Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/243

Deutscher

Stenografischer Bericht

243. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- c) Beschlussempfehlung und Bericht des In- neten Rolf Hempelmann, Wolfgang nenausschusses zu dem Antrag der Abge- Nešković und ...... 30683 A ordneten Katrin Kunert, Dr. , Diana Golze, weiterer Abgeord- Wahl der Abgeordneten als or- neter und der Fraktion DIE LINKE: Wer dentliches Mitglied und als bestellt, bezahlt – Konnexität zugunsten stellvertretendes Mitglied des Kuratoriums der Kommunen im Grundgesetz veran- der Stiftung Erinnerung, Verantwortung kern und Zukunft ...... 30683 B (Drucksachen 17/6491, 17/13301) ...... 30688 A

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister nung ...... 30683 B BMF ...... 30688 B

Absetzung der Tagesordnungspunkte 18, 37, (SPD) ...... 30690 D 38 a und 38 b, 50 b sowie 53 ...... 30687 B Dr. Birgit Reinemund (FDP) ...... 30692 B

Steffen Bockhahn (DIE LINKE) ...... 30693 D Tagesordnungspunkt 4: Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ a) Beratung der Antwort der Bundesregie- DIE GRÜNEN) ...... 30695 D rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Klaus-Peter Flosbach, Peter Götz, Peter Götz (CDU/CSU) ...... 30697 C Dr. und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernd Scheelen (SPD) ...... 30699 C Dr. Birgit Reinemund, Heiner Kamp, Dr. und der Fraktion der Dr. Peter Röhlinger (FDP) ...... 30701 A FDP: Lage der Kommunen in der Bun- desrepublik Deutschland Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 17/11461, 17/13343) . . . . . 30687 D DIE GRÜNEN) ...... 30701 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 30702 C Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- Kirsten Lühmann (SPD) ...... 30703 D neten Katrin Kunert, Dr. , Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Patrick Döring (FDP) ...... 30704 D Abgeordneter und der Fraktion DIE Hans-Joachim Hacker (SPD) ...... 30706 A LINKE: Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen (CDU/CSU) ...... 30707 A von Eisenbahnen und Straßen befreien (Drucksachen 17/10820, 17/12452) . . . . . 30688 A (CDU/CSU) ...... 30708 C II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Tagesordnungspunkt 5: Dr. , Bundesminister BMVBS ...... 30724 C a) Antrag der Abgeordneten , Dr. Kirsten Tackmann, , wei- Renate Künast (BÜNDNIS 90/ terer Abgeordneter und der Fraktion DIE DIE GRÜNEN) ...... 30724 D LINKE: Bedarfsgerechtes Wohnen dau- erhaft sichern – Gemeinnützigen Woh- Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister nungswirtschaftssektor entwickeln BMVBS ...... 30725 B (Drucksache 17/13552) ...... 30710 B Michael Groß (SPD) ...... 30725 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Petra Müller (Aachen) (FDP) ...... 30726 D Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- (CDU/CSU) ...... 30727 D neten Michael Groß, Sören Bartol, Uwe Ute Kumpf (SPD) ...... 30729 D Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- Sebastian Körber (FDP) ...... 30730 D neten , , Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter Namentliche Abstimmung ...... 30732 A und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Programm „Soziale Stadt“ zukunftsfähig weiterentwickeln – Ergebnis ...... 30737 D Städtebauförderung sichern (Drucksachen 17/10999, 17/12453) . . . . . 30710 C Tagesordnungspunkt 54: c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- a) Erste Beratung des von der Bundes- entwicklung regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeszen- – zu dem Antrag der Abgeordneten tralregistergesetzes und anderer regis- Michael Groß, Sören Bartol, Uwe terrechtlicher Vorschriften zum Zweck Beckmeyer, weiterer Abgeordneter der Zulassung der elektronischen An- und der Fraktion der SPD: Bezahlba- tragstellung bei Erteilung einer Regis- res Wohnen in der sozialen Stadt terauskunft – zu dem Antrag der Abgeordneten (Drucksache 17/13616) ...... 30732 C Heidrun Bluhm, , Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abge- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Handelsgesetz- Wohnungsnot bekämpfen – Sozialen Wohnungsbau neu starten und zum buchs Kern einer gemeinnützigen Woh- (Drucksache 17/13617) ...... 30732 C nungswirtschaft entwickeln c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- – zu dem Antrag der Abgeordneten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Zwölften Buches Sozialge- , Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- setzbuch ordneter und der Fraktion DIE LINKE: (Drucksache 17/13662) ...... 30732 C Wohn- und Mietensituation von Stu- d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- dierenden verbessern brachten Entwurfs eines Gesetzes über (Drucksachen 17/12485, 17/12481, die Zusammenarbeit von Bund und 17/11696, 17/13776) ...... 30710 C Ländern in Angelegenheiten der Euro- päischen Union (EUZBLG) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) ...... 30711 A (Drucksache 17/13665) ...... 30732 C Peter Götz (CDU/CSU) ...... 30713 A e) Erste Beratung des von den Fraktionen (SPD) ...... 30715 A CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs (CDU/CSU) ...... 30715 D eines Gesetzes zur Änderung des Euro- pawahlgesetzes Patrick Döring (FDP) ...... 30718 A (Drucksache 17/13705) ...... 30732 D Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 30719 B f) Antrag der Abgeordneten Dr. , , Ute Koczy, wei- Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister terer Abgeordneter und der Fraktion BMVBS ...... 30721 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nachhal- tige und gerechte Rohstoffpolitik – In- (DIE LINKE) ...... 30721 C novationsstrategie für die Wirtschaft Heidrun Bluhm (DIE LINKE) ...... 30724 A (Drucksache 17/13568) ...... 30732 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 III

Zusatztagesordnungspunkt 2: i) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz a) Erste Beratung des von den Fraktionen der und die Informationsfreiheit: Tätigkeits- CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- bericht zur Informationsfreiheit 2008 wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom und 2009 2. April 2013 über den Waffenhandel (Drucksache 17/1350) ...... 30734 A (Drucksache 17/13708) ...... 30733 A j) Beratung der Unterrichtung durch den b) Antrag der Abgeordneten Bettina Bundesbeauftragten für den Datenschutz Herlitzius, Daniela Wagner, Stephan und die Informationsfreiheit: Tätigkeits- Kühn, weiterer Abgeordneter und der bericht 2009 und 2010 des Bundesbe- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: auftragten für den Datenschutz und die Weiterentwicklung der Stadtumbau- Informationsfreiheit – 23. Tätigkeits- programme Ost und West im Rahmen bericht – der Städtebauförderung (Drucksache 17/5200) ...... 30734 A (Drucksache 17/12508) ...... 30733 A k) Beratung der Unterrichtung durch den c) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Bundesbeauftragten für den Datenschutz Dr. Valerie Wilms, Ute Koczy, weiterer und die Informationsfreiheit: Tätigkeits- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- bericht zur Informationsfreiheit für die NIS 90/DIE GRÜNEN: Für universelle Jahre 2010 und 2011 Nachhaltigkeitsziele – Entwicklungs- und Umweltagenda zusammenführen (Drucksache 17/9100) ...... 30734 B (Drucksache 17/13727) ...... 30733 A l) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz d) Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel und die Informationsfreiheit: Tätigkeits- Kofler, Dr. h. c. , Ulla bericht 2011 und 2012 des Bundesbe- Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine nachhaltige auftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit – 24. Tätigkeits- Entwicklungsagenda ab 2015 – Millen- niumsentwicklungsziele und Nachhal- bericht – tigkeitsziele gemeinsam gestalten (Drucksache 17/13000) ...... 30734 C (Drucksache 17/13762) ...... 30733 B e) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- Tagesordnungspunkt 55: schung und Technikfolgenabschätzung ge- mäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technik- a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- folgenabschätzung (TA) – Konzepte der desrat eingebrachten Entwurfs eines … Elektromobilität und deren Bedeutung Gesetzes zur Änderung des Öko-Land-

für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt baugesetzes (Drucksache 17/13625) ...... 30733 C (Drucksachen 17/12855, 17/13736) . . . . . 30734 D f) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- b) Beschlussempfehlung und Bericht des schung und Technikfolgenabschätzung ge- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag mäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technik- der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin folgenabschätzung (TA) – Ökologischer Müller (Köln), (Köln), weite- Landbau und Bioenergieerzeugung – rer Abgeordneter und der Fraktion Zielkonflikte und Lösungsansätze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die An- (Drucksache 17/13626) ...... 30733 C wendung der Administrativhaft und willkürliche Festnahmen durch israeli- g) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- sche und palästinensische Sicherheits- schung und Technikfolgenabschätzung ge- kräfte verurteilen mäß § 56 a der Geschäftsordnung: Tech- (Drucksachen 17/11166, 17/11742) . . . . . 30735 A nikfolgenabschätzung (TA) – Zukunft der Automobilindustrie c) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksache 17/13672) ...... 30733 D Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin h) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weite- schung und Technikfolgenabschätzung rer Abgeordneter und der Fraktion gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Gaza- Technikfolgenabschätzung (TA) – Die Blockade beenden Versorgung der deutschen Wirtschaft (Drucksachen 17/11167, 17/11743) . . . . . 30735 B mit Roh- und Werkstoffen für Hoch- technologien – Präzisierung und Wei- d) Beschlussempfehlung und Bericht des terentwicklung der deutschen Roh- Ausschusses für Menschenrechte und Hu- stoffstrategie manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- (Drucksache 17/13673) ...... 30733 D ordneten , , IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter Zusatztagesordnungspunkt 5: und der Fraktion DIE LINKE: Freiheit Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- für Mumia Abu-Jamal schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Drucksachen 17/8916, 17/12923) ...... 30735 B (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur e) Beschlussempfehlung und Bericht des Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie Ausschusses für Ernährung, Landwirt- zur Änderung steuerlicher Vorschriften schaft und Verbraucherschutz zu dem An- (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – trag der Abgeordneten Friedrich AmtshilfeRLUmsG) Ostendorff, , , (Drucksachen 17/12375, 17/12532, 17/12533, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 17/12925, 17/13722) ...... 30737 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tierge- rechte Legehennenhaltung stärken (Drucksachen 17/12842, 17/13285) . . . . . 30735 C Zusatztagesordnungspunkt 6: f) Beschlussempfehlung und Bericht des Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur geordneten , , Strukturreform des Gebührenrechts des Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeord- Bundes neter und der Fraktion DIE LINKE: Res- (Drucksachen 17/10422, 17/12722, 17/13388, sourcenschutz durch Vorgabe einer 17/13723) ...... 30737 C Mindestnutzungsdauer für technische Produkte (Drucksachen 17/13096, 17/13696) . . . . . 30735 D Zusatztagesordnungspunkt 7: g) Beschlussempfehlung und Bericht des Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: und Geschäftsordnung: Änderung der Gesamtvolumen der Wahlversprechen von Geschäftsordnung des Deutschen Bun- Bundeskanzlerin Dr. Merkel – Auswirkun- destages – hier: Elektronische Vertei- gen auf die Steuer- und Haushaltspolitik lung von Bundestagsdrucksachen des Bundes ...... 30740 A (§§ 77, 112, 123 GO-BT) (Drucksache 17/13654) ...... 30736 A Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ...... 30740 A h)–o) Hermann Gröhe (CDU/CSU) ...... 30741 B Beratung der Beschlussempfehlungen des Dr. (DIE LINKE) ...... 30742 C Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 590, 591, 592, 593, 594, 595, 596 und Patrick Döring (FDP) ...... 30743 D

597 zu Petitionen (Drucksachen 17/13501, 17/13502, Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ 17/13503, 17/13504, 17/13505, 17/13506, DIE GRÜNEN) ...... 30745 B 17/13507, 17/13508) ...... 30736 B Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF ...... 30746 D

Zusatztagesordnungspunkt 3: (Erfurt) (SPD) ...... 30748 C Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- (FDP) ...... 30749 C schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (BÜNDNIS 90/ (Vermittlungsausschuss) zu dem Achten Ge- DIE GRÜNEN) ...... 30751 A setz zur Änderung des Gesetzes gegen Wett- bewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG) (CDU/CSU) ...... 30752 D (Drucksachen 17/9852, 17/11053, 17/11636, Johannes Kahrs (SPD) ...... 30754 B 17/13720) ...... 30737 A (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 30755 C Anton Schaaf (SPD) ...... 30756 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Dr. h. c. (CDU/CSU) . . . . . 30758 A Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Tagesordnungspunkt 6: Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvor- Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Un- sorge-Verbesserungsgesetz – AltvVerbG) tersuchungsausschusses nach Artikel 44 des (Drucksachen 17/10818, 17/12219, 17/12220, Grundgesetzes: Gorleben 17/12628, 17/13721) ...... 30737 A (Drucksache 17/13700) ...... 30759 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 V

Dr. (CDU/CSU) ...... 30759 C Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 30792 C (SPD) ...... 30760 D Dr. Eva Högl (SPD) ...... 30794 A (FDP) ...... 30762 C (CDU/CSU) ...... 30796 B Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 30764 B Katrin Werner (DIE LINKE) ...... 30797 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 30765 D DIE GRÜNEN) ...... 30798 C (CDU/CSU) ...... 30767 C Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ...... 30799 D Kirsten Lühmann (SPD) ...... 30769 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. Michael Paul (CDU/CSU) ...... 30770 B DIE GRÜNEN) ...... 30801 C (CDU/CSU) ...... 30771 B Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ...... 30802 B Ute Vogt (SPD) ...... 30772 D (CDU/CSU) ...... 30803 A Eckhard Pols (CDU/CSU) ...... 30773 A Tagesordnungspunkt 9:

Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, , Birgitt Beratung des Schlussberichts der Enquete- Bender, weiterer Abgeordneter und der Frak- Kommission: „Wachstum, Wohlstand, Le- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Alters- bensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirt- armut bekämpfen – Mit der Garantierente schaften und gesellschaftlichem Fort- (Drucksache 17/13493) ...... 30804 B schritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ (Drucksache 17/13300) ...... 30773 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 30804 C Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 30773 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 30805 D (Leipzig) (SPD) ...... 30776 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Florian Bernschneider (FDP) ...... 30777 D DIE GRÜNEN) ...... 30806 C Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 30779 A Anton Schaaf (SPD) ...... 30808 C Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 30780 D Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 30810 A Dr. (CDU/CSU) ...... 30782 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 30810 C (DIE LINKE) ...... 30782 D Frank Heinrich (CDU/CSU) ...... 30811 D (FDP) ...... 30783 B Anton Schaaf (SPD) ...... 30812 C Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 30784 B Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) ...... 30813 B Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) ...... 30784 D Pascal Kober (FDP) ...... 30814 B (SPD) ...... 30785 A (CDU/CSU) ...... 30815 B (FDP) ...... 30786 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 8: DIE GRÜNEN) ...... 30787 D a) – Zweite und dritte Beratung des von Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) ...... 30788 C den Fraktionen der CDU/CSU und Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) ...... 30789 B FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Sicher- Edelgard Bulmahn (SPD) ...... 30790 A stellung des Notdienstes von Apothe- Dr. (CDU/CSU) ...... 30791 A ken (Apothekennotdienstsicherstel- lungsgesetz – ANSG) (Drucksachen 17/13081, 17/13769) . . 30816 B Zusatztagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von der Erste Beratung des von den Fraktionen der Bundesregierung eingebrachten Ent- CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs wurfs eines Gesetzes zur Förderung eines Gesetzes zur Bekämpfung des Men- der Sicherstellung des Notdienstes schenhandels und Überwachung von Pros- von Apotheken (Apothekennot- titutionsstätten dienstsicherstellungsgesetz – ANSG) (Drucksache 17/13706) ...... 30792 B (Drucksachen 17/13403, 17/13769) . . 30816 C VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

– Bericht des Haushaltsausschusses ge- Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin mäß § 96 der Geschäftsordnung BMG ...... 30817 A (Drucksache 17/13771) ...... 30816 C Dr. Marlies Volkmer (SPD) ...... 30819 A b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und (CDU/CSU) ...... 30820 B FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arz- (DIE LINKE) ...... 30821 B neimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 17/13083, 17/13770) . . 30816 C DIE GRÜNEN) ...... 30822 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- (CDU/CSU) ...... 30823 D wurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- Steffen-Claudio Lemme (SPD) ...... derung arzneimittelrechtlicher und 30824 C anderer Vorschriften (CDU/CSU) ...... 30825 C (Drucksachen 17/13404, 17/13770) . . 30816 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Ausschusses für Gesundheit zu dem An- (zur Geschäftsordnung) ...... 30826 D trag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Versorgung mit Arzneimitteln Anlage sicherstellen (Drucksachen 17/12847, 17/13770) . . . . . 30816 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 30829 A

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30683

(A) (C)

243. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : Rechtsausschuss

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina herzlich zu unserer Plenarsitzung. In den zurückliegen- Herlitzius, Daniela Wagner, Stephan Kühn, wei- den Tagen haben eine Reihe von Kollegen ihre Geburts- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- tage gefeiert, und zwar die Kollegen Rolf Hempelmann NIS 90/DIE GRÜNEN und Wolfgang Nešković ihren 65. Geburtstag und die Kollegin Doris Barnett ihren 60. Geburtstag. Im Namen Weiterentwicklung der Stadtumbauprogramme des ganzen Hauses auch auf diesem Wege noch einmal Ost und West im Rahmen der Städtebauförde- herzliche Grüße und alles Gute für die nächsten Jahre. rung (Beifall) – Drucksache 17/12508 – Überweisungsvorschlag: (B) Die FDP-Fraktion hat mitgeteilt, dass im Kurato- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) (D) rium der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Innenausschuss Zukunft“ für den verstorbenen Kollegen Dr. Max Haushaltsausschuss Stadler der bisherige Stellvertreter, der Kollege Jimmy c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Schulz, als ordentliches Mitglied vorgeschlagen wird. Hoppe, Dr. Valerie Wilms, Ute Koczy, weiterer Als nachfolgendes stellvertretendes Mitglied wird der Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Kollege Pascal Kober benannt. Sind Sie mit diesen Vor- DIE GRÜNEN schlägen einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Für universelle Nachhaltigkeitsziele – Ent- wicklungs- und Umweltagenda zusammenfüh- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene ren Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge- führten Punkte zu erweitern: – Drucksache 17/13727 –

Überweisungsvorschlag: ZP 1 Aktuelle Stunde Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und Entwicklung (f) FDP: Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Verwendung von Drohnentechnologie durch Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe die Bundeswehr Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (siehe 242. Sitzung) Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bärbel ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Kofler, Dr. h. c. Gernot Erler, , fahren weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ergänzung zu TOP 54 Für eine nachhaltige Entwicklungsagenda ab a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ 2015 – Millenniumsentwicklungsziele und Nach- CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- haltigkeitsziele gemeinsam gestalten setzes zu dem Vertrag vom 2. April 2013 über den Waffenhandel – Drucksache 17/13762 – Überweisungsvorschlag: – Drucksache 17/13708 – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Überweisungsvorschlag: Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss 30684 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Finanzausschuss (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- (C) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie nung Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Technikfolgenabschätzung (TA) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit

Ausschuss für Gesundheit Roh- und Werkstoffen für Hochtechnologien – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Präzisierung und Weiterentwicklung der deut- Ausschuss für Bildung, Forschung und schen Rohstoffstrategie Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/13673 – Haushaltsausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) e) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Bildung, Forschung und (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- Technikfolgenabschätzung nung i) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- Technikfolgenabschätzung (TA) auftragten für den Datenschutz und die Informa- tionsfreiheit Konzepte der Elektromobilität und deren Be- deutung für Wirtschaft, Gesellschaft und Um- Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit 2008 welt und 2009 – Drucksache 17/13625 – – Drucksache 17/1350 – Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Geschäftsordnung Ausschuss für Bildung, Forschung und Sportausschuss Technikfolgenabschätzung Rechtsausschuss Finanzausschuss f) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- Ausschuss für Gesundheit nung Ausschuss für Tourismus (B) Ausschuss für Kultur und Medien (D) Technikfolgenabschätzung (TA) j) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- Ökologischer Landbau und Bioenergieerzeu- auftragten für den Datenschutz und die Informa- gung – Zielkonflikte und Lösungsansätze tionsfreiheit – Drucksache 17/13626 – Tätigkeitsbericht 2009 und 2010 des Bundes- Überweisungsvorschlag: beauftragten für den Datenschutz und die In- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und formationsfreiheit Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – 23. Tätigkeitsbericht – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und – Drucksache 17/5200 – Technikfolgenabschätzung Überweisungsvorschlag: g) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- Innenausschuss (f)

dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Petitionsausschuss Sportausschuss (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- Rechtsausschuss nung Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Technikfolgenabschätzung (TA) Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Zukunft der Automobilindustrie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit – Drucksache 17/13672 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz k) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auftragten für den Datenschutz und die Informa- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit tionsfreiheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2010 und 2011 h) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Drucksache 17/9100 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30685

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Überweisungsvorschlag: – Drucksachen 17/12375, 17/12532, 17/12533, (C) Innenausschuss (f) 17/12925, 17/13722 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Berichterstattung: Sportausschuss Rechtsausschuss Abgeordneter Dr. Michael Meister Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Verbraucherschutz schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- Verteidigungsausschuss mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Struk- Ausschuss für Gesundheit turreform des Gebührenrechts des Bundes Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien – Drucksachen 17/10422, 17/12722, 17/13388, l) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- 17/13723 – auftragten für den Datenschutz und die Informa- Berichterstattung: tionsfreiheit Abgeordneter Jörg van Essen Tätigkeitsbericht 2011 und 2012 des Bundes- ZP 7 Aktuelle Stunde beauftragten für den Datenschutz und die In- auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜND- formationsfreiheit NIS 90/DIE GRÜNEN: – 24. Tätigkeitsbericht – Gesamtvolumen der Wahlversprechen von Bundeskanzlerin Dr. Merkel – Auswirkungen – Drucksache 17/13000 – auf die Steuer- und Haushaltspolitik des Bun- Überweisungsvorschlag: des Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Geschäftsordnung CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-

Sportausschuss setzes zur Bekämpfung des Menschenhandels Rechtsausschuss Finanzausschuss und Überwachung von Prostitutionsstätten Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Drucksache 17/13706 –

Verteidigungsausschuss Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Gesundheit Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Tourismus Innenausschuss (B) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (D) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- mittlungsausschuss) zu dem Achten Gesetz zur ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- schränkungen (8. GWB-ÄndG) nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. , , – Drucksachen 17/9852, 17/11053, 17/11636, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und 17/13720 – der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichterstattung: Export von Überwachungs- und Zensurtech- Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb nologie an autoritäre Staaten verhindern – De- mokratische Proteste unterstützen ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes – Drucksachen 17/13489, 17/13763 – (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ver- besserung der steuerlichen Förderung der pri- Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz vaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbes- serungsgesetz – AltvVerbG) ZP 10 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … – Drucksachen 17/10818, 17/12219, 17/12220, Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbu- 17/12628, 17/13721 – ches – Strafbarkeit der Verstümmelung weibli- Berichterstattung: cher Genitalien (… Strafrechtsänderungsge- Abgeordneter Dr. Michael Meister setz – … StrÄndG) ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus- – Drucksache 17/13707 – ses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- Überweisungsvorschlag: mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Umset- Rechtsausschuss (f)

zung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie- Ausschuss für Gesundheit Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe 30686 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) ZP 11 Beratung des Berichts des Innenausschusses Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. (C) (4. Ausschuss) gemäß § 62 Absatz 2 der Ge- § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von schäftsordnung Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäische Union – zu dem von der Fraktion der SPD eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme Vereinbarung über die Herausnahme von au- von Kultur und Sport in das Grundgesetz diovisuellen und kulturellen Dienstleistungen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia von den Verhandlungen der EU mit den USA Jochimsen, , Agnes Alpers, weiterer zu einem transatlantischen Handels- und In- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE vestitionsabkommen (TTIP) erzielen Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im – Drucksache 17/13732 – Grundgesetz verankern ZP 14 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- – Drucksachen 17/10644, 17/10785 (neu), richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- 17/13750 – schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch,

Berichterstattung: Renate Künast, Bärbel Höhn, weiterer Abgeord-

Abgeordnete neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-

Ingo Wellenreuther NEN Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Für eine moderne und nachhaltige Verbrau- Frank Tempel cherpolitik Wolfgang Wieland – Drucksachen 17/12694, 17/13761 – ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Jürgen Trittin, Kerstin Andreae, weiterer Berichterstattung: Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Abgeordnete DIE GRÜNEN Elvira Drobinski-Weiß Dr. Erik Schweickert zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme Nicole Maisch von Verhandlungen über ein umfassendes (B) Handels- und Investitionsabkommen, transat- ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (D) lantische Handels- und Investitionspartner- richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft genannt, zwischen der Europäischen schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu Union und den Vereinigten Staaten von Ame- dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski- rika Weiß, , Petra Crone, weiterer Abge- KOM (2013)136 endg.; Ratsdok. 7396/13 ordneter und der Fraktion der SPD hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher ges gegenüber der Bundesregierung gemäß verbessern Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von – Drucksachen 17/12689, 17/13274 – Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäische Union Berichterstattung: Abgeordnete Mechthild Heil Transatlantische Handels- und Investitions- Elvira Drobinski-Weiß partnerschaft nur mit starker Parlamentsbe- Dr. Erik Schweickert teiligung Caren Lay – Drucksache 17/13733 – Nicole Maisch ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, zu der Empfehlung für einen Beschluss des weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme LINKE von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen, transat- Tier- und Artenschutz durch Beschränkung lantische Handels- und Investitionspartner- des Wildtierhandels stärken schaft genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Ame- – Drucksache 17/13713 – rika KOM (2013)136 endg.; Ratsdok. 7396/13 ZP 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Hofmann (Volkach), Michael Hartmann (Wa- hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- ckernheim), , weiterer Abge- ges gegenüber der Bundesregierung gemäß ordneter und der Fraktion der SPD Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30687

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) System der Kriminal- und Rechtspflegestatis- in den Hochwassergebieten ist weiterhin kritisch. In ei- (C) tiken in Deutschland optimieren und auf eine nigen Teilen sinken die Pegel zwar bereits wieder, an- solide rechtliche Grundlage stellen dere Regionen erwarten dagegen noch die Scheitelwelle. Tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen, – Drucksache 17/13715 – zahlreiche Gegenden waren oder sind noch vom Verkehr Überweisungsvorschlag: abgeschnitten, in vielen Betrieben und Unternehmen Innenausschuss (f) Rechtsausschuss ruht die Produktion. Das alles erinnert an das Jahr 2002, als wir von einer Flut sprachen, die nur einmal im Jahr- ZP 18 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ hundert vorkomme. Wir haben uns getäuscht. Die Men- CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- schen in den Hochwassergebieten erleben gerade eine setzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 Flut, die die von 2002 an manchen Stellen möglicher- zwischen der Bundesrepublik Deutschland weise noch übertrifft. Mancherorts hat das Wasser die und den Vereinigten Staaten von Amerika zur höchsten Pegelstände seit Jahrhunderten erreicht. Förderung der Steuerehrlichkeit bei interna- tionalen Sachverhalten und hinsichtlich der Erste Aufgabe ist es daher jetzt zunächst, Leben zu als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich schützen, Schäden so weit wie möglich zu verhindern und Auslandskonten bekannten US-amerikani- Hilfe so schnell wie möglich an die Stellen zu bringen, wo schen Informations- und Meldebestimmungen sie am dringendsten gebraucht wird. Unser Dank gilt den Helferinnen und Helfern vor Ort. Ich nenne hier die Poli- – Drucksache 17/13704 – zei, die Feuerwehr, die Rettungsdienste, die mit einigen Überweisungsvorschlag: Tausend Helfern vor Ort sind, und die Soldaten der Bun- Finanzausschuss (f) deswehr, vor allem aber auch die vielen freiwilligen Hel- Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss fer, die Nachbarn, die Freunde. Zu den ermutigenden Er- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie fahrungen solcher Katastrophen gehört wieder einmal, Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO dass Not und Leid einhergehen mit tatkräftiger Hilfe und eindrucksvoller menschlicher Zuwendung. ZP 19 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch dort, wo die Pegel sinken, beginnt nun eine schwierige Zeit. Denn wenn die akute Gefahr gebannt Steuerzahlungen multinationaler Unterneh- ist, stellen sich materielle und häufig auch existenzielle men transparent machen – Country-by-Coun- Folgeprobleme. Hunderte von Millionen Euro an öffent- try-Reporting in Deutschland einführen und lichen und privaten Mitteln wurden seit 2002 in Dämme in Europa vorantreiben und Schutzmaßnahmen investiert. Viele, denen die Flut (D) (B) – Drucksache 17/13717 – von 2002 alles genommen hat, haben sich danach eine Überweisungsvorschlag: völlig neue Existenz aufgebaut. Dass eine zweite Flut Finanzausschuss (f) nun manches erneut zerstört, Wohnungen und Häuser, Rechtsausschuss kommunale Infrastruktur wie berufliche Existenzen, ist Ausschuss für Wirtschaft und Technologie besonders bitter. ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wir lassen die betroffenen Menschen nicht allein. Dr. Christian Ruck, Sibylle Pfeiffer, Hartwig Bund und Länder haben für die Flutgebiete bereits er- Fischer (Göttingen), weiterer Abgeordneter und hebliche finanzielle Mittel zugesagt; auch die Europäi- der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- sche Union hat Hilfe versprochen. Für Regierungen wie ten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Helga Daub, Parlamente gilt: Schnelle Hilfe für die Flutopfer muss Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Priorität haben. Das ist auch Konsens aller Fraktionen Fraktion der FDP hier in diesem Haus. Zerstörung des kongolesischen Naturerbes Im Namen aller Mitglieder des Deutschen Bundesta- verhindern ges bekräftige ich unsere gemeinsame Absicht und Be- – Drucksache 17/13711 – reitschaft, den Menschen in den Hochwasserregionen nach Kräften zur Seite zu stehen. Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun- gen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tages- (Beifall im ganzen Hause) ordnungspunkte 18, 37, 38 a und 38 b, 50 b sowie 53 Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf des Ablaufs. die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Peter Götz, Dr. Michael Meister und Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- offenkundig der Fall. Dann haben wir das so beschlos- neten Dr. Birgit Reinemund, Heiner Kamp, sen. Dr. Volker Wissing und der Fraktion der FDP Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Lage der Kommunen in der Bundesrepublik Herren, in diesen Tagen sind wir auch in Berlin mit un- Deutschland seren Gedanken bei den Menschen in den vom Hoch- wasser betroffenen Regionen unseres Landes. Die Lage – Drucksachen 17/11461, 17/13343 – 30688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (C) richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag GRÜNEN) der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abge- Wir fühlen mit den Menschen und tun alles, um so rasch, ordneter und der Fraktion DIE LINKE so wirkungsvoll und so unbürokratisch wie möglich zu helfen. Kommunen von den Kosten für bauliche Maß- nahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Jetzt geht es zunächst darum, die Schäden möglichst Straßen befreien gering zu halten. Deswegen sind die Rettungsdienste vor Ort im Einsatz. Die Bundeswehr und das Technische – Drucksachen 17/10820, 17/12452 – Hilfswerk helfen nach besten Kräften. Die Verwaltun- gen, die Polizeien, die Rettungsdienste, die ehrenamtli- Berichterstattung: chen Helfer und die vielen freiwillig tätigen Bürgerinnen Abgeordneter Peter Götz und Bürger leisten großartige Arbeit. Wir können stolz c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- auf dieses hohe Maß an bürgerschaftlichem Engagement richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu sein. dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, (Beifall im ganzen Hause) Dr. Dietmar Bartsch, Diana Golze, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Wir werden über die Sofortmaßnahmen hinaus mit den Ländern zusammen alles Notwendige tun, um bei Wer bestellt, bezahlt – Konnexität zugunsten der längerfristigen Bewältigung der Flutfolgen solida- der Kommunen im Grundgesetz verankern risch zu helfen. Darauf können sich alle verlassen. – Drucksachen 17/6491, 17/13301 – Niemand kann im Augenblick die Schäden abschät- zen. Das ist auch gar nicht die entscheidende Frage. Berichterstattung: Vielmehr muss jetzt getan werden, was jetzt getan wer- Abgeordnete den kann, und danach wird man gründlich aufarbeiten Kirsten Lühmann und tun, was dann zu tun ist. Das werden wir wie beim Gisela Piltz letzten Mal solidarisch, gemeinsam leisten. Jan Korte Wolfgang Wieland Man sieht im Übrigen in diesen Tagen auch, was alles in den letzten zehn Jahren vielerorts erfolgreich geleistet (B) Bei der Beratung dieser Vorlagen zur Situation der worden ist. Auch das gehört in diesen Tagen der Betrof- (D) Kommunen wird sicherlich noch Gelegenheit sein, aus fenheit zu unserer Botschaft. der Sicht der Fraktionen ergänzende Hinweise und Anre- gungen zu den von mir zuvor genannten Aspekten zu ge- Meine Damen und Herren, darin zeigt sich – um zum ben. Gegenstand unserer Debatte zu kommen –, dass bürger- schaftliches Engagement vor allem vor Ort gelebt wird. Zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Das gilt übrigens besonders in Zeiten der Globalisie- Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP liegt rung, europäischer Krisen und Diskussionen. Deswegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die sind lebensfähige Kommunen von entscheidender Be- Grünen vor. deutung für eine lebensfähige Demokratie. Deswegen ist Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Gestaltungs- und Leistungsfähigkeit der Kommunen die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt 90 Mi- von einer entscheidenden, zentralen Bedeutung. nuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch, so- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass wir so verfahren können. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung in dieser Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst Bun- Legislaturperiode viel, wahrscheinlich mehr als die desminister Dr. Wolfgang Schäuble das Wort. meisten kommunalen Vertreter erwartet haben, für die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kommunen getan, obwohl – das muss man gelegentlich dann doch in Erinnerung rufen – die prioritäre Zustän- digkeit für die Kommunen nach unserem Grundgesetz Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- bei den Ländern liegt. Die Länder achten auch gelegent- zen: lich sehr darauf, dass ihnen in ihre Zuständigkeit nicht Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und eingegriffen wird. Lediglich bei der Finanzierung sind Herren! Die Bundesregierung dankt Ihnen, Herr Präsi- sie bereit, dem Bund hinreichend Verantwortung zu dent, für die Worte, die Sie eben zu der katastrophalen überlassen. Wir haben diese Verantwortung wahrgenom- Flut und zu der Situation der Menschen, die wieder von men und in dieser Legislaturperiode Leistungen in einem einem solch schrecklichen Ereignis betroffen sind, ge- enormen Umfang, unbeschadet der Zuständigkeit der sprochen haben. Was Sie gesagt haben, ist die Haltung Länder, für die Gemeinden übernommen. Ich erinnere aller Fraktionen und ist die Haltung der Bundesregie- daran, dass wir die Kosten der Grundsicherung im Alter rung. Uns alle machen die Bilder von dieser Flut betrof- und bei Erwerbsminderung vollständig übernehmen. Wir fen. haben damit eine Entscheidung der rot-grünen Regie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30689

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) rung korrigiert. Wir entlasten die Kommunen damit um – Ich weiß schon, dass Sie die Zahlen nicht gerne hören. (C) fast 20 Milliarden Euro in den Jahren 2012 bis 2016. In einer Zeit der großen Parolen und großen Verspre- chungen ist es gelegentlich ganz gut, an Folgendes zu er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – innern: Das Jahr 2003, als Sie regiert haben, war, ohne Bernd Scheelen [SPD]: Das ist Geschichtsklit- Wirtschaftskrise, der Höhepunkt kommunaler Defizite. terung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Das schafft für alle Kommunen Spielräume zur Stär- Bernd Scheelen [SPD]: Wieso war 2003 keine kung von Investitionen. Es profitieren vor allen Dingen Wirtschaftskrise? Das ist das Erste, was ich struktur- und finanzschwache Kommunen. höre!) Der Bund unterstützt die Kommunen massiv beim Im Übrigen zahlt sich unsere kommunalfreundliche Ausbau des Kinderbetreuungsangebots für unter Drei- Politik aus. Die Kommunen haben das Jahr 2012 mit ei- jährige. Auch für diesen Bereich haben die Länder nach nem Finanzierungsüberschuss von 1,8 Milliarden Euro dem Grundgesetz die prioritäre Zuständigkeit. Wir ha- abgeschlossen. Sie erreichen als erste staatliche Ebene ben die Mittel gerade noch einmal um weitere 580 Mil- vor Bund und Ländern einen positiven Finanzierungs- lionen Euro aufgestockt, um den Ausbau zu beschleuni- saldo. gen und das Angebot zu erweitern. ( [DIE LINKE]: Besonders Wir haben in dieser Legislaturperiode auch dafür ge- Duisburg und Oberhausen: Überschüsse ohne sorgt, dass sich noch mehr Kreise und Städte, wenn sie Ende!) es wollen, selbstständig um Langzeitarbeitslose küm- mern können. Wo diese Entscheidung getroffen wurde, Die Zahlen sind wirklich eindrucksvoll. Diese erfreuli- hat es sich übrigens sehr bewährt. Auch darin zeigt sich, che Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren fort- dass Föderalismus, dezentrale Entscheidungen und Sub- setzen. Das zeigen auch die Schätzungen der kommuna- sidiarität die effizientere Gestaltungs- und Ordnungs- len Spitzenverbände selbst. form sind. Natürlich ist die finanzielle Situation der einzelnen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Kommunen unterschiedlich. Burchardt [SPD]: Sie haben die Mittel ge- (Kirsten Lühmann [SPD]: Einzelner?) kürzt!) In diesem Zusammenhang wird auf die hohen Kassen- Wir haben das Bildungspaket bei voller Kostenerstat- kredite hingewiesen. Sie sind vor allen Dingen ein Pro- tung durch den Bund in kommunale Zuständigkeit über- blem einzelner Bundesländer. Meine Damen und Herren, (B) führt. da können Sie sich gleich wieder empören – es ist auch (D) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- empörend –: Die Hälfte der bundesweiten kommunalen NEN]: Da hängt es jetzt!) Kassenkredite entfällt allein auf Kommunen in Nord- rhein-Westfalen. Wir haben uns übrigens – auch daran will ich erinnern – auf dem Höhepunkt der globalen Finanz- und Wirt- (Rolf Hempelmann [SPD]: Da haben Sie fünf schaftskrise stellvertretend für Länder und Kommunen Jahre lang regiert!) verschuldet – das war die finanzpolitische Lage –, um Auch dort sind übrigens nicht alle Kommunen betroffen, den Kommunen mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm auch dort bestehen erhebliche Ungleichgewichte; aber durch ein Tal zu helfen und einen Modernisierungsschub die Landesregierung tut nichts, um diesen Ungleichge- für die kommunale Infrastruktur zu ermöglichen. Das wichten entgegenzuwirken. haben wir in der Finanz- und Wirtschaftskrise getan. Wir haben die Folgen für die Neuverschuldung im Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – haushalt in dieser Legislaturperiode gut bewältigt. Bernd Scheelen [SPD]: Was ist dann in Hes- sen, im Saarland?) Ich möchte aber sagen: Es ist kein Zufall. Das Re- kordjahr kommunaler Defizite war nicht etwa 2010, son- Reden wir einmal, was die Eigenverantwortung der dern 2003. Jedermann weiß, wer damals Regierungsver- Länder für die Kommunen anbetrifft, über Rheinland- antwortung in Deutschland getragen hat. Pfalz. Dort ist höchstrichterlich festgestellt worden, dass das Land die Kommunen entgegen Recht und Gesetz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) finanziell zu schlecht ausgestattet hat. Auch das ist eine Wahrheit, die in dieser Debatte gesagt werden muss. Darin zeigt sich die unterschiedliche Haltung früherer Bundesregierungen und der heutigen Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Wir reden nicht nur von kommunalfreundlicher Politik, Hempelmann [SPD]: In Nordrhein-Westfalen sondern handeln. bei Schwarz-Gelb auch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die Länder müssen ihrer Verantwortung für die Kommu- Bernd Scheelen [SPD]: Aber nur auf Druck! – nen, die ihnen das Grundgesetz zuweist, nachkommen, Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Aber wann und zwar alle Länder; sie müssen für eine angemessene denn? Wann fängt das an? – Britta Haßelmann Finanzausstattung der Kommunen und für einen Aus- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch gleich kommunaler Finanzkraftunterschiede sorgen. Da- etwas mit dem Bundesrat zu tun!) rauf haben die Gemeinden einen Anspruch. 30690 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Es ist doch für die Länder wirklich kein Ruhmesblatt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C) dass sich viele Kommunen, übrigens auch in Nordrhein- Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das ist eine Westfalen, in erster Linie auf den Bund verlassen, nach gute Frage!) dem Bund rufen, nicht nach der zuständigen Landesre- gierung, weil sie von dort wenig Hilfe erwarten. Die Länder dürfen am Ende nicht Sand im Getriebe sein, wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Kommunen zu gewährleisten. Deshalb werden wir in der Burchardt [SPD]: Es ist verantwortungslos, kommenden Legislaturperiode in Bezug auf die Gesamt- was Sie hier erzählen! – Bernd Scheelen verantwortung von Bund und Ländern darüber verhan- [SPD]: Das ist doch Quatsch!) deln müssen, auch über die Finanzierung der Eingliede- rungshilfe für behinderte Menschen; das muss in einem Der Bund nimmt seinen Teil der Verantwortung wahr. grundsätzlichen Kontext geschehen. Wir haben uns ver- Wir schultern übrigens zunehmend Dinge, die ursprüng- pflichtet, hier in der nächsten Legislaturperiode eine lich in Länderverantwortung lagen. Darüber werden wir Neuregelung auf den Weg zu bringen. Aber das erfor- auch in den nächsten Jahren miteinander reden müssen, dert, dass Bund und Länder gemeinsam Verantwortung wenn wir erneut über die Neuordnung der Bund-Länder- übernehmen; das will ich festhalten. Finanzbeziehungen zu diskutieren haben. Eine letzte Bemerkung. Es bleibt entscheidend, dass Ich will das besonders dringliche und wichtige Thema die Kommunen vor Ort hinsichtlich der Ausgaben und des Ausbaus der Betreuung in Kindertagesstätten als Einnahmen mehr Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, Beispiel nennen. Wir alle sind gemeinsam der Auffas- sonst wird kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt. sung, dass allen Eltern in Deutschland, wenn sie es wün- Nur mit der Zuweisung von Aufgaben gegen volle schen, ein Betreuungsplatz für ihre unter dreijährigen Finanzierung ist kommunale Selbstverwaltung inhaltlich Kinder zur Verfügung gestellt werden sollte. Wir haben noch nicht hinreichend ausgestaltet. Umgekehrt brau- in der vergangenen Legislaturperiode die Weichen dafür chen die Gemeinden mehr Gestaltungsmöglichkeiten in gestellt, dass aus einem Nischenangebot ein flächende- Bezug auf ihre eigenen Einnahmen. Wir haben es in die- ckendes Angebot wird. Unser gemeinsames Ziel ist es, ser Legislaturperiode leider nicht geschafft, darüber ei- die Zahl der Betreuungsplätze auf 780 000 zu erhöhen nen hinreichenden Konsens zu erzielen. Das Angebot und damit gegenüber dem Stand von 2006 zu verdreifa- bleibt, dass wir in der nächsten Legislaturperiode noch chen. Wir sind auf einem guten Weg: Der Deutsche einmal einen solchen Versuch unternehmen wollen. Es Landkreistag hat vor einigen Wochen darauf hingewie- geht entscheidend darum, dass wir die Kommunen stär- sen, dass mit Beginn des Rechtsanspruchs auf einen ken. Das ist das eigentliche Anliegen; denn sie sind die (B) Krippenplatz im August das notwendige Angebot letzt- Grundlage einer lebendigen Demokratie. Sie sind im (D) lich zur Verfügung stehen wird. Die Bereitstellung eines Übrigen auch Basis eines Europas, wenn dieses Europa solchen Angebots ist nach dem Grundgesetz originäre dem Titel „In Vielfalt geeint“ gerecht werden will. Aufgabe der Länder und Kommunen. Der Betrieb von Herzlichen Dank. Kindertagesstätten gehört zu den klassischen kommuna- len Aufgaben. Es ist die Aufgabe der Länder und Kom- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) munen, hier die Eltern zu unterstützen. Das schließt na- türlich die Finanzierungsverantwortung mit ein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ohne den Anstoß des Bundes wäre aber in der Fläche Das Wort erhält jetzt der Kollege Thomas Oppermann nichts geschehen. Dass sich hier in den vergangenen für die SPD-Fraktion. Jahren in Deutschland so viel getan hat – es sind Hun- (Beifall bei der SPD) derttausende neue Kitaplätze geschaffen worden –, ist die Folge der Initiative des Bundes und vor allem der von ihm bereitgestellten massiven finanziellen Hilfen: Thomas Oppermann (SPD): Wir stellen bis zum Jahre 2014 insgesamt 5,4 Milliarden Herr Präsident, ich möchte Ihnen für die einfühl- Euro für Investitionen und Betrieb im Bereich der samen und richtigen Worte danken, die Sie zur Flut- Kindertagesstätten bereit; ab 2015 werden es dauerhaft katastrophe gefunden haben. In der Tat: Das ist kein jährlich 845 Millionen Euro sein. Der Ausbau der Kin- Thema für parteipolitische Auseinandersetzungen. In derkrippenplätze ist zwischen Bund und Ländern verein- diesem Moment sollte der Bundestag insgesamt zusam- bart. Der Bund hat alle seine Zusagen eingehalten, er hat menstehen und klarmachen, dass wir die Flutopfer nicht die Mittel freiwillig sofort weitergegeben, und er hat den alleine lassen, dass wir alle möglichen Hilfen gewähren, Ausbau mit weiteren Initiativen flankiert: Bereitstellung die jetzt benötigt werden. von KfW-Krediten, Unterstützung betrieblicher Kinder- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten betreuung, Initiativen zur Sprach- und Integrationsförde- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des rung, Elternbegleitung, Gewinnung von Fachkräften für BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Kitas. All dies hat der Bund zusätzlich getan, und dennoch gibt es Diskussionen, ob denn alle Länder alle Das Hochwasser wird schwerste Schäden hinterlas- Mittel des Bundes wirklich zügig an die Kommunen, für sen. Für jeden Einzelnen kann eine Überschwemmung die sie gedacht sind, weitergeben; auch dies muss er- eine existenzvernichtende Katastrophe sein, für einige wähnt werden. zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre. Wir dürfen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30691

Thomas Oppermann (A) die Menschen, die Unternehmen und die Kommunen in (Beifall bei der SPD) (C) diesem Unglück nicht alleinlassen. Ihre Klientelgeschenke werden durch steigende Ge- Mich ermutigt die große Solidarität, die überall Platz bühren in den Kommunen und durch steigende kommu- greift, die große Hilfsbereitschaft der Menschen. Wir nale Schulden bezahlt. Die deutschen Kommunen haben sollten mit Respekt und Hochachtung den Helfern für ih- Kassenkredite in der unvorstellbaren Höhe von 48 Mil- ren unermüdlichen Einsatz danken. Das Zusammenste- liarden Euro. Das können sie kaum noch verkraften. hen in der Not zeigt, wie viel Gemeinsinn in unserer Ge- Wahr ist: Einige Kommunen haben sich in den letzten sellschaft steckt. Daran müssen wir uns in der Politik ein Jahren sanieren können. Wahr ist aber auch: Es gibt sehr Beispiel nehmen. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen: viele Kommunen, die immer weiter in den Schuldenstru- Wenn es um die Finanzierung der Hilfen in Milliarden- del hineingetrieben werden. Deshalb brauchen wir eine höhe geht, wird sich die sozialdemokratische Fraktion grundlegend andere Politik auf Bundes- und Landes- absolut konstruktiv verhalten. ebene gegenüber den Kommunen. Es ist gut, dass bereits erste Gelder zugesagt sind, (Beifall bei der SPD) aber das reicht natürlich bei weitem nicht aus. Ich halte Wir treten für einen Investitions- und Entschuldungs- es für erforderlich, wie im Jahr 2002 einen Hilfsfonds pakt ein. Dazu gehört erstens die Unterstützung der einzurichten. Dieser Hilfsfonds wird mit mehreren Mil- Kommunen bei den Sozialausgaben. Da haben wir über liarden Euro ausgestattet werden müssen. Die unbüro- den Vermittlungsausschuss bei den Hartz-IV-Verhand- kratische und schnelle Auszahlung der Hilfen 2002 muss lungen erreicht, dass die Lasten, die sich aus der Grund- der Maßstab für die Hilfen in diesem Jahr sein. sicherung im Alter ergeben, Schritt für Schritt vom Bund (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten übernommen werden. Auf die Idee wären Sie nicht ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kommen, und ohne den von uns angerufenen Vermitt- lungsausschuss wäre das nicht passiert. Der nächste Darauf haben die betroffenen Kommunen einen An- Schritt ist, sich jetzt die Kosten der Eingliederungshilfe, spruch. unter denen die Kommunen besonders stark leiden, ge- Damit komme ich zu einem Thema, Herr Schäuble, nauer anzuschauen. was wir etwas kritischer diskutieren müssen: die Lage Zweitens werden wir einen Investitionspakt von Bund der Kommunen. Den Kommunen in Deutschland ist es und Ländern auf den Weg bringen, von dem insbeson- in den letzten vier Jahren schlecht gegangen. Da bin ich dere die finanzschwachen Kommunen profitieren sollen. anderer Meinung als Sie. Schließlich brauchen wir drittens einen Entschul- Sie lenken den Blick gerne auf Nordrhein-Westfalen. (B) dungspakt zugunsten der Kommunen, bei dem wir vor- (D) Ich will Ihnen ein Beispiel aus Hessen geben. In Hessen nehmlich die Einnahmebasis der Kommunen verstärken. hat die schwarz-gelbe Landesregierung mit Landtags- Die Kommunen werden von einer Erhöhung des Spit- mehrheit den kommunalen Finanzausgleich um 340 Mil- zensteuersatzes angemessen profitieren, und wir wollen lionen Euro gekürzt. Man hat den Kommunen 340 Mil- auch die Gewerbesteuer weiterentwickeln. lionen Euro weggenommen, um den Landeshaushalt zu sanieren, Herr Jung. Dafür hat sie vom Staatsgerichtshof (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine Ohrfeige bekommen. Das war verfassungswidrig, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ In dem Zusammenhang müssen wir auch über die DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Städtebauförderung reden. Die Koalition hat die Städte- LINKEN) bauförderung als zentrales Instrument für die zukunftsfä- hige Entwicklung der Städte und Gemeinden in den und das ist kein Umgang mit den Kommunen. vergangenen vier Jahren systematisch gekürzt und ver- Sie haben vier Jahre lang Politik zulasten der Kom- nachlässigt. Trotz eines unstreitig anerkannten Bedarfes munen gemacht. Ihre Klientelpolitik hat immer dazu ge- in Höhe von 700 Millionen Euro stehen nur 455 Millio- führt, dass private Taschen gefüllt wurden, und das Ge- nen Euro zur Verfügung – und das, obwohl ein von genstück dazu waren Schulden und Steuerausfälle bei Ihnen selbst vorgelegtes Gutachten belegt, dass die Städ- den Kommunen. tebauförderung eine enorme Investitionsanreizwirkung hat. Auf 1 Euro öffentliche Gelder kommen 7 Euro pri- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vate Gelder, die investiert werden. Das ist eine optimale des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Relation. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat die Kom- Ihnen fehlt aber nicht nur das Verständnis für eine an- munen rund 1,6 Milliarden Euro gekostet. gemessene Finanzausstattung, sondern auch für die inhalt- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Quatsch!) liche Ausrichtung der Strukturförderung des Bundes an den gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Kom- Die Änderung bei der Unternehmensbesteuerung hat zu munen. Dazu gehört vor allem, das Programm „Soziale Ausfällen in Höhe von 650 Millionen Euro geführt. Das Stadt“ wieder vernünftig auszustatten. Es war falsch, gescheiterte Gesetz zum Abbau der kalten Progression dieses Programm 2010 um fast 70 Prozent zu kürzen. hätte die Kommunen weitere 600 Millionen Euro gekos- tet. Meine Damen und Herren, das ist Politik zulasten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dritter. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 30692 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Thomas Oppermann (A) Das war ein absoluter Fehlgriff, Herr Schäuble. Da ver- Helfer, die aus allen Regionen Deutschlands in die Über- (C) wundert es auch nicht, dass in den 20 größten Städten schwemmungsgebiete gehen, um Nothilfe zu leisten. Deutschlands nur noch drei CDU-Oberbürgermeister re- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gieren. Auch die sind nicht mehr sicher – jedenfalls der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) wenn Sie diese Politik nicht grundlegend korrigieren. Wir haben einen großen Konsens, und wir alle sichern (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unbürokratische und schnelle Nothilfe zu – kurz- und DIE GRÜNEN) langfristig für die Menschen und für die Betriebe. Wirt- Mit dem Programm „Soziale Stadt“ konnten in der schaftsminister Rösler hat erste Gespräche geführt und Vergangenheit in vielen Stadtquartieren drohende Ab- Programme angekündigt. wärtsentwicklungen gestoppt werden. Wir wollen sicht- Ich danke unserem Bundestagspräsidenten, dass er bare städtebauliche Erneuerungen im Wohnumfeld auf die leere Bundesratsbank hingewiesen hat. Ich halte sowie im Bereich der sozialen und kulturellen Infra- es, um mit den Worten der linken Seite des Hauses zu struktur. Diese sind Voraussetzung dafür, dass das so- sprechen, für einen Skandal, dass die Länder heute mit ziale Miteinander, der nachbarschaftliche Zusammenhalt keiner einzigen Person hier vertreten sind. und die Integration gelebt werden können. Unser aller Ziel sind starke Kommunen. Eine ange- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Das Ziel messene Finanzausstattung ist verfassungsmäßig festge- der SPD sind starke Kommunen. Wir wollen die Kom- schrieben. Die Kommunen sind Gebietskörperschaften munen wieder stärken. Von starken Kommunen hängt es der Länder, das heißt, diese stehen in direkter Verant- ab, ob unsere Kinder gute Kindergärten und Schulen wortung. Herr Oppermann, Sie wissen genauso gut wie vorfinden. Von starken Kommunen hängt es ab, wie ich, dass das grün-rote Baden-Württemberg in Zeiten Menschen aufwachsen und leben. Von starken Kommu- von Rekordsteuereinnahmen den kommunalen Finanz- nen hängt es ab, ob Integration, ob das Zusammenleben ausgleich um 340 Millionen Euro gekürzt hat. Das ge- von Menschen unterschiedlicher Herkunft gelingt, und schah nicht in Zeiten der Krise, sondern in Zeiten von davon hängt auch ab, ob sich die Menschen in unseren Rekordsteuereinnahmen. Gemeinden und Städten sicher fühlen. Das ist der zen- trale Unterschied zwischen uns und Ihnen: Wir wollen, ( [SPD]: 2,5 Milliarden von Ihnen dass es allen besser geht. Das ist das Gegenteil von geerbt! – Thomas Oppermann [SPD]: 50 Jahre Klientelpolitik für einige wenige. In den Kommunen Altlasten!) fangen wir damit an. Das heißt nicht, dass wir die Verantwortung abschieben; Vielen Dank. aber die Aussage: „Der Bund muss zahlen!“, kann nicht (B) (D) die alleinige Lösung für die Probleme sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Aus gutem Grund wurden die komplexen Bund-Län- Präsident Dr. Norbert Lammert: der-Beziehungen gemeinsam im Rahmen der Föderalis- Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, er- musreformen I und II entflochten, um Verantwortlich- laube ich mir einen dezenten Hinweis an die Bundesrats- keiten klar zuordnen zu können. Im Rahmen einer bank. Mit Blick auf das Thema, das wir gerade beraten, Föderalismuskommission III sollte endlich die Struktur und die herausragende Verantwortung der Länder für die der Kommunalfinanzen neu geordnet werden und das Situation der Kommunen hätte ich es nicht für übertrie- Prinzip der Konnexität verankert werden; das heißt, wer ben gehalten, wenn diese Verantwortung der Länder bestellt, der bezahlt. Das ist bei der letzten Reform an Ih- durch eine erkennbare Präsenz auf der Bundesratsbank nen gescheitert. unterstrichen worden wäre. Diese Koalition hat dafür gesorgt, dass die Kommu- (Beifall im ganzen Hause) nen heute finanziell deutlich besser dastehen als vor vier Nun erhält die Kollegin Reinemund für die FDP- Jahren. 2012 verzeichneten sie einen Überschuss von Fraktion das Wort, der ich gleichzeitig zu ihrem heutigen 1,8 Milliarden Euro. Für die Zeit ab 2013 werden min- Geburtstag gratuliere. Alle guten Wünsche! destens 4 Milliarden Euro pro Jahr prognostiziert. Zum Vergleich: 2009, unter Finanzminister Steinbrück, stöhn- (Beifall) ten sie über ein Defizit von 7,5 Milliarden Euro. (Bernd Scheelen [SPD]: Kanzlerin war damals Dr. Birgit Reinemund (FDP): Frau Merkel!) Herzlichen Dank, Herr Präsident, für die Glückwün- sche. Es ist mir ein Vergnügen, mit Ihnen allen heute ge- Ohne Zweifel gibt es nach wie vor Kommunen, die meinsam älter zu werden, auch wenn mir nicht wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen, je nach eigener Wirt- zum Feiern zumute ist. Es ist angesichts der furchtbaren schaftskraft, nach der Sozialstruktur, aber auch nach der Bilder über die Flutkatastrophe, die uns alle sehr bewe- Wirtschaftskraft ihrer Region und ihres Bundeslandes. gen, wirklich schwer, gerade heute eine Debatte zur Denken Sie an NRW, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Lage der Kommunen zu führen. Gerne schließe ich mich Dabei spielen der kommunale Finanzausgleich – dieser den Worten des Bundestagspräsidenten und der Kolle- ist Ländersache –, der Länderfinanzausgleich und natür- gen an. Das gilt vor allen Dingen für den Dank an alle lich die Gesamtwirtschaftslage Deutschlands eine große Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30693

Dr. Birgit Reinemund (A) Rolle. Sie alle kennen die Abhängigkeit der Kommunen und Gemeindebund vor den Steuererhöhungsplänen von (C) von Gewerbesteuer, Einkommensteuer und von den So- SPD und Grünen. Sie würden der lokalen Wirtschaft zialkosten bei hoher Arbeitslosigkeit. Die Kommunen schaden, Arbeitsplätze gefährden und die Kommunen profitieren zuallererst von unserer soliden Finanz- und schwächen. Wir werden unseren Weg der Konsolidie- Wirtschaftspolitik. Wir haben Rekordsteuereinnahmen rung und der Unterstützung der Strukturreform in dieser und die höchste Zahl sozialversicherungspflichtiger Ar- Konstellation ab Oktober weitergehen und auf eine Fö- beitsplätze aller Zeiten. Kurz: höhere Einnahmen und deralismuskommission III hinarbeiten. Denn wir müssen geringere Ausgaben auch und gerade für die Kommu- durch die gesamtstaatliche Brille schauen. Ein Hin- und nen. Herschieben der Kosten darf es künftig nicht mehr ge- ben. Bei der Schuldenbremse des Fiskalpakts wird eine (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gesamtstaatliche Betrachtungsweise eingefordert. In die der CDU/CSU) Berechnung sollen die Schulden des Bundes, der Länder, Wir setzen in dieser Legislaturperiode zudem auf eine der Kommunen und der Sozialversicherungen einflie- ganze Reihe von Einzelmaßnahmen zum Wohle der ßen. Kommunen. Der Bund übernimmt die Kosten der Es ist richtig: Wir sind noch nicht am Ziel angekom- Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. men. Doch egal, wie Sie es drehen und wenden, wenn Das ist die größte Entlastung aller Zeiten. Sie beträgt Sie die Lage in 2009 mit der in 2013 vergleichen, müs- rund 4,5 Milliarden Euro jährlich plus alle Steigerungen. sen Sie zugeben, dass es vier gute Jahre für Deutschland Auch wenn Sie es noch so oft erzählen: Das war ein Vor- und vier gute Jahre für Deutschlands Kommunen waren. schlag unseres Finanzministers, nicht der Opposition. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Das Verlorene Jahre, Frau Kollegin!) ist ja lächerlich!) Bei den Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfän- Präsident Dr. Norbert Lammert: ger übernimmt der Bund mittlerweile durchschnittlich Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege 36,4 Prozent. Die Grünen fordern heute ehrgeizige Steffen Bockhahn das Wort. 37,7 Prozent in zwei Schritten. (Beifall bei der LINKEN) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Sie haben das nicht verstanden! Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Wahrscheinlich haben Sie es nicht gelesen!) (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- (D) 2009 waren wir bei 26 Prozent. Wir übernehmen die vol- nen und Kollegen! Ich denke, es ist beeindruckend, wie len Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket. Rund sich in diesen Tagen viele Menschen in Süddeutschland 73 Prozent der berechtigten Kinder nehmen diese Leis- und in Ostdeutschland gegenseitig helfen, sich füreinan- tungen mittlerweile in Anspruch. So etwas gab es noch der aufopfern. Das ist ein großer Beweis dafür, dass es in nie. Die SPD hat angekündigt, dass sie dies rückabwi- diesem Land noch Solidarität und Miteinander gibt. Das ckeln will. Für die Investitionen in Krippenplätze steu- ist in dieser schweren Stunde, denke ich, eine gute Nach- ern wir 5,4 Milliarden Euro bei, für die Betriebskosten richt. geben wir zukünftig jährlich 845 Millionen Euro. Die (Beifall bei der LINKEN) Städtebauförderung führen wir gleichbleibend mit rund 455 Millionen Euro fort. Das ist gut für die Kommunen, Es ist ebenso eine gute Nachricht, dass die Katastro- für das lokale Handwerk, für Arbeitsplätze und für das phenstäbe offensichtlich ganz hervorragend arbeiten. Gewerbesteueraufkommen. Man merkt das auch daran, dass wir zum Glück bisher keinen Verlust von Menschenleben zu beklagen haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich hoffe, dass das so bleibt. der CDU/CSU) Das ist ein Beweis für die Stärke der Kommunen und Es ist richtig: In der Krise hatten wir zusätzliche Mittel ihre Leistungsfähigkeit. Denn ohne die aktive Mithilfe aus den Konjunkturpaketen, die mittlerweile ausgelau- der Kommunen in diesen Katastrophenstäben könnte die fen sind. Arbeit nicht so gut organisiert werden. Ich denke, an die- Außerdem haben wir durchgesetzt: Verbesserung bei sem Punkt sollte man allen Helferinnen und Helfern, der Konversion, beim Planungsrecht, beim Baurecht, bei egal ob sie in Amtsstuben oder direkt am Deich sind, der Bürgerbeteiligung, bei E-Government, bei Breit- „Danke!“ und „Weiter so!“ sagen. Wir drücken ihnen die bandversorgung, bei der Ärzteversorgung im ländlichen Daumen, dass es nicht noch schlimmer kommt, als es Raum und nicht zuletzt beim Beteiligungsrecht der ohnehin schon ist. Kommunen in der Gesetzgebung im Bundestag. Der (Beifall bei der LINKEN) Bundesrat konnte sich übrigens nicht dazu durchringen. Dies alles sind notwendige Hilfen für die Kommunen. Ich finde es erstaunlich, dass das offensichtlich nur bei Eine Strukturreform ersetzt das aber noch lange nicht. der Fraktion Die Linke so gesehen wird. Auf keinen Fall darf diese positive Entwicklung jetzt Kommunen und Betroffene – da sind wir bei der Ver- gefährdet werden. Zu Recht warnt der Deutsche Städte- antwortung, die wir gemeinsam tragen – dürfen jetzt 30694 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Steffen Bockhahn (A) nicht alleingelassen werden. Es ist, denke ich, unsere ge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (C) meinsame Entscheidung, dass wir Geld in die betroffe- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen Gebiete geben werden; diese Entscheidung ist auch Als Bach, Mozart und Bruckner ihre üppigen Kon- richtig. Aber es ist die Aufgabe der Bundesregierung, zerte geschrieben haben, haben sie nicht daran gedacht, jetzt ganz schnell Verbindlichkeit dahin gehend zu schaf- dass es irgendwann klamme Kommunen geben würde, fen, wie die Antragsverfahren aussehen und welche Kri- die sich keine Orchester mehr leisten können, um diese terien es gibt. Das Ganze muss vor allem eines sein, Konzerte auch zu spielen. Aber das kann ja nicht bedeu- nämlich unbürokratisch. Es müssen Straßen erneuert ten, dass wir künftig auf Bach, Bruckner und Mozart werden, es müssen Kitas saniert werden, und es müssen verzichten. Wir brauchen auch um der Kultur willen eine Gebäude wiederhergerichtet werden. Dabei können und angemessene kommunale Finanzausstattung. dürfen wir die Kommunen nicht alleinelassen. Zins- günstige Kredite allein werden überschuldeten Kommu- (Beifall bei der LINKEN) nen kaum helfen. Wir brauchen echte Hilfe, auch vom Kommunen machen Fehler – natürlich –, und sie ge- Bund. ben auch Geld an falschen Stellen aus. Aber dabei sind Meine Damen und Herren, ich denke, nur wenige von sie in guter Gesellschaft: mit den Ländern, mit dem Ihnen wissen das: Am letzten Donnerstag, heute vor ei- Bund und mit der EU. Natürlich muss vieles besser ge- ner Woche, ist vor der polnischen Ostseeküste ein Schiff macht werden. Aber man kann den Kommunen zwei- untergegangen, die „Georg Büchner“. Warum erzähle felsfrei nicht vorwerfen, dass sie sich nicht kümmern ich Ihnen das? Die „Georg Büchner“ ist ein Kulturdenk- würden. Sie haben Steuern erfunden, und sie haben Steu- mal, das über Jahrzehnte in der Hansestadt , ern in teilweise absurde Höhen getrieben. Alles das hat meiner Heimatstadt, gelegen hat. Zehntausende Men- nur bedingt geholfen. schen fühlen sich eng mit dem Schiff verbunden. Die Ich habe mir ein paar Zahlen herausgesucht. Die Stadt „Georg Büchner“ war ein Ausbildungsschiff, auf dem Oberhausen hat etwa 1,8 Milliarden Euro Schulden; der sehr viele Menschen gefahren sind und gelernt haben. Grundsteuerhebesatz liegt bei 590 Prozent, der Gewer- Dieses Schiff konnte von der Kommune nicht mehr ge- besteuerhebesatz bei 520 Prozent. Nürnberg hat fast halten werden. Es wären etwa 5 Millionen Euro notwen- 1,3 Milliarden Euro Schulden; der Hebesatz der Grund- dig gewesen, um dieses Kulturdenkmal zu sanieren. Das steuer B liegt bei 535 Prozent und der Gewerbesteuerhe- war nicht möglich. Es war der Kommune nicht möglich, besatz bei 447 Prozent. Wenn man das Ganze durchde- und es war dem Trägerverein nicht möglich. Dem Schiff kliniert, stellt man fest: Es ist erschreckend. Je nachdem, wurde der Denkmalstatus entzogen. Es sollte nach Li- welche Region Deutschlands man betrachtet, findet man tauen geschleppt und abgewrackt werden. Dazu ist es zum Teil Steuersätze vor, die nicht mehr zur Leistungs- (B) (D) nicht gekommen. Die „Georg Büchner“ ist schlicht ab- fähigkeit passen. gesoffen. Sie ist damit ein Stück weit Sinnbild für die Lage der Kommunen in Deutschland. In meiner Heimatstadt Rostock, wo ich seit 2004 in der Bürgerschaft, im Kommunalparlament, bin – seit Die Kommunen haben 2012 – ich finde, das ist eine 2009 bin ich Vorsitzender des Finanzausschusses –, ha- ganz beeindruckende Zahl – Gesamtsteuereinnahmen in ben wir gerade wieder die Steuern erhöhen müssen, weil Höhe von etwa 198 Milliarden Euro gehabt, und zwar wir keine andere Chance mehr hatten. Wir haben jetzt in bereinigt. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2013 hat einer 200 000-Einwohner-Stadt einen Hebesatz der ein Volumen von 302 Milliarden Euro; das ist etwa ein Grundsteuer B von 480 Prozent und einen Gewerbesteu- Drittel mehr. Wenn man sich vor Augen führt, dass von erhebesatz von 465 Prozent. Ich wäre mir sofort mit der diesen 198 Milliarden Euro etwa ein Viertel sofort an FDP einig, wenn sie sagt: Das ist zu viel; das ist nicht Sozialleistungen weggegangen ist, dann ist das schon mehr wirtschaftsfreundlich. – Das stimmt. Das ist zu beeindruckend, weil es deutlich macht, wie eng die Lage viel, und das ist nicht mehr wirtschaftsfreundlich. Nur, der Kommunen ist. Wenn allein ein Viertel der Gesamt- die Kommune hat gar keine andere Chance mehr. Man einnahmen zur Finanzierung der notwendigen Sozial- muss einsehen, dass Kostensteigerungen aufgefangen leistungen gebraucht wird – dann ist noch keine Ange- werden müssen. Entweder macht man das über diesen stellte finanziert, noch kein Schulbuch gekauft, noch unvernünftigen Weg der Erhöhung der Kommunalsteu- kein Spielplatz saniert, noch keine Straßenbahn bezahlt ern, oder man redet endlich einmal darüber, wie die und noch kein neuer Radweg gebaut –, dann zeigt das, Kommen vernünftig ausgestattet werden können. Ich bin wie eng die Budgets der Kommunen in Deutschland tat- für die zweite Variante, meine Damen und Herren. sächlich sind. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Außerdem ist dann noch kein einziger Cent für Kultur investiert worden. Es ist erschütternd, zu sehen, wie Wenn man die zweite Variante verfolgt, dann muss massiv in den letzten Jahren Stellen bei Theatern und man sich anschauen, wo immer wieder die Probleme Orchestern gestrichen wurden. Man muss sich einmal entstehen: Das sind eben genau die Stellen, an denen der vergegenwärtigen, wie viele Sparten an Theatern in den Bund Aufgaben auf die Kommunen abwälzt, ohne diese letzten Jahren deutschlandweit geschlossen worden sind, Aufgaben auszufinanzieren. Deswegen hat die Linke die wie viele Orchester zusammengelegt wurden und fusio- ganz klare Position: Wir brauchen endlich ein Konnexi- niert sind. Alles das ist eine Folge der mangelnden kom- tätsprinzip für das Verhältnis zwischen Bund und Kom- munalen Finanzausstattung. munen. Es ist in Ordnung, wenn der Bund den Kommu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30695

Steffen Bockhahn (A) nen eine Aufgabe überträgt; aber dann muss er diese gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen. Da müssen wir (C) Aufgabe auch voll ausfinanzieren. alle zusammen noch deutlich mehr tun: Dazu brauchen wir eine grundlegende Neuordnung der Finanzbeziehun- (Beifall bei der LINKEN) gen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ich will Ihnen ein schönes Beispiel dafür geben: In Die deprimierende Lage der Kommunen in vielen meiner Heimatstadt Rostock gibt es eine Schleuse am Teilen der Republik führt auch zu einem Rückzug der Mühlendamm. Diese Schleuse ist enorm wichtig, erstens Menschen aus der aktiven Beteiligung. Ich glaube, keine weil nur durch diese Schleuse Flutschutz betrieben wer- der Parteien dieses Hohen Hauses kann sich davon frei- den kann und zweitens weil diese Schleuse für Sport- sprechen, dass es überall in Deutschland immer schwie- boote, Kanus und Ruderboote die einzige Durchfahrt riger wird, Kandidatinnen und Kandidaten für die zwischen Ober- und Unterwarnow darstellt. Diese Kommunalwahlen zu finden. Es wird nämlich immer Schleuse nicht öffnen zu können, ist in etwa so, als wenn schwieriger, zu verstehen, was man in der Kommunal- man die Alster von der Elbe trennt; das ist einfach nicht politik tatsächlich noch gestalten kann. Das, meine Da- vernünftig. Die Sanierung dieser Schleuse würde 2 Mil- men und Herren, ist ein echtes Problem. Es ist vor allen lionen Euro kosten. Der Bund möchte sich dieser Dingen auch ein Problem für die Demokratie in der Bun- Schleuse entledigen und stellt sich stur. Die Kommune desrepublik Deutschland; sie muss nämlich zuerst von kann die Schleuse nicht allein sanieren. Das Ergebnis: unten wachsen. Wenn wir nicht einmal mehr genügend Die Schleuse ist geschlossen, und das Wasser- und Bewerberinnen und Bewerber finden, um die Kommu- Schifffahrtsamt fordert die Kommune dazu auf, darüber nalparlamente voll zu besetzen, was ist das für ein Ar- nachzudenken, den Damm zuzuschütten und diese mutszeugnis für alle von uns? Davor sollten wir uns hü- Durchfahrt dauerhaft zu sperren. Das, meine Damen und ten. Auch deswegen müssen wir die Kommunalpolitik Herren, ist der Umgang des Bundes mit den Kommunen wieder attraktiver machen. Wir müssen ihr wieder Ge- in Deutschland, und der ist falsch. staltungsspielraum geben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Es gibt weitere Beispiele, die so absurd sind, dass man es kaum fassen kann. Legendär ist das Eisenbahn- Das ganze – Entschuldigung! – Gerede darüber, was kreuzungsgesetz. Beim Eisenbahnkreuzungsgesetz geht die Kommunen alles tun könnten und müssten, ist teil- es darum, dass, wenn Bahnübergänge geschlossen wer- weise absurd. Wie viele Kommunen wurden in den letz- den, für den Bahnübergang eine Kreuzung gebaut wer- ten Jahren ausdrücklich gezwungen, ihr Eigentum zu den muss. Die Kosten werden dann zwischen Bund, verkaufen, um den Haushalt einmalig zu sanieren? Heute müssen wir uns ganz oft über Probleme am Woh- (B) Kommune und Bahn geteilt; jeder muss ein Drittel tra- (D) gen. In Brandenburg gibt es die Gemeinde Rückersdorf nungsmarkt unterhalten. Da kann ich nur sagen: Augen mit 1 500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Rückers- auf bei der Entscheidung, und zwar vorher und nicht da- dorf hat einen Gesamthaushalt in Höhe von etwa nach! Man darf sich nicht wundern, dass, wenn man 15,7 Millionen Euro und einen Schuldenstand in Höhe Kommunen dazu zwingt, ihre Wohnungsbestände zu von 2,6 Millionen Euro. Diese Gemeinde wird nun ge- veräußern, im Nachgang kaum noch sozialer Wohnungs- zwungen, in eine Eisenbahnkreuzung, die sie gar nicht bau vorhanden ist. Die Kommunen könnten dies leisten. will, 2,5 Millionen Euro zu investieren. Das ist die Poli- Wenn man sie aber ihrer Möglichkeiten beraubt, werden tik dieser Bundesregierung im Umgang mit den Kom- die Kommunen hier nicht steuernd eingreifen können. munen, und diese Politik ist falsch. Kurzum, meine Damen und Herren: Egal welche Bun- desregierung in den letzten Jahren am Werk gewesen ist, (Beifall bei der LINKEN) die Lage der Kommunen hat sich im Grundsatz nicht verbessert. Da muss noch einiges passieren. Es wird immer wieder darauf verwiesen – wir haben das auch heute schon mehrfach gehört –, dass die Kom- (Beifall bei der LINKEN) munen in Deutschland unglaubliche Überschüsse erwirt- schaften würden. Das stimmt auch – im Durchschnitt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber im Durchschnitt war der See einen Meter tief, und die Kuh ist trotzdem ertrunken. Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Göring- Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Diese Überschüsse sind enorm ungleich verteilt: Einigen NEN): wenigen Kommunen geht es sehr gut; ich gönne ihnen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! das. Diesen wenigen Kommunen stehen aber unfassbar Erneut müssen viele Menschen gegen massives Hoch- viele Kommunen gegenüber, die keine Chance haben, wasser kämpfen. Unser Dank gilt den vielen Helferinnen ihren Haushalt in den Griff zu bekommen. Wir müssen und Helfern: denen von den Freiwilligen Feuerwehren, darüber reden, wie wir zu gleichen Chancen für alle denen von der Bundeswehr, denen, die ehrenamtlich hel- Kommunen und damit zu dem grundgesetzlich garan- fen, den Nachbarinnen und Nachbarn. Viele Notunter- tierten Anspruch auf gleiche Lebensverhältnisse überall künfte wurden gar nicht gebraucht, weil die Menschen in Deutschland kommen. Gleiche Chancen sind die Vo- bei Freunden, bei Nachbarn, zum Teil auch bei ganz raussetzung dafür, dass es den Kommunen möglich ist, Fremden untergekommen sind. 30696 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Katrin Göring-Eckardt (A) Die jetzigen Schäden übertreffen vielerorts das Aus- Damit bin ich natürlich auch bei der Situation der (C) maß des sogenannten Jahrhunderthochwassers von Kommunen. Ehrlich gesagt, finde ich es angesichts der 2002. Mich beeindruckt sehr, mit welch großer Ruhe die Realität nicht besonders angemessen, wenn Sie sich Betroffenen handeln und dass sie vor allem den Mut heute hier quasi auf die Schulter klopfen. Sie wissen ge- nicht verlieren. Ich zolle diesen Menschen sehr viel Re- nau: Die Kommunen schieben einen Schuldenberg in spekt. Höhe von 120 Milliarden Euro vor sich her. Was das heißt, kann jeder sehen, der mit offenen Augen durch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Städte und Ortschaften geht. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn man in den Hochwassergebieten unterwegs ist, sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- riecht man Öl und Gas und sieht allerorten braune Was- KEN) ser- und Schlammmassen. Man kann das an den öffentlichen Gebäuden genau sehen. Wenn wir hier schon längst wieder bei anderen The- Man kann es an Fassaden sehen. Man kann es an Turnhal- men sind, werden die Menschen dort immer noch versu- len sehen. Man kann es auch an den 1 100 Schwimmbä- chen, ihre Häuser wieder trocken und sauber zu bekom- dern sehen, die in den letzten Jahren geschlossen worden men. Dann werden Unternehmen versuchen müssen, sind. Hunderte stehen noch vor der Schließung. neue Maschinen zu finanzieren. Hier und da wird man völlig neu anfangen müssen. Einer Gärtnerei sind zum Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das hat mit dritten oder vierten Mal alle Pflanzen weggeschwom- Daseinsvorsorge zu tun. Ist es eigentlich noch möglich, men. Mancher braucht zum zweiten, mancher zum drit- ein ganz normales gemeinschaftliches Leben in einer ten Mal eine komplett neue Wohnungseinrichtung. Kommune zu führen? Haben Kinder, Jugendliche und Erwachsene eigentlich noch Freizeitmöglichkeiten? Ste- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir denken an diese hen eigentlich noch Bibliotheken zur Verfügung? Gibt es Menschen. Das dürfen wir aber nicht nur heute hier tun, noch Theater? Können sie ins Schwimmbad gehen? Sind sondern unsere Hilfe muss kontinuierlich sein. Sie muss die Turnhallen in Ordnung oder nicht? unbürokratisch sein und darf nicht nur aus warmen Wor- ten am heutigen Tag bestehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist für mich auch eine Frage der Demokratie. Wer die Kommunen im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regen stehen lässt, betreibt hier eine echte Gefährdung. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) sowie bei Abgeordneten der SPD) (D) Ich finde übrigens, dass wir dabei auch besonders an die Menschen in den kleinen Orten mit nur hundert und Es geht nicht nur um den Schuldenberg, sondern auch nicht hunderttausend Einwohnerinnen und Einwohnern um das fehlende Geld für Investitionen. Die KfW hat denken sollten, die ganz oft vergessen werden. Die Men- festgehalten, dass sich der Investitionsrückstand in den schen in diesen Orten haben häufig das Gefühl, ihr Kommunen auf 128 Milliarden Euro beläuft. Ich sage Hochwasserschutz sei nur halb so wichtig wie der Ihnen ganz ehrlich: Was sollen die Kinder eigentlich Damm vor einer großen Stadt. denken – trotz guter Lehrer, trotz viel Engagement –, wenn der schäbigste Bau in der Ortschaft immer die Die unbürokratische Hilfe muss also an erster Stelle Schule ist, liebe Kolleginnen und Kollegen? Das muss stehen. Aber viele Leute vor Ort fragen natürlich auch: sich ändern. Wie sieht es jetzt eigentlich mit den Lehren aus der Ka- tastrophe von 2002 aus? Ist wirklich getan worden, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN getan werden musste? – Diesen Fragen können wir uns und bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen] in dieser Debatte nicht entziehen. [CDU/CSU]: An welche Ortschaften denken Sie?) Natürlich brauchen wir Mauern. Natürlich brauchen wir Deiche. Natürlich brauchen wir Schutz. Aber wir Die Kommunen sind der Ort, wo Politik und Demo- brauchen definitiv auch mehr ökologischen Hochwasser- kratie erlebt werden. schutz. Wir brauchen Flussauen, die renaturiert sind. Wir (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Welche müssen dafür sorgen, dass nicht immer mehr Landschaft Ortschaft ist das? Wie heißt der Ort?) versiegelt wird. In Deutschland nimmt die Siedlungsflä- che in jeder Sekunde um 12 Quadratmeter zu. Dort kann Durch die schwarz-gelben Steuergesetze und insbeson- das Regenwasser nicht mehr abfließen. Auch dem müs- dere das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem Sie sen wir ins Auge blicken. Das spielt ebenfalls eine Rolle, unter anderem die Hoteliers bedient haben – das war Ihre wenn wir heute an die Hochwasseropfer denken und sa- Antwort –, haben Sie den Kommunen in den letzten drei gen, dass sich hier wirklich langfristig etwas ändern Jahren mehr als 5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen muss, liebe Kolleginnen und Kollegen. entzogen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Eine ganz tiefe KEN) Kiste!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30697

Katrin Göring-Eckardt (A) Das ist Klientelpolitik zulasten der Bürgerinnen und Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) Bürger und zulasten der Kommunen. Peter Götz ist der nächste Redner für die CDU/CSU- Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Quatsch!) neten der FDP) Natürlich ist es richtig, die Kosten für die Grund- sicherung im Alter zu übernehmen; das ist aber erst auf Peter Götz (CDU/CSU): Druck des Bundesrates geschehen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Hochwas- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wa- ser hält Deutschland weiter im Griff. Auch von unserer rum haben Sie es denn eingeführt? – Volker Seite, Herr Präsident, ein herzliches Dankeschön für die Kauder [CDU/CSU]: Das ist doch unglaub- treffenden und einfühlsamen Worte zu Beginn der heuti- lich! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: gen Debatte. Oh!) Wir erleben in diesen Tagen auf dramatische Weise, Aber dass Sie nicht über die Eingliederungshilfe mit mit welchen Emotionen tatsächlicher und drohender dem entsprechenden Kostenzuwachs und nicht über an- Schaden in vielen Städten und Gemeinden verbunden dere soziale Pflichtleistungen diskutieren, zeigt, dass Sie ist. Wir haben gestern von Bundesminister Peter weder die Kommunen noch die Investitionen im Blick Ramsauer im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Stadtent- haben. Das wird übrigens auch durch Ihre Versprechun- wicklung einen ersten Bericht zur Lage sowie zum Aus- gen in den letzten Tagen deutlich. maß der Schäden an Infrastruktur und Gebäuden erhal- ten. Schulen und Kindergärten in den Städten, aber auch (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Umlage im ländlichen Raum sind genauso betroffen wie das bei der Gewerbesteuer! Grundsicherung!) eigene Heim oder die Wohnung. Es wird – das wissen Mit ungedeckten Schecks tun Sie so als ob. wir – Milliarden kosten, um diese Schäden zu beseitigen. Wir von den Grünen sind gerade in den letzten Wo- Wenn wir die große Solidarität sehen, wenn wir erle- chen sehr hart angegriffen worden, weil wir gesagt ha- ben, wie Tausende bis zur Erschöpfung gegen Wasser- ben, wie wir das, was wir vorhaben, finanzieren wollen. massen kämpfen, sind wir zuversichtlich, dass es in ei- Was machen Sie? – Sie machen Versprechungen von der nem gemeinsamen Kraftakt gelingen wird, zusammen Mütterrente bis zur Kindergelderhöhung, ohne nur an ei- mit den betroffenen Kommunen nicht nur die Schäden (B) ner einzigen Stelle zu sagen, wie sie bezahlt werden sol- zu beseitigen, sondern vor allem dafür zu sorgen, dass (D) len. der Hochwasserschutz vor Ort weiter zügig verbessert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, zurück zur Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Lage der Sie lassen die Kommunen insbesondere beim Ausbau Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland, mit der der Kindertagesstätten im Regen stehen und machen wir uns heute auch auseinandersetzen. Die kommunal- Versprechungen an anderer Stelle. freundliche Politik der Bundesregierung ist ein milliar- denschwerer Segen für die Städte und Gemeinden in un- (Zuruf des Abg. Ingbert Liebing [CDU/CSU]) serem Land. Ich will Ihnen sagen, wie ich das finde: Das ist unsolide (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und unseriös. Das ist, in einem Satz gesagt, das Fazit der Antwort auf Offensichtlich wird aber, dass das inzwischen auch ei- unsere Große Anfrage. nigen im Kanzleramt klar geworden ist; denn die Nervo- sität steigt. Sie wissen, dass Sie seit Jahren an der Reali- Wir danken allen, die an der ausführlichen Beantwor- tät der Menschen vor Ort vorbeiregiert haben. Es wird tung von nahezu 100 Fragen mitgearbeitet haben. Zeit, dass sich das ändert, und zwar ganz spürbar. Die Antworten zeigen deutlich, dass die Politik der Ich bin sicher: Es wird sich etwas in den Kommunen Bundesregierung, verteilt über viele Politikbereiche, ent- ändern. Der Investitionsstau muss behoben werden. Die scheidend zur Stärkung der Kommunen und der kommu- Menschen sollen wissen, dass wieder in die Schulen und nalen Selbstverwaltung beiträgt. An die Adresse der Lin- in die Bildung ihrer Kinder investiert wird. Sie sollen ken sei gesagt: Man sollte sich zwischendurch vielleicht wissen, dass ihre Realität und nicht die der Lobbyisten einmal daran erinnern, wie zu Zeiten der DDR die kom- wichtig ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der munale Selbstverwaltung behandelt worden ist. 22. September wird das zeigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vielen Dank. der FDP – Dr. [DIE LINKE]: Das wissen Sie aber ganz genau! – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weiterer Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann und bei der SPD) [DIE LINKE]) 30698 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Peter Götz (A) Wir haben in den vergangenen vier Jahren eine ein- Wenn wir die Antwort der Bundesregierung auf un- (C) malige und in dieser Größenordnung bisher noch nie da sere Große Anfrage weiter analysieren, dann sehen wir, gewesene Leistungsbilanz zugunsten der Kommunen dass wir beliebig weiter über die Erfolge in unserer Leis- aufzuweisen. Das ist nicht nur unsere Einschätzung; tungsbilanz sprechen können: diese Einschätzung wird auch von den kommunalen Spitzenverbänden geteilt. Man kann es nicht oft genug sagen: Der Bund unter- stützt den Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter Ihnen, Herr Dr. Schäuble, danken wir für Ihr großes drei Jahren mit 5,4 Milliarden Euro, und er leistet damit Verständnis für die berechtigten kommunalen Belange, den Ländern, die dafür eigentlich zuständig sind, eine das Sie bei allen Begehrlichkeiten, die an den Bundes- unschätzbare Hilfe. finanzminister immer wieder herangetragen werden, je- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und weils hatten. Sie haben zur Zeit der Gemeindefinanz- der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ kommission immer wieder gesagt: Wir machen nichts DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn beschlos- gegen die Kommunen, und wir helfen im Rahmen unse- sen?) rer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten. – Ich weiß, das haben viele nicht geglaubt, aber Sie haben Wort ge- Als weiteres Stichwort nenne ich das Bildungs- und halten. Dafür herzlichen Dank! Teilhabepaket, das wir auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Bernd Scheelen [SPD]: Auf Druck des Verfassungsgerichts!) Lassen Sie mich dazu auch noch sagen: Ohne Ihr Ver- ständnis für die kommunalen Belange wären die Städte Hinzu kommt – auch das ist leider bei vielen in Ver- und Gemeinden heute nicht da, wo sie sind. Sie sind gessenheit geraten –, dass die kommunalen Spitzenver- nicht nur auf einem guten Weg, sondern haben auch ein bände künftig noch besser, als das bisher je der Fall war, gutes Ergebnis vorzuweisen. in bundespolitische Entscheidungen eingebunden wer- den. Allein durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter von jährlich 4,5 Milliarden Euro – das wurde be- (Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Sehr richtig!) reits gesagt – werden die Kommunen in den Jahren 2012 Schließlich sorgt auch die positive wirtschaftliche bis 2016 von Sozialausgaben in einer Größenordnung Entwicklung unseres Landes, die übrigens auch etwas von nahezu 20 Milliarden Euro entlastet. Der Bund leis- mit unserer Politik zu tun hat, erstmals nach 2008 wieder tet damit einen deutlichen und vor allem nachhaltig auf- für einen Finanzierungsüberschuss von 1,8 Milliarden wachsenden Beitrag zur Stabilisierung und dauerhaften Euro im Jahr 2012. Kollegin Reinemund hat es gesagt: (B) Verbesserung der Kommunalfinanzen. Das ist seit Beste- In den Folgejahren ab 2013 wird mit noch größeren (D) hen der Bundesrepublik die größte finanzielle Entlas- Finanzierungsüberschüssen gerechnet. tung, die je eine Bundesregierung beschlossen hat. Sie können schimpfen und dagegen wettern – diese Zahlen Wenn wir uns an die Zeit der rot-grünen Regierung sprechen eine eindeutige Sprache. zurückerinnern, dann wissen wir, um nur ein Beispiel zu nennen, dass das kommunale Defizit im Jahr 2003, in ei- (Bernd Scheelen [SPD]: Das haben Sie nicht ner Zeit, als es noch keine internationale Finanzmarkt- freiwillig getan! Das ist der Punkt! Sie wurden und Wirtschaftskrise gab, bei 8,4 Milliarden Euro lag. gezwungen!) Defizit, nicht Überschuss! Wir danken deshalb auch der Bundeskanzlerin für Es gibt natürlich – das ist unstrittig – Wermutstropfen. diese großartige Bundesleistung. Kein Bundeskanzler Leider ist das Bild der Kassenkredite mit 47 Milliarden zuvor hat so viel für die Kommunen bewirkt wie Angela Euro nach wie vor alarmierend. Der Bundesfinanzminis- Merkel. ter hat es angesprochen: Allein knapp die Hälfte aller (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kassenkredite in Deutschland stammt aus Kommunen in Bernd Scheelen [SPD]: Wie viel haben Sie den Nordrhein-Westfalen. Kommunen weggenommen?) (Bernd Scheelen [SPD]: Herr Rüttgers hat ihnen Sie, Frau Kollegin Göring-Eckardt, haben mit Ihrer 3 Milliarden Euro weggenommen!) Stimme die Gewerbesteuerumlage angehoben. Sie haben Herr Oppermann, es ist schon bemerkenswert, dass Ihr die Grundsicherung im Alter eingeführt, ohne den Kom- Kanzlerkandidat jetzt auf einmal die Kommunen ins munen das notwendige Geld dafür zur Verfügung zu Herz schließt. Zu seiner Zeit als Finanzminister und Mi- stellen. nisterpräsident in Nordrhein-Westfalen ist die Höhe der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kassenkredite dort exorbitant gestiegen. Bernd Scheelen [SPD]: Das stimmt nicht! Das (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Wo ist er ist glatt gelogen!) eigentlich?) Wir haben diese Ihre rot-grüne kommunalfeindliche Wenn er jetzt den Feuerwehrmann spielt, sollte er nicht Politik beendet. vergessen, dass er vorher vor Ort fleißig mitgezündelt hat. (Bernd Scheelen [SPD]: 800 Millionen haben wir gegeben! Damals!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30699

Peter Götz (A) Die größte kommunale Entlastung in der Geschichte Bernd Scheelen (SPD): (C) der Bundesrepublik Deutschland haben wir ganz ohne Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Steuererhöhungen hinbekommen und gleichzeitig die Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, möchte ich unbot- staatliche Neuverschuldung gesenkt. mäßigerweise mit einer leichten Kritik an Ihrer Äuße- rung hinsichtlich der fehlenden Präsenz von Vertretern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und auf der Länderbank beginnen. Ich habe ein gewisses der FDP) Verständnis dafür, dass die Länderbank nicht voll besetzt Noch eines: Wenn der Deutsche Städte- und Gemeinde- ist, bund diese Woche die SPD dringend vor einer Steuer- (Rainer Brüderle [FDP]: Die füllen alle erhöhung warnt und zu Recht auf den kaum zu bewälti- Sandsäcke!) genden Bürokratieaufwand bei der Einführung der Vermögensteuer hinweist, beweist dies einmal mehr, weil das, um das es hier geht, dieses Papier hier, die Ant- dass neue Steuern der falsche Weg sind. wort der Bundesregierung auf eine Anfrage der eigenen Koalitionsfraktionen ist. Das Papier enthält nichts ande- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- res als die ultimative Lobhudelei. Dafür, dass sich die neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das ist ja Ländervertreter eine Debatte dazu nicht anhören wollen, aus der Mottenkiste!) habe ich volles Verständnis. Am 1. August 2013 tritt der Rechtsanspruch auf einen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Krippenplatz in Kraft. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Klaus Hagemann [SPD]: Was ist mit euren Ich habe auch Verständnis dafür, dass keine Vertreter Versprechungen?) von CDU-geführten Ländern hier sind; denn auch sie Es gibt übrigens aus dem Jahr 2006 eine Vereinbarung wollen sich das nicht anhören. zwischen Bund, Ländern und Kommunen, die zum In- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach halt hat, dass sie sich an den Kosten mit je einem Drittel so! Man kommt also nur bei SPD-Anträgen! beteiligen wollen. Das haben viele vergessen. Einige Das ist ja eine super Politik!) Länder haben sehr lange gebraucht, bis sie gemerkt ha- ben, dass sie nicht nur die Gelder des Bundes, sondern Es ist ein sehr merkwürdiger Vorgang, dass die eige- auch ihren eigenen Finanzanteil an die Kommunen ge- nen Fraktionen die Regierung fragen: Waren wir nicht ben müssen. Wir fordern, dass unsere Hilfen uneinge- toll? Die Regierung bestätigt das auch noch. 92 Fragen auf 117 Seiten: Es hat mich viel Lebenszeit gekostet, das (B) schränkt bei den Kommunen ankommen und nicht an (D) den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister hängen alles durchzulesen. Es hat sich nicht gelohnt: Das Papier bleiben. ist dick, aber der Inhalt ist dünn. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neten der FDP) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Man muss es halt ver- Während Rot-Grün in seiner Regierungszeit ständig stehen!) neue Aufgaben erfand, die von den Kommunen zu finan- zieren waren, wurde unter Führung von CDU und CSU Herr Minister Schäuble, Sie haben in Ihrem Vortrag diese kommunalfeindliche Politik beendet. im Wesentlichen darauf abgehoben, wie kommunal- freundlich diese Regierung ist und was Sie alles für die (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Kommunen getan haben. Ich sage Ihnen: All das, was Sie hier beschreiben, ist nicht auf Ihre eigene Initiative Heute gilt zu Recht der Grundsatz: Wer bestellt, der be- zurückzuführen, sondern das ist auf Druck derjenigen zahlt. Die Politik der christlich-liberalen Bundesregie- passiert, die im Moment nicht hier sind, weil sie sich um rung und der sie tragenden Fraktionen verdient das Ver- ihre Kommunen kümmern. Sie haben diese Forderungen trauen der Kommunen. Dies unterstreicht die Antwort durchgesetzt, und zwar im Vermittlungsverfahren zum auf unsere Große Anfrage sehr deutlich. Es liegt im urei- Bildungs- und Teilhabepaket und im Vermittlungsver- genen Interesse der Städte, Gemeinden und Landkreise, fahren zum Fiskalpakt. Genau das ist die Wahrheit. dass dieser Politikstil mit Bundeskanzlerin und Wolfgang Schäuble weiter fortgeführt wer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den kann. Dafür lohnt es sich zu arbeiten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. Ein Wort zur Gemeindefinanzkommission. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie haben den Kommunen in die Tasche gegriffen! Sie Präsident Dr. Norbert Lammert: waren das!) Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Bernd – Ich? Scheelen für die SPD-Fraktion. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie (Beifall bei der SPD) persönlich!) 30700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Bernd Scheelen (A) Der Kollege Rüttgers hat den Kommunen in Nordrhein- gelöst, das die schwarz-gelbe Kohl-Regierung niemals (C) Westfalen in fünf Jahren 3 Milliarden Euro weggenom- angepackt hat, men. Deswegen haben viele Kommunen in Nordrhein- Westfalen ein Problem. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nämlich etwas für die Kriegerwitwen zu tun, die nach des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulla dem Krieg kaum Gelegenheit hatten, eigene Beiträge in Burchardt [SPD]: Deswegen wurde er auch die Rentenversicherung einzuzahlen, und die letztlich abgewählt!) von Sozialhilfe leben mussten, das aber nicht taten, weil sie die Sorge hatten, dass auf ihre Kinder zurückgegrif- Kollege Finanzminister Schäuble hat tatsächlich, als fen würde. er merkte, dass die Gemeindefinanzkommission vor dem Scheitern stand, einen Vorschlag gemacht. Er hat die (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Auf Kosten der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände eingeladen, Kommunen!) die Präsidenten und die Hauptgeschäftsführer, und ei- nige Staatssekretäre; das waren insgesamt neun Perso- Um das auszuschalten, haben wir dieses Gesetz ge- nen. Ihnen hat er den Vorschlag gemacht, der Bund macht und den Kommunen dafür 800 Millionen D-Mark könne die Kosten für die Grundsicherung im Alter über- gegeben, weil das die Summe war, die damals für diesen nehmen. Er hat allerdings mit diesem Vorschlag eine Personenkreis, der neu in dieses Gesetz aufgenommen Forderung verbunden. Er hat nämlich gefordert, dass die wurde, berechnet worden war. Kommunen dem Einstieg in den Ausstieg aus der Ge- Dann hat sich das in den letzten Jahren dramatisch werbesteuer zustimmen. Das haben die Kommunen ab- entwickelt, das ist völlig richtig. Der Bundesanteil hat gelehnt – zu Recht übrigens. sich leicht erhöht. Aber deswegen ist die Forderung auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten richtig gewesen, das in die Zuständigkeit des Bundes zu des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) übergeben. Damals – Herr Minister Schäuble, Sie werden sich er- Denn letztlich ist es so, dass die kommunalen Haus- innern – hatten wir das hier diskutiert; genau diesen halte noch vor 40 Jahren Investitionshaushalte waren. Punkt haben wir in diesem Hohen Haus diskutiert. Ich Da war Geld da, um in die kommunale Infrastruktur zu hatte damals auch Gelegenheit, dazu zu sprechen. Ich investieren, in Straßen, in Gebäude, in Schulen, in Wei- habe Ihnen gesagt: Wir unterstützen Sie in der Frage, terbildungseinrichtungen, in Büchereien, in Schwimm- aber ich fürchte, dass wir die Einzigen sind, die Sie darin bäder und Ähnliches. Mittlerweile sind kommunale (B) unterstützen. – Denn es kam nach dem Vortrag sofort Haushalte reine Sozialhaushalte, und zwar infolge von (D) Gegenwind, insbesondere aus der FDP-Fraktion. Der Bundesgesetzgebung, die im Wesentlichen in den Kollege Wissing hat gesagt: Mit uns nicht machbar! – 16 Jahren unter Helmut Kohl geschaffen worden ist. Die Kollegin Homburger hat gesagt: Der Minister tut ja etwas, aber nicht das, was wir wollen. – Der Kollege (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Brüderle wird sich an seine eigenen Worte erinnern. Er des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hat gesagt: Das ist mit uns nicht abgestimmt. Es war wichtig und richtig, das zu korrigieren. Mich Dann haben wir gesagt: Wir machen da mit. – Dann hat nur gewundert, dass Sie den Weg einer Großen An- haben anlässlich des Bildungs- und Teilhabepakets, das frage gewählt haben. Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie sich auch auf die Fahnen schreiben – Sie schmücken Sie dazu einen Gipfel veranstalten. sich hier übrigens überall mit fremden Federn –, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Britta (Joachim Poß [SPD]: Das ist Modeschmuck Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bei der CDU/CSU!) Das kann doch noch kommen!) das Ihnen aber das Bundesverfassungsgericht aufs Auge 45 Gipfel in dreieinhalb Jahren, davon allein neun in die- gedrückt hat – ohne Urteil des Bundesverfassungsge- sem Jahr – ich könnte sie alle vorlesen, aber angesichts richts wären Sie überhaupt nicht auf die Idee gekommen, meiner Zeit, die begrenzt ist, verzichte ich darauf. Wa- ein Bildungs- und Teilhabepaket zu machen –, rum haben Sie oder die Kanzlerin keinen Gipfel einberu- fen? Eines ist klar: Sie hätten keine schönen Bilder pro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten duzieren können. Sie wären Gefahr gelaufen, dass des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bürgermeister, wie das vor zehn Jahren schon einmal der die SPD-geführten Länder im Vermittlungsausschuss Ih- Fall war, hier in Bettlerkleidung aufgetreten wären. Das nen abverhandelt, dass der Bund schrittweise die Kosten würde jeder Gipfelstrategie widersprechen; denn das der Grundsicherung im Alter übernimmt. Ziel der Gipfel, die Sie ständig veranstalten, ist ja nur, schöne Bilder zu produzieren. Das wäre aber nicht pas- Jetzt haben Sie vorhin – ich weiß gar nicht mehr, wer siert. Deswegen sagen wir – glaube ich – zu Recht: es war, ich glaube, es war der Kollege Götz oder auch „Über allen Gipfeln ist Ruh‘“. Der Schluss dieses Ge- Sie, Herr Minister – behauptet, Sie würden damit eine dichts von Goethe lautet: „Warte nur, balde ruhest du Fehlentwicklung korrigieren, die unter Rot-Grün pas- auch.“ Das gilt für Sie. siert ist. Da sage ich Ihnen, was wirklich passiert ist. Wir haben damals ein Problem nach 16 Jahren Helmut Kohl Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30701

Bernd Scheelen (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das Ergebnis ist, dass man mit 80 Milliarden Euro in die (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neue Legislaturperiode startet. Wie ich höre, können diese 80 Milliarden Euro egalisiert werden. Das alles Präsident Dr. Norbert Lammert: spiegelt sich in den aktuellen Zahlen wider. Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Peter Röhlinger Wie ich sehe – das verwundert mich nicht –, geht für die FDP-Fraktion. meine Redezeit zu Ende. Ich möchte die Gelegenheit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nutzen, mich bei Ihnen herzlich zu bedanken. Das ist der CDU/CSU) heute mein letztes Grußwort von diesem Pult aus. Meine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter war für mich eine Dr. Peter Röhlinger (FDP): sehr lehrreiche Zeit. Es war für mich sehr interessant, über die Barriere zu steigen und Kommunalpolitik aus Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten der Sicht eines Bundestagsabgeordneten zu betrachten. Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, in dem Ich habe viel gelernt und habe viel Verständnis, wenn Wirrwarr von Zahlen einige andere Akzente zu setzen, sich die Länder bemühen, Städte zu unterstützen, aber auch deswegen, weil übrigens meine Kämmerin schon dann das Feedback fehlt. Man darf nicht vergessen: am Anfang meiner Amtszeit gesagt hat: Der Röhlinger Letztlich werden die Steuergelder der öffentlichen Hand versteht nichts von Finanzwirtschaft, aber er ist spar- verbraten. sam. – Damit konnte ich sehr gut leben; denn wenn man sich gut beraten lässt, kann man vor dem Hintergrund Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen unge- auch erfolgreich sein. achtet der Fraktionszugehörigkeit viel Freude – bleiben Zunächst ein uneingeschränkter Dank auch in diesem Sie gesund! – und uns weiterhin gute Erfolge. Zusammenhang an die Helfer, an die Feuerwehren und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Polizisten vor Ort. Ich habe mir in Jena die neuralgi- Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da schen Punkte angeschaut und muss sagen: Wir haben un- können wir nicht klatschen! – Iris Gleicke sere Aufgaben – bei uns fand die Jahrhundertflut 1994 [SPD]: Schade!) statt – offensichtlich so gut gemacht, dass die neuralgi- schen Punkte dem Wasser standgehalten haben. Aber es war wesentlich mehr. Wir haben uns in Übereinstim- Präsident Dr. Norbert Lammert: mung mit den Dezernenten in Jena darauf verständigt, Lieber Kollege Röhlinger, den herzlichen Dank, den dass wir parteiübergreifend – die MdBs aus Ostthürin- Sie gerade für die gute Zusammenarbeit geäußert haben, gen – an die zuständigen Minister in Thüringen schrei- geben wir genauso gerne zurück. Sie gehören zu den (B) ben werden, dass insbesondere die Zusammenarbeit zwi- zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die vor oder ne- (D) schen den Talsperren und den Wehren und den ben der Wahrnehmung des Mandats im Deutschen Bun- Kommunen vor Ort verbessert werden kann und muss. destag wichtige Aufgaben in ihren jeweiligen Kommu- Ich persönlich bin davon überzeugt, dass das eintreffen nen übernommen haben. Unter diesem Gesichtspunkt wird, was viele bislang nicht wahrhaben wollen: Die ganz herzlichen Dank für Ihre Arbeit und alles Gute für Zahl der Unwetter wird zunehmen, und das nicht nur die nächsten Jahre. kurzfristig. (Beifall) An den Anfang möchte ich meinen Dank an diejeni- gen stellen, die in den vergangenen Jahren dazu beige- Britta Haßelmann ist die nächste Rednerin für die tragen haben, dass es den Kommunen deutlich besser Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. geht. Tatsächlich waren die letzten vier Jahre für die Kommunen vier gute Jahre, auch wenn die Opposition Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das nicht wahrhaben will. Ein Blick in die Zeitung des Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Deutschen Städtetags, der nun weiß Gott kein Vertreter Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Herr Finanzminister, der FDP-Politik ist, macht das deutlich. Im Übrigen wenn man sich Ihre Analyse genauer anschaut, dann kommt mir die Differenzierung in reiche und arme stellt man fest, dass sie keinem Faktencheck standhält. Städte bei Ihrer Kritik viel zu kurz, insbesondere bei Ih- Sie haben mithilfe der Farbenlehre versucht, aufzuzei- nen, Frau Göring-Eckardt. Sie müssten als gebürtige gen, dass es den Kommunen überall, wo Schwarz-Gelb Thüringerin doch eigentlich aus eigener Anschauung regiert, gut geht und überall, wo Rot-Grün regiert, wissen, dass es in einer beachtlichen Anzahl an Städten schlecht geht. Das ist so was von billig und hat nichts in Thüringen gelungen ist, im Verhältnis zur Vergangen- mit einer sachlichen Auseinandersetzung zu tun. Sie heit ungeahnte Fortschritte zu erzielen, insbesondere müssen sich nur die Situation in Nordrhein-Westfalen wenn es um die Erfüllung der von Ihnen erwähnten kul- anschauen; darauf haben Sie abgezielt. 2010 sind zwei turellen Ansprüche geht, und die Lebensqualität zu ver- Verfassungsgerichtsurteile ergangen, und zwar alle ge- bessern. Im Übrigen, Frau Göring-Eckardt, bin ich es als gen die alte schwarz-gelbe Regierung. In den Urteilen Christ gewohnt, zuerst einmal Danke zu sagen, bevor ich betreffend das Einheitslastenausgleichsgesetz und die die Hand aufhalte und fordere: immer noch mehr, mehr, Finanzierung der Kinderbetreuung wird deutlich, dass mehr! – Auch dem Bund stehen nur Steuergelder zur sich die schwarz-gelbe Landesregierung unter Führung Verfügung. von Herrn Rüttgers auf dem Rücken der Kommunen sa- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) niert hat. 30702 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Britta Haßelmann (A) Inzwischen ist es so, dass die rot-grüne Landesregie- Es gibt wahnsinnig viel zu tun. Die sozialen Kosten (C) rung seit 2010 unter anderem durch die Umsetzung der sind eines der großen Themen der Zukunft. Dafür haben Urteile den Kommunen zusätzlich 1 Milliarde Euro zur wir die Verantwortung. Das Konnexitätsprinzip ist längst Verfügung gestellt hat. Deshalb finde ich es unmöglich, nicht umgesetzt. Das wissen auch Sie; denn wer den wenn Sie mit der These aufwarten: Wo Schwarz-Gelb Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung beschließt, regiert, geht es den Kommunen gut; da, wo Rot-Grün re- hat ihn auch zu finanzieren. Es geht nicht an, dass man giert, geht es ihnen schlecht. – Das entspricht nicht den sagt: Wir stellen großzügig 4 Milliarden Euro zur Verfü- Tatsachen, und das entspricht auch nicht der Lebens- gung, und das muss langen. – Rechtsanspruch bedeutet wirklichkeit der Menschen in den Städten und Gemein- nicht eine Quote von 35 Prozent und einen Betrag von den. 4 Milliarden Euro, sondern bedeutet, dass jede und jeder ihr bzw. sein Recht wahrnehmen kann. Dabei müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir den Kommunen Unterstützung bieten. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Zweite, meine Damen und Herren. Diese Große und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Anfrage mit ihren 92 Fragen und den wunderbaren Ant- LINKEN) worten belegt doch durch Zahlen, dass Steuersenkungen für die Kommunen Mindereinnahmen bedeuten. Das können sich Kommunen in der jetzigen Finanzsituation Präsident Dr. Norbert Lammert: nicht leisten. Nächster Redner ist der Kollege Karl Holmeier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Zahl, die Frau Göring-Eckardt genannt hat, stammt aus Ihrer Anfrage. Wenn man zwei und zwei zusammen- zählt, landet man bei Gesetzen, die Sie beschlossen ha- Karl Holmeier (CDU/CSU): ben und die zu einem Minus von 5,2 Milliarden Euro für Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen die kommunale Ebene geführt haben. und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leistungsfähige Kommunen sind das Fundament unserer ( [CDU/CSU]: Bei vier! Zwei Gesellschaft und somit unseres Staates. Es war das Ziel und zwei ist immer noch vier, nicht fünf!) der christlich-liberalen Koalition, die kommunale Das heißt Steuersenkung auf Pump, Steuersenkung zu- Selbstverwaltung zu stärken. Dies haben wir erreicht wie keine Regierung zuvor. Die Antworten auf die Große (B) lasten der Infrastruktur in den Städten und Gemeinden. (D) Damit muss Schluss sein. Das ist falsch. Das können die Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP lie- Kommunen vor Ort nicht kompensieren. fern dafür den ganz klaren Beweis. Wer von Kommunal- freundlichkeit spricht, meint die christlich-liberale Ko- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alition mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und der Das dritte und letzte Problem: Die Schere zwischen LINKEN – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: armen und reichen Kommunen geht immer weiter ausei- Oh nee!) nander. Deshalb nützt es nichts, wenn Sie behaupten: Wir haben alles so toll gemacht. – Natürlich ist die Ent- Bevor ich auf einzelne Punkte dieser hervorragenden lastung bei der Grundsicherung gut. Die haben im Ver- Leistungsbilanz eingehe, möchte ich die Gelegenheit mittlungsausschuss und hier Länder und Bund zusam- nutzen, unserem „Chefkommunalpolitiker“ Peter Götz men beschlossen. Darüber bin ich froh. Es ist ein Plus ganz herzlich für seine hervorragende Arbeit in der von 4 Milliarden Euro für die Kommunen. AG Kommunalpolitik und somit für die Kommunen in Deutschland zu danken. Das eigentliche Problem, nämlich dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen weiter ausei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nandergeht, zeigt sich an drei Zahlen: 128 Milliarden der FDP) Euro Investitionsstau, 47,9 Milliarden Euro Kassenkre- Viele Impulse gingen und gehen von Peter Götz aus. Da- dite und fast 45 Milliarden Euro soziale Kosten durch für danke schön! Ich danke auch der Bundesregierung Bundesgesetze. Darum müssen wir uns kümmern, und der Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie unserem (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann machen Finanzminister Wolfgang Schäuble für die großartige Sie es doch!) Unterstützung unserer Kommunen. und zwar in den nächsten Jahren. Es nützt nichts, sich Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung stand auf die Schultern zu klopfen und zu sagen: Alles ist ganz im Mittelpunkt unseres bundespolitischen Handelns. Un- toll. ter der Führung der CDU/CSU haben die Kommunen die größte Entlastung in der Geschichte der Bundesrepublik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland erfahren. Nachdem die Kommunen im und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Jahr 2005 nach sieben Jahren Rot-Grün mit dem Rücken LINKEN) an der Wand standen, hat die christlich-liberale Koalition Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30703

Karl Holmeier (A) sie wieder fit gemacht. Die Bilanz kann sich sehen las- haben erklärt, dass wir dies bis 2019 weiter tun wollen, (C) sen: Wir haben die Kommunen allein in dieser Legisla- sofern sich die Länder bereit erklären, auch dieses Geld turperiode unter dem Strich mit jährlich 5 Milliarden zweckgebunden zu verwenden. Euro entlastet. Im Jahr 2012 – wir haben es schon oft- mals gehört – hatten sie einen Finanzierungsüberschuss (Ulla Burchardt [SPD]: Welcher Hochschul- von 1,8 Milliarden Euro; ich wiederhole: einen Über- bau denn?) schuss. Im Jahr 2003 unter Rot-Grün hat es ganz anders Ein paar Worte zum Antrag der Linken zum Eisen- ausgeschaut. Dabei schlägt sich vor allem die Über- bahnkreuzungsgesetz. Diesen Antrag lehnen wir natür- nahme der Kosten für die Grundsicherung positiv in den lich ab. Bilanzen der Kommunen wieder. Es zeigt sich, meine sehr verehrten Damen und Her- (Ulla Burchardt [SPD]: Sie haben das doch ren, dass die christlich-liberale Koalition in dieser Legis- heute schon alles besser gehört!) laturperiode insgesamt viel geleistet hat, aber in beson- Hier unterstützt der Bund die Kommunen jährlich mit derer Weise sehr viel für die Kommunen. etwa 4,5 Milliarden Euro. Das ist wie ein dauerhaftes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Konjunkturprogramm für Kommunen. Wir bereinigen neten der FDP) damit eine kommunale Belastung, die Rot-Grün einge- führt hat. Während andere nur viel geredet haben, haben wir für die Kommunen gehandelt und dabei viel erreicht. CDU Darüber hinaus ist es mir als Vertreter des ländlichen und CSU sind die Interessenvertreter der Kommunen. Raumes sowie als Verkehrs- und Baupolitiker besonders Andere tun nur so. wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir gerade in diesen Bereichen entscheidend zur Entlastung der Kommunen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – beigetragen haben. Angesichts der demografischen Ent- Lachen bei der SPD – Klaus Hagemann wicklung haben wir einen Schwerpunkt unserer politi- [SPD]: Bravo!) schen Arbeit auf die strukturschwachen Kommunen auf dem Land gelegt. Im Vergleich zu früheren Wahlperio- Nur mit einer christlich-liberalen Regierung nach der den ist festzuhalten: Der demografische Wandel ist von Bundestagswahl werden auch künftig die Interessen der der christlich-liberalen Koalition erstmals ressortüber- Kommunen in Deutschland gut vertreten sein. greifend betrachtet und bearbeitet worden. (Bernd Scheelen [SPD]: Schlimm ist, dass Sie Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben das selber glauben!) (B) das Ehrenamt gestärkt und werden es auch weiter tun. Herzlichen Dank. (D) Gerade in der jetzigen Flutkatastrophe zeigt sich, wie wichtig das Ehrenamt ist. Dafür einen herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Glaube ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht! – Bernd Scheelen [SPD]: Wer es glaubt, der FDP) wird selig!) Wir haben im November 2012 einen Antrag zur Zukunft der ländlichen Räume verabschiedet, der ganz konkrete Präsident Dr. Norbert Lammert: Handlungsanweisungen zur Verbesserung der Rahmen- Für die SPD-Fraktion erhält jetzt die Kollegin Kirsten bedingungen in ländlichen Räumen enthält. Besonders Lühmann das Wort. wichtig für die Kommunen und die Menschen in den ländlichen Räumen war uns dabei die lückenlose Versor- (Beifall bei der SPD) gung mit leistungsfähigen Breitbandanschlüssen. Das hatten wir in dem Antrag zur Zukunft der ländlichen Kirsten Lühmann (SPD): Räume in besonderer Weise berücksichtigt. Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die aktuellen Entscheidungen der Bundesnetzagen- Sehr verehrte Zuhörende! Als ich mir diese Große An- tur zu den Entgelten für die Teilnehmeranschlussleitun- frage angeschaut habe, kam mir spontan das Motto eines gen und den Plänen über die künftige Nutzung frei wer- Pizzalieferservice in den Sinn: Sie bestellen, wir lie- dender Funkfrequenzen für die mobile Breitbandnutzung fern. – Die Bundesregierung hat bestellt, und Sie, liebe zeigen, dass unsere Politik Wirkung zeigt. Wir sind auf Koalition, haben geliefert: einen Strauß von Fragen, die einem guten und richtigen Weg. die Bundesregierung gerne beantworten wollte, die ihr aber niemand gestellt hat. Und so haben Sie diese Auf- Das gilt im Übrigen auch für die Unterstützung der gabe übernommen. Länder und Kommunen im Rahmen der Kompensations- mittel für die Aufgaben, die nach der Föderalismusre- (Beifall bei der SPD) form vom Bund auf die Länder übergegangen sind. Wir Was meine ich damit? Ich meine unter anderem die greifen den Ländern jedes Jahr mit über 2,5 Milliarden Frage 22. Sie lautet: Euro unter die Arme: zur Gemeindeverkehrsfinanzie- rung, für den sozialen Wohnungsbau und für den Hoch- Warum fällt die Sicherstellung einer angemessenen schulbau. Für das Jahr 2014 haben wir diese sogenann- Finanzausstattung der Kommunen in die Zuständig- ten Entflechtungsmittel vorerst festgeschrieben, und wir keit der Länder? 30704 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Kirsten Lühmann (A) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von FDP, CDU regierung in dieser Antwort noch nicht einmal eine Er- (C) und CSU, die Antwort auf diese Frage gehört zum Basis- wähnung wert ist. Das ist ungehörig. wissen für unsere Arbeit im Bundestag. Welches Bild (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von unserer Arbeit wollen Sie der Bevölkerung vermit- der LINKEN) teln? Was wir hier machen sollen, ist, die Regierung zu kontrollieren, und zwar im Sinne der Bevölkerung. Das Erwähnenswert ist Ihnen jedoch das Thema der Um- möchte ich Ihnen noch einmal ins Gebetbuch schreiben. gestaltung der Kommunen nach dem Weggang von Ar- Augenscheinlich scheint es in Ihrem Politikverständnis meen, sei es der Bundeswehrabzug im Rahmen der Neu- gewisse Lücken zu geben, wenn Sie schon die Regie- ordnung oder seien es britische bzw. amerikanische rung danach fragen müssen. Armeen, die uns im Rahmen des Abzugs verlassen. Ab Seite 75 lesen wir zwei Seiten Prosa dazu, ohne klare (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Steffen Aussage, wie die Regierung den Kommunen denn nun Bockhahn [DIE LINKE]) helfen will. Als der Bundesfinanzminister vorgetragen hat, bin ich Etwas klarer sind die Antworten auf eine Kleine An- fast ein bisschen betroffen geworden. Er hat uns erklärt, frage der SPD-Fraktion zum selben Thema. Unter ande- dass der Bund immer mehr Aufgaben übernimmt, die ei- rem hatten wir gefragt, was die Bundesregierung plant, gentlich die Länder haben, und den Kommunen dafür um die Kommunen beim Umbauprozess nach dem Abzug das Geld gibt, das er doch selber nicht hat. Herr Finanz- der Truppen konkret zu unterstützen. Diese Antwort war minister, Sie haben dabei völlig ausgeblendet, dass es ganze acht Zeilen lang und lässt sich in einem Satz zu- sehr viele Aufgaben gibt, die der Bund den Ländern sammenfassen: Aufgrund von Sparzwängen sei es doch überantwortet, wofür er ihnen nicht ausreichend Geld schon ein Fortschritt, dass die Mittel für die Städtebauför- gibt. Ich erinnere uns nur an den neuen Bundespersonal- derung im Jahr 2013 nicht gekürzt worden seien. – Das ist ausweis, an das Gesetz zum elektronischen Aufenthalts- doch unglaublich, meine Herren und Damen. titel und an das E-Government-Gesetz. Wir haben die Kommunen verpflichtet, das umzusetzen, ihnen aber (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nicht das Geld dafür gegeben. Herr Götz, was Sie hier BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen behaupten, nämlich dass diese Regierung den Kommu- Bockhahn [DIE LINKE]: Ein Hohn!) nen, wenn sie die Erfüllung einer Aufgabe von ihnen Es gibt noch viele weitere Punkte in dieser sogenann- verlangt, auch das Geld dafür gibt, ist einfach nicht ten Antwort, bei denen es genauso aussieht. Hinsichtlich wahr. des Breitbandausbaus in ländlichen Regionen bestand beispielsweise die einzige Aktivität dieser Regierung da- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) rin, auf einem ihrer vier IT-Gipfel eine Arbeitsgruppe (D) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE zum Thema „digitale Infrastruktur“ zu veranstalten mit GRÜNEN) René Obermann, dem Chef der Telekom, als Vorsitzen- Ich komme zu dem letzten Gesetz, das ich angespro- dem. chen habe, zum E-Government-Gesetz. Es ist schon (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Stimmt nicht! – spannend, dass die Bundesregierung in den Gesetzent- Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Da haben Sie wurf schreibt: Das wird die Kommunen wohl etwas kos- wohl vier Jahre lang geschlafen!) ten; wir wissen aber nicht genau, wie viel, also müssen wir ihnen auch nichts geben. – Bei den Beratungen die- Abschließend kann ich nur sagen, wenn ich mir Ihre ses Gesetzes haben Sie von der Koalition uns dann er- „Umfrage“ anschaue: Diese Pizza ist XXL; ihr Nährwert klärt: Die Kommunen haben doch schon alle eine Home- tendiert gegen null. – Schade. page. Es wird wohl nicht so schwierig sein, noch eine Danke schön. Seite hinzuzufügen; das kostet schon nicht viel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich habe in der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) letzten Woche mit einigen Kommunalvertretern geredet. Ja, sie haben alle eine Homepage. Nur, diese Homepage Präsident Dr. Norbert Lammert: ist nicht für das ausgelegt, was wir von den Kommunen verlangen, nämlich Anträge elektronisch auszufüllen Patrick Döring ist der nächste Redner für die FDP- und auch eine elektronische Unterschrift mitzusenden. Fraktion. Dafür müssen diese Homepages komplett neu gestaltet (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten werden. Zusätzlich müssen diese Anträge noch verarbei- der CDU/CSU) tet werden. Viele Kommunen haben sich inzwischen in Gemeinschaft, in den Landkreisen, eine Software ange- Patrick Döring (FDP): schafft, die normale Vorgänge bearbeiten kann, die aber Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- – ich habe nachgefragt – nicht in der Lage ist, diese elek- leginnen und Kollegen! Ich finde es bemerkenswert, wie tronischen Anträge zu verarbeiten. Das heißt, die Kom- unterschiedlich in dieser Debatte der Blick der einzelnen munen müssen jetzt nicht nur eine komplett neue Soft- Kolleginnen und Kollegen auf die Lage im Land und auf ware bestellen, sie müssen auch – wieder einmal – das die Lage in den Kommunen ist. gesamte Personal neu schulen. Das ist es, was wir den Kommunen aufbürden, und das ist es, was der Bundes- (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Allerdings!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30705

Patrick Döring (A) Ich finde es auch bemerkenswert, dass es kein Kollege Einen Beitrag haben wir geleistet: Dank der vielen Men- (C) der Sozialdemokraten, der Linkspartei oder der Grünen schen in Beschäftigung sind die Steuereinnahmen, auch fertiggebracht hat, eine grundlegend positive Bemer- die der Kommunen, so hoch wie noch nie in der Ge- kung zu der Entlastung der Kommunen zu machen. Es schichte unseres Landes. Das gilt für den Bund, die Län- sind heute nämlich 3 Millionen Menschen mehr in der und eben auch für die Städte und Gemeinden. Arbeit als 2009. Das ist die beste Entlastung für die Kommunen und eine Verbesserung der Situation in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Deutschland. Dafür machen wir Politik und nicht für ir- Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Voll an der gendwelche Statistiken. Realität vorbei!) Es gibt Kommunalpolitiker, die mit diesen Steuerein- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nahmen gut umgehen und ihre Schulden vermindern, und es gibt welche, die machen zusätzliche Schulden. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Was für Herr Kollege Döring, darf der Kollege Bockhahn eine eine Realitätsverweigerung! Das ist wirklich Zwischenfrage stellen? unglaublich!) Diese Unterschiede wird man in diesem Hause wohl Patrick Döring (FDP): deutlich machen dürfen. Es gibt Unterschiede zwischen Ich habe nur drei Minuten. Deshalb lasse ich keine Schwarz und Gelb und Rot und Grün. Zwischenfragen zu. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Bernd Scheelen [SPD]: Sie reden immer nur Bernd Scheelen [SPD]: Die höchste Pro-Kopf- von der Vergangenheit!) Verschuldung ist in Hessen und in Bayern! Fragen Sie mal, wer da regiert!) Ich finde es beschämend, dass manche ganz offen- sichtlich den Wert bzw. das Niveau der Sozialstaatlich- Ich will auch etwas zur Städtebauförderung sagen. Ja, keit in Deutschland ausschließlich auf der Grundlage der wir haben in der Städtebauförderung Veränderungen Transferzahlungen von der einen staatlichen Ebene an vorgenommen. Da einige von Ihnen manchmal ein fast die andere bemessen. Das ist nicht der Maßstab. Der religiöses Verhältnis zur „sozialen Stadt“ haben, will ich Maßstab ist, dass möglichst viele Menschen die Chance hinzufügen: haben, ihr Leben selbst zu gestalten, und das hat diese (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Dass Sie Koalition geschafft. das nicht haben, ist klar!) (B) (D) (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Herr Wir haben die Mittel für das Städtebauförderungspro- Döring, die Kommunen sind zahlungsunfähig! gramm „Die soziale Stadt“ zwar gemindert; aber wir ha- Das ist das Problem! Die können nicht mal ben diese Mittel doch genommen, um etwas anderes zu mehr die gesetzlichen Pflichtleistungen bezah- tun. Wir haben nämlich zwei neue Städtebauförderpro- len, weil sie so kaputt sind! Begreifen Sie das gramme aufgelegt, und zwar für aktive Stadt- und Orts- doch mal!) teilzentren sowie für kleinere und mittlere Kommunen, weil viele Deutsche im ländlichen Raum wohnen. Die Dank fleißiger Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben so Städtebauförderung ist für alle da, nicht nur für die gro- viele Menschen Arbeit wie zuletzt 1990. Das ist die Er- ßen Städte. Das haben wir umgesetzt. Wir haben seit rungenschaft der letzten guten vier Jahre. 1998 insgesamt 7,6 Milliarden Euro in die Städtebauför- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – derung investiert. In diesem Jahr sind es 455 Millionen Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Die können Euro. nicht mal die Pflichtleistungen bezahlen!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Döring, das war falsch! Das gab Ich finde es bemerkenswert, dass mit zum Teil wei- es immer schon!) nerlichen Reden darauf hingewiesen wird, dass es Unter- schiede in der kommunalpolitischen Haushaltslage gibt. Es ist gut, dass wir in dieser Koalition nicht nur die Ja, die gibt es. Dass Herr Scheelen die Gewerbesteuer Städte, sondern alle Kommunen gefördert haben. Das verteidigt, mag zur Folklore gehören. macht eine kluge Städtebauförderungspolitik aus. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. NEN]: Sie haben es nicht geschafft, die abzu- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – schaffen!) Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Glauben Sie Aber zur Wahrheit gehört auch: Die konjunkturzyklische das, was Sie erzählen? Das wäre bedenklich!) Abhängigkeit der Gewerbesteuer stabilisiert die Finan- zen von Kommunen nicht, sondern destabilisiert sie. Wir Präsident Dr. Norbert Lammert: wollten stabilere Finanzen für die Kommunen schaffen. Hans-Joachim Hacker ist nun für die SPD der nächste Redner. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben es doch nicht geschafft!) (Beifall bei der SPD) 30706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

(A) Hans-Joachim Hacker (SPD): (Iris Gleicke [SPD]: Das ist wahr!) (C) Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Man kann es so sagen: Die finanzielle Bilanz der Kollegen! Herr Döring, ich verstehe Ihre Aufregung und Städtebauförderung ist ein in Zahlen gegossener Offen- nicht. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass barungseid dieser schwarz-gelben Koalition. Sie nicht mit Zahlen umgehen können. Wir freuen uns alle, dass es weniger Arbeitslose gibt. Aber wir dürfen (Beifall bei der SPD) nicht nur über die Zahl der Arbeitslosen, sondern müs- Für diese Aussage gibt es Beweise – ich habe schon sen auch über die schlechten Beschäftigungsverhältnisse Zahlen genannt –: Heute stehen für die Städtebauförde- in Deutschland diskutieren. rung 20 Prozent weniger Mittel bereit als 2009. Sie ha- Zu Ihrer Arithmetik: Zwei Zahlen sprechen für sich. ben die Mittel für das wichtige Programm „Soziale 2009 betrug die Gesamtsumme der Städtebaufördermit- Stadt“ – das beklagen Kommunalpolitiker in allen Städ- tel 569 Millionen Euro. 2013 sind es 455 Millionen ten meines Wahlkreises, egal welcher Fraktion oder Par- Euro. Ich wiederhole es für Sie, Herr Döring: 569 Mil- tei die Bürgermeister angehören – um zwei Drittel ge- lionen Euro und 455 Millionen Euro bei einem Bedarf kürzt. Das Programm war 2009 mit 105 Millionen Euro von 700 Millionen Euro. In Anbetracht dieser Zahlen ausgestattet; in diesem Jahr sind es 40 Millionen Euro, verstehe ich Ihr Lob für die Städtebauförderpolitik dieser der Haushaltsansatz sah ursprünglich 30 Millionen Euro Regierung nicht. Das ist doch nicht nachzuvollziehen, vor. Die Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Herr Döring. die sich jetzt vor Ort den Bürgerdiskussionen stellen, be- werten es als großen Erfolg, hier Einfluss genommen zu (Patrick Döring [FDP]: Weil wir die Schulden- haben, sodass die Mittel für das Programm von 30 Mil- bremse einhalten wollen, Herr Kollege!) lionen Euro auf 40 Millionen Euro und die Bundesmittel Die beiden Zahlen sprechen für sich und für die Politik für die Städtebauförderung insgesamt von 350 Millionen der schwarz-gelben Koalition in diesen vier Jahren. Euro auf gut 450 Millionen Euro aufgestockt worden sind. Das ist kein Erfolg; das, was Sie im Bereich der (Beifall bei der SPD) Städtebaupolitik geleistet haben, ist ein Desaster. Es gibt einen Grundsatz, der da lautet: Eine gut funk- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus tionierende Kommune, die ihre sozialen Aufgaben wahr- Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nehmen kann, ist ein Garant für sozialen Frieden. Wer das vernachlässigt, riskiert, dass der soziale Friede ge- Ich erinnere daran: Im Jahr 2011 war der Etat des Pro- schädigt wird. Wir haben in den letzten Jahren in Europa gramms „Soziale Stadt“ mit lediglich 29 Millionen Euro Beispiele dafür gesehen – kaum zu glauben: in Europa –, ausgestattet. Schauen wir einmal, was das für die Länder (B) und zwar in Großstädten in Frankreich und in England bedeutet: Mecklenburg-Vorpommern – – (D) und zuletzt auch in Stockholm. Die Hauptursache ist meistens soziale Segregation, das heißt die Ausgren- Präsident Dr. Norbert Lammert: zung, das Abschieben von Menschen in Problemstadtge- Herr Kollege, Sie können das mit Blick auf die längst biete. Mit Wohnungspolitik und Städtebaupolitik, aber überschrittene Redezeit sicher nicht mehr im Einzelnen auch mit Mietenpolitik kann gegengesteuert werden. vortragen. Auf diesen Feldern, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat diese Regierung kläglich versagt. Hans-Joachim Hacker (SPD): (Beifall bei der SPD) Herr Präsident, das hätte ich gerne gemacht. Sie haben eine rückwärtsgewandte Mietrechtsreform Präsident Dr. Norbert Lammert: durchgeführt, und Sie haben eine Städtebauförderung vorgenommen, die den Bedürfnissen der Menschen in Ich glaube es Ihnen aufs Wort. den Kommunen nicht gerecht wird. Hans-Joachim Hacker (SPD): Sicherlich tragen alle drei Ebenen im Staat Verant- Ich wäre gerne auf die Plagiate im Bereich der Miet- wortung: die Kommunen, die Länder und der Bund. rechtspolitik eingegangen. Gestatten Sie mir, dass ich Auch der Bund muss als zentraler Verantwortungsträger noch zwei Zahlen nenne? seine Verantwortung wahrnehmen; aber in der Städte- baupolitik – dafür sprechen Beispiele – ist die schwarz- gelbe Koalition dieser Verantwortung nicht nachgekom- Präsident Dr. Norbert Lammert: men: Sie haben die Mittel für die Städtebauförderung Aber gerne. – das habe ich gesagt – drastisch gekürzt. Sie haben keine Maßnahmen gegen Mietsteigerungen vor allen Hans-Joachim Hacker (SPD): Dingen in den deutschen Großstädten ergriffen. Wir ha- Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich will die Zahlen für ben an dieser Stelle mehr als einmal darüber diskutiert, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen was Sie unter einer Förderung der Regionalentwicklung nennen: 2009 standen Mecklenburg-Vorpommern verstehen. Sie haben die Wohnungsbestände der TLG 2,4 Millionen Euro aus dem Programm „Soziale Stadt“ Wohnen an eine Heuschrecke verkauft. Sie haben darauf zur Verfügung; 2013 sind es lediglich 869 000 Euro. verzichtet, hier wenigstens in einem überschaubaren Dem Land Nordrhein-Westfalen standen im Jahre 2009 Maß eine Strukturförderpolitik zu betreiben. noch 23,6 Millionen Euro zur Verfügung; 2013 sind es Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30707

Hans-Joachim Hacker (A) nur noch 9,1 Millionen Euro. Das ist das Ergebnis Ihrer (Bernd Scheelen [SPD]: Finanzblase und an- (C) Städtebaupolitik. schließende Wirtschaftskrise!) Die Kommunen brauchen einen Wechsel, der hoffent- Ab 2006, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel, ging lich am 22. September von den Wählern auf den Weg es wieder aufwärts. Es folgten gute Jahre, in denen Haus- gebracht wird. haltsüberschüsse zu verzeichnen waren. Insgesamt 19 Milliarden Euro Überschüsse wurden in den kommu- (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Bestimmt nicht!) nalen Haushalten von 2005 bis 2009 erzielt, dann kam die Vielen Dank. große Wirtschaftskrise. Ich sagte es bereits: Schwarze Zahlen sind besser als rote Zahlen. Sie haben rote Zahlen (Beifall bei der SPD) geschrieben, wir schreiben schwarze Zahlen.

Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ingbert Liebing ist der nächste Redner für die CDU/ 2009, zu Beginn dieser Wahlperiode, gab es zwei ver- CSU-Fraktion. fassungswidrige Gesetze aus rot-grüner Regierungszeit, die wir zu korrigieren hatten: Sowohl die Verwaltungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) struktur der Hartz-IV-Gesetze war verfassungswidrig als auch die Regelsätze für Kinder und Jugendliche in Ingbert Liebing (CDU/CSU): Hartz-IV-Familien. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Verlauf der Debatte hat deutlich gemacht: Hin- (Bernd Scheelen [SPD]: Weil Sie uns im Ver- ter uns liegt eine Wahlperiode mit einer außerordentlich mittlungsausschuss an die Wand gedrückt ha- erfolgreichen Politik für unsere Kommunen in Deutsch- ben! Das waren Ihre Probleme!) land. – Ja, schreien Sie ruhig. Offensichtlich trifft es Sie, Herr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Scheelen. – chen bei Abgeordneten der SPD – Bernd (Bernd Scheelen [SPD]: Nein! Gar nicht!) Scheelen [SPD]: Jetzt geht es mit der ultimati- ven Lobhudelei weiter! Das muss doch mal Beide verfassungswidrigen Gesetze haben wir korrigiert. gesagt werden!) Wir haben sie neu geregelt, jetzt sind sie verfassungsfest. Unter dieser Regierung sind die kommunalen Interessen Wir haben die Jobcenter in guter Zusammenarbeit in guten Händen. zwischen Bundesagentur und Kommunen pragmatisch neu aufgestellt. Die Praktiker vor Ort sind damit zufrie- (B) (D) Da Sie von den Sozialdemokraten, Herr Scheelen, den. jetzt groß spektakeln, möchte ich gerne eines fragen: Wo sind denn eigentlich Ihre Spitzengenossen? Kein Frak- (Bernd Scheelen [SPD]: Sie wollen das wieder tionsvorsitzender, kein Parteivorsitzender und schon gar auseinanderziehen! Das steht doch im Koali- nicht der Kanzlerkandidat lassen sich bei dieser Debatte tionsvertrag!) über die Lage der Kommunen blicken. Das zeigt, wel- Wir haben die Option der kommunalen Aufgabenwahr- chen Stellenwert dieses Thema für Sie wirklich hat. nehmung in Bezug auf die Langzeitarbeitslosigkeit aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris gebaut und dauerhaft abgesichert. Damit sind die Prakti- Gleicke [SPD]: Die Kanzlerin ist auch nicht ker vor Ort ebenfalls hochzufrieden. Wir haben auch die da! Pump nicht so auf!) Regelsätze für Kinder und Jugendliche mit dem Bil- dungs- und Teilhabepaket neu geregelt. Ich sage aus- Sicher, die Unterschiede zwischen den Kommunen drücklich: Dieses Bildungspaket ist ein Erfolgspro- sind groß, und niemand von uns bestreitet, dass es auch gramm. in den Kommunen Probleme gibt. Ich habe mir vor wenigen Wochen einen ganzen Tag (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Echt? Das Zeit genommen, um in meinem Wahlkreis mit all denen ist ein Fortschritt!) zu sprechen, die damit zu tun haben: mit den Verwaltun- gen, die das organisieren – sowohl in meinem Options- Aber das Entscheidende ist: Die Gesamtbilanz der kom- kreis als auch bei der BA –, mit einem Sportverein, mit munalen Haushalte weist seit dem vergangenen Jahr Schulen, mit einem Freizeitheim und dem Kinderschutz- wieder Überschüsse, wieder schwarze Zahlen auf. bund. Bei einigen Details war der eine oder andere Schwarze Zahlen sind besser als rote Zahlen. Wunsch noch offen; manches davon haben wir schon Dies wird umso deutlicher, wenn wir die heutige Lage aufgenommen. Aber der generelle Tenor war: Alle sind der Kommunen in die langfristige Entwicklung einord- sich einig, dass es genau richtig war, auf Sachleistungen nen. Wo standen wir vor vier Jahren, wo standen wir vor statt auf die Erhöhung der Regelsätze zu setzen. acht Jahren? 2005, nach sieben Jahren Rot-Grün an der (René Röspel [SPD]: Was ist mit dem Kinder- Regierung, befanden sich die Kommunen in der größten geld?) Finanzkrise, die wir jemals hatten. In den drei Jahren 2002 bis 2004 hatten wir jedes Jahr große Defizite zu Nicht einer hat den Vorschlag, die Regelsätze anzuheben verzeichnen, insgesamt 16 Milliarden Euro. Die Finanz- und von den Sachleistungen Abstand zu nehmen, den krise trug den Titel „Rot-Grün“. Sie von der SPD jetzt in die parlamentarische Beratung 30708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Ingbert Liebing (A) eingebracht haben, unterstützt. Nicht einer! Keiner hat Antje Tillmann (CDU/CSU): (C) behauptet, es sei ein bürokratisches Monster; von Stig- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! matisierung war nicht die Rede. Mit Ihren Thesen ver- Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich habe nicht damit breiten Sie ein Horrorszenario, das mit der Wirklichkeit gerechnet, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von in unserem Land nichts zu tun hat. Wir erreichen mit un- der Opposition, am heutigen Tag anerkennen, was wir serem Bildungspaket Kinder und Jugendliche, die früher für die Kommunen geleistet haben. Damit konnte keiner nie eine Chance auf Teilhabe gehabt hätten. Mit Ihren rechnen. So viel Großmütigkeit war Ihnen nicht zuzu- Vorschlägen würden sie nie eine Chance bekommen. trauen. Das aber, was Sie teilweise in Ihren Reden hier Deshalb ist unser Programm gut und richtig gewesen. dargestellt haben, war schon unsäglich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Oppermann hat sich bemüht – er hatte allerdings auch keine Zeit mehr, der Debatte weiter zuzuhören –, Wir haben viel erreicht; trotzdem bleibt in der kom- hochzurechnen, was alles an Belastungen wir den Kom- menden Wahlperiode noch viel zu tun. Wir werden die munen auferlegt haben. Ich glaube, er ist auf 1,8 Milliar- Kommunen finanziell weiter stärken. Die Bundesbeteili- den Euro gekommen. gung bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Be- hinderungen ist Bestandteil unseres Programms; das ist Frau Göring-Eckardt, so hässliche Kommunen, wie fest zugesagt. Sie sie beschreiben, habe ich in Thüringen noch nie ge- sehen. Was für eine Auffassung von Kommunalpoliti- (Bernd Scheelen [SPD]: Auch das haben wir vor- kern haben Sie, wenn Sie behaupten, dass diese das Geld geschlagen! Das war doch nicht Ihre Idee!) für alles Mögliche, aber nicht für Schulsanierung ausge- Wir werden noch konsequenter dafür sorgen müssen, geben haben? Ich kann an dieser Stelle nur ein herzliches dass Bundesleistungen für die Kommunen auch dort an- Dankeschön sowohl Kommunalpolitikern, die das eh- kommen und nicht an klebrigen Fingern des einen oder renamtlich machen, aber auch Elterninitiativen sagen, anderen Landesfinanzministers hängen bleiben. Ich habe die trotz schwieriger finanzieller Situation den Schwer- es gerade wieder in meinem Heimatland Schleswig-Hol- punkt auf Kindergärten und Schulen legen. Alle, die das stein erlebt. Dort hat die Landesfinanzministerin der nicht machen, gehören von den Bürgerinnen und Bür- Grünen den Kommunen 13 Millionen Euro aus der Bun- gern abgewählt. Ich glaube, dass die meisten Kommu- desleistung für die Grundsicherung vorenthalten und für nalpolitiker hier ein sehr großes Verantwortungsbe- die eigene Kasse abgezweigt. Das muss in Zukunft aus- wusstsein haben. geschlossen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden die Kommunen weiter stärken, damit sie (B) neue Herausforderungen annehmen können, zum Bei- Da ich aber wusste, dass von Ihnen eine Anerkennung (D) spiel bei der Energiewende, wenn es um stärkere Dezen- nicht zu erwarten ist – wir brauchen Sie auch nicht, weil tralität und kommunale Verantwortung geht, oder beim die kommunalen Spitzenverbände sie uns schon ins demografischen Wandel, wenn es darum geht, gerade in Buch geschrieben haben –, habe ich Ihnen eine Presse- den ländlichen Räumen den Breitbandausbau oder die mitteilung vom 9. November 2012 mitgebracht – darin Sicherung der Gesundheitsvorsorge voranzubringen. geht es um die Grundsicherung –, in der der Präsident Das Gleiche gilt für die altersgerechte Quartiersentwick- des Deutschen Städtetages, der Präsident des Deutschen lung in den Städten. Landkreistages und der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes – ich zitiere – schreiben: Hinter uns liegen vier gute Jahre für die Kommunen in Deutschland. Nicht alle Probleme sind gelöst, aber da- Dies ist ein wichtiger und bedeutender Schritt zur ran wollen und werden wir mit unserer kommunalen dringend benötigten Entlastung unserer Haushalte. Kompetenz und unserer breiten Verankerung in den Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände loben Kommunen unseres Landes weiterarbeiten; denn das weiter, „dass der Bund mit der Kostenübernahme einen dient den Menschen in den Dörfern und Städten. Hier erheblichen Beitrag zur Verbesserung der kommunalen geben wir den Menschen Heimat, und hier sorgen wir Finanzsituation leistet“. dafür, dass die konkreten Probleme und Bedürfnisse der Menschen in Bezug auf den Staat direkt vor ihrer eige- (Bernd Scheelen [SPD]: Alles richtig!) nen Haustür gelöst werden können. Das erwarten die Nicht einer von Ihnen konnte diesen Satz über die Lip- Menschen von uns, und das ist Richtschnur unseres Han- pen bringen. Das ist, finde ich, verhältnismäßig klein- delns. Deshalb sorgen wir für starke Kommunen in unse- geistig. rem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Vielen Dank. Bernd Scheelen [SPD]: Das ist ja alles richtig! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das haben Sie aber nicht selber gemacht! Wir haben Ihnen das aufs Auge drücken müssen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: – Selbstverständlich haben wir das selber gemacht, Herr Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Scheelen. die Kollegin Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Bernd Scheelen [SPD]: Auf Druck der Länder, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deren Zustimmung Sie brauchen!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30709

Antje Tillmann (A) Wir haben erreicht, dass die Kosten der Grundsicherung Ich hoffe wirklich sehr, dass all diejenigen, die heute eh- (C) zugunsten der Kommunen vom Bund übernommen wur- renamtlich an der Seite der Rettungskräfte stehen, beim den. Ich bin froh, dass Frau Kollegin Reinemund eben THW, beim Roten Kreuz oder bei den Sanitätern hängen noch einmal erwähnt hat, dass es Schäuble, unser bleiben, weiter mitmachen, um die Kommunen zu stär- Finanzminister, war, der das als Erster in den Raum ge- ken. stellt hat. Das bleibt so, auch wenn Sie es noch hundert- mal anders behaupten. Wir haben aber auch nichtmonetäre Maßnahmen durchgeführt. Wir haben zum Beispiel die Beteiligung Herr Scheelen, ausgerechnet Sie zitieren das Verfas- der Kommunen an der Gesetzgebung sichergestellt. Lie- sungsgerichtsurteil zum Bildungspaket. An Ihrer Stelle ber Herr Scheelen, wiederum ist es die SPD, die im Ver- wäre mir das peinlich; denn Ihnen wird in dem Verfas- mittlungsausschuss das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz sungsgerichtsurteil bestätigt, dass Sie bei den Hartz-IV- blockiert, mit dem den Kommunen die Möglichkeit ge- Reformen die Kinder schlicht vergessen haben. geben werden soll, in Beiräten mitzuwirken und die Haushalte der Länder im Auge zu behalten. In der Pres- (Bernd Scheelen [SPD]: Auf Ihren Druck hin!) semitteilung von Deutschem Städtetag, Deutschem Sie haben den kinderbezogenen Bedarf vergessen. Zwar Landkreistag und Deutschem Städte- und Gemeinde- haben Sie Telefax- und Telefonkosten eingerechnet, bund heißt es weiter, dass man sehr wohl Befürchtungen nicht aber den Schulranzen und das Mittagessen fürs hat, dass die Länder das Geld, das wir aus Bundesmitteln Kind. zur Verfügung stellen, nicht weiterreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bernd Zum Antrag der Linken kann ich nur sagen: Herr Scheelen [SPD]: Da hatten Sie noch die Mehr- Bockhahn, in Ihrem Antrag steht ein Supersatz. Wenn heit im Bundesrat!) einzeln darüber abgestimmt würde, würde ich meine Fraktionsspitze bitten, dem zustimmen zu dürfen. Ich zi- Ich wäre an Ihrer Stelle ganz still. Wir haben das zuguns- tiere: ten der Kinder repariert. Mit 730 Millionen Euro wird es den Kindern jetzt ermöglicht, am Sport und an Schulfrei- Wenn der Bund jetzt die Kosten im Bereich Grund- zeiten teilzunehmen sowie ein kostenloses Mittagessen sicherung im Alter schrittweise übernimmt, ist dies zu bekommen. Das haben Sie nicht auf die Reihe be- zu begrüßen. kommen. Das ist der beste Satz in Ihrem Antrag. Dem kann ich (Bernd Scheelen [SPD]: Weil Sie das mit Ihrer da- voll zustimmen. maligen Ländermehrheit verhindert haben!) (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Es geht aber (B) (D) Wir haben es gemacht. noch weiter!) Ich sage auch an dieser Stelle allen auf kommunaler Sie haben aber anscheinend unsere Verfassung nicht gelesen; denn Sie haben in Ihrer Rede eben behauptet, Ebene, die dieses Bildungspaket zum Erfolg machen, ein dass es in Ordnung wäre, dass der Bund Aufgaben auf großes Dankeschön; denn es ist tatsächlich so, dass es die Kommunen überträgt, wenn er Geld dafür zur Verfü- Kommunen gibt, die einfach nicht wollen, dass es ge- gung stellt. Das ist eindeutig verfassungswidrig. Das ist lingt, weil sie uns beweisen wollen, dass es eine falsche nicht in Ordnung. Art. 84 Grundgesetz verbietet das, und Entscheidung war. Bei den Kommunen, in denen sich das ist auch richtig so. Durch die Auftragsvergabe des alle Beteiligten zugunsten der Kinder zusammenschlie- Bundes an die Kommunen ist die jetzige Situation erst ßen, klappt es. entstanden. Die Grundsicherung ist ein gutes Beispiel: Ich will weiter das Programm „Frühkindliche Sprach- Rot-Grün hat ein Gesetz erlassen und den Kommunen förderung“ erwähnen. Sie haben es nicht hinbekommen, nicht das Geld dafür gegeben. dass Kinder mit Sprachdefiziten zusätzliche Förderung (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: bekommen. Wir setzen 400 Millionen Euro in über Konnexität heißt das Ganze!) 4 000 Kindergärten zum Wohle der Kinder ein. Kinder, die zu Hause nicht in hinreichendem Umfang gefördert – Das, was Sie als Konnexität beschreiben, ist bei uns werden, werden damit auf die Schule gut vorbereitet. verfassungswidrig. Damit ist Ihr Antrag nicht zu retten. Das ist ein Bundesprogramm, welches erheblichen Er- folg hat. Es wurde in der Legislaturperiode, in der Sie an (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Dafür kann der Regierung waren, jedenfalls nicht eingeführt. man eine Verfassung ändern! Ist Ihnen das be- kannt? Es gibt dafür Quoren!) Ich komme zu einem weiteren Punkt, zum THW. Es gibt einen guten Anlass, Danke für all das zu sagen, was Wir haben noch viel zu tun; die Kollegen haben das in der momentan schwierigen Situation in den Hochwas- schon gesagt. Wir haben vieles erreicht, aber es ist auch sergebieten vom THW und vielen anderen Ehrenamtli- noch vieles übrig. Wir stehen zur Unterstützung der chen geleistet wird. Wir haben weitsichtig auch da in den Kommunen zur Verfügung, auch in der nächsten Legis- letzten Jahren schon Mittel zur Verfügung gestellt, damit laturperiode. Ich bin sehr froh, dass in den vorangegan- Mitglieder geworben werden konnten. genen Reden schon die Aussage getätigt wurde, dass ne- ben den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: 2 Millionen auch die Kommunen wegen der Hochwasserkatastrophe pro Jahr, die Sie zuerst gestrichen hatten!) dringend Unterstützung und Hilfe brauchen. Es ist aus- 30710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Antje Tillmann (A) gesprochen traurig, dass all die Schulen und Kindergär- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (C) ten, die frisch saniert worden sind, jetzt unter Wasser ste- LINKE hen. Wir werden dieses Problem gemeinsam angehen. Bedarfsgerechtes Wohnen dauerhaft sichern – Die Kommunen wissen uns ganz sicher an ihrer Seite. Gemeinnützigen Wohnungswirtschaftssektor (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) entwickeln – Drucksache 17/13552 – Präsident Dr. Norbert Lammert: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ich schließe die Aussprache. Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der Drucksache 17/13748. Wer stimmt für diesen Ent- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag hält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit der Mehr- der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, heit der Koalition abgelehnt. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4 b. Hier geht Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Britta es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kom- munen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Programm „Soziale Stadt“ zukunftsfähig wei- Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien“. terentwickeln – Städtebauförderung sichern Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung – Drucksachen 17/10999, 17/12453 – auf der Drucksache 17/12452, den Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Berichterstattung: empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Abgeordnete Petra Müller (Aachen) Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) Ablehnung der Linken, bitte! Sie haben „Ent- – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael (B) haltung der Grünen“ gesagt, dann müsste die Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer (D) Ablehnung der Linken mit erwähnt werden! Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ich bitte darum!) Bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt – Muss nicht. Aber der Zwischenruf stellt doch sicher, – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun dass Sie es im Protokoll haben. Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das Tackmann, weiterer Abgeordneter und der ist auch schon mal wichtig!) Fraktion DIE LINKE Wohnungsnot bekämpfen – Sozialen Woh- – Na also. nungsbau neu starten und zum Kern einer (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Ihre Erwäh- gemeinnützigen Wohnungswirtschaft ent- nung ist uns viel wert, Herr Präsident!) wickeln – Das nehme ich mit besonderer Rührung zur Kenntnis, – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Herr Kollege Bockhahn. Gohlke, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Unter dem Tagesordnungspunkt 4 c geht es um die LINKE Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem An- Wohn- und Mietensituation von Studieren- trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wer bestellt, den verbessern bezahlt – Konnexität zugunsten der Kommunen im Grundgesetz verankern“. Der Ausschuss empfiehlt in – Drucksachen 17/12485, 17/12481, 17/11696, seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13301, 17/13776 – diesen Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen. Wer Berichterstattung: stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Abgeordneter Karl Holmeier dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschlussempfeh- lung ist wiederum mit Mehrheit angenommen. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Frak- tion der SPD werden wir später namentlich abstimmen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun lung hat den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- Bluhm, Dr. Kirsten Tackmann, Agnes Alpers, che 17/11696 zur Wohn- und Mietensituation von Stu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30711

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) dierenden in seine Beschlussempfehlung einbezogen. Aber auch die SPD, die sich jetzt über einen Themen- (C) Dieser Antrag soll jetzt mit beraten werden. – Dazu sehe klau durch die CDU empört, hat die Wohnungspolitik ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. nicht wirklich erfunden. Auch von dort war jahrelang wenig zu den Themen Wohnen und Mieten sowie Mie- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für terrechte zu hören. Erst jetzt, nur wenige Meter vor der die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Kanzlerin, tritt der Kanzlerkandidat der SPD auf die nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Mietpreisbremse; dies sagt er jedenfalls. In Wirklichkeit Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der verwechselt er aber die Bremse mit dem Gaspedal. Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke. Auch eine Mietsteigerung um 15 Prozent in vier Jah- ren bleibt eine Mietsteigerung, die deutlich über der (Beifall bei der LINKEN) Entwicklung der Realeinkommen liegt. Die Mieterinnen und Mieter müssen also auch bei diesem Vorschlag tiefer Heidrun Bluhm (DIE LINKE): in die Tasche greifen, wenn sie es denn noch können. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Fakt ist: Immer mehr Mieterhaushalte, auch normalver- Merkel! Sie ist schon gegangen, aber vielleicht kommt dienende, müssen einen überproportional wachsenden sie noch zur Debatte zurück. Sehr geehrter Herr Teil ihres Nettoeinkommens für Wohnkosten ausgeben. Ramsauer! Meine Damen und Herren! Im Wahlkampf 30 bis 50 Prozent sind bei weitem keine Seltenheit mehr, muss man ja erfahrungsgemäß mit einigem rechnen. Da und die Tendenz ist steigend. Wofür gibt es 10 Prozent darf man sich auch nicht wundern, dass selbst die Bun- Mietsteigerung über dem Mietspiegel bei Wiedervermie- deskanzlerin plötzlich eine 180-Grad-Kehre hinlegt und tung? Weder ist die vermietete Wohnung mit den Jahren ihr Herz für Mieterinnen und Mieter entdeckt. Drei um 10 oder 15 Prozent größer geworden, noch steigt Monate vor der Bundestagswahl erkennt also die Kanz- durch eine Neuvermietung der Gebrauchswert automa- lerin – vielleicht war es auch ihr Beraterstab –, dass in tisch um 10 Prozent. Deutschland 35 Millionen Menschen in Mietwohnungen Verbessert der Vermieter die Wohnung durch eine leben. Das ist ja ein erquickliches Wählerpotenzial. Da- energetische Sanierung, darf er nach dem Willen der her wundert es uns nicht, dass solche Aussagen so kurz Regierung 11 Prozent der Kosten auf die Mieterinnen vor der Bundestagswahl gemacht werden. und Mieter umlegen, nach dem Wunsch der SPD 9 Pro- zent. Im ersten Fall zahlen die Mieterinnen und Mieter Die Kanzlerin nimmt auch so Unworte wie „Mieten- die Sanierungskosten in neun Jahren zurück, im zweiten deckelung“ oder „Mietpreisbremse“ in den Mund. Was Fall in elf Jahren, und zwar unabhängig davon, ob sich ist das? Ein unmoralisches Angebot an einen künftigen ein entsprechender Vorteil bei den Betriebs- oder (B) Koalitionspartner oder doch nur der plumpe Versuch, (D) Heizkosten ergibt; denn für solch einen Nachweis gibt es Millionen Wählerinnen und Wähler hinter die Fichte zu keinen gesetzlichen Zwang. führen? Dass die FDP da aufschreit und so tut, als kriti- siere sie die Kanzlerin, ist ein nur allzu verständliches Danach wird die Miete natürlich nicht wieder ge- Signal in Richtung der eigenen Klientel. senkt. Sie bleibt aber auch nicht auf dem durch die Modernisierungsumlage erhöhten Niveau. Denn in der Liebe Wählerinnen und Wähler, wenn die CDU/CSU Zwischenzeit sind ja neun oder elf Jahre vergangen, und wirklich etwas für Mieterinnen und Mieter in diesem es gibt die Möglichkeit, alle vier Jahre 15 Prozent drauf- Land tun wollte, hätte sie einfach nur auf das kürzlich in zulegen. Es ist also durchaus möglich, dass diese Miete Kraft getretene Mietrechtsänderungsgesetz verzichten dann automatisch um weitere 30 Prozent steigt. Bei und das Mietrecht mieterfreundlich reformieren sollen. Weitervermietungen steigt sie sogar noch mehr. Die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Linke sagt: Ohne Verbesserung des Gebrauchswertes ei- neten der SPD) ner Wohnung soll und darf es keine Mietsteigerungen geben. Das tat sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie hat in einem (Beifall bei der LINKEN) vierjährigen Gesetzgebungsverfahren entgegen scharfer Kritik der kommunalen Spitzenverbände, der Mieter- Das ist auf anderen Märkten im Übrigen auch so. Ein vereine, gegen den Rat fast aller Experten, ja selbst Autohersteller, der ein besonderes Modell auf den Markt gegen die Bedenken des Bundesrats die Mieterrechte bringt, erhöht den Preis für dieses Modell, wenn er es eingeschränkt. Sie hat keine wirksame Bremse zur De- nicht verändert, im Laufe der Jahre auch nicht einfach ckelung der Bestandsmieten eingebaut. Dort aber wäre so. Denn das wäre paradox, und die Kunden würden ihm dazu Gelegenheit gewesen. Nein, Sie will Mieterinnen dann davonlaufen. Genau das aber können Mieterinnen und Mieter die Kosten der energetischen Sanierung ihrer und Mieter nicht. Sie können nicht einfach den Anbieter Wohnungen über die Modernisierungsumlage allein wechseln, weil sie auf ihre Wohnung angewiesen sind, überlassen, und Sie hat sich auch gegen die Forderung weil sie da, wo sie arbeiten, wohnen müssen, weil sie da, zur Beschränkung von Neuvertragsmieten vehement ge- wo sie studieren, wohnen wollen und weil sie ihr Leben sperrt. Wie gesagt, es dauerte vier Jahre, und dabei in ihrem Zuhause sicher verbringen wollen. Auf dem wurde von allen Seiten, selbst von Politikern der CDU/ Wohnungsmarkt bestimmt weder der Wert noch der Ge- CSU-Fraktion, permanent Kritik geäußert. Das alles ist brauchswert den Preis der Ware Wohnung, sondern aus- an der Kanzlerin vorbeigerauscht. Sie war schließlich schließlich das Missverhältnis zwischen Angebot und mit Wichtigerem beschäftigt. Nachfrage. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nicht 30712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Heidrun Bluhm (A) das Geringste zu tun. Das ist nackter, purer Kapitalis- gegen das von der Bundesregierung durchgepeitschte (C) mus. Mietrechtsänderungsgesetz Neues vorgeschlagen. Wir setzen das fort mit unseren heute vorliegenden Anträgen (Beifall bei der LINKEN) zur Verbesserung der Wohnsituation von Studierenden, Nun höre ich oft den Einwand, das sei schlimmsten- zur Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus und zur falls ein Problem der Metropolen; im Durchschnitt seien Errichtung eines gemeinnützigen Sektors in der Woh- die Mieten ja nur unwesentlich gestiegen. Aber in nungswirtschaft. Metropolregionen leben mittlerweile 50 Prozent der (Beifall bei der LINKEN) Mieterinnen und Mieter – die Tendenz ist steigend –, und kein Mensch wohnt in Durchschnittshausen. Auch Wir wollen damit erreichen, dass die aktuelle Woh- außerhalb der Metropolen, selbst in sich entleerenden nungsnot in den Metropolen und Universitätsstädten Regionen, fliegen den Menschen die Wohnkosten mitt- wirklich bekämpft und der Mietpreistreiberei überall ein lerweile um die Ohren, weil die Preise für Strom, Gas, wirksamer Riegel vorgeschoben wird. Das wird nicht Wasser, Abwasser und Mobilität förmlich explodieren. durch Lippenbekenntnisse der Kanzlerin im Wahlkampf Auch darauf hat die Bundesregierung keine Antwort. Sie zu leisten sein, sondern dazu bedarf es eines rigorosen hat weder einen Plan, noch hat sie den Willen, hier ir- Umbaus des Mietrechts und einer gravierenden Um- gendetwas zu tun. strukturierung des Bundeshaushalts. Daran könnte man die Ernsthaftigkeit des Willens einer Bundesregierung (Beifall bei der LINKEN) zur Beseitigung von Wohnungsnot und Mietpreistreibe- rei wirklich messen. Wir wollen mindestens 700 Millio- Meine Damen und Herren, ich habe bisher nur über die nen Euro jährliche Kompensationsleistungen des Bun- neu aufkommende Wohnungsnot durch Miet- und Wohn- des für den sozialen Wohnungsbau, und zwar verstetigt, kostensteigerungen gesprochen. Jetzt komme ich zum regelmäßig evaluiert und durch Bund-Länder-Vereinba- Totalversagen der Bundesregierung bei der notwendigen rungen dauerhaft zweckgebunden gesichert. Die Förder- demografiegerechten Umgestaltung der Wohnungswirt- mittel sollen im wohnungswirtschaftlichen Kreislauf schaft und Stadtentwicklung und zur unaufschiebbaren verbleiben und zur Entwicklung eines relevanten, sozial energetischen Sanierung des Gebäudebestandes. Durch verpflichtenden Bestandes an öffentlichen Wohnungen ihre halbherzige, wankelmütige Haltung bei der Umset- genutzt werden. zung selbst gesetzter Klimaschutzziele im Gebäudebe- reich macht sich diese Bundesregierung mitschuldig an ir- Daraus soll sich – das ist der Kern unseres zweiten reparablen Umweltschäden und Klimakatastrophen. Antrags – strategisch ein gemeinwohlorientierter Sektor in der Wohnungswirtschaft entwickeln. Wohlgemerkt, Die derzeitige Mangelsituation auf dem Wohnungs- wir wollen nicht einfach die Wiederbelebung der tradi- (B) (D) markt, die gewaltigen Defizite bei der Bereitstellung von tionellen Wohnungsgemeinnützigkeit, sondern wir wol- altersgerechtem und barrierefreiem Wohnraum, der len die Idee der Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirt- Einbruch bei klimagerechtem Umbau der Gebäudewirt- schaft neu konzipieren, um schließlich ein wirksames, schaft sind die Quittungen für jahrelanges Nichtstun, relevantes Korrektiv zum ausschließlich renditeorien- Lavieren oder abergläubiges Hoffen auf die Selbsthei- tierten Wohnungsmarkt zu etablieren. lungskräfte des Marktes. Der Markt aber erklärt sich gerade da für nicht verantwortlich. Das ist sogar ver- (Beifall bei der LINKEN) ständlich, weil wir es hier nicht mit konjunkturellen, An diesem Konzept arbeiten wir schon einige Zeit. sondern mit strukturellen politischen Problemen zu tun haben. Um der aktuellen Wohnungsnot zu begegnen, die ( [FDP]: Es ist aber nichts he- aktuellen Probleme zu beheben und eine langfristig ver- rausgekommen!) lässliche, sozial ausgewogene, bedarfs- und klimage- Es gibt dafür Unterstützer quer durch die Gesellschaft, in rechte Entwicklung der Wohnungswirtschaft zu begin- der ganzen Republik. Glücklicherweise ist es außerhalb nen, reichen die althergebrachten Steuerungs- und dieses Hauses möglich, ein solches Projekt parteiüber- Anreizprogramme bei weitem nicht mehr aus. greifend zu entwickeln und voranzutreiben. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss kurz zusammengefasst: Liebe Kollegin- Wir brauchen vor allem ein Umdenken in der Politik, nen und Kollegen der CDU/CSU- und FDP-Fraktion, dass Wohnen keine gewöhnliche Ware ist, und das politi- stimmen Sie heute unseren Anträgen einfach zu! Dann sche Bewusstsein, dass wir uns hier im Bereich der so- hätten Sie die Merkel’sche Mietpreisbremse bereits vor zialen Daseinsvorsorge bewegen. Wir müssen endlich der Wahl umgesetzt und nicht ein Wahlversprechen pos- wirklich handeln. Die Linke hat das immer gefordert, tuliert, das hinterher nicht gehalten wird. nicht nur in Wahlkampfzeiten. Wir haben mit unserem (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Antrag, das Wohnen als Grundrecht in den Menschen- Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch einmal rechtskatalog des Grundgesetzes aufzunehmen – gleich ein richtig guter Vorschlag, oder?) zu Beginn der Legislaturperiode –, mit unserer Forde- rung, barrierefreies Wohnen in die Novelle zum Bau- Lassen Sie Ihren Ankündigungen und Wahlversprechen gesetzbuch verpflichtend aufzunehmen, mit unseren einfach Taten folgen! Dafür wäre heute ein guter Tag. wiederkehrenden Anträgen zur Aufstockung, Versteti- Danke schön. gung und sozial-ökologischen Umgestaltung der Städte- bauförderung und mit unseren Anträgen und Aktionen (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30713

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ein wichtiges Stichwort: Wenn es darum geht, Maßnah- (C) Jetzt hat Peter Götz das Wort für die CDU/CSU-Frak- men für neuen Wohnraum zu günstigen Mieten zu tref- tion. fen, müssen wir uns das Engagement der Länder genauer anschauen. Seitdem ihnen 2006 bzw. 2007 im Rahmen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der Föderalismusreform die Zuständigkeit für die Förde- Petra Müller [Aachen] [FDP]: Qualität setzt rung von sozialem Wohnraum übertragen wurde – sie sich durch!) wollten diese Zuständigkeit –, sind allein die Länder für die Förderung von sozialem Wohnraum zuständig. Es Peter Götz (CDU/CSU): ging bei der Übertragung nie um eine Abschaffung der Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen Förderung von sozialem Wohnraum. Der Bund stellt den und Kollegen, wenn wir heute über die Wohnungs- und Ländern für diese Aufgabe nach wie vor jedes Jahr Immobilienwirtschaft in Deutschland debattieren, müs- 518 Millionen Euro zur Verfügung. sen wir auch bei diesem Tagesordnungspunkt die schlimmen Auswirkungen in den Hochwasserregionen Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und sehen. Kollegen, es kann aber auch nicht sein, dass zum Bei- spiel das Land Berlin die Bundesmittel, die es für den ( [CDU/CSU]: Sehr richtig!) sozialen Wohnungsbau erhalten hat, in die Finanzierung Immer mehr Menschen müssen sich vor dem Hochwas- landeseigener Altverpflichtungen umleitet und anschlie- ser in Sicherheit bringen. Tausende Häuser sind evaku- ßend nach dem Bund ruft, damit er die Probleme am iert. Die Folgen für die betroffenen Menschen vor Ort Berliner Wohnungsmarkt löst. können wir nur erahnen. Es ist gut und richtig, dass von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und allen Seiten unbürokratisch Hilfe angeboten wird. der FDP – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/ Die furchtbaren Ereignisse in den Hochwassergebie- DIE GRÜNEN]: Dann muss der Minister ein- ten helfen vielleicht auch ein wenig, die stark dramati- schreiten!) sierenden Überschriften der Anträge der Opposition zur Beim Bund nehmen und den Bedürftigen nicht geben, heutigen wohnungspolitischen Debatte ins richtige Licht das ist mehr als unmoralisch. Eine Sanierung von Lan- zu rücken. deshaushalten auf dem Rücken einkommensschwacher (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Wohnungssuchender und Mieter, wie sie gerade in wie der Abg. Petra Müller [Aachen] [FDP]) Berlin unter Rot-Rot erfolgt ist, darf nicht weiter hinge- nommen werden. Seit Wiedereintritt der CDU in die „Bedarfsgerechtes Wohnen dauerhaft sichern …“, „Be- Berliner Regierung vollzieht sich dort Gott sei Dank ein (B) zahlbares Wohnen in der sozialen Stadt“, „Wohnungsnot Umdenken. (D) bekämpfen …“, ich fühle mich bei diesen Überschriften zurückversetzt in die Zeit, als in Deutschland flächende- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ckend eine echte Wohnungsnot herrschte. neten der FDP) Es ist keine Frage, dass eine angemessene Versorgung Meine Damen und Herren, wir brauchen in jedem Fall mit Wohnraum zu den Grundbedürfnissen eines men- eine Selbstverpflichtung der Länder für eine Zweck- schenwürdigen Lebens gehört. Auch wenn seit drei Jah- bindung künftiger Mittel des sozialen Wohnungsbaus. ren der Aufwärtstrend auf dem Wohnungsmarkt unver- (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kennbar ist, erleben wir in vielen Großstädten und NEN]: Richtig! Durchsetzen!) Universitätsstädten Engpässe mit überproportional stark steigenden Mieten. Das Angebot kann dort mit der Herr Bundesminister Ramsauer hat auch Vorschläge wachsenden Nachfrage nicht mithalten. Wir haben das unterbreitet, gestern bei der Sachverständigenanhörung im Ausschuss bestätigt bekommen. Die Sachverständigen haben aber (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch bestätigt, dass wir in Deutschland von einer Woh- NEN]: Nur noch machen!) nungsnot weit entfernt sind. Ja, es gibt Städte oder Stadt- mit denen der Bund auf den Trend der regionalen Woh- teile, die stärker nachgefragt sind als andere. Neue oder nungsengpässe reagieren kann. modernisierte Wohnungen in diesen Stadtteilen steigern die Nachfrage zusätzlich; es ist oft „chic“ oder „in“, dort ( [Spandau] [SPD]: Eigenheimzu- zu wohnen. Es gibt aber auch Städte und ganze Landstri- lage! – [SPD]: Nicht reden, che, in denen der Wohnungsleerstand den Wohnung- machen!) suchenden zu niedrigen Mieten verhilft und Hauseigen- Die größte Attraktivität, Herr Pronold, strahlt für mich tümer schon seit Jahren keinen Überschuss mehr aus der dabei der Vorschlag der Wiedereinführung der degressi- Vermietung von Wohnungen erzielen. Die Folge sind ven Abschreibung aus. sinkende Immobilienwerte, mit allem, was dazugehört. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was will ich damit sagen? Deutschland hat einen sehr differenzierten Wohnungsmarkt. Die Politik muss pass- Wenn ich mich recht erinnere, wurde sie 2006 unter dem und zielgenau auf bestimmte Engpässe reagieren. Bund, damaligen Bundesfinanzminister Steinbrück abge- Länder und Gemeinden sind in ihrer jeweiligen Zustän- schafft. In der Geschichte der deutschen Wohnungspoli- digkeit zum Handeln aufgefordert. „Zuständigkeit“ ist tik war aber nichts erfolgreicher als eine steuerliche För- 30714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Peter Götz (A) derung. Sie lässt Marktmechanismen wirken und hat Der Engpass treibt die Mieten nach oben, und die Mieter (C) eine hohe private Investitionsbereitschaft zur Folge. haben letzten Endes das Nachsehen, wenn sie sich um eine günstige Wohnung bewerben. Wo kommunale (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Grundstücke oder Wohngebäude gezielt nur so auf den Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Steuerge- Markt gebracht werden, dass stark steigende Immobili- schenke! Klientelpolitik!) enwerte die kommunalen Kassen füllen, sind Erwartun- Was kann den Wohnungsuchenden denn Besseres gen an günstige neue Mietwohnungen auch nicht mehr passieren als stark steigende Wohnungsbauzahlen in erfüllbar. Wenn überzogene Renditeforderungen an ei- nachgefragten Lagen? Regelungen über das Mietrecht gene, also kommunale, Wohnungsunternehmen formu- sind nur befristete Mangelverwaltungen. liert werden – auch das gibt es –, kann von diesen Unter- nehmen nicht gleichzeitig ein moderates Mietenniveau (Widerspruch bei der SPD) eingefordert werden. Die Lösung der Probleme liegt in der Schaffung von (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neuem Wohnraum. NEN]: Das ist wahr!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kommunen mit Wohnungsengpässen müssen sich deshalb selbst aktiv an der Problemlösung beteiligen. Nutzen wir doch einfach die guten Erfahrungen der Durch eine langfristig angelegte Baulandpolitik vor Ort Vergangenheit! Aber leider haben SPD und Grüne ein lassen sich die lokalen Engpässe am Wohnungsmarkt am Problem mit erfolgreichen steuerpolitischen Instrumen- besten lösen. Das muss auch kein Bauen auf der grünen ten. Ihr Geschrei bestätigt dies. Gerade haben wir es bei Wiese sein. Wir haben nach wie vor große innerstädti- dem im Bundesrat abgelehnten Gesetz zur steuerlichen sche Brachflächen, seien es Industrie- oder Militär- Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an brachen, die reaktiviert werden können. Mit den bewähr- Wohngebäuden erneut erleben dürfen. ten Instrumenten der Städtebauförderung kann der Bund, aber können auch die Länder den Kommunen helfen, (Martin Burkert [SPD]: Die haben Sie doch diese Flächen zu entwickeln. gekürzt!) Meine Damen und Herren, ich finde es ausgesprochen Auch dort haben sich SPD und Grüne rein ideologisch gut, dass die Bundespolitik die Wohnungs- und Immobi- zulasten von Umwelt und Mietern positioniert. lienwirtschaft als eine der tragenden Säulen für die Wirt- Beim Blick in die Wahlprogramme von SPD und Grü- schaftskraft Deutschlands wiederentdeckt hat. CDU und nen bekommt man eine wohnungspolitische Gänsehaut. CSU werden in den nächsten Wochen den richtigen Instrumentenmix für eine gute Wohnungspolitik präsen- (B) (Martin Burkert [SPD]: Ihr habt ja gar keins!) tieren. Der rot-grüne Schlachtruf „Bildung statt Beton“ (D) vergangener Jahre hat nachweislich nicht funktioniert Wen, bitte schön, wollen Sie mit der Einführung einer und kann zu den Akten gelegt werden. Wir brauchen Vermögensabgabe oder einer Vermögensteuer eigentlich beides, eine bessere Bildung unserer Kinder, aber auch für Investitionen in neue Wohnungen begeistern? Glau- bezahlbare Wohnungen, in denen unsere Kinder auf- ben Sie allen Ernstes, neue steuerliche Belastungen bei wachsen können. – Herzlichen Dank. Immobilien animierten jemanden, in Wohnungen zu in- vestieren? Frau Präsidentin, gestatten Sie mir am Ende meiner Rede noch ein persönliches Wort. Dies war nach 23 Jah- Der bessere Weg ist der Vorschlag des Bundesministers ren aktiver Arbeit im Deutschen Bundestag meine letzte Peter Ramsauer, die Leistungsfähigkeit des Wohngeldes Rede in diesem Hohen Haus. Ich möchte mich für das zu erhöhen. Das Wohngeld kann einkommensschwachen gute Miteinander bedanken, auch über Fraktionsgrenzen Mietern bei der Versorgung mit angemessenem Wohn- hinweg und bei allen Unterschieden, die politisch zu dis- raum helfen. Ich hoffe, dass wir, wenn wir diesen Vor- kutieren waren. Ich muss sagen: Ich war gerne Mitglied schlag machen, nicht wieder die gleiche Blockadehaltung des Deutschen Bundestages. Ich wünsche Ihnen eine der von SPD und Grünen regierten Länder erleben wie bei gute Zukunft und persönlich alles Gute. Diesem Hohen der gerade genannten steuerlichen Förderung der energeti- Haus, diesem Parlament wünsche ich weiterhin eine schen Sanierung. positive Entwicklung. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen. Für Herzlichen Dank. mich ist auch der Erwerb von Belegungsrechten ein ge- (Beifall im ganzen Hause) eignetes Instrument, um preisgünstigen Wohnraum vor Ort anbieten zu können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Meine Damen und Herren, den eigentlichen Schlüssel Herr Götz, im Namen des ganzen Hauses gebe ich Ih- hält die kommunale Wohnungspolitik in der Hand. Wenn ren Dank für die gute Zusammenarbeit gerne zurück. Ich zum Beispiel in der Stadt München – nur als Beispiel, wünsche Ihnen alles Gute. Durch Ihr starkes Engagement Herr Pronold – kein geeignetes Bauland zur Verfügung sowohl auf kommunalpolitischer wie auf Bundesebene gestellt oder ausgewiesen wird, können dort auch keine haben Sie gezeigt, wie sehr Sie sich für die Demokratie neuen Wohnungen entstehen. eingesetzt haben. Vielen Dank und Ihnen persönlich alles Gute. (Martin Burkert [SPD]: Nirgends sind mehr neue Wohnungen entstanden als in München!) (Beifall) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30715

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Als Nächster kommt der Kollege Florian Pronold für Wohnungen dafür Sorge tragen, dass diese auf die Höhe (C) die SPD-Fraktion zu Wort. der Zeit kommen, und zwar mit energetischer Sanierung und vor allem mit Barrierefreiheit. Wir müssen dafür (Beifall bei der SPD) Sorge tragen, dass sich die Menschen in diesen sanierten Wohnungen das Leben noch leisten können. Es geht Florian Pronold (SPD): nicht, dass heute in Großstädten viele Menschen 30 oder Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! 35 Prozent ihres Nettoeinkommens dafür ausgeben müs- Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich hätte sen, um in diesen Wohnungen leben zu können. Das ist erwartet, dass der Kollege Götz etwas zu den neuen Er- zu viel. Das darf nicht weiter so sein. kenntnissen seiner Kanzlerin zum Thema Mietpreis- (Beifall bei der SPD) bremse sagt. Das dritte Element ist, dass wir auch dafür Sorge tra- (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Da sitzt er!) gen, dass unsere Städte zusammenhalten. In den Stadt- – Das weiß ich. Das ist doch schön. Aber er hat trotzdem teilen müssen Menschen unterschiedlicher Herkunft und nichts dazu gesagt, auch wenn er dort sitzt. mit unterschiedlichen Berufen zusammenleben können und darf keine Verdrängung stattfinden. Wir müssen da- (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Schauen Sie für Sorge tragen, dass auch der Zusammenhalt in den ihn doch mal an!) Wohnquartieren erhalten bleibt oder gefördert wird. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass die Frau Bun- Deswegen ist das Programm „Soziale Stadt“ so wichtig deskanzlerin Themenklau bei der SPD betreibt. Da muss für die Zukunft dieses Landes und für alle Menschen, die ich sie in Schutz nehmen; denn wer sich rechtlich aus- in den Städten leben. kennt, der weiß, dass Klauen bedeutet, jemandem etwas (Beifall bei der SPD) wegzunehmen. Das ist wie bei einer Handtaschenräube- rin. Die nimmt die Handtasche, und dann ist sie weg. Aber das Thema „bezahlbares Wohnen“, das Thema Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: „Mietpreisbremse“ bleibt bei der SPD, das kann die Herr Kollege Pronold, möchten Sie eine Zwischen- Kanzlerin nicht klauen. frage von Herrn Jarzombek zulassen? (Beifall bei der SPD – Petra Müller [Aachen] Florian Pronold (SPD): [FDP]: Das ist auch gut so!) Gerne. Das, was die Kanzlerin macht, ist Hütchenspielerei. (B) (D) Sie tut jetzt so, als würde es nach der Wahl unter dem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hütchen, auf dem „CDU“ steht, eine Mietpreisbremse Bitte schön. geben. Aber wenn die Wählerinnen und Wähler nach der Wahl unter dieses Hütchen schauen, dann werden sie feststellen, dass es nichts anderes war als Wahlbetrug. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Das ist das, was die Kanzlerin vorhat. Vielen Dank. – Herr Kollege Pronold, Sie sind ja auch der Schattenminister der SPD für das Thema Wohnungs- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist bau. Deshalb möchte ich gerne auch einmal ein bisschen wie bei euch mit der Rente mit 67! – von der Bundesebene auf die kommunale Ebene zu spre- [DIE LINKE]: Bei der SPD chen kommen. gibt es aber auch viele Hütchenspieler!) Unabhängig von dem, was Sie uns hier dazu gesagt ha- Wir von der SPD stehen für bezahlbares Wohnen in ben, was auf der Bundesebene erforderlich ist, stelle ich der sozialen Stadt. Uns geht es darum, dass die Men- an Sie die Frage, was denn auf der kommunalen Ebene schen, die in den Innenstädten wohnen und die für nied- erforderlich ist. Um das ganz konkret zu fragen: In Düs- rige und mittlere Löhne hart arbeiten, auch in den Innen- seldorf wird gerade zum Beispiel eine überfraktionelle städten wohnen bleiben können. Die alleinerziehende Initiative vorbereitet, nach der künftig bei neu auszu- Mutter, die Rentnerin, der Rentner, der Taxifahrer, der weisenden Gebieten auch 20 Prozent sozialer Woh- Polizeibeamte, die Krankenschwester, alle die, die für nungsbau und 20 Prozent mietpreisgebundener Woh- uns auch Dienst tun, sollen in ihrer angestammten Woh- nungsbau zwangsweise vorzusehen sind. Glauben Sie, nung bleiben können. Deswegen werden wir verhindern, dass das ein gutes Modell ist, und setzen Sie sich dafür dass es zu Mietexzessen kommt. ein, dass auch in anderen Städten so etwas umgesetzt (Beifall bei der SPD) wird? Wir können aus Berlin nämlich mit Sicherheit nicht alles alleine regeln. Dazu gehören drei Elemente. Das erste Element. Wir werden über das Mietrecht dafür Sorge tragen, dass Florian Pronold (SPD): Menschen nicht über den Löffel balbiert werden, dass die Mieterinnen und Mieter nicht zu den Melkkühen der Sie haben insoweit recht, als dass, wenn Sie die Woh- Nation werden. nungsnot vor Ort in den Griff bekommen wollen, alle Akteure, die auch vor Ort Verantwortung tragen, in Das zweite Element. Wir müssen den Neubau ankur- einem Boot sitzen und am besten noch in die gleiche beln und müssen darüber hinaus bei der Sanierung von Richtung rudern müssen: 30716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Florian Pronold (A) Dazu gehören die Kommunen, die Ausweisung von chen Regelung kommen wollen. Was ist passiert? Für (C) Bauland, aber zum Beispiel auch der Bund, wenn ich an ein Jahr haben Sie es verlängert. manche Liegenschaften denke, die durch die BImA ver- Sie beklagen hier, dass die Mittel von den Ländern waltet werden. nicht zweckgerichtet eingesetzt werden. Da haben Sie (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- recht. Aber warum legen Sie nicht fest, dass diese Mittel NEN]: Beim Thema BImA gibt es bei der SPD für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben werden müs- aber noch Nachschärfungsbedarf!) sen? Wer regiert denn? Sie tun es. Beklagen Sie es nicht, sondern handeln Sie doch endlich entsprechend! Hier kann es nicht nur nach dem Höchstpreisprinzip ge- hen, sondern auch danach, mit welchen Konzepten man (Beifall bei der SPD) in den Kommunen bezahlbaren Wohnraum schaffen Die Städtebauförderung ist eines der wichtigsten Ele- will. mente, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu or- Dazu gehört, dass man bei neuen Projekten durch eine ganisieren. Diese schwarz-gelbe Bundesregierung hat entsprechende Förderung dafür Sorge trägt, dass es auch die Mittel für die Städtebauförderung massiv gekürzt. sozialen Wohnungsbau gibt und dass ein gewisser Anteil Am stärksten hat sie das Programm „Soziale Stadt“ zu- von Wohnungen, die im Neubau entstehen, bezahlbar sammengestrichen. sind, wodurch zum Beispiel alle Menschen, die dies wol- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sehr richtig!) len, in den Innenstädten wohnen können. Ich habe mir zig Projekte in ganz Deutschland ange- Dazu gehört, dass Genossenschaften, private Bauträ- schaut und habe gesehen, wie es gelungen ist, Glasscher- ger und städtische Baugesellschaften dafür Sorge tragen, benviertel in die Stadtgesellschaft zurückzuholen, welch dass das Wohnen bezahlbar bleibt. wichtige Arbeit dort geleistet worden ist, um die Integra- Nur ein Beispiel, weil die städtischen Wohnungs- tion zu fördern, um ein attraktives Wohnumfeld zu baugesellschaften immer in der Kritik stehen: In Mün- schaffen. Bei diesem Programm haben Sie den Rotstift chen liegt die durchschnittliche Miete für Wohnungen am stärksten angesetzt. 2010 haben Sie die Mittel für das von städtischen Wohnungsbaugesellschaften bei etwa Programm „Soziale Stadt“ um über 70 Prozent gekürzt. 6,30 Euro, während das durchschnittliche Kaltmieten- (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Und an die niveau in München bei über 10 Euro liegt. Ohne das En- ländlichen Räume denken Sie nicht? Die kom- gagement der städtischen Wohnungsbaugesellschaften men bei Ihnen wohl nicht vor?) und ohne die Durchmischung von Wohnraum hätten Mieterinnen und Mieter mit unteren und mittleren Ein- Jetzt hört man in Reden im Deutschen Bundestag (B) kommen überhaupt keine Chance mehr, in solchen Städ- – das war auch in der letzten Debatte zu diesem Thema (D) ten zu leben. Deswegen ist es richtig, dass wir alle ins so –, das stimme gar nicht, die Mittel für Städtebauförde- Boot holen und dafür Sorge tragen müssen, dass es auch rung und insbesondere für das Programm „Soziale bei Neubau bezahlbare Wohnungen gibt. Stadt“ seien doch fast verdoppelt worden. Das ist wieder einmal ein typischer Taschenspielertrick. Sie haben die (Beifall bei der SPD) Mittel erst auf 25 Millionen Euro gekürzt, dann haben Jetzt schauen wir uns doch einmal an, was diese Sie sie auf 40 Millionen Euro erhöht. Das bedeutet aber, schwarz-gelbe Bundesregierung und insbesondere dieser dass für das Programm „Soziale Stadt“ heute immer Bauminister, der er ja auch sein soll, der Herr Ramsauer, noch weniger als die Hälfte dessen ausgegeben werden angekündigt haben und was dabei herausgekommen ist: kann, was unter bereitgestellt wurde. Wenn Sie da von einer Verdopplung der Mittel Vor wenigen Monaten haben wir erlebt, dass es meh- sprechen, belügen Sie die Menschen. Sie haben die Mit- rere Gipfel zum Thema „Wie schaffen wir bezahlbaren tel für das Programm „Soziale Stadt“ vielmehr halbiert Wohnraum für Studentinnen und Studenten?“ gab. Er- und richten damit einen Schaden vor Ort an, der kaum gebnis: Nichts! wiedergutzumachen ist. Sie haben gerade wieder davon gesprochen, dass das (Beifall bei der SPD) Wohngeld erhöht werden muss. Bis heute ist es nicht er- Wir haben dann noch alle möglichen anderen Ankün- höht worden. Was ist passiert? Das Gegenteil ist passiert. digungen gehört. Eine degressive AfA wollen Sie ein- Der Heizkostenzuschuss ist von dieser schwarz-gelben führen. Wer regiert denn seit vier Jahren in der Bundes- Koalition gestrichen worden. Das ist ein Anschlag auf republik Deutschland? diejenigen, die hart arbeiten und es sich trotzdem nicht leisten können, zu diesen hohen Mieten zu wohnen. Das (Zuruf von der SPD: Nichts gemacht!) haben Sie gestrichen. Das ist die Bilanz dieser Regie- rung. Warum haben Sie es denn nicht gemacht, wenn das so wichtig ist? Sie wollen die energetische Sanierung för- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dern. Warum haben Sie die KfW-Mittel dafür gekürzt? Sie wollen den altersgerechten Umbau fördern. Warum Sie haben angekündigt, der soziale Wohnungsbau sei haben Sie das entsprechende Programm der Bundes- wichtig. Jawohl! 518 Millionen Euro werden dafür vom regierung gestrichen? Diese Fragen müssen Sie beant- Bund jährlich noch zur Verfügung gestellt. Sie haben im worten. schwarz-gelben Koalitionsvertrag angekündigt, dass Sie hier bis zum Ende der Wahlperiode zu einer verlässli- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30717

Florian Pronold (A) Jetzt komme ich zum Thema Eigenheimzulage. Es (Beifall bei der SPD) (C) gab eine Ankündigung von Herrn Ramsauer, die Zulage Dazu gehört auch, dass diejenigen, die einen Makler wieder einzuführen. Alle, die sich ein bisschen mit der beauftragen, ihn bezahlen. Ein Beispiel: Jemand macht Thematik auskennen, wissen, dass für die Eigenheimzu- sich im Internet kundig und schaut, wo es eine Wohnung lage einmal 8 Milliarden Euro ausgegeben wurden. Wa- für ihn gibt. Er findet eine Wohnung, und der Vormieter rum haben Sie die Eigenheimzulage nicht längst wieder schickt ihn zu dem Eigentümer. Der Eigentümer sagt: Ja, eingeführt, wenn das eine so gute Idee ist? – Erinnern Sie können die Wohnung haben. Aber ich habe einen wir uns auch daran, wie hoch die einzelnen Beträge wa- Makler engagiert. Bitte wenden Sie sich an ihn. – Dann ren, die ausgezahlt wurden. Glaubt denn irgendwer tat- zahlt der Mieter, ohne den Makler bestellt zu haben, sächlich, dass die Eigenheimzulage, also eine Zulage noch zwei Monatsmieten für den Makler, obwohl dieser von wenigen Tausend Euro, mehr jungen Familien er- überhaupt nichts getan hat. Wo liegt denn darin der möglicht, dort, wo Wohnungsnot besteht, nämlich in den Sinn? Wir wollen ein marktwirtschaftliches Prinzip ein- Metropolregionen, Eigentum zu erwerben? Glaubt ir- führen: Wer bestellt, soll auch bezahlen. Die Mieterin- gendwer, dass diese Zulage ein Beitrag zur Bekämpfung nen und Mieter dürfen mit den Kosten hierfür nicht be- von Wohnungsnot in Metropolregionen ist? lastet werden. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Absurd!) (Beifall bei der SPD) Das ist nichts anderes als Ankündigungspolitik, hinter Wir werden deswegen eine Mietpreisbremse einfüh- der nichts steckt, und vor allem werden die Probleme in ren. unseren Städten dadurch nicht gelöst. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das sind aber (Beifall bei der SPD) lange zwölf Minuten! – Petra Müller [Aachen] [FDP]: Zwölf Minuten können sehr lang sein!) Vonseiten der Bundesregierung wurde nun groß ange- kündigt, etwas zu tun, um Mieterinnen und Mieter vor – Keine Sorge, ich habe noch zwei Minuten Redezeit, Exzessen bei Mieten zu schützen. Die Kanzlerin schreibt wenn Sie das beruhigt. – Diese Mietpreisbremse wird bei der SPD ab und will eine Mietpreisbremse einführen. bei der Wiedervermietung ansetzen und die Steigerung Teile der Union und der FDP polemisieren dagegen. der Mietkosten deckeln. Wir werden dafür Sorge tragen, Drum will ich einmal sagen, worum es uns dabei geht. dass der Heizkostenzuschuss wiederkommt. Und wir Es geht uns um mehrere Dinge. werden auch dafür Sorge tragen, dass die Kosten von energetischer Sanierung die Menschen nicht in Angst Der erste Punkt ist: Wir wollen – – und Schrecken versetzen. Heute ist es doch so, dass, (Sebastian Körber [FDP]: Investitionen ver- wenn eine Wohnung für 25 000 Euro saniert wird, die (B) hindern! – Petra Müller [Aachen] [FDP]: Ge- Miete monatlich um 210 Euro zusätzlich erhöht werden (D) nau!) kann. Wer kann sich denn das leisten? Dass die Men- schen hier Angst und Sorge haben, muss man doch ver- – Sie können mir dazu gerne eine Zwischenfrage stellen. stehen, und darauf muss man eine Antwort geben. Die Dann werde ich Ihnen dazu ausführlich antworten. Antwort lautet, dass man die Kosten einer energetischen (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Wir dürfen ja Sanierung fair in der Gesellschaft, also zwischen allen, auch noch sprechen!) die davon profitieren, dass es energetische Sanierung und CO2-Einsparungen gibt, verteilen muss, also zwi- – Machen Sie das doch! schen dem Staat, den Mieterinnen und Mietern und den Vermietern. Wir sind für eine faire Kostenteilung in die- (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Aber zwölf ser Frage. Niemand soll übervorteilt werden. Minuten stehen nicht unbedingt für guten In- halt!) Wir werden die Mittel für Städtebauförderung wieder auf 700 Millionen Euro anheben, und wir werden dafür – Ja, eben. Die zwölf Minuten stehen für guten Inhalt. Sorge tragen, dass das Programm „Soziale Stadt“ zum Ich danke Ihnen, dass Sie mir das attestieren. Leitprogramm wird, damit der Zusammenhalt in unserer (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Nein!) Gesellschaft wieder wächst. Aber jetzt will ich Ihnen etwas zur Mietpreisbremse sa- (Beifall bei der SPD – Petra Müller [Aachen] gen, weil das die FDP offensichtlich nicht versteht. [FDP]: Da möchte ich nur einmal sehen, wie Sie das finanzieren! Ich will es gar nicht se- Das Ganze hat nichts damit zu tun, wie viel Mittel in hen! Das macht mir nur Angst!) einen Neubau investiert werden, weil von unserem Kon- zept Neubaumieten, also Erstvermietungen, überhaupt Wir werden Bündnisse für bezahlbares Wohnen vor nicht berührt werden. Uns geht es um den Fall, dass je- Ort schließen, in denen man – nicht mit Druck, sondern mand aus einer Wohnung auszieht und ein Nachmieter dadurch, dass alle Akteure zusammenhelfen – sich Ge- einzieht. Dieser Nachmieter – das können Sie in Berlin danken macht, wie man über Baulandausweisungen und reihenweise beobachten – zahlt auf einmal 30 oder andere Dinge zu bezahlbarem neuen Wohnraum kom- 40 Prozent mehr Miete, obwohl an dieser Wohnung men kann. beim Mieterwechsel gar nichts gemacht worden ist. Das (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Genau!) treibt die Mietpreise nach oben. Das vertreibt die Men- schen an den Stadtrand. Diese Entwicklung wollen wir Sehr geehrte Damen und Herren von der schwarz-gel- stoppen. Das ist der Punkt. ben Opposition, Sie hätten heute die Möglichkeit – und 30718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Florian Pronold (A) Sie haben sie bis zum Ende dieser Wahlperiode –, deut- am besten durch Neubau. Aber Neubau entsteht immer (C) lich zu machen, ob Ihr Herz für Mieterinnen und Mieter dann, wenn für diejenigen, die in die Märkte investieren schlägt oder nicht. Dem Rechtsausschuss liegt unser An- wollen, Rechtssicherheit besteht. Die wichtigste Voraus- trag für die Mietpreisbremse vor. Die Kanzlerin findet setzung dafür ist, nicht über denjenigen, die ihre Erspar- das toll. Wir sind bereit, diese Mietpreisbremse in dieser nisse in Wohnungen investieren, das Damoklesschwert Wahlperiode ins Gesetz zu schreiben. Ich bin gespannt, einer Vermögensteuer oder Vermögensabgabe schweben ob Sie da mitgehen. Da könnten Sie beweisen, ob Sie es zu lassen und ihnen nicht zusätzlich in die Tasche zu mit dem Schutz von Mieterinnen und Mietern tatsächlich greifen. Statt sich um die Mieterinnen und Mieter zu ernst meinen. Ihre Mietrechtsreform, die zum 1. Mai kümmern, ist das, was Sie in Ihrem Wahlprogramm ha- 2013 in Kraft getreten ist, war das Gegenteil. ben, eines der größten Mieterhöhungsprogramme. (Beifall bei der SPD – Hartwig Fischer [Göt- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tingen] [CDU/CSU]: Wider alle Realität!) der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Oje, oje!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick Oder glaubt irgendjemand ernsthaft, dass 1,5 Prozent Döring das Wort. Vermögensabgabe auf den vermieteten Wohnraum in Berlin-Charlottenburg vom Vermieter bezahlt werden? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das alles wird doch eins zu eins an den Mieter weiterge- der CDU/CSU) geben und führt am Ende zu Mieterhöhungen. Sie sind die Miettreiber in diesem Haus und nicht diese Koali- Patrick Döring (FDP): tion. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) leginnen und Kollegen! Nicht Städtebauförderpro- gramme, nicht Gesetze und auch nicht diese Debatte Des Weiteren wird über Sanierung gesprochen. Damit werden dazu führen, dass in den Ballungsräumen, in de- sind wir beim Kernpunkt, warum sich meine Fraktion nen die Wohnungsmärkte erkennbar angespannt sind, gegen die Mietpreisbremse wehrt. Geschätzter Kollege Wohnungen gebaut werden. Vielmehr werden die meis- Pronold, die Realität auf dem Wohnungsmarkt in ten vermieteten Wohnungen in Deutschland von Män- Deutschland ist nicht, dass eine Wohnung, wenn ein nern und Frauen gebaut, die ihre Ersparnisse investieren, Mieter ausgezogen ist, anschließend zu einer 30 Prozent die ihr Geld nicht auf den Kopf hauen, die ihre Erspar- höheren Miete vermietet wird, ohne dass zuvor etwas an nisse nicht in die Schweiz bringen, die ihre Ersparnisse der Wohnung gemacht wurde. Viele Vermieter nutzen (B) (D) nicht irgendwo verzocken, sondern die ihre Ersparnisse nach einem Auszug die Gelegenheit, nicht nur die einsetzen, um vermietbaren Wohnraum zu schaffen. Das Wände zu weißeln, sondern auch die Bodenbeläge aus- sind diejenigen, mit denen wir diese Probleme lösen. zubessern, das Bad zu renovieren und eine neue Küche Das gelingt aber nicht, indem wir sie beschimpfen. einzubauen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Stimmt doch überhaupt nicht!) NEN]: Es schimpft doch gar keiner!) Diese Investoren haben vor allen Dingen ein Interesse, Die dann entstandene verbesserte Wohnsituation muss nämlich dass Rechtssicherheit besteht. sich genauso in der Miete niederschlagen wie eine ener- getische Sanierung; denn sonst wird die Wohnqualität Meine sehr verehrten Damen und Herren, es werden nicht steigen, sondern sinken. hier nun Begriffe wie „Mietexzesse“ verwendet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- (Ute Kumpf [SPD]: Stimmt!) ruf von der SPD: So abgehoben! – Weitere Zu- Die Durchschnittsmiete in den zehn größten Städten in rufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE Deutschland – nicht in Durchschnittshausen, liebe Kolle- GRÜNEN) gin Bluhm – hat sich von 1992 bis 2012 von 7,01 Euro auf 7,96 Euro pro Quadratmeter entwickelt. Ja, das ist ein An- Dass ausgerechnet Sie jetzt den Wert der energeti- stieg, aber ein Anstieg weit unterhalb der Inflationsrate. In schen Sanierung erkennen und das Hohelied der energe- den deutschen Großstädten wohnt man preiswerter als in tischen Sanierung singen, nachdem Sie alle unsere An- allen anderen Großstädten der Europäischen Union – gebote betreffend die steuerliche Absetzbarkeit der dank der vielen engagierten Vermieterinnen und Vermie- Kosten der energetischen Sanierung von Wohnraum im ter. Bundesrat und im Vermittlungsausschuss abgewehrt ha- ben (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Hört! Hört!) [SPD]: Dann gibt es doch kein Problem mit der Mietpreisbremse!) und sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, dass diejenigen Vermieterinnen und Vermieter, die den Dann spricht der sogenannte Schattenminister davon, Wohnraum für ihre Mieterinnen und Mieter ertüchtigen man wolle Neubau ankurbeln. Ja, Wohnungsnot löst man wollen, Steuervorteile bekommen, ist unglaubwürdig. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30719

Patrick Döring (A) (Florian Pronold [SPD]: Sie haben doch die Seit Jahren sind die Probleme deutlich wahrnehmbar. (C) Mittel für energetische Sanierung gekürzt! Die aktuellen Zahlen belegen: Wohnen wird immer teu- Lenken Sie nicht ab!) rer, nicht nur in angesagten Großstädten, sondern auch in kleineren Universitätsstädten. Selbst die Zahl der Land- Wir haben Vorschläge gemacht und wollten sogar den kreise mit steigenden Mieten nimmt erheblich zu. 30 bis Bundesanteil erhöhen, um eine Förderung durch Zu- 40 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens für schussprogramme zu ermöglichen. Sie hätten gemein- Miete auszugeben, ist nach unserer Auffassung entschie- sam mit uns einen großen Schritt gehen und für eine ver- den zu viel. besserte Wohnraumsituation und mehr energetische Sanierung in Deutschland sorgen können. Aber Sie ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben sich verweigert. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Darauf haben wir immer wieder hingewiesen. Selbst die Berichte der Bundesregierung belegen dies inzwischen. Wir werden die Herausforderungen in den Ballungs- Die Koalitionsfraktionen sehen das noch nicht ein, wohl räumen angehen. Das geht am besten mit Investitionssi- aber die Kanzlerin. cherheit und degressiven Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in Neubau. Der Neubau nimmt zwar zu. Aber leider handelt es sich weitgehend um Eigentumswohnungen. Damit steigt (Florian Pronold [SPD]: Warum machen Sie der Druck auf Mieterinnen und Mieter weiter. Wie Sie das dann nicht?) vielleicht wissen, reicht zurzeit die Spanne der durch- schnittlichen Mietpreissteigerungen bei Wiedervermie- Die Kappungsgrenze in unserem neuen Mietrecht wird tung von 19 Prozent in Berlin bis zu 44 Prozent in Kon- dazu führen, dass sich die Neubaumieten noch modera- stanz am Bodensee. Ich kann Ihnen versichern, dass ter entwickeln. Wir haben ein kluges Mietrecht geschaf- solche Steigerungen durchgesetzt werden, ohne dass zu- fen, das zu einer guten Entwicklung führen wird. In vor irgendetwas an den Wohnungen getan wurde. So ist Deutschland herrscht flächendeckend Gott sei Dank die Situation. Das kann so nicht weitergehen. keine Wohnungsnot. In denjenigen Ballungsräumen, in denen Wohnungsnot herrscht, wird sie beseitigt, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir die Investoren pfleglich behandeln. Sie tun das Ge- sowie bei Abgeordneten der SPD) genteil. Das ist das Schlimmste. Es kann auch nicht sein, dass Bürgerinnen und Bürger Vielen Dank. mit weniger hohem Einkommen, junge Familien und Studierende die verfehlte Wohnungspolitik der Bundes- (B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) regierung und von Teilen der Länder ausbaden und die (D) kurzfristigen Renditeerwartungen der Finanzbranche Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: finanzieren müssen. Die Kollegin Daniela Wagner hat jetzt das Wort für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen. Ich möchte dazu noch etwas sagen: Auch die kommuna- Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): len Haushalte geraten immer mehr unter Druck. Die Angemessenheitsgrenzen bei den Kosten der Unterkunft Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Döring hat müssen angepasst werden. Aber staatliche Unterstüt- uns in seiner Rede wieder einen tiefen Einblick in seine zungsleistungen, Transferleistungen aus Steuermitteln Kenntnisse der Realität in Deutschland gewährt. sind nicht dazu da, die Renditeerwartungen von Investo- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren zu erfüllen, sondern sie sind dazu da, den Menschen NEN]: Das waren Untiefen!) zu helfen. Das gilt insbesondere für die Passage seiner Rede, in der Wir haben ein Gesamtkonzept zur Dämpfung der er schildert, was in Wohnungen passiert, bevor neue Mietpreisentwicklung bereits vorletztes Jahr in den Bun- Mieterinnen und Mieter einziehen. Aber ich will zur Sa- destag eingebracht, und wir haben dazu verschiedene che kommen. Vorschläge gemacht, zum Beispiel dass, wenn bei einem Mieterwechsel die Wohnung wieder vermietet wird, der Ich will Ihnen nicht unsere Initiativen und Anträge nachfolgende Mieter nicht mehr als 10 Prozent mehr als der letzten Jahre herunterleiern. die ortsübliche Vergleichsmiete zahlen soll. Wir haben diesen Antrag monatelang in den Ausschüssen hin- und (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das ist schon ein- hergewälzt. Sie haben vor sage und schreibe drei Mona- mal ein guter Ansatz!) ten, also drei Monate, bevor die Kanzlerin genau dieses – Genau, das finde ich auch. – Aber, verehrte Kollegin- Instrumentarium fordert, diesen Antrag abgelehnt. nen und Kollegen insbesondere der Koalition, irgendet- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: was müssen die Grünen in den letzten drei Jahren richtig Unerhört!) gemacht haben, wenn jetzt sogar die Bundeskanzlerin die Lage der Mieterinnen und Mieter in Deutschland ent- Da steht natürlich schon die Frage im Raum: Was soll deckt und für so manches Zähneknirschen insbesondere das eigentlich alles? Was macht eigentlich die Bundes- im Lager der Wirtschaftsliberalen sorgt. kanzlerin im Moment mit diesem Thema? Ich kann Ih- 30720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Daniela Wagner (A) nen nur sagen – das ist es, was mich dabei ärgert –, dass zu nutzen. Das ist in der Tat – Herr Ramsauer und auch (C) Ihre Herangehensweise, nachdem Sie seit Jahren jede die Kanzlerin haben das jetzt gefordert – eine tolle Idee. Initiative der Opposition zur Dämpfung der Mietpreise Daran haben viele gedacht, auch Kommunalpolitiker. abgelehnt haben, gerade jetzt, ein Vierteljahr vor der Nur, warum kümmern Sie sich eigentlich nicht darum, Wahl, plötzlich das Thema Miete für sich in Anspruch dass diese Areale auch für die Kommunen bezahlbar zu nehmen, zeigt, dass Sie Probleme der Mieterinnen sind? und Mieter ersichtlich nicht ernst nehmen, sondern sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nur zum Spielball des Wahlkampfs machen. Es hat keinen Sinn, wenn Grundstücke zu Preisen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verkauft werden, die sich nur noch Investoren leisten und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der können, die alles mit Glas, Stahl und Beton vollstellen. LINKEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie haben auch bei der BauGB-Novelle einmal mehr NEN]: Das ist das Soziale bei der CSU!) die Möglichkeit verschlafen, eine Mietpreisbremse ein- zubauen. Dort hätte es die Möglichkeit gegeben. Ich Wenn Sie preiswerte Studierendenwohnungen dort ha- nenne nur die Stichworte „Sanierungssatzung“ und ben wollen, dann braucht man Grundstückspreise, die es „Milieuschutzsatzung“. Auch hier gibt es selbstverständ- den Kommunen und den Studentenwerken möglich ma- lich Möglichkeiten, Rechtsgrundlagen zu schaffen, um chen, solche Grundstücke zu erwerben. Das Gegenteil die Mietpreisentwicklung zu bremsen. aber passiert. Der Bund feilscht seit Monaten und Jahren mit verschiedenen Kommunen, um höchste Preise zu er- (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Wohnungsnot zielen. Das hat zum Resultat, dass auf den Grundstücken erzeugen ist das, was Sie wollen!) nichts, aber auch gar nichts passiert. Hier müssen wir Sie zahlen Kompensationsmittel für die soziale – das sage ich auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle- Wohnraumförderung an die Länder. Aber was machen gen von der SPD-Bundestagsfraktion – auch Ihre Ab- die Länder damit? Das ist in einigen Reden angeklun- sichten noch ein bisschen nachschärfen. Wir müssen gen. Sie machen damit, was sie wollen, nur fördern sie ernsthaft etwas tun, sonst wird nichts passieren. nicht den sozialen Wohnungsbau. Das ist Ihre Sache, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Bundesminister Ramsauer, Sie müssen sich darum kümmern, dass ein zweckgebundener Einsatz bei den Wir haben verschiedene Vorschläge unterbreitet: Ab- Ländern durchgesetzt wird. senken der Kappungsgrenze, Begrenzen der Wieder- vermietungsmiete, Absenken der Modernisierungsum- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lage usw. Sie haben alles, aber auch wirklich alles (B) und bei der SPD) blockiert. Im Übrigen haben wir darauf geachtet – das (D) sage ich an die Adresse der Koalition –, dass unsere Vor- Sie, Kollege Götz, haben völlig recht, wenn Sie kriti- schläge maßvoll sind, weil wir natürlich wissen, dass sieren, dass die Bundesmittel nicht dazu da sind, auf Übermaß und Übereifer in diesem Geschäft Investitio- Kosten der Steuerzahler auf Umwegen Länderhaushalte nen abschrecken und dann das Gegenteil passiert, die zu sanieren oder was auch immer zu finanzieren, zum Wohnungsverknappung eher noch zunimmt. Wir wan- Beispiel schöne Flugplätze wie den von Kassel-Calden. dern also auf einem schmalen Grat: Auf der einen Seite Nur, dann setzen Sie das doch durch, kümmern Sie sich muss es attraktiv sein, man muss noch Geld verdienen darum! können, aber es muss auch eine Bremse geben, damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mieterinnen und Mieter nicht überfordert werden. All sowie bei Abgeordneten der SPD) das haben wir Ihnen in vielen Initiativen dargelegt. Sie haben alles in Bausch und Bogen komplett abgelehnt. Über die Städtebauförderung braucht man gar nicht mehr viel zu sagen. Damit haben Sie ein ganz lustiges (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Spiel getrieben: rauf, runter, rauf, runter, bis das ganze NEN]: Hört! Hört!) Land die Übersicht verloren hat. Jetzt legen Sie ein biss- Es ist ganz interessant, dass Sie jetzt plötzlich Ihr Herz chen was drauf und sagen: Wir haben doch die Mittel er- für die Mieterinnen und Mieter entdecken. höht. – Tatsache ist, dass die Mittel für die Städtebauför- derung, jedenfalls seit ich im Bundestag bin, insgesamt Bei den Maklergebühren gibt es ein ähnliches Phäno- nur abgesenkt worden sind. Fast noch viel schlimmer ist, men. Was haben wir Ihnen gesagt? Wir brauchen ein Be- dass Sie den nichtinvestiven Teil vollkommen gestrichen stellerprinzip. Es ist absurd, dass diese Kosten immer auf haben, sodass es sich im Prinzip um eine reine Baumaß- den Wohnungssuchenden übergewälzt werden können. nahmenförderung handelt. Aber all das andere, was bei Wer bestellt, bezahlt. der Städtebauförderung wichtig war, haben Sie erfolg- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reich beerdigt. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das gilt im übrigen Leben. Das hat auch beim Mietrecht und bei der SPD) zu gelten. Kommen wir nun zu dem sehr schönen Thema der Sie haben alle unsere Vorschläge in Bausch und Bo- Konversionsareale, also beispielsweise Kasernen für gen abgelehnt. Stattdessen kommen Sie mit einem Fossil preiswerte Wohnungen für Studentinnen und Studenten der Wohnungspolitik, der Eigenheimzulage. Genau! Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30721

Daniela Wagner (A) Bauen wir noch ein paar Häuser auf der grünen Wiese, wenn es darum geht, in den Überhitzungszonen unseres (C) die in 20 Jahren niemand mehr braucht. Wir brauchen in Landes, in den Problemgebieten Angebot und Nachfrage den Städten eine Innenentwicklung, die preiswerten zu einem sozial gerechten Ausgleich zu bringen. Wohnraum sicherstellt, und keine Eigenheimzulage. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ist Ihnen das sowie bei Abgeordneten der SPD) nicht peinlich?) All das Genannte wollen wir in eine komplett andere Wohnungspolitik überführen. Die brauchen wir. Die ist Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dringend notwendig. Ich setze darauf, dass wir gemein- Herr Minister, Kollege Liebich würde Ihnen gern eine sam mit der SPD eine andere Wohnungspolitik ab Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen? 22. September in diesem Land realisieren werden, so- dass Wohnen kein Luxusgut mehr ist, sondern ein Recht für alle Menschen in unserem Land. Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksam- Ja. keit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sowie bei Abgeordneten der SPD) Bitte schön.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Stefan Liebich (DIE LINKE): Für die Bundesregierung hat der Bundesminister Sehr geehrter Herr Minister, wenn Sie sagen, dass Dr. Peter Ramsauer das Wort. Wohnen in Deutschland Premiumwohnen ist, würde (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mich interessieren, was Sie jenen Mieterinnen und Mietern antworten, die in den vergangenen Jahren, in Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, den vergangenen Jahrzehnten, muss man sagen, ihre Bau und Stadtentwicklung: Wohnung aus finanziellen Gründen aufgeben und verlas- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sen mussten, so wie es in einem Teil meines Wahlkrei- Kollegen! Wir haben erst am 28. Februar dieses Jahres ses, in Berlin-Prenzlauer Berg – Sie kennen den Bezirk über diesen gesamten Themenkomplex gesprochen. ja sehr gut; es ist hier gleich in der Nähe –, nahezu der Heute gilt wie am 28. Februar: Nachdem ich mir sehr gesamten Bevölkerung ergangen ist; denn die Bevölke- (B) aufmerksam angehört habe, wie die Oppositionsfraktio- rung in Prenzlauer Berg ist in den letzten Jahren kom- (D) nen über Deutschland und Wohnen in Deutschland spre- plett ausgetauscht worden. chen, habe ich den Eindruck, sie sprechen über ein ganz anderes Land, aber nicht über unseres. Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bau und Stadtentwicklung: Das hatte auch andere Gründe, lieber Herr Kollege. Wohnen und Leben in Deutschland ist Premiumleben, Ich komme in einem weiteren Teil meiner Rede genau ist Premiumwohnen. auf diese Frage zu sprechen und bitte Sie, mit einer (Ute Kumpf [SPD]: In Bayern vielleicht!) Antwort im Laufe meiner Rede zufrieden zu sein. Die Themen „Wohngeld“ und „Kosten der Unterkunft“ Das bekomme ich von den vielen Gästen, die ich aus der werde ich selbstverständlich noch behandeln. ganzen Welt empfange, immer wieder bestätigt. Ich ge- höre nicht zu denen, die unser Land schlechtreden wol- (Lachen des Abg. Swen Schulz [Spandau] len. Das tue ich nicht. Sie sollten es auch nicht tun. [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ich möchte ganz ausdrücklich auch die vielen absur- Martin Burkert [SPD]: Sie regieren es aber den Vorwürfe der Opposition zurückweisen. Das haben schlecht!) die Kollegen Peter Götz und Patrick Döring ja in sehr Ich habe bei dieser Debatte am 28. Februar auch be- trefflicher Weise gerade ebenfalls getan. Wir sollten tont, dass die Bundesregierung bei dem Thema Wohnen auch gegenseitig so fair sein, ein realistisches Bild der sehr sensibilisiert ist; denn es ist ein Grundbedürfnis der Wirklichkeit zu zeichnen und nicht ein völlig verzerrtes. Menschen. Aber ich habe auch gesagt: Wir sollten bei Ich finde, dass uns Pauschalisierungen und massive Dra- dieser Debatte die parteipolitischen Unterschiede, matisierungen nicht helfen; aber natürlich helfen auch Verharmlosungen nicht. (Martin Burkert [SPD]: Gott sei Dank!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die es durchaus gibt, nicht dazu hernehmen, um in sach- NEN]: Nicht schlecht reden! Jetzt einmal zur fremder Weise in ganz unterschiedliche Richtungen zu Sache! – Zuruf von der SPD: Zur Sache!) wirken. Bitte ziehen Sie mit der Bundesregierung an ei- nem Strang, – Frau Künast, bitte etwas Geduld! (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie macht ja NEN]: Nicht schlecht reden!) beim Zuhören Fehler!) 30722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Bundesminister Dr. Peter Ramsauer (A) Tatsache ist, dass sich die Wohnungsmärkte in sorge. Eigentum ist eine Grundlage des Solidar- und des (C) Deutschland sektoral und auch regional ausgesprochen Sozialstaates. Denn nur wer Eigentum hat, kann Solida- unterschiedlich entwickeln. Die Ursachen für Wohn- rität üben. Wenn niemand mehr Eigentum hat, haben wir raumverknappungen und überproportionale Mietsteige- nur eine Mangelverwaltung. Das kann wirklich niemand rungen sind ebenso vielschichtig. Fest steht aber – ich wollen. möchte das noch einmal betonen –, dass wir in Deutsch- land einen hohen Versorgungsgrad haben und dass wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch hohe qualitative Standards haben, an deren Verbes- Jede zusätzliche Eigentumswohnung und jedes zu- serung wir weiter arbeiten. Ein Beitrag dazu ist auch sätzliche Eigenheim entspannen die Situation. Deshalb unsere hervorragend verlaufende Arbeit bei der energeti- sollten wir uns darauf konzentrieren, die Investitionstä- schen Gebäudesanierung. tigkeit insgesamt zu stärken. Das hat oberste Priorität. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Daniela Wagner Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind die Herr Minister, es gibt von der Kollegin Künast den Erfolge? Es passiert doch nichts!) Wunsch nach einer Zwischenfrage. Ich möchte das, was hier gesagt worden ist, richtigstel- len: Die Programme, die wir hier fahren, haben Hoch- Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, konjunktur. Von einer flächendeckenden Wohnungs- Bau und Stadtentwicklung: knappheit kann also überhaupt keine Rede sein. Ich komme auf alles noch zu sprechen. Ich kenne die Fragen von Frau Künast und kann sie auch selber stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Danke. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Davon hat auch überhaupt keiner gere- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – det!) Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, da liegen ja die Nerven blank! – Volker Wir hatten nach einer längeren Phase der Stagnation Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: – das muss man so sehen; die Ursachen hierfür sind auch So eine Arroganz!) bekannt – seit 2010 wieder einen Aufwärtstrend. Zwei Stichworte sind schon genannt worden: die Abschaffung Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ich nenne drei der degressiven AfA und die Abschaffung der Eigen- wichtige Aktionsbereiche: heimzulage. Das waren Bestandteile der damaligen Koch/Steinbrück-Liste. Im Jahr 2006 wurden sie dann Erstens. Die Wiedereinführung der degressiven AfA; (B) (D) abgeschafft. Im ersten Jahr nach einer solchen Abschaf- das ist schon angesprochen worden. Ich halte die Verbes- fung gibt es keine Bremsspuren, im zweiten machen sich serung einer degressiven Abschreibungsmöglichkeit für die ersten Folgen bemerkbar, und im dritten und vierten einen ganz wichtigen Impuls. Jahr sieht man die Auswirkungen. Das heißt, im Jahr (Martin Burkert [SPD]: Warum haben Sie das 2009 hatten wir einen Tiefststand bei Baugenehmigun- dann nicht gemacht, Herr Minister?) gen – es gab etwa 150 000 – zu verzeichnen. Wir waren einmal bei 300 000 bis 400 000 und darüber. Im Jahr Denn durch diese steuerstundende Liquiditätshilfe wer- 2011 haben wir Gott sei Dank wieder 228 000 Bauge- den Investitionsanreize gegeben. nehmigungen für Wohnungen gehabt. Das hat sich 2012 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – weiter fortgesetzt. Im ersten Quartal 2013 wurden im Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vergleich zum Vorjahresquartal noch einmal 13 Prozent NEN]: Warum haben Sie es denn nicht einge- mehr Baugenehmigungen für Wohnungen ausgespro- führt?) chen. Zweitens. Die Wiederbelebung der sozialen Wohn- Gemeinsames Ziel muss es also sein, diese positive raumförderung; auch das ist bereits angeschnitten wor- Trendwende zu verstetigen. Dazu rufe ich alle Fraktio- den. Wir haben die gesetzliche Verantwortung im Rah- nen dieses Hauses auf. Vorrangiges Ziel muss sein: men der Föderalismusreform auf die Bundesländer Bauen, bauen und nochmals bauen. übertragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was kostet Frau Kollegin Wagner, Sie haben mir zugerufen, ich das, und woher nehmen Sie das Geld?) solle mich darum kümmern. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – lassen Sie sich das auch von anderen berichten –: Es Nicht strangulieren, sondern initiieren. Gegen Mangel vergeht keine Landesbauministerkonferenz, in der wir hilft nur bauen. Jede zusätzliche Mietwohnung und auch nicht über dieses Thema intensiv gesprochen hätten. Ich jedes zusätzliche Eigenheim entspannt die Situation. Ich kann und will mich überhaupt nicht auf den Standpunkt sage das ausdrücklich, weil ich diese Diskriminierung zurückziehen, dass es Ländersache ist und den Bundes- von Eigentum nicht mehr hören kann. bauminister nichts mehr angeht. Natürlich muss ich mich auch darum kümmern, nicht zuletzt deshalb, weil (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Bund als Kompensation für die Übertragung dieser Eigentum stabilisiert unsere Gesellschaft, Eigentum an Zuständigkeit auf die Länder die berühmten 518 Millio- Wohnungen ist ein zentraler Bestandteil der Altersvor- nen Euro gibt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30723

Bundesminister Dr. Peter Ramsauer (A) (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) NEN]: Unser Geld!) NEN]: Das ist nicht der Punkt der Kritik!) Die Verhandlungen laufen seit einiger Zeit. Da sie Gleichwohl sage ich klipp und klar: Wir haben im Be- noch nicht zu einem Ergebnis geführt haben – schieben reich des Wohngeldes Reformbedarf; das werden wir wir die möglichen Ursachen mal beiseite – und unklar nach der Bundestagswahl neu justieren müssen. Ich habe ist, wie es nach 2013 weitergeht, schreiben wir in einem bereits im Februar einen entsprechenden Vorschlag vor- ersten Schritt die Mittel für 2014 schlicht und einfach gelegt. Das kann nicht in einem laufenden Haushaltsjahr fort. Wir werden nach der Wahl dafür sorgen, dass es für umgesetzt werden, aber wir werden uns darüber wieder die Länder und für die soziale Wohnraumförderung gut unterhalten. weitergeht. Nun ein Wort zum Mietrecht, meine Damen und Her- Meine Position in dieser Frage ist hinreichend be- ren. kannt – ich habe das oft genug auch mit den Bauminis- tern der Länder erörtert –: Ich plädiere für ein Entgegen- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kommen. Allerdings erwarte ich im Gegenzug, dass die Herr Ramsauer, Frau Bluhm würde Ihnen gern eine Mittel, die der Bund den Ländern bereitstellt, zweckge- Zwischenfrage stellen. bunden eingesetzt werden. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ach, was! Die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – soll mal zuhören! Das bildet!) Florian Pronold [SPD]: Schlagen Sie das mal vor!) Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das machen einige Länder ganz vorbildlich, beispiels- Ich verweise auf die Bemerkung des Kollegen Zöller. weise Hamburg, Nordrhein-Westfalen und der Freistaat Bayern. Einige andere Länder – ich nenne sie jetzt (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht – haben da noch Verbesserungsspielraum. Ich gehe ja gerade auf die drei Handlungsfelder ein (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Baden-Würt- und will nun zum Mietrecht kommen. Bei allem, was temberg zum Beispiel! Es ist übrigens grün re- wir im Bereich des Mietrechts tun, meine Damen und giert!) Herren, sollten wir immer sehr genau prüfen, inwieweit sich Instrumente wie eine Mietpreisbremse auf den Einige haben auch die Neubautätigkeit wieder aufge- Wohnungsneubau auswirken. nommen und arbeiten nicht nur alte Dinge ab. (B) (Martin Burkert [SPD]: Auch der Minister!) (D) Drittens. Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld liegt Das ist ein ganz wichtiger Maßstab, an dem wir alles mes- im Bereich der sozial- und mietrechtlichen Flankierung. sen müssen. Alles, was wir in diesem Bereich tun, darf Hier nehmen wir unsere Verantwortung sehr wohl wahr. nicht den Wohnungsneubau abwürgen. Darauf hat die Ich lasse mir die Mietrechtsnovelle, die wir vor wenigen Bundeskanzlerin in aller Eindeutigkeit und Klarheit hin- Monaten verabschiedet haben und die nun in Kraft ist, gewiesen; das hat sie betont. Ich verwahre mich aus- nicht schlechtreden. Wir haben den Ländern ein wichti- drücklich gegen die vorhin von Ihnen, Herr Kollege ges Instrument in die Hand gegeben. Pronold, ausgesprochene Beleidigung, mit der Sie die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bundeskanzlerin als eine „Handtaschenräuberin“ be- zeichnet haben. Wir haben in Problemzonen, also dort, wo die Mieten explodieren, einen Deckel eingeführt, sodass die Mieten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – innerhalb von drei Jahren nicht mehr um bis zu 20 Pro- Florian Pronold [SPD]: Davor habe ich sie in zent, sondern nur noch um bis zu 15 Prozent erhöht wer- Schutz genommen! Selbst das haben Sie nicht den können. Ich halte dies für richtig. verstanden!) Das ist sonst nicht Ihr Stil. Daneben stehen wir natürlich voll und ganz – das wäre wahrscheinlich die Zwischenfrage der Kollegin Im Übrigen gibt es im Wirtschaftsstrafrecht bereits Künast gewesen – zum Wohngeld und zu den Kosten der seit langem eine Bestimmung, die Mietwucher begrenzt: Unterkunft. 16 Milliarden Euro fließen hier jährlich. Ich Bei Wiedervermietungen darf die Miete maximal setze diese Summe einmal in Bezug zu etwas anderem, 20 Prozent über der Miete für vergleichbaren Wohnraum weil wir in diesem Kreis auch häufig über Verkehrsinfra- liegen. Aber wir wissen auch, dass diese Bestimmung in struktur reden: Die Mittel für den gesamten Straßenaus- der Praxis kaum Anwendung findet. Wir sind bereit, bau und -neubau sowie für die Instandhaltung betragen auch hier etwas zu tun. gerade einmal etwas über 5 Milliarden Euro. Für die so- Das alles, meine Damen und Herren, sind wir den ziale Flankierung – für das Zahlen von Wohngeld und Mietern, den Eigentümern und nicht zuletzt den Investo- für die Übernahme der Kosten der Unterkunft – zahlen ren schuldig, deren Investitionen wir uns nur wünschen wir also das Dreifache der Summe, die wir in den Stra- können; denn je mehr gebaut wird, desto weniger Nöte ßenbau investieren. Wer hier sagt, meine Damen und werden wir haben. Herren, das sei schmählich zu wenig, der leugnet die Realität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 30724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Bundesminister Dr. Peter Ramsauer (A) Am Ende, lieber Peter Götz, auch von meiner Seite Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) ein herzliches Dankeschön, das ich, ohne anmaßend zu Herr Minister, zur Antwort. Bitte schön. sein, im Namen aller Bundesregierungen, unter denen du dich diesem Thema zugewandt hast, aussprechen darf. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bitte nicht Du bist seit 23 Jahren im Parlament. Ich habe dich im- vom Straßenbau reden! – Martin Burkert mer als das baupolitische Gewissen dieses Parlaments [SPD]: Der kennt doch bloß Beton!) und als das kommunalpolitische Gewissen unserer Frak- tion wahrgenommen. Du bist sozusagen die Personifi- Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, zierung dessen, was wir immer als Politik aus einem Bau und Stadtentwicklung: Guss bezeichnen, für die Kommunen, für die Länder, für Frau Kollegin Bluhm, ich habe einige Minuten in den Bund. Dafür Respekt und Anerkennung und ein meiner Rede zum Themenkomplex Mietpreisbremse ge- herzliches Dankeschön. sprochen, und zwar unter Verwendung dieses Begriffs. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber nichts gesagt! – Gegenruf der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Abg. Petra Müller [Aachen] [FDP]: Es ist die Die Kollegin Heidrun Bluhm hat das Wort zu einer Frage, was man versteht! – Alexander Ulrich Kurzintervention. [DIE LINKE]: Er hat geredet, aber nichts ge- sagt!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Oh Gott! Das lernt sie nie!) Ihre Behauptung, dass ich das Thema nicht behandelt hätte, verstehe ich nicht; denn das trifft nicht zu. Sie sind Geschäftsfrau und auf diesem Sektor tätig. Sie selber Heidrun Bluhm (DIE LINKE): sind Vermieterin mehrerer Objekte und haben daher viel Herr Minister Ramsauer, da Sie meinten, dass Sie Ahnung von der Praxis. meine Frage, die Sie nicht kennen können, mit Ihrer Rede schon beantwortet haben, muss ich jetzt zu diesem (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU) parlamentarischen Instrument greifen, Sie lächeln jetzt. Tun Sie doch nicht so, als wüssten (Otto Fricke [FDP]: Und eine komplett andere Sie nicht, wie welche Maßnahme wirkt. Tun Sie nicht so, Frage stellen!) als hätten Sie die Bundeskanzlerin nicht verstanden, die klipp und klar gesagt hat – ich will es einmal so ausdrü- um Ihnen deutlich zu machen, dass Sie genau das nicht cken –: Wir brauchen mehr Wohnraum. Alles, was die- getan haben. (B) sem Ziel dient, ist zu veranlassen, alles, was dem entge- (D) Wenn die Kanzlerin, Frau Merkel, eine Mietpreis- gensteht, ist zu unterlassen, und zwar bei gleichzeitiger bremse und ähnliche Dinge in die politische Debatte ein- sozial- und mietrechtlicher Flankierung. führt, gehe ich davon aus, dass sie das gemeinsam mit ihrem Fachminister, der sie berät, erarbeitet hat. Die Bundeskanzlerin hat völlig recht, wenn sie sagt: Dort, wo wir Überhitzungen zu verzeichnen haben, müs- (Zuruf von der SPD: Nie im Leben!) sen wir diese Überhitzungen angehen und bekämpfen. Weder Herr Götz noch Herr Döring, die der Regierungs- (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Wie denn? koalition angehören, noch Sie haben in irgendeiner Wie wollen Sie das machen?) Weise die jetzt von Frau Merkel in die Diskussion einge- führte Mietpreisbremse erwähnt. Sie hat Vorschläge dazu gemacht. Aber es muss klar sein: Die Mittel, die wir einsetzen, dürfen nicht dazu (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Das kommt führen, dass der Neubau sozusagen stranguliert wird; gleich bei mir!) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was wollen Glauben Sie nicht, dass es an dieser Stelle wichtig und Sie denn machen? Machen Sie einen Vor- notwendig gewesen wäre, diesen Punkt den Mieterinnen schlag!) und Mietern zu erläutern, die sich Verlässlichkeit wün- schen und wissen wollen, ob Sie das, was Sie im Wahl- denn damit würden wir das einreißen, was wir uns an an- kampf versprechen, wirklich ernst meinen und umsetzen derer Stelle mühsam erstritten und erarbeitet haben. wollen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Ich hätte von Ihnen als Fachminister erwartet, dass Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie nicht nur über Straßenbau und Ähnliches diskutie- Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich das Wort ren, sondern dass Sie auch die Ideen der Kanzlerin auf- Renate Künast. greifen, erläutern und damit den Mieterinnen und Mie- tern Sicherheit für die Zukunft geben. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie ah- Danke schön. nen, was ich fragen will; deshalb dürfte Ihnen die Replik (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- leichtfallen. Sie haben gerade selber gesagt, dass Sie neten der SPD) viele Minuten über das Thema Mietpreis, Mietpreis- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30725

Renate Künast (A) bremse usw. gesprochen haben. Aber ehrlich gesagt: Das (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des (C) waren nur Worte, Inhalt gab es keinen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Frau Künast, Angebot und Nachfrage regeln auch SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- Mietpreise. Deswegen ist Ihre Politik, die – wie ich aus KEN – Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekre- Ihren Worten heraushöre und aus den Programmen Ihrer tär: Fragen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Partei herauslese – vor allen Dingen von Verboten ge- Das setzt ja auch Verstand voraus!) prägt ist, investitionsfeindlich. Angesichts investitions- feindlicher Politik braucht man sich nicht zu wundern, Sie sagen: Neubau, Neubau, Neubau! – Aber auch am wenn nicht in den Wohnungsbau investiert wird. Ende Ihrer Rede ist immer noch unklar, wie die Miet- preisbremse bei der Vermietung von Neubauwohnungen Wenn ich jemanden, der in Wohnungen und Immobi- genau gestaltet werden soll. Wie soll die Miete für eine lien investieren will, von vornherein mit investitions- Neubauwohnung im Vergleich zur ortsüblichen Miete feindlichen Restriktionen überziehe und ihm drohe, statt gedeckelt werden? Ab welchem Betrag soll die Bremse Anreize zu geben, brauche ich mich nicht zu wundern, greifen, damit Ihr Motto: „Neubau, Neubau, Neubau“ wenn nicht gebaut wird. Gott sei Dank haben wir in nicht zu einer über Jahre stattfindenden Verteuerung und Deutschland seit drei Jahren wieder einen anderen Anhebung der ortsüblichen Miete führt? Die Antwort Trend. Es gibt eine steigende Zahl von Baugenehmigun- auf diese Frage sind Sie schuldig geblieben. gen. Bis zur Wohnungsfertigstellung vergehen dann noch ein bis zwei Jahre. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat er doch erklärt! Sie haben geschwätzt, als der das Deswegen war es auch nicht schädlich, sondern rich- gesagt hat!) tig, dass wir den Ländern – Stichwort „Subsidiarität“ – bei der letzten Mietrechtsnovelle flankierend die Mög- Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass Frau Merkel einen lichkeit gegeben haben, diese Mietpreisbremse einzu- Vorstoß gemacht hat, den Herr Schäuble nachher wieder führen. Wir sind auch bereit, den Straftatbestand im zurücknahm. Wirtschaftsstrafrecht, über den ich gesprochen habe, zu (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein! Sie ha- präzisieren, damit diese Norm in der Praxis auch An- ben nicht zugehört! – Zuruf von der FDP: Sie wendung finden kann. Es wurde schon die Grenze von haben keine Ahnung von Immobilien!) 20 Prozent genannt. Daran können wir arbeiten. Sie müssen uns irgendwann einmal sagen, was Sie ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gentlich wollen, und können uns nicht nur auf nachfol- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dreimal um den heißen Brei!) (B) gende Zeiten vertrösten. Die Mieterinnen und Mieter ha- (D) ben ein Recht, beurteilen zu können, was Ihr Programm tatsächlich beinhaltet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Die Vermieter Michael Groß. aber auch!) (Beifall bei der SPD) – Die Mieter und die Vermieter auch. Aber noch ist in Deutschland kein Vermieter verhungert. Mieter hinge- Michael Groß (SPD): gen können ihre Miete manchmal nicht mehr zahlen. Die soziale Verantwortung hat einer – als Minister so- Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau wieso –, dessen Partei das „S“ für „sozial“ im Namen Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin trägt. regelrecht dankbar für die Nachfragen, weil dadurch noch einmal deutlich wurde, dass es den Strang, an dem Es herrscht also immer noch Unklarheit, wie die wir alle gemeinsam ziehen sollten, gar nicht gibt. Wir Bremse eigentlich gestaltet werden soll, Herr Ramsauer. wüssten auch gar nicht, in welche Richtung wir gemein- sam ziehen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Festzustellen ist, dass wir, seitdem Sie Minister sind, LINKEN) Herr Ramsauer, weniger Neubauaktivitäten als in den vier Jahren zuvor haben. Wenn man sich Ihre Leistungs- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bilanz ansieht, dann ist außer Runden Tischen und ange- kündigten Eigenheimzulagen nichts zu erkennen. Es ist Herr Minister, bitte zur Antwort. weiterhin so, dass viele Menschen in den Städten dieser Republik Angst haben, dass sie ihre Mieten nicht mehr Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, bezahlen können. Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Künast, ich fürchte: Wer nichts zur (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber nur, Kenntnis nehmen will, widersteht auch jedem Erklä- wenn Sie an die Regierung kommen!) rungsversuch. Sie haben von Rechtssicherheit und Investitionssi- (Beifall bei der CDU/CSU) cherheit gesprochen. Was haben wir denn darunter zu verstehen, wenn Sie ein Mietrecht erlassen – es ist im Deshalb habe ich Probleme mit Ihnen. Mai in Kraft getreten – und Ihre Bundeskanzlerin ein 30726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Michael Groß (A) paar Wochen später auf einmal das Thema Mietpreissen- Unser Ziel ist ein breit angelegtes Maßnahmenbündel (C) kung entdeckt? Selbst diejenigen, die sich bisher auf Sie für den Wohnungsbau: energetische Sanierung und fami- haben verlassen können oder meinten, sich auf Sie lien- und altersgerechter Umbau von Häusern. Das alles verlassen zu können, sind in den letzten Tagen ein wenig muss eingebettet sein in eine Politik der „Sozialen verunsichert. Das kann man auch sehr gut nachvollzie- Stadt“. Ich bekenne mich hier zu diesem Programm. hen. Herr Döring hat gerade gesagt, die SPD habe ein quasi religiöses Verhältnis zum Programm „Soziale Stadt“. Ja, Angesichts Ihrer jetzigen Aussagen und auch der es war eines der wichtigsten Programme, und es ist es Aussagen aus der Regierungskoalition in den letzten immer noch, auch mit Blick auf die Zukunft. Das hat da- Wochen könnten die Leute in Deutschland den Eindruck mit zu tun, dass wir die Menschen unterstützen müssen, haben: Es gibt keine Probleme. All diejenigen, die damit sie in ihren Wohnquartieren vernünftig leben kön- Wohngeld beantragen müssen, weil sie ein zu geringes nen. Es geht um Zusammenhalt, gute Nachbarschaft und Einkommen haben, können sich beruhigt zurücklehnen darum, dass die Kinder eine Zukunft haben. Es ist not- und müssen sich keine Sorgen machen, was ihre Da- wendig, für dieses Programm wesentlich mehr Geld in seinsvorsorge betrifft. die Hand zu nehmen. Wir dürfen die Mittel nicht dau- ernd kürzen, weil die Städte sonst letztendlich nicht Sie befinden sich zurzeit in der Situation, erklären zu mehr handlungsfähig sind. müssen, warum es da ein Hin und Her gibt. Ich habe ge- rade gelesen, dass einige Mitglieder der CDU von der (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Daniela Kanzlerin einen Sonderparteitag erwarten bzw. verlan- Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gen, weil sie sich übergangen fühlen. Natürlich kann ich Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs- mir sehr gut vorstellen, warum Sie Probleme mit der koalition und lieber Herr Ramsauer, hören Sie auf mit „Sozialen Stadt“ haben; denn dabei geht es darum, die nebulösen Versprechen! Sorgen Sie für Planbarkeit und Menschen zu beteiligen und die Dinge letztendlich von Investitionssicherheit! Familien brauchen das, um ent- unten nach oben zu entwickeln. scheiden zu können, wo sie leben, mieten oder bauen Die Faktenlage ist eindeutig. Schon heute fehlen in wollen. den Ballungsgebieten bzw. in den Universitätsstädten Herzlichen Dank. 250 000 Wohnungen. Der Mieterbund spricht von Woh- nungsnot. Schon jetzt liegen in einigen Großstädten die (Beifall bei der SPD) Leerstandsquoten bei unter 1 Prozent. Das heißt, dass sich angesichts der steigenden Nachfrage in diesen Städ- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (B) ten die Situation für Mieterinnen und Mieter weiter ver- Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Petra Müller (D) schärfen wird. jetzt das Wort. Zusätzlich steigt die Anzahl der Haushalte. Sie selber (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gehen davon aus, dass die Anzahl der Haushalte auf über 41 Millionen steigen wird. Das wäre innerhalb weniger Petra Müller (Aachen) (FDP): Jahre eine Zunahme um 3 Millionen. Sie haben und ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ben darauf – wir haben es gerade erlebt – keine konkrete Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist dynamisch. Ich Antwort. glaube, darüber besteht in diesem Hohen Hause Einig- keit. Das war es dann aber auch schon mit der Einigkeit. Die Mieter haben Sie nicht im Blick. Sie haben zuge- Diese Dynamik, die wir feststellen können, verdankt der lassen, dass in einigen Regionen bei Wiedervermietun- deutsche Wohnungsmarkt der kontinuierlichen Politik gen zurzeit Mieterhöhungen von über 30 Prozent der schwarz-gelben Koalition in den letzten vier Jahren. möglich sind. Das ist für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht tragbar. Sie wissen auch, dass (Lachen der Abg. Daniela Wagner [BÜND- zurzeit eine Situation besteht, in der sich Familien und NIS 90/DIE GRÜNEN]) Alleinerziehende, die eine Wohnung suchen, so vorkom- – Jawohl, das ist so. men, als würden sie ausgegrenzt. Sie kommen für die Vermieter als Mieter gar nicht infrage. Neben dem Geld (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der spielen dabei auch noch der soziale Status oder der Fa- CDU/CSU) milienstand eine Rolle. Wir haben ein positives Investitionsklima erst mög- Wir brauchen ein Bündnis für bezahlbares Wohnen, lich gemacht. Die Eigentümerquote ist stetig angestie- und wir müssen alle beteiligen. An dieser Stelle will ich gen. Sie liegt bei 46 Prozent. Das ist ein gutes Signal. ausdrücklich allen Investoren und Eigentümern danken, Jawohl! Der Wohnungsneubau in Deutschland zieht an. aber auch den Genossenschaften und den kommunalen Wir hatten in 2012 7,4 Prozent mehr Baugenehmigun- Wohnungsunternehmen, die sich am Wohnungsmarkt im gen. Auch das ist ein gutes Signal. Interesse der Mieterinnen und Mieter engagieren; denn (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und das alles sie müssen letztlich die sinnvolle Wohnungsbaupolitik, ohne Eigenheimzulage!) die wir fordern, umsetzen. Das ist ein gutes Signal für Mieter, für Vermieter, für In- (Beifall bei der SPD) vestoren und für die Immobilienwirtschaft. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30727

Petra Müller (Aachen) (A) Auf dem Wohnungsmarkt findet ein Umbruch statt; Last, but not least: Wohnungsbau und Klimapolitik (C) das ist richtig. Ballungsräume stehen massiv unter gehören zusammen. Konvergenz – und nicht Konkur- Druck. Universitätsstädte und Großstädte platzen aus renz – ist hier das Stichwort. allen Nähten. Das nehmen wir natürlich zur Kenntnis. Die beste Garantie für niedrige Mieten ist ein breites Die Mittel für die Wohnraumförderung – 518 Millio- Wohnungsangebot für die Mieter. Ich zitiere den Minis- nen Euro seitens des Bundes – müssen zweckgebunden ter: bauen, bauen, bauen. werden. Dadurch wäre auch das Land Berlin, in dem der größte Wohnungsmangel herrscht, verpflichtet, Sozial- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) wohnungen zu bauen. Eine Mietpreisbremse bzw. ein stärkeres Anziehen (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der der Mietpreisbremse – das ist Ihre Forderung, liebe Kol- CDU/CSU) leginnen und Kollegen – ist kein Mittel gegen steigende Mieten. Das ist kurzsichtig. Ich sage Ihnen heute: Sie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: produzieren eine Wohnungsnot in den nächsten Jahren. Schauen Sie nach Schweden; die haben uns das vorge- Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage von macht. Man sollte aus den Fehlern der anderen lernen. Frau Herlitzius zulassen?

Größere Sanierungen im Wohnungsbestand wären Petra Müller (Aachen) (FDP): dann geradezu unmöglich. Wer bisher mit einer Ver- Nein. gleichsmiete von 6 Euro pro Quadratmeter gerechnet hat, muss heute bei gestiegenen Baukosten mit 8 Euro (Zuruf von der SPD: Oh!) rechnen. Wenn es zu einer Kappung kommt, wenn es zu einer Begrenzung der Mieterhöhung auf 10 Prozent 250 000 neue Wohnungen im Jahr – das ist die Marke, kommt, dann landen wir bei 6,60 Euro. Da ist dann die wir erreichen wollten. Sie ist in Sicht, sie ist fast er- Schluss. Welcher private Bauherr soll dann noch inves- reicht. Wir Liberale wollen diesen positiven Trend wei- tieren? ter fördern. Mietpreisbremse stoppt Entwicklung. Dies wird bereits durch das Wort Bremse ausgedrückt; das (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kann man sich so vielleicht ganz gut merken. NEN]: Das müssen Sie der Kanzlerin erklä- ren!) Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Wie soll er damit sein Auskommen im Alter sichern? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) Kein Bauherr würde Ihre Politik überleben. Sie vergiften der CDU/CSU) (D) damit das Investitionsklima in Deutschland. Das darf ich Ihnen hier sagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Jetzt hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der der CDU/CSU) Kollege Gero Storjohann. Die Lösung ist doch, den Wohnungsbau zu fördern, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und nicht, ihn zu verhindern – ganz einfach. Deshalb gibt es ganz klare Forderungen: Gero Storjohann (CDU/CSU): Erstens an die Kommunen: mehr Bauland ausweisen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Nachverdichtungen möglich machen; bauen, bauen, Herren! 80 Prozent der deutschen Bevölkerung leben in bauen. Denn nur durch mehr Wohnraum kann der Druck Gebieten mit sehr wohl ausgeglichenen Wohnverhältnis- vom Wohnungsmarkt genommen werden. sen, und 20 Prozent der Bevölkerung wohnen in größe- ren Städten. Insbesondere dort kommt es in den begehr- Zweitens. Unsere Aufgabe für die nächste Legislatur- ten Lagen in den Zentren zu Engpässen bei günstigem periode ist, die Bauprozesse zu beschleunigen. Bei den Wohnraum. Das ist hier schon mehrfach festgestellt wor- Großprojekten haben wir das schon erfolgreich getan, den und auch nichts Neues. bei den kleinen müssen wir das jetzt auch machen. Das wird der Mittelpunkt liberaler Politik in der Zukunft Wir haben auch festgestellt, dass hier eine gemein- sein. same Verantwortung von Bund, Ländern und Kommu- nen besteht. Wir wissen auch, dass die Verantwortung (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- besonders bei den Ländern und den Kommunen liegt NEN]: Das wollen wir mal sehen!) und dass der Bund seine Rolle hierbei abgegeben hat, aber dennoch zu seiner Verantwortung steht. Besonders Drittens. Die Grunderwerbsteuer muss sinken. Dies in den SPD-regierten Ländern wollen wir einfordern, ist eine berechtigte Forderung von uns an die Bundes- dass mehr Bauland ausgewiesen wird, gerade auch in länder; aber nein, sie wird erhöht, und die Grundstücke den Innenstadtlagen, und dass dort Verdichtungen erfol- werden teurer. Allen voran geht das SPD-geführte gen können. Schleswig-Holstein mit 6,5 Prozent. Damit machen Sie den Wohnungsbau kaputt, liebe Kolleginnen und Kolle- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen. NEN]: Das passiert doch!) 30728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Gero Storjohann (A) Auch die Genehmigungsverfahren zum Umbau von Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) werbeimmobilien zu Wohnhäusern müssen beschleunigt der FDP) werden. Die Länder sind ebenfalls am Zug, wenn es darum (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und geht, das Bauen für Investoren attraktiver zu machen. der FDP) Dazu trägt die Erhöhung der Grunderwerbsteuer nicht bei. Ich verstehe das natürlich, weil die Grunderwerb- Nicht nur im Bereich des regulären Wohnungsbaus steuer reines Landesgeld ist. Aber eine 6,5-prozentige – die Zahlen steigen –, sondern auch im sozialen Woh- Grunderwerbsteuer ist ein Programm zur Verhinderung nungsbau macht diese Bundesregierung mit Minister von Neubau und kein Programm zur Beschleunigung Peter Ramsauer einen guten Job. Das kann man nicht von Neubau. Auch das muss ganz deutlich gesagt wer- von allen Landesregierungen sagen. Einige Landesregie- den. rungen haben hier nachzubessern. Damit meine ich nicht In Deutschland hat niemand mehr Wohnungen priva- meine Landesregierung in Schleswig-Holstein. Sie hat tisiert als SPD, Grüne und Linke zusammen. beim sozialen Wohnungsbau immer ihren Job gemacht und ist ein Vorbild. Einige Länder haben dies jetzt (Sebastian Körber [FDP]: Hört! Hört!) kapiert und werden entsprechend nacharbeiten. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier, der ja gleich Das Ziel, dass Kommunen, Länder und Bund ver- zum nächsten Tagesordnungspunkt sprechen wird, stärkt tätig werden und ihre Verantwortung wahrneh- zeichnete als Chef des Kanzleramtes mit dafür verant- men, sollte uns alle einen; denn Wohnungspolitik ist wortlich, dass 200 000 Eisenbahnerwohnungen des nicht Parteipolitik, sondern sie dient der Grundversor- Bundes privatisiert wurden. Der SPD-Kanzlerkandidat gung, zu der wir alle gemeinsam stehen müssen. Steinbrück war als Finanzminister dafür verantwortlich, dass 86 000 Wohnungen der BfA privatisiert wurden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ein rot-grüner Senat hat in Berlin vor ein paar Jahren die neten der FDP) GSW veräußert; es handelte sich dabei um die größte kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die es in Berlin Wir stehen dazu. Es gibt unterschiedliche Zahlen. Die gab. Zahlen, die mir vorliegen, besagen, dass jedes Jahr 17 Milliarden Euro für Wohnen, für die Kosten der Un- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- terkunft und Wohngeld ausgegeben werden. Das ist ein NEN]: Wer? Ein rot-grüner Senat? Haben Sie Batzen Geld; das ist politisch so gewollt. Seit der Föde- „rot-grün“ gesagt? Das nehmen Sie sofort zu- ralismusreform 2007 hat der Bund den Ländern jährlich rück! Das war Rot-Rot! Wir haben damit (B) 518 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung nichts zu tun!) (D) an die Hand gegeben. Eigentlich haben wir das im guten – Rot-Rot? Meinetwegen; noch schlimmer. Aber ange- Glauben gemacht. Wir sind davon ausgegangen, dass die sichts dessen, was Sie immer so sagen, habe ich fast den Länder dieses Geld selbstverständlich für die Wohn- Eindruck, dass auch Sie da immer zugestimmt haben. raumförderung einsetzen und nicht für das Abzahlen von Altverträgen nutzen. Dies muss man nicht unbedingt ge- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frau setzlich festlegen; denn das ist eigentlich eine Selbstver- Künast schämt sich für die SPD!) ständlichkeit. In Baden-Württemberg hat die grün-rote Landesregie- (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ rung – die grün-rote Landesregierung, Frau Künast – erst CSU]) vor kurzem 22 000 Wohnungen der Landesbank Baden- Württemberg veräußert. Stehen Sie denn wenigstens Alle, die Verantwortung tragen, können ihre Länder an dazu? diese Selbstverständlichkeit erinnern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Oliver Luksic [FDP]: Aha! Das ist ja interes- neten der FDP) sant! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Tja, da hat sie wohl ein Eigentor geschossen!) Mit dem neuen Mietrecht ab 1. Mai dieses Jahres ha- Ihre Äußerungen sind nicht immer unbedingt stringent, ben wir ein wirksames Instrument geschaffen, welches wenn es um Argumente geht. den Ländern die Möglichkeit gibt, den Anstieg der Mie- ten vor Ort bremsen zu können. Die Länder haben nun Jetzt zur berühmten Mietpreisdeckelung. 60 Prozent die Möglichkeit, mit einer Kappungsgrenze von 15 Pro- der Vermieter in Deutschland sind private Vermieter, zent auf diesem Markt zu wirken. Sie müssen natürlich auch Kleinvermieter, einen entsprechenden Beschluss herbeiführen. Es ist un- (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Genau! Da ser Wunsch, dass sie genau definieren, welche Gebiete geht es um Alterssicherung!) besonders belastet sind und welche Gebiete mit einer Kappungsgrenze von 15 Prozent versehen werden. Dann und 40 Prozent sind Profis. Bei den Profis mache ich mir ist es auch die Aufgabe der Länder, in diesen Gebieten überhaupt keine Sorgen; sie passen auf, dass die Mieten besonders zu fördern und dort für eine Marktberuhigung auch in Anbetracht der Inflation regelmäßig angepasst zu sorgen. Nur zu kappen und nichts weiter zu tun, das werden. Bei den privaten Vermietern ist das anders. Sie kann nicht die Lösung sei. haben ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern, und sie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30729

Gero Storjohann (A) trauen sich nicht immer, ein solches Gespräch zu führen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- (C) Von privaten Vermietern wird die Miete in der Regel wie des Abg. Patrick Döring [FDP]) dann angepasst, wenn es einen Mieterwechsel gibt. Vor Die Grünen fordern eine Vermögensteuer, ohne zu ah- diesem Hintergrund müssen wir sehr wohl aufpassen, nen, was das für Auswirkungen auf die Investoren hat. dass wir keine falschen Regelungen einführen, die dann Im Wohnungsbestand ist diese Position fatal: Das Be- dafür sorgen würden, dass auch private Vermieter ge- triebsvermögen der Wohnungsunternehmen besteht zu zwungenermaßen Mietpreissteigerungen durchsetzen. 90 Prozent aus Grundbesitz. Wir sprechen in diesem Be- Das ist also ein kompliziertes Thema, bei dem es keine reich nicht etwa von Renditen zwischen 10 und 15 Pro- einfachen Lösungen gibt. zent, sondern von Renditen zwischen 2 und 4 Prozent. Was die Menschen insgesamt bewerten, ist die Brut- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tomiete. Sie ist in Deutschland insgesamt gestiegen, NEN]: Es geht nur um natürliche Personen, auch infolge vieler politischer Entscheidungen im Hin- Herr Storjohann!) blick auf die Nebenkosten; es ist der Strom, es ist die Heizung, es sind die Grundsteuern. Das alles hat sich in Wenn dann auch noch mit einer Vermögensteuer einge- der letzten Zeit sehr stark verteuert, während die Netto- griffen wird, wird das Neubau eher verhindern und zu ei- miete ziemlich stabil geblieben und in geringerem Maße ner nochmaligen Steigerung der Mieten führen; denn das als die Inflationsrate gestiegen ist. alles muss – Sie wissen ganz genau, wie das geht, Frau Wagner – natürlich auf die Betriebskostenabrechnung (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- umgelegt werden. NEN]: Nein, das stimmt so nicht! Das ist falsch!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das zahlt die Par- In Deutschland insgesamt sind die Nettokaltmieten teikasse der Grünen! – Daniela Wagner in den vergangenen 20 Jahren um 9,4 Prozent von [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht 5,04 Euro pro Quadratmeter auf 5,51 Euro pro Quadrat- um Wohnungsunternehmen!) meter gestiegen. Inflationsbereinigt bedeutet das, dass wir heute für das Wohnen weniger bezahlen als 1992. Meine Damen und Herren, die Union steht für eine Die Inflation ist im gleichen Zeitraum um 40 Prozent gut aufgestellte Wohnungsbaupolitik. Davon profitieren gestiegen. Damit liegen die realen Mieten unter dem alle: die Vermieter und die Mieter. Wir werden den An- Niveau von vor 20 Jahren. Das ist die Realität. Dennoch trag der Linken zum bedarfsgerechten Wohnen heute an verkenne ich nicht, dass wir in manchen Innenstadtlagen den Ausschuss überweisen. Bei den anderen Anträgen extrem große Probleme haben. Es gibt auch Probleme folgen wir der Beschlussempfehlung des Ausschusses. (B) (D) mit schwarzen Schafen. Diesen schwarzen Schafen Herzlichen Dank. möchten wir als Union gerne das Handwerk legen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der FDP) neten der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir möchten nicht nur, wir werden!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deswegen finde ich es richtig, dass wir eine starke Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Kumpf für die Kanzlerin haben, die die Probleme, die sie erkennt, auch SPD-Fraktion. aufgreift. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Ute Kumpf (SPD): – Die Begeisterung steigt, weil die Kanzlerin gerade den Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Saal betreten hat und jetzt auf der Regierungsbank Platz Kollegen! Herr Minister Ramsauer, wir haben auch nimmt. Probleme mit Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Problem in den Innenstadtlagen werden wir an- packen, aber so, dass es kein Abwürgen gibt, sondern Es ist nicht so, dass wir hier die Situation schlechtreden. dass die Investoren weiterhin mit Zuversicht in den Der Kollege Kauder betont immer wieder, dass Politik Wohnungsbau investieren können. Die Anhörung ges- damit beginnt, die Wirklichkeit wahrzunehmen. Unser tern im Ausschuss hat ja auch ergeben: Eine Beschrän- Eindruck ist, dass Sie die Wirklichkeit nicht wahrneh- kung bezüglich der Mieten kann nur eine Lösung für drei men, dass Sie sie ausblenden. Sie reden Ihre Bilanz Jahre sein, sie darf nicht für immer gelten. Für einen schön. gewissen Zeitraum können wir als Union diesen Weg mitgehen. Wir werden jetzt verantwortungsvoll ausar- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) beiten, wie das genau gemacht werden kann. Sie wollen nicht wahrnehmen – dabei wird die Zahl im- mer wieder betont –, dass zurzeit 250 000 bezahlbare Zum Schluss: Der Hauptpunkt, der die ganze Woh- Wohnungen fehlen nungswirtschaft umtreibt, sind die Vorstellungen bzw. Forderungen der Grünen im Hinblick auf eine Vermö- (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Nein! Das habe gensteuer. ich nicht gesagt! Sie sind fast da!) 30730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Ute Kumpf (A) und dass, wenn die derzeitige Politik fortgesetzt wird, dass die Länder bis 2019 entsprechende Mittel zur Ver- (C) 2025 1 Million Wohnungen fehlen werden. fügung gestellt bekommen – und nicht nur bis 2015; das greift viel zu kurz. Diese Mittel müssen die Länder dann (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Nein!) tatsächlich für den Wohnungsbau verwenden und nicht Sie wollen auch nicht wahrnehmen, dass die Mieten für das Stopfen der Haushaltslöcher. in nicht wenigen Ballungszentren – nicht nur in Überhit- Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein Wort zur zungsregionen – exorbitant steigen, dass Verdrängungs- Städtebauförderung. Die Stadt- und Quartiersentwick- prozesse ablaufen, dass sich die Segregation beschleu- lung ist eine entscheidende Zukunftsaufgabe, aus der nigt. Was Sie auch nicht wahrnehmen wollen, ist der sich die schwarz-gelbe Bundesregierung seit drei Jahren Protest der Mieter und Mieterinnen, die sich nicht nur zurückgezogen hat. gegen die erhöhten Mieten, sondern auch gegen das von der Koalition veränderte Mietrecht wenden und nicht nur (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Sie nehmen in Berlin, sondern auch an anderen Orten auf die Straße aber zur Kenntnis, dass wir neue Programme gehen. aufgelegt haben?) Sie wollen auch nicht wahrnehmen, dass die steigen- Für die Städtebauförderung werden seitens des Bundes den Energiekosten gerade Haushalte mit kleinem Ein- im Haushalt 2013 nur 455 Millionen Euro in die Hand kommen an die Armutsgrenze treiben. Wer ein Drittel genommen. Das sind 20 Prozent weniger als 2009, Frau seines Einkommens für Wohnen und für Energie ver- Müller. Herr Ramsauer hat wohl das kleine Einmaleins wenden muss – bei kleinen Haushalten sind es sogar verlernt. Oder ist das etwa das bayerische Einmaleins: 50 Prozent –, muss an anderer Stelle sparen: an Kultur, Eine Verringerung soll auf einmal eine Verstetigung oder an Bildung, an Freizeit. Das ist unsozial. Konsolidierung sein? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben in dieser Legislaturperiode beim Programm „Soziale Stadt“ den Rückwärtsgang eingelegt. Wir von Die Kanzlerin ist eine kluge Frau. Sie ist jetzt gerade der SPD – Sie könnten uns folgen – wollen hier wieder irgendwo hier im Saal unterwegs; wahrscheinlich wirbt Gas geben und mehr Mittel einstellen, nämlich 700 Mil- sie für ihre Mietpreisbremse. lionen Euro, damit die Menschen mitentscheiden, mitge- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stalten und Anteil an der Zukunftsgestaltung ihrer Städte NEN]: Genau! Sie erklärt den Fraktionen ihre und Stadtteile nehmen können; denn die Menschen sind Mietpreisbremse!) die Seele unserer Städte und Gemeinden. Sie hat die Notbremse gezogen und schließt sich jetzt Wir wollen gemeinsam mit den Ländern, den Kom- (B) unserer Forderung an, eine solche Mietpreisbremse ein- munen, den Mieter- und Sozialverbänden, der Bau- und (D) zuführen – eine kluge Entscheidung, eine richtige Ent- Wohnungswirtschaft, den Wohnungsgenossenschaften scheidung. und den Gewerkschaften ein Bündnis für bezahlbares Wohnen und eine sozial gerechte Stadt schließen. Schlie- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ßen Sie sich uns an. Heute ist noch Zeit dazu. Wir sind NEN]: Sie hilft noch der FDP auf die Sprünge! den Menschen gegenüber dazu verpflichtet. Die Kanzlerin kümmert sich!) Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ha- ben heute die Möglichkeit, Ihrer Kanzlerin schon jetzt zu (Beifall bei der SPD) folgen: indem Sie unseren Anträgen zustimmen. Sie müssen nicht Ihren Parteitag abwarten, Sie können sich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: hier einen Ruck geben und eine Kehrtwende einlegen. Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kolle- Unterstützen Sie einfach unsere Anträge! gen Sebastian Körber. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] Sebastian Körber (FDP): [SPD]: Guter Vorschlag!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Genau, das ist ein guter Vorschlag. Wir sollten uns in dieser Debatte wieder den Zahlen und Fakten zuwenden. Schauen wir uns einmal die aktuellen Wir wollen nämlich eine Rückkehr zu einem sozial Zensusergebnisse an. Ich empfehle das besonders der ausgewogenen Mietrecht. Wir wollen, dass die Energie- Kollegin Künast und dem Kollegen Pronold; Frau wende und die energetische Sanierung sozial gerecht ge- Kumpf, ein Blick darauf würde auch Ihnen sicher nicht staltet werden. Wir wollen, dass die Maklergebühren neu schaden. geregelt werden: Wer bestellt, der bezahlt. (Ute Kumpf [SPD]: Lesen schadet nie!) Ein soziales Mietrecht ist die eine Seite. Dass neue Wohnungen gebraucht werden, ist die andere Seite. Da Sie kaprizieren sich hier immer auf die Mietmärkte in sind wir uns auch einig, glaube ich. Deutschland. Schauen wir uns einfach einmal an, welche Leerstände bei uns in Bayern – lieber Kollege Pronold, Dafür müssen Sie aber die entsprechenden Instru- ich spreche Sie da besonders an – teilweise herrschen. mente in die Hand nehmen. Deswegen sind wir dafür, Bei mir zu Hause in Oberfranken haben wir eine Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30731

Sebastian Körber (A) Leerstandsquote von etwa 5,4 Prozent. In den östlichen Leutheusser-Schnarrenberger hat, wie ich finde, ein sehr (C) Teilen Deutschlands liegt sie teilweise bei 10 Prozent. gutes Gesetz vorgelegt, das dazu beiträgt, dass wieder gezielt Anreize gesetzt werden. Ihre Vermögensteuer- Es ist doch augenscheinlich, dass man in Ballungsräu- pläne würden dazu führen, dass es sich bald für nieman- men, in denen die Leerstandsquote ganz minimal ist, den mehr lohnt und es für niemanden einen Anreiz gibt, wenn wir sie dort überhaupt noch vorfinden, neue Woh- ein Haus zu bauen oder zu kaufen und zu sanieren. Da nungen bauen muss; denn zusätzlichen Wohnraum kann können wir Sie nicht herauslassen, und das werden wir man dort ausschließlich in Form von Neubau schaffen. auch nicht. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass es sich auch lohnt und rechnet, Neubau in den Ballungsräumen in Wenn ich mir jetzt Ihre Pläne von der sogenannten Deutschland zu betreiben. Mietpreisbremse anschaue, dann frage ich mich, was Sie da eigentlich machen wollen. Sie wollen regulativ ein- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) greifen, sodass bald bestimmte Mieten vorgegeben wer- Es ist klar, das wir Anreize setzen müssen, um die Inves- den. Das wollen Sie damit doch im Prinzip erreichen. titionen dort zu erhöhen, etwa durch eine degressive (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- AfA. NEN]: Wer? Wir oder die Kanzlerin?) (Florian Pronold [SPD]: Warum haben Sie es denn nicht gemacht? Vier Jahre hatten Sie Das werden wir ganz klar ablehnen, weil dann überhaupt Zeit!) kein Anreiz mehr bestehen würde, Neubau zu betreiben. Diese Anreize würden zurückgesetzt. Schauen Sie sich die Zahlen des Zensus an – ich stelle sie Ihnen gerne zur Verfügung –: 60 Prozent der Miet- (Florian Pronold [SPD]: Reden Sie mit der wohnungen werden von privaten Vermietern vermietet. Kanzlerin oder vom SPD-Vorschlag? Wen Dazu gehören auch Eigentumswohnungen, Frau Kolle- meinen Sie denn?) gin Wagner. Eigentumswohnungen werden von den – Ich habe Ihnen zugehört, Herr Pronold. Sie dürfen sich Menschen nicht nur selbst genutzt, sondern auch vermie- da nicht in die Irre führen lassen: Sie setzen die Anreize tet, weil jemand beispielsweise seine Altersvorsorge da- einfach zurück. Es gibt dann für niemanden mehr einen durch absichert. Anreiz, etwas zu bauen. Das ist das Problem. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das dürfen wir nicht vergessen. Sie tun immer so, als ob der CDU/CSU) (B) in Deutschland eine ganz andere Welt herrscht. Schauen Sie sich doch die Zensuszahlen an; ich stelle (D) Wir haben als schwarz-gelbe Regierungskoalition sie Ihnen gleich gerne zur Verfügung. Was ist denn der schon sehr viele positive Punkte umgesetzt. Das hören nächste Schritt? Irgendwann wollen Sie dann auch noch Sie nicht so gerne; ich weiß. Dabei wissen Sie, dass das die Mieten staatlich festlegen. Das wäre eine „DDR wirklich gut ist. Schauen Sie sich nur einmal die light“. Planungsrechtsnovelle an, mit der wir den Kommunen (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gezielt Erleichterungen einräumen, sodass dort etwa NEN]: Genau! Freiheit statt Sozialismus!) Umnutzungen erfolgen können. Das ist zum Beispiel bei Konversionsflächen, bei alter Bausubstanz ganz wichtig, So etwas wollen doch eigentlich nur noch manche Kolle- weil diese dann einfacher umgenutzt werden können. gen von der Linken. So sieht das doch aus. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, hier (Beifall bei Abgeordneten der FDP) können wir die Kommunen nicht aus der Verantwortung entlassen. Das Baurecht in Deutschland sieht nun einmal Ich halte diesen Gutmenschenwahlkampf, den Sie so aus, dass die Kommune die Planungshoheit hat. hier vorgeben betreiben zu wollen, wirklich für grund- falsch. Sie spielen mit den Ängsten der Mieterinnen und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Mieter. Das ist falsch. Wir brauchen ausreichend bezahl- der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Richtig! baren Wohnraum. Das ist der beste Mieterschutz. Die müssen das Bauland schaffen und nicht wir!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Das hören Sie natürlich auch nicht gerne; denn die größ- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten Städte werden von der SPD regiert – allen voran der CDU/CSU) München, lieber Florian Pronold. Dort werden übrigens die Ziele, die der Münchner Oberbürgermeister sich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: selbst gesetzt hat, bei weitem nicht erfüllt. Damit schließe ich die Aussprache. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13552 an die in der Tagesordnung aufge- Wir haben auch mit dem Mietrechtsänderungsgesetz führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- die richtigen Anreize gesetzt, damit es sich etwa lohnt, verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos- energetisch zu sanieren. Frau Bundesministerin sen. 30732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Tagesordnungspunkt 5 b. Wir kommen zur Beschluss- Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 54 a bis 54 f (C) empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und sowie Zusatzpunkte 2 a bis 2 l auf: Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD 54 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge- sowie des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung „Programm ‚Soziale Stadt‘ zukunftsfähig weiterentwi- des Bundeszentralregistergesetzes und anderer ckeln – Städtebauförderung sichern“. Der Ausschuss registerrechtlicher Vorschriften zum Zweck der empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Zulassung der elektronischen Antragstellung sache 17/12453, den Antrag der Fraktionen von SPD bei Erteilung einer Registerauskunft und Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – – Drucksache 17/13616 – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung an- Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) genommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP, da- Innenausschuss gegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Abstimmung über die Beschlussempfehlung des b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- auf Drucksache 17/13776. Der Ausschuss empfiehlt rung des Handelsgesetzbuchs unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ab- – Drucksache 17/13617 – lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck- Überweisungsvorschlag: sache 17/12485 mit dem Titel „Bezahlbares Wohnen in Rechtsausschuss (f) der sozialen Stadt“. Wir stimmen nun über Buchstabe a Finanzausschuss

der Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO der SPD namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. – Sind c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dann eröffne ich die Abstimmung. Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Drucksache 17/13662 – Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Überweisungsvorschlag: Stimme noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Ausschuss für Arbeit und Soziales Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be- Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenar- (B) kannt gegeben.1) beit von Bund und Ländern in Angelegenhei- (D) ten der Europäischen Union (EUZBLG) Da wir jetzt eine Reihe von Abstimmungen durchzu- – Drucksache 17/13665 – führen haben, bitte ich Sie sehr, sich in die Reihen zu be- Überweisungsvorschlag: geben, damit die Übersichtlichkeit gewahrt bleibt. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp- Innenausschuss fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtent- Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie wicklung auf Drucksache 17/13776 fort. Haushaltsausschuss Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- e) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sache 17/12481 mit dem Titel „Wohnungsnot bekämp- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur fen – Sozialen Wohnungsbau neu starten und zum Kern Änderung des Europawahlgesetzes einer gemeinnützigen Wohnungswirtschaft entwickeln“. – Drucksache 17/13705 – Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Überweisungsvorschlag: dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Innenausschuss (f) ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitions- Rechtsausschuss fraktionen und die SPD. Die Linke war dagegen, Bünd- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union nis 90/Die Grünen haben sich enthalten. f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Oliver Krischer, Ute Koczy, Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der NIS 90/DIE GRÜNEN Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11696 mit dem Titel „Wohn- und Mietensituation von Studierenden ver- Nachhaltige und gerechte Rohstoffpolitik – bessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Innovationsstrategie für die Wirtschaft Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- – Drucksache 17/13568 – empfehlung ist angenommen mit dem gleichen Stim- Überweisungsvorschlag: menverhältnis wie bei der letzten Abstimmung. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und 1) Ergebnis Seite 30737 D Entwicklung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30733

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) ZP 2 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ e) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, (C) CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. setzes zu dem Vertrag vom 2. April 2013 über Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung den Waffenhandel Technikfolgenabschätzung (TA) – Drucksache 17/13708 – Konzepte der Elektromobilität und deren Be- Überweisungsvorschlag: deutung für Wirtschaft, Gesellschaft und Um- Auswärtiger Ausschuss (f) Rechtsausschuss welt

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Drucksache 17/13625 – Verteidigungsausschuss Überweisungsvorschlag: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Herlitzius, Daniela Wagner, Stephan Kühn, wei- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ausschuss für Bildung, Forschung und NIS 90/DIE GRÜNEN Technikfolgenabschätzung Weiterentwicklung der Stadtumbauprogramme f) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- Ost und West im Rahmen der Städtebauförde- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung rung (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- nung – Drucksache 17/12508 – Überweisungsvorschlag: Technikfolgenabschätzung (TA) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ökologischer Landbau und Bioenergieerzeu- Haushaltsausschuss gung – Zielkonflikte und Lösungsansätze c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo – Drucksache 17/13626 – Hoppe, Dr. Valerie Wilms, Ute Koczy, weiterer Überweisungsvorschlag: Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und DIE GRÜNEN Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Für universelle Nachhaltigkeitsziele – Entwick- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und lungs- und Umweltagenda zusammenführen Technikfolgenabschätzung – Drucksache 17/13727 – g) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- (B) (D) Überweisungsvorschlag: dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- Entwicklung (f) nung Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Technikfolgenabschätzung (TA) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Zukunft der Automobilindustrie Haushaltsausschuss – Drucksache 17/13672 – d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Dr. Bärbel Kofler, Dr. h. c. Gernot Erler, Ulla Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und tion der SPD Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Für eine nachhaltige Entwicklungsagenda ab Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2015 – Millenniumsentwicklungsziele und Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nachhaltigkeitsziele gemeinsam gestalten h) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- – Drucksache 17/13762 – dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Überweisungsvorschlag: (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und nung Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Technikfolgenabschätzung (TA) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Roh- und Werkstoffen für Hochtechnologien – Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Präzisierung und Weiterentwicklung der deut- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schen Rohstoffstrategie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Drucksache 17/13673 – Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Bildung, Forschung und Haushaltsausschuss Technikfolgenabschätzung 30734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) i) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- l) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- (C) auftragten für den Datenschutz und die Informa- auftragten für den Datenschutz und die Informa- tionsfreiheit tionsfreiheit Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit Tätigkeitsbericht 2011 und 2012 des Bundes- 2008 und 2009 beauftragten für den Datenschutz und die In- formationsfreiheit – Drucksache 17/1350 – – 24. Tätigkeitsbericht – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) – Drucksache 17/13000 – Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Überweisungsvorschlag: Geschäftsordnung Innenausschuss (f) Sportausschuss Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Rechtsausschuss Geschäftsordnung Finanzausschuss Sportausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Rechtsausschuss

Verbraucherschutz Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und

Ausschuss für Gesundheit Verbraucherschutz

Ausschuss für Tourismus Verteidigungsausschuss

Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus j) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- Ausschuss für Kultur und Medien auftragten für den Datenschutz und die Informa- Hier geht es um Überweisungen im vereinfachten tionsfreiheit Verfahren ohne Debatte. Tätigkeitsbericht 2009 und 2010 des Bundes- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an beauftragten für den Datenschutz und die In- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu formationsfreiheit überweisen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ge- schieht das so. – 23. Tätigkeitsbericht – Ich rufe die Tagesordnungspunkte 55 a bis o auf. Hier – Drucksache 17/5200 – handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Überweisungsvorschlag: (B) Innenausschuss (f) Tagesordnungspunkt 55 a: (D) Petitionsausschuss Sportausschuss Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Rechtsausschuss eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Finanzausschuss Änderung des Öko-Landbaugesetzes Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Drucksache 17/12855 – Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ausschuss für Gesundheit ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung cherschutz (10. Ausschuss) Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien – Drucksache 17/13736 –

k) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe- Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Georg von der Marwitz auftragten für den Datenschutz und die Informa- tionsfreiheit Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für Alexander Süßmair die Jahre 2010 und 2011 Cornelia Behm Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und – Drucksache 17/9100 – Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Überweisungsvorschlag: lung auf Drucksache 17/13736, den Gesetzentwurf des Innenausschuss (f) Bundesrates auf Drucksache 17/12855 in der Ausschuss- Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und fassung anzunehmen. Wer möchte dem Gesetzentwurf Geschäftsordnung Sportausschuss zustimmen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit Rechtsausschuss ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustim- Finanzausschuss mung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Oppositionsfraktionen haben sich enthalten. Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Dritte Beratung Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge Ausschuss für Kultur und Medien sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30735

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Dies ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen- Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und (C) verhältnis wie vorher angenommen. der Fraktion DIE LINKE Tagesordnungspunkt 55 b: Freiheit für Mumia Abu-Jamal Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- – Drucksachen 17/8916, 17/12923 – richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Berichterstattung: schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Abgeordnete Michael Frieser Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck Angelika Graf (Rosenheim) (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Annette Groth Die Anwendung der Administrativhaft und Volker Beck (Köln) willkürliche Festnahmen durch israelische Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- und palästinensische Sicherheitskräfte verur- lung auf Drucksache 17/12923, den Antrag der Fraktion teilen Die Linke auf Drucksache 17/8916 abzulehnen. Wer – Drucksachen 17/11166, 17/11742 – stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da- gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist

Berichterstattung: angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP

Abgeordnete Joachim Hörster und SPD. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten,

Günter Gloser die Linke hat dagegen gestimmt. Dr. Rainer Stinner Stefan Liebich Tagesordnungspunkt 55 e: Kerstin Müller (Köln) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- lung auf Drucksache 17/11742, den Antrag der Fraktion schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11166 abzu- dem Antrag der Abgeordneten Friedrich lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weite- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- fehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die NIS 90/DIE GRÜNEN Koalitionsfraktionen und Gegenstimmen durch die Op- Tiergerechte Legehennenhaltung stärken positionsfraktionen. – Drucksachen 17/12842, 17/13285 – (B) Tagesordnungspunkt 55 c: (D) Berichterstattung: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Abgeordnete richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Heinz Paula schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Dr. Christel Happach-Kasan Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck Alexander Süßmair (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Die Gaza-Blockade beenden lung auf Drucksache 17/13285, den Antrag der Fraktion – Drucksachen 17/11167, 17/11743 – Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12842 abzu- lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer Berichterstattung: stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- Abgeordnete Joachim Hörster fehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Günter Gloser Koalitionsfraktionen und Gegenstimmen durch die Op- Dr. Rainer Stinner positionsfraktionen. Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Tagesordnungspunkt 55 f: Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- lung auf Drucksache 17/11743, den Antrag der Fraktion richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11167 abzu- und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Karin stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- Binder, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeord- fehlung ist angenommen; die Koalition war dafür, die neter und der Fraktion DIE LINKE Opposition dagegen. Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Min- destnutzungsdauer für technische Produkte Tagesordnungspunkt 55 d: – Drucksachen 17/13096, 17/13696 – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Menschenrechte und Berichterstattung: Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag Abgeordnete Michael Brand der Abgeordneten Annette Groth, Katrin Werner, 30736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Horst Meierhofer Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (C) Ralph Lenkert tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Dorothea Steiner Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen war die Fraktion Die Linke, alle übrigen waren dafür. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/13696, den Antrag der Fraktion Tagesordnungspunkt 55 k: Die Linke auf Drucksache 17/13096 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- gegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung von SPD ausschusses (2. Ausschuss) und Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Sammelübersicht 593 zu Petitionen Fraktion Die Linke wurde die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen. – Drucksache 17/13504 – Tagesordnungspunkt 55 g: Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Gegenstimmen Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der Fraktion Die Linke; alle anderen waren dafür. richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 55 l: Änderung der Geschäftsordnung des Deut- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- schen Bundestages ausschusses (2. Ausschuss) hier: Elektronische Verteilung von Bundes- Sammelübersicht 594 zu Petitionen tagsdrucksachen (§§ 77, 112, 123 GO-BT) – Drucksache 17/13505 – – Drucksache 17/13654 – Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die Berichterstattung: Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Abgeordnete Bernhard Kaster Linke und Zustimmung aller anderen angenommen. Tagesordnungspunkt 55 m: Gisela Piltz Alexander Ulrich Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Volker Beck (Köln) ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer Sammelübersicht 595 zu Petitionen stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- (B) (D) fehlung ist einstimmig angenommen. – Drucksache 17/13506 – Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- titionsausschusses. tungen? – Damit ist die Sammelübersicht angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und Bünd- Tagesordnungspunkt 55 h: nis 90/Die Grünen. Linke und SPD waren dagegen, ent- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- halten hat sich niemand. ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 55 n: Sammelübersicht 590 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 17/13501 – ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 596 zu Petitionen Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. – Drucksache 17/13507 – Tagesordnungspunkt 55 i: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei ausschusses (2. Ausschuss) Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Fraktion Sammelübersicht 591 zu Petitionen Die Linke hat sich enthalten. – Drucksache 17/13502 – Tagesordnungspunkt 55 o: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- tungen? – Auch diese Sammelübersicht ist einstimmig ausschusses (2. Ausschuss) angenommen. Sammelübersicht 597 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 55 j: – Drucksache 17/13508 – Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung Sammelübersicht 592 zu Petitionen durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppo- – Drucksache 17/13503 – sitionsfraktionen waren dagegen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30737

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten 3 bis 6. Ich Zusatzpunkt 5: (C) rufe zunächst Zusatzpunkt 3 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Umset- mittlungsausschuss) zu dem Achten Gesetz zur zung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshil- schränkungen (8. GWB-ÄndG) ferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeR- – Drucksachen 17/9852, 17/11053, 17/11636, LUmsG) 17/13720 – – Drucksachen 17/12375, 17/12532, 17/12533, Berichterstattung: 17/12925, 17/13722 – Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb Berichterstattung: Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Abgeordneter Dr. Michael Meister Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge- wünscht? – Das ist ebenso nicht der Fall. Wir kommen Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – zur Abstimmung. Das ist nicht der Fall. Gibt es Erklärungen? – Das ist ebenso nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt- Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im lungsausschusses auf Drucksache 17/13722? – Wer Deutschen Bundestag über die Änderung gemeinsam ab- stimmt dagegen? – Das ist einstimmig, Enthaltungen zustimmen ist. Das gilt auch für die noch folgenden drei gibt es keine. Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Zusatzpunkt 6: Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver- mittlungsausschusses auf Drucksache 17/13720? – Die Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- empfehlung angenommen. Dagegen hat die Fraktion Die mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Struk- Linke gestimmt, alle anderen waren dafür. turreform des Gebührenrechts des Bundes Zusatzpunkt 4: – Drucksachen 17/10422, 17/12722, 17/13388, 17/13723 – Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- (B) Berichterstattung: (D) mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Verbes- Abgeordneter Jörg van Essen serung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Ver- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – besserungsgesetz – AltvVerbG) Das ist nicht der Fall. Gibt es Erklärungen? – Das ist ebenso nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. – Drucksachen 17/10818, 17/12219, 17/12220, Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt- 17/12628, 17/13721 – lungsausschusses auf Drucksache 17/13723? – Wer Berichterstattung: stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das war ein- Abgeordneter Dr. Michael Meister stimmig. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstim- Das ist nicht der Fall. Gibt es Erklärungen? – Das ist mung bekannt. Es ging um das Thema „Bezahlbares auch nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer Wohnen in der sozialen Stadt“ sowie die Drucksachen stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs- 17/12485 und 17/13776. Es wurden 567 Stimmen abge- ausschusses auf Drucksache 17/13721? – Gegenstim- geben, davon haben 306 Abgeordnete mit Ja gestimmt, men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit Nein haben 198 gestimmt, enthalten haben sich angenommen. Dagegen hat die Fraktion Die Linke ge- 63 Abgeordnete. Damit ist die Beschlussempfehlung an- stimmt, alle anderen waren dafür. genommen.

Endgültiges Ergebnis Ja Ernst-Reinhard Beck Wolfgang Bosbach Abgegebene Stimmen: 567; (Reutlingen) Klaus Brähmig davon CDU/CSU (Börde) Michael Brand Dr. ja: 306 Dr. nein: 198 Dr. enthalten: 63 Dorothee Bär Dr. Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Dr. Maria Böhmer Cajus Caesar 30738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Dr. (Münster) (C) Johannes Röring Florian Bernschneider Thomas Dörflinger Jürgen Klimke Dr. Christian Ruck Sebastian Blumenthal Marie-Luise Dött Erwin Rüddel Claudia Bögel Dr. (Weiden) Klaus Breil Manfred Kolbe Anita Schäfer (Saalstadt) Rainer Brüderle Ingrid Fischbach Dr. Dr. Wolfgang Schäuble Angelika Brunkhorst Hartwig Fischer (Göttingen) Hartmut Koschyk Dr. Dirk Fischer (Hamburg) Thomas Kossendey Karl Schiewerling Axel E. Fischer (Karlsruhe- Norbert Schindler Sylvia Canel Land) Helga Daub Dr. Maria Flachsbarth Rüdiger Kruse Georg Schirmbeck Reiner Deutschmann Klaus-Peter Flosbach Christian Schmidt (Fürth) Bijan Djir-Sarai Dr. Hermann Kues Patrick Döring Dr. Hans-Peter Friedrich Günter Lach Dr. Gerhard Drexler (Hof) Dr. Karl A. Lamers Nadine Schön (St. Wendel) Mechthild Dyckmans Michael Frieser (Heidelberg) Bernhard Schulte-Drüggelte Hans-Werner Ehrenberg Erich G. Fritz Andreas G. Lämmel Rainer Erdel Dr. Michael Fuchs Dr. Norbert Lammert (Weil am Jörg van Essen Hans-Joachim Fuchtel Rhein) Ulrike Flach Alexander Funk Ulrich Lange Otto Fricke Ingo Gädechens Dr. Max Lehmer Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Hans-Michael Goldmann Dr. Dr. Heinz Golombeck Ingbert Liebing Bernd Siebert Miriam Gruß Matthias Lietz Joachim Günther (Plauen) Dr. Johannes Singhammer Dr. Christel Happach-Kasan Josef Göppel Jens Spahn Heinz-Peter Haustein Peter Götz Dr. Jan-Marco Luczak Carola Stauche Manuel Höferlin Dr. Wolfgang Götzer Daniela Ludwig Dr. Ute Granold Dr. Michael Luther Birgit Homburger Reinhard Grindel Christian Freiherr von Stetten Heiner Kamp Hermann Gröhe Dr. Thomas de Maizière Dieter Stier Michael Kauch Michael Grosse-Brömer Hans-Georg von der Marwitz Gero Storjohann Dr. Lutz Knopek (B) Markus Grübel Pascal Kober (D) (Altötting) Max Straubinger Dr. Heinrich L. Kolb Monika Grütters Dr. Michael Meister Gudrun Kopp Dr. Angela Merkel Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. h.c. Jürgen Koppelin Lena Strothmann Sebastian Körber Dr. Dr. Michael Stübgen Holger Krestel Jürgen Hardt Philipp Mißfelder Dr. Patrick Kurth (Kyffhäuser) Antje Tillmann Heinz Lanfermann Dr. Matthias Heider Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Gerd Müller (Kleinsaara) Harald Leibrecht Mechthild Heil Stefan Müller (Erlangen) Stefanie Vogelsang Lars Lindemann Frank Heinrich Dr. Andrea Astrid Voßhoff Dr. Martin Lindner (Berlin) () Dr. Michael Link (Heilbronn) Michael Hennrich Dr. Erwin Lotter Dr. Georg Nüßlein Oliver Luksic Ernst Hinsken Franz Obermeier (Hamburg) Horst Meierhofer Peter Weiß (Emmendingen) Patrick Meinhardt Robert Hochbaum Sabine Weiss (Wesel I) Gabriele Molitor Franz-Josef Holzenkamp Dr. Michael Paul Jan Mücke Anette Hübinger Rita Pawelski Karl-Georg Wellmann Petra Müller (Aachen) Hubert Hüppe Dr. Peter Wichtel Burkhardt Müller-Sönksen Thomas Jarzombek Sibylle Pfeiffer Annette Widmann-Mauz Dr. Dieter Jasper Klaus-Peter Willsch (Lausitz) Dr. Elisabeth Winkelmeier- (Konstanz) Christoph Poland Becker Hans-Joachim Otto Dr. Egon Jüttner Dagmar G. Wöhrl (Frankfurt) Hans-Werner Kammer Eckhard Pols Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Steffen Kampeter Gisela Piltz Willi Zylajew Dr. Peter Ramsauer Jörg von Polheim Bernhard Kaster Dr. Christiane Ratjen- FDP Volker Kauder (Potsdam) Damerau Dr. Stefan Kaufmann Dr. Birgit Reinemund Christine Aschenberg- Dugnus Dr. Peter Röhlinger Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30739

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Dr. Stefan Ruppert Hans-Joachim Hacker Dr. Tobias Lindner (C) Björn Sänger (Schwandorf) Nicole Maisch Frank Schäffler Klaus Hagemann Werner Schieder (Weiden) Kerstin Müller (Köln) Christoph Schnurr Michael Hartmann (Aachen) Beate Müller-Gemmeke Jimmy Schulz (Wackernheim) Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Konstantin von Notz Marina Schuster (Peine) Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Erik Schweickert Swen Schulz (Spandau) Friedrich Ostendorff Judith Skudelny Rolf Hempelmann Dr. Hermann E. Ott Dr. Dr. Barbara Hendricks Lisa Paus Joachim Spatz Brigitte Pothmer Torsten Staffeldt Gabriele Hiller-Ohm Rita Schwarzelühr-Sutter Tabea Rößner Dr. Rainer Stinner (Essen) Sonja Steffen (Augsburg) Dr. Eva Högl Peer Steinbrück Dr. Christel Humme Dr. Frank-Walter Steinmeier Elisabeth Scharfenberg Serkan Tören Christoph Strässer Dr. Johannes Vogel Dr. ( Ulrich Schneider Lüdenscheid) Johannes Kahrs Dr. h.c. Dr. Daniel Volk Dorothea Steiner Dr. h.c. Susanne Kastner Franz Thönnes Dr. Claudia Winterstein Dr. Wolfgang Strengmann- Wolfgang Tiefensee Dr. Volker Wissing Kuhn Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Hans-Christian Ströbele Hans-Ulrich Klose Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Dr. Harald Terpe Astrid Klug Andrea Wicklein Nein Dr. Bärbel Kofler Heidemarie Wieczorek-Zeul Jürgen Trittin Daniela Kolbe (Leipzig) Dr. Dieter Wiefelspütz Daniela Wagner SPD Fritz Rudolf Körper Waltraud Wolff Beate Walter-Rosenheimer Ingrid Arndt-Brauer (Wolmirstedt) Arfst Wagner (Schleswig) Angelika Krüger-Leißner Dr. Valerie Wilms Heinz-Joachim Barchmann Ute Kumpf Josef Philip Winkler Doris Barnett Christine Lambrecht Manfred Zöllmer Dr. Hans-Peter Bartels Christian Lange (Backnang) Dr. Enthalten Bärbel Bas Steffen-Claudio Lemme BÜNDNIS 90/ DIE LINKE Sabine Bätzing-Lichtenthäler Gabriele Lösekrug-Möller DIE GRÜNEN Kirsten Lühmann Jan van Aken (B) Uwe Beckmeyer Kerstin Andreae Agnes Alpers (D) (Heidelberg) Katja Mast (Bremen) Dr. Dietmar Bartsch Gerd Bollmann Volker Beck (Köln) Karin Binder Klaus Brandner Petra Merkel (Berlin) Cornelia Behm Matthias W. Birkwald Willi Brase Ullrich Meßmer Birgitt Bender Heidrun Bluhm Dr. Agnes Brugger Steffen Bockhahn (Hildesheim) Franz Müntefering Viola von Cramon-Taubadel Eva Bulling-Schröter Ekin Deligöz Edelgard Bulmahn Dr. Rolf Mützenich Dr. Katja Dörner Marco Bülow Harald Ebner Martin Burkert Manfred Nink Sevim Dağdelen Hans-Josef Fell Petra Crone Thomas Oppermann Dr. Dr. Dr. Thomas Gambke Heidrun Dittrich Holger Ortel Martin Dörmann Aydan Özoğuz Werner Dreibus Elvira Drobinski-Weiß Katrin Göring-Eckardt Dr. Dagmar Enkelmann Heinz Paula Britta Haßelmann Johannes Pflug Ingo Egloff Bettina Herlitzius Wolfgang Gehrcke Joachim Poß Siegmund Ehrmann Priska Hinz (Herborn) Diana Golze Dr. h.c. Gernot Erler Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Annette Groth Petra Ernstberger Florian Pronold Bärbel Höhn Dr. Gregor Gysi Karin Evers-Meyer Dr. Ingrid Hönlinger Heike Hänsel Elke Ferner Inge Höger Stefan Rebmann Katja Keul Dr. Barbara Höll Dr. Gerold Reichenbach Susanne Kieckbusch Dr. Carola Reimann Memet Kilic Sönke Rix Sven-Christian Kindler Dr. Lukrezia Jochimsen René Röspel Maria Klein-Schmeink Iris Gleicke Dr. Ute Koczy Günter Gloser Karin Roth (Esslingen) Tom Koenigs Caren Lay Michael Roth (Heringen) Sylvia Kotting-Uhl Sabine Leidig Angelika Graf (Rosenheim) Marlene Rupprecht Oliver Krischer (Tuchenbach) Stefan Liebich Gabriele Groneberg Anton Schaaf Renate Künast Ulla Lötzer Michael Groß Axel Schäfer (Bochum) Markus Kurth Dr. Gesine Lötzsch Wolfgang Gunkel Bernd Scheelen Monika Lazar 30740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Ulrich Maurer Alexander Süßmair Halina Wawzyniak (C) Dorothée Menzner Michael Schlecht Dr. Kirsten Tackmann Katrin Werner Dr. Ilja Seifert Frank Tempel Jörn Wunderlich Kathrin Senger-Schäfer Dr. Raju Sharma Alexander Ulrich fraktionsloser Jens Petermann Dr. Kathrin Vogler Abgeordneter Richard Pitterle Johanna Voß Sabine Stüber Wolfgang Nešković

Jetzt rufe ich Zusatzpunkt 7 auf: schuldung, das ist in Wahrheit ein ordentlicher Schluck aus der Pulle. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜND- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: NIS 90/DIE GRÜNEN Nordrhein-Westfalen!) Gesamtvolumen der Wahlversprechen von Man muss sich das einmal vorstellen: 100 Milliarden Bundeskanzlerin Dr. Merkel – Auswirkungen Euro Neuverschuldung bei Rekordsteuereinnahmen! auf die Steuer- und Haushaltspolitik des Bun- Angesichts dessen ist es Heuchelei, wenn Sie sich am des Ende der Legislaturperiode vor den Wähler stellen und sagen: Wir haben ordentlich gewirtschaftet. – Das ist Ich gebe für die SPD-Fraktion dem Kollegen Heuchelei! Dr. Frank-Walter Steinmeier das Wort. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/ CSU]: Tätä! Tätä! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin aber auch sicher: Sie werden ab sofort nicht Am Wochenende war es so weit: Die Kanzlerin hat die einmal mehr heucheln können, Maske fallen lassen, und wir alle waren Zeugen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das können wir (B) (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ sowieso nicht!) (D) CSU]: Das passt doch nicht zu Ihnen! – Zurufe nachdem Ihre Parteivorsitzende am Wochenende das von der CDU/CSU: Oh! Oh!) Füllhorn über die ganze Republik ausgeschüttet hat. Die Sparen, Haushaltsdisziplin, Konsolidierung – das ist Katze ist damit aus dem Sack. Nichts gilt mehr von den die Botschaft, die wir gehört haben – war alles gestern, hehren Haushaltsgrundsätzen. Nichts gilt mehr von den was schert uns das noch? Das ist offensichtlich das Mus- Konsolidierungsversprechen. Wenn ich mir vor Augen ter, nach dem Sie erneut auf Wählerfang gehen wollen. führe, was Sie planen, dann komme ich zu dem Schluss, Sie alle von FDP, CDU und CSU machen sich zu Wie- dass Sie jetzt vorhaben, Party zu machen: ein Wochen- derholungstätern; denn genau mit dieser Masche haben ende, eine Telefonschaltkonferenz und zahllose Wahl- Sie im Sommer 2009 die Wähler gelockt – mit Wahlge- versprechen in Höhe von 46,5 Milliarden Euro. Finan- schenken und Steuersenkungen. zierung? Gegenfinanzierung? – Fehlanzeige! Wer will schon so kleinlich sein? (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gehalten haben Sie davon nichts, außer der Belohnung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einiger spendenfreudiger Großhoteliers. Stellen Sie sich nur einmal eine Sekunde vor: Irgendje- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ein Un- mand anderes hier im Haus wäre auf die Idee gekom- sinn!) men, Milliardenausgaben ohne einen einzigen Cent an Gegenfinanzierung vorzuschlagen. Was hätten Sie dann Vor vier Jahren war das Wahlbetrug. Seit dem Wochen- hier im Haus und in der Öffentlichkeit veranstaltet? Sie ende wissen wir: Den nächsten bereiten Sie gerade vor. nehmen für sich andere Maßstäbe in Anspruch. Das wer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich sage Ihnen: DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Volker Die Öffentlichkeit wird das auch nicht. Kauder [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vier Jahre haben Sie, meine Damen und Herren von Was wollen Sie machen?) der Koalition, gemeinsam den Bürgern vorgemacht: Sparen ist erste Bürgerpflicht. – Gemeint haben Sie es Mir geht es gar nicht nur um das Volumen dessen, vor allem für andere: für Länder und Gemeinden sowie was Sie hier vorschlagen. Was mich wirklich aus der für Griechen und Spanier. Sich selbst aber haben Sie Haut fahren lässt, ist, wie dreist Sie den Wähler bei Ihren großzügig Kredit gegeben. 100 Milliarden Euro Neuver- Ankündigungen hinter die Fichte führen. Sie handeln Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30741

Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) nicht nur anders, als Sie es versprechen. Sie machen das gramm der Union, das im Übrigen erst in zwei Wochen (C) genaue Gegenteil. Ich nenne als Beispiel Mieten und beschlossen wird, versuchen SPD und Grüne nichts an- Wohnen. Vor zwei Monaten – daran erinnern wir uns alle deres als ein ziemlich plumpes Ablenkungsmanöver. noch sehr gut – prügeln Sie mit Ihrer Mehrheit hier im Ihre Panik, Herr Steinmeier, war mit Händen zu greifen. Deutschen Bundestag das Mietrechtsänderungsgesetz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- durch das Parlament, ein paar Wochen später auch durch rufe von der SPD) den Bundesrat. Ihre Leute brüsten sich bei „Haus & Grund“ und anderen Organisationen damit, dass jetzt Das ist ein Ablenkungsmanöver, weil doch Ihre Pro- endlich eine Besserstellung von Vermietern und Eigentü- gramme, die Programme der Grünen und der SPD, in der mern erreicht sei. Öffentlichkeit zu Recht mit Pauken und Trompeten durchgefallen sind. Beifall fanden sie überhaupt nur (Patrick Döring [FDP]: Das Gleichgewicht ist noch bei der Linkspartei. hergestellt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Es ist wahr: Tatsächlich führt das, was Sie gemacht ha- der FDP) ben, zu einer Schlechterstellung der Mieter. Ich erinnere mich sehr gut, dass wir hier im Hause noch einen Antrag Ihr Programm des Abkassierens, des Bevormundens, auf Einführung einer Kappungsgrenze bei Neuvermie- wäre ein Abstiegsprogramm für Deutschland mit schlim- tungen gestellt haben. Sie haben gesagt: „Das ist Sozia- men Folgen für den Arbeitsmarkt. Darin waren sich na- lismus“, und haben das abgelehnt. Jetzt erklären Sie ab hezu alle Kommentatoren einig. Ich zitiere aus dem sofort: Die Kappungsgrenze ist richtig. – Das müsste Ih- Handelsblatt: nen doch die Schamesröte ins Gesicht treiben. (Lachen bei der SPD – Peer Steinbrück [SPD]: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aus dem Handelsblatt!) DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] Was als Angriff auf Reiche daherkommt, trifft in [SPD]: Das ist schamlos!) Wahrheit aber auch die Mittelschicht. Und könnte In Wahrheit bekommen Sie am Ende der Legislatur- der Wirtschaft schweren Schaden zufügen. periode ein bisschen Panik, weil Sie die ganze Zeit die Weil Ihnen das sicher lieber ist, zitiere ich aus dem Krise in Europa benutzt haben, um sich zu verstecken Spiegel. Der ist nun nicht das Zentralorgan der deut- und das Nichtstun zu rechtfertigen. Es kommt nicht von schen Wirtschaft: ungefähr, wenn wir feststellen: Ihre Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode 45 Gipfel veranstaltet, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das weiß man nicht!) (B) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: So wenig? Gefühlt waren es doppelt so Die Pläne der Partei belasten keineswegs nur Top- viele!) verdiener. Hauptverlierer sind die Angehörigen der Mittelschicht. 45 Gipfel, auf denen nichts entschieden worden ist. Das ist Organisation von Stillstand. Aber das ist keine Zu- (Volker Kauder [CDU/CSU]: „Grün am kunftsgestaltung. Steuer, das wird teuer!“) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Meine Damen, meine Herren, Ihre Politik gefährdet DIE GRÜNEN) Arbeitsplätze und damit stabile Sozialkassen und die Steuereinnahmen unseres Staates. Wer die Wirtschafts- Die Gegenwart beschwören, niemanden beunruhigen kraft eines Landes untergräbt, landet im Schuldensumpf. und Hoffen auf bessere Tage, das ist jedenfalls keine Sie haben eben nicht begriffen, dass wir die Rekordein- Politik. In die Zukunft kann man sich nicht hineinschlei- nahmen, die wir heute haben, der Rekordbeschäftigung chen. Die muss man an den Hörnern packen. Man muss verdanken und dass Rekordbelastungen beides gefähr- sie gestalten. Genau das tun Sie nicht, weil Sie Angst da- den und den Abstieg unseres Landes bedeuten. Deswe- vor haben. gen verstehen Sie auch nicht, warum für uns eine konse- Herzlichen Dank. quente Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Bettina Hagedorn [SPD]: 100 Milliarden DIE GRÜNEN) Euro neue Schulden!) und Zukunftsinvestitionen zusammengehören. Durch die Vizepräsident Eduard Oswald: Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung stärken wir Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für Wachstum und Beschäftigung und erarbeiten uns Spiel- die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Hermann räume, die ohne Frage begrenzt sind. Nicht alles, was Gröhe. Bitte schön, Kollege Hermann Gröhe. wünschenswert ist, ist auch machbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Florian Pronold [SPD]: Distanzieren Sie sich jetzt von Frau Merkel?) Hermann Gröhe (CDU/CSU): Manches wird nur schrittweise möglich sein. Wir brau- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- chen die Bereitschaft, Prioritäten zu setzen. Diese Priori- ren! Mit ihrem eher peinlichen Getöse zum Wahlpro- täten hat unsere Parteivorsitzende, die Bundeskanzlerin, 30742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Hermann Gröhe (A) eindeutig genannt: Familie, Bildung und Forschung, serer Gesellschaft, in unsere Familien und in Bildung (C) Infrastruktur. Damit stärken wir den Zusammenhalt in und Forschung. unserer Gesellschaft und die Zukunftsfähigkeit unseres Herzlichen Dank. Landes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ruf des Abg. Anton Schaaf [SPD]) Vizepräsident Eduard Oswald: Wir dürfen aber nicht nur in die Wahlprogramme Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für schauen. Schauen wir uns die Taten an. die Fraktion Die Linke unser Kollege Dr. Gregor Gysi. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bitte schön, Kollege Dr. Gregor Gysi. DIE GRÜNEN: Oh! – Anton Schaaf [SPD]: (Beifall bei der LINKEN) Jetzt geht es aber los! – Peer Steinbrück [SPD]: Es ist auch nicht mehr viel Zeit!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): – Hören Sie zu! – Jetzt zeigt sich bei den Roten hoffent- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich lich bald Schamesröte. Dreimal hat Ihnen der Landes- es richtig verstanden habe, fordert die Kanzlerin vor den verfassungsgerichtshof in Nordrhein-Westfalen die Ver- Wahlen Folgendes: eine Mietpreisbremse, die Anerken- fassungswidrigkeit Ihrer Haushalte vorgeworfen. nung der Kindererziehungszeiten bei der Rente auch für (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- Kinder, die vor 1992 geboren wurden, höhere steuerliche NIS 90/DIE GRÜNEN]) Kinderfreibeträge, die vor allem den Besserverdienen- den deutlich mehr zugutekämen als den anderen. Zuletzt im März hat der Landesverfassungsgerichtshof Sie überführt, in verfassungswidriger Weise die Gerech- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tigkeit zwischen den Generationen mit Füßen zu treten. NEN]: Jetzt sagt er gleich, die Bundeskanzle- rin hat das Programm der Linken übernom- (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: War da men!) nicht auch etwas mit dem Bundesverfassungs- gericht?) Als Ausgleich für Haushalte mit geringerem Einkom- men fordert sie die Erhöhung des Kindergeldes von 184 Ähnliches hat der Landesrechnungshof der rheinland- auf 219 Euro pro Kind, und sie will mehr Geld für den pfälzischen Regierung bescheinigt. Straßenbau. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist unser (B) NEN]: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Programm!) (D) Pflastersteinen werfen!) – Ich habe da eine Frage: Wer hat eigentlich in den letz- Auf dem Weg zur Haushaltskonsolidierung sind Sie ten acht Jahren regiert? War das nicht die Bundeskanzle- nicht glaubwürdiger Mahner, sondern mehrfach erwisch- rin? ter Geisterfahrer. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sei Dank!) Die christlich-liberale Koalition hat bereits 2012 und Warum hat sie denn bisher nichts davon umgesetzt? damit vier Jahre vor der Zeit das Gebot der Schulden- bremse unserer Verfassung eingehalten. Zugleich haben (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wir mit dieser Politik Wachstum und Beschäftigung in neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE einer Weise gefördert, GRÜNEN) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Niedrig- Ich will zu ihren Gunsten annehmen, dass es ihre lohnsektor! Prekäre Beschäftigung! Leihar- selbstkritischste Rede war. Sie hat geschildert, was sie beit!) eigentlich hätte machen müssen, aber nicht gemacht hat. die es uns ermöglicht hat, in den letzten Jahren die Fami- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir lien um 4,6 Milliarden Euro im Jahr zu entlasten, schauen nicht in die Vergangenheit, sondern in 13 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Forschung die Zukunft!) zu investieren, die Kommunen milliardenschwer beim Nun stellt sich die nächste Frage, ob diese Selbstkritik zu Ausbau der Kitaplätze zu unterstützen und sie von Beträ- einer Besserung führt oder ob man nicht damit rechnen gen in Milliardenhöhe durch die Übernahme der Kosten kann, dass es umgesetzt wird. für die Grundsicherung im Alter zu entlasten. Herr Steinbrück, Sie werfen der Kanzlerin vor, dass Wir stehen dafür, diesen Kurs zu halten, konsequent sie vieles bei der SPD abgeschrieben hat. Als SPD wäre unseren Haushalt weiter in Ordnung zu bringen, uns ich sehr zurückhaltend, wenn ich sehe, was Sie alles bei nicht von Ihrer Schuldenmacherei anstecken zu lassen uns abgeschrieben haben – wenn ich darauf einmal hin- (Mechthild Rawert [SPD]: Sie lügen!) weisen darf. und zugleich in das zu investieren, was die Stärke unse- (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit und Bei- res Landes ausmacht, nämlich in den Zusammenhalt un- fall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30743

Dr. Gregor Gysi (A) Aber wer hat schon etwas dagegen, dass wir so erfolg- bieten lassen. Sagen Sie doch einmal, Sie seien auch da- (C) reich sind, dass die anderen bei uns abschreiben? Das für. Das wird spannend. Dann können wir das ja noch im müssen wir uns nicht gegenseitig vorwerfen. Juni beschließen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Immer (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie diese Urheberrechtsfrage!) bei Abgeordneten der SPD) Ich muss Ihnen auch sagen: Wirklich ernst ist es uns Die Kanzlerin folgt diesbezüglich Franz Müntefering mit der Mietpreisbremse. Wir haben sie schon im Januar und sagt, dass es falsch ist, Politiker an ihren Wahlver- vorgeschlagen. Neuvermietung ist kein Grund für eine sprechen zu messen. Ich aber sage Ihnen: Das ist der Mietsteigerung. Der Wert der Wohnung ist doch gar Kern des Problems. Diese falschen Wahlversprechen, nicht erhöht worden. Wieso sagt man, dass ein Mieter- die nicht erfüllt werden, erzeugen Politik- und Demokra- wechsel eine Mietsteigerung von 10, 20 oder 30 Prozent tieverdrossenheit. rechtfertigt? Das ist unerträglich, und wir müssen es (Otto Fricke [FDP]: Deswegen ist der Sozialis- endlich beenden, und zwar mit einem Gesetz. mus untergegangen!) (Beifall bei der LINKEN) Dass sie nicht erfüllt werden, Herr Kauder und Herr Ich habe gesagt, Herr Steinbrück, dass es noch eine Schäuble, haben Sie im Fernsehen bewiesen. Sie beide Frage gibt. Sie regiert seit acht Jahren. Vier Jahre davon haben erklärt, dass das Ganze unter einem Finanzie- waren Sie dabei. In dieser Zeit ist davon auch nichts um- rungsvorbehalt steht. Gleichzeitig erklären Sie: Steuer- gesetzt worden. Das will ich nur am Rande kritisch be- erhöhungen wird es nicht geben. Damit sagen Sie: Das merken. Auch das kann man ändern. Ganze fällt aus. (Peer Steinbrück [SPD]: Es hat sich vielleicht (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das erkläre ich einiges verändert, lieber Herr Gysi!) Ihnen noch!) Ich frage mich beim Mietrecht – Herr Steinmeier, das Selbst wenn es im Koalitionsvertrag stünde, was Sie mit haben Sie völlig zu Recht kritisiert –: Warum haben wir der FDP nicht schaffen, müssen Sie es nicht machen. nicht die Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken im Das kennen wir von der Rentenangleichung Ost und Bundesrat genutzt, um das zu stoppen oder wenigstens West. Diese steht in der Koalitionsvereinbarung, aber in den Vermittlungsausschuss zu schicken? Sie haben sie nicht umgesetzt. (Florian Pronold [SPD]: Weil damals Nieder- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) (B) sachsen noch nicht von Rot regiert war!) (D) Das haben Sie nicht gemacht. Dabei ist eine Regelung Es tut mir leid: Die Vorschläge der Bundeskanzlerin – das sage ich Ihnen – rechtsstaatlich abenteuerlich, sind offenkundig nur für die Mülltonne gedacht, zumin- nämlich die zur Zwangsräumung per einstweiliger Ver- dest dann, wenn die Regierung aus Union und FDP fort- fügung. Danach können Sie die Wohnung des Betroffe- gesetzt wird, was ich der Bevölkerung allerdings beim nen per einstweiliger Verfügung räumen lassen und brin- besten Willen nicht wünschen kann. gen den Betroffenen dadurch in Obdachlosigkeit. Danke schön. Kommt dann sechs Monate später in der Hauptsache eine gegenteilige Entscheidung, dann nützt ihm das gar (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nichts mehr. Das sind abenteuerliche Vorschläge. Ich neten der SPD) nehme an, irgendwann wird das Bundesverfassungsge- richt darüber entscheiden müssen. Vizepräsident Eduard Oswald: Die Vorschläge der Kanzlerin kranken im Kern an Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser drei Problemen: Die Union will erstens die Steuerunge- Kollege Patrick Döring. Bitte schön, Kollege Patrick rechtigkeit aufrechterhalten. Sie schließen Steuererhö- Döring. hungen für Reiche, für Vermögende, für Besserverdie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nende aus. Ich stelle daher die Frage: Woher soll das Geld für diese sozialen Versprechen kommen? Patrick Döring (FDP): (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sagen wir Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ihnen gleich!) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wahlpro- gramm der Union – Hermann Gröhe hat es gesagt – steht Das Zweite ist die soziale Schieflage. Ich habe schon ge- zur Diskussion. Es ist noch nicht einmal verabschiedet, sagt: Kinder von Menschen mit höheren Einkommen und schon sind Teile der Opposition so in Aufregung, werden bevorzugt. Das Dritte ist: Die FDP hat gesagt, dass diese Aktuelle Stunde beantragt wird. mit ihr können diese Vorschläge nicht umgesetzt wer- den. Die Kanzlerin sagt aber, dass sie weiterhin mit ih- (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wir ha- nen koalieren will. Es ist ein übler Trick, dass man im- ben es nicht veröffentlicht! – Renate Künast mer jemanden an der Seite hat, der Nein sagt, um dann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Aufre- zu sagen: Ich habe das Edle gewünscht, aber die FDP hat gung ist nur wegen der Bundesverfassungsge- mich daran gehindert. Das sollten Sie sich als FDP nicht richtsentscheidung!) 30744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Patrick Döring (A) In den vergangenen gut vier Jahren haben wir bewie- Jetzt wollen Sie nicht mehr dazu stehen. Jetzt erzählen (C) sen: Man kann Steuern senken, gleichzeitig Rekord- Sie den Menschen, es träfe ja vielleicht erst die Leute, mehreinnahmen erzielen und einen nahezu ausgegliche- die 60 000 Euro oder 80 000 Euro im Jahr verdienen, nen Haushalt vorlegen. Das ist solide Politik, liebe aber verschweigen die Abschaffung der Pendler- Kolleginnen und Kollegen. pauschale, die Abschaffung des Ehegattensplittings. Das trifft jeden hier in Deutschland, jeden Arbeitnehmer, und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) diesen Arbeitnehmern nehmen Sie mehr vom sauer ver- Wenn Sie uns Vorwürfe machen, wir hielten unsere dienten Geld. Sie streuen den Leuten Sand in die Augen, Versprechungen vor der Wahl nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – NEN]: Nach der Wahl! – Dr. Frank-Walter Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steinmeier [SPD]: Vor der Wahl schon!) NEN]: Was erzählen Sie für einen Müll? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜND- dann weise ich darauf hin, dass wir die Familien entlas- NIS 90/DIE GRÜNEN) tet und alles dafür getan haben, dass jene, die morgens aufstehen und arbeiten gehen, am Ende des Tages mehr Das Gleiche gilt für die Vermögensteuer. Da stellt haben als jene, die liegen bleiben, und wir haben keine sich Herr Steinbrück beim DIHK hin und sagt: Wir sind neuen Schulden gemacht. Das ist der Erfolg dieser Ko- für eine Vermögensteuer, aber gegen eine Substanz- alition und die Lehre aus der Krise in Europa. besteuerung. Eine Vermögensteuer, die die Substanz nicht angreift, gibt es nicht, liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – legen. Wer 1,5 Prozent vom Vermögen der Deutschen Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nehmen will, der soll es ihnen dann auch sagen. Wo haben Sie denn nicht mehr Schulden ge- macht? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Sie sind ein Dampfplauderer!) NEN]: Das ist falsch! Nicht nur der Deut- schen!) Verehrter Herr Gysi, es gibt Teile in den Vorschlägen der Union, die nicht mit dem Programm der FDP über- Es schmälert immer die Substanz, wenn man keine Ge- einstimmen. Das ist auch gut so; denn aus gutem Grund winne erwirtschaften kann. Sie wollen den Menschen sind die Liberalen eine eigenständige Partei, und die ans Ersparte und an die Betriebsvermögen. Das ist die Christlich Demokratische Union und die CSU sind ei- Realität. genständige Parteien. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (B) (D) (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist Widerspruch bei der SPD) uns in den letzten vier Jahren durchaus aufge- Gänzlich unverständlich ist, dass Sie dennoch immer fallen!) mehr Schulden machen wollen. In Wahrheit wollen Sie Aber wir haben in den vergangenen vier Jahren bewie- den Fiskalpakt nicht. sen: In den entscheidenden Punkten raufen wir uns zu- (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ohne uns sammen und erarbeiten gute Kompromisse. hätten Sie ihn gar nicht! – Bettina Hagedorn (Zurufe von der SPD) [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Das heißt: Leistungsgerechtigkeit statt Umverteilung, In Wahrheit wollen Sie nicht, dass ganz Europa den Weg solide Haushalte statt immer neue Schulden, meine sehr der Solidität einschlägt. Sie wollen nicht, dass ganz Eu- verehrten Damen und Herren. ropa spart, sondern Sie wollen hier in Deutschland mehr Steuern erheben, damit Sie mehr Schulden machen kön- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen und damit Sie mit Ihrem Freund in Paris die Welle des Schuldenmachens in ganz Europa wieder anschieben Schauen wir uns einmal die Programme an, die schon können. verabschiedet sind. Es ist bemerkenswert, wie oft die Spitzenpolitiker von Union und FDP erleben müssen, (Bettina Hagedorn [SPD]: Sie haben doch wie Herr Trittin, Herr Steinbrück, Herr Steinmeier und 100 Milliarden neue Schulden gemacht! – andere ihre eigenen Wahlprogramme verleugnen. Weitere Zurufe von der SPD) (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Was? – Es geht Ihnen nicht um Solidität und stabiles Geld. Es Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ geht um Inflation und um mehr Geld für den Staat, um DIE GRÜNEN]) mehr Schulden in Europa und darum, auch in Deutsch- land mehr Möglichkeiten für mehr Schulden zu schaf- Schauen wir doch einmal dort hinein. Sie haben mit Ih- fen. Das ist Ihr Versuch, meine sehr verehrten Damen ren Programmen das Ziel einer massiven steuerlichen und Herren. Erhöhung für die arbeitende Mitte der Bevölkerung ver- abschiedet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Sie reden Unsinn!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Du sollst nicht lügen! – Peer Im Kern geht es um eines: Leistungsgerechtigkeit Steinbrück [SPD]: Quatsch!) oder Umverteilung? Sie definieren Gerechtigkeit in die- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30745

Patrick Döring (A) sem Land ausschließlich über Umverteilung, und wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) – die Freien Demokraten, die bürgerliche Koalition – und bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: definieren Gerechtigkeit über Leistungsgerechtigkeit. Falsch!) Deshalb freuen wir uns darüber, dass jetzt 3 Millionen Wir können das fortsetzen: Auf Pump wollen Sie die Menschen mehr als zu Beginn unserer Wahlperiode Ar- beit haben. Darum freuen wir uns darüber, dass mehr nächsten vier Jahre 4,8 Milliarden Euro für das Betreu- ungsgeld aus dem Fenster schmeißen. Da springt hier Menschen selbstständig sind als zu Beginn dieser Wahl- der Herr Gröhe ans Rednerpult und spricht vom Schul- periode. densumpf. Lieber Herr Gröhe, Sie sind doch der größte (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- Ochsenfrosch des Steuer- und Schuldensumpfs der Ko- rufe von der SPD und der LINKEN) alition. Und darum freuen wir uns darüber, dass sich Leistung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lohnt. Wir glauben, dass es gut ist, den Menschen mehr und bei der SPD) Geld vom Brutto zu lassen, In der Amtszeit von Frau Merkel sind gesamtstaatli- (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Das glauben Sie che Schulden in Höhe von 500 Milliarden Euro gemacht doch selber nicht!) worden. wir glauben, dass es richtig ist, den Menschen ihr Er- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wovon spartes zu lassen und keinen Staat aufzubauen, der über- reden Sie eigentlich?) all nur eines kennt: mehr vom Geld der Bürger und mehr Die Bundesrepublik Deutschland hatte mal eine Staats- Schulden. Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen verschuldungsquote von 63 Prozent. Unter Frau Merkel und Kollegen. ist sie auf 82 Prozent gestiegen. Der deutsche Schulden- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) berg ist von 1,8 Milliarden Euro auf 2,2 Milliarden Euro gestiegen. Das heißt: Ein Viertel der gesamtstaatlichen Verschuldung in Deutschland sind Merkel-Schulden. Vizepräsident Eduard Oswald: Das ist Ihre Politik. Das ist Ihr Schuldensumpf, Herr Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für Gröhe. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Jürgen Trittin. – Bitte schön, Kollege Jürgen Trittin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hermann Gröhe [CDU/ CSU]: Peinlich! – Michael Grosse-Brömer Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) [CDU/CSU]: Haben Sie Aufputschmittel ge- (D) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf einer nommen, oder was? – Ingo Gädechens [CDU/ Telefonkonferenz ist sich die Kanzlerin treu geblieben. CSU]: Saaldiener! Bringen Sie Valium!) Sie hat Finanzzusagen und -versprechungen über 28 Milliarden Euro gemacht. Damit ist sie ihrer Tradi- Sie stehen im Wettbewerb mit Herrn Döring. Der tion treu geblieben. kommt hier nach vorne und verliert kein Wort darüber, (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Falsch!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Können Sie noch ein bisschen lauter schreien? Ich höre nichts! – Frau Merkel ist die Schuldenkanzlerin der Bundesrepu- Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Lauter!) blik Deutschland. dass die FDP auf ihrem Bundesparteitag Mehrausgaben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Höhe von 30 Milliarden Euro beschlossen hat, und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/ CSU und der FDP) (Zurufe von der CDU/CSU: Lauter! Lauter!) In den letzten vier Jahren wurden neue Schulden in ohne einen einzigen Euro gegenfinanziert zu haben. Höhe von 100 Milliarden Euro gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Patrick Döring [FDP]: Familien entlastet!) und bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: So ein Quatsch!) Sie haben den Mövenpicks in den letzen vier Jahren 4 Milliarden auf Pump finanzierte Euro geschenkt. Ihr Die FDP will den Soli abschaffen. Das macht Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat Bund, Länder und 13,6 Milliarden Euro. Die FDP will jene Steuerschlupf- Gemeinden in Deutschland in den letzten vier Jahren löcher in Deutschland einführen, die wir in Europa – in 32 Milliarden Euro gekostet. Holland und in Irland – gerade abschaffen wollen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie (Markus Grübel [CDU/CSU]: Da war es we- sollten Ihr Frühstück überprüfen! Sie haben gen der Kindergelderhöhung!) überhaupt nichts mitbekommen!) Auf das Ganze wollten Sie noch zusätzliche Schulden in Sie wollen aus Deutschland eine Steueroase für Groß- Höh e von 6,5 Milliarden Euro setzen, um die Besserver- konzerne machen. dienenden, die oberen 20 Prozent in diesem Lande, zu entlasten. Das ist Ihre Politik, mit der Sie Schulden (Patrick Döring [FDP]: Oasen sind besser als machen. Wüsten!) 30746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Jürgen Trittin (A) Das hilft dem Mittelstand nicht. Das hilft Amazon, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Google und Apple, aber nicht dem deutschen Mittel- und bei der SPD – Michael Grosse-Brömer stand. Das ist Ihre Politik. [CDU/CSU]: Klassenkampf!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Letzte Bemerkung. und bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) Deutschlands Wachstumsrate geht zurück, und zwar Jetzt sind Sie für eine Mietpreisbremse, von 0,6 auf 0,3 Prozent. Was muss man in so einer Situa- tion tun? Man muss investieren. Was aber macht Frau (Bettina Hagedorn [SPD]: Das war nicht so Merkel? Sie investiert nicht, sondern konsumiert. 27 ih- gemeint!) rer 28 Milliarden Euro fließen in direkte Transfers. So jetzt sind Sie dafür, dass wir keine Schulden mehr auf- sieht die Strategie zur Sicherung der Zukunft Deutsch- nehmen, dass die Renten erhöht werden usw. Ich sage lands aus. Ihnen eines: Sie hätten all das tun können. Sie hätten an dieser Stelle tatsächlich eine andere Politik machen kön- (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das ist nen; aber Sie haben es vier Jahre lang nicht gemacht. schlichtweg falsch!) (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Dem Land 1 Milliarde Euro darf der Herr Ramsauer für Investi- gehts so gut wie lange nicht mehr!) tionen ausgeben. Schauen Sie sich doch einmal das hier von einigen zitierte grüne Finanzprojekt an: 20 Prozent Jetzt stellen Sie sich hin und fordern das Gegenteil von der Ausgaben fließen in den Schuldenabbau; das ist übri- dem, was Sie machen. Ihre Spindoktoren nennen das gens die Vermögensabgabe. 40 Prozent unserer Ausga- „asymmetrische Demobilisierung“. Ich sage Ihnen: Man ben fließen in Investitionen in Bildung, in Energie und in braucht dafür gar kein Fremdwort. Das ist schlicht und Infrastruktur. Das sind fast 13 Milliarden Euro. Das ist ergreifend – auf Deutsch gesagt – Heuchelei. Sie haben das 13-Fache der Summe, die Ihre Kanzlerin einplant. die Heuchelei zum obersten Prinzip Ihrer Politik erklärt. Sie reden vom Investieren, aber Sie verjuxen das Geld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist Ihre Politik. Das ist wirtschaftspolitisch falsch. und bei der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das glaubt kein Mensch! Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird Ihnen niemand glauben!) und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Bravo!) Vizepräsident Eduard Oswald: (B) Sie sagen, Sie hätten das alles finanziert. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für (D) die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steffen Kampeter. Bitte schön, Herr Parlamentarischer NEN]: 13 Milliarden!) Staatssekretär. Da kommt mir ein schöner Verdacht auf. Wie wollen Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) denn die Mütterrente finanzieren? Wo wollen Sie das Geld denn hernehmen? Wenn Sie sie über die Rentenbei- Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bun- träge finanzieren wollten, dann müsste der Beitragssatz desminister der Finanzen: um 0,7 Prozentpunkte ansteigen. Reden Sie doch mal Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und mit dem DIHK darüber, wie viele Arbeitsplätze auf- Herren! Um Finanzminister zu werden, bedarf es mehr, grund höherer Arbeitskosten verloren gehen. Wenn Sie als nur einen grauen Anzug anzuziehen; es bedarf Solidi- die Mütterrente nicht auf Pump finanzieren wollen, müs- tät und Seriosität. sen Sie sie über höhere Beiträge finanzieren. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) Herr Kollege Trittin, ich bezweifle, dass Sie sich mit die- sem Auftritt vor dem Hohen Hause einen Gefallen getan Sie nehmen in der Familienpolitik Transfers vor. Aber haben. von diesen Transfers profitieren diejenigen, die am we- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nigsten haben, nämlich die 1,6 Millionen Kinder in Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor al- Deutschland, die in Bedarfsgemeinschaften leben, über- len Dingen muss er nicht so laut schreien!) haupt nicht. Die Hälfte der Steuererleichterungen im Rahmen des Familiensplittings, das Sie planen, würde Ich möchte der Opposition danken, dass sie diese Ak- bei den oberen 20 Prozent der Bevölkerung landen. An- tuelle Stunde zu Fragen der Haushaltspolitik beantragt ders gesagt: Anstatt in Infrastruktur und in Kitaplätze zu hat, investieren, anstatt dafür zu sorgen, dass die 220 000 (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das Kitaplätze, die noch fehlen, geschaffen werden, begös- war eine gute Idee!) sen Sie erneut Ihre Klientel. Schwarz-Gelb – das ist Poli- tik auf Pump zugunsten von Leuten, die es nicht nötig und zwar deswegen, weil so klar und deutlich wird, wo haben, das ist Politik für Transfers statt für Kindertages- die Unterschiede zwischen den finanzpolitischen Kon- stätten. zeptionen der Regierung und der Opposition liegen und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30747

Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter (A) was eigentlich die christlich-liberale Koalition mit ihrer Schwerpunktsetzung und solides Haushalten sind der (C) soliden Finanzpolitik in den letzten Jahren für Deutsch- Markenkern christlich-liberaler Finanz- und Wirtschafts- land geleistet hat. politik. Das ist der zentrale Unterschied. (Johannes Kahrs [SPD]: Nicht viel!) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Kollege Steinbrück, der es jetzt vorgezogen hat, Ich will auch dem Eindruck entgegentreten, Deutsch- das Hohe Haus zu verlassen, war der letzte Finanzminis- land habe ein Einnahmeproblem. Wir bekommen von ter der SPD. Sein Haushaltsentwurf, die Eröffnungs- den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Jahr deutlich bilanz dieser Koalition, hat eine Nettokreditaufnahme über 600 Milliarden Euro. Das Geld steht zuvorderst von über 80 Milliarden Euro binnen eines Jahres pro- nicht dem Staat, sondern natürlich den Bürgerinnen und gnostiziert. Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminis- Bürgern zu. Ohne Änderungen der steuerlichen Rahmen- ter der christlich-liberalen Koalition, wird Ende Juni gesetze und bei solidem, moderatem Wachstum haben einen Haushalt vorlegen, der einen strukturellen Aus- die Steuerschätzer für das nächste Jahr die 700 Milliar- gleich, also eine Null mit Perspektive vorsieht. Das sind den Euro fest angepeilt. Mit diesen 700 Milliarden Euro Qualitätsunterschiede in der Haushaltspolitik, die wohl kann man Politik machen; wenn man es will. Man muss kaum deutlicher sein könnten. aber ehrlich sagen, was geht, was wichtig ist, was weni- ger wichtig ist. Ein Spruch Willy Brandts lautete „Mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Demokratie wagen“, bei Steinbrück und Trittin heißt es: Wir haben in dieser Legislaturperiode alle zusätzlichen „Mehr Belastung wagen“. Armseliger kann ein Zu- politischen Schwerpunkte ohne Steuererhöhungen finan- kunftsgestaltungsanspruch einer Oppositionspartei kaum ziert. Man kann Politik auch ohne Abkassieren machen, noch sein. meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist das Credo einer verantwortlichen Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bei entsprechenden Einnahmen kann man sich über- legen, wo man in Deutschland noch Gerechtigkeits- Herr Kollege Steinmeier, die von Ihnen als Kanzler- lücken schließen will. Kollege Trittin hat eben die Müt- amtsminister verantworteten Hartz-IV-Regeln sind we- terrenten angesprochen gen Verfassungswidrigkeit sämtlich vom Verfassungsge- richt einkassiert worden. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: 30 Milliarden!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ehegattensplitting!) und in dem Zusammenhang gesagt, da würde Geld (B) verjuxt. Schlimmer kann man die Lebensleistung von (D) Wir konnten in dieser Legislaturperiode die Gerechtig- Müttern in diesem Land nicht verachten als durch diese keitslücke bei Hartz IV mit dem Bildungs- und Teilhabe- herablassende Bemerkung. paket, aus unserem Haushalt finanziert, schließen. Das ist konkrete Haushalts- und Solidaritätspolitik der christ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – lich-liberalen Koalition. Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Trittin, Sie sollten sich für diese Entglei- sung entschuldigen. Wir haben 50 Prozent mehr in Bildung und For- schung investiert. Wir haben mit der Finanzierung der (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Grundsicherung im Alter für die größte Entlastung der Schämen sollte er sich!) Kommunen – weit über 20 Milliarden Euro – gesorgt In dieser Debatte muss ein weiterer Punkt klar und und haben jede Steuermehreinnahme für die Absenkung deutlich herausgestellt werden – Kollege Döring hat da- der Nettokreditaufnahme verwendet. rauf hingewiesen –: die Mär, dass die Belastungsoffen- (Lachen der Abg. Renate Künast [BÜND- sive, die Rot-Grün vorschlägt, nur wenige Menschen in NIS 90/DIE GRÜNEN]) diesem Land trifft. So muss man es machen. Es gibt keinen Zusammenhang (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- zwischen solider Haushaltspolitik und ständigen Steuer- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die Gegenfi- erhöhungen. Das Gegenteil ist richtig. Man muss den nanzierung? Sie verarschen doch die Leute!) Haushaltsausgleich wollen, nicht nur Steuererhöhungen, Die SPD sagt immer: Wir holen es uns bei den Freibe- meine sehr verehrten Damen und Herren. ruflern, die haben es sowieso dicke. Das würde bedeu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten: weniger Arbeitsplatzsicherheit für die Rechtsan- waltsgehilfin oder für den medizinisch-technischen Das gilt nicht nur für den Bundeshaushalt; es gilt auch Assistenten. Der Kollege Trittin schlägt vor, die Vermö- für die Sozialversicherungen. Wer bei den Sozialversi- gensabgabe auch auf Wohneigentum zu erheben. Das be- cherungen solide wirtschaftet, kann beispielsweise, wie deutet Mieterhöhungen für die Mieterinnen und Mieter wir es getan haben, den Rentenversicherungsbeitrag sen- in Deutschland. ken oder – das wurde liebevoll von Ihnen unterstützt – die Eintrittsgebühr für Arztpraxen abschaffen. Politische (Patrick Döring [FDP]: So ist das!) 30748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter (A) Wenn ich lese, was Sie in Bezug auf die betriebliche Bereichen einen starken Staat. Aber wir glauben zuvor- (C) Substanzbesteuerung vorhaben, kann ich nur sagen: Das derst, dass die Eigenverantwortung, die Leistungsfähig- ist ein brutaler Angriff auf den Mittelstand, auf seine In- keit der Bürgerinnen und Bürger respektiert und nicht vestitionskraft, und das ist ein Angriff auf die Zukunft überfordert werden darf. Deswegen treten wir für eine Deutschlands. Es betrifft uns alle, was in diesen Steuer- Ausgabendiät ein. Wir glauben, dass es Belastungsgren- plänen enthalten ist. zen gibt und dass Rot und Grün mit diesem Programm dieses Land niemals regieren sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Als ganz besonders zynisch, Herr Kollege Trittin, empfinde ich Ihre Argumentation in Bezug auf die von Ihnen geforderte private Vermögensabgabe, die die Grü- Vizepräsident Eduard Oswald: nen als solitär bezeichnen. Sie soll von Privatpersonen Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokra- erhoben werden. In einem Interview haben Sie gesagt: ten ist der Kollege Carsten Schneider. Bitte schön, Kol- Die Betroffenen können ja eine GmbH gründen. lege Carsten Schneider. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ NEN]: Nein, nein, nein!) CSU]: Lassen sie den Steinbrück wieder nicht reden?) – Ja, ja, das war Ihr Tenor: Man soll also in eine Kapital- gesellschaft flüchten. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich NEN]: Nein, gerade nicht!) hatte gedacht, dass der Herr Staatssekretär die Gelegen- heit wahrnimmt, die Pläne der CDU, der er ja angehört, Lieber Herr Kollege Trittin, das alles macht deutlich, zum Wahlprogramm 2013 – dabei geht es um die wie sehr Sie gegen das private Eigentum eingestellt sind. nächste Legislaturperiode – mit zu erklären. Er hat aber Das ist nichts anderes als eine Einladung zum Ausver- gar keine Zeit darauf verwandt. Im Gegenteil, er hat kauf der deutschen Wirtschaft, insbesondere der kleinen nicht einmal Zeit darauf verwandt, darauf hinzuweisen, und mittelständischen Strukturen, durch ausländische In- dass es diese Koalition aus Schwarz und Gelb geschafft vestoren. hat, in vier Jahren größten Wachstums, höchster Steuer- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und einnahmen und niedrigster Arbeitslosigkeit immer noch der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ neue Schulden – 100 Milliarden Euro – aufzunehmen. DIE GRÜNEN) (B) Herr Döring, Sie haben vorhin gesagt, Sie würden so- (D) Der Vorsitzende des Verbandes der Familienunterneh- lide wirtschaften. Wissen Sie eigentlich, was für Haus- mer hat alle Abgeordneten auf den Aspekt hingewiesen, halte Sie hier jedes Jahr beschlossen haben? dass die eigentumsfeindliche Politik von Rot und Grün (Patrick Döring [FDP]: Ja!) die Verlagerung von Kapitalien ins Ausland besonders befördert und die Eigentümerstruktur in Deutschland ge- Jedes Jahr war die Ziffer rot. Sie schaffen es nicht einmal fährdet. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die Sie für das Jahr 2014 – wo wir doch wirklich Rekordsteuer- mit Ihren rot-grünen Steuerplänen ins Mark treffen, sind einnahmen haben –, eine Null hinzubekommen. das Rückgrat des Wohlstandes unseres Landes. Viele fleißige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den kleinen (Patrick Döring [FDP]: Wir haben gesehen, wie und mittleren Unternehmen haben Deutschland nach viel Mehrausgaben Sie beantragt haben!) vorne gebracht. Sie wollen das Fundament unserer Zu- Nein, jedes Jahr haben Sie neue Schulden gemacht. kunft durch diese Belastungsoffensive zerstören. Das ist ein Angriff auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. (Patrick Döring [FDP]: Abwegig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bei der Wahl 2009 haben Sie versprochen, die Steu- ern zu senken. 2013 verspricht die CDU, jede Menge SPD und Grüne können sich nicht vorstellen, mit dem neue Sozialleistungen rauszuhauen, die überhaupt nicht Geld der Bürger verantwortungsvoll umzugehen. gegenfinanziert sind. Sie wollen die Sozialkassen weiter (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des plündern, den Sozialstaat unterhöhlen. Damit kündigen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie wieder die nächste Wahllüge an. Ich finde, es ist abenteuerlich, das aus dem Munde eines Bundesfinanz- Das Einzige, was Ihnen zur politischen Lösung von Pro- ministers zu hören. blemen einfällt, ist, bei den Bürgerinnen und Bürgern mehr einzufordern, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Um- verteilung ist das!) Sie stehen damit, meine ich, klar in der Tradition des- jenigen, der hier gestern in der Aktuellen Stunde vertei- um es ihnen dann möglicherweise wieder zurückzuge- digt hat, dass er von nichts eine Ahnung hat. Er führt ben, also das Prinzip: rechte Tasche, linke Tasche. Unser zwar das Verteidigungsministerium und ist für die Be- Verständnis von Bürgern ist ein anderes. Wir glauben an schaffung von Flugzeugen im Wert von 1 Milliarde Euro einen wirkmächtigen Staat. Wir brauchen in bestimmten zuständig, hat aber keine Ahnung, ist nicht informiert Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30749

Carsten Schneider (Erfurt) (A) worden. Wahrscheinlich ist es bei Ihnen in der Partei im- Sie sich einigermaßen ernst nehmen würden, könnten (C) mer so, dass man nicht richtig weiß, was man tut. Das Sie nicht – wie Herr Ramsauer das getan hat – für Eigen- wahre Problem in Deutschland ist, dass Sie mit dem heimzulagen in Höhe von 8 Milliarden Euro sein. Dann Geld der Steuerzahler nicht solide umgehen. können Sie auch nicht, wie die FDP, für die Abschaffung des Solis – das macht 13 Milliarden Euro aus – sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Auch können Sie dann nicht – nachdem Sie den Staat fi- DIE GRÜNEN) nanziell ausgehöhlt haben – auf der anderen Seite Mehr- Ich komme zum Thema Wachstum. Zu Beginn dieser ausgaben in der Größenordnung von Milliarden planen, Koalition hatte Deutschland ein Wachstum von fast die nicht zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und zu 4 Prozent. Wie viel haben wir dieses Jahr noch? – mehr Gerechtigkeit in Deutschland führen. 0,4 Prozent! Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Das ist, Vielen Dank. finde ich, alles andere als ein Erfolgsausweis. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Patrick Döring [FDP]: In ganz Europa DIE GRÜNEN) schrumpft die Wirtschaft!) Deswegen ist es wichtig und richtig, klar zu fragen: Was Vizepräsident Eduard Oswald: muss man daran eigentlich ändern? Herr Trittin hat zwei Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für wichtige Punkte genannt. Die hat Ihnen die EU-Kom- die Fraktion der FDP unser Kollege Otto Fricke. Bitte mission im Übrigen in der vorigen Woche ins Stamm- schön, Kollege Otto Fricke. buch geschrieben. Das Erste ist: Es muss damit aufge- hört werden, von der Substanz zu leben. Das heißt, es (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten muss mehr investiert werden. In Ihrer Regierungszeit der CDU/CSU) sind die Investitionen in Deutschland gesunken. Otto Fricke (FDP): Der zweite Punkt betrifft die Bildung. Um langfristig in Deutschland leistungsstark zu bleiben, ist entschei- Geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dend, dass wir in die Köpfe unserer Kinder investieren. ren! Es geht hier um Wahlversprechen und den Vorwurf der Wahllüge. An die Adresse der SPD muss ich sagen: Was tun Sie an dieser Stelle? Ich kann verstehen, dass Sie sich mit dem Thema Wahl- (Zuruf von der CDU/CSU: Was tut die SPD? lügen beschäftigen, aber nur, weil Sie mit der größten Und was tun die Landesregierungen?) Wahllüge in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- land Erfahrungen gemacht haben. Sie haben doch gesagt: Nichts! Im Gegenteil, Sie wollen für das Ehegattensplit- 18 Prozent Mehrwertsteuer gibt es mit uns nie! Kaum (B) ting eine neue steuerliche Leistung in Höhe von 30 Mil- (D) hatten Sie eine Koalition mit der CDU/CSU gebildet, ha- liarden Euro – das nennt sich dann Familiensplitting – ben Sie aber gesagt: 19 Prozent Mehrwertsteuer gibt es einführen, ohne etwas dafür zu tun, dass jedes Kind ei- mit uns auf jeden Fall. nen Kindergarten- bzw. Krippenplatz bekommt und je- der, der sich darum bewirbt, einen Platz an der Universi- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die wollten ja tät erhält, an der er exzellent ausgebildet wird. Das noch mehr!) wären die Zukunftsaufgaben für Deutschland. So viel zum Thema Wahllügen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie haben in dieser Legislaturperiode 100 Milliarden der CDU/CSU) Euro neue Schulden aufgenommen, und Sie haben es Es gibt eigentlich nur ein vernünftiges Wahlgeschenk, nicht geschafft, die 20 Milliarden Euro, die dafür einge- das man als Politiker dem Bürger machen kann: solide setzt wurden, um 2009 die Konjunktur wieder in Gang Haushalte und eine stabile Währung. Alles andere ist zu bringen, zu tilgen. Das ist nicht passiert. Daran rühren kein Geschenk an die Bürger. Nichts anderes können wir Sie nicht: Sie tilgen sie nicht, obwohl die wirtschaftliche machen; denn es geht nicht um unser Geld, sondern um Lage exzellent ist. das Geld der Bürger. Wir haben die Verantwortung, für Wir müssten – als Sozialdemokraten stehen wir dafür Stabilität zu sorgen, und das haben wir in den letzten vier – die Subventionen in Deutschland streichen. Haben Sie Jahren getan. das getan? Oder haben Sie Subventionen erhöht? Sie ha- Zu den Vorwürfen, die hier geäußert wurden, und zu ben mit dem Hotelsteuerprivileg – auch Herr Trittin hat der Schwarzmalerei will ich Folgendes sagen: Ich bitte, darauf hingewiesen – den Hoteliers knapp 5 Milliarden irgendwann einmal zu erkennen, dass wir nicht auf einer Euro in die Tasche gesteckt. Das Ganze haben Sie mit Insel leben, sondern in einer globalisierten Welt. Was Steuergeld subventioniert. Das Ergebnis Ihrer Politik sagen Ihnen die Leute, die nur 1 Kilometer hinter der sind höhere Schulden. deutschen Grenze leben? Die sagen: Mensch, die Haus- Deswegen kann ich, meine sehr verehrten Damen und haltszahlen, die die schwarz-gelbe Koalition geschaffen Herren, nur zu dem Schluss kommen, dass Sie selbst hat, die hätte ich gerne in unserem Land; dann ginge es nicht mehr glauben, für die Vorschläge, welche die uns besser. Die Wirtschaftszahlen, die Schwarz-Gelb in Union hier heute oder in den vergangenen Tagen vorge- den letzten vier Jahren erreicht hat, die hätte ich gerne; legt hat, Verantwortung übernehmen zu können. Auch dann ginge es uns besser. Die Arbeitslosenquote, die glauben Sie nicht, sie umsetzen zu können; denn wenn Schwarz-Gelb gesenkt hat, hätte ich gerne; dann ginge 30750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Otto Fricke (A) es uns besser. So sichere Renten wie in Deutschland (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) hätte ich gerne; dann ginge es uns besser – usw. Sie entlasten nur die oberen 10 Prozent!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die 10 Prozent entsprechen 5 Millionen Steuerzahlern, der CDU/CSU) 5 Millionen Bürgern dieses Landes, die viel dafür tun, dass es in diesem Land vorangeht. Diese 5 Millionen Das wollen Sie einfach nicht wahrhaben. Sie schauen Leute sind Ihnen vollkommen egal. Das ist Ihre Politik nur auf den eigenen Bauchnabel. gegenüber den Menschen, die in diesem Land Leistung Ich will noch etwas anderes sagen: Wir müssen im- erbringen. mer wieder verdeutlichen, wie das politische Spiel leider oft läuft. Jeder Politiker, der sagt: „Das ist ein guter (Beifall bei der FDP) Grund, mehr Geld auszugeben, und das ist auch ein guter Ich will noch etwas zur SPD sagen. Herr Steinmeier Grund, mehr Geld auszugeben“, der bekommt von den ist jetzt leider auch nicht mehr da. – Doch, er sitzt dort Betroffenen immer Zustimmung. Das findet man gut. hinten. Ich bitte um Entschuldigung. – Herr Steinbrück Das ist anders bei demjenigen, der sagt: Ich finde das hat hier immer wieder gesagt, dass sich die SPD auch ein auch nicht schlecht, aber wir müssen das finanzieren bisschen an ihn anpassen muss. Ich habe inzwischen das können. – Ich will das einmal am Beispiel Mütterrente Gefühl, dass Herr Steinbrück sich nur noch an die SPD verdeutlichen: Meine Mutter gehört zu der Alters- anpasst. kohorte, die das treffen würde. Sie würde für ihre Erzie- hungsleistung etwas bekommen. Ich werde zu diesem Herr Steinmeier, was Sie in Ihrer Rede gemacht ha- Thema trotzdem immer sagen: Das geht nur dann, wenn ben, war spannend. Sie haben immer wieder gesagt, wie wir es finanzieren können. schlimm das alles sei. Wenn ich das richtig sehe, sind Sie, Herr Steinmeier, aber gar nicht gegen die Vor- (Mechthild Rawert [SPD]: Wie beantwortet schläge der Kanzlerin, oder? Sie unterstützen doch all Frau Merkel die Frage?) diese Vorschläge. Das haben Sie aber nicht gesagt. Das Ich habe die CDU so verstanden – das will ich deut- haben Sie klammheimlich unter den Tisch fallen lassen. lich sagen; da bin ich mir ziemlich sicher –, dass sie die Oder sind Sie dagegen? Sind Sie gegen die Vorschläge schwarze Null genauso wie wir erreichen will. Ich habe der CDU zur Rente? Ja oder nein? die CDU so verstanden, dass sie mit der Schuldentilgung (Zurufe von der SPD) spätestens 2016 beginnen will. – Sehen Sie, da läuft das Spiel wieder. (Zuruf von der SPD: Wie denn?) (B) Wenn es doch nicht so kommen sollte, wenn es Schwie- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wofür seid ihr denn? (D) rigkeiten geben sollte, was ich mir aber nicht vorstellen Erzähl mal, wofür du bist!) kann, dann kann ich nur eines feststellen: Die Garanten Man kritisiert, und gleichzeitig ist man klammheimlich für solide Haushalte sitzen in diesen Reihen. Garant für dafür. Das ist Ihre Art und Weise. solide Haushalte ist die FDP. Das haben wir in den letz- ten vier Jahren deutlich gezeigt. Jetzt werden viele Bürger, die zugehört haben, fragen: Na ja, ist ja schön, dass der von der FDP das erzählt, (Beifall bei der FDP) aber stimmt das? Daher werde ich die Zahlen, die dies Ich habe nicht die Hoffnung, dass die Opposition eine beweisen, kurz darlegen. Wenn es um vernünftige Haus- solide Haushaltspolitik betreiben würde. Ganz ehrlich: halte geht, wenn es um die Vermeidung von Wahlge- Immer dann, wenn ich in der letzten Zeit dachte, dass an schenken geht, dann muss ich nur auf eines schauen: auf dem, was Herr Trittin zu Steuern und Abgaben sagt, die Ausgaben. Es ist wie beim Bürger selbst. Wann hat vielleicht etwas Wahres dran sein könnte, er Probleme? Wenn die Ausgaben zu hoch sind. Schauen wir uns das einmal an. Wir hatten sieben Jahre Rot- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Oh Grün. Was ist in dieser Zeit mit den Ausgaben passiert? je!) 26 Milliarden Euro mehr Ausgaben am Ende der Legis- dann habe ich mir die Aussagen von Boris Palmer, laturperiode. Dann hatten wir vier Jahre Große Koali- Christine Scheel und Winfried Kretschmann vor Augen tion. 31 Milliarden Euro mehr Ausgaben am Ende der geführt, und dann wusste ich ziemlich sicher, dass das, Legislaturperiode. Dann kam die FDP in die Regierung. was die Grünen wollen, eigentlich nur Quatsch ist, es ih- Was passierte? nen im Wahlkampf aber wohl ein bisschen hilft. (Johannes Kahrs [SPD]: 100 Milliarden Herr Trittin, Sie sagen: Es ist gar kein Problem, wenn mehr!) 10 Prozent der Steuerzahler mehr bezahlen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland haben wir die Ausgaben um fast 2 Milliar- Und 90 Prozent entlastet werden!) den Euro am Ende einer Legislaturperiode gesenkt. Ich sage Ihnen: Das ist die Kunst, gute Haushaltsführung zu – Sehen Sie, das ist der Unterschied. Sie gehen nur nach machen. Das sind die Wahlgeschenke, für die der Be- der Frage der Maximierung – wo kriege ich den größten schenkte am Schluss nicht zahlen muss. Applaus? –, während es für uns beim Thema Steuern nicht darum geht, zwischen 90 und 10 aufzuteilen. Herzlichen Dank. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30751

Otto Fricke (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten in Höhe von 7,5 Milliarden Euro bedeuten. Aber auch (C) der CDU/CSU) hier gilt: Finanzierung? Fehlanzeige. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Eduard Oswald: NEN]: Null!) Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Lisa Paus. Bitte schön, Dies sind Wahlversprechen auf ungedecktem Scheck. Frau Kollegin Paus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dabei könnte man es schon bewenden lassen, weil Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr man davon ausgehen kann, dass es ja sowieso nicht dazu Kampeter, ich empfehle Ihnen, zumindest einen der in- kommt. Aber es ist interessant, sich einmal genauer an- zwischen unzähligen Faktenchecks zum grünen Steuer- zusehen, was der Schwerpunkt des CDU-Wahlkampfes konzept zu lesen. Sie alle bestätigen, dass das, was wir werden wird: Familienpolitik sozusagen als die Speer- gesagt haben, stimmt. 90 Prozent der Bürgerinnen und spitze. Dafür will sich die CDU/CSU einsetzen. Wie Bürger in diesem Land sollen entlastet werden. sieht denn die Familienförderung à la Merkel aus, wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie uns bisher bekannt geworden ist? sowie der Abg. Caren Marks [SPD] – Patrick (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann mal Döring [FDP]: Wie rechnen Sie das denn?) los! Auf geht’s!) 10 Prozent sollen belastet werden. Die reichsten 0,4 Pro- Es ist nichts anderes als eine Umverteilung von unten zent – das sind rund 350 000 Bürgerinnen und Bürger in nach oben. Der richtige Name steht drauf, Familienför- diesem Land – wollen wir tatsächlich zu einer einmali- derung, aber der Inhalt ist völlig falsch. Das Einzige, das gen Vermögensabgabe heranziehen. Das Betriebsvermö- Sie damit machen, ist eine Klientelbedienung, eine wei- gen soll nicht in der Substanz besteuert werden, tere Umverteilung von unten nach oben. Daran erinnern (Patrick Döring [FDP]: Das ist nicht in Ihrem wir uns noch sehr gut. Außerdem geht Ihr Konzept an Programm!) der Lebensrealität, den Bedürfnissen und Problemen von Familien in diesem Lande vollkommen vorbei. das haben wir eindeutig ausgeschlossen. Auf dieser Grundlage können wir in diesem Land endlich damit an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fangen, Schulden abzubezahlen. Ich fange an mit der Umverteilung von unten nach (D) (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) oben. Wir erinnern uns noch an den Anfang dieser Le- gislaturperiode. Auch da haben Sie den Kinderfreibetrag Herr Fricke, ich finde es gut, wie Sie die Wahlver- und das Kindergeld erhöht. Dies bedeutete pro Monat: sprechen der CDU hier durchaus kritisiert haben. Da bin 0 Euro für Kinder, deren Eltern im Hartz-IV-Bezug sind, ich an Ihrer Seite. Aber was ist denn mit den Wahlver- 20 Euro mehr für die Mittelschicht und 40 Euro mehr für sprechen der FDP? Dazu haben Sie hier kein Wort verlo- die oberen 10 Prozent. Was schlagen Sie, innovativ wie ren. Auch Sie versprechen 30 Milliarden Euro Steuerent- Sie sind, diesmal vor? Wiederum 0 Euro für Kinder, de- lastungen und sagen mit keinem Wort, wie Sie das ren Eltern im Hartz-IV-Bezug sind, 35 Euro mehr für die finanzieren wollen. Das hätten Sie hier machen können. Mittelschicht und ganze 53 Euro mehr für die oberen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10 Prozent. Die oberen 10 Prozent sollen noch einmal sowie bei Abgeordneten der SPD – Otto mehr bekommen. Die Schere zwischen den oberen Fricke [FDP]: Haben Sie auf die Tagesord- 10 Prozent und der Mittelschicht würde durch Ihre Vor- nung geschaut?) schläge von 93 Euro auf 111 Euro pro Kind erweitert. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Vorschlag, meine Treffsicher zum Vatertag ging es los. Da versprach Fi- Damen und Herren von der CDU/CSU! nanzminister Schäuble die Einführung des Familiensplit- tings. Über Kosten und Ausgestaltung hat er sich erst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einmal ausgeschwiegen und das natürlich mit Grund; sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick denn das Familiensplitting – wir haben es einmal nach- Döring [FDP]: Die Mehrheit der Deutschen ist rechnen lassen – würde in diesem Land Steuerausfälle Mittelschicht!) von über 30 Milliarden Euro bedeuten. Ich stelle es noch einmal anhand konkreter Zahlen (Zurufe von der SPD: Oh!) zum Kinderregelsatz dar. Zurzeit ist der Kinderregelsatz gestaffelt, abhängig vom Alter des Kindes. Da bekommt Finanzierung? Fehlanzeige. man für ein Kind von null bis sechs Jahren 215 Euro im Monat und für ein Kind bis zu 18 Jahren 287 Euro im Letzte Woche legte die Kanzlerin nach und machte Monat. Das gilt für die Kinder der Armen in diesem Wahlversprechen in Höhe von 29 Milliarden Euro. Das Lande. Familiensplitting hat sie ein bisschen eingeschrumpft, dafür soll es eine Erhöhung des Kinderfreibetrags und (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Jedenfalls des Kindergelds geben. Diese geplante Erhöhung von mehr als bei Rot-Grün! Bei Rot-Grün war Kinderfreibetrag und Kindergeld würde Mehrausgaben diese Regelung ja verfassungswidrig!) 30752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Lisa Paus (A) Ihr Vorschlag sieht vor, dass die Kinder aus wohlhaben- dann, wenn beide Partner ihre Arbeitszeit reduzieren, (C) den Familien in diesem Lande nicht 215 Euro oder schlechter gestellt werden soll als eine Familie, in der 287 Euro monatlich vom Staat bekommen, sondern dass der eine Partner voll und der andere nicht arbeitet. sie mit monatlich 330 Euro bezuschusst werden. Darauf können sich die oberen 10 Prozent in unserem Lande bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU verlassen. Ich finde, das sollte man den sowie bei Abgeordneten der SPD – Otto Bürgerinnen und Bürgern sagen, meine Damen und Fricke [FDP]: Ja, ja! Das ist bei Ihnen ja wie Herren. bei einem Geisterfahrer! – Patrick Döring [FDP]: Werden sie doch gar nicht! Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch Quatsch! Sie haben es immer noch nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) begriffen! Sie kennen das Steuerrecht nicht!) Wir sehen nicht ein, dass ein Kind aus einer wohlha- Wir finden, das ist ungerecht gegenüber den Familien benden Familie mehr staatliche Förderung bekommen und den Alleinerziehenden in diesem Lande. Über soll als ein Kind im Regelsatzbezug. 25 Prozent der Kinder in diesem Lande wachsen im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Moment nicht in einer traditionellen Familie auf. Fami- sowie bei Abgeordneten der SPD – Ingo lienförderung muss da stattfinden, wo Kinder sind. Des- Gädechens [CDU/CSU]: Ihr wollt ja auch wegen muss sie zielgenau neu ausgerichtet werden, Gleichmacherei betreiben!) durch eine Verbesserung der Infrastruktur und den Ein- stieg in die Kindergrundsicherung. Das können Sie am Deswegen schlagen wir in der Tat etwas anderes vor. 22. September dieses Jahres wählen. Wir finden, jedes Kind in diesem Land ist gleich viel wert; es sollte zumindest dem Staat bei der Förderung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gleich viel wert sein. Deswegen wollen wir die unüber- sichtlichen Regelungen von Kinderregelsatz, Kinderzu- Vizepräsident Eduard Oswald: schlag, Kinderfreibetrag und Kindergeld zu einer Kin- Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für dergrundsicherung zusammenfassen. Wir werden in der die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Norbert nächsten Legislaturperiode mit dem Einstieg in die Kin- Barthle. Bitte schön, Kollege Norbert Barthle. dergrundsicherung beginnen. Darauf können Sie sich bei uns verlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – der FDP) Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Habt ihr dafür (B) denn auch eine Gegenfinanzierung?) Norbert Barthle (CDU/CSU): (D) Ich habe, was die CDU/CSU angeht, noch etwas ver- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und gessen. Sie sind ja so stolz darauf, das Ehegattensplitting Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir nicht anfassen zu wollen. Auch wir werden das Ehegat- die Debattenbeiträge anhöre, dann muss ich sagen: Klei- tensplitting nicht auf einen Schlag abschaffen. Aber wir nes Kompliment an die Linken; bei Ihnen weiß man halten es in der Tat nicht für sinnvoll, dass eine wohlha- wenigstens, was Sie kritisieren. Wenn ich mir aber die bende Familie in diesem Lande, die wirklich richtig viel Redner von Rot und Grün anhöre, dann muss ich sagen: verdient, durch den Ehegattensplittingvorteil zurzeit bis Bei Ihnen herrscht argumentatives Durcheinander. Da zu 15 800 Euro pro Jahr zusätzlich vom Staat geschenkt blickt man gar nicht mehr durch, was Sie an der Regie- bekommt. Wir finden, das muss nicht sein. Dieses Geld rungspolitik eigentlich kritisieren wollen. wollen wir sinnvoller ausgeben. Deswegen wollen wir (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Ehegattensplittingvorteil abschaffen – Entschuldi- NEN]: Sie wollen wohl eine bequeme Opposi- gung, abschmelzen. tion! Geben Sie es zu!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Abschaffen?) Das zeigte sich schon bei der Beantragung dieser Ak- – Abschmelzen. tuellen Stunde. Eigentlich haben wir es ja mit einem Pla- giat zu tun. Denn zuerst haben die Grünen eine Aktuelle (Patrick Döring [FDP]: Sagen Sie ruhig „ab- Stunde zu diesem Thema beantragt, dann kam die alte schaffen“! Es ist ja eine Abschaffung! Sie mi- Tante SPD hinterhergetrabt und hat zum selben Thema schen sich in die Einkunftserzielung der Bür- ebenfalls eine Aktuelle Stunde beantragt. Das heißt: Ih- ger ein! – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Die nen fehlt der Ansatzpunkt und Ihnen fehlen die Ideen, Wahrheit rutscht halt raus!) um überhaupt Kritik an der Regierungsarbeit zu üben. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ihre Vor- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE schläge gehen an der Lebensrealität der Menschen in GRÜNEN]: Was reden Sie denn da? Jetzt kann diesem Lande vorbei. ich Ihnen wirklich nicht mehr folgen!) (Patrick Döring [FDP]: Nein, Ihre gehen daran vorbei!) Es läuft immer auf dasselbe hinaus; das ist schon interes- sant und wirft ein Schlaglicht auf die derzeitige Situa- Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum eine Familie, tion. In der Opposition weiß man offensichtlich nicht so die sich vornimmt, die Kinder gemeinsam zu betreuen, recht, wo man ansetzen soll. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30753

Norbert Barthle (A) Das ist auch kein Wunder. Denn wenn Sie ernsthaft werden die Fakten überzeugen und nicht das laute Ge- (C) die Frage stellen, wie die Ankündigungen der Bundes- schrei von Herrn Trittin. kanzlerin, die zum großen Teil auf Parteitagsbeschlüssen (Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) beruhen, finanziert werden sollen, müssen Sie sich aus meiner Sicht die Gegenfrage gefallen lassen: Wo waren Der Kollege Fricke hat darauf hingewiesen, wie wir Sie eigentlich in den letzten vier Jahren? Haben Sie im das erreicht haben, nämlich indem wir die Ausgaben sta- Ausland gelebt? Wir haben doch vier Jahre lang gezeigt, bil gehalten haben. Wir geben nach vier Jahren Regie- wie es geht. rungszeit 2 Milliarden Euro weniger aus als am Anfang der Legislaturperiode. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie die Sozialkassen plün- Wir haben vier Jahre lang gezeigt, dass wir solide wirt- dern! – Gegenruf des Abg. Hermann Gröhe schaften können, dass wir mit dem Geld der Steuerzahler [CDU/CSU]: Das ist nicht so! – Gegenruf der sparsam umgehen und dass wir seriöse Politik machen. Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/ Wir haben es uns in diesen vier Jahren leisten können, DIE GRÜNEN]: Doch!) neue Maßnahmen einzuleiten bzw. neue Ausgaben zu beschließen, und trotzdem haben wir die Neuverschul- Zeigen Sie mir ein Bundesland, in dem SPD oder dung massiv zurückgeführt. Wir haben uns finanzielle Grüne regieren – mit Baden-Württemberg gibt es ja in- Spielräume erwirtschaftet, und diese haben wir auch ge- zwischen auch ein Bundesland, in dem die Grünen regie- nutzt. ren –, wo am Ende der Legislaturperiode weniger ausge- geben wird als am Anfang! Meine Damen und Herren, wie war denn die Aus- gangslage? Wenn sich Herr Steinmeier hier darüber er- (Johannes Kahrs [SPD]: Hamburg!) regt, dass in der Regierungszeit der Kanzlerin 100 Mil- Ich kenne keins. Das liegt daran, dass SPD und Grüne liarden Euro neue Schulden gemacht worden seien, dann nicht sparen können. Sie können es nicht. Wir haben be- hätte er sich an seinen Sitznachbar Steinbrück wenden wiesen, dass wir es können. Das ist die Bilanz, mit der müssen: Der hat in einem Jahr gleich mal 86 Milliarden wir vor die Wählerinnen und Wähler treten. Euro neue Schulden machen wollen, 86 Milliarden in ei- nem, nicht in vier Jahren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Da wa- ren Sie ja gar nicht an der Regierung! – Priska Wir haben die Neuverschuldung zurückgeführt, obw Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ohl in diesen vier Jahren externe neue Herausforde- (B) rungen auf uns zugekommen sind: Wir haben den Kapi- (D) NEN]: Und da waren Sie überhaupt nicht an talstock des ESM, des Europäischen Stabilitätsmecha- der Regierung beteiligt?) nismus, befüllt. Wir haben die Mittel der Europäischen Für 2010 hatte Finanzminister Steinbrück 86 Milliarden Investitionsbank aufgestockt, damit sie armen Ländern Euro neue Schulden vorgesehen; das lässt sich im Haus- helfen kann. Das waren zusätzliche Ausgaben von haltsplan nachlesen. 20 Milliarden Euro. Wir haben die Länder und die Kom- munen entlastet; auch das waren rund 20 Milliarden (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Euro. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger in den letz- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war da Kanzle- ten vier Jahren um rund 25 Milliarden Euro entlastet. rin?) Wir haben den Beitrag zur Rentenversicherung auf 18,9 Prozent gesenkt. Wir haben die Praxisgebühr abge- Nach 86 Milliarden Euro damals, vor vier Jahren, sind schafft usw. usf. wir jetzt bei 6 Milliarden. Das ist eine Leistung! Ein Rückgang um 80 Milliarden – das hat noch keine Regie- Wir haben in diesen vier Jahren 13 Milliarden Euro rung geschafft, insbesondere keiner von denen, die heute mehr für Bildung und Forschung ausgegeben, 13 Mil- in der Opposition sind, im Bund sowieso nicht, und in liarden zusätzlich. Wir haben in diesem Parlament ent- den Ländern machen Sie das Gegenteil. schieden, dass wir für Infrastrukturmaßnahmen 1,7 Mil- liarden Euro mehr ausgeben. Sie sehen: Wir geben an (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Also, Sie den richtigen Stellen mehr Geld aus – weil wir uns die schaffen mich!) Spielräume dafür erwirtschaftet haben – und sparen an Man braucht sich die Zahlen nur anzugucken: Im Jahr anderer Stelle. 2014 werden wir einen strukturell ausgeglichenen Haus- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig! – halt vorlegen, im Jahr 2015 einen Haushalt ohne jegliche Bettina Hagedorn [SPD]: Sparen? Sie plün- Neuverschuldung – so etwas ist bisher noch nie erreicht dern die Sozialkassen!) worden –, und im Jahr 2016 beginnt die Rückzahlung der Schulden. Die kluge Politik von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble – im Parlament ergänzt durch Volker Kauder (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE und Rainer Brüderle – hat dazu geführt, dass wir uns et- GRÜNEN]: Wahlkampfgeschenke!) was leisten und trotzdem die Verschuldung zurückführen können. Das ist die Bilanz dieser Koalition, das ist die Bilanz, mit der wir vor die Wählerinnen und Wähler treten. Da (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 30754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Norbert Barthle (A) Schauen wir uns nun an, was in den Ländern ge- Aber er ist einer von nur zweien, die auf dieser Regie- (C) schieht! Was erleben die Bürger in Baden-Württemberg? rungsbank sitzen. Da werden nicht nur die Schulden erhöht – 3,3 Milliar- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Euro mehr –; da werden die Gebühren erhöht, die NEN]: Der Ecki von Daimler ist schon gegan- Steuern werden erhöht, und die Neuverschuldung wird gen!) erhöht. Das ist die Bilanz der Grünen in Baden- Württemberg, Herr Trittin. Was geschieht in NRW? Ge- Auf die Sachebene hat er sich in seiner Rede auch nicht nau dasselbe. wirklich verirrt. (Ulrich Kelber [SPD]: Vielleicht sagen Sie Schauen Sie sich einfach einmal an, wie diese Regie- auch mal was zum Thema der Aktuellen rung hier präsent ist. Das zeigt auch, was diese Regie- Stunde!) rung von den Versprechen der Bundeskanzlerin hält. Wenn man diese Frage nicht diskutieren will, sich drückt Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, und feige in die Büsche schlägt, dann kann es eben nicht dort, wo SPD oder Grüne regieren, wird mehr abge- so sein; dann hat man ein Problem. zockt, mehr ausgegeben und werden mehr Schulden ge- macht. Schauen Sie sich des Weiteren einmal an, was denn innerhalb der CDU/CSU von den Vorschlägen der Kanz- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lerin gehalten wird. Dann wird es erst richtig interessant. NEN) So war in Spiegel Online zu lesen: „Unionspolitiker Da, wo wir regieren, wird solide und seriös regiert. fordern Sonderparteitag von Merkel“. Denn bei Ihnen Danke. soll es keinen Parteitag geben, sondern einige Funktio- näre sollen das abnicken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So! Herr Schlarmann, der Vorsitzende der Unions-Mittel- Genau so! – Rolf Hempelmann [SPD]: Das standsvereinigung, hat sich zu Wort gemeldet und ge- wird auch durch Wiederholen nicht wahrer!) sagt: Die Willensbildung einer Partei muss, ähnlich wie Vizepräsident Eduard Oswald: in jedem Verein, in den dafür vorgesehenen Gre- Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokra- mien stattfinden. Und nicht in kleinen, intranspa- ten ist unser Kollege Johannes Kahrs. Bitte schön, Kol- renten Führungszirkeln. Deshalb wäre es sinnvoll, lege Johannes Kahrs. über das Wahlprogramm und die Art des Wahl- (B) kampfs, so wie unsere Mitbewerber, auf einem Par- (D) (Beifall bei der SPD) teitag zu diskutieren.

Johannes Kahrs (SPD): Ehrlich: Dazu kann man nicht viel sagen – außer: Der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Mann hat recht. Kollegen! Wir haben ja hier schon über einen längeren (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zeitraum eine Aktuelle Stunde, die wir beantragt haben. DIE GRÜNEN) Es steht in der Tagesordnung: Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der Wahlversprechen der Bundeskanzle- Das sieht auch die FDP so; denn sie hat auch einen rin. Es ist weder die Bundeskanzlerin noch irgendeiner Parteitag veranstaltet. der verantwortlichen Minister anwesend. (Patrick Döring [FDP]: Zwei sogar!) (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wo – Das macht sich besser. ist denn der Peer?) Wenn man sich das anguckt, stellt man fest, dass man Es wäre reizend, wenn bei der Diskussion hier im Parla- innerhalb der CDU/CSU gerne auch einmal über die ment – wir sind nun einmal der Souverän – die Bundes- Vorschläge der Kanzlerin sprechen würde. kanzlerin und die zuständigen Fachminister zugegen wären. Schauen wir uns einfach einmal an, um welche Vor- schläge es hier geht. Es gibt zum Beispiel Ärger über die (Otto Fricke [FDP]: Wir sind nicht der Souve- Mietpreisbremse – etwas, was wir Sozialdemokraten rän!) fordern, was wir richtig und gut finden und was den An- Alles andere – das muss man auch einmal sagen – ist stieg der Mieten insbesondere in den Ballungszentren einfach Ausdruck mangelnden Respekts vor diesem Par- begrenzen soll. Dann wird hier im Deutschen Bundestag lament, und das ist unanständig. ein Gesetz beschlossen, in dem überhaupt nichts zu die- sem Thema steht, obwohl wir es mehrfach gefordert ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sogar das Ich schätze den Kollegen Steffen Kampeter ja sehr. Gegenteil!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Otto – Das Gegenteil steht drin. Carsten Schneider hat wie Fricke [FDP]: Wir auch!) immer recht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30755

Johannes Kahrs (A) Jetzt haben wir folgendes Problem: Die Kanzlerin (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) verspricht etwas, obwohl das Gesetz erst vor einigen Wochen beschlossen wurde. Wir fragen uns alle, warum Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): sie diese Eingebung nicht etwas früher hatte. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Man muss sich einfach einmal anhören, was innerhalb Herren! Diese Debatte hat Unterschiede deutlich ge- der CDU zu dem Vorschlag der Kanzlerin gesagt wird. macht: SPD und Grüne stehen für die Aufnahme neuer Da meldet sich der wirtschaftspolitische Sprecher der Schulden und wollen höhere Steuern. Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer. Er wähnt Frau Merkel (Lachen bei der SPD) schon auf dem Weg in den Sozialismus. „Wohin das füh- ren kann, haben wir in der DDR auch gesehen“, sagte er. Das, was die CDU/CSU dagegen in ihr Regierungspro- gramm schreibt, geht nicht über die finanziellen Verhält- (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wie? Da nisse hinaus. Wir werden keine zusätzlichen Schulden war der?) aufnehmen und werden auch nicht die Steuern erhöhen. So viel zum Thema Mietpreisbremse. Man weiß also, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das warum man keinen Parteitag zu dem Thema veranstaltet; glaubt doch kein Mensch mehr!) denn das könnte peinlich werden. Aber wir werden selbstverständlich Prioritäten setzen. Wir haben uns als SPD dann hier hingestellt und ge- Wir werden die Spielräume, die wir gemeinsam mit den sagt: Natürlich kann man das alles versprechen. Das sind fleißigen Menschen in diesem Lande erarbeitet haben, alles schöne Dinge. Es gibt viele Menschen, die davon zur Politikgestaltung nutzen. positiv betroffen sind. Das ist alles in Ordnung. Die Frage ist nur: Wie wird das gegenfinanziert? Was SPD und Grüne hingegen in ihren Wahlprogram- men versprechen, ist unglaubwürdig, ungerecht und für Wenn man diese Frage stellt, fangen die Kolleginnen den Erhalt der Arbeitsplätze in unserem Lande ungemein und Kollegen von CDU und CSU an, mit großer Laut- gefährlich. Trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung, stärke über die SPD, die Linke und die Grünen zu reden. trotz staatlicher Rekordeinnahmen wollen Sozialdemo- Nur auf der Sachebene sind sie auf einmal ganz weit kraten und Grüne massiv Steuern erhöhen. Das müsse so weg; denn es ist keine Gegenfinanzierung vorhanden. sein, so erzählen sie uns gerne, weil sie die Mitte der Dann werden wir kritisiert, weil wir konkrete Vorschläge Gesellschaft entlasten wollten. zur Gegenfinanzierung dessen, was wir wollen, gemacht haben. Unseriöser geht es gar nicht mehr. Ich frage mich ernsthaft: Welche Mitte meinen Sie ei- gentlich, wenn Sie dieses Wort in den Mund nehmen? (B) Aber in solchen Fällen hat man ja einen Fraktionsvor- Wenn Sie die Mitte der Gesellschaft entlasten wollten, (D) sitzenden. Das ist nicht nur bei der SPD so, sondern auch dann hätten Sie das gemeinsam mit uns längst tun kön- bei der CDU/CSU. Weil Herr Kauder ahnt, was auf ihn nen. Wir haben seit zwei Jahren in allen Branchen zukommt, hat er sich auch gleich gemeldet und gesagt Lohnzuwächse. Aber Sie verhindern, dass diese Lohnzu- – das fand ich immer ganz wunderbar –: Was wir in un- wächse bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern serem Wahlprogramm versprechen, steht unter einem ankommen. Sie verweigern im Bundesrat bei der Ein- Finanzierungsvorbehalt. – Das heißt also: Lasst doch die kommensteuer die Anpassung an die Preisentwicklung. Merkel versprechen, was sie will. Das sammeln wir so- Sie blockieren den Abbau der kalten Progression. wieso alles wieder ein. Sie kann sich ruhig den ganzen Tagen hinstellen und irgendetwas erzählen. Wir werden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das nicht machen. Und deswegen brauchen wir auch kei- Das ist Ihre erste Steuererhöhung für die Mittelschicht. nen Parteitag. Sie trifft die Ehrlichen und Fleißigen. Das ist Ihre Politik (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem gegen die kleinen Leute. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es kommt noch besser, meine sehr verehrten Das ist unsolide und nicht reell, zeigt aber, wie weit es Damen und Herren. Den Grundfreibetrag bei der Ein- mit der Union gekommen ist. kommensteuer haben Sie gemeinsam mit uns erhöht, weil das verfassungsrechtlich geboten war, aber die Abschließende Bemerkung: Dass gespart würde – dazugehörende Anpassung des Einkommensteuertarifs diese Illusion wollen wir uns doch gleich mal nehmen. haben Sie dann blockiert. Das Ergebnis ist: Der Tarifver- Wir hatten gestern den Fachminister de Maizière hier, lauf steigt jetzt noch viel steiler an, und zwar gerade bei der Hunderte von Millionen verschleudert hat und dann den kleinen Einkommen. Das ist Ihre Politik: Gegen die sagt, es ist gute Praxis in seinem Ministerium, den Reichen reden und bei den Kleinen und in der Mitte ab- Minister nicht zu informieren. Na dann Glück auf! kassieren und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem schröpfen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben der Kollegin Paus vorhin nicht zu- Vizepräsident Eduard Oswald: gehört!) Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Thomas Strobl. Bitte schön, Kollege Thomas Strobl. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 30756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Ein Zweites. Steuererhöhungen, so die SPD und die Sie wollen nun mit uns im Wahlkampf über Gerechtig- (C) Grünen, müssten sein – das erzählen sie uns gerne –, keit reden. weil sie ohne neue Schulden auskommen wollten. Ich (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: weiß gar nicht, wo die SPD und die Grünen waren, als Mit Ihnen wollen wir gar nicht reden!) wir hier die Eckpunkte für den Bundeshaushalt beschlos- sen haben. Diese Bundesregierung legt für das nächste Nun, wenn das Ihre soziale Gerechtigkeit ist, dann reden Jahr einen strukturell ausgeglichenen Bundeshaushalt wir gerne mit Ihnen über soziale Gerechtigkeit. vor. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Zuruf von der SPD: Daran glauben Sie ja Aber wir nicht mit Ihnen!) selbst nicht!) Aber dann reden wir nicht nur über Hartz IV, sondern Wenn es Ihnen beim Thema Schuldenabbau ernst wäre, auch über Gerechtigkeit für nachfolgende Generationen dann hätten Sie doch längst dort, wo Sie regieren, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es redet ein Schuldenbaron!) und für Familien mit Kindern, über die Renten von Müttern und auch über die Gerechtigkeit für die, die Ihren Worten Taten folgen lassen können. morgens um sechs auf den Wecker hauen, um sieben zur Arbeit gehen und abends müde ins Bett fallen, weil es (Christian Lange [Backnang] [SPD]: 2 Billio- auch für sie eine soziale Gerechtigkeit gibt. Auch da- nen Schulden!) rüber werden wir reden. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus, Kollege Lange? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- In Nordrhein-Westfalen stehen Rot-Grün seit 2010 zu- ruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) sätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 6 Milliarden Euro zur Verfügung, 6 Milliarden Euro mehr, als beim Darum geht es im September. Die Wählerinnen und Regierungswechsel zu erwarten waren. In Baden-Würt- Wähler werden dann dafür sorgen, dass Sie sich nach der temberg sind es 4 Milliarden Euro zusätzliche Steuerein- Wahl weder beim Bundeshaushalt noch bei der Mittel- nahmen. schicht bedienen können. Und was passiert? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich habe (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nichts!) schon wieder nichts vom Kollegen Pfeiffer ge- In Nordrhein-Westfalen haben Sozialdemokraten und hört!) (B) Grüne dreimal in Folge einen verfassungswidrigen (D) Schuldenhaushalt vorgelegt. ist die Vizepräsident Eduard Oswald: Schuldenkönigin in Nordrhein-Westfalen. Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokra- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten ist unser Kollege Anton Schaaf. Bitte schön, Kollege Anton Schaaf. In Baden-Württemberg macht die grün-rote Landes- regierung allein im aktuellen Haushalt 3,5 Milliarden (Beifall bei der SPD) Euro Schulden. Man möchte planvoll bis zum Jahr 2020 jedes Jahr zusätzliche milliardenschwere Schulden an- Anton Schaaf (SPD): häufen, so sagen die Grünen in Baden-Württemberg. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Winfried Kretschmann ist der Schuldenpräsident in Ba- und Kollegen! So ein schäbiges Spiel habe ich ganz sel- den-Württemberg. ten erlebt, und zwar in doppelter Hinsicht. Unionsgeführte Länder hingegen machen längst keine (Patrick Döring [FDP]: Sie haben es bean- Schulden mehr. Bayern etwa plant den Abbau der alten tragt!) Schulden. Das zeigt die Wirklichkeit: Nicht die SPD, Die Kanzlerin war am Wochenende unterwegs und hat nicht die Grünen, sondern die Union, diese Koalition ste- sozialpolitische Vorschläge gemacht. Einige davon kön- hen für eine solide Finanz- und Haushaltspolitik. nen wir übrigens absolut nachvollziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ah!) Nun, meine Damen und Herren, wollen wir zu einem Aber diese Koalition hier hat die Kanzlerin mit ihren entscheidenden Punkt kommen. Da es heute um Wahlzu- Vorschlägen heute in ihren Wortbeiträgen völlig alleine sagen geht, schauen wir einmal das grüne Wahlpro- gelassen. Keiner ist der Kanzlerin bei diesen Vorschlä- gramm an. Wofür brauchen Sie denn das Geld aus den gen beigesprungen, und niemand von Ihnen hat hier dar- von Ihnen geplanten Steuererhöhungen? Sie wollen stellen können, wie man diese Vorschläge finanzieren Hartz IV erhöhen und zugleich die Sanktionen für Ar- will. beitsunwillige abschaffen. Das heißt: bedingungsloses Grundeinkommen. Trittin – er ist nicht mehr im Saal – Ganz im Gegenteil! Der Fraktionsvorsitzende der macht die grüne Partei zu einer roten Partei. Sie wollen Union hat am Montag bzw. Dienstag sofort gesagt: Ach, die Einkommen der Mittelschicht stärker besteuern und die Kanzlerin kann vorschlagen, was sie will. Das steht reichen das Geld nach Hartz IV durch. Und ausgerechnet alles unter Finanzierungsvorbehalt. – Die Redner der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30757

Anton Schaaf (A) Koalition haben sich hierhingestellt und ausschließlich Die Mütterrente wäre ein solches Beispiel, Kollege (C) über solide, ausgeglichene Haushalte diskutiert. Kampeter. Sie wollen übrigens nicht 13,2 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Mütterrenten anzu- Wenn man ehrlich miteinander ist, dann muss man gleichen, sondern nur 6 Milliarden Euro. Sie stellen die doch sagen: Um die Mütterrente für die Mütter, die vor Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben, gar nicht 1992 Erziehungszeiten hatten, anständig zu gestalten den anderen gleich. Das ist überhaupt nicht Ihr Interesse. und mit der Mütterrente gleichzustellen, die die Mütter Sagen Sie das doch! Sie wollen nur 6 Milliarden Euro erhalten, die nach 1992 Erziehungszeiten haben, braucht zur Verfügung stellen. man 13,2 Milliarden Euro. Norbert Barthle, sag mir ein- mal, wo die 13,2 Milliarden Euro herkommen sollen. Es geht Ihnen um die Ausweitung von einem Entgelt- Dazu hat keiner der Rednerinnen und Redner der Koali- punkt auf zwei Entgeltpunkte. Die Mütter der nach 1992 tion auch nur ein einziges Wort gesagt. Sie haben gesagt: geborenen Kinder haben aber drei Entgeltpunkte. Sie Wir machen keine Schulden. Sie haben sogar gesagt: wollen auch hier ungleich behandeln. Keine Besserstel- Wir senken die Steuern. Wir erhöhen nicht die Beiträge – lung, weiterhin Ungleichbehandlung: Das ist die Wahr- Trotzdem wollen Sie 13,2 Milliarden Euro für die Müt- heit, um die es hier geht. terrente irgendwo herhaben. Es ist schäbig, so zu argu- Hinsichtlich der Wahlversprechen kann man ja einmal mentieren und zu agieren. den Faktencheck machen. Ich habe mir Ihren Koalitions- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vertrag herausgesucht der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Johannes Kahrs [SPD]: Zeitverschwendung!) GRÜNEN) und mir nur einmal die Themen angeschaut, um die ich Da ich gerade bei der Wahrheit bin: Norbert Barthle, mich in den letzten Jahren gekümmert habe, und ge- wenn ich mich recht entsinne, ging es um den Haushalt guckt, was Sie davon versprochen und abgearbeitet ha- mit 86 Milliarden Euro Neuverschuldung, den Peer ben: Steinbrück im Rahmen der Großen Koalition vorgelegt hat. Sie haben eine Verbesserung bei der Kindererziehung und der Alterssicherung versprochen. In dieser Legisla- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Richtig!) turperiode: Totalausfall! Nichts passiert! Wer war denn da eigentlich haushaltspolitischer Spre- Der Kampf gegen Altersarmut steht in Ihrem Koali- cher der Union? tionsvertrag. Nichts ist passiert, überhaupt nichts. Sie sind komplett gescheitert. Frau von der Leyen ist mit ih- (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Wer war eigent- rer Lebensleistungsrente komplett vor die Wand gefah- (B) (D) lich Kanzlerin?) ren. Sie hat rentenpolitisch überhaupt nichts umsetzen können. Um ehrlich zu sein: Rentenpolitisch, aber auch Wer hat diesen Haushalt denn durchgehen lassen? Sie insgesamt sozialpolitisch sind Sie eine Nichtregierungs- waren das, Norbert Barthle, und Ihre Fraktion war mit organisation, zumindest für diese Legislaturperiode. dabei. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wir haben die bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Schulden gesenkt!) GRÜNEN) Sie wissen auch genau, wie diese 86 Milliarden Euro Ich möchte auf ein Wahlversprechen eingehen, das zustande gekommen sind. Es ist schäbig, so zu argumen- Sie klammheimlich eingesammelt haben – damit haben tieren. Es ging natürlich darum, dass wir ein kommuna- Sie im Osten Wahlkampf gemacht und dafür sicherlich les Investitionsprogramm brauchten, und es ging natür- eine Menge Stimmen im Osten der Republik kassiert –, lich darum, die Kurzarbeiterregelung zu verlängern. nämlich die Ost-West-Angleichung der Renten. Was Sie da in dieser Legislaturperiode gemacht haben, ist wirk- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lich unanständig, um das einmal klipp und klar zu sagen. Das war der Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg, Sie haben den Menschen gesagt, Sie würden in dieser den wir jetzt im Moment auch in diesem Lande haben. Legislaturperiode eine rentenrechtliche Angleichung er- Deswegen ist es schäbig, so zu argumentieren. reichen. Dieses Versprechen haben Sie klammheimlich und nichtöffentlich eingesammelt. Die Menschen aber (Beifall bei der SPD) warten auf die Einlösung dieses Versprechens. Übrigens: Dieses Spiel zwischen FDP und Union jetzt Ich sage Ihnen, warum Sie dieses Versprechen einge- gerade ist auch bezeichnend. Um das einmal klipp und sammelt haben. Sie haben festgestellt, dass nur eine ren- klar zu sagen: Das ist wirklich Wahlbetrug. Die Kanzle- tenrechtliche Angleichung zwischen Ost und West nicht rin versucht, die Wählerinnen und Wähler mit sozial- geht; denn dann fällt den Menschen auf, dass Ihnen die politischen Vorschlägen massiv einzuschläfern, und die Ostrentner nichts wert sind und Sie für sie kein Geld in FDP hält wirtschaftsliberal komplett dagegen. Beide die Hand nehmen wollen. Die Angleichung hätte 6 Mil- glauben, damit ihre Wählerklientel bedienen zu können. liarden Euro gekostet. Da haben Sie sich überlegt: Dann Aber das geht nicht mehr auf, und ich sage Ihnen auch, machen wir lieber gar nichts. Dann merken die Men- wieso nicht. Ich mache das einmal an einem Beispiel schen im Osten nicht, dass wir sie über den Tisch gezo- fest. gen haben. 30758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Anton Schaaf (A) Das, was die Kanzlerin vorgeschlagen hat, entspricht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C) genau dem, was Sie mit diesem Koalitionsvertrag ge- Johannes Kahrs [SPD]: Glatt gelogen!) macht haben: Sie wollen die Wähler hinter die Fichte führen. Nach dem 22. September sind Ihre Ankündigun- Wir haben immer wieder zurückzublicken. gen nichts mehr wert. Deswegen macht es absolut Sinn, (Johannes Kahrs [SPD]: Das war glatt gelo- dass ab dem 22. September Peer Steinbrück auf dem gen!) Stuhl des Kanzlers Platz nimmt und dass sich die Regie- rungskoalition ändert. Wir haben 1998 trotz des Kraftaktes der deutschen Ein- heit eine Stabilisierung der Haushalte erreicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Johannes Kahrs [SPD]: Erzählen Sie doch keinen Unsinn!) Vizepräsident Eduard Oswald: Sie wissen, wie es weiterging: Nur wenige Jahre später Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für hat Rot-Grün, nachdem Sie 1998 die Verantwortung die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Hans übertragen bekommen haben, den Offenbarungseid ge- Michelbach. leistet. Sie haben die Haushalte nicht mehr schultern können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Johannes Kahrs [SPD]: Sie kämpfen doch für Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Steuerhinterzieher! Das ist doch unglaublich! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Dass so einer überhaupt nach vorne darf!) Kolleginnen und Kollegen! Es geht um die Zukunft. Es Sie haben nicht mehr in Wachstum investieren können. geht insbesondere um die Erhaltung der Leistungsfähig- Sie haben nur noch neue Schulden gemacht. Jetzt ma- keit für unsere Menschen, für unseren Wirtschaftsstand- chen wir das Gegenteil. ort und für unser Land. Das ist die Voraussetzung. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie wollen Steuerhin- Man kann immer wieder schauen, welche Modelle, terzieher entlasten! Das ist alles, was Sie wol- welche Konzepte am erfolgreichsten waren. Wir haben len!) den Kraftakt der deutschen Wiedervereinigung mit dem Konzept der zweiläufigen Finanzpolitik geschultert. Wir versuchen durch die zweiläufige Finanzpolitik, 2013 Unter einem Finanzminister Theo Waigel haben wir ge- die Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden und die wissermaßen zweiläufig Haushaltskonsolidierung und Erfolgsstory fortzuführen, wie wir sie nach der deut- Wachstumsentwicklung als großes Ziel, als Konzept ver- schen Einheit und der Wiedervereinigung hatten. (B) (D) folgt. (Johannes Kahrs [SPD]: Entlastung von Steu- (Johannes Kahrs [SPD]: Das hat auch nicht ge- erhinterziehern: Das ist das Ziel! Das ist Ihre klappt!) Wirtschaftpolitik!) Dieses Konzept ist aufgegangen. Genau das müssen Die christlich-liberale Koalition hat in dieser Legis- wir jetzt in der Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise in laturperiode viel für die Menschen, für unseren Standort Europa wieder in Angriff nehmen. Zweiläufige Finanz- Deutschland erreicht. politik heißt: auf der einen Seite Haushaltskonsolidie- rung und auf der anderen Seite Nutzung der Wachstums- (Johannes Kahrs [SPD]: Sie entlasten Steuer- potenziale, die durch die fleißigen Menschen, durch die hinterzieher!) tüchtigen Betriebe in Deutschland zweifellos erreicht Nun machen wir programmatisch deutlich, dass CDU werden. und CSU die politische Kraft für soziale Marktwirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schaft, für Stabilität, für Wachstum, für gesellschaftli- chen Zusammenhalt Schon einmal haben wir bewiesen, dass wir durch Wachstum weitere Spielräume erschließen können. (Johannes Kahrs [SPD]: Und für Steuerhinter- Diese Spielräume dienen neben der Haushaltskonsoli- zieher!) dierung dazu, die Menschen zu motivieren, die Men- und die Chancen auf Aufstieg sind. Es geht letzten En- schen an der Aufschwungdividende teilhaben zu lassen. des um Wachstum statt Stillstand, meine Damen und Das ist wichtig. Herren. Auch haben wir das Problem, dass die Menschen bei (Johannes Kahrs [SPD]: Für Steuerhinterzie- ihrer Arbeit immer mehr leisten müssen, aber der Fiskus her!) durch die kalte Progression brutal zuschlägt, weil auf- grund des Grenzsteuersatzes trotz Erhöhung des Ein- Es geht um Investitionen statt rot-grüner Zukunftsver- kommens nicht mehr viel übrig bleibt. Sie waren es weigerung. – das gebe ich Ihnen für diese Legislaturperiode mit (Johannes Kahrs [SPD]: Sie sollten sich mal nach Hause –, die die Abschaffung der kalten Progres- schämen!) sion, dieser heimlichen Steuererhöhung für den norma- len Arbeitnehmer, blockiert haben. Diese Wahrheit müs- Es geht um Vollbeschäftigung oder wieder mehr Arbeits- sen Sie ertragen. losigkeit. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30759

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) (Johannes Kahrs [SPD]: Es geht Ihnen darum, Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: (C) Steuerhinterzieher zu entlasten!) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Es geht um Steuervereinfachung oder Steuererhöhungen richts des 1. Untersuchungsausschusses nach Ar- durch Rot-Grün. tikel 44 des Grundgesetzes (Johannes Kahrs [SPD]: Sie wollen Steuerhin- Gorleben terzieher entlasten!) – Drucksache 17/13700 – Das sind die Alternativen, die die Menschen kennen müssen. Wir machen den Menschen ein klares Angebot. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Widerspruch. Dann haben wir das gemeinsam so be- neten der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Ge- schlossen. nau, den Steuerhinterziehern!) Erste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak- Die Leute können deutlich sehen, wo die Unterschiede tion von CDU/CSU unsere Kollegin Frau Dr. Maria sind. Sie wollen die Menschen bevormunden. Flachsbarth. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Maria Flachsbarth. (Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen den Menschen mehr Freiraum geben. Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): (Johannes Kahrs [SPD]: Den Steuerhinterzie- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hern wollen Sie mehr Freiräume geben!) Eingangs der Debatte will ich als Ausschussvorsitzende Sie wissen am besten, was sie mit ihrem erarbeiteten ein paar der wichtigsten Eckdaten liefern. Geld anfangen können. Sie brauchen die notwendigen Der Ausschuss ist am 26. März 2010 als 1. Untersu- Freiräume, um selbst zu investieren, um selbst zu chungsausschuss des Deutschen Bundestages in dieser kaufen, und nicht eine staatliche Bevormundungspolitik Legislatur eingesetzt worden. Am 22. April 2010 haben Ihrer Genossen. wir uns konstituiert und die Arbeit aufgenommen. Die (Ulrich Kelber [SPD]: Was sagen Sie zu letzte Sitzung fand am 16. Mai dieses Jahres statt. Der Merkels Vorschlägen?) Auftrag des Ausschusses war, die Frage zu beantworten, ob es auf dem Weg zur zentralen Lenkungsentscheidung (B) Die wollen die Menschen in Deutschland nicht. der Bundesregierung vom 13. Juli 1983, den Salzstock in (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gorleben untertägig und keinen anderen Standort mehr neten der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Weil obertägig zu erkunden, Manipulationen gegeben hat. Da- Sie weiterhin Steuerhinterzieher entlasten wol- rüber hinaus hatte der Ausschuss die Frage zu bearbei- len!) ten, inwieweit in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre Änderungen am ursprünglichen Erkundungs- oder End- Deswegen sage ich Ihnen: Sie entwerfen ein rot- lagerkonzept, zum Beispiel wegen fehlender Salzrechte, grünes Horrorszenario bei den Steuern. Sie überfordern vorgenommen wurden. die Steuerzahler. Auf breiter Front soll es Steuererhö- hungen geben. Insgesamt umfasste der Untersuchungszeitraum – wohl einmalig für einen Untersuchungsausschuss die- (Johannes Kahrs [SPD]: Und Sie entlasten ses Hauses – mehr als 30 Jahre. Zur Erledigung unseres Steuerhinterzieher!) Auftrags haben wir 95 Sitzungen mit einer Gesamtdauer von 250 Stunden abgehalten. Zur Unterstützung der Sie wollen die Erbschaftsteuer verdoppeln. Damit ver- Beweisaufnahme haben wir im Dezember 2010 einen nichten Sie die Mittelstandsarbeitsplätze. Sie wollen das Ermittlungsbeauftragten eingesetzt, der rund 5 600 Ak- Ehegattensplitting abschaffen. Sie wollen die niedrige- ten des Bundesamtes für Strahlenschutz gesichtet hat. ren Mehrwertsteuersätze erhöhen. Davon haben wir 1 100 Akten nach Berlin angefordert, (Johannes Kahrs [SPD]: Und Sie wollen Steu- weitere rund 1 700 Ordner wurden dem Ausschuss auf- erhinterzieher privilegieren!) grund von Beweisbeschlüssen unmittelbar übersandt, insgesamt also 2 800 Ordner. In öffentlicher Sitzung ha- Sie wollen auf breiter Front abkassieren, wie Sie es im- ben wir zur Beweisaufnahme fünf Sachverständige an- mer gemacht haben, und dann verteilen, weil Sie nur gehört und über 50 Zeugen – teilweise mehrfach – ver- glücklich sind, wenn Sie Verteilungspolitik machen kön- nommen. Die stenografischen Protokolle darüber nen. Das ist der falsche Ansatz für Deutschland. umfassen mehr als 2 800 Seiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aufgrund des bis in die 1970er-Jahre zurückreichen- den Untersuchungszeitraums musste es Schwierigkeiten Vizepräsident Eduard Oswald: bei der Beweisaufnahme geben. Einige Zeugen waren Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende schon verstorben oder aus Alters- oder Gesundheitsgrün- unserer Aktuellen Stunde angelangt und kommen zum den nicht mehr in der Lage, befragt zu werden. Teils war nächsten Tagesordnungspunkt. ihre Erinnerung verblasst. Akten waren zum Teil nicht 30760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Maria Flachsbarth (A) mehr auffindbar oder zum Teil aufgrund des Ablaufs der Ich möchte im Hinblick auf die Lehren, die wir hof- (C) üblichen Aufbewahrungsfristen bereits vernichtet. fentlich aus dem Wust an Arbeit gezogen haben, einen Punkt herausheben. Das ist die Frage der Öffentlich- Heute debattieren wir über den Abschlussbericht. Wie keitsarbeit. Für die damalige Zeit gab es durchaus der Presse zu entnehmen war, wurde Einigkeit über ei- moderne Ansätze. Es gab das Gorleben-Hearing der Nie- nen einheitlichen Feststellungs- bzw. Bewertungsteil dersächsischen Landesregierung sowie die Gorleben- nicht erzielt. Bezüglich der Bewertung der verschiede- Kommission und die Information durch Vertreter des nen Fraktionen war das fast zu erwarten. Während die Bundes und insbesondere durch BGR und PTB bzw. Koalitionsfraktionen es als erwiesen ansehen, dass der BfS. Es gab außerdem die Mitwirkung des Bundes an Standort Gorleben allein nach wissenschaftlichen Krite- der Gemeinsamen Informationsstelle zur nuklearen Ent- rien ausgewählt wurde, und immer wieder darauf sorgung und Informationsveranstaltungen des Bundes in hinweisen, dass bis heute keine wissenschaftlichen Er- den Jahren 1981 bis 1983. Letztendlich muss man aber kenntnisse vorliegen, die die Eignungshöffigkeit des feststellen: Es dominierte das fachliche Handeln der Salzstocks infrage stellen, sehen die Oppositionsfraktio- Exekutive ohne zu tiefe Beteiligung der Öffentlichkeit nen ihre Vorwürfe bestätigt, die Auswahlkriterien seien und Diskussion insbesondere auf dem Weg zur Auswahl je nach Erkundungslage angepasst worden und man des Standorts durch die 1973 vom Bund beauftragte habe, um den für den Betrieb der Kernkraftwerke not- KEWA und ab Mitte 1976 durch die interministerielle wendigen Entsorgungsnachweis erbringen zu können, Arbeitsgruppe. diesbezüglich immer wieder nachgesteuert. Ich bin da- von überzeugt, dass die Rednerinnen und Redner der Noch vor der Standortbenennung hat das zu Miss- Fraktionen das im Detail nachweisen werden. trauen und zur Bildung von Mythen geführt, die sich bis heute in den Standortregionen gehalten haben. Dem ver- Wir haben es also trotz gemeinsamer, wenn auch ins- suchen wir nun mit dem neuen Endlagersuchgesetz, besondere zu Beginn sehr kontroverser Arbeit im Aus- durch Transparenz von Anfang an und durch Entschei- schuss nicht geschafft, einen gemeinsamen Feststel- dungen der Legislative entgegenzuwirken, durch die so- lungsteil vorzulegen, also eine gemeinsame Grundlage genannte Bund-Länder-Kommission, aber auch durch aus Fakten, die wir erhoben haben, zu schaffen. Das hat das gesellschaftliche Begleitgremium. Auch das haben mich enttäuscht, hat mir aber deutlich vor Augen ge- wir hoffentlich aus diesem Untersuchungsausschuss ge- führt, wie tief die Gräben sind, wie unüberwindlich das lernt. Wenn wir das wirklich gelernt haben sollten, dann gegenseitige Misstrauen ist und wie sehr die Brille, die hat sich die Arbeit doch noch gelohnt. ein jeder aufhat, die eigene Sichtweise prägt. Wenn wir aber ergebnisorientiert nach einem Endlager suchen wol- Abschließend mein ganz herzlicher Dank an alle, die len – das müssen wir tun, um unserer Verantwortung ge- an diesem Mammutprojekt mitgearbeitet haben, vor al- (B) recht zu werden –, dann müssen wir einen Neuanfang lem an die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss. Die (D) wagen. Im Ausschuss hat sich übrigens gezeigt, dass die Zusammenarbeit war zum Schluss mehr und mehr kon- anderen Bundesländer, als der Schwarze Peter in Form struktiv und auch fair; zu Anfang war das ein bisschen eines benannten Erkundungsstandorts erst einmal in anders. Ich bedanke mich sehr herzlich bei dem Beauf- Niedersachsen lag, überhaupt nicht mehr bereit waren, tragten der Bundesregierung, den Mitarbeiterinnen und Verantwortung in Bezug auf die Nuklearentsorgung zu Mitarbeitern der Fraktionen, die wahrlich ganze Arbeit übernehmen. geleistet haben, und ebenso bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats, die insbe- Nun gibt es den Bund-Länder-Konsens zum Endla- sondere zum Ende der Ausschussarbeit sehr viel zu tun gersuchgesetz. Erstmals gibt es wieder Offenheit in die- ser Frage. Wir müssen jetzt – das ist meine Überzeu- hatten. Ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank. Uns gung; das sollten wir aus dem Untersuchungsausschuss allen wünsche ich einen Weg in eine bessere Zukunft gelernt haben – die Gunst der Stunde nutzen, das neue und dass die Fragen, die wir bearbeitet haben, ergebnis- Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschie- orientiert beantwortet werden. den. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Wer nun wirklich wissen will, wie es war, der kann bei Abgeordneten der SPD) mit dem Abschlussbericht des 1. Untersuchungsaus- schusses auf ein umfassendes Werk zurückgreifen, um Vizepräsident Eduard Oswald: sich selbst ein Bild von den Entscheidungsprozessen Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. – rund um den Standort Gorleben zu machen. Der Bericht Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten umfasst rund 1 700 Seiten. Auf einer Begleit-CD werden ist unsere Kollegin Frau Ute Vogt. Bitte schön, Frau Kol- in Kürze sämtliche stenografischen Protokolle der Zeu- legin Ute Vogt. genvernehmung und der Sachverständigenanhörung so- wie ausgewählte Dokumente – 123 an der Zahl – zur (Beifall bei der SPD) Einsichtnahme zur Verfügung stehen. Das alles wird man auch auf den Internetseiten des Deutschen Bundes- Ute Vogt (SPD): tages einsehen können. Kopien der Beweismaterialien Danke schön, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen sollen gemäß einem Ausschussbeschluss mindestens bis und Kollegen! Liebe Kollegin Flachsbarth, ich will mich zum Ende der 19. Wahlperiode im Parlamentsarchiv zur dem Dank anschließen, nicht nur dem an das Ausschuss- Einsichtnahme zur Verfügung stehen. sekretariat, sondern auch ausdrücklich dem an die Mitar- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30761

Ute Vogt (A) beiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen, aber natür- lauteten: Es gibt kein besseres Endlager als Gorleben. – (C) lich auch dem Dank an alle, die diesen Ausschuss Bundeskanzlerin Merkel hat noch am Ende der Aus- begleitet haben. Der Dank gilt auch denjenigen im schussarbeit in ihrer Zeugenvernehmung verkündet, dass Wendland und den Mitarbeitern von Greenpeace, die uns sie überhaupt nicht verstehe, wieso man Gorleben nicht viel Unterstützung gegeben haben, wenn es darum ging, einfach zu Ende erkunde. Das ist eine Augen-zu-und- die Fakten für diesen Untersuchungsausschuss zusam- durch-Methode. Jetzt ist erfreulicherweise auch in wei- menzutragen. ten Teilen der Regierung die Erkenntnis gewachsen, dass diese Methode heute nicht mehr gelten darf. Ich will gerne ausdrücklich die Frau Vorsitzende in den Dank einbeziehen; wie Sie sagten, haben wir uns, Die Fakten sind eindeutig: Die Standortentscheidung zumindest was Sie als Vorsitzende angeht, nach anfäng- 1977 erfolgte aufgrund politischer Vorgaben. Minister- lichen Schwierigkeiten zusammengerauft. Sie haben den präsident Ernst Albrecht sagte: „Gorleben oder kein Ausschuss fair geleitet und so, dass alle berücksichtigt Standort in Niedersachsen“, wohl in der Hoffnung, dass wurden. Es ist also eine versöhnliche Stimmung, sehr ein strukturschwaches Gebiet mit wenig Besiedelung schön. wenig Widerstand leisten würde. Wir wissen heute, dass dies eine trügerische Hoffnung war. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nun wollen wir das auch beibehalten, Frau Vogt!) Was folgte, war im Jahr 1983 die politische Einfluss- nahme auf einen Bericht von Wissenschaftlern, die ge- Es ist auch gut, wenn die Einsicht Platz greift, dass es schrieben haben: Sinnvoll und notwendig ist die Suche richtig und vor allem notwendig war, dass der Umwelt- nach einem alternativen Standort. Es reicht nicht aus, nur minister im Jahr 2009 mit einem ersten einen Standort zu untersuchen. – Was ist passiert? Genau kritischen Bericht zu diesem Untersuchungsausschuss diese Sätze wurden aus dem Bericht gestrichen, nach- überhaupt erst den Anstoß gegeben hat. Ich kann Ihnen dem aus dem Kanzleramt ein Emissär zu den Wissen- auch nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass es Ihre schaftlern geschickt wurde und Weisung erteilt hat, den Bundeskanzlerin war, die damals sehr viel dafür getan Hinweis auf die Suche nach einem alternativen Standort hat, einen kritischen Bericht über Gorleben zu verhin- aus dem Bericht zu nehmen. Eine politische Einfluss- dern. Wäre sie damals schon souveräner und einsichtiger nahme auf wissenschaftliche Arbeit ist ziemlich einma- gewesen, hätte es einen Untersuchungsausschuss in die- lig in solchen Bereichen. ser Form gar nicht gebraucht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Auch die frühere Umweltministerin Angela Merkel (B) Wir sind heute an einem Punkt, an dem wir alle bereit (D) ließ in den 90er-Jahren kritische Stimmen außen vor und sind, aus den Fehlern zu lernen, zumindest fast alle. erhörte lieber die Stimmen der Atomindustrie. Nach Aber ich will nicht darüber hinwegsehen, dass es doch 1997 wurde der Salzstock aufgrund ihres Entscheids ein schwieriger Start war, der auch seine Auswirkungen nicht mehr entlang wissenschaftlicher Erkenntnisse und auf das Ende hatte. Die Tatsache, dass wir uns noch nicht Erfordernisse erkundet, sondern nur noch entlang der einmal auf einen sachlichen Feststellungsteil einigen vorhandenen Salzrechte. Ein Verfahrensweg, der – wen konnten, zeigt doch, dass jedenfalls der größere Teil der überrascht es? – der Atomindustrie immerhin eine Er- Mehrheit im Ausschuss selbst nach dem Atomausstieg sparnis von 365 Millionen D-Mark gebracht hat. Zu- noch die Schlachten von gestern geschlagen hat. gleich wurde die Öffentlichkeit getäuscht, indem eine (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Oder umge- Salzstudie veröffentlich wurde, in der bundesweit kehrt!) 41 Salzstöcke untersucht, aber am Ende nicht mit Gorle- ben verglichen wurden. Trotzdem hat die damalige Um- Im Berichtsteil der Union und der FDP kann man zum weltministerin und heutige Kanzlerin verkündet: „Gorle- Beispiel auf Seite 587 lesen, dass das Auswahlverfahren ben bleibt erste Wahl.“ Sie hat so getan, als hätte ein des Bundes und der Niedersächsischen Landesregierung Vergleich stattgefunden. Auch diese Täuschung konnte vorbildlich gewesen sei und Maßstäbe gesetzt habe. Mit im Ausschuss nicht widerlegt werden. Verlaub: Das stimmt weder heute, noch stimmte es nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Selbstver- ständlich! Das wissen Sie! Das ist die Unwahr- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem heit! Das wird doch nicht besser, indem Sie es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard immer wiederholen!) Grindel [CDU/CSU]: Doch! Natürlich!) Obwohl in dieser Zeit bereits bekannt war, dass das Aber es passt in die politische Linie, die leider die Arbeit Deckgebirge nicht ausreichend stark ist, obwohl bekannt im Ausschuss auch nach Ihrer Erkenntnis zum Atom- ist, dass die Gorlebener Rinne Wasserzufluss ins Salz er- ausstieg geprägt hat. möglicht, Ein Teil des Ausschusses hatte und hat bis zum (Zuruf von der CDU/CSU: Auch das stimmt Schluss nur sehr beschränkten Aufklärungswillen bewie- nicht!) sen. Der Kollege Grindel zum Beispiel hat schon zu Anfang des Ausschusses, im April des Jahres 2010, und obwohl wir im Ausschuss erörtert haben, dass Gas- durch einen Namensartikel Schlagzeilen provoziert, die vorkommen unter dem Salzstock eine zusätzliche Ge- 30762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Ute Vogt (A) fährdung darstellen, trotz dieser Erkenntnisse, die es seit Angelika Brunkhorst (FDP): (C) vielen Jahren gibt, hat man weiter unbeirrt an der Erkun- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben dung festgehalten. am letzten Dienstag den Abschlussbericht des Parlamen- tarischen Untersuchungsausschusses „Gorleben“ an Verheerend am Verfahren ist nicht nur, dass kritische Herrn Dr. Lammert, den Bundestagspräsidenten, überge- Wissenschaft ignoriert wurde, sondern auch, dass die ben. Der Bericht liegt bei Herrn Dr. Paul auf dem Tisch; Kriterien den Erkundungsergebnissen angepasst worden da kann man sehen, was für ein Paket das ist. Wir haben sind. in exakt 100 Sitzungen mehr als 50 Zeugen und einige Sachverständige vernommen, wir haben einen Ermitt- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie lungsbeauftragten eingeschaltet, wir haben 2 800 von bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE insgesamt rund 6 000 Akten bearbeitet. Es war ein un- GRÜNEN) glaublicher Aufwand. Liest man allerdings das Sonder- War zum Beispiel ein ausreichendes Deckgebirge über votum der Opposition, dann stellt man resignierend fest: dem Salzstock zu Beginn noch ein wichtiges Kriterium Der Ausschuss war umsonst; denn die Opposition hält für die Sicherheit des Standortes, war dies, nachdem unbeirrt an ihren Verschwörungstheorien fest, ohne die man festgestellt hat, dass das Deckgebirge durchlässiger Erkenntnisse aus dem Ausschuss überhaupt wahrzuneh- ist als erwartet, auf einmal keine notwendige Vorausset- men. zung mehr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Im Ergebnis jedenfalls steht fest: Der Standort Gorle- Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben ist politisch, juristisch und auch wissenschaftlich de- NEN]: Welche Verschwörungstheorien?) legitimiert. Eine unbelastete Erkundung wird an diesem Mir ist bewusst, dass die Verschwörungstheorie, im Standort nicht mehr erfolgen. Wenn wir ihn trotzdem ins bisherigen Erkundungsprozess sei politisch manipuliert Suchverfahren einbeziehen, dann deshalb, weil wir worden, sinnstiftend ist, besonders für die Partei der Rechtssicherheit wollen, vor allem aber auch, weil es der Grünen. Offenbar stand für die Grünen sehr schnell fest, Akzeptanz der anderen Bundesländer bedarf. Deshalb ist dass der Untersuchungsausschuss erbracht hat und klar es das Mindeste, dass wir gegenüber den Bürgerinnen und deutlich aufzeigt, dass die Entscheidung für Gorle- und Bürgern in Gorleben deutlich machen, dass für uns ben politisch motiviert war. Denn bereits im November unzweifelhaft feststeht, dass bei einem neuen Verfahren 2010, ein halbes Jahr nach Konstituierung des Ausschus- weitere Transporte von Atommüll nach Gorleben unter- ses, haben sie das auf ihrem Parteitag schon konstatiert. bleiben und andere Bundesländer endlich ihre Verpflich- Mich wundert heute noch, dass das bei den Grünen so tung ernst nehmen und ihre Bereitschaft erklären müs- schnell ging; (B) sen, auch Atommüll, an dem sie vorher verdient haben, (D) aufzunehmen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind immer vorausschauend! (Beifall bei der SPD) Wir sind unserer Zeit voraus!) Wir haben heute die Verantwortung, aus den Fehlern wir haben insgesamt drei Jahre gebraucht. Ich fand das der Vergangenheit zu lernen. Ich hoffe, dass die Bereit- nicht besonders gut. schaft, sich dieser Verantwortung zu stellen, in den Rei- Jede Leserin und jeder Leser hat mit Vorliegen des hen der Koalition nicht nachlässt; denn wir sind es den Abschlussberichts die Möglichkeit, diesen durchzulesen kommenden Generationen schuldig, ihnen nicht den und zu sehen, dass das objektiv nicht wahr ist. Sie wer- Müll vor die Füße zu kippen, sondern das Problem einer den auch merken, dass die Argumentation der Opposi- Lösung zuzuführen und zu verhindern, dass irgendwann tion nicht schlüssig ist, dass die rudimentären Versuche in ferner Zukunft jemand auf die Idee kommen könnte, der Beweisführung völlig misslungen sind. ein Müllexport könnte unser Problem lösen. Wir sind hier in der Verantwortung, und wenn dieser Ausschuss (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Woher einen Sinn hatte, dann den, dass alle Beteiligten erken- wissen Sie das? – Ute Vogt [SPD]: Warum gibt nen mussten, dass es notwendig ist, gemeinsam die Su- es denn jetzt einen neuen Suchprozess?) che nach einem alternativen Standort zu beginnen. Ich Der Ausschuss war umsonst, aber selbstverständlich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung noch in dieser war er nicht kostenlos. Er hat mehrere Millionen Euro Legislaturperiode auf den Weg bringen. verschlungen. Das muss man an dieser Stelle auch ein- mal sagen. Der Aufwand stand in keinem Verhältnis zum (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tatsächlichen Nutzen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Nur weil Sie nicht bereit Vizepräsident Eduard Oswald: waren, irgendetwas daraus zu lernen!) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unsere Meine Damen und Herren, Aufgabe eines Untersu- Kollegin Frau Angelika Brunkhorst. Bitte schön, Frau chungsausschusses ist die parlamentarische Betrachtung Kollegin Angelika Brunkhorst. und Bewertung abgeschlossenen Regierungshandelns. Der Untersuchungsausschuss hat nicht geprüft, ob der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Salzstock Gorleben geeignet ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30763

Angelika Brunkhorst (A) (Ulrich Kelber [SPD]: Es gab sogar eine End- teren Ausbau der Kernenergie von den Fortschritten ei- (C) lagerethikkommission! Sie haben nur nicht zu- nes nuklearen Entsorgungs- und Endlagerungskonzepts gehört!) abhängig gemacht. – Ja, ja. – Kern des Auftrags des Untersuchungsaus- Ich sage das deshalb, weil ich gleich auf den sprin- schusses war es, zu untersuchen, ob der Vorwurf stimmt, genden Punkt zu sprechen komme. 1996/1997, also dass von der damaligen Regierung unter Bundeskanzler 20 Jahre später, haben die Energieversorger die Entsor- Helmut Kohl auf die Physikalisch-Technische Bundes- gungsvorsorge an den Nachweis der Zwischenlagerung anstalt, PTB, im Jahr 1983 Druck ausgeübt wurde, den koppeln wollen. Wir haben das zu dem Zeitpunkt als Zwischenbericht zu ändern. Dieser Vorwurf konnte klar christlich-liberale Bundesregierung abgelehnt. Die End- widerlegt werden. Es gab keine politische Manipulation. lagerfrage sollte immer noch zügig gelöst werden. Die Änderung der Entsorgungsvorsorge erfolgte erst mit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – dem rot-grünen Atomausstiegsgesetz im Jahre 2002. Seit Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dem Zeitpunkt ist der Vorsorgenachweis nicht mehr von NEN]: Das ist Ihre Wahrnehmung! Wir haben den Fortschritten bei der Endlagerung abhängig, sondern eine andere!) nur noch von der Zwischenlagerung. Auch das gehört Der PTB-Zwischenbericht sollte der Bundesregierung zur Wahrheit; das muss an dieser Stelle einmal gesagt damals als Entscheidungsgrundlage für die Frage die- werden. nen, ob der Salzstock auch untertägig erkundet werden kann, ob er die Voraussetzungen dafür mitbringt. Diese (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Frage hat die PTB damals ganz klar mit Ja beantwortet. der CDU/CSU) Richtig ist, dass es PTB-intern auch Erwägungen gab, Von Gorleben-Gegnern und auch von der Opposition weitere Standorte neben Gorleben zu erkunden. Anders wird gebetsmühlenartig behauptet, dass der Salzstock als die Opposition suggeriert, ging es aber nie um die Gorleben wegen seines mangelhaften Deckgebirges nie- Suche nach alternativen Standorten. mals geeignet sein könnte. Von der PTB wurde die Eig- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nungshöffigkeit trotz angeblicher Mängel im Deckge- NEN]: Was sind denn die Alternativen?) birge bestätigt. Anders als die Opposition es darstellt, ist die Gorlebener Rinne aus wissenschaftlichen Erwägun- Diskutiert wurde die Erkundung zusätzlicher Stand- gen heraus kein K.-o.-Kriterium für ein Endlager im orte. Die Eignungshöffigkeit des Salzstocks wurde von Salzstock. Ich zitiere den Zeugen Professor Röthemeyer, der PTB nicht infrage gestellt. Bereits die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, und die (Ulrich Kelber [SPD]: Warum sind die Krite- (B) Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endla- rien denn verändert worden?) (D) gern, DBE, die an der Erstellung des PTB-Zwischen- der jahrzehntelang verantwortlicher Abteilungs- und berichts mitgearbeitet haben, sagten zum damaligen Fachbereichsleiter der PTB und später auch des BfS war. Zeitpunkt: Die Erkundung zusätzlicher Standorte macht zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn. Sollte sich Gorleben (Ulrich Kelber [SPD]: Trotzdem sind die Kri- als nicht geeignet darstellen, haben wir auf jeden Fall die terien offiziell verändert worden!) Möglichkeit, relativ schnell auch andere Standorte zu er- Er hat am 10. Juli 2010 gesagt – ich zitiere –: kunden. Die Gorlebener Rinne kann auch als natürliches Erinnern Sie sich, meine Damen und Herren, gehen Langzeitexperiment bewertet werden. Die Natur hat Sie auf der Zeitschiene 35 Jahre zurück: Nach der Öl- hier unter extremen Belastungen und dynamischen krise, Ende der 70er-Jahre, hatte die damalige Bundesre- Bedingungen das Isolationspotenzial des Salzstocks gierung unter Kanzler , SPD, auf den auf seine Langzeitwirkung getestet, und das mit ei- Ausbau der Kernenergie gesetzt. Er wollte im Endeffekt nem ganz eindeutigen Ergebnis. Trotz des vielfälti- circa 50 Kernkraftwerke in Betrieb nehmen. Die Ge- gen geologischen Geschehens, welches im Verlauf schichte zeigt uns heute, dass nicht einmal die Hälfte da- von über 200 Millionen Jahren im Deckgebirge und von gebaut wurde. Damals bestand die Sorge, dass der an der Erdoberfläche stattgefunden hat, sind die Salzstock Gorleben alleine zu klein wäre, um die anfal- bisher im Salzstock untersuchten Gesteine in ihrem lenden radioaktiven Abfälle aufzunehmen. Aus diesem mineralogischen und auch chemischen Stoffbestand entsorgungspolitischen Grund hatte damals Professor praktisch unverändert geblieben. Auch für die Helmut Röthemeyer als verantwortlicher Wissenschaft- Zukunft ist davon auszugehen, dass die über der ler der PTB weitere Standorte diskutiert, allerdings nie- 840-Meter-Sohle, die zurzeit aufgefahren ist, la- mals aufgrund sicherheitstechnischer Bedenken. gernden Steinsalzschichten noch für über 8 Millio- Es war die feste Leitlinie der damaligen christlich-li- nen Jahre ihre Barrierenfunktion behalten werden. beralen Bundesregierung und der sie tragenden Fraktio- Mit anderen Worten: Seit 250 Millionen Jahren ist dieser nen, dass eine verantwortungsvolle Nutzung der Kern- Salzstock an der zu untersuchenden Stelle unverändert. energie immer im Gleichklang mit einer sicheren Entsorgung der radioaktiven Abfälle stehen muss. Des- Der Salzstock wurde nicht willkürlich ausgewählt; wegen haben wir die Endlagerfrage auch zügig klären Frau Flachsbarth hat das bereits dargestellt. Die Ent- wollen. Davor schon hatte die sozial-liberale Koalition scheidung für den Salzstock Gorleben als vorläufigen 1976 mit der Vierten Novelle zum Atomgesetz den wei- Erkundungsstandort für ein mögliches Endlager im Jahr 30764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Angelika Brunkhorst (A) 1977 ist nachvollziehbar, schrittweise und nach wissen- Vizepräsident Eduard Oswald: (C) schaftlich abgesicherten Kriterien erfolgt. Es gab das Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Auswahlverfahren der KEWA, der Kernbrennstoff- für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Wiederaufbereitungs-Gesellschaft, die im Auftrag des Dorothée Menzner. Bitte schön, Frau Kollegin Dorothée Bundesforschungsministeriums gewirkt hat. Es gab das Menzner. unabhängige Verfahren des Interministeriellen Arbeits- (Beifall bei der LINKEN) kreises aus Niedersachsen, des IMAK. Der IMAK ging seinerzeit von 140 Salzstöcken aus. Auf der Grundlage verschiedener Kriterien – Salzstockgröße, Teufenlage Dorothée Menzner (DIE LINKE): usw. – wurden 14 Salzstöcke als möglicherweise geeig- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! net identifiziert. Bei der Auswahl des Standorts wurden Sehr geehrte Damen und Herren! Aufgabe eines Unter- dann Kriterien angelegt, die auf der Grundlage von Be- suchungsausschusses ist es, Regierungshandeln der Ver- wertungsdaten zur Ermittlung von Kernkraftwerksstand- gangenheit zu beleuchten und zu kontrollieren mit dem Ziel, etwa gemachte Fehler in der Zukunft zu vermeiden. orten entwickelt worden waren. Der Salzstock Gorleben Über weite Strecken unserer Arbeit musste man aber den war nach den damals anzulegenden Kriterien ein geeig- Eindruck gewinnen, dass die Koalition ihre Aufgabe neter Standort. eher darin sah, Regierungshandeln der Vergangenheit Zur Öffentlichkeitsbeteiligung. Heute, über 30 Jahre reinzuwaschen, zu rechtfertigen. Der Ermittlungswille später, haben wir andere Maßstäbe; das ist klar. Die Bun- fehlte. Das setzte sich fort, nachdem die Regierung den desregierung hat aber für damalige Verhältnisse durch- Entschluss fasste, ein neues Suchverfahren anzustreben. aus Maßstäbe in der Öffentlichkeitsarbeit gesetzt. Es gab Ich kann es nur als Missachtung der Arbeit unseres Parlamentes und des Niedersächsischen Landtages ver- in den Jahren 1981, 1982 und 1983 drei große Informa- stehen, wenn die Ergebnisse unseres Untersuchungsaus- tionsveranstaltungen des Bundesministeriums für For- schusses sowie des Asse-Untersuchungsausschusses schung und Technologie. Die Ergebnisse wurden in drei nicht abgewartet und ausgewertet werden, um sie als Bänden mit dem Titel Entsorgung publiziert. Es gab eine Fundament der Analyse zu nutzen, wie ein neues Verfah- Gemeinsame Informationsstelle des Bundes und des ren ausgestaltet werden kann. Landes Niedersachsen in Lüchow bzw. in Gatow. Von der PTB wurden Vorträge von Wissenschaftlern in der (Beifall bei der LINKEN) betroffenen Region organisiert und durchgeführt. Der Im Abschlussbericht der Koalition steht keine Silbe PTB-Zwischenbericht wurde veröffentlicht, und es gab über mögliche Lehren aus den Fehlern der Vergangen- weitere, teilweise sehr detaillierte Veröffentlichungen heit. Sie konnten offensichtlich keine Fehler entdecken. (B) (D) und Formate der PTB: PTB aktuell, PTB-Infoblatt und Der Arbeit der Koalition merkte man an, was sie als ih- Pressemitteilungen. ren Auftrag begriffen hatte, nämlich herauszufinden, dass es in Gorleben keine Fehler gab. Der Abschluss- Vizepräsident Eduard Oswald: bericht der Koalition spiegelt wider, was aus den Aussa- gen der vielen ehemaligen Beamten hervorgeht, Frau Kollegin, das blinkende Licht ist kein Sympa- thiezeichen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es ist nicht ungewöhnlich, dass man sich darauf beruft, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Man könnte was Zeugen sagen!) es aber so interpretieren!) deren Berufsleben darin bestand, Gorleben gegen alle Bedenken als Standort durchzuboxen. Ich gestehe gerne Angelika Brunkhorst (FDP): zu: Es fällt jedem schwer, auch Politikern, Beamten oder Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Auch die Wissenschaftlern, lebenslange Überzeugungen, eigene Gorleben-Kommission war eingebunden. Darin saßen Arbeitsleistungen und eigenes Handeln mit ein bisschen demokratisch legitimierte Kommunalpolitiker. Abstand kritisch zu hinterfragen und die Überzeugungen gegebenenfalls über Bord zu werfen. Aber dennoch: Wenn ich überhaupt einen Benefit des Parlamentari- Ausreichend ist das nicht. schen Untersuchungsausschusses feststellen kann, dann Ich möchte einige Beispiele geben; einige hat die liegt er darin, dass die Diskussion um Gorleben als Er- Kollegin Vogt schon vorweggenommen. Im Koalitions- kundungsstandort historisch aufgearbeitet wurde und bericht heißt es, die Auswahlverfahren im Jahr 1977 dargelegt wurde, dass die Wissenschaftler und Fach- seien „auch aus heutiger Sicht geradezu beispielhaft und beamten damals integer waren und sich nicht hätten ma- fortschrittlich“ gewesen, sie seien „vollständig dem Pri- nipulieren lassen. mat der Sicherheit“ gefolgt. Schaut man sich einmal an, Ich danke allen, die an der Arbeit des Parlamentari- was damals als „Primat der Sicherheit“ galt, sieht man, schen Untersuchungsausschusses so fleißig mitgewirkt dass die geringe Bevölkerungsdichte rund um Gorleben gemeint war. Wenige betroffene Menschen im damali- haben. gen Zonenrandgebiet waren wohl das wichtigste Um- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. weltkriterium, und für die Koalition – das finde ich er- schreckend – gilt das auch aus heutiger Sicht immer (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) noch als fortschrittlich. Gorleben als heilige Kuh! Aber Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30765

Dorothée Menzner (A) geologische Eignung ergibt sich nicht durch man- an organisiert und einen ernstgemeinten, echten Konsens (C) tramäßiges Wiederholen, und Bürgerbeteiligung und anstrebt, ohne künstlichen Zeitdruck. Transparenz kann man auch nicht im Nachhinein her- (Beifall bei der LINKEN) stellen. Aus Fehlern lernen hieße auch, die rund 34 Milliar- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) den Euro Rückstellungen der Atomindustrie endlich in Dass Gorleben 1977 Ergebnis eines Auswahlverfah- einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu überführen, damit rens des Bundes gewesen sein soll, ist eine oft wieder- sie sicher sind vor Konkurs oder Werteverfall. holte, aber dennoch falsche Behauptung. Eine derartige (Beifall bei der LINKEN) Studie fanden wir in den 2 800 Akten nicht. Schließlich stellte sich heraus, dass sich die Koalition mit ihrer Fazit: Der Untersuchungsausschuss hat wichtige Ar- Behauptung, Gorleben sei Ergebnis eines Auswahlver- beit geleistet. Alle relevanten Akten sind zusammenge- fahrens, auf ein undatiertes Arbeitspapier ohne nach- tragen und im Archiv des Bundestages auch zukünftig vollziehbare Herkunft stützte. Es hat zwar ein Auswahl- einsehbar. Zeitzeugen und Handelnde haben protokol- verfahren gegeben, aber da kam nicht Gorleben heraus, liert Stellung bezogen und konnten auch unbequemen sondern drei andere Standorte, die dann aber wegen der Fragen nicht ausweichen. Zusammenhänge, Querverbin- lokalen Gegenwehr der Bevölkerung, auch aus Reihen dungen, Abhängigkeiten und falsch verstandene Loyali- der CDU-Mitgliedschaft, fallengelassen wurden. täten sind nun nachlesbar und transparent. Es gibt weitere Beispiele, die ich aus Zeitgründen lei- Das ist eine wichtige Grundlage und Vorarbeit für die der nicht alle ausführen kann. Lassen Sie mich aber noch zukünftige Auseinandersetzung mit diesem Thema. Aber etwas zu dem Bericht der Opposition sagen. Man kann aufgrund von Lebensüberzeugung und eigener Verstri- auf 650 Seiten nachlesen, was die Koalition nicht begrei- ckung so manch eines Abgeordneten, manch einer Frak- fen will: Über Jahrzehnte fehlte ein echtes Konzept für tion oder Partei sind gemeinsame Schlussfolgerungen die Lagerung des gefährlichsten Stoffes, den die Mensch- – ich hoffe: noch – nicht möglich. Damit bleibt der Ein- heit je hervorgebracht hat. Das ist eine Verantwortungs- fluss auf die Frage: „Wohin mit dem Atommüll?“, vorerst losigkeit, die ihresgleichen sucht. Gorleben war das Er- leider gering, und eine Wiederholung alter Fehler droht. gebnis von Männerbünden zwischen Regierungsstellen Um das zu verändern, werden Parteien, Parlament, und Atomindustrie, das Ergebnis von Kungelei und Regierung, Ministerien, aber auch Aufgabenträger wie Machbarkeitswahn. An Gorleben kann man studieren, das BfS oder die neu zu schaffende Endlagerbehörde die wie man es nicht macht. Kompetenz, die Einmischung, den Druck und gegebe- (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nenfalls auch den Widerstand und den Protest von (D) neten der SPD) Bürgerinnen und Bürgern und der Antiatombewegung brauchen, und eines verspreche ich, werte Kolleginnen Ich bedauere schon, dass wir uns mit SPD und Grü- und Kollegen: Das werden Sie auch bekommen. nen auf den letzten Metern nicht auf eine Schlussfolge- rung einigen konnten – 650 Seiten haben wir gemeinsam Ich fordere die Menschen an dieser Stelle auf: geschafft –, die lauten muss: Gorleben muss raus aus ei- Schauen Sie weiterhin ganz genau hin, mischen Sie sich nem neuen Verfahren. ein und beteiligen Sie sich! Das atomare Erbe geht – egal ob es uns gefällt oder nicht – uns alle an. Was ich (Beifall bei der LINKEN) aus diesem Untersuchungsausschuss gelernt habe: Wir Wir müssen aus Fehlern lernen. Aus Fehlern lernen dürfen es nicht wenigen überlassen. hieße, so schnell wie möglich aus der Atomkraft auszu- Ich danke Ihnen. steigen und nicht weitere neun Jahre Atommüll zu produzieren. Aus Fehlern lernen hieße, den Zankapfel (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Gorleben aus dem Verfahren zu nehmen; denn er ist geo- neten der SPD) logisch ungeeignet und politisch verbrannt. Vizepräsident Eduard Oswald: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sylvia Kotting-Uhl hat jetzt das Wort für Bündnis 90/ Marco Bülow [SPD]) Die Grünen. Aus Fehlern lernen hieße, keine Vorfestlegung auf geologische Tiefenlagerung zu treffen, sondern vorab Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Rückholbarkeit der Abfälle oder auch die oberflä- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chennahe Lagerung intensiv zu prüfen. Aus Fehlern ler- Der Satz, den wir im Untersuchungsausschuss sicher am nen hieße, eine von der Industrie und sonstigen Interes- häufigsten gehört haben, lautete: „Vor der Hacke ist es sen vollkommen unabhängige Forschung im Bereich des duster.“ Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis heißt: Verbleibs von Atommüll zu gewährleisten. Graben bringt Durchblick. Also haben wir drei Jahre (Beifall bei der LINKEN) lang gegraben, um uns Durchblick zu verschaffen. Die- ser Durchblick mit dem Blick nach hinten war nicht ver- Aus Fehlern lernen hieße, einen wirklichen Neuan- kehrt, Herr Grindel; denn es stimmt eben nicht, wie sie fang zu machen, indem man Entscheidungswege neu so schön gesagt haben, dass dieser Untersuchungsaus- und transparent gestaltet, Bürgerbeteiligung von Beginn schuss der teuerste, überflüssigste und längste in der Ge- 30766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Sylvia Kotting-Uhl (A) schichte gewesen sei. Vielleicht war er der teuerste und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) der längste. Das kann ich nicht beurteilen; denn ich bin Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein, Sie be- keine Dauer-Parlamentarierin. Der überflüssigste war er greifen es bis heute nicht!) ganz sicher nicht. Das war aus damaliger Sicht der Bundesregierung viel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leicht sogar verständlich. Man kann Ihnen aber wahr- sowie bei Abgeordneten der SPD – Bernhard scheinlich zehnmal schriftlich das vorhalten, was von Kaster [CDU/CSU]: Es ist doch nichts heraus- den damals betroffenen Menschen gesagt wurde: Sie gekommen!) werden dann immer noch Nein sagen, genauso wie Sie Es ist kein Zufall, dass es so gut geglückt ist, jetzt ein sagen, das sei der überflüssigste Untersuchungsaus- Endlagersuchegesetz – inzwischen heißt es „Standort- schuss der Geschichte gewesen. auswahlgesetz“ – mit einem breiten Konsens auf den Des Weiteren kommen Sie in Ihrem Koalitions- Weg zu bringen. Als Baden-Württembergerin sage ich: abschlussbericht zu der unglaublichen Erkenntnis, die Die Regierungsübernahme in Baden-Württemberg und Suche sei sogar aus heutiger Sicht geradezu beispielhaft die Bereitschaft allein hätten wahrscheinlich nicht ge- und fortschrittlich gewesen. Das ist – ich muss Ihnen das reicht. Dazu brauchte es noch das Puzzlesteinchen „Un- sagen – eine weitere Verhöhnung der Menschen im tersuchungsausschuss Gorleben“. Das gemeinsam hat Wendland. Genau diese Dinge führen zu Politikverdros- dazu geführt. senheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Was ist die Lehre aus Gorleben? Schauen wir noch ein- sowie bei Abgeordneten der SPD – Reinhard mal zurück: Was waren die Dinge, die aus heutiger Sicht Grindel [CDU/CSU]: Nein!) mindestens nicht gut gelaufen sind? Für die bisherigen Das haben Sie sich wegen solcher Äußerungen vorzu- – das gilt bis heute – Standortsuche- und -erkundungsver- werfen. fahren gab es keine Regelung über den Verfahrensablauf. Die Entscheidungsträger passten Standortsuche und Die Lehren aus Gorleben sind klar. Wir brauchen für Standorterkundung den jeweiligen politischen, rechtli- eine erneute erfolgreiche Suche – überhaupt einmal eine chen und finanziellen Gegebenheiten an. Sie waren nicht Suche – den Maßstab absoluter Orientierung an Sicher- das Ergebnis einer planvollen, vorausschauenden Vorge- heitskriterien. Ein Vergleich ist nötig; denn Sicherheit hensweise. Mehrere Fälle von Einflussnahme konnten für 1 Million Jahre lässt sich aus heutiger Sicht schwer nachgewiesen werden. definieren. Das heißt, wir brauchen den Vergleich, weil wir das im Vergleich Sicherste suchen müssen. Wir brau- (B) (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) (D) chen Transparenz und Partizipation. Am Wochenende Die zentralen Entscheidungen der bisherigen Endla- haben wir gelernt, dass wir alle noch viel zu lernen ha- gersuche und -erkundung sind unter Ausschluss der ben, wie ein Beteiligungsangebot aussehen muss, damit Öffentlichkeit getroffen worden. Da immer noch bestrit- es angenommen wird. Lernen müssen aber auch diejeni- ten wird – auch Frau Brunkhorst hat das gerade noch gen, die dieses Angebot annehmen sollen, die es eigent- einmal getan –, dass es Einflussnahme gab, will ich das lich auch annehmen wollen. Die Zivilgesellschaft insge- Beispiel von 1983 noch einmal mit einem Zitat beleuch- samt hat da noch einiges vor sich. Deshalb finde ich es ten. Bereits zum Zeitpunkt der Vorauswahl und Auswahl gut, dass eine Kommission eingerichtet werden soll, in des Standortes Gorleben wäre nämlich nach damaligem der Vertreter der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und Stand von Wissenschaft und Technik eine Alternativen- der Politik, die anschließend die Verantwortung für die prüfung notwendig gewesen. Bereits damals hätten Aus- Entscheidung trägt, gemeinsam Entscheidungen in die- wahl und Erkundung in einem atomrechtlichen Verfah- ser wichtigen Frage auf den Weg bringen wollen. ren stattfinden müssen. Aus politischen Gründen sind diese wissenschaftlichen und technischen Anforderun- Ja, die Zeiten haben sich geändert. Wir brauchen gen nicht eingehalten worden. Die Einflussnahme auf heute eine andere Form der Bürgerbeteiligung. Aber den Bericht der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Bergrecht anstelle des Atomrechts im Gorleben-Verfah- im Jahr 1983 ist nur ein – allerdings sehr wichtiger – ren einzusetzen, nur um sich eine Bürgerbeteiligung zu Vorgang in dieser Prozesslogik. ersparen, diese Entscheidung war auch schon damals nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Die Empfehlung dieses Berichtes war ursprünglich, Frau Brunkhorst, zusätzlich Alternativen – das heißt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitere Standorte – zu erkunden. Diese Empfehlung und bei der SPD – Dorothea Steiner [BÜND- musste gestrichen werden. Herr Röthemeyer, der am NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist milde ausge- 1. Juli 2010 als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss drückt!) ausgesagt hat, sagte – jetzt kommt das wörtliche Zitat –: Weil die eigentlichen Kampfredner erst nach mir „Ja, man musste das als Weisung der Bundesregierung sprechen und, wie ich vermute, zumindest Herr Paul verstehen.“ – Was brauchen Sie denn noch? Ich verstehe gleich sagen wird, dass die Eignungshöffigkeit schon das nicht. Das ist doch eine Verleugnung der Geschichte, von Rot-Grün festgestellt wurde wenn Sie sich heute hinstellen und sagen: Es gab keine Einflussnahme, es gab keine Manipulation. – Selbstver- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau! Das ständlich gab es Einflussnahmen. kommt von mir, nicht von Herrn Paul!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30767

Sylvia Kotting-Uhl (A) – richtig, wusste ich es doch –, möchte ich, um Ihnen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) gleich den Vorwurf zu ersparen, dass Sie wieder nur die Der Kollege Reinhard Grindel hat jetzt das Wort für Hälfte zitieren, vollständig aus dem damaligen Vertrag die CDU/CSU-Fraktion. zitieren, der – auch das darf man nicht vergessen – eine erste Kehrtwende, eine erste Lehre aus Tschernobyl be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – deutete. Auch damals hat man einen Konsens gesucht, Dr. Michael Paul [CDU/CSU]: Endlich zur also auch Zugeständnisse machen müssen. Das Zuge- Sache!) ständnis war aber nicht: Gorleben ist eignungshöffig. – Reinhard Grindel (CDU/CSU): (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Doch! Ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schrieben ist geschrieben!) Wenn das, was im Minderheitenbericht steht, und wenn das, was Frau Kotting-Uhl und Frau Menzner hier gesagt Das Zugeständnis war: Die Eignungshöffigkeit ist nicht haben, richtig wäre, dann hätten sich die Zeitungen bei widerlegt. – der Berichterstattung über unseren Ausschuss doch über- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja gut! – schlagen müssen, dann hätten wir uns dort vor Kamera- Eckhard Pols [CDU/CSU]: Was ist denn das teams gar nicht retten können. Das wäre in der Tat eine für eine Wortklauberei?) Sensation, die auf das geplante Standortauswahlgesetz durchschlagen würde. Jeder, der uns zuschaut und sich Mindestens die Juristen müssten diesen feinen, aber fragt, warum die einen das so und die anderen das so sa- wichtigen Unterschied erkennen können. gen, der sollte einmal bei Google News in die Presse- archive schauen. Zum einen wird er ganz wenige Artikel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) finden, Liebe Frau Menzner, zum Abschluss zu Ihnen. Ihrer (Ute Vogt [SPD]: Das ist doch aber nicht der Meinung nach lautet die Lehre aus dem Gorleben-Unter- Maßstab!) suchungsausschuss: Gorleben darf nicht im Verfahren und zum anderen wird er lauter Artikel finden, in denen bleiben. – Ich glaube, dass das eine falsche Schlussfolge- steht: „Bei diesem Untersuchungsausschuss ist nichts rung ist. Die erste Lehre ist: Wir müssen entscheiden, Neues herausgekommen“, weil es die Skandale und Un- welches Verfahren. Man hat sich nie für ein klares Ver- zulänglichkeiten, von denen Sie sprechen, nicht gegeben fahren entschieden. Aber man hat gesagt: Wir suchen ei- hat. nen Standort aus. Unterwegs legen wir Kriterien fest. Er- füllt der Standort die Kriterien, dann ist es gut, dann ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute (B) er geeignet. – So geht das nicht, und zwar aus vielen Vogt [SPD]: Machen Sie nur für die Presse (D) Gründen; das haben wir gelernt. Die Alternative dazu ist Politik? – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ der Vergleich. Man kann aber nicht beide Verfahren ver- DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr selektiv! Ich mischen. Entweder ich entscheide, dieser Standort ist ge- reiche Ihnen ein paar Artikel herüber! – eignet oder eben nicht geeignet, Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist ein Beispiel für selektive Wahr- (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Wir erkunden nehmung!) doch erst mal!) Herr Trittin geht jetzt gerade, weil er ahnt, was oder ich vergleiche alle Standorte und einige fallen im kommt; aber das ist in Ordnung. Sie haben die soge- Zuge des Vergleichs aus dem Verfahren. Ich warne nannte Anlage 4 zum Atomausstiegsvertrag angespro- davor, das klare Verfahren des Vergleichs mit Vorent- chen. Ich will das Zitat einmal bringen – Sie haben es ja scheidungen, das ist geeignet, und das ist nicht geeignet, angekündigt –: zu durchmischen und damit das alte Gorleben-Verfahren durch die Hintertür wieder hereinzuholen. Das würde Die bisherigen Erkenntnisse über ein dichtes Ge- den ganzen Prozess konterkarieren. birge und damit die Barrierefunktion des Salzes wurden positiv bestätigt. Somit stehen die bisher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewonnenen geologischen Befunde einer Eig- nungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben … nicht Obwohl ich weiß, dass man mich im Wendland dafür entgegen. nicht küssen wird – im Gegenteil –, sage ich: Ich glaube nicht, dass es im Interesse der Sache und der Menschen Das ist das Zitat. Nichts anderes sagen wir. im Wendland ist, wenn wir diese unsägliche, politisch Ob Gorleben geeignet ist oder nicht, kann niemand dominierte, von Willkür und nichtwissenschaftlichen sagen. Wir sind ja mit der Erkundung nicht am Ende. In Entscheidungen geprägte Gorleben-Geschichte dadurch der Tat: Vor der Hacke ist es duster. Aber der entschei- abschließen, dass wir in gewisser Weise wieder einen dende politische Fakt, an dem Sie nicht vorbeikommen politisch gewollten, willkürlichen Beschluss fällen, son- – ich weiß, dass Ideologen Menschen sind, die sich auch dern diese letzte Entscheidung muss wissenschaftlich von Tatsachen nicht beirren lassen; aber ich will es ein- begründet fallen. mal probieren –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der SPD: Danke für das Geständ- sowie bei Abgeordneten der SPD) nis!) 30768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Reinhard Grindel (A) ist, dass im Jahre 2000 Rot-Grün, Gerhard Schröder und Ich möchte noch mal betonen, dass es in diesen (C) Jürgen Trittin, zu dem, was bis dahin an Erkundung ge- Punkten nicht ein Fitzelchen einer Beeinflussung laufen ist, gesagt haben: Diesem Urteil zur Eignungshöf- gegeben hat, wirklich nicht. figkeit steht nichts entgegen. – Dazu muss ich Ihnen Und: ganz klar sagen: Wenn selbst Rot-Grün im Jahr 2000 sagt, Gorleben ist eignungshöffig, Nochmals: … keine politische Vorgabe im fachli- chen, sicherheitsmäßigen Bereich. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen Sie es schon wie- Sein Chef, Professor Kind, hat gesagt: der!) Da ist eine solche Kompetenz vorhanden, dann kann ja wohl die Entscheidung 1977, dort zu er- – in der PTB – kunden, nicht falsch gewesen sein. Dann kann auch die da würde das Ministerium bei einem Versuch, uns Entscheidung 1983, in die untertägige Erkundung einzu- da zu beeinflussen, glaube ich, keine Chancen ge- steigen, nicht offensichtlich falsch gewesen sein. habt haben. Die Wahrheit ist: Der spätere Vizepräsident des Bundesamts für Strahlen- schutz, Henning Rösel, hat gesagt: (Ulrich Kelber [SPD]: „Wahrheit“ aus Ihrem Mund ist ein schwieriger Begriff!) Ich kann mich nicht … erinnern, dass ich mich zu irgendeinem Zeitpunkt einer fachlich abweichen- Sie wollten mit dem Untersuchungsausschuss aus rein den Weisung einer vorgesetzten Behörde hätte beu- parteitaktischen Gesichtspunkten das Thema Kernener- gen müssen. gie am Kochen halten. Dieser taktische Beweggrund hatte sich dann mit dem Reaktorunglück von Fukushima Damit es klar ist: Es hat keine Beeinflussung der fachli- erübrigt. Die Wahrheit ist: Sie haben das Untersuchungs- chen Aussagen zur Eignung des Salzstocks Gorleben ge- ausschussrecht missbraucht, nichts anderes. geben. Das ist erwiesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das sagen Sie!) NEN]: Das ist ungeheuerlich, Herr Grindel, wie Sie die Tatsachen verdrehen!) Ich finde es problematisch, dass die Kollegen der Op- position über drei Jahre hinweg durch eine Vielzahl un- (B) – Es ist in der Tat ungeheuerlich, dass man so etwas haltbarer Behauptungen immer wieder versucht haben, (D) macht, Frau Kollegin Steiner. Da stimme ich Ihnen zu. den Menschen Angst zu machen und den eindeutig wahrheitswidrigen Eindruck zu erwecken, als ob bei die- Es war von vornherein klar, dass es ein Ausschuss sem sensiblen Thema die jeweils zuständigen Bundesre- sein würde, in dem nichts Skandalöses oder Neues zu- gierungen nicht nach dem Motto „Sicherheit zuerst“ vor- tage gefördert wird. Denn – diesen für einen Untersu- gegangen sind. Das ist unverantwortlich. Deswegen sage chungsausschuss ungewöhnlichen Umstand muss man ich, Frau Kotting-Uhl: Es wird in der Tat Zeit, dass bei unseren Zuhörern und auch dem einen oder anderen Kol- diesem Endlagersuchverfahren jetzt wieder die Geolo- legen in Erinnerung rufen – alle Akten, die wir unter- gen und nicht die Ideologen die Oberhand gewinnen. sucht haben, waren elf Jahre lang im Besitz weiter Teile der heutigen Opposition, nämlich sieben Jahre im Besitz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – des Umweltministers Trittin und vier Jahre im Besitz des Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Umweltministers Gabriel. Wenn in diesen Akten etwas NEN]: Wir sind schon lange dafür!) Skandalöses gewesen wäre, hätte Herr Gabriel das spä- Ich habe am Ende der Debatte vor über drei Jahren testens im Wahlkampf 2009 ausgeschlachtet. gesagt: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ich habe große Zweifel, dass wir, wenn wir spät- Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- abends im Untersuchungsausschuss sitzen, die Be- NEN]: Ein Umweltminister hat auch nichts an- suchertribüne schon lange leer sein wird und die deres zu tun, als alte Akten zu lesen!) Pförtner und vielleicht auch wir gegen die Müdig- keit ankämpfen, Stattdessen hat er im Wahlkampf die Behauptung aufgestellt – das war der eigentliche Anlass für den Un- (Ute Vogt [SPD]: Sie machen nur Politik für tersuchungsausschuss –, dass eine gutachterliche Stel- die Medien, Mensch!) lungnahme der früheren Physikalisch-Technischen Bun- Neues oder gar Skandalöses über Gorleben heraus- desanstalt zur Eignung des Salzstocks Gorleben – nicht finden werden. Aber dass Herr Gabriel im Wahl- zu irgendeiner Art von Auswahlverfahren, sondern zur kampf ein unglaublicher Dampfplauderer war, wer- Eignung des Salzstocks Gorleben – im Jahre 1983 von den wir dann in den Akten haben. der damaligen Bundesregierung manipuliert worden ist. Dazu haben wir in der Tat Aussagen. Professor Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können sagen, Röthemeyer, den auch Frau Kotting-Uhl schon erwähnt was Sie wollen: Mit der Aussage zur Besuchertribüne hat, hat gesagt: habe ich recht gehabt. Auch damit, dass wir nichts Neues Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30769

Reinhard Grindel (A) herausgefunden haben, habe ich recht gehabt. Damit, von Experten, mehrere Standorte zu erkunden, um dann (C) dass wir Herrn Gabriel jetzt als Dampfplauderer in den den besten zu nehmen, nicht entsprochen? Wie wurde Akten haben, habe ich ganz besonders recht gehabt. Gorleben, das es in einer wissenschaftlichen Auswahl- studie noch nicht einmal unter die zehn besten Standorte Herzlichen Dank. geschafft hat, plötzlich zum einzig möglichen Standort? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Warum wurden Kriterien, die von Anfang an als unab- Ulrich Kelber [SPD]: Können Sie abends ei- dingbar für ein sicheres Endlager galten, plötzlich un- gentlich noch in den Spiegel schauen? – wichtig, nur weil der Standort Gorleben sie nicht erfüllt Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat? NEN]: Und was sagt uns das über das Untersu- Gorleben ist nicht aus wissenschaftlichen Gründen als chungsziel?) Atommüllendlager ausgewählt worden, sondern aus strategischen Gründen der damaligen CDU-geführten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Landesregierung Albrecht. Es war der niedersächsische Kirsten Lühmann hat jetzt das Wort für die SPD-Frak- Wirtschaftsminister Walther Leisler Kiep, der diesen tion. Standort aus politischem Kalkül präsentierte. Um der (Beifall bei der SPD) drohenden Debatte in der Region ein schnelles Ende zu bereiten, wurde der Standort dann als, die Kanzlerin würde heute sagen: alternativlos erklärt. Der damalige Kirsten Lühmann (SPD): Ministerpräsident brachte es auf den Punkt: entweder Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolle- Gorleben oder gar kein Standort in Niedersachsen. ginnen! Verehrte Zuhörende! Ich wohne in der Region Meine Herren und Damen, das ist Populismus pur. Das Gorleben. wird der Ernsthaftigkeit des Themas in keiner Weise ge- (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Na, na, na!) recht. Die Menschen dort trauen mittlerweile keinem Politiker (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem und keiner Politikerin mehr, weil sie sich seit etwa BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30 Jahren getäuscht und bewusst fehlinformiert fühlen. Die erhoffte Debatte war eben nicht zu Ende. Viel- (Dr. Lutz Knopek [FDP]: Ja, von wem denn?) mehr hat diese CDU-Entscheidung den Anfang für eine Bürgerbewegung im besten Sinne gemacht, in der sich Das Ergebnis dieses Untersuchungsausschusses hat ge- der erbitterte Widerstand in der Region manifestierte. zeigt: Die Menschen dort haben recht. Diese Bürgerbewegung, liebe Kollegen und Kollegin- (B) Herr Grindel, in einem Punkt bin ich mit Ihnen einer nen, ist bis heute lebendig. Ein Grund dafür ist: Seit fast (D) Meinung: Dieser Untersuchungsausschuss hat keine 40 Jahren wurden sämtliche Entscheidungen zu dem neuen Erkenntnisse gebracht. Die Erkenntnisse waren Thema Gorleben weitgehend ohne Beteiligung der Öf- alle da. Nur, sie wurden von Ihnen immer wieder bestrit- fentlichkeit getroffen, und das war ein Fehler. ten. In diesem Untersuchungsausschuss haben wir end- Es gab später noch Versuche, das Verfahren wieder in lich Dokumente und klare Zeugenaussagen dafür gefun- ordentliche Bahnen zu lenken, so im Jahre 1983 mit dem den, dass unsere Aussagen zu dem Thema Gorleben, wie Vorschlag der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, es dazu kam und dass das eine politische Entscheidung doch nach Alternativen zu suchen. Doch die damalige war, richtig waren. Die Dokumente sind jetzt öffentlich, Kohl-Regierung hat das mit einem Federstrich wegge- und die Öffentlichkeit kann sie einsehen. Das ist das wischt. Gleich mehrere Zeugen haben von einer „Wei- Neue und das Gute dieses Untersuchungsausschusses. sung aus Bonn“ gesprochen. Das widerspricht der Aus- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sage der CDU, dass sie an einer wissenschaftlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fundierten Endlagersuche interessiert war. Das war sie nicht. All dies wäre ohne den mutigen Widerstand der Wendländer und Wendländerinnen nicht möglich gewe- Ende der 90er-Jahre hat die damalige Umweltministe- sen. Ohne diesen Widerstand hätten wir jetzt nämlich rin Angela Merkel gegen den Rat von Fachleuten die vermutlich ein Endlager in Gorleben, und vermutlich Weitererkundung von Gorleben angeordnet. Kritische wäre dieses Endlager nicht nach dem heutigen Stand der Stimmen wurden durch eine Umorganisation innerhalb Technik und Wissenschaft gebaut worden. einer Behörde einfach kaltgestellt, ein unglaublicher Vo rg an g . (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Ja, ja! Vermutlich, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem vermutlich!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Die Erkundungsarbeiten in Gorleben sind gestoppt. Das Paul [CDU/CSU]: Alles Legenden!) ist gut; das fordern wir Sozialdemokraten und Sozialde- Die CDU-Methode „Augen zu und durch“ funktio- mokratinnen schon seit langem. Wir waren auch dage- niert heute glücklicherweise nicht mehr, dank der harten gen, dass durch eine Erkundung nur im Wendland immer parlamentarischen Aufklärungsarbeit sowohl in Gorle- mehr Fakten pro Standort Gorleben geschaffen werden. ben als auch in der Asse. Ich möchte hier stellvertretend Worum ging es in diesem Gorleben-Ausschuss? Unter für all die Bürger und Bürgerinnen, die sich dafür einge- anderem um die Fragen: Wieso wurde der Empfehlung setzt haben, Marianne Fritzen und Andreas Graf von 30770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Kirsten Lühmann (A) Bernstorff danken. Beide waren auch als Zeugen unseres chen Umweltministerin Angela Merkel gemeinsam mit (C) Untersuchungsausschusses geladen. Ich muss allerdings der Energiewirtschaft an einer Billiglösung für die nu- sagen: Wie einige von Ihnen, meine Herren aus den Re- kleare Entsorgung gearbeitet haben solle. gierungsfraktionen, mit diesen beiden Menschen, die sich seit Jahrzehnten für ihre Rechte und die Rechte ihrer (Ute Vogt [SPD]: 365 Millionen weniger!) Region einsetzen, umgegangen sind, das steht auf einem Tatsache – das kann man den Akten entnehmen, und das anderen Blatt. Ich bezeichne so etwas als unanständig. haben auch die Zeugen gesagt – ist, dass es in den 90er- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Jahren einen ganz harten Interessengegensatz gab zwi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Energiewirtschaft und SPD auf der einen Seite und CDU/CSU-geführter Bundesregierung auf der ande- Der gesellschaftspolitische Druck ist in den letzten ren Seite. Jahren durch die Katastrophe von Fukushima immens gewachsen. Wir alle merken, wie schwer es der CDU/ (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) CSU und der FDP fällt, umzuschwenken. Ein Beleg da- Die Energiewirtschaft wollte die Erkundung in Gorleben für ist der Erkundungsstopp, den die schwarz-gelbe Bun- am liebsten unterbrechen, um Geld zu sparen, während desregierung im letzten November mitten im niedersäch- die verantwortliche Umweltministerin im Interesse der sischen Wahlkampf ausrief. Sie hat versucht, in dieser Sicherung der nuklearen Entsorgung an einer zügigen Frage der Mehrheitsmeinung zu folgen. Das Wahlergeb- Erkundung festgehalten hat. Unter dem Strich hat sich nis zeigt deutlich: Dieses Manöver war unglaubwürdig; die Umweltministerin durchgesetzt: Am 13. Januar 1997 so einfach kann man uns Niedersachsen nicht täuschen. haben die Vorstände der Energieversorger einer weiteren (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zügigen Erkundung Gorlebens zugestimmt. Man kann BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Maria also überhaupt nicht sagen, dass Industrie und Bundesre- Flachsbarth [CDU/CSU]: Frau Lühmann!) gierung an dieser Stelle sozusagen Hand in Hand gegan- gen wären. Mit Blick auf das Ergebnis im Ausschuss muss ich sa- gen: Die Legende zu Gorleben, die CDU/CSU und FDP (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aufgebaut haben, ist wie ein Kartenhaus zusammenge- fallen. Aus diesem Dilemma führt nur ein Weg: Bleiben Eine zweite Legende – auch diese Legende wurde Sie auf dem Weg, den Ihr Umweltminister, Herr von Frau Vogt hier vorgetragen – besagt, dass in der Zeit Altmaier, eingeschlagen hat, auf dem Kompromissweg! von Umweltministerin Angela Merkel aus politischen Wir haben jetzt noch eine letzte Chance, etwas grundle- Gründen Einfluss genommen worden sei in der Frage, gend zu korrigieren. Mir ist bewusst: Das geht nicht von ob man den Salzstock Gorleben parallel erkundet oder (B) (D) heute auf morgen. Das hat Stephan Weil, der niedersäch- zunächst den Nordosten und dann den Südwesten. Für sische Ministerpräsident, im April auch hier in diesem eine gestufte Vorgehensweise gab es sicherlich gute Haus gesagt. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Gründe. Ich nenne drei: eine wissenschaftlich fundierte, transparente Endlager- Erstens. Seit den 70er-Jahren, als Gorleben ausge- suche auf den Weg zu bringen! Damit könnten wir auch wählt wurde, hatte sich die Lage grundlegend verändert: wieder etwas mehr Glaubwürdigkeit in die Atompolitik Helmut Schmidt – er wurde genannt – bzw. seine sozial- bringen. Ich denke, das lohnt sich. liberale Koalition wollte nach der Ölkrise 50 Kernkraft- Herzlichen Dank. werke in Deutschland bauen. Mitte der 90er-Jahre war klar, weniger als die Hälfte würde ans Netz gehen. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hieß aber auch, weniger als die Hälfte der Abfälle würde des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) anfallen. Das hieß auch, ein Endlager muss demnach nur halb so groß sein, wie ursprünglich angenommen. Des- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: halb machte es natürlich Sinn, zunächst die eine Hälfte Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Paul für die und dann die andere Hälfte des Salzstocks zu erkunden. CDU/CSU-Fraktion. Rechtlich war es auch so: Die zuständigen Behörden in Niedersachsen haben ganz klar gesagt: Die Salzrechtsin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haber im Südwesten können erst dann enteignet werden, neten der FDP) wenn feststeht, dass der Nordosten als Endlager nicht ausreicht. Also musste man doch schon allein um der Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Rechtssicherheit willen so vorgehen, dass man zunächst Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und den Nordosten erkundet, bevor man den Südwesten er- Herren! Um kein anderes Projekt der deutschen Nach- kundet. kriegsgeschichte ranken sich so viele Mythen und Le- genden wie um das Projekt Gorleben. Das Gute am Un- Schließlich haben die Fachleute immer davor ge- tersuchungsausschuss war sicherlich, dass wir diese warnt, Hohlräume unter Tage aufzufahren, die am Ende Mythen und Legenden ein Stück weit zur Seite schieben gar nicht benötigt werden. Auch diese Hohlraummini- und einen Blick auf die Fakten werfen konnten. mierung sprach dafür, gestuft vorzugehen. Eine Legende – Frau Vogt hat sie heute wieder zum (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Besten gegeben – ist, dass Mitte der 90er-Jahre die Bun- NEN]: Das widerspricht nur dem fachlichen desregierung unter Helmut Kohl mit der verantwortli- Rat der zuständigen Behörde!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30771

Dr. Michael Paul (A) Frau Merkel fand im Übrigen diese Entscheidung vor. wirklich nicht sehr genau nimmt. Wenn sie behauptet, (C) Schon am 26. Juli 1993 hat das Bundesamt für Strahlen- sie käme aus der Region, dann müssen wir wirklich la- schutz dem damaligen Umweltminister Klaus Töpfer ein chen. gestuftes V orgehen vorgeschlagen. Mitnichten kann man (Ulrich Kelber [SPD]: Ich habe es allmählich satt, sagen, Frau Merkel habe diese Entscheidung provoziert, was die größten Lügner einem alles unterstellen!) noch weniger, es habe politische Gründe gegeben. Es waren rein fachlich-wissenschaftliche Gründe, die für Frau Lühmann wohnt mindestens 170 Kilometer weit ein solch gestuftes Vorgehen gesprochen haben. entfernt vor den Toren Hannovers. Das kann man nicht mehr als „aus der Region“ bezeichnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Ulrich Kelber [SPD]: Hier immer die Un- NEN]: Absolute Legendenbildung ist das!) wahrheit zu sagen, ist stillos!) Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Bei allen – Je mehr Sie schreien, umso mehr merke ich, dass ich in Punkten hat sich in den letzten Jahren letztlich gezeigt: der Sache recht habe. Die Vorwürfe und Verdächtigungen der Opposition sind (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – haltlos. Heiße Luft wurde produziert. Die Legenden ent- Ulrich Kelber [SPD]: Nennen Sie doch einmal sprachen nicht den Fakten. einen Fakt!) Selbst die Hauptthese, die von der Opposition immer Nun zum Thema: Wir haben uns drei Jahre im Aus- wieder, auch heute, vorgetragen wird, nämlich dass schuss durch Tausende von Aktenvermerken und Ge- Zweifel an der Eignung Gorlebens bestünden, ist wider- sprächsnotizen gearbeitet und – wir haben es schon ge- legt. Solche Zweifel finden sich weder in der Erklärung hört – eine Vielzahl von Sachverständigen und Zeugen der rot-grünen Bundesregierung von 2000 – ich erspare angehört. Aber was ist dabei herausgekommen, meine es Ihnen nicht, das zu zitieren –, in der genau dargelegt Damen und Herren? Es ist gar nichts dabei herausge- wurde, dass es keine Zweifel an der Eignungshöffigkeit kommen. gibt, noch haben die Zeugen – – Nichts hat sich bewahrheitet von den Anschuldigun- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE gen des Kollegen Gabriel, den ich heute übrigens hier GRÜNEN]: Dann lesen Sie es noch einmal vermisse. Ich wundere mich, dass er nicht da ist. Wenn vor, bevor Sie hier falsch zitieren!) ihm dieser Ausschuss damals so wichtig war, müsste er auch hier sein. Wir haben 50 Zeugen und Sachverständige gehört. Prak- tisch keiner davon hat Zweifel an der Eignung geäußert. (Ulrich Kelber [SPD]: Wo ist denn die Zeugin (B) 47 von 50 Zeugen und Sachverständigen haben keine Merkel? Die ehemalige Umweltministerin ist (D) Zweifel geäußert. auch nicht anwesend!) (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Er hat wohl schon gleich gesehen, dass dieser Untersu- NEN]: Falsch gezählt!) chungsausschuss eigentlich eine Farce war und nur poli- tisch motiviert war, wie der Kollege Grindel bereits ge- Ihr Kronzeuge, Professor Röthemeyer, hat in seiner Ver- sagt hat. nehmung gesagt – hier zitiere ich wörtlich –, dass wir „Gorleben heute mehr als eignungshöffig zum Quadrat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nennen können“. Das hat Ihr Kronzeuge hier zu Proto- Wir haben in diesen drei Jahren Arbeit nichts heraus- koll gegeben. Deshalb ist es vollkommen richtig – dafür gefunden, was der interessierte Bürger nicht schon danke ich Peter Altmaier auch noch einmal ganz herzlich –, wusste. dass wir im weiteren Endlagersuchverfahren Gorleben im Topf lassen. Alles andere würde den Fakten nicht ge- (Ulrich Kelber [SPD]: Sie nicht, wir schon!) recht werden. – Vielleicht im Detail schon. Vielen Dank. Weil Frau Lühmann den Zeugen von Bernstorff ange- sprochen hat, möchte ich gerne etwas dazu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wann entschuldigen Sie sich bei ihm?) Eckhard Pols hat jetzt das Wort für die CDU/CSU- – Hören Sie zu; dann können Sie weiterreden. – Herr Fraktion. von Bernstorff ist ein vehementer Kritiker dieser ganzen Sache, der aber als Grundbesitzer über Jahrzehnte sein Eckhard Pols (CDU/CSU): Land als Ausgleichsflächen an den Bund verpachtet, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt ist (Dr. Michael Paul [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Frau Lühmann weg, oder? damit das Erkundungsbergwerk überhaupt betrieben (Ute Vogt [SPD]: Sie hat eine Besucher- werden kann, der sich neben Fischereirechten auch Jagd- gruppe!) rechte und sogar einzelne Bäume bezahlen lässt – – Ja, gut, aber sie ist nicht da. – An Frau Lühmann kann (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- man sehen, dass es die Opposition mit der Wahrheit NIS 90/DIE GRÜNEN) 30772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Eckhard Pols (A) er erhält dafür eine nicht unbeträchtliche Summe, wie für Bürger in der Region; Frau Brunkhorst hat das ange- (C) der Ausschuss gut herausgearbeitet hat –, und das schon sprochen. seit über 30 Jahren. Ein besseres Beispiel für Doppel- Zur damaligen Zeit war das umfassend und wegwei- züngigkeit kann man hier wirklich nicht finden. send. Aus heutiger Sicht hätte man sicherlich vieles an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ders und vielleicht auch besser machen können. Das neten der FDP) wird mit dem neuen Standortauswahlgesetz auch ge- schehen; eine umfassende Bürgerbeteiligung wird si- Wir haben wirklich keinen Hinweis auf irgendwelche chergestellt. Einflussnahmen der Politik oder manipulierte Gutachten gefunden. Ich möchte nur einige Punkte kurz anreißen, Frau Voß, ich komme nun zu Ihnen. Ein angeblicher weil meine Redezeit sehr knapp ist, bei denen Sachver- K.-o.-Punkt war laut Opposition das gewaltige Gasvor- ständige oder Zeugen unser Wissen bestätigt haben – kommen neben, über und unter. Das, was Sie uns da al- wobei, vorweg gesagt, viele Sachverständige und Zeu- les erzählt haben, was Sie alles konstruiert haben, hat gen überhaupt nicht verstehen können, warum man die- sich als unseriös herausgestellt. Sie sind damit völlig in sen Salzstock nicht längst zu Ende erkundet hat. eine Sackgasse gelaufen. Wir haben schon gehört, dass es der ehemalige Bun- (Zurufe der Abg. Johanna Voß [DIE LINKE]) deskanzler Schmidt war, der ja 50 Kernkraftwerke in Dass Kohlenwasserstoffe in Verbindung mit Salz vor- Deutschland bauen wollte, der dem damals noch ganz kommen, Frau Voß, das ist bekannt. Aber hätte es diese frisch im Amt befindlichen Ministerpräsidenten Ernst in dieser gewaltigen Menge gegeben, wie Sie uns immer Albrecht – das war 1976/77 – abrang, das Versprechen wieder weismachen wollten – daran sind Sie letztendlich seines Vorgängers Alfred Kubel, SPD, zu erfüllen, nun auch gescheitert –, dann wäre diese Menge Gas spätes- doch endlich einen Standort in Niedersachsen zu benen- tens in den 20er- oder 30er-Jahren ausgebeutet worden. nen. Dass Gorleben schon 1976 neben vier anderen möglichen Standorten wissenschaftlich betrachtet All dies sind Wahrheiten, die der Ausschuss heraus- wurde, ist auch von der vom Bund beauftragten KEWA gearbeitet hat, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade und dem IMAK, dem Interministeriellen Arbeitskreis von der Opposition, die Sie einfach nicht zur Kenntnis des Landes Niedersachsen, herausgearbeitet worden. nehmen wollen. Den Ausschlag gegeben, weswegen Gorleben ausge- (Ulrich Kelber [SPD]: So eine primitive Rhe- wählt wurde, hatte unter anderem die Größe des Salzsto- torik, dass alle anderen lügen oder es nicht zur ckes von 40 Quadratkilometern und seine Ausmaße von Kenntnis nehmen!) (B) 14 Kilometern Länge, von bis zu 4 Kilometern Breite Dies sollten Sie für eine offene Endlagersuche wirklich (D) und von 300 Metern bis 3 500 Metern Tiefe, außerdem tun, für Gorleben und – das wurde angesprochen – vor auch die Tatsache, dass er über 250 Jahre jungfräulich allen Dingen für die Menschen in der Region und für die blieb, also unverritzt. Mitarbeiter, die dort arbeiten; denn mit Ihren wiederhol- ten Äußerungen über Manipulation, Vertuschung und (Johanna Voß [DIE LINKE]: Der hört nicht an Täuschung greifen Sie auch die Mitarbeiter in dem Er- der Elbe auf!) kundungsbergwerk, die Geologen, die dort arbeiten, an. – Ich habe auch nicht gesagt, dass er an der Elbe aufhört. So kann man nicht mit Menschen umgehen. Ich habe gesagt, er ist 14 Kilometer lang. Hören Sie Vielen Dank. doch genau zu, was ich sage, bevor Sie dazwischenru- fen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Immer wieder bestritten wird ja auch, dass es eine Öf- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: fentlichkeitsarbeit gab. Sie gab es aber. Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kol- Es gab ab Oktober 1977 die Gorleben-Kommission, legin Ute Vogt. ein Gremium aus Vertretern der im Kreistag vertretenen Parteien und Vertretern der Gemeinden sowie auch von Ute Vogt (SPD): Land und Bund. Die gorlebenkritische Kreistagsmehr- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Pols, heit hat dieses gut arbeitende Gremium 1991 einfach so Sie haben eben in einer aus meiner Sicht ehrenrührigen aufgelöst. Art und Weise die Familie des Grafen von Bernstorff Es gab eine Informationsstelle von Land und Bund in und ihn selbst beschrieben. Lüchow, deren Mitarbeiter zum Beispiel mit Schulklas- (Dr. Michael Paul [CDU/CSU]: Tatsachenbe- sen, Landfrauen und Theologen diskutierten und schreibung!) versuchten, Spannungen zwischen Kritikern und Befür- wortern abzubauen. Die Mitarbeiter dieser Informations- Ich will zur Richtigstellung darauf hinweisen, dass stelle nahmen ihre Tätigkeit mit viel Sachlichkeit in der Sie versäumt haben, zu erwähnen, dass der heutige Diskussion wahr. Abteilungsleiter des Umweltministeriums, Herr Hennenhöfer, damals mit dem Grafen von Bernstorff Es gab das Gorleben-Hearing und eine weitere An- Verhandlungen geführt hat und dass die damalige Bun- zahl von Informationsveranstaltungen mit Bürgern und desregierung bereit gewesen wäre, dem Grafen sehr viel Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30773

Ute Vogt (A) Geld dafür zu bezahlen, damit er seine Salzrechte ver- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- (C) kauft. empfehlung des 1. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 17/13700. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Hat er gerade gesagt!) Der Ausschuss empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Er hat eben gerade nicht darauf spekuliert, möglichst Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Das war ein- viel Geld zu verdienen, stimmig dafür. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wieder Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf: falsch!) Beratung des Schlussberichts der Enquete-Kom- sondern er hat aufrichtig seiner Überzeugung folgend al- mission les getan, um von der Region, dem Wendland, Atommüll fernzuhalten, und hat für ein anständiges, faires und vor „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – allem wissenschaftlich fundiertes Verfahren gekämpft. Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und ge- sellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Marktwirtschaft“ bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Drucksache 17/13300 – Hierzu liegen ein gemeinsamer Entschließungsantrag Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie ein ge- Herr Pols bitte zur Antwort. meinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor. Eckhard Pols (CDU/CSU): Es ist verabredet, hierzu eine Stunde zu debattieren. – Ja, Frau Vogt, auch das hat der Untersuchungsaus- Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so be- schuss herausgearbeitet, aber der Untersuchungsaus- schlossen. schuss hat auch das herausgearbeitet, was ich gesagt habe, dass nämlich die Familie des Grafen von Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist der Bernstorff bzw. Herr Andreas Graf von Bernstorff per- Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. sönlich einer der großen Profiteure dieser ganzen Erkun- dungsarbeiten ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE (B) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): (D) GRÜNEN]: Ausgleich ist kein Profit!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese und dass er sich schon 1976 bei den ersten wissenschaft- Enquete-Kommission war interessant und erkenntnis- lichen Untersuchungen die Renovierung bzw. einen reich. Ich will meine Rede mit dem Dank an die Sach- Ausgleich für Feldwege, die dort benutzt wurden, hat be- verständigen beginnen, die die Kommissionsarbeit, wie zahlen lassen. Er hat sich, wie gesagt, bis zum heutigen vorgesehen, durch ihr Fach- und Sachwissen bereichert, Tage und darüber hinaus sehr gut bezahlen lassen: durch unsere Grabenkämpfe ertragen und manchmal auch ge- Jagdrechte, Fischereirechte und Ländereien als Aus- zeigt haben, dass sie uns in der Heftigkeit, ihre Positio- gleichsflächen. Das ist unstreitig, und das finden Sie nen an der Stelle durchzusetzen, nicht nachstehen. Ich auch in den Unterlagen. bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen für eine gute Positionierung, für Kollegialität und dafür, (Ulrich Kelber [SPD]: Sie kennen aber Art. 14 dass sie gelegentlich auch wieder aus dem Schützengra- Satz 1 des Grundgesetzes! Schutz des Eigen- ben gefunden haben. Und ich bedanke mich bei den Mit- tums! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ arbeiterinnen und Mitarbeitern für viel Geduld und DIE GRÜNEN]: Das ist Ausgleich! Meine Fleiß. Güte!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Dass der Herr Hennenhöfer mit ihm verhandelt hat – das und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Thomas ist auch völlig richtig –, ändert aber nichts an der Tatsa- Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) che, dass die Familie von Bernstorff noch heute Gelder vom Bund für Ausgleichsmaßnahmen bekommt. Nur 31 Kommissionstagungen, unzählige Projektgruppen- deshalb konnte das Erkundungsbergwerk so arbeiten, sitzungen, 12 Anhörungen und 13 Expertenrunden in wie es 30 Jahre lang gearbeitet hat. unterschiedlichen Projektgruppen: Wir haben es uns nicht leicht gemacht; denn das Thema war in der Tat (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – weit gefasst. Wir haben uns Gedanken über die Wachs- Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tumsperspektiven dieser Republik und über die Fragen NEN]: Das berechtigt Sie nicht zu ehrab- gemacht, was Wohlstand bringt, was Wohlstand heißt schneidenden Behauptungen! Für die Doppel- und was Lebensqualität bedeutet. Das ist ein breites züngigkeit sollten Sie sich entschuldigen!) Thema. Ich persönlich meine übrigens, das ist ein zu weit gefasstes Thema für nur eine Enquete-Kommission. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Themen wie „Entkopplung von Wachstum und Ressour- Ich schließe die Aussprache. cenverbrauch“, „Demografie und Wachstum“, „Grenzen 30774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Georg Nüßlein (A) nationaler Politik“ und „Vorreiterrolle“ wären in diesem (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE (C) Zusammenhang an sich schon als Themen geeignet ge- GRÜNEN]: Merkwürdiges Demokratiever- wesen, um eine eigene Enquete-Kommission zu instal- ständnis!) lieren. Ich will Ihnen erst einmal erklären, was nach meiner In meinem Dank habe ich schon ein wenig ange- Meinung der größte Erfolg dieser Enquete-Kommission deutet, dass es am Schluss keinen Konsens gab, so wie war. Der größte Erfolg dieser Enquete-Kommission das bei der einen oder anderen Enquete-Kommission stand schon ganz am Anfang fest. Nachdem wir zäh mit- vielleicht gedacht ist. Ich sage Ihnen aber auch: Mich be- einander gerungen haben, was denn der Rahmen dieser ruhigt dieser Dissens; denn am Schluss haben wir an- Enquete-Kommission sein soll, legten wir fest, dass wir gesichts der Breite des Themas auch wirtschaftspoliti- uns im Bereich der sozialen Marktwirtschaft bewegen sche Gesamtkonzeptionen gegeneinandergestellt. Frau sollen. Da gab es etliche auf dieser Seite des Hauses – da Lötzer, Sie schauen mich gerade an: Ich hätte mich ge- schaue ich nicht nur nach ganz links –, die da sehr skep- wundert, wenn sich unsere Seite mit Ihrer Seite geeinigt tisch waren und überlegten, ob man sich nicht außerhalb hätte. der sozialen Marktwirtschaft bewegen solle, weil man die Chance gesehen hat (Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) (Rolf Hempelmann [SPD]: Ist das jetzt ein Ge- Das hätte mich als Demokraten auch massiv erschüttert. ständnis? – Dr. Thomas Gambke [BÜND- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Mainstream sitzt eine Unverschämtheit, Herr Kollege! Mäßigen hier! Da müssen Sie nicht nach rechts herüber- Sie sich! – Dr. Hermann E. Ott [BÜND- schauen!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie ein biss- chen kooperativer gewesen wären!) – lassen Sie mich doch reden, Mensch, Sie dürfen nach- her doch auch reden –, unser Wirtschafts- und Gesell- – Der demokratische Sozialismus passt nicht zu uns; bei schaftssystem angesichts der aufkommenden Finanz- Ihnen passt die Demokratie nicht. Aber das ist eine an- krise infrage zu stellen. Das haben wir Ihnen von Anfang dere Geschichte. an nicht durchgehen lassen. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Ich will jetzt nicht anmaßend sein, aber die soziale GRÜNEN]: Enquete-Kommissionen sollen ei- Marktwirtschaft hat ihren Teil dazu beigetragen, Sie, so nen Konsens herbeiführen! Sie haben das hoffe ich jedenfalls, davon zu überzeugen, dass sie leis- ganze Wesen nicht verstanden!) tungsfähig ist und dass sie eine solche Krise überstehen (B) kann. Auch das muss man an dieser Stelle ganz klar sa- (D) – Hören Sie mir gut zu, Herr Ott, dann verstehen Sie, gen. was ich Ihnen sage. Ich habe Ihnen gerade erklärt, dass das Thema so breit war, dass der Konsens am Schluss (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) programmierterweise nicht erreichbar war, und das wer- den Sie nicht bestreiten. Die soziale Marktwirtschaft hat sich in der Krise be- währt, und sie hat durch sie gewonnen. Es ist deshalb (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eben nicht notwendig, über eine sozial-ökologische NEN]: Von Ihnen programmiert, ja!) Transformation nachzudenken, so wie Sie das nachher wohl einfordern werden. Sie und ein erheblicher Teil von den Grünen haben 60 Sondervoten geschrieben. Vor diesem Hintergrund (Beifall bei der FDP – Dr. Hermann E. Ott braucht man nicht zu behaupten – das sage ich Ihnen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) ganz offen –, man habe einen Konsens gesucht. Sie ha- ben immer das Gleiche gemacht: Das sind nämlich nur schöne Worte für einen grünen Lack unserer altehrwürdigen sozialen Marktwirtschaft. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben immer den Konsens Ich finde es schon gut – auch das sage ich Ihnen ganz gesucht!) offen –, wie Sie das machen: Die generische Bezeich- nung für alles, was ökologisch oder positiv besetzt sein Sie haben von uns den Konsens gefordert und selber ein soll, ist grün. Das muss man Ihnen lassen: Das ist schon abweichendes Votum geschrieben. Das hat mit Konsens gutes Marketing. Aber das war nicht der Kern dessen, nichts zu tun. Aus Ihrer demokratischen Sicht ist Kon- was wir herausarbeiten wollten. Vielmehr ist es uns ge- sens nur dann zu erreichen, wenn man Ihrer Meinung ist; glückt, insgesamt zu zeigen, was soziale Marktwirtschaft auch das muss man einmal in dieser Klarheit sagen. im sozialen, im ökonomischen, aber auch im ökologi- (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE schen Bereich bewegen kann; das möchte ich an dieser GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch, Herr Stelle ganz besonders unterstreichen wie auch die Tat- Nüßlein!) sache, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ keine grüne Er- findung ist, so wie Sie das manchmal darstellen, sondern Lassen Sie uns aber nicht gleich am Anfang streiten, aus der Forstwirtschaft kommt. Das zeigt deutlich, dass auch wenn ich gerade in Wahlkampfphasen gerne provo- Nachhaltigkeit ein fundamentaler, ein klarer Bestandteil ziere; das gebe ich offen zu. unserer sozialen Marktwirtschaft ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30775

Dr. Georg Nüßlein (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist doch Un- (C) der FDP – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/ sinn!) DIE GRÜNEN]: Rufen Sie doch mal den Kol- – auf Sie komme ich gleich zu sprechen –, aber insbe- legen Göppel nach vorne!) sondere von den Grünen – Sie haben es erst gestern wie- Die Kollegin Bulmahn hat uns gegen Ende der Arbeit der im Ausschuss vorgetragen –, in der Enquete-Kommission eine Neujustierung der so- (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE zialen Marktwirtschaft angeboten. Über diese Begriff- GRÜNEN]: Jetzt kommt gleich der lichkeit hätte man, wenn man einen Konsens gewollt Bernschneider!) hätte, aus meiner Sicht reden können; denn nachjustieren muss man in der Tat. Das wäre relativ unstrittig gewe- möchte ich hier herausarbeiten. sen. Aber sie hat es uns nicht ernsthaft angeboten, weil (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE sie leider Gottes eigentlich Ihnen, den Grünen und insbe- GRÜNEN]: Herr Nüßlein, zweieinhalb Jahre sondere der Linken, auf Ihrem Weg folgen wollte. und nichts verstanden! – Rolf Hempelmann (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE [SPD]: Vollkommener Unsinn!) GRÜNEN]: Vielleicht sind wir einfach attrak- Die SPD hat an der Stelle in der Tat – weil deren Abge- tiver!) ordneten gerade am lautesten schreien – den größten Spagat hinter sich. Vermutlich hat sie es uns auch deshalb nicht ernsthaft angeboten, weil dann auch ein nostra culpa hätte kom- (Rolf Hempelmann [SPD]: Worüber reden Sie men müssen; denn bei den aus der Finanz- und Euro- da eigentlich?) Krise resultierenden Schwierigkeiten sind die SPD und die Grünen in besonderer Weise in Obligo, in einer be- Sie haben in der Enquete-Kommission immer betont, sonderen Weise in der Schuld. Wachstum sei kein Ziel. In dem bemerkenswerten An- trag „Deutschland 2020 – Zukunftsinvestitionen für eine (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des starke Wirtschaft“, den ich in weiten Teilen gut finde, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) formulieren Sie genau etwas anderes. Wer hat denn die Überliberalisierung der Finanzmärkte (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- betrieben? NEN]: Dem haben Sie zugestimmt?) (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Herr Wiesehügel, übrigens Mitglied in Ihrem Kompe- GRÜNEN]: Daran sollen wir schuld sein? – tenzteam, sagt im Tagesspiegel auch etwas anderes. Er (B) Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE sagt, man brauche Konjunkturprogramme, um Wachs- (D) GRÜNEN]: Wer hat denn zugestimmt und tum anzukurbeln. Was denn nun? Lassen Sie sich nicht wollte noch mehr? – Zuruf des Abg. Hubertus ständig von Linken und Grünen in Geiselhaft nehmen! Heil [Peine] [SPD]) (Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Das war doch Rot-Grün, Herr Heil! Wer hat denn die Ich hätte mich gefreut, wenn es da nicht ständig diesen Aufnahme Griechenlands in die EU beschlossen? Das offenkundigen Schulterschluss gegeben hätte, war doch Rot-Grün. (Rolf Hempelmann [SPD]: Worüber reden Sie (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP] – eigentlich?) Ulrich Kelber [SPD]: Das waren die Europa- der mich persönlich hinsichtlich der Frage ein bisschen abgeordneten von CDU/CSU und FDP! Da- skeptisch macht – das sage ich ganz offen –, ob Sie wirk- rüber stimmt nicht der Bundestag ab!) lich nicht beabsichtigen, nach der Bundestagswahl ge- Wer hat denn die Aufkündigung des Stabilitäts- und meinsam in eine bestimmte Richtung zu marschieren. Wachstumspaktes betrieben? Das war doch Rot-Grün. Da habe ich meine Sorge. Das war doch Gerhard Schröder. (Rolf Hempelmann [SPD]: Haben Sie den Be- richt denn gelesen? – Weiterer Zuruf der Abg. (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP]) Edelgard Bulmahn [SPD]) So war es doch. Geben Sie es doch zu! Jetzt reicht meine Zeit natürlich nicht mehr. Ansons- (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE ten hätte ich gerne noch etwas zu den Indikatoren gesagt, GRÜNEN]: Das hat fast schon Brüderle-Qua- (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE lität!) GRÜNEN]: Hätten Sie!) Dass sich unsere soziale Marktwirtschaft trotz dieses weil ich gut finde, was wir da erarbeitet haben. Sündenfalls behaupten konnte, finde ich großartig. Dass (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen wir mit dieser Enquete-Kommission die Chance gehabt Sie doch einmal etwas!) haben, Ihre fundamentale Wachstumskritik zu relativie- ren, auch diesen Ansatz, man müsse Wachstum aktiv be- Aber plötzlich redet die SPD – das sage ich Ihnen ganz grenzen, den man allenthalben hört, weniger von der offen – im vorliegenden Entschließungsantrag von SPD – neuen Indikatoren, nicht von denen, die man Gott sei 30776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Georg Nüßlein (A) Dank mit uns in der Enquete-Kommission beschlossen auf Initiative von SPD und Grünen, die anderen Fraktio- (C) hat, was gut, was international vergleichbar, was über- nen haben sich dann angeschlossen. schaubar und was, im Übrigen mit sozialen und ökologi- schen Perspektiven ausgestattet, viel besser ist als das, Wir sind zu einer Zeit gestartet, als die Verheerungen was die Grünen einseitig vorgeschlagen haben. Das, was der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise auch in Sie da nun vorschlagen, ist deutlich materialistischer als Deutschland noch ganz deutlich spürbar waren. Damals das, was wir hier gemeinsam erarbeitet haben. waren wir uns einig, Herr Dr. Nüßlein, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise das Leitbild des absolut freien, de- Es ist insofern gut, dass es uns gelungen ist, die Be- regulierten Marktes blamiert und auch ad absurdum ge- deutung des BIP zu relativieren, aber nicht hinsichtlich führt hat. Wir waren uns einig, dass vieles von dem, was des Aspekts infrage zu stellen, wie es bei uns wirtschaft- als Wohlstand daherkam, sich letztlich nur als Blase ent- lich weitergeht. Dass es uns hier nicht nur gelungen ist, puppt hat, deren Platzen dann einen sehr bitteren Nach- die soziale Marktwirtschaft in ein gutes Licht zu rücken, geschmack hinterlassen hat, der bei vielen auch noch sondern auch, darauf hinzuweisen, dass, wie es uns in heute anhält. Wir sind mit dem gemeinsamen Gefühl ge- Zukunft wirtschaftlich geht, von der Innovationskraft in startet, dass unsere Maßstäbe des Wirtschaftens nicht unserer Gesellschaft, also ob wir innovativ bleiben, ab- mehr verlässlich sind, dass wir neue Maßstäbe für eine hängen wird, halte ich für entscheidend. neue Art des nachhaltigen Wirtschaftens brauchen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben es selbst gehört: Im Laufe der Enquete ist Herr Kollege! diese gemeinsame Gewissheit leider immer mehr verlo- ren gegangen. Viele aus der Koalitionsmehrheit – mir ist ganz wichtig, zu sagen: beileibe nicht alle, aber eben Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): viele – meinten zu erkennen, dass diese Krise doch nur Ich bin sofort fertig. – Ich bin nicht sehr zuversicht- irgendwie ein Betriebsunfall gewesen und ein Weiter-so lich, dass die grüne Seite mitwirken wird, die Innova- bei kleinen Reförmchen schon zu verantworten sei. Die tionskraft zu fördern. Den Eindruck hatte ich weder in damit verbundene Verweigerung von Teilen der Union der Enquete-Kommission noch in der aktuellen Tagespo- – ich möchte ganz deutlich unterstreichen, dass es hier litik. um Teile der Koalition geht –, Neues zu denken und alte Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. Weisheiten infrage zu stellen, hat unsere Enquete-Kom- mission an vielen Stellen gelähmt, an denen es notwen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf dig gewesen wäre, mit mehr Neugierde und mehr Mut Hempelmann [SPD]: Schöner wäre es gewe- nach vorne zu denken. Es ist schon bemerkenswert und (B) sen, etwas über die Enquete-Kommission und macht mich ein bisschen traurig, dass Frau Merkel zu- (D) ihren Bericht zu hören!) mindest verbal an vielen Punkten und auch gestern bei ihrem Deutschlandforum – das dürfte jetzt ungefähr der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 46. Gipfel gewesen sein – deutlich weiter gegangen ist, Jetzt hat die Kollegin Daniela Kolbe für die SPD- als mancher in der Enquete-Kommission auch nur zu Fraktion das Wort. denken gewagt hätte. (Beifall bei der SPD) Aus unserer Sicht sind die Herausforderungen klar. Im Bereich des Ressourcenverbrauchs zum Beispiel ha- Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): ben wir alle sie glasklar, bestechend, intellektuell anre- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gend und dazu im Konsens beschrieben. Ein Weiter-so Kollegen! Eigentlich stand in meinem Skript, dass wir unseres Wirtschaftens ist nicht zu verantworten. alle in dieser Enquete sehr viel gelernt haben. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]: Außer Herrn Nüßlein!) GRÜNEN) Leider muss ich nach Ihrer Rede, Herr Dr. Nüßlein, die- Sowohl die sozialen als auch die ökologischen Folgen sen Satz jetzt streichen, es tut mir echt leid. wären viel zu dramatisch, als dass das zu riskieren wäre. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Och!) (Zuruf der Abg. Judith Skudelny [FDP]) Erinnern Sie sich noch? Damals, Ende 2010/Anfang 2011, hallte das Krachen der Finanzkrise noch nach, und Die Entwicklungen der Globalisierung und der dra- das Beben der Weltwirtschaftskrise war auch in matische Bevölkerungsanstieg bei gleichzeitig glückli- Deutschland, in unserem Land, noch beängstigend zu cherweise steigendem materiellen Wohlstand für viele spüren. Damals war auch die Banken- und Finanzkrise sind verbunden mit einem dramatisch gestiegenen Res- noch nicht zu einer Staatsschuldenkrise in der Euro- sourcen- und Naturverbrauch. Gerade der Klimawandel Zone geworden. Damals ist die Enquete-Kommission führt uns vor Augen: Ein massiver sozial-ökologischer „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nach- Wandel ist nötig. Wenn wir diesen Wandel nicht herbei- haltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt führen, wären die Folgen dramatisch. Aber nach der En- in der Sozialen Marktwirtschaft“, wie der Titel in ganzer quete wissen wir auch: Verzweifeln ist genauso wenig Schönheit lautet, ins Leben gerufen worden, zunächst geboten, wie den Kopf in den Sand zu stecken. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30777

Daniela Kolbe (Leipzig) (A) Gerade wo sich die Enquete mit konkreten Fragestel- Ebenso herzlich möchte ich all jenen danken, die (C) lungen befasst hat, hat sie oft auf sehr konstruktive Art rings um die Enquete geschwitzt, gearbeitet und gedacht und Weise Antworten gegeben. Sie finden in dem haben: den Mitgliedern der Enquete – einige sitzen, wie Schlussbericht der Enquete, der schon von seinen Aus- erwähnt, hier oben – und ihren Mitarbeiterinnen und maßen her beachtlich ist, ganz konkrete Vorschläge, wie Mitarbeitern, die sehr viel Sachverstand eingebracht ha- zum Beispiel die chemische Industrie nachhaltiger wirt- ben. Ganz herzlich und explizit möchte ich an dieser schaften kann, sowie mutige Vorschläge, wie wir die Fi- Stelle dem Sekretariat danken. Ihr habt einen riesengro- nanzmärkte neu ordnen müssten. ßen und tollen Job gemacht. Wir brauchen den Mut, die Debatte fortzuführen. Wir (Beifall im ganzen Hause) brauchen den Mut, die zweifelsohne extrem schwierigen Für viele der Themen hatten wir nicht ausreichend Fragen zu beantworten und die Ergebnisse dann umzu- Zeit. Aber Probleme verschwinden nicht dadurch, dass setzen. Eine Vogel-Strauß-Taktik können wir uns als Ge- wir erkennen, dass sie sehr komplex und sehr schwierig sellschaft nicht leisten. zu lösen sind, und sie dann möglichst vermeiden. Wir Ich möchte auf ein weiteres konkretes Ergebnis hin- müssen uns die Zeit nehmen, die wirklich komplizierten weisen. Uns ist es gelungen, eine neue Wohlstandsmes- Fragen unserer Zeit mutig zu stellen und weiter zu disku- sung vorzuschlagen. Dass das Wachstum des Bruttoin- tieren. Ich wünsche mir sehr, dass diese Debatte weiter- landsproduktes kein sinnvoller Indikator ist, darüber geht. waren wir uns sehr schnell einig. Die „W hoch drei“- Vielen Dank. Wohlstandsindikatoren, die wir vorschlagen, stellen aus meiner Sicht einen sehr guten Kompromiss dar, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geordneten der CDU/CSU) und zwar aus Gründen der Übersichtlichkeit einerseits und der angemessenen Tiefe der Wohlstandsmessung an- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dererseits. Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Florian Bernschneider das Wort. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass wir bei der Frage nach der Wohlstandsmessung auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau waren. Wir wollten eine Wohlstandsmessung, die tiefgründig, Florian Bernschneider (FDP): (B) relevant, verlässlich, international vergleichbar, interes- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe (D) sant, gut kommunizierbar und umfassend ist. Ich kann Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will mich im Na- hier berichten: Wir sind sehr sicher, die eierlegende men meiner Fraktion zunächst einmal ganz herzlich be- Wollmilchsau existiert nicht. Es ging vielmehr um einen danken, nicht weil man das aus Höflichkeit so tut, son- guten Kompromiss. Ich gebe zu: Ich bin ein bisschen be- dern tatsächlich aus Überzeugung. Ich will mich beim trübt, dass wir trotz ausführlicher Debatte mit extrem Sekretariat bedanken, bei den Mitarbeitern in den Abge- viel Sachverstand – die Betreffenden sitzen heute zum ordnetenbüros, ohne die dieser reibungslose Ablauf der Teil auf der Zuschauertribüne – nicht in der Lage waren, Enquete-Kommission gar nicht möglich gewesen wäre, eine fraktionsübergreifende Lösung zu finden. Ich for- bei den Sachverständigen, die uns in der Tat immer wie- muliere es so: Ich hätte mir an dieser Stelle ein bisschen der den Blick über den Tellerrand unserer Tagespolitik mehr Blick in die Zukunft und weniger Profilierungs- hinaus ermöglicht haben, natürlich bei Ihnen, den Kolle- drang gewünscht. ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, mit denen nicht immer – ich glaube, das würden auch Sie umge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) kehrt mit Blick auf uns unterschreiben –, aber immer „Puh!“, kann man sagen. Das waren spannende, an- wieder, wenn ich zum Beispiel Kollegin Arndt-Brauer strengende, für die meisten lehrreiche und vor allen Din- betrachte, ein konstruktiver Dialog in dieser Enquete- gen sehr wichtige zweieinhalb Jahre. Wir haben nicht Kommission möglich war, und auch bei unserer Vorsit- umsonst geschwitzt; denn wir haben eine, wenn nicht die zenden Daniela Kolbe, zentrale Debatte der kommenden Jahrzehnte auf den par- (Beifall im ganzen Hause) lamentarischen Weg gebracht. Darauf können wir trotz aller Unterschiede sehr stolz sein. die ihre Aufgabe nicht nur konstruktiv, sondern auch im- mer sehr fair ausgefüllt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Ergebnisse der Enquete-Kommission kann man in drei Kategorien ein- – Es freut mich sehr, dass auch die Grünen klatschen. teilen. Es gibt Ergebnisse, bei denen wir uns definitiv Mein Dank gilt allen an der Enquete Beteiligten, vor al- uneinig sind; es gibt Ergebnisse, bei denen wir uns einig lem denjenigen, die den Auftrag der Enquete beherzigt sind, dass wir uns uneinig sind, und es gibt Ergebnisse, haben, langfristige Themen unabhängig von Fraktions- bei denen wir uns tatsächlich einig sind und bei denen disziplin zu diskutieren. Gerade den Querdenkerinnen wir es geschafft haben, über die Fraktionsgrenzen hin- und Querdenkern möchte ich deshalb meine hohe Aner- weg einen Konsens zu erzielen. Wir alle wissen, dass das kennung aussprechen. die Ergebnisse sind, die wahrscheinlich die deutlichsten 30778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Florian Bernschneider (A) Spuren in der Tagespolitik hinterlassen werden. Davon vorgehen. In wachstumskritischen Zirkeln in Berlin (C) gibt es einige. schmückt man sich mit der sozial-ökologischen Trans- formation, wenn man aber ins Wahlprogramm der SPD Nach dem Motto „das Beste zum Schluss“ möchte ich schaut, dann findet man ganz andere Sätze. Da steht zum zuerst zu all jenen Punkten kommen, in denen wir uns Beispiel, Stabilität setze Wachstum voraus. Wachstum nicht einig sind und bei denen wir nicht zusammenkom- sei notwendig, um die dramatisch hohe Jugendarbeitslo- men konnten. Das betrifft vor allem – das hat der Kol- sigkeit in Europa zu bekämpfen oder gar um Armut in lege Nüßlein angedeutet – ganz grundsätzliche Fragen der Welt zu überwinden. Da steht weiter, dass Flughäfen, der Wirtschafts-, der Gesellschafts- und der Ordnungs- Bahnhöfe und Häfen die Städte zu Motoren des Wachs- politik. Da fordern Sie von der Opposition, SPD, Grüne tums und Fortschritts machen und dass in der Kreativität und Linke, einen radikalen Wandel ein. Sie haben einen – als Rohstoff des 21. Jahrhunderts – immense Wachs- Namen dafür: Das ist die sozial-ökologische Transfor- tumspotenziale stecken. mation, wie Sie es nennen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Die Kollegin Bulmahn versucht jetzt, das etwas abzu- Hempelmann [SPD]: Immer weiter lesen! – schwächen, indem sie sagt: Es geht uns um eine Neujus- Edelgard Bulmahn [SPD]: Es geht um qualita- tierung der sozialen Marktwirtschaft. – Aber wenn man tives Wachstum und nicht um Quantität!) in die Texte schaut, stellt man fest, dass da schon etwas anderes steht, Frau Bulmahn. Ich will aus Ihrem Sonder- Frau Bulmahn, ganz ehrlich: Wenn Sie mit dieser votum zitieren: Haltung in der Enquete-Kommission gesessen hätten, dann hätten wir an vielen anderen Stellen Konsens fin- Wie im Adjektiv „sozial-ökologisch“ angezeigt, be- den können. Aber – das ist das Traurige – das gesamte darf es grundlegender Veränderungen von Wirt- SPD-Wahlprogramm wird mit dem Slogan „Das Wir schaft und Gesellschaft … entscheidet“ zusammengebunden. Das entspricht dann Sie wollen eine solidarische Ökonomie oder, wie Sie wieder Ihrer Haltung in der Enquete-Kommission. Über- auch schreiben, eine Demokratisierung der Wirtschaft all, wo dieses „Wir“ entscheidet, zählt der Einzelne nicht und kommen dabei selbst zu der Überzeugung – das ist mehr. schon beachtlich –, dass das, was Sie damit erreichen (Beifall bei der FDP) möchten, „eine gewaltige Herausforderung an unser Ver- ständnis von Freiheit, Vernunft und Verantwortung“ ist. Das, was Sie uns blumig als Suffizienz verkaufen, ist am Ende nichts anderes als eine staatlich verordnete Ver- Beim besten Willen: Dieses falsche Verständnis von zichtskultur. Freiheit und Verantwortung können wir als Liberale Ih- (B) nen einfach nicht entgegenbringen. Denn was bedeutet (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) eigentlich diese Demokratisierung der Wirtschaft, die der CDU/CSU) Sie zum Beispiel vorschlagen? Sollen da Claudia Roth Egal, ob Sie in die Sondervoten der Enquete-Kom- und Sigmar Gabriel entscheiden, wie sich Wirtschaft in mission oder in Ihr Wahlprogramm sehen: Verbote, Ge- unserem Land zu entwickeln hat? setze, Steuererhöhungen, Abgabenerhöhungen usw. Im (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Notfall muss der Einzelne zu seinem Glück, wie Sie es GRÜNEN]: Nein! Der Wachstumskommis- definieren, staatlich verpflichtet werden. Auch das ist sar! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ mit uns Liberalen nicht zu machen. Deswegen kamen DIE GRÜNEN]: Demokratie heißt: Das Volk wir hier zu keinen gemeinsamen Beschlüssen. entscheidet!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie haben immer wieder gesagt: Es gibt Branchen, die der CDU/CSU) wachsen sollen, und es gibt Branchen, die schrumpfen Ich habe versprochen: Das Beste kommt zum Schluss. sollen. – Damit widersprechen Sie einer Grundüberzeu- Wir waren uns in einigen Punkten einig. Darauf können gung, die wir alle hätten gewinnen müssen, nämlich dass wir als Enquete-Kommission stolz sein. Bei der Frage Wachstum keine politische Steuerungsgröße ist. Wir Li- der Finanzmarktregulierung waren wir uns in großen berale bleiben dabei: Wachstum ist das Ergebnis millio- Teilen einig. Auch in der PG 3 gibt es Überschneidun- nenfacher einzelner Entscheidungen. Die lassen sich gen, auf die die Kollegin Skudelny eingehen wird. Vor nicht am rot-grünen politischen Reißbrett planen, son- allem sollte man das Ergebnis der Projektgruppe 2 lo- dern dafür braucht man einen ordnungspolitischen Rah- bend erwähnen, nämlich den Indikatorensatz W3, den men. Das ist und bleibt für uns nun einmal die soziale CDU/CSU, SPD und FDP gemeinsam entwickelt haben. Marktwirtschaft, für die uns im Übrigen viele andere Menschen in Europa beneiden. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, warum sich Grüne und Linke vehement (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dagegen gewehrt haben. Man hat die berechtigte Kritik der CDU/CSU) am BIP als zu verkürzendes Wohlstandsmaß in die Ar- Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe die Hoff- beit aufgenommen, aber am Ende hat man wieder eine nung aufgegeben, dass die Grünen zur Vernunft zurück- völlig verkürzte Sicht von dem, was Wohlstand in unse- kehren, was Wirtschaft und Ordnungspolitik angeht. Bei rer Gesellschaft ausmacht, mit drei oder vier Indikatoren der SPD bin ich mir nicht sicher. Es ärgert mich ehrlich präsentiert. Damit wird man dem Auftrag der Enquete, gesagt aber schon, mit welcher Doppelzüngigkeit Sie lieber Kollege Ott, auch nicht gerecht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30779

Florian Bernschneider (A) Das Ergebnis, das wir vorgelegt haben, ist wesentlich (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die DDR (C) besser. Ich verstehe die SPD nicht, warum sie beim Ent- hatten wir doch schon!) schließungsantrag wieder mit den Grünen und Linken muss soziale Gerechtigkeit mit ökologischer Erneuerung paktiert und nicht zu dem steht, was sie mit Union und und einer umfassenden Demokratisierung dieser Gesell- FDP bezogen auf die Wohlstandsindikatoren beschlos- schaft verbinden. sen hat. Das mag Parteitaktik sein. Vielleicht ist es die beschriebene Doppelzüngigkeit oder einfach Orientie- (Beifall bei der LINKEN) rungslosigkeit der SPD. Ich weiß es nicht. Das ist alles geschenkt. Da helfen alle Schreckgespenste nicht. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wie in der Es ist ein gutes Ergebnis. Darauf sind wir Liberale DDR!) stolz. In diesem Sinne noch einmal herzlichen Dank an alle, die daran konstruktiv mitgearbeitet haben. – Das ist sicherlich nicht das, was ich gerade dargestellt habe. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Diese Differenzen spiegeln sich natürlich auch in der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Auseinandersetzung um die Wachstumsfrage wider. Ich Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Ulla bin ja erstaunt: Nach vielen Auseinandersetzungen ha- Lötzer das Wort. ben Sie alle – auch die Vertreter der FDP und der CDU/ CSU – in der Enquete-Kommission erklärt, Wachstum (Beifall bei der LINKEN) sei auch Ihrer Auffassung nach kein Ziel von Politik. Das hat sich eben ganz anders angehört. Ulla Lötzer (DIE LINKE): (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wie?) Frau Präsidentin! Kolleginnen! Kollegen! Nach wie vor stehen wir vor der Situation, dass die globale Krise An jeder Stelle im Bericht – und auch heute wieder – andauert: die globale und europäische Finanzkrise, die sagen Sie, Wachstum sei aber Voraussetzung für die Lö- soziale Krise mit wachsender Ungleichheit, die Umwelt- sung der Probleme. Dabei berücksichtigen Sie immer krise mit ihren Katastrophenfolgen. Insofern war die noch nicht, dass Wachstum an einen steigenden Ressour- Einrichtung der Enquete-Kommission sicherlich sehr cenverbrauch gekoppelt ist und dass Wachstum schon wichtig. Umso schlimmer finde ich das, Kollege lange nicht mehr Wohlstand und Lebensqualität für alle Nüßlein, was Sie hier wieder bieten; denn Sie und die garantiert. FDP-Kollegen insgesamt haben in dieser Enquete-Kom- Trotzdem noch einmal, heute zum letzten Mal: Wir (B) mission gemeinsame Schlussfolgerungen und Lösungs- ersetzen nicht die Schrumpfung der Wirtschaft durch das (D) ansätze bei wesentlichen Fragen tatsächlich blockiert. Verfolgen von Wachstumszielen, sondern wir haben in (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- dem Bericht eindeutig erklärt: Wir wollen, dass soziale NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Entwicklungsziele – die Bekämpfung von Armut zum Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD] – Dr. Georg Beispiel –, ökologische Entwicklungsziele – die Sen- Nüßlein [CDU/CSU]: Was? Nichts haben wir kung des Ressourcenverbrauchs – und nicht das Starren blockiert!) auf Wachstum zum Gegenstand der Politik werden. Für Sie – das haben Sie gerade sehr deutlich gemacht – (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ist diese Krise einfach ein Betriebsunfall einer ansonsten NIS 90/DIE GRÜNEN) gut funktionierenden Politik. Sie meinen tatsächlich, Be- Wir haben auch festgestellt – das lässt sich überall kenntnisse zur sozialen Marktwirtschaft würden ausrei- empirisch nachweisen –, dass wir es in den Industrielän- chen, sich den Problemen zu stellen und dafür Lösungen dern aus vielfachen Gründen schon lange mit sinkenden zu finden. Das ist keine demokratische Antwort. Das Wachstumsraten zu tun haben. Bei sinkenden Wachs- will ich Ihnen noch einmal deutlich sagen. tumsraten, so sagen Sie, muss der Sozialstaat geschleift (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- werden, muss die Arbeitszeit verlängert werden, müssen neten der SPD) die Löhne gesenkt und muss die Prekarisierung von Ar- beit vorangetrieben werden. Das ist ja auch leider Ihre Die Krise ist auch ein Ergebnis einer Politik, die die Politik hier und in Europa. Interessen von Menschen den kurzfristigen Renditezie- len der Finanzmärkte, der großen Konzerne, der Banken (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dummes Zeug und der Spekulanten untergeordnet hat. Für diese Politik ist das!) sind Sie verantwortlich. Insofern wäre es umso bedeu- Wir dagegen haben uns diesem Problem im Sonder- tender gewesen, wenn Sie sich dieser Verantwortung ge- votum der Opposition gestellt, haben Lösungen vorge- stellt hätten. stellt, wie auch bei sinkenden Wachstumsraten der So- (Beifall bei der LINKEN) zialstaat erhalten bleiben kann, wie Maßnahmen für gute Arbeit, Umverteilung, Zeitwohlstand und Sicherung des Die demokratische Antwort auf diese Krise ist, Herr Sozialstaats, zum Beispiel mit einer Bürgerversicherung, Nüßlein, ein grundlegender Politikwechsel und keine aussehen können. Dazu gehört auch ein neues Verständ- Beschwörung, keine Bekenntnisse, keine Rädchen. Eine nis von Arbeit und Leben in der Gesellschaft. Sorgear- sozial-ökologische Transformation beit und ehrenamtliches Engagement müssen eine ganz 30780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Ulla Lötzer (A) andere Rolle in der Debatte um die Zukunft der Arbeit lungsempfehlungen verweigert hat, ist wirklich ein Pro- (C) spielen. blem. (Beifall bei der LINKEN) (Judith Skudelny [FDP]: Das erkläre ich Ihnen nachher!) Dazu gehört auch die Debatte um Lebensweise und nachhaltigen Konsum. In dem Bericht gibt es viele sinn- Zu den Indikatoren komme ich jetzt leider nicht mehr. volle Vorschläge dazu. Herr Bernschneider, Sie bezeich- Ich kann nur sagen: Wir sehen – das gilt auch für den nen das immer als Freiheitsberaubung und haben es eben Entschließungsantrag von SPD und Grünen – das Pro- auch wieder getan. Wenn Sie jeglichen staatlichen Ein- blem, dass das Verhältnis der verschiedenen Berichte zu- griff, jegliche staatliche Rahmensetzung als Freiheitsbe- einander und der entsprechend zugeordneten Beiräte raubung darstellen, vertreten Sie nicht den mündigen nicht geklärt ist. Das gilt für den Nachhaltigkeitsbericht, Bürger in dieser Gesellschaft. den Armuts- und Reichtumsbericht, den neuen Wohl- standsbericht. Deshalb haben wir das Problem, dass das (Beifall bei der LINKEN – Florian BIP der zentrale Indikator bleibt und alles andere nur Bernschneider [FDP]: Das ist ein direkter An- schmückendes Beiwerk ist. Dieses Problem ist unserer griff, den Sie da machen! – Dr. Matthias Auffassung nach also nicht gelöst. Zimmer [CDU/CSU]: Darauf komme ich gleich zurück! – Weitere Zurufe von der CDU/ (Beifall bei der LINKEN) CSU) Ganz zum Schluss möchte auch ich mich bei allen be- Tatsache ist: Sie fordern den mündigen Bürger immer danken: bei den Sachverständigen aller Fraktionen, aber nur als Ersatz für staatliches Handeln. Wo sind die Maß- auch bei den Vertreterinnen und Vertretern der Zivil- nahmen zur Demokratisierung, zur Wirtschaftsdemokra- gesellschaft, der Verbände, der Initiativen, der NGOs, tisierung? Diese lehnen Sie ab – das haben Sie eben auch die in vielen Debatten dazu beigetragen haben, den Mit- wieder deutlich gemacht –, arbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats, den Kolleginnen und Kollegen die Arbeit zu erleichtern. (Zuruf des Abg. Florian Bernschneider [FDP]) Diese Arbeit war es wert. Es finden sich trotz der Diffe- renzen viele Schätze in dem Bericht. genauso wie eine Stärkung der Rechte der Verbraucher oder der Bürger und Bürgerinnen im Bereich der Wirt- Danke für die Aufmerksamkeit. schaft. Nicht Ihre Position, sondern unsere Position hat etwas mit mündigen Bürgern zu tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (B) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein GRÜNEN) (D) [CDU/CSU]: Dass sich die Linken bei uns nicht schämen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Mündige Bürger ersetzen nicht staatliches Handeln. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Im Gegenteil: Sie setzen einen mündigen Staat voraus der Kollege Dr. Hermann Ott. und nicht den Nachtwächterstaat, wie Sie ihn in Ihrer (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Du hast Politik vertreten. aber ein dickes Manuskript dabei!) (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: In der DDR musste man die mündigen Bürger einmauern, Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- damit sie nicht abhauen!) NEN): – Hören Sie doch auf, nach so vielen Jahren auf die DDR Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und anzuspielen! Kollegen! Ich freue mich, hier zumindest die Mitglieder der Enquete-Kommission zu sehen. Wir hatten einige Einige gemeinsame Fortschritte wurden allerdings er- gute Momente, vor allem in den Projektgruppen, in zielt, so in der Finanzmarktregulierung – das ist erfreu- denen es manchmal gelungen ist, das gemeinsame Er- lich – und in der Finanzpolitik. Die Feststellung, dass kenntnisinteresse über Ideologie und über Fraktionsdis- eine zukunftsfähige Finanzpolitik nicht nur ausgegli- ziplin zu stellen. Wir haben auch in der Analyse einige chene Haushalte im Blick haben darf, sondern sich an gute und brauchbare Ergebnisse erzielt, für die es sich öffentlicher Daseinsvorsorge, hochwertiger Bildung und lohnt, in den knapp 850 Seiten unseres Babys zu blät- daran orientieren muss, Dienstleistungen zur Verfügung tern. zu stellen, ist ein guter Teil dieses gemeinsamen Be- richts. Wir werden Sie an den Konsequenzen messen; Erkenntnisse gab es zum Beispiel beim Thema denn diese bedeuten auch eine andere Politik als Ihr Wachstum, bei dem selbst Herr Paqué, über den es heute Spardiktat in Europa. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen schönen Artikel gibt, zustimmen musste – das verbindet ihn übri- Große Fortschritte hat es in der Ressourcenfrage ge- gens mit Ludwig Erhard –, dass Wachstum niemals Ziel geben, die Anerkennung der planetarischen Grenzen und Zweck staatlichen Handelns sein darf, sondern zum Beispiel, die Anerkennung der Tatsache, dass eine höchstens Mittel. Wir würden sogar noch weiter gehen absolute Senkung des Ressourcenverbrauchs notwendig und sagen: Das ist nicht einmal mehr ein taugliches Mit- ist. Dass sich allerdings die Koalition hier wieder Hand- tel, sondern das ist eine Folge politischen Handelns. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30781

Dr. Hermann E. Ott (A) Es gab auch wichtige Erkenntnisse über den Re- (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Märchener- (C) bound, die, wie ich hoffe, Umweltpolitik, Umweltöko- zähler!) nomie und auch die Umweltbewegung animieren wer- den, systematische Ansätze zu wählen und wegzugehen Meine Damen und Herren, das hätte ich nicht für mög- von dem Flickenteppich an Maßnahmen; denn ansonsten lich gehalten. Das war undemokratisch, und das ist eine werden unsere Effizienzmaßnahmen niemals erfolg- Schande für dieses Haus. reich sein. Anregungen gab es auch zur Entwicklung ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ner solidarischen Ökonomie, vor allem in der Projekt- bei der SPD und der LINKEN) gruppe 5. Darauf bin ich auch sehr stolz. Mein besonderer Dank für gute Zusammenarbeit Als Konsequenz aus den Erkenntnissen sind Ihre geht, auch im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Handlungsempfehlungen allzu dünn; davon kann sich nen, an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion jede Bürgerin und jeder Bürger selbst einen Eindruck und der Linksfraktion. Wir haben einige respektable verschaffen und staunen. Sondervoten erstellt. So haben wir zum Beispiel die Not- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Klasse statt wendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation Masse!) unserer Gesellschaft beschrieben und haben auf mehr als 20 Seiten detailliert Maßnahmen aufgelistet, die geeig- Denn die Diskrepanz zwischen der von Ihnen – auch von net sind, unser Wirtschaftssystem vom Energie- und Ihnen, Herr Nüßlein – mitgetragenen Analyse, dass es Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Liebe Kolleginnen kein Weiter-so geben kann, und den wenigen harmlosen und Kollegen, damit haben wir die Grundlage für ein zu- Empfehlungen, die Sie am Ende abgeben, könnte größer künftiges ökologisch-soziales Reformprojekt gelegt, und nicht sein. Bildlich gesprochen, haben Sie als Arzt nach darauf können wir stolz sein. der Analyse einer todbringenden Krankheit nur Pflaster und weiße Salbe verschrieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) (Judith Skudelny [FDP]: Und Sie Placebos! Das ist nicht besser!) Eine kurze Bemerkung zu Herrn Bernschneider. Es ist ja wirklich erstaunlich, dass Sie, obwohl Sie der jüngste Damit sind Sie Ihrem Auftrag als Abgeordnete und vor Vertreter in diesem Hohen Hause sind, mit Ansichten da- allem Ihrem speziellen Auftrag als Mitglieder dieser En- herkommen, die eher in das letzte, oder sagen wir besser, quete nicht gerecht geworden, und das ist nicht in Ord- in das vorletzte Jahrhundert gehören. Natürlich wird ein nung. Wirtschaftssystem, das nicht nur an sozialen, sondern (B) auch an ökologischen Notwendigkeiten ausgerichtet ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) anders aussehen als das System, das wir jetzt haben. Na- sowie bei Abgeordneten der SPD und der türlich sähe das System, das wir jetzt haben, nämlich die LINKEN – Horst Meierhofer [FDP]: Das ent- soziale Marktwirtschaft, anders aus, wenn wir einen scheiden doch nicht Sie oder wir, ob wir dem freien Manchester-Kapitalismus hätten. Das heißt, ein Auftrag gerecht geworden sind! Entschuldigen System muss sich evolutionär entwickeln; ansonsten ist Sie!) es zum Scheitern verurteilt. Ein Scheitern aber, lieber Herr Bernschneider und liebe Kollegen von der FDP, Im Endeffekt verschieben Sie alle Lösungen auf die können wir uns nicht leisten. europäische oder globale Ebene und verdammen unser Parlament zur Untätigkeit. Sie plädieren für ein globales (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Emissionshandelssystem, tun aber nichts, um das euro- päische zu retten. Als Krönung hauen Sie das Einzige, Das Kernprojekt des 21. Jahrhunderts, unsere histori- was Sie wirklich als Ergebnis vorweisen können, näm- sche Aufgabe ist es, dass wir die Menschenwelt mit der lich das Indikatorensystem, in die Tonne und stellen hier Umwelt versöhnen, dass wir unsere Wirtschaft einbetten einen Entschließungsantrag, der es in das Ermessen des in die ökologischen Systeme, in die Ökosysteme dieser Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirt- Erde, damit unsere Wirtschaft nicht ein Fremdkörper ist, schaftlichen Entwicklung stellt, ob sich daraus neue In- der die ökologischen Systeme beschädigt. dikatoren entwickeln lassen. Meine Damen und Herren, Gemessen daran – das muss ich deutlich sagen – ha- was soll denn dabei herauskommen, wenn Sie den Bock ben wir in der Enquete-Kommission tatsächlich nicht ge- zum Gärtner machen? liefert. Das lag eben im Wesentlichen an der Koalition, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vor allem an der FDP, obwohl ich die Mitglieder der En- NEN]: Nichts, gar nichts!) quete-Kommission – ich will explizit Herrn Nüßlein nennen –, von dieser Kritik, von wenigen Ausnahmen Dabei wird gar nichts herauskommen; denn diese Herren abgesehen, ausdrücklich ausnehmen möchte. Anschei- haben überhaupt kein Interesse daran, neue Indikatoren nend waren die Mitglieder der Koalition in der Enquete- zu entwickeln. Kommission doch nur zu bereit zur vorurteilsfreien Zusammenarbeit mit uns. Ansonsten hätte es ja keine Kurz gesagt: Ihr Entschließungsantrag ist das Papier Notwendigkeit dafür gegeben, dass der Koordinierungs- nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Wie es besser ausschuss der Koalition da hereingegrätscht ist und sei- geht, können Sie dem von uns eingebrachten Entschlie- nen Mitgliedern einen Maulkorb verpasst hat. ßungsantrag entnehmen. 30782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Strecken der Beratung waren wir glücklich, jedenfalls (C) Herr Kollege. dann, wenn es um das Zusammentragen der Fakten ging. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wie der Abg. Judith Skudelny [FDP]) NEN): Zum Schluss noch versöhnliche Worte. Allerdings muss ich Wasser in den Wein gießen: Auch in einer Enquete-Kommission gehört der Dissens (Florian Bernschneider [FDP]: Das können Sie in der Beratung und in der Bewertung zum Ausdruck ei- sich jetzt auch sparen!) ner pluralistischen Gesellschaft, und das finde ich auch Wir haben ein kleines bisschen dazu beigetragen, dem gar nicht schlimm. Im Laufe der Kommissionsarbeit tra- Motto von Antoine de Saint-Exupéry gerecht zu werden: fen wir auf kontroverse Ansichten: Einige Mitglieder der Enquete haben vermeintlich aus Sorge um die Umwelt Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, einem umfassenden Umbau der Wirtschaft, einem be- sondern möglich machen. wussten Wachstumsverzicht und sogar einer tiefgreifen- den sozial-ökologischen Transformation von Gesell- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schaft und Wirtschaft das Wort geredet. Das kommt auch Herr Kollege. im heute vorliegenden Entschließungsantrag der Opposi- tionsfraktionen zum Ausdruck. Ich sage Ihnen als Ver- fechter der sozialen Marktwirtschaft: Es ist meine Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Pflicht, das Haus an dieser Stelle vor utopischen Experi- NEN): menten zu warnen. Das gilt auch für all unsere Sachverständigen, von de- nen ich hier einige begrüße, und natürlich für die Mitar- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) beiterinnen und Mitarbeiter des Sekretariats. Die Vision einer tiefgreifenden Transformation, meine Ich danke Ihnen. Damen und Herren, ist durch die Arbeit dieser Enquete- Kommission entzaubert worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie im Ahlener Pro- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gramm stehen!) Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Was ist denn mit sozial-ökologischer Transformation (B) Dr. Matthias Heider das Wort. gemeint? Aufschluss gibt uns ein Sondervotum der (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Oppositionsfraktionen in Kapitel 7.1.3. Die Verfasser plädieren für eine „breite und plurale Umbauperspek- tive“ gegründet auf eine „grundlegende Neuordnung von Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Wirtschaft und Gesellschaft“. Das müssen Sie den Men- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch schen draußen im Land erklären. ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekreta- (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE riats und bei den Sachverständigen, die hier heute zum GRÜNEN]: Das machen wir jeden Tag!) Teil anwesend sind, für die interessante und fruchtbare Zusammenarbeit in diesen Jahren ganz herzlich bedan- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ken. Herr Kollege, Frau Leidig möchte eine Zwischen- Ich denke, Umfang und Herausforderungen dieser frage stellen. Möchten Sie diese zulassen? Enquete-Kommission hätten gar nicht größer sein kön- nen. Dementsprechend ist auch die gemeinsame Lern- Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): kurve sehr steil gewesen. Beim Kollegen Ott hat man Bitte schön. das gerade nicht herausgehört. Aber ich denke, wir ha- ben einiges geleistet und vieles gemeinsam geschafft, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: auch wenn es zwischendurch mediale Unkenrufe gab, die nicht zu überhören waren. Bitte.

Gelegentlich hörte man, dass bei den zu bearbeiten- Sabine Leidig (DIE LINKE): den Themen Uneinigkeit parteipolitisch vorgegeben ge- Kollege Heider, Sie malen utopische Experimente wesen sei und die Mitglieder über weite Strecken der wie ein Schreckgespenst an die Wand. Ich möchte in die- Beratung unglücklich gewesen seien. sem Zusammenhang auf zwei Aspekte hinweisen. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einige Mitglieder schon!) Erstens. An der Baustelle des neuen Ministeriums für Bildung und Forschung ist ein Zitat Einsteins ange- Ich weiß nicht, ob wir hier einen Beitrag zur Forschung bracht, das sinngemäß lautet: Die Menschheit muss ihr zum Thema Glück hätten leisten müssen, kann Ihnen Denken grundlegend verändern, wenn sie überleben jedoch sagen: Es war genau umgekehrt; über weite will. – Es geht also um grundlegende Veränderungen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30783

Sabine Leidig (A) Zweitens. Der Bericht der Projektgruppe 5 enthält in (Widerspruch bei der LINKEN – Ulla Lötzer (C) Kapitel 4 einen, wie ich finde, ausgesprochen bemer- [DIE LINKE]: Das ist so platt! – Dr. Hermann kenswerten Abschnitt mit der Überschrift „Suffizienz – E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie weder Mangel noch Übermaß“. Dort wird ausgeführt: waren doch gar nicht dabei! Was soll denn das? Das gibt es doch gar nicht!) … der kulturelle Wandel hin zu mehr Mäßigung und zu einer gerechten Verteilung ist eine unver- Sie reden von neuem Denken, aber sie meinen neue zichtbare Voraussetzung für eine gerechte und Regeln; denn sie wollen die Gesellschaft durchregulie- friedliche Welt und für die Steigerung der Lebens- ren. Sie wollen den Menschen gar keine Möglichkeit zu qualität. neuem Denken geben, sie wollen ihnen das Denken vor- wegnehmen. Können Sie sich vorstellen, dass Frau Auch hier geht es um eine grundlegende Veränderung Leidig diesem Missverständnis unterliegt? des bisherigen Denkens. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe Ich finde, es ist notwendig, dass Sie sich mit den ge- von der LINKEN) sellschaftlichen Debatten auseinandersetzen, bei denen es um grundlegende Veränderungen geht. Wir haben diese Debatten nicht nur mit den verschiedenen NGOs Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): und gesellschaftlichen Gruppen geführt, sie finden auch Herr Kollege Kauch, diese Frage kann ich sehr auf der Straße statt, zum Beispiel in Frankfurt im Zuge schnell beantworten: Ja, das glaube ich auch. der Blockupy-Proteste. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Judith Skudelny [FDP]: Fragen!) der FDP) Ich möchte von Ihnen wissen, warum Sie die Notwen- digkeit zu grundlegenden Veränderungen so abwehren, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wo man doch weiß, dass sie notwendig sind, um der Möchten Sie noch eine weitere Zwischenfrage von Menschheit wirklich eine Perspektive zu geben. Frau Leidig zulassen? (Beifall bei der LINKEN) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich würde jetzt gerne fortfahren. Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Frau Leidig, gerne nehme ich Ihr Statement auf und Ich komme zurück auf die sozial-ökologische Trans- beantworte Ihre Frage. formation. Was ist damit gemeint? Wir glauben, dass Sie (B) damit Eingriffe in unsere sozialen und marktwirtschaftli- (D) Einem vernünftigen Umgang mit Konsumgütern und chen Grundprinzipien durch eine Ausweitung staatlichen auch einem vernünftigen Umgang mit Produktionsmit- Handelns meinen. Sie meinen damit eine Neubewertung teln steht nichts im Wege. Alle Beteiligten haben ein und Reorganisation von Arbeit, Produktion und Kon- großes, auch finanzielles Interesse an einem sparsamen summustern sowie eine Umverteilung von gesellschaftli- Umgang. Aber braucht es dazu einen Umbau der Gesell- chem Wohlstand mit einer völlig veränderten Dynamik, schaft, einen neuen Blick auf die Demokratisierung der und zwar in Ihrem Sinne. All das meinen Sie. Gesellschaft? Was Sie mit der Frage der Transformation bemänteln, ist in Wirklichkeit ein Raubbau an demokra- Der grundlegende Ansatz der von Ihnen gewünschten tischen Elementen. Das werfe ich Ihnen an dieser Stelle tiefgreifenden Transformation ist: mehr Staat als Markt, vor. mehr Regulierung statt freier Entfaltung und mehr Um- verteilung. Das ist der eigentliche Ansatz. Wir wollen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger stärken, Lachen bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein indem wir die Freiheit aller, die als Anbieter oder Nach- [CDU/CSU]: Sozialismus!) frager am Markt teilnehmen, schützen und gleichzeitig für sozialen Ausgleich sorgen. Das ist soziale Marktwirt- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schaft. Herr Kollege, es gibt noch eine weitere Zwischen- frage, nämlich von Herrn Kauch. Möchten Sie auch Wir wollen unternehmerisch Handelnde in Zukunft diese zulassen? mehr auf den Schutz der natürlichen Ressourcen ausrich- ten. Das ist nachhaltiges Wirtschaften. Wir trauen den Bürgern dieses Landes einfach mehr zu als Sie, meine Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Damen und Herren von der Opposition. Herr Kauch, bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Michael Kauch (FDP): NEN]: Sie trauen ihnen gar nichts zu, vor al- Herr Kollege, könnten Sie sich vorstellen, dass Frau lem nicht die Fähigkeit zur Veränderung!) Leidig und auch andere den Begriff vom „neuen Den- ken“ mit dem Begriff vom „neuen Menschen“ verwech- Das, was ich im Rahmen meiner Tätigkeit in der seln, den die Kommunisten schaffen wollten und den sie Enquete-Kommission gelernt habe, fassen übrigens die jetzt auf neuem Wege durch die Hintertür verordnen Sachverständigen Professor Bettzüge für die Union und wollen? Professor Schneidewind für die Grünen – Herr Ott, hö- 30784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Matthias Heider (A) ren Sie gut zu! – in einer Ende letzten Jahres gemeinsam Wenn Sie sich erstens anschauen, was wir geschrieben (C) veröffentlichten Analyse – sie stand in einer Ausgabe haben, und zweitens sehen, was in den gesellschaftlichen der Wirtschaftswoche – zusammen: Es sind „vier unbe- Debatten passiert, wissen Sie, dass das Gegenteil der queme Wahrheiten, die eine Lösung verhindern“. Die Fall ist. erste unbequeme Wahrheit ist, dass die ökologischen Systeme – wie die Erdatmosphäre – an ihre Grenzen ge- Ich war jetzt beispielsweise in einer Reihe von Kran- raten. Die anderen drei Wahrheiten, die jetzt folgen, ste- kenhäusern, um über das Thema Pflegenotstand und das hen im Gegensatz dazu. Die zweite unbequeme Wahrheit Problem der systematischen Überlastung von Pflege- – Sie können dies im Schlussbericht nachlesen; Frau kräften zu diskutieren. Die Beschäftigten in den Kran- Kolbe hat ein Exemplar vor sich auf dem Tisch liegen – kenhäusern sagen unisono: Wir wissen sehr gut, wie besteht darin, dass Rohstoffe nicht so schnell knapp wer- Pflege organisiert werden muss, mit wie viel Personal den, wie für die Grenzen unseres Planeten nach Ihrer und mit welchen Zeitbudgets das geschehen muss, um Meinung eigentlich gut wäre. Die dritte unbequeme gut für die Patientinnen und Patienten arbeiten und für Wahrheit ist, dass technischer Fortschritt und steigende mehr Lebensqualität wirken zu können. Effizienz allein nicht ausreichen werden, den Naturver- Das Problem ist nur: Sie werden überhaupt nicht ge- brauch absolut zu entkoppeln. fragt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Michael Kauch [FDP]: Von Ihnen auch SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hermann E. Ott nicht!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine der Erkenntnisse aus unserer PG 3! Sie waren In den Krankenhäusern werden Gutachter und Manage- doch dabei!) mentkonzepte eingesetzt, die von oben kommen. Sie werden nach betriebswirtschaftlichen Maßzahlen dik- – Herr Ott, lassen Sie mich doch einmal ausreden. – tiert. Das, was Sie da organisieren, ist antidemokratisch. Schuld daran ist auch der Rebound-Effekt; er tut sein Übriges dazu. Das haben wir in der Enquete gemeinsam (Beifall bei der LINKEN) eingekreist. Das hätten Sie doch auch einmal sagen kön- Demokratisch wäre, die Beschäftigten bzw. die Bür- nen. gerinnen und Bürger in den Wandel einzubeziehen und sie zu fragen, was man denn verändern müsste, damit (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE das Erforderliche Realität wird. Sie sagen – das fordern GRÜNEN]: Geben Sie mir ein bisschen ab übrigens gerade junge Leute –: Wir wollen nicht immer von Ihrer Redezeit!) mehr haben wollen müssen. – Ich finde, das ist eine (B) Schließlich haben wir erkannt, dass die Ökosysteme spannende Herausforderung. Wie bekommt man es hin, (D) Atmosphäre, Meere und Regenwälder globale Güter dass die Menschen nicht immer mehr haben wollen müs- sind, auf die die ökonomischen Knappheitssignale kei- sen, ohne dass Arbeitsplätze zuhauf verloren gehen? Das nen Einfluss haben. Dies hat eine Übernutzung zur ist doch eine zutiefst demokratische Frage. Es reicht Folge. Wir werden dieses Problem bei allen guten Ansät- nicht, auf internationaler Ebene Verhandlungen zu füh- zen national nicht lösen können. Dazu brauchen wir in- ren, sondern wir brauchen Auseinandersetzungen in der ternationale Anstrengungen. Das ist nach unserer Auf- Zivilgesellschaft, die auch auf dieses Parlament Einfluss fassung der richtige Ansatz. haben müssen. Noch einmal herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit. Ich (Beifall bei der LINKEN) freue mich, wenigstens einen in der nächsten Legislatur- periode wiederzusehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zur Antwort bitte der Kollege Heider. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Frau Kollegin Leidig, Sie haben das Thema Pflege Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: angesprochen. Dieses Thema wird in den nächsten Jah- Der Kollegin Leidig gebe ich das Wort zu einer Kurz- ren in unserer Gesellschaft sicherlich sehr präsent sein; intervention. es ist schon heute sehr präsent. Nicht verstanden habe ich, was das mit demokratischer Legitimation zu tun ha- ben soll. Sabine Leidig (DIE LINKE): (Edelgard Bulmahn [SPD]: Mit Teilhabe hat Da der Kollege Heider nicht noch einmal eine Frage das etwas zu tun!) von mir beantworten wollte, nutze ich jetzt die Möglich- keit einer Kurzintervention. Ich möchte auf diesen merk- Eine demokratische Legitimation haben wir zum Bei- würdigen Vorwurf eingehen, dass gesellschaftliche Ver- spiel, wenn eine Entscheidung darüber erforderlich ist, änderung antidemokratisch sein müsse. Das Gegenteil wie viele Haushaltsmittel dieses Parlament für die Pflege ist der Fall. zur Verfügung stellt. (Judith Skudelny [FDP]: Nicht bei einer Trans- (Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Sie verstehen formation!) nicht, was Demokratie ist!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30785

Dr. Matthias Heider (A) Das ist aber nicht das eigentliche Kernanliegen. Wir gute Sachargumente zu fortschrittlichen Aussagen zu be- (C) haben darauf hingewiesen, dass es mit Blick auf den von wegen. In aller Freundschaft sage ich: Ich glaube, es ist Ihnen apostrophierten ökologischen Umbruch, die uns an vielen Punkten gelungen, über Fraktionsgrenzen Transformation, überhaupt nichts nützt, wenn Deutsch- hinweg gute Vorschläge zu entwickeln, gerade was die land zum Beispiel darauf verzichtet, die Fischerei auszu- Stabilisierung der Finanzmärkte angeht. Diese Vor- üben. Das wird die Überfischung der Meere nicht ver- schläge sind, wie ich finde, sehr wichtig. Sie werden hindern. Wenn Deutschland die Industrie abschafft, eine große Rolle spielen und dazu beitragen, dass wir die verhindert das nicht, dass die Atmosphäre weiterhin internationalen Finanzmärkte wieder zu ihrer ursprüngli- stark belastet wird. Das sind Beispiele, an denen wir chen Aufgabe zurückbringen können, nämlich, die Fi- konkret festmachen, dass es mehr als eines nationalen nanzierung der Realwirtschaft sicherzustellen. Impulses bedarf und man sich nicht auf den Erfolgen ausruhen darf. Wir haben auch alternative Vorschläge unterbreitet. Ich finde, es ist in einer Demokratie nichts Schlechtes, Vielen Dank. wenn deutlich wird, dass es unterschiedliche Bewertun- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thomas gen, Ziele und auch Gestaltungsvorschläge gibt. Ich finde, es ist auch nichts Schlechtes, wenn deutlich wird, Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „In- dass politische Entscheidungen immer auch Wertent- dustrie abschaffen“, so ein Blödsinn! Das ist scheidungen sind. kein Niveau!) Die Vorschläge, die wir vorlegen – ich will jetzt über Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die Oppositionsvorschläge sprechen –, zeigen Wege zu Das Wort hat jetzt Edelgard Bulmahn für die SPD- einem tragfähigen Wohlstandsmodell auf, bei dem so- Fraktion. ziale, ökologische und wirtschaftliche Ziele gleichbe- rechtigt in Einklang gebracht werden. Das, lieber Herr (Beifall bei der SPD) Bernschneider, ist die Neujustierung der sozialen Markt- wirtschaft. Edelgard Bulmahn (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Gerade an So ist es bislang nämlich nicht. Diese Ziele stehen nicht die Zuhörer und Zuhörerinnen richte ich die Bitte, in den gleichberechtigt nebeneinander. Sie werden nicht mit- Bericht der Enquete-Kommission zu schauen. Die Argu- einander verknüpft. Genau das fordern wir in unserem mentation, die Darstellung der Herausforderungen, vor Bericht. denen wir stehen, und unsere Lösungsvorschläge sind in (B) (D) diesem Bericht viel differenzierter und viel konkreter, (Florian Bernschneider [FDP]: Also doch als diese niveaulose Auseinandersetzung das vielleicht keine Transformation!) vermuten lässt. Der Bericht ist nicht schwarz-weiß, son- Genau das ist notwendig, wenn wir der Anforderung, die dern viel differenzierter. Deshalb lohnt es sich, in diesen Lebensverhältnisse der Bevölkerung in der Breite zu Bericht zu schauen. verbessern und nicht nur für 10 Prozent der Bevölke- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rung, gerecht werden wollen. Letzteres wäre nicht die DIE GRÜNEN) Politik meiner Partei, der SPD. Die Enquete-Kommission hat sich mit wichtigen Kri- (Beifall bei der SPD) senerscheinungen, mit den Wirkungen der Krise be- Wir wollen für die Breite der Bevölkerung eine Verbes- schäftigt. Das war notwendig und wichtig, weil die Fol- serung der Lebensverhältnisse. gen der Krisen bisher nicht behoben worden sind. Wir sollten Problemlösungsvorschläge erarbeiten, die ver- Die Umsetzung der Empfehlungen, die wir vorgelegt hindern, dass in Zukunft wieder solche Krisen entstehen haben, erfordert viel politischen Mut; dessen muss man können. Dieses war der Grund für die Einsetzung der sich klar sein. Es bedarf unseres Mutes, aber auch des Enquete-Kommission. Deshalb haben wir zweieinhalb Mutes der Unternehmen, der Gewerkschaften und der Jahre miteinander gerungen, um zu überzeugenden Ant- Menschen, die in unserem Land leben. Wenn wir diese worten zu kommen. Empfehlungen umsetzen, werden wir den sozialen Zu- sammenhalt in unserer Bevölkerung stärken und eine Lassen Sie mich am Anfang meiner Rede einen ganz gute wirtschaftliche Entwicklung sichern. Damit werden herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen rich- wir auch unserer Verantwortung für die künftigen Gene- ten, vor allen Dingen aber an die Vorsitzende der Kom- rationen besser gerecht. mission, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Sachverständigen; denn ohne ihr Engagement könnten Lassen Sie mich auch eine kritische Anmerkung ma- wir heute nicht ein, wie ich finde, trotz aller Lücken ak- chen. Mich hat es enttäuscht, dass die Koalition offen- zeptables Ergebnis vorlegen. Deshalb ein herzliches sichtlich nicht bereit ist, zu akzeptieren – vielleicht hat Dankeschön! sie es auch nicht verstanden –, dass es nicht ausreicht, an einigen Stellschrauben ein bisschen zu drehen, um die- (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) sen tiefgreifenden Wandel unserer sozialen Marktwirt- Das war zugegebenermaßen ein hartes Stück Arbeit, schaft wirklich herbeizuführen. Mich hat auch ent- insbesondere wenn es darum ging, die Koalition durch täuscht, dass sie bis heute offensichtlich nicht verstanden 30786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Edelgard Bulmahn (A) hat, dass uns gerade die Marktwirtschaft in ihrer jetzigen Lassen Sie mich auf das eingehen, was Herr Heider (C) marktradikalen Form die Finanz-, Wirtschafts- und Um- gesagt hat. Sie sprachen darüber, dass utopische Kon- weltkrise beschert hat. zepte vorgelegt werden. Daher frage ich Sie, ob Sie die Nachhaltigkeitsinitiative, die die chemische Industrie (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie und die Chemiegewerkschaft gerade jetzt gestartet haben doch etwas zur Liberalisierung der Finanz- und mit der sie sich sehr anspruchsvolle Ziele und Leitli- märkte!) nien setzen – was ich sehr gut finde –, Offensichtlich haben Sie bisher nicht verstanden, Herr (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die können Nüßlein, dass wir diese Wirtschaftskrise in unserem das ohne uns! Ohne SPD!) Land nur deshalb einigermaßen gut überstanden haben, weil wir sie mit einem massiven Einsatz von Steuermit- als utopisches Konzept bezeichnen. Darin steht vieles teln überwunden haben. Dass Sie das so schnell verges- von dem, was wir in der Enquete-Kommission beschrie- sen, hätte ich nicht erwartet. ben haben. (Beifall bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein (Florian Bernschneider [FDP]: Deswegen [CDU/CSU]: Aber die Liberalisierung der Fi- brauchen wir keine Gesetze!) nanzmärkte, das waren doch Sie!) Gerade der VCI hat in der Anhörung ausgeführt, dass sie – Auch da müssen Sie Ihr Gedächtnis wieder etwas mo- zur Erreichung der Ziele die passenden staatlichen Rah- bilisieren. Auch das ist falsch. Die Kohl-Regierung hat menbedingungen brauchen und eine mutige Politik, die damals die Grundlagen für den Euro festgelegt, und das diesen Pfadwechsel unterstützt. Europäische Parlament hat die Deregulierung durchge- Deshalb sage ich Ihnen: Wir brauchen keine Regie- führt. Im Europäischen Parlament haben im Übrigen die rung, in der der Wirtschaftsminister ein Wachstum um konservativen Parteien die Mehrheit. jeden Preis propagiert und der Umweltminister für nach- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nein, nein! haltiges Wirtschaften plädiert. Schröder und Kompanie! Eichel war beteiligt! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bei den Griechen auch!) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Deshalb wünsche ich mir, dass wir eine sozialdemokrati- GRÜNEN – Judith Skudelny [FDP]: Das stand sche Mehrheit im Europäischen Parlament haben, um in Ihrem Parteiprogramm! – Dr. Georg das endlich wieder zurechtzurücken. Nüßlein [CDU/CSU]: Für was sind Sie denn jetzt? Für Wachstum oder Begrenzung?) (B) (Beifall bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein (D) [CDU/CSU]: Eichel war beteiligt!) So gelingt keine Energiewende, und so gelingt auch nicht der notwendige Wandel, den wir brauchen, um tat- – Man muss schon bei der Wahrheit bleiben, lieber Herr sächlich eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Nüßlein, und hier keine Märchen erzählen oder Legen- den bilden. Das ist notwendig. Ein versöhnliches Wort zum Schluss, wie es viele zu Recht gemacht haben. Das, was wir hier erarbeitet und (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie waren in vorgelegt haben, erfüllt zwar sicherlich nicht immer alle der Regierung damals! Sagen Sie es doch!) Erwartungen, im Übrigen auch nicht unsere eigenen; aber es ist ein guter Anfang. Wir haben ein Stück des Sie haben auch nicht verstanden, lieber Herr Kollege, Weges beschritten, den wir weitergehen sollten. Deshalb (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Stabilitäts- liegt es jetzt an uns, ob wir die Handlungsempfehlungen, und Wachstumspakt! Wer hat den aufgege- auch die der Opposition, in der kommenden Zeit umset- ben?) zen. Ich finde, wir müssen handeln. Denn die Uhr steht auf fünf vor zwölf. dass ein aufwendig organisierter Kongress, der sicher- lich interessant ist und zu dem sogar Gäste aus Bhutan Vielen Dank. eingeladen sind, nicht den politischen Willen, wirklich (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem etwas zu verändern, und auch nicht die notwendigen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mehrheiten, die man dafür braucht, ersetzt. Sie haben bisher auch nicht verstanden, dass es moralisch und wirt- schaftlich notwendig, klug und vorausschauend ist, dass Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deutschland international eine Vorreiterrolle für diesen Die Kollegin Judith Skudelny hat jetzt das Wort für Wechsel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise ein- die FDP-Fraktion. nehmen muss. Ich glaube, es ist erforderlich, dass wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hier in diesem Parlament genau darüber Einigkeit her- der CDU/CSU) stellen, weil wir nur dann unserer eigenen Verantwor- tung gerecht werden. Judith Skudelny (FDP): Für uns Sozialdemokraten ist eines völlig klar: Bei al- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen len verschiedenen Definitionen von Wachstum stellen und Herren! Ich glaube, die Debatte hier spiegelt ein wir den Wohlstand und das Wohlergehen von Menschen bisschen das Spannungsverhältnis wider, das wir in den in den Mittelpunkt. einzelnen Projektgruppen hatten. Bei einigen Teilen ha- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30787

Judith Skudelny (A) ben wir sehr gut miteinander gearbeitet, andere Teile wa- Judith Skudelny (FDP): (C) ren eben etwas lustiger. Wir haben bei den Analyseteilen Das machen wir am Ende, okay? sehr gut zusammengearbeitet, insbesondere in der PG 3. Da gibt es auch gute Nachrichten. Wir haben geschaut, (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der wie es eigentlich um die Umwelt in Deutschland steht. CDU/CSU – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: In Deutschland wird die Qualität der Böden besser, die Das ist eine neue Variante!) Luftqualität wird besser, die Wasserqualität wird besser, Wir haben uns über eine differenzierte und dosierte und auch der CO2-Ausstoß sinkt in der Gesamtsumme. Pionierrolle unterhalten. Die differenzierte und dosierte Pionierrolle ist ein neuer Weg. Diese Enquete-Kommis- Auch global werden die Probleme mittlerweile in An- sion wurde schließlich auch deswegen eingesetzt, weil griff genommen. In China werden Wasserregelungen wir uns nicht auf ausgetrampelten Pfaden vorwärtsbewe- eingeführt, der Boden wird besser und Ähnliches. gen, sondern neue Gedanken entwickeln wollen. Wir haben Probleme in anderen Bereichen. Wir haben Die differenzierte und dosierte Pionierrolle hat meh- dort Probleme, wo es nicht um das Regionale, sondern rere Bestandteile. Ein Bestandteil ist die Vorbildfunk- um das Globale geht, bei den sogenannten Allmendegü- tion. Wenn ich meine Kinder erziehe, kann ich das nicht tern wie dem Klima. Der Kollege Heider hat es schon tun, indem ich selbst alles falsch mache. Vielmehr habe sehr schön dargestellt: Das Problem ist, dass niemand ich eine Vorbildfunktion, und diese erfülle ich. Das muss die Verantwortung für das Klima übernimmt. Das sind auch Deutschland tun. Senken; es ist ein Raum, auf den jeder Zugriff, aber nie- mand einen Anspruch hat. Wenn man sich mit dieser Darüber hinaus brauchen wir aber auch den techni- Problemstellung, die wir in der PG 3 sehr gut herausge- schen Fortschritt. Wenn wir innovativ sind und die arbeitet haben, befasst, dann muss man sich bei allen Dinge verbessern, wird das zu Wirtschaftswachstum Maßnahmen – jetzt komme ich zu dem Punkt, an dem es führen. Das wird zum Teil sicherlich auch zu einem Re- einen Dissens gibt – fragen: Wirken sie eigentlich glo- bound-Effekt führen. Dazu haben wir ein Gutachten in bal? Auftrag gegeben, in dem es um die Frage ging: Was be- deutet Rebound eigentlich global? Global bedeutet Re- Wir haben gesehen: In Deutschland werden alle bound, dass sich die Schwellen- und Entwicklungslän- Werte besser – natürlich können sie noch besser werden; der, weil Produkte günstiger werden, vielleicht erstmals darüber müssen wir uns nicht unterhalten –, aber global medizinische Versorgung, Transport, Wohnen und Bil- werden die Werte immer schlechter. Das heißt, bei allem, dung werden leisten können. Das alles sind positive Be- was wir national machen, müssen wir uns fragen: Funk- standteile dieses Rebound-Effektes. tioniert die Transmission? Funktioniert die Übersetzung (D) (B) ins Globale? Darüber haben wir uns in der Projekt- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gruppe 4 unterhalten. Die einzige Antwort im Bereich Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. des Klimaschutzes – als Beispiel für ein Allmendegut – lautete immer wieder: Vorreiterrolle. Die Opposition (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Kollegin sagte immer wieder: Vorreiterrolle, Vorreiterrolle und Kolbe kommt ja noch mit ihrer Zwischen- noch einmal Vorreiterrolle. Dabei hat die Opposition frage!) schon in der PG 3 festgestellt, dass überhaupt erst einmal untersucht werden muss, inwieweit die Vorreiterrolle Judith Skudelny (FDP): global überhaupt eine Wirkung hat. Das ist einer der For- Als dritten Punkt – ganz kurz – haben wir gesagt: Wir schungsaufträge, die die Opposition in der PG 3 definiert brauchen auch die internationale Kooperation. Nur mit hat, obwohl das eigentlich einer der Hauptpunkte der diesem Dreiklang, der zwar keine konkreten Maßnah- PG 4 ist. Die sozial-ökologische Transformation ist men beinhaltet, aber zum ersten Mal eine intelligente nichts anderes als eine konkrete Ausgestaltung dieser Idee verfolgt, werden wir es tatsächlich schaffen, uns Vorreiterrolle, von der wir allerdings überhaupt nicht nicht nur besser zu fühlen, sondern am Ende auch etwas wissen, ob sie tatsächlich wirksam ist. Positives für das Klima und alle Umweltgüter zu bewir- Wir von der Opposition haben gesagt – – ken. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie in (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Opposition – das wäre gut!) der CDU/CSU – Dr. Matthias Heider [CDU/ CSU]: Da gab es doch noch eine Zwischen- Wir von der Regierung und die Mehrheit in der Enquete- frage!) Kommission haben gesagt: So einfach wollen wir uns das nicht machen. Wir wollen uns tatsächlich überlegen: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wie bekommen wir die globalen Probleme in den Griff? Thomas Gambke hat jetzt das Wort für Bündnis 90/ Welchen Beitrag muss und kann Deutschland dazu leis- Die Grünen. ten? Hier haben wir eine neue Position definiert. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: NEN): Frau Kollegin, bevor Sie das sagen: Möchten Sie eine Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zwischenfrage von Frau Kolbe zulassen? Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte muss ich 30788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Thomas Gambke (A) auf manche Bemerkungen, die heute gemacht wurden, Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): (C) eingehen. Herr Heider hat gesagt, wir wollten die Indus- Herr Kollege Gambke, wären Sie bereit, zur Kenntnis trie abschaffen. zu nehmen, dass ich nicht gesagt habe, dass wir die In- dustrie abschaffen wollen, sondern dass ich gefragt habe, (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das habe was passieren würde, wenn wir die Industrie abschaffen, ich nicht gesagt, Herr Kollege!) und ob das einen Einfluss auf die Atmosphäre haben – Herr Heider, Sie werden das nachlesen können. würde? Würden Sie mir beipflichten, dass das keinen Einfluss hätte? (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Da haben Sie nicht richtig zugehört!) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Bernschneider hat von einem Wachstumskom- NEN): missar gesprochen. Das ist nicht das Niveau, auf dem Sie haben sich so geäußert, als ob auf unserer Seite wir hier miteinander reden sollten. des Hauses irgendjemand daran denken würde, die In- dustrie abzuschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nein! – Michael Kauch [FDP]: Stimmt doch gar nicht! Herr Heider, wenn ich den Menschen sage, dass es in Das hat er doch überhaupt nicht gesagt!) Deutschland 125 Millionen Handyverträge gibt, dass Flachbildschirme derzeit alle vier Jahre ausgewechselt – So habe ich das verstanden. Ich lehne diese Art von werden oder dass die Gebrauchsfähigkeit mancher Ge- Fragestellung ab. Ich glaube nicht, dass das das Niveau räte auf zwei Jahre geschrumpft ist, während Sie sagen, ist, auf dem wir dieses Thema hier bereden sollten. dass wir 3 Prozent Wachstum brauchen, um uns unsere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sozialen Sicherungssysteme überhaupt leisten zu kön- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- nen, stelle ich fest, dass die Leute mir zuhören und sa- KEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das gen: Gott sei Dank spricht das mal jemand an! Was habt ist eine böswillige Interpretation!) ihr für Lösungen? – Das war der Auftrag an unsere Enquete-Kommission. Herr Professor Miegel hat von einer neuen Wirklich- keit gesprochen. Wir brauchen uns gar nicht über den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Begriff der Transformation zu streiten; aber wir haben in sowie bei Abgeordneten der SPD) der Tat eine neue Wirklichkeit: Wir müssen uns ange- Man braucht eigentlich nur den Antrag zur Einset- sichts der demografischen Veränderungen, die so sicher (B) zung der Enquete-Kommission zu lesen. – Für die CDU/ wie das Amen in der Kirche kommen werden, die sozia- (D) CSU hat Herr Kauder unterschrieben. Wer bei der FDP len Sicherungssysteme anschauen. Wir müssen uns auch gerade Fraktionsvorsitzender war, weiß ich nicht; das anschauen, wie wir mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit in Europa umgehen. Wir können uns nicht nach Deutsch- wechselt ja ein bisschen. – In diesem Antrag stand: land zurückziehen und sagen: „Bei uns ist alles prima“, – die Frage untersuchen, ob und ggf. wie das deut- wenn in den südeuropäischen Ländern über 50 Prozent sche Wirtschafts- und Sozialstaatsmodell die ökolo- der Jugendlichen arbeitslos sind. Dafür brauchen wir gischen, sozialen, demografischen und fiskalischen Antworten. Diese Antworten können nicht lauten: Sollen Herausforderungen auch mit geringen Wachstums- doch die Portugiesen und die Italiener das Gleiche ma- raten bewältigen kann bzw. welche Wachstums- chen wie wir! – Wie viele 7er-BMWs zwänge dem entgegenstehen … (Judith Skudelny [FDP]: Oder Daimlers!) Das war der Auftrag, meine Damen und Herren von der sollen denn noch nach China verkauft werden, bis auch Koalition, und dem verweigern Sie sich, wenn Sie heute die Portugiesen und andere keine Arbeitslosigkeit mehr sagen: Wir wollen über das Thema Wachstum gar nicht haben? debattieren. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Seit wann (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- bauen die Portugiesen 7er-BMWs?) SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- KEN) Ich glaube, dass das nicht die richtigen Antworten sind. Die Antwort, die ich von Ihnen gehört habe, war: Wir setzen auf Innovationen, die zu Wachstum führen. – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich kann Ihnen sagen: Ja, wir brauchen Innovationen; Herr Kollege, der Kollege Heider würde Ihnen gern aber – das war der Auftrag der Enquete-Kommission – eine Zwischenfrage stellen. wir müssen die Richtung des Wachstums festlegen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Und die ent- Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- scheiden Sie?) NEN): Ja. Das kann nicht Fracking sein, sondern das müssen er- neuerbare Energien sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Judith Skudelny [FDP]: Es hieß: Bitte sehr. Entkopplung!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30789

Dr. Thomas Gambke (A) Das kann eine dezentrale Energieversorgung anstelle ei- sagt, als Regierungsfraktionen müssten wir doch endlich (C) ner monopolistischen Energieversorgung sein. verstehen, dass es nicht mehr um Wachstum in dieser Gesellschaft gehen könne, sondern nur noch um eine Frau Skudelny, Sie haben es gerade so dargestellt, als Frage, nämlich darum, wie wir vorhandene materielle ob wir in Deutschland alles richtig gemacht hätten. Güter in dieser Welt anders, besser, gerechter verteilen. Wenn Sie in Niederbayern wohnen würden, wüssten Sie, Ganz zentral ging es um Folgendes: Wir haben nicht dass 10 Prozent unserer Ackerflächen eigentlich in Süd- mehr die Aufgabe, auf Wachstum – ob nun als Ziel, als amerika sind, von wo wir die Eiweißstoffe importieren, Mittel oder als Folge; darauf komme ich später noch zu mit denen wir unsere Schweine füttern und unser Grund- sprechen – zu setzen, sondern unsere einzige Aufgabe wasser verseuchen, sodass wir keine Brauereien mehr ist, Vorhandenes zu verteilen. betreiben können, und dass wir das Schweinefleisch dann nach China verkaufen. Das ist kein Geschäftsmo- Keine drei, vier Monate später hatten wir die europäi- dell, das nachhaltig ist. sche Staatsschuldenkrise, und die Diskussionen um Griechenland, um Irland, um Hilfen für Portugal und an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dere Länder begannen. Es ist nicht eine einzige Sitzung bei der SPD und der LINKEN – Judith in diesem Saal ausgelassen worden, zu fordern – ich Skudelny [FDP]: Energiepflanzen waren ganz habe auch keinen einzigen Zeitungsartikel zu diesem lange das Feld der Grünen! Dadurch nehmen Thema gelesen, in dem von Ihnen nicht diese Forderung wir den Menschen dort das Essen weg!) aufgemacht worden ist –, Frau Merkel dürfe nicht nur Meine Damen und Herren, ich glaube, Wachstum ist auf Konsolidierung setzen. Vielmehr müsse die Regie- nicht das Ziel, sondern die Folge von politischem und rung der Bundesrepublik Deutschland endlich begreifen, wirtschaftlichem Handeln. Das Ziel muss Wohlstand und dass es hier um Wachstum gehe. Lebensqualität sein – unter der unbedingten Vorausset- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Wenn wir das der FDP) als Ergebnis festhalten können – trotz mancher Brems- manöver einiger, aber nicht aller Mitglieder der Koali- Wir müssten die Wachstumskräfte herausarbeiten und tion; da kam auch viel Fruchtbares –, haben wir etwas zum Beispiel das Wachstum in Griechenland unterstüt- erreicht. Ich bedanke mich an dieser Stelle für die wirk- zen. Mit unseren Initiativen und unserem Engagement lich konstruktive Debatte, die wir hatten. Ich hoffe, dass müssten wir uns darauf konzentrieren, das Wachstum in die Debatte weitergeht; denn die Menschen haben Inte- Irland, in Portugal, in Griechenland nach vorne zu be- resse an dieser Debatte. Sie merken, dass das Thema sie kommen; dann gehe es uns allen schon besser. etwas angeht, dass wir mit der bisherigen Wirtschafts- (B) weise so nicht weitermachen können. Ich freue mich auf Meine Damen und Herren, bei der Diskussion über (D) die folgenden Debatten in der nächsten Legislatur. Wohlstand und Lebensqualität ist die Frage, was Wohl- stand ist und wie man Wohlstand misst, wahrlich nicht Vielen Dank. einfach zu beantworten. Wir haben es uns auch sehr schwer gemacht. Es gibt für diese Frage keine allge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meingültige Antwort – die Sie von den Linken vielleicht sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- hätten: Wir als Zentralisten sagen, wenn die und die KEN) Punkte erfüllt sind, hat es euch gefälligst gut zu gehen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion gebe ich jetzt der Kolle- Frau Kollegin – – gin Stefanie Vogelsang das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): der FDP) Wohlstand ist ein Begriff, den jeder etwas anders sieht. Das haben wir auch gemerkt. Wir können den Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Wohlstandsbegriff nicht in eine einzige aggregierte Zahl Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor pressen, mit der wir dann verständlich darstellen könn- ich in einem kleinen Bericht auf die Arbeit und die Er- ten, wie es um den Wohlstand in Deutschland und da- gebnisse vor allen Dingen der Projektgruppe 2, die den rüber hinaus bestellt ist. Das ist überhaupt nicht zu ma- Auftrag hatte, ein neues Indikatorensystem zur Defini- chen, weil nicht alle Menschen gleich sind, weil nicht tion von Wohlstand und Lebensqualität zu erarbeiten, alle Menschen gleich leben wollen, eingehe, möchte ich eine grundsätzliche Bemerkung ma- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen. weil es Unterschiede gibt, und zwar innerhalb von Am Anfang dieser Wahlperiode habe ich hier im Deutschland, innerhalb von Europa und in der Welt. Plenarsaal der Debatte zur Einsetzung der Enquete- Kommission gelauscht. Die Worte, die Frank-Walter Steinmeier damals gesagt hat, habe ich noch genau im Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kopf. Auch an die Worte anderer Kollegen – auch von Ich wollte Sie fragen, ob Frau Bulmahn Ihnen eine den Grünen – erinnere ich mich noch gut. Sie haben ge- Zwischenfrage stellen darf. 30790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

(A) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): die Lebensqualität der Menschen in Deutschland, aber (C) Ja, das darf sie gerne. auch der Menschen in Europa und in der Welt bestellt ist. Wir wurden dafür kritisiert. Vonseiten der Grünen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wurde uns gesagt: Das ist viel zu kompliziert. Die Leute Bitte schön. sind nicht interessiert daran. Sie verstehen zehn Zahlen nicht. Zehn Werte können sie sich nicht merken und nicht anschauen. Edelgard Bulmahn (SPD): Frau Vogelsang, stimmen Sie meinen folgenden Aus- (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE führungen zu? Wir alle haben in der Enquete – sowohl in GRÜNEN]: 20!) den Projektgruppen als auch in der Gesamt-Enquete – die Auffassung vertreten, dass es nicht um die Frage Andere wollten wirklich nur eine einzige Zahl nehmen „Wachstum, ja oder nein?“ geht, sondern um die Frage, und alles zusammenmauscheln. Dann sähe aber niemand wie man in einer Welt, in der 7 bis 10 Milliarden Men- mehr, wenn es bei der Bildung aufwärts und bei der Qua- schen ein gutes Leben führen können sollen, die wirt- lität der Arbeit abwärts ginge. Alles würde zugekleistert schaftliche Entwicklung, den Arbeitsmarkt und die Um- und zugedeckt. Deswegen können wir damit nichts an- weltentwicklung so miteinander versöhnen kann, dass fangen. wir auf der einen Seite die planetarischen Grenzen nicht Die große Mehrheit der Enquete-Kommission ist der nur anerkennen, sondern auch einhalten und auf der an- felsenfesten Überzeugung, dass die Menschen in deren Seite diesen 7 bis 10 Milliarden Menschen ein Deutschland nicht dämlich, sondern interessiert sind, und wirklich gutes Leben ermöglichen. dass sie sich sehr wohl die Entwicklung von zehn unter- Es gab auch überhaupt keinen Dissens darüber, dass schiedlichen Indikatoren anschauen können. Anhand der es nicht möglich ist, dieses Ziel durch ein Zurück in die Darstellung der Entwicklung dieser Zahlen können sie Steinzeit zu erreichen, sondern dass wir es nur mit einer sehr wohl abmessen, wie es in unserer Gesellschaft zu- hochleistungsfähigen, innovativen Wirtschaft erreichen geht. können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Daher haben wir miteinander über die Frage disku- SPD und der FDP – Zuruf der Abg. Dr. Valerie tiert, wie wir eine solche Veränderung unserer Wirt- Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schaftweise und Lebensweise erreichen können, um Einer unserer Sachverständigen – ich glaube, es war diese beiden Ziele – Schutz der Umwelt und Einhaltung der Professor Schmidt – hat immer gesagt: Jeder will Auto der planetarischen Grenzen einerseits und ein gutes Le- (B) fahren können. Wir muten den Leuten zu, den Ölstands-, (D) ben für 10 Milliarden Menschen andererseits – vereinba- Geschwindigkeits-, Touren- und Benzinstandsmesser mit ren zu können. Das war doch der Kern unserer Debatten einem Blick zu erfassen. Niemand spricht davon, dass und Diskussionen. Stimmen Sie mir zu? Das wollten wir Autofahren zu kompliziert ist. Um nichts komplizierter ist ja durch die Indikatoren abbilden, über die wir miteinan- unser Wohlstandsindikatorensatz, unser W3. der diskutiert haben. Wir als Koalitionsfraktion haben Ihnen einen Ent- Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): schließungsantrag vorgelegt, in dem wir die Bundesre- Frau Kollegin, im Großen und Ganzen stimme ich Ih- gierung auffordern, unsere Arbeit in den nächsten Wahl- nen zu. Bei der großen Mehrheit der Mitglieder der perioden weiterzuführen. Wir möchten eben nicht, dass Enquete-Kommission, die im Plenum und in der Projekt- unser dicker Bericht in den Aktenschränken verschwin- gruppe, die ich beurteilen kann – das war die Projekt- det, sondern wir möchten, dass die Erkenntnisse, die wir gruppe 2 –, diskutiert haben, war die Diskussion auf gewonnen haben, auch nach außen dokumentiert wer- diese Ziele ausgerichtet. Was in den anderen Projekt- den. Wir möchten das in einem Gebäude, im Deutschen gruppen stattgefunden hat, vermag ich nicht zu beurtei- Bundestag, präsent machen. Wir möchten, dass jeder len. Danach haben Sie mich auch nicht gefragt. In den Bürger, den es interessiert, die Entwicklungen und Ver- Bereichen, in denen ich das beurteilen kann, ist es der änderungen sofort sehen kann. Wir möchten, dass das großen Mehrheit, aber eben nicht allen, um diese Inhalte Statistische Bundesamt diese Zahlen im Blick hat, die gegangen. Es war auch nicht für alle klar und selbstver- Veränderung dokumentiert und mitteilt. ständlich, dass wir eine funktionierende und florierende Wirtschaft brauchen, die auf Wachstumskräfte setzt, um Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: die Lebensqualität für möglichst viele Menschen auf die- Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. ser Welt zu verbessern. Wir haben uns in unserer Projektgruppe schon nach Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): relativ kurzer Zeit, nachdem klar war – Frau Kollegin Wenn wir Ihnen diese zehn Indikatoren mit den zehn Kolbe war es, glaube ich, die von der eierlegenden Woll- Warn- bzw. Hinweislampen als Empfehlung unterbrei- milchsau gesprochen hat –, dass es diese eine verständli- ten, glauben wir sicherlich nicht, damit etwas ganz Per- che Zahl nicht gibt, mit der Frage auseinandergesetzt, in fektes geschafft zu haben. welchen Dimensionen in den Bereichen des Materiellen, des Sozialen und der Ökologie wir mit welchen Indika- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- toren abbilden können, wie es um den Wohlstand und NEN]: Das glaube ich auch nicht!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30791

Stefanie Vogelsang (A) Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass man in vier, ist das Wachstum. Kommt es abhanden, stoppt der Mo- (C) sechs oder acht Jahren vielleicht sagen wird: Da fehlt tor, bricht Panik aus. Zu viel hängt davon ab. noch etwas. Haben wir aber doch einfach den Mut, dies anzunehmen und diese Arbeit nach außen zu dokumen- Wachstum ist nicht nur die irenische Formel der mo- tieren. dernen Gesellschaft, sondern ihr existenzieller Urgrund. Wo Maß und Mitte sind, haben wir ebenso vergessen wie Ich danke Ihnen. jene höheren Dinge, die dem Leben einstmals Sinn ga- ben. Dies zu ändern, liegt aber außerhalb der politischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Möglichkeiten. Vielleicht kann ja der neue Indikator hel- fen, die Bedingungen des gesellschaftlichen Diskurses Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zu verändern. Damit wäre schon viel erreicht. Das Wort hat nun Matthias Zimmer für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens. Wir haben häufig über die Ambivalenz des Fortschritts diskutiert. Der Begriff scheint eingedunkelt, Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): aber nach wie vor von faszinierender Strahlkraft. Immer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man noch verspricht er Befreiung von Mühsal und Plage, von nach 28 Monaten teilweise heftiger Debatte – ein wenig Arbeit und Anstrengung. Immer noch steckt dahinter die davon haben wir ja auch heute gespürt – heute die Mög- Vorstellung, der Mensch könne das verlorene Paradies lichkeit hat, parlamentarisch das letzte Wort zu haben, durch die Umgestaltung der Natur zurückgewinnen und erfüllt einen das natürlich schon mit Freude, sich im Zuge dessen gewissermaßen selbst zivilisieren (Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Das kann ich und veredeln. nachvollziehen!) Das ist eine zentrale Idee im Projekt der Moderne. aber auch mit einer gewissen Demut. Lassen Sie mich Darin zeigt sich noch heute ihr überschießendes normati- deswegen mit einer eher nachdenklichen Note schließen ves Potenzial. Es muss aber eingebunden werden in ein und drei Fragen hervorheben, die für mich besondere Bild des Menschen, das ihn als Person ernst nimmt. Bedeutung bekommen haben, auf die ich aber in der En- Hierzu hat gerade die katholische Soziallehre in den letz- quete-Kommission keine endgültige Antwort gefunden ten Jahrzehnten viel Nachdenkenswertes beigetragen. habe. Ich wünsche mir persönlich, dass vor allem die Union diese Ideen aufgreift, kreativ umsetzt und politisch wirk- Erstens. Die Rolle der Technik. Unsere Probleme sind (B) sam werden lässt. Wir wollen als Union nicht nur der (D) von Technik und einem technischen Denken hervorgeru- Sachwalter des Bestehenden sein, der alles, was wirklich fen worden. Fast alle in der Kommission, über alle Frak- ist, als vernünftig verklärt, und ebenso wenig sollten wir tionen hinweg, schienen der Auffassung zu sein, für in den Paradigmen reiner Marktliberalität gefangen blei- technische Probleme gebe es technische Lösungen: die ben. Dies sollten wir anderen überlassen. Techniken des Marktes, Umwelttechniken, Sozialtechni- ken, Herrschaftstechniken. Die Grammatik des techni- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- schen Denkens war auch in der Arbeit der Kommission KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- dominant. Wir mögen nicht mehr fortschrittsgläubig NEN sowie des Abg. Frank Heinrich [CDU/ sein, aber wir sind zutiefst technikgläubig, bis in die Tie- CSU]) fenstrukturen unseres Denkens hinein. Das ist das viel- Wir sind keine „gottlosen Selbstgötter“, um ein böses beschworene Gehäuse der Hörigkeit, das wir durch un- Wort von Heinrich Heine aufzugreifen, und ebenso we- seren Lebensstandard kommod ausgestattet haben. nig stimmen wir in das spöttische Lied ein, der ideale Wir sind wohlgenährte Troglodyten unserer techni- Lebenszweck sei Borstenvieh und Schweinespeck. Wir schen Möglichkeiten. Technikfolgen haben wir noch im- müssen schon den Ehrgeiz haben, die Gesellschaft nach mer mit irgendeiner Folgetechnik bewältigt. Ich frage einem im Transzendenten verhafteten Bild des Men- hier lediglich skeptisch: Können die Probleme auf Dauer schen zu gestalten. mit der Form des Denkens gelöst werden, die uns die Ich habe in den vergangenen 28 Monaten viel gelernt: Probleme eingebracht hat? in den Sitzungen wie in den Arbeitsgruppen, durch Wi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- derspruch ebenso wie durch Zuspruch. Das Lernen war KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- nicht nur ein inhaltliches; es bestand auch in der Erfah- NEN sowie des Abg. Frank Heinrich [CDU/ rung der Kooperation über Fraktionsgrenzen hinweg. Im CSU]) fachlichen Ringen hat sich manche persönliche Hochach- tung entwickelt – auch Freundschaft. Am Ende bedrängte Zweitens. „Wo keine Götter sind, da walten Gespens- uns aber der Eindruck, dass wir noch mehr hätten machen ter“, so Novalis. Die technische Zivilisation hat ihre me- können. Manche Fäden blieben unverbunden liegen. Ich taphysische Heimat längst verloren. Die permanente wünsche mir, dass der Deutsche Bundestag an den aufge- existenzielle Absturzgefährdung wird durch die Ge- worfenen Fragen weiter arbeitet. spenster unserer Zeit abgesichert: Konsum, Bedürfnisbe- friedigung, die Zufriedenheit im Materiellen, der Rausch Dazu habe ich einen Wunsch. In der Arbeit der Kom- und der Reiz des Neuen. Unser Gespenst, unser Fetisch, mission hat sich an vielen Stellen gezeigt, dass unser Er- 30792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Matthias Zimmer (A) kenntnisinteresse die Mauern von Fraktions- und Koali- Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): (C) tionsdisziplin überwindet. Ich würde solchen Prozessen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem gerne mehr Raum geben, ohne die Fragestellungen und von der Koalition vorgelegten Gesetzentwurf wird die Erkenntnisse gleich wieder zu kanalisieren. Deshalb lau- EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels tet mein Plädoyer: Wenn sich Enquete-Kommissionen und zum Schutz seiner Opfer umgesetzt. mit Zukunftsaufgaben beschäftigen, sollten wir ihnen ein wenig mehr Beinfreiheit lassen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Lächerlich!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Durch die Erweiterung der Strafvorschrift des § 233 des Frank Heinrich [CDU/CSU]) Strafgesetzbuches auf die Fälle des Menschenhandels zum Zwecke der Ausnutzung strafbarer Handlungen und Ich bin der Überzeugung: Wir können es dem Deut- der Bettelei sowie zum Zwecke der Organentnahme wer- schen Bundestag zumuten, sich mit einem Bericht ausei- den diese Fälle ausdrücklich unter Strafe gestellt. Dies nanderzusetzen, der nicht schon von vornherein die ein- schafft Klarheit und trägt auch der Bedeutung dieser Kri- geübten Lagerzugehörigkeiten abbildet. Das erfordert minalitätsphänomene Rechnung. von allen Fraktionen ein wenig mehr Mut und ein wenig mehr Vertrauen. Aber ich glaube, es lohnt sich. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ungeheuerlich!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Viele zur besseren Bekämpfung des Menschenhan- Stefanie Vogelsang [CDU/CSU] und Frank dels gemachten Vorschläge hätten eine intensivere Prü- Heinrich [CDU/CSU]) fung und Erörterung erfordert, (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist eine Frechheit!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir haben damit den die jedoch wegen der Fristgebundenheit der Umsetzung Schlussbericht der Enquete-Kommission zur Kenntnis dieser Richtlinie in dieser Wahlperiode kaum realisierbar genommen. erschienen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ßungsanträge, zunächst über den Entschließungsantrag Sie haben vier Jahre Zeit gehabt!) der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/13730. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- So halte ich es im Einvernehmen mit Bundesjustizminis- trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der terin Leutheusser-Schnarrenberger für sinnvoll, sich in (B) Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- der nächsten Legislaturperiode nochmals an die Syste- (D) tionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrak- matisierung und die Überprüfung der Straftatbestände tionen angenommen. zur Bekämpfung des Menschenhandels zu machen. Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Die von polizeilicher und staatsanwaltlicher Seite ge- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13731. Wer forderte grundlegende Überarbeitung der Straftatbe- stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt stände der §§ 232, 233 und 233 a StGB erscheint durch dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag die relativ geringe Anzahl von Verurteilungen wegen ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge- dieser Vorschriften, die nicht dem tatsächlichen Ausmaß gen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung dieser Kriminalitätsform entspricht, als durchaus diskus- der Linken abgelehnt. sionswürdig. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: (Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/ CSU]) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- Das wird in der nächsten Wahlperiode eingehend zu prü- setzes zur Bekämpfung des Menschenhandels fen sein, und es werden gegebenenfalls gesetzgeberische und Überwachung von Prostitutionsstätten Vorschläge zu machen sein. – Drucksache 17/13706 – Jedenfalls bleibt es ein schwerwiegendes Problem, Überweisungsvorschlag: dass oft Täter ihre Opfer unter Ausnutzung von Zwangs- Rechtsausschuss (f) lagen, Hilflosigkeit, Gewalt oder Drohungen zur Aus- Innenausschuss beutung und zur Prostitution bringen. Die kausale Ver- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bindung zwischen Zwangslage und Ausbeutung durch Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe die Handlungen des Täters muss vorliegen und nachge- wiesen werden, um nach derzeitiger Rechtslage verfolgt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die werden zu können. Polizeien und Staatsanwaltschaften Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich weisen darauf hin, dass der Nachweis dieser Umstände höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. oft schwierig ist. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion das Wort. Immerhin ist es uns jetzt gelungen, einen wichtigen Punkt außerhalb des Strafrechts anzugehen; das ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten durchaus beachtlich. Wir werden den Betrieb von Prosti- der CDU/CSU) tutionsstätten zukünftig entsprechend den Regelungen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30793

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (A) für andere überwachungsbedürftige Gewerbe in die Ge- Dies ist und bleibt ein Anliegen der FDP. Zum Schutz (C) werbeordnung aufnehmen. verschleppter Frauen haben wir in dieser Wahlperiode einiges geleistet, Herr Kollege Beck. Kaum jemandem im Lande ist verständlich zu machen, dass sich Betreiber von Spielhallen, Schankwirtschaften (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oder Amüsierlokalen einer Betriebsüberwachung oder NEN]: Unzureichend!) gar einer Zuverlässigkeitsüberprüfung unterziehen müs- sen, aber ausgerechnet Betreiber von Bordellen nicht. Zwangsheirat wird jetzt explizit als Straftat benannt, und Seit die Sittenwidrigkeit der Prostitution aufgehoben wir haben den ausländischen Opfern von Zwangsverhei- wurde, war es möglich, Prostitutionsstätten bis hin zum ratungen zudem ein eigenständiges Wiederkehr- bzw. Flatrate-Großbordell ohne gewerberechtliche Überprü- Rückkehrrecht eingeräumt. fungsmöglichkeiten einzurichten. Die frühere Regelung, wonach der Aufenthaltstitel für (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: verschleppte junge Frauen nach sechs Monaten automa- Dann hätten Sie es richtig machen müssen!) tisch erlosch, wurde für Opfer von Zwangsverheiratun- Bei aller Freude über die Abschaffung von damals fal- gen nunmehr beseitigt. Etwas Vergleichbares strebt die schen Tabus: Eine solche Privilegierung eines bestimm- FDP auch für die Opfer von Zwangsprostitution an. Die ten Gewerbes gegenüber anderen ist kaum nachvollzieh- Opfer müssen eine Chance erhalten, sich aus der bar. Zwangslage befreien zu können, zu der leider oft auch im Herkunftsland lebende Familien beigetragen haben. Eine gewisse Betriebsblindheit muss man der damali- gen rot-grünen Koalition schon attestieren. Des Weiteren gilt auch: Gerade zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist häufig die Aussage eines (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Opfers vor der Polizei oder im Gerichtsverfahren be- NEN]: Nein, Sie sind blind!) deutsam. Diese Aussage erhalten wir aber nur, wenn sich Das grundsätzlich richtige Ziel, nämlich die Stärkung die Opfer vor Verfolgung hier oder im Heimatland sicher der Rechte von Frauen und die Herausnahme dieses Ge- fühlen können. Ein entsprechender Aufenthaltstitel wäre werbebereichs aus der Illegalität, wurde zwar erreicht, deshalb aus unserer Sicht wichtig. die dazugehörigen gewerberechtlichen Rahmenregelun- gen unterblieben jedoch leider. Da aber ausländerrechtliche Regelungen ebenso wie die eingangs genannten strafrechtlichen Lösungen er- (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hebliche Folgeprobleme aufwerfen können, müssen sie NEN]: Das machen Sie jetzt aber auch nicht sorgfältig erwogen und geprüft werden. (B) richtig!) (D) Dies hat zur Folge, dass wir in Deutschland der Ausbeu- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tung von Frauen nicht wirkungsvoll genug entgegen- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des treten können. Bislang gab es kein gewerberechtliches Kollegen Beck? Instrument, beispielsweise einem verurteilten Men- schenhändler die erneute Eröffnung eines Bordells zu untersagen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Ich bin gleich am Ende meiner Rede, dann können Sie Mit unserem Gesetzentwurf wird eine automatische eine Kurzintervention machen. Überprüfung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden unverzüglich nach Gewerbeanmeldung oder Gewer- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE beummeldung eingerichtet. Den zuständigen Behörden GRÜNEN]: Feigling!) stehen nunmehr zur Überwachung des Betriebs zudem die Auskunfts-, Kontroll- und Nachschaurechte des § 29 Das werden wir in der nächsten Wahlperiode leisten. der Gewerbeordnung zur Verfügung. Für die FDP steht der effektive Schutz von Opfern an oberster Stelle. Darüber hinaus kann der Gewerbebetrieb von Aufla- gen zum Schutz der Allgemeinheit, der Kunden, der (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Prostituierten oder auch der Bewohner des Betriebs- Für die CDU wahrscheinlich nicht!) grundstücks oder der Nachbargrundstücke vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen Die vergangenen vier Jahre mit einer Regierungsbeteili- abhängig gemacht werden. Dies ist ein deutlicher Fort- gung der FDP waren vier gute Jahre für Deutschland. schritt und eine notwendige Ergänzung zum Schutz der in diesen Betrieben tätigen Frauen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Haha!) Aber zu den weiteren Maßnahmen, die den Opfer- Gerade im Bereich der Innen- und Rechtspolitik haben schutz beim Menschenhandel betreffen, gehört auch die wir einige Erfolge erzielt, die dieser Koalition anfangs dringend nötige Überprüfung ausländerrechtlicher Rege- kaum einer zugetraut hätte. lungen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Nicht jeden Tag die gleiche Platte! – GRÜNEN]: Nicht die Überprüfung, sondern Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Schaffung dieser Regelungen!) NEN]: Und das bei dem Thema! Traurig!) 30794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (A) Das werden wir auch fortsetzen. das wahrscheinlich –, aber ich zitiere Sie jetzt. Sie haben (C) gesagt: Die Union wollte mehr, als uns die FDP zuge- Vielen Dank. standen hat. – Das ist ein Armutszeugnis für die Koali- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tion; denn wir haben auch aus den unionsregierten Län- der CDU/CSU – Dr. Eva Högl [SPD]: Plötz- dern Bayern und Hessen deutliche Kritik vernommen. lich verstehen wir den Koalitionspartner!) Das ist ein Zeichen, dass diese Koalition – anders als Sie das gesagt haben, Herr Wolff – bei der wichtigen Auf- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gabe der Bekämpfung des Menschenhandels völlig Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion. handlungsunfähig ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Haben Sie Vorschläge gemacht? Wo Dr. Eva Högl (SPD): sind die Vorschläge Ihrerseits? Haben Sie et- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! was gemacht? Das ist völliger Quatsch!) Herr Wolff, das, was Sie hier vorlegen, ist eine Frech- heit. Was brauchen wir? Wir brauchen einen wirksamen Schutz der Opfer von Menschenhandel. Die Opfer von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Menschenhandel sind schutzbedürftig. Wir brauchen vor DIE GRÜNEN) allem eine Neuregelung im Aufenthaltsrecht. Wir wissen Das wird dem Thema Bekämpfung des Menschenhan- ganz genau, dass die Personen, die Opfer von Menschen- dels in keinem Punkt gerecht. Menschenhandel ist eines handel werden, unter einem enormen Druck stehen, so- der schlimmsten Verbrechen in der heutigen Zeit. Es ist dass wir ihr Aufenthaltsrecht nicht davon abhängig ma- die moderne Form der Sklaverei. Frauen werden zur chen dürfen, ob es ein Strafverfahren gibt und ob sie in Prostitution gezwungen, Männer und Frauen unter einem Strafverfahren aussagen. Wir müssen das Aufent- schlimmsten Bedingungen ausgebeutet und Kinder zum haltsrecht so ausgestalten, dass sie unabhängig von ei- Betteln genötigt. Zwangsprostitution, illegaler Organ- nem Strafverfahren Bleibemöglichkeiten in unserem handel und Zwangsarbeit: Menschenhandel zielt immer Land bekommen. Das sagt auch die Richtlinie. Aber auf die systematische Ausbeutung von Menschen. Es ist dazu sagt Ihr Gesetzentwurf kein Wort. leider ein äußerst gewinnbringendes Geschäftsfeld für die Täterinnen und Täter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Monika Lazar [BÜND- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: So ist NIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!) (B) es!) (D) Wir waren mit dem Rechtsausschuss in den USA und Durch die globale Vernetzung hat der Menschenhandel haben zusammen mit Herrn Kauder intensive Gespräche zusätzlich noch eine internationale Dimension bekom- über die dortigen Regelungen geführt. Wir haben uns an- men und entsprechend zugenommen. geschaut, wie das T-Visum funktioniert. Wir waren uns Der erste Bericht der Europäischen Kommission über einig, das ähnlich zu regeln. Die Opfer und ihre Angehö- Menschenhandel in Europa wurde gerade im April 2013 rigen sollten einen Aufenthaltstitel bekommen. Auch vorgestellt, und er liefert erschreckende Zahlen. Die dazu sagt Ihr Gesetzentwurf nichts. Zahl der Opfer in der Europäischen Union ist zwischen (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Jahren 2008 und 2010 um 18 Prozent auf über NEN]: Schade eigentlich!) 20 000 gestiegen. Wir wissen, dass die Dunkelziffer noch viel höher liegt. Die andere Zahl ist genauso er- Wir müssen die Opfer von strafrechtlicher Verfolgung schreckend: Die Zahl der Verurteilungen sank im glei- freistellen. Wir wissen, dass es Begleitstraftaten der chen Zeitraum um 13 Prozent. Deswegen bin ich sehr Opfer gibt. Zum Beispiel verstoßen sie gegen die Straf- froh, dass wir in Europa Gesetze gegen Menschenhandel vorschrift über die Verwendung falscher Ausweispa- haben. Es ist richtig und wichtig, dass sich Europa dieses piere, oder sie begehen Verstöße gegen das Aufenthalts- Themas angenommen hat. Es gibt ein Übereinkommen recht. Die Richtlinie verlangt, die Opfer von solcher des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels strafrechtlichen Verfolgung freizustellen. Auch dazu aus dem Jahr 2005 und die Richtlinie zur Verhütung und sagt Ihr Gesetzentwurf kein Wort. Bekämpfung des Menschenhandels vom 5. April 2011, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die wir umsetzen müssen. Aber die Koalition versagt DIE GRÜNEN) komplett bei der wichtigen Aufgabe, diese gute Richtli- nie der Europäischen Union in deutsches Recht umzuset- Ich komme zu einem weiteren wichtigen Punkt. Er zen. betrifft die Änderung des Strafrechts. Wir müssen nicht nur die Opfer schützen, sondern auch gewährleisten, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass die Täter und Täterinnen effektiv bestraft werden. DIE GRÜNEN) Alle Experten, ob Polizei, Landeskriminalämter, Bun- Herr Wolff, die Koalitionsfraktionen hatten zwei deskriminalamt, Staatsanwaltschaften, Gerichte oder Jahre lang Zeit, dieses wichtige Thema engagiert anzu- Opferberatungsstellen, sind sich einig, dass unsere gel- gehen und sinnvolle gesetzliche Regelungen vorzulegen. tenden Strafvorschriften ungenügend sind, wenn es um Ich mache das nicht oft – Herr Kollege Uhl, Sie wissen eine wirksame Bestrafung der Täter und Täterinnen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30795

Dr. Eva Högl (A) geht. Darüber haben wir intensiv diskutiert, sowohl im darüber – die ist richtig und gut –, was wir verbessern (C) Rechtsausschuss als auch in einer Anhörung. Bislang ist müssen. in § 233 StGB davon die Rede, dass der Täter das Opfer unter Ausnutzung bestimmter Umstände zur Ausbeutung Wenn man im Gewerberecht etwas ändern und Prosti- bringt. Es ist also ein Dazu-Bringen notwendig. Wir tutionsstätten gewerberechtlich regeln will, dann bin ich müssen diesen Paragrafen so ändern, dass der Nachweis, die Letzte, die etwas dagegen hat. dass das Opfer in die Ausbeutung gedrängt wurde, er- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Dann leichtert wird. Es muss künftig möglich sein, dass die stimmen Sie zu!) Täter schon dann bestraft werden, wenn sie die Voraus- setzungen für die Ausbeutung schaffen. Wir brauchen Ich bin völlig offen für diese Diskussion, weil ich er- eine andere Formulierung. Herr Wolff, Sie wissen ganz kenne, dass wir einen Handlungsbedarf haben. Aber wie genau, wovon ich spreche. Darin sind alle, die sich mit Sie, lieber Herr Wolff, das jetzt machen, kann man es dieser Strafvorschrift befasst haben, einer Meinung. nicht machen. Aber was lese ich in Ihrem Gesetzentwurf? Ich zitiere: (Beifall der Abg. Monika Lazar [BÜND- Die zur Verbesserung der Bekämpfung des Men- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schenhandels in Fachkreisen, insbesondere seitens Sie fügen eine Nr. 7 im § 38 der Gewerbeordnung ein, Vertreterinnen und Vertretern von Opferinteressen definieren aber nicht, was Prostitutionsstätten sind. Sie sowie von Seiten der Strafverfolgungsorgane disku- sagen in der Gewerbeordnung mit keinem Wort, was da- tierten weiteren Vorschläge hätten eine intensive runter zu verstehen ist. Prüfung und Erörterung erfordert, die das wegen der Fristgebundenheit der Umsetzung der Richtlinie (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Schauen angestrebte Inkrafttreten des Gesetzes in dieser Sie mal in den Gesetzentwurf! Es macht Sinn, Wahlperiode kaum realisierbar erscheinen lassen. auch andere Regelungen anzuschauen!) Herr Wolff, das ist eine Unverschämtheit; das ist eine – Ich habe den Gesetzentwurf vorliegen. Ich habe ihn Frechheit. gelesen und kann wohl lesen, Herr Wolff. – Wenn Sie es ernst damit meinen, Prostitutionsstätten dem Gewerbe- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem recht zu unterwerfen, dann müssen Sie eine Erlaubnis- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pflicht für Prostitutionsstätten einführen, Sie hatten vier Jahre lang Zeit, sich intensiv Gedan- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ken über gute Vorschläge zu machen. Stattdessen fügen DIE GRÜNEN) Sie in Ihrem Gesetzentwurf Folgendes an – weil es so (B) (D) scheußlich ist, muss ich auch das zitieren –: dann müssen Sie Kriterien festlegen, dann müssen Sie sagen, was eine Prostitutionsstätte ist, wo sie in unseren Diese und mögliche weitere Vorschläge auch außer- Städten und Gemeinden sein soll, wie groß sie sein soll, halb des Strafrechts zur Verbesserung der Bekämp- welche Betreiber sie haben soll und welche hygienischen fung des Menschenhandels und zur Besserstellung und sonstigen Bedingungen zur Ausübung der Prostitu- seiner Opfer werden in der nächsten Wahlperiode tion zu erfüllen sind. eingehend zu prüfen und gesetzgeberische Vor- schläge entsprechend dieser Prüfung zu erarbeiten (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Eine sein. Überwachung wollen Sie also nicht?) Das ist unfassbar, meine Damen und Herren. Das wäre richtig. Wir von der SPD sind die Allerletzten – ich denke, das gilt auch für die Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen vom Bündnis 90/Die Grünen –, die sich einer Dis- DIE GRÜNEN) kussion darüber verschließen. Aber so, wie Sie es ma- Die niedersächsische Justizministerin, Frau Niewisch- chen, wird es den Bedürfnissen überhaupt nicht gerecht. Lennartz, hat nicht einmal 100 Tage dazu gebraucht, um Ich kann in diesem Zusammenhang nur auf den Bundes- einen exzellenten Gesetzentwurf zur Bekämpfung von rat verweisen. Der Bundesrat hat sich am 11. Februar Menschenhandel vorzulegen. Ich erwähne das nur, um zu 2011 deutlich positioniert und genau in diese Richtung zeigen, dass man weniger als vier Jahre braucht, um zu argumentiert. Er hat gesagt: Wenn wir etwas am Gewer- einer guten Regelung zu kommen. berecht ändern, dann müssen wir eine Erlaubnispflicht vorsehen. Ich möchte noch eine Bemerkung zum Gewerberecht machen. Wir haben eine Diskussion über unser Prostitu- Meine Damen und Herren, ich wiederhole das, was tionsgesetz von 2001, das wir in rot-grüner Regierungs- ich ganz am Anfang gesagt habe: Dieser Gesetzentwurf zeit auf den Weg gebracht haben. Unser Ziel war es da- wird dem gravierenden Problem des Menschenhandels, mals – das ist der Leitgedanke dieses Gesetzes gewesen; mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, in keiner der gilt auch noch heute –, die Arbeitsbedingungen von Weise gerecht. Er sieht keinen umfassenden Opferschutz Prostituierten zu verbessern. Das ist unsere Motivation. vor, was die Richtlinie aber vorschreibt; Sie verlieren Prostituierte können jetzt ihren Lohn einklagen, sich kein Wort über Beratung, Sensibilisierung oder Begleit- krankenversichern, sich arbeitslosenversichern und ren- maßnahmen, die für Opfer wichtig sind. Es findet sich tenversichern. Dieses Gesetz ist umfassend evaluiert kein Wort zum Aufenthaltsrecht, und Sie scheitern auch worden. Wir haben auch eine lebendige Diskussion bei der wichtigen Frage der effektiven Bestrafung der 30796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Eva Högl (A) Täter und der Täterinnen. Auch das wäre wichtig gewe- schenhändler nicht zu wiederholen. Sie wurde bereits (C) sen. Auch das schreibt die Richtlinie vor. genannt. Die niedrige Zahl liegt in der Natur der Sache, weil eben Menschenhandel ein Kontrolldelikt ist. Sie nehmen in Kauf, dass wir das Problem des Men- schenhandels nicht gut regeln, sondern dass es immer Mit dem Kollegen Siegfried Kauder, unserem jetzi- mehr Opfer von Menschenhandel gibt. Ich sage es Ihnen gen Vorsitzenden des Rechtsausschusses – ich habe mir ganz offen, Herr Wolff: Dieser Gesetzentwurf ist Murks. meine Rede von damals durchgelesen –, bin ich im Jahr Ich fordere Sie auf: Ziehen Sie ihn zurück! Lassen Sie 2004 zum größten Bordell Europas gereist. Dieses Bor- uns nach dem 22. September neu starten. dell ist in einem kleinen Landkreis in Tschechien in der Nähe der bayerischen Grenze. In diesem gibt es 40 Bor- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sie wol- delle mit 800 Prostituierten. Die Prostituierten werden len der Überwachung nicht zustimmen?) größtenteils aus Südosteuropa rekrutiert. Sie glauben, sie Wir haben gute Ideen, wir haben Vorschläge vorge- kommen als Au-pair, als Haushaltshilfe oder als Helfer legt. Wir sind dazu bereit – auch das wissen Sie –, in der Gastronomie nach Deutschland. Sie werden dort gemeinsam mit allen Fraktionen zu einer guten Rege- eingearbeitet in ein Metier, das sie nicht kennen. Die lung zu kommen. Wir haben zu Anfang dieser Legis- durchschnittliche Einarbeitungszeit beträgt sechs bis laturperiode Ansätze gemacht. acht Wochen. Dann werden die Frauen taxiert – groß, klein, dick, dünn, mit Narben, ohne Narben, Alter, Ge- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sie ha- brechen – und bewertet. Im Jahr 2005 kostete eine Frau ben gar keine Vorschläge gemacht! Keine Vor- im Durchschnitt 550 Euro, die quer durch Europa ver- schläge von der Opposition! – Gegenruf der kauft wird. Deutschland ist Ziel- und Transitland für Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Menschenhandel. Aufgrund der Globalisierung gibt es NEN]: Stimmt nicht!) das Phänomen, dass die Frau mal in Spanien oder in Sie waren zu keinem Gespräch bereit. Das, was Sie Deutschland ist und weiterverkauft wird. Die Zuhälter heute vorlegen, ist alles andere als ein guter Gesetzent- und die Schlepper verdienen daran. Es kommt auch vor, wurf. Nutzen Sie die Chance, ziehen Sie den Gesetzent- dass die Schlepper und Zuhälter Frauen sind. Während wurf zurück! Setzen wir uns zusammen, und lassen Sie unseres Besuches damals wurde eine Rumänin zu uns gemeinsam etwas machen, was den Opfern hilft und 18 Jahren Gefängnis verurteilt, deren Schlepperring auf- was eine Bestrafung der Täter ermöglicht. geflogen war. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Machen Ich bin seit Jahren mit Leidenschaft bei diesem Sie doch mal richtige Vorschläge!) Thema engagiert, weil ich selbst erlebt habe, welches Leid die Frauen erfahren. Ich meine, mich deshalb zu (B) Vielen Dank. diesem Thema äußern zu können. Wir sollten alles dazu (D) beitragen, diesen Frauen und jungen Mädchen zu helfen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – zu 85 Prozent geht es um Zwangsprostitution –, egal DIE GRÜNEN) ob es auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene ist. Demzufolge ist es auch kein Thema für ir- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gendeine parteipolitische Streiterei. Das Wort hat nun Ute Granold für die CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unser Gesetzentwurf ist keine „Frechheit oder Unver- schämtheit“, sondern ein erster Schritt in die richtige Ute Granold (CDU/CSU): Richtung. Ich weiß wohl, dass es nur ein erster Schritt Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! ist. Wenn ich sehe, worüber in den Jahren 2001, 2002 Das Thema Menschenhandel begleitet mich, seitdem ich und 2003 in diesem Hause diskutiert wurde und worüber in diesem Parlament bin, seit genau elf Jahren. Seit ge- wir heute reden, dann stelle ich fest, dass wir nicht viel nau elf Jahren gibt es auch das Prostitutionsgesetz. Las- weiter sind. Damals hatten wir andere Koalitionen. Inso- sen Sie mich von dem berichten, was ich aus meiner Er- fern müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen. fahrung zu dem Thema weiß. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin im Stiftungsbeirat von Solwodi. Solwodi kennt jeder, es ist eine Opferschutzorganisation. Ich Wir waren gerade mit dem Menschenrechtsausschuss weiß also, wovon ich spreche. Ich bin erschüttert über in Genf. Dort haben wir mit der für die Bekämpfung von die Situation der Menschenhandelsopfer, insbesondere Menschenhandel zuständigen Kommissarin gesprochen. der Zwangsprostituierten, nicht nur in Deutschland, son- Ich war bei vielen Veranstaltungen, auch mit Frau dern auch derjenigen in Europa und weltweit. Der Men- Dr. Konrad, der ehemaligen Sonderbeauftragten der schenhandel ist ein sehr lukratives Geschäft. 31 Milliar- OSZE. Über Parteigrenzen hinweg versuche ich, Öffent- den Euro werden umgesetzt; mit steigender Tendenz. lichkeit für dieses Thema zu schaffen, weil es noch nicht Illegaler Waffenhandel und Drogenhandel sind nicht so öffentlich genug ist. Wir müssen sensibilisieren. interessant und lukrativ wie Menschenhandel; denn Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt. Es werden Prio- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ritäten gesetzt, in welchen Bereichen die Polizei tätig ist. Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ich brauche die Zahl der verurteilten Zuhälter, der Men- Kollegen Beck? Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30797

(A) Ute Granold (CDU/CSU): Es tut mir leid, dass meine Redezeit zu Ende ist. (C) Nein. Das machen wir später, Herr Beck. Vielen Dank. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute ist die Koalition erstaunlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) unkooperativ!) Wir versuchen, auf allen Ebenen eine Regelung zu Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: finden. Es wurde der Bericht über die Situation in Eu- Das Wort hat nun Katrin Werner für die Fraktion Die ropa angesprochen, der auf EU-Ebene erstellt und im Linke. April veröffentlicht wurde. Wir kennen auch die Zahlen (Beifall bei der LINKEN) für Deutschland. Wir haben eine hohe Dunkelziffer. Man schätzt, dass es ungefähr 880 000 bis 900 000 Men- schenhandelsopfer in Europa gibt. Jedes Opfer ist ein Katrin Werner (DIE LINKE): Opfer zu viel. Wir sind bemüht, im Strafgesetzbuch – ich Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen brauche es nicht zu wiederholen – Regelungen zu tref- und Herren! Der Menschenhandel in Europa nimmt zu, fen. Wir müssen aber noch mehr tun. Wir müssen an die und Deutschland ist eine Drehscheibe dieser modernen Opfer denken, und wir müssen insbesondere Präven- Sklaverei. Dies ist das Ergebnis einer von der Europäi- tionsarbeit leisten. 80 Prozent der Prostituierten, die hier schen Kommission in Auftrag gegebenen Studie. Das tätig sind, kommen aus dem Ausland. In der Regel kom- konnten wir vor drei Tagen auch in den Katholischen men arme Menschen hierher. Wir müssen sie sensibili- Nachrichten im Netz, dem kath.net, lesen. sieren, was es bedeutet, weiter in der Heimat zu leben oder nach Deutschland zu kommen. Jetzt könnte man meinen: Schnell gehandelt. Vor zwei Tagen gab es noch nicht einmal die offizielle Vorlage Ih- Das müssen wir auch wissen, wenn wir über das Blei- res Gesetzentwurfs. Aber wenn man genauer hinschaut, berecht diskutieren. Für die Opfer aus Drittstaaten muss kann man nur noch kopfschüttelnd feststellen: Wir be- es ein Bleiberecht geben – unbestritten. Die meisten Op- fassen uns zwar endlich mit dem Thema „Bekämpfung fer, die wir in Deutschland zu beklagen haben – etwa des Menschenhandels“, aber das, was die Koalition hier 70 Prozent –, kommen aus Südosteuropa. Für sie braucht vorlegt, ist ein echtes Armutszeugnis. es kein Bleiberecht, weil sie sich aufgrund der EU-Mit- gliedschaft überall in Europa aufhalten können. Das (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem muss man bedenken, und man muss ehrlich sein. Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) müssen auch darüber nachdenken, ob wir im Rahmen ei- Elf Jahre nach Einführung des Prostitutionsgesetzes, elf (B) nes Strafprozesses – es geht hier nicht nur um das mate- Jahre Kritik und Verbesserungsvorschläge – und jetzt ha- (D) rielle Strafrecht – auch den Sachbeweis zulassen und ben wir dieses miserable Ergebnis? dort neue Wege gehen. Das 2002 verabschiedete Gesetz hat zu einer Zu- Wir sollten auch darüber nachdenken – dafür kämpfe nahme des Menschenhandels in Deutschland geführt. ich seit vielen Jahren –, ob wir unser Augenmerk nicht auch auf die Freier richten. Wenn ein Freier weiß, dass er (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Hatten Sie mal zu einer Zwangsprostituierten geht, und das immer wie- einen Antrag gestellt?) der tut, dann bin ich der Auffassung, dass dieser Freier bestraft werden muss. Ein fertiger Gesetzentwurf liegt in Zu diesem Ergebnis kommt die von der Europäischen der Schublade. Kommission finanzierte Studie. Damit ist offenkundig auch das rot-grüne Prostitutionsgesetz gescheitert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Monika Lazar [BÜND- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Wie viele NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie das Vorschläge stammen denn von Ihnen? Vor- nicht längst gemacht?) schläge der Opposition: Fehlanzeige!) Seit 2004 ist leider keine Umsetzung möglich. Eine EU-Studie aus dem Jahr 2005 hatte bereits auf der Basis verschiedener Daten errechnet, dass es im Jahr Meine Redezeit ist leider vorbei. 2003 in Deutschland bis zu 24 700 Opfer von Men- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE schenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gab. GRÜNEN]: Ich hätte Ihre Redezeit verlän- In der neuen EU-Studie heißt es, dass es europaweit in gert!) den Jahren von 2008 bis 2010 eine Zunahme von Men- schenhandel um 18 Prozent gab. Man spricht allerdings Der Kollege Uhl wird sich noch einmal mit der Gewer- auch von einer viel höheren Dunkelziffer. Bei einer Un- beordnung befassen. Am Ende muss ich sagen: Wir soll- tersuchung im Jahr 2007 hat die Bundesregierung festge- ten nach diesem ersten Schritt gemeinsam sehr schnell stellt, dass das Gesetz seine Ziele nicht erreicht hat. Den- weitere Schritte in Richtung Opferschutz und Prävention noch wurde bis heute nichts unternommen. Ihre aktuelle gehen. Die EU-Richtlinie, über die wir heute reden, Vorlage ist nichts anderes als Flickschusterei. wurde mittlerweile von 13 der 27 Staaten umgesetzt. Es gibt noch einiges, was wir tun können. Wir sollten Vor- (Beifall bei der LINKEN – Hartfrid Wolff bild sein und sie umsetzen, aber auch die nächsten [Rems-Murr] [FDP]: Was schlagen Sie denn Schritte, die dringend erforderlich sind, gehen. vor?) 30798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Katrin Werner (A) Sie müssten sich erst einmal einen Überblick über die Die Linke steht an der Seite der Opfer von Menschen- (C) reale Lage verschaffen. Ist Ihnen überhaupt bekannt, wie handel. Ihr Gesetzentwurf dagegen wird keinen einzigen viele Frauen in Deutschland zur Prostitution gezwungen Fall von Menschenhandel verhindern. Er ist das Papier werden? nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Der Chef der Augsburger Kriminalpolizei hält eine (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Gesetzesänderung für dringend erforderlich. Zitat: NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland ist zum Eldorado für Zuhälter und Andernfalls müssten Sie nämlich die Machbarkeit und Bordellbetreiber geworden. Laut Gesetz dürfen sie die finanzielle Unterstützung anders betrachten. Sie mei- den Prostituierten sogar Anweisungen erteilen und nen, dass dies keine zusätzlichen Haushaltsausgaben er- wir als Polizei können nur zuschauen. Die Ausbeu- fordere. Glauben Sie allen Ernstes, den Menschenhandel tung der Frauen geht also immer weiter. ohne den zusätzlichen finanziellen Aufwand von Bund, Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und Ländern oder Gemeinden eindämmen zu können und FDP, glauben Sie wirklich, dass Sie mit Ihrer Vorlage da- Opfern damit wirklich zu helfen? Ich kann nur sagen, ran etwas ändern? Sie betreiben hier Augenwischerei. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ja!) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht gehen Sie noch einmal Ihre eigene Begrün- dung durch. Sie schreiben selbst, die Vorschläge von Vertreterinnen und Vertretern von Opferinteressen zur Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Verbesserung der Bekämpfung von Menschenhandel Das Wort hat nun Monika Lazar für die Fraktion hätten eine intensive Prüfung und Erörterung erfordert. Bündnis 90/Die Grünen. Ich bitte Sie! Die Richtlinie ist vom 5. April 2011. Der Stichtag war der 6. April 2013. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Die einigen Tagen war in der Presse zu lesen, dass die Koali- Richtlinie wird doch jetzt umgesetzt!) tion endlich das Thema „Kampf gegen Menschenhan- Wie viel Zeit brauchen Sie eigentlich noch? del“ angehen will. Ich war positiv überrascht, weil auch zu lesen war, dass den Opfern von Menschenhandel end- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Die lich ein Bleiberecht zugesichert werden soll. Diese For- Richtlinie wird umgesetzt!) derung teilen wir Grünen seit langem, sind aber bis jetzt (B) (D) Zwei Jahre lang lief die Frist zur Umsetzung, und erst bei der Regierung auf taube Ohren gestoßen. Ich zitiere die Rüge der EU-Kommissarin Malmström im April aus einem Interview mit Volker Kauder aus der Hanno- 2013 hat Sie zu diesem Schnellschuss veranlasst. verschen Allgemeinen Zeitung vom 1. Juni: (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Wir können nicht länger hinnehmen, dass gerade in Schnellschuss?) Deutschland die Rechte von Frauen so missachtet werden und dass unser Land zur Drehscheibe für Sie selbst verweisen in Ihrer Begründung zudem auf die Menschen- und Frauenhandel in Europa geworden Kritik von Vertreterinnen und Vertretern der Rechtswis- ist. Das ist ein Skandal. senschaft, der Polizei und der Staatsanwaltschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN So schreiben Sie: und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- Die polizeiliche und staatsanwaltliche Praxis kriti- ten der SPD und der FDP) siert, dass der Nachweis dieser Umstände – Klatschen Sie mal nicht zu früh; denn was haben Sie – hier geht es um die Ausnutzung der Zwangslage der daraus gemacht? Die Europakonvention gegen Men- Opfer durch die Täter – schenhandel verpflichtet die Mitgliedstaaten zu umfas- senden Maßnahmen zur Prävention von Menschenhan- sich als schwierig erweise. Unabdingbar sei die del, zur Strafverfolgung der Täterinnen und der Täter Aussage der Opferzeugen und -zeuginnen, die aber und zum Schutz der Opfer. Die Bundesregierung hat es oft nicht oder nur schwer zu erlangen sei. jedoch bei der Ratifizierung versäumt, diese notwendi- Das lässt doch nur einen Schluss zu: Wir brauchen gen Gesetzesänderungen vorzunehmen. Der nun vorge- endlich einen effektiven Opferschutz. Geben Sie den legte Gesetzentwurf muss diese Richtlinie jetzt erfüllen; Opfern die Gelegenheit, sich zu wehren, und schaffen denn – es wurde schon gesagt – die Frist ist schon längst Sie endlich die gesetzlichen Grundlagen und erforderli- verstrichen. chen Bedingungen, um die Opfer zu schützen. Lassen Doch anstatt genau hinzusehen, was die Richtlinie er- Sie die Opfer nicht später zu Angeklagten werden und fordert, werden nur ein paar strafrechtliche Punkte auf- sie um Almosen betteln. Helfen Sie den Opfern aus der gegriffen, und dann ist es mit der Menschenliebe schon Zwangslage. Wir brauchen ein Bleiberecht für alle Op- wieder vorbei. Opferrechte und Opferschutz werden in fer. dem Gesetzentwurf überhaupt nicht erwähnt. Das ist (Beifall bei der LINKEN und der SPD) wirklich skandalös. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30799

Monika Lazar (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Das größte Hindernis in der gesamten Diskussion ist (C) bei der SPD und der LINKEN) ja immer diese unqualifizierte Gleichsetzung von Prosti- tution mit dem Menschenhandel zum Zweck der sexuel- Der zentrale Punkt jeder strafrechtlichen Reform im len Ausbeutung. Dabei gibt es keine Belege, dass der Bereich der Zwangsprostitution – die Strafbarkeit der Menschenhandel durch das Prostitutionsgesetz angestie- Freier, die vorsätzlich die Situation einer Zwangsprosti- gen ist. Das kann die Bundesregierung in ihrer eigenen tuierten ausnutzen – fehlt gänzlich. Antwort auf unsere Kleine Anfrage nachlesen. Es geht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vielmehr um eine Begleiterscheinung von Armutsmigra- und bei der SPD – Hartfrid Wolff [Rems- tion, der mit sozialen und integrationspolitischen Maß- Murr] [FDP]: Wo waren denn die Vorschläge nahmen begegnet werden muss. der Grünen?) Noch einmal zu ihrem Gesetzentwurf. Als „Schleif- Dann steht in dem Gesetzentwurf auch noch ganz chen“ setzen Sie noch eine völlig unkonkrete Änderung frech – das wurde vorhin schon gesagt –, dass aufgrund zur Gewerbeordnung oben drauf. Zitat: „Prostitutions- von Zeitmangel die Vorschläge der Akteurinnen und Ak- stätten sollen zu den überwachungsbedürftigen Gewer- teure aus den Fachkreisen nicht hätten aufgenommen ben gehören.“ werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Es wurde schon gesagt: Es bleiben viel mehr Fragen. der Koalition, das heißt doch nur, Sie konnten sich nicht Reicht das aus, oder sollten die Stätten besser einer Ge- einigen. Denn Zeit genug hatten Sie ja: vier Jahre. nehmigungspflicht unterworfen werden? Was genau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meint die Koalition mit dem Begriff „Prostitutionsstät- und bei der SPD) ten“? Hat die Koalition die möglichen mittelbaren Fol- gen ihrer Regelung bedacht? Ich vermute, es ist nur ein Der Schutz und das Interesse der Opfer wurden dem schneller Kompromiss, mit heißer Nadel genäht. Sie ha- Streit in der Koalition und den Ministerien einfach geop- ben sich in den Untiefen der Ressortzuständigkeiten und fert. Es ist schlicht beschämend, dass Volker Kauder, wie der schwarz-gelben Koalitionsstreitigkeiten verheddert. in dem Interview, die Situation von Menschenhandels- Das haben weder die Prostituierten noch die Opfer von opfern in Deutschland als einen Skandal beschreibt und Menschenhandel verdient. dann mit einem so dünnen Papier um die Ecke kommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben etwas angekündigt und haben es nicht gehalten. und bei der SPD) Sie vermischen unzulässigerweise Prostitution und Men- schenhandel und werfen somit Nebelkerzen. Sie haben (B) Er tönt außerdem, dass das rot-grüne Prostitutionsge- sich in der Koalition schweren Herzens auf diesen Kom- (D) setz für alle Missstände verantwortlich sei. promiss geeinigt; aber das ist viel zu spät und viel zu we- Elf Jahre nach Einführung des Gesetzes müssen wei- nig. So können Sie jedenfalls nicht mit unserer Zustim- tere Schritte folgen. Da sind auch wir Grünen mit dabei. mung rechnen. Wir fordern zum Beispiel auch gewerberechtliche Rege- Danke. lungen zur Kontrolle der Arbeitsbedingungen. Da schei- nen wir uns einig zu sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sehr schön!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Doch wer regiert, der soll nicht über das lamentieren, Das Wort hat nun Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU- was wir vor zwölf Jahren erarbeitet haben, sondern ei- Fraktion. gene Ideen präsentieren, die dann auch tragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartfrid Wolff [Rems- Murr] [FDP]: Rot-Grün hatte nichts gemacht!) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kolle- Die Umsetzung der Richtlinie zum Menschenhandel gen! Wir sind uns in unserer Abscheu gegenüber Men- wird nicht erst seit gestern diskutiert. Wir Grünen haben schenhandel, Zwangsprostitution und ähnlichen Dingen dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt – darüber wurde einig. Wenn man aber über die Rechtslage, die jetzt be- hier auch schon diskutiert –, steht, und den Gesetzentwurf, den wir vorlegen, disku- tiert und Ihnen zuhört, dann reibt man sich die Augen. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Damals bei der Einführung?) (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: So ist es!) in dem wir ausführlich darlegen, was wir uns darunter vorstellen. Sie müssen dem nur zustimmen. Dann sind Ich hoffe, alle von Ihnen haben den Spiegel der letzten wir viel weiter als mit Ihrem dünnen Gesetzentwurf. Woche gelesen, der einen 18-seitigen Befund enthält. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und bei der SPD) NEN]: Ein unsäglicher Artikel!) 30800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Hans-Peter Uhl (A) Auf dem Titelbild steht: führen und Bordelle zu schließen. Und jetzt kommen Sie (C) daher und sagen, dass das, was wir machen, viel zu we- BORDELL DEUTSCHLAND nig ist. Wie der Staat Frauenhandel und Prostitution fördert (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, ist es auch!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ändert Ihr Gesetzentwurf da- – Es ist zu wenig; da gebe ich Ihnen sogar recht. ran?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sie tun so, als hätte es nie ein rot-grünes Prostitutions- der FDP – Dr. Eva Högl [SPD]: Na, also! Re- gesetz aus dem Jahre 2001 gegeben. gieren Sie, oder wer?) (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das steht auch in der Vorlage: Sie von der Opposition NEN]: Jetzt fangen Sie nicht damit an! Un- haben zweimal vorgelesen, dass darin steht, es sei ein sinn!) erster Schritt in die richtige Richtung. Dieser Schritt geht mir nicht weit genug – ich hätte gern mehr gehabt –, aber Die Vertreter von Rot und von Grün stellen sich hier hin er geht in die richtige Richtung, weg von Rot-Grün, weg und tun so, als hätten sie damit nichts zu tun. von dem, was Sie damals gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Lesen Sie bitte Ihren eigenen Antrag!) Das ist die richtige Richtung. Deswegen gehe ich den Weg. Das ist zu wenig, aber es geht in die richtige Rich- Jeder Polizeibeamte, jeder Staatsanwalt, jeder Richter in tung. ganz Deutschland, der mit diesen Delikten zu tun hat, beklagt den jetzigen Rechtszustand. Meine Damen und Herren, wir sollten hier ehrlich sein. Ich habe einen Vorschlag aus dem rot-grün regier- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ten Bremen gelesen: ein Prostitutionsgesetz über zehn Herr Kollege Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage Seiten, eine Reglementierungswut ohne Ende. des Kollegen Beck? (Arfst Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gelesen?) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Keinem CSU-Politiker würde man so etwas zutrauen. Nein. Der hat viel zu rechtfertigen, aber das tut er Sie sind jetzt an der Spitze der Bewegung der Reglemen- jetzt nicht auf meine Kosten. tierung. Sie wollen an dieses Metier herangehen, als hät- (B) (Beifall des Abg. Andreas Jung [Konstanz] ten Sie nie was anderes gewollt. Meine Damen und Her- (D) [CDU/CSU]) ren, machen Sie es sich nicht zu leicht. Seien Sie intellektuell redlicher Jetzt rede ich und werde dies im Detail darstellen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Kollege Beck, Sie sind in -Titelge- NEN]: Das müssen gerade Sie sagen!) schichte mit Bild und Text erwähnt. Erwähnt sind auch – in Sektlaune – die damalige SPD-Familienministerin und sagen Sie, dass Sie einen schweren Fehler begangen Christine Bergmann, die damalige Fraktionsvorsitzende haben. Denn Sie haben in einer grenzenlosen Naivität der Grünen, Kerstin Müller, und eine Bordellbesitzerin. versucht, ein Gesetz zur Verbürgerlichung dieses Milieus zu machen. Sie haben geglaubt, man könnte per Gesetz (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aus einer Prostituierten eine Friseuse machen, NEN]: Haben Sie nichts Besseres zu tun, als den Spiegel zu zitieren?) (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was erzählen Sie denn für einen Un- Mit einem Sektglas in der Hand prosten sie sich zu. Da- sinn?) runter steht: die freudig ihrer Arbeit nachgeht, bei der Sparkasse ein Drei Frauen in Partylaune, weil Männer in Deutsch- Konto hat, in die Rentenversicherung einzahlt, kranken- land endlich bedenkenlos in Bordelle gehen konn- versichert ist, selbstbestimmte Sexdienstleisterin ist. ten Dies und ähnlichen Schwachsinn musste man sich da- Das war Ihre Errungenschaft vor zwölf Jahren. mals, im Jahre 2001, anhören. (Dr. Eva Högl [SPD]: Was machen Sie?) (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für Fantasien?) Jetzt kommen Sie daher und schelten uns dafür, dass wir zu wenig für die Reglementierung tun. Das alles ist wie eine Seifenblase zerplatzt, die Wirklich- keit hat Sie eingeholt, und jetzt wollen Sie reglementie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ren. Wir auch, Sie waren es, die dieses kriminogene Milieu in den (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Und wir rechtsfreien Raum entlassen haben. Sie waren es, die tun es auch! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/ eine Dunkelziffer von Tausenden Zwangsprostituierten DIE GRÜNEN]: Es wird immer schlimmer!) zugelassen haben. Sie waren es, die die Polizei daran ge- hindert haben, Bordelle zu überprüfen, Razzien durchzu- und deswegen fangen wir an. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30801

Dr. Hans-Peter Uhl (A) Erstens. Man braucht eine Anmeldung bei der Be- Wir wollen Regelungen des Staates – Sie haben sie abge- (C) hörde. Zweitens. Die Behörde hat das Recht, die Stätte schafft – zum Schutz der Frau. Die wollten Sie nicht ha- zu betreten. Drittens. Die Behörde kann daraufhin einen ben. Auflagenbescheid erlassen. Das ist der Einstieg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Dr. Eva Högl [SPD]: Das regeln Sie gerade der FDP) nicht!) Wir wollen Frauen schützen; mehr wollen wir nicht. Die Folge wird sein, dass wir den völlig praxisuntaug- (Dr. Eva Högl [SPD]: Sie haben die Mehrheit lichen § 232 StGB – und auch § 233 StGB, darüber hat hier und Sie machen nichts!) nur keiner gesprochen: Ausbeutung der Arbeitskraft; es geht nicht um Sex – schleunigst ändern müssen, weil Ich erwarte Ihren Beitrag, um auf diesem Weg voranzu- beide dem Geist und dem Wortlaut der EU-Richtlinie kommen. widersprechen. Wir sind nicht am Ende, sondern am Anfang. Es ist (Dr. Eva Högl [SPD]: Machen Sie es doch! – ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, weg von Rot- Arfst Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/DIE Grün. GRÜNEN]: Haben Sie das gemacht?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch diesbezüglich haben Sie recht. Aber tun Sie hier nicht so, als ob Sie keine Schuld auf sich geladen hätten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Dr. Eva Högl [SPD]: Es geht doch nicht um Es folgt eine Kurzintervention des Kollegen Volker Schuld, Herr Uhl!) Beck.

– Sie haben schwere Schuld auf sich geladen, Frau Högl; Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie am allermeisten, Herr Beck, das wissen Sie ganz ge- Herr Uhl hat mich angesprochen, weil ich skandalö- nau. Seien Sie ehrlich und anständig. serweise mit Bild und Zitat in einem Artikel vorkomme. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte ein paar Sachen klarstellen. Ich bekenne, Wir brauchen die rechtlichen Möglichkeiten, in den dass das Prostitutionsgesetz unvollendet geblieben ist, Bordellen Razzien durchzuführen. Wir brauchen die aber mehr war mit der damaligen Justizministerin nicht rechtlichen Möglichkeiten, ein Bordell zu schließen. Wir zu machen. Wir hätten uns eine positivrechtliche Ausge- brauchen die Zufälligkeitsprüfung. Wir brauchen die staltung des Berufszweiges oder des Gewerbes ge- (B) Verurteilung von Menschenhändlern. Wir müssen die- wünscht. Dann hätten wir die jetzigen Probleme nicht. (D) sem verbrecherischen Milieu ein Ende machen. Diese Sie lösen sie allerdings auch nicht. Form der organisierten Kriminalität existiert in Deutsch- Das Prostitutionsgesetz hat zu einer Verbesserung der land in einem Ausmaß wie in keinem anderen europäi- Situation für die Prostituierten geführt, aber nicht ausrei- schen Land. Das hat mit Ihnen zu tun, mit dem, was Sie chend. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass die vor elf Jahren gemacht haben. Sozialversicherungsquote bei Prostituierten nach In- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) krafttreten dieses Gesetzes um 10 Prozent gestiegen ist. Ich möchte, dass wir das Thema aus dem Partei- (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Bei null enstreit herausnehmen. Nach dem Wahlkampf schauen liegt die in Bayern! – Gegenruf der Abg. wir uns Ihre Regelungsvorschläge an. Auch wir werden Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- genügend Regelungsvorschläge vorlegen. NEN]: Bayern ist nicht überall!) Wir machen jetzt unsere ersten Erfahrungen mit der In Zukunft wird eine Krankenkasse nicht argumentieren Anmeldepflicht, mit dem Auflagenbescheid, den man er- können: Du bist Prostituierte, hast dich aber heimlich als lassen kann. Das ist der Einstieg, geht in die richtige Hausfrau oder als Reinigungskraft bei uns angemeldet. – Richtung und führt weg von der Regelungsfreiheit, vom Auch für den Status der Prostituierten besteht Rechts- rechtsfreien Raum, den Sie geschaffen haben: Rot-Grün. sicherheit. Hier haben wir im Sozialversicherungsrecht einen Fortschritt bewirkt, der zu einer höheren Versiche- (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rungsrate geführt hat. Super Gesprächsgrundlage so etwas!) Zu der Entwicklung der Zahlen der Menschenhandel- Jeder Jurist, jeder Mensch, der seine Sinne beisam- sopfer. Wir hatten im letzten Jahrzehnt tatsächlich eine men hat, weiß: Wenn sich der Staat total zurückzieht, Erhöhung zu verzeichnen, aber nicht nach dem Inkraft- dann erzeugt das einen rechtsfreien Raum. Was passiert treten des Gesetzes, sondern nach dem Beitritt – das dann? Dann gilt das Recht des Stärkeren. Und wer ist in kann man in der polizeilichen Kriminalstatistik gut nach- dem kriminellen Milieu „Prostitution“ der Stärkere, wer verfolgen – von Bulgarien und Rumänien zur Europäi- ist der Schwächere? Muss man diese Frage stellen? Das schen Union. kann doch jeder beantworten. Der Stärkere ist der Zuhäl- ter, die Schwächere ist die Frau. Ihre eigene Bundesregierung hat uns auf Nachfrage mitgeteilt: Die Zahl der Menschenhandelsopfer, die Ver- (Arfst Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/ urteilungszahlen und die Zahl der Verfahren sind in den DIE GRÜNEN]: Ja!) letzten Jahren – unabhängig von der Frage, dass wir im- 30802 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Volker Beck (Köln) (A) mer eine hohe Dunkelziffer haben, was problematisch weil Ihr Koalitionspartner bei der entsprechenden Rege- (C) ist – in allen Parametern gesunken. Das ist kein Grund lung nicht mitmachen wollte. zur Entwarnung, aber es ist ein Argument dafür, der De- batte nicht diese Art von Propaganda anzuhängen. Zweitens. Sie bemängeln etwas, was wir übersehen hätten. Das haben wir nicht. Die Länder können schon Die entscheidende Frage ist doch: Gibt dieser Gesetz- jetzt nach geltendem Gewerberecht Rechtsverordnungen entwurf jetzt auf irgendeines der objektiv bestehenden erlassen. Das ist in § 38 nachzulesen. Danach sind die Probleme – die hier niemand abstreitet – tatsächlich eine Kontrollen möglich, von denen Sie behaupten, dass sie Antwort? Sie schrauben ein bisschen am Strafrahmen nicht möglich sind. herum. Ansonsten nehmen Sie diese untaugliche Gewer- berechtsregelung vor, die nur eine Rechtsposition stärkt, (Widerspruch des Abg. Volker Beck [Köln] nämlich die der Nachbarn, die auf ihren Grundstücken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nachteile durch Bordelle befürchten. Für den Schutz Die Länder können dies also auf der Grundlage ihres von Prostituierten machen Sie nichts. Dafür müssten Sie Rechts machen. nämlich eine Erlaubnispflicht einführen. Sie müssten den Bordellbetreibern aufgeben, ihr Rechtsverhältnis zu Ich komme zu Ihrer Statistik. Jeder Politiker bemüht den Prostituierten zu dokumentieren, damit die Gewer- gerne statistische Zahlen, weil sie eine Scheinobjektivi- beaufsicht überhaupt nachprüfen und Fakten finden tät darstellen. Meine Damen und Herren, diese Statisti- kann, die auf eine Ausbeutung von Prostituierten hin- ken über Menschenhandel – dabei geht es um Erkennen, deuten. Ermitteln und Verurteilen – sind – erlauben Sie mir diese (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Schauen saloppe Formulierung – eine „Deppenstatistik“. Ich sage Sie einmal in das Gesetz, Herr Beck!) Ihnen auch, warum. Herr Kauder hat erwähnt, wir würden für Menschen- Menschenhandel ist ein klassisches Kontrolldelikt. handelsopfer in Zukunft ein Aufenthaltsrecht schaffen. Wenn Sie nicht kontrollieren, können Sie statistisch zu Es gibt einen Gesetzentwurf von uns, der das vorsieht. dem Ergebnis kommen: Bei uns gibt es keinen Men- Den kann man bei der zweiten und dritten Lesung ein- schenhandel. Das ist so, als wenn Sie die Kontrolleure, fach mit beschließen; dann haben wir das. Davon aber die das Schwarzfahren in der U-Bahn ermitteln, abschaf- findet sich in Ihrem Gesetzentwurf komischerweise kein fen würden. Dann würde es keine Schwarzfahrer in der einziges Wort. U-Bahn mehr geben. So ist es auch beim Menschenhan- del. Ich verstehe auch nicht, warum wir die Strafbarkeits- Wenn Sie ein Gesetz machen, nach dem Bordelle und (B) lücke für den Fall nicht schließen, dass Freier vorsätzlich (D) und wissentlich die Zwangslage einer Prostituierten aus- Prostitutionsstätten nicht mehr überprüft werden dürfen, nutzen, indem sie ihre sexuellen Dienstleistungen in An- weil die Polizei keine rechtliche Handhabe mehr hat, spruch nehmen. Warum bestrafen wir das nicht? dort hineinzugehen und zu kontrollieren, können Sie Menschenhandel natürlich auch nicht feststellen. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heißt, in der Strichliste gibt es keinen Strich. Das Ergeb- nis stellt dann auch keine Beurteilung von Menschen- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: handel dar. Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. (Widerspruch des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Wenn Sie das noch mit dem praxisuntauglichen § 232 kombinieren – auf seiner Grundlage kann man den sub- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: jektiven Tatbestand kaum nachweisen; wenn man nicht Herr Kollege Uhl, Sie haben Gelegenheit zur Re- ins Bordell hinein kann, dann schon gleich gar nicht –, aktion. ist die Verurteilung von der Aussage des Opfers abhän- gig. Wenn dann die arme Frau, die vielleicht noch den Mut hatte, bei der Polizei gegen den Peiniger bzw. Men- Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): schenhändler auszusagen, diesem im Gerichtssaal ge- Herr Kollege Beck, zunächst zu dem, was Sie am genübersitzt, wird sie ihre Aussage sofort zurückziehen, Schluss gesagt haben. Sie haben gesagt, dass Sie mehr weil sie weiß, was ihr droht, wenn sie die aufrechterhält. machen wollten, dass die Reform nicht vollendet war Das Problem besteht also in der Kombination eines pra- und dass Sie dies bedauern. Die SPD-Justizministerin xisuntauglichen Paragrafen mit der Rechtslage, die Sie habe dies anscheinend nicht mitmachen wollen. Dazu geschaffen haben, dass man in den Bordellen keine Raz- muss ich Ihnen eines sagen: Wenn Sie, was ich Ihnen zien mehr durchführen darf. glaube, mehr machen wollten, das aber nicht machen konnten, hätten Sie die Entlassung des gesamten Milieus (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: aus dem Recht der Überprüfung nicht mitmachen dür- Stimmt doch nicht!) fen. Das heißt, man hat keine Erkenntnislage, um einen Men- Erstens. Sie durften ein solches Milieu, das so krimi- schenhändler zu verurteilen. Das ist die Lage, und des- nogen ist, nicht in den rechtsfreien Raum entlassen, nur wegen haben sich die Zahlen so entwickelt, wie sie jetzt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30803

Dr. Hans-Peter Uhl (A) sind. Wir haben in Deutschland wegen Ihrer Gesetzge- „Deutschland ist ein Paradies für Menschenhändler“, (C) bung so viel Menschenhandel wie nie zuvor. stand vor einem Monat in der Welt. „Deutschland ist Drehscheibe des Menschenhandels“, stand in der Emma. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das haben wir eben auch von Ihnen gehört. Im Spiegel war in der letzten Woche vom „Bordell Deutschland“ die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Rede. Das Wort hat nun Frank Heinrich für die CDU/CSU- 1,2 Millionen – nach moderateren Zahlen sind es Fraktion. 800 000 – nehmen täglich die Dienstleistungen von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Prostituierten in Deutschland in Anspruch. Die Ge- der FDP) werkschaft Verdi nannte diese hohe Zahl. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Darüber sind wir uns ja einig; das hat die Debatte eindeutig gezeigt. Frank Heinrich (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Als Menschenrechtler bin ich froh darüber, dass wir Kollegen! Ich erspare es mir, jetzt all die Zahlen, die hier sagen können: Wir haben einen ersten Schritt unter- man anführen könnte, zu nennen. In den letzten Wochen nommen. hat in Deutschland eine Debatte über Menschenhandel in (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Form von Zwangsprostitution begonnen, möglicher- NEN]: Aber was für einen! Das lohnt sich weise ausgelöst dadurch, dass die EU-Richtlinie zum nicht!) Kampf gegen Menschenhandel nicht fristgemäß umge- setzt wurde. In dem Gesetzentwurf steht – das haben wir mehrfach betont –, dass dies ein erster Schritt ist, dem weitere fol- Der Münchener Polizeipräsident wird in dem besag- gen sollen. Dies ist ein erster wichtiger Schritt zur Be- ten Spiegel-Artikel zitiert. Er beklagt die „explosionsar- kämpfung von Menschenhandel. tige Zunahme des Menschenhandels aus Rumänien und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bulgarie n“. Herr Beck, das kann tatsächlich unter ande- neten der FDP) rem an diesen beiden Ländern liegen. Aber er spricht von einer „explosionsartigen Zunahme“. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, um Opfer und potenzielle Opfer zu schützen. Nach dem Gesetzentwurf Doch es fehle ihm an Möglichkeiten, zu ermit- sollen Prostitutionsstätten der gewerberechtlichen Über- teln. … „Wir können nichts beweisen.“ wachung unterworfen werden. (B) Die Gründe dafür hat mein Kollege gerade dargestellt. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Stümperhaft gemacht!) Die Niederlande, das erste Land, das die Prostitution legalisiert hat, prüft gerade die negativen Folgen dieser Das ist ein erster Schritt. Realpolitisch ist das sehr wich- Entscheidung. In Frankreich ist es das Gleiche. Die Lon- tig. don School of Economics hat Anfang dieses Jahres eine Studie herausgegeben, in der der Frage nachgegangen Wir Menschenrechtspolitiker wünschen uns natürlich wurde, ob die legalisierte Prostitution den Menschen- – das gilt für alle in unserer AG –, dass diesem ersten handel fördert. Diese Frage haben Sie, Frau Lazar, an- Schritt weitere folgen werden. Wir gehen vom Ideal aus, ders beantwortet. Die London School of Economics suchen nach der idealen Politik. Die Stichworte stehen kommt zu einem klaren Ergebnis: Ja, der registrierte Zu- im Raum – Sie haben sie genannt –, zum Beispiel das strom aufgrund von Menschenhandel ist in den Ländern, Bleiberecht. Wir reden darüber, dass wir beim Aufent- in denen die Prostitution legalisiert ist, deutlich höher. haltsrecht möglicherweise zu Verifizierungen kommen müssen. Viele Prostituierte arbeiten nicht freiwillig. Die Quote (Beifall des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] möchte ich jetzt gar nicht nennen. [FDP]) (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das hat der Kollege Wolff eindeutig gesagt. NEN]: Die kennt ja auch niemand!) Wir müssen Ideen einbringen. Deshalb habe ich es Die Frauen werden gehandelt und sexuell ausgebeutet. gerne gehört, was Sie zu Bremen gesagt haben. Viel- Das ist Sklaverei. Frau Högl, an der Stelle gebe ich Ih- leicht brauchen wir einen nationalen Berichterstatter, nen vollkommen recht. Die sexuelle Ausbeutung von vielleicht sollte eines der vier beteiligten Ministerien Frauen als moderne Form der Sklaverei fällt in Deutsch- eine Studie, eine Dunkelfeldanalyse in Auftrag geben. land unter anderem aufgrund der Diskussion, wie wir sie Einige Vorschläge sind schon genannt worden. jetzt gerade erleben, auf sehr fruchtbaren Boden. Laut Hydra e. V. arbeiten 400 000 Prostituierte in Deutsch- Die Zahl der Menschen, die in Deutschland auf ein land. Der Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität stärkeres Engagement warten, auch von uns im Bundes- im LKA Niedersachsen sagt: Neun von zehn Prostituier- tag, ist gestiegen. Eine der wenigen Resolutionen, die ten werden zur Prostitution gezwungen. auf dem Kirchentag verabschiedet wurden, befasste sich mit diesem Thema. Vor wenigen Wochen wurde der Ver- (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ gegründet. NEN]: Woher haben Sie denn das?) Projektträger, Hilfsorganisationen und Netzwerke ver- 30804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Frank Heinrich (A) folgen gemeinsam die Ziele: Öffentlichkeit schaffen Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen (C) – Frau Granold, Sie haben sehr oft betont, wie wichtig Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- die Sensibilisierung ist –, Prävention, Opferschutz und nen das Wort. möglicherweise gesetzgeberische Folgen. Durch die Me- dien haben wir jetzt die Möglichkeit, unsere Botschaft Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ zu adressieren. Dabei sehen wir, dass nicht nur auf Staat DIE GRÜNEN): und Politik gewartet wird. Überall in Deutschland orga- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nisieren sich Menschen, um diese Missbrauchsmöglich- Was ist das für ein absurdes schwarz-gelbes Theater zur keiten einzudämmen. Dabei geht es nicht gegen die Rente? Da macht die Regierung vier Jahre bei der Rente Prostitution als solche, sondern gegen die kriminellen absolut nichts außer vielen Versprechungen, und dann Dehnfugen oder Sollbruchstellen, die in diesem Umfeld kommt Angela Merkel und macht die nächsten großen eine üble Rolle spielen. Versprechungen. Jetzt sollen die Mütter daran glauben, Als Menschenrechtler hat mich ein Satz aus einer der dass ihre Rente erhöht wird. Wo ist der Gesetzentwurf letzten Reden des Gründers der Heilsarmee – Sie wissen, dazu? Wer regiert hier eigentlich? Und die Finanzie- dass ich dort seit langer Zeit Mitglied bin –, William rung? Für Volker Kauder kein Problem. Er sagte im Booth, geprägt. Das treibt mich immer wieder an. In sei- Bericht aus Berlin: Das wird aus dem Zuschuss zur Ren- ner letzten öffentlichen Rede in der Royal Albert Hall in tenversicherung finanziert, der sowieso schon gezahlt London sagte er 1912 Folgendes: wird. – Hallo? Was ist denn das für ein Unsinn? Mittler- weile hat es aber auch Volker Kauder kapiert und sagt Solange Frauen weinen, wie sie es jetzt tun – will jetzt: Alles steht unter einem Finanzierungsvorbehalt. – ich kämpfen; Übersetzt: Es wird nicht kommen. Das ist typisch CDU/ solange Kinder Hunger leiden müssen, wie sie es CSU bei der Rente: große Klappe, nichts dahinter. jetzt tun – will ich kämpfen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, solange Menschen ins Gefängnis müssen, rein und bei der SPD und der LINKEN – Markus Kurth raus, rein und raus – will ich kämpfen; [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nebelkerzen solange es Mädchen gibt, die auf der Straße unter werfen die! Nebelkerzen!) die Räder geraten, solange es eine Seele gibt, in der das Licht Gottes Die größte Lautsprecherin ist Ursula von der Leyen. noch nicht scheint – will ich kämpfen. Schon im Koalitionsvertrag gab es eine Reihe von Ver- sprechungen zur Rente, aber die Bundesministerin Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. wurde nicht müde, weitere Versprechungen draufzusat- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) teln: Kombirente, bessere Zuverdienstmöglichkeiten, er- (D) höhte Zurechnungszeiten bei der Erwerbsminderung, Rente für Selbstständige und nicht zu vergessen ihr Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Lieblingsprojekt, die Zuschussrente oder neuerdings die Ich schließe die Aussprache. Lebensleistungsrente. Aber kein einziger dieser Vor- schläge hat es überhaupt nur in den Bundestag geschafft. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Schwarz-Gelb kann es nicht, und Sie wollen auch gar wurfs auf Drucksache 17/13706 an die in der Tagesord- nicht. nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dabei ist die Altersarmutswelle schon längst in Sicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Es wäre dringend notwendig, einen Damm zu bauen, um sie abzuwehren. Was hat die Ursula von der Leyen nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Ta- alles für ein Bohei gemacht? Sie hat einen Regierungs- gesordnungspunkt 9 auf: dialog und eine mediale Kampagne über die Bild- Zeitung und andere Medien inszeniert, um ihre Zu- Beratung des Antrags der Abgeordneten schussrente zu vermarkten, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Alles und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur Show!) Altersarmut bekämpfen – Mit der Garantie- eine Zuschussrente, die kaum jemandem geholfen hätte rente und handwerklich so schlecht war, dass die Referenten- entwürfe immer wieder nachgebessert werden mussten, – Drucksache 17/13493 – wobei sie nicht wirklich verbessert wurden; denn sie sind immer schlechter geworden. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Haushaltsausschuss Mittlerweile ist die Zuschussrente mausetot. Kollege Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Kolb wird das gleich bestätigen. Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Es gibt ein neues Schlagwort: Lebensleistungsrente. sen. Ein Konzept dazu gibt es nicht. Von der Leyen hat völlig Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30805

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) versagt. Nichts wurde gegen Altersarmut getan. Frau Auch bei der Rente brauchen wir präventive Maßnah- (C) von der Leyen, Sie haben mehrfach gesagt: Ich stehe für men. Selbstständige brauchen eine bessere Absicherung die Zuschussrente, und ich werde mich daran messen in der Rentenversicherung, Minijobs müssen wieder ren- lassen. – Wenn Sie konsequent wären, müssten Sie zu- tenversicherungspflichtig werden, rücktreten. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch schon lange! Sie sind ein bissel spät und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten dran!) der SPD – Anton Schaaf [SPD]: Auch keine und für Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Bezie- schlechte Idee!) her müssen wieder Rentenbeiträge gezahlt werden. Die Alternative zu dieser schwarz-gelben Nullnum- Diese präventiven Maßnahmen wirken nur mittel- bis mer ist die grüne Garantierente. Sie schützt zielgenau langfristig. Deshalb brauchen wir schnell die grüne Ga- und effektiv vor Altersarmut. Sie erreicht die von Alters- rantierente gegen die Altersarmutswelle, bevor die große armut bedrohten Gruppen, insbesondere die Frauen. Sie Flut kommt. ist schnell umsetzbar, und sie ist durch unser Steuerkon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zept auch gegenfinanziert. Auch das unterscheidet uns von Schwarz-Gelb: eine solide und gerechte Finanzie- Die präventiven Maßnahmen sind unbedingt notwendig, rung, ohne neue Schulden aufzunehmen. um die Garantierente auch langfristig finanzieren zu können, damit der Damm auch noch in 20 Jahren hält (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dann noch besser vor Altersarmut schützt. Die grüne Garantierente funktioniert nach dem 30-30- Noch 108 Tage bis zur Bundestagswahl; dann gehen Prinzip. Jeder und jede, der oder die 30 Jahre in der Ren- wir daran, die Rente zukunftsfest zu machen, tenversicherung versichert war, erhält garantiert eine Rente von mindestens 30 Entgeltpunkten; dies sind zur- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Jawohl!) zeit etwa 850 Euro. Bei den 30 Versicherungsjahren wer- nachhaltig finanziert und armutsfest. Schwarz-Gelb hat den sämtliche rentenrechtlichen Zeiten mitgerechnet, fertig. also auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, Bildungszeiten, Zeiten der Pflege und Zeiten der Kindererziehung bis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zum zehnten Lebensjahr. Wir haben die Garantierente so Anton Schaaf [SPD]: Darüber müssen wir aber ausgestaltet, dass sie auch von denen realistisch erreicht noch mal reden, Wolfgang!) werden kann, die tatsächlich von Altersarmut bedroht (B) sind. Das unterscheidet unser Konzept vom Konzept der Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (D) CDU/CSU, aber auch von der Solidarrente der SPD, die Das Wort hat nun Peter Weiß für die CDU/CSU-Frak- jeweils 40 Jahre zur Bedingung machen. Wir brauchen tion. aber kein Placebo, sondern einen echten Schutz vor Altersarmut. Wir brauchen die grüne Garantierente. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Für uns ist außerdem wichtig: Die Garantierente ist Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! eine Versicherungsleistung, eine Rente, und keine zweite Man merkt in den Bundestagsdebatten in dieser und Grundsicherung. Die Menschen haben ein Anrecht da- wahrscheinlich erst recht in der kommenden Woche na- rauf, weil sie lange rentenversichert waren. Wer lange türlich: Es geht langsam auf den Wahlkampf zu. Da hat eingezahlt hat, soll eine Garantierente bekommen, ohne die Opposition vor allen Dingen ein Anliegen, nämlich zum Amt gehen zu müssen und ohne umfassende Ein- von zwei wichtigen Tatsachen abzulenken. kommens- und Vermögensprüfung. Das unterscheidet die grüne Garantierente von allen anderen Konzepten, Die erste Tatsache ist: Die gesetzliche Rentenversi- auch von der Mindestrente der Linken, die ebenfalls be- cherung in Deutschland steht besser da als in den letzten dürftigkeitsgeprüft ist. 20 Jahren. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – kommens-, vermögensgeprüft, nicht bedürftig- Anton Schaaf [SPD]: Wer hat dem denn wider- keitsgeprüft!) sprochen?) Wir haben Rücklagen von 29 Milliarden Euro; so viel Wir brauchen aber keine zweite Grundsicherung. Wir hatten wir in den letzten 20 Jahren noch nie. Die Renten- brauchen eine Garantierente. zahlungen sind sicher. Sie sind auf jeden Fall sicherer als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zum Ende der rot-grünen Koalition 2005. Schließlich: Die grüne Garantierente ist eingebettet in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein Gesamtkonzept. Dazu gehören vor allem präventive der FDP) Maßnahmen – in der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt –, 2005 musste die Rente auf Pump, mit zusätzlichen Kre- mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, diten, ausgezahlt werden. mit gleichem Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, mit höherer Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) 30806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Jetzt haben wir Rücklagen von 29 Milliarden Euro. Das – Bitte schön. – Herr Präsident, eine Zwischenfrage. (C) ist der Erfolg unserer Rentenpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Anton Schaaf [SPD]: Auweia! Auweia! – Ja, ja. Wenn Sie so großzügig das Wort erteilen, dann Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und was will ich mich nicht einmischen. heißt das für die einzelne Rentnerin?) (Heiterkeit) Zweitens. Warum kommen die Oppositionsparteien mit Garantierente, Solidarrente und anderen Ideen? Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Min- Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr destrente nicht vergessen!) Weiß, dass Sie die Frage zulassen. Weil Sie gerade ge- sagt haben, jetzt kämen die großartigen Vorschläge, Weil die Rentenreform von 2001 – , Rot- möchte ich Sie fragen: Was halten Sie denn von der An- Grün – einen großen Fehler hatte, der damals offensicht- kündigung bzw. dem Vorschlag der Kanzlerin und von lich nicht erkannt oder bewusst verschwiegen wurde, der Bestätigung durch Herrn Kauder, dass man jetzt ge- nämlich: Wenn das Rentenniveau sinkt, wird für denjeni- willt ist, eine Mütterrente einzuführen? Herr Kauder ver- gen, der ein Leben lang gearbeitet und relativ wenig ver- stieg sich sogar noch zu der Aussage, dass sie aus dem dient hat, die Gefahr, im Alter auf staatliche Stütze ange- System heraus finanzierbar sei. Nach allem, was wir wiesen zu sein, von Tag zu Tag größer. wissen, würde die Einführung der Mütterrente 13 Mil- liarden Euro kosten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten jetzt vier (Anton Schaaf [SPD]: Das wird der Kolb Jahre Zeit, daran etwas zu ändern!) schon verhindern!) Die wertvolle Empfehlung lautete – das hat Rot-Grün Die Mütterrente scheint ihnen – der Kanzlerin und Herrn damals beschlossen –, jeder möge doch bitte auch in eine Kauder – ein drängendes Thema zu sein, zumindest me- Betriebsrente einsparen und möglichst auch einen dial. Wir möchten jetzt gerne wissen, ob wir damit rech- Riester-Sparvertrag abschließen. Das lohnt sich für je- nen können, dass Sie hierzu – obwohl Sie auf diesem manden mit niedrigem Verdienst im Zweifel gar nicht, Gebiet vier Jahre lang nichts getan haben – zeitnah, also auch wenn er sich das Geld vom Mund abspart, noch in dieser Legislaturperiode, einen Gesetzentwurf einbringen. (Anton Schaaf [SPD]: Und? Was habt ihr ge- macht?) (B) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): (D) weil beides auf die Grundsicherung angerechnet wird. Frau Kollegin, das Thema Mütterrente ist uns als (Anton Schaaf [SPD]: Und jetzt?) Unionsfraktion deswegen so wichtig, Das ist der eigentliche Webfehler der Riester’schen Ren- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE tenreform, GRÜNEN]: Das war nicht die Frage! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Die Frage war, ob Sie einen Gesetzentwurf ein- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und jetzt?) bringen werden! – Gegenruf des Abg. Manfred der bis zum heutigen Tag vorhanden ist. Grund [CDU/CSU]: Er wird doch noch antwor- ten dürfen, was ihm richtig erscheint! – Gegen- Jetzt wollen Rot und Grün so tun, als hätten sie damit ruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ nie etwas zu tun gehabt. DIE GRÜNEN]: Ich wollte nur, dass er auf (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- meine Frage eingeht! – Gegenruf des Abg. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar Manfred Grund [CDU/CSU]: Das wird er schon nicht!) noch!) In der Rede des Kollegen Strengmann-Kuhn ist die Ren- weil für die Zukunft der Rentenversicherung nicht nur tenreform von 2001 mit keinem Wort vorgekommen. von Bedeutung ist, ob Beiträge gezahlt worden sind, Das nennt man „sich aus der Verantwortung stehlen“. sondern auch, ob Kinder/Enkelkinder da sind, die die künftige Rente finanzieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Anton Schaaf [SPD]: Die vor 1992 geborenen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nur fünf Kinder sind doch schon länger da! Da hätten Sie schon längst was machen können!) Minuten gehabt! Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich dazu etwas sagen können!) Deswegen ist die Union schon immer der Auffassung gewesen, dass Kindererziehungszeiten in der Rente eine Jetzt kommen die sagenhafte Vorschläge, wie das Rolle spielen sollten. Helmut Kohl und Norbert Blüm Ganze zu reparieren ist. haben im Jahr 1986 dafür gesorgt – das war zum aller- (Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE ersten Mal in der Geschichte der deutschen Rentenversi- GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- cherung –, dass Kindererziehungszeiten bei der Rente frage) berücksichtigt werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30807

Peter Weiß (Emmendingen) (A) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jetzt möchte ich zu dem großartigen Vorschlag der (C) NEN]: Ich war jetzt bei 2013!) Grünen kommen, eine Garantierente einzuführen. Hilft diese Garantierente wirklich? Wer 30 Jahre lang in die Wir wollen die Anrechnung von Kinderziehungszei- Rente eingezahlt hat, soll unabhängig davon, was er ten noch einmal deutlich ausweiten. Das kostet Geld; das wirklich eingezahlt hat, 30 Entgeltpunkte gutgeschrie- ist richtig. Ich will aber darauf hinweisen, dass von den ben bekommen; nach derzeitigem Rentenrecht macht jährlich 11 Milliarden Euro, die der Bundesfinanzminis- das etwa 844 Euro. Schon an der Zahl sieht man: Da ter zwecks Anrechnung von Kindererziehungszeiten aus wurde in Wahrheit bei Frau von der Leyen und ihren dem Steuersäckel an die Rentenkasse überweist, derzeit 850 Euro geklaut. gerade einmal 6 Milliarden Euro tatsächlich für die An- rechnung von Kindererziehungszeiten ausgegeben wer- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- den. Sie sehen: Da sind noch finanzielle Spielräume vor- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist umgekehrt! handen. Aber egal: Auf dem Copyright bestehe ich nicht!) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja? Wo denn? – Dr. Wolfgang Strengmann- Das Zweite ist: Ein Riester-Vertrag oder eine Be- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das triebsrente, die man angespart hat, soll auf die Garantie- Geld verschwindet doch!) rente angerechnet werden; nur 20 Prozent soll man be- halten dürfen. Ist jemand dagegen Einkommensmillionär Das Zweite. Sie fragen ständig danach – nicht nur in – vielleicht weil er das Geld mit etwas ganz anderem als der Rentendebatte, auch in anderen Debatten –, ob von mit dem, was man in die Rente einzahlt, verdient hat –, der Koalition nicht jetzt noch, in den letzten drei Sit- dann wird es nicht angerechnet. Das soll mir jetzt mal ei- zungswochen des Parlaments vor der Wahl, Gesetzent- ner klarmachen: Beim Einkommensmillionär sollen die würfe zu erwarten sind. Rentenpunkte aufgestockt werden, beim Niedrigverdie- ner, der sich die Beiträge für eine Riester-Rente oder für (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine Betriebsrente vom Mund abgespart hat, soll dies NEN]: Das hätten Sie in den letzten vier Jah- aber bei der Garantierente angerechnet werden? Ent- ren machen können!) schuldigung, das ist doch ein System, das dazu führt, Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich finde diese Frage dass die Leute ihr Geld lieber verstecken, als es in die scheinheilig. Sie haben uns doch schon angekündigt, Rente einzuzahlen, und es erst recht nicht in einen dass Sie jeden Gesetzentwurf, der die Rente betrifft, in Riester-Sparvertrag oder in eine Betriebsrente einzahlen den Vermittlungsausschuss ziehen werden. wollen. Das ist Ihr Modell. (B) (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es! – (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (D) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Zuschuss- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das wann an- rente ist das genauso!) gekündigt?) Das ist nicht durchdacht, es ist grundfalsch. Wir müssen Im Vermittlungsverfahren wollen Sie dann Ihre Vor- doch den belohnen, der etwas auf die Seite gelegt hat. schläge auf die Tagesordnung setzen. Es ist unehrlich, Deswegen ist der Ansatz der Union schon immer der ge- die Koalition zum Handeln aufzufordern, wenn man wesen: Wenn wir Niedrigverdienern die Rente aufsto- gleichzeitig schon den Knüppel in der Hand hat, mit dem cken, dann doch bitte so, dass man das, was man im Ar- man verhindern will, dass in dieser Legislaturperiode beitsleben zusätzlich angespart hat – zum Beispiel in noch etwas beschlossen wird. Form einer Betriebsrente oder eines Riester-Vertrages –, zu 100 Prozent behalten darf. Dies darf nicht auf eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rente angerechnet werden. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Anton Schaaf [SPD]: Ihr habt aber nichts ge- Da ist die Not aber groß! – Dr. Wolfgang macht!) Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist absurd: Die Regierung stellt das Also: Das Modell muss genau umgekehrt aussehen, Regieren ein!) Herr Strengmann-Kuhn: Mit Ihrer Verfahrensmehrheit im Vermittlungsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU) haben Sie uns schon jetzt hängen gelassen, zum Beispiel Belohnung für diejenigen, die bei der Betriebsrente und bei der Gebäudesanierung, bei der Entlastung der klei- beim Riester-Vertrag etwas ansparen, und nicht Beloh- nen Einkommen, beim Abbau der kalten Progression. nung für denjenigen, der sein Geld irgendwo anders ge- Die Folge ist, dass die Bürgerinnen und Bürger finanziell bunkert hat, weil es dann bei der Berechnung der Garan- verhungern. Das ist unverantwortlich. tierente offensichtlich überhaupt keine Rolle spielt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Zuschuss- DIE GRÜNEN]: Unverantwortlich ist es, das rente doch auch nicht!) Blaue vom Himmel zu versprechen, Verspre- chungen zu machen, die man nicht halten Wir brauchen kein System der Belohnung von Ein- kann!) kommensmillionären. Wir brauchen ein System der Be- 30808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Peter Weiß (Emmendingen) (A) lohnung der kleinen Sparerinnen und Sparer in unserem tersvorsorge muss sich für jeden in unserem Land loh- (C) Land. nen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Vielen Dank. Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NEN]: Das war bei der Zuschussrente ganz ge- nauso!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – Herr Kollege Strengmann-Kuhn, deswegen will ich Ih- Das Wort hat nun Anton Schaaf für die SPD-Fraktion. nen noch einmal sagen, wie unser Modell aussieht. Das wollen wir auch präzise in unser Wahlprogramm hinein- (Beifall bei der SPD) schreiben. Anton Schaaf (SPD): (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe NEN]: Wahlprogramm! Mehr machen Sie Kolleginnen und Kollegen! Peter Weiß, wer sich vier nicht!) Jahre lang verweigert hat, Rentenpolitik in diesem Land Wir wollen, dass derjenige, der ein Leben lang gear- zu machen, kann der Opposition mit Sicherheit keine beitet und in die Rentenkasse eingezahlt hat, Vorwürfe machen, wenn sie sich Gedanken macht. (Anton Schaaf [SPD]: Und privat vorgesorgt (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem hat!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber machen nach Möglichkeit nicht zum Staat gehen und um staatli- Sie sich die richtigen Gedanken?) che Unterstützung bitten muss, sondern von seiner Rente leben kann. Peter Weiß, ich mache noch einmal das, was ich eben schon in der Aktuellen Stunde getan habe. Ich habe mir (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur, noch einmal angeschaut, welche Versprechen ihr in eu- wenn er auch sein Leben lang privat vorge- rem Koalitionsvertrag den Menschen gemacht habt. Das sorgt hat! Das müssen Sie auch dazusagen!) war euer Arbeitsplan. Darin stand, dass ihr etwas zur Ar- mutsvermeidung im Alter tut. Das geht nur mit Aufstockung der Rentensprüche. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Null!) Gleichzeitig wollen wir, dass derjenige, der noch an- deres Einkommen hat – zum Beispiel, weil er mit einem Ergebnis nach vier Jahren: nichts. Die Ministerin ist mit (B) sehr vermögenden Ehepartner verheiratet ist –, diese allen ihren Plänen kläglich gescheitert, und zwar an Ih- (D) Aufstockung nicht beantragen kann. Wenn ein Ehepaar nen. Nicht am Bundesrat und nicht an der Opposition, schon reichlich Einkommen im Alter hat, müssen wir sondern an Ihnen ist die Ministerin bei der Armutsver- nach meiner Auffassung nicht noch eine Rente aufsto- meidung kläglich gescheitert. cken und zusätzliches Geld obendrauflegen. Wer genug (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem hat, muss nicht auch noch weiteres Geld aus der Steuer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kasse oder aus der Rentenkasse bekommen. Sich jetzt hier hinzustellen und zu behaupten, man Derjenige, der zum Leben tatsächlich auf diese kleine habe einen Plan, ist nichts anderes als organisierter Rente angewiesen ist und sich die Mühe gemacht hat, Wahlbetrug; denn das hatten Sie schon einmal verspro- trotz allem noch die 5 Euro Mindestbeitrag monatlich chen. Jetzt tragen Sie es wieder als Versprechen für die für einen Riester-Sparvertrag auf die Seite zu legen, nächste Legislaturperiode vor. Armutsvermeidung wird (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was mit Ihnen nicht funktionieren. kommt bei den 5 Euro hinterher raus, Herr Zweiter Punkt. Sie haben den Menschen im Koali- Weiß? Sagen Sie mir das heute einmal!) tionsvertrag versprochen, dass Sie die Zeiten der Er- oder seine vermögenswirksamen Leistungen in eine be- ziehung besser bewerten wollen. Bis hierhin, bis zum triebliche Altersversorgung eingebracht hat, sollte aber heutigen Tag: null, nichts. Jetzt gibt es wieder die An- dieses Geld, das er dort angespart hat, zu 100 Prozent kündigung der Kanzlerin, dass man mal etwas bei der zur Absicherung seines Alterseinkommens verwenden Mütterrente machen werde – natürlich erst in der nächs- können und nicht auf die Rente anrechnen lassen müssen ten Legislatur. Sie hatten es aber für diese Legislatur ver- – so wollen es nämlich die Grünen, bis auf die 20 Pro- sprochen. An dieser Stelle haben Sie nichts, aber auch zent, die sie ihm freundlicherweise lassen wollen. gar nichts zuwege gebracht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem So sieht unser System aus. Das ist das Gegenteil des- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen, was Sie beantragen. Ihre Garantierente ist in Wahr- heit keine Garantierente. Sie ist eine Regelung, die die Den dritten Punkt erspare ich Ihnen auch nicht. Sie Kleinsparer, die, die sich angestrengt haben, eher be- haben die Menschen im Osten in Ihrem Wahlkampf und straft. Wir wollen eine Methodik im Rentensystem, die mit Ihrem Koalitionsvertrag komplett hinter die Fichte die kleinen Leute, die mit Mühe Geld fürs Alter auf die geführt. Obwohl Sie eine rentenrechtliche Angleichung Seite gelegt haben, belohnt und sie ermuntert, auch zu- Ost-West versprochen hatten, haben Sie nichts dazu ge- sätzlich für das Alter vorzusorgen; denn zusätzliche Al- macht, meine Damen und Herren – überhaupt nichts. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30809

Anton Schaaf (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bedanken möchte ich mich vor allen Dingen bei den (C) DIE GRÜNEN) rentenpolitischen Berichterstattern der Fraktionen. Ihr habt mich mit eurer unglaublichen Kompetenz immer au- Wenn Sie sich hierhinstellen und die Oppositionsfrak- ßerordentlich gefordert. Ich habe viel lernen müssen, dür- tionen dafür kritisieren, dass sie sich Gedanken darüber fen und können durch die Zusammenarbeit mit euch: machen, wie man mit diesem Thema umgeht, ist das , Wolfgang Strengmann-Kuhn, Heinrich wirklich nicht in Ordnung. Es ist auch nicht fair, was Sie Kolb, Peter Weiß. Es war mir immer eine Freude. Es war da veranstalten. Sie haben keine Mehrheiten, um Ren- immer kollegial, zuweilen auch sehr freundschaftlich. tenpolitik zu machen. Um das einmal klar zu sagen: Sie Dafür bin ich sehr dankbar. sind renten- und sozialpolitisch eine Nichtregierungsor- ganisation. (Beifall) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Es gibt ein paar Menschen, die ich darüber hinaus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. noch ganz persönlich erwähnen will: Karl Schiewerling, Birkwald [DIE LINKE]: Aber so was von! – du bist in deiner Jugend wahrscheinlich irgendwie in Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schlechte Kreise geraten. NEN]: Die Geisel der FDP!) (Heiterkeit) Ich kann mich auch gerne mit den Forderungen der Du hättest nämlich auch ein guter Sozialdemokrat wer- Grünen auseinandersetzen. Aber, Wolfgang Strengmann- den können. Manchmal spielt das Leben eben so. Herzli- Kuhn, an der Stelle muss man dann auch noch einmal ein chen Dank für die gute Zusammenarbeit, die wir hier Stück weit Bilanz der rentenpolitischen Leistung dieser miteinander hatten! Koalition und dieser Regierung ziehen. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die mit mir Zur Garantierente sage ich Folgendes: Ja, wir als So- Abgeordnete aus Essen und Mülheim sind. Stellvertre- zialdemokraten hätten da definitiv Diskussionsbedarf. tend danke ich Ulrike Flach, die wie ich aus Mülheim Allerdings sind die Hürden für eine Einigung aus meiner kommt, aus unserer gemeinsamen Heimatstadt. Ulrike, Sicht nicht so hoch, dass wir das nach dem 22. Septem- ich will meine Wertschätzung für dich einmal wie folgt ber nicht vernünftig regeln könnten. formulieren: Wenn wir schon in der unglaublich leidigen Ich will einige Punkte nennen. Ich finde, dass es zu- Situation sind, dass jemand aus der FDP Parlamentari- mindest an einigen Stellen eine unzulässige Vermi- sche Staatssekretärin werden muss, weil die Mehrheits- schung zwischen Versicherungsleistung auf der einen verhältnisse so sind, dann du, Ulrike Flach. Seite und Fürsorgeleistung auf der anderen Seite gibt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) Das muss man ordentlich auseinanderhalten. Das war der SPD und der CDU/CSU) (D) der erste inhaltliche Punkt. Es gibt ein geflügeltes Wort, dass Politik bzw. das Der Punkt, der mich am meisten umtreibt, ist: Wenn politische Agieren keine Freundschaften erlaubt. Ich man Freibeträge einräumt, wie ihr es vorgesehen habt habe in diesen Jahren hier völlig andere Erfahrungen ge- – beispielsweise 20 Prozent bei der Riester-Rente oder macht. Ich will das an zwei Namen festmachen. Ich habe bei der betrieblichen Altersvorsorge –, dann ist das eine hier in diesem Parlament, in der parlamentarischen Ar- einseitige Priorisierung. Ich würde immer auch die eige- beit, ja, in meiner eigenen Fraktion wirklich Freunde nen Beiträge für die Rentenversicherung steuerlich frei- fürs Leben gefunden. Zwei davon will ich stellvertretend stellen oder zumindest gleich behandeln; denn ansonsten nennen. Das ist zum einen jemand, der nicht mehr Mit- liegt eine besondere Priorität auf diesen privaten Alters- glied des Bundestages ist, was ich außerordentlich be- vorsorgeformen. Damit ist man relativ nahe bei den „Le- daure, nämlich mein Freund Klaas Hübner. Ich finde, er bensleistungsdingen“ von der Frau von der Leyen, was gehört in diese Reihe, und ich finde, er müsste hier sein. ja Gott sei Dank vor die Wand gefahren ist, weil die FDP an der Stelle ordnungspolitisch ordentlich agiert hat. Das (Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin muss man im Hinterkopf haben. [FDP]) (Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Zum anderen ist das Sonja Steffen. Sie ist noch Abge- Jetzt hat er aber gewartet!) ordnete des Deutschen Bundestages. Ich hoffe sehr, dass sie auch Mitglied des nächsten Deutschen Bundestages – Nicht rentenpolitisch inhaltlich, sondern ordnungspoli- sein wird. Beide sind Menschen, die ich sehr tief in mei- tisch, meine Herren. Das wollte ich noch ausdrücklich nem Herzen mitnehmen werde. erwähnt haben. Von daher muss man an der Stelle sehr genau hinschauen. Meine Fraktion hat das eine oder andere mit mir ertra- gen, mich aber Gott sei Dank meistens getragen. Meine Damen und Herren, das ist heute hier meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. Einige werden Ich denke, wenn wir ehrlich sind, geht es uns meistens sich darüber freuen, andere vielleicht nicht. Man weiß es so: Abgeordnete sind nur so gut wie ihre Büros, ihre Mit- nicht so genau. arbeiter. Zum Schluss bedanke ich mich vor allen Dingen bei all denjenigen, die für mich gearbeitet haben, insbe- (Heiterkeit) sondere bei zweien, die elf Jahre lang an meiner Seite wa- ren: Das sind Annette Reinhardt und Andrea Franz. Deswegen möchte ich mich bei einigen Menschen be- danken. (Beifall im ganzen Hause) 30810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Anton Schaaf (A) Nach mir wird für unsere Fraktion noch Silvia Es wäre noch das eine oder andere zu sagen; aber am (C) Schmidt sprechen. Auch sie hält heute ihre letzte Rede Ende ist es nicht mehr und nicht weniger als ein Danke- hier im Deutschen Bundestag. Silvia, ich wünsche dir al- schön. Toni, du warst ein guter Kollege, und wir werden les, alles erdenklich Gute. dich vermissen. Meine Damen und Herren, vielen Dank. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall im ganzen Hause)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Trotz einer gewissen Rührung geht jetzt die Debatte Ich merke, es wird allmählich eine Feierstunde. weiter. Der Kollege Kolb von der FDP hat das Wort. (Heiterkeit)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Jetzt hat der Kollege Birkwald das Wort. Mal sehen, wie er das meistert. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen, dass ich jetzt nicht imstande bin, mich über (Beifall bei der LINKEN) die Garantierente der Grünen auszulassen. Vielmehr will ich meine vier Minuten Redezeit dir, lieber Toni Schaaf, Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): widmen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Es hat sich immer gelohnt, dir zuzuhören. Das hat nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich werde man auch heute gemerkt. Wenn du ans Rednerpult trittst, Sie nicht enttäuschen, Herr Präsident. Es ist der seltene dann ziehst du die Aufmerksamkeit auf dich, weil alle Fall eingetreten, dass ich einer Rede des Herrn Kollegen wissen, dass du uns, egal woher wir kommen und wel- Kolb fast komplett zustimmen kann. Dafür herzlichen chen Hintergrund wir haben, mit deiner authentischen Dank, lieber Kollege Kolb. Art etwas zu sagen hast. (Beifall des Abg. Frank Heinrich [CDU/CSU]) Ich habe mir deinen Werdegang im Bundestagshand- buch noch einmal angeguckt und kann wirklich nur sa- Dir, lieber Toni, sage ich herzlichen Dank für deine gen: Chapeau! Respekt! Du hast eine tolle Lebensleis- Arbeit hier. Unsere Wertschätzung dir gegenüber ist tung vollbracht und – da bin ich mir sicher – auch noch schon angesprochen worden. Ich kann mich dem nur an- das eine oder andere vor dir. Wir haben uns neulich in schließen. Du wirst uns hier fehlen. Danke für die Zeit (B) Mannheim getroffen. Dort warst du in Motorradkluft. mit dir. (D) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sah gut (Beifall im ganzen Hause) aus!) Jetzt geht es aber wieder um die Sache. Der neue Ar- muts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt: Ich weiß, dass du Hobbys hast, die dich ausfüllen wer- Das Risiko, in der Altersarmut zu landen, hat in den ver- den. Ein Mensch so aktiv wie du wird sich aber nicht gangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Altersarmut voll und ganz zurückziehen. Das weiß ich, und das hoffe ist schon heute ein Problem. Im Antrag der Grünen heißt ich. Wie auch immer: Du wirst für uns auch aus der es mit Blick auf die Zukunft: Ferne Ratgeber bleiben. Ohne Gegenmaßnahmen werden die Altersarmut Du bist ein respektabler und von allen Fraktionen ge- … in den nächsten Jahren gravierend zunehmen. schätzter Kollege gewesen; das habe ich schon gesagt. Ich war heilfroh, dass ich dich in der Arbeitsgruppe Traurig, aber wahr. Schwarz-Gelb ist bei diesem Thema wusste, als die SPD ihr Rentenkonzept entwickelt hat, ein kompletter Totalausfall. Von der Bundesregierung einen, der die Dinge am Ende zusammenführt und in der kommt zur Bekämpfung der Altersarmut seit fast vier Lage ist, überschießende Ambitionen zu dämpfen, der Jahren kein Gesetzentwurf, kein Antrag – rein gar nichts. auch weiß, dass das alles am Ende etwas kostet und die Bald gibt es ja Schulzeugnisse. Im Fach „Bekämpfung der Menschen, die hart arbeiten, das mit ihren Steuern und Altersarmut“, Herr Staatssekretär, bekommt Schwarz- Sozialversicherungsbeiträgen bezahlen müssen. Diese Gelb nur ein Armutszeugnis. Setzen! Sechs! Erdung und diese Bodenständigkeit zeichnen dich aus. Das habe ich immer sehr geschätzt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Anton Du hast uns die Meinung gesagt, auch heute. Heute Schaaf [SPD]) warst du zurückhaltend; da wäre mehr gegangen. Wer den Toni kennt, der weiß: Das war mit angezogener Die Grünen haben nun einen Antrag zur Bekämpfung Handbremse vorgetragen. der Altersarmut vorgelegt. Darin steht viel Richtiges, zum Beispiel zu den Verwerfungen am Arbeitsmarkt und (Heiterkeit im ganzen Hause) dass das Auseinanderdriften in viele Arme und wenige Reiche verhindert werden muss. Dafür kämpfen wir Lin- Du hast uns immer deine Meinung gesagt, oft zu Recht, ken schon lange. auch heute. Mehr will ich dazu nicht sagen. Wir wissen gemeinsam, wie das zu verstehen ist. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30811

Matthias W. Birkwald (A) Meine Damen und Herren, die Renten sinken. Jeder (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (C) Rentnerjahrgang, der neu in Rente geht, hat im Durch- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) schnitt weniger Rente als der Jahrgang zuvor. Warum? denn mehr als die Hälfte der Westrentnerinnen erreichen Unter anderem deshalb, weil SPD und Grüne in ihrer die geforderten 30 Versicherungsjahre derzeit nicht. Regierungszeit das Rentenniveau abgesenkt haben. Eine Rente von ehedem 1 000 Euro wird im Jahr 2030 eben (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ nur noch 800 Euro wert sein. Das ist eine wesentliche DIE GRÜNEN]: Beitragsjahre!) Ursache für die Altersarmut von heute und morgen. Die Grünen wollen das Rentenniveau weiter absenken. Das Eine Garantierente, die sie nicht bekommen, nützt ihnen hat die Kollegin Brigitte Pothmer vergangenen Oktober nichts. Sie nützt ihnen auch deshalb nichts, weil sie nur in der Neuen Osnabrücker Zeitung offen zugegeben, und für Neurentnerinnen und Neurentner gedacht ist. Men- niemand hat ihr widersprochen. Ich sage Ihnen: Wer das schen, die schon heute unter Altersarmut leiden, lassen Rentenniveau weiter absenkt, ist für mehr Altersarmut die Grünen im Regen stehen. Das ist für uns Linke voll- verantwortlich und nicht für weniger. Das ist nicht in kommen inakzeptabel. Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Nun zur Höhe Ihrer Garantierente. 30 Entgeltpunkten soll sie entsprechen. Das sind ab dem 1. Juli 844,20 Euro Wir Linken wollen das Rentenniveau wieder auf 53 Pro- für eine Alleinstehende, brutto. Netto sind das dann noch zent anheben, also so, wie es im Jahr 2000 war, bevor 757 Euro. Das liegt gerade einmal 50 Euro über dem SPD und Grüne die Renten in den Sinkflug getrieben ha- Bruttobedarf der Grundsicherung im Alter. 50 Euro sind ben. viel Geld. Altersarmut verhindern sie nicht. Wegen des Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rente erst ab 67 sinkenden Rentenniveaus werden die 30 Entgeltpunkte wird für die ganz große Mehrheit der Beschäftigten jedes Jahr weniger wert. Die grüne Garantierente ist nichts weiter als eine gigantische Rentenkürzung wer- demnach eine Armutsgarantie. Deswegen: Sorry, Ihr den. Fast alle Fliesenleger und Erzieherinnen können Konzept ist halbherzig. nicht bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten. Keine (Beifall bei der LINKEN) 10 Prozent der 64-Jährigen haben noch einen Vollzeit- job. Schon heute geht jeder Zweite mit Kürzungen in Die Linke fordert gute Arbeit statt Leiharbeit und an- Rente, im Schnitt mit 109 Euro weniger. Mit der Rente dere prekäre Jobs, 10 Euro gesetzlichen Mindestlohn erst ab 67 wird sich die Höhe der Rentenkürzungen lang- und gute Renten deutlich über der Armutsrisikogrenze fristig fast verdoppeln. Damit ist klar: Die Rente erst ab für alle, die jahrzehntelang eingezahlt haben. Als Schutz (B) (D) 67 ist eine weitere Ursache für Altersarmut. Was machen vor Altersarmut fordert die Linke eine solidarische Min- die Grünen? Sie halten an der Rente erst ab 67 fest. Das destrente von zunächst 900 Euro und dann 1 050 Euro ist die Wahrheit; aber das geht nicht. – netto, steuerfinanziert und einkommens- und vermö- gensgeprüft – für alle Menschen, die sie brauchen, damit (Beifall bei der LINKEN) niemand im Alter in Armut leben muss. Sinkendes Rentenniveau und Rente erst ab 67, das ist Herzlichen Dank. eine ganz gefährliche Kombination. Für viele normal (Beifall bei der LINKEN) oder schlecht verdienende jüngere Beschäftigte, die nach 1964 geboren sind, bedeutet das schlicht: Sie müssen im Alter in Armut leben. Das will die Linke mit aller Kraft Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: verhindern. Das Wort hat nun Frank Heinrich für die CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Altersarmut bekämpfen – mit der grünen Garantie- neten der FDP) rente klappt das nicht. Sie ist eine Mogelpackung. Wa- rum? Zwei Drittel der armen Alten sind Frauen. Alters- Frank Heinrich (CDU/CSU): armut ist überwiegend weiblich. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollegen! Wir beraten heute ein von den Grünen NEN]: Ja! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn bekanntes Rentenkonzept; es steht erneut auf der Tages- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) ordnung. Es ist insofern bekannt, als wir in dieser Legis- laturperiode das fünfte Mal darüber reden, immer in an- Um die grüne Garantierente zu erhalten, muss jemand deren Zusammenhängen. Bisher hat dieses Konzept aber mindestens 30 Versicherungsjahre vorweisen kön- keine Mehrheiten gefunden. Ich denke, es wurde immer nen. begründet abgelehnt. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Warum sollte es diesmal anders sein – nicht nur von NEN]: Mit Kindererziehungszeiten!) unserer Seite –, was ist daran neu? Sie haben als Antwort auf Ihre Große Anfrage zur Altersarmut eine ausführli- Diese Bedingung soll ab sofort gelten. Das heißt: Jede che Stellungnahme seitens der Bundesregierung bekom- zweite westdeutsche Rentnerin würde leer ausgehen; men. Die Antwort liegt seit zwei Jahren vor. Darin ist 30812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Frank Heinrich (A) begründet, warum Ihr Vorschlag für uns nicht akzeptabel (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (C) ist. Zur Erinnerung: Die gesetzliche Rentenversicherung NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen doch, dass ist beitragsbezogen – das ist einer der Punkte –; allge- eine Monatsausgabe nicht so viel ist!) meine Mindestrenten gibt es nicht – das ist auch so ge- Dann zu sagen, dass sich der eigene Rentenbeitrag wollt –, mit zwei Einschränkungen, die Sie wohl kennen: wieder lohnen muss, was sich nicht mit der Forderung bei besonders niedrigen Pflichtbeiträgen vor 1992 und nach einer Garantierente, durch die explizit auch Nicht- bei den Kinderberücksichtigungszeiten ab 1992. Es gibt beitragszahler gefördert werden, deckt, das ist mir nicht keinen Bedarf für eine Mindestrente – so denken wir verständlich. zumindest –, da wir seit 2003 eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ha- ben. Wir haben da eine vollkommen andere Herange- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hensweise und sehen auch keinen Änderungsbedarf. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage – Ich zitiere aus der erwähnten Antwort der Bundesre- gierung: Frank Heinrich (CDU/CSU): Nein, ich möchte nicht. Mit der Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – damals – – des gefeierten Anton Schaaf? die Entscheidung gefallen, die Trennung der versi- cherungsmäßig ausgestalteten Alterssicherung, ins- Frank Heinrich (CDU/CSU): besondere in Form der gesetzlichen Rentenversi- Das lasse ich natürlich zu. Bitte schön. cherung, und des als Ergänzung erforderlichen sozialhilferechtlichen Auffangnetzes beizubehalten. Anton Schaaf (SPD): Das war eine lange erwogene strategische Entscheidung. Das habe ich jetzt gnadenlos ausgenutzt, das ist schon klar. – Jetzt zur Mütterrente. Es gibt ja zwei Argumenta- Sie sprachen auch die Finanzierung an. Alle Versiche- tionsstränge. Der erste ist die Gleichbehandlung derer, rungszeiten sollen als Voraussetzung für den Erhalt der die Erziehungszeiten nach 1992 angerechnet bekommen, Garantierente anerkannt werden, auch beitragsfreie Zei- und derer, die sie vor 1992 angerechnet bekommen. Jetzt ten. Das widerspricht unserer Vorstellung, dass Nicht- sagen Sie mir einmal, wie man, wenn man nicht 13,2 Mil- leistung gerade nicht mit Leistung gleichgesetzt werden liarden Euro einsetzt, sondern – so wie Sie in Ihren Über- darf. Als flankierende Maßnahme – mein Kollege Weiß (B) legungen – nur 6 Milliarden Euro, die Gleichstellung er- (D) ist darauf eingegangen – 80 Prozent der privaten Alters- reicht. Das schafft man so nicht. Das ist der erste Punkt. vorsorge anzurechnen, ist für uns nicht hinnehmbar. Der zweite Argumentationsstrang ist die Armutsver- Jetzt komme ich auf einen Punkt zu sprechen, den meidung. Selbst wenn wir drei Entgeltpunkte annehmen, mein Kollege schon genannt hat: Die Garantierente er- reden wir über um die 80 Euro. Was ist daran armutsver- neut auf die Tagesordnung zu setzen, hat schon etwas meidend bei jemandem, der beispielsweise 500 Euro von Wahlkampf. Wir müssen uns noch einmal mit den Rentenanspruch hat? Die Argumentation ist ja völliger Themen, die Ihnen wichtig sind, beschäftigen, obwohl Quatsch. wir da eigentlich so weit aufgeräumt haben, wie wir es für richtig hielten. Im Gegenteil: Die Arbeitsmarktpoli- Frank Heinrich (CDU/CSU): tik der Koalition ist erfolgreich – das ist breit Ich wollte an dieser Stelle gar nicht auf die Mütter- anerkannt –, die Arbeitslosenquote so niedrig wie lange rente eingehen. Ich wollte damit nur die Argumentation nicht. Damit ist die Zahl der Einzahler ins Rentenversi- ad absurdum führen. Wenn man die 13 Milliarden Euro, cherungssystem sehr hoch. Mein Kollege hat die Zahlen die im Raum stehen, Notgroschen nennt, dann ist das genannt; sie verdeutlichen die Steigerung. Im Gegensatz schon frappierend. Das kostet uns ja etwas; wir tätigen dazu haben Sie die Zahlen in den Zeiten, in denen Sie an diese Aussage nicht leichtfertig. Da ist es schon merk- der Regierung waren, heruntergefahren. Wir glauben, würdig, wenn gedacht wird, wir bezahlten das aus der sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist der beste Portokasse. Schutz vor Altersarmut. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ Drei Punkte in Ihrem Antrag sind schon ein bisschen DIE GRÜNEN]: Portokasse?) polemisch. Sie haben uns vorgerechnet, dass die Strei- chung der Rentenbeiträge für ALG-II-Beziehende zur Ich selber habe eine dezidierte Meinung zu diesem Verschärfung der absehbar ansteigenden Altersarmut Thema; diese ist jetzt aber nicht relevant. Das Thema führten. Wenn Sie das durchrechnen, werden Sie sehen, Mütterrente ist jedenfalls diskussionswürdig. Ich bin be- dass die Altersarmut nicht wegen dieser Kleinstbeträge geistert über die Diskussionen darüber in meinem Um- entsteht. feld. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dieser Diskus- sionsprozess fortgesetzt wird. Der zweite Punkt ist, dass Sie sagen, wir würden die sogenannte Mütterrente mit dem „Notgroschen“ bezah- Ich will noch etwas zu dir sagen, lieber Anton. Die len. Das sind 13 Milliarden Euro. Das „Notgroschen“ zu Anekdote, die ich anderen immer wieder gerne erzähle, nennen, ist schon ein bisschen herausfordernd. wenn es um die Kollegialität geht, die ich als Anfänger Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30813

Frank Heinrich (A) hier in diesem Parlament erfahre, betrifft deine Person. der Antrag macht mir in dieser Hinsicht schwer zu schaf- (C) Wir trafen uns bei „Ossi“. Ich hatte die jüngste meiner fen; denn hier wird allgemein dargelegt, was Altersar- drei hübschen Töchter dabei. In dem Moment, als wir mut verursacht. Eine Ursache für Altersarmut ist, dass uns begegneten, lieber Anton, hast du zuerst mich, dann Menschen nicht so viel in die Rentenkasse einzahlen meine Tochter angeschaut und hast schließlich zu mir konnten. Das trifft vor allen Dingen auf Ostdeutschland gesagt: Mensch, du kannst ja auch schön! – Du wirst mir zu. Hier gibt es überproportional viele prekäre Beschäf- – vielleicht auch den anderen, die nun von dieser Begeg- tigungsverhältnisse. Davon sind, wie Sie zu Recht er- nung wissen – immer als guter Kollege in Erinnerung wähnen, Frauen besonders betroffen. Zum einen verdie- bleiben. Wir sind in diesem Parlament nicht immer ge- nen Frauen generell weniger. Hier gibt es noch viel zu geneinander. Ganz herzlichen Dank für deine Kollegiali- tun. Zum anderen erhalten Frauen im Osten – insofern tät! sind sie doppelt betroffen – nicht den Tariflohn, der ih- nen eigentlich zusteht, weil es noch keine Angleichung (Beifall im ganzen Hause) gibt. Ich wollte einfach auf die polemische Begründung des Antrags eingehen. Mir ist wichtig, darzulegen, dass Wir haben einiges gemacht. Wenn Sie gestatten, es ein Widerspruch ist, wenn man auf der einen Seite möchte ich auf einige Anträge meiner Fraktion einge- sagt: „Das Zahlen von Rentenbeiträgen muss sich wieder hen. Schließlich diskutieren wir heute im Plenum aller lohnen“, und auf der anderen Seite die Garantierente Voraussicht nach das letzte Mal über das wichtige – auch für Nichtbeitragszahler – explizit fördert. Wir fin- Thema Renten. Ich hoffe, dass ich klarmachen konnte, den, dass die Garantierente nicht gerecht ist. Wer be- dass mir Ostdeutschland besonders wichtig ist. Ich wusst Teilzeit statt Vollzeit arbeitet oder viele beitrags- glaube, viele Kolleginnen und Kollegen aus den anderen freie Zeiten aufzuweisen hat, wird gegenüber dem Fraktionen sehen das genauso wie ich. Wir haben einen Durchschnittsverdiener mit höherer Beitragsleistung Antrag auf Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeits- – gemäß diesem Modell: zu Recht – subventioniert. Das gruppe zur Vorbereitung eines Rentenüberleitungsgeset- kommt für uns nicht infrage. Das Äquivalenzprinzip so- zes bzw. einer Härtefondsregelung eingebracht; Sie ha- wie die lohn- und beitragsorientierte Rente werden so ben diesen leider bereits abgelehnt. Das ist ein ganz ausgehebelt. Neue Ungerechtigkeiten wären die Folge, wesentliches Thema. Die unterschiedlichsten Berufs- die in der Bevölkerung sicherlich nicht ohne Widerhall gruppen sprechen uns immer wieder darauf an. Die bleiben würden, wie ich finde: absolut zu Recht. Ich ver- Frauen und Männer werden immer älter, sie kämpfen; mute, Sie verstehen, dass wir Ihrem Antrag nicht zustim- das muss man einfach wissen, und dem sollte man Rech- men werden. nung tragen. (B) Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Der andere Punkt betrifft die sofortige Ost-West-An- (D) gleichung von pauschal bewerteten Versicherungszeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie möchten die soge- neten der FDP) nannte Mütterrente haben, aber selbst wir haben das bei den Kindererziehungszeiten in unserem Antrag schon Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: festgeschrieben. Sie hätten also etwas tun können und et- Das Wort hat nun Silvia Schmidt für die SPD-Frak- was tun müssen. tion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir haben natürlich ein Regierungsprogramm – las- Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): sen Sie mich diese Anmerkung noch machen –, und un- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolle- ser Antrag wird noch in diesem Hohen Haus behandelt gen! Auch ich trete heute das letzte Mal an das Redner- werden. Wir wollen eine generelle Rentenangleichung pult. 16 Jahre Behindertenpolitik im Ausschuss für Ar- von Ost und West haben. Das soll, natürlich stufenweise, beit und Soziales zu betreiben, war nicht immer leicht. bis zum Jahr 2020 geschehen. Das ist ganz wichtig. Wir Gerade jetzt kommen unglaublich viele Herausforderun- sprechen in diesem Zusammenhang auch über eine Soli- gen auf uns zu. Diese hätte ich gerne noch gemeistert, darrente. Das ist ein wesentlicher Punkt. aber leider Gottes bin ich jetzt selbst behindert. Ich habe nicht die Möglichkeit, mir einen politischen Assistenten Als Letztes möchte ich doch noch die Gelegenheit an meine Seite zu nehmen und meine Arbeit fortzuset- nutzen, einigen Kolleginnen und Kollegen zu danken. Es zen. Das ist nun einmal so in der Politik; Sie kennen das sind nicht allzu viele hier, mit denen ich immer zusam- sicherlich. Ausführlich danken werde ich zum Schluss. menarbeite. Behindertenpolitik ist vielleicht nicht unbe- dingt das Lieblingsthema von allen. Maria Michalk ist Ich möchte einiges zur Rentenpolitik und insbeson- eine Seele von Mensch in der CDU/CSU, sie bringt sich dere zu Ihrem Antrag sagen. Generell haben Sie viele sehr engagiert in die Politik ein. Ich möchte auch Frau Punkte in Ihrem Antrag aufgenommen. Tendenziell wol- Molitor erwähnen, die sich frisch mit der Materie be- len wir alle, dass Menschen im Alter auskömmlich leben schäftigt. Grüßen Sie sie ganz herzlich von mir. Sie soll können. Herr Heinrich, ich habe mich gewundert – ich weitermachen, und ich hoffe, dass sie weitermacht. weiß nicht, ob das jeder angesichts der vielen Formeln, um die es in der Rentenpolitik geht, mitbekommen hat –, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie macht wei- dass Sie die Ostrenten einfach vergessen haben. Auch ter!) 30814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Silvia Schmidt (Eisleben) (A) Der liebe Markus Kurth hat dieses Thema über Jahre Es sind deshalb wenige, weil die Rente eben doch für die (C) hinweg besetzt. Er ist einer der Experten hier im Deut- meisten aufgrund der Arbeits- und Familienphasen und schen Bundestag. Das muss ich ihm einfach lassen. der Art, wie das Leben bisher gelebt worden ist, im Alter Markus, bleib dabei, und überzeuge vor allen Dingen noch reicht. Aber es wird Änderungen geben. Das Wich- noch viele, die Bundesinitiative „Daheim statt Heim“ zu tigste, was die Politik machen muss, um Altersarmut in unterstützen. der Zukunft zu verhindern, ist, für möglichst viele Men- schen Erwerbsbiografien zu verstetigen. Das ist ein Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten reich, in dem gerade diese Regierungskoalition so er- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des folgreich war wie wenige Regierungskoalitionen zuvor, Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) insbesondere wenn man an die Zeit von Rot-Grün denkt. Das wäre eine ganz wichtige Forderung, die ich noch Die vergangenen Jahre der christlich-liberalen Koali- hätte. tion waren vier gute Jahre für Deutschland. Insofern ist Ilja Seifert ist nicht da. Er ist genauso Experte in eige- es nicht ganz richtig, wenn Sie sagen, dass wir bei der ner Sache wie ich. Ich bedaure, dass Ilja vielleicht nicht Bekämpfung von Altersarmut nichts erreicht hätten. Ge- mehr in den nächsten Deutschen Bundestag einzieht. rade als Vertreter der jungen Generation muss ich sagen: Auch er hat viel zur Behindertenpolitik beigetragen. Durch die wachstumsorientierte Politik, die diese Regie- rungskoalition auf den Weg gebracht hat, ist es gelun- Ich glaube, dass wir über die Fraktionsgrenzen hin- gen, dass so viele Menschen sozialversicherungspflich- weg ein gleiches Bild haben. Wir konnten uns nie so tig beschäftigt sind wie noch nie in der Geschichte der böse streiten, wie das andere hier getan haben. Das zeigt, Bundesrepublik Deutschland. dass wir alle hier Verantwortung für Menschen überneh- men, die unsere Unterstützung brauchen. Ich bitte Sie: (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Reden Sie im Zusammenhang mit Menschen mit Behin- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Altersarmut derung nie von Schwachen; denn diese Menschen ma- steigt!) chen uns stark und lassen uns selber wachsen. Das ist wichtig, weil es gerade für die Zukunft verhin- (Beifall im ganzen Hause) dern wird, dass Menschen altersarm sind. Das war eine richtige Politik, und deshalb werden wir die richtige Lassen Sie mich noch ganz kurz ein Dankeschön los- Politik ab September für vier weitere gute Jahre in werden. Ich danke meiner Familie – oben auf der Tri- Deutschland fortführen. büne sitzen meine Tochter und meine Enkelkinder –, und ich hoffe, dass ich auch einmal Zeit für sie haben werde. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Meine Tochter hat mich ebenso unterstützt wie meine der CDU/CSU) (B) (D) Mutter und mein Sohn Peter. Es ist manchmal so: Man freut sich; das geschieht nicht so oft. Das wissen auch Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Sie selber. Deswegen bitte ich Sie: Denken Sie auch an Grünen, das, was Sie in Ihrem Antrag zum Thema Frei- beträge ausführen, finde ich unterstützenswert. Bei Ihrer sich, an Ihre Gesundheit, an Ihre Gefühle, an Liebe und Hoffnung. Denken Sie auch darüber nach, was Matt Reform der Grundsicherung bzw. der Garantierente Lamb – das ist ein irisch-amerikanischer Künstler – im- möchten Sie Freibeträge für die anderen Säulen einfüh- ren. Das ist ein richtiger Weg; das sage ich als FDP-Poli- mer sagt: Das Leben ist keine Generalprobe. – Tun Sie tiker ganz bewusst. Wir halten das für den richtigen jetzt, was Sie tun wollen! Vergessen Sie manchmal, dass W immer Forderungen an Sie gestellt werden. eg. In dieser Hinsicht ist das jetzige Grundsicherungs- system überarbeitungsbedürftig. Bei verschiedenen an- Übrigens, Gott segne Sie alle! deren Punkten können wir nicht mitgehen – das haben die Kollegen der Union schon angesprochen –, zum Bei- (Beifall im ganzen Hause) spiel beim gesetzlichen Mindestlohn. Interessanterweise schweigen Sie sich in Ihrem Antrag über dessen Höhe Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: aus. Ihre Forderung von 8,50 Euro, die Sie sonst immer Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion. erheben, führen bei weitem nicht dazu, dass man sich (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Frank über das Niveau Ihrer Garantierente hinausbewegen Heinrich [CDU/CSU]) kann. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Sie in Ihrem Antrag die Zahl von 8,50 Euro nicht nennen. Pascal Kober (FDP): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deswe- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im gen sagen wir ja auch: 10 Euro ist das Mini- Alter arm zu sein, ist etwas, was niemandem zu wün- mum!) schen ist. Altersarmut ist eine Belastung, der wir vonsei- Deshalb wird es auch nicht zielführend sein, wenn Sie es ten der Politik nach Möglichkeit präventiv begegnen so machen wie die Linken, müssen; denn sie ist tatsächlich eine ganz schwierige Si- tuation. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist auf jeden Fall besser!) Glücklicherweise sind heute erst wenige davon be- troffen. Natürlich ist Altersarmut für jeden, der schon die über die Rentenpolitik die Höhe des Mindestlohnes heute davon betroffen ist, ein schweres Schicksal. Aber bestimmen. Generell lehnen wir einen gesetzlichen Min- man muss auch sagen: Es sind wenige, glücklicherweise. destlohn ab. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30815

Pascal Kober (A) Es geht auch nicht – ein Satz noch –, dass Sie sich Das zeigt sehr deutlich, welche Ungerechtigkeit mit ei- (C) über die tatsächlichen Kosten der Garantierente aus- nem solchen System verbunden ist. Wir werden diesen schweigen. Sie sprechen von 1 Milliarde Euro in den Antrag natürlich ablehnen. nächsten Jahren, Ich glaube, es ist gegenüber allen Beitragszahlern und (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das reicht hinten Beitragszahlerinnen der gesetzlichen Rentenversiche- und vorne nicht!) rung ein hohes Gebot, am sogenannten Äquivalenzprin- dann von 5 Milliarden Euro, wenn bestimmte Maßnah- zip festzuhalten. Toni Schaaf hat dies gelobt, auch ge- men nicht ergriffen werden. Werden diese Maßnahmen genüber dem Kollegen Kolb. Alle Formen von ergriffen, bleiben die Kosten unter 5 Milliarden Euro. Verbesserungen im Rahmen der gesetzlichen Rentenver- sicherung – das ist eine kritische Diskussionsphase – (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 15 bis 20 Mil- sind immer auch gegenüber den langjährigen Beitrags- liarden Euro sind realistisch!) zahlerinnen und Beitragszahlern zu begründen. Das geht Dann müssen Sie aber konkret sagen, welche Maßnah- bei den Modellen, die heute eingebracht werden, auch men das sind. Sie fordern zum Beispiel eine Bürgerver- von der SPD, verloren. Über die Modelle der Linken sicherung, wie Sie es auch im Bereich der Krankenversi- mag ich gar nicht reden. Der parteipolitische Überbie- cherung wollen. tungswettbewerb – 900 Euro oder 1 050 Euro Rente – hat begonnen nach dem Motto: Ich werde heute geboren und weiß schon, dass ich ab meinem 65. Lebensjahr Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – bei den Linken nicht; bei den Linken am liebsten Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. schon ab dem 50. –

Pascal Kober (FDP): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, Wir wissen, dass das Arbeitsplätze kosten wird. Am nein, nein! Wir wollen das erst ab 65!) Ende machen Sie mit Ihrer Steuer- und Gesundheitspoli- 1 000 Euro Rente bekommen kann. Das widerspricht al- tik genau das, was Sie hier beheben wollen: Sie schaffen len Realitäten. Sie wissen alle hier im Raum, dass das Altersarmut, indem Sie Arbeitsplätze vernichten. nicht zu bezahlen ist. Ihnen, liebe Frau Schmidt, dir, lieber Toni Schaaf, Dies bleibt auch der Vorschlag der Grünen schuldig. vielen Dank, dass ich euch habe kennenlernen dürfen in Sie reden in Ihrem Antrag von knapp 1 Milliarde Euro meiner ersten Legislaturperiode im Deutschen Bundes- Kosten, aber ich verstehe es nicht, denn Sie haben das tag. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ihnen, Frau Schmidt, Modell mit Professor Hauser erarbeitet. Professor Hauser wünsche ich vor allen Dingen Gesundheit. Ich freue unterstellt 30 Pflichtbeitragsjahre und redet dann von (B) (D) mich auf viele Begegnungen mit dir Toni in Baden- 5 Milliarden Euro Kosten im Jahr. Sie nehmen alle Zeiten, Württemberg. Ihnen beiden Gottes Segen. die in irgendeiner Art und Weise im Leben „entwickelt“ (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie wurden, und diese werden dann als Versicherungszeit bei Abgeordneten der SPD) zugrunde gelegt. Ich habe es vorhin schon gesagt: 30 Jahre ALG-II-Bezug bedeuten dann hinterher 850 Euro Rente. Da kann es mit den Kosten gar nicht Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ausgehen. Deshalb ist das ein Programm aus dem Wol- Das Wort als letzter Redner zu diesem Debattenpunkt kenkuckucksheim. Entschuldigung, Herr Strengmann- hat der Kollege Max Straubinger für die CDU/CSU- Kuhn, ich hätte Ihnen in dieser Rentendebatte mehr und Fraktion. Besseres zugetraut. Das sage ich Ihnen ganz offen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – neten der FDP) Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es war jemand aus Bayern, der das ge- Max Straubinger (CDU/CSU): rechnet hat! Das kann gar nicht falsch sein – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir hal- Wir debattieren heute diesen Rentenvorschlag der grü- ten fest: Die CSU ist für Altersarmut!) nen Bundestagsfraktion. Ich bin erstaunt über dieses Modell, vor allen Dingen, weil es meines Erachtens eine – Nein, nein. – Werte Damen und Herren, ich sage noch große Ungerechtigkeit für alle darstellt, die in der ge- etwas: Wir werden als CDU/CSU – besonders die CSU – setzlichen Rentenversicherung versichert sind. Dieses in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam die Ver- Modell führte letztendlich dazu, wenn man es ganz dras- besserung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten tisch darstellen möchte, dass man nach 30 Jahren ALG- umsetzen. II-Bezug eine Rente von knapp 850 Euro bekommt. Ich Lieber Toni Schaaf, du hast gesagt, wir hätten das frage mich schon, was ein Maurer, was ein Zimmerer, schon versprochen. Wir haben einen Prüfauftrag in den was ein Dachdecker davon halten soll, der die ganzen Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Jahre tagein, tagaus gearbeitet hat und möglicherweise eine Rente in der gleichen Höhe bezieht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mit der FDP!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann erhöht doch mal das Rentenniveau! Ihr treibt „Prüfauftrag“ heißt noch nicht, dass es umgesetzt wird. den Maurer in die Altersarmut!) Diese Koalition legt besonderen Wert darauf, dass beab- 30816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Max Straubinger (A) sichtigte Leistungen auch finanziell untermauert sind. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (C) Da wir damals mit einer ganz anderen Schuldensituation regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes in unserem Land konfrontiert waren, war es die erste, zur Förderung der Sicherstellung des Not- wichtige und richtige Maßnahme, Haushalte zu konsoli- dienstes von Apotheken (Apothekennotdienst- dieren. Deshalb ist das noch nicht umgesetzt. Wir wür- sicherstellungsgesetz – ANSG) den uns auch wünschen, dass es schneller gehen würde. – Drucksache 17/13403 – Aber auch im Sinne der nachfolgenden Generation ist es das Erste, dass wir Haushaltskonsolidierung betreiben, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- dass wir keine neuen Schulden mehr machen. Dann kön- ses für Gesundheit (14. Ausschuss) nen wir dies in die Tat umsetzen. – Drucksache 17/13769 – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Berichterstattung: Dafür steht diese Koalition, und das werden wir auch in Abgeordneter Michael Heinrich der Zukunft beachten, auch in einer weiteren Regie- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) rungszeit. gemäß § 96 der Geschäftsordnung Zum Schluss meiner Rede möchte auch ich Frau Kol- – Drucksache 17/13771 – legin Schmidt danken und ihr alles Gute wünschen und meinerseits besonders auch Toni Schaaf herzlich für die Berichterstattung: Kollegialität und freundschaftliche Verbundenheit dan- Abgeordnete Alois Karl ken. Lieber Toni Schaaf, du vermutest, dass Karl Ewald Schurer Schiewerling ob seiner großartigen sozialpolitischenen Otto Fricke Einstellung bei der falschen Partei gelandet ist. Ich Roland Claus denke, dir wäre es genauso ergangen, wenn du in Bayern Katja Dörner gewesen wärst. Dann wärst du wahrscheinlich bei der b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- CSU und würdest dort Sozialpolitik machen. nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und wurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der FDP – Lachen bei der SPD) arzneimittelrechtlicher und anderer Vor- schriften Ich weiß das aus vielen Begegnungen und Unterhaltun- gen, die wir freundschaftlich, gelegentlich auch bei ei- – Drucksache 17/13083 – nem Bier, gehabt haben. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (B) (D) regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten In diesem Sinne alles Gute für die Zukunft und besten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtli- Dank für die kollegiale Zusammenarbeit! cher und anderer Vorschriften (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP – Drucksache 17/13404 – und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- NEN]: Toni, deine zweite Karriere in Bayern!) ses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/13770 – Vizepräsidentin Petra Pau: Berichterstattung: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Abgeordneter Michael Heinrich Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13493 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner, (Unruhe) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD – Während der weiteren Zeremonien auf der linken Seite Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen des Hauses bitte ich gleichzeitig diejenigen, die der wei- teren Debatte nicht folgen wollen, die notwendigen Um- – Drucksachen 17/12847, 17/13770 – gruppierungen vorzunehmen. Berichterstattung: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: Abgeordneter Michael Heinrich a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich wurfs eines Gesetzes zur Förderung der höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla- (Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz – mentarische Staatssekretärin Ulrike Flach. ANSG) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Drucksache 17/13081 – der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30817

(A) Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Es war immer unser ausdrücklich erklärter Wille, dass (C) minister für Gesundheit: das Nutzenbewertungsverfahren, welches wir mit dem Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz erfolgreich einge- legen! Auch ich habe heute die ehrenvolle Aufgabe, führt haben, auch für den Bestandsmarkt Anwendung mich von Ihnen zu verabschieden. Aber ich möchte doch finden muss; denn natürlich kann eine Nutzenbewertung gerne mit dem beginnen, weswegen ich eigentlich heute nicht nur neue Medikamente betreffen, sondern selbst- hier bin. Mein Minister guckt auch schon sehr zweifelnd. verständlich muss dies auch in der Rückbesinnung gel- Wir bringen nämlich eines unserer letzten Gesetzesvor- ten. haben ein. Dieses Gesetzesvorhaben ist eines, auf das wir auch sehr stolz sein können. Wir beraten heute den Außerdem haben wir klargestellt, dass die Schieds- Gesetzentwurf zur Sicherstellung des Notdienstes von stelle bei der Festsetzung des Erstattungsbetrages unter Apotheken und das Dritte Gesetz zur Änderung arznei- freier Würdigung aller Umstände entscheidet, und der mittelrechtlicher und anderer Vorschriften. Gemeinsame Bundesausschuss erhält in den Fällen mehr Flexibilität bei der Auswahl der zweckmäßigen Ver- Mit unserem Vorhaben, die Sicherstellung des Apo- gleichstherapie, in denen mehrere Therapien aus medizi- thekennotdienstes zu fördern, ergänzen wir ganz gezielt nischen oder Evidenzgesichtspunkten gleichermaßen das im letzten Jahr in diesem Hohen Hause beratene und – gleichermaßen! – zweckmäßig sind. In diesen Fällen in Kraft getretene GKV-Versorgungsstrukturgesetz. Dies kann künftig der Zusatznutzen gegenüber jeder der glei- ist ein wichtiges Gesetz; denn wir alle wissen aus eige- chermaßen zweckmäßigen Vergleichstherapien nachge- ner Erfahrung: Eine Krankheit kommt oft unangekündigt wiesen werden. Damit stellen wir sicher, dass vorhan- und hält sich dabei überhaupt nicht gerne an die Öff- dene Evidenz nicht aus formalen Gründen verloren geht. nungszeiten unserer Apotheken. (Beifall bei der FDP) Mit unserem Gesetzentwurf zum Apothekennot- dienst wollen wir deshalb die Arzneimittelversorgung Meine Damen und Herren, dies ist im Interesse der der Menschen – gerade auch außerhalb der regulären Patienten und Patientinnen und nicht unbedingt im Inte- Öffnungszeiten der Apotheken – nachhaltig sicherstel- resse der Industrie, wie uns manch einer gerne unter- len. Dabei haben wir besonders die ländlichen Apothe- stellt. Ergänzend stellen wir sicher, dass, falls kein ken im Blick; denn natürlich ist dort der Mangel beson- Zusatznutzen nachgewiesen werden kann, der Erstat- ders eklatant, und ich glaube, dass wir mithilfe dieses tungsbetrag nicht höher sein darf als der Preis der wirt- Gesetzentwurfs den Notdienst in ländlichen Gebieten schaftlichsten Alternative. Damit besteht für Hersteller nachhaltig sicherstellen. eben kein Anreiz, eine teure Vergleichstherapie zu wäh- len, um ohne Nutzennachweis einen hohen Erstattungs- (B) Meine Damen und Herren, die Apotheken werden betrag zu erzielen. Das war uns wichtig, meine Damen (D) künftig jeweils zwischen 20 und 6 Uhr den vollständig und Herren, erbrachten Notdienst durch einen pauschalen Zuschuss vergütet bekommen. Gezahlt werden sollen diese Zu- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schüsse aus einem Fonds, den der Deutsche Apotheker- denn darum geht es uns: Wir wollen den Patienten hel- verband errichtet und verwaltet. Die Finanzierung des fen, wir wollen die Arzneimittelversorgung sichern, und Zuschusses erfolgt über eine Erhöhung des Festzu- wir wollen sehen, dass alle in diesem Lande ordnungsge- schlags, den die Apotheken bei der Abgabe verschrei- mäß versorgt werden. bungspflichtiger Arzneimittel erheben. Dieser ist aus- drücklich zur Förderung der Sicherstellung des Liebe Kollegen, das war der offizielle Teil meiner Notdienstes von Apotheken bestimmt und zu diesem Rede, jetzt kommt der inoffizielle. Ich möchte mich Zweck vollständig an den Fonds abzuführen. heute verabschieden. Natürlich möchte ich damit begin- nen, mich bei meiner eigenen Fraktion, die zu dieser spä- Der zweite Teil, nämlich der Teil, der die arzneimit- ten Stunde so zahlreich erschienen ist, telrechtlichen und andere Vorschriften betrifft, ist im Wesentlichen einem besonderen Ziel gewidmet, nämlich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Arzneimittelsicherheit für die Menschen in unserem Lande zu erhöhen. Wir setzen hiermit eine europäische besonders herzlich zu bedanken. Wir haben gemeinsam Richtlinie um, wir verschärfen bestehende Dopingvor- nicht nur friedliche Zeiten erlebt, aber wir haben sie er- schriften, und wir sorgen dafür, dass die lang geforderte folgreich bewältigt. Ich glaube, dass ich vielen, die jetzt Transparenz bei Anwendungsbeobachtungen deutlich hier in den Reihen sitzen, sehr viel Dank schulde. erhöht wird. Jetzt schaue ich nicht auf Birgit, obwohl das jetzt ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rade jeder erwartet; ich meine sie natürlich immer. Ich schaue ganz speziell auf Heinz Lanfermann. Unsere ge- Wir stellen klar, dass für Arzneimittel des Bestands- meinsame Arbeit hat etwas holprig begonnen. Aber wir markts, die einer Nutzenbewertung unterzogen werden, beide sind nicht nur zusammen zur Schule gegangen, grundsätzlich dieselben Regelungen gelten wie für neue sondern haben auch sehr schnell gelernt, miteinander er- Arzneimittel. Damit sind wir in der Lage, dem G-BA die folgreich für die FDP zu arbeiten. Herzlichen Dank, Möglichkeit zu geben, die Bewertung der entsprechen- Heinz, dass das so gut gelungen ist! den Arzneimittel zügig und vor alle Dingen rechtssicher umzusetzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 30818 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Parl. Staatssekretärin Ulrike Flach (A) Liebe Kollegen, ich bin in diesen 15 Jahren in vier Es war eine spannende Zeit. Aber wenn Sie mich fra- (C) verschiedenen Ausschüssen gewesen: Ich habe mit der gen, was bei mir in meiner wahrscheinlich unruhigen Umweltpolitik angefangen. Dann habe ich – das war Rentenzeit hängen bleiben wird, dann sage ich: Es sind sehr anregend – die Bildungs- und Forschungspolitik be- unsere ethischen Entscheidungen, beginnend Anfang des gleitet. Ich bin seitdem erklärter Antiföderalist; letzten Jahrzehnts mit der Entscheidung zur Stammzell- forschung bis hin zu unserem erfolgreichen Antrag zur (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) PID, zu denen wir zusammen mit Ihnen gekommen sind, das sage ich jetzt einmal in Richtung der Herren und Da- nicht nur mit der FDP, wobei ich das Wort „nur“ jetzt men von CDU/CSU. Ich war in einer unendlich span- kleinschreibe. Ich sehe, dass Petra Sitte da ist. Ich weiß, nenden Zeit im Haushaltsausschuss, lieber Otto. dass Carola Reimann heute nicht da sein kann. Ich möchte an dieser Stelle herzliche Grüße an Dann habe ich bei den Kollegen aus dem Gesund- und richten. Ich glaube, das waren die heitsbereich sehr viel lernen können; das hätte ich nie tollsten, die beeindruckendsten und die schönsten Zei- gedacht, aber es war so. Ich konnte bei meiner Fraktion ten, die ich in diesem Parlament erleben konnte. Denn lernen, wie fürchterlich man beim Thema MVZ aufpas- nicht immer treffen wir mit Gewalt aufeinander, sondern sen muss. vieles machen wir gemeinsam, und das ganz gut. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Herr Präsident, wenn Sie mir erlauben – – Ich konnte bei den geschätzten Kollegen von CDU/CSU, (Heiterkeit) lieber Jens und lieber Johannes, lernen, wie man nächte- lang asynchrone Arzthonorierung diskutieren kann. – Frau Präsidentin, Entschuldigung. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Asymmetrisch!) Vizepräsidentin Petra Pau: „Asynchron“ fängt eigentlich mit A an; aber es endete Die Frau Präsidentin überlegt gerade, wie sie das hin- eigentlich immer mit B wie Bayern. Auch das habe ich bekommt. dabei gelernt. (Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordne- Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- ten der CDU/CSU) minister für Gesundheit: Ich bin dank Herrn Terpe von den Grünen ein großer Das ist die Folge, wenn man Mitglied der FDP-Frak- Fachmann der Drogenpolitik geworden: tion ist. (B) (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der (Heiterkeit) (D) CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Petra Pau: DIE GRÜNEN]: Oh! Das freut uns!) Ich habe ein gewisses Verständnis für diese Folgen. fünf Anhörungen im Drogenbereich. Ich habe den leider (Heiterkeit) nicht anwesenden, aber trotzdem geschätzten angehenden zukünftigen Gesundheitsminister Karlchen Lauterbach Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michaela minister für Gesundheit: Noll [CDU/CSU]: Nee, nee, nee! Das bleibt Frau Präsidentin, ich möchte meine Rede mit einem Wunschdenken!) Zitat eines Politikers beenden, der weit bekannter ist, als über viele Monate begleiten können. Ich glaube zwar ich das bin: Harry Truman, einem der amerikanischen nicht, dass er wirklich der zukünftige Gesundheitsminis- Präsidenten. Bei seinem Abschied sagte er: ter ist; aber wir wissen ja, wie es so ist. Er hat mir bei- Ich war kein großer Präsident, aber ich habe eine gebracht, dass die FDP und die CDU/CSU noch so sehr wunderbare Zeit mit dem Versuch verbracht, einer versuchen können, den Arzneimittelnutzen zu bewerten zu werden. und die Preise zu dämpfen: Irgendwo lauert immer der böse Lobbyismus in unseren Gesetzen. In diesem Sinne, liebe Kollegen, habe ich es auch be- trieben. Ich wünsche Ihnen weiterhin eine gute und er- (Zuruf von der SPD: So ist es!) folgreiche Legislatur, das gilt auch für die nächste. Ma- Das war etwas schwierig zu ertragen, aber wir haben es chen Sie es gut, auch ohne mich! gemeinsam bewältigt. Herzlichen Dank. Ich hatte zudem ein Erweckungserlebnis. Ich habe ge- (Beifall im ganzen Hause) lernt: Nicht die FDP, liebe Kollegen, ist der Freund der Apotheker. Es gibt eigentlich nur eine einzige Fraktion, die Apothekertage rockt: Das sind die Linken. Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat die Kollegin Dr. Marlies Volkmer für die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hei- SPD-Fraktion das Wort. terkeit – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da- rüber sind die Leute vor Ort noch begeistert!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30819

(A) Dr. Marlies Volkmer (SPD): sich an der medizinischen Versorgung etwas verbessert. (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das halten wir für falsch. Dass diese feierliche Stimmung über uns alle gekommen (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist skanda- ist, so versöhnlich, mit so vielen Danksagungen und so lös!) viel gegenseitigem Verständnis, das ist sehr schön. Auch ich wünsche Ihnen alles Gute, liebe Frau Flach. Trotz- – Ja, da haben Sie recht. Es ist auch skandalös, dass die dem muss ich diese feierliche und harmonische Stim- Kolleginnen und Kollegen der Koalition kurz vor Ende mung ein bisschen der Legislaturperiode ihre eigenen Bemühungen zur Be- (Iris Gleicke [SPD]: Rocken!) grenzung der Arzneimittelpreise derart aushöhlen. durcheinanderbringen. Es tut mir Leid. Das erinnert mich daran, wie ein Gesundheitsminister Seehofer vor Jahren unter dem Beifall der Pharmaindus- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Immer dieselbe!) trie die erarbeitete Positivliste für Arzneimittel in den Reißwolf steckte. Es ist ebenfalls skandalös, dass Sie Die gestrige Ausschusssitzung war das Gegenteil von diese bedeutenden Änderungen faktisch in einer Nacht- Harmonie. Es war für mich ein Lehrbeispiel dafür, wie und-Nebel-Aktion durchführen, um jede sachliche Aus- man Politik nicht machen darf. einandersetzung zu unterbinden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Auch die angemessene Diskussion der Anträge im LINKEN) Rahmen einer dringend notwendigen öffentlichen Anhö- SPD und externe Experten hatten schon 2010 während rung mit unabhängigen Experten wurde von der Koali- der Beratungen zur frühen Nutzenbewertung von Arz- tion mit ihrer Mehrheit abgelehnt, und das, obwohl Sie neimitteln auf Fehlentscheidungen und handwerkliche selbst im Ausschuss überhaupt nicht sagen konnten, wie Fehler im Gesetz hingewiesen. Darüber hat sich die sich diese Änderungen qualitativ und finanziell auswir- schwarz-gelbe Koalition ohne Prüfung Kraft ihrer Mehr- ken werden. Das ist ein Armutszeugnis für Sie. heit hinweggesetzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein der LINKEN) Blödsinn!) Handeln noch in dieser Legislaturperiode hätten wir Mehr Gehör fanden die großen pharmazeutischen Unter- uns bei einem Thema gewünscht, das für viele Patientin- nehmen, die verständlicherweise in ihrem unternehmeri- nen und Patienten lebensnotwendig ist. Das betrifft die schen Eigeninteresse handeln. zeitweiligen Lieferengpässe bei einigen Arzneimitteln für Krankenhäuser. Hier geht es vor allem um Antibio- (B) Gestern brachten die Koalitionsfraktionen in letzter (D) tika bzw. Medikamente zur Behandlung von Krebser- Sekunde vor der Sitzung des Gesundheitsausschusses krankungen. Da haben Sie nichts gemacht. Dabei haben Anträge für weitreichende Änderungen an der frühen wir es Ihnen leicht gemacht. Wir haben einen Antrag Nutzenbewertung von Arzneimitteln ein. eingebracht und Ihnen praktisch Lösungen auf dem Sil- (Heinz Lanfermann [FDP]: Das war Montag!) bertablett serviert. – Nein, lieber Herr Lanfermann. Unser Antrag zeigt deutlich, was alles getan werden muss, um Lieferengpässe transparent zu machen, ihr (Heinz Lanfermann [FDP]: Dienstag!) Auftreten zu reduzieren und den Umgang mit ihnen zu Mittwochfrüh um 7.30 Uhr habe ich diese Anträge verbessern. Zunächst ist es wichtig, dass die Kranken- auf meinem Tisch gefunden. Das ist auch nicht verwun- häuser und die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte derlich; denn das Sekretariat des Gesundheitsausschus- über drohende Lieferengpässe überhaupt rechtzeitig Be- ses hat die Anträge am Dienstagabend zugeleitet bekom- scheid wissen. Dazu müssen die Arzneimittelhersteller men, zu diesem Zeitpunkt war aber niemand mehr im gesetzlich verpflichtet werden; Sekretariat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist ja unglaub- der LINKEN) lich! Wo waren die denn?) denn es ist wichtig, dass dies rechtzeitig bekannt ist, da- Bisher gilt bei der frühen Nutzenbewertung: Gibt es mit man sich auf eine Therapie und auf Therapieumstel- bei einer Erkrankung mehrere evidenzbasierte Thera- lungen einstellen kann. Sie setzen auf freiwillige Mel- pien, wird die wirtschaftlichste Therapie als Vergleichs- dungen. Freiwillige Meldungen reichen nicht, das zeigt therapie für die Nutzenbewertung eines neuen Präparats die Praxis. Zweitens brauchen wir eine Bevorratung von gewählt. Künftig kann die pharmazeutische Industrie lebensnotwendigen Medikamenten. Die Hersteller müs- selbst die Therapie auswählen, die zum Vergleich bei der sen eine Vorhaltung dieser Präparate für mindestens frühen Nutzenbewertung herangezogen wird. Dies wird sechs Monate gewährleisten. natürlich keine Therapie mit einem preisgünstigen Gene- Ich möchte noch über einen weiteren Punkt sprechen, rikum sein, und das wird sich natürlich auf die Arznei- weil er besonders gravierend ist. Im vergangenen Jahr mittelpreise auswirken. wurde der patentgeschützte Wirkstoff Alemtuzumab zur Die resultierenden Mehrausgaben dürfen die Bei- Behandlung einer Form der Leukämie vom Hersteller tragszahler dann alleine schultern, übrigens ohne dass europaweit zurückgezogen. Er soll mit der alleinigen 30820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Dr. Marlies Volkmer (A) Zulassung für die neue Indikation Multiple Sklerose zu dem Vorwurf ausgesetzt, wieder Interessen der Pharma- (C) einem deutlich höheren Preis auf den Markt gebracht lobby zu bedienen. Deshalb darf ich Ihnen heute Folgen- werden. Leider gibt es aktuell keine Möglichkeit, ein des in Erinnerung rufen: Wir haben in den letzten vier solches Vorgehen, das der Gewinnmaximierung des Un- Jahren 15 Milliarden Euro Einsparungen im Arzneimit- ternehmens dient, zu verhindern. Es ist dringend erfor- telsektor erzielt. derlich, für solche Fälle eine Lösung zu finden, (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber da macht Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]) Schwarz-Gelb nichts!) Das waren 7 Milliarden Euro bei den Herstellern, 4 Mil- damit es nicht zu einer Verschlechterung der Gesund- liarden Euro bei den Apothekern und rund 4 Milliar- heitsversorgung von Patientinnen und Patienten kommt. den Euro über die Rabattverträge. Ich kann mich noch an Wir wollen, dass geprüft wird, ob in diesen Sonderfällen die Zeit von Rot-Grün erinnern. Damals hat Bundes- eine Einschränkung des Patentschutzes möglich ist und kanzler Schröder die Pharmalobby zu einem Glas Rot- anderen Herstellern die Erlaubnis erteilt werden kann, wein in das Bundeskanzleramt eingeladen. dieses Medikament für die ursprüngliche Indikation wie- der auf den Markt zu bringen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Rich- tig!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schutz des geis- tigen Eigentums durch Patente kann bei einer Güterab- Dabei hat man Einsparungen von 600 Millionen Euro er- wägung nicht höher bewertet werden als die Gesundheit zielt. bzw. der Schutz des menschlichen Lebens. Das ist Poli- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Genau! tik im Sinne der Patientinnen und Patienten. Diese Poli- Einmalig!) tik vermissen wir bei Ihnen. Wir lassen uns von vielen Lobbyismus vorwerfen, aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht von der SPD. der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ganz Der Kollege Michael Hennrich hat für die Unions- herzlich bei den Grünen bedanken, fraktion das Wort. (Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) die bei dieser schwierigen Entscheidung ganz nüchtern (B) abgewogen haben, ob es Sinn macht. Sie haben dem Ge- (D) Michael Hennrich (CDU/CSU): setzentwurf im Ausschuss nicht zugestimmt, sondern Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sich enthalten; aber das hat die Sache für uns ein biss- Kollegen! Erlauben Sie mir zunächst, bevor ich auf das chen einfacher gemacht. Dafür an dieser Stelle ein herz- eigentliche Thema eingehe, ein paar Worte an Sie, Frau liches Dankeschön. Flach, richten zu dürfen. Ich habe Sie in vier Jahren Ge- sundheitsausschuss als jemanden kennengelernt, der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sehr nüchtern und sehr pragmatisch an die Themen her- Ich möchte ganz kurz inhaltlich auf die zwei Gesetz- angegangen ist und immer an der Sache orientiert war. entwürfe eingehen, zunächst auf das Apothekennot- Besonders hat mich in den letzten vier Jahren beein- dienstsicherstellungsgesetz. Wir haben in Deutschland druckt, dass Sie immer ohne Polemik ausgekommen das Problem, dass die vielen Apotheken in den Ballungs- sind. Wir haben uns eigentlich ein bisschen an Sie ge- räumen relativ wenige Notdienste durchführen müssen. wöhnt, und jetzt gehen Sie. Das ist schade. Wir wün- Wenn sie Notdienste leisten müssen, dann können sie ei- schen Ihnen aber weiterhin alles Gute und hoffen, dass nen entsprechenden Umsatz verzeichnen. In ländlichen Sie der Gesundheitspolitik verbunden bleiben! Regionen, in dünn besiedelten Regionen haben wir das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Problem, dass die Apotheken sehr häufig Notdienst leis- ten müssen, ohne dass sie entsprechende Umsätze gene- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beraten rieren können. Ich glaube, dieses Maßnahmenpaket ist heute und in zweiter und dritter Lesung das Apotheken- ein wichtiges Signal an die Apothekerschaft, aber auch notdienstsicherstellungsgesetz und das Dritte Gesetz zur an die Patienten, dass die flächendeckende, bedarfsge- Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschrif- rechte und wohnortnahe Versorgung sichergestellt wird. ten. In Zukunft bekommt jeder Apotheker, der einen voll- Frau Volkmer, ich möchte vorab einiges zu dem sa- ständigen Notdienst – von 20 Uhr bis 6 Uhr morgens – gen, was Sie zum Thema Beratung bei der Vergleichs- ableistet, eine Pauschale von rund 200 Euro. Man muss therapie gesagt haben. Wir hatten da eine schwierige auch einmal sagen, um welche Beträge es sich dabei Entscheidung zu treffen. Ich sage es Ihnen ganz offen: handelt. Ich denke, das ist eine angemessene Entloh- Wir haben uns lange überlegt, wie wir uns diesem nung. Sie ist nicht zu hoch, sie ist passend. Thema nähern, weil wir natürlich wussten, was vonsei- Ich will zwei Punkte ansprechen, die wichtig sind: ten der Opposition auf uns zukommt. Wenn wir ein Thema, das die Arzneimittelversorgung angeht, vernünf- Die Umsatzsteuerproblematik konnten wir leider tig regeln wollen, sehen wir uns sofort und automatisch nicht gesetzlich regeln. Wir gehen aber davon aus, dass Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30821

Michael Hennrich (A) das Bundesfinanzministerium mit den Landesfinanzmi- Dankes an die Parlamentarische Staatssekretärin, an (C) nistern eine Lösung findet, damit dieser Betrag den Apo- Frau Flach, richten. Unsere Zusammenarbeit konnte man thekern ungeschmälert zur Verfügung steht. sicherlich nicht immer als harmonisch und gut bezeich- nen, aber Sie haben mir wenigstens etwas beigebracht. Ich möchte auch auf die Diskussion über die Verwal- Sie haben mir beigebracht, wie man Kleine Anfragen tungsstrukturen eingehen. Von der Opposition wurde im- und andere parlamentarische Anfragen der Opposition mer wieder angemerkt, es gebe effizientere Lösungen. so beantwortet, dass möglichst wenig daraus entnehmbar Ich habe mir von der Apothekerschaft sagen lassen, mit ist. Dadurch haben Sie mich immer wieder dazu ange- welchen Verwaltungskosten sie ungefähr rechnet. Sie reizt, nachzufragen, nachzuhaken und so meine Opposi- geht davon aus, dass die Verwaltungskosten bei 1 Pro- tionsarbeit zu machen. Insofern war das, glaube ich, ein zent liegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der GKV- gewisses Zusammenspiel. Auch ich wünsche Ihnen alles Spitzenverband Bund oder sonst jemand das hätte güns- tiger machen können. Gute auf Ihrem weiteren Weg. Ich will auch kurz auf den Entwurf eines Dritten Ge- Jetzt zur Sache. Wir reden hier heute über zwei Ge- setzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer setzentwürfe aus dem Hause Bahr. Bei dem einen geht es Vorschriften eingehen. Was haben wir da gemacht? Wir um die Sicherstellung des Apothekennotdienstes. Die haben die europäische Pharmakovigilanzrichtlinie um- Linke begrüßt, dass die Apothekennotdienste jetzt auch gesetzt. In Zukunft müssen Unternehmen, die freiwillig vergütet werden sollen; denn das hilft, die wohnortnahe Arzneimittel vom Markt nehmen, die Behörden umfas- Versorgung auch am Wochenende und in der Nacht, also sender informieren. Das soll sicherstellen, dass die Un- rund um die Uhr, zu erhalten, und stärkt die Apotheken ternehmen es sich sehr genau überlegen, ob sie zu dieser auf dem Land. Deshalb stimmen wir Ihrem Gesetzent- Maßnahme greifen. Wir haben rechtliche Veränderungen wurf zu, auch wenn wir das Finanzierungsmodell für un- vorgenommen, was die Bekämpfung des Dopings im nötig kompliziert und bürokratisch halten. Es ist jeden- Sport angeht, und wir haben, wie gesagt, das AMNOG falls ein Schritt in die richtige Richtung. noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Dabei haben wir drei ganz wesentliche Punkte geklärt: (Beifall bei der LINKEN) Wir haben zum einen geregelt, dass bei der frühen Beim zweiten Gesetzentwurf geht es um die Ände- Nutzenbewertung im Bestandsmarkt die Unternehmen rung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften. die identischen Rechtsmittel haben wie bei neuen Wirk- Dieser Gesetzentwurf ist eine Art Lumpensammler und stoffen; da gab es ja gewisse Unsicherheiten. Wir haben greift verschiedene Sachverhalte auf, die vor dem Ende bei der Wahl der Vergleichstherapie eine gewisse Flexi- der Wahlperiode schnell noch geregelt werden sollen. (B) bilität geschaffen. Uns war auch wichtig, im Gesetz klar- (D) zustellen, dass Unternehmen und GKV-Spitzenverband, (Heinz Lanfermann [FDP]: Das sind feinste wenn ein Zusatznutzen belegt ist, Preise aushandeln Stoffe! Keine Lumpen!) müssen, dass es also keinen festen Algorithmus gibt. Dem ursprünglichen Entwurf hätten wir übrigens zu- Mit diesen drei Maßnahmen bringen wir, denke ich, stimmen können. Umsetzung unstrittiger EU-Richtli- das AMNOG insgesamt gut zum Laufen. Ich hoffe, dass nien, Rechtsklarheit für die frühe Nutzenbewertung und wir keinen Nachbesserungsbedarf haben werden. Die verbesserte Regelungen gegen Doping im Sport – wer Änderungen, die wir durchgeführt haben, belegen, dass sollte etwas dagegen haben? Auch die Regelung, dass wir als Gesetzgeber verpflichtet sind, diesen Prozess das Ministerium künftig die Gehälter von Kassenvor- weiterhin zu beobachten und, falls es notwendig ist, an ständen kontrollieren soll, hätten wir mitgetragen. Doch der einen oder anderen Stellschraube zu drehen. Span- mit den weiteren Änderungen haben Sie uns den Weg nend wird jetzt, wie sich das Thema „Preisfindung in der zur Zustimmung verbaut. Mit den zwei wichtigsten Schiedsstelle“ entwickelt. Aber auch da sind wir guten möchte ich mich hier auseinandersetzen. Mutes. Zuerst zu den Anwendungsbeobachtungen. Wir haben Ich glaube, wir legen heute ein Gesetzespaket vor, das hier schon oft darüber diskutiert, dass die Mehrzahl der in die richtige Richtung zeigt. Ich würde mich freuen, sogenannten Anwendungsbeobachtungen eben keine wenn Sie diesem zustimmen würden. wissenschaftlichen Studien sind, um Medikamente in Herzlichen Dank. der praktischen Anwendung zu untersuchen und die Arz- neimittelsicherheit zu verbessern. Es sind vielmehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schlecht getarnte Marketinginstrumente, bei denen Ärz- tinnen und Ärzte dafür bezahlt werden, dass sie be- Vizepräsidentin Petra Pau: stimmte, meist teure Medikamente einer bestimmten Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Firma verordnen. Es gibt ja durchaus auch Anwendungs- Fraktion Die Linke. studien, die für den Schutz der Patientinnen und Patien- ten sinnvoll sind. Um diese zu erkennen, brauchen wir (Beifall bei der LINKEN) ein verpflichtendes öffentliches Studienregister, wie es die Linke schon lange fordert. Aber diese notwendige Kathrin Vogler (DIE LINKE): Maßnahme verweigert Schwarz-Gelb hartnäckig. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte zu Beginn ein Wort des (Beifall bei der LINKEN) 30822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Kathrin Vogler (A) Die Transparenzregeln, die Sie jetzt hier vorschlagen, lich die richtigen Schlussfolgerungen ziehen und diese (C) reichen absolut nicht aus. Reine Marketingmaßnahmen, Regierung abwählen. von denen die Patientinnen und Patienten nichts haben, gehören nicht nur transparent gemacht, sondern gesetz- (Beifall bei der LINKEN) lich verboten. Diesen vollkommenen Murks kann die Linke jedenfalls (Beifall bei der LINKEN) nur ablehnen. Union und FDP aber wollen im Wahlkampf nur die kriti- Dem Antrag der SPD, etwas gegen Lieferschwierig- schen Bürgerinnen und Bürger beruhigen und vor allem keiten bei Medikamenten zu tun, stimmen wir hingegen der Industrie nicht wehtun. So geht es schon mal gar zu. Denn damit wird ein weiteres Problem aufgegriffen, nicht. das diese schwarz-gelbe Bundesregierung links liegen lässt. (Beifall bei der LINKEN) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Schon mal darüber Gestern Morgen um 7.30 Uhr haben Sie schnell noch nachgedacht, ob es da einen Zusammenhang eine Änderung vorgelegt, die es in sich hat, und diese geben könnte?) unmittelbar danach im Gesundheitsausschuss mit Ihrer Mehrheit durchgestimmt; die Kollegin Volkmer hat dazu Die sogenannte Gesundheitspolitik dieser Bundes- schon viel Richtiges gesagt. Interessant ist übrigens, dass regierung zugunsten der Konzerne und zugunsten der die Presse sehr viel früher Bescheid wusste als die Mit- Aktionäre hat dann hoffentlich ab dem 22. September glieder des Gesundheitsausschusses. „Koalition hilft der dieses Jahres ausgedient. Pharma-Industrie“ oder „Arzneireform wird geändert – Ich danke Ihnen. zugunsten der Industrie“, so lauteten die Schlagzeilen gestern früh, und zwar nicht etwa im Neuen Deutsch- (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Zöller land , sondern in der Süddeutschen Zeitung und im Han- [CDU/CSU]: Es lebe die DDR!) delsblatt. (Lachen des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender für die Frak- Worum geht es? Die Industrie soll künftig selbst aus- tion Bündnis 90/Die Grünen. wählen, gegen welche Vergleichstherapie sich ihre Pro- dukte bei den Prüfungen auf einen Zusatznutzen zu be- währen haben; na ja. Damit sabotieren Sie, liebe Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kolleginnen und Kollegen, Ihr eigenes Gesetz vom letz- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe (B) (D) ten Jahr, das AMNOG, das nach Ihren eigenen Aussagen Frau Flach, auch von mir noch ein kurzes Wort. Wir wa- – vor allem Herr Singhammer hat uns das ja vorgerech- ren in den letzten vier Jahren fast nie einer Meinung. Wir net – die Arzneimittelkosten der Krankenkassen um bis haben uns aber immer sachlich und dabei betont gut ge- zu 1,5 Milliarden Euro senken sollte. Den Änderungsan- launt ausgetauscht. Es hat Spaß gemacht mit Ihnen. Ich trag der Linken, mit dem die Herstellerrabatte und das wünsche Ihnen alles Gute. Preismoratorium um weitere zwei Jahre verlängert wer- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den sollten, haben leider alle anderen Fraktionen abge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der lehnt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Ar- CDU/CSU) mutszeugnis. Nun zum Gesetzentwurf. Da ist ja viel Routine drin. (Beifall bei der LINKEN) Es geht um die Umsetzung von EU-Recht; das haben wir Was heißt das? Ab dem 1. Januar nächsten Jahres ist schon gehört. Die Koalition feiert sich für eine bessere also wieder mit einer Preisspirale bei den Arzneimitteln Vergütung von Apothekennotdiensten. zu rechnen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Mit (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ach!) Recht!) Aber das muss Sie ja nicht belasten; denn damit muss Das Ziel, dadurch Landapotheken zu stärken, teilen wir. sich dann eine andere Regierung herumärgern. Wir müssen nur sagen: Sie haben sich wenig darum ge- kümmert, was Sie da eigentlich tun. Denn es liegen von (Jens Spahn [CDU/CSU]: Tätä! Tätä! Tätä!) nur zwei Bundesländern, nämlich von Bayern und Ba- Vor allem ärgert es die Versicherten, die dann tiefer in den-Württemberg, überhaupt Zahlen zur Belastung der die Tasche greifen müssen. Apotheken mit Notdiensten vor; von allen anderen Län- dern wissen wir gar nichts über die Verteilung. Sie haben den Aktionären der Pharmakonzerne schnell noch einmal gezeigt, wo sie am 22. September Noch weniger haben Sie sich darum gekümmert, sich dieses Jahres ihr Kreuzchen machen sollen. mit den Ländern zusammenzusetzen und den jetzigen Zuschnitt der Notdienstbezirke zu überprüfen, um zu (Jens Spahn [CDU/CSU]: Genau! Weil das ja vermeiden, dass Patienten von einem Ende des Land- so viele sind!) kreises, wo der ärztliche Notdienst ist, zum anderen Aber alle, die keine Pharmaaktien besitzen, alle, die Ende des Landkreises zur Notdienstapotheke fahren Krankenkassenbeiträge zahlen, werden daraus hoffent- müssen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30823

Birgitt Bender (A) (Heinz Lanfermann [FDP]: Darum sollten sich Zeitung stand. Bei dieser Gelegenheit hätten Sie uns den (C) Ihre Kreistagsfraktionen mal kümmern, wenn Gesetzentwurf gleich mitgeben können. Sie das so sehr ärgert!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN All das hat Sie nicht interessiert. Sie haben nur die be- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- sagten 120 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Da KEN) muss man schon sagen: Das ist Gesetzgebung im Blind- So war es uns kaum möglich, den Gesetzentwurf zu prü- flug. Das wirkt trotz der guten Absicht, die wir teilen, fen. nicht wirklich überzeugend. Interessant ist, dass Herr Singhammer der Pharma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) industrie in Aussicht gestellt hat, dass sie jetzt die Sie haben im Übrigen auch noch nicht abschließend Vergleichstherapie auswählen könne, die sie wolle. Der geklärt, ob den Apothekern, was die Umsatzsteuer be- Kollege Lauterbach hat dann gesagt: Eben das ist trifft, nicht eine doppelte Belastung droht; auch daran sei schlecht. – Wenn es so wäre, hätte er auch recht. Nur, das erinnert. Die heiße Nadel ist nie eine gute Ratgeberin. gibt der Wortlaut des vorgelegten Gesetzentwurfs gar nicht her. Zunächst hieß es, es soll in Apotheken vielleicht keine Apotheken Umschau, keine Tempos und keine (Jens Spahn [CDU/CSU]: Richtig!) Weihnachtskalender mehr geben. Es bleibt dabei, dass der G-BA die zweckmäßige Ver- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist doch Hum- gleichstherapie festlegt bug!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Endlich hat es mal Bei der Beratung stellt sich dann heraus: Doch, es gibt einer verstanden!) weiterhin die Apotheken Umschau, die Tempos, die und erst dann – lieber Kollege Spahn, ich sehe, wir sind Pflaster und die Weihnachtskalender. Aber das, was uns insoweit einig – der Hersteller tatsächlich eine Aus- nicht mit viel Geld im Fernsehen wie die Apotheken wahlmöglichkeit bekommt. Umschau beworben wird, sondern was sich jetzt eine Reihe nicht so ABDA-treuer Apotheken überlegt hat (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das müssen Sie – seien es 1-Euro-Gutscheine oder sonst etwas –, soll Frau Volkmer erklären!) verboten werden. Da muss man schon fragen: Wenn es Das halten wir für durchaus diskutabel; denn wir wollen, denn Kundenbindungsmittel gibt, warum sollen nur die dass auch da geforscht wird, wo bereits eine Versorgung einen angewendet werden, und warum sollen die ande- mit Generika möglich ist. Es kann ja sein, dass auch dort ren verboten werden? Das riecht doch sehr nach einer (B) noch ein Zusatznutzen erzielt werden kann. Da wir den (D) kleinen Gefälligkeitsaktion von Schwarz-Gelb zur politi- Gesetzentwurf nicht großartig diskutieren und überprü- schen Kundenbindung. Da sind wir nicht dabei. fen konnten, befürchten wir allerdings, dass es Manipu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lationsmöglichkeiten gibt. Wir halten diese Regelung sowie bei Abgeordneten der SPD) also für eine Regelung auf Bewährung. Deswegen haben wir uns in diesem Punkt enthalten. Es freut uns hingegen, dass die Koalition entdeckt hat, dass der Vorschlag der Grünen zur Verbesserung der Der Gesetzentwurf hat insofern durchaus Licht und psychotherapeutischen Versorgung gut ist. Wir halten Schatten, sodass wir ihm insgesamt nicht zustimmen zwar nicht viel von der Reservequote für die Ärzte; aber können. Wir sind auch nicht sehr zufrieden mit der Mini- wenigstens ist jetzt gesichert, dass nichtbesetzte Sitze korrektur beim Doping. Wir hätten vorgeschlagen, einen nicht angerechnet werden. Das wird insbesondere die Straftatbestand Sportbetrug einzuführen. Das wäre bes- psychotherapeutische Versorgung im Osten Deutsch- ser, als den Besitz entsprechender Mittel für strafbar zu lands verbessern; und das ist gut so. erklären. Nun denn, es gibt einige gute Regelungen, ei- nige zweifelhafte und einige gar nicht gute. Deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetz- Richtig ist auch, dass bei der Nutzenbewertung von entwurf enthalten. Arzneimitteln im Bestandsmarkt Rechtsklarheit geschaf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fen wird. Damit komme ich zu einem kontroversen Thema, nämlich die Regelung zur Vergleichstherapie, die Sie last minute eingebracht haben, dass bei verschie- Vizepräsidentin Petra Pau: denen Möglichkeiten nicht die wirtschaftlichste gewählt Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer für werden muss. die Unionsfraktion. Auch Rot-Grün hat oft lange beraten und entspre- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chende Gesetzentwürfe kurzfristig vorgelegt. Daher will ich Ihnen gar nicht vorhalten, dass der Gesetzentwurf Johannes Singhammer (CDU/CSU): sehr kurzfristig vorlag. Aber es fällt schon auf, dass wir Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und den Gesetzentwurf erst anderthalb Stunden vor der Herren! Wir verfolgen mit diesem Gesetzentwurf hin- Ausschussberatung bekommen haben, während Herr sichtlich der arzneimittelrechtlichen Vorschriften zwei Singhammer die Zeit hatte, die Presse am Vortag aus- Ziele: Das erste Ziel ist, dass die Patientinnen und Pa- führlich zu briefen, damit am nächsten Tag etwas in der tienten in Deutschland die besten, die neuesten und die 30824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Johannes Singhammer (A) wirksamsten neuen Arzneimittel erhalten. Das zweite können doch nicht so tun, als gäbe es da kei- (C) Ziel ist, dass die Finanzen der Krankenversicherungen, nen Zusammenhang!) soweit es geht, geschont bleiben. Mit dieser Klarstellung machen wir das und erreichen, Bei dem zweiten Ziel sind wir nachprüfbar sehr er- dass eine saubere Trennung möglich ist und auch durch- folgreich – der Kollege Michael Hennrich hat die Zahlen gesetzt wird. Das ist unser Ziel. Deshalb legen wir die- schon genannt –: Es gab in der Geschichte des deutschen sen Vorschlag vor. Ich denke, er ist sachgerecht und hilft Gesundheitswesens bei den Ausgaben für Arzneimittel dabei, unsere beiden Ziele zu realisieren und damit die noch nie einen solchen Rückgang. Seitdem wir im Jahr beste Versorgung für alle Patientinnen und Patienten in 2010 das AMNOG verabschiedet haben, sind die Ausga- Deutschland sicherzustellen. ben Jahr für Jahr beträchtlich – in Milliardenhöhe – ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schrumpft. Das ist gut so. Wir wollen das fortsetzen. Wir wollen aber auch, dass die Garantie, die die Menschen in Ich möchte in diesem Fall nicht zu Beginn, wie einige Deutschland haben, dass sie mit neuen, innovativen Me- Redner das schon getan haben, sondern am Schluss der dikamenten bestmöglich versorgt sind, erhalten bleibt. Staatssekretärin – dir, liebe Ulrike Flach – herzlich für Deshalb müssen wir beide Ziele in eine Balance bringen. eine gute Zusammenarbeit und eine hervorragende Ko- operation in der Koalition danken. Wir haben gemein- Es gibt bei den Medikamenten unterschiedliche Preis- sam viel erreicht, denke ich. Darauf können wir stolz niveaus in Europa. Nicht immer ist das niedrigste Preis- sein. niveau das beste für die Patientinnen und Patienten. Vor kurzem hat die Universität Bayreuth eine sehr interes- Danke schön. sante Studie dazu vorgestellt. In ihr wurden 39 neue, ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deutig innovative Substanzen, die für Patientinnen und Patienten wichtig sind und in den Jahren 2008 bis 2010 Vizepräsidentin Petra Pau: auf den Markt gekommen sind, verglichen, und es wurde untersucht, welche für alle Patientinnen und Patienten Das Wort hat der Kollege Steffen-Claudio Lemme für verfügbar geworden sind. Dabei wurde beispielsweise die SPD-Fraktion. festgestellt, dass in Spanien, das ein sehr niedriges Preis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) niveau hat, 8 dieser Substanzen verfügbar waren. Außer- dem hat man festgestellt, dass in Italien, wo das Preisni- Steffen-Claudio Lemme (SPD): veau ein bisschen höher ist, 11 dieser Substanzen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und verfügbar waren. Des Weiteren hat man festgestellt, dass Kollegen! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Flach, ich (B) in Deutschland alle 39 dieser neuen, innovativen Subs- wünsche Ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit. (D) tanzen verfügbar waren, und zwar nicht nur für eine be- stimmte Gruppe von Patienten, sondern für alle. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun zur Sache, zum Apothekennotdienstsicherstel- lungsgesetz: Es waren sicherlich nicht nur viele von uns, Unser Ziel ist es, dass es keine, wie auch immer gear- sondern auch viele Versicherte generell schon einmal in tete Abstufung beim Zugang zu neuen, innovativen, der Situation, nachts oder an einem Sonntag dringend wirksamen Medikamenten in Deutschland gibt. Das eine Apotheke aufsuchen zu müssen. In der Not schnell werden wir nicht zulassen. Wir wollen die besten Medi- das geeignete verschreibungspflichtige bzw. apotheken- kamente für alle. pflichtige Medikament zu bekommen, ist für die betrof- fenen Menschen wichtig. Auch die Gewissheit zu haben, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- dass im Notfall eine Apotheke in der Nähe aufgesucht rufe der Abg. Mechthild Rawert [SPD] und werden kann, verleiht den Menschen ein Gefühl von Si- Kathrin Vogler [DIE LINKE]) cherheit. Daher ist die wohnortnahe Sicherstellung des Deshalb haben wir diese Änderungen eingebracht. Mit Apothekennotdienstes ein wichtiges Element der ambu- ihnen verfolgen wir das klare Ziel, noch einmal das zu lanten Notfallversorgung. präzisieren, was wir bei der AMNOG-Gesetzgebung im Dringender Handlungsbedarf besteht insbesondere Jahr 2010 auch schon deutlich ausgedrückt hatten. Wir auf dem Land, da der Apothekennotdienst hier stark aus- wollen also die Trennung der beiden Schritte noch ein- gedünnt wurde und die Versicherten immer längere An- mal präzise festlegen. Schritt eins ist die Feststellung des fahrtswege zur nächsten Apotheke in Kauf nehmen müs- Zusatznutzens. Das ist ein empirischer, ein wissenschaft- sen. Die Finanzierung ist ungerecht. Das Nachsehen licher, ein evidenzbasierter Vorgang. Schritt zwei sind haben zumeist Apotheken im ländlichen Bereich. die Preisverhandlungen. Das ist ein ökonomischer Vor- gang. Er hat mit dem ersten nichts zu tun. Doch was hat uns Schwarz-Gelb hier vorgelegt? Ei- nen Gesetzentwurf, der zu kurz gedacht und zu kurz ge- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, ist klar!) sprungen ist. Wir wollen auch jedes Risiko vermeiden, dass beide (Beifall bei der SPD) Schritte vermischt werden könnten. Nehmen wir nur einmal die Entstehung des Gesetzes. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Der erste ist Es scheint, als wäre es in einer Nacht-und-Nebel-Aktion doch die Voraussetzung für den zweiten! Sie verfasst worden, um ja noch etwas vor der nächsten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30825

Steffen-Claudio Lemme (A) Wahl vorzeigen zu können. Wie ist es sonst zu erklären, (Beifall bei der CDU/CSU) (C) dass die Verbände und der Normenkontrollrat nur zwei Tage Zeit hatten, ihre Stellungnahmen dazu zu verfas- Jens Spahn (CDU/CSU): sen? Die Länder haben sich dank ihres optimierungsbe- dürftigen Zeitmanagements erst gar nicht beteiligen kön- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen. Wenn ich hier den Reden der SPD zu diesen beiden The- men lausche, habe ich nicht den Eindruck, dass Sie das Bei dieser Entstehungsgeschichte ist es nicht verwun- Gesetz in seiner Gesamtwirkung auch nur ansatzweise derlich, dass die Umsetzung deutliche Schwächen auf- verstanden haben. zeigt. So unterliegt die vorgesehene Einrichtung eines Fonds und die Verteilung der zusätzlichen Mittel einem (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist komplizierten Konstrukt. Wir halten es für unlogisch, ja nichts Neues! – Ulrich Kelber [SPD]: Das den Fonds beim Deutschen Apothekerverband anzusie- sagen Sie in jeder Debatte! Das ist das reinste deln. Eine mögliche Alternative wäre ja beispielsweise Rhetorikkursargument!) ein steuerfinanziertes Modell gewesen. Aber dieses ha- ben Sie gar nicht prüfen lassen. – Herr Kelber, Sie können das Gesetz ja einmal erklären. Ich glaube, Sie wissen nicht einmal, wie es heißt. Also Außerdem produziert der Fonds einen unverhältnis- seien Sie doch an dieser Stelle einfach ruhig. Nur, weil mäßig hohen bürokratischen Aufwand. Diese Auffas- Sie jetzt gerade einmal zufällig hier im Parlament sitzen, sung vertritt ebenso der Normenkontrollrat. Dabei brüs- müssen Sie nicht dazwischenrufen. tet sich die FDP doch gerne mit der Forderung nach Bürokratieabbau, und das im großen Stil. Wie man hier (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Na, na, na! – sehen kann, ist das alles nur heiße Luft. Aber das sind Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Hochmut wir ja von Ihnen gewöhnt. kommt vor dem Fall! – Iris Gleicke [SPD]: Schnösel! Wie immer! – Zuruf des Abg. (Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD] – Christine Ulrich Kelber [SPD]) Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ha, ha!) – Herr Kelber, wissen Sie, Sie haben ja ein dunkles Or- Ein wichtiges Ziel hätte sein müssen, die Apotheken gan. Das kommt immer durch. Deswegen sind Ihre Zwi- in strukturschwachen Regionen zu stärken und sie ange- schenrufe immer gut zu verstehen, aber leider nicht be- messen dafür zu vergüten, dass sie die Notfallversorgung sonders inhaltsvoll. mit Arzneimitteln bereitstellen. Es liegt doch auf der Hand, dass eine Apotheke in Berlin-Schöneberg sonn- Wir wollen aber jetzt darüber reden, worum es bei tags und nachts häufiger in Anspruch genommen wird (B) dem Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz geht. Das (D) als eine Apotheke im Harz oder im Thüringer Wald. sagt nämlich schon der Name. Es geht darum, dass wir (Iris Gleicke [SPD]: Stimmt!) die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Dienstleistungen in allen Bereichen ge- Der Bedarf nach zielgerichteten Maßnahmen für währleisten wollen. Es ordnet sich in einen Gesamtge- Apotheken in strukturschwachen Gebieten drängt sich setzgebungsprozess ein, den wir in den letzten Jahren nahezu auf. Doch durch den vorgelegten Gesetzentwurf begonnen haben. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturge- werden die hochfrequentierten Apotheken in Ballungs- setz wollten wir es für Ärztinnen und Ärzte weiterhin at- gebieten noch stärker bevorteilt. Das liegt an der von Ih- traktiv machen, sich im ländlichen Raum niederzulassen nen vorgeschlagenen Vergütungsstruktur. Die Bindung und somit dort die Versorgung sicherzustellen. der Notdienstpauschale an das Fixhonorar führt zu einer deutlichen Bevorzugung der städtischen Apotheken. Die Daneben geht es jetzt darum, den Notdienst der Apo- Vertreterin des GKV-Spitzenverbandes hat davor ge- theken, die zur Verfügung stehen müssen, wenn Patien- warnt, dass diese Regelung zu einer impliziten Dynami- tinnen und Patienten nachts Medikamente brauchen, sierung führen kann. Kurzum: Man kann die ländlichen erstmals überhaupt pauschal zu vergüten. Mit diesem Apotheken doch nicht dadurch fördern, dass man die Gesetzentwurf sagen wir: Dafür gibt es ein Fixhonorar städtischen Apotheken besser bezahlt. Das muss Ihnen von 250 Euro pro Dienst. Bei den Unterschieden, die es doch einleuchten. gibt – wir wissen, dass es in Bayern Apotheken gibt, die nur drei Notdienste im Jahr haben, während andere über (Beifall bei der SPD) 80 Notdienste haben –, spiegelt dies den Mehraufwand Auch wenn der Ansatz des Gesetzentwurfes zu begrü- tatsächlich angemessen wider. In einem weiteren Schritt ßen ist, so lässt die Ausgestaltung doch sehr zu wün- werden wir in den nächsten Wochen den Krankenhäu- schen übrig. Hier ist zu sehen, dass gut gemeint nicht sern Anreize und auch finanzielle Möglichkeiten geben, gleich gut gemacht ist. um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Ich danke Ihnen. Eines unterscheidet uns hier auf jeden Fall. Ihr Schat- tenkompetenzträger hat hier in einer Rede ja mal gesagt, (Beifall bei der SPD) das wäre eine Verbeugung vor den Apothekern, und Sie haben das Ärzte-Versorgungsgesetz ein „Ärztebeglü- Vizepräsidentin Petra Pau: ckungsgesetz“ genannt. Durch all dies wird deutlich, Das Wort hat der Kollege Jens Spahn für die Unions- dass Sie nicht verstehen, dass eine gute, flächende- fraktion. ckende Versorgung der Menschen nur mit den Ärzten, 30826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Jens Spahn (A) nur mit den Apothekern, nur mit den Pflegekräften er- Behandlungsmöglichkeiten. Deswegen stehen wir auch (C) reicht werden kann, und nicht gegen sie. zu dem, was wir hier tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- ruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Sie polemisieren andauernd gegen Ärzte und Apotheker und versuchen, einen Keil zwischen Patientinnen und Patienten sowie Ärzte und Apotheker zu treiben. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Hat er doch gar nicht! Stimmt doch nicht! Wir sind die besten Wir kommen zur Abstimmung über den von den Freunde!) Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge- setzentwurf zur Förderung der Sicherstellung des Not- Wir wollen das Gegenteil, und deswegen wollen wir die- dienstes von Apotheken. sen Dienst gerade auch in der Fläche im Land angemes- sen honorieren. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buch- stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) che 17/13769, den Gesetzentwurf der Fraktionen der Zum nächsten Thema. Frau Volkmer, auch hier muss CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/13081 in der ich sagen: Entweder waren Sie böswillig oder Sie haben Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die es nicht verstanden. Das Arzneimittelmarktneuord- dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen nungsgesetz sieht klar zwei Schritte vor: wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- Der erste Schritt ist die Nutzenbewertung von Arznei- ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen mitteln. Wir schauen: Wie viel besser ist ein Arzneimit- und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD- tel, das neu auf den Markt kommt, als das, was schon da Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- ist. Eine solche Nutzenbewertung – ist etwas besser als nommen. das, was schon da ist? – ist immer relativ. Wir lassen jetzt zu, dass dann, wenn es gegen eine bestimmte Dritte Beratung Krankheit schon heute mehr als ein Arzneimittel bzw. eine Therapie gibt, man einen Vergleich gegen eine von und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem diesen durchführen kann. Bei einem solchen relativen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Vergleich – es kommt ja immer darauf an, was Sie ver- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- gleichen – erhält man halt unterschiedliche Ergebnisse. entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen (B) und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD- (D) Der zweite Schritt ist, dass auf der Grundlage dieser Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- Ergebnisse Preisverhandlungen geführt werden. nommen. Deswegen ist es einfach nicht redlich, dass Sie sich Ich gebe dem Kollegen Wunderlich das Wort zu ei- hinstellen und sagen, es handelte sich um milliarden- nem Geschäftsordnungsantrag. schwere Geschenke für die Pharmaindustrie. Es ist okay, Wahlkampf in diesem Punkt zu betreiben; aber im politi- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): schen Miteinander geht es nun einmal gar nicht, die Sa- Gemäß § 45 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung ist der chen so sehr zu verfälschen, dass sie nicht einmal mehr Bundestag beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte sei- ansatzweise etwas mit dem zu tun haben, was wir tat- ner Mitglieder, mithin mehr als 310, im Sitzungssaal an- sächlich regeln. Das finde ich schon schwierig; wesend sind. Meine Fraktion bezweifelt das. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Zöller denn im Kern geht es um etwas anderes, und das haben [CDU/CSU]: Oh Gott!) Sie anscheinend auch noch nicht ganz verstanden. Sie können hier gerne Pharma-Bashing betreiben, Vizepräsidentin Petra Pau: weil Sie denken, dass es populär ist, immer auf die Phar- Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, maindustrie zu hauen. Aber eines, glaube ich, wissen die die wir uns selbst zu Beginn dieser Legislaturperiode ge- Menschen ziemlich gut, dass es nämlich neue Medika- geben haben, ist eindeutig. Zur Erklärung für alle im mente etwa gegen Krebs, MS, Rheuma, Hepatitis C, De- Saal Anwesenden, möchte ich Folgendes ausführen: menz und viele andere Krankheiten, die tatsächlich auch (Jens Spahn [CDU/CSU]: Erst zustimmen und besser sind und mehr leisten als die Medikamente, die dann anzweifeln!) schon auf dem Markt sind – es geht also nicht nur um eine andere Pillenfarbe –, nur dann geben wird, wenn Nach § 45 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung ist fest- wir solche Medikamente auch angemessen honorieren. gelegt: Sie mögen hier Pharma-Bashing betreiben, weil Sie Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschluss- meinen, dass das populär ist. Wir meinen, dass es richtig fähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden ist, Innovationen gut zu bezahlen, weil das für eine gute fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages Patientenversorgung wichtig ist; denn viele Menschen bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht warten dringend auf diese Medikamente und auf neue einmütig bejaht … Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013 30827

Vizepräsidentin Petra Pau (A) In diesem Fall ist mit einem Hammelsprung die Be- Nach unserer ständigen Übung ist der Deutsche Bundes- (C) schlussfähigkeit festzustellen. tag beschlussfähig, wenn von den 620 Mitgliedern des Hauses mindestens 311 an der nun folgenden Abstim- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Schämt euch mung teilnehmen. doch! – Heinz Lanfermann [FDP]: Wir haben doch schon mit dem Abstimmungsprozess an- Ich bitte jetzt, die Voraussetzungen für diese Abstim- gefangen! Das ist doch Quatsch! – Johannes mung zu schaffen. Dazu gehört, dass die Kolleginnen Singhammer [CDU/CSU]: Wir haben das Ge- und Kollegen bitte den Saal verlassen. setz gerade beschlossen! – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Sie haben sich doch an der Abstim- Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diejenigen, die mung beteiligt!) noch anderweitig beschäftigt waren und nicht mitbe- kommen haben, worum es im Moment geht: Wir sind Ich bitte die Geschäftsführer aller Fraktionen zu mir. dabei, die Beschlussfähigkeit des Deutschen Bundesta- ges festzustellen und gleichzeitig über die Erledigterklä- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Schämen würde rung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung abzu- ich mich! Da sieht man wieder: Da geht es stimmen. Um dies tun zu können, müssen bitte alle nicht um die Sache! Da geht es nur um die Kolleginnen und Kollegen zuerst einmal den Saal verlas- Show hier! – Johannes Singhammer [CDU/ sen. CSU]: Wir sind in der Abstimmung und nicht vor der Abstimmung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde darauf aufmerksam gemacht, dass es über das Prozedere Un- Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Beratung mit klarheiten gibt. Wer den Saal einmal verlassen hat, kann den Geschäftsführern und natürlich mit den uns jederzeit diesen erst dann wieder betreten, wenn ich den Hammel- hilfreich zur Seite stehenden Juristen der Bundestagsver- sprung eröffnet habe. Ich bitte Sie daher, den Schriftfüh- waltung haben wir die Geschäftsordnung des Deutschen rerinnen und Schriftführern und vor allen Dingen den Bundestages ausgelegt. Es ist unstrittig, dass wir über ei- Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung an den Türen nen Gesetzentwurf in zweiter und dritter Beratung gültig die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht noch schwerer abgestimmt haben. Ich habe festgestellt, dass dieser Ge- zu machen. Betreten Sie den Saal also erst dann wieder, setzentwurf angenommen worden ist. wenn ich die Abstimmung eröffnet habe. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Richtig!) Bevor wir zu diesem Hammelsprung gerufen haben, Nach unserer Geschäftsordnung kann vor jeder neuen haben wir viele Reden gehört, mit denen sich Kollegin- Abstimmung der Antrag auf Feststellung der Beschluss- nen und Kollegen vom Deutschen Bundestag und von (B) fähigkeit gestellt werden. Wir haben den Antrag des uns verabschiedet haben. Ich nehme auch zur Kenntnis, (D) Kollegen Wunderlich für die Fraktion Die Linke, die Be- dass der eine oder andere den voraussichtlich letzten schlussfähigkeit festzustellen, vor der Abstimmung über Hammelsprung in seinem Abgeordnetenleben bestreitet. Buchstabe b der Beschlussempfehlung auf Drucksache (Zuruf von der CDU/CSU: Man kann nicht 17/13769, nämlich den Gesetzentwurf der Bundesregie- wissen, was euch noch einfällt!) rung auf Drucksache 17/13403 für erledigt zu erklären, entgegengenommen. – Ich sagte „voraussichtlich“. Wir sind alle keine Hellse- her. Die Geschäftsordnung lässt uns keine Wahl: Die Be- schlussfähigkeit wird festgestellt, indem alle Kollegin- Ich bitte noch einmal alle Kolleginnen und Kollegen, nen und Kollegen den Saal verlassen. Sobald sich das den Saal jetzt zu verlassen. Präsidium davon überzeugt hat, dass alle Kolleginnen und Kollegen den Saal verlassen haben, werden wir zur Der Kollege Schweickert hat aufgrund der offenkun- Feststellung der Beschlussfähigkeit des Hauses die Tü- digen Schwierigkeiten, dies zu tun, mit Einverständnis ren gegenüber dem Präsidium wieder öffnen. des Präsidiums die Erlaubnis, hier sitzen zu bleiben. Wir werden gemeinsam mit den zählenden Schriftführerin- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ein bisschen nen und Schriftführern sicherstellen, dass seine Anwe- Charakter muss man haben! – Jens Spahn senheit hier entsprechend mitgezählt und protokolliert [CDU/CSU]: Mit Charakter würden Sie Ihren wird. Antrag zurückziehen!) Ich bitte um ein Zeichen, wenn der letzte Kollege Mit der Feststellung der Beschlussfähigkeit des Deut- oder die letzte Kollegin die Gelegenheit wahrgenommen schen Bundestages werden wir gleichzeitig über die Be- hat, den Saal zu verlassen, und die Türen geschlossen schlussempfehlung abstimmen. Das heißt, ich bitte zu sind, und – noch wichtiger – um ein Zeichen, ob alle beachten, durch welche Tür Sie den Plenarsaal nach Schriftführerinnen und Schriftführer auf ihren Positio- Aufruf zur Abstimmung betreten. Sie machen damit nen sind. – Darf ich das Zeichen als Zustimmung inter- deutlich, wie Sie zur Beschlussempfehlung, den Gesetz- pretieren? – Dann bedanke ich mich recht herzlich und entwurf der Bundesregierung für erledigt zu erklären, eröffne die Abstimmung. stehen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, zu bedenken, Durch das Betreten des Saales geben Sie den Schrift- dass sie durch die Tür gehen, die das Votum zur Erledigt- führerinnen und Schriftführern die Möglichkeit, zu zäh- erklärung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf len, wie viele Mitglieder des Hauses anwesend sind. Drucksache 17/13403 signalisiert. Es wird gleichzeitig 30828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. Juni 2013

Vizepräsidentin Petra Pau (A) gezählt, wie viele Kolleginnen und Kollegen an dieser Ich bitte um ein Signal, ob noch Kolleginnen und (C) Abstimmung teilnehmen, um die Beschlussfähigkeit zu Kollegen, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, überprüfen. draußen sind. – Das ist nicht der Fall. Die Abstimmung ist also eröffnet; ich hoffe, das ist (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: jetzt auch draußen angekommen. Ich bitte die Kollegin- Doch! Es sind noch viele draußen! – Mechthild nen und Kollegen, die schon im Saal sind, uns doch bitte Rawert [SPD]: Aber nicht jeder will rein! – die Möglichkeit zu eröffnen, die Türen einzusehen, das Manfred Grund [CDU/CSU]: In ist, wer drin heißt, sich noch ein Stückchen weiter in den Saal hinein- ist!) zubemühen – nicht dass eine Kollegin oder ein Kollege Ich bitte noch einmal, uns den Blick auf die Türen gehindert wird, an dieser Abstimmung teilzunehmen. freizumachen. Dieser Appell richtet sich an diejenigen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um ein Si- Kolleginnen und Kollegen, die schon im Saal sind und gnal, ob sich noch Kollegen vor der Tür befinden, die sich in der Mitte des Saales aufhalten. noch nicht an dieser Abstimmung teilnehmen konnten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! – Manfred NEN]: Wo ist die Linke? – Michael Brand Grund [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, Tau- [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Guckt sende stehen noch vor der Tür!) euch mal an, wie viele Leute ihr seid! Der Wunderlich ist sonderlich! – Weiterer Zuruf – Na ja, ich zweifele an, dass es Tausende sind. Wir sind von der CDU/CSU: Demokratieverweigerung 620 Mitglieder in diesem Haus. Mir würde es schon ge- ist das!) nügen, wenn ebendiese sich zur Abstimmung aufgerufen fühlten und jetzt an dieser auch teilnehmen würden. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich bin jetzt rerinnen und Schriftführer, das Ergebnis festzustellen auch in der Lobby vor dem Saal zu hören und zu verste- und dem Präsidium unverzüglich zuzuleiten. hen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die an die- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um ser Abstimmung, die der Feststellung der Beschluss- Aufmerksamkeit für das Ergebnis der Abstimmung: fähigkeit des Deutschen Bundestages dient und 267 Kolleginnen und Kollegen haben mit Ja gestimmt. außerdem über die Beschlussempfehlung auf Druck- Es gab eine Enthaltung. Daraus folgt: 268 Kolleginnen sache 17/13769 erfolgt, den Gesetzentwurf der Bundes- und Kollegen haben an dieser Abstimmung teilgenom- regierung auf Drucksache 17/13403 für erledigt zu er- men. Ich stelle damit fest, dass der Deutsche Bundestag klären, teilnehmen wollen, dies auch zu tun und den Saal beschlussunfähig ist. durch die Tür ihrer Wahl wieder zu betreten. (D) (B) Nach § 45 Abs. 3 der Geschäftsordnung ist nach Fest- (Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine Bot- stellung der Beschlussunfähigkeit die Sitzung aufzuhe- schaft nach draußen?) ben. Das tue ich hiermit. Die Sitzung ist aufgehoben. – Ja. (Schluss: 20.49 Uhr) Anlagen

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(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Behrens, Herbert DIE LINKE 06.06.2013 Kunert, Katrin DIE LINKE 06.06.2013

Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU 06.06.2013 Lenkert, Ralph DIE LINKE 06.06.2013 Wolfgang Lischka, Burkhard SPD 06.06.2013 Brackmann, Norbert CDU/CSU 06.06.2013 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.06.2013 Gabriel, Sigmar SPD 06.06.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 06.06.2013 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 06.06.2013 Nietan, Dietmar SPD 06.06.2013 Gohlke, Nicole DIE LINKE 06.06.2013 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 06.06.2013 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 06.06.2013 Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 06.06.2013 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 06.06.2013 Schwabe, Frank SPD 06.06.2013 Hintze, Peter CDU/CSU 06.06.2013 Dr. Schwanholz, SPD 06.06.2013 Hörster, Joachim CDU/CSU 06.06.2013* Martin

Hofmann (Volkach), SPD 06.06.2013 Simmling, Werner FDP 06.06.2013 Frank (B) Vogel (Kleinsaara), CDU/CSU 06.06.2013 (D) Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 06.06.2013 Volkm ar

Koch, Harald DIE LINKE 06.06.2013 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 06.06.2013

Korte, Jan DIE LINKE 06.06.2013 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ 06.06.2013 sammlung des Europarates DIE GRÜNEN Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980