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Frank Rumscheid (Hrsg.) · Die Karer und die Anderen II III

Die Karer und die Anderen

Internationales Kolloquium an der Freien Universität Berlin 13. bis 15. Oktober 2005

Herausgegeben von Frank Rumscheid

Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH · Bonn 2009 IV

Umschlag: Männlicher ‘Sphinx’, Akroterion des Androns B in (Entwurf S. Biegert auf Grundlage einer Graphik von F. Rumscheid)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2009 by Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn Redaktion: Frank Rumscheid (Kiel) Satz: Susanne Biegert (Bonn) Druck: Druckhaus Thomas Müntzer, 99947 Bad Langensalza

ISBN 978-3-7749-3632-4 V

Inhaltsverzeichnis

Frank Rumscheid Einführung VII

Beziehungen zu den Anderen Michael Meier-Brügger Karer und Alt-Anatolier aus sprachwissenschaftlicher Sicht 1 Wolf-Dietrich Niemeier Milet und Karien vom Neolithikum bis zu den ‘Dunklen Jahrhunderten’. Mythos und Archäologie 7 Alexander Herda Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 27 Alain Bresson Karien und die dorische Kolonisation 109 Winfried Held Die Karer und die Rhodische Peraia 121 Christopher Ratté The Carians and the Lydians 135 Hilmar Klinkott Die Karer im Achaimenidenreich 149 Werner Tietz Karer und Lykier: Politische und kulturelle Beziehungen im 5./4. Jh. v. Chr. 163 Frank Rumscheid Die Leleger: Karer oder Andere? 173 Bernhard Schmaltz Klassische Leitkultur und karische Provinz? Archäologische Zeugnisse im südlichen Karien 195 Vincenzo Ruggieri The Carians in the Byzantine Period 207

Einzelne Kulturäußerungen Wolfgang Blümel Zu Schrift und Sprache der Karer 221 Daniela Piras Der archäologische Kontext karischer Sprachdenkmäler und seine Bedeutung für die kulturelle Identität Kariens 229 VI

Pierre Debord Peut-on définir un panthéon carien? 251 Pontus Hellström Sacred Architecture and Karian Identity 267 Abdulkadir Baran Karian Architecture Before the Hekatomnids 291 Poul Pedersen The Palace of Maussollos in Halikarnassos and Some Thoughts on Its Karian and International Context 315 Mathias Benter Das mykenische Kammergrab vom Pilavtepe 349 Adnan Diler Tombs and Burials in Daml@bo%az () and : Preliminary Report in the Light of Surface Investigations and Excavations 359 Anne Marie Carstens Tomb Cult and Tomb Architecture in Karia from the Late Archaic to the Hellenistic Period 377 Abuzer K@z@l 1990–2005 Y@llar@ Aras@nda Mylasa’da Kurtarma Kaz@lar@ Yap@lan Mezarlar ve Buluntular@ Üzerinde Genel Bir De%erlendirme 397 ‚smail Fazl@o%lu Daml@bo%az Finds: Inland Carian Archaic Pottery and Related Regions 463

Topographische Studien Mathias Benter , eine befestigte Höhensiedlung auf der Bozburun-Halbinsel 481 Mustafa ©ahin Alt-Myndos: Einige Betrachtungen zu Lokalisation und Stadtmauern 503 Numan Tuna – Nadire At@c@ – ‚lham Sakarya – Elif Koparal The Preliminary Results of Burgaz Excavations Within the Context of Locating Old 517 Deniz Pastutmaz Knidos im Licht der jüngsten Ausgrabungen: Der Theater-Dionysos-Tempel-Stoa-Komplex 533 Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 27 Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration

Alexander Herda

Schlüsselwörter: Appaliuna™-Apollon, Arinnanda-Mykale, Ethnizität, Hartka-muwa-Artemis, Ioner, Karka-Karer, Karki™a-Karien, Migration, Milawanda-Milet, Panionion, Poseidon Helikonios, synkre- tistische Kulte

Zusammenfassung: Die Historizität der sogenannten Ionischen Migration nach Westkleinasien steht au- ßer Frage. Indessen sind die Prozesse, die in der späten Bronze- und frühen Eisenzeit bei der Akkultura- tion und Ethnogenese der griechischen ‘Ioner’ sowie der indigenen luwischen und verwandten Völker, im besonderen der Karer, abliefen, nur in groben Zügen aufgeklärt. Die Gründe hierfür sind verschieden und werden im vorliegenden Beitrag zusammengefaßt: Zum einen steht für diese wichtige Periode die Siedlungsarchäologie in der Kontaktzone Südionien-Karien, geographisch der Bereich des Mäanderdeltas um die Poleis Milet, und Myous herum, erst am Anfang. Zum anderen ist im Falle der Karer mit einer erhöhten Assimilationsbereitschaft zu rechnen, die diese Kultur bereits in der Spätbronzezeit zu kennzeichnen scheint. Ein weiteres Problem bilden schließlich die schriftlichen Quellen und ihre Interpre- tation: Die hethitischen Archive erweisen die griechisch-karische Kontaktzone um Milet-Milawanda als stark umkämpften Brückenkopf des mykenischen Reiches von Ahhijawa im 14./13. Jh. v. Chr. Mithin sie- delten also schon in der späten Bronzezeit Griechen im späteren Südionien, allerdings gegen den indigenen Widerstand des luwischen Königreiches von -Mira, des Volkes der *Karka von Karki™a, dem spä- teren Karien, und der zentralkleinasiatischen Großmacht der Hethiter. Diese Überlieferung bricht aber während der sogenannten Seevölkerstürme Anfang des 12. Jhs. v. Chr. zur Zeit der Zerstörung von Troja VIIa, Hattu™a und Milet VI ab. Zum Zeitpunkt des Einsetzens der ersten griechischen Quellen (Homer, Hesiod) im späten 8. Jh. v. Chr. ist die in den sogenannten Dunklen Jahrhunderten (Mitte 11. – 1. Hälfte 8. Jh. v. Chr.) erfolgende erneute Migration von Griechen nach Westkleinasien bereits abgeschlossen. Das ‘ionische Ethnos’ hat sich um das zentrale Heiligtum des Poseidon Helikonios an der Mykale (Panionion) konstituiert. Die erhaltenen Gründungsmythen, ob kollektive (Ioner) oder individuelle (einzelne Poleis), dienen einer gräkozentrischen, retrospektiven Geschichtskonstruktion. Trotzdem: Einheitlich ist die Über- lieferung, was die mehr oder weniger gewaltsame Auseinandersetzung der griechischen Migranten mit den indigenen Völkern betrifft, etwa den Karern. Hier liegt demnach Erinnerung an tatsächliche Geschichte vor, wie dies am Beispiel des SH-III-C-zeitlichen bis submykenischen, ‘karischen’ Milet VII (12. – Mitte 11. Jh. v. Chr.) zu zeigen versucht wird.

I. Einleitung nach Westkleinasien1. Dazu bemerkte der Althisto- riker Justus Cobet 1999 treffend: “Die Geschichte Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem von des frühen Ionien bietet das Exerzierfeld für ein Archäologen und Historikern kontrovers diskutier- klassisches Methodenproblem der Altertumswis- ten Thema, der sogenannten Ionischen Migration senschaft, das Verhältnis von archäologischem Ob-

1 Form und Struktur des während des Kolloquiums gehaltenen Vortrags wurden weitgehend beibehalten, wenn auch stark überarbeitet und erweitert. Zum Panionion (hier Kap. IV) vgl. ausführlicher Verf., Panionion–. – Ich danke Frank Rumscheid herzlich für die Einladung und ihm sowie den Teilnehmern für anregende Diskus- 28 Alexander Herda jekt und Text”2. Dieses Problem wird natürlich nie führte zu einer relativ geschlossenen Besiedlung der endgültig gelöst werden. Wohl aber soll hier eine kleinasiatischen Küstenregion sowie der vorgelager- Lanze gebrochen werden für die Archäologie als ten Inseln zwischen Phokaia bzw. Chios im Nor- denjenigen Bereich der Altertumswissenschaften, den und Milet bzw. Samos im Süden (Abb. 1). von dem in der näheren Zukunft noch wesentliche Gemäß der antiken Mythenchronologie begann Beiträge zur Erhellung der Geschichte der frühen Ei- die ‘Ionische Migration’ vier Generationen nach dem senzeit im westlichen Kleinasien zu erwarten sind, Fall von Troja und zwei Generationen nach der zumal die systematischen Feldforschungen sich erst Rückkehr der Herakliden damit, daß der athenische in unseren Tagen verstärkt dieser Epoche der Region Königssohn Neileos zusammen mit seinen Brüdern zuwenden. Die Archäologie kann sehr wohl Lücken und Halbbrüdern die zwölf ionischen Städte Milet, im historischen Wissen zu den ‘Dunklen Jahrhun- Ephesos, Erythrai, , Priene, Lebedos, derten’ auffüllen3, wenn sie diese auch “nicht grund- , Kolophon, Myous, Phokaia, Samos und Chios sätzlich aufzuheben” vermag4. gründete5. Das Marmor , eine chronologische Das Hauptaugenmerk der Betrachtungen liegt, Aufzeichung des 3. Jhs. v. Chr. (264/63 v. Chr.)6, dem Rahmenthema des Kolloquiums verpflichtet, parallelisiert die Gründung der ionischen Städte auf der Region des südlichen Ionien im Grenzbe- durch Neileos mit der Gründung des Panionions am reich zu Karien. Mykale-Gebirge als Gemeinschaftsheiligtum aller Ioner in Kleinasien. In der Inschrift wird als Datum umgerechnet das Jahr 1086/85 oder 1076/75 v. Chr. II. Der Forschungsstand zur Ioni- angegeben7. schen Migration nach Kleinasien Von archäologischer Seite wird als bestätigender Anzeiger für die im 11. Jh. v. Chr. beginnende Mi- Die sogenannte Ionische Wanderung der frühen gration vor allem das oft zitierte, jedoch nicht im- Eisenzeit (11.–8. Jh. v. Chr.) ist Teil des Phänomens mer eindeutig zu interpretierende Auftreten von größerer griechischer Migrationsbewegungen im Keramik des sogenannten submykenischen und ägäischen Raum nach dem Zusammenbruch der protogeometrischen Stils in den Siedlungsplätzen mykenischen Kultur im 13./12. Jh. v. Chr. und Westkleinasiens angeführt8.

sionen. Eckart Sauter las freundlicherweise das Manuskript Korrektur, es profitierte ebenso von der sorgfältigen Durchsicht und Kritik durch Frank Rumscheid. 2 Vgl. Cobet 730. 3 Man vergleiche dazu auch die Bemerkungen von Kerschner 364–366. 371–374. – Aus der Sicht des (deutschen) Alt- historikers betont kritisch: U. Walter, Das Wesen im Anfang suchen: Die archaische Zeit Griechenlands in neuer Per- spektive, Gymnasium 105, 1998, 537–552; K.-J. Hölkeskamp, Von den ‘Dunklen Jahrhunderten’ in das ‘Zeitalter der Experimente’. Kritische Bemerkungen zur neueren Forschung zum frühen Griechenland, Gymnasium 107, 2000, 321– 330; moderater: K. Raaflaub, Die Bedeutung der Dark Ages: Mykene, Troia und die Griechen, in: Troia 309–329. 4 Cobet 740. 5 Vgl. Prinz 325–330; zu Neileos vgl. Herda, Neileos passim. 6 Vgl. DNP VII (1999) 938 s. v. Marmor Parium (K. Meister). 7 Marmor Parium: IG XII 5, Nr. 444 ep. 27 (= FGrHist 239 A 27): 133 bzw. 123 Jahre nach der Eroberung von Troja und 80 Jahre nach der Rückkehr der Herakliden; F. Jacoby, Das Marmor Parium (1904) 151 f. zur Datie- rung; RE XVIII 3 (1949) 601–605 bes. 601 s. v. Paniènia (L. Ziehen); Vanschoonwinkel 33–39. 392–395; Herda, Neileos 25 Anm. 188; Lemos, Text mit Anm. 12. Leicht abweichende Daten bieten Eratosthenes, Apollodor und Kastor (1044/43 v. Chr.) sowie Eusebius (1036 v. Chr.): Vgl. Vanschoonwinkel 392–395. 8 Locus classicus: J. M. Cook, Greek Settlement in the Eastern Aegean and Asia Minor, in: CAH II 23 (1975) 773 ff. bes. 785 f. Vgl. dazu die skeptischen Bemerkungen von Cobet 729 mit Anm. 1. Die chronologischen Übereinstimmungen zwischen antiken Daten und archäologischer Datierung werden von W. Burkert, Between East and West or How to Date the : A Study in Herodotus, in: J. B. Carter – S. P. Morris (Hrsg.), The Ages of Homer. A Tribute to Emily Townsend Vermeule (1995) 139–148 bes. 146, als “inescapable coincidence” abgetan; vgl. auch: R. Bichler, Die Datierung des Troianischen Krieges als Problem der griechischen Historie, in: Troia 349–367; Cobet 743. Man vergleiche dazu allerdings die kritischen Bemerkungen von H. Cancik, Der Troianische Krieg. Seine Bedeutung für das Geschichtsbild der Griechen und Römer, in: Traum 174–179; ders., Wie datierte die Antike den Troianischen Krieg?, in: H. Hoffmann (Hrsg.), Troia. Von Homer bis heute (2004) 53–75. – Zur Verbreitung der protogeometrischen Keramik in Westkleinasien vgl. Lohmann, Melia 58 mit Karte S. 62 Abb. 3; Kerschner 377 Abb. 1. Zum Vorkommen der submykenischen Keramik als möglichem Anzeiger des Beginns der Ionischen Migration vgl. u. Anm. 33. 256. 260. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 29

Abb. 1 Ionien (unterstrichen: Mitglieder des Ionischen Zwölfstädtebundes; gestrichelt: ehemaliges Mitglied Melia; hellgrau unterlegt: ungefähre Ausdehnung der Hermos-, Kaystros- und Mäanderbuchten ca. 7./6. Jh. v. Chr.; X = Fundort protogeometrischer Keramik)

Das von den Mythenforschern der europäischen Modell in der frühen Eisenzeit wandernder Völ- Romantik, etwa Karl Otfried Müller, entwickelte kerschaften der Achaier, Dorier, Aioler oder Ioner9

9 K. O. Müller, Die Dorier. Geschichten hellenischer Stämme und Städte II–III (1824; 2 1844); vgl. die englische Übersetzung: The History and Antiquities of the Doric Race (1840); dazu: J. M. Hall, Ethnic Identity in Greek Antiquity (1997) 4 ff. 30 Alexander Herda ist bis heute in der historischen Forschung, etwa im Deutschland seiner Zeit ausgeprägten nationali- auch der Archäologie, weit verbreitet10. Es scheint stisch-romantischen Ausdeutung der literarischen durch die von der Sprachforschung nachgezeichnete oder auch archäologischen Quellen sowie der Verbreitung der attisch-ionischen Dialektgruppen Sprachgeschichte im Hinblick auf das Modell einer des Griechischen seit protogeometrischer Zeit be- Wanderung festgefügter, einheitlicher Stammes- stätigt zu werden11. Als Hinweise auf einen kollek- gemeinschaften in der frühen Eisenzeit14. tiven Ursprung der westkleinasiatischen Ioner wer- Die moderne Ethnizitätsforschung kommt zum den weiterhin gemeinsame sogenannte institutionel- gleichen Ergebnis15. In der historischen Forschung le Relikte wie die urionischen Phylen (Aigikoreis, geht man jetzt überwiegend von einem länger an- Argadeis, Geleontes und Hopletes) und gemeinsa- dauernden Prozeß von Migrationen aus, so etwa me wichtige Kalenderfeste gewertet12. seit submykenisch-protogeometrischer Zeit nach Indessen sprach schon Ulrich von Wilamowitz- Westkleinasien. Erst am Ende dieses Prozesses, am Moellendorff 1906 die ‘Ionische Wanderung’ als Übergang von der geometrischen zur archaischen politisch motivierte Erfindung des im panionischen Zeit gegen 700 v. Chr., habe die Genese der histori- Heiligtum des Poseidon Helikonios an der Mykale schen Ethnien, z. B. der Ioner, gestanden16. Der io- versammelten ionischen Zwölfstädtebundes der nische Dialekt ist nach diesem Modell erst in Klein- Zeit um 700 v. Chr. an13 und warnte vor der gerade asien entstanden17, ebenso die sogenannten institu-

10 Vgl. etwa K. Tausend, Amphiktyonie und Symmachie. Formen zwischenstaatlicher Beziehungen im archaischen Griechenland, Historia Einzelschriften H. 73 (1992) 27. 56; J. Mylonopoulos, PelopÒnnhsoj o„kht»rion Poseidînoj. Heiligtümer und Kulte des Poseidon auf der Peloponnes, Kernos Suppl. 13 (2003) 38–40. 424 f.; ders., Von Helike nach Tainaron und von Kalaureia nach Samikon: Amphiktyonische Heiligtümer des Poseidon auf der Peloponnes, in: K. Freitag – P. Funke – M. Haake (Hrsg.), Kult – Politik – Ethnos. Überregionale Heiligtümer im Spannungs- feld von Kult und Politik, Kolloquium Münster, 23.–24. November 2001 (2006) 121–155 bes. 125–127. 147 f. – Daß ein solches Modell grundsätzlich möglich erscheint, insbesondere für den Übergang von der späten Bronze- zur frü- hen Eisenzeit, zeigt m. E. die methodische Untersuchung von P. Funke, Stamm und Polis. Überlegungen zur Ent- stehung der griechischen Staatenwelt in den ‘Dunklen Jahrhunderten’, in: J. Bleicken (Hrsg.), Colloquium aus An- laß des 80. Geburtstages von Alfred Heuß, Frankfurter Althistorische Studien 13 (1993) 29–48. Vgl. außerdem: C. Morgan, Ethne, Ethnicity, and Early Greek States, ca. 1200–480 B.C.: An Archaeological Perspective, in: I. Malkin (Hrsg.), Ancient Perceptions of Greek Ethnicity. Center for Hellenic Studies Colloquia 5 (2001) 75–112; dies., Early Greek States Beyond the Polis (2003); zu möglichen Ethne in den spätbronzezeitlichen Linear-B-Texten vgl. jetzt: A. Dakouri-Hild, AJA 109, 2005, 305–307; K. Freitag – P. Funke – M. Haake, Einleitung, in: Dies. a. O. 7–15 bes. 10 f. – Zu den Möglichkeiten einer ‘Ethnoarchäologie’ vgl. u. Anm. 444. 11 DNP V (1998) 1079–1083 (Karte) s. v. Ionisch (J. L. García-Ramón). 12 DNP V (1998) 1077 f. s. v. Iones (F. Gschnitzer); DNP VI (1999) 648–651 s. v. Kolonisation (S. Deger-Jalkotzy). Zum ionischen Urkalender vgl. C. Trümpy, Untersuchungen zu den altgriechischen Monatsnamen und Monats- folgen (1997) bes. 10–38; B. Smarczyk, Die Ionier Kleinasiens. Der Beitrag kultisch-religiöser und mythischer Tra- ditionen zur Entwicklung ihres Identitätsgefühls, in: H.-P. Müller – F. Siegert (Hrsg.), Antike Randgesellschaften und Randgruppen im östlichen Mittelmeerraum, Ringvorlesung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Mün- ster, Münsteraner Judaistische Studien 5 (2000) 46–74 bes. 67 mit Anm. 50 ff. 13 Wilamowitz, Panionion; ders., Wanderung 68 f. 72. 14 Wilamowitz, Wanderung 74 f.; vgl. u. Kap. IX mit Anm. 422. Wilamowitz, Wanderung 75 zu den Dialekten: “Sän- ger sind es, die das Äolische von Lesbos zu einer festen Sprache gemacht haben; Denker haben die ionische Spra- che in Milet geformt, und die Sprache und Literatur zwingt zu übereinstimmendem Denken und Reden; sie ni- velliert, um zu nationalisieren. Die Einheit ist das Endergebnis des geschichtlichen Prozesses. Es geht nicht an, sie in anderem Sinne in die Urzeit zu projizieren, als wir es überhaupt mit den Fiktionen der Ursprachen tun. ... Darum sind doch die Volks- und Sprachindividualitäten Äolisch, Ionisch, Dorisch erst in Asien entstanden, und die Sprachen des Mutterlandes gehen in diese Dreiheit keineswegs auf.” 15 Beispielhaft J. M. Hall, Ethnic Identity in Greek Antiquity (1997); Hall, Hellenicity 67 f. 16 Zum Begriff des ‘Stammstaates’ in der Geschichtswissenschaft vgl. Ch. Ulf, Griechische Ethnogenese versus Wan- derungen von Stämmen und Stammstaaten, in: Ders. (Hrsg.), Wege zur Genese griechischer Identität. Die Bedeu- tung der früharchaischen Zeit (1996) 240–280. Für die Prähistorie: S. Brather, Ethnische Identitäten als Konstrukt der frühgeschichtlichen Archäologie, Germania 78, 2000, 139–177. 17 Vgl. schon Wilamowitz (s. o. Anm. 14); dazu auch DNP V (1998) 1079–1083 bes. 1080 s. v. Ionisch (J. García- Ramón); Cobet 738 mit Anm. 61. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 31 tionellen Relikte wie z. B. die ‘ionischen Urphylen’ schlossen. Um diese Zeit haben sich auch bereits die oder der sogenannte ionische Urkalender18. historischen ionischen Poleis etabliert. Gleichfalls abgeschlossen ist die Ethnogenese der Ioner. Ho- mer nennt die Ioner, bei ihm heißen sie noch in der III. Die Ionische Migration nach älteren Namensform ‘Iáones’, neben weiteren grie- Kleinasien in der griechischen Über- chischen Ethnien19. Er gebraucht das Ethnikon lieferung ‘Iáones’ als alternative Bezeichnung der Athener bei der Verteidigung des griechischen Schiffslagers vor Beim Einsetzen der griechischen Schriftquellen, Troja20. Die kleinasiatischen Ioner können hier logi- also mit Homer und Hesiod zum Ende des 8. Jhs. v. scherweise nicht gemeint sein, denn Homer be- Chr., ist die ionische Migration weitgehend abge- schreibt, wenn auch durch die Brille seiner Zeit be-

18 Zu den Phylen und Phratrien grundlegend: D. Roussel, Tribu et cité. Études sur les groupes sociaux dans les cités grecques aux époques archaïques et classiques (1976). Gegen eine Entstehung der Phratrien erst im 8. Jh. v. Chr.: DNP IX (2000) 962 f. s. v. Phratrie (W. Schmitz). Im Kontext einer Ablehnung der Historizität der sogenannten Dorischen Wanderung werden die dorischen und ionischen Phylen als ein Konstrukt “der Ethnogenese der Grie- chen bzw. einzelner Teile der Griechen” im 7. bis 5. Jh. v. Chr. aufgefaßt (vgl. etwa Ulf a. O. 18. 271 ff.). Ulf a. O. 271 und Hall, Identity a. O. 14 vertreten beide in Anlehnung an Roussel a. O. die Meinung, daß die Phylen den Polisstaat voraussetzen und nicht umgekehrt. Für ein höheres Alter der Phylen dagegen: G. A. Lehmann, Die my- kenisch-frühgriechische Welt und der östliche Mittelmeerraum in der Zeit der ‘Seevölker’-Invasion um 1200 v. Chr. (1985) 64–66; Funke, Stamm (s. o. Anm. 10) 29–48; B. Eder, Argolis, Lakonien und Messenien vom Ende der mykenischen Palastzeit bis zur Einwanderung der Dorier (1998) 16 ff. 78; DNP IX (2000) 982 ff. s. v. Phyle (B. Smarczyk). – Für eine Entstehung der ionischen ‘Urphylen’, Monatsnamen und Feste wie z. B. der Apaturia erst in Ionien selbst und einen frühestens im 8. Jh. v. Chr. erfolgten ‘Export’ nach Athen: W. R. Connor, The Ionian Era of Athenian Civic Identity, in: Proceedings of the American Philosophical Society 137, 1993, 194–206 bes. 197 f.; vgl. auch R. Parker, Athenian Religion. A History (1996) 17. 19 Zu den Ethnos-Bezeichnungen ‘Achaioi’, ‘Danaoi’, ‘Argeioi’ für die Griechen bei Homer vgl. Hall, Hellenicity 54 f., der sie erst in der Zeit Homers entstanden sieht. – Die bei Homer (Il. 13, 685) gebrauchte Ethnosbezeichnung ’I£onej leitet sich von einer wiederum älteren Form *’I£#onej mit Digamma ab, die auch in den Linear-B-Texten und den vorderorientalischen Quellen begegnet: s. u. – Die auf der ersten Silbe betonte (jüngere) Namensform ”Iwnej kann dagegen nicht aus den älteren Formen hergeleitet werden, denn dann müßte es attisch ’Iînej oder ionisch ’Išwnej heißen. Vielmehr besteht hier ein evidenter Zusammenhang mit dem Namen des mythischen, von den Ionern kultisch verehrten Stammeseponymen, ‘Ion’ (”Iwn): F. Bilabel, Geschichte Vorderasiens und Ägyptens vom 16.–11. Jahrhundert v. Chr. (1927) 391–394 bes. 394; ohne Kenntnis von Bilabels Arbeit übereinstimmend: F. Cassola, La nel mondo miceneo (1957) 265–296; J. Chadwick, The Ionian Name, in: K. H. Kinzl (Hrsg.), Greece and the Eastern Mediterranean in Ancient History and Prehistory. Studies Presented to Fritz Schachermeyr on the Occasion of his Eightieth Birthday (1977) 106–109 bes. 108; danach etwa: S. Deger-Jalkotzy in: DNP VI (1999) 650 s. v. Ko- lonisation. – Hall, Hellenicity 70 f., nimmt dagegen an, die Betonung der ersten Silbe im Namen ”Iwnej weise auf den Wegfall einer Vorsilbe. Er denkt dabei an ‘Pan-’ und vermutet, die (Selbst-)Bezeichnung der Ioner habe ur- sprünglich ‘Panioner’ (Pan…wnej) gelautet, entsprechend dem Namen für das gemeinsam gefeierte Fest der ‘Panionia’ im Bundesheiligtum, dem ‘Panionion’. 20 Zu den ’I£onej ˜lkec…twnej, den “Ionern in langen Chitonen”, vgl. Hom. Il. 13, 685 in Bezug auf die Athener, die er Il. 2, 546 ff. und 5, 689 ausdrücklich nennt. Letztere Stelle ist keine Emendation (so z. B. Prinz 364 f.; Ulf a. O. 251 mit Anm. 60; Cobet 732 Anm. 19; danach: Lohmann, Melia 67 Anm. 47). Il. 5, 685 f. erwähnt Homer noch die Boioter, Lokrier, Phtier, Epeier. Anderswo begegnen auch Arkader, Aitoler und Phoker. Nach Ethnien und ihnen zuzuweisenden Städten ist übrigens der ‘Schiffs-’ und der ‘Troerkatalog’ (das 2. Buch der Ilias) sortiert, den man dann als Ganzes als Emendation auffassen müßte. Zum Schiffskatalog, der “die politische Geographie des ausgehenden 8. bis frühen 7. Jhs. v. Chr.” zur Grundlage nehme und “mit den Verhältnissen der mythischen Vergangenheit verband”, die zumindest z. T. mykenische Wurzeln besaß: B. Eder, Noch einmal: der homerische Schiffskatalog, in: Troia 287–308 bes. 306–308; Latacz 256–289 mit Abb. 22 S. 258. – Daß in Il. 13, 685 mit den Iáones nicht die Athener, sondern Euboier gemeint sind, die im frühen 1. Jt. v. Chr. Levantehandel betrieben haben, und daß so der Ioner-Namen im Levantegebiet spätestens im 8. Jh. v. Chr. zur all- gemeinen Bezeichnung aller Griechen geworden wäre, wie W. Burkert, Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur (1984) 17 f. mit Anm. 18, annahm, ist eine Hypothese und überzeugt nicht: Die Insel Euboia ist nach der Aussage des Schiffskatalogs (Il. 2, 535 ff.) von den ‘Abantes’, nicht den Iáones, besiedelt und tritt mit einem eige- nen Kontingent von 40 Schiffen an, die die Städte Chalkis, Eretria, Histiaia, Kerinthos, Dion, Karystos und Styra unter der Führung von Elephenor stellten: Eder a. O. 303. Aus diesem Grunde bleibt auch die Annahme spekulativ, daß mit den Iáones in der Ilias die Euboier und Athener zusammen gemeint sein können (so: A. Heubeck, Zum Namen der ”Iwnej, Münchner Studien zur Sprachwissenschaft 48, 1987, 139–148 bes. 140; danach Smarczyk [s. o. Anm. 12] 52). 32 Alexander Herda trachtet21, die mythische Vorzeit des trojanischen Bezug zu den ‘Iáones’ bei Homer bleibt jedoch in Krieges. Dieser lag, nach der auch für Homer ver- beiden Fällen unklar. bindlichen Mythenchronologie, vier Generationen In den vorderorientalischen Quellen begegnen die vor dem Beginn der Ionischen Migration nach ‘Jawanaja’ bzw. ‘Jamnaja’ zuerst Ende des 8. Jhs., also Kleinasien22. Die Erwähnung der aus Attika stam- zur selben Zeit wie in Homers Ilias. In diesen Quellen menden ‘Iáones’ in der Ilias impliziert, daß die sind allerdings entweder alle Griechen gemeint, vor al- kleinasiatischen Ioner sich bereits im späten 8. Jh. v. lem die Ioner aus Euboia und Kleinasien, die im Ori- Chr. selbst als ‘Iáones’ bezeichneten und diese ent seit protogeometrischer Zeit auftraten26, oder Ethnosbezeichnung aus Athen herleiteten. möglicherweise die Küstenbewohner Westkleinasiens, Im zeitlich kurz nach Homer anzusetzenden so- also auch Nichtgriechen wie die Karer, Lykier, genannten homerischen Apollon-Hymnos ist der Pamphylier und Kilikier27. Träfe letzteres wirklich zu, Begriff ‘Iáones’ auf die Festgemeinschaft aller Ioner was mir allerdings unwahrscheinlich erscheint, gewän- in Delos als Gegenwartssituation des Hymnos (8./ ne die Annahme an Wahrscheinlichkeit, dem Namen 7. Jh. v. Chr.) bezogen23. liege eine vorgriechische, vielleicht bronzezeitliche, Daß die Ethnosbezeichnung in bronzezeitlicher luwisch-hethitische Bezeichnung für die Region zu- Tradition stehen kann, zeigt ihr Auftreten in einem grunde, die dann von den dort sich niederlassenden Linear-B-Text aus Knossos auf Kreta als ‘i-ja-wo- Griechen der frühen Eisenzeit als Ethnosbezeichnung ne’24 sowie die möglicherweise älteste Nennung der übernommen worden sei, oder aber es handelt sich Ioner in einer Aufzählung unterworfener kleinasia- um eine Fremdbezeichnung der indigenen Klein- tischer Völker im Totentempel Amenophis’ III. asiaten für die einwandernden Griechen. Schlüssig be- (1403–1364 v. Chr.) im ägyptischen Theben25. Der weisen läßt sich jedoch keine der Möglichkeiten28.

21 Hall, Hellenicity 54 mit Literatur in Anm. 102. 22 Vgl. Prinz 325–330 mit Stemmata S. 329. Daher kann auch Il. 20, 403–404 nicht das Poseidon-Helikonios-Heilig- tum im Panionion an der Mykale gemeint sein, sondern nur das Ursprungsheiligtum am Helikon in Boiotien: Herda, Panionion Kap. V mit Anm. 154; u. Kap. IV mit Anm. 102. Vgl. schon Strabons Kritik an antiken Auto- ren, die die Homerstelle auf das Panionion bezogen: Strab. 8, 7, 2. 23 Hymn. hom. Ap. 147–155; dazu DNP V (1998) 1077 s. v. Iones (F. Gschnitzer). 24 KN B 164, 4; als Ethnosname (‘Ioner’) gedeutet von: S. Deger-Jalkotzy in: DNP VI (1999) 648–651 bes. 650 s. v. Kolonisation; F. Gschnitzer in: DNP V (1998) 1077 f. s. v. Iones. 25 Vgl. H. Sourouzian – R. Stadelmann, Die älteste Erwähnung von Ioniern und Danaern, AW 36.5, 2005, 79–83 bes. 82 mit Abb. 6. – Bereits J. F. Champollion hatte in der ägyptischen Aufzählung der hethitischen Verbündeten bei der Schlacht von Qadesch (ca. 1275 v. Chr.), die Ramses II. in Luxor publizieren ließ, das Volk der ‘I-wn(n)’ als ‘Ioner’ gedeutet: Bilabel a. O. 398 f. unter Bezug auf R. Lepsius, Über den Namen der Ioner auf den ägyptischen Denkmälern, Monatsberichte d. preuß. AkadWissBerlin 1855, 497 ff.; W. M. Müller, Asien und Europa (1893) 369 f. – Die Lesung ist allerdings zu ’Irwn zu korrigieren und wird heute vokalisch ‘Arawanna’ gelesen: Vgl. etwa Bryce 235. Möglicherweise ist damit die hethitische Stadt Arinna gemeint: R. D. Barnett, The , in: CAH II 23 (1975) 359–378 bes. 360 f. Da es sich in Luxor allerdings um eine Aufzählung hethitischer Verbündeter handelt, nicht hethitischer Städte, wird es sich bei Arawana um die Stadt bzw. das Land Arawana handeln, das im Gebet Mur™ilis II. an die Sonnengöttin von Arinna (KUB XXIV 3) als ehemaliger Vasall und Feind der Hethiter bezeichnet wird: T. R. Bryce in: 75; Bryce 206. Arawana wurde im fünften Regierungsjahr Mur™ilis II. (ca. 1315 v. Chr.), ein Jahr nach der finalen Arzawa-Kampagne (s. u. Kap. V mit Anm. 129), besiegt: Bryce 197. 26 So etwa Gschnitzer a. O.; vgl. Burkert und Smarczyk (s. o. Anm. 20). 27 So etwa B. R. Rollinger, Homer, Anatolien und die Levante: Die Frage der Beziehungen zu den östlichen Nach- barkulturen im Spiegel der schriftlichen Quellen, in: Troia 330–348 bes. 336; P. Högemann, Homer und der Vor- dere Orient. Auf welchen Wegen kam es zum Kulturkontakt?, in: E. Schwertheim – E. Winter (Hrsg.), Neue For- schungen zu Ionien, Fahri Iº@k zum 60. Geburtstag gewidmet, Asia Minor Studien 54 (2005) 1–19 bes. 13. – Man vergleiche die Bedeutung des dem vorderorientalischen Jawanaja/Jam(a)naja verwandten Terminus ‘Jauna’ in den altpersischen Länderlisten. Dort bezeichnet er allgemein die ‘Völker der Westgrenze’, also neben den griechischen ‘Ionern’ auch Phryger und Thraker: H. Klinkott, Yauna – Die Griechen aus persischer Sicht?, in: Ders. (Hrsg.), Anatolien im Lichte kultureller Wechselwirkungen. Akkulturationsphänomene in Kleinasien und seinen Nach- barregionen während des 2. und 1. Jahrtausends v. Chr. (2001) 107–148. 28 Bezeichnung für die Region: Hall, Hellenicity 71. Allerdings bliebe dann zu fragen, weshalb Homer (Il. 13, 685) die Bezeichnung ‘Iáones’ auf die Athener aus Attika anwendet (freundlicher Hinweis F. Rumscheid). Das impli- ziert dann eigentlich, daß bereits Homer von einer attischen Abstammung der Ioner in Kleinasien ausging, die ihre Ethnosbezeichnung mit nach Kleinasien genommen hätten (s. o.); vgl. auch Smarczyk (s. o. Anm. 12) 52 f. – Als Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 33

In den Gründungsmythen zur Ionischen Migra- nen Herkunftsgebiete sind das messenische Pylos tion, die ein quellenkritisches Problem für sich dar- auf der Peloponnes, Athen bzw. Attika und Achaia. stellen29, bietet sich die Migration keineswegs als Die zuerst bei Mimnermos von Kolophon um zeitlich und geographisch punktueller Vorgang dar. 700 v. Chr. erwähnte Herkunft der ionischen Sied- Zum einen sind zwei der zwölf Poleis als Tochter- ler unter der Führung des Neileos, des Gründer- städte und damit sekundäre Kolonien überliefert30, heros von Milet, d i r e k t a u s P y l o s kann auf drei sind sogar erst nachträglich zu ‘ionischen’ Städ- die Erinnerung an die Präsenz mykenischer Grie- ten geworden31. Zum anderen ist die Herkunft der chen in Westkleinasien zurückgehen33. Ein Fortle- Siedler heterogen, was die Annahme unterstützt, ben der Tradition setzt dann aber eine griechische die Ethnogenese der Ioner habe erst in Kleinasien Siedlungskontinuität von der späten Bronzezeit bis stattgefunden32. Die in der Tradition hervorgehobe- in die (proto-)geometrische Zeit voraus, wie sie

Fremdbezeichnung für die seit der späten Bronzezeit nach Kleinasien einwandernden Griechen sehen den Namen Iáones an: Cassola 282–294; D. Hegyi, The Origin of the Ethnic Name: Ionian, Annales Universitatis Budapestinensis (Sectio classica) 6, 1965, 89–102; ders., Das Ionische Ethnikum, Homonoia 5, 1983, 15–51; dazu kritisch: Smarczyk (s. o. Anm. 12) 51 f. 29 Vgl. etwa die Zusammenstellung bei M. Sakellariou, La migration grecque en Ionie (1958), und Vanschoonwinkel 369–397. Betont kritisch Cobet 737, der mit Claude Baurain (Les Grecs et la Méditerranée orientale. Des ‘siècles obscurs’ à la fin de l’époque archaïque [1997] 132 f.) in subtiler Weise davor warnt, “die Quellenkritik an der Sagenüberlieferung als ‘Hyperkritik’ zu stigmatisieren und so die eigene Strategie, mit dem Rückgriff auf die Ar- chäologie die literarische Überlieferung als Quelle zurückzugewinnen, gegen Kritik zu immunisieren”. 30 Klazomenai ist eine Kolonie von Kolophon: z. B. Wilamowitz, Panionion 52. 55–57; Melia als Kolonie von Kolophon: Tausend, Amphiktyonie (s. o. Anm. 10) 72 mit Anm. 15. 31 Das ursprünglich aiolische wurde von Exilanten aus dem ionischen Kolophon erobert (vgl. u. Anm. 79). Das ebenfalls aiolische Phokaia wurde ionisch, nachdem es Adelige aus der Familie der Ktistai von Teos und Erythrai (die sogenannten Kodridai, benannt nach Kodros von Athen) aufgenommen hatte. Chios schließlich wurde ionisch, nachdem sein König Hektor (ca. 700 v. Chr.?) euboiische ‘Abantes’ und karische Siedler von der Insel vertrieben und sich um die Aufnahme in den ionischen Bund bemüht hatte: z. B. Wilamowitz, Panionion 52–54; B. Kowalzig, Mapping out Communitas: Performance and Theôria in their Sacred and Political Context, in: J. Elsner – I. Rutherford (Hrsg.), Pilgrimage in Graeco-Roman and Early Christian Antiquity. Seeing the Gods (2005) 41–71 bes. 50 f.; s. u. Anm. 83. 32 Vgl. Hdt. 1, 145–147; Paus. 7, 2, 3–4; dazu etwa: J. M. Cook in: CAH II 23 (1975) 783 f.; C. J. Emlyn-Jones, The Ionians and Hellenism. A Study of the Cultural Achievment of the Early Greek Inhabitants of Asia Minor (1980) 13 f.; B. Smarczyk, Untersuchungen zur Religionspolitik und politischen Propaganda Athens im Delisch- Attischen Seebund (1990) 328–359 bes. 359; Hall, Hellenicity 68 f. 33 Kolophon wurde von Andraimon, einem Pylier, gegründet: Mimnermos, Nanno fr. 9 (West) = Strab. 14, 1, 3; dazu: Herda, Neileos Anm. 49; S. 11 mit Anm. 66; Lemos 724 mit Anm. 82 (Lemos geht von einer griechischen Migration nach Kleinasien in der späten Bronzezeit aus); vgl. auch Eustath. Dion. 823 (nach Jacoby, Marmor Parium [s. o. Anm. 7] 92). Zu Neileos vgl. Herda, Neileos passim. – Zu Griechen im bronzezeitlichen Kleinasien und möglichen Kontinuitäten in die frühe Eisenzeit vgl. bereits: Bilabel a. O.; F. Cassola, La Ionia nel mondo miceneo (1957); M. Sakellariou, La migration grecque en Ionie (1958). Dazu außerdem: Vanschoonwinkel 367 ff. (mit älterer Literatur). 398 f. 404; K.-W. Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis (1992) 53–57; ders., Die griechische Frühzeit 2000 bis 500 v. Chr (2002) 28 ff. bes. 32, der auch auf den Kykladen von einem Siedlungs- kontinuum ausgeht. Vgl. Cobet 739 mit Anm. 72 f. Unter der Voraussetzung einer direkten Abkunft der ionischen Siedler aus Pylos (neben Mimnermos sind als Quellen zu nennen: Paus. 7, 2, 2–5; Strab. 7, 7, 2; 14, 1, 3), die bereits in SH III C Mitte (kurz nach 1200 v. Chr.) erfolgt sei, geht D. Schilardi (The Prehistoric Cult of Poseidon in the Peloponnese: The Cases of Pylos, Helike, and Methana, in: D. Katsonopoulou – S. Soter – D. Schilardi [Hrsg.], Helike II. Ancient Helike and Aigialeia [1998] 267–282 bes. 274; ders., Helike and Ionia, in: Ebenda 283–318 bes. 294 ff. 303) davon aus, daß der Kult des Poseidon (Helikonios) bereits Ende der Spätbronzezeit von Helike in Achaia nach Ionien gelangt sei. – Graf 2 mit Anm. 6, Deger-Jalkotzy (s. o. Anm. 24) 649 und Vanschoonwinkel 166–169. 180. 399 weisen dagegen für das westkleinasiatische Ionien auf die bisher nicht sicher nachgewiesene Siedlungs- kontinuität zwischen Spätmykenisch (SH III C Spät) und Protogeometrisch hin. Diese Übergangsphase wird auf dem griechischen Festland mit der sogenannten submykenischen Keramikstilstufe verbunden, die nach der her- kömmlichen Chronologie zwischen 1075–1050 v. Chr. (dazu Eder [s. o. Anm. 18] 23 f. mit Anm. 27 Abb. 2) bzw. 1050/30 und 1020/00 v. Chr. datiert wird: P. A. Mountjoy, Mycenaean Pottery. An Introduction (1993) 114–118 (submykenische Keramik). Zur submykenischen Zeitphase vgl. auch: Vanschoonwinkel 242–247; Schilardi, Helike and Ionia a. O.; I. Morris, Archaeology as Cultural History. Words and Things in Iron Age Greece (2000) 198–207. Zur submykenischen Keramik aus Milet: Mountjoy a. O. 176 mit Anm. 443; B. u. W.-D. Niemeier, Projekt ‘Mino- 34 Alexander Herda vielleicht in Milet bestanden hat. Wolf-Dietrich Achaia, die auch die Achaier übernommen haben Niemeier hat hierfür mögliche Belege angeführt, sollen38. vor allem die sich kontinuierlich fortsetzende ‘grie- Doch die Herkunft der Siedler ist noch weiter chische’ Keramikproduktion von SH III C Spät zu diversifizieren: Neben den drei oben genannten über Submykenisch bis Frühprotogeometrisch34. Hauptherkunftsgebieten bezeugen die Quellen wei- Die erklärte Abkunft der ionischen Gründer- terhin Thebaner und andere Boioter, Minyer, Dry- heroen unter Führung des Neileos diesmal a u s oper, Thessalier sowie Abantes aus Euböa, um nur A t h e n , zuerst explizit bei Solon um 600 v. Chr. die wichtigsten zu nennen39. bezeugt35, doch implizit schon bei Homer angedeu- In der Folge sollte man daher, wie dies bereits tet, der die ‘Iáones’ aus Athen stammen läßt (s. o.), Michael Sakellariou tat, vorsichtiger von einer “Mi- wurde vor allem seit dem 6. Jh. v. Chr. als Instru- gration der Griechen nach Ionien” sprechen40 bzw. ment Athens eingesetzt, sein Hegemoniestreben in von einer ‘Ionischen Ethnogenese in Westkleinasien’ der östlichen Ägäis durchzusetzen, etwa auch im und nicht von einer ‘Ionischen Migration’ nach Kontext der panionischen Festgemeinschaft auf De- Kleinasien41. Hier wird die alte Bezeichnung aber der los und später des Delisch-Attischen Seebundes36. Einfachheit halber beibehalten. Die Herleitung der Ioner a u s A c h a i a auf Es ist davon auszugehen, daß neben einem allge- der Nordpeloponnes wiederum steht in Zusam- meiner verbreiteten ‘ionischen Mythenschatz’ in je- menhang mit der Einrichtung der Kultgemeinschaft der der ionischen Poleis eigene Gründungsmythen im Panionion an der Mykale, auf das gleich noch erzählt wurden, die z. T. in Konkurrenz zueinander einzugehen ist37. So spiegelt etwa die Zwölfzahl der standen. Insbesondere Milet und Ephesos stritten ionischen Städte im Panionion die erklärte ursprüng- um die Vorrangstellung ihrer Gründerheroen Nei- liche Aufteilung der Ioner in zwölf mšrh (“Teile”) in leos und Androklos42, auch wenn vielleicht in Wirk-

isch-mykenisches bis protogeometrisches Milet’: Zielsetzung und Grabungen auf dem Stadionhügel und am Athenatempel, AA 1997, 189 ff. bes. 205 mit Anm. 205; W.-D. Niemeier, Milet 16 mit Anm. 116; Lemos 718 f. mit Anm. 47 ff.; Cobet 729 f. mit Anm. 2 ff.; vgl. den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band. 34 Vgl. u. Kap. V. VII und den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band. 35 Solon fr. 4a (West); vgl. zum Ausdruck presbÚtath ga‹a ’Iaon…hj (auf Athen/Attika bezogen), “der den Vorrang, nicht das Alter bedeutet”: Wilamowitz, Wanderung 72; vgl. auch Hall, Hellenicity 69. Da mit den Iáones bei Hom. Il. 13, 685 höchstwahrscheinlich die Athener gemeint sind (vgl. o. Anm. 20), wäre schon bei Homer die Herkunft der Ioner aus Athen bzw. Attika impliziert. 36 Prinz 314–376; Smarczyk a. O. 318–384 bes. 371–384. 464–482. 615–618; DNP VI (1999) 648–651 s. v. Kolonisation (S. Deger-Jalkotzy); Quellen-Übersicht bei Rubinstein 1053; Lemos 714 mit Anm. 7; 724 mit Anm. 81. 37 Hdt. 1, 145 f.; 7, 94–95; Strabon 8, 7, 1; Paus. 7, 1, 1–6. 38 Hdt. 1, 145; vgl. dazu z. B. Wilamowitz, Panionion 48; Rubinstein 1055; C. Morgan – J. M. Hall, Achaia, in: M. H. Hansen – T. H. Nielsen (Hrsg.), An Inventory of Archaic and Classical Greek Poleis (2004) 472 ff. bes. 473. 39 Vgl. o. mit Anm. 32. Prinz 370 wertet die Überlieferung dagegen “allenfalls” als Beleg für “die spätere Zusiedlung anderer Griechen in die ionischen Städte”. 40 Vanschoonwinkel 369. 404 unter Berufung auf Sakellariou, der sein Werk entsprechend ‘La migration grecque en Ionie’ betitelte. 41 Vgl. die kritischen Überlegungen von Ulf (s. o. Anm. 16), die m. E. aber zu weit gehen. Für das Vorhandensein stammesartig organisierter Verbände in der frühen Eisenzeit s. o. Anm. 10. 42 Die lokalen und kollektiven Gründungsmythen sind keinesfalls die einzigen Mythen, die die Ioner kannten. Gegen diese von M. P. Nilsson (The Mycenaean Origin of Greek Mythology [1932] 54–60; ders., Homer and Mycenae [1933] 110 f.) vertretene Ansicht, die z. T. heute noch Anhänger findet, stellt sich m. E. zu Recht Cassola (s. o. Anm. 33) 98 f., der etwa auf die Mythenkreise von Bellerophon und Glaukos, den trojanischen Krieg und die Argonautensage hinweist, die ionische Mythen seien. Zu nennen wäre auch der Perseus–Medusa–Mythos, vgl. vorerst: Herda, Panionion–Melia Kap. VII. – Zur Konkurrenz von Milet und Ephesos vgl. F. Jacoby in seinem Kommentar zum die Ionische Migration betreffenden Passus des Marmor Parium (FGrHist 239, 27): FGrHist II B (1962) 682 f. Er ver- mutete m. E. zu Recht, daß Ephesos erst nach dem Niedergang Milets nach den Perserkriegen die Führungsrolle un- ter den ionischen Städten erfolgreich beanspruchen konnte. Vgl. zur Konkurrenz Milet – Ephesos auch Herda, Neileos 1. 11. 19 f. 47; zu Ephesos’ Rolle auch Kowalzig (s. o. Anm. 31) 49 f. und, ausgehend von der Version der ionischen Migration, die Strabon gibt, N. Luraghi, Appunti sulla Ionia nella Geografia di Strabone, in: A. M. Biraschi – G. Salmeri (Hrsg.), Strabone e l’Asia minore (2000) 357–371 bes. 364–367. Daß Ephesos schon in der Frühzeit der Ionischen Migration eine bedeutende Stadt gewesen sein muß, leitet sich daraus ab, daß es die alte Hauptstadt des bronzezeitlichen luwischen Königreichs von Arzawa-Mira, Aba™a, war: Vgl. u. Kap. V. VII. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 35 lichkeit Kolophon mit seinem Gründerheros An- Apollon von Delphi fordert die Ioner schließlich auf, draimon ursprünglich die bedeutendste der ionischen die “rechtlosen” Karer zu vertreiben, ein anderes rät Städte gewesen war43. Die zu offiziellen Anlässen re- ihnen, gut in Waffen gerüstet gegen die “goldenen zitierten Gründungsmythen waren als ‘Mythen der Männer” zu ziehen49. Angespielt ist hier auf die Souveränität’44 fester Bestandteil eines Gründer- Karer Nastes und Amphimachos als Verbündete der kultes, der sich im Falle des Neileos bis ins 7. Jh. v. Trojaner in Homers Ilias, die “goldgeschmückt wie Chr. zurückverfolgen läßt45. Koren in den Krieg ziehen”50 – eindeutig eine Die Landnahme der ‘ionischen’ Griechen in pejorative Charakterisierung Homers, die das Kli- Karien ist in diesen Mythen durch die griechischen schee vom verweichlichten, weibischen Orientalen Götter sanktioniert: Die Schutzgottheit (Hegemone) vorwegnimmt51, das im Übrigen, eine Ironie der Ge- des Neileos etwa ist Artemis Kithone. Sie führt die schichte, nach den verlorenen Perserkriegen auf die Siedler in Gestalt eines Hundes an46, also in einer Ioner zurückfärbte52. theriomorphen Epiphanie, vergleichbar dem Er- Die Migration wird insgesamt als gewaltsamer scheinen des delphingestaltigen Apollon bei der Prozeß geschildert, da die griechischen Siedler sich Gründung des bronzezeitlichen Oikous-Milet47 oder vorzugsweise an Orten indigener Siedlungen nie- des bronzezeitlichen Krisa-Delphi48. Ein Orakel des derließen53. Kyaretos, ein Bruder des Neileos, er-

43 Vgl. Wilamowitz, Wanderung 64 f.; F. Schachermeyr, Die griechische Rückerinnerung im Lichte neuer Forschun- gen (1983) 309–311. Reste des Gründungsmythos von Kolophon finden sich z. B. bei Mimnermos, Nanno fr. 9 (West) = Strab. 14, 1, 3; vgl. o. Anm. 33. 44 Diesen Begriff prägte F. de Polignac, La naissance de la cité grecque (1984) 127 ff. bes. 132 ff.; ders., Repenser la ‘cité’? Rituel et société en Grèce archaïque, in: M. H. Hansen – K. Raaflaub (Hrsg.), Studies in the Polis (1995) 7 ff. bes. 16–18; vgl. Herda, Neileos 19. 45 Herda, Neileos passim. 46 Kallim., Artem. 225 ff.; Libanius 5, 34; vgl. Herda, Neileos 26 f.; Herda, Delphinios–Didymeus Kap. IV mit Anm. 118; Kap. IX mit Anm. 285. Die Tatsache, daß sich die ‘ionischen’ Milesier ihre göttliche Führerin Artemis Kithone in Hundegestalt vorstellten, impliziert die Einbindung von Hunden in den Kult und schließt m. E. Hundeopfer im Rahmen des Artemis-Kithone-Kultes aus: Vgl. u. Anm. 411. – Der in einer lex sacra für diesen Kult in Milet enthaltene Passus, daß, wer eine Frau im Kindbett oder eine säugende Hündin berührt habe, drei Tage das Heiligtum nicht betreten darf, impliziert, daß (Jagd-)Hunde zum Heiligtum Zutritt hatten: A. Rehm in: Ders. – P. Herrmann, Die Inschriften von Milet, Teil 1: A. Inschriften n. 187–406, B. Nachträge und Übersetzun- gen zu den Inschriften n. 1–406, Milet VI 1 (1996) 19–22 Nr. 202 Z. 6–8; vgl. die deutsche Übersetzung von P. Herrmann ebenda 199; dazu Herda, Neileos Anm. 233. 47 Kallim., Branchos fr. 229, 12–13 (Pfeiffer); dazu A. Herda, Apollon Delphinios, das Prytaneion und die von Milet, AA 2005, 243–294 bes. 287 f.; Herda, Delphinios–Didymeus Kap. I mit Anm. 12; Kap. IX mit Anm. 305. 48 Hom. hymn. Ap. 388 ff.; vgl. Herda, Delphinios–Didymeus Kap. I; V mit Anm. 161; IX mit Anm. 284 ff. 316. 49 H. W. Parke – D. E. Wormell, The Delphic Oracle II: The Oracular Responses (1956) 122 Nr. 301 f.; J. Fontenrose, The Delphic Oracle (1978) 381 L 69. 70; dazu Herda, Neileos 7 f. 50 Hom. Il. 2, 867–875; dazu Herda, Neileos 8. Nicht eindeutig ist, ob der Goldschmuck auf Nastes oder Amphimachos zu beziehen ist. Sicher ist allerdings, daß die antiken Kommentatoren dieser Stelle (etwa Simonides, Schol. A), die von goldenen Waffen statt Schmuck ausgehen, sich irren. Schon Aristarchos bemerkte in seinem Homerkommentar, es handele sich um goldene Haarsspangen, und verglich dazu den Haarschmuck des trojanischen Adeligen Dardanos, den Homer an anderer Stelle (Il. 17, 51 f.) beschreibt: G. S. Kirk, The Iliad: A Commentary I. Books 1–4 (1985) 261 zu Vers 872. Die goldenen Haarspangen dürften demnach als Trachtmerkmal der west- kleinasiatischen adeligen Männer aufzufassen sein. Man vergleiche dazu auch die Beschreibung des Gold- und Silberschmucks im Haar des Dardaners Euphorbos (Il. 17, 51 f.): C. Sourvinou-Inwood, Hylas, the Nymphs, Dio- nysos and Others. Myth, Ritual, Ethnicity (2005) 42. Zu überprüfen bliebe, ob hier eine noch zu Zeiten Homers ge- bräuchliche Sitte oder aber eine ‘Rückerinnerung’ an eine solche aus der Spätbronzezeit vorliegt. 51 J. Latacz (Hrsg.), Homers Ilias. Gesamtkommentar II. Zweiter Gesang (B), Faszikel 2. Kommentar (2003) 286 f.; Sourvinou-Inwood a. O. 40–46. 52 W. R. Connor, The Ionian Era of Athenian Civic Identity, Proceedings of the American Philosophical Society 137, 1993, 194–206 bes. 199 f.; vgl. z. B. für Milet Aristoteles fr. 557 Rose (= Athen. 12, 523e–f); dazu Gorman 13. 53 Nur für Phokaia und Klazomenai, beides Kolonien der älteren ionischen Gründungen Teos und Kolophon, hät- ten, so überliefert Pausanias (7, 3, 8–10), die Ioner keine indigene Vorgängersiedlung vorgefunden; vgl. Wilamowitz, Panionion 55–57. Allerdings ist im Falle von Klazomenai eine große kleinasiatisch-bronzezeitliche Siedlung (Liman Tepe) an der Stelle der protogeometrischen Gründung archäologisch nachgewiesen (s. u. Anm. 36 Alexander Herda oberte Myous von den Karern54. Androklos, ein an- marriages’, die insbesondere von den führenden ioni- derer Bruder des Neileos, vertrieb aus Ephesos die schen Adelsfamilien praktiziert wurden. Durch Leleger, die zu den Karern gezählt wurden, sowie Heiratsallianzen mit lokalen Fürstenfamilien konn- die Lyder55, fiel dann aber im Kampf gegen die ten sie ihre Herrschaftsposition im neuen Territori- Karer, als er den griechischen Siedlern in Priene zu um festigen60. Hilfe kam56. Auch Neileos starb im Kampf gegen Daß die karischen Frauen in Milet karische Bräu- die Karer57. che weitertradierten, läßt die merkwürdige Erzählung Doch die ‘Ioner’ setzten sich schließlich durch: bei Herodot annehmen, der zufolge diese Frauen in Gemäß Herodot töteten diejenigen, die sich aus Erinnerung an die Tötung der karischen Männer mit Athen kommend in Milet niederließen, alle karischen den griechischen Männern weder zusammen speisten Männer und nahmen deren Frauen und Töchter zu noch sie mit Namen riefen61. Auch ist es bezeichnend, Frauen58. Solche sogenannten mixed marriages oder daß Herodot aufgrund dieses Umstandes der grie- intermarriages, die z. B. für die griechische Kolonisa- chisch-karischen Mischehen süffisant den Anspruch tion in archaischer Zeit nachweisbar sind, bieten eine der Milesier, die ‘reinblütigsten’ (gennaiÒtatoi), direkt Möglichkeit der Akkulturation zwischen Karern und vom Heiligen Herd des athenischen Prytaneions her- Griechen59. Die griechische Überlieferung zur Ioni- stammenden Ioner zu sein, in Frage stellen konnte62; schen Migration bietet weitere Beispiele für ‘mixed genauso wie er den Ionern des Zwölfstädtebundes

320), wenn auch fraglich ist, ob ein Siedlungskontinuum oder eine kürzere Unterbrechung der Besiedlung vor der griechischen Einwanderung stattgefunden hat: Y. Ersoy, Notes on History and Archaeology of Early Clazomenae, in: Frühes Ionien 149–178 bes. 151 mit Anm. 1 ff. Die früheste Keramik in Klazomenai, die mit der Migration verbunden werden kann, ist submykenisch: s. u. Anm. 260. Zum mittelprotogeometrischen Oval- oder Apsidenhaus in Klazomenai s. u. Kap. VIII mit Anm. 319; Kap. IX Anm. 438. 54 Paus. 7, 2, 10; bei Strab. 14, 1, 3 heißt er Kydrelos; dazu Vanschoonwinkel 370; Herda, Neileos 35. 55 Paus. 7, 2, 8; vgl. Strab. 14, 1, 3, der Pherekydes zitiert (FGrHist 3 F 155), wonach die Küste von Milet über Myous und die Gegend um die Mykale bis Ephesos ursprünglich karisch waren, danach bis Phokaia und Chios sowie Samos lelegisch (regiert von Ankaios!). Die Leleger und Karer seien vertrieben worden und hätten sich in das verbliebene Gebiet der Karer zurückgezogen. 56 Paus. 7, 2, 9–10; dazu Herda, Neileos 7. 57 A. Rehm – R. Harder, Die Inschriften von , Didyma II (1958) 299 Nr. 496 Z. 9; dazu Herda, Neileos 7 f. 58 Hdt. 1, 146; vgl. Paus. 7, 2, 5–6, der allerdings abweichend berichtet, nicht alle Männer seien getötet worden, viel- mehr hätten einige der “alten Milesier” (= Karer und Kreter) bei der Belagerung Milets durch die Ioner entkom- men können; dazu Herda, Neileos 7 f. 35; A. Greaves, Dionysius of , Antiquitates Romanae 2. 30 and Herodotus 1. 146, ClQ 1998, 20–22. 59 Vgl. Herda, Neileos 35 mit Anm. 279 f.; G. Shepherd, Fibulae and Females: Intermarriage in the Western Greek Colonies and the Evidence from the Cemeteries, in: G. Tsetskhladze (Hrsg.), Ancient Greeks West and East (1999) 267–300; Hall, Hellenicity 97–103; ders., How ‘Greek’ were the Early Western Greeks?, in: K. Lomas (Hrsg.), Greek Identity in the Western Mediterranean. Papers in Honour of Brian Shefton (2004) 35–54 bes. 40 f.; M. Finkelberg, Greeks and Pre-Greeks. Aegean Prehistory and the Greek Heroic Tradition (2005) 93. – Zu analogen Erscheinun- gen in der dorischen Einflußzone Kariens s. den Beitrag von A. Bresson in diesem Band [Anm. Red.]. 60 Vgl. dazu etwa C. Roebuck, Ionian Trade and Colonization (1959) 31 mit Anm. 31; Bryce, Neighbours 18. In die- sen Zusammenhang gehört m. E. auch die von Pausanias (7, 2, 8) wiedergegebene Geschichte, wonach die ioni- schen Siedler unter Führung des Androklos in Ephesos ‘Verträge’ mit einigen Indigenen, die um das Heiligtum der Artemis herum wohnten, abschlossen, so daß diese wohnen bleiben konnten. Zu ihnen sollen auch Frauen aus dem Geschlecht der Amazonen gehört haben, die möglicherweise im Rahmen der Verträge mit den ionischen Ko- lonisten verheiratet wurden. 61 Hdt. 1, 146, 3: m» kote ÐmositÁsai to‹si ¢ndr£si mhd} oÙnÒmati bîsai tÕn ˜wutÁj ¥ndra. Dazu meinte Wilamowitz, Wanderung 78: “Damals waren die wirtschaftlichen Zustände denen Spartas gar nicht unähnlich; die Männer lebten von ihren Frauen getrennt in Syssitien, ...”. Diese Erklärung erscheint allerdings fraglich. Eine von der ihrer griechischen Männer abweichende Speisesitte überliefert Herodot (4, 150–159) beispielsweise auch für die von indigenen libyschen Nomaden abstammenden Frauen in der theräischen Kolonie Kyrene: Sie aßen kein Rindfleisch. Vgl. dazu Shepherd a. O. 268 f. 62 Hdt. 1, 146, 2–3; vgl. J. Coldstream, Mixed Marriages at the Frontiers of the Greek World, OxJA 12, 1993, 89– 107 bes. 96–99; Hall, Identity (s. o. Anm. 15) 52; Greaves 77. Herodot (1, 147) spricht in diesem Zusammenhang auch von kaqarîj gegonÒtej ”Iwnej, “Ionern reiner Abstammung”: J. McInerney, Ethnos and Ethnicity in Early Greece, in: Malkin (Hrsg.) (s. o. Anm. 10) 51–73 bes. 58 f. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 37 ihren Anspruch, die reinrassigsten Ioner von allen zu Platz beim heutigen Ort Güzelçaml@67 wurde in den sein, mit dem Hinweis auf ihre unterschiedliche, z. T. 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in drei kurzen ‘nicht-ionische’ Herkunft zunichte machte63. Der in Kampagnen nur zum Teil ausgegraben68 (Abb. 2). Halikarnassos aufgewachsene ‘karisierte Dorer’ He- Man fand auf einer flachen Hügelkuppe, die mit ei- rodot ging sogar so weit zu betonen, die ursprüng- ner Terrassenmauer nach Westen hin abgestützt ist, lich aus Attika stammenden Ioner seien auf die bar- die Reste eines langrechteckigen Altarfundamentes. barischen, fremdsprachigen Pelasger zurückzuführen Aufgrund weniger Keramikfunde, die durch die un- – im Gegensatz zu den Dorern, die alleine den An- günstige Erhaltungssituation auf der Hügelkuppe spruch vertreten könnten, wahre Hellenen zu sein64. und die nur punktuellen Grabungen erklärt werden können69, sowie aufgrund bautypologischer und bautechnischer Vergleiche wurde die Anlage spät- IV. Die Konstruktion von Identität: archaisch datiert70. In die Zeit der Neugründung im Das Panionion und der Kult des 4. Jh. v. Chr. gehört dagegen das theaterartige ‘Bou- Poseidon Helikonios leuterion’ im Südwesten am Fuße des Otomatik Tepe71. Am Hang zwischen Altarterrasse und ‘Bou- Kristallisationspunkt der ionischen Ethnogenese leuterion’ befindet sich schließlich eine tiefe Karst- in Kleinasien ist das Panionion, das dem Poseidon höhle. Sie wird als Naturmal das eigentliche Zentrum Helikonios geweihte Bundesheiligtum der Ioner65. des Poseidon-Heiligtums dargestellt haben72. Posei- Herodot zufolge lag es auf der Nordseite des don wird hier als Gott der Naturgewalten (z. B. der Mykale-Gebirges, laut Strabon war es nur drei Stadi- Erdbeben und der Gewalten des Meeres) verehrt en von der Küste entfernt66. Der bereits von Theodor worden sein73. Die ursprüngliche Ausdehnung des Wiegand Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckte Heiligtums läßt sich aufgrund der lückenhaften For-

63 Hdt. 1, 145 f.; dazu Wilamowitz, Panionion 48 f.; Rubinstein 1055. 64 Hdt. 1, 56 f.; dazu RE Suppl. 2 (1913) 205–520 bes. 211 s. v. Herodotos [7] (F. Jacoby). 65 Zum Panionion vgl. jetzt Herda, Panionion–Melia. 66 Hdt. 1, 148; Strab. 14, 1, 20. 67 Th. Wiegand – H. Schrader, Priene. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen in den Jahren 1895–1898 (1904) 25 f.; dazu Kleiner in: Panionion 3. 68 Vgl. Panionion. 69 Vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. III mit Anm. 23; Kap. IV mit Anm. 52. 70 W. Müller-Wiener in: Panionion 22–28 Abb. 7–10. Zur Datierung vgl. jetzt Herda, Panionion–Melia Kap. III mit Anm. 28 ff. 71 Vgl. W. Müller-Wiener in: Panionion 28–37 Abb. 11–14; dazu Herda, Panionion–Melia Kap. III mit Anm. 33 ff. 72 Zur Höhle vgl. G. Kleiner in: Panionion 13. 20 f. Abb. 5–6; Herda, Panionion–Melia Kap. III mit Anm. 45 ff.; Kap. IV mit Anm. 75. 73 Zu diesen Eigenschaften des Poseidon Helikonios in Helike/Achaia vgl. Mylonopoulos, Heiligtümer (s. o. Anm. 10) 38 f.; allgemein ebenda 391–398; S. G. Szidat, Poseidon als Erderschütterer (2001). Die Verbindung Poseidons mit Erdbeben läßt sich bis in die mykenische Zeit zurückverfolgen: In Knossos trägt Poseidon die Epiklese e-ne-si-da- o-ne, “Erderschütterer” (KN M 719, im Dativ) wie dann später noch bei Homer (‘Ennosigaios’ vgl. z. B. Il. 7, 455; 8, 201; Od. 9, 518; ‘Enosichthon’ vgl. z. B. Il. 8, 208; 20, 318. 330. 405); vgl. E. Vermeule, Greece in the Bronze Age (1964) 293; Ventris – Chadwick 126. 309 zu Nr. 204 (KN Gg 704, ergänzt); Schilardi, Cult (s. o. Anm. 33) 271. – Zu Höhlen in Poseidon-Heiligtümern vgl. z. B. den Befund im Heiligtum von Tainaron: R. W. Schumacher, Three Related Sanctuaries of Poseidon: Geraistos, Kalaureia and Tainaron, in: N. Marinatos – R. Hägg (Hrsg.), Greek Sanctuaries, New Approaches (1993) 62–87 bes. 73; vgl. Mylonopoulos, Heiligtümer (s. o. Anm. 10) 229–240 bes. 232. – Daß in der Höhle neben Poseidon Helikonios auch Apollon Panionios verehrt worden sein soll, der den Po- seidon-Kult in seiner Bedeutung zurückgedrängt habe, wie E. Simon, Die Götter der Griechen2 (1980) 77 ff., an- nimmt (danach auch Smarczyk [s. o. Anm. 32] 128 Anm. 217; 365 Anm. 84), ist genauso unwahrscheinlich wie die These, Apollon Panionios, nicht Poseidon Helikonios, sei ursprünglicher Bundesgott der Ioner gewesen (so etwa Th. Lenschau, Die Gründung Ioniens und der Bund am Panionion, Klio 36, 1944, 201–237 bes. 228. 235). Die An- nahme einer Kultgemeinschaft im Panionion an der Mykale beruht auf einer Angabe Vitruvs (4, 1, 5), die allerdings erst für den späten Hellenismus und das Apollon-Heiligtum in Klaros gilt, als das Fest der Panionia in verschiede- nen ionischen Heiligtümern gefeiert wurde, etwa auch im Heiligtum des Apollon Klarios Panionios: Herda, Panionion–Melia 57 ff. 38 Alexander Herda schungslage nur grob eruieren. Der Befund in zwei beim um die 800 m hohen Çatallar Tepe zu suchen bis auf den gewachsenen Fels hinabgeführten Tief- ist, das spätarchaische Panionion (ca. 550–494 v. sondagen im Tal südlich des Otomatik Tepe zwischen Chr.) gar an bisher unbekannter Stelle gelegen habe ‘Bouleuterion’ und sogenanntem karischen Grabbau und erst im 4. Jh. v. Chr. ein neues Panionion bei legt nahe, daß das Heiligtumsareal bereits in archai- Güzelçaml@ eingerichtet wurde, ist unwahrschein- scher Zeit nicht nur den Otomatik Tepe, sondern zu- lich, wie an anderer Stelle gezeigt wird77. mindest auch die südlich und östlich angrenzende Tal- Delos war das Heiligtum, in dem sich seit dem ebene miteinschloß74. Auf diese Weise wäre ausrei- späteren 8. Jh. v. Chr. alle Ioner, also auch die des chend Platz für die aus den Mitgliedsstädten per Schiff Festlandes und der Inseln, trafen, um Apollon Delios anreisenden Festgesandtschaften vorhanden gewesen, als gemeinsamen Bundesgott (Apollon ‘Panionios’) die noch im Hellenismus während der wohl mehrtä- zu verehren78. Mindestens seit dem 6. Jh. v. Chr. be- gigen Feiern im Panionion in Zelten kampierten75. anspruchten die Athener die Führung dieses Bundes Daß – wie jetzt von H. Lohmann vertreten76 – für sich. Demgegenüber hatten sich die zwölf ioni- ein älterarchaisches Panionion stattdessen bis zu schen Städte Westkleinasiens für ihre Zusammen- seiner Zerstörung etwa 550 v. Chr. mitten auf der künfte gemäß der Nachricht Herodots das Panio- Mykale ca. 3,5 km nordöstlich oberhalb Prienes nion reserviert. Die anderen Ioner hatten hier aus-

74 Vgl. P. Hommel in: Panionion 75 f.: “Am östlichen Rand des breiten Tals zwischen dem Panionionhügel und dem Burgberg von Melie, das heute von Feldern und Weideland bedeckt ist, wurden (Mai 1960) in verhältnismäßiger Nähe zum Bouleuterion sowohl als auch zum karischen Grabbau in zwei durch rote Erde auf den Steinunter- grund geführten kleinen Schnitten Scherben von dünnwandigen Schälchen des 6. Jhs. [v. Chr.] und grobe Scher- ben großer Gebrauchsgefäße aus rotem Ton gefunden. Letztere fanden sich auch auf der Oberfläche der umlie- genden Äcker. Mauerreste kamen nicht zum Vorschein.” Zum sogenannten karischen Grabbau vgl. ebenda 167– 170 Plan I “Steinwall”. 75 Alle Städte des Ionischen Bundes waren Hafenstädte, mit Ausnahme von Kolophon. Doch Kolophon dürfte in der Frühzeit über die später unabhängige Hafensiedlung verfügt haben. Die Lage des Panionions direkt am Meer erweist sich in diesem Zusammenhang als ideal: Der vorhandene flache Sandstrand wenige hundert Meter westlich des Heiligtums ermöglichte ein problemloses Anlanden der Schiffe. – Zum Kampieren in Zelten während der Panionia vgl. F. Hiller von Gaertringen, Inschriften von Priene (1906) 207 Nr. 490; Syll. I3 566–572 Nr. 344 Z. 3 skhnoàn ... kaˆ panhgur…zein (Erlaß des Antigonos Monophthalmos für Teos und Lebedos 303 v. Chr.); dazu G. Kleiner in: Panionion 17; P. Hommel ebenda 57 Anm. 149. Ebenda 12 nahm Kleiner an, die Festgesandtschaften hät- ten nicht am Otomatik Tepe, sondern auf dem Kale Tepe im Schutze der unteren Befestigungsmauer kampiert (vgl. auch P. Hommel ebenda 161). Dies mag für Notfälle gegolten haben, doch lagen ‘Festwiesen’ regelhaft in Heiligtü- mern in der direkten Nähe der Opferplätze; vgl. U. Sinn, Greek Sanctuaries as Places of Refuge, in: Marinatos – Hägg a. O. 88 ff. bes. 97 Abb. 5, 4–5, 10 (Olympia; Ägina; Perachora; Thermon, Apollon-Heiligtum; Sounion, Po- seidon-Athena-Heiligtum); vgl. dazu Herda, Apollon Delphinios 300 mit Anm. 2131. 76 Zuletzt Lohmann, Melia passim; ders., Topographie 167. 218 f. s. v. Melia; 224 f. s. v. Mykale [2]; 234 f. s. v. Panionion; ders., Survey of Mykale (Dilek Da%lar@), 3rd Campaign: The Discovery of the Archaic Panionion, in: 23. AST Ankara 2005 I (2006) 241–252. 77 Vgl. meine Argumentation in: Herda, Panionion–Melia Kap. II–IV mit Nachtrag. Zur Siedlung auf dem Çatallar Tepe, möglicherweise das Arinnanda der hethitischen Quellen, vgl. hier Kap. VII. 78 Vgl. Hom. hymn. Ap. 147. 152; Hdt. 4, 35, 3; Thuk. 3, 104. Zu Delos als gesamtionischem Heiligtum, das insbesondere von Athen als Bühne für sein panionisches Hegemoniestreben seit den Peisistratiden (2. Hälfte 6. Jh. v. Chr.) genutzt wurde: Wilamowitz, Wanderung 71 f.; M. P. Nilsson, Cults, Myths, Oracles, and Politics in (1972) 60– 64; Smarczyk (s. o. Anm. 32) 464–482; ders., Ionier (s. o. Anm. 12) 68 (vor Ende des 8. Jhs. v. Chr. zu datierende Bil- dung einer Amphiktyonie); Hall, Identity (s. o. Anm. 15) 55. – Zum Apollon Klarios als ‘Panionios’ vgl. Herda, Panionion 57–59. – Die erst kürzlich wieder von R. W. V. Catling, BSA 93, 1998, 365 ff. bes. 373, vertretene Ansicht, Delos habe schon in protogeometrischer Zeit die Funktion eines panionischen Heiligtums besessen, muß erst bewie- sen werden. In-situ-Befunde der protogeometrischen und frühgeometrischen Zeit fehlen sowohl im Apollon- als auch im Artemis-Heiligtum. Die frühesten Bauten im Apollon-Heiligtum sind Bau G (1. Hälfte 8. Jh. v. Chr.) und der ‘Pre- Oikos’ (um 700 v. Chr.), im Artemis-Heiligtum ‘Artemision E’ (Ende 8. Jh. v. Chr.): Vanschoonwinkel 147–149; A. Mazarakis-Ainian, From Rulers’ Dwellings to Temples. Architecture, Religion and Society in Early Iron Age Greece (1100–700 B.C.) (1997) 179–183. – Zur Deponierung spätbronzezeitlicher (SH III C Spät – Submykenisch) ‘Kultparaphernalia’, etwa Goldblechen, unter ‘Artemision E’ ca. 700 v. Chr. vgl. jetzt R. Jung, Goldene Vögel und Son- nen. Ideologische Kontakte zwischen Italien und der postpalatialen Ägäis, in: E. Alram-Stern – G. Nightingale (Hrsg.), Keimelion. Elitenbildung und elitärer Konsum von der mykenischen Palastzeit bis zur homerischen Epoche, Akten des internationalen Kongresses 3.–5. Februar 2005, Salzburg (2007) 219–255. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 39

Abb. 2 Panionion und Melia. Gesamtsituation drücklich keinen Zutritt79. Der Gott des Ionischen Ioner schließlich zu Beginn des 4. Jhs. v. Chr. soge- Bundes war Poseidon, der mit der Epiklese nannte Aphidrymata, heilige Gegenstände, um das Helikonios verehrt wurde (Hdt. 1, 148). in den Perserkriegen zerstörte und danach aufgege- Sein Kult wurde aus dem achaiischen Helike an bene Panionion an alter Stelle neu zu gründen81. der Nordküste der Peloponnes hergeleitet, das Ion, Schon Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff der eponyme Stammvater der Ioner, gegründet ha- hat, wie oben bereits erwähnt, auf den konstruier- ben sollte80. Von dort her seien die Ioner – wieder ten Charakter der Mythen hingewiesen. Er datierte gemäß unserer Hauptquelle Herodot (1, 145–146) – sie zusammen mit der Gründung des Bundes und nach Kleinasien gekommen, als die Achaier sie von Kultes am Panionion, nicht wie im Marmor Parium der Peloponnes vertrieben. Aus dem Heiligtum des vertreten, in die Zeit des Gründerheros Neileos, Poseidon in Helike holten die kleinasiatischen also die protogeometrische Zeit82, sondern erst in

79 Hdt. 1, 141–143. 145–148 bes. 143. 145, wonach das ursprünglich aiolische Smyrna als 13. Stadt erst später hinzukam, nachdem es von Exilanten aus Kolophon erobert worden war (vgl. auch Hdt. 1, 150). Vgl. auch Phokaia, das erst nach Aufnahme von Mitgliedern des Adelsgeschlechts der ‘Kodridai’ aus Teos und Erythrai in den Bund aufgenommen wurde: Paus. 7, 3, 10; dazu Wilamowitz, Panionion 55 f. Die Aufnahme der Chier in den Bund erfolgte auch erst, nachdem sie die euboiischen ‘Abantes’ von der Insel vertrieben hatten: s. o. Anm. 31. 80 Die kleinasiatischen Ioner führten sich auf einen mythischen eponymen Stammvater namens ‘Ion’ zurück, der sie aus Athen nach der Peloponnes geführt habe und dort Helike gegründet hatte: Hdt. 7, 94; Eurip., Ion 74; vgl. ausführlich: Strab. 8, 7, 1; Paus. 7, 1, 1–6. – Mag auch die Herleitung des Ion und der Ioner aus Athen eine durchsichtige Mythen- konstruktion der Athener sein, so verbirgt sich hinter Ion vielleicht doch eine alte kleinasiatisch-ionische Sagengestalt: Prinz 356 ff. 375 f.; Smarczyk (s. o. Anm. 32) 360 ff. 615 ff.; K.-W. Welwei, Die griechische Frühzeit 2000 bis 500 v. Chr. (2002) 54; R. Parker, Athenian Religion. A History (1996) 144 f. Die von seinem Namen abgeleitete Ethnosbezeichnung ‘Iones’ ist allerdings jünger als die Ethnosbezeichung ‘Iáones’, die Homer Il. 13, 865 gebraucht (s. o. Anm. 19). 81 Zur Neugründung durch Einholung der Aphidrymata aus Helike in Achaia vgl. Strab. 8, 7, 2–3; Diod. 15, 49, 1–3; Ail., var. hist. 6, 7; Paus. 7, 24, 5–6. 12–13; 7, 25, 4. – In der Zeit zwischen Zerstörung und Wiederaufbau wurde das Fest der Panionia nicht gefeiert (so aber Diod. 15, 49, 1), stattdessen feierten die (Insel-)Ioner, Athener und anderen Ioner das Apollon-Fest auf Delos, die Ioner des alten Panionischen Bundes die Epheseia in Ephesos: Thuk. 3, 104 (zum Jahr 426/25 v. Chr.); dazu Wilamowitz, Panionion 49 mit Anm. 2; G. Kleiner in: Panionion 11; Lohmann, Melia 69; Herda, Panionion–Melia Kap. IV mit Anm. 63 ff. 82 Vgl. o. Kap. II mit Anm. 6 ff. Die Formulierung im Marmor Parium (IG XII 5, Nr. 444 ep. 27 = FGrHist 239, 27) impliziert die Gründung des Panionions durch Neileos selbst: ¢f oá’ [’Aqhnîn, A. H.] Nh[l]eÝj êikis[e M…lh]t[on kaˆ t¾n] ¥llhn ¤p[a]s[an | ’Iwn…]an, ... [... kaˆ] t¦ [Pan]ièni[a] ™gšneto (“Und von dort [Athen] aus gründete Neleus Milet und das ganze andere Ionien, ... und das Panionion entstand”). Dazu steht übereinstimmend die Aus- 40 Alexander Herda die Jahre um 700 v. Chr. Um diese Zeit zerstörten siegreichen Städten aufgeteilt, das ursprünglich zu die großen ionischen Städte in einer Koalition eine Melia gehörige Poseidon-Helikonios-Heiligtum als weitere ionische Polis namens Melia83, benannt nach panionisches Heiligtum eingerichtet86. Außerdem dem Eschenbaum (Fraxinus ornus)84. Melia hatte die wurde wahrscheinlich jetzt erst in jeder einzelnen fruchtbare Küstenebene nördlich der Mykale als der Städte des Ionischen Bundes ein Filial-Kult des sein Territorium reklamiert. Es ist wahrscheinlich Poseidon Helikonios begründet87. Der bis dahin mit der seit protogeometrischer Zeit bewohnten wohl wichtigste Poseidon-Kult in Ionien, derjenige Siedlung auf dem Kale Tepe direkt westlich des des Poseidon Taureos, trat dagegen in den Hinter- Panionions identisch85. Melias ehemaliges Territori- grund88. Die lokale Tradition, etwa in Milet, führte um wurde nach der Zerstörung der Stadt unter den jetzt stattdessen den Kult des Helikonios bis auf

sage des Scholions A zu Hom. Il. 20, 404, das wahrscheinlich ein Werk des hellenistischen Historikers Kleitophon von Rhodos über Gründungsgeschichten benutzte (vgl. F. Jacoby, FGrHist III a [1964] 396 f. im Kommentar zu FGrHist 293; Herda, Neileos 15; s. u. Anm. 87): paragÒmenoj Ð NhleÚj e„j t¾n Kar…an ƒerÕn Poseidînoj ƒdrÚsato kaˆ ¢pÕ toà ™n `El…kV temšnouj `Elikènion proshgÒreuse (“Als Neleus nach Karien gelangt war, errichtete er ein Heiligtum für Poseidon und benannte es nach dem Heiligtum in Helike ‘Helikonion’”). Gemeint sein wird mit dem “Heiligtum in Karien” hier das Panionion, nicht das Heiligtum in Milet selbst, für das das Scholion B zu derselben Ilias-Stelle überliefert, Neleus habe i n M i l e t ein Heiligtum für Poseidon Helikonios gegründet: NhleÚj, fas…n, ™n Mil»tJ ƒerÕn Poseidînoj `Elikwn…ou ƒdrÚsato (“Neleus, sagt man, hat in Milet das Heiligtum des Poseidon Helikonios errichtet”). Vgl. zu diesem Helikonios-Heiligtum, das außerhalb Milets auf dem Weg zur Quelle Byblis lag, Paus. 7, 24, 5; Herda, Neileos 12 Anm. 72.; 15. 83 Wilamowitz, Panionion passim zum ‘Meliakos Polemos’. Die Quellen sind: Brief des Lysimachos an die Samier (Boeckh, CIG 2254 = F. Hiller von Gaertringen, Die Inschriften von Priene [1906] 209 Nr. 500, 283/82 v. Chr.); Schiedsspruch der Rhodier zwischen Samos und Priene (Hiller a. O. 37–43 Nr. 37, Anf. 2. Jh. v. Chr.) sowie Vitr. 4, 1. Vgl. dazu und zur Datierung des Krieges, für die die Kimmeriereinfälle nach Kleinasien im frühen 7. Jh. v. Chr. einen terminus ante quem bilden: Herda, Panionion–Melia 59 f. Anm. 92. – Als weiteren terminus ante quem macht Smarczyk, Ionier (s. o. Anm. 12) 57, die Aufnahme von Chios in den Bund aus, die unter einem ‘König’ Hektor erfolgte (vgl. Ion von Chios FGrHist 392 F 1; Paus. 7, 4, 8–10; s. o. Anm. 31), der im 8. oder sogar schon im 9. Jh. v. Chr. angesetzt wird. Allerdings ist diese Datierung wesentlich unsicherer als die der Kimmeriereinfälle. Weiterhin merkt Smarczyk ebenda 56 f. an, daß der Bund bereits bestanden haben muß, als die einzelnen ioni- schen Siedlungen in Kleinasien noch von ‘Königen’ (basile‹j) regiert wurden, die auch die Gesandten im Panionion gewesen sein dürften, denn noch die Gesandten des im 4. Jh. v. Chr. neugegründeten Bundes trugen den Titel ‘szeptertragende Könige’ (skhptoàcoi basile‹j); vgl. P. Hommel in: Panionion 59–62; s. u. Anm. 168. Die Abschaffung der Monarchien in den ionischen Poleis fand zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt, nach Smarczyk a. O. 57 mit Anm. 28 jedoch “in der Regel schon vor 650 v. Chr.”. 84 Wilamowitz, Panionion 43. 85 Vgl. P. Hommel in: Panionion 94–97. 126 f. 161; vgl. jetzt Herda, Panionion–Melia Kap. IV mit Anm. 94. 105 ff. 86 Dazu unnachahmlich Wilamowitz, Panionion 45. 87 Einen terminus ante quem für die Einrichtung der Filialkulte in den ionischen Städten bilden die Gründungen von Sinope und Istros durch Milet (ca. 630 v. Chr.). Der Helikonios-Kult ist in beiden milesischen Kolonien (außer- dem auch in Pantikapaion und Tomis) nachgewiesen, muß also schon vor der Kolonisation in Milet bestanden haben: Herda, Panionion–Melia 55 Anm. 68 mit älterer Literatur. Zu Sinope vgl. etwa das Kultgesetz aus dem 4./ 3. Jh. v. Chr.: F. Sokolowski, Lois sacrées de l’Asie mineure (1955) 9–11 Nr. 1; vgl. Graf 383 Anm. 7; D. H. French, The Inscriptions of Sinope I, IK 64 (2004) 11–13 Nr. 8. – Daß das Fehlen des Poseidon Helikonios-Kultes in den milesischen Propontiskolonien darauf hindeuten könnte, die Einführung des Kultes in Milet selbst sei erst kurz vor der ca. zwei Generationen später anzusetzenden Pontoskolonisierung (zweite Hälfte des 7. Jhs. v. Chr.) erfolgt (so Ehrhardt, Kolonien 172. 189. 246. 248), erscheint aufgrund der schlechten Erforschung der Propontis- Kolonien eine argumentatio ex nihilo: A. J. Graham, Gnomon 59, 1987, 124 ff. bes. 128; Herda, Apollon Delphinios 5 Anm. 36; 18 f. Anm. 64. – Neben Milet und seinen Kolonien läßt sich der Helikonios-Kult in Sa- mos, Priene, Teos, Klazomenai und eventuell in Ephesos und Chios nachweisen. Zu Teos vgl. Paus. 7, 24, 5; dazu Graf 383 Anm. 7. Zu Priene vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. IV mit Anm. 98 ff. 88 In Ephesos mußten junge Männer beim Poseidonfest die initiatorische Rolle von Mundschenken übernehmen und wurden ‘Taœroi’ (“Stiere”) genannt: Athen. 10, 25, 425c zitiert einen Amerias; vgl. Graf 208 Anm. 11; 415 mit Anm. 61 mit Hinweis auf Hesych s. v. taœroi. Der Poseidonkult in Ephesos, für den die zitierten Textstellen bei Athenaios und Hesych keine Epiklese nennen, wird nicht derjenige des Helikonios gewesen sein (so Graf 415), sondern derjenige des Poseidon Taureos, der ursprünglich in den ionischen Städten die wichtigste Erscheinungs- form des Poseidon gewesen sein dürfte, bevor er dann vom Poseidon Helikonios seit Anfang des 7. Jhs. zuneh- mend verdrängt wurde: F. Bilabel, Die ionische Kolonisation. Untersuchung über die Gründungen der Ionier, Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 41 den milesischen Heros Ktistes Neileos zurück, also Die Einrichtung des Panionions als Zentrum ei- in die Anfangszeit der Ionischen Migration, die nes politisch92 wie religiös-identifikatorisch wirken- protogeometrische Zeit89. Eine vergleichbar durch- den Bundes, einer Amphiktyonia93, im späten 8. oder sichtige Konstruktion bietet die athenische Traditi- frühen 7. Jh. v. Chr. geht zusammen mit der Formie- on, die den Kult des Poseidon Helikonios von rung der großen ionischen Polisstaaten und findet in Helike aus über Athen mit den attisch-ionischen Festlandsgriechenland zahlreiche Parallelen. Zu erin- Siedlern nach Kleinasien gekommen sein läßt90. nern ist an den Aufstieg von Olympia und Delphi zu Hierhinter verbirgt sich der seit spätestens dem 6. panhellenischen Heiligtümern mit überregionaler Jh. v. Chr., möglicherweise aber schon zu Zeiten Bedeutung oder auch an denjenigen kleinerer Heilig- Homers vertretene hegemoniale Anspruch Athens, tümer wie Kalapodi in Phokis, die zu regionalen das “vornehmste Land der Ioner” zu sein, und da- Zentren für Ethnien oder neu entstehende Polis- mit die Mutterstadt aller ‘ionischen’ Städte91. staaten werden94. Die engste Parallele zum Panionion

deren staatliche und kultliche Organisation und Beziehungen zu den Mutterstädten (1920) 90 f. Nach dem Taureos bzw. dem Fest der Taureia ist der überall in den ionischen Städten verbreitete Monat Taureon benannt. Er war so- mit Bestandteil des sogenannten ionischen Urkalenders, der sich in die Zeit vor der Migration nach Kleinasien zu- rückverfolgen läßt (11./10. Jh. v. Chr.): Trümpy (s. o. Anm. 12) 18 ff.; Herda, Delphinios 39 Anm. 172. In Milet z. B. war der Taureon von Beginn an der Anfangsmonat des Jahres (vgl. Herda, Apollon Delphinios 38 ff. mit Anm. 164 ff.), in der milesischen Kolonie Istros sind die Taureia nachweisbar sowie der Kultverein des Poseidon Taureos, die ‘Taureastai’, die mit den ‘Tauroi’ in Ephesos verglichen werden können: Ehrhardt, Kolonien 113. 118 mit Anm. 228; 172. M. P. Nilsson, Griechische Feste von religiöser Bedeutung mit Ausschluß der attischen (1906) 79, nahm dagegen an, der Monat sei nach dem Poseidon Helikonios benannt. – Neben dem Kult des Poseidon Taureos sind als besonders alte, in die Zeit der Ionischen Migration zurückreichende Kulte derjenige des Poseidon Hippios in Erythrai und der des Poseidon Enipeus in Milet zu nennen: Herda, Panionion–Melia 70 Anm. 159. 89 Schol. B zu Hom. Il. 20, 404; Kleitophon fr. 5 IV 368 Müller (= Schol. A Hom. Il. 20, 404); vgl. Wilamowitz, Panionion 46 Anm. 4; Herda, Neileos 15 mit Anm. 104; Graf 383 Anm. 7; Herda, Panionion–Melia 55 Anm. 68; vgl. o. Anm. 81. 90 Paus. 7, 24, 5; vgl. zum athenischen Helikonios-Heiligtum auch Kleidemos FGrHist 323 F 1; dazu F. Jacoby in: FGrHist, Dritter Teil: Geschichte von Staedten und Voelkern (Horographie und Ethnographie) b (Supplement) A Commentary on the Ancient Historians of Athens (Nos. 323a–334) Bd. I Text (1954) 63 (zu Kleidemos); Sakellariou (s. o. Anm. 33) 92; Graf 383 Anm. 7; Smarczyk (s. o. Anm. 32) 369 mit Anm. 101. – Der athenischen Tradition folgen jetzt Mylonopoulos, Helike (s. o. Anm. 10) 126, und N. Ehrhardt (in: P. Herrmann – W. Gün- ther – N. Ehrhardt, Inschriften von Milet Teil 3: Inschriften n. 1020–1580, Milet VI 3 [2006] 129 mit Anm. 166 zu Nr. 1218: Kultgesetz für Poseidon Helikonios von 435/34 v. Chr.). Letzterer beruft sich wiederum auf S. E. Pasarras, Epeteris Hetaireias Kykladikon Meleton 12, 1995, 152–161 (non vidi). Seiner Meinung nach weist die Kultverbreitung des Poseidon Helikonios auf den Kykladen und im ionischen Kleinasien “auf die Einführung des Kultes aus Athen in der Zeit der sog. Ionischen Wanderung” hin. In: Ehrhardt, Kolonien 172 mit Anm. 877. 880, war er allerdings noch Wilamowitz in seiner Annahme gefolgt, der Kult habe sich erst nach der Zerstörung von Melia in den Bundesstädten ausgebreitet (und dann auch in Athen). Das Vorkommen des Kultes in Athen kann jedenfalls nicht als Beweis für die Herkunft aus Athen herhalten: In Athen ist der Kult erst spät bezeugt (Kleidemos FGrHist 323 F 1, ca. Mitte 4. Jh. v. Chr.), die Anbindung an den Kult in Helike ist allzu offensicht- lich konstruiert, um Athens Anspruch auf die Führungsrolle unter den ionischen Städten etwa auch in Kleinasien zu legitimieren. Schließlich stammt der Kult des Helikonios, wie unten noch gezeigt wird, nicht etwa aus Helike, sondern vom boiotischen Helikon-Gebirge, von wo ihn die boiotischen Siedler direkt mit nach Melia an der Mykale brachten (vgl. u. Text mit Anm. 96 ff.). 91 Vgl. explizit Solon fr. 4a (West); dazu o. Kap. III mit Anm. 35 f.; Kap. IV Anm. 80. Implizit ist die erklärte Her- kunft der Ioner aus Attika/Athen schon bei Hom. Il. 2, 865 ff. zu finden: Vgl. o. Kap. III. 92 Wilamowitz, Panionion 47 betonte einseitig den politischen Charakter der Ionischen Bundes: “... es ist also ein politischer Bund, sakral tritt er nicht hervor”; vgl. ders., Wanderung 68; Rubinstein 1055–1057. 93 Betonung des religiös-identifikatorischen Momentes etwa bei Tausend (s. o. Anm. 10) bes. 12 f. 55–57. 90–95. 251 f.; Gorman 125–127 (der Bund am Panionion sei in erster Linie religiös motiviert und bis Ende des 6. Jhs. v. Chr. “politically impotent”, daher habe Kyros ihn auch toleriert: Hdt. 1, 170, 1). 138 f. (politisch-militärisch sei der Bund erst mit dem Aufstand gegen die Perserherrschaft 494 v. Chr. aktiv geworden); zum Begriff vgl. DNP I (1996) 611–613 s. v. Amphiktyonia (P. J. Rhodes). 94 C. Morgan, The Origins of Pan-Hellenism, in: N. Marinatos – R. Hägg (Hrsg.), Greek Sanctuaries. New Approaches (1993) 18–44; dies., From Palace to Polis? Religious Developments on the Greek Mainland During the Bronze Age/ Iron Age Transition, in: P. Hellström – B. Alroth (Hrsg.), Religion and Power in the Ancient Greek World, Proceedings of the Uppsala Symposium 1993 (1996) 41–57; dies., Ritual and Society in the Early Iron Age Corinthia, 42 Alexander Herda dürfte jedoch das ebenfalls im westlichen Kleinasien Gebiet des Küstenortes wuchs98. Auch ist eine Ab- gelegene Bundesheiligtum der dorischen Hexapolis, leitung der Epiklese ‘Helikonios’ vom Adjektiv das Apollon geweihte Triopion auf der knidischen ˜likÒj in der Bedeutung ‘schwarz’, wie Noel Halbinsel, gebildet haben95. Robertson vorgeschlagen hat, nicht wahrschein- Bereits der hellenistische Homerkommentator lich99. Vielmehr geht der Kult ursprünglich auf ei- Aristarchos von Samothrake und von den Neueren nen Poseidon-Kult im boiotischen Helikon-Gebir- etwa U. von Wilamowitz haben außerdem zu Recht ge zurück: Entweder auf denjenigen von Onchestos betont, daß Poseidon mit der Epiklese ‘Helikonios’ am östlichen Fuße des Gebirges, den uns bereits (`Elikènioj) nicht aus Helike in Achaia stammen Homer (Il. 2, 506) überliefert, oder einen Kult, der kann, denn die Epiklese müßte sonst `Elik»ioj lau- direkt auf oder beim Hauptgipfel des Gebirges ten96. Der Ortsname des achaiischen Helike leitet verortet war100. Seine vom Namen des Gebirges sich stattdessen, wie bereits Felix Solmsen bemerk- (`Elikèn) abgeleitete Epiklese lautete `Elikènioj te, von der im arkadischen Dialekt gebräuchlichen bzw. ursprünglich wohl #elikènioj, denn die älte- Bezeichnung ˜l…kh für eine besondere Weidenart re Namensform des Gebirges lautete #elikèn mit (Salix fragilis) ab97, die vielleicht ursprünglich im Digamma101. Homer beschreibt das Opfer von Stie-

in: R. Hägg (Hrsg.), Ancient Greek Cult Practice from the Archaeological Evidence, Proceedings of the 4th Interna- tional Seminar on Ancient Greek Cult, Athen 1993 (1998) 73–90; R. Hägg (Hrsg.), The Role of Religion in the Early Greek Polis, Proceedings of the 3rd International Seminar on Ancient Greek Cult, Athen 1992 (1996); ders., Ancient Greek Hero Cult, Proceedings of the Fifth International Seminar in Ancient Greek Cult, Göteborg 1995 (1999); A. Schachter, Greek Deities: Local and Panhellenic Identities, in: P. Flensted-Jensen (Hrsg.), Further Studies in the Ancient Greek Polis, Historia Einzelschriften H. 138 (2000) 9–17; Freitag – Funke – Haake (s. o. Anm. 10). Zu Olym- pia vgl. jetzt auch H. Kyrieleis, Anfänge und Frühzeit des Heiligtums von Olympia. Die Ausgrabungen am Pelopion 1987–1996, OF 31 (2006) 61–79. – Dagegen die untrennbaren Bezüge zwischen Religion und Politik in der griechi- schen Antike verkennend K.-J. Hölkeskamp, Gymnasium 107, 2000, 323; vgl. auch T. Hölscher, Öffentliche Räume in frühen griechischen Städten2 (1999) 5 f. mit Anm. 1, auf die sich Hölkeskamp bezieht; vgl. dazu kritisch zuletzt Mylonopoulos, Helike (s. o. Anm. 10) 121; A. Herda, AA 2005, 227 mit Anm. 25. 95 Seine genaue Lokalisierung – entweder in Emecik bei Alt-Knidos (D. Berges – N. Tuna), in Neu-Knidos (N. Stampolides, H.-G. Bankel) oder auf Kap Krio/Tekir in Neu-Knidos (A. Bresson) – ist ähnlich wie diejenige des Panionions The- ma wissenschaftlichen Disputs. Die Überlegungen von A. Bresson (Cnidè à l’époque classique: la cité et ses villes, REA 101, 1999, 83–114) erscheinen mir überzeugender: Herda, Panionion–Melia Kap. VIII mit Nachweisen. – Vgl. mit anderer Meinung den Beitrag von N. Tuna u. a. in diesem Band [Anm. Red.]. 96 Aristarchos, Schol. Ven. B. Hom. Il. 5, 422 (= Etymologicum Magnum s. v. KÚprij); dazu: Wilamowitz, Panionion 46 mit Anm. 3. 97 Theophr., hist. plant. 3, 13, 7; vgl. Liddell – Scott s. v. ˜l…kh III. 98 F. Solmsen, Beiträge zur griechischen Wortforschung I (1909) 84 f.; danach D. Katsonopoulou, I LATREIA TOU ‘ELIKWNIOU POSEIDWNOS MIA NEA QEWRHSH, in: Dies. – S. Soter – D. Schilardi (Hrsg.), Helike II. Ancient Helike and Aigialeia (1998) 251–265; D. Schilardi, Helike and Ionia, in: Ebenda 283 ff. bes. 298. Die genannten For- scher bestreiten allerdings unzutreffend die Herkunft des Poseidon Helikonios vom boiotischen Helikon und ge- hen stattdessen von der Herkunft des Kultes direkt aus Helike aus. 99 N. Robertson, Festivals and Legends. The Formation of Greek Cities in the Light of Public Ritual (1992) 30 f.; ders., The Religious Criterion in Greek Ethnicity, AJAH n. s. 1, 2002, 17–22; ders., Sacrifice to the Sea: A Custom Prior to the ‘Olympian’ and ‘Chthonian’ Categories?, in: R. Hägg – B. Alroth (Hrsg.), Greek Sacrificial Ritual, Olympian and Chthonian, Proceedings of the Sixth International Seminar on Ancient Greek Cult, Göteborg 1997 (2005) 85–98 bes. 90 Anm. 27. 100 Fraglich ist, ob das von Hom. Il. 2, 506 genannte Poseidon-Heiligtum in Onchestos der Ort für die Opfer an den Helikonios ist, die Homer an anderer Stelle nennt (Il. 20, 403 f.), zumal er für den Poseidon in Onchestos keine Epiklese gibt. Möglich erscheint auch, daß es ein weiteres Heiligtum des Poseidon, diesmal mit der Epiklese Helikonios, auf dem Hauptgipfel des Helikon gab, auf das dann vielleicht auch hom. hymn. ad Pos. 22, 3 zu be- ziehen ist: Vgl. A. Veneri, Posidone e l’Elicona: alcune osservazioni sull’antichità e la continuità di una tradizione mitica beotica, in: A. Schachter (Hrsg.), Essays in the Topography, History and Culture of Boiotia, Teiresias Suppl. 3 (1990) 129–134 bes. 129 f.; Herda, Panionion–Melia Kap. V mit Anm. 154. 101 Die ursprüngliche Namensform mit Digamma ist nur in einem Fragment der wahrscheinlich aus Boiotien selbst stammenden Dichterin Korinna (5. Jh. v. Chr.?) erhalten geblieben: D. L. Page, Poetae Melici Graeci (1962) 326 Nr. 654 (Corinna fr. 1, col. I 30); Liddell – Scott s. v. `Elikèn; vgl. bereits F. Bölte in: RE VIII 1 (1912) 1 s. v. Helikon [1]: “Helikon (Ð ‘Elikèn; bei Korinna Berl. Klassikertexte V II 28 f. Kol. 1, 30. 55 zweimal #elikèn; die Anknüp- fung an ˜l…kh, salix [Solmsen] ist unmöglich).” Zu Korinna vgl. DNP VI (1999) 737 f. s. v. Korinna (E. Robbins). Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 43 ren an diesen Helikonios an einer weiteren Stelle te]’)103, zur Zeit des Trojanischen Krieges nicht nur der Ilias (20, 403 ff.). Es mag als Vorbild für die Op- Milet und “des Maiandros’ Flut” (Mai£ndrou te fer in Helike in Achaia und im Panionion an der ¼o£j), sondern auch “Mykales steile Häupter” Mykale gedient haben und von Homer in Anspie- (Muk£lhj t’ a„pein¦ k£rhna) sowie das “waldige lung auf die Panionia zitiert worden sein. Diese Phthirer-Gebirge” (Fqirîn Ôroj ¢kritÒfullon) be- wurden natürlich zur Zeit des Trojanischen Krie- herrschten. Der gräzisierte Name des Flusses, ges, der den zeitlichen Kontext der Erzählung des ‘Maiandros’, dürfte auf eine indigene, kleinasia- homerischen Epos bildet, noch gar nicht gefeiert102. tisch-luwische (bzw. karische?) Benennung zurück- Die ursprüngliche Herkunft des Helikonios-Kultes gehen, etwa *Mai-anda-104, ebenso die Bezeichnung im Panionion aus Boiotien kann durch eine weitere des ‘Phthirer-Gebirges’. Mit letzterem ist gemäß Beobachtung gestützt werden, die uns wieder auf die der Angabe des milesischen Geographen Hekataios Karer-Ioner-Frage führt, nämlich die Besiedlungs- (Ende 6. Jh. v. Chr.) das Latmos-Gebirge gemeint. geschichte der Region, im besonderen der Mykale, in Der vielleicht karische Name des Gebirges bzw. sei- der späten Bronze- und frühen Eisenzeit. nes höchsten Gipfels, *Phthir, wurde von den Grie- chen vermutlich schon zu Zeiten Homers in pejorativer Absicht mit ‘Läusegebirge’ übersetzt, V. Die Karer Homers, das Land wobei sie mit den ‘Läusen’ (Fq‹rej) selbstredend Karki™a und die *Karka die Karer meinten105 (Abb. 3). Die Karer kontrollierten gemäß Homers Ilias Homer überliefert in der Ilias (2, 867–870), daß also die tief ins Landesinnere einschneidende und die – mit griechischen Namen versehenen – Karer damit verkehrsgeographisch wichtige Bucht der ‘Nastes’ (griechisch: ‘Einwohner’) und ‘Amphi- Mäandermündung, die den nordöstlichen Ausläufer machos’ (griechisch: ‘Rundkämpfer’, ‘Belagerer’), des ‘Karischen Meeres’ bzw. ‘Ikarischen Meeres’ Söhne eines ‘Nomion’ (griechisch: ‘weidender [Hir- bildete106. Diese Aussage wird durch die bereits zi-

Digamma erscheint in boiotischen Inschriften, etwa in Lebadeia, noch im 3. Jh. v. Chr.: DNP II (1997) 737 f. s. v. Boiotisch (J. García-Ramón). Zum Digamma vgl. allgemein DNP III (1997) 559 f. s. v. Digamma (R. Plath). – Im ionischen Dialekt fällt das anlautende Digamma aus, dieser Ausfall ist auch ein Merkmal der homerischen ‘Kunst- sprache’: s. u. Anm. 222. 102 Vgl. jetzt Herda, Panionion–Melia Kap. V, und o. Kap. II mit Anm. 22. 103 Vgl. RE I (1894) 1941 s. v. Amphimachos 3) (U. Hoefer); RE XVI 2 (1935) 1794 f. s. v. Nastes (V. Gebhard). Die sprechenden griechischen Namen dieser Karer, die sich folglich als nachträgliche Konstruktion entpuppen, sollen auf Autochthonie hinweisen: Lexikon des frühgriechischen Epos, 15. Lfrg. (1993) 299 s. v. Nast»j (= »Einwoh- ner«) (G. Steiner); ebenda, 16. Lfrg. (1997) 420 f. s. v. Nom…wn (»weidender [Hirte]«) (B. Mader); vgl. dazu E. Visser in: J. Latacz (Hrsg.), Homers Ilias. Gesamtkommentar II. Zweiter Gesang (B), Faszikel 2. Kommentar (2003) 284; Herda, Panionion–Melia Kap. VI mit Anm. 169. 104 J. Tischler, Kleinasiatische Hydronomie. Semantische und morphologische Analyse der griechischen Gewässer- namen (1977) 93 f. s. v. Maiandros. Er bemerkt, daß der Auslaut -androj an griechische Personennamen angegli- chen ist, und vermutet, daß die Endung wie für hethitische Flußnamen belegt ursprünglich -anda- gelautet haben könnte, also *Mai-anda-. 105 Hekataios FGrHist 1 F 239 (= Strab. 14, 1, 8); vgl. zur Läuse-Etymologie und zu ‘Phthir’ eher als ‘Latmos’ als karische Bezeichnung des Gebirges Herda, Panionion–Melia Kap. VI mit Anm. 170. Vgl. auch Suidas (ed. Adler) s. v. FqirÅ. Ôroj Mai£ndrou wahrscheinlich für den Gipfel des Latmos (heute Tekerlekda%). Ist Fq‹rej bzw. Fqe‹rej die vom Namen des Berges abgeleitete gräzisierte Eigenbezeichnung der Karer im Latmos, ist die Hesych-Glosse (ed. Latte) K£r. q£natoj. ††fqe‹ron. prÒbaton. gšnoj KarikÒn verständlich. fqeÜron ist dann ent- weder eine Nebenform (und Hapax legomenon) für Ð fqe…r, ‘die Laus’ bzw. ‘der Karer (aus dem Latmos)’, oder es ist mit J. Albert u. a. zu fqe…r zu emendieren. Die Homer-Scholien zu Ilias 2, 868 überliefern zudem, daß Endymion, der in Latmos-Herakleia kultisch verehrt wurde (vgl. Paus. 5, 1, 5; Strab. 14, 636), einen Sohn mit Na- men Fq…r (Scholion A) bzw. Fq…rwn (Scholion D) besessen haben soll: RE V 2 (1997) 2557–2560 bes. 2557 s. v. Endymion (E. Bethe). Vielleicht ist in diesem Heros Phtir der vorgriechische, indigene Kult eines latmischen Berg- gottes in historischer Zeit aufgegangen. 106 Steph. Byz. s. v. Muk£lh: ... oƒ d’ Muc£lhn aÙt»n fasin, ™peˆ ™n mucù ke‹tai tÁj KarikÁj ¡lÒj. (“Sie nennen sie auch Mychale, weil sie in einer ‘Ecke’ (™n mucù) des Karischen Meeres liegt”); vgl. auch Eustathius (ed. van der Valk) 368, 27 zu Hom. Il. 2, 869 und Ptolem. 5, 2, 7, wo eine Handschrift Milet und einige karische Städte am pšlagoj Kar…aj situiert: RE IX 1 (1914) 977 s. v. Ikarisches Meer (L. Bürchner). – Damit zusammenhängen könn- 44 Alexander Herda tierten Gründungsmythen zu den einzelnen, im Be- Hekataios die südionischen Städte, allen voran reich der Mäandermündung gelegenen südioni- Milet, als “Städte der Ioner in Karien”107. Auch He- schen, auf indigene Siedlungen zurückgehenden rodot bietet denselben Befund, wenn er Priene, Städten (Myous, Priene, Milet) bestätigt: Diese My- Myous und Milet in Karien lokalisiert und sogar so- then berichten von der Unterwerfung bzw. Vertrei- weit geht anzudeuten, der in diesen ionischen Städ- bung der Karer durch die eintreffenden Ioner. ten gesprochene Dialekt des Griechischen sei durch In Übereinstimmung mit dem zu rekonstruie- die karische Sprache beeinflußt worden108. renden Prozess der Verdrängung der Karer aus ih- Mithin hat sich im homerischen Epos die Erin- rem angestammten Siedlungsgebiet an der Mäan- nerung an ein karisches Kleinreich in spätmy- dermündung bezeichnet der milesische Geograph kenisch-submykenischer bis protogeometrischer

te die für die gesamte südöstliche Ägäis zwischen Samos, Mykonos, Naxos, Amorgos und Kos gebräuchliche grie- chische Bezeichnung ‘Ikarisches Meer’ (zuerst Hom. Il. 2, 145: ’Ik£rioj pÒntoj), die auf den Namen der westlich von Samos gelegenen Insel ‘Ikaria’ zurückgeht. Bei dieser Insel stürzte Ikaros, der Sohn des Atheners Daidalos, von Kreta her kommend, angeblich ins Meer und ertrank. Er soll dann von Herakles auf der Insel begraben wor- den sein (Paus. 9, 115); vgl. dazu V. Burr, Die antiken Namen der einzelnen Teile des Mittelmeeres (Diss. Würz- burg 1932) 7. Die Insel gehörte zumindest in archaischer Zeit zum Territorium Milets: DNP V (1998) 928 s. v. Ikaros [1] (F. Graf); ebenda 928 f. s. v. Ikarisches Meer (H. Kaletsch); ebenda 929 f. s. v. Ikaros [2], Ikaria (ders.). Zu Ikaria als Teil des milesischen Territoriums vgl. auch Ehrhardt, Kolonien 18–20. Die Namen des Ikaros, der Insel ‘Ikaria’ (‘die Karische’) und des ‘Ikarischen’ Meeres erinnerten dann an die durch die griechische Überliefe- rung bezeugte karische bzw. lelegische Besiedlung der Ägäis und etwa auch Attikas in der Frühzeit. Für den Na- men wurde daher schon früh eine vorgriechische, kleinasiatische Herkunft erwogen: A. Fick, Vorgriechische Ortsnamen (1905) 55; vgl. Burr a. O. 8: “Woher der Name des Meeres abgeleitet ist und was er bedeutet, kann nicht geklärt werden.” Bürchner a. O. 977 bemerkte: “Die Verschiedenheit der Quantität der Silbe kar in K©r und in ”Ikaroj steht einer Zusammenbringung der beiden Namen wohl entgegen.” – Daß die gesamte Meeresbucht an der Mäandermündung in der Antike als ‘Bucht von Latmos’ (L£tmikoj kÒlpoj) bezeichnet wurde, wie Lohmann, Topographie 205 f. s. v. Latmikos Kolpos (vgl. ebenda 252 Abb. 1) annimmt (vgl. schon Bürchner a. O. 978), er- scheint mir unwahrscheinlich. Dieser Name ist vielmehr auf die Bucht von Latmos/Herakleia im engeren Sinne zu beziehen: Strab. 14, 1, 8; Th. Wiegand, Der Latmos, Milet III 1 (1913) 3 f.; RE XII 1 (1924) 964 s. v. L£tmikoj kÒlpoj (L. Bürchner). Für den südöstlichen Teil dieses Latmikos Kolpos, dessen angrenzender Uferbereich zum milesischen Territorium gehörte, gebraucht der in die Jahre 184–181 v. Chr. zu datierende Sympolitie-Vertrag zwischen Milet und Herakleia (Kawerau – Rehm 357–366 Nr. 150 Z. 99 ff.; vgl. mit dt. Übersetzung P. Herrmann in: Rehm – Herr- mann [s. o. Anm. 46] 185–189 Nr. 150) den Namen ’IwnopolitikÕj kÒlpoj (“Bucht von Ionia Polis”) in Bezug auf die hier positionierte milesische Siedlung Ionia Polis: A. Rehm in: Kawerau – Rehm 354; J. M. Cook, Some Sites of the Milesian Territory, BSA 56, 1961, 90–101 bes. 96; R. J. Talbert (Hrsg.), Barrington Atlas of the Greek and Ro- man World (2000) Karte 61 (Ausschnitt links oben); ebenda Map-By-Map-Directory II 942 (C. Foss); Lohmann, Topographie 201 s. v. Ionia Polis; Ionopolitikos kolpos. Zur Benennung von Ionia Polis als bewußter Abgrenzung des ‘ionischen’ Milet zum benachbarten Karien: s. u. Kap. VIII mit Anm. 366. 107 Hekataios bei Steph. Byz. s. v. M…lhtoj (= FGrHist 1 F 240): pÒlij ™pifan¾j ™n Kar…v tîn ’Iènwn. `Ekata‹oj ’As…ai. Hekataios’ Bemerkung, daß Melia in Karien lag (FGrHist 1 F 11: Mel…a: pÒlij Kar…aj; vgl. Pseud.-Skylax 99) ist nicht in dem Sinne mißzuverstehen, daß Melia karisch war. Wilamowitz, Panionion 43 mit Anm. 3, sprach Melia vielmehr zutreffend als ein ursprünglich griechisches Dorf an. Ob “die Leute von Melia vielfach, vielleicht überwiegend, Karer gewesen sind”, wie er ebenda Anm. 4 vermutet, ist Spekulation. 108 Hdt. 1, 142, 3–4; dazu W. Blümel, Karien, die Karer und ihre Nachbarn, Kadmos 37, 1998, 163–173 bes. 164; Rubin- stein 1054. In diesem Zusammenhang erscheint es auch naheliegender, die ‘barbarophonoi Karoi’ bei Homer (Il. 2, 867) als ‘fremdsprachig’ anzusehen und nicht etwa als ‘Barbaren’, die des Griechischen kaum mächtig sind (so be- reits Strab. 14, 2, 28). Zur Bedeutung der barbarÒfwnoi in Il. 2, 867 im Sinne von “die fremdsprachigen (Karer)” vgl. jetzt J. Latacz (Hrsg.), Homers Ilias, Gesamtkommentar II. Zweiter Gesang (B) Faszikel 2. Kommentar (2003) 284 f.; S. A. Ross, Barbarophonos: Language and Panhellenism in the Iliad, ClPhil 100, 2005, 299–316 bes. 304 (“strange speech more generally”); R. V. Munson, Black Doves Speak. Herodotus and the Languages of Barbarians (2005) 2 mit Anm. 7. 10; 79. – P. Högemann, Troias Untergang – Was dann?, in: Traum 58–63 bes. 60, meint dage- gen den Ausdruck so verstehen zu können, daß die Karer “griechisch mit starkem Akzent” gesprochen hätten. Ge- gen diese ältere, pejorative Übersetzung etwa mit ‘rauhsprechend’ oder ‘von barbarischer Mundart’ wendet sich be- reits W. Blümel, Die Erforschung des Karischen, in: Frühes Ionien 429–436 Anm. 1, der sich auf B. Rochette, Glotta 74, 1997/98, 227–236, beruft. – Eine erweiterte Deutung des Ausdrucks barbarÒfwnoi K©rej bei Homer schlägt jetzt vor A.-M. Wittke, Mu™ker und Phryger. Ein Beitrag zur Geschichte Anatoliens vom 12. bis zum 7. Jh. v. Chr., Beih. TAVO B 99 (2004) 212. Sie wertet die explizite Fremdsprachigkeit der Karer in der Ilias so, “daß das Karische [im vielsprachigen Troja, A. H.] nicht zu den ‘Diplomatensprachen’ gehörte”. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 45

Abb. 3 Das südliche Ionien (hellgrau unterlegt: ungefähre Ausdehnung der Kaystros- und Mäanderbuchten ca. 1500 v. Chr.)

Zeit erhalten, dessen Zentrum Milet bildete. Nur so ‘Nationalepos’ per se, der Ilias, auf der Seite der läßt sich schließlich erklären, daß die später so be- Feinde steht. Hier von einem “Homeric construct” deutende griechische Stadt Milet im griechischen zu sprechen, erscheint verfehlt109.

109 So Sourvinou-Inwood (s. o. Anm. 50) 41; vgl. dagegen A. J. B. Wace – F. H. Stubbings (Hrsg.), A Companion to Homer (1963) 306: “It is striking, however, that after had become one of the greatest cities of Greece she should still figure in the national epic on the enemy . The only likely explanation is that the ‘Catalogue’ is presenting historical fact.” – Vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. VI mit Anm. 169 ff.; s. u. Text mit Anm. 156 ff.; Kap. VIII mit Anm. 226 ff. 46 Alexander Herda

Dazu sei die Geschichte der Region des Mäan- gleichgesetzt werden kann. Mil(l)awanda/Milawata- derdeltas im 14. bis frühen 12. Jh. v. Chr. rekapitu- Milet, dessen Besiedlungsgeschichte bis in das Spät- liert, wie sie sich anhand der Dokumente aus den chalkolithikum (Milet I, 2. Hälfte 4. Jt. v. Chr.) Archiven der hethitischen Hauptstadt Hattu™a dar- zurückreicht112, war, durch seine geostrategisch her- stellt. Der Quellenwert der hethitischen Texte für vorgehobene Position bedingt, das Zentrum eines die Geschichte und historische Topographie West- teilautonomen ‘Brückenkopfes’, den das Reich von kleinasiens der späten Bronzezeit kann gar nicht Ahhijawa in Kleinasien eingerichtet hatte113. Nach hoch genug eingeschätzt werden. Gerade in den der Eroberung durch den hethitischen Großkönig letzten Jahren konnten große Fortschritte in ihrer Mur™ili II. (ca. 1321–1295 v. Chr.)114 etwa 1316 v. Auswertung erzielt werden, die auch die Neulesung Chr. war Milawanda-Milet bis zum Ende des 13. Jhs. bzw. Entdeckung wichtiger hieroglyphen-luwi- v. Chr. wiederholt Zankapfel zwischen Hattu™a und scher Inschriften in der Region selbst110 und die Ahhijawa. Während die Mykener ihre Herrschaft in Auswertung ägyptischer Quellen111 einschlossen. der Stadt bereits in der ersten Hälfte des 13. Jhs. wie- Eine wichtige Feststellung ist, daß das in den der etablieren konnten, dominierten die Hethiter in hethitischen Texten genannte Mil(l)awanda/Mila- der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erneut. wata aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem bronze- Das von Milawanda kontrollierte festländische zeitlichen Milet und das Königreich von Ahhijawa Territorium umfaßte mindestens die vom Landesin- mit dem mykenischen Griechenland (‘Achaia’) neren her schwer zugängliche milesische Halbin-

110 Dazu beispielhaft F. Starke, Troia im Kontext des historisch-politischen Umfeldes in Kleinasien im 2. Jahrtausend, StTroica 7, 1997, 447–487; J. D. Hawkins, Tarkasnawa King of Mira. ‘Tarkondemos’, Bogazköy Sealings and Karabel, AnSt 48, 1998, 1–31; P. W. Haider, Zur historischen Geographie Westkleinasiens im 13. Jh. v. Chr., in: H. Friesinger – F. Krinzinger (Hrsg.), 100 Jahre österreichische Forschungen in Ephesos, Akten des Symposion in Wien 1995, Archäologische Forschungen 4 (1999) 665–675; D. F. Easton u. a., in Recent Perspective, AnSt 52, 2002, 75–109 bes. 94–101 Abb. 11; Niemeier, Westkleinasien. 111 P. W. Haider, Westkleinasien nach ägyptischen Quellen des Neuen Reiches, in: Troia 174–192. 112 Vgl. H. Parzinger, Zur frühesten Besiedlung Milets, IstMitt 39, 1989, 415–432; DNP VIII (2000) 176 s. v. Miletos (V. von Graeve); V. B. Gorman, Miletus, the Ornament of Ionia. A History of the City to 400 B.C.E. (2001) 13– 46; Greaves 39–73; Niemeier, Milet. 113 Vgl. zu Mil(l)awanda/Milawata-Milet in den hethitischen Quellen Bryce 58. 193. 224. 291. 306–309. 310. 324. 349. 362. Zum archäologischen Befund und seiner Deutung P. A. Mountjoy, The East Aegean–West Anatolian Interface in the Late Bronze Age: Mycenaeans and the Kingdom of Ahhiyawa, AnSt 48, 1998, 33–67; W.-D. Niemeier, Mycenaeans and in War in Western Asia Minor, in: R. Laffineur (Hrsg.), Polemos: Le contexte guerrier en Égée à l’âge du bronze, Actes de la 7e Recontre égéenne internationale, Université de Liège, 14–17 avril 1998, Aegaeum 19 (1999) 141–156; ders., The Minoans and Mycenaeans in Western Asia Minor: Settlement, Emporia or Acculturation?, in: R. Laffineur – E. Greco (Hrsg.), Emporia. Aegeans in the Central and Eastern Mediterranean, Proceedings of the 10th International Aegean Conference, Athens, Italian School of Archaeology, 14–18 April 2004, Aegaeum 25 (2005) 199–204; ders., Minoans, Mycenaeans, Hittites and Ionians in Western Asia Minor. New Excavations in Bronze Age Miletus-Millawanda, in: A. Villing (Hrsg.), The Greeks in the East, The Research Publication No. 157 (2005) 1–36; ders., Zwischen Mykene und – Westkleinasien und die Ägäis in der mittleren und späten Bronzezeit, in: Korfmann, Troia 47–56; ders., Milet; ders., Kleinasien; vgl. außerdem jetzt J. Zurbach, L’Ionie à l’époque mycénienne. Essai de bilan historique, REA 108, 2006, 275–301 (ich danke Julien Zur- bach herzlich für die Überlassung seines Manuskriptes und Diskussionen zum Thema); vgl. den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band. 114 In den Namen und Regierungsdaten der hethitischen Großkönige folge ich der Tabelle bei Bryce S. XV–XVI, der wiederum der sog. mittleren Chronologie folgt. Die in der deutschsprachigen Forschung bevorzugte Chronolo- gie hat F. Starke etabliert, der die sog. kurze Chronologie vertritt, vgl. ders. in: DNP V (1998) 186–198 bes. 191 f. s. v. Hattusa; ders. in: DNP Suppl. 1 (2004) 62–72. – Eine Übersicht über die verschiedenen chronologischen Sy- steme der hethitischen Königslisten bietet jetzt B. Dincol, Über die Probleme der absoluten Datierung der Herrschaftsperioden der hethitischen Könige nach den philologischen und glyptischen Belegen, in: D. P. Mielke – U.-D. Schoop – J. Seeher (Hrsg.), Strukturierung und Datierung in der hethitischen Archäologie. Voraussetzun- gen – Probleme – Neue Ansätze, Internationaler Workshop 26.–27. November 2004, Byzas 4 (2006) 19– 32. Zur Synchronisierung der hethitischen Königsliste mit den ägyptischen Pharaonenlisten s. V. Müller, Eine kri- tische Darstellung der derzeitigen Diskussion zur historischen Chronologie Ägyptens in der 2. Hälfte des 2. Jt. v. Chr., in: Ü. Yalc@n – C. Pulak – R. Slotta (Hrsg.), Das Schiff von Uluburun. Welthandel vor 3000 Jahren, Katalog der Ausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (2005) 193–210 bes. 195 Abb. 2. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 47

Abb. 4 Südionien im 13. Jh. v. Chr. nach den hethitischen Quellen (gepunktet: wichtige Wegverbindungen) sel115. Ob das Territorium entlang der Küste die süd- Müskebi reichte, ist beim derzeitigen Forschungs- lich gelegene Stadt miteinschloß und noch bis stand nicht zu entscheiden116. Im Norden und Nord- zur Halbinsel von Halikarnassos/Bodrum mit der osten grenzte das Territorium an das Land Arzawa bekannten spätbronzezeitlichen Nekropole von und später seinen Nachfolgestaat Mira, dessen Be-

115 Dies impliziert dann aber, daß das Territorium von Milawanda im Osten nur bis zur Verbindungslinie zwischen dem Golf von Akbük und den östlichen Ausläufern der Bucht von Latmos reichte, mithin in etwa dem Territori- um des archaisch-klassischen Milet entsprach; vgl. etwa J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 28. 116 Die Ausdehnung des Territoriums von Milawanda (und damit auch von Ahhijawa) nach Süden ist noch nicht ge- nau bestimmt. Niemeier (s. o. Anm. 113) sieht die Halbinsel von Halikarnassos/Bodrum noch miteingeschlossen (Niemeier folgend jetzt Bryce, Neighbours 99; vgl. auch S. Deger-Jalkotzy in: DNP VI [1999] 649 s. v. Kolonisa- tion, die Iasos und Müskebi als “rein mykenische Siedlungen des 14. und 13. Jhs. v. Chr.” bezeichnet). Die in der 48 Alexander Herda völkerung Luwisch sprach. Die Hauptstadt von Befunde: Zum einen können die Lukka-Länder Arzawa bildete Aba™a, das antike Ephesos117 (Abb. 4). geographisch und kulturell ungefähr mit dem histo- Als direkte Nachbarn Milawandas im Süden rischen Lykien identifiziert werden. Ihr Kernland und Südosten werden, etwa von Frank Starke, die befand sich nicht im Südwesten Kleinasiens und von den Hethitern sogenannten Lukka-Länder an- grenzte an Milawanda an, sondern erstreckte sich an gesehen118. Dem widersprechen allerdings mehrere der westlichen Südküste Kleinasiens zwischen der

Nekropole von Müskebi praktizierte Sitte der Brandbestattung der Phasen SH III A1 – SH III B Mitte wird als Übernahme eines westkleinasiatischen Ritus durch die mykenischen Griechen gewertet, die allerdings in Festlandsgriechenland erst in der Nachpalastzeit (SH III C) weitere Verbreitung fand: R. Jung, ‘Dèj mou Fwt…a’. Woher kamen die Brandbestattungssitten der spätbronzezeitlichen Ägäis?, in: J. Galanaki u. a. (Hrsg.), Between the Aegean and the Baltic Seas. Prehistory across Borders, International Conference Zagreb, 11.–14. April 2005, Aegaeum 27 (2007) 215–230 Taf. 56–57 bes. S. 220 f. 229 Taf. 57. – P. Mountjoy läßt ihr vom Königreich von Ahhijawa dominiertes ‘Lower Interface’ sogar entlang der Küste von Milet im Norden bis zur Halbinsel von Knidos im Süden reichen: AnSt 48, 1998, 47–53. 38 Abb. 1; 49 Abb. 47; 52 Abb. 9; ihr folgend R. Hope Simpson, The Dodecanese and the Ahhiyawa Question, BSA 98, 2003, 203–237 bes. 212–216. 227 f. – Ob die beiden karischen Städte Atrija (= Stratonikeia; s. u. mit Anm. 141) und Utima (= ?; s. u. Anm. 145) noch zu Milawanda-Milet gehörten, wie E. Forrer (Forschungen 1: Die Arzoava-Länder [1926] 237 f.) aus dem Tawagalawa-Brief (s. u. mit Anm. 137 ff.) ableitete, erscheint fraglich, da der Name Milawandas von Forrer er- gänzt ist und die im Brief weiterhin genannten karischen Städte Ijalanda- und Waliwanda- mit dem arzawischen Prinzen Pijamaradu, der die Unterstützung Ahhijawas und Milawandas hatte, gegen die Hethiter verbündet waren (s. u. mit Anm. 140. 143). – Demgegenüber wertet beispielsweise H. Kaletsch (in: DNP VI [1999] 272 s. v. Kares, Karia; VIII [2000] 592 f. s. v. Myndos) die mykenischen Funde auf der Halbinsel von Halikarnassos, insbesondere in der Nekropole von Müskebi, als zu den nichtgriechischen Lelegern gehörig. Die Übernahme hethitischer Trinksitten in der ‘mykenischen’ Nekropole von Müskebi stellt A. M. Carstens fest (Drinking Vessels in Tombs – A Cultic Connection?, in: C. Scheffer [Hrsg.], Ceramics in Context, Proceedings of the Internordic Colloquium on Ancient Pottery, Stockholm, 13–15 June 1997 [2001] 89–102). Trotzdem fas- sen sie und P. Flensted-Jensen (wie auch Niemeier und Deger-Jalkotzy, s. o.) die Halbinsel von Halikarnassos seit der Bronzezeit betreffs der “archaeological evidence” als “part of the Greek world” auf: P. Flensted-Jensen – A. M. Carstens, Halikarnassos and the Lelegians, in: S. Isager – P. Pedersen (Hrsg.), The Salmakis Inscription and Hellenistic Halikarnassos, Halicarnassian Studies IV (2004) 109–123 bes. 120. Was dies im politischen Sinne, etwa auch im Hinblick auf eine Zugehörigkeit der Region zum Territorium von Milawanda-Milet, bedeutet, führen sie jedoch nicht weiter aus. Auch in Iasos zeichnet sich im archäologischen Fundbild eine Mischkultur ab (vgl. u. Anm. 158. 236. 251), deren politisches Verhältnis zu Milawanda-Milet mangels literarischer Quellen unklar bleibt. – Alles in allem ist also festzustellen, daß es beim derzeitigen Forschungsstand verfrüht wäre, die Südgrenze des Territoriums von Milawanda festzulegen. Lediglich die von Mur™ili II. ca. 1300 v. Chr. neu festgelegte Ostgrenze ist durch die Grenzinschrift von Suratkaya im Latmos fixiert: s. u. mit Anm. 130. 117 Zu Aba™a als Hauptstadt von Arzawa und seinem späteren Nachfolgestaat Mira und der Gleichsetzung mit dem antiken Ephesos s. F. Starke in: DNP V (1998) 190 s. v. Hattusa; VIII (2000) 250–255 bes. 253 f. s. v. Mira; J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 15. 23 f.; Haider, historische Geographie a. O.; C. H. Melchert in: Luwians 6; T. R. Bryce ebenda 31. 37 (Karte 2). 35–40. 53. 59. 60; M. Hutter, ebenda 268; S. Aro, Art and Architecture, in: Ebenda 281– 337 bes. 286. Betont vorsichtig: S. Heinhold-Krahmer, Zur Gleichsetzung der Namen Ilios-Wilu™a und Troia- Tarui™a, in: Troia 146–168 bes. 160 f. – Vor einigen Jahren konnte die Befestigung der bronzezeitlichen Akropo- lis von Aba™a auf dem Ayasoluk festgestellt werden: M. Büyükkolanc@, Ayasoluk Tepesi (Eski Efes) 1996 Y@l@ Kaz@lar@, in: 8. Müze Kurtarma Kaz@lar@ Semineri Kuºadas@ 1997 (1998) 69–83; ders., Apa™a, das alte Ephesos und Ayasoluk, in: Frühes Ionien 21–26. S. Aro a. O. weist außerdem darauf hin, daß die Tontafel mit dem sogenann- ten Arzawa-Brief, der in der ägyptischen Hauptstadt Amarna gefunden wurde, nach Tonanalysen wahrscheinlich aus Ephesos stammt. – Zur Geschichte von Arzawa vgl. umfassend S. Heinhold-Krahmer, Arzawa. Untersuchun- gen zu seiner Geschichte nach den hethitischen Quellen (1977). 118 Vgl. F. Starke, StTroica 7, 1997, 449 f. mit Karte Abb. 1; ders. in: DNP VI (1999) 523 f. (Karte) s. v. Kleinasien; VII (1999) 505 s. v. Lukka; ders., Troia im Machtgefüge des 2. Jahrtausends vor Christus: Die Geschichte des Lan- des , in: Traum 34–45 bes. 34 f. Abb. 41; ders. in: Die Hethiter und ihr Reich. Das Land der 1000 Götter, Ausstellungskatalog Bonn – Berlin (2002) Karte S. 306 f.; zuletzt ders. – J. Latacz, Wilusa und die Großen Vier – Troia in der politischen Landschaft der Späten Bronzezeit, in: Korfmann, Troia 57–70 bes. 58 Karte Abb. 1; da- nach etwa N. Oettinger in: DNP VI (1999) 557 s. v. Kleinasien (Karte “Kleinasien zur Hethiterzeit [1580–1200 v. Chr.]”). – Die von Starke vertretene Ausdehnung der Lukka-Länder auch auf die antike Landschaft Karia geht zurück auf J. Garstang – O. H. Gurney, The Geography of the Hittite Empire (1959) 102. 106. Garstang und Gurney haben Karki™a-Karien als Siedlungsgebiet der Karer in der späten Bronzezeit stattdessen in der nördli- chen Aiolis angesetzt: Vgl. u. Anm. 126. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 49

Bucht von im Nordwesten und dem Tal als im Norden und Nordwesten Lukkas, also im des Kestros (hethitisch Ka™taraja) im Osten119. Zum Gebiet des historischen Karien (griech. Kar…a) ganz anderen ergibt eine Auswertung der hethitischen im Südwesten Kleinasiens zwischen Milawanda- und ägyptischen Quellen, die Lukka und ein weite- Milet an der Mäandermündung im Norden, res Land Karki™a regelhaft zusammen nennen (s. (karisch Kbid-, lykisch cbide) im Süden an der u.), daß das Land Karki™a den Lukka-Ländern be- Mündung des Flusses Kalbis122 und Laodicea ad nachbart war120. Da im Osten der Lukka-Länder Lycum im Nordosten123 (Abb. 5). Aus dem hethi- und des Kestros-Flusses das Königreich von Tar- tischen Ländernamen Karki™a läßt sich im Übrigen hunta™™a mit der Grenzstadt Parha (= Perge) lag121, auch der hethitische Name der Karer rekonstruieren. kann Karki™a schwerlich anderswo gelegen haben Sie hießen wohl *Karka oder *Kar(a/i)ka. Auf die-

119 Vgl. etwa F. Starke in: DNP VII (1999) 505 f. s. v. Lukka; C. H. Melchert in: Luwians 5. 9. Karte 1; 14 f. 37 Karte 2; T. R. Bryce ebenda 40–44. 73–84. 107–124; ders., Neighbours 81 f. 129. 144–150; P. W. Haider in: Troia 181 mit Anm. 32; 182 Abb. 1; 188 Abb. 2. – Zum historischen Lykien vgl. DNP VII (1999) 559–562 s. v. Lykioi, Lykia (M. Zimmermann). Ebenda 559 der Hinweis, daß die historischen ‘Lykioi’ (zuerst bei Homer im ‘Troerkatalog’, Il. 2, 876) sich selbst ‘Termilai’ (Hdt. 7, 92; vgl. lykisch ‘trmmili’) nannten und vermutlich nur eines der ‘lykischen’ Völker darstellten, die zur Zeit der Hethiter in den Lukka-Ländern siedelten. Vgl. auch T. R. Bryce in: Luwians 108–114. 116; ders., Neighbours 144 f. 120 Vgl. bereits R. D. Barnett, The Sea Peoples, in: CAH II 23 (1975) 359–378 bes. 359–363 (Anatolians at the Battle of Qadesh). Ebenda 361 setzt Barnett Karki™a mit dem späteren Karien gleich, unter Berufung auf W. Eilers, Das Volk der Kark! in den Achämenideninschriften, OLZ 38, 1935, 201–213. Eilers weist u. a. anhand des ikono- graphischen Vergleichs der namentlich benannten Fremdvölkerdarstellungen am Grabmal Dareios’ I. (522–486 v. Chr.) in Naqsh-e Rostam (vgl. H. Koch, Persepolis: glänzende Hauptstadt des Perserreichs [2001] 79–82 Abb. 127–130) plausibel nach, daß das den jaun!, den ‘Ionern’ (vgl. zu diesem altpersischen Terminus o. Anm. 27), am ähnlichsten aussehende Volk der kark! (altpersisch, in den mehrsprachigen Inschriften sind außerdem die elamische Namensform [kur-qa-ap] und die babylonische [kurkar-sa] gegeben) mit den Karern identisch sein muß; vgl. zustimmend RLA 5 (1976–1980) 423–425 bes. 424 s. v. Karer (R. Schmitt) mit älterer Literatur. Die identi- sche Bekleidung mit Chiton und Chlamys, sowie die ähnliche Bart- und Haartracht und Bewaffnung mit umge- hängtem Schwert bei Ionern und Karern (Eilers a. O. 205 mit Umzeichnung) erklärte Eilers a. O. 206 mit der “frü- hen Hellenisierung der Karer”, die “aus den Nachrichten der Alten wohlbekannt sei”. 121 Zu Tarhunta™™a vgl. etwa F. Starke in: DNP V (1998) 193 Karte Sp. 195 f. s. v. Hattusa; VI (1999) 527–530 Karte Sp. 523 f. s. v. Kleinasien; XII 1 (2002) 26 f. s. v. Tarhuntassa. Klarheit über die Topographie von Tarhunta™™a ver- schaffte eine erst 1986 in Hattu™a gefundene Bronzetafel mit einem Vertrag zwischen Tudhalija IV. (ca. 1237–1228 v. Chr.) und seinem Cousin Kurunta von Tarhunta™™a: H. Otten, Studien zu den Bo%azköy-Texten, Beih. 1 (1988); J. D. Hawkins, : The End of the Hittite Empire and after, in: E. Braun-Holzinger – H. Matthäus (Hrsg.), Die nahöstlichen Kulturen und Griechenland an der Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr., Kontinuität und Wandel von Strukturen und Mechanismen kultureller Interaktion, Kolloquium Mainz, 11.–12. Dezember 1998 (2002) 143–151 bes. 144–146; Bryce 268 f.; ders., Neighbours 80 f. 122 Zu Kaunos, dessen karischer Name Kbid- (vgl. hethitisch hapa-, ‘Fluß’) durch die erst 1996 gefundene Bilingue von Kaunos überliefert ist und das am Fluß Kalbij (von karisch *kalb-, hethitisch halluua, ‘tief’) lag: D. Schürr, Zum Namen des Flusses Kalbis bei Kaunos in Karien, Historische Sprachforschung 116, 2003, 69–74; vgl. den Beitrag von M. Meier-Brügger in diesem Band. – Kaunos als karische Grenzstadt zu Lykien pflegte noch in hi- storischer Zeit einen vermutlich uralten Grenzzauber. Wie Herodot (1, 172) beschreibt, zogen die jungen Män- ner von Kaunos einmal im Jahr in einer Prozession in Waffen bis zu dem zum Territorium von Kaunos gehöri- gen Grenzort Kalynda. Dabei stießen sie mit ihren Lanzen in den Himmel, um die fremden Götter aus dem Land zu treiben. Vgl. R. Gagné, What is the Pride of Halicarnassus?, ClAnt 25.1, 2006, 1–33 bes. 10 mit Anm. 40; C. Marek, Die Inschriften von Kaunos, Vestigia 55 (2006) 8 Test. 1; 84 Anm. 74; [vgl. den Beitrag von W. Tietz in diesem Band, Anm. Red.]. 123 Zur Lage von Karki™a “im mittleren Teil Westkleinasiens” jetzt auch P. W. Haider in: Troia 183–189 mit Karten 182 Abb. 1 und 188 Abb. 2; zur Lokalisierung im historischen Karien vgl. bereits Barnett a. O.; J. D. Hawkins, The Hieroglyphic Inscription of the Sacred Pool Complex at Hattusa (Südburg), Studien zu den Bo%azköy-Tex- ten, Beih. 3 (1995) 54 Anm. 191; P. Mountjoy, AnSt 48, 1998, 49 f. Abb. 7 (“Karkiya”; zu Karkiya = Karki™a vgl. hier Anm. 139). Zu Karien = Karki™a und Lykien = Lukka vgl. auch O. Carruba, Neues zur Frühgeschichte Lykiens, in: F. Blakolmer u. a. (Hrsg.), Fremde Zeiten. Festschrift für Jürgen Borchhardt I (1996) 25–39 bes. 32. 38 Abb. 1 (ebenda 37 liest man jedoch: “Karien, wo wahrscheinlich im 2. Jt. Lukka bis in die Gegend von Miletos/ Millawanda wohnten bzw. hin und her wanderten ...”; vgl. ebenda 32 Anm. 31: “die Lukka Westkariens”); ders., Der Name der Karer, Athenaeum 88, 2000, 49–57 bes. 49 (wichtig ist der Nachtrag); I. Benda-Weber, Lykier und Karer. Zwei autochthone Ethnien Kleinasiens zwischen Orient und Okzident, Asia Minor Studien 56 (2005) 15– 50 Alexander Herda

Abb. 5 Kleinasien in der späten Bronzezeit nach den hethitischen Texten sen Namensstamm geht sogar noch die griechische des Karischen, das sich wie das Luwische oder etwa Bezeichnung des Volkes, K©r, K©rej, zurück124. auch das Lykische bereits seit dem 3./2. Jt. v. Chr. aus In der Region des historischen Karien verortet die der indo-europäischen, ‘urkleinasiatischen’ Sprache Sprachwissenschaft mittlerweile auch die Entstehung entwickelte125.

32. 58 f. – Was die Lokalisierung von Karki™a betrifft, ist Bryce, Neighbours 143–150 bes. 144, betont skeptisch (vgl. seine Karte 3.2. S. 79: Karki™a fehlt als einziges Land). Doch die in den hethitischen und ägyptischen Texten implizierte Nähe zu Lukka, das Bryce übereinstimmend mit der vorherrschenden Forschungsmeinung im histo- rischen Lykien verortet, läßt m. E. keinen anderen Schluß zu, als daß Karki™a weitgehend mit dem historischen Karien identisch ist. Man vergleiche dazu wieder Bryces Karte a. O.: An der Stelle des späteren Karien, zwischen “Lukka” und “Arzawa-Mira”, klafft eine große Lücke. Daß die Bezeichnung ‘Lukka’ in den hethitischen Quel- len in einigen Fällen alle Luwisch sprechenden Volksgruppen Südwest-Kleinasiens eingeschlossen haben kann, wie Bryce vermutet (in: Luwians 43 f.; ders., Neighbours 149), mag zutreffen. Trotzdem bleibt festzuhalten, daß das Land Karki™a noch in den spätesten hethitischen Texten neben Lukka erwähnt wird. 124 O. Carruba, Athenaeum 88, 2000, 49. 125 H. C. Melchert, Prehistory, in: Luwians 8–26 bes. 9 Karte 1; 14 f.; ders., Language, in: Ebenda 170–210 bes. 175–177 und seine Karte bei Bryce, in: Ebenda 37 Karte 2. – Melchert gebraucht für das ‘Urkleinasiatische’ den Terminus ‘Proto-Anatolian’. Letzterer modernistischer Begriff sollte allerdings wegen des Zusammenhangs der Termini ‘Ana- tolien’ und ‘anatolisch’ (türkisch ‘Anadolu’, ‘Anadolulu’/‘Anadollu’) mit dem nationalistisch geprägten türkischen Humanismus (‘Türk Hümanizmi’, einer seiner bedeutendsten Vertreter war Musa Cevat ©ak@r Kabaa%açl@ [1887– 1973], der sich selbst Halikarnas Bal@kç@s@, “Fischer von Halikarnassos”, nannte; vgl. B. Kranz in: DNP XV 3 [2003] 647 f. s. v. Türkei; dies., Das Antikenbild der modernen Türkei [1997] bes. 93–157; Problem weitgehend ausgeblen- det von K. Kreiser, Troia und die homerischen Epen. Von Mehmet II. bis ‚smet ‚nönü, in: Traum 282–289) vermie- den werden. Stattdessen bietet sich als Bezeichnung für den westlichsten Teil des asiatischen Kontinents, die türki- sche Halbinsel zwischen Ägäis und Euphrat bzw. Schwarzem Meer und Mittelmeer, der Begriff ‘Kleinasien’ an, vgl. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 51

Die abweichende Lokalisierung Karki™as im und dem Makestos-Fluß im späteren östlichen Mysien Nordwesten Kleinasiens östlich von Wilu™a-Troja durch F. Starke überzeugt dagegen nicht126.

griechisch ‘Asia’, lateinisch ‘Asia Minor’. Er geht über das hethitische A™™uwa zurück auf einen vor-indo-europäi- schen Namen für das westliche Kleinasien, der offenbar von den im 3. Jt. v. Chr. nach Westkleinasien eingewander- ten Indo-Europäern übernommen wurde: Bryce 125 mit Anm. 13; H. C. Melchert in: Luwians 7 mit Anm. 10; vgl. u. Anm. 126. Er war im Übrigen auch den mykenischen Griechen bekannt, denn in den Linear-B-Texten aus Pylos begegnet eine Göttin namens po-ti-ni-ja a-si-wi-ja (‘Herrin von Asiwija’), in Knossos ein Mann namens a-si-wi-jo (‘[Mann] aus Asiwija’): Vgl. Ventris – Chadwick 410. 417. 534 f. (dort als “Lydian” gedeutet); dazu H. C. Melchert in: Luwians 7 mit Anm. 10; M. Hutter ebenda 268; R. S. P. Beekes, The Origin of , Journal of Ancient Near Eastern Religions 3, 2003, 3–21 bes. 17; s. u. Kap. VIII mit Anm. 337. – H. C. Melchert in: Luwians 176 wendet sich explizit gegen die Annahme von F. Starke, Lykisch sei ein luwischer Dialekt (“Luwian dialect”). Für Lykisch, Karisch, Pisidisch und Sidetisch schlägt er ebenda 177 Anm. 7 stattdessen als “cover term” den Begriff ‘Luwic’ vor. Die Entstehung dieser Sprachen, etwa auch des Karischen, setzt er schon im späten 3. oder dem 2. Jt. v. Chr. an (vgl. auch die Karte S. 9 Abb. 1 [“Tentative Areas of Indo-European Speakers in the Late 3rd Millennium BCE”]). – Eine männliche Person namens ‘Luwier’ wird im übrigen in einem Linear-B-Text aus Knossos genannt (KN X 7706 + 8108: ru-wa-ni-jo): P. Widmer, Mykenisch Ru-wa-ni-jo ‘Luwier’, Kadmos 45, 2006, 82–84. Der Name leitet sich von der indo-europäischen Länderbezeichung ‘Luwija’ (‘Luwien’, ‘luwisches Land’) für das westliche Kleinasien ab, die auch in älteren hethitischen Texten als Lu-ú-i-ja begegnet, später aber durch Arzawa ersetzt wird (Widmer a. O.; C. H. Melchert in: Luwians 1–3; T. Bryce in: Luwians 28–31; ders., Neighbours 76. 117). Daß ‘Luwija’ wiederum auf eine Urform *Lukija zurückzuführen sei und mit der hethitischen (aber nichtsdestotrotz vor-indo-europäischen) Bezeichnung für Lykien, ‘Lukka’, zusammen gehört, wie Carruba, Neues (s. o. Anm. 123) 28 f., behauptet (ebenda 37 folgerte er daraus sogar, “daß der älteste Name der indoeuropäischen Anatolier Lukka war”), ist jedoch abzu- lehnen: C. H. Melchert in: Luwians 14 Anm. 8. – Vgl. zu den indoeuropäischen kleinasiatischen Sprachen den Bei- trag von M. Meier-Brügger in diesem Band. – Demgegenüber scheint N. Oettinger (in: DNP VI [1999] 556 s. v. Kleinasien, V. Sprachen), der das Karische als luwischen Dialekt ansieht, von einer Entstehung dieser Sprache erst im 1. Jt. v. Chr. auszugehen. F. Starke hält “die genetische Stellung des Karischen und Sidetischen zum Lydischen und/oder Luwischen [für] noch offen”, über den Zeitpunkt der Ausbildung der Sprache macht er keine genaueren Angaben (in: DNP I [1996] 661 f. s. v. Anatolische Sprachen; VI [1999] 279 f. s. v. Karisch). 126 F. Starke, StTroica 7, 1997, 456; danach etwa P. W. Haider, historische Geographie (s. o. Anm. 110) Taf. 162, 3; J. Latacz, Der große Nachbar im Westen: Die Griechen. Was wußten sie von Troia?, in: Traum 56 mit Anm. 5; F. Starke in: Die Hethiter und ihr Reich. Das Land der 1000 Götter, Ausstellungskatalog Bonn – Berlin (2002) Kar- ten S. 304–307; ders. – J. Latacz in: Korfmann, Troia 58 Karte Abb. 1; vgl. auch die Sammlung älterer Karten bei F. Schachermeyr, Mykene und das Hethiterreich (1986) 304–334 (Kap. 31: “Zur Geographie des südwestlichen Anatolien”) bes. 329–333 Abb. 26–34. In der Karte von Schachermeyr a. O. 333 Abb. 34 ist Karki™a zutreffend in Karien lokalisiert. – Diese Lokalisierung Starkes beruht vor allem auf der Nennung von Karaki™a als verbündetes Land in der sogenannten A™™uwa-Koalition gegen Tudhalija II. (Anfang 14. Jh. v. Chr.) (s. u.). Starke setzt A™™uwa mit der antiken Stadt an der Südwestküste der Troas gleich, die äolisch nachbesiedelt wurde, und lokali- siert das Land A™™uwa daraufhin im antiken Mysien (in: Traum 36; danach: Latacz 122. 125 f. 328). Dies ist aber sowohl aus sprachlicher Sicht fraglich (vgl. H. C. Melchert in: Luwians 7 mit Anm. 10) als auch aus dem geopoli- tischen Zusammenhang der A™™uwa-Koalition unwahrscheinlich: Zum einen war ‘Wilusija’ (= Wilu™a), die Tro- as, in der auch Assos lag, selbst eines der verbündeten Länder, zum anderen schloß das aus mindestens 22 Län- dern bestehende Bündnis neben Karaki™a (= Karki™a) auch [L]ugga (= Lukka), also die Lukka-Länder mit ein, um- spannte demnach den Raum des gesamten westlichen Kleinasien, vom Nordwesten bis in den Südwesten (dies wird beispielsweise von Latacz a. O. 122–126 mit Anm. 139a nicht berücksichtigt, der A™™uwa daher in N o r d westkleinasien lokalisiert). Ähnlich wie Starke hatten Garstang – Gurney (s. o. Anm. 118) 107–109 mit Karte S. X (wiederabgebildet bei Latacz 106 f. Abb. 17) Karki™a im nordwestlichen Kleinasien, genauer im Be- reich des nördlichen Aiolien nördlich des Kaikos-Flusses (den sie mit dem hethitischen Seha-Fluß gleichsetzten) und direkt Wilu™a benachbart vermutet. Entscheidend war für Garstang – Gurney die Formulierung des Vertrags von Mur™ili II. mit König Manapa Tarhunta des Seha-Flußlandes, der von seinem Bruder vertrieben wurde, so daß er “zu den Leuten von Karki™a hinüber[ging]”; vgl. die deutsche Übersetzung des Passus bei Latacz 131; dazu s. u. mit Anm. 131. Sie leiteten hieraus ab, daß das Seha-Flußland und Karki™a direkt benachbart waren. – J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 29, erwog zwar eine Lokalisierung von Karki™a im “classical ”, meinte aber, insbe- sondere die Erwähnung des Landes in den Annalen Tudhalijas’ II. unter den A™™uwa-Ländern “exert a pull towards a northern location”. Dagegen ist allerdings einzuwenden, daß auch die sicher an der Südwestspitze Kleinasiens lokalisierten Lukka-Länder, die Karki™a benachbart lagen, zur sogenannten A™™uwa-Koalition gehör- ten: s. u. mit Anm. 128. – E. Forrer, der nicht nur als erster die Gleichsetzung des in den hethitischen Quellen ge- nannten Ahhijawa mit dem mykenischen Achaia-Griechenland erkannte (vgl. zur daraufhin erfolgten Anfeindung Forrers in den 1920/30er-Jahren und seiner späten Rehabilitierung in den 1980er-Jahren Latacz a. O. 122 f.; Nie- meier, Westkleinasien 61 mit Anm. 293 ff.), versuchte auch als einer der ersten eine Rekonstruktion der histori- 52 Alexander Herda

Nach den hethitischen Quellen standen nicht gen, in deren Verlauf auch das mit Arzawa verbün- nur Milawanda-Milet und Arzawa-Mira, sondern dete mykenische Milawanda/Milawata erobert wur- auch Karki™a und die Lukka-Länder in einem mehr de (s. o.), endgültig zu besiegen129. Die Grenzen der oder weniger starken Abhängigkeitsverhältnis zum Machtbereiche wurden neu abgesteckt, Arzawa in hethitischen Reich mit seiner Hauptstadt Hattu™a. drei Teilstaaten, Appawija und das Seha-Flußland Dieses Verhältnis war im 14. und 13. Jh. v. Chr. (Hermos- und Kaikostäler, heute Gediz und Bak@r), durch Wechselhaftigkeit geprägt127. Immer wieder, und Mira-Kuwalija (südliches Kernland mit in Zeiten hethitischer Schwäche, strebte Karki™a der ehemaligen Hauptstadt Aba™a-Ephesos) zerteilt. nach Unabhängigkeit. So gehörten die *Karka von Die erst im Jahre 2000 von Anneliese Peschlow- Karki™a unter dem hethitischen Großkönig Tud- Bindokat im Latmos-Gebirge beim Suratkaya halija II. (Anfang 14. Jh. v. Chr.) wie etwa auch die (Abb. 4) entdeckte Felsinschrift des hethitischen Va- Leute von Lugga/Lukka zu den 22 westkleinasi- sallen Kupanta-Kuruntiya, Prinz von Mira (ca. 1310– atischen, in der sogenannten A™™uwa-Koalition ver- 1290 v. Chr.), markierte wahrscheinlich in einem einten Feinden der Hethiter, die Tudhalija militä- ‘Dreiländereck’ die Grenze des Arzawa-Nachfolge- risch niederringen mußte, um die hethitische Kon- staates Mira mit Milawanda-Milet auf der einen Seite trolle über Westkleinasien wiederherzustellen128. In und Karki™a, dem Land der Karer, auf der anderen130. der zweiten Hälfte des 14. Jhs. v. Chr. machte vor Während des Konfliktes der Hethiter mit Arza- allem das Karki™a nördlich benachbarte Königreich wa scheinen sich die Karer auf die Seite des Stärke- von Arzawa, dessen Hauptstadt wie bereits erwähnt ren gestellt zu haben: Aus den Annalen Mur™ilis II. Aba™a, das antike Ephesos, war, den Hethitern im- geht hervor, daß der Großkönig zu Beginn seiner mer wieder Probleme. Erst Mur™ili II. gelang es im Regierung (ca. 1322/21 v. Chr.) von den Leuten von dritten Jahr seiner Regierung, etwa 1316 v. Chr., Karki™a gegen Geschenke die Aufnahme und den Arzawa und seinen König Uhhaziti in zwei Feldzü- Schutz des hethitischen Vasallenfürsten Manapa

schen Geographie Kleinasiens. Er lokalisierte die Arzawa-Länder noch im ebenen Kilikien, Karki™a/Karkija setz- te er im westlichen Kilikien in der Küstengegend um das heutige an, Uilusa (= Wilu™a) lag nach seiner Mei- nung zwischen Karkija und Arzawa an dem Küstenabschnitt zwischen den heutigen Orten Anamur und Mersin: E. Forrer, Forschungen 1: Die Arzoava-Länder (1926) 44–67 (Arzawa, Arinnanda, Puranda). 73–82 (Wilu™a, Karki™a). Ebenda 78. 80–82 setzte Forrer Karki™a mit der antiken Stadt Korakesion (heute Alanya) gleich, das umliegende Land habe Karkija geheißen; vgl. seinen Faltplan S. 94. Zu seiner Verortung von Arinnanda und Puranda vgl. u. Anm. 180. Dazu, daß entgegen Forrers Annahme in ‘Karkija’ und ‘Karki™a’ zwei analoge Namens- formen für das Land vorliegen s. H. C. Melchert in: Luwians 7. Forrer a. O. 81 vermutete, die beiden Bezeich- nungen ‘Karkija’ und ‘Karki™a’ könnten auf einen Bergnamen *Kar(a)kis zurückgeführt werden. Milawanda-Milet lokalisierte Forrer im übrigen in der Milyas: Ebenda 237; vgl. J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 26 Anm. 161. 127 F. Schachermeyr (Die Levante im Zeitalter der Wanderungen, Die ägäische Frühzeit V [1982] 321 ff.; vgl. Benda- Weber [s. o. Anm. 123] 17) verwendete den Begriff ‘Doppeluntertänigkeit’, um die ‘Schaukelpolitik’ der Lukka- Länder und Arzawas zwischen den Reichen von Ahhijawa und Hattu™a zu charakterisieren. 128 Bryce 124–127. Aus der Beute dieses siegreichen Feldzugs gegen A™™uwa stammt wahrscheinlich das mykeni- sche(?) Bronzeschwert, das Tudhalija in seiner Hauptstadt Hattu™a dem Sturmgott weihte: W.-D. Niemeier in: Die Hethiter und ihr Reich. Das Land der 1000 Götter, Ausstellungskatalog Bonn – Berlin (2002) 296 Abb. 2; 355 Katalog-Nr. 153; vgl. dazu auch T. Bryce in: Luwians 49; Niemeier in: Korfmann, Troia 50 mit Anm. 60. 129 Bryce 192–197; ders. in: Luwians 58–67; Niemeier a. O. 130 A. Peschlow-Bindokat – S. Herbordt, Eine hethitische Großprinzeninschrift aus dem Latmos, AA 2001, 363–378; A. Peschlow-Bindokat, Die Hethiter im Latmos. Eine hethitisch-luwische Hieroglyphen-Inschrift am Suratkaya (Beºparmak/Westtürkei), AW 33, 2002, 211–215; dies., Eine karische Gebirgslandschaft. Herakleia am Latmos. Stadt und Umgebung, Homer Archaeological Guides 3 (2005) 83–89; vgl. jetzt etwa auch Niemeier in: Korfmann, Troia 51; Latacz, Homer 331 f. Herbordt a. O. liest die in luwischen Hieroglyphen zentral angebrachte Namenskartusche als Ku-pa-i(a) und deutet dies als Kurzform des Namens Kupanta-Kuruntiya. Bryce, Neighbours 84 Anm. 37, be- tont, die in der Inschrift genannten Namen der Prinzen von Mira seien nur unvollständig erhalten. Er verzichtet auf eine Zuweisung und damit auch auf eine genauere Datierung; vgl. Bryce 475 f. Anm. 58. – Zu Mira als ehemaligem Kerngebiet des arzawischen Reiches mit der Hauptstadt Aba™a-Ephesos vgl. Heinhold-Krahmer, Arzawa (s. o. Anm. 117) 136–147. 211–219. 329; J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 23; F. Starke in: DNP V (1998) 190 s. v. Hattusa; VIII (2000) 250–255 bes. 253 f. s. v. Mira. – Vergleichbar der Felsinschrift vom Suratkaya, jedoch ca. 100 Jahre jünger, ist die von J. D. Hawkins neu gelesene Inschrift A am Karabel-Paß in den Boz Da%lar@ (Tmolos-Berge), die König Tarka™nawa an der Nordgrenze Miras anbringen ließ: J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 1 ff.; S. Heinhold-Krahmer in: Troia 149. 161 f.; Bryce in: Luwians 39 f.; Bryce 306. 360; ders., Neighbours 84–86 Abb. 3.4. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 53

Tarhunta verlangen konnte, der aus seinem Reich, (ca. 1275 v. Chr.) aber als Verbündete bzw. Söldner dem Seha-Flußland, vertrieben worden war131. Die- einsetzte133, ergibt sich, daß beide Länder zum Ende se Forderung setzte die, wenn auch erkaufte, Loya- der Herrschaft Muwatallis, wie etwa auch Wilu™a- lität der Karer gegenüber den Hethitern voraus. Zu Troja, wieder der hethitischen Kontrolle unterwor- Anfang des 13. Jhs. v. Chr., während der Regierung fen waren, zumindest aber in keinem feindlichen des Großkönigs Muwatalli II. (ca. 1295–1272 v. Verhältnis mehr zu Hattu™a standen. Spätestens seit Chr.), scheint die Situation sich jedoch verändert zu dieser Zeit kommen beide Länder auch als potenti- haben: Im Vertrag Muwatallis mit Alak™andu (= elle Verbündete von Wilu™a in Frage. Unter der Alexandros/) von Wilu™a (= Ilion/Troas) wird Voraussetzung, daß Wilu™a mit Troja gleichgesetzt dieser angewiesen, militärische Unternehmungen werden kann, ist die Aussage des homerischen der Hethiter unter anderem in Karki™a und Lukka ‘Troerkatalogs’, die Karer (aus Milet) und die zu unterstützen132. Da Muwatalli II. Karer, Lykier Lykier seien Verbündete der Trojaner gegen die und wahrscheinlich auch Lyder in der Schlacht bei Griechen gewesen134, also zumindest seit ca. 1275 v. Qadesch gegen den ägyptischen Pharao Ramses II. Chr. denkbar135.

131 A. Goetze, Die Annalen des Mursilis, MVAG 38 (1933; Neudr. 1967) 68–71; dazu Heinhold-Krahmer, Arzawa (s. o. Anm. 117) 75 f. 119 (Manapa-dU = Manapa Tarhunta; sie setzt die Ereignisse in das erste und einzige Regierungsjahr Arnuwandas II. [ca. 1322 v. Chr.], dem sein Bruder Mur™ili II. bereits im Jahr darauf auf den Thron folgte); Bryce 195 f.; ders. in: Luwians 60 f.; Laztacz 131. Zum Seha-Flußland (Hermos-Tal, der heutige Gediz, ev. einschließlich des Kaikos-Tales, des heutigen Bak@r) vgl. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 23 f.; 52, 2002, 100; Bryce, Neighbours 86; vgl. auch hier Anm. 126. 153. 132 Vgl. etwa Barnett (s. o. Anm. 120) 361. Eine vollständige und kommentierte Neuübersetzung des Alak™andu-Ver- trages bietet F. Starke in: Latacz 133–140 (zu Karki™a und Lukka: 136 § 14); dazu ebenda 131–147; vgl. jetzt auch verkürzt J. Latacz – F. Starke, Wilusa und die Großen Vier – Troia in der politischen Landschaft der Späten Bron- zezeit, in: Korfmann, Troia 57–70 bes. 63–68 (zu Karki™a und Lukka ebenda 65. 67). – Entgegen Barnett, Starke und H. Klengel (Geschichte des hethitischen Reiches [1999] 213) verstehen H. Otten (Das Land der Lukka in der hethitischen Topographie, in: J. Borchardt – G. Dobesch [Hrsg.], Akten des II. Internationalen Lykien-Symposi- ons, Wien, 6.–12. Mai 1990 I [1993] 117–121 bes. 118), T. Bryce (Bryce 226; ders. in: Luwians 35 ff. 69 f. 76) und S. Heinhold-Krahmer (in: Troia 154) die Formulierung des Alak™andu-Vertrages allerdings so, daß die Hethiter nicht g e g e n Karki™a und Lukka (es werden außerdem noch die Länder Ma™a und War™iyalla genannt) militä- risch vorgehen wollten, sondern v o n d i e s e n L ä n d e r n a u s , sie also als Basis ihres Vorgehens hätten nutzen wollen. Nach diesem Verständnis müßten Karki™a und Lukka Verbündete der Hethiter gewesen sein. 133 Die Völker von Ma™a, Karki™a und Lukka werden von Bryce 235 mit Anm. 45 nicht als Verbündete bzw. Vasal- len, sondern als “mercenaries” angesprochen; vgl. ders., Neighbours 144. – Ma™a ist wahrscheinlich mit dem Land der antiken Lyder gleichzusetzen, der ‘Maioner’ Homers (Il. 2, 864–866): Bryce, Neighbours 143 mit Verweis auf S. Ko™ak, Western Neighbours of the Hittites, Eretz Israel 15, 1981, 12–16; zur Lokalisierung nördlich von Mira- Arzawa in der späten Bronzezeit vgl. Bryce, Neighbours 79 Karte 3.2 (“Masa?”). – Abweichend vertreten F. Cor- nelius (Geschichte der Hethiter [1973] 2), P. W. Haider (in: Troia 184 f. mit Anm. 43; 188 Abb. 2) und A.-M. Wittke ([s. o. Anm. 108] 185–190. 275–277) die Meinung, Ma™a sei das spätere Phrygien. 134 Hom. Il. 2, 867–877; vgl. zum sogenannten Troerkatalog der Ilias (2, 816–877) E. Visser, Die Troianer und ihre Alliierten in der Sicht Homers. Mythische Tradition, geografische Realität und poetische Fantasie, in: Traum 84– 87 mit Abb. 87. Visser, ebenda 86, hat übersehen, daß im Alak™andu-Vertrag nicht nur die Lukka-Leute (Lykier), sondern auch die Leute des Landes Karki™a (Karer) genannt sind, somit also zwei der verbündeten Völker der Trojaner in der Ilias Homers. Die Dardaner, die als Verbündete sowohl im Troerkatalog genannt sind (Il. 2, 819– 823), als auch im Formelvers Trîej kaˆ LÚkioi kaˆ D£rdanoi ¢gcimachta… (“Troer, Lykier und Dardaner, Krie- ger im Nahkampf”; z. B. 8, 173) neben den Trojanern und Lykiern begegnen, werden in den ägyptischen Texten zur Schlacht von Qadesch neben den Völkern von Lukka und Karki™a als hethitische Verbündete angeführt (ihre Bezeichnung dort: ‘Dardany’): Latacz – Starke in: Korfmann, Troia 70 Anm. 24; vgl. Bryce 235 mit Anm. 46; Haider in: Troia 186–189. 191 f. Zum Troerkatalog jetzt Bryce, Neighbours 127–150 mit 128 Karte 6.1. 135 Nicht durchgesetzt hat sich die These von H. G. Güterbock (Troy in Hittite Texts? Wilusa, Ahhiyawa, and Hittite History, in: M. J. Mellink [Hrsg.], Troy and the Trojan War, A Symposium held at Bryn Mawr College, October 1984 [1986] 33–44 bes. 38) und T. Bryce (Bryce [1 1998] 340), der sogenannte Milawata-Brief Tudhalijas IV. sei an den neu eingesetzten hethitischen Vasallenfürsten in Milawata-Milet gerichtet gewesen und belege den Aufenthalt des aus Wilu™a-Troja vertriebenen Königs Walmu in Milawata-Milet (vgl. danach noch Latacz 140 mit Anm. 153a). Vielmehr richtet sich der Brief wohl an den Vasallenkönig von Mira, Tarka™nawa: F. Starke, Troia im Kontext des historisch- politischen Umfeldes in Kleinasien im 2. Jahrtausend, StTroica 7, 1997, 447–487 bes. 454; J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 19; Bryce in: Luwians 80; Bryce (2 2005) 306; Heinhold-Krahmer in: Troia 151; dies., Ahhiyawa – Land der homerischen Achäer im Krieg mit Wilu™a?, in: Troia 193–214 bes. 203; Latacz – Starke (s. o. Anm. 118) 66 mit Anm. 18. 54 Alexander Herda

Um die Mitte des 13. Jhs. verstärkte Ahhijawa, sah, über das Meer nach Ahhijawa verschleppt wur- das die Kontrolle über Millawanda-Milet von den den138. Weiterhin plante Pijamaradu auch Angriffe Hethitern zurückgewonnen hatte, seine Aktivitäten auf die Länder Ma™a (= Lydien?) und Karkija (= mit dem Ziel, die hethitische Oberherrschaft in der Karki™a/Karien)139, bzw. plante, von dort her Aktio- Region des westlichen Kleinasien zu seinen eigenen nen gegen das hethitische Reich durchzuführen140. Gunsten zu unterminieren. Eine der Schlüsselfiguren Die von Milawanda-Milet ausgehende ahhija- in diesem Machtspiel bildete Pijamaradu, ein Enkel wische Destabilisierungspolitik animierte einen Teil des von Mur™ili II. ca. 1316 v. Chr. gestürzten Königs der Leute von Karki™a und Lukka, gegen die Uhaziti von Arzawa. Er war Schwiegervater des Für- hethitische Oberherrschaft zu rebellieren. Hattu™a sten Atpa in Milawanda-Milet und wurde von mußte handeln: Wieder gemäß dem Tawagalawa- Ahhijawa gezielt als ‘Agent’ seiner Interessen einge- Brief marschierte der Großkönig Hattu™ili III. ge- setzt136. Ihm gelang es über einen längeren Zeitraum, gen Pijamaradu, der sich daraufhin bis nach seit den späten Jahren Muwatallis II. (ca. 1295–1272 Milawanda-Milet flüchtete. Auf dem Vormarsch v. Chr.) bis in die Jahre Hattu™ilis III. (ca. 1267–1237 Richtung Milawanda eroberten die Hethiter auch v. Chr.) hinein, ganz Westkleinasien von Wilu™a- nacheinander die mit Pijamaradu verbündeten Städ- Troja bis Lukka-Lykien zu verunsichern. Dabei te Waliwanda und Ijalanda, in denen unschwer die führte Pijamaradu, wie aus dem sogenannten ca. 1250 nordwestkarischen Städte Alabanda und Alinda er- v. Chr. zu datierenden Tawagalawa-Brief Hattu™ilis kannt werden können, während sie ausdrücklich die III. (ca. 1267–1237 v. Chr.) an den König von mit Ijalanda verbündete, befestigte Stadt Atrija aus- Ahhijawa hervorgeht137, Raubzüge in den Lukka- sparten, wahrscheinlich das klassische Idrias/ Ländern durch, in deren Verlauf 7000 Personen, die Stratonikeia141. Die hart umkämpfte Einnahme von der hethitische Großkönig als seine Untertanen an- Ijalanda hatte eine hohe strategische Bedeutung.

136 Zu Pijamaradu vgl. Bryce 224–226. 242. 272. 290–293. 299. 360 f.; ders. in: Luwians 67. 70 f. 73. 77 f. 82. 85; ders., Neighbours 104. 110 f. 113 f.; vgl. zusammenfassend jetzt J. Zurbach, REA 108, 2006, 291 f. Zu Atpa vgl. Hein- hold-Krahmer, Arzawa (s. o. Anm. 117) 148. 173 f. 208. 210. 226. 370 f. 137 KUB XIV 3. Der Brief, den Hattu™ili III. an den “Großkönig” von Ahhijawa, seinen “Bruder”, adressierte, ist von der modernen Forschung nach dem Bruder des Königs von Ahhijawa benannt, dessen hethitische Namensform ‘Tawagalawa’ auf den mykenischen Namen E-te-wo-ke-re-wes, ‘Eteokles’, führt. Dieser Tawagalawa führte im Inter- esse Ahhijawas militärische Operationen in Westkleinasien durch, zum Teil wohl in Absprache mit Pijamaradu. Zum Brief vgl. Bryce 290–293. 361; ders. in: Luwians 76–78. 85; ders., Neighbours 102. 104. 111. 183; S. Heinhold-Krahmer, Zur Gleichsetzung der Namen Ilios-Wilu™a und Troia-Tariu™a, in: Troia 146–168 bes. 151. 155. 161; dies., Ahhijawa – Land der homerischen Achäer im Krieg mit Wilu™a?, in: Troia 193–214 bes. 196. 200 f. 205–207. 211. 214; Latacz 151– 156. – Die Benennung des Briefes erfolgte zuerst durch E. Forrer (Forschungen 1: Die Arzoava-Länder [1926] 95–232), der auch eine vollständige deutsche Übersetzung und einen umfangreichen Kommentar verfaßte. 138 Bryce in: Luwians 85 zu KUB XIV 3, 7–19. Vgl. die Übersetzung und den Kommentar von Forrer a. O. 113. 115. 169–175. 139 So versteht S. Heinhold-Krahmer (in: Troia 203) den betreffenden Passus des Tawagalawa-Briefes (KUB XIV 3, 52 ff.). Zu Ma™a = Lydien vgl. o. Anm. 133. Zu Karkija = Karki™a vgl. H. C. Melchert in: Luwians 7. 140 M. E. geht aus dem Tawagalawa-Brief nicht hervor, daß Pijamaradu Ma™a oder Karkija angreifen wollte, wie Heinhold-Krahmer annimmt, vielmehr beabsichtigte er, die beiden Länder als Basen für seine Aktionen gegen Hattu™a und seinen Vasallenstaat Mira-Arzawa (dessen Thron Pijamaradu beanspruchte) zu benutzen. Dies legen die Worte nahe, mit denen Hattu™ili III. den König von Ahhijawa bittet, Pijamaradu einen Brief zu schreiben, in dem dieser aufgefordert wird, die Hethiter nicht mehr vom kleinasiatischen Territorium Ahhijawas, also Milawanda-Milets, aus anzugreifen, sondern von Ma™a oder Karkija aus: Latacz 152 in deutscher Übersetzung (von F. Starke): “Von meinem Land aus sollst du keine Feindseligkeiten begehen! Wenn Dein Herz im Land Ma™a oder im Land Karkija ist, dann geh dorthin!” (KUB XIV 4, 5–7). Vgl. auch die Übersetzung von E. Forrer ([s. o. Anm. 137] 117): “Wenn du dem König des Hatti-Landes jeweils feindlich bist, so sei ja (= kannst du sein) von einem anderen Lande aus feindlich. Aber von meinem Lande aus darfst du dann nicht feindlich sein. Wenn ihm (dir!) der Sinn in das Land Karkija bzw. das Land M!sa steht, so gehe dorthin.” (KUB XIV 4, 3–7). Für diese In- terpretation sprechen nicht zuletzt auch die dem Tawagalawa-Brief vorangegangenen Ereignisse: Pijamaradu hat- te im Entscheidungskampf gegen Hattu™ili die karische Stadt Ijalanda-Alinda als Basis benutzt (s. u.). 141 Zuerst J. Garstang, Hittite Military Roads in Asia Minor. A Study in Imperial Strategy, AJA 47, 1943, 35–63 bes. 41 f. mit Karte Taf. 17; Garstang – Gurney (s. o. Anm. 126) 75 ff.; vgl. G. F. del Monte – J. Tischler, Répertoire Géographique des Textes Cunéiform 6: Die Orts- und Gewässernamen der hethitischen Texte (1978) 56 f. s. v. Atrija; 134 f. s. v. Ijalanta; ebenda 472 s. v. Waliwanta; G. F. del Monte, Répertoire Géographique des Textes Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 55

Die Stadt, deren Territorium die nordwestlichste Machtzentren wie Ijalanda oder Waliwanda zerfiel, Ecke der Karki™a-Länder einnahm, liegt direkt öst- die von lokalen Kleinfürsten regiert worden sein lich des Latmos und unweit des Dreiländerecks dürften und politisch weitgehend unabhängig von- zwischen Milawanda-Milet, Mira und Karki™a bzw. einander agierten, wenn nicht gerade eine größere Ijalanda, das durch die Felsinschrift von Suratkaya Bedrohung von außen, etwa durch die Hethiter, er- markiert war (s.ªo.), und kontrollierte den hethi- folgte, der man dann mit temporären Bündnissen tischen Anmarschweg auf Milawanda. Dieser Weg, begegnete145. Nach dem Sieg rückte Hattu™ili in der außerdem auch mit dem Nordende des soge- Milawanda ein, aus dem Pijamaradu allerdings be- nannten Carian Highway identisch ist142, führte reits per Schiff nach Ahhijawa geflüchtet war, denn durch das Mäander- und das Marsyastal über Hattu™ili bittet im Tawagalawa-Brief den König Waliwanda-Alabanda, Ijalanda-Alinda und wahr- von Ahhijawa, ihm Pijamaradu auszuliefern146. Die scheinlich weiter über Labraunda, bog dann aber, Oberherrschaft Ahhijawas über Milawanda-Milet den ‘Carian Highway’ verlassend, nördlich von hat Hattu™ili in der Folge nicht beendet, obwohl er Mutamuta™a-Mylasa nach Westen um und zielte, Atpa, dem Fürsten von Milawanda-Milet, einen Eid wahrscheinlich über das antike , in nord- abnahm147. Die Lage im Westen blieb daher weiter- westlicher Richtung zwischen Latmos- und hin angespannt148. Bereits unter Hattu™ilis Nachfol- Griongebirge direkt auf Milawanda-Milet143 (Abb. ger Tudhalija IV. (ca. 1237–1228 v. Chr.) berichten 4). In einem Brief gratulierte der ägyptische Pharao die hethitischen Annalen wieder von Unruhen im Ramses II. Hattu™ili zum erfolgreichen Abschluß westlichen Kleinasien, wo sich eine Koalition gegen des Feldzuges gegen “das Land Ijalan[da]”144. Diese die hethitische Oberherrschaft gebildet hatte. Auch Hervorhebung Ijalandas ohne besondere Erwäh- das Land Karki™a und das benachbarte Lukka wa- nung Karki™as deutet darauf hin, daß Karki™a kein ren an diesem Aufstand beteiligt149. Tudhalija gelang zentral regiertes Land war, vielmehr in einzelne es jedoch, die Region zu befrieden. Im sogenannten

Cunéiform 6/2: Die Orts- und Gewässernamen der hethitischen Texte. Supplement (1992) 18 s. v. Atrija; 47 s. v. Ijalanta; ebenda 185 s. v. Waliwanta; J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 26 f.; Bryce 290 f.; Niemeier, Westkleinasien 80 f. mit Anm. 500 ff. 142 J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 26; Niemeier, Westkleinasien 81 mit Anm. 510 ff. 143 Zu Mutamuta™a vgl. del Monte – Tischler a. O. 276 s. v. Mutamata™a/i; del Monte, Supplement a. O. 108 s. v. Mutamata™a; zur Gleichsetzung mit Mylasa vgl. Carruba, Neues (s. o. Anm. 123) 33; J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 27 mit Anm. 167; Niemeier, Westkleinasien 81 mit Anm. 518. – Daß Hattu™ili das mit Ijalanda-Alinda ver- bündete Atrija-Idrias/Stratonikeia nicht eroberte bzw. zerstörte, dürfte auch daran gelegen haben, daß des Groß- königs Stoßrichtung gegen Milawanda-Milet gerichtet war, nicht gegen den Süden Kariens. Daß Atrija zum Ter- ritorium Milawanda-Milets gehörte, erscheint mir im ganzen Zusammenhang unwahrscheinlich: s. o. Anm. 116. 144 Vgl. zuletzt Haider in: Troia 181 f. mit Anm. 34 f. 145 s. u. mit Anm. 165. Mit dem Befund des Ramses-Briefes stimmt überein, daß in der hethitischen Orakelanfrage KUB XLIX 79 I 23' “der Feind vom Lande Ijalanda” gesondert neben dem Land Karkija erwähnt ist: del Monte, Supple- ment a. O. 47 s. v. Ijalanta; 67 s. v. Karkija. Dies impliziert die politische Autonomie Ijalanda-Alindas gegenüber dem übrigen Karkija-Karien. In diesem Sinne dürfte die Grenzinschrift von Suratkaya das Dreiländereck Mira-Arzawa, Milawanda, Ijalanda-Karki™a bezeichnet haben. – Historische karische Siedlungen, die in den hethitischen Quellen genannt werden und eventuell wie Ijalanda kleinstaatliche Gebilde innerhalb der Karki™a-Länder gebildet haben könnten, sind bisher noch nicht systematisch gesammelt. Bei Carruba, Neues (s. o. Anm. 123) 32 f., und J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 27, finden sich zusammengestellt: Ijalanda-Alinda, Waliwanda-Alabanda, Atrija-Idrias/ Stratonikeia(?), Utima-Idyma, *(Ahh)ijawassa-Iasos, Wallarima-, (Muta)mutassa-Mylasa. Zu Parijana- Priene s. u. Kap. VII mit Anm. 176. 209 f. 146 Bryce 291 f. 147 Heinhold-Krahmer, Arzawa (s. o. Anm. 117) 226. Demgegenüber vertritt H. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 28, die Meinung, die Formulierung des Tawagalawa-Briefes mache nicht deutlich, daß Hattu™ili Milet einnahm: “rather he seems to have accepted that it lay under the authority of the king of Ahhiyawa”. 148 Bryce 291–293. 149 Dazu G. L. Huxley, and Hittites (1960) 34–37; F. H. Stubbings, The Recession of Mycenaean Civilization, in: CAH II 23 338–358 bes. 349 f.; DNP VI (1999) 272 s. v. Kares, Karia (H. Kaletsch). – Zur Ge- schichte Westkleinasiens im späten 13./frühen 12. Jh. v. Chr. vgl. I. Singer, Western Anatolia in the Thirteenth Century B.C. according to the Hittite Sources, AnSt 33, 1983, 205–217 bes. 214–217; ders., New Evidence on the End of the Hittite Empire, in: E. Oren (Hrsg.), The Sea Peoples and their World: A Reassessment (2000) 21–29; 56 Alexander Herda

Milawata-Brief, als dessen Absender Tudhalija IV. Die Hethiter und ihr Vasallenstaat, das König- und als dessen Adressat König Tarka™nawa von Mira reich von Mira, beherrschten die Region der Mä- gilt, wird die Neuordnung der Grenzen von Mila- andermündung bis zum Ende der Bronzezeit. Der wanda/Milawata angesprochen150. Dies verdeutlicht, Tatenbericht im Totentempel des ägyptischen Pha- daß die Hethiter, bzw. ihr Vasallenstaat, das König- raos Ramses’ III. (ca. 1183–1151 v. Chr.) in Medinet reich von Mira, von einem bestimmten Zeitpunkt an, Habu überliefert, daß beide Reiche, Hatti und spätestens um 1230 v. Chr., wieder die Kontrolle Arzawa153, zu Beginn seiner Herrschaft dem An- über Milawanda/Milawata und die Mäanderebene sturm der ‘Seevölker’ nicht standhalten konnten154. besaßen151. Das mykenische Königreich von Ahhi- Die Annalen des letzten hethitischen Königs, jawa wird im Milawata-Brief nicht erwähnt, im etwa 1uppiluliumas II. (ca. 1207–? v. Chr.), berichten zeitgleichen hethitischen Staatsvertrag mit 1au™ga- über schwere Gefechte, in die die Hethiter in Zy- muwa von Amurru (ca. 1234–1223 v. Chr.) ist der pern und an der kleinasiatischen Südküste verwik- Eintrag des Königs von Ahhijawa sogar nachträg- kelt sind und bei denen die Lukka-Länder zumin- lich getilgt worden. Dies führt letztlich zu der An- dest teilweise auf Seiten der Seevölker gestanden zu nahme, das Königreich von Ahhijawa habe zu die- haben scheinen. Jedenfalls werden die Lukka-Leute sem Zeitpunkt bereits nicht mehr existiert, bzw. von Ramses III. und seinem Vorgänger Merenptah vorsichtiger, es habe in Kleinasien nicht mehr inter- (ca. 1213–1204 v. Chr.) zu den Seevölkern ge- venieren können152. zählt155.

C. Mee, Anatolia and the Aegean in the Late Bronze Age, in: H. Cline – D. Harris-Cline (Hrsg.), The Aegean and the Orient in the Second Millennium, Proceedings of the 50th Anniversary Symposium Cincinnati, 18–20 April 1997, Aegaeum 18 (1998) 137–148; Hawkins (s. o. Anm. 121); M. Benzi, Anatolia and the Eastern Aegean at the Time of the Trojan War, in: F. Montanari (Hrsg.), Omero tremila anni dopo (2002) 343–405; T. Bryce, Relations between Hatti and Ahhiyawa in the Last Decades of the Bronze Age, in: G. Beckman – R. Beal – G. McMahon (Hrsg.), Hittite Studies in Honor of Harry A. Hoffner Jr. on the Occasion of His 65th Birthday (2003) 59–72. 150 Der im Brief gebrauchte Ortsname ‘Milawata’ ist als lautliche oder fehlerhafte Variante des sonst in den hethitischen Texten bezeugten Ortsnamens Mil(l)awanda aufzufassen: F. Starke, Troia im Machtgefüge des 2. Jahrtausends vor Christus: Die Geschichte des Landes Wilusa, in: Traum 34–45 bes. 45 Anm. 17. 151 Zum Milawata-Brief (KUB XIX 55; XLVIII 90 rev. 38'–42') Heinhold-Krahmer in: Troia 151. 155. 203 f.; Bryce 306– 308; ders. in: Luwians 80–83; ders., Neighbours 111 f. 183; Starke – Latacz (s. o. Anm. 118) 66; Niemeier, West- kleinasien 82 mit Anm. 526 ff.; ders. in: Korfmann, Troia 52 f.; vgl. auch u. Kap. VII mit Anm. 207 f. – Gegen eine aus dem Wortlaut des Milawata-Briefes abzuleitende hethitische Kontrolle über Milet spricht sich dagegen aus R. Hope-Simpson, BSA 98, 2003, 220. Allerdings muß er dann erklären, auf welcher Grundlage die Hethiter zusam- men mit ihrem Vasallenstaat Mira die Grenzen Milawatas neu ordnen konnten; vgl. dazu Bryce 307 mit Anm. 62. 152 Vgl. etwa Bryce 309 f.; ders., Neighbours 183; Starke, Machtgefüge a. O. 37 Abb. 42; 43 mit Anm. 20; vgl. auch W.-D. Niemeier in: Korfmann, Troia 53. 153 Mit dem anachronistischen Ausdruck ‘Arzawa-Land’ bezeichneten die Ägypter die Nachfolgestaaten des von Mur™ili II. ca. 1316 v. Chr. zerschlagenen Staates von Arzawa, das Seha-Flußland und Mira (Arzawa Minor), vgl. P. W. Haider in: Troia 180–185 bes. 185 in Bezug auf die Verwendung des Ausdrucks bereits durch Ramses II. (ca. 1290–1224 v. Chr.). – In den hethitischen Texten bleibt ‘Arzawa’ als “Etikette für das Gesamtgebiet der ge- nannten Teilstaaten [Mira-Kuwalija, Hapalla, 1eha-Flußland mit Appawija, A. H.] in Verwendung”: P. W. Haider, Vom Nil zum Mäander. Die Beziehungen zwischen dem Pharaonenhof und dem Königreich Arzawa in West- kleinasien, in: P. Scherrer – H. Taeuber – H. Thür (Hrsg.), Steine und Wege. Festschrift für Dieter Knibbe zum 65. Geburtstag (1999) 205–219 bes. 212 unter Bezug auf Heinhold-Krahmer, Arzawa (s. o. Anm. 117) 147 ff. Vgl. auch Bryce 197 mit Anm. 32. 154 Der Text berichtet, daß kurz vor dem oder spätestens im fünften Regierungsjahr Ramses’ III. (1178/77 v. Chr.) Arzawa und das Hatti-Reich durch “die Fremdvölker ... im Kampf ... zerhackt” wurden: Haider, Nil a. O. 216 mit Anm. 77; vgl. auch Bryce 333–340. 155 Bryce 335 f. Zu den Lukka als ‘Seevölkern’ in den ägyptischen Quellen seit dem 15. Jh. v. Chr. vgl. G. Steiner, Die historische Rolle der ‘Lukk!’, in: Borchardt – Dobesch (s. o. Anm. 132) 123–137 bes. 134–135. – Zum Untergang des Hethitischen Reiches: Hawkins, Anatolia (s. o. Anm. 121); Bryce 327–356; vgl. auch ders. in: Luwians 78–93; U.- D. Schoop, Assyrer, Hethiter und Ka™käer – Zentralanatolien im zweiten Jahrtausend vor Christus, in: Korfmann, Troia 29–46 bes. 44 f.; J. Latacz – F. Starke in: Korfmann, Troia 57–70 bes. 69; J. Yakar, Dating the Sequence of the Final Destruction/Abandonment of LBA Settlements: Towards a Better Understanding of Events that led to the Collapse of the Hittite Kingdom, in: Mielke – Schoop – Seeher (s. o. Anm. 114) 33–51. – Zu den Seevölkern vgl. hier Anm. 149. 158. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 57

Spätestens nach der Zerstörung der Zentral- nicht von den Seevölker-Angriffen betroffen waren, staaten Mira und Hatti ca. 1180 v. Chr., die in West- etwa, weil ein Teil der Karki™a-Leute wie ebenso kleinasien bezeichnenderweise mit dem Abbrechen der Lukka-Leute selbst zu den Seevölkern zählte. der hieroglyphen-luwischen Schriftzeugnisse zu- Zu denken wäre vor allem an die in der Küsten- sammenfällt, hätten die *Karka von Karki™a los- region wohnenden Karer zwischen Iasos und Kbid- schlagen können, um Milawanda und sein Territo- /Kaunos157. Karien war schließlich noch in histori- rium sowie die Mykale und die Mäanderebene zu scher Zeit für seine Seeräuber und Söldner be- okkupieren156. Dies setzt allerdings voraus, daß sie rühmt158.

156 Die durch die ägyptischen Quellen überlieferte Zerstörung Arzawas (= Miras) spricht m. E. gegen die von F. Starke erwogene Möglichkeit, in Mira habe sich nach dem Zusammenbruch des Königtums ein luwischer Nachfolgestaat gebildet: Ders. in: DNP VIII (2000) 254 s. v. Mira; VI (1999) 518–533 bes. 531 s. v. Kleinasien. – Als eines der letz- ten Zeugnisse für die Existenz Miras hat ein hieroglyphen-luwisches Steatit-Siegel (bzw. eine Semi-Bulle) zu gelten, das in einem SH III B/C-Grab in der Nekropole von Perati in Attika gefunden wurde. Nach der neuen Lesung von F. Woudhuizen nennt es Mira. Da das Grab in die Zeit gehört, als Arzawa-Mira den ägyptischen Quellen zufolge den Seevölkern zum Opfer fiel, kann das Siegel entgegen Woudhuizen nicht als Zeugnis dafür herhalten, daß “the kingdom of Mira somehow survived the onslought of the Sea Peoples” (so ders., Mira: Evidence for Continuity in Western Anatolia During the Transition from the Late Bronze to Early Iron Age, Talanta 36/37, 2004/05, 165–169 bes. 168). Vielmehr dürfte das Siegel zu dem Zeitpunkt, als es in Perati als Schmuckanhänger einer Frauenbestattung in das Grab gelangte, schon einige Zeit in Umlauf gewesen sein. Gleiches gilt für ein nicht stratifiziertes Stempel- siegel mit hieroglyphen-luwischer Inschrift aus in Ionien, das aufgrund von Vergleichen, vor allem mit dem Stück aus Perati (!), in die Stufe SH III C datiert wird und ebenfalls als Hinweis auf “das Fortbestehen kleiner Fürstentümer (1eha, Mira, etc.)” gewertet wurde: A. Schachner – R. Meriç, Ein Stempelsiegel des späten 2. Jahrtau- sends aus Metropolis in Ionien, SMEA 42.1, 2000, 85–102 bes. 91. Auch hier ist das genaue Alter unbekannt. Daß das Siegel erst nach dem Untergang Miras entstand, ist reine Spekulation. Das gilt im Übrigen auch für das bekann- te bikonvexe hieroglyphen-luwische Drehsiegel aus Troja, das 1995 in einem Troia VII b2 Früh-zeitlichen Kontext (2. Hälfte 12. Jh. v. Chr.) gefunden wurde und als Beleg für die Weiterexistenz der luwischen Schriftkultur und Bü- rokratie gewertet wurde: G. Neumann in: Traum 47 Abb. 45; Latacz 71–97 Abb. 11; Bryce, Neighbours 68 f. Abb. 3. 2; 117 f. Das Siegel ist stattdessen mit Siegeln der hethitischen Großreichszeit des 13. Jhs. zu vergleichen, wäre also älter als sein Fundkontext und der Untergang von Troia VII a, Mira und des Hethiterreiches ca. 1180 v. Chr.: J. D. Hawkins – D. F. Easton, A Hieroglyphic Seal from Troia, StTroica 6, 1996, 111–118 bes. 111; R. Beekes in: Korfmann, Troia 164 ff. Abb. 14. Spät anzusetzen wäre die möglicherweise hieroglyphen-luwische Inschrift auf ei- nem lokal produzierten Krater der Stilstufe SH II B2/C1 (ca. 1210–1190 v. Chr.) aus Milawanda-Milet: s. u. Kap. VIII mit Anm. 232 ff. Zu einer nordsyrischen Pferdestirnplatte des 9. Jhs. v. Chr. mit hieroglyphen-luwischer In- schrift aus Milet vgl. u. Kap. VIII mit Anm. 308. 157 Demgegenüber sieht P. Mountjoy, AnSt 48, 1998, 50, die Küstensiedlungen in Karki™a/Karkiya-Karien als nicht zwingend karisch an: “The Land Karkiya may already have existed in inland historic Caria ..., but the coastal communities were not necessarily part of it, since they are geographically isolated from the interior, as indeed are all the sites on the west Anatolian coast.” Das geographische Argument erscheint mir allerdings nicht überzeugend. Selbst die weit ins Meer vorspringenden Halbinseln von Halikarnassos/Bodrum, Knidos/Datça und Loryma/ Bozburun sind über (allerdings kaum erforschte) Wegesysteme erschlossen und mit dem Hinterland verbunden. 158 F. Schachermeyr, Rückerinnerung (s. o. Anm. 43) 317 f.; ders., Levante (s. o. Anm. 127) 50 f. zu Diod. 5, 87, wo von einer Thalassokratie der Karer in der östlichen Ägäis nach dem trojanischen Krieg die Rede ist (s. u. mit Anm. 160 ff.). Schachermeyr identifizierte mit den Karern keine “normalen Karer”, sondern “Seevölkerscharen”. – Zu den ‘Seevölkern’ rechnete auch G. Kleiner die Karer (s. u. Anm. 248); vgl. N. K. Sanders, The Sea Peoples. Warriors of the Ancient Mediterranean2 (1985) 37. 107. 143 f. 200. Demgegenüber schließt W.-D. Niemeier, The Mycenaeans in Western Anatolia and the Problem of the Origin of the Sea Peoples, in: S. Gitin – A. Mazar – E. Stern (Hrsg.), Mediterranean Peoples in Transition. Thirteenth to Early Tenth Centuries BCE, Festschrift Trude Dothan (1998) 17–65 bes. 45–49, aus, daß die Seevölker aus Westkleinasien kamen. Vielmehr wiesen die in ihrem Charakter ägäisch-mykenischen Funde aus den Siedlungen der den Seevölkern zugerechneten Philister in Palä- stina auf eine Herkunft aus der “mykenisierten Ägäis”. Ebenda 46 muß er allerdings zugeben, daß zumindest die in den ägyptischen Quellen genannten ‘Luka’ als Teil der ‘Fremden von der See’ mit den ‘Lukka’ der hethitischen Quellen und damit wohl mit den Lykiern gleichzusetzen sind, also einem südwestkleinasiatischen Volk, das den Karern benachbart war (vgl. zu den Lykiern als Teil der Seevölkern in den Siegerinschriften des Pharaos Merenptah ca. 1209 v. Chr. Lehmann [s. o. Anm. 18] 50 f. 53; Bryce 335; s. o. Anm. 155). Zudem überzeugt sein Argument (ebenda 48) wenig, die Küstenregion des südlichen Ionien und Karien sei “too small to be the homeland of the Philistines and other Sea Peoples”. – Für das karische Iasos (andere Namensformen: Ouassos, Iassos) wird erwogen, ob von hier die in den ägyptischen Quellen den Seevölkern zugerechneten We™e™ stammen: Barnett (s. o. Anm. 120) 377; Kaletsch (s. o. Anm. 149) 272. Zgusta, Ortsnamen 191 § 358 nimmt allerdings an, das Toponym 58 Alexander Herda

Ein oder mehrere karische Kleinreiche könnten nach der Zerstörung Trojas durch die Griechen, die sich in der Folge, nach dem endgültigen Zusam- nach den Grabungen von Manfred Korfmann jetzt in menbruch des Mykenischen und des Hethitischen SH III C Früh um 1180 v. Chr. (= Troja VII a) ange- Reiches Ende des 13./Anfang des 12. Jhs. v. Chr., setzt wird161, eine Seeherrschaft (qalassokrat…a) bis zur Ankunft der protogeometrischen Siedler aus aufgebaut und die östliche Ägäis, das ‘(I-)Karische Griechenland im 11. Jh. v. Chr. im Gebiet des bron- Meer’ ([?] s. o.), erobert162. Erst später hätten die zezeitlichen Karki™a bzw. an der Mäanderbucht be- Griechen die Karer wieder von den Inseln vertrieben. hauptet haben159. Letzteres kann nur auf die archäologisch gesehen ca. Die griechische Überlieferung bietet neben Ho- 120 Jahre später einsetzende sogenannte Ionische mer für ein karisches Kleinreich m. E. sogar ein wei- Migration (seit dem 11./10. Jh. v. Chr.) bezogen wer- teres Zeugnis: Diodor berichtet160, die Karer hätten den, für die explizit die Vertreibung der Karer von

”Iasoj sei “aus Griechenland übertragen”, wobei er als Vergleich auf das Vorkommen gleichlautender Personen-, Heroen- und Ortsnamen vor allem in Arkadien abhebt. Danach müßte offen bleiben, wie der indigene, kleinasia- tische Name der Siedlung gelautet hat. Vielleicht *(Ahh)ijawassa, wie Carruba, Neues (s. o. Anm. 123) annimmt? – Für eine Herkunft zumindest von Teilen der Seevölker aus dem südwestkleinasiatischen Raum plädiert jetzt auch P. Mountjoy, ausgehend vom Fund eines mykenisierenden Kraters der Stilstufe SH III C Früh aus der befe- stigten spätbronzezeitlichen Siedlung von Bademgedi%i Tepe (das arzawische Puranda?; vgl. u. Anm. 202). Der lokal produzierte Krater zeigt die Darstellung zweier Kriegsschiffe der Seevölker: Dies., Mycenaean Connections with the Near East in LH III C: Ships and Sea Peoples, in: Laffineur – Greco (s. o. Anm. 113) 423–427 bes. 426 Taf. 95–98. – Zur Frage, ob die Seevölker auch für die Zerstörung von Troja VII a verantwortlich sein können (vgl. etwa P. Mountjoy, AnSt 48, 1998, 53. 63) betont kritisch D. Hertel, Die Gleichsetzung einer archäologischen Schicht von Troia mit dem homerischen Ilios, in: Troia 85–104 bes. 103; vgl. J. Cobet, Vom Text zur Ruine: Die Geschichte der Troia-Diskussion, in: Ebenda 19–38 bes. 36. 159 Analog dazu wäre in Westkleinasien auch an ein früheisenzeitliches lydisches Kleinreich zu denken, das aus dem ‘Ma™a’ genannten Kleinreich der hethitischen Quellen hervorgegangen sein könnte (vgl. o. Anm. 133): So führte sich gemäß Herodot (2, 7) das ältere, zu Beginn des 7. Jhs. v. Chr. von den ‘Mermnaden’ gestürzte Königshaus der Lyder, die ‘Herakliden’, über 22 Generationen und 505 Jahre auf den Heraklessohn Alkaios zurück und damit bis unge- fähr in die Zeit des trojanischen Krieges: Vgl. Bryce, Neighbours 142 f. – Zum Überleben hethitischer Vasallen- staaten (z. B. Karkemi™) und luwischer Kleinreiche vor allem im südlichen und südöstlichen Kleinasien vgl. F. Star- ke in: DNP VI (1999) 518–533 s. v. Kleinasien C. Hethitische Nachfolgestaaten; J. D. Hawkins, Die Erben des Großreichs I: Die Geschichte der späthethitischen Kleinkönigreiche Anatoliens und Nordsyriens im Überblick (ca. 1180–700 v. Chr.), in: Die Hethiter und ihr Reich. Das Land der 1000 Götter, Ausstellungskatalog Bonn–Berlin (2002) 56–59; ders., Die Erben des Großreichs II: Die archäologischen Denkmäler in den späthethitischen Klein- königreichen Anatoliens und Nordsyriens im Überblick (ca. 1180–700 v. Chr.), in: Ebenda 264–273; vgl. M. Hutter, Aspects of Luwian Religion, in: Luwians 264; vgl. Bryce 351–355; ders. in: Luwians 93–127. 160 ‘Karische Thalassokratie’: Diod. 5, 84; vgl. dazu Schachermeyr a. O. 161 Vgl. M. Korfmann, Der wahre Kern des Mythos, AW 36, 2005, 59–65 bes. 63 (unter Berufung auf P. Mountjoy, Troy VII Reconsidered, StTroica 9, 1999, 295–346); ders., Troia – Archäologie eines Siedlungshügels und seiner Landschaft, in: Ders., Troia 1–12 bes. 5. 7; P. Mountjoy, Mykenische Keramik in Troia – Ein Überblick, in: Eben- da 241–252 bes. 246 f. 162 Nach Eus. (Hier.) chron. 1, 225 schol. (= Diod. 7, 11) fällt die ‘karische Thalassokratie’ erst in das Jahr 721 v. Chr. Vgl. dazu DNP VI (1999) 272 s. v. Kares, Karia (H. Kaletsch). Hier könnte m. E. eine zweite Periode karischer Seemacht (in der südöstlichen Ägäis?, vgl. die hervorgehobene Rolle der Karer als Söldner in Ägypten seit der Mitte des 7. Jhs. v. Chr.) gemeint sein, die dann in geometrische bis spätgeometrische Zeit fallen würde. So sind karische Söldner, Karim, auch Teil der Palastgarde des jüdischen Königs Jehoiada (ca. 837–800 v. Chr.) gewesen: 2 Könige 11, 4. 19; dazu J. D. Ray, “ Soldiers to Pharao”: The Carians of Southwest Anatolia, in: J. M. Sassson (Hrsg.), Civilizations of the Ancient Near East II (1995) 1185–1194 bes. 1189; danach N. Luraghi, Traders, Pirates, Warriors: The Proto-History of Greek Mercenary Soldiers in the Eastern Mediterranean, 60, 2006, 21– 47 bes. 25 Anm. 16. – G. Kleiner (in: Panionion 8 ff.) und P. Hommel (ebenda 91 ff.) z. B. haben das Ende der karischen Thalassokratie in spätgeometrisch-früharchaischer Zeit mit der Zerstörung des ihrer Meinung nach karischen Melia (vgl. dagegen hier Kap. IV mit Anm. 83 ff.; VI mit Anm. 182 f.; VII mit Anm. 196 ff.) durch die ionischen Griechen verbunden und als historisch angesehen. – Demgegenüber vermuten R. Ball, CQ 27, 1977, 317 ff., und ihm folgend A. Möller (Naukratis – griechisches Emporion und ägyptischer ‘port of trade’, in: U. Höckmann – D. Kreikenbom [Hrsg.], Naukratis. Die Beziehungen zu Ostgriechenland, Ägypten und Zypern in archaischer Zeit, Akten der Table Ronde in Mainz, 25.–27. November 1999 [2001] 1–25 bes. 15 Anm. 86), die späte Datierung der karischen Thalassokratie in der Thalassokratieliste bei Diodor beruhe auf einem Abschreibefehler, gemeint sei in Wirklichkeit die Thalassokratie zur Zeit des Minos. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 59 den ägäischen Inseln und den Inseln vor dem klein- sich später als ‘Aioler’, ‘Ioner’ und ‘Dorier’ bezeich- asiatischen Festland bezeugt ist163. nen. Hier geht man auf der Grundlage ethnologi- Fraglich ist, wie hoch der gesellschaftliche Or- scher und sozialanthropologischer Vergleiche von ganisationsgrad der Karer war. Die hethitischen der Existenz durch einen ‘Gemeinsamkeitsglauben’ Quellen erweisen zumindest für die Spätbronzezeit zusammengehaltener “akephaler, polysegmentärer weder in Karki™a noch in den Lukka-Ländern eine Gesellschaften” aus, “deren politische Organisation auf ein Königtum zugespitzte Hierarchie wie sie durch politisch gleichrangige und gleichartig unter- etwa Arzawa und sein Nachfolgestaat Mira besa- teilte, mehr- oder vielstufige Gruppen vermittelt ist” ßen164. Zu denken ist daher eher an ein loses Bündnis und die eine Art ‘regulierte Anarchie’ bildete167. An einzelner Stämme unter Führung lokaler Fürsten, der Spitze des Leistungsadels in diesen frühgrie- wie es noch im 1. Jt. v. Chr. bei den Karern wie bei chischen Gesellschaften standen die im homerischen den Lykiern existierte165. F. Starke spricht in diesem Epos so prominenten ‘Basileis’, die die in mykeni- Zusammenhang von einem “autonomen Territorial- scher Zeit herrschenden wanaktes nach dem Zusam- verband mit oligarchischem bzw. egalitärem Ge- menbruch der Palastsysteme in SH III B2/C1 Früh sellschaftsgefüge”166. Damit wären die Karer und (Ende 13. Jh. v. Chr.) ablösten168. Lykier aber in ähnlicher Weise organisiert gewesen, Ein relativ niedriger Organisationsgrad der Karer wie sich die althistorische Forschung dies auch für und der im Norden benachbarten luwischen Volks- die Griechen in der frühen Eisenzeit vorstellt, z. B. gruppen, etwa der Lyder169, würde erklären, weshalb für die nach Kleinasien einwandernden Gruppen, die es den ‘ionischen’ Griechen überhaupt möglich war,

163 Etwa Hdt. 1, 71. Nach Herodot (1, 171) und Thukydides (1, 8) beherrschten die Karer die ägäischen Inseln und das ägäische Meer als Seeräuber bzw. Seefahrer schon in der Zeit vor Minos. 164 Vgl. zu den Lykiern H. C. Melchert in: Luwians 176 f. 165 Eher karische Kleinfürsten als Könige erwartet Bryce, Neighbours 144: “In Hittite texts, Masa [zu Masa bzw. Ma™a als späteres Lydien vgl. o. Anm. 133] and Karkisa appear to have been governed by councils of chiefs rather than by kings, an indication that they never had the status of politically coherent kingdoms like those of the Arzawa lands. Much the same seems to have applied to the Carian tribal groups of the first millennium, each of whom was subject to its own ruling dynasty.” Eine vergleichbare Herrschaftsstruktur nimmt Bryce, Neighbours 149, im übrigen auch für die Lykier seit der späten Bronzezeit an. O. Carruba, Neues (s. o. Anm. 123) 26 mit Anm. 10, leitet aus dem Befund der hethitischen Quellen, die keine Könige oder Fürsten der Lukka-Leute (= Lykier) nennen, sogar ab, diese seien “nomadisierende bzw. umsiedelnde Völkerschaften” gewesen. Z. Simon, Rez. zu Luwians, ActaAntHung 46, 2006, 313–322 bes. 319–322, stuft die Lykier als teilweise nomadisch (im Bergland) und teilweise seßhaft (in der Küstenregion) lebend ein (sog. integrated nomadism). 166 F. Starke, StTroica 7, 1997, 456, in Bezug auf die Ka™käer, die in den hethitischen Texten als latti-, ‘Stamm’, be- zeichnet werden. Im Gegensatz dazu steht die hierarchische Struktur des Königreichs der Hethiter bzw. der ab- hängigen Königreiche Arzawa/Mira und Wilu™a-Troja. Troja ist noch im homerischen Epos als Königreich des Priamos dargestellt: Starke ebenda 460–466; ders. in: DNP VI (1999) 531 s. v. Kleinasien. 167 Dazu mit Literatur Funke, Stamm (s. o. Anm. 10) bes. 43–47, der in dieser ethnosartigen Struktur den Vorläufer der griechischen ‘Stammstaaten’ sieht. Vgl. auch Morgan (s. o. Anm. 10). 168 Zum Amt des ‘Basileus’ (mykenisch qa-si-re-u, pl. qa-si-re-we) bzw. den Basileis/Basilees: C. Ulf, Die homerische Gesellschaft. Materialien zur analytischen Beschreibung und historischen Lokalisierung, Vestigia 43 (1990) 85– 125. 213–231; DNP II (1997) 462–468 s. v. Basileus (P. Carlier); G. Weiler, Domos Theiou Basileos. Herrschafts- formen und Herrschaftsarchitektur in den Siedlungen der Dark Ages (2001) 3 f. 46–67; O. Dickinson, The Aegean from Bronze Age to Iron Age. Continuity and Change between the Twelfth and Eighth Centuries BC (2006) 249 f.; vgl. zahlreiche Artikel zum Thema in: S. Deger-Jalkotzy – I. S. Lemos (Hrsg.), Ancient Greece: From the Mycenaean Palaces to the Age of Homer (2006); vgl. hier Anm. 83. 222. – Basileis als Anführer der Siedler- verbände nach Kleinasien überliefern die Gründungsmythen (z. B. Hdt. 1, 147; Paus. 7, 2), vor allem jene der ein- zelnen Städte (z. B. Neileus von Milet: Paus. 7, 2, 6; Androklos von Ephesos: Paus. 7, 2, 8; Strab. 14, 1, 3; Hektor von Chios: Ion von Chios FGrHist 392 F 1; Oinopion von Chios: Paus. 7, 4, 8; 7, 5, 13). Noch nach der Neu- gründung des Ionischen Bundes am Panionion Mitte des 4. Jhs. v. Chr. führten die Abgesandten der Mitglieds- städte den Ehrentitel ‘szeptertragende Basileis’ (skhptoÚcoi basile‹j): P. Hommel in: Panionion 45–63 bes. 59– 63 mit Kommentar zu Z. 17 der 1957 gefundenen Inschrift aus dem Panionion; vgl. etwa auch Strab. 14, 1, 3: s. o. Anm. 83. Zum Amt des Basileus in Milet vgl. Herda, Apollon Delphinios 229–237. 169 Vgl. zu Masa/Ma™a (= Lydien/Lyder; vgl. o. Anm. 133) Bryce, Neighbours 144. Zu den überlieferten lydischen Königshäusern der Herakliden und Mermnaden vgl. o. Anm. 159. 60 Alexander Herda sich erfolgreich an den Küsten der Region niederzu- vielleicht eine Art Rückzugsgebiet für die von den lassen, wenn auch gegen starken militärischen Wi- Ionern vertriebenen Karer bildete172. Eine vergleich- derstand170. Die logistische und organisatorische Lei- bare Rolle wird etwa auch für das kleinere, zwi- stung dieses Unternehmens läßt allerdings daran schen dem Latmos-Gebirge und der Küste gelegene zweifeln, daß es sich lediglich um verstreute kleinere Grion-Gebirge vermutet, in dem noch in spät- Grüppchen von Siedlern gehandelt hat171. archaischer Zeit auf Geheiß der Perser die karische Stadt Pedasa/ gegründet wurde173. Ob es al- lerdings im 1. Jt. v. Chr. in der Mykale eine karische VI. Toponyme und Migration: Restbevölkerung gegeben hat, ist fraglich. Nicht Das Beispiel der Mykale von ungefähr befindet sich das ionische Zentral- heiligtum, das Panionion, gerade am Fuße der In historischer Zeit ist die Mykale fest in ioni- Mykale. Die Karer wurden ergo während der Ioni- scher Hand (Abb. 3), ganz im Gegensatz zum be- schen Migration in protogeometrischer Zeit weitge- nachbarten Latmos-Gebirge, dem ‘Phthirer-Gebir- hend oder sogar vollständig aus der Mykale vertrie- ge’ Homers, das seiner Orientierung zum Hinter- ben, und wieder sind die Gründungsmythen dafür land und seiner schweren Zugänglichkeit wegen Zeugen.

170 Kerschner 373 bezweifelt die Existenz luwischer Kleinstaaten und Bünde, etwa auch Miras, im 11./10. Jh. v. Chr.: “Denn wäre Apasa noch Sitz einer organisierten Staatsmacht gewesen, hätten die kleinen ionischen Auswanderer- gruppen keine Chance gehabt, sich festzusetzen.” Vgl. auch o. Anm. 154 zum möglichen Weiterbestehen Miras in der Stufe SH III C. 171 Vgl. A. M. Snodgrass, The Dark Age of Greece (1971) 373: “This makes the Ionian migration a remarkable testimony to the validity of the Greek communities in the eleventh century: to carry groups of settlers a hundred miles or more across dangerous seas to a potentially or actually hostile shore requires some organization and recources, as well as courage.” Vgl. zu den ‘dark-age’-Gesellschaften auch die Bemerkungen von K. Reber in sei- ner Rez. zu I. S. Lemos, The Protogeometric Aegean. The Archaeology of the Late Eleventh and Tenth Centuries BC (2002), in: Gnomon 78, 2006, 180–182 bes. 182, außerdem K. Raaflaub, Die Bedeutung der Dark Ages: My- kene, Troia und die Griechen, in: Troia 309–329 bes. 319 f. 172 W. Blümel, Kadmos 37, 1998, 164 f. Zum Latmos als möglichem Rückzugsgebiet der Karer während der ionischen Migration in der frühen Eisenzeit s. A. Peschlow-Bindokat, Eine karische Gebirgslandschaft. Herakleia am Latmos. Stadt und Umgebung, Homer Archaeological Guides 3 (2005) 93; dies., Feldforschungen im Latmos. Die karische Stadt Latmos, Milet III 6 (2005) 37. 41; dies., Zur Gründung der karischen Stadt Latmos, in: Frühes Ionien 419–428. Ich danke Anneliese Peschlow-Bindokat herzlich für Diskussionen zum Thema. – Es ist signifikant, daß die Tribut- listen des Attisch-Delischen Seebundes Latmos im karischen Abschnitt verzeichnen, die benachbarten Städte Myous und Milet dagegen im ionischen. Diese Unterscheidung beruhte fraglos auf ethnischen Kriterien: Rubinstein 1054. 173 Zum bis 400 m hohen Grion vgl. Lohmann, Topographie 195 s. v. Grion; Herda, Panionion–Melia Anm. 170. – Zum “Bergland südlich von Milet” (= Grion-Gebirge) als weiterem Rückzugsgebiet der Karer im Raum um Milet s. G. Kleiner, Alt-Milet (1966) 21. Die als t¦ milhs…h Øper£kria (“das milesische Bergland”) bezeichnete Gegend wurde von den Persern 494 v. Chr., nach der Eroberung Milets, den “pedaseischen Karern” (Karsˆ Phdaseàsi) übergeben (Hdt. 6, 20). Seit B. D. Meritt – H. T. Wade-Gery – M. F. McGregor (Hrsg.), Athenian Tribute Lists I (1939) 537, und G. E. Bean – J. M. Cook, The Halicarnassus Peninsula, BSA 50, 1955, 85–171 bes. 149–151, wird davon ausgegangen, daß Herodot mit den “pedaseischen Karern” die Bewohner des ehemals ‘lelegischen’ (vgl. Strab. 13, 1, 59; 7, 7, 2) Ortes Pedasa (heute Gökçeler) im Bergland 3 km nördlich von Halikarnassos meinte, den der persische Feldherr Harpagos etwa 545 v. Chr. erst nach heftigem Widerstand einnehmen konnte (Hdt. 1, 175 f.). Zu diesem Pedasa vgl. RE XIX 1 (1937) 26–29 (W. Ruge); DNP IX (2000) 466 s. v. Pedasa (E. Olshausen); zum Athena-Kult in Pedasa vgl. u. Anm. 295. Die Karer/Leleger aus diesem Pedasa hätten dann 494 v. Chr. eine gleich- namige Siedlung Pedasa/Pidasa im Grion gegründet. Sie wird mit der befestigten Siedlung (Cerit Osman Kalesi) auf dem Ilb@ra Da%@ oberhalb des modernen Ortes Daniºment gleichgesetzt, deren archäologische Funde nach den Ergebnissen der Surveys von Cook – Bean und Radt tatsächlich nur ins 5. Jh. v. Chr. zurückreichen sollen: J. M. Cook, BSA 56, 1961, 90–101 bes. 90–96; W. Radt, Pidasa bei Milet, IstMitt 23/24, 1973/74, 169–174; R. Stillwell (Hrsg.), The Princeton Encyclopedia of Classical Sites (1976) 682 s. v. Pedasa (G. E. Bean); L. Robert, BCH 102, 1978, 500; Gorman 45 f. – Die Herkunft der Pidaseer im Grion aus dem gleichnamigen karisch-lelegischen Ort bei Halikarnassos (vgl. dazu bereits A. Rehm in: Kawerau – Rehm 350–357 bes. 352–354 zum Sympolitie-Vertrag zwischen Pedasa im Grion und Milet aus dem Jahre 188/87–178/77 v. Chr.) wird des öfteren nicht beachtet: H. Lohmann in: DNP IX (2000) 1008 s. v. Pidasa; ders., Topographie 240 f. s. v. Pidasa; ders., Wo lag das antike Teichioussa? Ein Beitrag zur historischen Topographie des südlichen Ionien, OrbTerr 7, 2001 (2003), 143–174 bes. 146. 162; ders., Milet und die Milesia. Eine antike Großstadt und ihr Umland im Wandel der Zeiten, in: F. Kolb Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 61

An der ‘ionischen’ Besiedlung der Mykale wa- tischen Text genannten Namen eines Ortes Parijana ren im besonderen Boioter beteiligt, wie die litera- identisch sein, den Tudhalija II. zu Anfang des 14. rischen Quellen bezeugen174, es sich aber auch im Jhs. v. Chr. erobert hatte176. An der Südwestseite der Ortsnamensbestand widerspiegelt: Das nach den Mykale lag die Polis Thebai, benannt nach der be- griechischen literarischen Quellen ursprünglich rühmten boiotischen Metropole. Auf der Mykale, karische Pri»nh (‘Priene’) wurde in ‘Kadme’ umbe- vermutlich am heutigen Çatallar Tepe, befand sich nannt, nach Kadmos von Theben175. Der Ortsname ein Ort namens Mykalessos-Mykale177, der in der mag auf Luwisch bzw. Karisch *Priana/Pryana ge- bedeutenden boiotischen Stadt Mykalessos süd- lautet haben und dürfte mit dem in einem hethi- westlich von Chalkis ein Namensvorbild findet178.

(Hrsg.), Chora und Polis, Schriften des Historischen Kollegs München, Kolloquien 54 (2004) 325–360 bes. 345 f.; vgl. auch P. Flensted-Jensen, Karia, in: M. H. Hansen – T. H. Nielsen (Hrsg.), An Inventory of Archaic and Classical Greek Poleis (2004) 1108–1137 bes. 1131 Nr. 923 (Pedasa); 1131 f. Nr. 925 (Pidasa). In der Folge behandelt H. Lohmann die Siedlung als alte, indigene karische Siedlung, obgleich hier nach Aussage Herodots aller Wahrschein- lichkeit nach eine Art spätarchaischer Kolonie des Pedasa bei Halikarnassos vorliegt, mithin (auf Veranlassung der Perser) eine karisch-lelegische Migration in milesisches Territorium stattgefunden hat. Ziel dieser Migrations- oder besser Deportationspolitik der Perser (vgl. E. Olshausen in: DNP IX [2000] 466 s. v. Pedasa) wird es gewesen sein, zum einen die Karer von Pedasa bei Halikarnassos zu schwächen. Mit diesen hatte es nicht nur unter Harpagos Pro- bleme gegeben (s. o.), sondern dann auch noch im Verlaufe des Ionischen Aufstandes (Hdt. 5, 121: Niederlage der Perser nach zwei Siegen in einer dritten Schlacht gegen die Karer ca. 498 v. Chr. “auf der Straße nach Pedasa”; vgl. dazu Bean – Cook a. O. 149 ff. mit Anm. 268; Radt a. O. 169 f.). Das andere Ziel der persischen Umsiedlungs- maßnahme dürfte Milet gewesen sein, das Herz des Aufstandes gegen die Perser. Zweifellos sollte die Verkleinerung des Polisterritoriums im Grion und die Etablierung einer karischen Siedlung dort die ionisch-griechische Stadt schwächen. – Zu den beiden Pedasa/Pidasa vgl. auch den Beitrag von F. Rumscheid in diesem Band. 174 Vgl. z. B. Hdt. 1, 146. 176; dazu P. Hommel in: Panionion 80 mit Anm. 219; Herda, Panionion–Melia Kap. VI. 175 Strab. 14, 1, 12. Vgl. auch die ‘Kadmeioi’ als ionische Kolonisten bei Herodot (1, 146): Das sind die Priener, denn Hellanikos (letztes Viertel 5. Jh. v. Chr.) kennt den Namen ‘Kadme’ für Priene: FGrHist 4 F 101 = Hesych s. v. Kadm‹oi: oƒ Prihne‹j, æj `Ell£nikoj. À oƒ Qhba‹oi ¢pÕ K£dmou; vgl. S. Th. Schipporeit, Das alte und das neue Priene. Das Heiligtum der Demeter und die Gründungen Prienes, IstMitt 48, 1998, 193–236 bes. 196 Anm. 12; dort weitere antiken Textstellen: Phanodikos FGrHist 397 F 4 b; Diog. Laert. 1, 82. Spätestens nach der Neugründung des Panionions und Prienes Mitte des 4. Jhs. v. Chr. dürfte dagegen die Herleitung der Priener aus Helike in Achaia entstanden sein, die Strabon (8, 7, 2) wiedergibt. Vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. VI mit Anm. 193 ff.; Schilardi, Helike and Ionia (s. o. Anm. 98) 305. – Dazu, daß sich der Name Kadme für Priene nicht durchsetzte, vgl. Herda, Panionion–Melia 77 f. – Zu fälschlich Priene zugeschriebenen Münzen mit der falsch gelesenen Legende KADMH vgl. K. Regling, Die Münzen von Priene (1927) 100 f.; RE Suppl. IX (1962) 1181–1221 bes. 1185 s. v. Priene (G. Kleiner). 176 Zu Prienes möglichem karischen Namen vgl. Herda, Panionion–Melia 77 mit Anm. 193 ff. – E. Forrer, Kilikien zur Zeit des Hatti-Reiches, Klio 30, 1937, 135–186 bes. 171 Anm. 2, setzte als erster die in dem hethitischen Text KUB XXIII 11 ii 5' in Zusammenhang mit dem Königreich Arzawa und der Stadt Walarima genannte Stadt pa-ri-ja-na mit Priene gleich (ebenda: “Name wie Priænæ”); s. auch Garstang – Gurney (s. o. Anm. 118) 98 mit Anm. 1; weitere zu- stimmende Literatur: del Monte – Tischler (s. o. Anm. 141) 303 s. v. Parijana. – KUB XXIII 11 listet Länder und Städ- te sowie Flüsse auf, die ein Großkönig Tudhalija erobert hat. Da das Land Arzawa genannt ist, das 1316/15 v. Chr. von Mur™ili II. erobert und zerteilt wurde (s. o. Kap. V mit Anm. 129), wird der Großkönig, unter dem der Text aufgesetzt wurde, Tudhalija II. sein (Anfang 14. Jh. v. Chr.), nicht Tudhalija IV. (ca. 1237–1228 v. Chr.), wie etwa Garstang – Gurney a. O. 98. 105. 120–123 Nr. 5 annahmen. Tudhalija II. war erfolgreich gegen die ganz Westkleinasien von Wilu™a-Troja bis Lukka-Lykien vereinigende sogenannte A™™uwa-Koalition vorgegangen, der auch Arzawa angehörte (s. o. Kap. V mit Anm. 126. 128; vgl. zur Datierung der Annalen in die Zeit Tudhalijas II. S. Heinhold-Krahmer in: Troia 152 f.; zum historischen Kontext Bryce 124 f.). Im Rahmen seiner Feldzüge wären dann neben dem Königreich von Arzawa mit seiner Hauptstadt Aba™a-Ephesos auch die Mykale mit dem möglicherweise von Arzawa unabhängi- gen Parijana-Priene erobert worden, sowie südlich des Mäander-Flusses beispielsweise die nordkarische Stadt Walarima-Hyllarima (die Gleichsetzung Walarima = Hyllarima findet sich zuerst bei Garstang – Gurney [s. o. Anm. 118] 79; vgl. del Monte – Tischler [s. o. Anm. 141] 471 f. s. v. Walarima; del Monte [s. o. Anm. 141] 184 s. v. Walarima; vgl. o. Anm. 145). – Eine vergleichbare Lautverschiebung /å/ > /e/ im späteren Griechisch-Ionischen wie im Falle Priana/Pryana-Parijana > Priene ist auch für die in den hethitischen Texten erhaltenen Toponyme Lazba (= Lšsboj) und Aba™a (= ”Efesoj) zu beobachten: F. Starke, StTroica 7, 1997, 472 Anm. 58; C. H. Melchert in: Luwians 175 Anm. 5. Man vergleiche auch Milatos-Mil(l)awanda/Milawata > Miletos (s. u. Anm. 216). 177 RE XVI 1 (1933) 1015 s. v. Mykalessos [2] (J. Keil); zur Lokalisierung vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. VII. 178 Zu Mykalessos in Boiotien vgl. RE XVI 1 (1933) 1005–1015 s. v. Mykalessos [1] (K. Fiehn); M. H. Hansen – T. H. Nielsen (Hrsg.), An Inventory of Archaic and Classical Greek Poleis (2004) 446 Nr. 212 (H. M. Hansen); Herda, Panionion–Melia Kap. VII mit Anm. 204 ff. 62 Alexander Herda

Schließlich ist der Name des Gebirges selbst, griech. Der in lykischer Sprache abgefaßte Text gebraucht Muk£lh, anzuführen179: Wie Ahmet Ünal, John Da- als Bezeichnung für das Mykale-Gebirge das dem vid Hawkins u. a. wahrscheinlich gemacht haben, griechischen Namen angeglichene lykische Hom- wird die Mykale in den Annalen des hethitischen onym mukale. Der alte, kleinasiatisch-luwische Großkönigs Mur™ili II. im Zusammenhang mit dem Name Arinnanda war den Lykiern des 5. Jhs. v. Chr. oben schon angesprochenen Feldzug gegen Arzawa demnach nicht mehr bekannt181. ca. 1316 v. Chr. genannt. Die nach der Einnahme der Schließlich ist auch für die dem Panionion be- Hauptstadt Aba™a-Ephesos vor den Hethitern flie- nachbarte, von den anderen ionischen Städten gegen henden Arzawer verschanzten sich auf dem Gebirge 700 v. Chr. zerstörte Polis Melia anzunehmen, daß Arinnanda, mit dem nach den Beschreibungen nur sie ursprünglich von boiotischen Siedlern aus der das Mykale-Gebirge gemeint sein kann180. Dessen Gegend des Helikongebirges besiedelt wurde (s. o. wohl kleinasiatisch-luwischer Name ging bei der Kap. IV). Wie U. von Wilamowitz-Moellendorff griechischen Neubesiedlung in protogeometrischer– wahrscheinlich machen konnte, wurde der Kult des geometrischer Zeit offenbar verloren, Mykale ist wie boiotischen Poseidon Helikonios am Ort des späte- Mykalessos stattdessen als boiotische Namens- ren Panionions an der Mykale ursprünglich von gebung aufzufassen. Diese Annahme wird durch die diesem Melia eingerichtet182. Er war also wahr- schon 1878 gelungene Lesung eines Passus der gro- scheinlich in protogeometrischer Zeit noch nicht ßen Pfeilerinschrift auf der Agora von indi- ‘panionisch’ wie etwa der Kult des Poseidon rekt bestätigt, der sich auf Ereignisse in Ionien und Taureos. Zudem dürfte der Name des Ortes Melia, Karien im Zusammenhang mit einer athenischen Ex- der im Griechischen ‘Esche’ bedeutet, auf die be- pedition zur Eintreibung von Phorosgeldern für den rühmte thebanische Baum- und Quellnymphe Attischen Seebund 428 v. Chr. bezieht (Thuk. 3, 19). Melia/Melie zurückgehen183.

179 Zu einer möglichen Polis Mykale auf dem gleichnamigen Mykale-Gebirge vgl. RE XVI 1 (1933) 1003 s. v. Mykale [1] (J. Keil), der m. E. zutreffend vermutete, sie sei mit der Stadt Mykalessos identisch. Zu dieser vgl. ders., eben- da 1015 s. v. Mykalessos [2]; s. u. Anm. 181. 180 Hethitische Texte, in denen das Gebirge Arinnanda genannt wird, sind zusammengestellt bei del Monte – Tisch- ler (s. o. Anm. 141) 36 s. v. Arinanta; del Monte, Supplement (s. o. Anm. 141) 11 s. v. Arinanta. Der Name bedeu- tet so viel wie ‘quellenreich’ (vgl. Caruba, Neues [s. o. Anm. 123] 32), was gut zur Mykale paßt. – Aus der Be- schreibung des Gebirges in den Annalen Mur™ilis II. (KUB XIV 15, Rs III 39–44; vgl. mit deutscher Übersetzung A. Götze, Die Annalen Mursilis II., Mitteilungen der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft Leipzig 38 [1933] 54 f.; vgl. deutsche Übersetzungen bei Heinhold-Krahmer, Arzawa [s. o. Anm. 117] 113–115; F. Starke, StTroica 7, 1997, 470 Anm. 27; engl. Übersetzung bei Bryce 194 f.) geht klar hervor, daß es sich um die Mykale (Samsun Da%@) handelt; vgl. etwa A. Ünal, Untersuchungen zur Terminologie der hethitischen Kriegsführung I. “Verbren- nen, in Brand stecken” als Kriegstechnik, Orientalia 52, 1983, 164–180 bes. 168 Anm. 27; Starke a. O. 451; J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 22 f.; T. Bryce in: Luwians 60 Anm. 39; Niemeier, Westkleinasien 64 mit Anm. 320 ff. Abb. 5; Herda, Panionion–Melia 75 f. 86; s. u. Kap. VII mit Anm. 202. Dagegen ohne überzeugende Argumente Lohmann, Melia 65; ders., Topographie 169. 224 s. v. Mykale [2]. – E. Forrer (Forschungen 1: Die Arzoava-Län- der [1926] 55–67 vgl. den Faltplan S. 94), der den Passus über die Belagerung von Arinnanda und Puranda in den zwei Versionen der Zehnjahres-Annalen und der ausführlichen Annalen Mur™ilis zuerst übersetzt und kommen- tiert hat, lokalisierte das Reich von Arzawa im ebenen Kilikien (heute türkisch Çukur Ova), die Hauptstadt Aba™a suchte er im heutigen , Arinnanda und Puranda vermutete er ca. 60 km östlich von Tarsus auf einer gebir- gigen, ins Meer vorspringenden Halbinsel bzw. einer Insel, die die Fortsetzung eines Küstengebirges bildete. 181 Wahrscheinlich wurde das Gebirge nach dem zentral auf dem Scheitel liegenden Ort ‘Mykalessos’ benannt, für den möglicherweise auch die Namensform ‘Mykale’ bezeugt ist: Wilamowitz, Panionion 46; s. o. Anm. 179; vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. VII mit Anm. 202 f. 211. Der böotische Ortsname Mykalessos ist vorgriechisch, jedoch nicht karisch, wie Wilamowitz, Wanderung 74, annahm; vgl. Herda, Panionion–Melia 80 mit Anm. 206. – Zur Lesung mukale in der Pfeilerinschrift von Xanthos, TAM I 38 ff. Nr. 44 Z. a 53: J. Savelsberg, Beiträge zur Entzifferung der lykischen Sprachdenkmäler II (1878) 221; der ganze Passus in neuer kommentierter Übersetzung bei D. Schürr, Kaunos in lykischen Inschriften, Kadmos 37, 1998, 143–162 bes. 153 f.; C. Marek, Die Inschriften von Kaunos (2006) 48 zu Testimonium 112. Zur Entsprechung des lykischen Vokals u und des griechischen Ypsilon vgl. C. Molina Valero, Reading Lycian Through Greek Eyes: The Vowels, Res Antiquae 4, 2007, 105–113 bes. 110 f. 182 Wilamowitz, Panionion 45 f. 183 Th. Lenschau, Klio 36, 1944, 201–237 bes. 228; danach Hommel, Panionion 80 Anm. 219. Melie/Melia galt als Tochter des Okeanos, soll von Apollon geraubt worden sein und empfing von diesem die Söhne Ismenos und Teneros, die das Orakel des Apollon Ismenios (Ismenion) in Theben gründeten. Sie besaß einen Kult im Ismenion Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 63

Insgesamt zeichnet sich somit ein starkes boioti- meinsamen Dialekt des Ionischen gesprochen185, der sches Element innerhalb der griechischen Besied- eventuell vom Karischen beeinflußt war186. lung der Mykale ab, so daß mit F. Jacoby geradezu Für die Insel Samos, auf der laut Herodot ein eige- von einer ‘Böotischen Wanderung’ in diesen geo- ner Dialekt des Ionischen gesprochen wurde, ist eben- graphischen Kleinraum gesprochen werden kann184. falls eine lelegisch-karische Vorbevölkerung bezeugt. Sie wird allerdings von Herodot nicht erwähnt und ist bisher im archäologischen Befund nicht ausgemacht187. VII. Die ‘Ionische Migration’ in Der Name der Insel dürfte aber vorgriechisch sein188. südionischen Siedlungen und Städten Das Material der samischen Personennamen gibt 189 außer Milet: Schriftliche Quellen versus für die Frage nicht viel her . Namen karischen Ur- sprungs sind der im 6. Jh. v. Chr. mehrfach belegte archäologische Siedlungsbefunde Cheramyes, dessen zweiter Namensbestandteil -myes auf den karischen Personennamen Mœj zurückge- Herodot nennt unter den zwölf ionischen Städ- führt werden kann190, sowie möglicherweise der ten in Westkleinasien und auf den vorgelagerten In- Name Hyblesios, der vom 6. bis ins 1. Jh. v. Chr. seln Chios und Samos drei im Gebiet der Karer ge- auftritt191. Karische Wurzeln hat das Apollon-Ora- gründete Städte, nämlich Milet, Myous und Priene. kel von Hybla/Hyble/Hyblesos, das möglicherwei- Die Einwohner dieser Städte hätten auch einen ge- se auf Samos zu suchen ist192. Der Kult der Hera im

selbst und an einer benachbarten Quelle; vgl. RE XV 1 (1931) 504 f. s. v. Melia [1a] (Gr. Kruse); vgl. jetzt Herda, Panionion–Melia Kap. IV mit Anm. 128 ff.; V mit Anm. 164. 184 F. Jacoby im Kommentar zu Hellanikos FGrHist 4 F 101 (I p. 133); vgl. ähnlich Lenschau a. O. 228. – Cassola (s. o. Anm. 33) 96 spricht übereinstimmend von einem “‘Nuova Beozia’ anatolica”. 185 Hdt. 1, 142, 3–4. Zu Herodots Dialektgruppenbildung kritisch, da sie nicht dem aus den Inschriften gewonnenen Befund entspricht, J. García-Ramón in: DNP V (1998) 1079–1083 bes. 1080 s. v. Ionisch. 186 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 108. 187 Ionische Dialekte: Hdt. 1, 142; Leleger/Karer auf Samos: Pherekydes FGrHist 3 F 155; zu weiteren Schriftquellen, die Karer und Leleger auf Samos überliefern, vgl. F. Jacoby, FGrHist III b (1955) in seinem Kommentar zu den samischen Lokalhistorikern (FGrHist 535–545); G. Shipley, A History of Samos, 800–188 BC (1987) 27. 290 f., der ebenda 27 bemerkt: “Unfortunately, archaeology is silent about Carians in Samos.” (vgl. auch ebenda 245 Anm. 20). – Für eine nichtgriechische Bevölkerung von Samos in der späten Bronzezeit dürfte nicht zuletzt spre- chen, daß die Insel, anders als etwa Kos, Syme und Rhodos, nicht im ‘Schiffskatalog’ der Ilias als Verbündete des Griechenheeres genannt ist. Vgl. hierzu Latacz 256–289 mit Abb. 22 S. 258; vgl. zum Schiffskatalog o. Anm. 20. 188 Zu ‘Samos’ als vorgriechischem Namen: Zgusta, Ortsnamen 531 zu § 1152. 189 Eine ältere Zusammenstellung findet sich z. B. bei Laumonier 699 f. 190 W. Blümel, Die Inschriften von Mylasa I, IK 34 (1987) 9 zu Nr. 8 Z. 5 f. (Mylasa, 4. Jh. v. Chr.): “Wahrscheinlich hängt das Element etymologisch mit heth. muwa-, “Sperma, Körpersaft, (männliche) Kraft” zusammen”. In Blümel, Personennamen ist der Name allerdings nicht als eigenständiger Personenname berücksichtigt, sondern nur als “Kompositionsglied -muhj”: Vgl. ebenda 12 f. zu Ekamuhj und die Zusammenstellung der Komposita ebenda 33 (Ekamyes, Panamyes, Examyes, Cheramyes). – Der griechisch-karische Personenname Cheramyes ist durch zahl- reiche zusammengehörige archaische griechische Weihinschriften auf Votivstatuen im Heraion von Samos bezeugt; s. Blümel, Personennamen 27 s. v. Chramuhj; ders., Über die chronologische und geographische Verteilung einhei- mischer Personennamen in griechischen Inschriften aus Karien, in: M. E. Gianotta – R. Gusmani u. a. (Hrsg.), La decifrazione del Cario, Atti del 1° Simposio Internazionale, Roma 1993 (1994) 65–86 bes. 68. 84 (ältester in Klein- asien und auf den vorgelagerten Inseln epigraphisch bezeugter karischer Name). Zu den Statuen und Inschriften, die wahrscheinlich von ein und demselben Stifter stammen (ca. 570/60 v. Chr.) s. H. Kyrieleis, Eine Kore des Cheramyes, AntPl 24 (1995) 7–36; Herda, Delphinios 332 f. Anm. 2367. 191 P. Jacobsthal, Hybla, AM 31, 1906, 415–420; Shipley a. O. 132. 150. 222; P. M. Fraser – E. Matthews, A Lexicon of Greek Personal Names I. The Aegean Islands, Cyprus, Cyrenaica (1987) 450 s. v. ‘Ubl»sioj. Der Name geht vermutlich auf den karischen Namen Iublhsij zurück: Blümel, Personennamen 15 mit Anm. 48 zu Iublhsij (Halikarnassos, 5. Jh. v. Chr.); danach Ehrhardt, Bevölkerung 86 mit Anm. 63. Zum Verhältnis des Namens zum karischen Ort Hybla mit seinem Apollon-Orakel vgl. die nächste Anm. 192 Der karische Ort Hybla besaß laut Athen. 15, p. 672a ff. (= Menodotos FGrHist 541 F 1) ein Apollon-Orakel, das bei der Einrichtung des Festes der Tonaia im Heraion von Samos zu Rate gezogen worden sein soll. Aus dem Vor- handensein des Personennamens Hyblesios auf Samos leitete daraufhin P. Jacobsthal a. O. 415–420 bes. 418 ab, es habe eine Stadt Hybla auf Samos mit einem Orakel des Apollon ‘Hyblesios’ gegeben; vgl. auch Laumonier 704 f.; 64 Alexander Herda

Heraion von Samos weist ebenfalls indigene, lele- die nicht zum Bund der zwölf Poleis gehörten, teil- gisch-karische Elemente auf193, die auf einen ‘Kontakt- weise aber von den größeren Poleis abhängig waren, synkretismus’ hindeuten194. wie z. B. , Thebai und Naulochos an der Hinzuzufügen wären dieser Liste noch weitere, Südseite des Mykale-Gebirges195. nicht von Herodot genannte ‘ionische’ Kleinstädte,

Bilabel (s. o. Anm. 88) 169; Shipley a. O. 222 Anm. 38; U. Kron, Kultmahle im Heraion von Samos archaischer Zeit, in: R. Hägg – N. Marinatos – G. C. Nordquist (Hrsg.), Early Greek Cult Practice, Proceedings of the Fifth Interna- tional Symposium at the Swedish Institute at Athens, 26–29 June 1986 (1988) 135–147 bes. 139 mit Anm. 24 (sie lo- kalisiert Hybla stattdessen auf Sizilien!); Blümel, Personennamen 15 mit Anm. 48. Auf dieses Orakel ist wahrschein- lich auch die Glosse `Ubl»thj: m£ntij im Lexikon des Hesychios zu beziehen. Ist der ‘Hybletes’ der Mantis (Seher) des Orakels des Apollon in Hybla (bzw. ionisch Hyble)? – Möglicherweise bezieht sich Pausanias, der berichtet (2, 31, 6), die Samier hätten ein “altes” Heiligtum des Apollon Pythios besessen, auf dieses Orakel. Die Epiklese Pythios steht schließlich synonym für den Orakelgott Apollon. Doch Jambl., Vita Pyth. 9 berichtet, erst der Vater des Py- thagoras, Mnemarchos, habe das Heiligtum gegen Mitte des 6. Jhs. v. Chr. aus Dankbarkeit für ein delphisches Ora- kel gestiftet, das die Geburt seines Sohnes ankündigte. – Da ein karischer Ort Hybla sonst nicht bezeugt ist, wird seit Kaibel der Ortsname bei Athenaios öfter zu Hyllouala emendiert, einem karischen Ort auf dem kleinasiatischen Festland (vgl. Zgusta, Ortsnamen 652 § 1404-3 `UlloÚala), in dem ein Apollon-Orakel lag: Steph. Byz. s. v. `UlloÚala; dazu Jacobsthal a. O. 418; F. Jacoby, FGrHist III b Kommentar (Text) (1955) 461 (zu Menodotos von Samos FGrHist 541 F 1); vgl. ebenda Kommentar (Noten) (1955) 273 Anm. 13: ““Ubla ist korrupt oder gräzisiert”. Vgl. Kron a. O. 139 Anm. 24. Zu verweisen wäre hier außerdem auf den karischen Ortsnamen Ubliss//oj//, den Zgusta, Ortsnamen 647 § 1396, aus dem Einwohnernamen hublisüj in den attischen Tributlisten erschlossen hat. Blümel, Ortsnamen 171, setzt diesen Ort mit dem von ihm aus dem Ethnikon Kublise‹j erschlossenen Ort Kubliss/oj/ gleich, den er “südlich von Mylasa in der Nähe von und Uranion vermutet”. 193 Vgl. zum in der samischen Lokalgeschichte auf lelegisch-karische Wurzeln zurückgeführten Kult der Hera Kron a. O. 138 f. mit Anm. 18–24. Unter anderem wurde das Tragen des Lygoskranzes während des Festes der Tonaia im Heraion als karischer Brauch bezeichnet: Menodotos FGrHist 541 F 1; Nikainetos, CollAlex. 3 F 6 (= Athen. 15, p. 673 b); vgl. M. Blech, Studien zum Kranz bei den Griechen (1982) 248–250; Graf 95 f. Nach Paus. 7, 4, 4 gab es zwei Mythen zur Herkunft des Hera-Kultes auf Samos: Der erste besage, Kult und Kultbild hätten die Ar- gonauten vom peloponnesischen Argos her auf die Insel gebracht. Der samische Lokalmythos erzähle jedoch, die Göttin sei auf der Insel am Fluß Imbrasos unter einem Lygosstrauch geboren. Auch das Kultbild aus amorphem Holz, brštaj genannt, sowie der Brauch, es an einem Lygosstrauch beim Meer festzubinden, sollen nach Menodotos (FGrHist 541 F 1 = Athen. 15, p. 671e–673a) karisch sein. Dieser Mythen-Befund weist auf die Über- lagerung zweier Kulte (s. nächste Anm.), eines indigenen und eines griechischen. Hiermit läßt sich die ebenfalls von Paus. (7, 4, 2) überlieferte Besiedlungsgeschichte der Insel verbinden, wonach die ionischen Siedler unter ih- rem Heros Ktistes Prokles nach ihrer Ankunft auf Samos mit den indigenen Lelegern zusammenlebten und sich unter dem Sohn des Prokles, Leogoros, mit den Karern gegen die Ioner (auf dem Festland? [A. H.]) verbündeten. – Weiterhin ist bemerkenswert, daß der Name des Flüßchens beim Heraion, Imbrasos, an dem die Geburt der Göttin stattgefunden haben soll und nach dem sie auch die Epiklese Imbrasie führte (zur Epiklese s. Apoll. Rhod. 1, 187; 2, 866; Bilabel [s. o. Anm. 88] 168; Laumonier 704; sie wurde auch auf Artemis übertragen: Kallim., hymn. Art. 228; Bilabel [s. o. Anm. 88] 170; Laumonier 702), karisch sein dürfte. Nach Eusthatius 985, 56 ff. hieß etwa Hermes in Karien Imbrasos; Imbras(s)ij ist zudem ein häufiger Personenname in Karien; vgl. Blümel, Personen- namen 15 mit Anm. 46. – Im Heraion läßt sich allerdings entgegen der Meinung der Ausgräber (vgl. etwa H. Wal- ter, Das griechische Heiligtum. Dargestellt am Heraion von Samos [1990]; danach H. Kyrieleis, The Heraion at Samos, in: N. Marinatos – R. Hägg [Hrsg.], Greek Sanctuaries. New Approaches [1993] 125 ff. bes. 128) bisher keine Kultkontinuität von der späten Bronzezeit bis in (proto-)geometrische Zeit sicher archäologisch nachwei- sen: Vanschoonwinkel 169 f. 197. 200; C. G. Simon, The Archaeology of Cult in Geometric Greece: Ionian Temples, Altars, and Dedications, in: S. Langdon (Hrsg.), New Light on a Dark Age. Exploring the Culture of Geometric Greece (1100–700 B.C.), Symposium Columbia 1993 (1997) 125–143 bes. 127 mit Anm. 13; 130 mit Anm. 23; Mazarakis-Ainian (s. o. Anm. 78) 202 mit Anm. 1562 f.; Kyrieleis (s. o. Anm. 94) 68 mit Anm. 285. 194 Zum Begriff vgl. R. Gordon in: DNP XI (2000) 1152 s. v. Synkretismus: “‘Kontakt-Synkretismus’ ist dagegen ein Aspekt des Kulturkontakts verschiedener Völker mit unterschiedlichen Religionen. Drei Formen von Kontakt-S. werden für die Antike üblicherweise unterschieden: 1) Gleichsetzung zweier Gottheiten ... 2) Kulttransfer durch Händler, Sklaven, Auswanderergruppen oder Mundpropaganda von einem Ort zum anderen ... 3) Die Zusam- menfassung mehrerer unterschiedlicher Gottheiten als Aspekt einer umfassenden Gottheit bzw. als dieser unter- geordnet.” – Einen dem Hera-Kult in Samos vergleichbaren Kontaktsynkretismus stellt z. B. auch der Kult der Artemis in Ephesos dar (s. u. mit Anm. 268 ff.). 195 Zur Liste der zwölf ionischen Städte (vgl. etwa Hdt. 1, 142, 3–4; 1, 145, 1–146, 1) vgl. D. Magie, Roman Rule in Asia Minor (1950) II 867 f. Anm. 48. 50; Tausend, Amphiktyonie (s. o. Anm. 10) 55 f. 70–95; Rubinstein 1054 f. mit Anm. 5 f. – Zu Achilleion, Thebai und Naulochos vgl. Lohmann, Topographie 170 f. s. v. Achilleion; 229 f. s. v. Naulochos; Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 65

Auch die von boiotischen Siedlern gegründete Abzuwarten bleiben weiterhin die Ergebnisse Polis Melia auf dem Kale Tepe beim heutigen der Forschungen von H. Lohmann in der von ihm Güzelçaml@ an der Nordseite der Mykale, deren Zer- entdeckten befestigten Siedlung mit Tempel am störung ca. 700 v. Chr. in Zusammenhang mit der Çatallar Tepe auf dem östlichen Höhenrücken der Einrichtung des Panionions stand, ist hier anzufüh- Mykale200. Wie andernorts dargelegt, handelt es sich ren (Abb. 2). Die protogeometrische und geometri- bei dieser Siedlung wahrscheinlich um die wieder- sche Keramik aus der Nekropole von Melia deutet um von boiotischen Siedlern in protogeometrischer auf eine griechische und nicht etwa karische196 Sied- oder geometrischer Zeit gegründete Stadt Myka- lung, die wenigen Funde sind aber bisher nicht aus- lessos-Mykale, die auch namengebend für den gan- sagekräftig genug, um ungefähr sagen zu können, aus zen Gebirgszug wurde201. welcher Region in Griechenland die Siedler kamen197. Die Stadt geht vielleicht auf das spätbron- Mangels intensiver Erforschung unvollständig ist zezeitliche, luwische Arinnanda auf dem gleichna- auch unser Bild der Siedlung, die man sich als dörfli- migen Gebirge zurück, das Mur™ili II. während sei- che Streusiedlung um eine befestigte Akropolis vor- ner Kampagne gegen Arzawa etwa 1316 v. Chr. (s. zustellen hat198. Die Befestigung der Akropolis, eben- o. Kap. III) “aushungerte”. Die Beschreibung in so ein in ihr befindliches Ovalhaus, reicht jedenfalls den hethitischen Annalen macht wahrscheinlich, in geometrische Zeit zurück und fügt sich problem- daß es sich bei Arinnanda um eine befestigte Sied- los in das Bild früher griechischer Siedlungen im lung der Arzawer gehandelt hat202 (Abb. 3). Ob die ägäischen Raum ein199. heute dort noch sichtbaren Befestigungen als ka-

247 s. v. Thebai. Mit der bereits von Wiegand Ende des 19. Jahrhunderts untersuchten befestigten Siedlung von Thebai dürfte allerdings keine Neugründung des späten 5. oder gar 4. Jhs. v. Chr. vorliegen, wie angenommen von H. Lohmann, DNP. Addenda et Corrigenda, OrbTerr 8, 2002 (2006) 162 zu Thebai [4]. Vielmehr ist die Kleinstadt wahr- scheinlich spätestens im 7. Jh. v. Chr. (von Priene?) gegründet worden; vgl. Herda, Panionion–Melia Anm. 198 f. 196 So etwa G. Kleiner in: Panionion 5; vgl. auch P. Hommel, ebenda 79–82; danach etwa J. N. Coldstream, Geometric Greece (1977) 97. 261; zuletzt Lohmann, Melia 77–80; ders., Topographie 202 f. s. v. Karion; 218 s. v. Melia. 197 Zur protogeometrischen und geometrischen Keramik aus der Nekropole vgl. P. Hommel in: Panionion 83–89. 161–167 Abb. 102–117 Taf. 7–9. IX; V. R. d’A. Desborough, Protogeometric Pottery (1952) 221. 323 s. v. Tsangli; I. S. Lemos, The Protogeometric Aegean. The Archaeology of the Late Eleventh and Tenth Centuries B.C. (2002) 240. – Bisher konnte kein ungestörtes Grab freigelegt werden. Die Nekropole ist seit dem späten 19. Jahrhundert Ziel von Raubgrabungen; vgl. etwa F. Winter, Vasen aus Karien, AM 12, 1887, 223–244 bes. 229 f. Abb. 7–9. 198 Das Gelände zwischen der befestigten Akropolis und der unteren Befestigungsmauer wurde nie eingehend un- tersucht; vgl. Herda, Panionion–Melia 63 mit Anm. 114. Es lassen sich allerdings trotz des dichten Bewuchses noch heute vereinzelt Reste von verstürzten Hausmauern aus Bruchstein ausmachen (freundlicher Hinweis Diet- mar Gansera, Köln). 199 W. Müller-Wiener in: Panionion 124–126; F. Lang, Archaische Siedlungen in Griechenland. Struktur und Entwick- lung (1996) 196 f. Abb. 68–70; vgl. Herda, Panionion Kap. IV mit Anm. 112 ff.; vgl. u. Kap. VIII mit Anm. 321. 200 H. Lohmann, Mélia, le Panionion et le culte de Poséidon Héliconios, in: G. Labarre – J.-M. Moret (Hrsg.), Les cultes locaux dans les mondes grec et romain, Lyon, 7–8 juin 2001 (2004) 31–49; ders., Melia; ders., Topographie 167. 218 f. s. v. Melia; 224 f. s. v. Mykale [2]; 234 f. s. v. Panionion; ders. in: 23. AST Ankara 2005 I (2006) 241–251. 201 Vgl. Herda, Panionion Kap. VII mit Nachtrag vom 10.02.2007. 202 Für eine ursprünglich indigene, luwische Siedlung am selben Platz spricht vor allem ihre besondere strategische Lage. Hierhin wären die letzten Aufständischen des Kleinreiches von Arzawa aus ihrer Hauptstadt Aba™a- Ephesos vor den Hethitern geflohen. Die Annalen berichten nämlich, daß Mur™ili mit seinen Truppen auf das Gebirge zu Fuß hinaufzog, die Flüchtigen einschloß und sie aushungerte, was eine befestigte bzw. unzugängliche Siedlung voraussetzt; vgl. T. R. Bryce in: Luwians 60 (“Mursili blockaded Arinnanda and starved its occupants into surrender [Comprehensive Annals, AM pp. 54–57].”; vgl. die wörtliche Übersetzung bei Bryce 194 f.: “I, My Sun, went before the army on foot and went up Mount Arinnanda on foot. I beleaguered the transportees with hunger and thirst. And under pressure of hunger and thirst, they came down and fell at my feet.”). Dieselbe Tak- tik wandte Mur™ili auch bei der Belagerung der definitiv befestigten Siedlung von Puranda im zweiten Jahr der Kampagne gegen Arzawa an; vgl. Heinhold-Krahmer, Arzawa (s. o. Anm. 117) 114–117. Zu Puranda, das jetzt von R. Meriç mit einer neuentdeckten, befestigten bronzezeitlichen Siedlung auf dem Bademgedi%i Tepe bei Torbal@ nahe dem antiken Metropolis direkt an der Autobahn ‚zmir-Ayd@n gleichgesetzt wird s. R. D. Meriç – P. Mountjoy, Pottery from Bademgedi%i Tepe (Puranda) in Ionia: A Preliminary Report, IstMitt 52, 2002, 79–98; J. D. Hawkins, AnSt 52, 2002, 98; R. Meriç, Ein Vorbericht über eine spätbronzezeitliche befestigte Höhensiedlung bei Metropolis in Ionien: Die arzawäische Stadt Puranda?, in: Frühes Ionien 27–36. 66 Alexander Herda risch anzusprechen sind, wie dies Lohmann auf- den sogenannten Milawata-Brief Tudhalijas IV., der grund der Mauertechnik meint sagen zu können, sei sich wahrscheinlich an König Tarka™nawa von Mira dahingestellt203. Eine genauere Datierung kann nur richtete, Hattu™a und Mira in gemeinsamer Aktion eine Grabung erbringen. Sollten sich die Befesti- die Grenzen von Milawata-Milet zu Mira und impli- gungsmauern z. T. als bronzezeitlich herausstellen, zit Karki™a neu ordneten207. Am wahrscheinlichsten wären sie zudem nicht unbedingt als luwisch-karisch ist die karische Okkupation der Mykale erst nach ca. anzusehen, da die Mykale in der späten Bronzezeit 1180 v. Chr. Zu diesem Zeitpunkt ging, wie die An- zum Herrschaftsgebiet des luwischen Königreichs nalen Ramses’ III. in Medinet Habu mitteilen, Mira- von Arzawa und nach 1316 v. Chr. zu dem seines Arzawa in Folge der Seevölker-Angriffe zugrunde208. Nachfolgestaates, des Königreichs von Mira, gehörte. Vom ursprünglich luwisch-arzawischen bzw. Dessen Südgrenze zu Milawanda-Milet und Karki™a- karischen Priene (*Priana/Pryana?, hethitisch Pari- Karien war, wie oben angedeutet, durch die um 1300 v. jana?), das seit (proto-)geometrischer Zeit ebenfalls Chr. entstandene Felsinschrift am Suratkaya im Latmos von Griechen besiedelt war und daraufhin den neu- markiert204. Danach schloß also Miras Südgrenze zu- en Namen ‘Kadme’ erhielt, wissen wir wenig. Die er- mindest um 1300 v. Chr. die Mykale, die Mäander- klärte boiotische Herkunft der Siedler ist schon er- ebene und sogar Teile des Latmosgebirges südlich und wähnt worden. Priene wurde in spätklassischer Zeit südöstlich der Mäanderebene mit ein205. Seit dem Feld- verlegt209, wahrscheinlich weil der geomorphologisch zug Hattu™ilis III. (ca. 1267–1237 v. Chr.) gehörten höchst dynamische Mäander den Hafen der Stadt mit wahrscheinlich auch die nordwestkarischen Städte seinen Sedimenten verlandet hatte. Die genaue Lage Ijalanda-Alinda und Waliwanda-Alabanda zumindest des älteren Priene ist unbekannt, wahrscheinlich lag es zeitweise zum Territorium Miras206 (Abb. 4). aber etwas nordöstlich der Neugründung im tief- Eine karische Herrschaft in der Mykale, der gelegenen Küstenbereich auf Meereshöhe und ist heu- Mäanderebene und im Latmos, wie sie Homer be- te unter meterhohen Flußsedimenten verborgen210. schreibt, war demnach erst möglich, nachdem die Myous/Myes(s)os211, das im 1. Jh. v. Chr. aufgege- Karer die Leute von Mira aus dieser Region ver- ben wurde, als der Mäander seine Häfen endgültig zu- drängt hatten. Dies kann frühestens am Ende des 13. schwemmte und es vom Meer abschnitt212, ist noch un- oder zu Beginn des 12. Jhs. v. Chr. der Fall gewesen erforscht, sieht man von den beiden spätarchaischen sein, da noch im gegen 1230/20 v. Chr. zu datieren- Tempeln für Dionysos und Apollon Termintheus ab213.

203 Lohmann, Melia 81–84. 89; vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. IV mit Anm. 122. 134. – Zu technisch ähnlichen ‘Lelegermauern’ vgl. den Beitrag von F. Rumscheid in diesem Band. 204 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 130. 205 Vgl. auch M. Hutter in: Luwians 213. Zur geographischen Situation des Mäanderdeltas um 1500 v. Chr. vgl. M. Müllenhoff, Geoarchäologische, sedimentologische und morphodynamische Untersuchungen im Mündungsge- biet des Großen Mäanders, Westtürkei, Marburger Geographische Schriften 141 (2005) 188–190 mit Abb. 48; die Ergebnisse dieser Arbeit sind hier in Abb. 3 und 4 berücksichtigt. 206 Vgl. dazu o. Kap. V mit Anm. 141 f. 207 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 150 ff. 208 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 153. 209 Vgl. zur Neugründung S. Th. Schipporeit, IstMitt 48, 1998, 193–236; W. Raeck, Priene. Neue Forschungen, IstMitt 53, 2003, 313–423 bes. 319–322; Rubinstein 1091–1093 Nr. 861 (Priene). – Zu den indigen-kleinasiatischen Namen Prienes s. o. Kap. VI mit Anm. 176. 210 Lohmann, Topographie 241 s. v. Priene; 252 Abb. 1, verortet die ältere Stadt ca. 6 km östlich der Neugründung zwischen Söke und Güllübahçe südlich des heutigen Akçakonak (ehem. Gümelez Köy). Demgegenüber sucht Müllenhoff, a. O. 57. 190–193 Abb. 49, das archaische Priene mit F. Rumscheid, Priene. Führer durch das ‘Pom- peji Kleinasiens’ (1998) 3, auf einer flachen Landzunge am Ufer, allenfalls wenige Kilometer östlich der jüngeren Neugründung. Vgl. Raeck a. O. 321, der Alt-Priene “nicht weit vom Ort des späteren entfernt” vermutet. 211 Beim Ortsnamen von Myous/Myessos, der nicht zwingend luwisch (oder karisch?) zu sein braucht, ist wie im Falle der ‘kleinasiatischen’ Ortsnamen Mykalessos, Assesos und möglicherweise Halikarnassos (s. u. Anm. 453) eine Um- benennung durch die griechischen Neusiedler denkbar: Herda, Panionion–Melia Kap. VII mit Anm. 208–210. 212 Paus. 7, 2, 11; dazu Lohmann, Topographie 226–229 s. v. Myous; Müllenhoff a. O. 72–84. 213 Rubinstein 1088 f. Nr. 856 (Myous). Zu den Tempeln vgl. H. Weber, . Grabung 1964, IstMitt 15, 1965, 43– 64; ders., Myus. Grabung 1966, IstMitt 17, 1967, 128–143; W. Koenigs, Milet 1980. Vorbericht über die Arbeiten des Jahres 1980. Bauteile aus Myus im Theater von Milet, IstMitt 31, 1981, 143–147; B. F. Weber, Die Säulen- ordnung des archaischen Dionysostempels von Myus, IstMitt 52, 2002, 221–271. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 67

Die tiefergelegenen Teile der archaischen Stadt sind Die mykenischen Griechen behielten den Ortsna- heute ebenfalls von meterhohen Sedimenten des Mä- men bei ihrer Ankunft bei. Der hethitische Name anders bedeckt214, die antike Bebauung des Siedlungs- ‘Mil(l)awanda’/‘Milawata’ ist daher wohl von dem hügels, angezeigt etwa durch Felsabarbeitungen für minoisch-mykenischen ‘Mil(l)atos’ abgeleitet216. Häuser, ist durch moderne Landwirtschaft gefährdet. Die minoische Kolonisation und Namensge- bung des Ortes spiegelt sich wider in den mile- sischen Gründungsmythen um Sarpedon, der mi- VIII. Mil(l)awanda/Milawata-Milet noische Siedler aus dem kretischen Miletos an die Küste Kleinasiens führte und dort das neue Miletos Wer war vor den Ionern da? Minoer, gründete217. Eine Nebenüberlieferung konstruiert Mykener, Luwier, Hethiter und Karer im stattdessen einen eponymen Ktistes Miletos218, der spätbronzezeitlichen Mil(l)awanda/ die Minoer zuerst in eine Ansiedlung namens ‘Oi- kous’ (griech. ‘Häuser’) führte, einem späteren Vor- Milawata-Milet ort Milets, in dem sich ein berühmtes Aphrodite- Genauere Aussagen zum Migrationsprozeß läßt Heiligtum befand. Nach Miletos’ Tod soll sein dagegen der Befund der archäologischen und literari- Sohn Kelados dann den Leichnam des Vaters auf ei- schen Quellen in Milet, ionisch-griechisch M…lhtoj, ner nahen Insel begraben haben, wo eine neue, nach zu. Dieser Ortsname geht wahrscheinlich auf das dem Vater benannte Siedlung entstand219. kretisch-minoische Toponym *Mil(l)!tos zurück Die im Mythos geschilderte Insellage der minoi- und wurde von den minoischen Siedlern mitge- schen Siedlung findet im geoarchäologischen Befund bracht, die sich in Milet seit dem 20. Jh. v. Chr. nie- interessanterweise eine Bestätigung220. Als Konstrukt derließen (Milet III–IV, 20. – Mitte 15. Jh. v. Chr.)215. erweist der archäologische Befund jedoch die an-

214 Vgl. z. B. Lage und Profil der Bohrung Myu 4 bei Müllenhoff a. O. 80 Abb. 21: Über den Kulturschichten liegen noch 3 m fluviale Sedimente. 215 Vgl. Gorman 19–23; Niemeier, Westkleinasien 67 mit Anm. 353 ff. 216 Das Mil(l)awanda/Milawata der hethitischen Texte wurde zuerst von B. Hrozn4, Archiv Orientalní 1, 1929, 329 mit dem historischen Milatos/Miletos in Westkleinasien gleichgesetzt; s. H. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 26 Anm. 161. – Zur Ableitung des hethitischen Toponyms von dem minoisch-mykenischen vgl. A. Heubeck, Zu einigen kleinasiati- schen Ortsnamen, Glotta 63, 1985, 115–136 bes. 127–132; J. D. Hawkins, AnSt 48, 1998, 30 f. Anm. 207 (zitiert eine briefliche Mitteilung von A. Morpurgo Davies); Niemeier, Sea Peoples (s. o. Anm. 158) 23; Greaves 69; Latacz 368 Anm. 143; Niemeier, Westkleinasien 67 mit Anm. 349 ff. – Die umgekehrte Ableitung des Namens von einem luwischen oder hethitischen Toponym nimmt an Zgusta, Ortsnamen 383 § 809 s. v. M…lhtoj. Zur Lautverschiebung von Mil(l)atos/Mil(l)awanda/Milawata zu Miletos s. o. Anm. 176. Das kleinasiatische Milatos wird wahrscheinlich in mehreren Linear-B-Texten aus Pylos und aus Theben genannt. In einem Text aus Pylos geht es um “Frauen aus Milatos” (mi-ra-ti-ja), wahrscheinlich Sklavinnen, in mehreren neugefundenen Texten aus Theben in Boiotien taucht ein “Mann aus Milatos” (mi-ra-ti-jo) auf; s. Heubeck a. O. 128. 132; Niemeier, Sea Peoples (s. o. Anm. 158) 40; ders., Westkleinasien 60 f. mit Anm. 291 f.; S. Deger-Jalkotzy in: DNP VI (1999) 649 s. v. Kolonisation; C. W. Shelmerdine, Where do we go from here? And how can Linear B Tablets help us get there?, in: Cline – Harris-Cline (s. o. Anm. 149) 291–299 bes. 295 f. 299; A. Michailidou – K. Voutsa, Merchants and Merchandise: Humans as a Commodity in Aegean and Oriental Societies, in: Laffineur – Greco (s. o. Anm. 113) 17–29. – Zur Polis Milatos an der Nordost-Küste Kretas, die Homer Il. 2, 647 als Verbündete der Achaier vor Troja kennt, von wo aus Ende des 3. Jhs. v. Chr. Bürger nach Milet in Kleinasien auswandern und die schließlich ca. 200 v. Chr. von der Nachbarpolis Lyktos erobert und annektiert wird, s. S. Lauffer (Hrsg.), Griechenland. Lexikon der historischen Stätten (1989) 436 s. v. Milatos (H. Beister); H. Sonnabend in: DNP VIII (2000) 180 s. v. Miletos [3] (benannt nach dem Minoer Milatos). 217 Ephoros FGrHist 70 F 127 (4. Jh. v. Chr.); vgl. Prinz 107–111; Gorman a. O. 218 Die Tradition vom Kreter Milatos als mythischem Gründer Milets (vgl. etwa Paus. 7, 2, 5) läßt sich bis zu Herodoros von Herakleia FGrHist 31 F 45 (5. Jh. v. Chr.) zurückverfolgen; s. Sourvinou-Inwood (s. o. Anm. 109) 269 f. mit Anm. 149; Herda, Delphinios–Didymeus Anm. 309. 219 Vgl. Schol. Dion. Periheg. 825; dazu A. Herda, AA 2005, 243–294 bes. 288 f.; ders., Delphinios–Didymeus Kap. I mit Anm. 12; Kap. IX mit Anm. 309. Zu Kelados/Keladon als Gründerheros von Milet s. Herda, Apollon Delphinios 305–310. 439. 448. 220 Vgl. A. Herda, AA 2005, 255 f. Abb. 10; 288 f.; zur Lage jetzt auch H. Brückner u. a., From Archipelago to floodplain – geographical and ecological changes in Miletus and its environs during the past six millennia (We- stern Anatolia, ), Zeitschrift für Geomorphologie N. F., Suppl.-Vol. 142, 2006, 63–83. Die Verlandung des 68 Alexander Herda gebliche Neugründung durch die Minoer: Die Sied- rung bereits seit dem späten 3. oder frühen 2. Jt. v. lung auf dem Inselarchipel reicht mindestens in die Chr. rechnet224. zweite Hälfte des 4. Jts. v. Chr. zurück (Milet I, spä- Wie in Kap. V dargelegt, war Milet VI, das tes Chalkolithikum) und ist damit wesentlich älter Mil(l)awanda/Milawata der hethitischen Quellen, in als die minoische Kolonisation221. Der ältere Orts- der späten Bronzezeit eine mykenische Siedlung name dieser Siedlung dürfte verloren gegangen sein, und gehörte als ‘Brückenkopf’ im westlichen Klein- denn die angeblich älteren Namen, ‘Lelegeis’, asien zum Reich von Ahhijawa, dessen Kernbereich ‘Pityusa’ und ‘Anaktoria’ entpuppen sich als späte- in Festlandsgriechenland zu suchen ist. Die myke- re griechische Erfindungen222. Mit ihnen wurde an nisch kontrollierte Zone an der westkleinasiatischen die frühere, indigene Besiedlung des Ortes erinnert, Küste erstreckte sich von der milesischen Halbinsel wobei ein Teil der griechischen Schriftquellen schon im Norden wahrscheinlich bis zur Halbinsel von für die Zeit der minoischen Kolonisation die Anwe- Halikarnassos-Bodrum im Süden. Ende des 14. Jhs. senheit der Karer als Indigene vor Ort überliefert, v. Chr. eroberte dann Mur™ili II. Milet. Seit dieser die mit den Minoern zusammengelebt hätten223. Zeit lassen sich vereinzelt hethitische bzw. vorder- Dies ist zumindest nach dem schon angeführten Be- orientalische Einflüsse im archäologischen Befund fund der Sprachwissenschaft denkbar, die mittler- feststellen (s. u.), auch wenn der Charakter der Sied- weile in der Region südlich des Mäanders mit der lung bis ans Ende von Milet VI, ja sogar bis zum Anwesenheit einer Karisch sprechenden Bevölke- Ende der Bronzezeit (Milet VII = SH III C Früh

Archipels zu einer Halbinsel durch Bildung einer Sandbarre (Tombolo) erfolgte sehr wahrscheinlich in der spä- ten Bronzezeit, auf jeden Fall aber noch vor der Ionischen Migration; s. ebenda 76. 221 Zur Frühgeschichte des Siedlungsplatzes s. die Literatur o. Anm. 115. 222 Vgl. Gorman 14–20. Vor der Ankunft der Minoer hieß Milet laut Pausanias (7, 2, 5) ‘Anaktoria’ nach seinem indigenen Herrscher ‘Anax’. Doch Anaktoria ist offensichtlich eine griechische Ortsnamensbildung und leitet sich vom mykenischen Titel ‘wa-na-ka/wanaks’ für ‘König/Herrscher (des Palastes)’ ab (vgl. zu diesem Ventris – Chadwick 120–122. 409. 589). Der Titel Anax (zum Wegfall des anlautenden Digamma [vgl. z. B. auch #elikon > Helikon; s. o. Anm. 101], der typisch für den ionischen Dialekt ist und auch in der ‘homerischen Kunstsprache’ begegnet, M. Meier-Brügger, Die homerische Kunstsprache, in: Troia 232–244 bes. 234 f.) lebte als göttliche Epiklesis bzw. Kulttitel im historischen Griechisch weiter: s. etwa W. Burkert, Greek Religion (1985) 127 (Zeus). 212 (‘Anaktes’, Große Götter = Koureten, Dioskouroi, Kabeiroi?); vgl. Hom. Il. 20, 67 (Poseidon) etc. Man ver- gleiche dazu auch den Titel natr-, den Apollon im Karischen und Lykischen trägt und der möglicherweise auf griechisch ‘Anaktor’ zurückgeht (s. u. Kap. VIII mit Anm. 342). Zum Wechsel der Herrschaft vom mykenischen ‘Wanaks’ zum früheisenzeitlichen ‘Basileus’ s. allgemein Mazarakis Ainian (s. o. Anm. 78) 358–362; S. Deger- Jalkotzy, ‘Hier können wir Achäer nicht alle König sein’. Zur Geschichte des frühgriechischen Königtums, in: W. Leschorn u. a. (Hrsg.), Hellas und der griechische Osten, Studien zur Geschichte und Numismatik der griechi- schen Welt, Festschrift für Peter Robert Franke zum 70. Geburtstag (1996) 13–30; P. Carlier, Les basileis homériques sont-ils des rois?, Ktema 21, 1996, 5–22; vgl. o. Anm. 168. In Milet ist im übrigen ein Kult des Basileus Anax durch eine Altarweihung des 1./2. Jhs. n. Chr. nachweisbar: Herda, Apollon Delphinios 308 Anm. 2192; N. Ehrhardt in: P. Herrmann – W. Günther – N. Ehrhardt, Inschriften von Milet Teil 3: Inschriften n. 1020–1580, Milet VI 3 (2006) 190 f. Nr. 1304. Der Stifter, ein gewisser ”Alupoj, trägt einen lydischen(?) Namen: Vgl. Ehrhardt ebenda 180 zu Nr. 1289. – Plinius (nat. 5, 112) überliefert als ältesten Namen Milets ‘Lelegeis’, dann ‘Pityusa’ und ‘Anaktoria’. ‘Lelegeis’ ist offensichtlich von der Bezeichnung für die indigenen Leleger hergeleitet, die oft mit den Karern gleichgesetzt wurden. Zum Verhältnis Leleger-Karer vgl. den Beitrag von F. Rumscheid in diesem Band. – Der Name ‘Pityusa’ ist ebenfalls nicht vorgriechisch, etwa karisch (so aber Greaves 13), sondern bestes Grie- chisch und bedeutet ‘die mit vielen Pinien (p…tuj) Bestandene’; vgl. Liddell – Scott s. v. pituÒeij: “abounding in pine-trees”. Der Ortsname ist folgerichtig nicht von Zgusta, Ortsnamen in sein Verzeichnis aufgenommen: Eben- da 497 § 1066–4 mit Anm. 555 zum karischen Ortsnamen PisÚh. Hergleitet ist der Name ‘Pityusa’ für Milet wahrscheinlich aus Hom. Il. 2, 868, wo vom Fqirîn Ôroj ¢kritÒfullon (= Latmos; vgl. o. Kap. V mit Anm. 105) bei Milet die Rede ist. Den Namen dieses Gebirges leiteten die Homerscholien u. a. von fqeÜrej, ‘Pinienzapfen’, ab und erklärten ihn als ‘Gebirge, reich mit Pinien bestanden’; vgl. etwa Eustathius (ed. van der Valk) 368, 5–21 zu Hom. Il. 2, 868. Zur anderen, pejorativen Etymologie des Gebirgenamens (‘Läusegebirge’) s. Herda, Panionion–Melia Kap. IV mit Anm. 170; o. Kap. V mit Anm. 105. Weiterhin ist in der Milesia ein Demos der ‘Pitieis’ bzw. der ‘Piteis’ bezeugt (vgl. u. Anm. 298), dessen Name ebenfalls auf das griechische Wort p…tuj für ‘Pinie’ zurückgehen dürfte und nicht auf den karischen Ortsnamen PisÚh (so aber Laumonier 546 Anm. 1). 223 Locus classicus: Paus. 7, 2, 5. Minos vertreibt die Karer von den Inseln der Ägäis in Richtung des kleinasiatischen Festlandes: Thuk. 1, 4. 8; vgl. Herda, Panionion–Melia Anm. 176. 224 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 125. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 69

[ab 1200/1180 v. Chr.] bis SH III C Spät [1090/70– Untergang des mykenischen Reiches von Ahhijawa, 1060/40 v. Chr.]) im archäologischen Fundbild das bis dato mit den Hethitern um die Vorherrschaft überwiegend ‘mykenisch’ blieb und die mykeni- in Milawanda/Milawata und dem mittleren West- schen Griechen sogar um die Mitte des 13. Jhs. wie- kleinasien gestritten hatte. Für einen noch späteren der, wenn auch nur für kurze Zeit, die Kontrolle Zeitpunkt spricht allerdings der bereits angeführte über Milet zurückgewannen225. Befund des sogenannten Milawata-Briefes Tudhalijas Unsere hethitischen Quellen zu Milawanda bre- IV. an seinen Vasallen, vermutlich König Tarka™nawa chen im späten 13. Jh. v. Chr. ab. Erst wieder Ho- von Mira229. Die im Brief erwähnte Neuordnung der mer (8. Jh. v. Chr.) überliefert uns, daß Milet sich Grenzen von Milawata/Milawanda-Milet ca. 1230/20 zur Zeit des trojanischen Krieges in der Hand der v. Chr. impliziert die Kontrolle von Hattu™a und sei- barbarÒfwnoi K©rej, der “fremdsprachigen Karer” nem Vasallen Mira über die Küstenstadt und ihr Ter- befand, die auf Seiten der Trojaner gegen die myke- ritorium, das direkt an Mira grenzte (Abb. 4). In die- nischen Griechen kämpften226: Die karischen Fürsten ser Zeit (SH III B2, ca. 1230–1210 v. Chr.) erhielt die Nastes und Amphimachos, Söhne des Nomion227, Siedlung auch eine mächtige Befestigungsmauer mit sollen Milet, die Mykale, die Mäander-Mündung und vorgelegten Bastionen, deren Bauweise als ‘anato- das Gebirge der Phtirer (Latmos) beherrscht haben, lisch’ angesehen wird. Sie schützte nicht nur vor An- also genau den Bereich, in dem später Priene, Myous griffen vom Meer her, sondern auch von der Land- und Milet als ionische Städte an der Stelle älterer seite230. Kleinasiatischer Einfluß ist im vormals my- karischer Siedlungen neu gegründet wurden. kenisch dominierten Milawanda-Milet dann vor al- Folgt man Homer, müssen also die “fremdspra- lem seit dem letzten Drittel des 13. und im frühen 12. chigen Karer” schon in der späten Bronzezeit in der Jh. v. Chr. faßbar, als die Siedlung unter der direkten Region um Milet gesiedelt haben. Wahrscheinlich hat Kontrolle Hattu™as und seines luwischen Vasallen- sich hier die Erinnerung an ein karisches Kleinreich staates Mira stand. Neben der bereits angesproche- als Teil des Karki™a der hethitischen und ägyptischen nen Befestigung von Milet VI und hethitischen bzw. Quellen des 14. bis frühen 12. Jhs. v. Chr. erhalten, hethitisierenden Schwertern mit Griffdorn in der wie oben angedeutet228. Der früheste Zeitpunkt für sonst rein mykenischen Kammergrabnekropole am die Machtübernahme der Karer in Milawanda-Milet De%irmen Tepe231 ist vor allem auf das Rand- wäre das letzte Viertel des 13. Jhs. v. Chr. nach dem fragment eines lokal produzierten mykenischen

225 Vgl. die Literatur o. in Anm. 113; außerdem B. und W.-D. Niemeier, Milet 1994–1995. Projekt ‘Minoisch-mykeni- sches bis protogeometrisches Milet’: Zielsetzung und Grabungen auf dem Stadionhügel und am Athenatempel, AA 1997, 189–248; Niemeier, Sea Peoples (s. o. Anm. 158); ders., Milet in der Bronzezeit. Brücke zwischen der Ägäis und Anatolien, NüBlA 15, 1998/99, 85–100; ders., Milet: Knotenpunkt im bronzezeitlichen Metallhandel zwischen Anatolien und Ägäis?, in: Ü. Yalçin (Hrsg.), Anatolian Metals I, Der Anschnitt Beih. 13 (2000) 125–136; ders. in: Korfmann, Troia 47–56; ders., Westkleinasien 77–85; vgl. den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band. 226 Hom. Il. 2, 867–875. Zur Bedeutung von barbarÒfwnoi im Sinne von ‘fremdsprachig’ vgl. o. Anm. 108. 227 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 103. 228 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 120 ff. 229 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 150 f. 230 Zur SH-III-B2-zeitlichen Stadtmauer und ihrem Verlauf vgl. G. Kleiner, Der Stand der Erforschung von Altmilet, IstMitt 19/20, 1969/70, 113–123 bes. 114–116. 118 Abb. 1 (Vergleich mit Enkomi auf Zypern); W. Voigtländer, Zur Topographie Milets: ein neues Modell der antiken Stadt, AA 1985, 77–91 bes. 82. 87 Abb. 10; B. und W.-D. Nie- meier, AA 1997, 196 f.; Greaves 59–62 Abb. 2, 3–4; R. Hope Simpson, BSA 98, 2003, 215 f. (ebenda 216 weist er an- dererseits auf mykenische Vergleiche für die Mauer in Aghios Andreas/Siphnos und Ktouri/Thessalien hin). Vgl. zu- letzt W.-D. Niemeier in: Korfmann, Troia 53 mit Anm. 90, der die Mauer ins späte 13. Jh. v. Chr. datiert und mit den Hethitern verbindet (vgl. ders., Westkleinasien 83 mit Anm. 541; ders., Milet 15 mit Anm. 109; S. 17 f. [Adden- dum: “um 1200 v. Chr.”]). Demgegenüber vertritt Hope Simpson a. O. 215 f. 223 die Meinung, nicht die Hethiter, sondern die Mykener hätten die Mauern von Milet VI gebaut. Doch die Mykener haben zur Zeit des Mauerbaus, der etwa mit dem sogenannten Milawata-Brief Tudhalijas IV. (ca. 1237–1228 v. Chr.) zusammenfällt, keinen Einfluß mehr auf Milawata-Milet besessen. – Der Bau der Mauer von Milet VI ist m. E. auch ein Indiz für die veränderte geographische Situation: Der Archipel, auf dem die Siedlung ursprünglich gelegen hatte, ist in der späten Bronze- zeit zu einer Halbinsel verlandet (vgl. o. Anm. 220) und war so vom Festland aus leichter angreifbar geworden. 231 Vgl. W.-D. Niemeier, Mycenaeans and Hittites in War in Western Asia Minor, in: R. Laffineur (Hrsg.), Polemos: Le contexte guerrier en Égée à l’âge du bronze, Actes de la 7e Recontre égéenne internationale, Université de 70 Alexander Herda bzw. mykenisierenden Kraters der Stilstufe SH III duktion ‘mykenischer’ oder ‘mykenisierender’ Ke- B2/C1 (ca. 1210–1190 v. Chr.) hinzuweisen, das mit ramik im Milet südlich benachbarten Iasos als Hin- einer hethitischen Hörnerkrone und einem Vogel- weis auf eine mykenisch-kleinasiatische ‘Mischkul- kopf bemalt ist232. Falls die Deutung von W.-D. tur’ gewertet worden236, die auch in Milawanda- Niemeier zutrifft, bei dem Kopf handele es sich um Milet bestanden haben kann. den Rest einer hieroglyphen-luwischen Inschrift233, Die lokal produzierte, figürlich bemalte Ware wäre für Milet um 1200 v. Chr. der Gebrauch des des sogenannten Pictorial Style, die ein besonderes Hieroglyphen-Luwischen nachgewiesen234, und die Merkmal der spätmykenischen ‘ostägäischen Koine’ Inschrift träte neben die ca. 100 Jahre ältere hiero- in SH III C Früh bis Mittel darstellte237, wurde von glyphen-luwische Inschrift am Suratkaya im Lat- Milawanda-Milet aus bis in das ebenfalls hethitisch mos, die Miras Südwestgrenze mit Milawanda- dominierte nordsyrische Ras Shamra/Ugarit ver- Milet und Karki™a markierte235. handelt238. Der nach wie vor ‘mykenische’ Charak- Betreffs des archäologischen Fundbildes behielt ter im archäologischen Fundbild Milets auch in Zei- Milawanda-Milet aber auch in der Zeit hethitischer ten luwischer bzw. hethitischer Dominanz deutet Dominanz seinen überwiegend ‘mykenischen’ Cha- klar auf die Siedlungskontinuität einiger myke- rakter. Dieser äußerte sich zum einen in den – bis nisch-griechischer Bevölkerungsteile. Zu denken ist auf die Schwerterbeigaben – rein mykenischen Be- etwa an handwerkliche Spezialisten, aber auch die stattungen am De%irmen Tepe, zum anderen aber einfachere Bevölkerung. Eine Veränderung wäre auch in der nahezu ausschließlichen Produktion noch am ehesten in der herrschenden Elite zu er- und Verwendung von Keramik mykenischer Art. warten, die die neuen Machthaber ausgewechselt Eine ethnische Ausdeutung des Befundes ist daher haben könnten, doch die Elitegräber am De%irmen nur unter Vorbehalt möglich. So ist die lokale Pro- Tepe lassen bis auf die Beigaben der hethitischen

Liège, 14–17 avril 1998, Aegaeum 19 (1999) 141–156 bes. 153 f. Taf. 15 c; ders. in: Die Hethiter und ihr Reich. Das Land der 1000 Götter, Ausstellungskatalog Bonn – Berlin (2002) 298 Abb. 4; ders. in: Korfmann, Troia 53 mit Anm. 91; ders., Westkleinasien 83 mit Anm. 542 ff. Taf. 8, 6; ders., Milet 14 f. 232 C. Weickert, Die Ausgrabung beim Athena-Tempel in Milet, III. Der Westabschnitt, IstMitt 9/10, 1959/60, 63– 66 bes. 65 Taf. 72, 1 (als “Kultpfeiler?” angesprochen). – Die hethitische Hörnerkrone wurde zuerst erkannt von G. Buchholz, Ägäische Funde in Randgebieten des Mittelmeeres, AA 1974, 325–462 bes. 365 (nach Hinweis P. Hommel); vgl. C. B. Mee, Aegean Trade and Settlement in Western Anatolia, AnSt 28, 1978, 121–156 bes. 136; H. G. Güterbock, Hittites and Achaeans: A New Look, Proceedings of the American Philosophical Society 1984, 114–122 bes. 115. 233 Zuletzt ders. in: Korfmann, Troia 53 mit Abb. 6; ders., Westkleinasien 84 mit Anm. 556 ff. (dort mit dem Logo- gramm des Vatersnamens des Tarka™nawa von Mira auf Relief Karabel A [ebenda Taf. 8, 3] verglichen). 234 Zum Hieroglyphen-Luwischen vgl. jetzt J. D. Hawkins, Scripts and Texts, in: Luwians 128–169. Zur Verbreitung der Schriftdenkmäler vgl. ebenda 142 f. Karte 4 (das Kraterfragment aus Milawanda-Milet ist nicht berücksichtigt). – Zu einer möglichen hieroglyphen-luwischen Inschrift auf einer nordsyrischen Pferdestirnplatte des 9. Jhs. v. Chr. aus dem Athenaheiligtum in Milet, wohin sie im späten 8. Jh. v. Chr. geweiht worden sein dürfte, vgl. u. Anm. 308. 235 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 130. 236 Im spätbronzezeitlichen Iasos wird der hohe Anteil lokaler Produktion minoisierender und mykenisierender Ke- ramik neben Importen von den Inseln als Hinweis auf eine Mischbevölkerung gewertet; s. M. Benzi, Mycenaeans at Iasos? A Reassessment of Doro Levi’s Excavations, in: Laffineur – Greco (s. o. Anm. 113) 205–216 bes. 206; N. Momigliano, Iasos and the Aegean Islands before the Santorini Eruption, in: Ebenda 217–227 bes. 222; vgl. auch R. Hope Simpson, BSA 98, 2003, 215. 237. 237 Vgl. P. Mountjoy, AnSt 48, 1998, 54 mit Abb. 13. 15; dies., Miletos: A Note, BSA 2004, 189–200 bes. 199: “In 1998 I wrote ‘The pictorial style is a feature of the East Aegean in LH III C Middle and probably in LH III C Early, but there are no contexts to provide dates.’ It may be that Miletos can now provide a context.” Älterer Forschungsstand bei dies., Mycenaean Pottery. An Introduction (1993) 100–108; dies., Regional Mycenaean Decorated Pottery II (1999) 1080 Anm. 733. 238 P. Mountjoy, BSA 99, 2004, 189–200. – Aus Ugarit könnte dann umgekehrt auch eines der ‘hethitischen’ Griff- dorn-Schwerter aus der Nekropole am De%irmen Tepe stammen, denn in Ugarit wurde ein gutes Vergleichs- beispiel gefunden; vgl. C. F. A. Schaeffer, Mission de Ras Shamra VIII, Ugaritica III (1956) 277 f. Taf. 10; vgl. Nie- meier, Westkleinasien 83 mit Anm. 546. Benzi, Anatolia (s. o. Anm. 149) 384 f. Abb. 6, verweist außerdem auf ein Schwert gleichen Typus’ aus Kastania auf Samos, heute im British Museum. Er vermutet für den Typus wie an- dere vor ihm einen levantinischen Ursprung. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 71 bzw. hethitisierenden Schwerter keine Veränderung Shamra/Ugarit244. Nach dem Tatenbericht Ramses’ in der materiellen Kultur erkennen. Wurde die Eli- III. (ca. 1181–1151 v. Chr.) in Medinet Habu gingen te also, wie bei den Hethitern üblich, belassen und auch Mira-Arzawa und Hatti, das hethitische Groß- durch Vasalleneide neu gebunden?239 Zu fragen reich, unter245. In Festlandsgriechenland endete nach wäre in diesem Zusammenhang außerdem, inwie- Aussage der archäologischen Befunde das mykeni- weit die Elite in Milawanda-Milet nicht selbst Pro- sche Palastsystem246. dukt einer Vermischung mykenisch-griechischer Wie schon angedeutet, ist die Zerstörung von und kleinasiatischer Kulturen war. Es wurde ja be- Milet VI am ehesten mit der Eroberung durch die reits oben darauf hingewiesen, daß zu Zeiten myke- *Karka aus den benachbarten Karki™a-Ländern zu nischer Dominanz um die Mitte des 13. Jhs. v. Chr. erklären, die zumindest zu Teilen den sogenannten Atpa, der Fürst von Milawanda, die Tochter des Seevölkern zuzurechnen sind247. Zu diesem Ergeb- exilierten Prinzen Pijamaradu von Mira-Arzawa ge- nis kam 1970 schon Gerhard Kleiner, auch wenn er, heiratet hatte, der als Agent Ahhijawas und mit Un- wie unten noch zu zeigen ist, die archäologischen terstützung Milawanda-Milets während der Regie- Befunde im Hinblick auf eine karische Präsenz in rungszeit Hattu™ilis III. (ca. 1267–1237 v. Chr.) ge- Milet etwas überstrapazierte248. gen die Hethiter agierte240. Das Fürstenhaus von Die folgende Siedlungsphase Milet VII, das Milawanda-Milet wird also zumindest im späteren ‘karische’ Milet, dauerte ca. 150 Jahre. Sie umfaßt die 13. Jh. v. Chr. durch Heiratspolitik mit indigenen Keramikstufen SH III C Früh, Mittel und Spät (ca. Eliten gemischter Herkunft gewesen sein241. 1200/1180–1050/30 v. Chr.) und ging, wie es scheint, Kaum mehr als eine Generation später, schon ge- mit einer Zerstörung, allerdings ohne klaren Bruch gen 1200/1180 v. Chr. (= SH III C1 Früh), wurde die der Siedlungstätigkeit, in die submykenische und Siedlung Milet VI mit ihrer Befestigung durch einen protogeometrische Phase über, die mit der Ionischen großen Brand zerstört242. Diese Zerstörung fügt sich Migration verbunden wird (s. u.)249. in den Kontext der sogenannten Seevölkerstürme Eindeutig als karisch-indigen zu bezeichnende ein, die zu Beginn des 12. Jhs. v. Chr. die Region der Keramik aus Milet VII wurde bisher nicht vorgelegt. Ägäis und Westkleinasiens bis zur Levante und nach Die mykenische bzw. mykenisierende Keramik- Ägypten betrafen. Ihnen fiel nicht nur Troja VII a produktion läuft vielmehr in SH III C Mittel und zum Opfer243, sondern beispielsweise auch Ras Spät durch und mündet ohne einen evidenten Bruch

239 Vgl. etwa den Vasalleneid, den Atpa von Milawanda Hattu™ili III. nach der Vertreibung des Pijamaradu zu leisten hatte (s. o. Kap. V mit Anm. 147). 240 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 136; außerdem R. Hope Simpson, BSA 98, 2003, 215 mit Anm. 54; 231 Anm. 204; 237. 241 Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang, inwieweit der Name des Atpa nicht selbst auch kleinasiatisch ist. 242 Zum Zerstörungszeitpunkt vgl. anhand des Keramikbefundes W. Schiering, Die Ausgrabungen beim Athena- Tempel in Milet 1957, I. Südabschnitt, IstMitt 9/10, 1959/60, 4–30 bes. 5. 23–25. 29 f. Taf. 14–18; P. Hommel, II. Der Abschnitt östlich des Athenatempels, ebenda 31–62 bes. 37 f. 52 f. Taf. 49–51 (SM/SH III C allgemein); zu- letzt P. Mountjoy, BSA 99, 2004, 189–200 bes. 189–196 mit Anm. 62 (“transitional SH III B2 Spät/C1 Früh” oder SH III C Früh); Niemeier, Milet 16 mit Anm. 112 f.; vgl. ders. in seinem Beitrag in diesem Band. 243 Zum Zerstörungsdatum von Troja VII a vgl. o. Anm. 161. 244 Zur Zerstörung von Ugarit durch die Seevölker geben die dort gefundenen Schriftquellen einen terminus post quem von 1190/80 v. Chr. Er kann mit dem Keramikbefund, etwa Importen aus Milet der Stilstufe SH III C1 Früh, korreliert werden: Mountjoy a. O. 190. 245 Zum Untergang von Mira-Arzawa und Hatti vgl. o. Kap. V mit Anm. 153 f. 246 Vgl. W.-D. Niemeier in: Korfmann, Troia 53 mit Anm. 95: “Die Ursachen bildeten in beiden Fällen offensicht- lich mehrere Faktoren: innere Krisen, feindliche Angriffe, Naturkatastrophen.” Vgl. ders., Westkleinasien 85 mit Anm. 569 ff.; R. Jung, Die mykenischen Palastzentren und das mykenische Staatssystem, in: Yalc@n – Pulak – Slotta, Uluburun (s. o. Anm. 114) 265–274 bes. 273. 247 Vgl. o. Kap. V mit Anm. 157 f. 248 Die Karer werden verantwortlich gemacht für die Zerstörung von Milet VI etwa von G. Hanfmann, Ionia, Lea- der or Follower?, HSCP 61. 1, 1953, 1–37 bes. 5–8; G. Kleiner, IstMitt 19/20, 1969/70, 113–123 bes. 115 (die Karer werden von Kleiner zu den sogenannten Seevölkern gerechnet); vgl. Gorman 42. Zum Verhältnis der Karer zu den Seevölkern vgl. o. Kap. V mit Anm. 158. 249 Vgl. den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band [in dem allerdings abweichend kein Hinweis auf eine karische Eroberung gesehen wird, Anm. Red.]. 72 Alexander Herda im Submykenischen250. Die Karer sind also in Milet grundsätzliche Richtigkeit der Tradition von der bisher im archäologischen Befund nicht eindeutig kleinasiatischen Autochthonie der Karer sprechen isolierbar, was – allerdings nur mit Vorbehalt – in nicht zuletzt die Beobachtungen der Sprachwissen- die Richtung interpretiert werden könnte, daß be- schaft, die Michael Meier-Brügger zuletzt zusam- reits seit minoischer Zeit, zumindest aber in der menfassend analysiert hat: Die Vorfahren der histo- späten Bronzezeit, ein kultureller Assimilations- rischen Karer, die *Karka, haben sich bereits späte- prozeß zwischen luwischen und karischen Bevöl- stens im 2. Jt. v. Chr. in der Region des späteren kerungsteilen auf der einen und minoischen bzw. Karien in Südwestkleinasien niedergelassen, dem griechisch-mykenischen auf der anderen Seite ein- Karki™a der hethitischen und ägyptischen Quellen. gesetzt hat251. Das Karische entstammt wie etwa auch das Immerhin scheint aber der Machtwechsel einen Luwische, Lydische und Lykische der Familie des Teil der alten Elite betroffen zu haben: Die indo-europäischen ‘Urkleinasiatischen’255. Kammergrabnekropole am De%irmen Tepe252, die auch in Zeiten hethitischer bzw. luwischer Oberho- heit am Ende des 13. Jhs. v. Chr. weiter belegt wur- Die Ioner kommen. Karer und Ioner in de (s. o.), brach nach der Zerstörung von Milet VI Milet und der Milesia: Milet-Stadt mit Beginn von Milet VII ab253. Herodot überliefert uns, daß die Karer sich Bei Einsetzen der Ionischen Migration ab etwa selbst für Autochthone in Westkleinasien hielten der Mitte des 11. Jhs. v. Chr. (sogenannte submyke- und schon immer ‘Karer’ und nicht etwa ‘Leleger’ nische Keramikstufe)256 ist von der Anwesenheit der geheißen hätten. Im Widerspruch dazu stehe, so Karer in Milet257, in der Mykale, der unteren Herodot, die kretische Tradition, gemäß derer erst Mäanderebene und dem Latmos-Gebirge auszu- die Dorier und Ioner die Karer, die ursprünglich gehen, mithin im gesamten Gebiet Südioniens. Die- ‘Leleger’ geheißen hätten, von den Inseln auf das se Situation überliefert uns das homerische Epos. kleinasiatische Festland vertrieben hätten254. Für die Die späteren griechischen Quellen zur Ionischen

250 Vgl. B. und W.-D. Niemeier, AA 1997, 205 f.; Niemeier, Milet 16. 17 f. (Addendum); vgl. den Beitrag von W.-D. Nie- meier in diesem Band; M. Krumme, Geometrische Keramik aus Milet, in: B. Schmaltz – M. Söldner (Hrsg.), Griechi- sche Keramik im kulturellen Kontext, Akten des Internationalen Vasen-Symposions in Kiel 2001 (2003) 244 f. 251 Vgl. bereits Wilamowitz, Wanderung 74 (s. u. Kap. IX mit Anm. 442). W. Voigtländer in: Kolloquium zur Ägäischen Vorgeschichte, Mannheim 1986, Schriften des Deutschen Archäologenverbandes 9 (1987) 133 ff., nahm an, die Karer hätten schon in minoischer Zeit in Milet gesiedelt und seien bereits seit dieser Zeit dem kulturellen Einfluß der Minoer und anschließend demjenigen der Mykener ausgesetzt gewesen. Vgl. dazu den Befund auf Kömür Adas@ (u. Kap. VIII mit Anm. 384 f.) und die spätbronzezeitliche Nekropole von Asarl@k auf der Halbinsel von Halikarnassos-Bodrum, die eventuell über einen längeren Zeitraum von mykenischen Griechen und Karern genutzt wurde: Lemos 720 mit Anm. 56 ff. Einen gemischten Nutzerkreis nimmt Lemos 720 mit Anm. 59 auch für die Nekropole von Çömlekçi nordwest- lich von Asarl@k an. Zur möglichen Mischbevölkerung im Milet benachbarten Iasos vgl. o. Anm. 236. Zur Misch- bevölkerung im minoischen Milet der mittleren Bronzezeit (Milet III und IV) s. anhand des Keramikbefundes A. Raymond, Importing Culture at Miletus: Minoans and Anatolians at Middle Bronze Age Miletus, in: Laffineur – Greco (s. o. Anm. 113) 185–191 bes. 191. – Zu möglichen Kontakten zwischen Karern und bronzezeitlichen Minoern bzw. Mykenern in Milet vgl. T. R. Bryce in: Luwians 85: “Via Millawanda in particular, the Luwian-speaking peoples of western Anatolia probably developed close links with both the Minoan and the Mycenaean worlds.” Vgl. anhand des sprachwissenschaftlichen Befundes den Beitrag von M. Meier-Brügger in diesem Band. 252 Zu den elf Kammergräbern, nach der Keramik in SH III B/C (ca. 1300–1200/1180 v. Chr.) datiert, vgl. vorläufig etwa Niemeier, Sea Peoples (s. o. Anm. 158) 36 f. Photo 10–12; ders., Milet 14 f. mit Anm. 104 Taf. 5, 5; ders., Hittites and Ionians (s. o. Anm. 113) 13. 20 Abb. 34. 39 Farbtaf. 20–21. Zu den hethitischen bzw. hethitisierenden Schwertern aus den Gräbern vgl. o. mit Anm. 231. 238. 253 Vgl. zur Datierung des Belegungsendes auch P. Mountjoy, BSA 99, 2004, 199 f. 254 Hdt. 1, 171; vgl. Der Kleine Pauly III (1975) 118–121 bes. 119 s. v. Karer, Karia (A. Kammerhuber); DNP VI (1999) 271–275 bes. 272 s. v. Kares, Karia (H. Kaletsch); Gorman 17; R. Gagné, ClAnt 25.1, 2006, 19 f.; vgl. auch den Beitrag von F. Rumscheid in diesem Band. 255 Vgl. o. Anm. 125. 256 Zur submykenischen Keramik als Anzeiger der einsetzenden Ionischen Migration vgl. hier Anm. 33. 260. 257 Vgl. G. Kleiner, Alt-Milet (1966) 25. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 73

Migration bestätigen dies, denn sie berichten von 11. Jhs. v. Chr. mit dem Ende der Stilstufe SH III C den Kämpfen der griechischen Migranten mit den Spät in einer zumindest partiellen Zerstörung258. indigenen Karern. Gerade die Einheitlichkeit der Die Keramiksequenz wie auch die lokale Keramik- griechischen Überlieferung ist in diesem Punkt be- produktion in Milet weisen aber eine Kontinuität merkenswert und läßt den Schluß zu, daß man sich von SH III C über Submykenisch bis Protogeo- hier an tatsächliche Geschichte erinnerte. metrisch und Geometrisch auf, womit ein Sied- lungshiatus unwahrscheinlich wird259. Siedlung: Zunächst ist festzustellen, daß es kei- Als Anzeiger für die Ionische Migration wird ne klare Unterbrechung der Siedlungskontinuität neben der Zerstörung zumindest von Teilen der von der späten Bronzezeit zur frühen Eisenzeit in Milet-VII-Siedlung das erste Auftreten der submy- Milet gibt. So endete Milet VII, das – wie hier ver- kenischen260 bzw. protogeometrischen Keramik ge- treten – karisch dominiert war, gemäß W.-D. Nie- deutet. Für diese Zeit liegen bisher aus Milet noch meier nach ca. 150 Jahren Dauer um die Mitte des keine stratifizierten Siedlungsbefunde vor261.

258 Die Zerstörung ist bisher nur im Bereich des sogenannten Megarons nachweisbar; vgl. den Beitrag von W.-D. Nie- meier in diesem Band. 259 Vgl. etwa Krumme (s. o. Anm. 250) 244. – K. B. Gödecken meinte aufgrund von ihr vorgenommener Keramikanalysen feststellen zu können, daß die in Milet in der Bronzezeit verwendeten Tone und Tonmischungen noch bis in die ar- chaische Zeit in Gebrauch waren: Dies., A Contribution to the Early History of Miletus, in: E. B. French – K. A. Wardle (Hrsg.), Problems in Greek Prehistory. Papers presented at the Centenary Conference of the British School of Archaeology at Athens, April 1986 (1988) 307–318. Es erscheint allerdings fraglich, daß, wie Gödecken behauptet, die gesamte Keramik in Milet lokale Imitation griechischer Keramik darstellt, also keine Importe vorkommen, und daß die seit der Bronzezeit durchlaufende Produktion z. B. gegen die Ionische Migration (und den Import protogeometrischer Keramik) spräche; s. C. Morgan, Some Thoughts on the Production and Consumption of Early Iron Age Pottery in the Aegean, in: J. P. Crielaard u. a. (Hrsg.), The Complex Past of Pottery. Production, Circulation and Consumption of Mycenaean and Greek Pottery (16th – early 5th c. B.C.), Proceedings of the ARCHON International Conference, Amsterdam 1996 (1999) bes. 224. 228 f.; s. die nächste Anm.; vgl. kritisch zur angeblich ausschließlich lokalen ‘myke- nischen’ Ware Niemeier, Sea Peoples (s. o. Anm. 158) 34; Greaves 63. 260 W.-D. Niemeier verbindet jetzt im Anschluß an F. Schachermeyr, Griechenland im Zeitalter der Wanderungen. Vom Ende der mykenischen Ära bis auf die Dorier, Die Ägäische Frühzeit 4 (1980) 338–344. 358 f. 374–377; ders., Die griechische Rückerinnerung im Lichte neuer Forschungen (1983) 66 f. Abb. 7; 298–320 (griechische Expansion submykenischer Zeit im westkleinasiatischen Raum zwischen Milet und der Halbinsel von Halikarnassos noch vor Beginn der ‘Dorischen’ Wanderung) sowie Vanschoonwinkel 404. 513. 518 das erste Auftreten submykenischer Ke- ramik in Milet (von Niemeier ca. 1060/40–1040/00 v. Chr. datiert; vgl. zu dieser Keramik auch o. Anm. 33) nicht nur mit einem Siedlungskontinuum, sondern auch mit dem Beginn der Ionischen Migration: Vgl. den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band; außerdem Schilardi, Helike and Ionia (s. o. Anm. 98) 291–297; kritisch dazu Cobet 729 f. mit Anm. 2 ff. – Zu Fundorten submykenischer Keramik in Kleinasien vgl. den älteren Forschungsstand bei Vanschoonwinkel 166–169; P. A. Mountjoy, Mycenaean Pottery. An Introduction (1993) 176 mit Karte Abb. 405; zur Datierung vgl. dies., AnSt 48, 1998, 46 f. Table 1. Submykenische Keramik wurde in Ionien außerdem in den letzten Jahren in Klazomenai (G. Bak@r – Y. Ersoy u. a., 2000 Klazomenai Kaz@s@, in: 23. KST Ankara 2001 I [2002] 41–54 bes. 41–45 Abb. 1–5), Ephesos (M. Büykkolanc@, Apa™a, das alte Ephesos und Ayasoluk, in: Frühes Ionien 21– 26; Kerschner 364 mit Anm. 5) und in Kad@ Kalesi südlich von Kuºadas@ entdeckt (Z. Mercangöz, Kuºadas@ Kad@ Kalesi Kaz@s@ 2001 Çal@ºmalar@, in: 24. KST Ankara 2002 II [2003] 125–137 bes. 128. 136 f. Abb. 58). In Karien tritt sie in den Nekropolen von Asarl@k und Çömlekçi sowie in Stratonikeia auf; s. Lemos 720 f. mit Anm. 56. 59. 65. 261 Vgl. zuletzt Kerschner 364. W. Voigtländer, AA 1985, 85, vermutete, das Fehlen protogeometrischer Wohn- horizonte könne zumindest in einigen Fällen dadurch erklärt werden, daß sich die Siedler in den Ruinen des 13. und 12. Jhs. v. Chr. eingerichtet hätten. – Dazu vergleiche man jetzt den Befund in Troja: Das Troja VIIa-zeitli- che (13. Jh. v. Chr.) sogenannte Terrassenhaus im westlichen Unterstadtviertel wurde nach seiner partiellen Zer- störung am Ende von Troja VII a (ca. 1190/80 v. Chr.; vgl. dazu o. Anm. 161) in den folgenden Phasen Troja VII b 1–3 (SH III C – spätprotogeometrisch, 11.–10. Jh. v. Chr.) zumindest partiell weiter als Siedlungsplatz genutzt, es gibt also in Troja wie vermutlich auch in Milet keinen Siedlungshiatus zwischen SH III B/C Früh und protogeometrischer Zeit, vielmehr war die Siedlung durchgehend bis in die historische Zeit besiedelt; s. R. Becks – P. Hnila – M. PieniÖ¿ek-Sikora, Troia in der frühen Eisenzeit – Troia VIIb 1–VIIb 3, in: Korfmann, Troia 181– 188; R. Becks – W. Rigter – P. Hnila, Das Terrassenhaus im westlichen Unterstadtviertel von Troia, StTroica 16, 2006, 27–88 bes. 69 f. mit Anm. 343; 76 f. 80. Zur Siedlungskontinuität von Troja zwischen SH III B/C Früh und protogeometrischer Zeit vgl. mit etwas abweichender Phaseneinteilung D. Hertel, Troia. Archäologie, Geschich- te, Mythos (2001) 80–88; ders., Die Mauern von Troia. Mythos und Geschichte im antiken Ilion (2003) 86–93. 186–191; ders., Protogeometrische, subgeometrische und geometrische Keramik Troias aus den Grabungen Schlie- 74 Alexander Herda

Auffällig ist, daß in Milet Teile der lokal produ- kale Produktion protogeometrischer Keramik star- zierten protogeometrischen Keramik euboiisch- ke Affinitäten zu Attika aufweist266. Auch für thessalischen262 oder attischen Vorbildern sehr nahe Ephesos ist ein attisch-ionischer Gründer, nämlich stehen. Zwei kleine früh- bis mittelprotogeometri- Androklos, überliefert. Pausanias zufolge soll sche Kännchen (1. Hälfte 10. Jh. v. Chr.), die unter Androklos die indigenen “Leleger und Lyder, die einem spätgeometrisch datierten Haus beim die obere Stadt (t¾n ¥nw pÒlin) innehatten” (ge- Athena-Tempel zu Tage kamen (Abb. 6), wurden meint sein dürfte die ursprünglich arzawisch- sogar als attische Importe angesprochen263. Natur- luwische Siedlung auf dem Ayasoluk-Berg) mit Ge- wissenschaftliche Analysen, die dies bestätigen walt vertrieben haben. Ein Teil von ihnen, nämlich könnten, stehen meines Wissens noch aus. Bestätig- derjenige, der zum eigenen Schutz direkt um das te sich der attische Import, stünde dieser Befund in Heiligtum der Artemis siedelte, schloß allerdings auffälliger Übereinstimmung mit der bis in die ar- mit den zugewanderten Griechen Verträge und chaische Zeit zurückzuverfolgenden Überlieferung, durfte bleiben267. daß die protogeometrischen Siedler in Milet unter Diese Tradition, in der sich die Möglichkeit ei- der Führung des Neileos von Athen her nach Klein- nes Akkulturationsprozesses zwischen ‘Ionern’ und asien gelangten264. indigenen ‘Lelegern’ bzw. ‘Lydern’ andeutet, ist zu- Ein vergleichbarer Keramikbefund bietet sich gegebenermaßen erst spät überliefert. M. Kerschner jetzt im Artemision von Ephesos. Dort konnten macht jedoch auf den interessanten Befund auf- Michael Kerschner und Hans Mommsen durch merksam, daß der von ihm untersuchte protogeo- archäometrische Beprobung erstmals in einer der metrische Opferkomplex aus dem Artemision von ionischen Poleis in Kleinasien attisch-protogeo- Ephesos ca. 4 bis 5 % handgetöpferte Gefäße prähi- metrische Importe naturwissenschaftlich nachwei- storischen Typs aus indigener Produktion aufweist. sen265. In Ephesos zeigt sich wie in Milet, daß die lo- Er denkt daher an einen “indigenen Anteil unter

manns und Dörpfelds, in: B. Rückert – F. Kolb (Hrsg.), Probleme der Keramikchronologie des südlichen und westlichen Kleinasien in geometrischer und archaischer Zeit, Internationales Kolloquium Tübingen 1998 (2003) 91–138 bes. 118–127; ders., Der aiolische Siedlungsraum (Aiolis) am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit, in: Frühes Ionien 97–122 bes. 104–106; vgl. dazu auch u. Anm. 318. – Hertel a. O. läßt Troja VIII, das von ‘aiolischen’ Griechen kolonisierte Troja, schon in Phase Troja VII b 3 (frühprotogeometrisch, ca. 1020–950 v. Chr.) begin- nen, das spätbronzezeitliche Troja endet seiner Meinung nach in Phase VII b 2 mit einer Zerstörung, der sich ohne Unterbrechung die protogeometrische Besiedlung anschließe. 262 Euboiisch-thessalisch: Krumme a. O. 244 f. mit Abb. 45 (protogeometrischer [?] Skyphos mit konzentrischen Kreisen, die Schachbrettmuster aufweisen); vgl. Lemos 718 f. mit Anm. 47. 49 zu Kraterfragmenten, die direkte Parallelen in Lefkandi/Euboia finden: z. B. P. Hommel, IstMitt 9/10, 1959/60, Taf. 51, 4 (Krater). 263 Ebenda 38 Taf. 53, 1–2; zur Datierung in mittelprotogeometrische Zeit (ca. 1000–950 v. Chr.) vgl. jetzt Lemos 719 mit Anm. 52. Zur attischen und attisierenden protogeometrischen Keramik in Milet s. J. N. Coldstream, Greek Geometric Pottery (1968) 265 ff. 337 f. 346 f.; V. R. d’A. Desborough, The Last Mycenaeans and their Successors. An Archaeological Survey c. 1200 – c. 1000 B.C. (1964) 163. 233. 254. 269; ders., The Greek Dark Ages (1972) 83. 179 ff. 354 f.; A. M. Snodgrass, The Dark Age of Greece (1971) 66 ff.; F. Schachermeyer, Die ägäische Frühzeit IV (1980) 274 ff. 264 Kritisch dagegen Cobet 730 mit Anm. 5 ff.; vgl. Lemos 721 mit Anm. 68, die darauf hinweist, daß die protogeometrische Keramik in Milet neben attischen vor allem starke euboiische Einflüsse zeige. Vgl. auch Krum- me (s. o. Anm. 262). 265 M. Kerschner, Zum Kult im früheisenzeitlichen Ephesos. Interpretation eines protogeometrischen Fundkomplexes aus dem Artemision, in: Schmaltz – Söldner (s. o. Anm. 250) 246–250 bes. 246; vgl. Kerschner 364–382 bes. 370. 372. – Die Zweifel von F. Iº@k, Zu den Anfängen ionischer Architektur, in: E. Schwertheim – E. Winter (Hrsg.), Neue Forschungen zu Ionien, Fahri Iº@k zum 60. Geburtstag gewidmet, Asia Minor Studien 54 (2005) 21–42 bes. 30 f., an der Verläßlichkeit der naturwissenschaftlichen Herkunftsbestimmung sind m. E. unbegründet. Sie sollten vielmehr dem von ihm stattdessen als verläßlichen Herkunftsnachweis angesehenen ‘Landschaftsstil’ entgegengebracht wer- den; s. F. Lang, Klassische Archäologie. Eine Einführung in Methode, Theorie und Praxis (2002) 184–194. 266 Kerschner, Kult a. O. 246 mit Taf. 40; vgl. Kerschner 372. 267 Paus. 7, 2, 6–8. Die Aussage des Pausanias, nach der die älteste indigene Siedlung von Ephesos hochgelegen und nicht weit vom Artemision zu suchen ist, paßt bestens mit der seit der späten Bronzezeit befestigten Siedlung auf dem Ayasoluk-Berg zusammen. Hierbei handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Akropolis von Aba™a, der Hauptstadt von Arzawa-Mira. Zu den dortigen Funden vgl. o. Anm. 117. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 75

Abb. 6 Milet. Zwei mittelprotogeometrische, attische(?) Kännchen (ca. 1000–950 v. Chr.) aus dem Bereich des Athena-Heiligtums den Kultanhängern im früheisenzeitlichen Artemi- bekannt gewesen sein, denn Artemis, deren Name sion”268. Für eine solche Interpretation könnte auch lydisch Artimus lautete, geht wahrscheinlich auf die der religionsgeschichtliche Befund sprechen: Der hi- bronzezeitliche, luwisch-hethitische Jagd-Göttin storische Kult der Artemis Epheseia trägt indigene, dKAL*Hartka-muwa-, “Bärenmut”, zurück, wie vielleicht noch ‘luwisch’-bronzezeitliche Elemente in auch Apollon und die Mutter der Zwillinge, Leto, sich269, die auf die Entstehung eines synkretisti- aus dem bronzezeitlichen Kleinasien stammen dürf- schen270 Kultes in Ephesos in protogeometrischer ten272. Zudem handelt es sich bei Ephesos um die alte Zeit hindeuten. Dies ist umso wahrscheinlicher, als Hauptstadt Aba™a des spätbronzezeitlichen luwi- Artemis in Griechenland bereits in der Spät- schen Reiches von Arzawa, das dann nach ca. 1316 v. bronzezeit durch Linear-B-Texte aus Pylos als a-te- Chr. in dem Nachfolgestaat Mira aufging. Sarah P. mi-to/a-ti-mi-te bezeugt ist271, die protogeometri- Morris und ihr folgend Manfred Hutter vermuten, schen Siedler den Kult also nach Kleinasien mitge- daß die Schutzgöttin des bronzezeitlichen Aba™a in bracht haben können. Dort dürfte er allerdings schon der historischen Artemis Epheseia aufgegangen ist273.

268 Kerschner, Kult a. O. 228–249 Taf. 39, 3 Nr. 2–4; vgl. Kerschner 370 f. 373. 269 Vgl. W. Burkert, Die Artemis der Epheser: Wirkungsmacht und Gestalt einer großen Göttin, in: H. Friesinger – F. Krinzinger (Hrsg.), 100 Jahre Österreichische Forschungen in Ephesos, Akten des Symposions Wien 1995 (1999) 59– 70; vgl. jetzt auch S. P. Morris, The Prehistoric Background of Artemis Ephesia. A Solution to the Enigma of Her ‘Breasts’?, in: U. Muss (Hrsg.), Der Kosmos der Artemis von Ephesos, ÖAI Sonderschrift 37 (2001) 135–151; M. Hutter, Aspects of Luwian Religion, in: Luwians 211–280 bes. 268 f.; vgl. o. Kap. V mit Anm. 117 f. 270 Zu sprechen wäre hier von einem ‘Kontaktsynkretismus’ wie im Falle der Hera von Samos vermutet (s. o. Kap. VII mit Anm. 193 f.). 271 Py 167 = PY Es 650, 5; PY Un 219, 5; vgl. Ventris – Chadwick 127; W. Burkert, Greek Religion (1985) 45. 149; The Oxford Classical Dictionary3 (1996) 182–184 s. v. Artemis (C. Sourvinou-Inwood). 272 Zu Artemis vgl. jetzt E. L. Brown, In Search of Anatolian Apollo, in: A. E. Chapin (Hrsg.), CARIS. Essays in Honor of Sarah A. Immerwahr, Hesperia Suppl. 33 (2004) 243–257 bes. 250–255; vgl. unabhängig auch R. S. P. Beekes, The Origin of Apollo, Journal of Ancient Near Eastern Religions 3, 2003, 3–21 bes. 16. 20; s. auch u. Text mit Anm. 332–344 zu Apollon und Text mit Anm. 407 zu Leto. 273 Morris a. O.; M. Hutter in: Luwians 268 f. – Im Artemision von Ephesos selbst ist eine Kultkontinuität bis in die Spätbronzezeit bisher nicht sicher nachgewiesen. Unter den protogeometrischen und geometrischen Schichten im Bereich des Artemis-Tempels liegt jedoch noch eine spätbronzezeitliche Schicht. Aufgrund des hohen Grund- wasserstandes konnte sie bisher nicht ausreichend untersucht werden; s. Kerschner 369. 76 Alexander Herda

Ein mit Ephesos vergleichbarer Befund, der die auf zahlreichen Reliefs sowie bei freiplastischen Ter- gleichzeitige Nutzung einheimisch-westkleinasia- rakotten und Steinskulpturen aus Milet und Didyma tischer und griechisch-protogeometrischer Keramik dargestellt ist276, karische Trachtelemente widerspie- zeigen kann, liegt in Milet bisher nicht vor. Die geln. Wie bereits angeführt, bezeugt Herodot ja die durch die späteren literarischen Quellen bezeugte ursprünglich karische Herkunft der milesischen karisch-griechische Mischbevölkerung läßt sich da- Frauen277. Es ist wieder der ‘Graeco-Karer’278 Hero- her im Bild der Keramik vorerst nicht ausmachen. dot, der uns weiterhin überliefert, die (ost)ionische Ebensowenig finden sich Hinweise auf den be- Art der Frauenbekleidung, die in Athen erst im 6. Jh. reits mehrfach thematisierten karischen Ursprung v. Chr. eingeführt wurde279, nämlich der ohne Fibeln der milesischen Frauen274. Insbesondere von den getragene, “leinene Chiton”, sei “früher einmal nicht noch zu entdeckenden früheisenzeitlichen Nekropo- ionisch gewesen, sondern karisch”280. In diesem Zu- len Milets ist jedoch Aufschlußreiches zu erwarten, sammenhang ist es bemerkenswert, daß die spät- etwa im Hinblick auf abweichende Beigabensitten archaischen karischen Grabsteine im ägyptischen und Trachtausstattungen der Männer- und Frauen- Saqqâra, die Karerinnen darstellen281, diese im iko- gräber275. nographischen Schema zeitgleicher milesischer bzw. Immerhin wäre zu überlegen, ob sich nicht in der ostionischer Frauendarstellungen abbilden und die so typischen Chiton- und Schleiertracht der milesi- Gesichtsprofile denen milesischer Frauendarstellun- schen ‘ionischen’ Frauen in archaischer Zeit, welche gen gleichen282.

274 Vgl. o. Kap. III mit Anm. 58 ff. 275 Zur Auswertung von archäologischen Funden, etwa auch Grabfunden, im Hinblick auf Ethnizitäten vgl. hier Anm. 10; Kap. X mit Anm. 444 f. 276 Vgl. etwa K. Tuchelt, Die archaischen Skulpturen von Didyma. Beiträge zur frühgriechischen Plastik, IstForsch 27 (1970) Taf. 39 (stehende Kore K 41). 59–61 (weibliche Sitzstatuen K 60. 61. 63). 72–75 (Säulenrelieffiguren K 75–81); K. Karakasi, Archaische Koren (2001) 35–53 Taf. 31–49. 277 Hdt. 1, 146; vgl. Paus. 7, 2, 5–6. 278 Mit dieser Bezeichung, die analog zu Begriffen wie etwa ‘graeco-skythisch’ gebildet ist, soll ausgedrückt werden, daß Herodot, der aus dem stark ionisch beeinflußten ‘dorischen’ Halikarnassos stammte und Kind einer Mischehe zwi- schen einer Griechin und einem Karer war, bestens mit beiden Kulturen vertraut war; vgl. Suidas s. v. `HrÒdotoj; PanÚasij; zu Herodot: RE Suppl. 2 (1913) 205–520 bes. 209–213 s. v. Herodotos [7] (F. Jacoby); Der Kleine Pauly II (1967) 1099–1103 s. v. Herodotos [1] (W. Pötscher); DNP V (1998) 469–475 s. v. Herodotos [1] (K. Meister). Jacoby a. O. 211 sprach die ethnisch gemischte Bevölkerung von Halikarnassos als “karisierte Dorer” an, deren in den erhaltenen Inschriften erkennbarer Dialekt eine “Tendierung nach Ionien” aufweise; vgl. o. Kap. III mit Anm. 64. – Zum karischen Namen von Herodots Vater Lyxes (vgl. Steph. Byz. s. v. QoÚrioi), der im 5. und 4. Jh. v. Chr. in Halikarnassos auch epigraphisch bezeugt ist, vgl. Zgusta, Personennamen 275 f. § 836 LÚxhj; Blümel, Personen- namen 18 s. v. Luxhj; F. Kammerzell, Studien zur Sprache und Geschichte der Karer in Ägypten (1993) 61. 279 Als älteste attische Korenstatue mit ionischem Chiton wird die sogenannte Lyoner Kore angesehen (ca. 550/40 v. Chr.): Karakasi a. O. 127–129 Taf. 130–132. 239. 280 Hdt. 5, 87, 3–88, 1; dazu Herda, Neileos 28 f.; DNP VI (1999) 272 s. v. Kares, Karia (H. Kaletsch). Nach Jacoby a. O. 211 wird hier wie noch an anderen Stellen seines Werkes die anti-ionische Haltung Herodots deutlich; vgl. o. Kap. III mit Anm. 61 ff. 281 Vgl. U. Höckmann, ‘Bilinguen’. Zu Ikonographie und Stil der karisch-ägyptischen Grabstelen des 6. Jhs. v. Chr., in: Höckmann – Kreikenbom (Hrsg.) (s. o. Anm. 162) 217–232 Taf. 36–40; F. Kammerzell, Die Geschichte der karischen Minderheit in Ägypten, in: Ebenda 233–255 Abb. 12, 1–2; 13, 1–4. 282 Dargestellt sind sowohl verheiratete Frauen, kenntlich am Haarschleier (Höckmann a. O. Taf. 36 f. 40), als auch unverheiratete ‘Korai’, die das Haar offen tragen (Höckmann a. O. Taf. 38 f.: die Tote und zwei der Trauernden; Taf. 40: die Tote und die hinter ihr in der Mitte stehende Trauernde). – Höckmann a. O. 223 nimmt für die Grabstelen, die sie in die zweite Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. datiert, an, sie seien von karischen Bildhauern gefertigt. Dafür sprechen nicht nur die karischen Inschriften, sondern auch Elemente der Ikonographie, etwa die trauern- den Männer, die sich mit Messern die Gesichter verletzen (nach Hdt. 2, 61 Brauch der Karer in Ägypten; vgl. Höckmann a. O. 221. 223 Taf. 39 f.: Jeweils hinter dem aufgebahrten Toten stehend hält ein Mann ein Messer vor dem Gesicht), oder auch die beigestellten Tische mit Lebensmitteln darauf, die keine Parallelen in der ägyptischen oder griechisch-ionischen Grabikonographie besitzen (Höckmann a. O. 221 f. Taf. 39 f.), wohingegen Höckmann die Darstellung von Ehepaaren als von ägyptischen Vorbildern inspiriert anspricht (Höckmann a. O. 227). Höckmann a. O. 223 geht davon aus, die in Ägypten arbeitenden, karischen Bildhauer der Stelen hätten sich in ihrem Stil südionischen, speziell milesischen Werken angepaßt, wie dies auch für die Bildhauerkunst in Karien Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 77

In historischer Zeit können spezifisch karische Der bisher früheste epigraphisch belegte karische Personennamen einen wichtigen Anzeiger für die Name in Milet ist Massarabij286. Er war der Vater Anwesenheit von Karern in Milet bilden. Sie begeg- des Dionysios, des eponymen Aisymnetes-- nen seit klassischer Zeit in Inschriften283. Allerdings phoros des Jahres 459/58 v. Chr. Der im griechischen läßt sich in den wenigsten Fällen entscheiden, ob es Alphabet geschriebene karische Personenname sich um in Milet selbst tradierte Namen handelt ‘Massarabis’ lautet ins Griechische übersetzt ‘Dio- oder um Karer, die aus dem karischen Hinterland nysios’. Demnach trug der Sohn den gräzisierten Na- zuwanderten. men des Vaters. Dessen theophorer Name wiederum Das früheste Auftreten eines karischen Namens ist von dem karischen Gott Masaris herzuleiten, der in Milet ist literarisch bezeugt: So hieß der Vater des mit dem griechischen Dionysos gleichgesetzt wur- Philosophen Thales, der um die Mitte des 6. Jhs. v. de287. Zwei Beobachtungen ergeben sich aus diesem Chr. starb, Examyes284. Da die Mutter des Thales, Befund: Zum einen liegt durch das Vorkommen des Kleobouline, aus dem alten milesischen Geschlecht karischen theophoren Namens Massarabis ein indi- der Thelidai stammte, das sich auf boiotische Ur- rekter Nachweis für den Kult des Dionysos Masaris sprünge zurückführte285, könnte eine Mischehe zwi- im Milet der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. vor288, zum an- schen einem zugewanderten(?) Karer und einer deren ist eindrücklich belegt, daß es assimilierten, Griechin vorgelegen haben. Es ist allerdings auch ‘gräzisierten’ Karern zu dieser Zeit möglich war, in- nicht auszuschließen, daß Examyes ein gebürtiger nerhalb von nur zwei Generationen bis zum höch- Milesier karischer Abstammung war. sten aller öffentlichen Ämter in Milet aufzusteigen289.

selbst festzustellen sei (vgl. ebenda 219). – In diesem Zusammenhang ist auch die in der Tracht (Chiton und Chlamys) vergleichbare Darstellung des unterworfenen Karers und Ioners auf dem Grabmal Dareios’ I. (522–486 v. Chr.) in Naqsh-e Rostam zu nennen, die als Hinweis auf die “frühe Hellenisierung” der Karer gewertet wurde: s. o. Anm. 120. – Vgl. dazu auch den Beitrag von H. Klinkott in diesem Band [Anm. Red.]. 283 Vgl. W. Blümel, Die Erforschung des Karischen, in: Frühes Ionien 429–436. – Zu karischen Personennamen vgl. neben Zgusta, Personennamen, vor allem Blümel, Personennamen; ders., Verteilung (s. o. Anm. 190); vgl. jetzt auch Ehrhardt, Bevölkerung 81–89. 284 Diog. Laert. 1, 28 ff. Zu Examyes vgl. Zgusta, Personennamen 164 § 340-2 s. v. ’ExamÚhj; Blümel, Personennamen 13 s. v. Examuhj. 285 Zur aus Boiotien stammenden Patria der Thelidai, der Thales wahrscheinlich über seine Mutter angehörte, vgl. u. Text mit Anm. 300 ff. 286 Kawerau – Rehm 254 ff. Nr. 122 Col. I 65 DionÚsioj Massar£bioj (das von Rehm errechnete Datum muß aller- dings nach den Überlegungen von E. Cavaignac, RevEtHist 90, 1924, 311–314, um drei Jahre nach unten korri- giert werden; vgl. dazu P. Herrmann in: Rehm – Herrmann [s. o. Anm. 46] 166 zu Nr. 122); zum Namen vgl. Blümel, Personennamen 19 s. v. Massarabij; Hall, Hellenicity 102. 287 Zgusta, Personennamen 302 § 880-2 s. v. Massarabij; danach Blümel a. O. Beide weisen auf eine Glosse bei Stephanos von Byzanz zur karischen Stadt : M£staura: ... kaˆ par¦ Karsˆn Ð DiÒnusoj M£sarij œnqen ™kl»qh ... Es ist m. E. naheliegend, daraufhin den karischen Namen Massarabis mit griechisch ‘Dionysios’ zu über- setzen. Der Name ‘Dionysodotos’ bzw. ‘Dionysodoros’ z. B. hätte im ins Griechische transkribierten Karischen Massarabimoj gelautet, das folgt jedenfalls aus der theophoren Personennamens-Bildung Neterbimoj (= Apollo- dotos) in Kaunos: Vgl. u. Anm. 404. 288 Bisher ist der Kult durch Stephanos nur für das an der Grenze zu Karien zwischen Nysa und Anineta liegende südlydische Mastaura bezeugt; vgl. Laumonier 509. 718. Nach dem lokalen Mythos, den Stephanos wiedergibt, wurde das Dionysoskind in Mastaura von Ma-Rhea vor Hera verborgen und im Auftrage des Zeus großgezogen. Der karische Name des Dionysos, ‘Ma-saris’, leitet sich nach diesem Mythos von Ma (= Meter) ab (danach z. B. Laumonier a. O. 723), ebenso wie der Ortsname Mas-taura (von Ma = Meter und Tauros, ‘Stier’ = das beliebteste Opfertier im Kult der Rhea-Ma). Diese von Stephanos gegebenen Informationen sind keinesfalls “wertlos” (so aber Zgusta, Ortsnamen 373 § 788 s. v. M£staura). Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf eine der antiken Etymologien des Namens Dionysos, die den Gott mit dem Mastaura benachbarten Ort Nysa zusammenbringt (vgl. eine ältere Übersicht in: Der Kleine Pauly II [1967] 77 ff. s. v. Dionysos [W. Fauth]): Sie hält Dionysos für den Sohn des Zeus (‘Dios’) und das ‘Ge- genstück’ zu den Baumnymphen (‘Nysai’); s. M. L. West, Hesiod. Works and Days (1978) 373–375. 289 Der Wille zur Assimilation wird in erster Linie durch die Aufgabe der karischen und die Annahme griechischer Namen deutlich. Dieses Phänomen läßt sich etwa auch in den griechischen Kolonien im nördlichen Schwarzen Meer beobachten, die einen hohen Anteil an autochthonen Kleinasiaten (Phryger, Paphlagonier, Lyder, Karer, Lykier etc.) aufwiesen: S. R. Tokhtas’ev, Tomb Stone of the Sons of Attes from Myrmekion, AncCivScytSib 12, 2006, 183–192 bes. 189 f. 78 Alexander Herda

Fraglich ist, ob der Vater Massarabis bereits ein fast ausnahmslos griechische Namen trug290, von gebürtiger Milesier karischer Abstammung war wie Pedasa nach Milet umgesiedelt291. dann sein Sohn Dionysios. Vorstellbar wäre auch, Ebenfalls noch ins 5. Jh. v. Chr. gehört eine daß es sich bei ihm um einen Ende des 6. oder An- Grabinschrift aus der Nekropole Milets, die einen fang des 5. Jhs. v. Chr. aus dem lydisch-karischen Androsswj aus Halikarnassos bezeugt292. In helleni- Hinterland (z. B. Mastaura?) zugezogenen Karer stischer Zeit begegnet in Milet der männliche Name handelte, der auch den Kult des (Dionysos) Masaris Adaj293. Sein weibliches Pendant Ada ist sogar noch in nach Milet gebracht haben könnte. Zu erinnern ist einer Toposinschrift des 2. Jhs. n. Chr. aus dem Thea- in diesem Zusammenhang an die Übergabe von Tei- ter belegt294. Insgesamt sind karische Namen in Milet len des milesischen Territoriums im Grion-Gebirge aber selten. In den meisten Fällen muß damit gerech- an die Karer aus der ehemals lelegischen Siedlung net werden, daß es sich um Zuwanderer handelte295. Pedasa nahe Halikarnassos durch die Perser, nach- Zu nennen sind schließlich innerhalb der mile- dem diese Milet 494 v. Chr. erobert hatten (Hdt. 6, sischen Bevölkerung noch Gruppen, deren Bezeich- 20). Die Karer gründeten daraufhin im Grion eine nungen auf nichtgriechische, etwa karische Her- eigene Siedlung Pedasa/Pidasa, die erst zwischen kunft hindeuten. So z. B. die Landbevölkerung der 188/87 und 178/77 v. Chr. eine Sympolitie mit sogenannten Gergithes, die verschiedentlich als Milet einging. In deren Verlauf wurde die Bevölke- karische Urbevölkerung in der Milesia archaischer rung, die zu diesem Zeitpunkt im übrigen bereits Zeit angesprochen wurden296. Ihre historische Exi-

290 Vgl. Ehrhardt, Bevölkerung 84. 291 Vgl. zu den beiden Pedasa/Pidasa im Grion und bei Halikarnassos o. Anm. 173 und den Beitrag von F. Rumscheid in diesem Band. Zum Sympolitie-Vertrag vgl. A. Rehm in: Kawerau – Rehm 350–357 Nr. 149; P. Herrmann in: Rehm – Herrmann (s. o. Anm. 46) 184 f. Nr. 149 mit deutscher Übersetzung; Herda, Apollon Delphinios 56 mit Anm. 292 f. – Wichtig ist § 2 des Vertrages (Z. 10–12), wonach nur Frauen aus Pidasa in Milet eingebürgert werden konnten, die Pidaseerinnen von Geburt waren oder Bürgerinnen aus einer anderen griechischen Stadt. Daraus folgt, daß in pidaseische Familien eingeheiratete Karerinnen oder Frauen anderer Nationalitäten, etwa Lykierinnen oder Lyderinnen, nicht das milesische Bürgerrecht erhielten. Man vergleiche aber die milesische Neubürgerliste Kawerau – Rehm 215 f. Nr. 77 (ca. 200 v. Chr.): Hier wird ein Mann aus Pidasa (Apollonios, Sohn des Dionysios) zusammen mit seiner aus dem karischen Herakleia am Latmos stammenden Frau Artemisia, Tochter eines Theodoros, einge- bürgert. Ein weiterer Mann aus Pidasa, Diodoros, Sohn des Aristeas, wird mit seiner adoptierten Tochter Meniske, Tochter eines Apollonios, zusammen eingebürgert, die aus dem karischen Euromos stammt. 292 Vgl. P. Herrmann, Die Inschriften von Milet, Teil 2: Inschriften n. 407–1019, Milet VI 2 (1998) 1 Nr. 407. Herr- mann weist zum Vergleich auf einen Andarswj in einer Inschrift aus Halikarnassos gleichfalls des 5. Jhs. hin; vgl. Blümel, Personennamen 10 s. v. Andarswj. 293 P. Herrmann in: Ders. – W. Günther – N. Ehrhardt (Hrsg.), Inschriften von Milet Teil 3, Inschriften n. 1020–1580, Milet VI 3 (2006) 247 Nr. 1404 Taf. 39 (Grabstele des Adas, Sohn eines Menandros, nach den Buchstabenformen ins 2./1. Jh. v. Chr. datiert). 294 P. Herrmann, Die Inschriften von Milet Teil 2, Inschriften n. 407–1019, Milet VI 2 (1998) 122 f. Nr. 937 Taf. 47, 284. 295 Vgl. die chronologische Zusammenstellung bei Ehrhardt, Bevölkerung 83 f. (weitere Namen: Abas, Paryo, Taro, Toube [fem.]; Idrieus, Toubos [mask.]). – Hall, Hellenicity 102, vermutet unter Berufung auf M. Faraguna, Note di storia milesia arcaica: i Gšrgiqej e la st£sij di VI secolo, SMEA 36, 1995, 37–89 bes. 53–57, weiterhin für den Aisymnetes-Stephanephoros Liatos und seinen Vater Bremmis (Kawerau – Rehm 254–258 Nr. 122 Col. I 2 L…atoj Bršmmioj [524/23 v. Chr.]) “almost certainly” karische Namen. Diese Namen sind allerdings von Blümel, Perso- nennamen, nicht in seine Liste aufgenommen worden. Dito erscheint dort nicht der Frauenname ‘Sandis’, der in einer Altarweihung an den Zeus Labraundos aus Milet genannt ist: N. Ehrhardt in: Herrmann – Günther – Ehrhardt a. O. 166 zu Nr. 1267. Auch nicht aufgenommen ist der Name des Vaters des eponymen Aisymnetes des Jahres 261/60 v. Chr., T£cwj, Sohn des GoggÚloj (Kawerau – Rehm 259 Nr. 123 Z. 57; vgl. den Kommentar von Rehm ebenda 264), der von M. Mayer, in: RE XV 2 (1932) 1606 s. v. Miletos [1], unter Berufung auf Beloch und Kretschmer als Name eines ptolemäischen Ägypters karischer Abstammung bestimmt wurde. – Auf Zuwan- derung von Karern nach Milet weist im übrigen auch die Einführung bestimmter karischer Kulte hin, etwa die des Kultes des Zeus Labraundos: Vgl. u. mit Anm. 363. 296 Athen. 12, 523f–524b (= Herakleides von Pontos fr. 41 [Voss]); Suda s. v. Gšrghqej; vgl. etwa Wilamowitz, Wan- derung 77 f.; Laumonier 538 f. (Gergithes stammen von den Lelegern ab); F. Cornelius, Geschichte der Hethiter (1973) 40. 291 Anm. 25 (vergleicht mit Lelegern und zentralkleinasiatischen ‘Gaschgasch’); N. Robertson, Government and Society at Miletus, 525–442 B.C., Phoenix 41, 1987, 356–398 bes. 374 f.; Hall, Hellenicity 99, unter Berufung auf Faraguna a. O. Ältere Literatur auch bei Gorman 106 f. Anm. 36. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 79 stenz, oder jedenfalls ihre karische Identität, wird Heiligtümer, Kulte: Einen besonderen Bezug allerdings angezweifelt297. Weiterhin zu nennen sind zu Athen weist der Kult der Athena in Milet auf. Er der Demos(?) der Argaseis, der auf den karischen kann aus Athen hergeleitet werden, da sich der ad- Ortsnamen Argasa führt298, sowie eventuell die jektivisch gebildete Name der Göttin (im Alt- Phratriai der Tapasidai, Tylonidai und Pelagonidai ionischen lautet er ’Aqhna…h bzw. ’Aqhn£hi) vom und die Patria der Hekaitadai299. Ortsnamen ableitet. Er ist in der späten Bronzezeit Demgegenüber stammte die Patria bzw. das bisher im mit Athen in engerem Zusammenhang Genos der Thelidai, dem der Philosoph Thales ange- stehenden Knossos auf Kreta durch einen Linear-B- hörte, nicht aus Karien, wie sein Vatersname Text nachweisbar, für Athen kann er dadurch indi- Examyes suggerieren könnte300. Sie führte sich statt- rekt erschlossen werden. Möglicherweise wurde der dessen, wahrscheinlich über seine Mutter Kleo- Kult auch in Mykene praktiziert303. bouline, auf Kadmos zurück, den sagenhaften Grün- Der Athena-Kult ist der bisher älteste archäolo- der des boiotischen Theben, der seinerseits wieder- gisch datierbare griechische Kult in Milet. Ob er vor um aus Phönikien stammen sollte301. Die Thelidai in Ort bis in mykenische Zeit zurückreicht, wie Carl Milet weisen so auf den Anteil boiotischer Siedler an Weickert, Gerhard Kleiner, Alfred Mallwitz304 und der Migration nach Kleinasien hin, wie er sich im be- jetzt auch W.-D. Niemeier305 vermuten, damit also sonderen für die Region der Mykale, aber eben auch neben die Kulte der Athena in Athen, Knossos und für Milet nachweisen läßt302. vielleicht auch Mykene träte und Kontakte Milets

297 Vgl. Gorman 102–107 bes. 107, die die Gergithes in der Milesia für eine Erfindung hält und zu dem Schluß kommt: “... there is no firm evidence for any significant population of native Carians at Miletos at any time since the Ionian Migration.” 298 Laumonier 545; vgl. u. Anm. 370; außerdem M. Pièrart, Athènes et Milet II. L’organisation du territoire, MusHelv 42, 1985, 276–299 bes. 295: “il n’est pas sûr qu’ils formaient déja un dème”. – Der von Laumonier a. O. weiterhin angeführte Demos(?) der ‘Pitieis’ bzw. ‘Piteis’ ist von dem älteren Namen für Milet, ‘Pityousa’, abgeleitet, der al- lerdings wohl nicht karisch ist; vgl. o. Anm. 222. 299 Laumonier 545 f. mit 546 Anm. 1. Zu den Phratriai und Patriai von Milet vgl. allgemein L. Robert, Gnomon 31, 1959, 657–674 bes. 673. Zu den Tylonidai weist Robert auf den lydischen Heros Tylos hin. Zu den Phratriai der Pelagonidai und Tapasidai bemerkte B. Haussoullier, Dèmes et tribus, patries et phratries de Milet, RevPhil 1897, 38–49 bes. 49: “l’origine également inconnue”. 300 So Laumonier 546 Anm. 1: “Les Thèlidai auxquels appartenait le Carien Thalès étaient évidemment d’origene indigène.” Zu Examyes als karischem Namen s. o. Text mit Anm. 284. 301 Diog. Laert. 1, 1, 22 (der Thelide Thales stammt über Kadmos und Agenor aus Phönikien); Hdt. 1, 170 (Thales ist Phöniker); ebenda 5, 57 f. (die thebanischen Kadmeier sind Phöniker); vgl. Haussoullier a. O. 48 f.; G. Thomson, From Religion to Philosophy, JHS 73, 1953, 77–83 bes. 78 f.; RE Suppl. X (1965) 930–947 bes. 930 f. s. v. Thales (C. J. Classen); J.-P. Vernant, Mythe et pensée chez les grecs (1990) 391; Herda, Neileos 23 f. Zu den Thelidai zählte auch Anaximandros, der Verwandte und Schüler des Thales: Suidas s. v. ’Anax…mandroj; Diog. Laert. 2, 1–2; dazu Thomson a. O. 79; Vernant a. O. – Demgegenüber meint jetzt Ehrhardt, Bevölkerung 83 mit Anm. 35, unter Ver- weis auf D. Fehling (Die sieben Weisen und die frühgriechische Chronologie [1985] 54 mit Anm. 109), “die Ansicht [Herodots, A. H.], dass die Familie des Thales phoinikischen Ursprungs war (1, 170, 3), dürfte falsch sein”. 302 Zu Boiotern in der Mykale vgl. Herda, Panionion–Melia Kap. V–VI; hier Kap. VI; zu Boiotern in Milet vgl. Herda, Apollon Delphinios 124–135 (boiotische Herkunft des Herakleskultes und seines Kultvereins, der Onitadai). 351–356 (Apollon-Altar des ‘thebanischen’ Herakles in Didyma). 303 Die ionischen, für das archaische Milet bezeugten Namensformen (vgl. die Zusammenstellung bei Ehrhardt, Ko- lonien 458 Anm. 740 f.) bezeichnen sie als ‘athenaische (Göttin)’, d. h. der Name ist adjektivisch gebildet und lei- tet sich vom Ortsnamen ‘Athena’ ab; s. DNP II (1997) 160–166 bes. 161 s. v. Athena (F. Graf). Als Beleg ist ein Linear-B-Text aus Knossos (KN V 52) anzuführen, wo eine a-ta-na po-ti-ni-ja Opfer erhält (Filialkult der ‘Her- rin von Athen’ in Knossos!). Mit dieser ‘Herrin v o n Athen’ dürfte Athena gemeint sein. Ventris – Chadwick 126 f. 311 f. Nr. 208; 410 (vgl. J. Chadwick, Die mykenische Welt [1979] 121 mit Abb. 19; S. 126) übersetzten statt- dessen unzutreffend mit ‘Herrin Athena’. E. Vermeule, Greece in the Bronze Age (1964) 293, erwog neben der Deutung “Potnia of Athens, Athene, just as Homer often uses the formula pÒtni’ ’Aqhna…h” auch die Möglich- keit, daß “Atana may be a town in Crete”. – a]tana ist vielleicht außerdem noch auf einer Tafel aus Mykene (MY X 1) als Empfängerin von Opfergaben genannt: J. Weilhartner, Mykenische Opfergaben nach Aussage der Linear B-Texte (2005) 221 f. Träfe dies zu, hätte ein weiterer Filialkult der Göttin in Mykene bestanden. – Vgl. mit vor- sichtigerer Deutung des Namens a-ta-na den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band [Anm. Red.]. 304 Vgl. ablehnend W. Held, Das Heiligtum der Athena in Milet, MilForsch 2 (2000) 5. 305 Vgl. den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band. 80 Alexander Herda zum spätbronzezeitlichen Athen oder etwa auch Nordsyrien stammt307. Eine Stirnplatte mit der Dar- Knossos implizierte, bedarf genauer Überprüfung. stellung dreier aufgerichteter Löwen trägt sogar eine Das von Kleiner noch als Teil eines karischen Hei- hieroglyphen-luwische Inschrift. Dies konnte J. D. ligtums angesprochene306 ovale sogenannte Kultmal Hawkins anhand neuer Röntgenaufnahmen des (Abb. 7 a–b), das direkt auf die Ruinen der bronze- Stückes feststellen, das sich heute in der Antiken- zeitlichen Stadtmauer von Milet VI gebaut wurde, sammlung Berlin befindet. Die bereits in Nordsyrien ist jedenfalls, wie Winfried Held erkannt hat, der beschriftete Stirnplatte dürfte erst Ende des 8. Jhs. v. Überrest eines verschließbaren Schreins für ein Chr. in das Athenaheiligtum von Milet gelangt sein. Kultbild der Athena. Der Schrein wurde von Held Das Stück ist also keinesfalls ein Beleg für den Ge- geometrisch datiert. Erste Votive wurden im 9. Jh. v. brauch der hieroglyphen-luwischen Schrift im Ionien Chr. hergestellt. Darunter befindet sich auch bronze- geometrischer Zeit308. Zeitlich noch weiter zurück nes Pferdezaumzeug, das nicht etwa karisch ist, wie gelangt man, wenn man den submykenischen Mini- noch G. Kleiner annahm, sondern ursprünglich aus aturkrater berücksichtigt, den Wolfgang Schiering

306 G. Kleiner, Alt-Milet (1966) 14–17. 21; ders., IstMitt 19/20, 1969/70, 119. 307 Nach Held a. O. 9 läßt sich die Datierung des ‘Kultmals’ “innerhalb der geometrischen Zeit nicht näher bestimmen”. Ein Kultbild der Athena Polias aus Olivenholz ist durch die Quellen aber z. B. für Athen schon im 9. Jh. v. Chr. bezeugt: G. Nick, Die Athena Parthenos. Studien zum griechischen Kultbild und seiner Rezeption, AM Beih. 19 (2002) 141–145. Es läge somit eine direkte zeitliche Parallele zum Befund in Milet vor. – Zur bisherigen Datierung des Heiligtums in Milet in das 9./8. Jh. v. Chr. nach den ältesten Votiven, die dann nur kurz in Umlauf gewesen wä- ren vgl. A. Grüner – A. Hennemeyer, BJb 201, 2001, 551–556 bes. 555 (Rez. von Held a. O.). Bei den Votiven han- delt es sich um folgende Stücke: Held a. O. 131 Nr. B 37 Taf. 23 (nordsyrische Scheuklappe, 9./8. Jh. v. Chr.); 132– 134 Nr. B 38–39 Abb. 65 Taf. 24–25 (nordsyrische Pferdestirnplatten, 9. Jh. v. Chr.); 137 f. Nr. B 44 Abb. 67 Taf. 29 (Wangenklappe von urartäischem Helm, Ende 9./Anf. 8. Jh. v. Chr.); vgl. auch die griechischen Artefakte: 146 Nr. B 55 Taf. 32 (bronzene Lanzenspitze, Vergleichsstücke in der athenischen Kerameikos-Nekropole sind ins 9. Jh. v. Chr. datiert!); 152 Nr. B 71 Abb. 74 Taf. 34 (Bronzemesser, geometrisch); 152 Nr. B 73 Taf. 34 (Grill?, geometrisch?). – Held a. O. 179 datiert seinem zeitlichen Ansatz der frühesten griechischen Votive entsprechend das Kultmal und das Heiligtum insgesamt dagegen erst in spätgeometrische Zeit (erste Hälfte 8. Jh. v. Chr.). Für die aus dem 9./8. Jh. v. Chr. stammenden nordsyrischen Bronzevotive nimmt er an, sie seien länger in Benutzung gewesen, bevor sie ins Heiligtum geweiht wurden (vgl. auch u. zur Stirnplatte mit hieroglyphen-luwischer Inschrift). – Als karisch wurde das nordsyrische Pferdezaumzeug, insbesondere die Scheuklappe mit Darstellung eines Sphinx (Held a. O. 131 Nr. B 37 Taf. 23), von G. Kleiner (Alt-Milet [1966] 15–17 Abb. 12 Taf. 8 Abb. 11a) angesprochen (mit Verweis auf Hom., Il. 4, 141–145, wo von einer elfenbeinernen, mit Purpur gefärbten Scheuklappe die Rede ist, die eine Maionierin [= Lyderin] oder Karerin angefertigt hat). Vgl. dagegen Held a. O. 131. 308 Berlin, Antikensammlung Inv. M 31; vgl. Held a. O. 132–134 Nr. B 38 Abb. 65 Taf. 24. 25 links (noch ohne Kennt- nis der Inschrift, die auf der Zeichnung und den Fotos nicht zu erkennen ist). Entdeckt wurde die Inschrift bei 1998 durchgeführten erneuten Restaurierungsarbeiten (freundliche Mitteilung Susanne Ebbinghaus, Harvard University Art Museums, und Uwe Peltz, Antikensammlung Berlin). Eine erste Lesung mit Hilfe von Röntgenbildern durch David Hawkins ergab die Bestimmung als “anatolische Hieroglyphenschrift” (mündliche Mitteilung D. Hawkins, zitiert bei S. Ebbinghaus, Begegnungen mit Ägypten und Vorderasien im archaischen Heraheiligtum von Samos, in: A. Naso [Hrsg.], Stranieri e noncittadini nei santuari greci, Atti del convegno internazionale Udine, 20.–22. Novembre 2003 [2006] 189–229 bes. 210 f. Anm. 117) bzw. “Luwian Hieroglyphic” (mündliche Mitteilung D. Hawkins, zitiert bei Luraghi [s. o. Anm. 162] 21–47 bes. 40 Anm. 107). Laut Luraghi ist in der Inschrift das nord- syrische Kleinkönigtum ‘Unqi “apparently mentioned”. Damit gehört die Stirnplatte, zu der im Athenaheiligtum von Milet noch die Scheuklappe mit Sphinx (s. vorherige Anm.) und eine weitere Stirnplatte mit drei nackten Frau- en (Held a. O. 132–134 Nr. B 39 Abb. 65 Taf. 25 rechts) treten, zu einer Gruppe von gleichartigen Stirnplatten im Apollonheiligtum von Eretria und im Heraion von Samos, die laut ihrer aramäischen Inschriften einst von König Hazael von Damaskus (ca. 842–796 v. Chr.) bei der Eroberung von ‘Unqi im späten 9. Jh. v. Chr. erbeutet wurden. Ebbinghaus a. O. 210 f. und Luraghi a. O. 40 nehmen an, daß alle Stücke bei der Eroberung von Damaskus durch den assyrischen König Tiglatpilesar III. (744–727 v. Chr.) von in seinen Diensten stehenden griechischen Söldnern erbeutet und nach Griechenland mitgenommen worden sind. J. P. Crielaard dagegen dachte an “gift-giving relationships”, aufgrund derer die Stücke nach Griechenland gelangt seien: Ders., Past or Present? Epic Poetry, Aristocratic Self-Representation and the Concept of Time in the Eighth and Seventh Centuries BC, in: F. Montanari (Hrsg.), Omero tremila anni dopo, Atti del convegno di Genova, 6.–8. Luglio 2000 (2002) 239–295 bes. 253–256. Möglich erscheint weiterhin, daß die Stücke von griechischen Piraten erbeutet wurden. So berichten die assyrischen Quellen aus der Zeit Tiglatpilesars III. ca. 738–732 v. Chr. wie auch zur Zeit Sargons (ca. 715 v. Chr.) von Plünde- rungen an der levantinischen Küste durch griechisch-ionische Flottenverbände: Luraghi a. O. 30–33. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 81

Abb. 7a Milet. Athena-Heiligtum in geometrischer Zeit

Abb. 7b Milet. Athena-Heiligtum. Geometrisch-archaisches Kultmal von Norden (1957) 82 Alexander Herda unter dem Kultmal aufdeckte und den W.-D. Nie- transvestiten bzw. transsexuellen hethitischen, ur- meier als wichtiges Indiz für eine Kultkontinuität am sprünglich hurritischen Göttin 1a(w)o™ka und ihrer Ort wertet309. Eine solche bis in die späte Bronzezeit orientalischen Entsprechungen Anat und I™tar311. Um- zurückreichende Kultkontinuität setzt voraus, daß gekehrt zeigt der Kult der Athena im historischen ein Teil der in Milet ansässigen bronzezeitlich-grie- Griechenland, vor allem in Athen, Elemente, deren chischen Klientel der Athena und damit auch der Herkunft aus Kleinasien wahrscheinlich gemacht Kult der Göttin die unruhigen Zeiten bis zur An- werden kann. Zu nennen sind insbesondere die Aigis kunft der ersten Ioner in submykenisch-protogeo- als Attribut Athenas und die damit zusammenhän- metrischer Zeit überdauert hat. gende Epiklese ‘Pallas’. Letztere dürfte auf das Vorstellbar wäre im Falle einer mykenisch-klein- hethitische Wort palahh bzw. TÚGpalah™a zurückge- asiatischen Mischbevölkerung auch die Übernahme hen, das eine von Göttern getragene Schutzkleidung des Kultes durch Indigene, etwa durch die wahr- bezeichnet312. Zu fragen wäre hier insbesondere, zu scheinlich in SH III C nach Milet gelangten Karer. welchem Zeitpunkt diese Elemente in den griechi- Athena-Kulte, die Anzeichen von Synkretismus zei- schen Athena-Kult integriert wurden und wo dies gen, sind für Karien in historischer Zeit bezeugt. Man geschah. Etwa schon im spätbronzezeitlichen Mila- denke nur an den merkwürdigen Kult der Athena von wanda-Milet oder dann im protogeometrischen Pedasa, deren Priesterin in Zeiten der Gefahr ein ganz Milet, dessen ‘Gründung’ nach dem Mythos von ungriechischer Bart wuchs310, sonst ein Merkmal der Athen ausgegangen ist313?

309 Vgl. den Beitrag von W.-D. Niemeier in diesem Band mit Abb. 6 [Anm. Red.]. – Ich danke Herrn Niemeier herz- lich für Informationen zum Befund. 310 Hdt. 1, 175 und die Dublette 8, 104; danach Strab. 13, 1, 59; vgl. Laumonier 609 f., der vermutete, die Priesterin sei als Personifikation der Gottheit gedacht. Zu diesem Kult vgl. R. Gagné, ClAnt 25. 1, 2006, 1–33 bes. 12 f. Zu Pedasa beim heutigen Gökçeler nahe Halikarnassos vgl. o. Anm. 173 und den Beitrag von F. Rumscheid in diesem Band. Da das von Pedasa aus zu Anfang des 5. Jhs. v. Chr. auf Veranlassung der Perser gegründete gleichnamige Pedasa im Grion (vgl. Hdt. 6, 20) Bronzemünzen mit einem behelmten Athena-Kopf als Wahrzeichen der Stadt emittierte (H. von Aulock, Eine neue kleinasiatische Münzstätte Pedasa [Pidasa], JNG 25, 1975, 123–128; L. Robert, Documents d’Asie mineure, XIII. Une monnaie de Pédasa-Pidasa, BCH 102, 1978, 490–500 mit Abb. 24), postu- lierte L. Robert a. O. 500 eingehend, daß die Pedaseer bei ihrer Umsiedlung den Kult der Athena in den neuen Ort übertrugen. – In Lykien wurde Athena im 4. Jh. v. Chr. mit der luwischen Göttin Maliya gleichgesetzt; s. Hutter in: Luwians 231. 311 Vgl. R. L. Alexander, 1au™ka and the Hittite Ivory from Megiddo, JNES 50, 1991, 161–182; D. Mendelsohn, Angry Deities, Prayer and the Court of Law: Assuming Responsibility in Greece and the Near East, Diss. Concordia University, Montreal (2004) 71–79 (Kap. 2.6 ‘Transvestite and/or Transsexual Goddesses’). Zu 1a(w)o™ka vgl. V. Haas, Geschichte der hethitischen Religion (1994) 345–356; ebenda 350 f. werden die männli- che und weibliche Form der Göttin mit ihren beiden Funktionen Kriegswesen und Sexualität in Zusammenhang gebracht. Haas betont allerdings (ebenda 351), “daß die Göttin entweder in ihrem männlichen oder aber in ihrem weiblichen Aspekt in Erscheinung tritt, nie aber mit männlichen und weiblichen Attributen gleichzeitig versehen ist”; vgl. zur Ikonographie ebenda 353–356. 312 Vgl. Morris (s. o. Anm. 269) 147 f. Zustimmend F. Iº@k, Zur anatolischen Athena im Lichte der Athena Ergane von Ilion und der Athena Nikephoros von , IstMitt 40, 2000, 507–518 bes. 516. Iº@k und vorher bereits A. Villing (Athena as Ergane and Promachos. The Iconography of Athena in Archaic East Greece, in: N. Fisher – H. Van Wees [Hrsg.], Archaic Greece. New Approaches and New Evidence [1998] 147– 168 bes. 152 mit Anm. 28) ma- chen auf weitere ikonographische Merkmale der Athena aufmerksam, die westkleinasiatische Wurzeln haben dürf- ten, etwa den spitzen Polos der Athena Ergane von Assos, der als Hörnerkrone den männlichen hethitischen Göt- tern eigen ist, aber auch der transvestiten 1a(w)o™ka. – Die These von Iº@k jedoch, der Name Athenas sei ‘anatolisch’ (er beruft sich ebenda 508 Anm. 1 auf C. Bosch, Das Anatolische in der Geschichte, in: 2. Türkischer Ge- schichtskongress, Ankara [1937] 6), die Göttin selbst sei als “spezialisierte Erscheinungsform der Großen Mutter Altanatoliens” aufzufassen (Iº@k, ebenda 512 mit Anm. 27, beruft sich wieder auf den schon zitierten Vortrag von C. Bosch), ist aufgrund der hier (s. o. Anm. 303) gemachten Beobachtungen zum Namen der Göttin abzulehnen. 313 Wenig überzeugend erscheint mir demgegenüber die These von A. Teffeteller (Greek Athena and the Hittite Sungoddess of Arinna, in: S. Deacy – A. Villing [Hrsg.], Athena in the Classical World [2001] 349–365), wonach der Athena-Kult im bronzezeitlichen Knossos in Anlehnung an den Kult der anatolischen Kriegsgöttin Erinna entstanden sein soll (zur vermeintlich anatolischen Herkunft Athenas vgl. auch die vorherigen Anm.). Gleiches gilt für die These von D. R. West (Some Cults of Greek Godesses and Female Daemons of Oriental Origins [1995] 114–173), Athena sei eine aus dem semitischen Raum stammende dämonische, chthonische Gottheit. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 83

Abb. 8 Milet. Spätgeometrische Ovalbauten im sogenannten Südschnitt

Unter dem Eindruck des homerischen ‘Troer- Ovalhaus B, in dem sich zwei Terrakottapferde in katalogs’ (Il. 2, 867–869) und der milesisch-‘ioni- der Aschendeponierung eines sogenannten Lehm- schen’ Gründungsmythen, die von der Vermischung rundlings fanden, sprach Kleiner wie schon das der ankommenden Griechen mit den als Vor- Kultmal im Athena-Heiligtum als karisches Hei- bevölkerung am Ort lebenden Karern berichten314, ligtum an317. Die einzeln stehenden Ovalhäuser, de- interpretierte G. Kleiner nicht nur das Kultmal im ren Lehmziegelmauern regelhaft auf einem Mauer- Athena-Heiligtum als karisch315, sondern auch die sockel aus Bruchsteinen ruhen, sind jedoch wie von ihren Ausgräbern spätgeometrisch datierten auch der Bautyp der sogenannten Apsidenhäuser Ovalhäuser im sogenannten Südschnitt316 (Abb. 8). seit protogeometrischer Zeit typisch für griechische

314 Zu den Mischehen (locus classicus: Hdt. 1, 146) s. o. Kap. III mit Anm. 58 ff. 315 G. Kleiner, Alt-Milet (1966) 14 f. 24 f. 316 Zu den milesischen Ovalhäusern vgl. die zusammenfassende Darstellung bei F. Lang, Archaische Siedlungen in Griechenland. Struktur und Entwicklung (1996) 203–205 Abb. 76–77. 317 G. Kleiner, Alt-Milet (1966) 14. 21 f.; ders., IstMitt 19/20, 1969/70, 119. 84 Alexander Herda

Siedlungen auf dem Festland und den ägäischen In- wurde auf der Akropolis der Siedlung am Kale Tepe seln sowie in Westkleinasien, etwa in Troja318 oder entdeckt, die wahrscheinlich mit der boiotisch-ioni- in Klazomenai, wo erst jüngst ein spätprotogeo- schen Gründung Melia identisch ist321. Auch die metrisches, bis in spätgeometrische Zeit genutztes Ovalhäuser in Milet dürften daher in den Kontext Oval- oder Apsidenhaus aufgedeckt wurde319. Wei- griechischer Siedlungstätigkeit vor Ort zu stellen terhin begegnen Apsidenhäuser in Smyrna/Bayrakl@ sein, nicht karischer322. Die Terrakottapferde aus und in Ephesos320. Ein weiteres solches Ovalhaus Ovalhaus B wird man in der Folge am ehesten mit

318 Bisher wurden in Troja durch W. Dörpfeld und K. Blegen zwei protogeometrisch-geometrische Ovalhäuser entdeckt: D. Hertel, Der aiolische Siedlungsraum (Aiolis) am Übergang der Bronze- zur Eisenzeit, in: Frühes Ionien 97–122 bes. 118 mit Anm. 94. Das von Blegen nur z. T. freigelegte Haus in der westlichen Unterstadt wurde 2005 vollständig aus- gegraben: P. Jablonka, Vorbericht zu den Arbeiten in Troia 2005, StTroica 16, 2006, 3–26 bes. 9 f. Abb. 8–9 (dort Troja VIII zugewiesen und ins 8./7. Jh. v. Chr. datiert, im Text aber als “früharchaisch” angesprochen). 319 G. Bak@r – Y. Ersoy u. a., 1999 Klazomenai Kaz@s@, in: 22. KST Ankara 1999 II (2000) 27–38 bes. 27–32 Abb. 2–5; N. Aytaçlar, The Early Iron Age at Klazomenai, in: A. Moustaka u. a. (Hrsg.), Klazomenai, Teos and Abdera: Metropoleis and Colony, Proceedings of an International Symposium held at the Archaeological Museum of Abdera 2001 (2004) 17–41 bes. 17–26 mit 18 f. Abb. 1–3; Y. E. Ersoy, Klazomenai: 900–500 BC. History and Settlement Evidence, in: Ebenda 43–76; ders., Notes on the History and Archaeology of Early Clazomenae, in: Frühes Ionien 149–178 bes. 152 mit Taf. 18, 2. – Der vollständige Grundriß des Hauses ließ sich nicht feststellen, so daß unklar bleibt, ob es sich um ein Oval- oder Apsidenhaus gehandelt hat: Aytaçlar a. O. 17. 320 Zu Oval- und Apsidenhäusern allgemein Lang a. O. 78–86; Mazarakis-Ainian (s. o. Anm. 78) 43 ff. mit Verbreitungskarte 6; Aytaçlar a. O. 19. Protogeometrische und geometrische Oval- bzw. Apsidenhäuser finden sich danach in Kleinasien und auf den vorgelagerten Inseln außer in Milet in den griechischen Siedlungen von Pyrra, Mytilene und Antissa auf Lesbos, Emporio auf Chios, Alt-Smyrna/Bayrakl@, Neu-Ephesos und Melia (zu letzterem vgl. nächste Anm.) sowie im kilikischen Tarsos. – W. Radt, Siedlungen und Bauten auf der Halbinsel von Halikarnassos, IstMitt Beih. 3 (1970) 211–213, vertrat die m. E. überzeugende Ansicht, daß die “Ovalbauten zu Wohn- und Wirtschaftszwecken (Ovalhäuser)” (zu diesem Typus vgl. ebenda 200–211. 212 Typ 3) als Bauform durch die Leleger und Karer von den Griechen erst in archaischer Zeit übernommen wurden (vgl. schon P. Hommel in: Panionion 91 Anm. 254). Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch, daß die Bruchsteinmauern der lelegischen Ovalbauten bis zum Dach massiv hochgeführt waren, z. T. sogar Kragsteingewölbe besaßen, und nicht wie bei den griechischen Beispielen lediglich einen Sockel bildeten, auf dem Lehmziegelmauern standen; s. Radt a. O. 209 f. 213. Das spätgeometrisch datierte ‘karische’ Beispiel eines Apsiden- oder Ovalhauses aus Daml@bo%az/ Hydai dürfte allerdings nur einen Mauersockel aus Bruchsteinen besessen haben und darüber aufgehendes Lehmziegelmauerwerk. Es wäre somit als direkte Übernahme aus dem griechischen Hausbau zu betrachten: s. u. Kap. IX mit Anm. 437 f. Gleiches gilt m. E. für das Apsidenhaus auf der Akropolis der karischen Siedlung von Hydas/Hygassos, das Mathias Benter bei seinem Survey 1998 entdeckte. Das mit Vorzone 15,50 m lange und 5,70 m breite Haus, dessen Datierung noch offen ist, besitzt einen etwa 1,50 m hoch erhaltenen Mauersockel. Benter vermutet aufgehende Wände “entweder aus luftgetrockneten Lehmziegeln oder eine Holzständerkonstruktion mit Flechtwerk und Lehmbewurf”: Ders., Hydas-Survey 1998, in: 17. AST Ankara 1999 II (2000) 312–320 bes. 315. 319 Abb. 7; ders. u. a., Hydas, eine befestigte Höhensiedlung auf der Bozburunhalbinsel. Zusammenfassen- der Bericht der Kampagnen 1998, 2000 und 2002 (in Druckvorbereitung, ich danke Mathias Benter herzlich für die Überlassung des Manuskriptes) 9 f. Taf. 7 Abb. 15; Taf. 9 Abb. 19; vgl. den Beitrag von M. Benter in diesem Band. – Demgegenüber vertritt jetzt Iº@k (s. o. Anm. 265) 27 f. wieder die Meinung, Ovalhäuser gehörten, im Ge- gensatz zu den ‘griechischen’ Apsidenhäusern, zum Bestand der ‘altanatolischen’ Hausformen und seien von den ionischen Griechen übernommen worden. Als Kronzeuge dient ihm der Befund in Klazomenai/Liman Tepe, wo neben dem spätprotogeometrischen griechischen Oval- oder Apsidenhaus (vgl. vorherige Anm.; Iº@k a. O. spricht stattdessen nur von einem Ovalhaus) auch bronzezeitliche Ovalhäuser auftreten (ebenda Abb. 28; Literatur dazu ebenda 27 Anm. 61), diese Hausform also “ununterbrochen zur früheisenzeitlichen Siedlung [der Ioner, A. H.] tradiert” worden sei. Zum möglichen Hiatus der Besiedlung in Klazomenai vgl. aber o. Anm. 53. 321 Zum geometrischen Ovalhaus auf der Akropolis des Kale Tepe (vgl. o. Kap. IV mit Anm. 83 ff.) Radt a. O. 210. 212–214; Lang a. O. 196 f. Abb. 68–70; Herda, Panionion – Melia Kap. IV mit Anm. 108 f. 120 f.; s. o. Kap. VII mit Anm. 199. G. Kleiner (Bericht über die zweite Grabung in Çaml@ [Panionion)] Frühjahr 1958, TAD 9.1, 1959, 20–22 bes. 21) erwähnt außerdem “dicht unter” einem ebenfalls auf der Akropolis des Kale Tepe entdeckten und archaisch datierten Rechteckhaus “wieder die Reste eines [weiteren] ovalen Hauses”. In der Abschlußpublikation ist von diesem vermeintlichen Befund allerdings nicht mehr die Rede (vgl. etwa W. Müller-Wiener in: Panionion 122 f. Abb. 65. 62 [Antenhaus unten]; Plan 2 [“B”]; P. Hommel in: Ebenda 90 f. 134 f.). 322 Vgl. J. Kleine, Milet. Bericht über die Arbeiten im Südschnitt an der hellenistischen Stadtmauer 1968–1973, IstMitt 29, 1979, 109–159 bes. 110 mit Anm. 6; 136; Lang a. O. 203 mit Anm. 161 f.; I. Morris, Archaeology as Cultural History. Words and Things in Iron Age Greece (2000) 200. 280 ff.; Greaves 74–77. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 85 einem Hauskult in Verbindung bringen323, denn ‘griechischen’ (s. u.) Apollon und dem luwischen Terrakotten als Paraphernalien des Hauskultes sind oder karischen Didymeus dar. Dieser Kontakt- in Griechenland seit mykenischer Zeit üblich324. synkretismus dürfte in protogeometrischer bis geo- Die Bewohner der Apsiden- bzw. Ovalhäuser in metrischer Zeit entstanden sein328. Klazomenai und Milet dürften also am ehesten Auch der Apollon Delphinios geht auf einen Griechen gewesen sein, wofür auch der Keramik- Kontaktsynkretismus zurück. Die Forschung nimmt befund zu sprechen scheint. aufgrund der frühen und weiten Verbreitung dieses Der bedeutendste milesische Kult war der des Kultes im ganzen griechischen Siedlungsraum bisher Apollon. In der Erscheinung des Apollon Delphi- überwiegend an, daß Apollon (’ApÒllwn), im nios, des delphingestaltigen Apollon, war der Gott Dorischen Apellon (’Apšllwn) genannt, ‘der grie- in historischer Zeit oberster Stadtgott. Sein Kult- chischste aller Götter’329, ursprünglich der Schutzgott verein kontrollierte das Bürgerwesen und stellte die der dorischen ‘Apellai’ (¢pšllai), der politischen oligarchische Stadtregierung. Sie residierte im Ver- “Männerversammlungen” war330. In den ‘Dunklen einshaus, dem Molpon, das als Prytaneion der Stadt Jahrhunderten’ der frühen Eisenzeit (11./10. Jh. v. im Heiligtum, dem Delphinion, lokalisiert war. Der Chr.) habe sich der Kult dann griechenlandweit ver- vorsitzende Aisymnetes-Stephanephoros war nicht breitet und sei mit einem bronzezeitlichen kretischen nur der Eponyme der Stadt, er stand auch allen Op- Delphingott, dem ‘Delphinios’ als Schutzgott der fern im Rahmen des Neujahrsfestes zu Ehren des Seefahrer, zusammengeführt worden331. Delphinios vor, mit dem der rituell gefaßte Jahres- Indessen mehren sich die Argumente für eine zyklus begann325. Eine Neujahrsprozession verband kleinasiatische Herkunft des Gottes Apollon, der den wichtigsten innerstädtischen Apollon-Kultplatz als Seuchengott in der Ilias (1, 8 ff.) auf Seiten der mit dem außerstädtischen Orakelheiligtum des Trojaner gegen die achäischen Griechen steht und Apollon Didymeus in Didyma326. Dessen Kult besaß, die Epiklese Lukhgen»j, ‘der in Lykien geborene’, wie unten noch zu zeigen ist, indigene Wurzeln und trägt (Il. 4, 101. 119). Bereits Julius August Schön- stellt einen ‘Kontaktsynkretismus’327 zwischen dem born 1854 und dann vor allem Ulrich von Wilamo-

323 Vgl. auch Mazarakis-Ainian (s. o. Anm. 78) 110. Zu vergleichen ist auch die Statuette eines im subgeometrischen Stil (1. Viertel 7. Jh. v. Chr.) bemalten Reiters aus dem geometrischen Brunnen im Stadtviertel östlich des Athena- Tempels: P. Hommel, Die Ausgrabungen beim Athena-Tempel in Milet 1957, II. Der Abschnitt östlich des Athena-Tempels, IstMitt 9/10, 1959/60, 31–62 bes. 58 f. Taf. 61. Der Fundkontext könnte wiederum auf einen Hauskult hindeuten. 324 Zu erinnern ist nur an die zahlreichen menschengestaltigen Terrakotten, die nach ihrer Form sogenannten Phi-, Tau- und Psi-Idole, aus Siedlungskontexten der Stufen SH II – III C (15.–12. Jh. v. Chr.); vgl. etwa R. Jung, A 20. Proto-Phi-Figurine, in: K. Stemmer (Hrsg.), Standorte. Kontext und Funktion antiker Skulptur, Ausstellungska- talog Abguß-Sammlung Antiker Plastik Berlin (1995) 31 f. 325 Vgl. Herda, Apollon Delphinios 31–86. 237–249. 407–410. 428 f. 452; ders., AA 2005, 243–294. 326 Vgl. Herda, Apollon Delphinios 167–220. 249–385. 435–442. 447–457. 459; ders., Delphinios–Didymeus Kap. II–III. 327 Zum Begriff vgl. o. Anm. 194. 328 Vgl. u. mit Anm. 393 ff. 329 W. F. Otto, Die Götter Griechenlands (1929; 4 1956) 78; danach z. B. noch W. Burkert, Greek Religion (1985) 143. Vgl. auch M. P. Nilsson, Geschichte der Griechischen Religion I3 (1967) 559. 564. Bemerkenswert ist allerdings Nilssons abschließende Bewertung der Apollon-Gestalt (ebenda 564), die auf seiner m. E. (s. u.) zutreffenden An- sicht fußt, Apollon stamme ursprünglich aus Kleinasien: “So ist Apollon zum griechischsten aller Götter gewor- den, dem lichstrahlenden und hehren Jüngling, dem Beschützer der Musik und des Geisteslebens, des Maßes und der sinnvollen Ordnung. Für die Religion Griechenlands kommt es sehr wenig darauf an, was er ursprünglich war, vielmehr alles darauf, wozu die Griechen ihn machten. Die Veredlung des alten kleinasiatischen Gottes und seine Erhebung zum Ausdruck des echten Griechentums ist eine der größten Geistestaten des griechischen Volkes.” 330 W. Burkert, Apellai und Apollon, RhM 118, 1975, 1–21; ders., Greek Religion (1985) 144 f.; ders., and Apol- lo of Didyma: A New Oracular Text, in: J. Solomon (Hrsg.), Apollo. Origins and Influences (1994) 49–60 bes. 50; danach z. B. DNP I (1996) 863 f. s. v. Apollon (F. Graf); zuerst Th. Homolle, Inscriptions de Delphes. Règlements de la phratrie des LABUADAI, BCH 19, 1895, 5–69 bes. 44 f. 331 F. Graf, Apollon Delphinios, MusHelv 36, 1979, 2–22 (ausschließliche Betonung der politischen Funktion); Herda, Apollon Delphinios 93; ders., AA 2005, 246. 286–291; anders jetzt aber ders., Delphinios–Didymeus Kap. I mit Anm. 9; Kap. IX (politischer Gott und Schutzgott der Seefahrer). 86 Alexander Herda witz-Moellendorff 1903 stellten in Abhängigkeit König Muwatalli II. (ca. 1295–1272 v. Chr.)335 einer von Homer die These auf, daß der ‘lykische’ Apollon der drei Schwurgötter der Trojaner336. Haben die bzw. “Asiatengott” Apollon erst im Zuge der grie- Leute von Ahhijawa, die mykenischen Griechen, die chischen Migration nach Kleinasien in der frühen Ei- mit Wilu™a-Troja im 14. und 13. Jh. v. Chr. immer senzeit von den Griechen übernommen wurde332. wieder Kontakte hatten, diesen Gott aus Wilu™a- Seitdem sind neue Hinweise auf die kleinasiati- Troia übernommen und nach Festlandsgriechenland sche Herkunft des Gottes hinzugekommen: Bedrich mitgebracht, wie sie etwa den Kult der po-ti-ni-ja Hrozn4 und Martin Persson Nilsson machten – al- a-si-wi-ja, der ‘Herrin von Asiwija’, die in Pylos lerdings zu Unrecht – auf die Homonymie mit dem Opfer erhielt, sowie möglicherweise auch den der hethitischen Torgott Apulunas aufmerksam, denn Artemis aus (Klein-)‘Asien’ importierten337? Ist also der Name erwies sich als falsch gelesen333. Ein Gott der griechische Apollon, den Homer zusammen mit Appaliuna™ ist dagegen im sogenannten Alak™andu- seiner Schwester Artemis und seiner Mutter Leto als Vertrag zwischen dem gleichnamigen Herrscher Schutzgottheit der Trojaner charakterisiert338, dem Alak™andu (mit dem griechischen Namen ‘Alexan- trojanisch-luwischen Appaliuna™ gleich, kann sein dros’!)334 von Wilu™a-Troja und dem hethitischen Name gar, wie jüngst von Edwin Brown vorgeschla-

332 A. Schönborn, Über das Wesen Apollons und die Verbreitung seines Dienstes: ein Versuch (1854) 25. 32. 37 ff.; U. von Wilamowitz-Moellendorff, Apollon, Hermes 38, 1903, 575–586; ders., Die Ilias und Homer (1916) 241 Anm. 1 (“Asiatengott”); vgl. ebenda 285. 341. 485; ders., Der Glaube der Hellenen I2 (1955) 318–324; vgl. dazu Nilsson a. O. 559 mit weiterer Literatur in Anm. 3; 562. Vgl. jetzt zustimmend R. S. P. Beekes, The Origin of Apollo, Journal of Ancient Near Eastern Religions 3, 2003, 3–21 bes. 14–17; E. L. Brown, In Search of Anatolian Apollo, in: Chapin (Hrsg.) (s. o. Anm. 272) 243–257. Ablehnend zur kleinasiatischen Herkunft Apollons z. B. W. Burkert, RhM 118, 1975, 1–3, und zuletzt M. Egetmeyer, Lumière sur les loups d’Apollon, Res Antiquae 4, 2007, 205–219. 333 B. Hrozn4, Les quatre autels hittites hiéroglyphiques d’ Emri Ghazi et d’ Eski Kisla, Archiv Orientalní 8, 1936, 171– 199; ders., Les inscriptions hittites hiéroglyphiques III (1937) 80 f.; danach M. P. Nilsson, Geschichte der Griechi- schen Religion I1 (1941) 527 = I3 (1967) 558 f.; für weitere neuere Literatur, die diesem überholten Forschungsansatz folgt, s. u. Anm. 351. – Ablehnend Burkert a. O. 2 f.; vgl. ders., Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (1977) 227 Anm. 14: “ganz unhaltbar”; vgl. ders., Greek Religion (1985) 144. 405 Anm. 14; Beekes a. O. 13 Anm. 14: “In 1994 Burkert still repeats the fact that Hrozn4 read Apulunas on Hittite altar stones. It has long been recognized that this was a false reading, and it should no longer be recalled, as if it were an argument.” Eine Neu- edition der Inschriften aus Emir Gazi bietet J. D. Hawkins, The Hieroglyphic Inscription of the Sacred Pool Complex at Hattusa (Südburg), Studien zu den Bo%azköy-Texten Beih. 3 (1995) 86–102 (Appendix 2). 334 Zu ‘Alak™andu’ als hethitischer Entsprechung des griechischen ‘Alexandros’ (in Mykene ist der Frauenname a-re- ka-sa-da-ra, ‘Alexandra’, auf der Linear-B-Tafel MY V 659 bezeugt), dem bei Homer weiterhin bezeugten Namen des Alexandros, ‘Paris’, und dem seines Vaters ‘Priamos’ als luwischen Namen s. H. G. Güterbock, Troy in Hittite Texts? Wilusa, Ahhiyawa, and Hittite History, in: M. J. Mellink (Hrsg.), Troy and the Trojan War, A Symposium held at Bryn Mawr College, October 1984 (1986) 33–44 bes. 34. 43; C. Watkins, The Language of the Trojans, in: Ebenda 45–62 bes. 54–58, nahm eine luwisch-griechische Mischbevölkerung in Wilu™a-Troja an; vgl. jetzt F. Starke, Troia im Machtgefüge des 2. Jahrtausends vor Christus: Die Geschichte des Landes Wilusa, in: Traum 34–45 bes. 40; ders. in: Korfmann, Troia 70 Anm. 12; M. Hutter in: Luwians 266; Bryce 359; ders., Neighbours 118–122; Latacz 145 f. mit Anm. 167; M. L. West, Geschichte und Vorgeschichte: Die Sage von Troia, in: A. Bierl (Hrsg.), Antike Literatur in neuer Deutung, Festschrift für Joachim Latacz anläßlich seines 70. Geburtstages (2004) XIII–XX bes. XVIII. Dagegen bemerkte etwa W. Burkert, RhM 118, 1975, 3 Anm. 12, zur Namensgleichheit von ‘Alak™andu’ und ‘Alexandros’ (auf dem damaligen Forschungsstand fußend): “kann Zufall sein”. 335 Zum Vertrag vgl. o. Kap. V mit Anm. 132. 336 KUB XXI 1 iv 27–29. Die Lesung des Namens ‘Appaliuna™’, die anfänglich bezüglich des Wortanfangs als unsi- cher galt (vgl. ablehnend W. Burkert, RhM 118, 1975, 3; später aber zustimmend ders., Herodot als Historiker fremder Religionen, in: G. Nenci – O. Reverdin, Hérodote et les peuples non grecs, Fondation Hardt, Entretiens XXXV [1990] 1–39 bes. 7 f.), ist mittlerweile durch erneute Überprüfung anhand eines Photos der Keilschrifttafel von H. Hoffner und M. Bachvarova gesichert. Vor dem Namen kann nur noch die Determinative für ‘Gott’ ge- standen haben: M. Bachvarova, From Hittite to Homer: The Role of Anatolians in the Transmission of Epic and Prayer Motifs from the Near East to the Greeks, Diss. Chicago (2002) 46; vgl. Brown, Anatolian Apollo (s. o. Anm. 332) 246 f. mit neuen linguistischen Argumenten noch ohne Kenntnis der Neulesung. 337 Zur po-ti-ni-ja a-si-wi-ja vgl. o. Anm. 125 f. Zu a-te-mi-to/Artemis vgl. hier Anm. 269 ff. 341. 338 Hom. Il. 5, 445–448; 20, 39 f.; dazu U. von Wilamowitz-Moellendorff, Hermes 38, 1903, 575; DNP I (1996) 864 s. v. Apollon (F. Graf). Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 87 gen, auf den luwischen Namensstamm *appaliya-, Gottes in dem Linear-B-Text aus Knossos nicht an- “the one of entrapping”, “hunter”, zurückgeführt erkennen, andererseits jedoch an der kleinasiati- werden, war Apollon also ursprünglich eine Gottheit schen Herkunft des Gottes festhalten, bliebe sonst der Jagd wie seine Schwester Artemis339? noch die Möglichkeit, daß der Gott erst seit dem Darauf, daß Apollon entgegen weitverbreiteter späteren 11. Jh. v. Chr., während der Zeit der soge- Meinung schon im mykenischen Griechenland ver- nannten Äolischen, Dorischen und Ionischen Mi- ehrt wurde, deutet zumindest die Lesung einer Li- grationen nach Westkleinasien, in das griechische near-B-Tafel mit einer Opferliste für verschiedene Pantheon übernommen wurde, also zur selben Zeit, Götter aus dem spätmykenischen Palast von Knos- als man etwa auch die Kulte des Apollon und des sos auf Kreta hin. Die bereits 1967 von C. J. Ruijgh Delphinios bzw. des Apollon und des Didymeus in vorgeschlagene Ergänzung des erhaltenen ]pe-ro2[ Didyma (s. u.) miteinander kombinierte. bzw. ]pe-rjo[ zu a-]pe-ro2-[ne und die Deutung als Ein lykischer oder karischer Ursprung des Got- Dativform aperjonei führt auf die rekonstruierte, e-vo- tes Apollon scheint entgegen der Überlieferung zu- kalisierte Urform des Gottesnamens, *Apeljon. Er mindest vom Namen her nicht zu bestehen: Die ist damit gegen W. Burkert und andere nicht genu- lykische Entsprechung des griechischen Apollon ist in dorisch, worauf ja schon die frühe und weit über nach Ausweis etwa der Trilingue von Xanthos den ‘dorischen’ Bereich hinausgehende Verbreitung (Mitte 4. Jh. v. Chr.) Natro- gewesen, was karischem des Kultes hinweist340. Der Kult seiner Schwester a- Ntro- entspricht, wie mehrere Votivinschriften be- te-mi-to/Artemis jedenfalls, der möglicherweise zeugen. Hierbei handelt es sich aber möglicherwei- auch westkleinasiatische Wurzeln hat, ist wie derje- se nicht um den Gottesnamen, sondern eher um ei- nige der po-ti-ni-ja a-si-wi-ja im mykenischen Pa- nen Titel, dem homonymen griechischen ¢n£ktwr, last von Pylos nachgewiesen341. “Herr”, entsprechend, der etwa auch im mythi- Will man die Gleichsetzung Apollons mit dem schen ältesten Namen von Milet, ‘Anaktoria’, trojanischen Appaliuna™ und die Erwähnung des steckt. Auffällig ist zudem die Nähe des lykisch-

339 Brown, Anatolian Apollo (s. o. Anm. 332) 246 ff. Die Gleichsetzung Apollons mit dem Appaliuna™ im Alak™andu- Vertrag wurde zuerst vertreten von E. Forrer, Apollon, Revue Hittite et Asianique 1.5, 1931, 141–144; danach P. Kretschmer, Glotta 24, 1936, 250 f.; vgl. z. B. auch Güterbock a. O. 42; Bachvarova a. O.; Beekes a. O. 12–14; Bryce, Neighbours 119. – Weiterhin skeptisch M. Hutter in: Luwians 267; vgl. G. Neumann, Lehnwörter als In- dizien für Kulturkontakte. Essay zur Geschichte der früh-griechischen Sprache, in: E. Braun-Holzinger – H. Mat- thäus (Hrsg.), Die nahöstlichen Kulturen und Griechenland an der Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr., Kontinuität und Wandel von Strukturen und Mechanismen kultureller Interaktion, Kolloquium Mainz, 11.–12. Dezember 1998 (2002) 39–45 bes. 44: “Im Hethitischen liegt ein a-Stamm vor, im Griechischen der kürzere n- Stamm. Der hethitische Name ist eine mit dem Suffix -una- gebildete Herkunftsbezeichnung ‘der vom Ort Apali stammt, dort wohnt’.” Vgl. auch Egetmeyer (s. o. Anm. 332) 208 f. mit Anm. 25. 340 KN E 842, 3; dazu C. J. Ruijgh, Études sur la grammaire et le vocabulaire du grec mycénien (1967) 56. 274; ders., Lingua 25, 1971, 313; W. Burkert, Greek Religion (1985) 51 Anm. 53; A. Heubeck, Glotta 63, 1985, 131; Beekes (s. o. Anm. 332) 7; ebenda 12–14 zur Rückführung des griechischen *Apeljon auf vorgriechisch *Apalyun(-), was der hethitischen Form Appaliuna™ entspricht. Die ältere e-Vokalisation hat sich nicht nur im Dorischen, sondern auch auf Zypern erhalten, wo die Nebenform Apeilon- einmal begegnet: Beekes a. O. 6. 13. Vgl. auch Brown, Anatolian Apollo (s. o. Anm. 332) 247, der für die mediale o-Vokalisation bei Homer lydischen Einfluß vermutet. – Auf die Lesung der Knossos-Tafel wird nicht eingegangen von G. Nagy, The Name of Apollo: Etymology and Essence, in: J. Solomon (Hrsg.), Apollo. Origin and Influences (1994) 3–7; DNP I (1996) 863 f. s. v. Apollon (F. Graf). – Die Nennung von Apollon in den Linear-B-Texten wird verneint von The Oxford Classical Dictionary3 (1996) 122 f. (F. Graf): “his name is absent from Linear B”; vgl. M. Prent, Cretan Sanctuaries and Cults. Continuity and Change from Late Minoan III C to the Archaic Period (2005) 472 Anm. 1338: “Apollo is not mentioned in any of the Known Linear B tablets. See esp. Burkert (...)”. – Als “speculative” wird sie bezeichnet von P. H. Ilievski, Interpretation of Some Mycenaean Personal Names: Nomina Theophora, in: S. Deger-Jalkotzy – S. Hiller – O. Panagl (Hrsg.), Floreant Studia Mycenaea, Akten des 10. Internationalen Mykenologischen Colloquiums, Salzburg, 1.–5. Mai 1995 (1999) I 299–311 bes. 308 f.; vgl. Weilhartner, Mykenische Opfergaben (s. o. Anm. 303) 43 Anm. 74: “nicht sicher gedeutet”. – Der auf der knossischen Tafel KN V 52 genannte Gott Pa-ja-wo-ne, der homerische Heilgott Paiéon, wird spätestens seit Sappho, fr. 44, 31–34 (Lobel – Page) mit Apollon gleichgesetzt: Herda, Apollon Delphinios 106 Anm. 705. Zur Etymologie des Pa-ja-wo-ne vgl. z. B. Neumann a. O. 44: “Pai£n <*Pajjawôn ist von *Pawj! ‘Schlag’ abgeleitet (zu pa…w), das zauberische Schlagen wurde zum Heilen eingesetzt”. 341 Zu Artemis vgl. o. Anm. 269 ff. 88 Alexander Herda karischen Natro-/Ntro- zum altägyptischen n t r, nämlich zum hattisch-hethitischen Gott Telipinu345. das allgemein “Gott” bedeutet342. Diese Bezüge erklären sich nicht alleine durch die Auch die vermutete Abstammung Apollons Homonymie, die zufällig sein könnte. Es bietet sich vom westsemitischen Seuchengott Re™ep, dessen vielmehr auch eine funktionale Vergleichbarkeit. So Kult in der späten Bronzezeit über Zypern in den ist Telipinu nicht nur eine Vegetationsgottheit346 und griechischen Kulturkreis vermittelt worden sein Schutzgott der hethitischen Staatsordnung und des könnte, überzeugt nicht343. Damit sind wir aber Königshauses347. Telipinu ist vielmehr auch, und das wieder auf den bronzezeitlichen luwischen Gott ist besonders bemerkenswert und macht ihn direkt Appaliuna™ von Wilu™a-Troja als möglichen Ur- mit dem Delphinios vergleichbar, der Beherrscher sprung des griechischen Apollon verwiesen344. des Meeres348 und Schutzgott der Gründung von In diesem Zusammenhang ist es m. E. weiterhin Tempel (Altar) und Königspalast (Herd und Thron) bedeutsam, daß der vermeintlich kretische Gott in der Hauptstadt. Er wird damit sinnbildlich selbst Delphinios ebenfalls kleinasiatische Bezüge aufweist, zum Gründer des hethitischen Staates349. In der

342 Zu Natro-/Ntro- als lykisch-karischem Apollon P. Demargne, La stèle trilingue du Létôon, Fouilles de Xanthos VI (1979) 32 Z. 3 f. (griechisch); E. Laroche, L’inscription lycienne, in: Ebenda 53. 61 f. Z. 4 (lykisch); vgl. W. Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (1977) 227 mit Anm. 14; ders., Greek Religion (1985) 144 mit Anm. 14; ders., Olbia (s. o. Anm. 330) 50; I. J. Adiego, The Carian Language (2007) 332. 389. Beekes (s. o. Anm. 332) 15 f. vertritt dagegen die Meinung, daß Natr- der karische Name des Gottes sei, nicht der lykische, und erklärt das Vorkommen des seiner Meinung nach karischen Gottesnamens in der lykisch-aramäisch-griechischen Trilingue im lykischen Xanthos mit der damaligen Herrschaft der karischen Hekatomniden als persische Satrapen in Lykien. Vgl. dazu ablehnend u. mit Anm. 404. – Für den Bezug von lykisch-karischem Natro-/Ntro- zum ägypti- schen n t r, “Gott”, s. O. Carruba, Cario Natri ed egizio n t r ‘dio’, in: M. Fritz – S. Zeilfelder (Hrsg.), Novalis Indogermanica. Festschrift für Günther Neumann zum 80. Geburtstag (2002) 75–84; Brown, Anatolian Apollo (s. o. Anm. 332) 245 f. – Zu Natro-/Ntro- als Titel, der mit dem griechischen ¢n£ktwr zusammengehen könnte, Laroche a. O.; Brown a. O. 245 Anm. 25. – Zu Milet als ‘Anaktoria’ s. o. Anm. 222. 343 W. Burkert, Re™ep-Figuren, Apollon von Amyklai und die ‘Erfindung’ des Opfers auf Zypern. Zur Religionsge- schichte der ‘Dunklen Jahrhunderte’, Grazer Beiträge 4, 1975, 51–79; vgl. A. Herda, AA 2005, 286 f. mit Litera- tur in Anm. 207; ablehnend Beekes (s. o. Anm. 332) 14. 18 f. vgl. bes. 18: “Burkert is very sceptic about this connection, I think rightly so.” – Die semitische Ableitung könnte allenfalls für den Apollon Amyklaios in Lakonien gelten; vgl. etwa M. L. West, The East Face of Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth (1997) 55. Es wird aber auch umgekehrt eine Herleitung des Apollon Amyklaios aus Lakonien vertreten: Prent a. O. 473 mit Literatur in Anm. 1341. 344 Bachvarova (s. o. Anm. 336) 46 Anm. 40 weist außerdem noch auf den in einem Keilschrifttext aus Bo%azköy ge- nannten Seuchengott Appaluwa hin (KBo XXII I 25 i 9’, 10’). Hier wäre neben der annähernden Homonymie die funktionale Entsprechung mit Apollon (= Appaliuna™?) als Seuchengott vor Troja bemerkenswert (vgl. u. mit Anm. 403). Ist etwa dieser Appaluwa mit dem Appaliuna™ des Alak™andu-Vertrages gleichzusetzen? 345 Vgl. A. Herda, AA 2005, 286 f. mit älterer Literatur in Anm. 208. 346 Zu Telipinu als Vegetationsgott vgl. z. B. V. Haas, Geschichte der hethitischen Religion (1994) 64. 129. 435. 701 f. 707–719. Relativierend zur ursprünglich angenommenen ausschließlichen Funktion des Telipinu als Vegetations- gottheit H. G. Güterbock, Gedanken über Telipinu, in: R. Kienle (Hrsg.), Festschrift Johannes Friedrich zum 65. Geburtstag am 27. August 1958 gewidmet (1959) 207–211. – Den Vergleich Delphinios – Telipinu mit einseitiger Betonung des Charakters des Telipinu als Vegetationsgottheit vertritt etwa R. D. Barnett, Ancient Oriental Influences on Archaic Greece, in: S. S. Weinberg (Hrsg.), The Aegean and the Near East, Studies presented to Hetty Goldman on the Occasion of Her Seventy-fifth Birthday (1956) 212–238 bes. 218 f.; abgelehnt dagegen von F. Graf, MusHelv 36, 1979, 21 f. mit Anm. 161: “Beziehungen zur Initiationsthematik fehlen bei Telipinu aller- dings.” Vgl. Graf folgend A. Herda, AA 2005, 286 f. mit Anm. 208; ders., Apollon Delphinios 275 Anm. 1942. 347 Betont von K. B. Gödecken, Eine ‘Wilder-Reiter’-Vase aus Milet. Ein Beitrag zur Kultgeschichte der milesischen Halbinsel, IstMitt 39, 1989, 129–142 bes. 140 f. – Vgl. etwa das tägliche Gebet Mur™ilis II. (ca. 1321–1295 v. Chr.) an Telipinu: Bachvarova a. O. 134–138; I. Singer, Hittite Prayers (2002) 7. 9. 13. 49 f. 54–56 Nr. 9; 67. 88. 348 Vgl. Haas a. O. 444. 467. 607: Telipinu nimmt im Telipinu-Mythos dem Meeresgott im Namen des obersten Got- tes, des Wettergottes, seine Tochter ab und heiratet sie. Im Gebet Mur™ilis II. an Telipinu ruft der König ihn in der invocatio an (E. Laroche, Catalogue des textes hittites [1971] Nr. 377 i 8–10 § 3): “Wether you, O honored Telipinu, are above in heaven among the gods, o r i n t h e s e a [Hervorhebung A. H.], or gone to the mountains to roam, ...” (Übersetzung I. Singer, Hittite Prayers [2002] 54). 349 H. Gonnet, Telibinu et l’organisation de l’espace chez les Hittites, in: M. Detienne (Hrsg.), Tracés de fondation (1990) 51–57, die auf die beiden Aspekte des Telipinu abhebt, den Schutz der Fluren und der Vegetation und die Gründung des Staates. Vgl. jetzt auch: M. Mazoyer, Télipinu et le mythe fondateur, in: P. Azara – R. Mar – E. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 89

Funktion des Kolonisators und Stadt- bzw. Staats- vorstellungen erkennen läßt. Die Gylloi markierten gründers tritt aber auch Apollon Delphinios im den Anfangs- und Endpunkt der Prozessionsstraße homerischen Apollon-Hymnos in Krisa-Delphi zwischen Stadt und Heiligtum und symbolisierten auf, ebenso im Gründungsmythos von Milet. Beide die Sakrosanktheit des Weges zur Gottheit. In die- Mythen setzt die griechische Überlieferung in der sem Sinne wurden sie nicht nur im Rahmen der minoisch-mykenischen Heroenzeit an350. Apollon-Prozession eingesetzt, sondern beispiels- Vorgriechische, möglicherweise indigen-klein- weise auch während der Prozession aus Anlaß der asiatische Elemente lassen sich im Rahmen des städtischen Dionysia351. stadtmilesischen Apollon-Kultes zudem in den soge- Weitere Kulte des historischen Milet, die indigen- nannten Gylloi fassen, heiligen Grenzsteinen, die im kleinasiatische Elemente oder gar einen indigen-klein- Rahmen der Neujahrsprozession vom Delphinion in asiatischen Ursprung erkennen lassen, sind diejenigen Milet zum Apollon-Orakel in Didyma “bei den To- der ‘phrygischen’ Kabiren352 und der Kybele353. ren” von Milet und “an den Türen von Didyma” Lydische Kulte sind bisher in Milet nicht nach- aufgestellt wurden. Diese Steine, deren Herkunft und weisbar, wohl aber wurde 1991 außerhalb der Stadt- Aussehen unbekannt sind, besaßen einen eigenen mauern beim Kalabaktepe eine lydische Inschrift des Kult, der Elemente animistisch-magischer Glaubens- 6. Jhs. v. Chr. entdeckt354, die zumindest auf die An-

Subías (Hrsg.), Mitos de fundación de ciudades en el mundo antiguo (Mesopotamia, Grecia y Roma), Coloquio internacional, Barcelona 8/9/10 de Junio de 2000 (2001) 51–57; ders., Télipinu, le dieu au marécage: essai sur les mythes fondateurs du royaume hittite (2003). 350 Vgl. dazu vorerst Herda, Delphinios–Didymeus Kap. IX. 351 Zu den Gylloi, die nicht mit Apollon, etwa in der Erscheinungsform des Apollon Agyieus, verbunden werden kön- nen, vgl. Herda, Apollon Delphinios 85–89. Zu Steinkulten in Kleinasien s. V. Haas, Hethitische Berggötter und hurritische Steindämonen (1982); M. Hutter, Kultstelen und Baityloi. Die Ausstrahlung eines syrischen religiösen Phänomens nach Kleinasien und Israel, in: B. Janowski u. a. (Hrsg.), Religionsgeschichtliche Beziehungen zwischen Kleinasien, Nordsyrien und dem Alten Testament, Orbis Biblicus et Orientalis 129 (Freiburg 1993) 87–108; M. Korfmann, Stelen vor den Toren Troias. Apaliunas-Apollon in Triusa/Wilusa?, in: G. Arsebük u. a. (Hrsg.), Light on Top of the Black Hill, Studies presented to Halet Çambel (1998) 471–488 bes. 475. Korfmann und ihm folgend J. Latacz (Latacz 62 mit Anm. 53 f.) sowie M. Klinkott (Die Wehrmauern von Troia VI – Bauaufnahme und Auswer- tung, StTroica 14, 2004, 33–85 bes. 57 f.) vertreten weiterhin die Funktion Apollons = Apulunas = Appaliuna™ als eines Torgottes, die auf der falschen Lesung der hethitischen Inschriften von Emir Gazi durch Hrozn4 beruht; s. o. mit Anm. 333. – Zum Steinkult in Karien vgl. jetzt A. Diler, Sacred Stone Cult in Caria, in: C. Iº@k (Hrsg.), Studien zur Religion und Kultur Kleinasiens und des ägäischen Bereiches, Festschrift Baki Ö%ün zum 75. Geburtstag, Asia Minor Studien 39 (2000) 51–77, anhand des bereits 1969 von B. Ö%ün in Kaunos gefundenen heiligen Steins im Hei- ligtum des Zeus Soter. Vgl. auch F. Iº@k, Der karische Bergherrscher und sein Heiliger Stein in Kbide, in: Ebenda 117–134 (ebenda 123 wird behauptet, es handele sich um einen Meteoriten, doch die Untersuchungen von A. Diler haben ergeben, daß der in zwei Teile gebrochene Stein aus dem anstehenden Felsen gehauen worden ist [ebenda 60]). 352 s. u. mit Anm. 378 f. 353 Der Kult der Kybele, Matar Kubileya, dürfte ebenfalls über Phrygien in der frühen Eisenzeit (spätestens im 7. Jh. v. Chr.) nach Ionien und in die Aiolis gelangt sein: Graf 107–115; N. Ehrhardt, Die Ionier und ihr Verhältnis zu den Phrygern und Lydern. Analyse der literarischen, epigraphischen und numismatischen Zeugnisse, in: E. Schwertheim – E. Winter (Hrsg.), Neue Forschungen zu Ionien, Fahri Iº@k zum 60. Geburtstag gewidmet, Asia Minor Studien 54 (2005) 93–111 bes. 98 f. Dieser Kult ist eng mit dem Kabirenkult verbunden (vgl. Graf a. O.) und zeigt wiederum Bezüge zum spätbronzezeitlichen luwischen Kult der Kubaba in Karkemi™ am Euphrat- oberlauf: DNP VI (1999) 950–956 bes. 950 f. s. v. Kybele (S. Takács) (direkte Abhängigkeit); phrygischer Kult ist eigenständig, Beeinflussung durch Kubaba-Kult ist unwesentlich: L. R. Roller, In Search of God the Mother. The Cult of Anatolian Cybele (1999); M. Hutter in: Luwians 272 f. 354 Eine zweizeilige kurze Inschrift, eingeritzt in ein 3,1 cm langes und nur 1,4 cm breites Bleistückchen von 1 cm Dicke, das 1991 auf einem Acker südlich des Kalabaktepe gefunden wurde; vgl. I.-J. Adiego, Fragment d’une inscription lydienne, in: V. von Graeve u. a., Milet 1994–1995, AA 1997, 109 ff. bes. 156 f.; zuletzt mit Korrektur der Lesung P. Weiß, Was Milet auch bietet. Zu Gewichten, Schleuderbleien und einem lydischen Sprachzeugnis, in: R. Biering u. a. (Hrsg.), Maiandros. Festschrift für Volkmar von Graeve (2006) 279–284 bes. 282 f. mit Abb. – Zu lydisch-ionischen Kontakten in spätgeometrischer bis archaischer Zeit im Überblick Ehrhardt a. O. 108 mit Anm. 126; M. Kerschner, Die Ionier und ihr Verhältnis zu den Phrygern und Lydern. Beobachtungen zur archäo- logischen Evidenz, in: Schwertheim – Winter a. O. 113–146 Taf. 9–10; ders., Lydische Weihungen in griechischen Heiligtümern, in: A. Naso (Hrsg.), Stranieri e non cittadini nei santuari greci, Atti del convegno internazionale, Udine 2003 (2006) 253–291 bes. 277 mit Anm. 141 (zur Inschrift aus Milet). 90 Alexander Herda wesenheit der mit Milet vor allem im 7. und 6. Jh. v. vermutlich lokaler Produktion, die ins 4. Jh. v. Chr. Chr. in engem Kontakt stehenden Lyder hindeuten datiert werden kann und die auf der Unterseite ihres kann. Literarisch überliefert ist, daß König Alyattes Bodens einen aus mindestens sechs Zeichen beste- ca. 605 v. Chr. der Athena von Assesos auf Geheiß henden ‘parakarischen’ Graffito trägt (vorläufige Le- des Orakels von Delphi zwei neue Tempel errichten sung von links nach rechts: ]a–m–4–?–t–u[?])360. Das ließ, nachdem der alte während eines Feldzuges ge- Schalenfragment wurde in der Vorgängeranlage des gen Milet von den Lydern zerstört worden war355. sogenannten Heroons III gefunden, einer noch ins 5. Auch weihte Kroisos gegen Mitte des 6. Jhs. v. Chr. Jh. v. Chr. zurückgehenden Kultanlage361. Der Fund- kostbare Votive in das zu Milet gehörige Orakel- ort deutet auf eine Verwendung in kultischem Kon- heiligtum des Apollon Didymeus nach Didyma356. text, allerdings ist die Zuweisung der Vorgängeran- Beide Nachrichten implizieren die Verehrung mile- lage des sogenannten Heroons III zu einem be- sischer, ionisch-griechischer Gottheiten durch die stimmten Kult bisher nicht möglich362. Lyder, wobei politisches Kalkül, aber auch Religio- Als klare Anzeiger für Zuwanderung von Karern sität eine Rolle gespielt haben mögen357. aus dem karischen Siedlungsbereich sind schließlich Der Kult des karischen Masaris, der dem griechi- die Kulte des Zeus Labraundos (Mylasa), Zeus schen Dionysos gleichzusetzen ist, ist durch den Lepsynos (Euromos) und Zeus Larasios (Tralleis) zu theophoren Personennamen Massarabis (= Dio- werten, die sich in Milet seit dem 3. Jh. v. Chr. durch nysios) in Milet im frühen 5. Jh. v. Chr. möglicher- kleine Hausaltäre nachweisen lassen363. weise indirekt nachweisbar, wie schon angeführt358. Als karisch gelten außerdem die Göttin Hekate und ihr männliches Pendant Hekatos sowie Leto359. Die Ioner kommen. Karer und Ioner in Ein möglicher Hinweis auf einen weiteren kari- Milet und der Milesia: Die Milesia schen Kult in Milet ist durch einen bemerkenswerten Neufund der letzten Jahre gegeben: 2003 tauchte das Siedlungen: Milet ist die südlichste Stadt erste karische Schriftzeugnis in der Stadt auf (Abb. Ioniens (Abb. 3). In der Milesia, dem Umland 9). Es handelt sich um eine schwarz gefirnißte Schale Milets364, finden sich in historischer Zeit allgemein

355 Hdt. 1, 19–22; vgl. Gorman 45. 122 f. 211; Kerschner, Lydische Weihungen a. O. 263 f. 281. Lydische Funde aus dem stadtmilesischen Athenaheiligtum fehlen dagegen bisher: Held (s. o. Anm. 304) 173. 356 Hdt. 1, 46, 2; 1, 92, 2; 5, 36, 3; vgl. Gorman 188; Kerschner, Lydische Weihungen a. O. 262. 281. 357 Kerschner, Lydische Weihungen a. O. 264 f. 279 f. 358 s. o. mit Anm. 288. 359 s. u. mit Anm. 406 f. 360 Die Schale wird demnächst gesondert vom Verf. zusammen mit W. Blümel vorgelegt, dem hier bereits für die Dis- kussion des Befundes gedankt sei. Von ihm stammt auch die Bestimmung der Inschrift als ‘parakarisch’. – Für die Lautwertbestimmung vgl. I.-J. Adiego, Die neue Bilingue von Kaunos und das Problem des karischen Alphabets, in: W. Blümel – P. Frei – C. Marek (Hrsg.), Colloquium Caricum: Akten der Internationalen Tagung über die karisch-griechische Bilingue von Kaunos, Feusisberg bei Zürich 1997, Kadmos 37, 1998, 57–79, und jetzt ders., The Carian Language (2007) 21. 508 Taf. 1. Bisher nicht belegt im karischen Alphabet ist die Form des vierten Zeichens von links, das einem griechischen Kappa entspricht (vgl. Adiego a. O. 24). Das sechste Zeichen ist m. E. die Nr. 19 mit dem Lautwert u (vgl. u. Anm. 414), allerdings stünde es dann auf dem Kopf. 361 Insbesondere die Keramikfunde, vor allem Trink- und Tafelgeschirr, erweisen seit spätestens der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. die kultische Funktion des Baukomplexes, der eine ganze Insula im Straßenraster Milets ausfüllte; s. M. Pfrommer, Klassische und hellenistische Keramik aus Heroon III, IstMitt 35, 1985, 39–51 bes. 39–44. Auch die qualitätvolle Bauweise der klassischen Bauphase, die Marmorquader verwendet, ist “bemerkenswert”: B. F. We- ber, Bauwerke in Milet Teil 10. Die römischen Heroa von Milet, Milet I 10 (2004) 140 Taf. 42, 5–6; 44, 1. 4–5. 362 Der Umbau der Anlage in severischer Zeit (Weber a. O. 134 f.), der den Einbau eines großen, in einer Cella auf einem Podium aufgestellten Marmorsarkophages sowie weiterer Sarkophage beinhaltete (ebenda 118–121. 128– 131 Abb. 77. 79–81 Taf. 34 Beil. 1–2), deutet zumindest für das 3. Jh. n. Chr. auf einen innerstädtischen Heroen- kult; s. ebenda 151 f. 363 Vgl. N. Ehrhardt in: P. Herrmann – W. Günther – N. Ehrhardt, Inschriften von Milet Teil 3: Inschriften n. 1020– 1580, Milet VI 3 (2006) 164–167 zu Nr. 1265–1271; ders., Bevölkerung 85. 364 Zur Milesia: Th. Wiegand, Die milesische Landschaft, Milet II 2 (1929); J. M. Cook, Some Sites of the Milesian Territory, BSA 56, 1961, 90–101; Gorman 43–46; Greaves 1–38; vgl. jetzt die Ergebnisse der Survey-Forschungen Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 91 nur vereinzelt eindeutige Spuren karischer bzw. luwischer Kultur. Die Grenze der Milesia zu Karien markierte als südwestlicher Eckpunkt das angeblich vom mythischen Anführer der ionischen Siedler, Neileos, bei seiner Ankunft in Kleinasien gegründe- te Heiligtum des Poseidon Enipeus auf Kap Monodendri. Das mit einem prächtigen archaischen Marmoraltar ausgestattete Heiligtum stellte auf- grund seiner Grenzlage ein “monument of major Abb. 9 Milet. Heroon III. Lokale Schwarzfirnis-Schale national significance” nicht nur für die Milesier, (4. Jh. v. Chr.) mit ‘parakarischem’ Graffito. sondern für alle Ioner dar365. Den anderen Eck- punkt bildete im Nordosten des Polisterritoriums kann nur näherungsweise bestimmt werden. Das die programmatisch ‘Ionia Polis’ (= ‘Ionische sich zwischen beide Orte schiebende bis 400 m Stadt’) benannte Siedlung366. Sie liegt als Hafenort in hohe Grion-Gebirge dürfte mit seiner westlichen der südöstlichen Ecke der Bucht von Latmos und Hälfte noch zu Milet gehört haben. Diese Gegend, befindet sich nahe der Grenze zum karischen die milhs…h Øper£kria, “das milesische Berg- Latmos und seiner Nachfolgesiedlung Herakleia. land”368, erhielten laut Herodot (6, 20) die Karer des Die Milesier nannten diesen Teil der Bucht von bei Halikarnassos gelegenen Pedasa/Pidasa von den Latmos auch ‘Ionopolitikos Kolpos’, ‘Bucht von Persern, nachdem diese 494 v. Chr. Milet erobert Ionia Polis’367. Der milesische Grenzverlauf zwi- hatten. Diese Karer gründeten daraufhin im Zen- schen Ionia Polis und dem am Basilikos Kolpos ge- trum der nördlichen Abhänge des Grion die gleich- legenen milesischen Phrourion Teichioussa (s. u.) namige Stadt Pedasa/Pidasa. Sie hatte wohl die Auf-

von H. Lohmann, Survey in der Chora von Milet. Vorbericht über die Kampagnen der Jahre 1990, 1992 und 1993, AA 1995, 293–333; ders., Survey in der Chora von Milet. Vorbericht über die Kampagnen der Jahre 1994 und 1995, AA 1997, 285–311; ders., Survey in der Chora von Milet. Vorbericht über die Kampagnen der Jahre 1996 und 1997, AA 1999, 439–473; ders. in: DNP VIII (2000) 166 f. s. v. Milesia; ders., Milet und die Milesia. Eine an- tike Großstadt und ihr Umland im Wandel der Zeiten, in: F. Kolb (Hrsg.), Chora und Polis, Kolloquium Tübin- gen 5.–8. April 2000 (2004) 325–360; ders., Survey bei Kaz@kl@ (Mu%la), in: 19. AST Ankara 2001 I (2002) 209–224; ders., Wo lag das antike Teichioussa?, OrbTerr 7, 2001 (2003), 143–174; ders., Die Chora Milets in archaischer Zeit, in: Frühes Ionien 363–392; ders., Topographie. – Zu den sogenannten milesischen Inseln, Leros, Patmos und Lepsia, vgl.: B. Haussoullier, Les îles milésiennes: Léros-Lepsia-Patmos-les Korsiae, RevPhil 26, 1902, 125–143; A. Rehm, Untersuchungen auf den Inseln Ioniens, Gnomon 2, 1926, 123 f. bes. 124; ders., Die milesischen Inseln, in: Wiegand a. O. 19–26; J. M. Cook, On Some Inscriptions of the Milesian Islands, BSA 62, 1967, 1–3; M. Piérart, Athènes et Milet II. L’ organisation du territoire, MusHelv 42, 1985, 276–299; Ehrhardt, Kolonien 16 f. Abb. b) S. 582. – Zur Insel Ikaria westlich Samos, die in archaischer Zeit zu Milet gehört haben mag, s. o. Anm. 106. – Zum milesischen Territorium an der Südwestspitze der Mykale um die kleine Polis Thebai herum s. Ehrhardt, Koloni- en 14 f.; Gorman 46; H. Lohmann, Survey in Theben an der Mykale, 1. Kampagne 2001, in: 20. AST Ankara 2002 II (2003) 247–260; Herda, Apollon Delphinios 132 mit Anm. 923; ders., Panionion–Melia 78 mit Anm. 198. 365 Schilardi, Helike and Ionia (s. o. Anm. 98) 297 f. Nach Strab. 14, 1, 2; Plin. nat. 5, 112; Pomp. Mela, de chorographia 1, 86 bildete das Heiligtum des Poseidon an der Südwest-Spitze der milesischen Halbinsel die Süd- grenze Ioniens zu Karien, an der Meeresbucht des sogenannten Kolpos Basilikos/Sinus Basilicus gelegen. Der Al- tar wurde nach milesischer Tradition vom ionischen Gründerheros Neileos errichtet (Strab. 14, 1, 3), sehr wahr- scheinlich für seinen Stammvater Poseidon Enipeus: Herda, Neileos 11–16. Zum Altar s. A. von Gerkan, Der Poseidonaltar bei Monodendri, Milet I 4 (1915); vgl. jetzt Ae. Ohnesorg, Ionische Altäre. Formen und Varianten einer Architekturgattung aus Insel- und Ostionien, AF 21 (2005) 6. 216 Tab. 5; 219. 225 Tab. 6; 232 mit Tab. 7. 366 Zu Ionia Polis vgl. A. Rehm in: Kawerau – Rehm 354; A. Peschlow-Bindokat, Ioniapolis. Zur Topographie einer milesischen Hafenstadt am latmischen Golf, IstMitt 27/28, 1977/78, 131–136; L. Robert, Documents d’Asie min- eure, BCH 102, 1978, 395–543 bes. 508–514; zur Grenzlage mit Karien vgl. Rehm a. O.; A. Peschlow-Bindokat, Die Umgestaltung von Latmos in der ersten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr., in: T. Linders – P. Hellström (Hrsg.), Architecture and Society in Hecatomnid Caria, Symposium Uppsala 1987 (1989) 69–76 bes. 69 f. Vgl. außerdem Lohmann, Topographie 201 s. v. Ionia polis; s. o. Anm. 106; zu Latmos vgl. Lohmann, Topographie 206 f. s. v. Latmos [2]; s. o. Anm. 105. 172. 367 Zum ‘Ionopolitikos Kolpos’ vgl. o. Anm. 106. 368 Vgl. zu diesem topographischen Terminus H. Lohmann, OrbTerr 7, 2001 (2003), 162 f.; vgl. allgemein zur räum- lichen Struktur der Milesia Herda, Apollon Delphinios 259–265. 92 Alexander Herda gabe, ein weiteres Vordringen Milets in das karische Zugang nach Milet aus dem karischen Hinterland Hinterland zu blockieren369. strategisch wichtige Platz war schon im späten Mehrere Ortsnamen in der Milesia gehen auf Neolithikum und Chalkolithikum (5.–4. Jt. v. Chr.) indigene, luwische bzw. karische Toponyme zurück besiedelt, jedoch scheint die Besiedlung ca. 3000 v. und könnten auf vorgriechische Bevölkerung hin- Chr. abzubrechen und setzt erst in protogeometri- weisen. Sie liegen alle im südlichen bzw. südöstlichen scher Zeit wieder ein374. Ein Zusammenhang der Grenzbereich des Territoriums. So z. B. Argasa370, Neugründung mit der sogenannten Ionischen Mi- Arnasos(?)371, Didyma372 und Pedanassos/Pidanasa373. gration ist daher naheliegend. Im Zuge der Neu- Nicht als indigen ist dagegen der Name der gründung wird auch der neue Ortsname vergeben Siedlung Assesos anzusehen, die im nordöstlichen worden sein, der aus dem attisch-boiotischen Raum Bereich der milesischen Halbinsel auf der Abbruch- stammen dürfte375. Assesos war eine der wichtigsten kante des Hochplateaus der sogenannten Stephania Siedlungen in der Milesia. Berühmt war auch der beim heutigen Mengerev Tepe sitzt. Der für den dortige Kult der Athena Assesie376, der schwerlich

369 Zu Pedasa/Pidasa vgl. o. Anm. 173. 291. 370 Der Ortsname ist aus der Demos(?)-Bezeichnung ’Argase‹j erschlossen (ab 4./3. Jh. v. Chr.): Zgusta, Ortsnamen 90 § 89-1 s. v. Argas//a//; A. Heubeck, Glotta 63, 1985, 123 (“nicht eindeutig”); Blümel, Ortsnamen 165 s. v. Argas/a/; M. Zahariade (Hrsg.), Lexicon of the Greek and Roman Cities and Place Names in Antiquity (ca. 1500 B.C. – ca. A.D. 500), Fasc. 6 (2002) 862 s. v. Argasa (M. Zahariade); vgl. Lohmann, Topographie 178 f. s. v. *Argasa, Argaseis; s. o. Anm. 298. Zu vergleichen ist auch die in der römischen Kaiserzeit nachgewiesene Epiklese ‘Argasis’ für Demeter, die von dem Toponym abgeleitet sein dürfte: Blümel a. O. – N. Ehrhardt, in: Herrmann – Günther – Ehrhardt a. O. 179 f. bes. zu Nr. 1288, trennt dagegen in Anlehnung an L. Robert “zwischen einem karischen Toponym Argasa(?) ... und einem griechischen, vielleicht ionischen Namen Argasia bzw. Beinamen Argasis”; vgl. Herda, Apollon Delphinios 314 Anm. 2243. 371 Der Ortsname ist in einem athenischen Beschluß ca. 450/49 v. Chr. betreffs Milet erwähnt: IG I3 Nr. 21 Z. 81; vgl. Laumonier 545; Zgusta, Ortsnamen 99 § 97–3 s. v. Arnasoj (“unsicher”); Blümel, Ortsnamen 165 s. v. Arnaso/j/; Lohmann, Topographie 179 s. v. Arnasos. 372 Vgl. Herda, Delphinios–Didymeus Kap. III mit Anm. 57 f.; vgl. u. im Abschnitt zu den Heiligtümern. 373 Der Ortsname ist hergeleitet aus der Epiklese ‘Pedanasseus’ für Apollon auf einem nicht datierten Grenzstein für ein Heiligtum, der am Weg von Didyma nach Akbük/ in situ stehend(?) gefunden wurde (Rehm – Harder [s. o. Anm. 57] Nr. 70): Blümel, Ortsnamen 177 s. v. Pedanass/oj/; Herda, Apollon Delphinios 348 mit Anm. 2494; Lohmann, Topographie 236 s. v. *Pedanassa. Die ältere Lesung ‘Pidanasseus’ und der daraus abgeleitete Ortsname ‘Pidanassos’ (z. B. Laumonier 545; vgl. noch Zgusta, Ortsnamen 478 § 1028 s. v. Pedanasseuj; ebenda 492 § 1059– 2 s. v. Pidanass//oj//; J. Fontenrose, Didyma. Apollo’s Oracle, Cult, and Companions [1988] 121) sind zu korri- gieren: P. Herrmann, Urkunden milesischer Temenitai, IstMitt 30, 1980, 223–239 bes. 238 Anm. 46. In der Weihung Rehm – Harder a. O. 112 Nr. 77 wurde von Rehm in Z. 1 [’ApÒll]wni PidanaseÜ gelesen, von Haussoullier, RevPhil 20, 1896, 94 f., aber Pedanase‹. Sollte Rehms Lesung in diesem Fall zutreffen, ist doch von zwei Schreibweisen der Apollon-Epiklese und damit des hieraus abgeleiteten Toponyms auszugehen (‘Pedanassos’ und ‘Pidanasa’). Eine Parallele bietet der Name der benachbarten karischen Gründung Pidasa im Grion (vgl. nächste Anm.), für die auch die e-vokalisierte Form ‘Pedasa’ überliefert ist; vgl. L. Robert, BCH 102, 1978, 491 mit Anm. 3. Hat Apollon Pedanasseus/Pidanaseus eventuell etwas zu tun mit dem karischen Pedasa/Pidasa im nahen Grion? 374 R. Senff, Sondierungen am Südhang des Mengerevtepe (‘Assesos’), AA 1995, 224–228 bes. 225, erwähnt in Sondage Q 93.3 (zur Lage vgl. H. Lohmann, AA 1995, Beilage Abb. 95 zu S. 311 f.: “Schnitt 3”) “erhebliche Men- gen chalkolithischer und neolithischer Keramik”, die Reste eines neolithischen (und chalkolithischen?; vgl. o. Anm. 438) Ovalhauses, viele Obsidianklingen und -abschläge und Feuersteinsplitter. Dann setzt die Besiedlung erst wieder in protogeometrischer Zeit ein, was einem Hiatus von ca. 3000–1050 v. Chr. entspräche. H. Lohmann verweist demgegenüber auf “spärliche Hinweise auf Siedlungskontinuität in der Bronzezeit”: Ders., Milet und die Milesia (s. o. Anm. 364) 335; vgl. auch ders., Topographie 180 s. v. Assesos. In der Nähe von Assesos, am Hang westlich unterhalb der Siedlung, entdeckte H. Lohmann mykenische Scherben der Stilstufe SH III A2/B1. Er deu- tet sie als Reste eines zerstörten mykenischen Grabes: Ebenda 335–337 Abb. 6–7 (Fundstelle Mengerev Mevki S 180); vgl. zur Lage ders., AA 1999, 468 mit Beilage 1. – Zu Assesos vgl. DNP II (1997) 111 s. v. Assesos (H. Lohmann); ders., Topographie 179–181 s. v. Assesos; Gorman 44 f. 210 f.; Zahariade, Lexicon (s. o. Anm. 370) Fasc. 7 (2005) 1019 f. s. v. Assesus/Assesos (O. Bounegru). 375 Vgl. Herda, Panionion Kap. VII mit Anm. 208; vgl. auch H. Lohmann, OrbTerr 7, 2001 (2003), 148 Anm. 31. 376 Zur Athena Assesie vgl. Hdt. 1, 19–22; dazu Laumonier 544; Herrmann (s. u.); Wachter (s. u.); Gorman 45. 123. 211; s. o. mit Anm. 355. – Zur Lokalisierung von Assesos auf dem Mengerev Tepe ca. 5 km südöstlich von Milet aufgrund neugefundener Weihinschriften an Athena Assesie seit 1992: P. Herrmann, Milet 1992–1993: Inschriften, AA 1995, 282–292 bes. 288–292; H. Lohmann, AA 1995, 311–314; zum Neufund einer Bronzeschale mit archaischer Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 93 karischer Herkunft sein dürfte377, sowie der nach te als Grenzfort den Zugang auf die milesische der Kultlegende ca. 700 v. Chr. aus Phrygien impor- Halbinsel von Süden her381. Eine indigene, karische tierte Kult der Kabiren378, dessen Herkunft in der bzw. luwische Vorbesiedlung des günstigen Platzes Forschung allerdings umstritten ist. Neben Phry- kann nicht ausgeschlossen werden, wenn auch bis- gien oder Thrakien wurde auch der levantinische her klare Anzeichen dafür fehlen382. Ein eindeutig Bereich erwogen, eine vor- bzw. ungriechische bronzezeitlicher Siedlungsplatz liegt dagegen auf Herkunft ist allerdings nicht zwingend379. der ca. 500 m westlich von Sapl@ Ada/Teichioussa Ebenso als ionisch-milesische Gründung proto- gelegenen Halbinsel Kömür Ada vor. Die heute zu geometrischer oder geometrischer Zeit ist das weiten Teilen durch den angestiegenen Meeresspie- Phrourion Teichiosa/Teichioussa, ‘die Hochum- gel transgredierte Ufersiedlung war vom späten mauerte’, zu betrachten380. Es liegt auf der heutigen Chalkolithikum bis mindestens in die Spätbronze- Halbinsel Sapl@ Ada am Golf von Akbük und sperr- zeit besiedelt383. Hier fand sich neben minoischer

Weihinschrift an Athena Assesie aus einer Raubgrabung im Winter 1996/97 beim neu entdeckten archaischen Tem- pel auf dem Mengerev Tepe vgl. R. Wachter, Eine Weihung an Athena von Assesos, EpigrAnat 30, 1998, 1–8; vgl. H. Lohmann, AA 1999, 442. Zum Tempel vgl. auch B. F. Weber, Zum spätarchaischen Tempel auf dem Mengerevtepe bei Milet, in: E.-L. Schwandner (Hrsg.), Säule und Gebälk. Zu Struktur und Wandlungsprozeß grie- chisch-römischer Architektur, DiskAB 6 (1996) 84–89. 377 So aber Laumonier 544 anknüpfend an die m. E. nicht zutreffenden Bestimmung des Ortsnamens als indigen kleinasiatisch. 378 Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 F 52; vgl. RE X 2 (1919) 1399–1450 bes. 1402. 1407–1409 s. v. Kabeiros und Kabeiroi (O. Kern); B. Hemberg, Die Kabiren (1950) 137–140; Laumonier 545 (dort als “égéo-anatolienne”, nicht phrygisch, angesprochen); J. Fontenrose, Didyma. Apollo’s Oracle, Cult and Companions (1988) 49. 152–154. 157. 175; W. Held, Funde aus Milet XIV. Ein Reiterrelief aus Milet und die Kabiren von Assesos, AA 2002, 41– 46; Herda, Apollon Delphinios 127. 174. 341. 379 Semitische Herkunft z. B. bei Fontenrose a. O. 153. 175. Die vor- bzw. ungriechische Herkunft der Kabeiroi ist heute umstritten: DNP VI (1999) 123–127 bes. 123 f. (F. Graf). – In Milet weist allerdings die Kultlegende unmißverständ- lich auf eine phrygische Herkunft des Kultes hin. Zu den bei Nikolaos überlieferten Namen der beiden phrygischen Jünglinge, TÒtthj und ”Onnhj, bemerkte Zgusta, Personennamen 519 § 1584-3: “muß erst im Zusammenhang mit der Sage untersucht werden”. Ein phrygischer Ortsname Totto//a// ist immerhin belegt: Zgusta, Ortsnamen 628 § 1356. Zu ”Onnhj vgl. Zgusta, Personennamen 374 § 1089-2: “Mitglied einer selbständigen, wenn auch nicht entwickelten Lallnamensippe”. – Zu Kontakten zwischen Phrygien und Ionien im 9.–8. Jh. v. Chr. vgl. Ehrhardt (s. o. Anm. 353) bes. 93–101; Kerschner (s. o. Anm. 353) bes. 113–129; ders., Phrygische Keramik im griechischen Kontext, ÖJh 74, 2005, 125–149 bes. 142–147. – Zum ebenfalls aus Phrygien nach Ionien gelangten Kult der Kybele s. o. mit Anm. 353. 380 Vgl. Herda, Apollon Delphinios 338–342 mit Abb. 17. Zur Namensbildung, die sich vom homerischen Adjektiv teiciÒeij für ‘hochummauert’ ableitet und auf eine Gründung in geometrischer Zeit hindeutet, vgl. E. Risch, Ein Gang durch die Geschichte der griechischen Ortsnamen, MusHelv 22, 1965, 193–205 bes. 196 f. 381 Zu Teichiosa/Teichioussa vgl. W. Voigtländer, Umrisse eines vor- und frühgeschichtlichen Zentrums an der karisch-ionischen Küste. Erster Vorbericht, Survey 1984, AA 1986, 613–667; ders., Akbük – Teichiussa. Zweiter Vorbericht – Survey 1985/86, AA 1988, 568–625; vgl. jetzt ders., Teichiussa. Näherung und Wirklichkeit (2004). Diese als abschließende Publikation seiner Untersuchungen gedachte Monographie ist allerdings, was die Metho- den und Ergebnisse angeht, höchst fragwürdig; vgl. die Rezensionen von O. Hülden, Clio-online, 16.01.2006 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen), und A. M. Carstens, AJA 110, 2006, 507 f. – Vgl. außerdem H. Lohmann, AA 1995, 321; ders., AA 1997, 290. 305; ders., AA 1999, 462; ders. in: DNP XII 1 (2002) 81 s. v. Teichiussa; ders., Milet und die Milesia (s. o. Anm. 364) 340–345; ders., OrbTerr 7, 2001 (2003), 143–174; ders., Topographie 246 f. s. v. Teichioussa. – H. Lohmann schließt aus den Ergebnissen seiner Survey-Untersuchungen im Raum um Teichioussa/Sapl@ Ada, daß die südlich sich anschließende Kaz@kl@-Halbinsel zwischen Akbük und Iasos nicht mehr zum milesischen Polisterritorium gehörte: Ders., Ein Survey bei Kaz@kl@ (Mu%la), 19. AST An- kara 2001 I (2002) 209–224 bes. 213. 216; ders., OrbTerr 7, 2001 (2003), 159 f.; ders., Topographie 219 s. v. Milesia. 382 Dies läßt sich auch mit dem archäologischen Befund auf Sapl@ Ada vereinbaren: Die Keramik setzt nach den Surveybefunden von W. Voigtländer und H. Lohmann “verstärkt erst in spätgeometischer Zeit ein, daneben wur- den nur vereinzelte spätchalkolithische und spätbronzezeitliche Scherben beobachtet”: Lohmann, Milet und die Milesia (s. o. Anm. 364) 345 Anm. 89; vgl. ders., OrbTerr 7, 2001 (2003), 163 mit Anm. 107. 383 W. Voigtländer, AA 1986, 613 ff. bes. 617 ff. Abb. 4–6; 621 ff. Abb. 17–27; ders., AA 1988, 607 f. Abb. 39; ders., Teichiussa a. O. 61–131 (‘Altteichiussa’) Faltplan 1–3 Taf. 1–16. 142–154; Niemeier, Westkleinasien 39 mit Anm. 17; 47 mit Anm. 110; 48 mit Anm. 120. – Laut Lohmann, Milet und die Milesia (s. o. Anm. 364) 344, wurde die Siedlung erst im Laufe des 8. Jhs. v. Chr. aufgegeben, als seiner Meinung nach Teichioussa auf der benachbarten Sapl@ Ada gegründet worden ist. 94 Alexander Herda und mykenischer Keramik auch lokal produzierte sischen Militärkommandanten von Teichioussa, des- Ware mit roter Engobe, die Parallelen in Beyce- sen besondere Verdienste um die Sicherheit Milets zu sultan findet und als indigen ‘anatolisch’ angespro- seiner Heroisierung im Rahmen der milesischen chen werden kann384. Diesen Befund zusammen mit Neujahrsprozession nach Didyma führten387. der festgestellten Siedlungskontinuität wertet H. Im äußersten Südosten der milesischen Halbin- Lohmann als Anzeiger für eine “minoisch beein- sel beim heutigen Akbük unweit von Sapl@ Ada/ flußte karische Siedlung”385. Teichioussa festgestellte Gräber und Compounds Die an der Prozessionsstraße nördlich von wurden von Walter Voigtländer und Hans Loh- Didyma aufgefundenen archaischen Skulpturen sit- mann mit bei Strabon erwähnten lelegischen Sied- zender Männer und Frauen, von denen eine die lungen (7, 7, 2: Lelšgwn katoik…aj) in Zusammen- Weihinschrift eines gewissen “Chares, Sohn des hang gebracht und als Bauten einer karischen Hir- Klesis, Archos von Teichiosa” an Apollon trägt, sind tenbevölkerung angesprochen (Abb. 10)388. Aller- entgegen den Vermutungen der älteren Forschung dings müssen beide feststellen, daß die archaisch zu nicht als Darstellungen lokaler (karischer) Dynasten datierende Keramik aus den Compounds rein grie- in orientalischem Herrscherhabitus anzusehen386. chisch ist389. Eindeutig als ‘karisch’ anzusprechende Vielmehr liegt hier ein spezifisch ionisch-griechischer Keramik scheint für Milet und sein Territorium bis- Bildnistypus vor, der adelige Männer beim homeri- her nicht festgestellt390. Im archäologischen Fund- schen Gemeinschaftsmahl, die Frauen aber als Her- bild sind die Karer überhaupt nur schwer auszuma- rinnen eines adeligen Oikos kennzeichnet. Bei chen, was entweder auf ihre Abwesenheit oder aber Chares handelt es sich wahrscheinlich um den mile- ihre starke Assimilation hindeutet391. Eine mögli-

384 J. Zurbach, REA 108, 2006, 282 mit Anm. 48. Zu solcher Keramik in Milet III (20. – Mitte 18. Jh. v. Chr.) s. Nie- meier, Milet 9 mit Anm. 54. 385 Ders., Milet und die Milesia (s. o. Anm. 364) 338. – Zumindest im 15. bis 13. Jh. v. Chr., als die gesamte milesische Halbinsel zum Territorium von Milawanda-Milet gehörte (s. o. Kap. V mit Anm. 115 f.), dürfte sich allerdings schwerlich eine karisch dominierte Siedlung auf Kömür Ada gehalten haben. Genauere Aussagen über den Cha- rakter der Siedlung kann nur eine Grabung erbringen. 386 Vgl. etwa noch A. Herda, B 16: Sitzstatue des Chares, in: K. Stemmer (Hrsg.), Standorte. Kontext und Funktion antiker Skulptur, Ausstellungskatalog Abgußammlung Antiker Plastik Berlin (1995) 123–127 bes. 124 f.; R. Krumeich, Bildnisse griechischer Herrscher und Staatsmänner im 5. Jahrhundert v. Chr. (1997) 21; N. Himmel- mann, Die private Bildnisweihung bei den Griechen (2001) 28–30. 387 Herda, Apollon Delphinios 327–343. Zum ursprünglichen Aufstellungskontext der Sitzbilder in gentilizischen Heiligtümern an der Prozessionsstraße und zum staatlichen Heroenkult des Chares vgl. ebenda 343–350. 388 Zu Teichiosa/Teichiussa vgl. Voigtländer a. O. – Vgl. zu den karischen Siedlungsspuren bei Akbük außerdem H. Lohmann, Survey in der Chora von Milet. Vorbericht über die Kampagnen der Jahre 1996 und 1997, AA 1999, 439 ff. bes. 446–453; ders., OrbTerr 7, 2001 (2003), 160. 162; ders., Topographie 207 f. s. v. Lelegeïs mit Literatur; vgl. DNP VII (1999) 39 f. s. v. Leleges (F. Gschnitzer). – Zu ‘Ovalbau Delta’ (hier Abb. 10) vgl. W. Voigtländer, AA 1988, 569 Abb. 1 (“‘D’”); 574–576 Abb. 6–9; 606. 613–616 Nr. 24–33 Abb. 43–45; ders., Teichiussa a. O. 211– 215 (“Hirtenbau”) Taf. 118 f. 46 f.; H. Lohmann, AA 1999, 447. 449 Anm. 32; 471 (“S 420”) Abb. 8–9; zur Lage vgl. ebenda Karte Beilage 1 nördlich oberhalb “Teichioussa”. – Vgl. auch den Beitrag von F. Rumscheid in die- sem Band [Anm. Red.]. – Zu den terrassenartigen Grabanlagen, die gute Parallelen im Lykien archaischer Zeit fin- den, s. Hülden a. O. mit Anm. 4. 389 Lohmann, AA 1999, 450 mit Anm. 38. Lohmann deutet ebenda die griechische Keramik in den Compounds als Anzeiger eines “regen wirtschaftlichen Austauschs der karischen Hirtenpopulation des Berglandes mit der grie- chischen Bevölkerung der milesischen Halbinsel” (vgl. auch ebenda 465). – Ebenda 450 schreibt er den orthogo- nalen Grundriß einiger Anlagen bei Akbük, etwa Voigtländers ‘Anlage 80’ (zu dieser vgl. W. Voigtländer, AA 1988, 576–580 Abb. 12–14), dem Einfluß “griechischer (orthogonaler) Bauprinzipien” zu, während die Bautech- nik “ganz in karischer Tradition” stehe. Dies deute “auf wachsenden griechischen Einfluß”. Vgl. auch ders., Milet und die Milesia a. O. 345 f. 390 Zur möglicherweise karischen grauen, schwarzpolierten Ware vgl. u. Anm. 415. Zur spätbronzezeitlichen polier- ten Ware von Kömür Ada s. o. 391 H. Lohmann, AA 1999, 456, verspricht sich allenfalls noch vom bisher kaum erforschten Gebirgsraum des Grion “wirklich Neues” zur Frage einer karischen Besiedlung. Auf der Halbinsel von Kaz@kl@/Do%anbeleni direkt süd- lich von Akbük, die H. Lohmann allerdings nicht mehr als zum Territorium Milets zugehörig ansieht (vgl. o. Anm. 381), entdeckte er auf einem ufernahen Hügel (Hassan Efendim Tepe) eine archaische Steinkistengräber- Nekropole, die er als karisch anspricht: Ders., Survey bei Kaz@kl@ (Mu%la), in: 19. AST Ankara 2001 I (2002) 209– Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 95

Abb. 10 Akbük. Archaische karische(?) Compound-Anlage (‘Ovalbau Delta’) 96 Alexander Herda cherweise vergleichbar starke “Assimilationsbereit- Wahrscheinlichkeit eine lokale Gottheit, wie die schaft” wurde für die seit der zweiten Hälfte des 7. Ableitung des Namens vom luwischen bzw. kari- Jhs. v. Chr. in Ägypten lebenden karischen Söldner schen Ortsnamen ‘Didyma’ verrät395. Zwar ist bis- und ihre Familien festgestellt392. her ein bronzezeitlicher Kult oder auch nur Sied- lungstätigkeit in Didyma archäologisch nicht sicher Heiligtümer, Kulte: Der wichtigste außerstädti- nachzuweisen, sieht man vom Fund einiger chalko- sche milesische Kult, dessen Anfang nach der lithischer bis mittelbronzezeitlicher (ca. 4.–2. Jt. v. milesischen Tradition in der Zeit vor der Ionischen Chr.) Steinbeile396 und dem Fuß einer mykenischen Migration liegt, war derjenige im Orakel-Heiligtum Kylix lokaler Produktion ab, die in die Stilstufe SH des Apollon Didymeus in Didyma393. Er wurde auf III A2 Spät gehört (ca. 1350–1300 v. Chr.). Die Kylix einen autochthonen, kleinasiatischen bzw. kari- vertritt also eine Zeitphase, in der Milawanda-Milet schen Ursprung zurückgeführt, wie etwa auch die unter mykenischer Kontrolle stand (s.ªo.)397. Die Abstammungsgemeinschaft der Branchidai, die in Ikonographie des Apollon Didymeus, wie sie etwa archaischer Zeit den Orakelbetrieb organisierten394. die berühmte, um 500 v. Chr. geschaffene Bronze- Hinter dem Didymeus verbirgt sich mit großer statue des sikyonischen Bildhauers Kanachos mit

224 bes. 213. 216. 218 Abb. 1 (Fundstelle 6); ders., OrbTerr 7, 2001 (2003), 160. Steinkistengräber sind jedoch auch in der erst vor einigen Jahren geplünderten Nekropole von Thebai an der Mykale zu beobachten, diese Grabform tritt also auch in griechischen Siedlungen Ioniens auf (zu Thebai als ionischer Siedlung s. o. Anm. 195). 392 F. Kammerzell in der Diskussion zu Höckmann (s. o. Anm. 281) 231; vgl. ders., Die Geschichte der karischen Minderheit in Ägypten, in: Ebenda 233–243 bes. 242, wo er in der Diskussion zu seinem Beitrag davon ausgeht, “daß die Karer auch in Kleinasien unter einem gewissen Assimilationsdruck standen und spätestens ab 500 v. Chr. weitgehend gräzisiert waren”. Zur karischen Assimilation in Ägypten vgl. auch ders., Studien (s. o. Anm. 278); G. Vittmann, Ägypten und die Fremden im ersten vorchristlichen Jahrtausend (2003) 155–179. 393 Paus. 7, 2, 6; Tzetzes, chil. 13, 110–112: Der Kult und das Orakel des (Apollon) Didymeus gehen in die Zeit vor der Ionischen Migration zurück. 394 Laumonier 561. 570–572; Herda, Delphinios–Didymeus Kap. III mit Anm. 58 ff. 395 Zum indigen westkleinasiatischen Ortsnamen Didyma vgl. Zgusta, Ortsnamen 162 § 264-2 s. v. Diduma; Blümel, Ortsnamen 167 s. v. Diduma; Herda, Delphinios–Didymeus Kap. III mit Anm. 57. 65. 396 Der Fund zweier chalkolithischer bis mittelbronzezeitlicher Steinbeile und eines Schleifsteins in archaischen Fundschichten in Didyma (K. Tuchelt, Didyma. Bericht über die Arbeiten 1969/70, IstMitt 21, 1971, 45–108 bes. 55 f. 82 f. Abb. 25 Nr. 255–257; vgl. außerdem den Fund zweier weiterer Steinbeile bereits im Jahr 1911: R. Naumann – K. Tuchelt, Die Ausgrabungen im Südwesten des Tempels von Didyma 1962, IstMitt 13/14, 1963/ 64, 15–62 bes. 42) wurde von M. Korfmann (Herstellung ‘prähistorischer’ Steinbeile und -äxte in der Antike? Zur Bedeutung in historischen Fundzusammenhängen, IstMitt 23/24, 1973/74, 39–52 bes. 43) nicht als Hinweis auf prähistorische Besiedlung am Ort, sondern als Hinweis auf die Verwendung dieser ‘Antiken’ in archaischer Zeit im “weiten Bereich Kult-Magie-Zauber” gewertet. 1994 wurde jedoch eine Steinkistennekropole des frühen 2. Jts. v. Chr. mit reichen Bronze- und Silberbeigaben nur 2 km südsüdöstlich des Apollontempels gefunden, die mittel- bronzezeitliche Besiedlung in der direkten Umgebung Didymas beweist: D. Bischop – A. Evren, Ein Fund- komplex des frühen 2. Jahrtausends aus Didyma, IstMitt 52, 2002, 59–78. 397 Zur Kylix, die direkt südlich des hellenistischen Tempels nahe bei der mindestens ins 8. Jh. v. Chr. zurückzuverfol- genden Orakelstätte als Streufund während einer Nachgrabung durch K. Tuchelt 1964 zutage kam, s. Th. G. Schattner, Didyma, ein minoisch-mykenischer Fundplatz?, AA 1992, 369–372 Abb. 1; vgl. jetzt auch Lohmann, To- pographie 184 f. s. v. Didyma. – Zum möglicherweise bronzezeitlichen Bestehen des Kultes in Didyma vgl. Herda, Delphinios–Didymeus Kap. IX mit Anm. 335 ff. – Die jetzt von G. Lüdorf, Römische und frühbyzantinische Gebrauchskeramik im westlichen Kleinasien. Typologie und Chronologie (2006) 25 mit Anm. 284, lediglich auf- grund ihrer Profilformen (sic!) als mittel- bis spätbronzezeitlich reklamierten Keramikfunde aus den Straßen- sondagen in Didyma sind, wie in dem dazu von ihr zitierten Werk von U. Wintermeyer (dies. – H. Bumke, Die hel- lenistische und frühkaiserzeitliche Gebrauchskeramik. Auf Grundlage der stratifizierten Fundkeramik aus dem Be- reich der Heiligen Straße, Didyma III 2 [2004] bes. die Flasche ebenda 22 Nr. 142 Abb. 88, die Schalen ebenda 22 Nr. 147 Abb. 93; Nr. 148 Abb. 94 und die Töpfe ebenda 24 Nr. 168 Abb. 111; Nr. 170 Abb. 113) dargelegt, stattdes- sen hellenistisch zu datieren. Wie das Datieren nur nach Profilformen ohne Berücksichtigung der Ware/des Scherbens oder der Bemalung in die Irre leiten kann, zeigt eine Gegenüberstellung formgleicher hethitischer Am- phoren aus Bo%azköy-Hattu™a mit spätgeometrisch-archaischen Amphoren aus Didyma: Th. Schattner, Möglichkei- ten und Grenzen der Bearbeitung geometrisch-archaischer Fundkeramik am Beispiel Didymas, in: B. Rückert – F. Kolb (Hrsg.), Probleme der Keramikchronologie des südlichen und westlichen Kleinasien in geometrischer und ar- chaischer Zeit, Internationales Kolloquium Tübingen 1998 (2003) 61–67 bes. 64 mit Abb. 1. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 97 dem beweglichen Hirsch auf der Hand bietet, deutet Apollon selbst – wie oben bereits angedeutet – auf- jedoch auf luwische bzw. südwestkleinasiatische grund seiner Nähe zu Appaliuna™ eine kleinasiatische (karisch-lykische) Wurzeln, im besonderen auf den Herkunft erwogen werden kann400. Als Orakelgott luwisch-hethitischen Schutzgott dLAMMA bzw. fungiert aber auch dLAMMA KU1kur™a™ im luwischen Kurunta, auch Gott der Fluren und der Jagd Ritual des bronzezeitlichen Reiches von Arzawa, (dLAMMA KU1kur™a™), dessen Kultbild regelhaft auf das, wie bereits erwähnt, mit seiner Kapitale Aba™a- einem Hirsch steht bzw. dessen Attribut der Hirsch Ephesos Milawanda-Milet benachbart lag. Dabei ist. Eine vergleichbare Funktion als Jagdgott wurde spielten Vogelzeichen eine große Rolle401, wodurch oben auch schon für Appaliuna™ von Wilu™a-Troja wieder eine Parallele zu Homers Epen gegeben ist, erwogen398. In diesem Zusammenhang ist darauf zu denn auch dort dienen Vogelzeichen der Zukunfts- verweisen, daß Apollon in Homers Ilias der zentrale vorhersage und wird Ephesos bzw. die Mündung des Gott der Orakel ist und, bezeichnend genug, auf Sei- Kaystros-Flusses als besonders vogelreich und impli- ten der kleinasiatisch-trojanischen Allianz gegen die zit als hervorragender Ort für Vogelmantik gekenn- mykenischen Griechen steht399, ja für den Gott zeichnet402.

398 Zum Hirsch als möglichem uralten, kleinasiatisch-bronzezeitlichen Attribut des Apollon Didymeus: Laumonier 577–580; E. Bielefeld, Ein anatolisches Motiv bei Kanachos?, IstMitt 12, 1962, 18–43 bes. 24 f. 36–39; R. Ghirshman in: R. Stiehl – H. E. Stier (Hrsg.), Beiträge zur Alten Geschichte und zu deren Nachleben. Festschrift F. Altheim I (1969) 35–41 (non vidi). Der Apollon Didymeus mit dem Hirsch wird mit dem luwisch-hethitischen Schutzgott, dLAMMA (= Kurunta), verglichen, der in der Ikonographie als auf dem Hirsch stehend dargestellt ist: Vgl. etwa E. Bielefeld, IstMitt 12, 1962, 37; K. B. Gödecken, IstMitt 39, 1989, 140. Zu dLAMMA = Kurunta, der in der Erscheinung des dLAMMA KU1kur™a™ (‘Schutzgott der Jagdtasche’) nicht nur Schutzgott der Fluren und der Jagd war, sondern auch vor Seuchen schützte, vgl. M. Hutter in: Luwians 229 f. 269. Zu Hirschen im bronzezeit- lichen Anatolien vgl. B. J. Collins, On Trail of the Deer: Hittite kÿrala, in: Beckman – Beal – McMahon (s. o. Anm. 149) 75–82. – V. M. Strocka, Der Apollon des Kanachos in Didyma und der Beginn des Strengen Stils, JdI 117, 2002, 81–125 bes. 87 f., weist aber darauf hin, daß der Hirsch auch in der griechisch-festländischen Ikonographie als Attribut des Gottes begegnet, etwa auch in Delphi: Paus. 10, 13, 5 (Statuenweihung eines Apollon, der eine Hirschkuh faßt, von den Makedonen aus Dion); vgl. auch R. Tsetskhladze, The Silver Phiale Mesomphalos from the Kuban (Northern Caucasus), OxfJA 13, 1994, 199–215 bes. 206 f. – Zur Mechanik des Hirsches zuletzt H. J. Schwerdhöfer, Eine Methode zur Rekonstruktion antiker Mechaniken erläutert an der Apollon-Philesios-Statue des Kanachos, Thetis 10, 2003, 56–68, sowie P. Weitmann, Technik als Kunst. Automa- ten in der griechisch-römischen Antike und deren Rezeption in der frühen Neuzeit als Ideal der Kunst oder der Philosophie und Wirtschaft (unpubliziertes Habil.-Manuskript, ich danke Pascal Weitmann, Berlin, herzlich für die Überlassung eines Auszugs aus seinem Manuskript sowie für Diskussionen zum Thema). – Zu Appaliuna™ als möglichem Jagdgott s. o. mit Anm. 339. 399 Vgl. Herda, Delphinios–Didymeus Kap. IX mit Anm. 336 ff. 400 s. o. mit Anm. 332 ff. 401 Die Vogelzeichen-Rituale sind uns neben weiteren arzawischen Ritualen durch ihre hethitische Adaption erhal- ten: M. Hutter in: Luwians 229. 237. 269; D. Bawanypeck, Die Rituale der Auguren, Texte der Hethiter 25 (2005) bes. 298–300. – Besteht ein Zusammenhang mit Hdt. 1, 159, wo von Vogelnestern am Orakeltempel in Didyma ca. 545 v. Chr. die Rede ist? dLAMMA KU1kur™a™ war als Schutzgott der Natur auch für die Orakelvögel zustän- dig: Bawanypeck a. O. 233. 241. 297 f. 402 Vgl. H. Erbse, Homerische Götter in Vogelgestalt, Hermes 108, 1980, 259 ff.; zur göttlichen Epiphanie in Vogel- gestalt vgl. J. B. Carter, Ancestor Cult and the Occasion of Homeric Performance, in: Dies. – S. P. Morris (Hrsg.), The Ages of Homer. A Tribute to Emily Townsend Vermeule (1995) 285–312; W. Burkert (in: ThesCRA III [2005] 5 f. s. v. 6a. Divination. Mantik in Griechenland, II a. 2C. 2) vertritt eine Herkunft der Vogelzeichenmantik aus dem ‘Orient’. Burkert gibt aber selbst den Hinweis, daß Hesiod, der aus dem äolischen, also west- kleinasiatischen Kyme stammte, ein (verlorenes) Buch über die Vogelmantik geschrieben habe und die älteste grie- chische Inschrift, die sich auf Vogelmantik bezieht, aus Ephesos(!) stammt (Syll. III3 309 Nr. 1167; F. Sokolowski, Lois sacrées de l’Asie mineure [1955] 84–86 Nr. 30 A; C. Börker – R. Merkelbach, Die Inschriften von Ephesos V, IK 15 [1980] 156 Nr. 1678 A [6./5. Jh. v. Chr.]). Hinzuweisen ist weiterhin auf Hipponax von Ephesos fr. 23 Deganie (= 16 West), wo Hipponax (2. Hälfte 6. Jh. v. Chr.) von einem von rechts heranfliegenden Reiher als gu- tem Zeichen beim Eintritt in das Haus seiner Hetäre Arete in Ephesos spricht. Just Ephesos, das an der Mündung des Kaystros-Flusses liegt, wird aber von Homer (Il. 2, 459–463) als besonders vogelreich gekennzeichnet, was Sokolowski a. O. m. E. zu Recht als Hinweis darauf gewertet hat, daß Ephesos zu Zeiten Homers für seine Vogelmantik berühmt war. Aus den hethitischen Orakelprotokollen des 13. Jhs. v. Chr. geht in diesem Zusam- menhang hervor, daß für die Orakel im besonderen Plätze aufgesucht wurden, an denen sich viele Vögel versam- melten, etwa an einem See oder Fluß: Bawanypeck a. O. 9 f. 98 Alexander Herda

Ein anderer Aspekt des Apollon Didymeus, sei- warten. Vergleichbares vermutet Niemeier auch für ne Eigenschaft als Seuchengott, macht ihn dem den allerdings genuin mykenischen Athena-Kult. luwischen Kriegsgott Jarri vergleichbar, der wie Wenn dies aber nicht der Fall sein sollte, muß mit der Apollon zu Beginn der Ilias seine todbringenden Ausbildung eines synkretistischen Kultes in Didyma Pfeile in das feindliche Heer schießt oder umge- seit der Zuwanderung der Griechen in protogeometri- kehrt von Seuchen zu heilen vermag. Wie Apollon scher Zeit (11./10. Jh. v. Chr.) gerechnet werden405. trägt er den Bogen als Attribut403. Weitere, im Ursprung möglicherweise kleinasia- Die mögliche Gleichsetzung der lokalen Gottheit tische Götter, die in Didyma und Milet verehrt (des luwischen dLAMMA KU1kur™a™ bzw. Kurunta?) wurden, könnten die ‘karische’ Hekate und ihr in Didyma mit Apollon, dessen lykisches und männliches Pendant Hekatos sein, der wie der karisches Äquivalent im 1. Jt. v. Chr. aller Wahr- Didymeus in Apollon aufging. Doch zumindest scheinlichkeit nach den Titel Natro-/Ntro- trug404, Hekate ist sehr früh, vielleicht schon in der Bronze- könnte bereits in der Periode mykenischer Präsenz zeit, in das griechische Pantheon aufgenommen in Milawanda-Milet erfolgt sein (14./13. Jh. v. Chr.). worden. Hierauf weist die frühe und weite Verbrei- Im Falle einer Siedlungskontinuität von der späten tung ihres Kultes hin sowie ihr fester Platz in der Bronzezeit in die frühe Eisenzeit, wie sie W.-D. Nie- hesiodischen Theogonie, die sie als Cousine des meier für Milet postuliert (s. o.), wäre für den syn- Apollon und der Artemis ausweist406. kretistischen Apollon-Didymeus-Kult in Didyma Ähnliches ist für Leto zu erwarten, die lykische eine Kultkontinuität bis in die historische Zeit zu er- Lada. Sie hat als Mutter der Zwillinge Apollon und

403 V. Haas, Geschichte der hethitischen Religion (1994) 368 f.; M. Hutter in: Luwians 236; vgl. dazu Bawanypeck a. O. 255 Anm. 789; 261. Apollon als Seuchengott vor Troja: Hom. Il. 1, 46–53. Zu Apollon Didymeus als Schützer vor Seuchen s. Apollodoros von Kerkyra bei Clem. Str. 5, 48, 4; Kallim., Iamb. IV fr. 194, 28–31 (Branchos heilt mit ei- nem Zauberspruch die Milesier von einer Seuche). Zu dem ‘karischen’ Zauberspruch vgl. u. Anm. 412. Der beson- dere Bezug Apollons zur Heilung von Krankheiten kommt in Milet weiterhin durch die Epiklesen ‘Ietros’ und ‘Oulios’ zum Ausdruck: O. Masson, Le culte ionien d’Apollon Oulios, d’après des donnes onomastiques nouvelles, JournalSav 1988, 173–181; N. Ehrhardt, Apollon Ietros. Ein verschollener Gott Ioniens?, IstMitt 39, 1989, 115–122; R. Capodicasa, Apollo Oulios, Teseo e i Filaidi nell’Atene di V secolo a. C., PP 52, 1997, 177–189; C. Schneider, Apollon Ulios in Velia, AA 1998, 305–317. Vgl. zu Apollon als Heiler allgemein DNP I (1996) 865–867 (F. Graf). 404 In der 1973 gefundenen lykisch-aramäisch-griechischen Trilingue von Xanthos (ein Dekret des Hekatomniden Pixodaros in seiner Funktion als persischer Satrap Lykiens aus der Mitte des 4. Jhs. v. Chr.) ist der lykische theophore Name ‘Natrbij^mi’ mit ’ApollÒdotoj übersetzt: P. Demargne, La stèle trilingue du Létôon, Fouilles de Xanthos VI (1979) 32 Z. 3 f. (griechisch); E. Laroche in: Ebenda 53. 61 f. Z. 4 (lykisch); vgl. O. Carruba, Cario Natri ed egizio n t r ‘dio’, in: M. Fritz – S. Zeilfelder (Hrsg.), Novalis Indogermanica. Festschrift für Günther Neumann zum 80. Geburtstag (2002) 75–84; vgl. die Beiträge von P. Debord und M. Meier-Brügger in diesem Band. – Dazuzustellen ist sehr wahrscheinlich der in zwei griechisch-sprachigen Inschriften aus Mylasa genannte Neterbimoj aus Kaunos (W. Blümel, Zwei neue Inschriften aus Mylasa aus der Zeit des Maussollos, EpigrAnat 16, 1990, 29–43 Nr. 11 Z. 19; Nr. 12 Z. 6). Hier dürfte die ins Griechische transkribierte karische Entsprechung des lykischen theophoren Namens ‘Natrbij^mi’ vorliegen: Blümel, Personennamen 20 s. v. Neterbimoj mit Anm. 65; Carruba a. O. 77; R. S. P. Beekes, Journal of Ancient Near Eastern Religions 3, 2003, 15 f.; I. J. Adiego, The Carian Language (2007) 238. 332. 339. 343. 347. Daher glaube ich auch nicht wie Beekes a. O., daß Natr- lediglich der karische Name des Apollon gewesen sein soll, nicht aber der lykische. Vielmehr handelt es sich um einen Titel, der in beiden Sprachen für den Gott Apollon in Benutzung war (s. o. Anm. 342). 405 Vgl. auch Herda, Delphinios–Didymeus Kap. III. 406 Hes. theog. 404 ff.; vgl. ihre Rolle im eleusinischen Mythos: Hom. hymn. Dem. 52 ff.; dazu Herda, Apollon Delphinios Kap. IV. 98 bes. Text mit Anm. 2037 ff.; ders., Delphinios–Didymeus Kap. III mit Anm. 58. – West (s. o. Anm. 313) 188–292 vertritt jetzt dagegen die Auffassung, Hekate sei weder thrakisch noch karisch oder über- haupt ‘protoindoeuropäisch’. Vielmehr sei sie ursprünglich semitischer, mesopotamischer Herkunft (vgl. mit der Göttin Lamaschtu: Ebenda 250–288. 316) und bereits von den mykenischen Griechen als i-pe-me-de-ja (= Iphi- medeia, vgl. den Linear-B-Text Pylos Tn 316) in ihr Pantheon aufgenommen worden (vgl. ebenda 234–249). Der historische Name Hekate gehe auf das ägyptische Substantiv hk3, ‘Magie’, mit femininer Endung -t zurück (*hk3t, ‘weibliche Magie’) (ebenda 291 f.): “The sense fits Hekate well. In Greece she was connected with witches, while her Mesopotamian prototype Lamashtu has strong connections with sorcery.” Allerdings bleibt u. a. un- klar, wann und wieso die Griechen der Göttin den vermeintlich ägyptischen Namen Hekate gegeben haben sol- len. – Vgl. zu Hekate auch den Beitrag von P. Debord in diesem Band mit Anm. 50–58 [Anm. Red.]. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 99

Artemis in Didyma, nach der lokalen Kultlegende in Didyma lasse sich noch in der römischen Kaiser- dem Ort der heiligen Hochzeit mit Zeus, eine be- zeit ein sonst nur literarisch überlieferter, spezifisch sondere Rolle inne407. karischer Opferritus, nämlich Hundeopfer409 und Die von Klaus Tuchelt aus dem Knochenbefund die Deponierung abgefleischter, unverbrannter auf der sogenannten Felsbarre, dem vermeintlichen Skeletteile, archäologisch nachweisen410 , ist dagegen Heiligtum der Artemis Pytheie408, abgeleitete These, abzulehnen411. Ebenso ist die Bestimmung einer be-

407 Vgl. Herda, Delphinios–Didymeus Kap. III mit Anm. 58. T. R. Bryce, in: Luwians 121, vermutet, daß die griechi- sche Leto die luwische Muttergottheit ^ni mahanahi, die ‘Mutter der Götter’, seit dem 5. Jh. v. Chr. schrittweise in “a syncretistic process” verdrängt habe. R. S. P. Beekes, The Origin of Apollo, Journal of Ancient Near Eastern Religions 3, 2003, 3–21 bes. 16, spricht Leto wie ihre Kinder Apollon und Artemis als kleinasiatisch an. West (s. o. Anm. 313) 96–105 erklärt jetzt dagegen Leto für semitisch und setzt sie mit der ostsemitischen Göttin Ischtar gleich. – Eine Verbindung zwischen Leto/Lada und der Insel Lade direkt nordwestlich von Milet vermutete Laumonier 545 in Anlehnung an U. von Wilamowitz-Moellendorff, Rez. von Kawerau – Rehm, in: GGA 1914, 65–109 bes. 71 Anm. 1, der allerdings dazu bemerkte: “Die Insel Lade, an der die feminine Endung auffällt, kann man mit dem lykischen Lada = Leto nicht gleich setzen, da ihr a kurz sein muß.” Zu Lade vgl. Lohmann, Topographie 204 f. s. v. Lade. L. Bürchner, in: RE XII (1924) 381 s. v. Lade, vermutete, der Ortsname könne vorgriechisch sein, er ist allerdings we- der von Zgusta, Ortsnamen, noch von Blümel, Ortsnamen, als solcher berücksichtigt. 408 Gegen die Deutung der Anlagen auf der Felsbarre als Artemis-Heiligtum jetzt überzeugend H. Bumke, Die Schwe- ster des Orakelgottes. Zum Artemis-Kult in Didyma, in: J. Mylonopoulos – H. Roeder (Hrsg.), Archäologie und Ritual. Auf der Suche nach der rituellen Handlung in den antiken Kulturen Ägyptens und Griechenlands (2006) 215– 237 bes. 227–230; vgl. auch Herda, Apollon Delphinios 352 Anm. 2518; 383 mit Anm. 2708 ff.; 459 Anm. 3242. 409 Vgl. das Suda-Lexikon s. v. KarikÕn qàma: ™pˆ tîn ¥sarka À ¥brwta mšlh quÒntwn. oƒ g¦r K©rej kÚna qÚousin (“Karisches Opfer: betreffs der opfernden (Karer): fleischlose oder nicht eßbare Körperglieder. Die Karer opfern nämlich Hunde”). Der nachgestellte zweite Satz mit der kausalen Konjunktion g£r spricht m. E. dafür, daß der gesamte Passus vom Hundeopfer handelt, die Karer demnach Hunde opferten, indem sie das Fleisch aßen und die fleischlosen und ungenießbaren Teile, z. B. die Knochen und Teile der Innereien, auf dem Altar verbrannten (für Verbrennung spricht der Terminus qàma, der sich auf qÚw, ‘opfern durch Verbrennen’, zurückführen läßt: J. Casabona, Recherches sur le vocabulaire des sacrifices en Grec des origines à la fin de l’époque classique [1966] 146–157. 305–310). Zu Hundeopfern, die sich im Griechischen zumeist an ‘marginale’, z. T. als fremd geltende Gottheiten wie Ares, die ‘karische’ Hekate und Geburtsgottheiten wie Eileithyia, Genetyllis oder die Theai Genniades richteten bzw. in kathartischen Riten vorkamen, s. Graf 421 f. mit Anm. 112: “Hundsopfer werden von den Griechen gerne den Fremden, Karern ... oder Thrakern ... gegeben”. Ritueller Verzehr von (jungen) Hunden ist auch für die lydischen Nachbarn der Karer in archäologisch im 6. Jh. v. Chr. bezeugt, allerdings ohne Hinweis auf Verbrennung von Skeletteilen wie bei den Karern: C. H. Greenewalt Jr., Ritual Dinners in Early Historic Sardis, University of California Publications: Classical Studies 17 (1978). Vgl. den Beitrag von Ch. Ratté in diesem Band. – Mittlerweile liegen allerdings auch archäologische Befunde vom Kalabak Tepe in Milet vor, die zumindest den Konsum von Hundefleisch in einer griechischen Siedlung nahelegen, wenn auch unklar ist, ob in einem rituellen Kontext: J. Peters – A. von den Driesch, Siedlungsabfall versus Opferreste: Eßgewohnheiten im archaischen Milet, IstMitt 42, 1992, 117–125 bes. 117; Bumke a. O. 221 Anm. 41. 410 K. Tuchelt, Tieropfer in Didyma – Ein Nachtrag, AA 1992, 61–81 bes. 81; vgl. ders., Didyma Wegweiser 30: Tier- opfer in Didyma (1992) 4 (ohne explizite Betonung der Hundeopfer, Tuchelt bezieht a l l e Knochenfunde auf karischen Opferbrauch): “Nach dem Erhaltungszustand zu urteilen, kann man annehmen, daß die Knochen im Be- reich der Felsbarre geschützt aufbewahrt und bei zunehmender Menge gestapelt worden sind. Erkennt man in der Aufbewahrung unverbrannter, nicht zerschlagener Skeletteile des Tieropfers das Spezifikum unserer Funde, so ist dies im einheimisch-karischen Umfeld wohl kein Zufall und entspräche der sprichwörtlichen Eigenart des “karischen Opfers”: es bestand “aus fleischlosen oder nicht eßbaren Gliedmaßen”. Die Knochenstapel waren dau- erhafte Zeichen des Rituals wie sonst die Altäre.” Danach z. B. U. Kron, Frauenfeste in Demeterheiligtümern: Das Thesmophorion von Bitalemi, AA 1992, 611–650 bes. 647; W. Blümel, Kadmos 37, 1998, 165; ders., Die Erforschung des Karischen, in: Frühes Ionien 429–436; J. N. Bremmer, Götter, Mythen und Heiligtümer im antiken Griechen- land (1996) 47; Ehrhardt, Bevölkerung 85. – Wie oben (vgl. vorherige Anm.) dargelegt, besteht die Besonderheit des ‘karischen Opfers’, zumindest nach der Aussage der Suda, aber gerade in der Opferung von Hunden, der Verbren- nung der nicht eßbaren Skeletteile auf dem Altar und – implizit – der Verspeisung der eßbaren Teile. 411 Vgl. jetzt kritisch Bumke a. O. bes. 225 f. 229, die die kaiserzeitlich zu datierenden Knochendeponierungen auf der sogenannten Felsbarre nicht mit vermeintlich ostentativ deponierten Opferresten, sondern mit der Funktion der Anlage als Fleischmarkt in Zusammenhang bringt. Ein solches m£kellon (lat. macellum) ist für Didyma im 2. Jh. n. Chr. epigraphisch nachgewiesen: Vgl. K. Tuchelt, Vorarbeiten zu einer Topographie von Didyma, IstMitt Beih. 9 (1973) 56 Nr. 43; 99 f.; ders., AA 1992, 80 Anm. 100. – Fraglich ist auch, ob die Funde von Hundeknochen im Be- reich der ‘Felsbarre’ so zu deuten sind, daß Artemis oder Apollon in Didyma Hunde geopfert wurden. Denkbar 100 Alexander Herda sonderen “karischen liturgischen Formel” in Didy- karischer Produktion415, ins späte 6. Jh. v. Chr. datiert ma fraglich412. werden und weist immerhin karische Dedikanten in Sicher karisch und nicht etwa griechisch413 ist ein Didyma nach (Beitrag Piras Abb. 3). Dies erhält ei- bereits 1964 von K. Tuchelt publizierter, aus vier nen besonderen Stellenwert dadurch, daß die griechi- Zeichen bestehender Graffito aus dem Apollon- sche Tradition, von Pausanias wiedergegeben, Didy- Heiligtum in Didyma, der von links nach rechts als ma und dem Kult des dortigen Apollon Didymeus u–l(?)–o–4 oder x–l(?)–o–4 zu lesen ist414. Er kann ein Alter attestierte, das in die Zeit vor der ionischen aufgrund des Inschriftenträgers, einer “schwarz- Migration zurückreicht, als die Karer die Region polierten” Schale aus ‘grauer Ware’ möglicherweise noch beherrschten (s. o.). Zu erinnern ist in diesem

wäre ebenso, daß die Tiere eines natürlichen Todes starben, wie zuerst vermutet, da z. B. Hundeknochen mit Zerlegungsspuren fehlen, die auf den Verzehr (in rituellem Kontext) hinweisen (vgl. den Befund aus der Siedlung auf dem Kalabak Tepe in Milet, s. o. Anm. 409): J. Boesneck – A. von den Driesch, Tierknochenfunde aus Didyma, AA 1983, 611–651 bes. 612; F. Graf, What is new about Greek Sacrifice?, in: H. F. J. Horstmanshoff u. a. (Hrsg.), Kykeon. Studies in Honour of H. S. Versnel, Religions in the Greco-Roman World 142 (2002) 113–126 bes. 118 Anm. 18; Bumke a. O. 216 Anm. 8; 221 Anm. 41. – Die Heiligkeit der Hunde im Kult der Artemis Kithone in Milet dürfte das Opfern von Hunden in diesem Kult ausgeschlossen haben; vgl. o. Kap. II mit Anm. 46. 412 So vermutete etwa W. Burkert, Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur, SitzAkadWissHeidelberg (1984) 62, hinter der merkwürdigen Formel bei Apollodoros von Kerkyra bei Clem. Str. 5, 48, 4; Kallim., Iamb. IV fr. 194, 28–31 (Branchos heilt mit einem ‘Zauberspruch’ die Milesier von einer Seuche) einen Heilungsspruch in einer “Fremdsprache”. Ablehnend dagegen W. Blümel, Die Erforschung des Karischen, in: Frühes Ionien 428–435 bes. 430 Anm. 12: “Die in Der Neue Pauly 6 (1999) 271 ff. bes. 273 s. v. Kares, Karia (H. Kaletsch) als solche apostrophierte „kar. liturgische Formel in Didyma, Kall. fr. 224 Pfeiffer“ (weniger dezi- diert: Laumonier 571 f.) [1. Teil: Bšdu z£my cqë plÁktron sfˆgx, A. H.] knaxzbˆ cqÚpthj flegmë drÒy war eine Merkformel im Schreibunterricht der (griechischen) Kinder, s. R. Merkelbach, ZPE 61, 1985, 293–296 = Philologica (Stuttgart/Leipzig) 73–76.” Übereinstimmend mit Merkelbach und Blümel: J. Fontenrose, Didyma. Apollo’s Oracle, Cult, and Companions (1988) 108 f. 413 Zur falschen Lesung als griechisch KOLC durch G. Tsetskhladze (vgl. z. B. ders., OxfJA 13, 1994, 205) s. Herda, Delphinios–Didymeus Kap. IV Anm. 120. 414 Photo in: R. Naumann – K. Tuchelt, IstMitt. 13/14, 1963/64, 16 ff. bes. 57 Nr. 64 Taf. 25, 1; K. Tuchelt, Die ar- chaischen Skulpturen von Didyma, IstForsch 27 (1970) 120 f. (hypothetische Lesung durch F. Steinherr als “Hydrieus”); M. Meier-Brügger, Die karischen Inschriften, Labraunda, Svedish Excavations and Researches II 4 (1983) 10 Nr. 21; L. Innocente, Note epigrafiche, in: Ebenda 101–110 bes. 102 Abb. 1 Nr. 5; S. 106; I.-J. Adiego, The Carian Language (2007) 145 C.Di 1(Lesung: ]u–b–™–4). Vgl. W. Blümel, Die Erforschung des Karischen, in: Frühes Ionien 429–436 bes. Text mit Anm. 8 [sowie den Beitrag von D. Piras in diesem Band, Anm. Red.]. – Für die Lautwertbestimmung vgl. Adiego a. O. 20. 508 Taf. 1. Die Zeichen auf der Schale in Didyma entsprechen von links nach rechts den Zeichen Nr. 19–10–12–28 (u–b–o–4). Da die Diagonalen des ersten Zeichens sich überschnei- den, könnte vielleicht auch Zeichen Nr. 21 mit dem Lautwert c vorliegen. Doch erscheint es mir wahrscheinli- cher, daß die unteren Enden der Diagonalen beim Einritzen des Graffito mit einem nadelartigen spitzen Gegen- stand schlicht zu lang geraten sind. Der Schreiber hatte wahrscheinlich ursprünglich beabsichtigt, die beiden - gonalen gegeneinander enden zu lassen, wodurch sich die V-förmige Variante des Zeichens Nr. 19 ergäbe und nicht die außerdem noch bezeugte Y-Form. Daß der Schreiber den Graffito etwas nachlässig ausgeführt hat, zei- gen die unförmig verlängerten Hasten des zweiten Zeichens Nr. 10, der senkrecht am dritten, kreisförmigen Zei- chen Nr. 12 ansetzende Strich sowie die nach rechts verlängerte untere Querhaste des vierten Zeichens Nr. 28. 415 Die Tonware der Schale Nr. 64 wird von Naumann – Tuchelt a. O. 57 (vgl. das Profil ebenda 55 Abb. 19 Mitte und das Photo Abb. 25, 1) als “körniger, glimmerhaltiger, grauschwarzer Ton” beschrieben. Die Oberfläche der Schaleninnenseite mit dem Grafitto sei “schwarzpoliert”. Das in derselben Ware hergestellte henkellose Schälchen Nr. 56 (ebenda 54 f. Abb. 17 rechts Taf. 22, 1) und die Schale Nr. 65 (ebenda 57 Taf. 25, 2) weisen nach der Be- schreibung von Naumann – Tuchelt a. O. einen “dunklen Tonschlammüberzug” auf, der poliert ist. Diese graue, polierte Ware, die auch in Milet gefunden worden sei, vergleichen sie mit der ‘aiolisch grauen Ware’. Zu überle- gen wäre, zumal bei der Schale mit der karischen Inschrift, ob es sich bei den drei Exemplaren aus Didyma even- tuell um karische Keramik handelt, die griechische Gefäße mit Schwarzfirnißüberzug bzw. schwarzem Glanzton imitiert. Allerdings deuten nach freundlicher mündlicher Mitteilung von U. Schlotzhauer von ihm veranlaßte, bis- her unpublizierte Tonanalysen von Gefäßen dieser grauen, polierten Ware aus Milet darauf hin (bisher auftreten- de Typen: Teller und Knickrandschalen), daß es sich um eine in Milet produzierte Keramikgattung handelt. – Auch aus Ephesos ist solche Ware, die man auch als ‘ionischen Bucchero’ bezeichnet, für ein breites Gefäß- spektrum bekannt. Bisher fehlen allerdings systematische Studien zu den lokalen ‘Grauen Waren’ in der Ostägäis. M. Kerschner z. B. rechnet mit mehreren Produktionszentren in Ionien; s. ders., Phrygische Keramik im griechi- schen Kontext, ÖJh 74, 2005, 125–149 bes. 125–127. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 101

Zusammenhang auch an die Weihung einer Statuen- wissen Paryo, Frau eines Athenaios, an Chrysanthe gruppe in Didyma, die durch die Inschrift auf einem (Aphrodite?). Die Basis mit Inschrift ist an der Kourosbein als Gemeinschaftsstiftung der Latmioi, Bucht von Akbük gefunden worden und war viel- also einer karischen Siedlung, ausgewiesen ist416. Be- leicht ursprünglich in Didyma aufgestellt420. Der merkenswert ist, daß die Weihinschrift in ionischem Name der Frau ist karisch421, der ihres Mannes Griechisch gehalten ist, nicht in Karisch, das in Athenaios und der ihrer Tochter Hestiaie aber grie- Latmos zumindest im 6. Jh. v. Chr. noch gebräuch- chisch. Da ein Ethnikon fehlt, dürfte es sich um eine lich gewesen sein dürfte417. Dem entspricht die Art Milesierin vermutlich karischer Abstammung ge- des Weihgeschenks, der Kouros, der als typisch grie- handelt haben. chisch angesehen werden kann. Die Latmioi erschei- nen demnach an die Kultur ihrer ionisch-griechi- schen Nachbarn assimiliert, die das Heiligtum von IX. Übriges Karien Didyma längst zu einem Teil ihres Staatswesens ge- macht hatten418. Der ursprünglich indigene, karische Etwas anders bietet sich die Situation in Karien Kultplatz wurde aber von beiden Bevölkerungsgrup- selbst dar, wo eine eigenständige Keramikpro- pen frequentiert. Dem Apollon-Kult in Didyma duktion bis in die Bronzezeit zurückreichte, doch kommt in diesem Sinne eine verbindende, die Akkul- immer auch Einflüssen der griechischen Keramik- turation zwischen Griechen und Karern fördernde produktion mykenischer, (proto-)geometrischer Bedeutung zu419, ähnlich wie vermutlich dem Kult und auch archaischer Zeit ausgesetzt war. Dies zei- der Artemis von Ephesos (s. o.). gen etwa die Funde aus der durch Raubgrabungen Ins 4. Jh. v. Chr. gehört schließlich die aufgrund stark betroffenen Nekropole von Daml@bo%az, dem eines Gelübdes erfolgte Statuenweihung einer ge- antiken Hydai/Kydai422, die beispielsweise im Rah-

416 Sogenannte Latmier-Weihung: Rehm – Harder (s. o. Anm. 57) 8 f. Nr. 12 Abb. 17 (ca. 575–550 v. Chr.). Die Kor- rektur der bisherigen Lesung der Weihinschrift durch L. H. Jeffery, Further Comments on Archaic Greek Inscriptions, BSA 50, 1955, 67 ff. bes. 70 Abb. 3; 84 Nr. 4 Z. 1 f. zu [tÑpÒl|wni tîi Did]um…wi (vgl. danach auch SEG 16, 1959, 192 Nr. 711) ist nicht angenommen worden: L. Robert, Rez. von Didyma II, in: Gnomon 31, 1959, 657 ff. bes. 661 (“ne semble pas tenir”); vgl. K. Tuchelt, Die archaischen Skulpturen von Didyma. Beiträge zur frühgriechischen Plastik in Kleinasien, IstForsch 27 (1970) 55 f. ‘K 9’; W. Günther, Das Orakel von Didyma in hellenistischer Zeit. Eine Interpretation von Steinurkunden, IstMitt Beih. 4 (1971) 11 Anm. 7. Jeffery hat ihre Kor- rektur später selbst zurückgenommen: Dies., The Local Scripts of Archaic Greece (1961) 332–334. 342 Nr. 25; vgl. auch die zweite, revidierte Neuauflage, herausgegeben von A. W. Johnston (1990). 417 Bezeichnend für den hohen Grad der Hellenisierung der Latmier ist auch, daß die Legende ihrer Silbermünzen grie- chisch ist und LAT lautet. Mit griechischen Legenden prägen ebenso die karischen Poleis und Pedasa, wäh- rend Kaunos, Keramos, Mylasa und Telmessos zumindest anfänglich noch karische Münzlegenden benutzen. Der Standard für Silberprägungen ist wie in allen anderen karischen Städten zu Beginn der milesische, wie K. Konuk in seinem Vortrag während des Kolloquiums ausführte; vgl. ders., Coin Legends in Caria, in: Adiego a. O. 471–492. 418 Vgl. Herda, Delphinios–Didymeus passim. Zu Latmos vgl. Lohmann, Topographie 206 f. s. v. Latmos [1]–[2]; Flensted-Jensen, Karia (s. o. Anm. 173) 1126 f. Nr. 910 (Latmos); vgl. u. Anm. 431. 419 Vgl. C. Morgan, Divination and Society at Delphi and Didyma, Hermathena 147, 1989, 17 ff. bes. 19 ff.; dies., The Origins of Pan-Hellenism, in: N. Marinatos – R. Hägg (Hrsg.), Greek Sanctuaries. New Approaches (1993) 18 ff. bes. 33 f. 420 Gefunden auf der Insel Guardalacapa: Rehm – Harder (s. o. Anm. 57) 124 Nr. 125 Abb. 63. Die Epiklese wertete Th. Wiegand, Siebenter vorläufiger Bericht über die von den Königlichen Museen in Milet und Didyma unter- nommenen Ausgrabungen, AbhAkadBerlin 1911, 64 f., mit Hinweis auf das Fest der Chrysanthina für Aphrodi- te im spätkaiserzeitlichen Sardeis als Aphrodite zugehörig. Rehm a. O. bleibt vorsichtiger (“scheint mir nicht ganz gesichert”); vgl. J. Fontenrose, Apollo’s Oracle, Cult, and Companions (1988) 149. 174. Hinzuweisen wäre außer- dem auf die für archaische Zeit in Milet bezeugte Hera-Epiklese ‘Anthea’, die sonst auch bei Aphrodite begegnet: Herda, Apollon Delphinios 248 Anm. 1764. 421 Vgl. Blümel, Personennamen 22 s. v. Paruw; ders., Verteilung (s. o. Anm. 190) 76; Ehrhardt, Bevölkerung 83. 422 Vgl. den Überblick bei R. M. Cook – P. Dupont, East Greek Pottery (1998) 14 (karisch-protogeometrisch). 23 f. (karisch-geometrisch). 29 (karisch-subgeometrisch). 63–66. 90 (karisch-archaisch). Zur geometrischen Keramik jetzt C. Özgünel, Karia Geometrik Serami%i (2006). Zur orientalisierenden (Tierfries) und archaischen (Fikellura) karischen Vasenmalerei und ihrer Abhängigkeit von der südionischen, im besonderen milesischen, vgl. jetzt auch G. Kalaitzoglou, Der Bochum-Maler – Fiktion oder wissenschaftliche Realität?, in: Biering (s. o. Anm. 354) 151– 102 Alexander Herda men dieses Bandes von ‚. Fazl@o%lu vorgestellt wer- sukzessive einwandernden ‘Ioner’ in der Folge eine den423. Aber auch eine Beeinflussung im umgekehr- höherstehende, rein ‘griechische’ Kultur entwickel- ten Sinne ist nicht auszuschließen, wie sie etwa in ten, es ein Kulturgefälle nur in eine Richtung, näm- der Koroplastik und Großplastik anhand bestimm- lich von der griechischen zur indigen-kleinasiati- ter Bildtypen und ikonographischer Details, ja so- schen, etwa karischen, gegeben hat, muß bezweifelt gar anhand von Stilmerkmalen ausgemacht wur- werden425. de424. Gerade in der südionischen Grenzstadt zu Für Karien stehen allerdings bis heute Sied- Karien, Milet, oder im benachbarten Iasos, dürfte, lungs- und Nekropolengrabungen weitgehend aus, bedingt durch die schon in der Spätbronzezeit vor- die repräsentativen Charakter für eine Erforschung auszusetzende Mischbevölkerung von Griechen, der karischen Kultur in der frühen Eisenzeit bean- Luwiern und Karern, eine symbiotische Mischkul- spruchen könnten426. Hier bleiben insbesondere die tur entstanden sein, die indigen kleinasiatische Ele- Ergebnisse der geplanten und begonnenen Survey- mente beinhaltete. Daß die seit der frühen Eisenzeit und Grabungsvorhaben im karischen Hinterland

162. – Die Lokalisierung von Hydai, das in den attischen Tributlisten des 5. Jhs. v. Chr. auch Kydai genannt wird (erschlossen aus dem mehrmals im karischen Phoros genannten Ethnikon ûUdaiüj bzw. Kudaiüj), gelang L. Ro- bert 1932 im Tal des Sar@çay (des antiken Flusses Kybersos?) westlich des Sodra Da% bei Mylasa. Dort entdeckte er ein in einer rezenten Brücke verbautes Sympolitie-Dekret des Demos der ûUdae‹j mit Mylasa: L. Robert, Rap- port sommaire sur un premier voyage en Carie, AJA 39, 1935, 331–340 bes. 338 f.; ders., Villes cariennes dans les listes des tributs attiques, RevPhil 1936, 274–284 bes. 276 mit Anm. 5; 283 mit Karte (wiederabgedruckt in: Ders., Opera minora selecta III [1969] 1467–1477); Laumonier 161 f.; G. E. Bean, Kleinasien 3. Jenseits des Mäander, Karien mit dem Vilayet Mugla (1974) 50 f. mit Karte S. 12 f.; R. Stillwell (Hrsg.), The Princeton Encyclopedia of Classical Sites (1976) 399 s. v. Hydai (G. E. Bean). Der Ort wird seit Bean mit der befestigten Siedlung identifi- ziert, die zu der in den 1960er Jahren beim türkischen Dorf Daml@bo%az entdeckten Nekropole gehört: Vgl. A. Diler, ‚ç Karia Yüzey Araºt@rmas@, in: 15. AST Ankara 1997 II (1998) 409–422 bes. 410 f. Abb. 3–5; ders., Daml@bo%az/Hydai Araºt@rmalar@ – 2000, in: 19. AST Ankara 2001 I (2002) 225–236; ders., Daml@bo%az/Hydai ve Leleg Yar@madas@ Araºt@rmalar@ 2001, in: 20. AST Ankara 2002 II (2003) 11–22. – Demgegenüber bringt Zgusta, Ortsnamen 648 § 1398-2 ûUdaj, Kudaj (vgl. ebenda 649 Karte 520), den im Sympolitie-Dekret und in den attischen Tributlisten genannten Ort mit Plin. nat. 5, 104 zusammen, wo von einem oppidum Hydas die Rede ist, und rekonstruiert daraufhin den Ortsnamen Hydas bzw. Kydas. Vgl. dazu aber L. Robert, AJA 39, 1938, 338: “On les place dubitativement dans la Pérée rhodienne, dans la region d’Erine, en rapprochant une ville d’Hydas ou Hylas, qui serait située dans cette région, d’après Pline et Mela, les seuls auteurs qui nous la fassent connaître.” Vgl. auch Blümel, Ortsnamen 181 s. v. Udai mit Anm. 76: “Die Quellenangaben bei Zgusta sind auf Hydai bei Mylasa und Hydas in der rhodischen Peraia (s. I. K. 38, p. 75) zu verteilen”. Zu Hydas s. u. Kap. X mit Anm. 453. 423 Vgl. ‚. Fazl@o%lu, Relations between Caria and Ionia on the Basis of Orientalizing Pottery, in: Frühes Ionien 253–261. 424 Vgl. insbesondere die manchmal etwas zu optimistisch ‘Anatolisches’ ausmachenden Arbeiten von R. Özgan (Un- tersuchungen zur archaischen Plastik Ioniens [1978]) und F. Iº@k, Die Koroplastik von in Karien und ihre Beziehungen zu Ostionen zwischen 560 und 270 v. Chr., IstMitt Beih. 21 (1980); ders., Elfenbeinfiguren aus dem Artemision von Ephesos, in: U. Muss (Hrsg.), Der Kosmos der Artemis (2001) 85–100; ders., Zur Rolle der ionischen Plastik bei der Entstehung der attischen Klassik, in: D. Papenfuß – V. M. Strocka (Hrsg.), Gab es das griechische Wunder?, Tagungsbeiträge des 16. Fachsymposiums der A. v. Humboldt-Stiftung, Freiburg 1999 (2001) 147–162; ders., Die Statuetten vom Tumulus D bei Elmal@. Ionisierung der neuhethitisch-phrygischen Bild- formen in Anatolien, Lykia 5 (2003); ders., Zur Entstehung der Falten und des Lächelns in der Ägäis, in: M. Novák – F. Prayon – A.-M. Wittke (Hrsg.), Die Außenwirkung des späthethitischen Kulturraums. Gütertausch, Kulturkontakt, Kulturtransfer, Akten der 2. Forschungstagung des Graduiertenkollegs “Anatolien und seine Nachbarn”, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 20.–22. November 2003 (2004) 127–150; ders., Anfänge (s. o. Anm. 265. 320). – Eine Beeinflussung karischer Bildhauerschulen in Karien und Ägypten durch südionische, vor allem milesische, glaubt U. Höckmann erkennen zu können: s. o. Anm. 281. 425 So betrachtet Kalaitzoglou a. O. 160 “die südionische Keramik bereits als Resultat einer ionisch-karischen Symbiose”. 426 Die Aussage, daß die Karer in Karien selbst “bislang archäologisch kaum isolierbar sind” (H. Kaletsch in: DNP VI [1999] 272 s. v. Kares, Karia), resultiert aus eben diesem Mangel des Forschungsstandes. Wegweisend sind im- mer noch die Surveyforschungen von W. Radt auf der Halbinsel von Halikarnassos: Ders., Siedlungen und Bau- ten auf der Halbinsel von Halikarnassos, IstMitt Beih. 3 (1970). Neuere Surveys haben dem bisher nicht viel hin- zufügen können; vgl. etwa P. Flensted-Jensen – A. M. Carstens, Halikarnassos and the Lelegians, in: S. Isager – P. Pedersen (Hrsg.), The Salmakis Inscription and Hellenistic Halikarnassos, Halicarnassian Studies IV (2004) 109– 123. Zur Nekropole von Müskebi vgl. A. M. Carstens, Drinking Vessels in Tombs – A Cultic Connection?, in: C. Scheffer (Hrsg.), Ceramics in Context, Proceedings of the Internordic Colloquium on Ancient Pottery, Stock- holm, 13–15 June 1997 (2001) 89–102; vgl. auch den Beitrag von A. M. Carstens in diesem Band. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 103 abzuwarten427, etwa in der lydisch-karischen auch ein Bild von der Siedlungsweise im karischen Grenzstadt Tralleis oder in Alabanda428, , Hinterland. Überraschend ist dabei der Fund eines Alinda429, Hyllarima430, Euromos, Latmos431, My- spätgeometrischen Oval- oder Apsidenhauses (Bei- lasa432, Theangela433 und Lagina434. trag Diler Abb. 1)437. Es stellt das früheste gut Das große Potential solcher Grabungen deuten datierbare Haus dieser Art in Karien dar und bekräf- die bisher nur sehr begrenzten Sondierungsgrabun- tigt die von W. Radt anhand der Surveyfunde auf der gen in der Nekropole von Hydai sowie an einem na- Halbinsel von Halikarnassos gemachte Feststellung, hegelegenen Siedlungsplatz im Tal des Sar@çay an, die daß dieser für die protogeometrische und geometri- A. Diler und ein Team der Universität Mu%la im Jah- sche Zeit signifikante Haustyp, den die nach Klein- re 2000 durchführten435. Sie geben nicht nur Auf- asien einwandernden Griechen mitbrachten, von den schluß über das Aussehen der so reich ausgestatteten Karern und Lelegern, wenn auch z. T. in abweichen- Kammergräber von Hydai436, sondern vermitteln der Form, übernommen wurde438.

427 Eine ältere Studie zu Nordkarien bietet R. T. Marchese, The Historical Archaeology of Northern Caria, BAR Interna- tional Series 536 (1989); zu Ostkarien s. L. Robert, La Carie. Histoire et géographie historique avec le recueil des inscriptions antiques II: Le plateau de Tabai et ses environs (1954); zu Südkarien vgl. etwa P. Roos, Survey of Rock- Cut Chamber-Tombs in Caria I: South-Eastern Caria and the Lyco-Carian Borderland, SIMA 72, 1 (1985). Für die Hochebene nördlich der Bucht von Keramos s. P. Debord – E. Varinlio%lu (Hrsg.), Les Hautes Terres de Carie (2001). 428 Grabungen des Museums Ayd@n; vgl. E. Yener, Alabanda Antik Kenti Kaz@ Temizlik ve Çevre Düzenleme Çal@ºmalar@, in: 11. Müze Çal@ºmalar@ ve Kurtarma Kaz@lar@ Sempozyumu Denizli 2000 (2001) 5–16; ders., Albanda Antik Kenti Kaz@ Temizlik ve Çevre Düzenleme Çal@ºmalar@, in: 12. Müze Çal@ºmalar@ ve Kurtarma Kaz@lar@ Sempozyumu Kuºadas@ 2001 (2002) 179–190; ders., Albanda Antik Kenti Kaz@, Temizlik ve Çevre Düzenleme Çal@ºmalar@, in: 14. Müze Çal@ºmalar@ ve Kurtarma Kaz@lar@ Sempozyumu Ürgüp/Nevºehir 2004 (2005) 109–116. 429 V. Özkaya – O. San, Alinda Nekropolü I, in: 17. AST Ankara 1999 II (2000) 263–278; dies., Alinda Nekropolü II, in: 18. AST Ankara 2000 I (2001) 181–196; dies., Alinda and Amyzon. Two Ancient Cities in Caria, in: 19. AST Ankara 2001 I (2002) 237–254; dies., Alinda 2001 Araºt@rmalar@, in: 20. AST Ankara 2002 I (2003) 235–248. 430 E. Varinlio%lu – P. Debord, Hyllarima 2000, in: 19. AST Ankara 2001 II (2002) 151–156; dies., Hyllarima 2001, in: 20. AST Ankara 2002 II (2003) 85–92; dies., Hyllarima 2002, in: 21. AST Ankara 2003 I (2004) 65–74; dies., Hyllarima 2003, in: 22. AST Konya 2004 I (2005) 63–68; dies., Hyllarima 2004, in: 23. AST Antalya 2005 I (2006) 117–122. Zu Hyllarima, dem Walarima der hethitischen Texte, vgl. o. Anm. 145. 175. 431 A. Peschlow-Bindokat, Lelegische Siedlungsspuren am Bafasee, in: Festschrift E. Akurgal, Anadolu 22, 1981/83 (1989), 79–83; dies., Der Latmos. Eine unbekannte Gebirgslandschaft an der türkischen Westküste, AW Sonderh. (1996); vgl. dies., Eine karische Gebirgslandschaft. Herakleia am Latmos. Stadt und Umgebung, Homer Archaeological Guides 3 (2005); dies., Feldforschungen im Latmos. Die karische Stadt Latmos, Milet III 6 (2005); dies., Zur Gründung der karischen Stadt Latmos, in: Frühes Ionien 419–428. 432 Vgl. F. Rumscheid, 1996, in: 15. AST Ankara 1997 II (1998) 385–407; ders., Milas 1997, in: 16. AST Ankara 1998 II (1999) 165–186. 433 F. Iº@k, Frühe Funde aus Theangela und die Gründung der Stadt, IstMitt 40, 1990, 17–36. 434 Vgl. die Andeutungen in A. A. T@rpan – B. Sö%üt, , Lagina Araºt@rmalar@ I (2005) 52. 54; dies., Lagina ve Börükçü 2004 Y@l@ Çal@ºmalar@, 27. KST Antalya 2005 II (2006) 257–270. 435 A. Diler, Daml@bo%az/Hydai Araºt@rmalar@ – 2000, in: 19. AST Ankara 2001 I (2002) 225–236. – Vgl. den Beitrag von A. Diler in diesem Band [Anm. Red.]. 436 Informationen über die Nekropole finden sich außerdem in der sogenannten Karia Koleksiyonu des Sadberk Han@m Müzesi in Istanbul, die umfangreiche Funde aus Daml@bo%az/Hydai beinhaltet. 437 Diler a. O. 228 f. Plan 4 Photo 9–10. 438 Vgl. o. Kap. VIII mit Anm. 318 ff. Nach der kurzen Befundbeschreibung und den Photos der Mauerreste zu ur- teilen (vgl. Diler a. O. – Vgl. dazu jetzt ausführlicher A. Diler in seinem Beitrag in diesem Band [Anm. Red.]) be- saß das Haus einen Mauersockel aus größeren Bruchsteinen (von der Innenschale der Südwand liegen noch fünf Blöcke in Reihe), der auf einem kleinsteinigen Fundament ruhte. Aufgehende Lehmziegelwände sind wahrschein- lich. Damit würde das Haus im Gegensatz zu den lelegischen Ovalbauten, die massive Steinwände besaßen (vgl. o. Kap. VIII mit Anm. 320), eine direkte Übernahme aus dem griechischen Hausbau darstellen. Eine vergleichba- re Konstruktion weist auch das 1998 von Mathias Benter in Hydas/Hygassos entdeckte Apsidenhaus auf, für das allerdings noch keine Datierung vorliegt (s. o. Anm. 320. – Vgl. den Beitrag über Hydas von M. Benter in diesem Band mit Abb. 19 [Anm. Red.]). – Diler a. O. 228 f. Anm. 9 verweist m. E. zu Recht auf das spätprotogeometrische Apsiden- oder Ovalhaus von Klazomenai (vgl. o. Kap. VIII mit Anm. 319 f.). Wichtig ist auch sein Hinweis dar- auf, daß Apsiden- bzw. Ovalhäuser in spätchalkolithischer Zeit (er führt als Vergleich die Befunde der Rettungs- grabungen in Tahtal@ Baraj@ an: T. Özkan – H. Erkanal, Tahtal@ Baraj@ Kurtarma Kaz@s@ Projesi [1999] 36 Abb. 34) und der frühen Bronzezeit in Kleinasien verbreitet sind (dazu von Diler zitiert: G. Cadogan, The End of the Early 104 Alexander Herda

Die laufenden Arbeiten in den Küstenstädten, X. Resümee und Ausblick etwa Iasos439, Halikarnassos, Loryma440 oder Kau- nos441, vermitteln den Eindruck, daß gerade in die- Wie die Siedlungsarchäologie in Südionien und sen Kontaktzonen zum ionischen, dorischen und Karien, die erst am Anfang steht, so ist meines Er- lykischen Kulturraum mit bereits seit der Bronze- achtens etwa auch die religionswissenschaftliche zeit einsetzender stärkerer Akkulturation zu rech- Analyse ionischer und indigener Kulte dazu geeig- nen ist, die es erschwert, ein klareres archäologi- net, die Prozesse der Akkulturation und Ethno- sches Bild der karischen Kultur zu zeichnen. Hier genese der sogenannten Ioner und Indigenen, etwa scheint sich die Beobachtung von U. von Wila- der Lyder, Karer und Lykier, im Westkleinasien der mowitz-Moellendorff für die Migrationsphase in frühen Eisenzeit weiterzuverfolgen. Dies erweist der frühen Eisenzeit zu bestätigen, die er auf der al- sich als dringendes Desiderat zukünftiger For- lerdings sehr dünnen Basis archäologischer Feldfor- schungen, zumal die literarischen Quellen zur grie- schung zu Beginn des 20. Jahrhunderts formulier- chischen Migration nach Westkleinasien sich als te442: “So müssen wir für die Zeit der Wanderung konstruierte, retrospektive Geschichte entpuppen, ganz notwendig den Rassengegensatz ganz anders deren historischer Quellenwert nur vor dem Hin- einschätzen, als seine heutige Übertreibung nahe- tergrund weiterer Quellengattungen kritisch er- legt. Und wenn wir von da zurückblicken auf die schlossen werden kann. kretische Kultur und Kunst, so ist vielleicht die Die Auswertung dieser Quellengattungen, etwa scharfe Antithese, Griechen und Karer, gar nicht der archäologischen Befunde, muß zunächst unab- zulässig. ... Es wird niemals möglich sein, wirklich hängig von der Aussage der Schriftquellen erfolgen, zu erkennen, warum am Ende aus dem Chaos hier um die methodischen Zirkelschlüsse, wie sie etwa eine lykische oder karische oder griechische Stadt die ethnozentrische Forschung generierte, zu ver- auftaucht, und wenn sie griechisch ist, warum sie meiden443. Als Anzeiger für Migration von Grie- äolisch oder ionisch oder dorisch ist. Natürlich liegt chen nach Kleinasien wird bisher vor allem das sehr viel an den Ingredienzien, die sich in ihr zu- Auftauchen von Keramik in protogeometrischem sammengefunden haben, aber die neue Umgebung, Stil (11.–9. Jh. v. Chr.) gewertet. Die Gleichung pots die Nachbarschaft, die Übermacht der Zentra in = people bleibt allerdings eine allzu einfache Hypo- Politik und Kultur, wirken nicht weniger. Wir ent- these, die von Fall zu Fall geprüft werden muß, nehmen der Erde die Reste des Hausrates und der nicht zuletzt im Kontext der anderen archäologi- Bauten, der bildenden Künste: da braucht sich gar schen Befunde (Artefaktvergesellschaftung, Sied- kein nationaler Unterschied fühlbar machen.” lungen, Nekropolen, Heiligtümer). Die methodi-

Bronze Age in the Aegean [1986] 65 Abb. 7). In diesem Zusammenhang wäre auch das neolithische (bis spät- chalkolithische?) Ovalhaus in Assesos auf der milesischen Halbinsel zu nennen (vgl. o. Anm. 374), doch liegen zwischen diesen Bauten, die ins 5. bis 3. Jt. v. Chr. gehören, und den protogeometrischen griechischen bzw. dem spätgeometrischen ‘karischen’ Haus in Daml@bo%az/Hydai bis zu mehrere tausend Jahre. Eine ungebrochene ‘alt- anatolische’ Tradition des Ovalhauses zu sehen (wie etwa Iº@k [s. o. Anm. 265] 27 f.), verkennt die meist festzu- stellenden siedlungsgeschichtlichen Brüche: Vgl. o. Kap. VIII Anm. 320. 439 Vgl. o. Anm. 236. 251 zur möglichen Mischbevölkerung von Iasos in der späten Bronzezeit. Zu den jetzt spät- geometrisch und subgeometrisch datierten Gräbern aus Iasos vgl. F. Berti, La necropoli ‘geometrica’ dell’ agora di Iasos, in: Frühes Ionien 437–446. Zum wohl griechischen Ortsnamen Iasos vgl. o. Anm. 158. 440 W. Held – A. Herda – A. Berger, Loryma in Karien. Vorbericht über die Kampagnen 1995 und 1998, IstMitt 49, 1999, 159–196; W. Held, Loryma ve Karia Chersonesos’unun Yerleºim Sistemi, 12, 2005, 85–100; ders., Loryma, in: W. Radt (Hrsg.), Stadtgrabungen und Stadtforschung im westlichen Kleinasien: Geplantes und Er- reichtes, Internationales Symposium Bergama, Türkei, 6.–7. August 2004, Byzas 3 (2006) 187–198. 441 B. Schmaltz, Frühe lokale Ware in Kaunos, in: Schmaltz – Söldner (s. o. Anm. 250) 37–42; B. Ö%ün, Kaunos Kbid (2001); R. H. J. Ashton, Kaunos, not Miletos or Mylasa, NumChron 164, 2004, 33–46; C. Marek, Kaunos (Kbid). Portrait einer Stadt im Spiegel der Inschriften, NüBlA 20, 2003/04, 57–70; vgl. zu Kaunos hier Kap. V mit Anm. 122; s. u. Anm. 449. – s. außerdem den Beitrag von B. Schmaltz in diesem Band [Anm. Red.]. 442 Wilamowitz, Wanderung 74 f. 443 Vgl. auch Kerschner 365 f. Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 105 sche Krux ist, daß archäologische Befunde lediglich muß, auch wenn es der Forschung schwer fällt”. Indizien für unsere Rekonstruktion der Geschichte Zwar vermag die ständig stattfindende Vermehrung etwa von Ethnien liefern, keine Beweise444. Das gilt archäologischer Befunde die Lücken im histori- jedoch auch für die schriftlichen Quellen, die eben- schen Wissen zur Epoche der sogenannten Dunklen falls einer Quellenkritik bedürfen. Die Geschichte Jahrhunderte “nicht grundsätzlich aufzuheben”446, der ‘Ionischen’ Migration nach Westkleinasien bzw. doch sind jederzeit neue Befunde aus ionischen und Karien kann demzufolge nur hypothetisch rekon- karischen Orten zu erwarten, die unsere Perspekti- struiert werden, mit dem gleichzeitigen Anspruch, ve mit einem Schlag auf ungeahnte Weise erweitern einen möglichst hohen Grad an Plausibilität zu er- können447. Erinnert sei dazu nur an die oben ge- reichen445. nannten Grabungen in Klazomenai, Ephesos und Man wird schwerlich die von Justus Cobet auf Milet oder an diejenigen von Juliette de la Genière dem ‘Panionion-Kongreß’ zum Frühen Ionien in in Klaros bis zum Jahre 2000. Sie konnten ein Güzelçaml@ 1999 geäußerte resignative Meinung tei- protogeometrisches Alter des Apollon-Heiligtums len, daß im Zusammenhang mit der Geschichte belegen, womit Klaros neben Kalapodi das älteste Ioniens (oder etwa auch Kariens) in der späten archäologisch nachgewiesene Apollon-Heiligtum Bronze- und frühen Eisenzeit “alles offen bleiben zu sein scheint448. Hinzuweisen ist ebenso auf die

444 J. M. Hall, Approaches to Ethnicity in the Early Iron Age of Greece, in: N. Spencer (Hrsg.), Time, Tradition and Society in Greek Archaeology. Bridging the ‘Great Divide’ (1995); ders., Ethnic Identity in Greek Antiquity (1997) 19–26. 182 unter Bezug auf D. Horowitz, Ethnic Identity, in: N. Glazer – D. Moynihan (Hrsg.), Ethnicity: Theory and Experience (1975) 111 ff. bes. 119 f. Ethnien sind nach Auffassung von Hall soziale Gruppierungen, die ihre Identität über ein gemeinsam bewohntes Territorium definieren, auf das sie aufgrund einer gemeinsamen realen oder fiktiven Abstammung Anspruch erheben (zustimmend B. Eder, Argolis, Lakonien und Messenien vom Ende der mykenischen Palastzeit bis zur Einwanderung der Dorier [1998] 18). Letztlich bleibt aber auch die- ses reduktionistische Modell zu hinterfragen. Außer Frage stehen dürfte allerdings, daß es archäologischen For- schungen nur durch gründlich abwägende Fallstudien anhand ethnologischer und soziologischer Modelle gelin- gen kann, von Sachkulturen auf (ethnische) Identitäten sozialer Gruppen zu schließen: S. Brather, Rez. S. Jones, The Archaeology of Ethnicity (1997), in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 39, 1998, 457 ff. bes. 461. Fehlen allerdings nichtarchäologische (vor allem schriftliche) Quellen, die über Ethnizitäten bzw. Identitäten ‘ob- jektive’ Aussagen zulassen, “dürfte es schwerfallen, im archäologischen Sachgut jene Merkmale auszumachen, die mit Identitäten im Zusammenhang stehen, und unter diesen Identitäten dann auch noch ethnische auszusondern”: Brather a. O. 461; vgl. auch ders., Ethnische Identitäten als Konstrukt der frühgeschichtlichen Archäologie, Ger- mania 78, 2000, 139–177. – Zu den Möglichkeiten einer Ethnoarchäologie vgl. auch S. Jones, The Archaeology of Ethnicity. Constructing Identities in Past and Present (1997); T. Knopf, Die Botschaften der Keramik: Ethnoarchäologische Studien zur Herstellung und Veränderung von Tonware, in: U. Veit u. a. (Hrsg.), Spuren und Botschaften: Interpretationen materieller Kultur, Fachtagung des Tübinger Instituts für Ur- und Frühge- schichte und Archäologie des Mittelalters, 2.–4. Juni 2000 (2003) 187–204; U. Sommer, Materielle Kultur und Ethnizität – eine sinnlose Fragestellung?, in: Ebenda 205–223. 445 Zur hier angestrebten Methode s. grundsätzlich K. Eberhard, Indizienparadigma und Abduktionslogik als wissenschaftstheoretische Basis für eine interdisziplinäre Historik, in: S. Altekamp – M. R. Hofter – M. Krumme (Hrsg.), Posthumanistische Klassische Archäologie, Kolloquium Berlin 1999 (2001) 209–220; vgl. auch Ch. Kümmel, Wie weit trägt ein Indizienbeweis? Zur archäologischen Überführung von Grabräubern, in: U. Veit u. a. a. O. 135– 156; G. Mante, Spuren lesen: Die Relevanz kriminalistischer Methoden für die archäologische Wissenschaft, in: Ebenda 157–172, sowie die Beiträge ebenda von M. K. H. Eggert (423–461), U. Veit (463–490), C. Holtorf (531–544) und die Bilanz von U. Veit – T. L. Kienlin – Ch. Kümmel in: Ebenda 545–555. 446 Vgl. Cobet 740. 447 Vgl. Kerschner 364 f. 448 Zu den protogeometrischen Befunden aus Klaros, das laut Pausanias (7, 3, 1) bereits vor der ionischen Migration be- stand s. J. de La Genière, . Bilan provisoire de dix campagnes de fouilles, REA 100, 1998, 235 ff. bes. 237 f.; dies., Lectures de Claros archaïque, REG 111, 1998, 391 ff. bes. 392 f. – In Kalapodi läßt sich der Kult des Apollon (von Abai?) vermutlich nicht erst ab ca. 830/20 v. Chr. nachweisen (so noch R. Felsch, Kalapodi und Delphi – Zur Frühzeit des Apollon-Kultes in Mittelgriechenland, in: R. Rolle – K. Schmidt [Hrsg.], Archäologische Studien in Kontaktzonen der antiken Welt [1998] 219–236), vielmehr deuten der bisherige archäologische Befund (vgl. Kyrieleis [s. o. Anm. 94] 63 mit älterer Literatur in Anm. 239) sowie die neueste Grabungsergebnisse (2006, mündliche Mit- teilung W.-D. Niemeier) auf eine Kultkontinuität von der späten Bronzezeit in die protogeometrische Zeit hin. Al- lerdings bleibt vorerst offen, welche Gottheiten in Kalapodi in der späten Bronzezeit verehrt wurden. – Die ältesten Funde in Delos etwa, die sicher mit dem Kult für Apollon und Artemis zu verbinden sind, gehören erst der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. an: s. o. Anm. 78. 106 Alexander Herda erst 1996 entdeckte Bilingue von Kaunos, mit der laufen sind, welchen Einfluß etwa die karische Kultur die Forschung zur karischen Sprache einen gewalti- auf die Genese der ‘ionisch’-griechischen nahm, bleibt gen Schritt nach vorne tat449. In diesem Sinne resü- zu großen Teilen noch zu erforschen. Fest steht m. E. miert Cobet zutreffend: “For the history of the jedenfalls, daß die bisherige relative archäologische Greek settlement in Anatolia we have to refer to the Fundleere im Hinterland des bronzezeitlichen Karien archaeological evidence”450. – nicht jedoch der Küstenregion (vgl. etwa Iasos, Diese Aussage gilt allerdings nur für die frühe Ei- Daml@bo%az/Hydai, Pilav Tepe452, Müskebi, Zephy- 453 senzeit. Wie angedeutet liegen in den hethitischen und ria-Halikarnassos [das mykenische ze-pu2-ra3?] z. T. sogar den ägyptischen Texten der späten Bronze- oder ‘Hydas/Hygassos’ auf der Bozburun-Halbin- zeit schriftliche Quellen vor, die die historische Situa- sel454) – keinesfalls ex nihilo so gedeutet werden darf, tion Westkleinasiens im 15. bis 12. Jh. v. Chr. wider- daß die Region in prähistorischer Zeit nahezu unbe- spiegeln, als die mykenischen Griechen aus Ahhijawa siedelt gewesen ist455. sich dort niederließen und mit den *Karka von Kar- ki™a zusammentrafen. Die ersten Kontakte zwischen beiden Kulturen dürften daher bereits in der späten Alexander Herda Bronzezeit eingesetzt haben. Sie konnten als Grundla- Institut für Klassische Archäologie ge für eine Annäherung dienen, die mit der Zeit zu ei- Freie Universität Berlin ner Assimilation der Karer an die Griechen und Otto–von–Simson Str. 11 schlußendlich sogar zum Verschwinden ihrer Kultur D – 14195 Berlin führte451. Wie diese Kulturkontakte in der Folge abge- [email protected]

449 P. Frei – Chr. Marek, Die karisch-griechische Bilingue von Kaunos, Eine zweisprachige Staatsurkunde des 4. Jhs. v. Chr., Kadmos 36, 1997, 1–89; W. Blümel – P. Frei – Ch. Marek (Hrsg.), Kolloquium Caricum: Die karisch-griechi- sche Bilingue von Kaunos, Tagung Feusisberg bei Zürich, 31.10.–1.11.1997, Kadmos 37, 1998, 1–240; P. Frei, Neues zu den karischen Inschriften von Kaunos, Kadmos 39, 2000, 83–132; H. C. Melchert, Carian, in: R. D. Woodard (Hrsg.), The Cambridge Encyclopedia of the World’s Ancient Languages (2004) 609–613; C. Marek, Die Inschrif- ten von Kaunos, Vestigia 55 (2006) 119 ff. K 1; I. J. Adiego, The Carian Language (2007) 154–156 „C.Ka 5“; S. 202 ff. 295–300. – Zur Erforschung des Karischen vgl. den Beitrag von M. Meier-Brügger in diesem Band. 450 Cobet 741. 451 Für die römische Kaiserzeit kann zwar noch von einem karischen Bewußtsein gesprochen werden, das allerdings in erster Linie retrospektiv angelegt ist. Sichere Hinweise, daß etwa die karische Sprache zu dieser Zeit noch ge- sprochen wurde, fehlen aber: Vgl. die Beiträge von W. Blümel, D. Piras und V. Ruggieri in diesem Band. 452 Zum neu gefundenen spätbronzezeitlichen Kammergrab von Pilav Tepe vgl. den Beitrag von M. Benter in diesem Band. 453 Zur möglichen Identität von Halikarnassos, dessen alter Name laut Strab. 14, 16 p. 656 und Steph. Byz. (s. v. AlikarnassÒj Zefur…a ‘ ) lautete, mit dem ze-pu2-ra3 der pylischen Linear-B-Texte (Py Aa 61 ze-pu2-ra3 , Py Ad

664 ze-pu2-ra-o = Frauen aus ze-pu2-ra3; Py Ea 56 ze-pu2-ro = Mann aus ze-pu2-ra3) J. Chadwick, The Women of Pylos, in: J.-P. Olivier – T. G. Palaima (Hrsg.), Texts, Tablets and Scribes (1988) 43–95 bes. 84; Ventris –

Chadwick 410. 417. 593 s. v. ze-pu2-ra3 und ze-pu2-ro; E. H. Cline, Sailing the Wine-dark Sea. International Trade and the Late Bronze Age Aegean (1997) 130. – Der Ortsname Halikarnassos, der möglicherweise als alos karnos in zwei karischen Inschriften begegnet (Adiego a. O. 351), ist im übrigen keinesfalls sicher kleinasiatisch. Vielmehr kann er wie im Falle von Mykalessos, Myessos und Assesos von den griechischen Siedlern der frühen Eisenzeit mitgebracht worden sein: s. o. Anm. 211. Im Falle von Halikarnassos ist etwa an die dorischen Siedler um Anthes aus Troizen zu denken (zur dorischen Kolonisation vgl. Hdt. 7, 99; Paus. 2, 30, 8; Vitr. 2, 8, 12; Mela 1, 16, 3; Eust. 368, 28–32 zu Hom., Il. 2, 869; vgl. Strab. 14, 2, 6 [653]: Knidos und Halikarnassos gab es zur Zeit der Ilias noch nicht, beide sind dorische Gründungen). Anthes spielt daher wohl nicht umsonst im Gründungsmythos der Stadt, den das sog. Salmakis-Epigramm (2./1. Jh. v. Chr.) wiedergibt, eine größere Rolle. Seine erklärten Nachfahren, die Antheadai, auf die das Epigramm ebenfalls anspielt, dürften seinen Heroenkult besorgt haben. Vgl. zum Salmakis- Epigramm R. Gagné, ClAnt 25.1, 2006, 1–33 bes. 14. 454 Zur bis in die Bronzezeit zurückreichenden Siedlung beim modernen Ort Turgut vgl. den Beitrag von M. Benter in diesem Band; s. außerdem ders., Hydas-Survey 1998, in: 17. AST Ankara 1999 II (2000) 312–320; ders., Zwei- ter Hydas-Survey 2000, in: 19. AST Ankara 2001 I (2002) 180–188; ders. u. a., Hydas, eine befestigte Höhen- siedlung auf der Bozburunhalbinsel. Zusammenfassender Bericht der Kampagnen 1998, 2000 und 2002 (in Druck- vorbereitung, ich danke Mathias Benter herzlich für die Überlassung des Manuskriptes). – Zum Apsidenhaus auf der Akropolis s. o. Anm. 320. 438. – Die Gleichsetzung der Siedlung mit dem bei Plin. nat. 5, 104 und Mela er- wähnten Ort ‘Hydas’ ist allerdings hypothetisch. L. Robert, AJA 39, 1938, 338 f., unterschied Hydas wohl zu Karki™a-Karien und die sogenannte Ionische Migration 107

Zusätzliche Abkürzungen:

Blümel, Ortsnamen W. Blümel, Einheimische Ortsnamen in Karien, EpigrAnat 30, 1998, 163–184 Blümel, Personennamen W. Blümel, Einheimische Personennamen in Inschriften aus Karien, EpigrAnat 20, 1992, 7–33 Bryce T. Bryce, The Kingdom of the Hittites2 (2005) Bryce, Neighbours T. Bryce, The Trojans and Their Neighbours (2006) Cobet J. Cobet, Das Alte Ionien in der Geschichtsschreibung, in: Frühes Ionien 729–742 Ehrhardt, Bevölkerung N. Ehrhardt, Die karische Bevölkerung Milets, in: R. Biering u. a. (Hrsg.), Maiandros. Fest- schrift für Volkmar von Graeve (2006) 81–89 Ehrhardt, Kolonien N. Ehrhardt, Milet und seine Kolonien. Vergleichende Untersuchung der kultischen und po- litischen Einrichtungen2 (1988) Frühes Ionien J. Cobet u. a. (Hrsg.), Frühes Ionien. Eine Bestandsaufnahme, Panionion-Symposion Güzelçaml@ 26. September – 1. Oktober 1999, MilForsch 5 (2007) Gorman V. B. Gorman, Miletos, the Ornament of Ionia. A History of the City to 400 B.C.E. (2001) Graf F. Graf, Nordionische Kulte. Religionsgeschichtliche und epigraphische Untersuchungen zu den Kulten in Chios, Erythrai, Klazomenai und Phokaia (1985) Greaves A. M. Greaves, Miletos. A History (2002) Hall, Hellenicity J. Hall, Hellenicity Between Ethnicity and Culture (2002) Herda, Apollon A. Herda, Der Kult des Apollon Delphinios in Milet und die Neujahrsprozession nach Didy- Delphinios ma. Ein neuer Kommentar der sog. Molpoi-Satzung, MilForsch 4 (2006)

Recht von dem Hydai bei Mylasa (s. o. Anm. 422), gab aber keine genauere Lokalisierung. Blümel, Ortsnamen 181 Anm. 76, sprach sich ebenfalls für eine Unterscheidung von Hydai und Hydas aus (anders aber Zgusta, Orts- namen 648 § 1398-2 [s. o. Anm. 422]). In: Die Inschriften der rhodischen Peraia, IK 38 (1991) 75 lokalisierte W. Blümel Hydas am Südrand der Bucht von Selimiye (früher Losta) beim heutigen Ort Selimiye (vgl. auch P. M. Fraser – G. E. Bean, The Rhodian Peraea and Islands [1954] 67). Es liegen jedoch keine Inschriften von dort vor, die den Ortsnamen Hydas direkt belegen. Vielmehr haben die Inschriften dort das Demotikon TÚmnioj, das Ge- biet gehörte also zum Territorium der Stadt , die oberhalb des heutigen Ortes Bozburun ca. 5 km west- lich von Selimiye lokalisiert wird: Blümel a. O. 75 (er verweist dazu wieder auf Fraser – Bean a. O. 62–65). Die befestigte Siedlung bei Turgut am Nordrand der Bucht von Selimiye könnte, wenn es sich nicht um Hydas han- delt, mit dem karischen Ort Hygassos identisch sein (vgl. Steph. Byz. s. v. `UgassÒj). Für diese Identifizierung sprach sich R. S. Carter (The Site of Losta Bay, IstMitt 32, 1982, 174 f.; ders., Stepped Pyramids of the Loryma Peninsula, IstMitt 32, 1982, 176–195 bes. 192 f. Taf. 40, 1–2) aufgrund zweier Inschriftenfunde aus, die in ca. 5 km Entfernung nördlich und südlich von der Siedlung bei Turgut gemacht wurden. Die Inschriften nennen je- weils das Demotikon `Ugas(s)eÚj (IG XII 1 Nr. 197. 294; vgl. F. Hiller von Gaertringen, Hygassos und Erine, in: Beiträge zur griechischen und lateinischen Sprachforschung, Festschrift für Universitätsprofessor Hofrat Dr. Paul Kretschmer [1926] 63–66). Eine dritte Inschrift vom Grabmonument einer Familie aus Hygassos wurde schließlich in der Nekropole der Turgut/Hygassos ca. 5 km südöstlich benachbarten karischen Siedlung beim heutigen Ort Bay@r gefunden: Blümel, Peraia a. O. 91 f. zu Nr. 305 (die Lokalisierung von Syrna in Bay@r beruht ihrerseits auf den allerdings etwas ungenauen Fundortangaben der Inschrift Blümel a. O. 90 f. Nr. 303; vgl. Blümel a. O. 87, der sich wiederum auf Fraser – Bean a. O. 57 beruft). Dieser Fundort spricht ebenfalls für die Lokalisierung von Hygassos bei Turgut durch Carter; vgl. A. Bresson, Recueil des inscriptions de la pérée rhodienne (pérée intégrée) (1991) 92 zu Nr. 61, der bemerkt, Syrna sei ein kto…na (rhodisch für attisch dÁmoj) ge- wesen und habe eventuell zum Territorium von Hygassos gehört. – Zu Hygassos vgl. Zgusta, Ortsnamen 647 § 1397 mit Karte 519 (Lokalisierung aber zu weit nördlich bei Hisarönü/Bybassos); Blümel, Peraia a. O. 92 zu Nr. 305; 114 zu Nr. 451 (ebenda 92: “Hygassos ist noch nicht sicher lokalisiert, lag aber vermutlich nicht weit von Bybassos”; ebenda 114 zitiert er hierzu G. E. Bean in: J. M. Cook – W. H. Plommer, The Sanctuary of Hemithea at Kastabos [1966] 58 f.); vgl. Blümel, Ortsnamen 181 s. v. Ugassoj. 455 So etwa R. M. Cook, Greek Settlement in the Eastern Aegean and Asia Minor, in: CAH II 23 (1975) 773–804 bes. 794 f.; vgl. DNP VI (1999) 272 s. v. Kares, Karia (H. Kaletsch). – Gleiches gilt für das bronzezeitliche und früh- eisenzeitliche Lykien: Wie im Falle Kariens hinkt die archäologische Forschung der historischen und sprachwis- senschaftlichen Forschung hinterher, Funde aus diesen Zeitphasen sind rar: Vgl. z. B. M. J. Mellink, Homer, , and Lukka, in: Carter (s. o. Anm. 402) 33–43 bes. 37–41; Bryce, Neighbours 145. – Ein weiteres Beispiel bilden die z. T. engen Kontakte zwischen dem Hethiterreich und Westkleinasien, die sich anhand der schriftlichen und epigraphischen Quellen seit dem 16. Jh. v. Chr. rekonstruieren lassen. Diese Kontakte können bisher im archäo- logischen Befund, sieht man von Einzelfunden ab, nicht ausgemacht werden. Dies führt zu der Annahme, es habe lediglich “elitäre Verbindungen ohne wirtschaftliche Interessen” gegeben: J. Seeher, Überlegungen zur Beziehung zwischen dem hethitischen Kernreich und der Westküste Anatoliens im 2. Jahrtausend v. Chr., in: B. Horejs u. a. (Hrsg.), Interpretationsraum Bronzezeit: B. Hänsel von seinen Schülern gewidmet (2005) 33–44. 108 Alexander Herda, Karki™a-Karien und die sogenannte IonischeAlexander Migration Herda

Herda, Delphinios– A. Herda, Apollon Delphinios – Apollon Didymeus. Zwei Gesichter eines milesischen Gottes Didymeus und ihr Bezug zur Kolonisation Milets in archaischer Zeit, in: R. Bol – U. Höckmann – P. Schollmeyer (Hrsg.), Kult(ur)kontakte: Apollon in Myus, Milet/Didyma, Naukratis und auf Zypern, Akten der Table Ronde Mainz, 11.–12. März 2004 (2008) 14–87 Herda, Neileos A. Herda, Der Kult des Gründerheroen Neileos und die Artemis Kithone in Milet, ÖJh 67, 1998, Hauptblatt 1–48 Herda, Panionion–Melia A. Herda, Panionion–Melia, Mykalessos–Mykale, Perseus und Medusa. Überlegungen zur Besiedlungsgeschichte der Mykale in der frühen Eisenzeit, IstMitt 56, 2006, 43–101 Kawerau – Rehm G. Kawerau – A. Rehm, Milet I 3. Das Delphinion in Milet (1914) Kerschner M. Kerschner, Die ionische Wanderung im Lichte neuer archäologischer Forschungen in Ephesos, in: E. Olshausen – H. Sonnabend (Hrsg.), “Trojaner sind wir gewesen” – Migratio- nen in der antiken Welt, Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 8, 2002, Geographica Historica 21 (2006) 364–382 Korfmann, Troia M. O. Korfmann (Hrsg.), Troia. Archäologie eines Siedlungshügels und seiner Landschaft (2006) KUB Keilschrifturkunden aus Boghazköi, Berlin 1 ff. (1921 ff.) Latacz J. Latacz, Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels5 (2005) Laumonier A. Laumonier, Les cultes indigènes en Carie (1958) Lemos I. Lemos, The Migration to the West Coast of Asia Minor: Tradition and Archaeology, in: Frühes Ionien 713–728 Lohmann, Melia H. Lohmann, Melia, das Panionion und der Kult des Poseidon Helikonios, in: E. Schwert- heim – E. Winter (Hrsg.), Neue Forschungen zu Ionien, Fahri Iº@k zum 60. Geburtstag ge- widmet, Asia Minor Studien 54 (2005) 57–91 Lohmann, Topographie H. Lohmann, Zur historischen Topographie des südlichen Ionien, OrbTerr 8, 2002 (2006), 163–272 Luwians H. C. Melchert (Hrsg.), The Luwians (2003) Niemeier, Milet W.-D. Niemeier, Milet von den Anfängen menschlicher Besiedlung bis zur ‘Ionischen Wan- derung’, in: Frühes Ionien 3–20 Niemeier, Westkleinasien W.-D. Niemeier, Westkleinasien und Ägäis von den Anfängen bis zur Ionischen Wanderung: Topographie, Geschichte und ihre Beziehungen nach den archäologischen Befunden und hethitischen Quellen, in: Frühes Ionien 37–96 Panionion G. Kleiner – P. Hommel – W. Müller-Wiener, Panionion und Melie, JdI Ergh. 23 (1967) Prinz F. Prinz, Gründungsmythen und Sagenchronologie, Zetemata H. 72 (1979) Rubinstein L. Rubinstein, Ionia, in: M. H. Hansen – T. H. Nielsen (Hrsg.), An Inventory of Archaic and Classical Greek Poleis (2004) 1053–1107 Traum Troia. Traum und Wirklichkeit, Ausstellungskatalog Stuttgart – Braunschweig – Bonn (2001) Troia Ch. Ulf (Hrsg.), Der neue Streit um Troja. Eine Bilanz (2003) Vanschoonwinkel J. Vanschoonwinkel, L’Égée et la Méditerranée orientale à la fin du deuxième millénaire. Témoignages archéologiques et sources écrites, Archaeologia Transatlantica 9 (1991) Ventris – Chadwick M. Ventris – J. Chadwick, Documents in Mycenaean Greek² (1973) Wilamowitz, Panionion U. von Wilamowitz-Moellendorff, Panionion, SBBerlin 1906, 38–57 Wilamowitz, Wanderung U. von Wilamowitz-Moellendorff, Über die ionische Wanderung, SBBerlin 1906, 59–79 Zgusta, Ortsnamen L. Zgusta, Kleinasiatische Ortsnamen (1984) Zgusta, Personennamen L. Zgusta, Kleinasiatische Personennamen (1964)

Abbildungsnachweis: Abb. 1: Zeichnung Verf. nach W. Müller-Wiener in: Panionion 7 Abb. 1 (graphische Bearbeitung S. Gräbener und M. Müllenhoff); Fundorte protogeometrischer Keramik nach Lohmann, Melia 62 Abb. 3, und Kerschner 377 Abb. 1. – Abb. 2: Verf. leicht verändert nach Panionion Plan I. – Abb. 3: Zeichnung Verf. nach Wiegand – Schrader (s. o. Anm. 67) Karte II; Lohmann, Melia 60 Abb. 1; Küstenverlauf der Kaystrosmündung geschätzt nach H. Brückner, Holocene Shoreline Displacements and their Consequences for Human Societies: The Example of Ephesos in Western Turkey, Zeitschrift für Geomorphologie N. F., Suppl.-Vol. 137, 2005, 11–22 bes. 12 f. Abb. 1; Küstenverlauf der Mäander- mündung nach M. Müllenhoff, Geoarchäologische, sedimentologische und morphodynamische Untersuchungen im Mündungsgebiet des Großen Mäanders, Westtürkei, Marburger Geographische Schriften 141 (2005) 188–193 Abb. 48– 49 (graphische Bearbeitung S. Gräbener und M. Müllenhoff). – Abb. 4: Zeichnung Verf.; Kartengrundlage R. J. A. Tal- bert (Hrsg.), Barrington Atlas of the Greek and Roman World (2000) Karte 61 Ephesos; ebenda Map-By-Map Directory II 937–956 (compiled by C. Foss – G. Reger, 1994); Küstenverlauf um 1500 v. Chr. nach Müllenhoff a. O. 189 Abb. 48 (graphische Bearbeitung S. Gräbener). – Abb. 5: Verf. verändert nach Bryce, Neighbours 79 Karte 3.2 (gra- phische Bearbeitung S. Gräbener). – Abb. 6: P. Hommel, IstMitt 9/10, 1959/60, Taf. 53, 1–2. – Abb. 7: W. Held, Das Heiligtum der Athena in Milet, MilForsch 2 (2000) 7 Abb. 1 Taf. 2 b. – Abb. 8: J. Kleine, IstMitt 29, 1979, 117 Abb. 4. – Abb. 9: Photo Verf. – Abb. 10: W. Voigtländer, AA 1988, 574 Abb. 6.