechtsextremistische und menschenfeindliche Einstellungen stellen die Fundamente unseres demokratischen Systems in Frage und dürfen keine stillschweigende Akzeptanz in unserer Gesellschaft finden! Dringend notwendig sind wirkungsvolle Investitionen in Bildungsangebote und zivilgesellschaftliche Strukturen, um Menschen für die Demokratie zu gewinnen und ihnen die aktive Auseinandersetzung mit den historischen Bezügen, Errungenschaf- ten und Entwicklungspotenzialen unseres demokratischen Systems zu ermöglichen.

Dies genau ist die Kernaufgabe politischer Bildung, wie sie in den Bildungsstätten und Bildungswerken des AdB stattfindet. Orientiert an dem, was Menschen bewegt und unter den Nägeln brennt, bieten die Angebote politi- scher Bildung die Möglichkeit, Wissen zu erwerben, Einstellungen zu hinterfragen und Orientierung zu gewinnen. Politische Bildung regt Menschen an und qualifiziert sie, sich aktiv und friedlich für ihre Belange einzusetzen und Politik und Gesellschaft verantwortlich mitzugestalten. Damit leistet politische Bildung einen unverzichtbaren Bei- trag zur demokratischen Kultur.

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten fordert die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung auf, die Träger und Einrichtungen politischer Bildung bei ihrer wichtigen Arbeit zu unterstützen. Die Beauftragung von Verfassungs- schutzämtern mit politischer Bildung insbesondere von Jugendlichen, wie in mehreren Bundesländern geschehen, halten wir generell, vor allem aber vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse, für nicht hinnehmbar. Gebraucht werden weder kurzfristige Sonderprogramme noch symbolischer Aktionismus. Notwendig sind die nachhaltige För- derung und Stärkung von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Strukturen, die Rechtsextremismus und menschen- feindliche Ideologien bekämpfen und Menschen für die Demokratie begeistern.

Beschluss der AdB-Mitgliederversammlung, Bielefeld, 7. Dezember 2011

Die Mitgliederversammlung ■ Vogelsang ip I Internationaler ■ Bildungs- und Begegnungs- nahm vier Einrichtungen als neue Platz im Nationalpark Eifel, zentrum Schloß Trebnitz, Mitglieder in den Verband auf: Schleiden, Müncheberg/Brandenburg,

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■ Begegnungsstätte Schloss Auch der Vorstand wurde für die sammlung Birgit Ackermeier, Gollwitz, Brandenburg, und beiden nächsten Jahre gewählt Gesamteuropäisches Studien- ■ Willi-Eichler-Bildungswerk, (dazu s. die „Personalien“ in die- werk Vlotho, und Frank Bobran, Köln. sem Heft). Tagungshaus Bredbeck - Bil- Damit vertreten nun 109 Mitglie- dungsstätte des Landkreises der die im AdB organisierten Bil- Bestätigt als Kassenprüfer/-in Osterholz. dungsinstitutionen. wurden von der Mitgliederver-

©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten/Foto: Larissa Döring

Der neu gewählte AdB-Vorstand: Petra Tabakowic, Peter Ogrzall, Ulrike Steimann, Birgit Weidemann, Ulrich Ballhau- sen, Martin Kaiser, Udo Dittmann und Bettina Heinrich (von links nach rechts)

Deutschlandpolitische Bildungsarbeit vor 1989. Bericht über eine Tagung in Vlotho

Seit den Jubiläumsjahren 2009 klärenden) Zeitgeist in Stellung schen Erwachsenenbildung“ vor. und 2010 zum Ende der deut- zu bringen und einem abflauen- Sie zog eine Bilanz der politi- schen Teilung gibt es vielfältige den Interesse bei den Teilneh- schen Bildungsanstrengungen Bemühungen, die Erinnerung an mern, damit aber auch bei den seit 1990. Die Autoren Heidi die deutsch-deutsche Geschichte Bildungseinrichtungen ent- Behrens, Paul Ciupke und Nor- wachzuhalten – nicht zuletzt gegenzuwirken. Diese politisch- bert Reichling stellten in diesem unter der politischen Vorgabe, pädagogische Gemengelage Kontext den spezifischen Ansatz keine Ostalgie einreißen und das wurde in der Profession natürlich der außerschulischen politischen Bild der DDR-Vergangenheit als registriert und zum Thema Bildung heraus, die nicht auf Negativfolie für die strahlende gemacht. So legte das Bildungs- „eine harmonistische neue westdeutsche Erfolgsgeschichte werk der Humanistischen Union, Gesamterzählung deutscher weiter wirken zu lassen. Einschlä- das Mitglied im Arbeitskreis Nationalgeschichte, sondern gige Fördermaßnahmen zielen deutscher Bildungsstätten (AdB) vielmehr auf kontroverse, wissen- konkret darauf, die Bildungs- ist, bereits 2006 eine Studie zur schafts- und erfahrungsorientier- arbeit gegen den (in puncto DDR „Auseinandersetzung mit der te, gegenwarts- und zukunfts- angeblich nachsichtigen bis ver- DDR-Geschichte in der politi- bezogene Debatten“ setze

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(s. Praxis Politische Bildung 4/06, deutschen Verhältnisses bis zur arbeitskreis Arbeit und Leben S. 209). neuen Spannungsphase der 80er angesiedelt ist; Dr. Theo Mech- Jahre, die dann zur allgemeinen tenberg, der langjährige Leiter Das Bildungswerk der Humanisti- Überraschung in die Kapitulation des Vlothoer Studienwerks, stell- schen Union setzte gemeinsam des Ostblocks mündete. Faulen- te die Ost-West-Arbeit seiner Ein- mit dem AdB und der Bundes- bach erinnerte daran, dass die richtung vor; Boris Brokmeier stiftung zur Aufarbeitung der damalige Entwicklung die Akteu- brachte wichtige Stationen und SED-Diktatur eine solche Selbst- re in Politik, Öffentlichkeit und Trends der deutschlandpoliti- reflexion fort und veranstaltete Pädagogik gleichermaßen über- schen Bildungsarbeit im AdB der Anfang Oktober 2011 im raschte; es sei verfehlt, retrospek- 70er und 80er Jahre zur Sprache; Gesamteuropäischen Studien- tiv den gesamtdeutschen Bemü- Dr. Uwe Berndt, Dozent des Stu- werk Vlotho eine Tagung zum hungen, die durch die beiden dienhauses Wiesneck, referierte Thema: „Die SED-Diktatur und Pole Antikommunismus und über „Demokratieentwicklung in die deutsche Frage – Zur Ausein- nationale Frage bestimmt gewe- Zeiten des Ost-West-Konflikts“; andersetzung mit der deutschen sen seien, eine unmittelbar auf Dr. Andreas von Below brachte Teilung und der SED-Ideologie Wiedervereinigung hin orientier- den Blickwinkel einer politischen in der politischen Jugend- und te Zielstrebigkeit und Zuversicht Stiftung ein, er berichtete von der Erwachsenenbildung der Bundes- zu unterstellen. Selbstverständ- deutschlandpolitischen Bildungs- republik vor 1989“. Zentrales lich waren sie, wie Creuzberger arbeit der Konrad-Adenauer- Anliegen war es, in einem Exper- darlegte, auf Systemüberwin- Stiftung. Moderiert wurde die tenworkshop wissenschaftlich dung ausgerichtet. Die westdeut- Tagung von Dr. Paul Ciupke vom gestützte Erkenntnisse über die sche Republik habe sich durch Bildungswerk der Humanisti- Praxis deutschlandpolitischer Bil- eine klare Feindorientierung aus- schen Union. dung zusammenzutragen – dies gezeichnet, die nicht nur nach auch im Blick darauf, dass eine außen, sondern auch im Innern, Die Referate, aber auch die zahl- Reihe von pädagogischen Ansät- in politischer Kultur, Öffentlich- reichen Diskussionsbeiträge doku- zen und Institutionen mit der keit, Wissenschaft und Pädago- mentierten eine Breite und Viel- Wiedervereinigung ihr Ende gik, eine ideologische Formie- falt der Bildungsarbeit, wie sie in fand. Die Tagung, an der ein rung vorgenommen und so der jungen Bundesrepublik für breiter Kreis von Experten mit- Methoden gesteuerter Mei- die Institutionalisierung der heu- wirkte, diente sowohl der Selbst- nungsbildung eingesetzt habe, te so genannten „non-formalen“ vergewisserung von Leistungen wie man sie gerade dem Bolsche- Bildung typisch waren und – bis- und Defiziten der pädagogischen wismus als Merkmal seines „tota- lang – die Szene geprägt haben. Profession als auch der Ausein- litären“ Systemcharakters vor- Dabei galt das breite Spektrum andersetzung mit der deutschen warf. nicht nur für die pädagogischen Zeitgeschichte. Als Nebeneffekt Ansätze und Initiativen, es galt ergab sich ein Bezug zur aktuel- Die Konkretisierung hinsichtlich auch für die verschiedenen politi- len Diskussion über Wirkungs- der außerschulischen Bildungs- schen Strömungen. Es gab ja sei- forschung, denn der Rückblick szene, die aber seinerzeit zahl- nerzeit von links bis rechts Bemü- auf 40 Jahre Bildungsarbeit reiche Verbindungslinien zur hungen zu einer kritischen machte deutlich, dass sich erst Schule aufwies, leistete ein Kreis Auseinandersetzung mit der in der biographischen Reflexion von ausgewiesenen Experten: deutschen Zweistaatlichkeit Bildungswirkungen erschließen, Dr. Bernhard Schalhorn berichte- und mit der Behauptung des wenn auch nicht, wie oft te über die Arbeit der Ostakade- östlichen Marxismus-Leninismus, gewünscht, in ihrer „Effekt- mie Lüneburg, die damals eine das Erbe der Arbeiterbewegung stärke“ identifizieren lassen. prominente Rolle im Kreis der angetreten und den Sozialismus diversen Ostakademien spielte; in sein „real existierendes“ Sta- Die einführenden Beiträge Prof. Reinhard Rürup resümierte dium überführt zu haben. Ciupke der Wissenschaftler Dr. Stefan die studentische Bildungsarbeit wies darauf hin, dass die Tagung Creuzberger (Potsdam) und Prof. im Studienkreis für Ost-West- im Grunde nur auf einen Aus- Bernd Faulenbach (Bochum) skiz- Fragen in Vlotho und deren Ein- schnitt fokussiere. Sie habe die zierten die Grundlinien der west- flüsse auf die Weiterentwicklung freien Träger der politischen deutschen politischen Kultur vom der politischen Bildung; Dietrich Jugend- und Erwachsenenbil- Kalten Krieg der Nachkriegszeit Höper bilanzierte die Ost-West- dung, also die zivilgesellschaft- über die Entspannungsära und Arbeit der Heimvolkshochschule liche Seite, in den Mittelpunkt die Stabilisierung des deutsch- Jägerei Hustedt, die im Bundes- gerückt; staatliche Institutionen

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wie Bundeszentrale, Landeszen- mit dem System dort drüben bewegt und zugleich daran tralen, Ost-Kolleg oder Gesamt- erübrigte sich. Diese Schwarz- abarbeitet. Und sie zeigt, wie deutsches Institut müssten noch weißmalerei kam mit der Ent- ein günstiges förderungspoliti- untersucht und dargestellt wer- spannungspolitik der späten 60er sches Umfeld die Bildungspraxis den, hier fehlten bislang unab- Jahre – als sich u. a. im Westen beflügelt. Die Tagungsteilneh- hängige wissenschaftliche Unter- ein eigenständiger Marxismus mer in Vlotho erstaunte immer suchungen. bemerkbar machte – endgültig in wieder, welche guten Bedingun- die Krise. Neue Bemühungen gen deutschlandpolitische und Bei der Tagung wurde zugleich erhielten Auftrieb, ein objektive- verwandte Bildungsansätze in deutlich, dass es erstaunliche res Bild des anderen deutschen der Zeit des Ost-West-Gegensat- Gemeinsamkeiten in der Entwick- Staates zu zeichnen und ein „un- zes vorfanden; von einer privile- lung der Bildungsarbeit gab. So befangenes“ Verhältnis zu den gierten Situation und großzügi- dominierte in der Anfangszeit Menschen jenseits des Eisernen ger Förderung war die Rede. des Kalten Krieges ein undiffe- Vorhangs zu entwickeln. Im End- Das Erstaunen speiste sich auch renziertes Feindbild, das von der effekt, darauf machte Faulenbach daraus, dass momentan der poli- politischen Bildung nur anti- aufmerksam, führte dann die tischen Bildung in freier Träger- kommunistische Kampfansage, Kohl-Regierung die sozialliberale schaft der Wind kräftig ins teils, worauf Creuzberger hin- Deutschlandpolitik fort und legte Gesicht bläst. Von der Förderung wies, auch Einbeziehung in sub- so die Grundlage für eine Bil- der Pluralität kann die heutige versive und spionage-ähnliche dungsarbeit, die, über die politi- Bildungslandschaft nur träumen. Maßnahmen gegen den SED- schen Lager hinweg, von einem Wenn z. B. die Kürzungsbeschlüs- Staat verlangte. Schalhorn veran- neuen Paradigma bestimmt wur- se bei der Bundeszentrale für schaulichte dies an einer Veran- de: Begegnung, das Sich-Einlas- politische Bildung aufrechterhal- staltungsform, die zum Stereotyp sen auf die Lebensrealitäten im ten bleiben, ist im vereinigten wurde: Man versorgte die Teil- Osten, Dialog und Meinungsaus- Deutschland, so der Präsident der nehmer mit ein paar Informatio- tausch rückten in der Vorder- Bundeszentrale im Oktober 2011 nen darüber, dass in Westdeutsch- grund – ein Ansatz übrigens, der beim Runden Tisch, bald mit land die Freiheit regiere und die sich auch nach 1990 noch als einem „Ende der Bildungsarbeit DDR aus Unterdrückung bestehe, tragfähig erwies. in gesellschaftlicher Vielfalt“ zu fuhr dann an die innerdeutsche rechnen. Grenze, sah Grenztürme, Wacht- Diese Entwicklung zeigt, wie posten etc. und das Bildungsziel sich politische Bildung im Gleich- war erreicht. Weitere Befassung klang mit politischen Direktiven Bericht: Johannes Schillo

Kommission Europäische und Internationale Bildungsarbeit und Diversity

Die Kommission Europäische Den Schwerpunkt der Sitzung beteiligt ist. Herausgearbeitet und Internationale Bildungs- bildete ein Fachtag zum Thema wurde im Rahmen des Fachtags arbeit traf sich zu ihrer letzten diversitätsbewusste internationa- insbesondere die Frage nach den Sitzung vom 26.-28. September le Bildungsarbeit, der von Katrin Schnittmengen und Divergenzen 2011 in Bad Segeberg in der Gödecke (WannseeFORUM) und diversitätsorientierter Bildungs- neuen Jugendakademie Bad der externen Expertin Anne arbeit mit dem klassischen inter- Segeberg. Dementsprechend Sophie Winkelmann gestaltet kulturellen Lerndiskurs in der/für wurde der Besichtigung der wurde. Der Diversitätsansatz hat die politische/-n Bildung. Dieser neuen Akademie und dem sich über den Forscher-Praktiker- Lerndiskurs lässt sich für die Gespräch mit deren Leiter Dieter Dialog zur Internationalen Internationale Jugendarbeit kurz Fiesinger viel Raum gegeben. Jugendarbeit in den vergange- auf den Nenner der Erschließung Netterweise richtete die Akade- nen Jahren zu einem neuen und Berücksichtigung individuel- mieleitung den Kommissions- Ideengeber für diesen Bildungs- ler sozialräumlicher Zuordnungen mitgliedern einen Willkommens- bereich entwickelt und resultiert bringen, der über das (herkömm- abend aus, da es sich um die erste in mehreren Pilotinitiativen auf liche) Entdecken nationalkultu- Sitzung eines AdB-Gremiums im Bundesebene (JiVE und IKUS), reller Differenzen erheblich hin- neuen Haus handelte. an denen der IJAB federführend ausgehen kann, indem er ein

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essentielles Alltagsverständnis beteiligen. Einige Kommissions- nahme der Kommissionsvorsit- von „Kultur“ explizit thematisiert. mitglieder der zweiten Gruppe zenden an einer Study Visit nach Dieses Einbeziehen zusätzlicher äußerten vor diesem Hintergrund Tunesien) beschäftigt. Zudem Orientierungsräume ermöglicht, den Wunsch, künftig „freier“ an waren mehrere Kommissionsmit- den Blick der Begegnungen auf der Arbeit der Kommission mitzu- glieder intensiv an der Umsetzung jeweils individuell zu erschlie- wirken; es bestand aber Einigkeit der internationalen Programme ßende Konvergenzen wie auch darüber, dass die Kommissions- des Verbands beteiligt (eigene Divergenzen zu lenken und somit arbeit nicht auf ein Kernteam Begegnungen im deutsch-russi- in den Gruppen ein Bewusstsein reduziert werden darf, welches schen Jugendaustausch und Teil- für multiple Identitätskonstruk- die Arbeit stemmt, während nahme am Fachkräfteprogramm, tionen zu schaffen, das antidis- andere Mitglieder nur ad hoc und deutsch-chinesischer Austausch, kriminierend wirkt/wirken soll. interessengeleitet teilnehmen. deutsch-mongolischer Austausch). Eine stärkere öffentliche Platzie- Die Kommission hat ein Fachpro- Für die Kommission bedeutete rung der Fachtage würde beiden gramm mit Israel (für 2012) vor- der um viele Praxisbeispiele Anliegen entgegenkommen; dies bereitet. Zudem hat die Kommis- angereicherte Fachtag eine gute sollte von der künftigen Kommis- sion sich an der Diskussion über Gelegenheit, über die eigene sion unbedingt auf ihrer konsti- die Umsetzung des BMFSFJ-Eck- Praxis zu reflektieren und in tuierenden Sitzung besprochen punktepapiers Internationale einen intensiven Austausch zum werden. Als schwierig wurde von Jugendarbeit in Deutschland, Thema Diversität vor dem Hinter- einigen Teilnehmenden die Über- der immer wieder auftauchen- grund der höchst unterschied- lastung einiger Kolleg/-inn/-en den Visaproblematik sowie an lichen Grundbedingungen der wahrgenommen, die sich auch Überlegungen zur EU-Jugend- jeweiligen Bildungsarbeit der während der Sitzungen kaum auf strategie intensiv beteiligt. Kommissionsmitglieder zu tre- die Arbeit der Kommission kon- ten. Es bestand weitgehende zentrieren konnten. Dies freilich Die angenehme Arbeitsatmos- Einigkeit darüber, dass ein stärke- vor dem Hintergrund, dass die phäre, die große Bedeutung des rer Diversitätsbezug eine große Kommissionssitzungen jeweils zu gegenseitigen fachlichen Aus- Bereicherung für die jeweiligen einem Zeitpunkt stattfinden, der tauschs in der Kommission und Bildungsmaßnahmen bedeutet. kurz vor der Seminarwelle im der gute Umgang der Kolleginnen Insbesondere die Rolle von inter- Frühjahr und Herbst liegt. und Kollegen miteinander wurden nationalen Teams wurde hierbei vielfach als wichtig für die Kom- sehr kontrovers diskutiert. Die Die Mitglieder der Kommission missionsarbeit hervorgehoben. Frage, inwiefern Maßnahmen äußerten sich sehr zufrieden themenorientierter politischer über die Leitung durch die Kom- Als Themenspeicher für die künf- Bildung durch eine bewusste missionsvorsitzenden und das tige Kommissionsarbeit wurden Ausrichtung an Diversität päda- abgearbeitete Pensum, das mit u. a. genannt: verstärkte Mit- gogisch überhaupt noch be- und Ausnahme eines ausgefallenen arbeit im Forscher-Praktiker-Dia- erarbeitbar bleiben, konnte nicht Fachtages geschafft werden log; intensivere Zusammenarbeit abschließend geklärt werden. konnte. So hat sich die Kom- mit Jugend für Europa; politische mission Europäische und Inter- Bildung und Aktion; E-Learning Den zweiten Schwerpunkt der nationale Arbeit während der und internationale Jugendarbeit; Sitzung bildete der Rückblick auf zurückliegenden vier Jahre auf Fachsitzung mit Partnerorganisa- die vergangene Sitzungsperiode. Fachtagen und Fachsitzungen tionen/kommunalen/regionalen Eine statistische Auswertung der intensiv mit den Themenberei- Partnern; Rolle von Teams; Sitzungsbeteiligung ergab ein chen Menschenrechtsbildung, vertiefte Vorstellung der Arbeits- gegensätzliches Bild für zwei Tei- Qualität in der Internationalen schwerpunkte der Kommissions- le der Kommission: während die Jugendarbeit und Partizipation mitglieder; internationale Themen eine Hälfte der Mitglieder kon- Jugendlicher an der Programm- mit deutschen Teilnehmern/Ziel- stant und kontinuierlich in der gestaltung, Interkulturelles Ler- gruppen; deutsch-englische Sit- Kommission mitgearbeitet hat, nen und Interreligiöser Dialog, zung; Gemeinsame Fachkonfe- konnte die andere Hälfte sich aus Herausforderungen durch die renz; mehr Öffentlichkeitsarbeit individuell ganz unterschied- Entwicklungen in Nordafrika in der Fachöffentlichkeit. lichen und auch nachvollzieh- (Projektvorschlag an den IJAB baren Gründen zeitlich nur selten und das Auswärtige Amt, Teil- Bericht: Georg Pirker

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Jubiläen von Bildungsstätten im AdB

Die Arbeitsbedingungen von wort die Entwicklung des ihren 60. Geburtstag und zwar Bildungseinrichtungen in freier Westerwaldes in den letzten im Jugendhof Vlotho, dessen Trägerschaft haben sich seit Jahrzehnten und die Bedeu- ehemaligem Leiter Werner geraumer Zeit kontinuierlich tung der Europäischen Union Rietz sie ihre Gründung ver- verschlechtert. Deshalb ist es für die heimische Wirtschaft. dankt. AdB-Geschäftsführerin umso erfreulicher, wenn Jubiläen Ina Bielenberg nahm an der gefeiert werden, die zeigen, dass Ramesh Jaura, Präsident des Jubiläumsveranstaltung teil, die betreffenden Institutionen Global Cooperation Council, auf der Harald Meves, der Lei- sich auch in schwierigeren Zeiten Berlin, erinnerte an die Ver- ter der Stätte, zusammen mit behaupten konnten. Im Arbeits- antwortung der Europäischen der Vorsitzenden des Träger- kreis deutscher Bildungsstätten Union in der Welt und hob die vereins, Heide Blunk, zahlrei- haben wiederum einige Bildungs- Bedeutung der Bad Marien- che Gäste begrüßen konnte. stätten runde Geburtstage berger Bildungsarbeit hervor. Die Glückwünsche der Landes- gefeiert. regierung überbrachte die Ministerpräsident Kurt Beck nordrhein-westfälische Minis- ■ Zu den ältesten Einrichtungen lobte in seiner Festansprache terin für Familie, Kinder, und den Gründungsmitglie- ebenfalls die Arbeit des Europa- Jugend, Kultur und Sport, dern des AdB gehört das Hauses, das sich in schwierigen Ute Schäfer. „Ihr Haus ist eine Europa-Haus Marienberg, Zeiten gut behauptet habe. feste Größe in der Bildungs- das am 19. Oktober 2011 im Sein Vortrag befasste sich mit arbeit nicht nur in Vlotho, Beisein von rund 120 Gästen Anfängen und aktueller Ent- sondern auch in Nordrhein- aus Politik, Wirtschaft und wicklung in der EU. Dabei Westfalen“, lobte die Minis- Wissenschaft, darunter der setzte er sich besonders kri- terin die Arbeit der Stätte rheinland-pfälzische Minister- tisch mit dem britischen Nein der Begegnung und hob die präsident Kurt Beck, seinen zu den Währungsbeschlüssen Bedeutung von Bildung auch 60. Geburtstag feierte. Jürgen auseinander. außerhalb von Schule und Schmidt, seit 15 Jahren Vorsit- Hochschule hervor. Festredner zender des Stiftungsvorstands, Die Glückwünsche des Arbeits- Prof. Dr. Hilmar Peter, Biele- würdigte in seiner Begrüßung kreises deutscher Bildungs- feld, machte in seinen Ausfüh- die Überlebensfähigkeit des stätten überbrachte Boris rungen an verschiedenen Bei- Europahauses: „Das Stamm- Brokmeier, stellvertretender spielen deutlich, dass Bildung haus aller Europa-Häuser und AdB-Geschäftsführer. immer im gesellschaftlichen Europäischen Akademien hat Kontext stattfindet und eine versucht, seiner besonderen Im Rahmen des Jubiläums Bildungsdiskussion nicht los- Verantwortung immer gerecht wurde der langjährige Leiter gelöst von der politischen und zu werden. (…) 60 Jahre Bil- des Europa-Hauses, Burkhardt sozialen Situation geführt dungsarbeit für Europa – das Siebert, mit Dank und Applaus werden kann. Hilmar Peter, geht nicht ohne Höhen und verabschiedet. Sein erfolgrei- als ehemaliger Leiter des Tiefen, die wir auch in unse- ches Wirken für das Haus wür- etwas älteren Jugendhofs rem Haus erlebt haben. Ent- digte der Vorstandsvorsitzen- Vlotho als früherer Nachbar scheidend aber ist, dass wir de Jürgen Schmidt in einer der Stätte der Begegnung alle Krisen überwunden haben Lobrede, in der er die vielen verbunden, war nur einer und daraus gestärkt hervor- Ehrenämter und Lehraufträge von zahlreichen einstigen gegangen sind.“ Das Europa- Sieberts hervorhob, der seine und heutigen Kolleginnen Haus Marienberg erlebe in Kenntnisse und Erfahrungen und Kollegen aus den Vlo- schwerer Zeit seit über zehn in beratender Funktion wei- thoer Bildungseinrichtungen Jahren einen Aufschwung terhin zur Verfügung stellen Jugendhof Vlotho, Gesamt- sondergleichen und könne wird. europäisches Studienwerk beeindruckende Zahlen vor- Quelle: Wäller Blättchen, und Arbeitskreis Entwicklungs- legen, so Schmidt. Nr. 1/2012 politik, die an der Veranstal- tung teilnahmen und die gute Landrat Achim Schwickert ■ Auch die Stätte der Begeg- Kooperation und Vernetzung unterstrich in seinem Gruß- nung feierte im Oktober 2012 zwischen den verschiedenen

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Institutionen in Vlotho unter- es seinen Geburtstag mit einer dem Inkrafttreten des Weiter- strichen. Feier im Essener Kulturzentrum bildungsgesetzes NRW Grend. Kooperationspartner, Gesprächskreise in Justizvoll- Die Stätte der Begegnung Förderer und Trägervereins- zugsanstalten gegründet und besteht aus drei miteinander mitglieder sowie Mitarbeiter/ bürgerrechtliche Aufklärungs- kooperierenden Weiterbil- -innen fanden sich aus diesem veranstaltungen durchgeführt dungseinrichtungen, deren Anlass zusammen. Die Vorsit- und 1973 eine erste staatliche Angebote sich an Jugendliche zende des Trägervereins, Anerkennung erlangt hatte. und junge Erwachsene, an Dr. Mathilde Jamin, hob in Das Bildungswerk wird seit Frauen, Männer und Familien, ihrer Begrüßung die Überle- 1978 hauptberuflich geleitet, an ältere Menschen im Ruhe- bensfähigkeit des Bildungs- expandierte Anfang der 80er stand und Erwerbstätige in werks durch Spezialisierung Jahre stark im gesamten Ruhr- sozialen und anderen Arbeits- und Kooperation hervor: Es gebiet und ist seit den 90er feldern richten. Schwerpunkte sei den Mitarbeiter-/inne/-n Jahren auch bundesweit der Seminare und Projekte gelungen, auch in schwierigen präsent. Programmschwer- sind politische Bildung, Quali- Phasen immer wieder innova- punkte wurden Zeitgeschich- fizierung für bürgerschaft- tiv Felder zu besetzen und te, Einwanderungsgesellschaft liches Engagement sowie starke Partner zu finden. In und – nach der Fusion mit dem Eltern- und Familienbildung. einer kurzen Ansprache fragte Hannah-Arendt-Bildungswerk der zweite Vorsitzende, Heinz 2005 – Fragen der Medien- Leiter Harald Meves, der sich H. Meyer, nach den Zukunfts- kompetenz; Bürger- und Men- inzwischen auch als Kabaret- aussichten eines „kleinen schenrechte blieben orientie- tist einen Namen gemacht Fachgeschäftes für politische rende Wegmarken. Eine hat, engagiert sich im Arbeits- Bildung“ und sah diese einer- „wissenschaftlich-pädagogi- kreis deutscher Bildungsstät- seits in einer dem Medien- sche Arbeitsstelle“ des Bil- ten vor allem in der Kommis- geschwätz ausweichenden dungswerks engagiert sich sion Erwachsenenbildung. Sachkompetenz und ande- seit 1998 in vielfältigen rerseits in der Verbindung Modell-, Fortbildungs- und Quelle: Vlothoer Zeitung politischer Bildung mit künst- Rechercheprojekten. Im vom 15.10.2011 lerisch-kreativen Elementen Arbeitskreis deutscher Bil- gegeben. dungsstätten wird das Bil- ■ Im Vergleich zu den beiden dungswerk durch Dr. Paul erstgenannten Bildungsstät- Das Bildungswerk verdankt Ciupke vertreten, der sich als ten ist das Bildungswerk seine Entstehung ehrenamt- vom AdB-Vorstand benannter der Humanistischen Union lichem Engagement von Herausgeber auch für die Zeit- NRW e. V. mit 40 Jahren von Angehörigen der Bürgerrechts- schrift „Außerschulische Bil- fast noch jugendlichem Alter. organisation „Humanistische dung“ engagiert. Am 2. Dezember 2011 beging Union“, die schon lange vor Bericht: Norbert Reichling

Heimvolkshochschule Alte Molkerei Frille schloss zum Jahresende

Die Alte Molkerei Frille war Wie die Mitarbeiter und Mit- auf Bundes- und Landesebene über 30 Jahre lang ein fester arbeiterinnen berichteten, ist seit einigen Jahren befand. Ein- Bestandteil der Bildungsland- der schwere Entschluss zur Schlie- sparungsmöglichkeiten wurden schaft und gehörte zu den ßung der Einrichtung das Ergeb- zwar genutzt, Projektmittel Mitgliedseinrichtungen des nis langer Überlegungen und akquiriert, jedoch ging dies Arbeitskreises deutscher Bil- eines intensiven Austausches nicht nur mit einer starken Mehr- dungsstätten, die sich in zahl- mit dem Vorstand und den Mit- belastung des Personals einher, reichen Feldern der Verbands- gliedern des Trägervereins. Als sondern reichte nicht aus, um arbeit engagieren. Ende des Grund wurde die schwierige die entstandenen Finanzierungs- Jahres 2001 schloss die Einrich- finanzielle Situation genannt, lücken zu füllen. So kam es immer tung ihre Pforten. Das Haus steht in der sich die Einrichtung nach wieder zu Liquiditätsengpässen, inzwischen zum Verkauf an. der Kürzung von Fördermitteln was die Arbeitsmöglichkeiten

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massiv einschränkte. Das Team Die Alte Molkerei Frille begann gik, Partizipation und Demokratie- der Alten Molkerei Frille hat eine vor mehr als 30 Jahren zunächst entwicklung in der Einwande- Zeitlang diesen finanziellen Not- schwerpunktmäßig mit der Bil- rungsgesellschaft, Konstruktive stand und damit verbundene dungsarbeit von arbeitslosen und Konfliktbewältigung, Fragen ethi- Unsicherheiten ausgehalten, war bildungsfernen Jugendlichen. Sie schen Handelns und Gestaltung es aber schließlich leid, weiter profilierte sich bald mit der Ent- von Erziehungs- und Bildungs- auf dünnem Eis zu agieren, wicklung von Konzepten der prozessen waren zuletzt die zumal sich die gesundheitlichen Mädchen-/Frauenbildung, Schwerpunkte der Bildungspraxis. Belastungen mehrten. Man sah geschlechtergerechter Arbeit Die Fachlichkeit der alten Molke- für die Einrichtung und für das und Angeboten zur Umsetzung rei Frille wird nicht nur im Arbeits- Bildungsprofil keine angemes- von Gender Mainstreaming. kreis deutscher Bildungsstätten, sene Basis mehr, die verantwort- Gesellschaftspolitische Themen sondern auch der außerschuli- bar erschien. wie Geschlechtsbezogene Pädago- schen politischen Bildung fehlen.

Dritter Demokratiekongress der KAS debattierte über politische Bildung im digitalen Zeitalter

Es war nun schon der dritte massiv beeinflusst, wie das Inter- Das Internet fördere mit seinen Demokratiekongress, den die net. Mit dem Einzug der digitalen großen Chancen Strukturen der Konrad-Adenauer-Stiftung Ende Medien erlebe die Menschheit Kommunikation und des Zusam- November 2011 in Berlin-Adlers- eine ebenso große Kommunika- menhalts, aber es bewirke auch hof veranstaltete. „Digitale tionsrevolution, wie sie seinerzeit eine Beschleunigung aller All- (Un)Kultur und Demokratie“ war mit der Erfindung des Buchdrucks tagsabläufe. Das Netz mache sein Thema, das rund 500 Perso- stattgefunden habe. In der Digi- zudem viele Informationen ober- nen nach Adlershof zog. Es war talisierung liege für die Politik flächlicher. Man habe weniger das Ziel des Veranstalters – die wie für die Politische Bildung Zeit und Gelegenheit, sich mit Abteilung Politische Bildung bei nicht nur eine neue Herausforde- den Dingen tatsächlich zu befas- der Konrad-Adenauer-Stiftung rung, sondern vor allem die sen. Die große Herausforderung unter der Leitung von Dr. Mela- Chance der Teilhabe, für die für alle Beteiligten bestehe darin, nie Piepenschneider hatte hier jedoch auch für alle die techni- die Vielzahl der Informationen, die Federführung – die Auswir- schen Voraussetzungen zu schaf- die man aus dem Internet bekom- kungen des Internets auf Politik, fen seien. me, auch richtig einzuordnen. Medien und Politische Bildung Die politischen Stiftungen hätten zu thematisieren und darüber Bundesinnenminister Dr. Hans- im Zeitalter der Digitalisierung zu diskutieren, wie auf die Digi- Peter Friedrich hatte sodann die Aufgabe, die Kompetenz zur talisierung zu reagieren und wo Gelegenheit, seine Erwartungen Einordnung von Informationen Handlungsbedarf festzustellen an die politische Bildung im digi- zu vermitteln und damit die sei. talen Zeitalter zu formulieren. Er Rückbindung des Digitalisierten bezeichnete es, auch mit Bezug an das Analoge herzustellen. Dr. Hans-Gert Pöttering, MdEP auf die kurz zuvor bekannt und Vorsitzender der Konrad- gewordenen neonazistischen Den Fachimpuls zum Thema der Adenauer-Stiftung, wies in seiner Morde, als vordringliche Aufgabe Veranstaltung gab der amerika- Begrüßung auf die Symbolkraft der politischen Bildung zu erklä- nische Wissenschaftler Jeff Jarvis des Ortes hin, an dem der Kon- ren, was Freiheit bedeute, Frei- von der City University New York, gress stattfand. Adlershof sei heit schätzen zu lernen und der sich für eine neue Form der Deutschlands modernster und klarzumachen, dass Freiheit Vor- Öffentlichkeit im Netz stark größter Technologie- und Grün- aussetzung dafür sei, dass der machte. Notwendig dafür seien derpark und deshalb besonders Einzelne sich als Persönlichkeit Aufgeschlossenheit und ein Los- zur Erörterung des Themas entfalten könne. Freiheit als Ziel lassen altbekannter Denkmuster geeignet. Seit der Entwicklung der politischen Bildung und die und Strukturen. Jeder Akt der der Schrift habe kein anderes Wertschätzung der Freiheit seien Zensur, Intransparenz oder Zen- Medium das Leben der Menschen die Grundlagen für unsere Demo- tralisierung müsse bekämpft wer- über alle Grenzen hinweg so kratie und unseren Rechtsstaat. den. Das Internet sei dafür da,

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Wissen zu teilen und Informatio- Forum II befasste sich mit den gegenüber digitalen Möglichkei- nen nutzbar zu machen. Wissen Auswirkungen der Digitalisie- ten und würden sich gegen sei durch das Internet – wie vor rung auf die politische Bildung. Neuerungen „wehren“. Es sei der Zeit von Gutenberg – wieder im Unterricht nicht normal, Infor- zum von Link zu Link weiter- Didaktik-Professorin Anja Besand mationen von außen zuzulassen, gegebenen Prozess geworden, von der TU Dresden forderte da dies die Autorität des Lehrers der keinen Anfang und kein mehr Mut im Umgang mit neuen in Frage stelle. Ende kenne, während es durch Medien. Die Träger der politi- die Erfindung von Gutenberg für schen Bildung hätten noch zu Kurt Edler, Vorsitzender der lange Zeit zum Produkt wurde. viel Angst vor humorvollen und Deutschen Gesellschaft für niederschwelligen Angeboten, Demokratiepädagogik, nannte Anschließend wurde in drei ver- bei denen Nutzer im offenen Dia- als Kernzielgruppe der politi- schiedenen Foren über die Aus- log ihre Meinung sagen dürften. schen Bildung Kinder- und wirkungen der Digitalisierung Die Träger müssten vor dem Start Jugendliche im Alter von 13 bis auf Politik, politische Bildung eines interaktiven Portals beach- 18 Jahren. Den Einsatz von und Medien diskutiert. ten, dass dies nicht kostengünstig immer mehr neuen Medien werde. Die Betreuung der Seiten- lehnte er ab. Primär müsse es Forum I des KAS-Demokratie- aktivitäten sei „pflegeintensiv“. um Werte und die „Einarbeitung kongresses beschäftigte sich mit Da die Bürgerinnen und Bürger demokratischer Praxis“ gehen. der Auswirkung der Digitalisie- verstärkt nach direkter Beteili- rung auf die Politik. Während gung und mehr Transparenz im Forum III stellte die Auswirkungen Dr. Stephan Eisel, Projektleiter politischen Geschehen verlangen, der Digitalisierung auf die Medien für Internet und Demokratie bei müsse der Kanal der digitalen in den Mittelpunkt. Dazu disku- der Konrad-Adenauer-Stiftung, Medien intensiver genutzt wer- tierten der Kommunikationswis- keinen grundlegenden Wandel den, sagte Jutta Croll, Geschäfts- senschaftler Wolfgang Donsbach der Demokratie durch das Inter- führerin der Stiftung Digitale und Donata Hopfen, Geschäfts- net sah, das an sich kein neues Chancen. Bildungsangebote im führerin von Bild Digital. Politikinteresse schaffe, forderte Netz dürften jedoch nicht zu Martin Delius von der Piraten- textlastig sein, sondern müssten Donsbach wies darauf hin, dass partei mehr Angebote, um das durch Grafiken und Videos auf- die Menschen mit Hilfe des Inter- Internet für die Demokratie zu gelockert werden. Zudem sei nets partizipativer würden und nutzen. Dass Parteimitglieder eine einfache Bedienung not- einfacher miteinander kommuni- online über Wahl- und Partei- wendig. Thorsten Schilling, Leiter zierten. Damit einher gehe aller- programme diskutieren können, des Fachbereichs Multimedia und dings auch die Befürchtung, dass ginge nur im Internet, nicht mit IT der Bundeszentrale für politi- sie sich eher zurückziehen und Papier. Das Internet habe Bürger- sche Bildung, plädierte dafür, weniger die Öffentlichkeit such- nähe einfacher gemacht, fand dass die Träger einen Teil der ten. Durch die Sozialen Medien Dr. , CDU-Bundes- Programmverantwortung und werde jeder zum Journalisten, tagsabgeordneter und Mitglied Kontrolle ihrer Online-Medien weshalb keine Presse und Verla- der Enquete-Kommission „Inter- schrittweise an die Nutzer abge- ge mehr gebraucht würden. Das net und digitale Gesellschaft“, ben. Da alle Träger der politi- bedeute aber, dass öffentliche der ohne Umweg über Journali- schen Bildung bei Format-Ent- Kommunikation weniger Validi- sten heute über soziale Netzwer- wicklungen für das Web am tät erhalte und weniger profes- ke direkt zu den Bürgern und Anfang stehen, forderte Schil- sionell sei. Bürgerinnen sprechen kann. ling eine bessere Vernetzung Damit erreiche er auch diejeni- bereits existierender Plattfor- Zur Rolle des Journalisten im gen, die sich sonst nicht für Poli- men. Die Konzepte und Ideen Web 2.0 wurde angeführt, dass tik interessieren. Auch Manuel dieser Portale müssten veröffent- der Zeitungsjournalist inzwischen Höferlin, Bundestagsabgeordne- licht und zugänglich gemacht schnell arbeiten muss, interaktiv ter und Vorsitzender des Inter- werden. und technisch versiert. Markus net-Landesverbandes der FDP, Hesselmann, der beim Tages- stellte fest, dass die Menschen Ausführlich widmete sich das spiegel für den Online-Bereich heute eher auf ihn zugehen, weil Forum der schulischen Bildung. zuständig ist, berichtete aber sie mehr als früher über ihn und Viele Lehrerinnen und Lehrer auch, dass der Leserschaft des seine Aktivitäten informiert sind. seien immer noch „resistent“ Tagesspiegels Qualität immer

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noch wesentlich wichtiger sei schätzen. Das Internet biete die Zur Perspektive des Medienkon- als Schnelligkeit. Chance, mehr Menschen für sums in zehn Jahren sagte Hop- öffentliche Themen zu begeis- fen: „Wir informieren uns digital Dass professionelle Journalisten tern, so Kommunikationswissen- und mit einer Wochenzeitung, durch Twitter nicht zu ersetzen schaftler Donsbach, aber es sei die Hintergrundinfos liefert.“ sind, bestätigte Donata Hopfen noch nicht die Hauptinforma- am Beispiel der Leserreporter bei tionsquelle und wenn, dann der BILD, die Fotos per Mail oder seien es die Internetseiten der Quelle: Dokumentation des Kon- SMS schicken können. Dennoch traditionellen Medien, auf denen gresses auf der Website der KAS: sei deren Rolle nicht zu unter- sich die Leute informierten. www.kas.de/wf/de/71.10785/

Neue Publikationen vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten und seinen Mitgliedsinstitutionen

In einer neuen Broschüre präsen- einandersetzung mit Partizipa- nal auswirkt, wie er öffentlich tiert der Arbeitskreis deut- tionsmöglichkeiten in der Gesell- und politisch wahrgenommen scher Bildungsstätten Beispiele schaft und zur Entwicklung von wird und welche klimarelevanten der politischen Bildung zu sei- Vorstellungen zur Gestaltung der innen- und außenpolitischen nem Jahresthema 2011: „Neue eigenen Zukunft. Aber es geht Konsequenzen damit verbunden Beteiligungsformen in der auch um die kritische Annähe- sein können. repräsentativen Demokratie – rung an Ziele und Wirkungen Chancen demokratischer sozialer Bewegungen in Geschich- Im Internet unter: Beteiligung nutzen!“ te und Gegenwart und an Uto- http://www.kas.de/wf/de/ pien zu Staatssystemen über das 33.29457/?src=nl2011-11-10. Zehn Bildungsinstitutionen aus Medium Spielfilm. dem AdB stellen vor, wie sie die- ses Thema in Veranstaltungen Daneben enthält die Broschüre Die Konrad-Adenauer-Stiftung oder Projekten aufgegriffen und die Stellungnahme des AdB, mit weist vor dem Hintergrund der umgesetzt haben. Die Palette der er das von ihm gewählte Jah- aktuellen Ereignisse auf ihre reicht von der Initiierung und resthema 2011 begründete, und Publikationen zum Thema Begleitung von Foren, die Politik einen Bericht über die Jahres- Rechtsextremismus hin. Dar- und Bürger/-innen zusammen- tagung, mit der 2010 der inhalt- unter finden sich insbesondere bringen, über die Qualifizierung liche Einstieg in das Jahresthema drei Studien von Rudolf van für die öffentliche Artikulation 2011 erfolgte. Hüllen zur Renaissance des politischer Anliegen hin zur Aus- rechtsextremistischen Phäno- Die Broschüre ist gratis beim mens: Arbeitskreis deutscher Bildungs- ■ „Modernisierter“ Rechtsextre- stätten erhältlich und steht auf mismus der AdB-Homepage unter: (http://www.kas.de/wf/de/ http://www.adb.de/publikationen/ 33.29494/?src=nl2011-11-10), themenhefte.php zum Download ■ Ideologie des „modernisier- bereit. ten“ Rechtsextremismus (http://www.kas.de/wf/de/ 33.29493/?src=nl2011-11-10) Passend zum neuen AdB-Jahres- sowie thema 2012 hat die Konrad- ■ Strategie und Taktik des Adenauer-Stiftung eine Bro- „modernisierten“ Rechts- schüre herausgegeben, in der extremismus Stimmungsbilder zur Umwelt- (http://www.kas.de/wf/de/ und Klimapolitik in Einsatz- 33.29495/?src=nl2011-11-10). ländern der Stiftung von ihren Auslandsbüros zusammengetra- gen wurden. Die Beiträge zeigen, Viola Neu ist die Autorin von wie sich der Klimawandel regio- zwei neuen Studien, die die Kon-

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rad-Adenauer-Stiftung kürzlich ge und Reflexionen ist der Titel der Sudetendeutschen zu erhal- veröffentlichte. „Von Gysi einer neuen Publikation des Bil- ten. Die Publikation stellt ver- geeint – von Lafontaine dungswerks der Humanisti- schiedene Phasen der Entwick- geschweißt. Die programma- schen Union NRW e. V., die im lung des Heiligenhofs aus der tische Entwicklung der Partei FIAB Verlag Recklinghausen Perspektive von Wissenschaft- Die Linke/PDS von 1990 bis erschien. Der Ansatz des perspek- lern, Zeitzeugen und haupt- 2011 lautet der eine, Jugend- tivischen Schreibens wird von und ehrenamtlichen Mitarbei- liche und Islamismus in Heidi Behrens und Norbert tern dar, ergänzt durch Gruß- Deutschland. Auswertung Reichling auf seine Eignung für und Geleitworte. Die Redaktion einer qualitativen Studie der die Auseinandersetzung mit der hatte der Vorsitzende der Stif- andere Titel. DDR-Geschichte und deutsch- tung Sudetendeutsches Sozial- deutschen Themen überprüft. und Bildungswerk, Dr. Günter Beide Publikationen sind zu bezie- Das Heft illustriert die Möglich- Reichert, ehemals Präsident der hen über die Konrad-Adenauer- keiten des perspektivischen Bundeszentrale für politische Bil- Stiftung, stehen aber auch zum Schreibens anhand von neun dung. Download auf der KAS-Homepage Themen. Es bietet Arbeitsvor- bereit. schläge und ergänzende Materia- Bezug gegen eine Schutzgebühr www.kas.de/wf/de/33.29675/ und lien zu verschiedenen Phasen bei der Stiftung Sudetendeut- www.kas.de/wf/de/33.29445/ und Problemen der DDR-Gesell- sches Sozial- und Bildungswerk, schaft. Alte Euerdorfer Str. 1, 97688 Bad Kissingen. www.heiligenhof.de „Auswirkungen der Mittel- Diese Veröffentlichung ist beim kürzungen im Programm Bildungswerk der Humanistischen soziale Stadt“ ist der Titel einer Union NRW, Kronprinzenstr. 15, Nr. 3/4 2011 der vom Gesamteu- im November 2011 erschienenen 45128 Essen, buero@hu-bildungs- ropäischen Studienwerk e. V. Publikation der Friedrich-Ebert- werk.de gegen eine Schutz- und herausgegebenen aktuellen Stiftung in der Reihe WISO-Dis- Versandgebühr zu beziehen. ostinformationen steht wiede- kurs. Autor ist Thomas Franke, rum im Zeichen der deutsch-pol- der analysiert, welche Auswir- nischen Beziehungen, was nicht kungen durch die von der Regie- Die Bildungs- und Begeg- nur den Wahlen in Polen geschul- rung beschlossenen Kürzungen nungsstätte „Der Heiligen- det ist, sondern auch der Veran- im Städtebauförderprogramm hof“ feiert im Jahr 2012 ihr staltung von zwei Fachtagungen „Stadtteile mit besonderem Ent- 60jähriges Bestehen. Bereits im zum Thema deutsch-polnischer wicklungsbedarf – Soziale Stadt“ Dezember 2011 erschien dazu Partnerschaft und Kooperation. bereits eingetreten bzw. zu erwar- eine Jubiläumsschrift, in der Weitere Beiträge behandeln ten sind. die Geschichte des Heiligenhofs deutsch-polnische Gedächtnis- von 1952 bis heute rekapituliert orte, fragen nach Ursachen, Die Veröffentlichung ist zu bezie- wird. Der Heiligenhof wurde Erscheinungsformen und Stra- hen bei der Friedrich-Ebert-Stif- einst als Hort für sudetendeut- tegien des europäischen Neo- tung und im Internet abrufbar sche Kinder und Jugendliche faschismus und nach einem men- unter: www.fes.de/wiso gegründet, die zur Erholung schenwürdigen Umgang mit nach Bad Kissingen geschickt dem/n Fremden. wurden. Aber bald rückte auch Blickwinkel – Blickwechsel. Bildung als Aufgabe in den Bezug: Gesamteuropäisches Stu- Perspektivisches Schreiben Mittelpunkt der Arbeit, die zum dienwerke. V., Südfeldstraße 2-4, zur DDR-Geschichte. Vorschlä- Ziel hatte, die kulturelle Identität 32602 Vlotho. www.gesw.de

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ABC Bildungs- und Tagungszentrum mit neuem Newsletter

Im November 2011 erschien die dem Bildungsprogramm und Im Internet unter: ABC Bildungs- erste Ausgabe des neuen News- dem Tagungshaus. Interessierte und Tagungszentrum, letters des ABC Bildungs- und können sich über die Internet- Tel. 04775-529, Tagungszentrum in Drochtersen- seite in die Verteilerliste eintra- E-Mail: [email protected], Hüll. In loser, ca. sechswöchiger gen. Im Rahmen dieser Neuerung Internet: www.abc-huell.de. Reihenfolge informiert der ABC- erhielt das ABC auch ein neues Newsletter über Aktuelles aus Logo.

Spiel zur Kommunikationsförderung

Dorothee-Stieber-Schöll, freie Sprechen und Zuhören aller Es kann aber auch für die Arbeit Mitarbeiterin des Jugendhofs Beteiligten angeregt. Erlebnisse in anderen Gruppen, z. B. festen Vlotho, der Stätte der Begeg- und Gefühle können mitgeteilt, Teams, eingesetzt werden. nung und des AKE-Bildungs- gemeinsame Vereinbarungen werkes, hat ein Spiel entwickelt, getroffen und ihre Einhaltung Nähere Informationen/Bestellung das für die Förderung der Kom- später überprüft werden. Der bei: Dorothee Stieber-Schöll, munikation in sozialen Zusam- Name „Spielend Familie leben“ E-Mail: info@im-Dialog-ent- menhängen eingesetzt werden zeigt, dass das Spiel ursprünglich wickeln.de kann. Mit dem Spiel wird wert- für die Kommunikationsförde- schätzendes und aufmerksames rung in Familien gedacht war.

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Personalien

Die Mitgliederversammlung des Der langjährige Leiter des Europa- Institut des Deutschen Volkshoch- Arbeitskreises deutscher Bildungs- hauses Marienberg, Burkhardt schulverbandes, zu einem wissen- stätten wählte am 7. Dezember Siebert, wurde im Rahmen einer schaftlichen Institut der Leibniz- 2011 in Haus Neuland, Bielefeld, Feierstunde zum 60jährigen Jubi- Gemeinschaft entwickelt, das einen neuen Vorstand für die läum des Europahauses in den auch internationale Anerken- nächsten beiden Jahre. Peter Ruhestand verabschiedet. Er nung genießt. Ogrzall, Jugendbildungsstätte engagierte sich in den mehr als Kaubstraße, Berlin, wurde in sei- dreißig Jahren seiner Tätigkeit nem Amt als AdB-Vorsitzender, auch im Arbeitskreis deutscher Ralf Fücks und Barbara Unmü- Ulrike Steimann, Karl-Arnold- Bildungsstätten, hier vor allem in ßig wurden von der Mitglieder- Stiftung, Königswinter, als seine der Kommission für Europäische versammlung der Heinrich-Böll- Stellvertreterin bestätigt. und Internationale Arbeit. Er Stiftung für die nächsten fünf Wiedergewählt wurden auch wird dem Europahaus Marien- Jahre in ihren Ämtern als Vor- Ulrich Ballhausen, Europäische berg und anderen gemeinnützi- stände der Stiftung bestätigt. Jugendbildungs- und Jugend- gen Trägern und NGOs auch begegnungsstätte Weimar, weiterhin beratend zur Verfü- Martin Kaiser, PfalzAkademie, gung stehen. Die AKSB-Mitgliederversamm- Lambrecht, Petra Tabakovic, lung wählte am 23. November Internationaler Bund, Frankfurt, 2011 folgende neue Vorstands- und Birgit Weidemann, Hoch- Meta Janssen-Kucz, Leiterin des mitglieder: Drei – Bilden und Begegnen in Europahauses Aurich, rückt für Brandenburg, Potsdam. Udo den am 10. Oktober 2011 verstor- ■ Bernward Bickmann, Leiter Dittmann, Akademie Biggesee, benen Grünen-Politiker Ralf Brie- des Franziskanischen Bildungs- Attendorn, und Bettina Hein- se in den Niedersächsischen Land- werks e. V., Großkrotzenburg, richs, WannseeFORUM, Berlin, tag nach. Sie war von 1995-1997 ist neuer Vorsitzender; wurden neu in den Vorstand Landesvorsitzende der nieder- ■ Benedikt Widmaier, Direk- gewählt. Nicht wieder kandidiert sächsischen Grünen und gehörte tor der Akademie für politi- hatten Ulrika Engler, aktuelles in den Legislaturen 1998-2008 als sche und soziale Bildung, Haus forum nrw, Gelsenkirchen, und Abgeordnete der Grünen bereits am Maiberg, wurde stellver- Klaus-Ulrich Nieder, der zuletzt dem Landtag an. Das Europahaus tretender Vorsitzender; das Internationale Informations- wird zurzeit kommissarisch von ■ Dr. Siegfried Grillmeyer, und Bildungszentrum Schloss Studienleiter Kalle Puls-Janssen Akademiedirektor des Caritas- Gimborn, Marienheide, im AdB und Verwaltungsmitarbeiterin Pirckheimer-Hauses, Nürnberg. vertrat. Christa Wiets geleitet. Dem Vorstand gehören als bereits 2009 gewählte Mitglieder Als neue Mitglieder des Arbeits- Mit einem Festakt wurde Prof. Ulrike Gentner, stellvertretende kreises deutscher Bildungsstätten Dr. Ekkehard Nuissl von Rein, Leiterin des Heinrich-Pesch- wurden von der Mitgliederver- Wissenschaftlicher Direktor des Hauses, Ludwigshafen, Pater sammlung im Dezember 2012 in Deutschen Instituts für Erwachse- Johann Spermann SJ, Leiter des Bielefeld aufgenommen: nenbildung (DIE) in Bonn seit Heinrich-Pesch-Hauses, und Alois 1991, im Beisein zahlreicher Gäs- Nock, Geschäftsführer der kifas ■ Wilfried Klein für das Willi- te aus dem In- und Ausland in gemeinnützige GmbH Waldmün- Eichler-Bildungswerk, Köln, den Ruhestand verabschiedet. chen, an. Der bisherige AKSB- ■ Darius Müller für das Bil- Sylvia Löhrmann, Ministerin für Vorsitzende Dr. Alois Becker dungs- und Begegnungs- Schule und Wissenschaft des Lan- hatte nicht wieder kandidiert. zentrum Schloß Trebnitz, des Nordrhein-Westfalen, war Müncheberg/Brandenburg, eine der Festredner/-innen, die ■ Julia Schmidt für vogelsang die Verdienste Nuissl von Reins Barbara Menke, seit 2011 ip I Internationaler Platz im für die deutsche und internatio- Bundesgeschäftsführerin von Nationalpark Eifel, Schleiden, nale Weiterbildung würdigten. „Arbeit und Leben“ und Vor- und Unter seiner Leitung hatte sich standsmitglied des Bundes- ■ Marion Welsch für die das Deutsche Institut für Erwach- ausschusses für Politische Bildung Begegnungsstätte Schloss senenbildung, einst hervorge- (bap) ist neues Mitglied des Ver- Gollwitz, Brandenburg. gangen aus dem Pädagogischen waltungsrats, der als Aufsichts-

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gremium des Deutschen Instituts Evangelisch reformierten Jugend. ten, Gemeinden und Landkreisen für Erwachsenenbildung die Als Schatzmeister wurde Udo gewürdigt wird, sind: Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit Bußmann, Landesjugendpfarrer und Wirtschaftlichkeit des Ver- der Evangelischen Kirche von West- ■ Hauptpreis: Dr. Sylvie Nant- eins überwacht. falen, in seinem Amt bestätigt. cha, Freiburg i. Br. (Baden- Als Beisitzerinnen und Beisitzer Württemberg) gewählt wurden Felix Beck ■ Zeliha Aykanat, Nordenham Der südbadische SPD-Landtags- (Ehrenamtlicher aus der Evangeli- (Niedersachsen) abgeordnete Christoph Bayer ist schen Jugend in Baden), Ingo ■ Maria Beck, Priesendorf neuer Kuratoriumsvorsitzender Dachwitz (aej-Jugenddelegier- (Bayern) der Landeszentrale für politische ter in der Synode der Evangeli- ■ Petra Budke, Dallgow-Döbe- Bildung Baden-Württemberg. Zu schen Kirche in Deutschland), ritz (Brandenburg) seiner Stellvertreterin wählte das Cornelia Dassler (Landesjugend- ■ Ute Chlechowitz, Uelzen Kuratorium die CDU-Abgeordne- pastorin der Evangelisch-lutheri- (Niedersachsen) te Katrin Schütz aus Karlsruhe. schen Landeskirche Hannovers), ■ Elke Cordes, Soltau (Nieder- Dr. Tim Gelhaar (Bildungsrefe- sachsen) rent beim Verband Christlicher ■ Marlies Ehbrecht, Hannover Die 84. Vollversammlung des Pfadfinderinnen und Pfadfinder), Vahrenwald-List (Niedersach- Deutschen Bundesjugendrings Henriette Labsch (Ehrenamt- sen) wählte zum ersten Mal eine Dop- liche der Evangelischen Jugend ■ Hillgriet Eilers, Emden pelspitze. Vorsitzende ist Ursula Berlin-Brandenburg-schlesische (Niedersachsen) Fehling, Vorsitzende des Bundes Oberlausitz) und Michael von ■ Dr. Julia Frank, Lorch der Deutschen Katholischen Winning (Ehrenamtlicher der (Baden-Württemberg) Jugend (BDKJ), Vorsitzender Evangelisch-Methodistischen ■ Barbara Haimerl, Gemeinde Sven Frye, Bundesvorsitzender Kirche). Wald, Landkreis Cham (Bayern) der Sozialistischen Jugend ■ Susanne Herweg, Schwerin Deutschlands – Die Falken. Stell- (Mecklenburg-Vorpommern) vertretende Vorsitzende sind Die Coburger Landtagsabgeord- ■ Gundela Knäbe, Gemeinde Julia Böhnke, DGB-Jugend, und nete Susann Biedefeld wurde Zirkow auf Rügen (Mecklen- Hetav Tek, djo-Deutsche Jugend von der Mitgliederversammlung burg-Vorpommern) in Europa, sowie Alexander der Franken-Akademie Schloss ■ Anja Reinalter, Stadt Laup- Bühler, Arbeiter-Samariter-Ju- Schney e. V. Anfang dieses Jahres heim (Baden-Württemberg) gend Deutschlands, und Gunnar in ihrem Amt als Vorsitzende ■ Josefa Schmid, Gemeinde Czimczik, Verband Christlicher bestätigt. Neu als stellvertreten- Kollnburg/Landkreis Regen Pfadfinderinnen und Pfadfinder der Vorsitzender ist Thomas (Bayern) im Ring deutscher Pfadfinderin- Petrak, Geschäftsführer des BRK- ■ Ulla Thönnissen, Städte- nen- und Pfadfinderverbände. Kreisverbandes Lichtenfels. region Aachen (Nordrhein- Westfalen).

Einen neuen Vorstand wählte Johannes-Wilhelm Rörig, bis Der Helene Weber-Preis wird seit auch die Mitgliederversammlung Ende November 2011 Ministerial- 2009 vom Bundesministerium für der Arbeitsgemeinschaft Evange- dirigent in der Abteilung Kinder Familie, Senioren, Frauen und lische Jugend im November 2011 und Jugend im Bundesministe- Jugend verliehen. Eine unabhän- in Berlin. Neuer Vorsitzender der rium für Familie, Senioren, Frau- gige Jury wählt die Preisträgerin- aej ist Dr. Thomas Schalla, Lan- en und Jugend, hat Anfang nen aus den von Mitgliedern des desjugendpfarrer der Evangeli- Dezember 2012 die Nachfolge Deutschen Bundestages vorge- schen Landeskirche in Baden. von Dr. Christine Bergmann als schlagenen Kandidatinnen aus. Stellvertretende Vorsitzende sind neuer Unabhängiger Beauftrag- Der Hauptpreis ist mit 10.000 Euro Sigrid Müller, Referentin für ter für Fragen des sexuellen Kin- dotiert und kann für kommunal- Jugendpolitik beim CVJM-Ge- desmissbrauchs angetreten. politische Projekte eingesetzt samtverband in Deutschland, werden. Alle 15 Preisträgerinnen sowie Mieke Bethke, Pastorin erhalten ein dreitägiges Trainings- im Bund Evangelisch-Freikirch- Die Preisträgerinnen 2011 des programm und ein individuelles licher Gemeinden K.d.ö.R. (Baptis- Helene-Weber-Preises, mit dem Coaching durch die Europäische ten) und Ann-Kathrin Sommer- das herausragende politische Akademie für Frauen in Politik feld, Ehrenamtliche aus der Engagement der Frauen in Städ- und Wirtschaft (EAF).

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Bücher

Helmut Strizek: Clinton am Kivu-See. Die Geschichte einer afrikanischen Katastrophe – Frank- furt/M. u.a., Verlag Peter Lang 2011, 408 Seiten

„Die deutsche Afrikapolitik Er arbeitet sich durch die wissen- nen Memoiren das Ruanda-Kon- beruht auf einer realistischen schaftliche und politische Litera- go-Kapitel mit Schweigen über- Einschätzung des Kontinents. tur, die teilweise durch nationale geht, verstieg sich 1999 zu der Sie gründet auf universellen Wer- Parteinahmen oder die Bevorzu- albernen Ausrede, „er habe die ten und ist zugleich von Interes- gung einzelner Opfergruppen Tutsi-Massaker in Ruanda ‚nicht sen geleitet. Sie berücksichtigt, geprägt ist und oft ein unüber- mitbekommen‘, weil er so damit dass die Menschen in Afrika in sichtliches Bild des Geschehens beschäftigt gewesen sei, ‚nach erster Linie selbst für ihren Kon- liefert. Er stützt sich auch auf die Bosnien zu kommen‘.“ (S. 166, f.) tinent verantwortlich sind.“ So mittlerweile veröffentlichten Strizek weist in seiner Studie, die heißt es in der Einleitung des Memoiren maßgeblicher Akteure den programmatischen Titel neuen Konzepts der Bundes- und – methodisch etwas proble- „Clinton am Kivu-See“ trägt, regierung „Deutschland und matisch – auf Insider- und Geheim- en detail nach, wie das State Afrika“, das zum Sommer 2011 dienstinformationen. Es wäre Departement, aber auch ameri- verabschiedet wurde (im Netz: aber unsinnig, ihn, wie von Sei- kanische Berater, Diplomaten, www.auswaertiges-amt.de). ten einzelner Hilfsorganisationen Hilfsorganisationen oder Lobby- Zu einer realistischen Einschät- und Sympathisanten des neuen Gruppen die Kontrolle innehatten. zung müsste es gehören, die ruandischen Regimes geschehen, Konfliktlage, die zum Ende des als Verschwörungstheoretiker Er zeigt also zweitens, dass sich – 20. Jahrhunderts die zentralafri- einzustufen. Die Hauptlinien ganz im Gegenteil – die Amerika- kanische Region in eine Katastro- seiner Analyse sind sorgfältig ner, beginnend mit der Ankündi- phe stürzte, und die von der ehe- belegt. Strizek will den Völker- gung einer „neuen Weltord- maligen US-Außenministerin mord an den Tutsi nicht leugnen, nung“ durch Präsident Bush sr. Albright als „Erster Weltkrieg sondern die „offizielle Lesart“ 1990, in Afrika aktiv einmischten, Afrikas“ bezeichnet wurde, im des Geschehens – die Guerilla sich ordnungspolitisch neu Blick auf ihre Gründe und politi- Kagames musste das Hutu-Regi- bemerkbar machten und damit schen Verantwortlichkeiten, aber me in Kigali stürzen, da es einen alte Partnerschaften, vor allem auch auf ihre Folgen und Deu- Tutsi-Völkermord vorbereitete, Zuordnungen der lokalen Macht- tungen zu analysieren. Dazu hat und später die Mörderbanden im haber zur frankophonen europä- jetzt Helmut Strizek, der bereits Ostkongo ausräuchern – in Frage ischen Aufsicht und Alimentie- Anfang der 1980er Jahre als stellen. Seine Bilanz ist bestür- rung, in Frage stellten. Da die EU-Berater in Ruanda tätig war, zend, die wichtigsten Resultate Franzosen und in ihrem Gefolge eine instruktive und brisante sind: auch die anderen europäischen Studie vorgelegt. Mächte mitspielten, kamen Erstens ist die landläufige Behaup- US-amerikanische Pläne zum Der Autor stellt den Massenmord tung, der Westen, allen voran die Regime Change und zur Stabili- an der Tutsi-Bevölkerung, der Amerikaner, wäre über die Ein- sierung der politischen Herrschaft 1994, im Zuge der Eroberung zelheiten nicht informiert gewe- auf dem afrikanischen Kontinent Ruandas durch die Guerilla-Trup- sen, habe weggeschaut und den zum Zuge – Pläne, die gleichzeitig pe des Exil-Tutsi Kagame, statt- Kontinent „vergessen“, unhalt- die Destabilisierung bestehender fand, in den Mittelpunkt seiner bar. Die US-Außenpolitik, das Regime einschlossen, wenn dies Analyse. Er thematisiert die Ver- belegen auch die (auf Deutsch für die von der Clinton-Adminis- bindungslinien zur amerikani- 2008 erschienenen) Memoiren tration identifizierten „neuen schen Aufmischung und Neuaus- des militärischen Leiters der Führer Afrikas“ von Nutzen war. richtung der Region seit dem damaligen UN-Mission, Romeo Davon profitierten vor allem Ende des Ost-West-Gegensatzes Dallaire, war über alle Details Ugandas Staatschef Museveni und zu den drei Kongo-Kriegen, informiert. Über die diplomati- und der von Uganda aus operie- die bis Anfang des 21. Jahrhun- schen Kanäle wurde laufend das rende Rebellenchef Kagame, derts dauerten und 2006 – auch Geschehen begutachtet und die der dann mit US-Genehmigung unter deutscher militärischer Positionierung der weltpolitisch Ruanda in einen Bürgerkrieg Beteiligung – einer fragwürdigen relevanten Mächte abgestimmt. stürzte, nachdem er die Bildung Befriedung zugeführt wurden. Clinton, der wie Albright in sei- einer nationalen Koalitionsregie-

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rung torpediert hatte. In der Fol- Tutsi, an den „Juden Afrikas“, Kigali etablierten Militärdiktatur ge kam es zu gigantischen Flücht- planten, mit internationaler Billi- hätten Schwierigkeiten bereiten lingsbewegungen – in einem Land gung etabliert werden – eine können.“ (S. 314) mit rund sechs Millionen Einwoh- Entscheidung, an der übrigens nern irrte eine Million Flüchtlin- auch die deutsche Außenpolitik Strizeks Analyse ist nicht wider- ge in den Kriegswirren umher – beteiligt war. In drei Kongo-Krie- spruchsfrei. Das gilt für die Ein- und, entlang dem aus der Kolo- gen, bei denen Millionen Men- schätzungen einzelner Politiker nialzeit überlieferten rassisti- schen das Leben verloren (Hillary von Außenminister Baker im ers- schen Hutu-Tutsi-Konstrukt, zu Clinton nannte die Zahl von ten Kapitel bis zu Präsident Massakern an Hundertausenden 5,4 Millionen Toten seit 1998 Obama im Epilog des Buchs – Inlands-Tutsi, aber auch an Hutu (S. 296), kam es zu einer blutigen bei denen jeweils die besten oder (vermeintlichen) Kollabora- Bereinigung dieser Lage. Jedoch Absichten gelten sollen, während teuren. Jede der mörderischen duldeten die Amerikaner letzt- sie gleichzeitig anhand ihrer Parteien agierte hier von einem lich nicht die „Balkanisierung“ Machenschaften demaskiert wer- politisierten Standpunkt der Ver- des Kongo und wiesen die Anrai- den. Und das gilt für Strizeks Ver- geltung aus: Mit dem Tode nerstaaten in ihre Schranken. such, eine Art Masterplan hinter bestraft wurden diejenigen, die dem Geschehen, eine „Clinton- qua Volks(gruppen)zugehörig- Das Kagame-Regime wurde so in Albright-Strategie“, ausfindig zu keit oder Verrat an ihr für die seinen regionalpolitischen Ambi- machen. Hier hält er das „Sudan- nationale Katastrophe haftbar tionen zurückgestutzt, doch Syndrom“ (Kapitel X, Nr. 2), also gemacht wurden. Kagame selber konnte es viertens, wie Strizek eine Fixierung der US-Afrikapoli- habe, das belegt Strizek mehr- darlegt, einen wichtigen Erfolg tik auf das Sudan-Problem, für fach (S. 101, 132), für das Schick- verbuchen: Alle Schuld wurde ausschlaggebend, wobei der sal der Inland-Tutsi vor allem Ver- dem alten Regime bzw. der ehe- Autor sich möglicherweise durch achtung übrig gehabt. Für den maligen Interimsregierung und die Ausrufung des neuen sudane- Rebellenchef fielen hier – um im deren Willen „zur Vernichtung sischen Südstaates im Juli 2011 Sprachgebrauch seiner US-Patro- der Inlands-Tutsi“ (S. 167) zuge- bestätigt sehen konnte. In seiner ne zu bleiben – die unvermeid- wiesen. „Diese Version der Macht- Analyse ist aber eine solche Ziel- lichen Kollateralschäden auf dem losigkeit vor dem Tötungswillen strebigkeit der US-Politik nicht Weg zur Macht an. der Hutu-Völkermörder wurde erkennbar, und das Buch ist auch Staatsdoktrin der westlichen mehr als „Indizienprozess“ konzi- Strizek weist drittens nach, dass Welt und diente dem Arusha- piert, der gängige Gewissheiten Sieg und Vergeltung des neuen Gericht (das von den UN mit der in Frage stellen soll und letztliche Tutsi-Regimes zu weiteren gro- juristischen Aufarbeitung der Sicherheit nicht herstellen kann. ßen Flüchtlingsströmen vor allem Kriegsverbrechen beauftragt Eins leistet es aber mit Sicherheit: in den Ostkongo führten, was für wurde, J.S.) als Arbeitsgrund- Es zeigt, dass die Erklärung der Uganda und Ruanda dann den lage.“ (S. 167) Das in Tansania Bundesregierung, „dass die Men- Ansatzpunkt zu einem regional- tagende Gericht, vor dem auch schen in Afrika in erster Linie politischen Neuordnungsversuch Strizek als Gutachter aussagte selbst für ihren Kontinent verant- und zum Zugriff auf die wirt- und das 2010 die Beendigung wortlich sind“, ein Hohn auf die schaftlichen Potenzen des Kongo seiner Arbeit ankündigte, hatte realen Verhältnisse ist. Zu einer bildete. Wiederum mit amerika- somit einen klaren politischen realistischen Einschätzung, gera- nischer Unterstützung konnten Auftrag – und erfüllte ihn: „Es de auch in der Bildungsarbeit, wo der Regime-Wechsel in Kinshasa sollte jeglicher Verdacht von der etwa, wie Strizek belegt (S. 340), (damals Zaire, nachher Kongo) Weltgemeinschaft genommen die Bundeszentrale für politische vollzogen, Laurent Kabila und werden, sie habe durch Unter- Bildung mit fragwürdigen Mate- später sein „Adoptivsohn“ Joseph lassung oder gar durch Beihilfe rialien aufwartet, müsste es gehö- inthronisiert und das Feindbild eine Schuld an der ‚Opferung der ren, sich den unbequemen Wahr- extremistischer Hutu-Milizen, Tutsi‘. Als Nebeneffekt sollte das heiten über die Benutzung und die in ihren ostkongolesischen Gericht auch alle Hutu-Politiker Beaufsichtigung des „vergesse- Lagern hausten und die Fortset- ‚aus dem Verkehr ziehen‘, die nen Kontinents“ zu stellen. zung des Völkermords an den der von der Weltgemeinschaft in Johannes Schillo

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Wiebke Scharathow/Rudolf Leiprecht (Hrsg.): Rassismuskritik. Band 2: Rassismuskritische Bildungsarbeit – Schwalbach/Ts. 2009, Wochenschau Verlag, 415 Seiten

Die Tatsache, dass wir in einer Rassismuskritische Bildungsarbeit turellen Öffnung findet in dem Einwanderungsgesellschaft wird als eine Perspektive pädago- Beitrag von Andreas Foizik und leben, unterstreicht die Frage gischen Handelns beschrieben, Axel Pohl statt. nach gleichberechtigter Teilhabe welche ihre Verstrickungen in und gerechter Verteilung von gesellschaftlichen Kontexten wie Das zweite Kapitel beschäftigt Chancen mehr denn je und stellt z. B. von Nationalstaat, Migra- sich mit der Frage der Legitima- damit auch die Bildungsarbeit tion, Macht- und Dominanzver- tion rassismuskritischer Interven- vor große Herausforderungen. hältnissen reflektiert und so zu tion. Mona Motakef beschreibt Das vorliegende Buchprojekt einer kritischen Haltung gelangt, deren Legitimation vor dem bietet theoretische Perspektiven, die die Erarbeitung von Hand- Hintergrund des Menschenrechts Denkanstöße und praktische lungsalternativen möglich macht. auf Bildung. Mark Schrödter Handlungsansätze für eine kriti- Als gemeinsame Grundlage aller setzt sich in seinem Artikel mit sche Pädagogik, die das Ziel ver- Beiträge kann, so Herausgeberin der Legitimierbarkeit des Anti- folgt, über die Auseinanderset- Wiebke Scharathow, ein Defini- rassismus-Trainings „Blue-Eyed“ zung mit rassistischen Strukturen tionsverständnis von Rassismus auseinander und zieht hierfür die und Praxen zur Erarbeitung alter- festgehalten werden, welches universalen Regeln der Moral nativer und verändernder Hand- diesen als „machtvolles System heran. lungsmöglichkeiten zu gelangen. von Diskursen und Praxen der Die in den Beiträgen des Buches Unterscheidung“ beschreibt, die „Rassismuskritische Bildungs- dargelegte rassismuskritische zur Legitimierung von Ungleich- arbeit mit Erwachsenen“ ist das pädagogische Haltung soll einen behandlung und zur Erhaltung Thema des dritten Kapitels. Anne Beitrag zu mehr sozialer Gerech- von Macht dienen. Broden hinterfragt in ihrem Bei- tigkeit in unserer pluriformen trag den zentralen Topos des Gesellschaft leisten. Der Einleitung folgen die 22 Autor/ „Verstehen der Anderen“ der -inn/-enbeiträge, unterteilt in interkulturellen Bildung. Mau- Während der erste Band des sechs Kapitel, welche jeweils eine reen Maisha Eggers fragt vor Buches „Rassismustheorie und Perspektive bzw. einen Arbeits- dem Hintergrund der Schwarzen -forschung in Deutschland. Kontur bereich rassismuskritischer Bil- Frauenbewegung in Deutschland eines wissenschaftlichen Feldes“ dungsarbeit darstellen. nach der Verbindbarkeit der Theo- einen Überblick zu aktueller Theo- rien zu Transkulturalität und rie und Forschung rassismuskriti- Das erste Kapitel erörtert das Geschlechterforschung. Eine kri- scher Ansätze bietet, konzentriert Thema der Organisationsent- tische Betrachtung der Theorie sich der zweite Band auf verschie- wicklung aus rassismuskritischer und Praxis von Anti-Bias-Arbeit dene Ebenen, Arbeitsbereiche und Perspektive. In diesem Zusammen- findet in dem Beitrag von Bettina Perspektiven rassismuskritischer hang setzt sich Annita Kalpaka Schmidt, Katharina Dietrich und Bildungsarbeit und ihre Möglich- mit dem Thema der institutionel- Shantala Herdel statt. Leah Caro- keiten, Stolpersteine und Grenzen. len Diskriminierung auseinander. la Czollek berichtet in ihrem Auf- Sie macht deutlich, dass pädago- satz über ihre Erfahrungen in der Die Herausgeber/-innen des ersten gisches Handeln und institutio- Bildungsarbeit zum Thema Anti- (Paul Mecheril und Claus Melter) nelle Rahmenbedingungen eng semitismus im Hochschulbereich. und des zweiten Bandes verste- verwoben sind mit gesellschaft- Das Kapitel schließt mit dem Text hen Rassismuskritik „als kunstvol- lichen Praxen der Ausgrenzung von Wiebke Scharathow, in dem le, kreative, notwendig reflexive, und Diskriminierung. sie Möglichkeiten und Stolper- beständig zu entwickelnde und steine einer rassismuskritischen unabschließbare, gleichwohl Mechtild Gomolla setzt sich mit Bildungsarbeit zum Thema entschiedene Praxis, die von der den Herausforderungen von Ras- „Islam“ theoretisch darlegt. Überzeugung getragen wird, sismus und institutioneller Diskri- dass es sinnvoll ist, sich nicht minierung für das deutsche Bil- In Rahmen des vierten Gliederungs- ‚dermaßen’ von rassistischen dungssystem auseinander. punktes wird die Bildungsarbeit Handlungs-, Erfahrungs- und mit Kindern und Jugendlichen Denkformen regieren zu lassen“ Eine kritische Auseinanderset- rassismuskritisch betrachtet. Den (Scharathow/Leiprecht 2009, S. 9). zung mit Konzepten der interkul- Beginn macht hier der Artikel

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von Petra Wagner und Annika ziganismus in Schulen. Marcus pektive. Claudia Machhold geht Schulz. Sie fragen nach den Meier stellt Überlegungen an zu im Rahmen ihres Beitrages kri- Gestaltungsmöglichkeiten einer rechten Orientierungen von tisch auf Verstrickungen und rassismuskritischen Pädagogik in Gewerkschaftsjugendlichen und Reproduktionen im Rahmen von Kindertagesstätten. Zum Thema stellt die Frage nach der Gestal- antirassistischer Bildungsarbeit Rassismuskritik und Schule tung von Gegenstrategien der ein, und Anja Weiß hinterfragt gewährt der Beitrag von Thomas Politischen Bildung. zum einen Modelle von Rassis- Quehl einen Einblick. Rudolf mus, die in der Wissenschaft und Leiprecht geht in seinem Artikel Das fünfte Kapitel trägt die Über- Bildungsarbeit vermittelt wer- der Frage der Verbindung von schrift „Zur Gleichzeitigkeit der den, und stellt zum anderen Interkulturalität und Rassismus- Erfahrungen und Reproduktion ihren Einfluss auf die Handlungs- kritik in der Jugendarbeit nach. von Rassismus“. Im Rahmen die- fähigkeit von antirassistischen ses Kapitels stellt Katharina Diet- Aktivist/-inn/-en dar. Maria do Mar Castro Varela und rich ihre qualitative Forschungs- Birgit Jagusch setzen sich mit arbeit zu Herstellungs- und Das sehr umfangreiche Buch dem Thema der Ausgestaltung Reproduktionspraxen von Rassis- ermöglicht dem Leser und der einer antirassistischen und men am Beispiel junger Spätaus- Leserin einen vertieften Einblick geschlechtergerechten außer- siedler/-innen dar. Zahra Deilami in die komplexe Theorie und die schulischen Jugendarbeit ausein- befasst sich mit der Bedeutung vielschichtigen Anwendungs- ander. Der Beitrag von Barbara einer selbstkritischen Auseinan- bereiche und -möglichkeiten einer Schäuble und Albert Scherr sowie dersetzung mit Alltagsrassismen antirassistischen Bildungsarbeit der Text von Mirko Niehoff seitens der Migrant/-inn/-en. und gibt zahlreiche Anregungen beschäftigen sich mit dem Thema für deren konzeptionelle und Antisemitismus bei Jugendlichen. Das letzte Kapitel betrachtet praktische Umsetzung. Michael Luttmer fragt nach der pädagogische Unterstützung aus Umsetzbarkeit des Themas Anti- einer rassismuskritischen Pers- Canan Yelaldi

Ralf Elm/Ingo Juchler/Jürgen Lackmann/Siegbert Peetz (Hrsg.): Grenzlinien. Interkulturalität und Globalisierung: Fragen an die Sozial- und Geisteswissenschaften – Schwalbach/Ts. 2010, Wochenschau Verlag, 158 Seiten

Der vorliegende Band stellt die Im ersten Kapitel setzt sich durch die Einbettung der eige- Dokumentation einer Fach- Christoph Jamme mit dem schil- nen Geschichte in einen erzähl- tagung dar, die im Juni 2008 an lernden Begriff des Mythos aus- ten sinngebenden Zusammen- der Pädagogischen Hochschule einander (kultisch-religiös, histo- hang allein über die Fähigkeit Weingarten durchgeführt wurde; risch-sozial, politisch sowie in sozialer und historischer Sinn- die meisten der hier versammel- seiner lehrhaften und ästheti- verständnisse verfüge. Insofern ten Autoren lehren denn auch an schen Funktion), diskutiert die seien Mythen ständig präsent dieser Hochschule. Ansätze von Edmund Husserl, und lebensnotwendig und Martin Heidegger, Ernst Cassirer bestimmen in hohem Maße die Die Texte dieses interdisziplinär sowie Jan Patoˇcka und hält für conditio humana. angelegten Projekts kreisen um die gegenwärtig geführte Diskus- die Frage nach den Auswirkun- sion fest, dass der Mythos zum Der sich anschließende, sehr aus- gen der Globalisierung auf die Zeichen einer Selbstkritik moder- führliche – weil 35 Seiten umfas- Sozial- und Geisteswissenschaf- ner Philosophie geworden sei sende – Aufsatz von Ralf Elm, ten und bemühen sich aus der und damit auch den eigenen dessen gewinnbringende Lektüre Sicht des jeweils vertretenen kulturellen Horizont relativiere. ein solides philosophisches Grund- Faches, erste Antworten auf das Die Kritik münde in einer Revolte wissen zur Voraussetzung hat, in der Tat komplexe Verhältnis gegen die Vernunft, die mit Herr- behandelt das Verhältnis von Her- von Globalisierung und Interkul- schaft gleichgesetzt werde. Auch meneutik und Interkulturalität, turalität und seiner wissenschaft- hebt der Autor unter Berufung wobei Heideggers Hermeneutik lichen Reflexion und Behandlung auf Leszek Ko¬akowski und Gerd der Moderne sowie Gadamers zu geben. Brand hervor, dass der Mythos Hermeneutik der Verstehenspra-

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xis der kulturellen Lebensformen geschichtlich-kulturellen Vorga- Mit dem Thermopylen-Mythos – im Zentrum der Überlegungen ben in besonderem Maße für an- als alter und neuer Grenzlinie im stehen. Heideggers Suche nach dere kulturelle Horizonte und für Kampf der Kulturen – setzt sich einem neuen, nicht metaphysi- fremdkulturelle Sinnzusammen- Ingo Juchler auseinander, wobei schen Anfang und seine Kritik an hänge sensibilisiere. (S. 50) die intensive Diskussion der der neuzeitlichen Modernität Überlieferung Herodots zunächst führten ihn im Hinblick auf den Mit dem ethischen Trialog zwi- im Mittelpunkt steht. Der Autor interkulturellen (planetarischen/ schen Juden, Christen und Musli- rekonstruiert den historischen globalen) Bildungsprozess zur men am Beispiel der biblischen Kontext der Schlacht bei den Überzeugung, dass die Öffnung „Gottesbildlichkeit“ und der Thermopylen, behandelt die und der freie Blick auf andere koranischen „Stellvertreter- Instrumentalisierung des Mythos Lebensformen zur Voraussetzung schaft“ beschäftigt sich Helmut im Zweiten Weltkrieg (Hermann habe, dass man sich auf die eige- Rommel. Angesichts der beklem- Görings Rede vom 30. Juni 1943 nen Grenzen und Voraussetzun- menden Tatsache, dass in der und seine Deutung der Schlacht gen zu besinnen habe. Das Andere modernen, neoliberal bestimm- um Stalingrad), geht dann auf solle nicht mehr nach instrumen- ten Marktgesellschaft die soziale Heinrich Bölls Kurzgeschichte teller Rationalität und einem ent- Ungleichheit zusehends in eine „Wanderer, kommst du nach sprechenden Effizienzdenken grundsätzliche Ungleichwertig- Spa...“ ein und beschäftigt sich bemessen (und vereinnahmt) keit umgewertet werde, könne abschließend mit der heutigen werden, vielmehr habe man sich theologischen Ansätzen, die sich Adaption des Mythos in Gestalt (quasi interesselos) auf andere von einem durch christlichen und des Comics 300 und der entspre- Überlieferungen des Denkens islamischen Fundamentalismus chenden Filmversion aus dem einzulassen und müsse bereit belasteten Konfrontations- zu Jahre 2007. Ging es in der ersten sein, sich im Gespräch etwas einem toleranteren Beziehungs- antiken Mythosvariante um die sagen zu lassen. (S. 30) denken hinbewegen, – nach Auseinandersetzung zwischen Ansicht des Autors – eine wichti- Freiheit (Hellenen) und Persern Im Hinblick auf das Denken Gada- ge Rolle zukommen. Mit Unter- (Despotie), so bemühte Himmler mers geht es Elm in erster Linie schieden müsse dabei behutsam mehr als zweitausend Jahre spä- um den Begriff der wirkungs- umgegangen werden, aus her- ter in grob propagandistischer geschichtlichen Verflechtung, aus meneutischer Perspektive sei Weise das Bild vom bedrohten dem – unter Einbeziehung einer aber eine sich annähernde Ver- Abendland, das die heldenhafte intensiven Diskussion des herme- ständigung möglich, ohne den Wehrmacht in Stalingrad vor den neutischen Zirkels – resultiert, Anderen zu vereinnahmen oder asiatischen Horden der Roten dass wir umso besser verstehen, ihn geistig zu enteignen. (S. 65) Armee verteidigt habe. In Bölls je mehr wir um unsere eigene Am Beispiel der Wertvorstellung 1950 veröffentlichter Kurz- wirkungsgeschichtliche und vom Menschen als „Abbild Got- geschichte, in der die Sinnlosig- standortgebende Perspektivität tes“ (hebräische Bibel und christ- keit des Krieges dargestellt wird, wissen und mit ihr im Kontext an liches Neues Testament) sowie ist der Mythos hingegen vollkom- möglichen (fremden) Perspekti- der Vorstellung des Menschen men illusionslos und von jegli- ven arbeiten. (S. 39) Ferner als „Stellvertreter Gottes“ im chem Heldenpathos befreit. bemüht sich Elm um die Herstel- Koran (Khalı¯fat-Würde) und Anders in dem Comic und dem lung der (fehlenden) Verbindung der hieraus für alle drei Reli- gleichnamigen Film 300, in dem zwischen hermeneutischer Philo- gionen ableitbaren und in die die angebliche Differenz zwi- sophie und interkultureller Päda- gleiche Richtung weisenden schen Abend- und Morgenland gogik. Er kommt dabei nach anthropologischen Konvergen- wieder aufgegriffen wird und Rekonstruktion verschiedener – zen arbeitet Rommel die Vorzüge ein holzschnittartiges Schwarz- in der zweiten Hälfte des eines trialogischen Ansatzes her- Weiß-Schema vorherrscht: das 20. Jahrhunderts entwickelter – aus, durch den der theologisch persische Heer als sklavische Viel- Ansätze interkultureller Bildung begründete Wert des Menschen völkerhorde versus wohlgestalte- zum Ergebnis, dass die Bildung vor der ökonomischen Entwer- ten, heldenhaften Hellenen, die der Zukunft immer zugleich kul- tung geschützt werden und die ihren Feinden auch unter widrig- turelle und interkulturelle Bil- Vertiefung der trialogischen sten Verhältnissen trotzen. (S. 99) dung sein werde. Dabei dürfe Konvergenz im Hinblick auf Juchler stellt eine Verbindung das hermeneutische Wissen kei- die universale Werthaftigkeit zum aktuellen Konflikt zwischen nesfalls vernachlässigt werden, des Menschen angestrebt wer- den USA und dem Iran her und da es aufgrund seiner wirkungs- den könne. kommentiert in Anlehnung an

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eine Rezension des Historikers Globalisierung beschäftigt sich lung eine klare Absage. Insge- Stefan Rebenich, dass die ameri- der Beitrag von Jürgen Lack- samt mahnt Lackmann in über- kanische Filmindustrie den Clash mann. In Übereinstimmung mit zeugender Weise die Ausgewo- der Kulturen im Jahre 2007 an der Theorie von John Maynard genheit der Beziehungen von die Thermopylen verlegt habe. Keynes geht der Autor davon Freiheit und Gemeinschaft an. Angesichts dieser im Lichte der aus, dass es nicht die angeblich Geschichtswissenschaften kaum zu hohen Sozialleistungen sind, Mit der Differenz als Theorie- haltbaren Instrumentalisierun- die die Ursache für die gegen- angebot für die Pädagogik setzt gen des gängigen Thermopylen- wärtige Krise ausmachen, son- sich Gregor Lang-Wojtasik in dem Mythos scheint – so die gut doku- dern vielmehr die unrealistischen den Band beschließenden Auf- mentierte Auffassung des Autors – Renditeerwartungen von Finanz- satz auseinander. Indem der eine an Interkulturalität und Glo- investoren. Ferner stellt Lack- Autor eine von Lehramtsstudie- balisierung orientierte Aufklä- mann das angloamerikanische renden formulierte Forderung rung sowohl in der schulischen Modell vor, analysiert die Folgen aufgreift, dass man mehr über als auch in der außerschulischen der Abschaffung der mittleren die Kulturen der Ausländerkinder politischen Bildung bitter not- Führungsebene in Konzernen erfahren sollte, wirft er zunächst wendig zu sein. (S. 102) und Unternehmen sowie die so fundamentale und nur schwer Konsequenzen, die sich aus der zu beantwortende Fragen wie Der Frage, ob die Welt in Kultur- immer schneller werdenden Zeit „Was sind Kulturen?“ oder konflikten versinken werde, geht und dem Umstand ergeben, dass „Wer ist ,wir’?“ auf. Ausgehend Dieter Senghaas nach. Der Autor durch den vermehrten Einsatz von dieser Differenz des „wir“ erteilt der These kultureller von Unternehmensführungen (Inländer) zu „sie“ (Ausländer) Bruchlinien sowohl auf der nach Top-down-Muster gewach- beschäftigt sich Lang-Wojtasik Makro- als auch auf der Meso- sene Strukturen bewusst zer- mit der Differenz in der empiri- und Mikroebene eine entschie- schlagen werden. Lackmann schen Bildungsforschung, wobei dene Absage, indem er verdeut- kommt zu dem Zwischenfazit, er das „Normalitätskonstrukt“ licht, dass Ethnokonflikte im dass die institutionellen Struktu- der nationalen Schule hinter- Wesentlichen aus sozioökonomi- ren des modernen Kapitalismus fragt, im Anschluss daran mit der schen Problemlagen entspringen. das Individuum durchaus nicht Differenz als Kennzeichnung von In die Gesellschaft eingebaute stärken – wie gerne behauptet Gegensätzen (International-Ver- Aufstiegsblockaden könnten – wird –, sondern vielmehr ent- gleichende Erziehungswissen- wie an einigen Beispielen gezeigt machten. (S. 121) Gleichzeitig schaft, Internationale Pädagogik) wird – bei durchgängiger Benach- konstatiert der Autor aber auch und mit der Differenz als Markie- teiligung einer Ethnie allerdings die heimliche Wiederkehr des rung von Unterscheidungen für zur Politisierung von Kultur und Keynesianismus, der nicht tot, die Bildung in der Weltgemein- zu entsprechenden Konflikten sondern quicklebendig sei, der schaft, um schließlich auf die Pro- führen. Ferner zeigt Senghaas aber von einem politisch in Szene blematik des globalen Lernens auf, dass Menschenrechtsdebat- gesetzten anti-keynesianischen einzugehen, bei der es um die ten und die Durchsetzung von Kurs konterkariert werde. Dabei Zuordnung von Fakten, Orientie- Menschenrechten in Zeiten des werde die wirkliche Krisenursa- rung und Handlung gehe. Ange- Umbruchs das Ergebnis öffent- che, die unrealistischen Rendite- strebt werde ein Kompetenzer- licher Erregungen (colère public) ansprüche der Finanzinvestoren, werb, der ein verantwortliches waren und sich auch in Europa tabuisiert oder verschleiert. Handeln in der Weltgesellschaft nicht aus einer ideengeschicht- Sicherlich hat Lackmann recht, ermöglicht und mit dem zur Ver- lichen Logik ergaben. Insofern wenn er in diesem Kontext fest- wirklichung von Nachhaltigkeit seien Menschenrechte und deren stellt, dass keine demokratisch und internationaler Gerechtig- Gewährung und Einhaltung gewählte Regierung die von neo- keit beigetragen werden kann. immer von spezifischen sozio- liberalen Beratern geforderten (S. 149) Für die zu Beginn des politischen Konstellationen Kürzungs- und Sparprogramme Aufsatzes aufgestellte Forderung abhängig; demnach gebe es auch durchhalten werde. Der Autor der Studierenden bedeute dies, keinen einfachen, linearen Fort- spricht sich auch deshalb einer- dass eine Qualifikation anzustre- schritt bei der Realisierung von seits für eine größere Vertei- ben sei, die sie in die Lage verset- Menschenrechten. (S. 116) lungsgerechtigkeit zugunsten ze, individualisierte Lebenswege kinderreicher Familien aus, ande- in einer pluralisierten Welt zu Mit dem problematischen Ver- rerseits erteilt er nivellierenden fördern. Voraussetzung hierfür hältnis von Wohlfahrtsstaat und Systemen staatlicher Umvertei- sei die Entwicklung einer Päda-

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gogik und Didaktik der Diffe- Desiderate markieren sicherlich Zeit genommen hat, das Thema renz. nur einen kleinen Ausschnitt aus interdisziplinär zu behandeln. einer anhaltenden und spannen- Dieses fächerübergreifende, ent- Dieses zugegeben schmale Bänd- den Debatte, die gerade die grenzende Vorgehen sollte fort- chen regt nach intensiver Lektüre Sozial- und Geisteswissenschaf- gesetzt und nachgeahmt wer- zu einem ebenso intensiven ten besonders herausfordert und den, nicht nur in Weinheim. Nach- und Weiterdenken an. in Atem hält. Es ist gut, dass man Die in ihm enthaltenen Über- sich in Weinheim trotz allwalten- legungen, Theorieansätze und der Beschleunigungsprozesse die Zbigniew Wilkiewicz

Zbigniew Wilkiewicz: Heimatloser Ausländer – Erinnerungen – Radeberg 2011, Verlag DeBehr, 408 Seiten

Der Autor ist im AdB und in die- tet war. Zbigniew Wilkiewicz hat Sprache polnisch, in der Öffent- ser Fachzeitschrift kein Unbe- seine Lebens- und Familien- lichkeit pfälzisch und hochdeutsch. kannter, der Kollege Zbigniew geschichte nun aufgeschrieben, Es sind diese parallelen Welten, Wilkiewicz leitet seit längerem und sie erzählt von Spaltungen, die die Lektüre des locker geschrie- das Gesamteuropäische Studien- Brüchen, Kränkungen, Enttäu- benen Buches spannend machen. werk (GESW) in Vlotho. Dass er schungen, aber auch von Wendun- Die Familie ist über die Welt zer- diese Funktion heute ausübt, gen, Aufbrüchen, neuen Chancen streut, der Großvater mütterli- ist – hegelianisch betrachtet – und interessanten Begegnungen cherseits etwa war nach dem eine List der Geschichte oder und Erlebnissen. Es sind verschie- Krieg in die USA ausgewandert, Ergebnis der Dialektik wider- dene Kosmen und Deutungshori- mit ihm spricht er russisch. Denn sprüchlicher Entwicklungen, zonte, die in seiner Person insbe- lettisch zählt zu den wenigen aber sich letztlich durchsetzender sondere in der Kindheit und Sprachen, die der Autor nicht positiver Kräfte in der deutschen Jugendzeit aufeinander trafen. fließend beherrscht. Einige Tan- Nachkriegsgesellschaft. Oder – ten lebten noch in Polen, sie zu mit Hegels bekanntestem Inter- Wer weiß heute noch, dass es besuchen gelang ihm erst in den preten gesprochen – ist Zbigniew in der Nachkriegszeit viele Men- 80er Jahren, nachdem er die Wilkiewicz die Negation der schen in Deutschland gab, die als deutsche Staatsbürgerschaft Negation. Warum? Er verkörpert – staatenlos galten? Dazu zählten – angenommen hatte. wie man es in der dialektischen als „Treibgut“ der entsetzlichen Philosophie ausdrücken würde – Geschichte bis 1945 – die vielen Staatenlos zu sein bedeutete die Durchsetzung der logischen Displaced Persons, die nicht in ihr natürlich nur Duldung durch die und geschichtlichen besseren Heimatland zurückwollten oder deutschen Behörden und Recht- Verhältnisse, denn unter den frü- konnten und auf eine Auswande- losigkeit in vielerlei Hinsichten: heren Vorstandsmitgliedern und rungsmöglichkeit nach Israel Man besaß etwa keine entspre- pädagogischen Mitarbeitern oder in die USA warteten. Wilkie- chenden politischen Rechte, sich befanden sich mit Werner Rietz wiczs Vater, aus vornehmer polni- an Wahlen aktiv oder passiv zu und Alexander Dolezalek einige scher Familie und im Zweiten beteiligen. Die Reisemöglichkei- äußerst engagierte Mitglieder Weltkrieg Offizier der polnischen ten waren eingeschränkt; sich der NSDAP, die sich nach 1939 Armee, gehörte zu denjenigen, mit einem Staatenlosen-Pass im insbesondere auf dem Gebiet der die diesen Sprung nicht schaff- westlichen Ausland auszuweisen, rücksichtslosen Germanisierung ten. Er blieb hängen im Feindes- führte in der Regel zu vielen Polens hervortaten. Es ist nur die land, in Kaiserslautern, und unangenehmen Verdächten gerechte Entwicklung , wenn arbeitete dort für die amerika- und Komplikationen. heute ein politischer Bildner mit nische Armee. verwickelter mittelosteuropäi- Wilkiewicz beschreibt ausführ- scher Familiengeschichte eine Bil- Die Mutter kam aus Lettland mit lich seine Lebensstationen: Die dungsstätte leitet, die zu Beginn teilweise deutschen und polni- bescheidenen Lebensverhältnisse ihrer Arbeit zum Teil von höchst schen Vorfahren. Zbigniew Wil- in Kaiserslautern und die harten ambivalenten und problemati- kiewicz wuchs mehrsprachig auf, Auseinandersetzungen mit den schen politischen Impulsen gelei- in der Familie zuhause war die Gleichaltrigen im unbürgerlichen

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Viertel; die Schulerlebnisse und Witold Gombrowicz auseinander, tet, überhaupt? Heimatlos ist die Erfahrung, sich dort durchset- einem Literaten, der in seiner Wilkiewicz heute wohl kaum. zen zu können, so dass er das polnischen Heimat lange eher als Und ein Ausländer gar? Wer ihn Gymnasium besuchen konnte, skandalös galt, weil er weder der kennenlernt, merkt sofort, dass was damals schließlich keine nationalkommunistischen noch er in der Sprachfärbung dem Selbstverständlichkeit war; das der nationalromantischen Linie Raum Pfalz und Südhessen ent- politische und jugendkulturelle entsprach. Zwischen den Linien stammt. Er hat an den genera- Aufbegehren durch die Beteili- zu agieren, aber auch dorthin tionstypischen politischen Kon- gung an der „Sozialistischen gebannt zu sein und darüber flikten der Zeit in Deutschland Werkstatt“, einem Treffpunkt hinaus ein kreativer Nonkonfor- intensiv teilgehabt. Aber die antiautoritärer Linker, auch gegen mismus, das verbindet wohl Erfahrung der Nichtzugehörig- den verehrten Vater, der als natio- Gombrowicz und Wilkiewiecz. keit hat ihn doch nachhaltig nal-konservativer Pole solches geprägt, eine Erfahrung, die aus gewiss nicht billigte; schließlich Die Erfahrung der Inklusion wird der Lebensgeschichte nicht wie- seine internationalen Freundschaf- immer auch begleitet von der der austritt. Und das schließt ten und Begegnungen im Studen- Erfahrung der Exklusion. So zeigt natürlich auch die polnische tenwohnheim und auf Reisen. sich Wilkiewicz in seinem Leben Seite ein, die ihn ebenso wenig wie in seinen Beschreibungen als genuinen Polen betrachtet. Das Studium der Slawistik und und Selbstreflexionen als ein Dia- Es wird also endlich Zeit, dass osteuropäischen Geschichte in lektiker: Pfälzer, heute deutscher man sich einfach nur als Europäer Mainz ist auch eine Konsequenz Staatsbürger und doch auch betrachten kann. der doppelten Lebensgeschichte, Berufspole – wie er sich selber eine Hinwendung und Vertiefung, ironisch apostrophiert – neuer Dem Buch ist außerdem ein aber auch eine Suche nach Zugehö- Linker und zugleich Unterstützer Motto vorangestellt, das von rigkeiten. Die findet er vor allem mittelosteuropäischer Dissiden- Karl Valentin stammt: Fremd ist in der polnischen Dissidenz, dem ten, was unter Linken nie selbst- der Fremde nur in der Fremde. zweiten Umlauf (der Begriff für verständlich war; er ist weder Man kann dies als eine von die Untergrund- und Oppositions- klar zu etikettieren noch von Valentin gestiftete Selbstironie literatur) und den polnischen In- einer Seite zu vereinnahmen, des Autors lesen. Aber Georg und Auslandsintellektuellen. Er er bleibt im Zweifelsfall jeweils Simmel hat in seiner Soziologie sammelt oppositionelle Schriften immer der andere. Für die politi- des Fremden auch schon diagnos- und Exil-Literatur, übersetzt diese sche Bildung ist das keine tiziert: Der Fremde „ist der Freie- und organisiert Solidaritätsaktio- schlechte Ausgangsposition. re, praktisch und theoretisch“, er nen in den 80er Jahren, als in ist zu mehr Objektivität fähig. Polen Kriegsrecht herrscht. In sei- Stimmt aber der Titel des Buches, ner Dissertation setzt er sich mit der „Heimatloser Ausländer“ lau- Paul Ciupke

Ulrich Herrmann/Rolf-Dieter Müller (Hrsg.): Junge Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Kriegserfah- rungen als Lebenserfahrungen – Weinheim und München 2010, Juventa Verlag, 446 Seiten

Wenn man auf den Zweiten sie so viele andere Völker ausge- sorge, das in den 90er Jahren Weltkrieg zurückblickt, gibt eine löscht hatten? Die banale Ant- durchgeführt wurde (vgl. die Frage den Nachgeborenen immer wort, dass sie wohl von der natio- Diskussion der Ergebnisse in: wieder Rätsel auf: Warum hat nalen Sache, wie sie die Nazis Erwachsenenbildung 1/02). Spe- das deutsche Volk bis zum bitte- definierten, überzeugt sein muss- ziell der dritte Band des Projekts ren Ende seinem Führer Gefolg- ten, war in der Bundesrepublik über „Christen im Krieg“, also schaft geleistet, so dass die Alli- lange tabu. Mit der Wehrmachts- zur Rolle des katholischen Fuß- ierten das Joch des NS-Regimes ausstellung oder der Goldhagen- volks, ließ erkennen, dass der mit einem Kraftakt zerbrechen Debatte begann sich das zu Nationalsozialismus damals mit mussten, da die Deutschen die ändern. Einen kleinen Beitrag seiner Überzeugungsarbeit Kriegslast sonst weiter getragen zum Wandel leistete auch das erfolgreich war – und dass die hätten – möglicherweise bis zur aufwändige Oral History-Projekt christliche Militärseelsorge den eigenen Auslöschung, nachdem der katholischen Militärseel- Willen zum Durch- und Aushal-

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ten in schwerer Zeit da stärkte, sche“, „desillusionierte“ Haltung tische Phrasen kaum etwas zu wo die NS-Propaganda die Men- gewesen. Distanz zur Politik und spüren. Ärmelaufkrempeln und schen nicht mehr erreichte. Misstrauen gegenüber Ideolo- Anpacken lautete vielmehr das gien sollen im Nachkriegs- Gebot der Stunde, die „Ohne- Der Erziehungswissenschaftler deutschland bestimmend gewe- Mich-Haltung“ dagegen war ein Herrmann und der Militärhistori- sen sein, aber nicht in einem Vorwurf, der aus Politik, Öffent- ker Müller setzen solche wissen- kritischen Sinn, sondern als „un- lichkeit und – siehe Schelsky – schaftlichen Bemühungen jetzt politische“ Einstellung, die sich Wissenschaft an diejenigen mit ihrem Sammelband zur histo- nicht um die großen Fragen des gerichtet wurde, die sich im Ade- rischen Jugendforschung fort. Gemeinwesens kümmerte. „Die nauerstaat gegen Westbindung, Der Band, der in Kooperation mit große Masse der jungen Leute Remilitarisierung, ökonomische dem Militärgeschichtlichen For- war 1945 desillusioniert, um ihre oder kulturelle Restauration zur schungsamt entstanden ist, und Jugend betrogen… Die ‚Ohne Wehr setzten. Ein treffendes Bei- in dem mit Hannes Heer auch mich!‘-Devise bringt ihre innere spiel dafür liefert der Beitrag von einer der Macher der Wehr- Verfassung und ihr Lebensgefühl Meinulf Barbers über die Quick- machtsausstellung zu Wort auf den Punkt. Die jungen Leute born-Jugend nach 1945, der in kommt, will Anstöße zur Erarbei- wussten sehr genau, was sie nicht dem von Herrmann herausgege- tung einer „Kriegsgeschichte von noch einmal wollten, vor allem benen Jahrbuch des Archivs der innen“ geben – verstanden als eines nicht: idealistische Phrasen. deutschen Jugendbewegung Dopplung von „Erlebnisgeschich- Mit dieser Generation waren der (Neue Folge, Band 1/04) erschie- te“ und „Prägungsgeschichte“ Wiederaufbau, das Wirtschafts- nen ist. Barbers erinnert daran, (Herrmann). Er stellt dafür unter- wunder und die Konsumgesell- dass eine kleine Minderheit schiedliche Formate, Themen- schaft unter Adenauers Devise katholischer Jugendgruppen in zugänge und Materialien (Erleb- ‚Keine Experimente‘ leicht zu den 1950er Jahren aus dem Bund nisberichte, Feldpostbriefe, Film- bewerkstelligen.“ (Herrmann, der deutschen katholischen und Textanalysen, Gerichtsurtei- S. 20 f.) Die Analyse nimmt Jugend (BDKJ) ausgeschlossen le…) zusammen. Sie geben vor bemerkenswerterweise Schelskys wurde, weil sie sich dem Kalten- allem zum Nachwirken und zur Jugendforschung für bare Mün- Kriegs-Kurs des damaligen BDKJ- Verarbeitung der Kriegserleb- ze. Dabei stellt diese ein hoch- Vorsitzenden und späteren nisse bei den Jugendlichen und ideologisches Produkt dar, das CDU-Abgeordneten Josef Rom- jungen Erwachsenen Auskunft, exemplarisch die Sorge um die merskirchen verweigerte. Gegen die dann nach 1945 – laut der reibungslose Integration zum die Minderheit zog Rommers- damals einsetzenden Jugendfor- Ausdruck brachte; Schelsky hat kirchen (der zuletzt als Direktor schung – als „skeptische Genera- sich auch später (im Vorwort zur der Bundeszentrale für politische tion“ in Erscheinung traten. Taschenbuchausgabe von 1975) Bildung tätig war) mit dem Denkanstöße zur historischen zu seiner auf Anpassung bedach- Pamphlet „Ohne mich – ohne Aufarbeitung liefert das Material ten Position bekannt und, durch uns – katholische Jugend und der zweifellos. Ob zum Verständnis den neuen Protest alarmiert, die Wehrbeitrag“ zu Felde, das die des Krieges eine Geschichte aus freundlichere Formulierung „Ju- christlich-pazifistische Minderheit der Innenperspektive nötig ist, gend des deutschen Wiederauf- als verantwortungslose Ohne- wäre zu prüfen. Hier sei nur auf baus“ vorgeschlagen. Michels brandmarkte. Das ist ein Problem der jugendsoziologi- übrigens der herrschende Blick- schen Einordnung aufmerksam Gerade das bereitwillige Mit- winkel der Jugendforschung – gemacht. machen im Adenauerstaat – das von den Schelskys und Jaides der für den Mainstream galt – hatte 1950er bis zur letzten Shell-Stu- Herrmann schließt mit seiner mit Skepsis wenig zu tun. In einer die: Macht die Jugend bei allem, Analyse an die bekannte Diagno- Zeit, in der der „Jargon der was anliegt, mit, oder muss man se von Helmut Schelsky an, die Eigentlichkeit“ (Adorno) zum – sich, wegen ihrer Skepsis, ihres vorherrschende Generations- Paradigma des öffentlichen Dis- Protests oder ihrer No-Future- gestalt der westdeutschen kurses aufstieg, war auch von Perspektive, Sorgen machen? Jugend nach 1945 sei die „skepti- einer Abneigung gegen idealis- Johannes Schillo

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Dirk Lange/Gerhard Himmelmann (Hrsg.): Demokratiedidaktik. Impulse für die Politische Bildung – Wiesbaden 2010, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 349 Seiten

In den vergangenen zehn Jahren in den Blick genommen. Gemein- kratisch handeln“), Volker Rein- hat sich das Feld der Demokratie- samkeiten und Unterschiede wer- hardt (Kriterien für eine demo- pädagogik als spezifischer didak- den sowohl auf der didaktischen kratische Schulqualität), Benedikt tischer und methodischer Ansatz als auch der methodischen Ebene Sturzenhecker/Elisabeth Richter in der schulischen wie außerschu- beleuchtet. Hinzu kommen inter- (Demokratiebildung im außer- lischen politischen Bildung eta- nationale Beiträge, die den Blick schulischen Bereich) und Peter bliert. Dieser Prozess wurde über den Tellerrand der Diskus- Steinbach (Demokratiebildung von vielfältigen Debatten beglei- sion in Deutschland ermöglichen. in der historisch-politischen Bil- tet. Die Sektion Politische Wis- Die zentrale These des Bandes: dung). senschaft und Politische Bildung Eine Didaktik der Demokratie der Deutschen Vereinigung für greift über das Lernen in einem Im zweiten Teil wird die Diskussion Politische Wissenschaft hat sich abgesonderten Schulfach hinaus. um Fragen der „Demokratiekom- im gleichen Zeitraum bemüht, zu Begründungen und Entfaltungen petenz“ als der Kernbotschaft den komplexen Entwicklungen werden in 23 Beiträgen geliefert, einer demokratisch-politischen und verschiedenen Diskussionen einige wenige, aber grundlegen- Bildung weitergeführt. Sibylle grundlegende Beiträge zu lie- de, seien hier kurz benannt: Reinhardt stellt verschiedene fern. Seit Mitte der 2000er Jahre empirische Studien aus der Wir- werden Tagungen der Sektion in Der erste Abschnitt rückt „Anstö- kungsforschung im Bereich der Sammelbänden publiziert. Nach ße, Brückenschläge und Erweite- Demokratiepädagogik nebenein- „Demokratiekompetenz“ (2005) rungen“ in den Fokus. Gerhard ander und eröffnet damit weite- und „Demokratiebewusstsein“ Himmelmann beschreibt mög- re Fragen für künftige Forschun- (2007) liegt nun mit „Demokra- liche grundlegende Brücken- gen im Themenfeld. Hermann tiedidaktik“ der letzte Band schläge zwischen der klassischen Veit stellt bisher entwickelte einer als Trilogie konzipierten Politikdidaktik und der Demo- nationale wie internationale Reihe von Dirk Lange und Ger- kratiepädagogik sowie aktuelle Kompetenzmodelle vor und ent- hard Himmelmann vor. Die Her- Herausforderungen an eine Poli- wickelt daraus eine demokratie- ausgeber dokumentieren damit tische Bildung in der Einwande- pädagogische Kompetenzsyste- die Arbeit der Sektion zum The- rungsgesellschaft. Hans Peter matik. Auch Michael May ma „Demokratie und Politische Bartels skizziert seine Überlegun- vergleicht empirische Studien Bildung“ und wollen zur Erweite- gen zur Gründung eines eigen- hinsichtlich der Demokratiefähig- rung und Festigung der demo- ständigen „Instituts für die keit der untersuchten Zielgrup- kratisch-politischen Kultur in Didaktik der Demokratie“, mit pen. Silvia-Iris Beutel beleuchtet Deutschland beitragen. dem eine Synthese zwischen die Problematik der Leistungs- Gesellschafts-, Jugend- und beurteilung im Zusammenhang Die Beiträge in dem Sammelband Sozialisationsforschung mit der mit Demokratie-Lernen und Ingo sind als ein Brückenschlag zwi- Schul- und Unterrichtsforschung Zuchler unterstreicht nachdrück- schen Demokratiepädagogik und sowie der Forschung zur allge- lich die elementare Notwendig- Politischer Bildung zu verstehen. meinen bürgerschaftlichen Kin- keit einer eigenständigen Demo- Sie stellen die Bedeutung der der-, Jugend- und Erwachsenen- kratiebildung. verschiedenen pädagogischen bildung versucht werden soll. Jan Zugänge zur Demokratie, das W. van Deth stellt die berechtigte Der dritte Themenblock vertieft traditionelle Verständnis der Frage, was und wie viel Kinder didaktische Fragen im engeren Politikwissenschaft und das Ver- und Jugendliche eigentlich vom Sinne. Der Bogen reicht dabei ständnis der demokratischen politischen System der Bundes- von „Anforderungen an eine politischen Kultur dar. Zugleich republik wissen, und verbindet Didaktik der Demokratie wird der Spannungsbogen zwi- die Erkenntnisse dazu mit der (Tilman Grammes) über die schen fachlich organisierter Poli- Forderung einer frühzeitigen Frage „Wie sich Schülerinnen tischer Bildung in der Schule und Demokratieförderung bereits im und Schüler Demokratie vorstel- der allgemeinen demokratischen frühkindlichen Alter. Neben die- len“ (S. Heidemeyer/Dirk Lange) Schulentwicklung sowie der sen finden sich Aufsätze von und „Anregungen zur sinnstif- außerschulischen Jugend(bil- Wolfgang Beutel (aus der Praxis tenden Verknüpfung von Demo- dungs)arbeit ein weiteres Mal des Förderprogramms „Demo- kratiepädagogik und kategoria-

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ler Politikdidaktik“(A. Petrik) gang Berg (Überlegungen aus der Demokratie vorzustellen, und oder „Möglichkeiten der Ent- einem internationalen Netz- damit weitere hilfreiche Anstöße deckung von Demokratie bei werk), Henry Millner (Kanada) für kommende Debatten gibt. Kindern (B. Ohlmeier) bis hin zu und Murray Print (Australien) – Die zu Beginn erwähnte Trilogie „Vorstellungen von Politiklehre- die letzteren beiden in englischer der beiden Herausgeber findet rinnen und -lehrern und ihre Sprache – geben Einblicke in damit einen sinnvollen Abschluss, Bedeutung für die Entwicklung internationale Diskussionen. mit dem aber zugleich die Fach- der Didaktik der Demokratie“ diskussion in Wissenschaft und (A. Klee). Insgesamt ein sehr lohnender Praxis um wichtige Aspekte Band, der seinem Anspruch erweitert worden ist. Im vierten und letzten Abschnitt gerecht wird, grundlegende folgt der Blick nach außen: Wolf- Überlegungen zu einer Didaktik Stephan Schack

Anne Schlüter (Hrsg.): Offene Zukunft durch Erfahrungsverlust? Zur Professionalisierung der Erwachsenenbildung (= Weiterbildung und Biographie, Bd. 7), – Opladen & Farmington Hills/MI 2011, Verlag Barbara Budrich, 184 Seiten

Die Herausgeberin, Hochschul- dem „Diktat des Vergessens“ und rungswissen älterer Führungs- lehrerin für Weiterbildung und müsse sich stärker mit ihren „Vor- kräfte einen „Zugewinn“ im Sin- Frauenbildung an der Universität läufern“ beschäftigen (S. 21). ne eines Modells für die nächste Duisburg-Essen, hat in den ver- Sieben Beiträge von Expertinnen Frauengeneration und somit gangenen Jahren in demselben der Erwachsenenbildung, der Bil- auch für die Professionsentwick- Verlag bereits mehrere Bände dungs- und Genderforschung lung erbringe (vgl. S. 52). Die zur Biographieforschung und zu werden den drei Kapiteln „Lei- mündliche Tradierung von solch Genderfragen veröffentlicht. tung und Führung im Berufsfeld „impliziten Wissensformen“ kön- Unter variierenden Aspekten Erwachsenenbildung“, „Men- ne in „Mentoring-Tandems“ und setzt sie sich mit dem Stellenwert toring und Biographische Kom- intergenerationellen Bildungs- des Erfahrungsbegriffs für die munikation für den Prozess zur veranstaltungen geschehen. Theoriebildung und für die Professionalität in der Erwachse- Ebenfalls auf der Grundlage lebensgeschichtlich orientierte nenbildung“ und „Reflexionen (berufs-)biographischer Inter- Erwachsenbildung auseinander. über Generationenlagerungen views diskutiert Anne Schlüter Ihr jüngster Band geht auf eine und Generationenbeziehungen“ Erfolgsfaktoren für die Übernah- Tagung im Jahr 2010 zurück, und zugeordnet. me von Leitungsfunktionen in sein zweiter Untertitel „Genera- der Erwachsenenbildung durch tionen- und Geschlechterverhält- Im Mittelpunkt der ersten beiden Frauen, insbesondere mit Blick nisse“ bildet eine thematische Kapitel stehen Überlegungen zu auf deren soziales Umfeld, auf Klammer. weiblichen Aufstiegen, d. h. zu Kompetenzen und Selbstver- jenen Frauen, welche gegen vie- ständnisse. Antonia Arlinghaus Anne Schlüter reflektiert in ihrer lerlei Widerstände Positionen in stellt den Bildungswert des Tan- ausführlichen Einleitung biogra- Weiterbildungsinstitutionen und gos dar; dieser sei ein „eigenstän- phische Kommunikation und an Universitäten erobern konnten diger Mikrokosmos“ mit unter- Mentoring unter dem Blickwin- und ihren Berufsweg, ihre Füh- schiedlichen Beziehungs- und kel des „Generationenlernens“ rungsstile und ihr soziales Umfeld Kooperationspartnern auf gleich- mit Rückbezügen auf die Neue in Interviews oder individuell wertiger Ebene in „wechselnden Frauenbewegung, auf Geschichts- autobiographisch reflektieren, Positionen von Führen und Fol- werkstätten, aber auch auf eige- wie es Karin Derichs-Kunstmann gen“ (S. 116). Zwischen dem ne biographische Studien der in einem selbsterforschenden Tango Argentino und der Profes- vergangenen Jahre. Sie versteht Beitrag gelingt. Ulrike Nollmann sionalisierung zeitgemäßer Lei- Generationeninteraktion als bis- legt ein lebensgeschichtliches tungsfunktionen wird ein körper- lang unterbelichtete Aufgabe Interview mit einer VHS-Leiterin lich-reflexiver Zusammenhang und aktuelle Herausforderung nicht nur geschlechtergeschicht- hergestellt. Babette Berkels stellt für die Erwachsenenbildung. Die lich aus, sie vertritt auch die das Für und Wider einer Integra- Disziplin leide generell unter Überzeugung, dass das Erfah- tion des Mentoring in das Berufs-

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feld Erwachsenenbildung ins Nicole Justen nähert sich im ein- des spezifischen Erfahrungs- Zentrum. Eine eindeutige Ant- zigen Beitrag des letzten Kapitels wissens ‚vorbildlicher‘ Frauen wort gibt sie nicht, plädiert aber empirisch den Beziehungen zwi- zu verhindern, damit die erreich- für eine Stärkung der Beratungs- schen Eltern und Kindern an und te Professionalisierung – Arbeits- kompetenz von Mentorinnen: ordnet den vielfach umgangs- schwerpunkte, Vernetzung, Fortbildungen zu Methoden sprachlich verwendeten Begriff Diskurse – bewahrt und im Zuge „biographischer Kommunikation“ Generation umfassend theore- des anstehenden Generationen- ermöglichten eine Verfeinerung tisch ein. Auch sie bekräftigt die wechsels erweitert bzw. trans- des Fremdverstehens (vgl. S. 143). Relevanz des Wissenstransfers formiert werden kann. Die Texte (hier am Beispiel von denen, die vermitteln theoretisch wie Die Unterstützung der Berufs- den Zweiten Weltkrieg miterleb- praktisch orientierten Erwach- und Lebenspläne jüngerer durch ten, und Nachgeborenen im Rah- senenbildner/-inne/-n instruktive ältere, hierarchisch weiter oben men von Schreibwerkstätten). In Einblicke in die Arbeit der Duis- agierende Kolleginnen erzielten, der Erwachsenenbildung sei das burg-Essener Forschungsgruppe so Michaela Harmeier, Lerneffek- Potenzial intergenerationell-bio- „Weiterbildung und Biographie“; te auch auf Seiten der Mentorin- graphischen Lernens längst nicht sie dokumentieren einen (frauen- nen (z. B. die Wahrnehmung ausgeschöpft. politisch inspirierten) Diskus- neuer Lebenskonzepte). Sie ver- sionsstand, nicht zuletzt ein kennt aber nicht, wie verschlun- Die titelgebende, durchaus pro- Ergebnis intergenerationeller gen intergenerationelle Wissens- vokante Frage „Offene Zukunft Projekte an dieser Hochschule. weitergabe verläuft (vgl. S. 148) – durch Erfahrungsverlust?“ wird dies gilt auch für das erwünschte in den Beiträgen nicht eigens Fortleben eines „Frauenbewusst- aufgegriffen. Vielmehr intendie- seins“ (A. Schlüter). ren sie nachdrücklich, den Verlust Heidi Behrens

Benedikt Widmaier/Frank Nonnenmacher (Hrsg.): Partizipation als Bildungsziel – Politische Aktion in der politischen Bildung – Schwalbach/Ts. 2011, Wochenschau Verlag, 205 Seiten

Als Theodor Heuss in seiner Funk- gogische Praxis“ einbeziehen politische Aktion verbunden und tion als Bundespräsident der jun- soll, wie es in der Verlagsankün- bekommt so eine ganz aktuelle gen Bundesrepublik 1958 die digung heißt. Dimension: Wie weit darf und Bundeswehr besuchte und Rekru- kann Politische Bildung die Hand- ten bei einem Manöver beobach- Die Beiträge bieten einen diffe- lungskompetenz befördern, tete, gab er ihnen anschließend renzierten Blick auf die Materie ohne den Beutelsbacher Konsens einen seiner republikweit und die Frage, wie Partizipation zu verletzen? Oder: Schießt man bekannten väterlichen Ratschlä- in der non-formalen, aber auch über das Lernziel der Vermittlung ge mit auf den Weg: „Nun siegt formalen Bildung umgesetzt von Handlungskompetenz hin- mal schön!“, rief er ihnen zu. werden kann. Aufgegriffen wird aus, wenn in einem Seminar die immer noch aktuelle Diskus- gemeinsame politische Aktionen Nach Lektüre des vorliegenden sion um das Bahnhofsprojekt verabredet werden? Bandes von Widmaier/Nonnen- Stuttgart 21. In diesem Zusam- macher erschleicht einen auch so menhang wird der entstandenen Neben Betrachtungen des Hand- ein Gefühl, dass ein nicht vorhan- Wortschöpfung des „Wutbür- lungsfeldes Zivilgesellschaft wird dener Epilog eigentlich mit den gers“ eine klare Absage erteilt, auch auf die historische Dimen- Worten „Nun partizipiert mal vor allem um sie zur Verbesse- sion hingewiesen, die von Paul schön!“ enden müsste. Das ist rung der Partizipation durch poli- Ciupke und Klaus-Peter Hufer als dem appellativen Charakter eini- tische Bildung instrumentalisie- Experten vertreten wird, die dar- ger Beiträge der 205 Seiten star- ren zu können. auf hinweisen, dass wir es keines- ken Tagungsdokumentation zu falls mit einem neuen Phänomen verdanken, die den Leser und die Die Diskussion über Möglichkei- in der politischen Bildung zu tun Leserin in die Argumentation für ten und Grenzen der Partizipa- haben. Bereits in den Jahren der „eine zeitgemäße, auf politische tion wird von den Herausgebern Weimarer Republik zu den Hoch- Teilnahme hin orientierte päda- mit der über Engagement und zeiten der Erwachsenbildung

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ging es um die Positionsbestim- Bildung „tatsächlich attraktiver also in den Stadtteilen und mung „objektive Volkshochschu- und zugänglicher machen kön- Kommunen, sei aufgrund zuneh- le oder ehrliche Parteischule.“ nen.“ mend klammer werdender Stadt- kassen nichts mehr übrig, was Benedikt Widmaier setzt am in- Als Begründung führt sie die ver- von Bürgerinnen und Bürgern zwischen ergrauten Begriff der änderte politische Lage (Stich- noch mitzugestalten wäre. Und Parteienverdrossenheit an und wort: Postdemokratie) an, die das, was sich für eine Beteiligung legt von dort ausgehend eine sich auch in der politischen Bil- der Bürger/-innen anbieten wür- Zeitschiene über die zunehmen- dung widerspiegeln muss, und de, haben die Kommunen bereits de Bedeutung der Zivilgesell- greift den Negt’schen Ansatz des im neoliberalen Rausch der 90er schaft, den Ansatz der „Demo- Erfahrungslernens auf, der davon Jahre verkauft, privatisiert oder kratiepädagogik“, wobei er am ausgeht, dass Politik und Demo- dichtgemacht. Ende bei der richtigen und nach- kratie dann begreifbar werden, vollziehbaren Erkenntnis landet, wenn sie durch eigenes Erleben Als nachdenkenswert im Sinne dass es ein zentrales Anliegen erfahren werden. Dafür muss sich eigener Institutionenkritik kann der non-formalen politischen die politische Bildung einsetzen die von Hufer angeführte Bildung sein muss, jungen Men- und echte Möglichkeiten schaf- Bestandsaufnahme gesehen – schen „die Gelegenheit anzubie- fen, anstatt Laborsituationen werden, nach der mittlerweile ten, in politische Aktion zu kom- „zur Herstellung demokratischer aus vielen ehemals politisch- men.“ Der schulische Rahmen Kompetenzen“ anzubieten. emanzipatorischen Initiativen wird dafür als denkbar ungeeig- Löschs Beitrag ist geradezu eine der sozialen Bewegung „ganz net angesehen. Absage an die „Schlüsselqualifi- normale“ Weiterbildungseinrich- kationsvermittler“ der Branche tungen mit funktionalen Auftrags- Noch weiter greift der heraus- und als deutliches Plädoyer an maßnahmen geworden sind. ragende Beitrag der Politikwis- die Träger politischer Bildung zu senschaftlerin Bettina Lösch, die verstehen, sich dieser Aufgabe Wer sich ernsthaft in der Politi- zunächst die Frage aufwirft, ob verstärkt anzunehmen und die schen Bildung mit der Entwick- neue Möglichkeiten politischer funktional bestuhlten Seminar- lung und Umsetzung von Partizi- Partizipation die politische Bil- räume mit dem echten Leben pationsprozessen befasst, kommt dung attraktiver machen, und zu tauschen. um die Lektüre dieses Buches auf dem Fuße folgend die ent- nicht herum, das dabei hilft, eine sprechende These aufstellt, dass In die Quere kommt dieser Idee eigene Position zur (Re-)Politisie- nicht nur neue, sondern auch allerdings die immer häufiger rung der politischen Bildung zu unkonventionelle Formen politi- geäußerte Beobachtung, im finden. scher Partizipation die politische Lebensumfeld der Menschen, Boris Brokmeier

Christina Zitzmann: Wie gut sind wir eigentlich? Qualitätsmanagement und Evaluation in der außerschulischen politischen Jugendbildung – Schwalbach/Ts. 2011, Wochenschau Verlag, 352 Seiten

„Wie gut sind wir eigentlich?“ ist der/die Leser/-in aber irritiert, rung gibt am ehesten der Satz, in Diese Frage sowie der Untertitel geht es doch zunächst um die dem sie die beiden Arbeitsfelder des Buchs knüpfen an eine alte, Soziale Arbeit und um soziale aufeinander bezieht: Es ginge ihr aber doch auch wieder sehr Organisationen und deren Quali- in der Forschungsarbeit um die aktuelle Diskussion über die tätsmanagementkonzepte und „Fragen der Qualität in einem Wirksamkeit von politischer Bil- Evaluationen. Diese Vermischung sozialpädagogischen Handlungs- dung und deren Messbarkeit an ist nicht ganz nachvollziehbar, feld, der außerschulischen politi- (vgl. z. B. auch Heft 2/2011 des auch da die Autorin in der Ein- schen Jugendbildung.“ (S. 15) Journal für politische Bildung) führung mal von der politischen und scheinen eine spannende Jugendbildung, mal von der Sieht man von dieser Unklarheit Lektüre zu versprechen. Schnell Sozialen Arbeit spricht. Aufklä- ab, wird mit diesem Band ein

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wichtiges, spannendes Thema fentlichung einer Dissertation kung einer subjektorientierten behandelt, da dem Mangel an handelt, wird jedes Thema sehr Bildungsarbeit, die die Lebens- systematischer Analyse und grundsätzlich behandelt und zu welt der Jugendlichen konse- Bewertung von Qualitäts- und jedem aufkommenden Aspekt quent einbezieht, spricht. Evaluationskonzepten begegnet werden detaillierte Begriffsklä- werden soll. Denn eines ist offen- rungen und theoretische Einfüh- Wichtig ist der Autorin, dass für kundig: Viele Evaluationen sind rungen gegeben. eine bessere Zielerreichung der ineffizient, da ihnen Modelle Konfliktseminare eine Überarbei- und Ansätze zugrunde gelegt Der zweite Teil widmet sich dem tung der Konzepte und vor allem werden, die eher als Legitima- konkreten Forschungsvorhaben, eine Ausweitung der Seminar- tionsforschung für verschiedene dem empirischen Vorgehen und dauer wichtig wäre, um noch Programme funktionieren, als dass dem Forschungsablauf sowie der bessere Wirkungen zu erzielen, sie wirklich zur Qualifizierung Auswertung der Untersuchungs- auch wenn die Grenzen deutlich der Bildungspraxis beitragen. ergebnisse. Gegenstand der Pra- zu erkennen sind: Bereits vorhan- xisforschung, in der Forschung denes gewalttätiges Verhalten Qualitätsmanagement wird von und Beratung in Qualitätszirkeln lässt sich mit diesen Seminaren der Autorin als eine wichtige miteinander verknüpft wurden, nicht abbauen. Aufgabe Sozialer Arbeit benannt. waren 15 Konfliktseminare eines Ziel der vorliegenden Arbeit sei katholischen Trägers. Die teilneh- Wer wird sich mit dieser umfang- daher herauszufinden, „wann menden Jugendlichen wurden reichen, ausführlichen Dokumen- Qualitätsmanagement- und Eva- nach ihrem Wissens- und Kompe- tation des Forschungsprozesses luationsprozesse in der Sozialen tenzerwerb befragt (unmittelbar auseinandersetzen? Einen Gewinn Arbeit erfolgreich verlaufen“ vor und nach den dreitägigen haben sicher die am Prozess betei- (S. 10) oder eben, wie auf der Veranstaltungen), während die ligten Mitarbeiter/-innen, die in nächsten Seite avisiert, „unter begleitenden Lehrkräfte und das den Qualitätszirkeln die For- welchen Bedingungen (…) pädagogische Team befragt wur- schung mitgestalten, die Refle- Qualitätsmanagement- und den, wie sich der Wissens- und xion der Seminare systematisch Evaluationsprojekte im Feld der Kompetenzerwerb der Teilneh- analysieren und ihre Arbeit außerschulischen politischen menden aus ihrer Sicht jeweils weiterentwickeln konnten. Jugendbildung erfolgreich“ sind. gestaltete. Sicher kann die Forschungsarbeit Zudem geht es der Autorin „um auch für die Legitimation politi- die Frage der Messbarkeit und Die Ergebnisse werden auf den scher Bildung hilfreich sein. Die Bewertung vom Erfolg sozial- Ebenen der Teilnehmenden und mit Qualitätsmanagement und pädagogischer Hilfeleistun- der Fachkräfte differenziert dar- Evaluation befassten politischen gen.“ (S. 10) Diese Fragen wer- gestellt. Es wurden positive Effek- Bildner/-innen, die ein Interesse den dann wiederum anhand von te in Hinblick auf die unterschied- daran haben, die Bewertungs- Konfliktbewältigungsseminaren lichen Dimensionen (Selbst- und kriterien für die politische Bil- in der außerschulischen politi- Fremdwahrnehmung, Kommuni- dung mitzubestimmen und ihre schen Bildung bearbeitet. kationsfähigkeit, gewaltfreie Bildungsarbeit an ergebnisorien- Konfliktbearbeitung, Koopera- tierten Qualitätsmaßstäben aus- Im ersten großen Teil der Studie tionsbereitschaft) gemessen, die zurichten, können aus diesem werden Begriffe geklärt, unter- allerdings nicht alle unbedingt Forschungsvorhaben vielfältige schiedliche Konzepte vorgestellt von langer Dauer waren, wie Anregungen gewinnen, auch und miteinander verglichen. Nachgespräche verdeutlichten. wenn „… das pädagogische Konkret geht es um das Ver- Ein Grund dafür kann sein, dass Handlungsrisiko der Praxis aber ständnis von Qualität, von Qua- es nicht ausreichend gelingt, die erhalten bleibt“, so Helle Becker litätsmanagement und Evaluatio- Lebens- und Alltagsrealität der in dem bereits genannten The- nen in sozialen Organisationen Jugendlichen in den Seminaren menheft des Journal für politi- und um die Qualitätsarbeit in der einzubeziehen. Das ist aus Sicht sche Bildung (S. 17). außerschulischen politischen Bil- der Rezensentin ein wichtiger dung. Da es sich um die Veröf- Befund, der sehr für die Verstär- Friedrun Erben

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Tanja Betz/Wolfgang Gaiser/Liane Pluto (Hrsg.): Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Forschungsergebnisse, Bewertungen, Handlungsmöglichkeiten – Schwalbach Ts. 2010, Wochenschau Verlag, 302 Seiten

Die Partizipation von Kindern und Handlungsempfehlungen Frage, wie Kinder und Jugend- und Jugendlichen an Prozessen gegeben hat, die eine solche liche als partizipative Akteurs- und Entscheidungen in Politik Sortierung nicht gerade leichter gruppen in die unterschiedlich- und Gesellschaft ist in Deutsch- machen. Mit der Vielzahl der Par- sten Beteiligungsmöglichkeiten land seit einigen Jahren ein tizipationsinitiativen hat sich das hineinwachsen können und wel- Dauerthema. Das ist gut so und Begriffsverständnis nicht sonder- chen Herausforderungen sich die es ist wichtig, darauf auch immer lich geschärft, eher scheint noch Gesellschaft dabei stellen muss. wieder durch Publikationen in unübersichtlicher geworden zu Zugleich werden neue Befunde ganz unterschiedlichen Kontex- sein, was denn nun genau als geliefert, die darüber informie- ten aufmerksam zu machen. Partizipation bezeichnet werden ren, wie bestehende Beteili- Damit bleibt das Thema zumin- soll und kann, zum Teil wider- gungsmöglichkeiten von jungen dest in der Fachöffentlichkeit sprechen sich die fachlichen Menschen wahrgenommen, auf- präsent. Inwieweit es als tatsäch- Debatten an den entscheidenden gegriffen oder auch verändert liche Herausforderung zum Han- Stellen sogar. Der vorliegende werden. Besonders interessant deln an die entsprechenden Ent- Band nimmt deswegen drei sind die Beiträge zur Diskussion scheidungsträger gelangt, ist Linien der aktuellen Fachdiskus- über die Herabsetzung des Wahl- eine andere Sache und spielt sion auf und bietet mit einer alters oder zur Bedeutung des zumeist erst in der Folge von ent- Vielzahl an Aufsätzen dazu Web 2.0 im Zusammenhang mit sprechenden Veröffentlichungen nicht etwa die fertigen und letzt- Kinder- und Jugendbeteiligung. eine Rolle. Mit dem vorliegenden gültigen Antworten, wohl aber Zudem sind Ergebnisse des DJI- Band „Partizipation von Kindern lesens- und nachdenkenswerte Surveys 2007 zu finden. In Teil II und Jugendlichen“ werden Beiträge für deren Weiterfüh- werden aus der institutionellen aktuelle Untersuchungen, Befun- rung. Zum Ersten bestehen in Perspektive Gelegenheitsstruktu- de und Handlungsmöglichkeiten, der Gesellschaft sehr unterschied- ren für Partizipation in Familie, vor allem aus dem Kontext des liche Vorstellungen und Bilder Schule und Jugendhilfe fokus- Deutschen Jugendinstitutes, vor- über Kinder und Jugendliche und siert. Angesichts aktueller Ent- gelegt. Das DJI, so formuliert es dazu, wie diese an den sie betref- wicklungen hat dabei die Ganz- Roland Roth im Vorwort der fenden Entscheidungsprozessen tagsschule ein besonderes Publikation, verfügt im Feld der beteiligt werden können und Gewicht in den Beiträgen, aus Kinder- und Jugendbeteiligung sollten. Zum Zweiten tauchen im dem großen Feld der Jugendhilfe über einige Alleinstellungsmerk- Zusammenhang mit den notwen- werden mit einem Aufsatz male, vor allem durch Langzeit- digen Investitionen, insbesonde- Erkenntnisse aus der Heimerzie- untersuchungen wie Kinderpanel re in Kinder, zur Sicherung des hungsforschung vorgestellt. In oder Jugendsurvey. Mit diesen Sozialstaates die Aspekte nach Teil III schließlich werden einige über viele Jahre verfolgten der Beteiligung als Betroffene wenige ausgewählte aktuelle Untersuchungen ist es aus dem immer wieder auf. Und zum Drit- Programme und Modelle politi- Institut heraus sehr gut möglich, ten stellt die Debatte um bürger- scher Akteure aufgegriffen, die eine kompakte und solide schaftliches Engagement in einer sich um mehr Beteiligungsmög- Gesamtübersicht über Ansätze, modernen Gesellschaft auch die lichkeiten von jungen Menschen Motive, Praxisformen und neuere Frage nach der Beteiligung von in der Gesellschaft bemühen. Entwicklungen im Themenfeld jungen Menschen, gerade ange- Der Fokus liegt dabei auf einem abzubilden. sichts der zu erwartenden demo- bundesweiten Aktionsprogramm graphischen Veränderungen, die für mehr Jugendbeteiligung Die Herausgeber verweisen zu ein Verschwinden von Jugend (BMFSFJ, DBJR und BpB), dem Recht darauf, dass eine grund- mit sich bringen. Bundesprogramm gegen Rechts- sätzliche Schwierigkeit darin extremismus „Entimon“ und besteht, innerhalb des Feldes Sor- Der Band stellt Akteure, Insti- dem Positionspapier des Bundes- tierungen vornehmen zu müssen, tutionen und die politische jugendkuratoriums zu Anspruch nicht zuletzt deshalb, weil es in Gestaltung von Partizipation in und Wirklichkeit der Partizipa- den vergangenen Jahren eine insgesamt 13 Aufsätzen zur Dis- tion von Kindern und Jugend- Vielzahl an Projekten, Ansätzen kussion. Im Teil I geht es um die lichen in Deutschland.

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Insgesamt bringt der Band keine Jugendinstitutes hilfreich und des Buches deutlicher erkennbar überraschenden neuen Erkennt- sinnvoll gewesen – der Titel machen. Eben wegen der bereits nisse, liefert aber interessante „Partizipation von Kindern und erwähnten Alleinstellungsmerk- Beiträge für die weitere Diskus- Jugendlichen“ lässt mehr Grund- male des DJI an dieser Stelle sind sion im Themenfeld. Vielleicht sätzliches zum Thema erwarten. dessen Befunde in der fachlichen wäre zur Einordnung der Aufsät- Diese Erwartungen werden ein wie der gesellschaftlichen Diskus- ze in die Gesamtdebatte ein Hin- wenig enttäuscht. Das ist jedoch sion um Jugendbeteiligung weis im Untertitel des Buches auf kein wesentliches Manko, es wür- unverzichtbar. den Kontext des Deutschen de jedoch den spezifischen Wert Stephan Schack

Hermann Giesecke: Pädagogik – quo vadis? Ein Essay über Bildung im Kapitalismus – Weinheim und München 2009, Juventa Verlag, 200 Seiten

Der bekannte, inzwischen emeri- tung der Gesellschaft geführt Allgemeinbildung mehr gefor- tierte Erziehungswissenschaftler und die sog. Bildungsfernen dert werde, sondern Arbeits- Hermann Giesecke hat hier ein noch bildungsferner gemacht. Da markt- oder Beschäftigungs- Essay vorgelegt, das man durch- helfen auch die aufgehübschten fähigkeit (employability). Der aus als Streitschrift verstehen Statistiken über den ständig stei- Autor unterscheidet klar zwi- kann und das zahlreiche Anstöße genden Anteil von Hochschul- schen Erziehung (Herausbildung zur Reflexion und Diskussion bie- absolventen nur wenig. Die erwünschter Verhaltensweisen) tet. Wohin es in Zeiten des vor- ungeschminkte Analyse und und Bildung (die bestimmte erst alternativlosen Kapitalismus Praxis zeigen, dass wir es mit gesellschaftliche Normen und in Europa mit der Pädagogik hin- unübersichtlichen Verhältnissen Werte in Frage stellen und sub- geht, ist in der Tat eine interes- zu tun haben, in denen sich der versiv sein kann) und konstatiert sante Frage, gerade wenn man Staat als einstiger Träger des Bil- zudem, dass Bildung aufgrund sich in den letzten beiden Jahr- dungsmonopols und als Bildungs- ihres subjektiven Anteils nicht zehnten mit der Transformation und Erziehungsinstanz weitge- messbar sei. (S. 38) Er beklagt der Pädagogik und den zahlrei- hend aus der Verantwortung ent- explizit, dass in den bildungspoli- chen Schul- und Bildungsrefor- lassen hat – mit spürbaren Folgen tischen Debatten nicht mehr von men in Ostmitteleuropa beschäf- für Schulen und Universitäten, Forderungen die Rede ist, was tigt hat. Inzwischen wird die die verzweifelt nach Sponsoren seiner Auffassung nach bei sämt- zunächst von der sozialismus- suchen und auf der Jagd nach lichen Beteiligten zu einer star- geschädigten Ober- und Mittel- knappen, prestigeträchtigen ken Desorientierung geführt schicht dieser Staaten vorbehalt- Drittmitteln sind. habe. lose Bejahung der Privatisierung von Bildung recht kritisch Eine ähnliche Entwicklung voll- Folgerichtig kritisiert Giesecke betrachtet. Nicht nur in der zieht sich seit über zwei Jahr- die Psychologisierung des päda- Forschung, wo man feststellt, zehnten auch in den westeuropä- gogischen Handelns und Den- dass die Ergebnisse privater ischen Staaten, und damit auch kens, bei dem man dazu neige, Hochschulen nicht viel besser, in der Bundesrepublik, wo eine Lebensäußerungen – besonders häufig schlechter sind als die nachhaltige Psychologisierung im Konfliktfall – zu relativieren. staatlicher Institutionen, sondern und Ökonomisierung von Bil- Die Absenz der Wörter „Pflicht“ auch in der öffentlichen und ver- dung stattgefunden hat. Bevor und „Verpflichtung“ wird hinter- öffentlichten Meinung, wo zuse- sich Giesecke allerdings mit die- fragt; es gehe nicht mehr um hends deutlicher wird, dass Bil- sen beiden Hauptsträngen seines Subjekte mit Pflichten und Ver- dung nahtlos mit dem sozialen Essays auseinandersetzt, bricht er pflichtungen, sondern um solche Status weitervererbt wird. Der zunächst eine Lanze für den mit Rechten und Wahlmöglich- Übergang vom real existierenden Begriff der Forderung als päda- keiten. (S. 69) Ebenso deutlich Sozialismus zum real existieren- gogischer Maxime. Er konstatiert wendet sich der Autor gegen die den Kapitalismus neoliberalen einen Schwund des klassischen Praxis des sog. „Lernvertrags“, da Zuschnitts hat auch in der arg Bildungsbegriffs, da von den dieser unterstelle, dass es sich strapazierten Bildungslandschaft Schülern/Schülerinnen nach dabei um das Resultat einer Ver- Ostmitteleuropas zu einer Spal- Abschluss ihrer Ausbildung keine handlung zwischen unabhängi-

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gen und autonomen Partnern Dreigliedrigkeit und einem län- der Ruf nach Flexibilität keine handele. Dabei werde die Ver- geren gemeinsamen Lernen anthropologische Generalforde- antwortung für das Gelingen erblickt Giesecke kein prakti- rung darstellen, sondern nur eine weitgehend den Lernenden kables Rezept, um das deutsche spezielle Erwartung im Berufs- zugespielt, da man unterstelle, Schulsystem nachhaltig zu refor- bereich. Konsequenterweise kri- dass sie selbstkritisch und selbst- mieren, selbst liefert er aber auch tisiert Giesecke deshalb auch den reflexiv ihre Stärken und Schwä- keinen überzeugenden Ansatz Begriff „Humankapital“ und die chen beschreiben können. Bei zur Reform der Hauptschule und Art seines Gebrauchs. Auch reibt sich einstellenden Misserfolgen zu einer besseren schulischen er sich an der allenthalben erho- sei schließlich kein/-e Schüler/-in Integration bildungsferner benen Forderung nach „Team- und auch kein/-e Lehrer/-in mehr Schichten. arbeit“ in der Schule und ihrer für das eigene Handeln verant- Definition als „Schlüsselqualifi- wortlich; dafür brauche man Das Scheitern der Bildungsrefor- kation“. Ebenso seien die modi- aber ein Heer von Psycholog/ men der 1960er und 1970er Jah- schen Schlagwörter wie „kogni- -inn/-en, um mit „dem Bösen“ re, die vor allem aus wirtschaft- tive Kompetenz“, „lernende fertig zu werden. lichen Gründen umgesetzt Organisation“ oder „Kernkom- wurden, führte bekanntlich petenz“ nur wenig aussagefähig Volkswirtschaftlich betrachtet dazu, dass man ab den 1990er und aus der Not geboren, um existiere eine berechtigte Rück- Jahren einen anderen Ansatz – komprimierte Grundlagen für die forderung der Gesellschaft an die den der Autonomisierung der gemeinsame Ausbildung ganzer jüngere Generation in der ideel- Schule – vertrat. Dies habe laut Berufsgruppen zu finden.(S. 120) len Form eines Kredits oder des Giesecke zur Konsequenz Ausführlich zitiert und kommen- „Generationenvertrags“. Bildung gehabt, dass so etwas wie ein tiert er die fundamentale Kritik sei nämlich auch in dem wohl- Kerncurriculum vorgegeben Friedhelm Hengsbachs an der habenden Deutschland ein knap- wurde, um annähernd gleiche sog. Agenda 2010 mit ihrer Indi- pes und teures Gut, das nicht Standards formulieren zu kön- vidualisierung und Reduktion des zum geistigen Nulltarif angebo- nen. Gleichzeitig begannen im Freiheitsbegriffs auf die Freiheit ten werden könne. Im Hinblick Kontext der Ökonomisierung der des Zugangs zum Arbeitsmarkt auf die mittelmäßigen deutschen gesamten Gesellschaft betriebs- und zur Teilnahme am Konsum- Ergebnisse der PISA-Studie an wirtschaftliche Maßstäbe wie markt. Sehr kritisch äußert sich deutschen Schulen und ihrer Effektivität, Effizienz, Organisa- Giesecke auch zu den Zielen und europaweit konstatierten unzu- tionsmanagement und Erfolgs- Methoden der Qualitätssiche- reichenden Durchlässigkeit argu- kontrolle eine immer größere rung an Schulen und Universi- mentiert der Autor, dass nicht die Rolle zu spielen. (S. 101) täten, da es bei ihnen nicht um in der Kritik stehende Dreiglie- inhaltliche Auseinandersetzung drigkeit dafür verantwortlich sei, In diesem Kontext wirft der gehe, sondern um „simple Quan- sondern die Tatsache, dass das, Autor die legitime Frage auf, tifizierbarkeit“. Massive Kritik „was die moderne Schulpädago- wer oder was der Maßstab sei: wird ferner am Bologna-Prozess gik für fortschrittlich halte“, der Mensch oder der Gewinn? und dem im Jahre 2004 heraus- die Kinder aus bildungsfernen Da nur der Staat nicht gewinn- gegebenen Bologna-Reader Schichten zusätzlich benachtei- orientiert arbeite, sondern sich geübt, der sich durch „tristen lige. (S. 86) am Gemeinwohl orientiere, Materialismus“ und „Utilita- sollten Erziehung und Bildung rismus“ auszeichne. Ebenso Die Unterrichtenden sollten nicht öffentliche Aufgaben bleiben. kritisch setzt sich der Autor mit nur Moderatoren für bestimmte Daran habe die neoliberale dem Kompetenzbegriff ausein- Lernprozesse sein, sondern müss- Praxis – so Giesecke – aber kein ander und stellt die Frage, ob ten leiten und entsprechende Interesse, da ihre leitenden Maß- sich Kompetenz überhaupt Orientierungen vermitteln. Sie stäbe des ökonomischen Denkens didaktisch-methodisch opera- müssten versuchen, kulturelle wie Veränderung, Innovation tionalisieren lasse. Fragwürdig Differenzen zwischen Unter- und Flexibilität traditions- und sei auch eine überspannte empi- schichtskindern und Mittel- geschichtslos seien. Schulische rische Bildungsforschung, bei schichtsmilieu aktiv auszuglei- Ziele, also die der Bildung, seien der es permanent um Messbar- chen, denn das könne von den aber nicht aus ökonomischen keit und Vergleichbarkeit gehe, Kindern selbst nicht geleistet Vorgaben ableitbar. Dement- zumal es keine zuverlässigen werden. In der Aufhebung der sprechend könne zum Beispiel Parameter gebe, an denen sich

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erfolgreiches pädagogisches Seine Hoffnungen setzt er des- nis, dass das Bildungssystem in Handeln orientieren könne. halb auf die weiterhin tonange- eine pädagogische, wissenschaft- bende Mittelschicht und auf die liche, politische und menschliche Herbe Kritik übt Giesecke an dem zeitweise stark geschmähte Sackgasse geraten sei, weil sich sich allenthalben durchsetzenden Bedeutung einer breiten Allge- die Politik aus ihrer Verant- Marktliberalismus, der soziale meinbildung. Entschieden spricht wortung verabschiedet und das Verbindlichkeiten scheue. Not- er sich gegen Stoffhuberei aus Feld einem ungeregelten Markt wendig sei deshalb wieder ein und postuliert, dass eine Bil- von „halbgaren Moden“ über- politisch relevantes Wertesystem, dungsschule nicht auf dem Wett- lassen habe. Giesecke schließt das öffentlich akzeptierte Gegen- bewerb der Schüler/-innen beru- deshalb nicht aus, dass Studen- werte im Sinne einer Balance zur he, sondern allenfalls auf dem ten eines Tages ihre „Modul- Geltung bringen könnte. Der der Lehrer/-innen. Er gibt zu handbücher“ auf dem Campus Autor stellt die berechtigte und bedenken, dass blindes Weiter- verbrennen und die Forderung besorgte Frage, was aus dem machen (also Dauerreformieren erheben, „einfach nur studieren öffentlichen pädagogischen und ohne erkennbare Strategie) nicht zu wollen“. bildungspolitischen Diskurs wer- nur ein technisches, sondern de, wenn man erst einmal begrif- auch ein soziales System zerstö- Da darf man ja gespannt sein! fen habe, dass er nur ein Ableger ren könne. Der Autor kommt neoliberaler Allmachtsphanta- insgesamt zu dem wenig erfreu- sien gewesen sei. lichen, beunruhigenden Ergeb- Zbigniew Wilkiewicz

Dieter Gnahs: Kompetenzen. Erwerb, Erfassung, Instrumente – Bielefeld, 2. Aufl. 2010, W. Bertelsmann Verlag, 129 Seiten

Spätestens seit der Debatte über felder. Dazu gehört die Erstel- wichtigen Schritt zur Versachli- den Europäischen Qualifikations- lung von Qualifikationsrahmen, chung. Er eröffnet drei Zugänge rahmen (EQR) hat in der non-for- die eine bildungspolitische Syn- zum Kompetenzthema, und malen, außerschulischen Bildung chronisierung in Europa anstre- zwar auf wissenschaftlicher, bil- das Thema Kompetenzerwerb ben, aber auch divergierende dungspolitischer und bildungs- Priorität. Auch im Bundesaus- nationale Entwicklungen und praktischer Ebene. Zunächst schuss Politische Bildung (bap) kontroverse Debatten ausgelöst macht er deutlich, woher die befasst sich damit in einem neuen haben. Die DIE-Veröffentlichung Konjunktur des Konzepts rührt Anlauf die Arbeitsgruppe nimmt zwar immer wieder Bezug und wie es sich durchgesetzt hat. Grundsatzfragen, die sich 2011 auf solche Kontroversen – von Dann folgt die Diskussion lern- neu konstituiert hat. Die ange- den Vorbemerkungen bis zum oder sozialisationstheoretischer zeigte Schrift zum Kompetenz- Ausblick im 7. Kapitel – stellt sie Ansätze zum Kompetenzerwerb. thema von Professor Dieter aber nicht mit ihrer grundsätz- Die folgenden Kapitel (4 - 6) Gnahs, Leiter des Forschungs- lichen Kritik am eingeschlagenen befassen sich mit der Frage, und Entwicklungszentrums am bildungspolitischen Kurs in den wie dieser Erwerb im Bildungs- Deutschen Institut für Erwachse- Mittelpunkt, wie dies etwa Lud- prozess sichtbar gemacht werden nenbildung (DIE), erschien zuerst wig A. Pongratz in diversen Ver- kann, welche Anwendungsfelder 2007 und liegt seit 2010 in einer öffentlichungen oder Paul Ciupke existieren und wie konkrete aktualisierten Neuauflage vor. in seinem Aufsatz in AB 3/10 mit Erfassungsinstrumente aussehen. Das DIE richtete 2007 auch einen Blick auf die allgemeine und poli- Im abschließenden Kapitel wer- Arbeitsschwerpunkt „Kompe- tische Erwachsenenbildung den „mögliche Perspektiven“ tenzdiagnostik/Kompetenzmes- getan haben. aufgezeigt, was Entwicklungs- sung“ ein. erfordernisse in Wissenschaft Was Gnahs mit seinem Studien- und Praxis einschließt. Dabei Die Neuauflage des DIE-Studien- text leistet – die Schaffung einer wird auf die als „Erwachsenen- textes berücksichtigt vor allem Informationsgrundlage – bedeu- PISA“ bekannt gewordene die Weiterentwicklung der tet beim Stand der gegenwärti- PIAAC-Erhebung Bezug genom- Instrumente und Anwendungs- gen Auseinandersetzung einen men. Abgerundet wird das Buch

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mit einem Anhang (Glossar, Lite- wichtigen bildungspolitischen der Outputorientierung Kompe- ratur, Register). Erklärungen auf europäischer tenzerfassung, letztlich Quantifi- Ebene (und in unterschiedlicher zierung und Messung der Lerner- Bei der Publikation sind drei Weise in den nationalen gebnisse. Damit schiebt sich ein Punkte festzuhalten. Erstens wird Beschlüssen) der Orientierung Modell abschlussorientierter Bil- klar, dass der neue Ansatz ein- auf Beschäftigungsfähigkeit als dungspraxis in den Vordergrund, deutig aus einer bildungsökono- Ergänzung das zivilgesellschaftli- das gerade in der politischen mischen Perspektive kommt, che Engagement, das Leitbild der Jugend- und Erwachsenenbil- nach der das „nachschulische Active Citizenship, hinzugefügt dung nicht maßgeblich sein kann. Weiterlernen … zur Bewältigung worden ist, dass dieser Ansatz- Um die (auch immanente) Wider- von praktischen Lebens- und punkt aber, der von der politi- sprüchlichkeit des bildungspoliti- Arbeitsanforderungen“ einzuset- schen Bildung genutzt werden schen Mainstreams kennenzuler- zen ist, wie es im BLK-Strategie- kann, nichts an der heute gülti- nen, bietet die Veröffentlichung papier für lebenslanges Lernen gen Grundausrichtung des von Gnahs eine gute Grundlage. von 2004 heißt. Zweitens zeigt lebenslangen Lernens ändert. sich, dass von Anfang an in den Drittens heißt die Konsequenz Johannes Schillo

Wolfgang Antes: Projektarbeit für Profis – Praxishandbuch für moderne Projektarbeit – 2. Auf- lage, Weinheim/München 2010, Juventa Verlag, 184 Seiten

Der Autor Wolfgang Antes gibt der Rolle der Beteiligten an Pro- ßere Projekte sollte man aller- in dem Buch „Projektarbeit für jekten. Die Kapitel werden zum dings auf eine Projektmanage- Profis“ auf ca. 180 Seiten in vier Teil durch ein Glossar, das die mentsoftware zurückgreifen, die Kapiteln eine Einführung in die wichtigsten Begriffe kurz erläu- mehr Funktionen bietet, etwa Projektarbeit. Ein fünftes Kapitel tert, oder durch weiterführende Gantdiagramme, Ressourcen- ist der zum Buch gehörenden Literaturhinweise abgeschlossen. management und Wissens- Software gewidmet. Die ersten management. Solche Lösungen vier Kapitel umfassen die The- Das kurze Kapitel fünf weist auf sind häufig schon als ein Modul men Projektplanung, Projekt- den Projektmanager Plus hin. in Groupwarelösungen enthalten organisation, Projektmarketing Dieses Programm ist eine Web- oder als eigenständige Software und Projektleitung. basierte Projektsoftware, zu der erhältlich. Dadurch entfällt auch mit einem abgedruckten Formu- die Bindung an einen Anbieter Das erste Kapitel Projektplanung lar eine Zugangskennung bean- und an dessen Produktpolitik, bietet einen Überblick über Ent- tragt werden kann. Es wird dann was etwa die Weiternutzungs- stehung, Begriffe, Ziele und ein Zugang für eine kostenlose möglichkeit nach der Testphase Methoden der systematischen Nutzung vergeben, die auf betrifft. Projektarbeit. Im Kapitel „Pro- 12 Monate beschränkt ist, die jektorganisation“ geht der Autor sich aber um ein weiteres Jahr Das Buch richtet sich an Einstei- auf die Themen Controlling, kostenlos verlängern lässt. In ger in das Projektmanagement. Organisationsformen und die dieser Zeit kann die Software für Ihnen werden umfangreiche und Präsentation von Projekten ein. eigene Projekte verwendet wer- praxisorientierte Anleitungen für Den größten Umfang in dem den. Erst danach behält sich der die Planung und Umsetzung von Buch hat das Kapitel über das Anbieter der Software vor, einen Projekten gegeben. Auf zu viele Projektmarketing. Hier wird auf Kostendeckungsaufwand für die theoretische Grundlagen wird Themen wie Suche nach Kunden Nutzung zu erheben. zugunsten einer übersichtlichen und Gesprächspartnern, Umgang und leicht für eigene Projekte mit Medienvertretern, Corporate Die Software ist für kleine Projek- anwendbaren Vermittlung von Identity und Corporate Design te gut geeignet, es können Teil- Praxiswissen verzichtet. Das Buch sowie Platzierung eines Projektes aufgaben und Arbeitspakete gewinnt seinen Praxiswert aus als Marke eingegangen. Kapitel erstellt werden, ebenso ist eine den vielen Checklisten, Grafiken vier befasst sich unter dem Titel Finanzplanung für die Projekte und Übersichten, Diagrammen, „Projektleitung“ mit Prozessen mit Kalkulation der Einnahmen auflockernden Karikaturen und und Teams in Projekten und mit und Ausgaben möglich. Für grö- Praxishinweisen und -beispielen.

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Was etwas auffällt, ist das Fehlen Vorhaben als Projekt angehen der Autor nicht in zu langen eines umfassenden Inhaltsver- wollen. Gleichzeitig eignet es Abhandlungen über Projekt- zeichnisses am Anfang des Buches. sich auch für alle, die anderen die theorie oder theoretische Hinter- Ein Verzeichnis der Unterkapitel Methoden der Projektarbeit ver- gründe und Grundlagen. Die findet sich jeweils nur am Anfang mitteln wollen und dafür Anre- Inhalte sind auch aufgrund der eines jeden Kapitels. Das mindert gungen suchen. übersichtlichen Darstellung nicht die Qualität des Buches, direkt in der eigenen Projekt- erschwert lediglich seine Verwen- Das Buch wird seinem Untertitel arbeit anwendbar. dung als schnelles Nachschlage- „Praxishandbuch für moderne werk in der praktischen Projekt- Projektarbeit“ gerecht. Zum Die Software ist eine gute Ergän- arbeit. einen werden Themen wie Mar- zung zum Buch und ein Einstieg keting, Corporate Identity, Cor- in die Verwendung von Projekt- Als Zielgruppen kommen nicht porate Design und die Verortung managementsoftware, ohne sich nur Hauptamtliche infrage, von Projekten als Marke als in aufwändigere Lösungen ein- deren tägliche Arbeit das Mana- selbstverständlicher Bestandteil arbeiten zu müssen. Sie eignet gen von Projekten ist, sondern von Projektarbeit erwähnt und sich jedoch nicht für größere und auch Mitarbeitende in Vereinen, machen so die veränderten komplexere Projekte. NGO, Bürgerinitiativen und allen Anforderungen an Projektleitung Zusammenschlüssen, die ein zeit- und Projektdurchführung deut- lich begrenztes und einmaliges lich. Zum anderen verliert sich Frank Wittemeier

Frank Schulze: Humor als regulative Idee politischer Bildung – Schwalbach/Ts. 2010, Wochenschau Verlag, 430 Seiten

Das Nachdenken über das Wesen dem bisherigen Schattendasein Erwachsenenbildung. Hierbei des Humors hat seit der Antike herauszuholen, ist der Ausgangs- fokussiert er insbesondere die eine lange Tradition in Philoso- punkt für die Publikation von konstitutiven Antinomien bzw. phie, Literaturwissenschaft und Frank Schulze, die im Jahr 2009 Spannungsfelder professionellen anderen Geisteswissenschaften. als Dissertation an der Fakultät pädagogischen Handelns. Daran Und die Ansätze zur Erklärung für Humanwissenschaften der anknüpfend betrachtet er – vor dieses Phänomens reichen von Universität Bamberg angenom- dem Hintergrund der relevanz- der Überlegenheits- über die men wurde. Dabei ist es Schulze bezogenen Zuordnung zu Inkongruenz- bis hin zur Ent- ein besonderes Anliegen, eine bestimmten Antinomien – selek- spannungs- und Erleichterungs- Professionalitätsauffassung und tiv drei Humormerkmale, die theorie. So beschreibt Sigmund Kompetenzbeschreibung zu ent- gleichzeitig auch die Anforde- Freud z. B. das Lachen als eine wickeln, die die „Theorie-Praxis- rungen, auf die sie sich beziehen, Form der Selbst-Tröstung. Aber Schranke“ überwindet und „poli- beschreiben: Interaktionskompe- welche Rolle spielt der Humor tischen Erwachsenenbildnern als tenz, Resilienz und Relationie- in Theorie und Praxis der politi- Anregung und Bezugspunkt für rungskompetenz (S. 40). Im fol- schen Erwachsenenbildung? die Reflexion und gegebenenfalls genden Kapitel führt Schulze Einer Profession, die immerhin Weiterentwicklung ihrer profes- ausführlich die beiden theoreti- seit Jahrzehnten eine nicht nach- sionellen Persönlichkeit, Arbeit schen Referenzgrößen für seine lassende Krisendiskussion führt und Kompetenz dienen könnte Fundierung reflexiver Professio- und so der Entspannung und […]“ (S. 19). In insgesamt fünf nalität für die politische Bildung Erleichterung oder vielleicht gar Kapiteln verfolgt der Autor in ein: den kritischen Rationalismus der Selbst-Tröstung dringend seiner Studie dieses ambitionier- Karl Poppers und die Dialogphi- bedarf. Gerade hier, aber auch te Vorhaben. losophie Martin Bubers. Zwar in der allgemeinen Erwachsenen- betont der Autor, dass sich beide pädagogik, sind Arbeiten zum Nach der Einführung in seine Denkweisen „durchaus in ein Humor eher eine seltene Ausnah- Themen- und Fragestellungen sinnvolles und fruchtbares Ergän- me bzw. Randerscheinung. Dieser bietet Schulze im zweiten Kapitel zungsverhältnis bringen lassen“ empirische Befund, verbunden einen Einstieg in die Grundfra- (S. 17), an manchen Stellen wirkt mit der Intention, den Humor aus gen der Professionalität in der dieses Verhältnis jedoch arg

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konstruiert. Darüber hinaus ist kasmus, Zynismus und Ironie lich der Rolle, die der Humor die recht starre Abgrenzung abgrenzt. In der Unterscheidung spielen kann, und den prinzipiel- gegenüber konkurrierenden zwischen den positiven Eigen- len Schwierigkeiten, ihn gezielt Sozialphilosophien wie der Kriti- schaften des „Großen Humors“ und breit auf gewinnbringende schen Theorie, die nach Schulze und negativen Eigenschaften Weise in die Praxis einzubringen, mit den konstruktivistisch- oder menschenfeindlichen Hand- auf. geprägten Strömungen zurzeit lungsmustern ist es durchaus als die politische Erwachsenenpäda- normatives Regulationskonzept Zusammenfassend lässt sich fest- gogik dominiert (S. 70), irritie- zu verstehen, das den „Umgang halten, dass der Autor mit seiner rend. Dies scheint mir von einem mit den die Praxis politischer in Teilen lesenswerten Disserta- altvorderen Grabenkampfden- Erwachsenenbildung prägenden tion ein Lückenthema der politi- ken geleitet, das in der These Ungewissheiten und Wider- schen Erwachsenenbildung auf- kumuliert, dass sich die Kritische sprüchlichkeiten“ erleichtert. gegriffen hat, das zur weiteren Theorie auf Grund ihres „mehr Laut Schulze geht mit „Großem Beschäftigung mit der Thematik oder weniger untergründigen Humor“ eine höhere Ambigui- in Theorie und Praxis viele antidemokratischen und antilibe- tätstoleranz einher, die sowohl Ansatzpunkte bietet. Auch ralen Grundzuges“ (S. 79) kaum einen erhöhten Burnoutschutz die Verknüpfung ausgewählter zur sozialphilosophischen Aus- als auch eine „ausgeprägte Dis- sozialphilosophischer und päda- buchstabierung des Gehalts poli- position für dezidiert demokra- gogischer Klassiker mit der Lite- tischer Bildung eignet. Solch eine tische Denk- und Verhaltens- ratur zum Humor und das daraus monolithische Sicht- und Denk- weisen“ (S. 215) zur Folge hat. erarbeitete humororientierte weise ist für die Beschreibung der Bereichernd und für den Rezen- Professionalitätsverständnis ist gegenwärtigen Theorie und Pra- senten der stärkste Teil der Stu- ein Verdienst dieser Arbeit. Trotz xis der politischen Bildung weder die sind die Interviews mit Leh- allem hätte dieser Veröffent- adäquat noch zielführend. Daran renden und Teilnehmenden an lichung etwas mehr an differen- anschließend entwickelt Schulze Veranstaltungen der politischen ziertem Urteil oder Relationie- in Anlehnung an den dänischen Erwachsenenbildung. In ihnen rungskompetenz im Hinblick auf Philosophen Harald Höffding geht es u. a. um die Fragen, ob eigene Standpunkte und Theo- (1843-1931) sein Verständnis des Humor lehr- und lernbar ist, und rien sowie eine an manchen Stel- „Großen Humors“, das sich durch wo die Grenzen und Gefahren len nicht ganz so ungestüme eine „Grundhaltung von Aner- des Humors liegen. In den Wortwahl bei der Kritik gut kennung“ (S. 170) auszeichnet Gesprächen tritt deutlich die Dis- getan. und sich somit beispielsweise krepanz zwischen der durchweg deutlich von Spott, Hohn, Sar- positiven Einschätzung hinsicht- Jens Korfkamp

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Markt

Termine

„Interkulturelle Kompetenz Anmeldungen sind bis zum Bundeskongresses ihre eigenen in der öffentlichen Verwal- 14.02.2012 möglich. Workshops realisieren. tung“ ist ein Thema des dritten Fachkongresses „Qualität in der Weitere Informationen: Elena Weitere Informationen: dienstlichen Fortbildung“, Alzate, Stiftung Aufarbeitung, Svetlana Alenitskaya, bpb, den die dbb akademie am 6. und Tel. 030/31 98 95 203, E-Mail: Fachbereich Veranstaltungen, 7. März 2012 im dbb forum berlin geschichtsmesse@stiftung- Tel. 0228/995 15-509, E-Mail: durchführt. Als weitere Veran- aufarbeitung.de, Internet: [email protected], staltungsschwerpunkte stehen www.geschichtsmesse.de. Veranstaltungskalender und die Themen „Resilienz und Burn- weitere Infos im Internet: out“ sowie „Trends und neue www.bpb.de/aktionstage. mediale Lernwege in der Fortbil- Vom 5. bis 23. Mai 2012 soll im dung“ auf dem Programm. Rahmen der Aktionstage politi- sche Bildung 2012 auch in die- Vom 12. bis 14. September 2012 Weitere Informationen: Christa sem Jahr die öffentliche Aufmerk- findet die Jahrestagung der Vißers, dbb akademie Bonn, samkeit auf das mannigfaltige, Deutschen Gesellschaft für E-Mail: [email protected], spannende und wichtige Ange- wissenschaftliche Weiterbil- Internet: www.dbbakademie.de. bot der politischen Bildung in dung und Fernstudium e. V. Deutschland gelenkt werden. Die (DGWF) an der Ludwig-Maximi- Bundeszentrale für politische Bil- lian-Universität München (LMU) Die Bundesstiftung Aufarbeitung dung/bpb, der Bundesausschuss statt. „Wächst zusammen, was lädt vom 8. bis 10. März 2012 zu Politische Bildung (bap), die Lan- zusammengehört? Wissen- ihrer fünften Geschichtsmesse deszentralen für politische Bil- schaftliche Weiterbildung – nach Suhl ein. Thema wird dann dung sowie die Deutsche Vereini- berufsbegleitendes Studium – „Die Zukunft der Aufarbei- gung für Politische Bildung e. V. lebenslanges Lernen“ lautet tung – Demokratie und Dikta- (DVPB) rufen alle Bildungseinrich- das Thema der Veranstaltung, tur in Deutschland und Europa tungen, Institutionen, Unterneh- unter dem noch bis zum 31. März nach 1945“ sein. Neben einem men und Initiativen auf, sich an 2012 Programmbeiträge einge- umfangreichen Programm aus den Aktionstagen Politische Bil- reicht werden können. Über die Podiumsdiskussionen, Vorträgen dung 2012 zu beteiligen und ihre Aufnahme der Beiträge entschei- und Filmvorführungen bietet das Veranstaltungen im zentralen det eine Programmkommission. dreitägige Forum Akteuren aus Veranstaltungskalender der Die Jahrestagung ist für die DGWF der historisch-politischen Bildung Aktionstage einzutragen. Auf auch Anlass für die Auslobung von und anderen Interessierten die der zentralen Veranstaltung der drei Reisestipendien für Nachwuchs- Möglichkeit, sich über Ausstel- Aktionstage 2012, dem Bundes- wissenschaftler/-innen. Die Stipen- lungen, Schulprojekte, Doku- kongress Politische Bildung, wird dien sind mit je 250 Euro dotiert. mentarfilme, Publikationen vom 21. bis 23. Mai 2012 in Berlin sowie Veranstaltungsvorhaben das Thema „Partizipation“ im Informationen und Ausschrei- zur SED-Diktatur und Teilungs- Mittelpunkt stehen. Interessierte bungsunterlagen unter: geschichte zu informieren. Veranstalter können während des www.dgwf.net/tagung.htm.

Publikationen zur politischen Bildung

Mit Ausgabe 4/2011 zum The- dung“, das vom Bundesausschuss aufmerksam gemacht werden, ma „Politische Partizipation“ Politische Bildung im Wochen- das Partizipation nicht einfach endet der erste Jahrgang des schau Verlag herausgegeben Synonym für gesellschaftliches neuen „Journal für politische Bil- wird. Mit dem Heft soll darauf Engagement der Bürgerinnen

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und Bürger ist, sondern auch in gewidmet. In dem Jahrbuch wer- In seinem 2011 veröffentlichten ihrem politischen Bedeutungs- den Beispiele politischer Jugend- Buch „Definitionen. Moderne gehalt eine Beteiligung der Bür- bildung vorgestellt, die sich mit Politikwissenschaft“ präsen- gerschaft auf Entscheidungs-, den Herausforderungen einer tiert Werner Pfennig seine Macht- und Herrschaftsfragen Einwanderungsgesellschaft, also „Sammlung Pfennig“, die er als beinhaltet. Vor diesem Hinter- z. B. gesellschaftlicher Ausdiffe- Wissenschaftler am Otto-Suhr- grund geht es um die Fragen, renzierung, kultureller Hetero- Institut für Politikwissenschaft wie weit der Einflussbereich der genität, des Wandels von Lebens- der Freien Universität Berlin über Bürger/-innen geht, wo die Kon- formen und Quartieren, den viele Jahre hinweg aus persönli- fliktpunkte liegen und wie per- Mechanismen von Diskriminie- chem Interesse heraus angelegt spektivisch das Verhältnis von rung und der ungleichen Ver- hat. Von A wie Abhängigkeit bis Staat und Zivilgesellschaft zu teilung von Lebenschancen, Z wie Zyniker versammelt er Defi- gestalten ist. beschäftigen. nitionen von zahlreichen Begrif- fen aus Politik und Gesellschaft. Bezug: Wochenschau Verlag, Bezug: Evangelische Trägergruppe Es handelt sich dabei zum Teil Adolf-Damaschke-Str. 10, für gesellschaftspolitische Jugend- um wörtliche Zitate aus der Lite- 65824 Schwalbach/Ts., Internet: bildung, Auguststr. 80, 10117 Ber- ratur, zum Teil um Definitionen, www.wochenschau-verlag.de, lin, Internet: www.politische- die der Autor bei Vorlesungen oder den Buchhandel. jugendbildung-et.de. und Konferenzen notiert hat. Das Buch ist im Wochenschau Verlag erschienen. Von der ebenfalls im Wochen- Schwerpunkt von Ausgabe schau Verlag erscheinenden Zeit- 4/2011 der im Wochenschau Bezug: Wochenschau Verlag, schrift „politische bildung“ Verlag publizierten Verbands- Adolf-Damaschke-Str. 10, gibt es zwei neue Ausgaben: Aus- zeitschrift der Deutschen Vereini- 65824 Schwalbach/Ts., Internet: gabe 3-2011 zieht eine Zwischen- gung für Politische Bildung – www.wochenschau-verlag.de, bilanz der „Entwicklungspoli- POLIS – ist das Thema „Was oder den Buchhandel. tik“. In Ausgabe 4-2011 werden die Gesellschaft zusammen- die „Staatsverschuldung“ in hält“. Deutschland und Europa analy- In der Winterausgabe Nr. 41 des siert und Möglichkeiten des Bezug: Wochenschau Verlag, Jugendmagazins fluter, heraus- Gegensteuerns erörtert. Adolf-Damaschke-Str. 10, gegeben von der Bundeszentrale 65824 Schwalbach/Ts., Internet: für politische Bildung, steht das Bezug: Wochenschau Verlag, www.wochenschau-verlag.de, Thema „Geld“ im Mittelpunkt. Adolf-Damaschke-Str. 10, oder den Buchhandel. Vor dem aktuellen Hintergrund 65824 Schwalbach/Ts., Internet: der Finanzkrise wird in den Bei- www.wochenschau-verlag.de, trägen dieses für uns selbstver- oder den Buchhandel. Beiträge über die „Zukunft der ständlich gewordene System aus Demokratie“ versammelt Aus- Zeichen und Regeln namens Geld gabe 4/2011 der Zeitschrift „Ju- beleuchtet und über Perspekti- Die Evangelische Trägergrup- gendpolitik“ des Deutschen ven nachgedacht. pe für gesellschaftspolitische Bundesjugendrings. Auch darin Jugendbildung gibt jedes Jahr geht es um politische Partizipation Bezug: www.fluter.de/abo. ein Jahrbuch heraus. Das Jahr- und neue Beteiligungsformen. buch 2011 „Zusammen sind wir 82 Millionen“ ist dem Thema Bezug: Deutscher Bundesjugend- „Politische Bildung in einer ring, Mühlendamm 3, 10178 Ber- Einwanderungsgesellschaft“ lin, Internet: www.dbjr.de.

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Materialien zur Erwachsenen- und Weiterbildung

Die Auseinandersetzungen um REPORT des Deutschen Instituts ergebnisse zur Erwachsenenbil- das Stuttgarter Bahnhofsprojekt für Erwachsenenbildung (DIE) dung und Beobachtungen aus haben sich auch in der Redaktion steht das Thema „Kooperative der internationalen Weiterbil- der Zeitschrift Erwachsenenbil- Bildungsarrangements“. dungspraxis vor, die aktuellen dung, die von der Katholischen Die Beiträge zeigen für das Entwicklungen in der deutschen Bundesarbeitsgemeinschaft für organisatorisch und professionell Weiterbildungsforschung gegen- Erwachsenenbildung herausge- herausfordernde Phänomen der übergestellt werden. Der von geben wird, auf die Themenwahl Kooperation in der Weiterbil- Professor Rolf Arnold herausge- ausgewirkt. Ausgabe 3/2011 ist dungslandschaft Entwicklungs- gebene Band ist in der Reihe dem Thema „Bürgernahe Poli- bedarfe und Fragestellungen auf, Theorie und Praxis der Erwachse- tik“ gewidmet. Darin geht es um die bisher noch wenig themati- nenbildung im W. Bertelsmann Paradoxien demokratischer Parti- siert wurden, aber in der Praxis Verlag erschienen. zipation, den Zusammenhang der Weiterbildung von Interesse von Bürgerordnung und Bürger- sein dürften. Bezug: W. Bertelsmann Verlag, bildung und Parteien in der Auf dem Esch 4, 33619 Bielefeld, Demokratie. Bezug: W. Bertelsmann Verlag, Internet: www.wbv.de, oder über Auf dem Esch 4, 33619 Bielefeld, den Buchhandel. Bezug: W. Bertelsmann Verlag, Internet: www.wbv.de, oder über Auf dem Esch 4, 33619 Bielefeld, den Buchhandel. Internet: www.wbv.de, oder über Mit Band 50 der Reihe „Beiträ- den Buchhandel. ge“ der Deutschen Gesell- Das Deutsche Institut für Er- schaft für wissenschaftliche wachsenenbildung – Leibnitz Weiterbildung und Fernstu- „dis.kurs“ – das Magazin des Zentrum für Lebenslanges Lernen dium (DGWF) ist eine umfassen- Deutschen Volkshochschulver- (DIE) hat anlässlich der Verab- de Dokumentation der DGWF- bandes – behandelt in Ausgabe schiedung seines langjährigen Jahrestagung 2010 erschienen. 4/2011 den Themenschwerpunkt Wissenschaftlichen Direktors „Hochschulen im Kontext „Politische Jugendbildung“. Ekkehard Nuissl von Rhein eine lebenslangen Lernens: Kon- In dem Heft finden sich gelunge- Festschrift herausgegeben. Die zepte, Modelle, Realität?“ lau- ne Wege und Beispiele für politi- Beiträge des Bandes mit dem tete der Titel der Jahrestagung, sche Bildung mit bildungsfernen Titel „Entgrenzungen des Ler- der gleichzeitig auch der Titel der Jugendlichen. nens – Internationale Pers- Publikation ist. Auf 306 Seiten pektiven für die Erwachse- wurden von den Hauptvorträgen, Bezug: Deutscher Volkshochschul- nenbildung“ diskutieren das über die Vorträge und Work- Verband e. V., Obere Wilhelmstr. 32, Aufheben und Überschreiben shops der einzelnen Themenfel- 53225 Bonn, Internet: www.volks- von Grenzen in verschiedenen der bis zur abschließenden Evalu- hochschule.de. Bereichen des Lebenslangen Ler- ation der Tagung alle Inhalte der nens aus unterschiedlichen lern- Veranstaltung zusammengestellt. und organisationstheoretischen Im Mittelpunkt von Ausgabe Perspektiven. Autorinnen und Bezug: DGWF, Vogt-Kölln-Str. 30, 4/2011 der im W. Bertelsmann Autoren aus verschiedenen Län- 22527 Hamburg, Internet Verlag erscheinenden Zeitschrift dern stellen neueste Forschungs- www.dgwf.net/lieferbar.htm.

Zeitschriften zur Jugendarbeit und Jugendbildung

„Körpererfahrungen Jugend- ta Verlag erscheint. Darin geht es Bezug: Beltz Medien-Service bei licher und körperbezogene um die Kooperation von Jugend- Rhenus, 86895 Weinheim, E-Mail: Jugendarbeit“ sind Thema der hilfe und Sport sowie den Ansatz [email protected], oder über Ausgabe 12/2011 der Zeitschrift der Abenteuerpädagogik in der den Buchhandel. deutsche jugend, die im Juven- Jugendsozialarbeit.

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Anlässlich des 60-jährigen Beste- Die Beiträge der Zeitschrift stel- politische Dimension interna- hens der Bundesarbeitsgemein- len Forschungs- und Praxisprojek- tionaler Jugendarbeit in den schaft Kinder- und Jugendschutz te zu diesem Problemfeld vor Blick. Im Schwerpunkt „Rücken- (BAJ) wurde die Ausgabe 4-2011 und sollen die Anstrengungen im wind für Demokratie und Zivil- der BAJ-Zeitschrift Kinder- und Rahmen von Prävention, Inter- gesellschaft“ geht es u. a. um Jugendschutz in Wissenschaft vention und Therapie unterstüt- Jugendarbeit als Wegbereitung und Praxis (KJug) den Ent- zen, um Kinder und Jugendliche für Demokratie und Menschen- wicklungen im gesetzlichen vor sexuellen Grenzverletzungen rechte, die Zusammenarbeit mit und erzieherischen Jugend- und deren Folgen zu bewahren. nordafrikanischen Staaten oder schutz in den vergangenen den Aufbau jugendpolitischer sechs Jahrzehnten gewidmet. Bezug: Bundesarbeitsgemein- Strukturen in Litauen seit 1994. Deutlich wird in den Beiträgen, schaft Kinder- und Jugendschutz dass der Kinder- und Jugend- (BAJ), Mühlendamm 3, 10178 Ber- Bezug: IJAB – Fachstelle für Inter- schutz in all den Jahren nichts an lin, Internet www.bag-jugend- nationale Jugendarbeit der Bun- Aktualität verloren hat. schutz.de/kjug. desrepublik Deutschland e. V., Schwerpunkt der aktuellen Aus- Godesberger Allee 142-148, 53175 gabe 1-2012 der KJug ist das The- Bonn, Internet: www.ijab.de. ma „Sexuelle Übergriffe unter Das IJAB journal nimmt in sei- Kindern und Jugendlichen“. ner Dezember-Ausgabe 2011 die

Gendermaterialien

Ausgabe 6/2011 der Zeitschrift erlebnispädagogischer Mädchen- Deutschen Bundesjugendrings. „erleben und lernen – Inter- arbeit aufgezeigt. Das Heft versammelt Beiträge nationale Zeitschrift für hand- zum Entwicklungsstand in Sachen lungsorientiertes Lernen“ geht Bezug: ZIEL GmbH, Zeuggasse 7-9, Gender Mainstreaming in den der Frage nach, inwieweit das 86150 Augsburg, Internet: Jugendverbänden. Geschlecht in der Erlebnis- www.ziel-verlag.de. pädagogik eine Rolle spielt. Bezug: Deutscher Bundesjugend- Unter dem Titel „Erlebnispäda- ring (DBJR), Mühlendamm 3, gogik gendered?“ werden Mög- Um Geschlechtergerechtigkeit 10178 Berlin, Internet: lichkeiten erlebnispädagogischer geht es in Ausgabe 3-2011 der www.dbjr.de. Jugendarbeit und Potentiale Zeitschrift „Jugendpolitik“ des

Neues im Netz

Die Bundeszentrale für poli- sionsimpulse werden in Form von In einer neuen Projektphase sol- tische Bildung/bpb hat in Berichten, Kommentaren, Inter- len nun Grundsatzbeiträge hin- Zusammenarbeit mit Kooperati- views und Umfragen von der zukommen, u. a. zu den Themen ve Berlin das Portal werk- Redaktion des Portals oder Lernen und Lehren, Geschichts- statt.bpb.de für digitale Bil- von Gastautoren geliefert. Das vermittlung, historisch-politische dung in der Praxis gestartet. Redaktionsteam holt über Umfra- Bildung und Digitalisierung. Die Werkstatt ist offen für Lehrer, gen auf der Straße oder in Schu- Bildungsvisionäre, Aktivisten, len unterschiedliche Einschätzun- Im Internet unter: Schüler und außerschulische gen zu den Themen Schule und http://werkstatt.bpb.de. Bildner und soll ein Forum für die Bildung, Internet und Neue Suche nach neuen Strategien für Medien ein. Zudem richtet die die Vermittlung von Themen der Werkstatt Mikrokonferenzen – Der W. Bertelsmann Verlag hat zeitgeschichtlichen und politi- so genannte SpeedLabs – aus ein neues Portal für Bildungs- schen Bildung eröffnen. Diskus- und dokumentiert sie im Portal. zeitschriften angelegt. Das Por-

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tal bietet eine Themenrecherche Die Artikel des Nutzerkontos kön- von Animationsclips zur politi- in sechs Bildungszeitschriften des nen dann auf mobile Endgeräte schen Bildung. In etwa sieben bis Verlags, ohne dass sich der Besu- heruntergeladen und in sozialen acht Minuten geben diese einen cher registrieren muss. Alle Zeit- Netzwerken geteilt werden. Überblick über ein begrenztes schriften können komplett nach politisches Thema. Der Inhalt ist Schlagworten, Autoren und im Im Internet unter: didaktisch aufbereitet und eignet Volltext durchsucht werden, www.wbv-journals.de. sich für den Einsatz in Bildungs- interessierende Beiträge sind ein- veranstaltungen. Weitere Themen zeln aufrufbar und stehen zum sind Migration, Menschenrechte, Download bereit. Während für Mit dem neuesten Animations- Globalisierung, Welthandel, Isla- den Download aktueller Artikel film zum Thema „Klimawan- mismus, UNO, DDR und das eine Gebühr anfällt, bietet der del“ gibt es mittlerweile neun Wahlsystem in Brandenburg. Verlag den Download älterer Clips in der Reihe WissensWerte Inhalte kostenfrei an. Nutzer, die des Vereins /e-politik.de/. Im Im Internet unter: sich bei wbv-journals.de registrie- Rahmen des Projektes Wissens- http://www.e-politik.de/lesen/ ren, erhalten ein Nutzerkonto Werte produziert, publiziert und wissenswerte-animationsclips- zur Speicherung von Downloads. verbreitet der Verein eine Reihe zur-politischen-bildung/

Kulturpolitik 2011

Das Institut für Kulturpolitik der menblöcken des Bandes geht es Spielkulturen sowie das Urheber- Kulturpolitischen Gesellschaft um die Veränderung des Verhält- recht. Das Buch ist im Klartext hat das Jahrbuch für Kultur- nisses von Öffentlichkeit und Verlag Essen erschienen und hat politik 2011 zum Thema „Digi- Kunst vor dem Hintergrund der 498 Seiten. talisierung und Internet“ her- Digitalisierung, die zentralen kul- ausgegeben. In dem Jahrbuch turpolitischen Herausforderun- Bezug: über die Website der werden die zentralen Beiträge gen durch die Digitalisierung, Kulturpolitischen Gesellschaft des sechsten Bundeskongresses den Zusammenhang von Internet www.kupoge.de/publikationen/ „netz.macht.kultur“ dokumen- und Digitalisierung als Aufgabe aktion_jahrbuch2011.htm, den tiert. Gleichzeitig greift es eine für Kulturinstitutionen, kulturel- Klartext Verlag oder den Buch- zentrale Fragestellung der le Teilhabe und Kulturmarketing, handel. gegenwärtigen kulturpolitischen das Spannungsverhältnis von kul- Diskussion auf. In den sechs The- tureller Bildung und digitalen

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Außerschulische Bildung 4-2011 Die Außerschulische Bildung wird als Fachzeitschrift für politische Jugend- 42. Jahrgang und Erwachsenenbildung vom Ar- beitskreis deutscher Bildungsstätten Materialien zur politischen Jugend- und Erwachsenenbildung – (AdB) herausgegeben. Verband, Her- Mitteilungen des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten e. V. ausgeberin und Herausgeber, Redak- tionsbeirat und die Redakteurin Herausgeber: möchten dadurch Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V., vertreten durch Dr. Paul Ciupke und Ulrike Steimann ■ zur fachlichen und wissenschaft- lichen Reflexion der Praxis politi- Redaktion: scher Jugend- und Erwachsenen- Ingeborg Pistohl bildung beitragen und damit die Professionalität pädagogischen Redaktionsbeirat: Handelns stärken, Ina Bielenberg, Gertrud Gandenberger, Wolfgang Pauls, Dr. Melanie Piepenschneider ■ aktuelle und relevante Themen aus Politik und Gesellschaft auf- Redaktions- und Bezugsanschrift: greifen und im Hinblick auf ihre AdB, Mühlendamm 3, 10178 Berlin, Behandlung in der politischen Bil- Tel. (0 30) 400 401-11 u. 12 dung aufbereiten, www.adb.de E-Mail: [email protected], ■ Beispiele der Bildungsarbeit öf- [email protected] fentlich machen und ein Schau- fenster des Arbeitsfeldes bieten, Herstellung: Druckcenter Meckenheim/Brandenburgische ■ theoretische und fachliche Diskus- Universitätsdruckerei und Verlagsgesellschaft sionen in Beziehung setzen und Potsdam mbH die Diskurse in der Profession und den wissenschaftlichen Bezugs- ISSN 0176-8212 disziplinen jeweils miteinander bekannt machen, Bildnachweis: Copyrighthinweise s. Fotos. Die Abbildungen in Wikipedia ste- ■ Methoden der politischen Bildung hen unter der GNU Free Documentation License: vorstellen, http://www.gnu.org/copyleft/gpl.html und/oder der Lizenz Creative Commons (cc): www.creativecom- ■ neue fachbezogene Publikationen mons.org/licenses/by-sa/3.o/legalcode und Medienproduktionen präsen- tieren und in ihrer Relevanz für Bezugsbedingungen (gültig ab Ausgabe 1-2003) die Bildungsarbeit einschätzen, Einzelheft € 6,00 1-3 Abonnements (jährlich) € 16,00 ■ über bildungs- und jugendpoliti- ab 4 Abonnements (jährlich) € 12,00 sche Entwicklungen in Bund und Abonnements für Studenten, Prakti- Ländern berichten, kanten, Referendare, Arbeitslose (jährlich) € 12,00 (bitte jährlich Bescheinigung übersenden) (zuzüglich Porto) ■ Nachrichten aus dem AdB und an- deren Fachverbänden verbreiten. Die Mitglieder des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten er- halten je ein Exemplar kostenlos.

Diese Zeitschrift wird maßgeblich durch Mittel des Bundesminis- teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-West- falen unterstützt.

491 Außerschulische Bildung 4-2011 ISSN 0176-8212 ueshlsh idn 4-2011 Außerschulische Bildung Materialien zurpolitischenJugend-undErwachsenenbildung Rechnung tragen Der Vielfalt vonAfrika 2010 profitiert? Wer hatvonderFußball-WM Menschenrechte Ressourcenausbeutung und gen zurDemokratieförderung Beitrag derpolitischenStiftun- Afrikapolitik Grundlagen undZieledeutscher