FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFT Le Grandbleu
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
^rilling 159-033Montag. 9lritr-3iinfirr FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFT 13. Juli 1998 Nr. 159 33 Der Lohn für Prinzipientreue mas. Die Bleus sind am Ende ihrer Trüunie an- gelangt. Nach wochenlanger Vorbereitung im Trai- ningszentrum in Clairefontaine, nach einer viel- leicht etwas zu positiv verlaufenen Vorrunde mit anschliessendem sehr mässigem Achtelfinal gegen Paraguay und nach einer klaren Steigerung vom Viertelfinal an haben sie schliesslich das erreicht, was im ganzen Land so heftig debattiert und her- beigesehnt worden war. Am Ursprung der Premiere des Titelgewinns mit dein überzeugenden Heimsieg gegen den vier- fachen Weltmeister Brasilien ist ein Spiel gestan- den, das in einem schlechten Sinne für die Franzo- sen denkwürdig war. Die Niederlage der Bleus gegen Bulgarien mit dem entscheidenden Gegen- treffer in der Nachspielzeit des letzten Qualifika- tionsspiels für die WM 1994 verhinderte damals nicht nur das Überqueren des Atlantiks, sondern hob den damaligen Trainerassistenten Aime Jac- quet in die Chef-Funktion. Dem introvertierten, sachlichen 56jährigen gebührt ein Grossteil am gegenwürtigen Erfolg, weil er trotz modester Bilanz an der EM 96 und trotz in den letzten Monaten vor der WM von den grössten publizisti- schen Organen abgeschossenen Pfeilen nie von seiner Linie abwich und seinen Prinzipien beharr- lich treu blieb. Der gestrige Abend, der zugleich sein letzter Arbeitstag als Nationaltrainer war (ob- wohl er noch in ilen letzten Tagen von Spielern zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit zu bewegen ver- sucht worden war), ist eine verdiente Dividende für einen Job, von dessen Dimensionen er selber auch überrascht worden war. Der Titelgewinn der Franzosen ist neben dem Verdienst Jacquets vor allem auch ein Erfolg der Abwehrarbeit. Mit einem fast immer sicheren Kee- per Barthez hinter sich verkörperte die französi- Der Anfang vom Ende des brasilianischen Teams: Zidane - von Leonardo zu wenig konsequent bewacht - erzielt den Führungstreffer. (Bild key) sche Vierer-Abwehrkette mit Thuram, Desailly, Blanc (im Final durch Lebffiuf äquivalent ersetzt) und Lizarazu ein schier unüberwindbares Boll- grand Spielen Le bleu werk. In sieben mussten die Franzosen lediglich zwei Treffer hinnehmen - ein Quote, die - für sich spricht. Analog zu diesen Stärken wurden Zinedine Zidane stürzt den Weltmeister vom Thron und Frankreich ins Delirium auch im Mittelfeld die Akzente gesetzt. Hier war es vor allem Petit, Torschütze Final 3:0, (28.) im zum der Frankreich ist zum erstenmal Fussball-Weltmeister. Die Mannschaft aus dem Land, das über einen Comer von der rechten bzw. der mit seiner Hartnäckigkeit und Zweikampfstärke gründen (45.+) gekommenen Kopf- die Fifa half, die Weltmeisterschaft erfand und sie erstmals durchführte, war im linken Seite zustande das Spiel nach vorne immer wieder ankurbelte. gegen Kopf- tore von Zidane, gegen dessen dezidierte Ab- Final den Titelhalter überraschenderweise klar besser und gewann dank einer Dagegen blieben die Offensivkräfte vergleichs- Aufbau-Kollegen schlussversuche erst Leonardo, dann Dunga zu ball-Doublette Zidanes und einem Treffer von dessen Petit verdient 3:0 halbbatzig eingriffen. weise im Schauen - selbst im Final. Weder (2:0). angestrebten Dass der Titelhalter nicht Djorkaeff einzige Sturmspitze Die Selecäo enttäuschte und kam in diesem Match nie in die Nähe des geriet, noch die Guivarc"h/ weit deutlicher in Rückstand hatte die Ur- Trezeguet Wirkungsgrad Penta-Campeones (fünfter 58, 62, 70 94). vermochten hier punkto Titel nach und sache im WM-typischen Manko der Equipe trico- mit den Kollegen in der Abwehr gleichzuziehen. lore: der Abschlussschwäche, die Petit (42.), dann rei. St-Deiiis/Paris, 12. Juli kurrenten aufzuhalten. Die Selecäo ist hier an Am ehesten brachte neben Zidane, der erst im Guivarc'h (45.) allein vor dem bemitleidens- Figur jeweils Grenzen gestossen, wies zu viele Mitglieder auf, Final zur entscheidenden wurde, Ein stählern blauer Himmel hatte sich zum werten Taffarel manifestierten. Fast in all diesen junge Henry die den Zenit überschritten haben (Dunga, noch der und schnelle Über- letzten WM-Matchbeginn über den Tellerrand raschungsmomente Bebeto, Aldair), und blieb, auch was die Offensiv- ein. Doch trotz dieser Im- des raumschiffähnlichen Stade de France gestülpt. potenz, wirkung betrifft, weit unter den Erwartungen die bereits das Etikett «Weltmeister ohne Gut eineinhalb Stunden später versank die riesige Von der Fussball-WM berichten Angriff» liess, Equipe (Ronaldo). Zagallo wurde etwa dafür bestraft, kursieren bemühte die trico- unter dem mittlerweile schwarzen (rei.), Schillig (mas.) Brechstange. Arena Firma- nicht auf Denilson von der jüngeren Generation, Felix Reidhaar Mark lore nur in raren Momenten die Zwar ment erneut in einem blauen Meer. L'Equipe de bedächtige betrieb sie oft einen beträchtlichen Aufwand, ohne dafür auf Routiniers gesetzt zu haben. und Martin Hägele (hie.) France hatte die kühnsten Träume von Millionen Torchancen, geschweige Hatte man bisher im Hexagone immer das Gefühl nur annähernd mit denn Landsleuten erfüllt und ihnen nach Zeiten des gehabt, Treffern belohnt zu werden. Mit der Gewissheit Selbstwertgefühl zurückge- dieses Ensemble konnte noch zusetzen, Zweifels nationales gefordert einer Mauer im Rücken, versuchte sie gleichwohl geben. wenn es dazu wäre, könnte auch den heiklen Situationen war die Gefahr über die verti- Sie tat es - man muss es unterstreichen - spielerischen stets weiter, über ihre Tugenden des Kombina- vorzügliche eher blassen und kollektiven Glanz kale Achse entstanden, wo Junior Baiano (er vor auf Weise. Sie gewann gegen den aufpolieren, Gegen- tionsspiels und der Zweikampfstärke in der Zen- noch so wurde man nun vom allem), Aldair und Dunga nicht zu verbergen ver- Titelhalter gleich 3:0, der klarste Finalerfolg seit überzeugt. Steigerungspotential tralzone zum Ziel zu gelangen. Und bei der heikel- teil bestand of- mochten, dass sie in die Jahre gekommen sind - 1970, und bestätigte sich auch im letzten Gang, sten Situation im ganzen Turnier, dem Führungs- fensichtlich nicht in Brasiliens Reihen. oder nicht in Normalform sind. gegen die berühmtesten Fussballer, als abwehr- treffer der Kroaten im Halbfinal, war ihr auch stärkstes Team, das in sieben Partien einzig zwei Brusilien-Abwehr ein Torso Spiel noch das Schicksal in Form eines zaudernden Die Selecäo findet nicht ins hold, kapitalen post- Treffer zuliess. Sie kontrollierte schliesslich den Mangel Boban der mit seinem Fehler Angriff Alle defensiven dieses brasilianischen Ausgleich ermöglichte. stärksten an diesem Turnier fast mühelos sporadisch So sehr sich die Südamerikaner auch bemüh- wendend den gestand Erfolg Teams, die im Verlaufe dieses Turniers und ihm keinen zu. Und die Fran- gravierende Folgen ten, den misslichen Eindruck aus der ersten Halb- Dass an der XVI. Weltmeisterschaft zum 6. Mal gemäss - und meist ohne - zu sehen korrigieren Gegensteuer geben, zosen setzten zudem eine Tradition fort, zeit zu und zu der Gastgeber siegreich blieb, lässt durchaus den Gantgeber Endspiel waren, traten vor der Pause gegen einen druck- wenig der sich ein im fast immer blieben ihre Versuche Stückwerk, zu Über- Schluss zu, dass der Heimvorteil nicht unwesent- Erfolg vollen und beharrlichen Gegner in komprimierter durchsetzt. Es war der sechste eines einhei- zeugung und Entschlossenheit steckten dahinter, lich ist. Doch ebenso darf angesichts der vergange- Form zutage. Die direkten und in die Tiefe gerich- mischen Teams im achten Final. Ein Triumph, der zu stark schien ihnen die Lektion ä la Tage greifenden teten Vorstösse der Franzosen deckten beängsti- francaise nen mit der virulent um sich sich auszahlt: Jeder Spieler erhält dafür eine zugesetzt zu haben. Und auch gegen einen auf Euphorie nicht verschwiegen werden, dass gende läuferische Mangel auf, die zentralen Ab- die Er- Börse zwischen 2,5 und 3 Millionen französischen Sicherung, Abwarten und Kontrolle bedachten wartungshaltung unglaublich gross war. Die Fran- wehrspieler und mit ihnen die zurück orientierten Francs. Und den 12. Juli wird man fortan neben Widersacher zeigten sich dieselben körperlichen zosen haben mentale Stärke bewiesen und dem Aufbauer Dunga und Cesar Sampaio sahen aus- dem Quatorze-Juillet als zweiten Nationalfeiertag Defizite wie zuvor. Die Brasilianer gewannen Druck standgehalten: das war vielleicht ihre schliesslich die Absätze ihrer Gegner, irrten wie begehen - quasi als verlängertes Wochenende. kaum ein Duell Mann gegen Mann, sie verloren grösste Leistung. ohne Kompass vor dem Strafraum umher, und im dagegen, den Ball oft im schlechtesten Moment und Die torcida die zuversichtlich ge- Mittelfeld war die Zweikampfschwäche der gan- Supporterschar lange mussten dann ansehen, stimmte aus Brasilien, war zen Reihe geradezu frappant. Hier Bedächtigkeit ihnen die frische- vor Schluss schon verstummt. Sie musste mit neu- und Orientierungslosigkeit, dort Tempo, Offen- wie Augenzeugen ren, beweglicheren und tralen etwas erstaunt bis konster- sivgeist und vor allem physische, athletische Über- generell schnelleren niert zur Kenntnis nehmen, dass ihre Auswahl im legenheit - man glaubte den Augen nicht zu Franzosen enteilten. siebenten und letzten Turniermatch weder die trauen, so krass waren die Differenzen zweier als Kraft noch Können noch Selbstvertrauen besass, gleichwertig eingestufter Finalgegner. Etwa der Mittelstürmer jeder Beziehung überlegenen Guivarc'h, dessen um den in fast Kon- Was man dann als logische Konsequenz effek- Chance (63.) nach Pat- tiv wahrnehmen konnte, waren die beiden