Ein Leben wie ein Roman

Erwin Marti / Martin Uebelhart Carl Albert Loosli (1877-1959). Biografie Schwabe Verlag , 2020. 320 Seiten, 21x29,7 cm, 300 teilw. farbige Abb., gebunden, CHF 54.– ISBN 978-3-7965-3809-4 (erscheint im November 2020)

as Leben und Wirken von Carl Albert Loosli auf rund D 300 Seiten zu erzählen und zu dokumentieren, ist eine Herausforderung, die man am besten mit einer Frage beginnt: «Wie hätte ich mein Leben gestaltet, wäre mir dasselbe Schicksal beschieden gewesen wie diesem Zeitgenossen?» Diese Frage stellte Fritz Wartenweiler (1889-1985), ein Pionier der Erwachsenenbildung in der Schweiz, Freund und Mitstreiter Looslis, in einer Würdigung von dessen Leben und Werk. Wartenweilers Frage zielt auf Looslis Herkunft als uneheliches Kind einer minderjährigen Mutter, seine Jugend in Anstalten, behördlicher Willkür ausgeliefert, amtlich als «bösgeartet» abgestempelt, auf sein Ringen um Achtung und Selbstbehauptung, das ihn zum Fürsprecher für Kinder, sozial Ausgegrenzte und Minderheiten, zum Engagement für Menschenrechte und Menschenwürde, zum Kämpfer gegen Antisemiten und Nationalsozialisten werden liess. Ein Empörer gegen Ignoranz, Intoleranz und Bigotterie, ein feinsinniger Poet und zugleich ein beissender Satiriker, ein schonungsloser Kritiker der Gesellschaft, Anreger von Reformen in Bildung, Erziehung und des Jugendstrafrechts. Ein eingreifender Zeitzeuge, der lebenslang in prekären materiellen Verhältnissen lebte, der viel angefeindet und missachtet wurde.

Mit vielen Persönlichkeiten verbanden ihn jedoch auch tiefe Freundschaften und gegenseitige Wertschätzung, so mit

Ferdinand Hodler, Carl Spitteler und Jonas Fränkel, für «städtische» Idealisierung und Romantisierung des Bergler- deren Werke und Rechte er sich einsetzte. Er kämpfte für und Bauernlebens, wie er sich auch gegen eine die Urheberrechte von bildenden Künstlerinnen und romantisierende Mundartliteratur wendete. Ein bewegtes Künstlern, von Schriftstellerinnen und Schriftstellern und und bewegendes Leben, das eine ganze Epoche der engagierte sich früh für den Heimatschutz, ohne bernischen und schweizerischen Kulturgeschichte spiegelt. Die siebenbändige, von Fredi Lerch und Erwin Marti betreute Werkausgabe, von 2006 bis 2009 im Rotpunktverlag erschienen, umfasst die wichtigsten Wirkungsgebiete Looslis, aber aus editorischen Gründen nicht das gesamte Werk. So fehlt zum Beispiel die ganze Mundartliteratur. Die zwischen 1996 und 2018 in vier Bänden bei Chronos erschienene Biographie, verfasst von Erwin Marti, ist eine noch nicht ausgeschöpfte Fundgrube für weitere Forschungen. Auf beide Editionen wird im vorliegenden Buch immer wieder verwiesen, wie auch auf die wachsende Sekundärliteratur zu Loosli. Diese neue Biographie in einem Band folgt chronologisch Trebla-Eulenspiegel, von Rudolf Münger, 1902. und thematisch dem Lebenswerk. Zusatztexte und Inhalt Vorwort, Dank, Chronologie 1 Sonnige Kindheit 2 Anstalten und Lehrstellen 3 Bildung in Neuchâtel 4 Terror in Trachselwald 5 Im Zentrum der Welt – 1898/99 6 Ruhelos 7 Frei! 8 Bümpliz 9 Leben in Bümpliz 10 Bümpliz und die Welt 11 Welt der Kunst 12 Heimatschutz Cuno Amiet: C. A. Loosli, 27.4.1919, Öl auf Leinwand. Privatbesitz 13 Als freier Schriftsteller © D. Thalmann, Aarau, 14 Harlock Shelmes & Doctor Lawson Illustrationen beleuchten und veranschaulichen die 15 Mys Ämmitaw einzelnen Kapitel. Hinzu kommen kurze biographische 16 Ist die Schweiz regenrationsbedürftig? 17 Gotthelf Angaben zu Bezugspersonen Looslis aus Kunst, Literatur 18 Geschichte und Zukunft und Politik, von Künstlern und Fotographen, die Loosli 19 Von Krieg (1914-1918) ... porträtiert haben, wie Cuno Amiet, Fernand Rausser und 20 ... zu Krieg (1918-1945) Fritz Gurtner, von Emil Zbinden und Ernst Linck, die 21 Exkurs: Der Berner Prozess um die «Protokolle der Weisen Bücher Looslis illustrierten. von Zion» 1933-1937 Die Bildbeschaffung gestaltete sich sehr schwierig. Bilder 22 Ein Leben für die Kinder, Teil I: Anstalten und Verdingkinder 23 Ein Leben für die Kinder, Teil II: Schule und Jugendrecht von etlichen Zeitgenossinnen und -genossen sind nicht 24 Exkurs: «Der Rabenvater Staat!» vorhanden oder von ungenügender Qualität. Es fehlen unter 25 «Administrativjustiz» anderem Aufnahmen von Looslis unvergesslicher, viel zu 26 «Die schlimmen Juden!» früh verstorbenen Pflegemutter Annemarie Zweiacker, von 27 «Lange Tage – kurze Jahre». Bümpliz 1919-1959 Walter Hürbin, jenem Anwalt und Politiker, der mit Loosli 28 Jonas Fränkel, Gottfried Keller und Carl Spitteler zusammen 1940 die Zwangsversorgungspraxis («Admini- 29 Nachleben strativjustiz») angriff. Keine Aufnahme aufzutreiben war Kurzbiografien, Literatur- und Quellenverzeichnis, Bildnachweise, von Anna Marie Brüderlin, die 1945 die Kampagne gegen Personenverzeichnis die Verdingkinder-Misere massgeblich initiiert hat.

Walter Widmer: Aufnahme Looslis, vermutlich Ende 40er, anfangs 50er Jahre

Vor dem Gemeinderat. Holzschnitt von Emil Zbinden aus Looslis autobiografischen Der Gäng-hü-Schlosser. Archiv Emil Zbinden, Schweiz: Graphische Sammlung, Schweizerische Nationalbibliothek, . Schwabe Verlag © K. Zbinden, Bern Steinentorstrasse 11 CH-4010 Basel Erwin Marti studierte Geschichte und Germanistik in Bern Tel. +41 61 278 95 65 und Berlin und wurde an der philosophisch-historischen [email protected]

Fakultät der Universität Basel promoviert. Er ist Mitheraus- Deutschland, Österreich und übrige Länder: geber der kritischen Werkausgabe Looslis. Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH Kreidlerstraße 9 Martin Uebelhart ist als freier Publizist, Personalberater D-70806 Kornwestheim und Typograph tätig. Er ist Redaktionsmitglied des C.A. Tel. +49 (0)7154 132 70 Loosli Bulletins und publiziert unter anderem zur Schweizer Fax +49 (0)7154 132 713 Literatur- und Rechtsgeschichte. [email protected]

Looslis Wunsch, Naturwissenschafter zu werden, fand bei der Vormundschafts- behörde kein Gehör. Was sollen die Flausen dieses Bastards einer minderjährigen Emmentalerin und eines dahergelaufenen Italieners? Der aufgeweckte Junge, der bei seiner unvergesslichen, viel zu früh verstorbenen Pflegemutter Annemarie Zweiacker – Loosli war bei ihrem Tod «Le Langage des animaux» (Die Sprache gerade 12 Jahre alt – eine sonnige Kindheit der Tiere). Titelblatt Looslis einer für die verbrachte, bildete sich auf seine Weise Amis de la Nature verfassten naturwissen- weiter. Holzschnitt von Emil Zbinden aus schaftlichen Studie. Es existieren zwei Der Gäng-hü-Schlosser, Archiv Emil handgeschriebene Versionen, die erste Zbinden, Graphische Sammlung, sieben, die zweite 50 Seiten lang. Die Schweizerische Nationalbibliothek, Bern. Arbeit entstand während seines Zwangs- © K. Zbinden, Bern. aufenthaltes in Trachselwald 1896/97. Loosli war Gründungsmitglied des Club des | Verfügung des Berner Regierungsrates Amis de la Nature. vom 16. Oktober 1895. Loosli wurde als

«bösgeartet» erneut in eine Zwangs-

erziehungsanstalt eingewiesen.

Werbezettel der Werkausgabe Gotthelf bei Rentsch, 1912. Erste Seite des Verlagsprospekts zu Looslis vierbändiger Hodler-Monografie (1921-1924). Der Verlag weist ausdrücklich auf die Bedeutung von Looslis Arbeit für Hodlers Werk und Nachlass hin.

Berner Prozess um die «Protokolle der Weisen von Zion». Foto Carl Jost, anf. Mai 1935. Hinten rechts stehend spricht Prof. Arthur Baumgarten, der Gutachter der jüdischen Kläger, links Richter Walter Meyer, in der Mitte Gutachter C.A. Loosli.

Einladung von Emile Zola an C.A. Loosli, «Meine Weltanschauung? Vogue la galère!» Paris 1901. Frieda Liermann, Schülerin von Cuno Amiet, zeichnete den Philosophen von Bümpliz. In: Der Grüne Heinrich, 1907

C.A. Loosli, Jonas Fränkel, Frau Bertha und Tochter von Verleger Albert Benteli, Carl Spitteler. Aufnahme in Bümpliz im Neuen Schloss bei Bentelis, Juli 1910. «Administrativjustiz» und Schweizerische Konzentrationslager,. Looslis Anklage gegen die verfassungs- widrige Zwangsversorgungspraxis ohne rechtsstaatliches Verfahren, 1939. Narrenspiegel. Umschlaggestaltung Ernst Linck, 1908.

Albert Merckling: C.A. Loosli, 1943, Kohlezeichnung,

Der Roman Es starb ein Dorf, Looslis Bümplizer Dorfchronik, erschien erst Lindi (Albert Lindegger): «C. A. Loosli zehn Jahre nach seinem Tod bei der spricht im Gerichtssaal, 8. Mai 1935», in: Büchergilde Gutenberg. Ein Schlüssel- Berner Tagwacht, 9. Mai 1935. roman über die Eingemeindung von Rudolf Mumprecht: C.A. Loosli. Öl, 1950. Bümpliz in die Stadt Bern, wie Fredi © 2020 Pro Litteris, Zürich. Lerch recherchierte.