Plenarprotokoll 16/74

Deutscher

Stenografischer Bericht

74. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 21: Namentliche Abstimmung ...... 7410 D a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der Ergebnis ...... 7413 C SPD und der FDP: Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Moder- nisierung der Bund/Länder-Finanz- Tagesordnungspunkt 22: beziehungen (Drucksache 16/3885) ...... 7393 A a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike b) Antrag der Abgeordneten , Höfken, weiterer Abgeordneter und der Dr. Barbara Höll, Dr. , Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE weiterer Abgeordneter und der Fraktion GRÜNEN: Kennzeichnungspflicht auf der LINKEN: Beteiligung der Landtage verarbeitete Eier ausweiten bei der zweiten Stufe der Föderalismus- (Drucksache 16/3703) ...... 7411 A reform und Information des Deutschen Bundestages b) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksache 16/3539) ...... 7393 B Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz c) Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsa- – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva men Kommission zur Modernisierung Bulling-Schröter, Dr. , der Bund/Länder-Finanzbeziehungen Dr. , weiterer Abge- (Drucksache 16/3886) ...... 7393 B ordneter und der Fraktion der LINKEN: Arbeitsplätze durch artgerechte Dr. Peter Struck (SPD) ...... 7393 C Legehennenhaltung in Deutschland (FDP) ...... 7394 D sichern – Verbot der Käfighaltung ab 2007 durchsetzen (CDU/CSU) ...... 7396 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Bodo Ramelow (DIE LINKE) ...... 7398 A Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Cornelia (BÜNDNIS 90/ Behm, Undine Kurth (Quedlinburg) DIE GRÜNEN) ...... 7399 B und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Verbot der Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 7401 B Käfighaltung für Legehennen ab Dr. (FDP) ...... 7403 D 2007 beibehalten Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister (Drucksachen 16/1128, 16/839, 16/1463) 7411 B BMI ...... 7405 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Katrin Kunert (DIE LINKE) ...... 7406 B Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- Volker Kröning (SPD) ...... 7407 B trag der Abgeordneten Undine Kurth Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) 7408 D (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. , Freitag, den 15. Dezember 2006

Höfken, weiterer Abgeordneter und der Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE kräfte zur Unterstützung der Überwa- GRÜNEN: Tierschutzpolitik energisch chungsmission AMIS der Afrikanischen fortführen und weiterentwickeln Union (AU) in der Region Darfur/ (Drucksachen 16/550, 16/1464) ...... 7411 B Sudan auf Grundlage der Resolutionen 1556 (2004) und 1564 (2004) des Sicher- d) Beschlussempfehlung und Bericht des heitsrates der Vereinten Nationen vom Ausschusses für Ernährung, Landwirt- 30. Juli 2004 und 18. September 2004 schaft und Verbraucherschutz zu dem An- (Drucksachen 16/3652, 16/3845) ...... 7436 B trag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. , Christian – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der § 96 GO Fraktion der FDP, der Abgeordneten Eva (Drucksache 16/3846) ...... 7436 C Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, , weiterer Abgeordneter Brunhilde Irber (SPD) ...... 7436 C und der Fraktion der LINKEN sowie der (FDP) ...... 7437 B Abgeordneten Undine Kurth (Quedlin- burg), Bärbel Höhn, Rainder Steenblock, (CDU/CSU) ...... 7438 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. , Bundesminister des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: BMVg ...... 7438 D Verbot der Einfuhr von Wildvögeln (Drucksachen 16/1502, 16/2849) ...... 7411 C Dr. (DIE LINKE) ...... 7440 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Ausschusses für Ernährung, Landwirt- DIE GRÜNEN) ...... 7441 A schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Undine Kurth Dr. Norman Paech (DIE LINKE) ...... 7441 C (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike (SPD) ...... 7442 D Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 7443 D GRÜNEN: Einfuhrverbot für Katzen- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ und Hundefelle DIE GRÜNEN) ...... 7445 A (Drucksachen 16/841, 16/3079) ...... 7411 D Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ 7445 C DIE GRÜNEN) ...... 7412 A Gabriele Groneberg (SPD) ...... 7445 D Julia Klöckner (CDU/CSU) ...... 7415 B Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 7417 D Namentliche Abstimmung ...... 7446 D Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Ergebnis ...... 7450 C DIE GRÜNEN) 7419 D (SPD) ...... 7420 C Zusatztagesordnungspunkt 12: Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 7422 D Beschlussempfehlung des Ausschusses für Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) ...... 7425 A Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ nung zu einem Antrag auf Genehmigung zur DIE GRÜNEN) ...... 7427 C Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 16/3896) ...... 7447 B Christoph Pries (SPD) ...... 7429 A Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 7430 A Tagesordnungspunkt 24: Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU) . . . . . 7431 A a) Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) ...... 7433 A (Hamm), Erich G. Fritz, Veronika Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Bellmann, weiterer Abgeordneter und der DIE GRÜNEN) ...... 7434 B Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Dr. Ditmar Staffelt, , Dr. , weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: An- Tagesordnungspunkt 23: strengungen für einen erfolgreichen – Beschlussempfehlung und Bericht des Abschluss der Doha-Welthandelsrunde Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag mit höchster Priorität fortsetzen der Bundesregierung: Fortsetzung des (Drucksache 16/3810) ...... 7447 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 III b) Beschlussempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 27: Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- gie zu dem Antrag der Abgeordneten ten Ursula Lötzer, Dr. Barbara Höll, Gudrun Kopp, Hellmut Königshaus, Jens Dr. Dieter Dehm, weiterer Abgeordneter und Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Haltung der Bun- der Fraktion der FDP: Doha-Runde wie- desregierung zur Europäischen Dienstleis- der beleben – WTO-Generaldirektor tungsrichtlinie als Schlichter einsetzen (Drucksachen 16/136, 16/2058) ...... 7466 D (Drucksachen 16/2658, 16/3584) ...... 7447 C Erich G. Fritz (CDU/CSU) ...... 7447 D Tagesordnungspunkt 28: Gudrun Kopp (FDP) ...... 7449 A a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller Dr. Ditmar Staffelt (SPD) ...... 7452 A (Köln), (), Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 7453 D Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fahrplan zur Wiederbele- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ bung des Friedensprozesses im Nahen DIE GRÜNEN) ...... 7454 C Osten nach der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- nen vom 11. August 2006 Tagesordnungspunkt 25: (Drucksache 16/3547) ...... 7467 A Antrag der Abgeordneten Dr. Christel b) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Happach-Kasan, , Hans- Gehrcke, Dr. Norman Paech, Monika Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter Knoche, weiterer Abgeordneter und der und der Fraktion der FDP: Eigentumsrechte Fraktion der LINKEN: Den Friedenspro- und Forschungsfreiheit schützen – Ent- zess im Nahen Osten wieder aufnehmen schiedenes Vorgehen gegen Zerstörungen (Drucksache 16/3802) ...... 7467 A von Wertprüfungs- und Sortenversuchen sowie von Feldern mit gentechnisch verän- in Verbindung mit derten Pflanzen (Drucksache 16/2835) ...... 7455 D Zusatztagesordnungspunkt 11: Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 7456 A Antrag der Abgeordneten Dr. , Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ Dr. Rainer Stinner, Birgit Homburger, weite- DIE GRÜNEN) ...... 7457 A rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine Konferenz für Sicherheit und Hellmut Königshaus (FDP) ...... 7457 C Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) (Drucksache 16/3816) ...... 7467 B Tagesordnungspunkt 26: Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 7467 B Unterrichtung durch die Bundesregierung: Erster Bericht der Bundesregierung über Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 7468 B die Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 7469 D Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung – Sicherheit und Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 7470 D Stabilität durch Krisenprävention gemein- sam stärken Nächste Sitzung ...... 7472 C (Drucksache 16/1809) ...... 7458 C , Staatsminister AA ...... 7458 C Anlage 1 Hellmut Königshaus (FDP) ...... 7459 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 7473 A Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 7461 B (BÜNDNIS 90/ Anlage 2 DIE GRÜNEN) ...... 7463 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (SPD) ...... 7464 B des Antrags: Eigentumsrechte und For- schungsfreiheit schützen – Entschiedenes Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 7465 D Vorgehen gegen Zerstörungen von Wertprü- IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 fungs- und Sortenversuchen sowie von Fel- , Parl. Staatssekretär dern mit gentechnisch veränderten Pflanzen BMWi ...... 7481 D (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) ...... 7473 D Anlage 4 Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 7474 C Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 7475 B Anträge: Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ – Fahrplan zur Wiederbelebung des Frie- DIE GRÜNEN) ...... 7476 A densprozesses im Nahen Osten nach der Resolution 1701 (2006) des Sicherheits- rats der Vereinten Nationen vom 11. Au- Anlage 3 gust 2006 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Den Friedensprozess im Nahen Osten wie- der Großen Anfrage: Haltung der Bundes- der aufnehmen regierung zur Europäischen Dienstleistungs- – Für eine Konferenz für Sicherheit und Zu- richtlinie (Tagesordnungspunkt 27) sammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) (SPD) ...... 7477 C (Tagesordnungspunkt 28 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) (SPD) ...... 7478 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 7483 B (FDP) ...... 7479 B Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 7480 A Anlage 5 Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 7481 A Amtliche Mitteilung ...... 7484 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7393

(A) (C) Redetext

74. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. : (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die der CDU/CSU) Sitzung ist eröffnet. Dr. Peter Struck (SPD): Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Be- CSU, der SPD und der FDP merkung zu meinem beruflichen Lebensweg: Nachdem ich 1971 in das zweite juristische Staatsexa- Einsetzung einer gemeinsamen Kommission men gemacht habe, war ich zunächst ein Jahr an der dor- zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanz- tigen Universität beschäftigt. Danach war ich in der beziehungen Finanzbehörde in der Abteilung „Überregionale Finanz- planung“ tätig. Ich kehre heute also zu meinen Wurzeln – Drucksache 16/3885 – (B) zurück und stelle fest: Abgesehen davon, dass ein Frak- (D) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bodo tionsvorsitzender kraft seines Amtes über alles Bescheid Ramelow, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, wissen und gute Arbeit machen muss, kommt bei mir weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- noch die zusätzliche Erfahrung aus meiner beruflichen KEN Vergangenheit hinzu. Beteiligung der Landtage bei der zweiten Stufe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Föderalismusreform und Information des der CDU/CSU) Deutschen Bundestages Wir haben uns eine Herkulesaufgabe vorgenommen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir sie tatsächlich be- – Drucksache 16/3539 – wältigen werden. Das, was wir heute zu beschließen ha- c) Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsen- ben und was auch vom Bundesrat beschlossen wird, ist denden Mitglieder der gemeinsamen Kommis- wirklich ein Mammutwerk. Die Neuordnung der Bund/ sion zur Modernisierung der Bund/Länder- Länder-Finanzbeziehungen beschäftigt uns, seitdem es Finanzbeziehungen die Bundesrepublik Deutschland gibt. Die Koalitions- fraktionen lösen damit ihr Versprechen ein, sich dieses – Drucksache 16/3886 – Themas anzunehmen. Zum Antrag auf Einsetzung der Kommission liegt je An die Kollegen von der FDP gerichtet sage ich: Ich ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und der bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie unseren Antrag auf Ein- Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. setzung der gemeinsamen Kommission mittragen. Ich hätte es begrüßt, Herr Kollege Kuhn, wenn auch die Über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Beteili- Grünen unseren Antrag unterstützt hätten; das gilt natür- gung der Landtage werden wir später namentlich abstim- lich auch für die Linke. Denn ich bin der Meinung, dass men. es bei der Frage der Bund/Länder-Finanzbeziehungen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nicht um Parteipolitik gehen sollte. die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. FDP) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der ner dem Kollegen Dr. Peter Struck, dem Fraktionsvorsit- Herr Kollege Oettinger, wird der Kommission für die zenden der SPD, das Wort. Seite der Länder vorsitzen, ich werde den Vorsitz für die 7394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Peter Struck (A) Seite des Bundestages übernehmen. Für mich steht dabei zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen. Wir brauchen (C) eines fest: Wenn wir bei der Bewältigung dieser sehr zur finanziellen Entlastung eine ebenenübergreifende schwierigen Aufgabe Erfolg haben wollen, dann müssen Bündelung von Verwaltungsaufgaben. Wir brauchen wir bis spätestens 2009 Ergebnisse erzielen. Ich bin schließlich eine verstärkte Zusammenarbeit der Länder, überzeugt, dass der zeitliche Druck, den wir uns selbst bis hin zu der Möglichkeit, dass sich Länder freiwillig machen sollten, dazu beitragen kann, dass wir zu Ergeb- zusammenschließen. Sie wissen, dass ich darüber schon nissen kommen. Wir sollten dieses Vorhaben nicht auf in den Debatten im Zusammenhang mit der Föderalis- die nächste Legislaturperiode verschieben, sondern deut- musreform I gesprochen habe. Föderalismusreform II lich machen, dass wir es noch in dieser Wahlperiode um- heißt Neuordnung der Finanzbeziehungen; die gehen wir setzen wollen. jetzt an. Föderalismusreform III heißt Neugliederung der Bundesländer. Daran müssen wir weiter arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will heute nicht über Gebühr optimistisch sein, aber ich glaube, dass wir das schaffen können. Bund und Das ist alles sehr schwierig und das ist Zukunftsmusik, Länder besetzen diese Kommission mit hochrangigen das weiß ich. Doch wir müssen mit der Arbeit jetzt be- Experten. Einige Ministerpräsidenten möchten sogar ginnen. Wir wollen alle Möglichkeiten, die es dazu gibt, selbst Mitglieder der Kommission werden, andere schi- nutzen. cken ihre Finanzminister. Das Interesse an der Arbeit ist groß. Nicht zuletzt deswegen haben wir entgegen den ur- Wir müssen uns frei machen – ich denke, wir hier im sprünglichen Absprachen nicht nur den Bundesrat, son- Bundestag können das und der Bundesrat auch – von den dern auch die Länderparlamente einbezogen. Wer aus parteipolitischen Zwängen, denen wir alle in anderen den Länderparlamenten Mitglied dieser Kommission Fragen unterliegen. Es geht hier nicht um CDU oder wird, überlassen wir den Landtagen; wir werden uns SPD, um FDP, Grüne oder PDS, sondern es geht darum, nicht einmischen, nach welchen Kriterien die Besetzung dass die Länder und der Bund Finanzbeziehungen orga- der vier Plätze erfolgen soll. Ich will hier aber deutlich nisieren, die unser Land zukunftsfähiger machen als bis- sagen: Natürlich muss die Präsenz der Kommunen in her. Fest steht auch, dass die neuen Länder bis zum Aus- dieser Kommission gesichert sein; denn es geht auch um laufen des Solidarpakts II auf die Zusagen vertrauen ihre Finanzsituation. Die Kommunen können sich darauf können müssen. Wir sollten den Solidarpakt II nicht in- verlassen, dass wir ihre Interessen ordentlich berück- frage stellen. sichtigen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- (D) SES 90/DIE GRÜNEN) Es müssen in Jahrzehnten gewachsene Strukturen der Finanzbeziehungen aufgebrochen werden. Für die Die Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben, ist Strukturunterschiede zwischen den Ländern müssen also schwierig. Wenn ich die offene Themensammlung wir einen effizienteren Ausgleich finden, ohne den Län- anschaue, muss ich feststellen: Das reicht eigentlich für derfinanzausgleich von vornherein infrage zu stellen. zwei Legislaturperioden. Wenn mich der Bundestag wie Wir brauchen griffige Instrumentarien zur Bewältigung vereinbart zum Vorsitzenden dieser Kommission erhebt von Haushaltskrisen. Wir brauchen Instrumente, um die und entsendet, will ich meine Pflicht tun und dazu bei- Verfassungsmäßigkeit der Haushalte zu gewährleisten. tragen, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen, auch Es kann doch nicht sein, dass sich der jetzige Zustand im Blick darauf, dass wir alle die Pflicht haben, unser verfestigt, dass etwa elf von 16 Länderhaushalten ver- Land zukunftsfähiger zu machen. fassungswidrig sind. Das muss beseitigt werden und wir müssen Regelungen finden, die eine solche Situation (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie verhindern. bei Abgeordneten der FDP)

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Burgbacher von SES 90/DIE GRÜNEN) der FDP-Fraktion. Wir brauchen auch klare Festlegungen, was ein Land selbst leisten muss, bevor es sich auf eine Haushaltsnot- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lage beruft und den Bund um Hilfe bittet. der CDU/CSU)

( [FDP]: Sehr wahr!) Ernst Burgbacher (FDP): Im Zusammenhang mit seinem Urteil über die Klage des Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landes Berlin auf weitere finanzielle Hilfe des Bundes Heute ist für uns ein guter Tag. Herr Kollege Struck, ich hat das Bundesverfassungsgericht hier ausdrücklich Re- bedanke mich im Namen der FDP ausdrücklich, dass gelungsbedarf angemahnt. Wir wollen versuchen, dieser hier Versprechen gehalten wurden. Es war immer unser Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen. Wunsch und unsere Forderung, die Reform der Finanz- Wir brauchen so etwas wie einen Stabilitätspakt der Kör- verfassung anzugehen. Deshalb ist es schön, dass wir perschaften – mit festgelegten Verschuldungsgrenzen – heute den Startschuss abgeben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7395

Ernst Burgbacher (A) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Chance sehen, zu Gewinnern werden zu können. Wenn (C) SPD) wir die Reform richtig angehen, wenn wir vor allem den Mut haben, nicht im Kleinklein stecken zu bleiben, son- Wir müssen – auch dem stimme ich zu, Herr Kollege dern auch größere Reformschritte zu machen, dann kön- Struck; das sage ich ausdrücklich – bis 2009 tatsächlich nen tatsächlich – davon bin ich überzeugt – alle Länder etwas vorlegen. Wir haben nicht zwölf Jahre Zeit, wie etwas gewinnen. Das muss unser eigentliches Ziel sein. das auch schon angedeutet wurde, um eine solche Re- form vorzunehmen. Das muss in dieser Legislaturperio- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten de geschehen. Unsere Unterstützung werden Sie dafür der CDU/CSU und der SPD) haben. Wir sollten zu Beginn der Föderalismusreform II aus (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Fehlern der Föderalismusreform I lernen. Für mich der CDU/CSU und der SPD) gab es drei wesentliche Fehler: Bei aller Freude über die Fortsetzung der Reform bin Erstens. Die Ministerpräsidenten hatten sich bereits ich mir aber auch dessen bewusst, dass wir erst am An- im Mai 2004 auf einen Minikompromiss festgelegt und fang eines langen und beschwerlichen Weges stehen. sind von diesem nicht mehr abgerückt. Die Lehre für uns Aber nach Laotse beginnt ja auch der längste Weg mit muss sein, dass wir die offene Themensammlung tat- einem ersten Schritt. Den tun wir heute. sächlich als offen betrachten. Ich fordere insbesondere die Länder auf, nicht wieder im Vorfeld Beschlüsse zu Ich nenne für die Reform folgende Eckpunkte: fassen und so den Erfolg zu gefährden. Wir müssen of- Die Föderalismusreform II muss dazu beitragen, dass fen an diese Aufgabe gehen. unser Land in der Welt wettbewerbsfähiger wird. Durch (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!) sie müssen wir erreichen, dass vor allem den kommen- den Generationen wieder Gestaltungschancen eröffnet Denkverbote darf es dieses Mal nicht geben. werden. Deshalb ist es zuallererst unabdingbar, dass (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Schranken gegen Steuerlast und Staatsverschuldung in SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- das Grundgesetz aufgenommen werden. Ein Nettoneu- SES 90/DIE GRÜNEN) verschuldungsverbot ist unser eigentliches Ziel. Hierzu werden wir Vorschläge vorlegen. Zweitens. Herr Kollege Struck, ich hoffe, dass wir nicht wieder in die alten Mechanismen der Entschei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dungsfindung verfallen. Es darf nach den Verhandlungen der CDU/CSU) in den einzelnen Projektgruppen am Schluss nicht so (B) Sich am Grundsatz der Subsidiarität und der bundes- sein, dass das Ergebnis im kleinen Kreise ausgemau- (D) staatlichen Solidarität orientierend – den Begriff der bun- schelt wird. Der Prozess muss tatsächlich offen sein. desstaatlichen Solidarität betone ich besonders –, müssen Drittens. Es darf keine Tabus geben. die Steuerautonomie der Länder gestärkt und ihre Ge- staltungsmöglichkeiten erweitert werden. Leistung muss Wir müssen außerdem zu einem fairen Wettbewerbs- sich auch im föderalen System wieder lohnen. Deshalb und Gestaltungsföderalismus kommen. Das wird unsere muss der Finanzausgleich reformiert werden. Er kann besondere Aufgabe sein. nicht so bleiben, wie er heute ist. Auch das ist, wie ich Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Wir müssen natür- glaube, unstrittig. lich an die Regionen mit besonderen Strukturproblemen Wir brauchen insgesamt einen Neustart des Föderalis- denken. Die neuen Bundesländer – nach 16 Jahren sind mus in Deutschland. Am Anfang muss für Chancenge- sie eigentlich gar nicht mehr so neu – müssen sich darauf rechtigkeit gesorgt werden. Aber dann müssen die Län- verlassen können, dass der Solidarpakt Ost bleibt und der auch eigenständig lebensfähig sein. Das müssen wir von uns nicht angegriffen wird. anstreben. Mit dem derzeitigen System wird das Land die Meine Damen und Herren, ich habe noch ein Zitat, anstehenden Aufgaben nicht mehr lösen können. Voraus- von dem ich glaube, dass es heute sehr schön passt. Ein setzung ist Wettbewerb im deutschen Föderalismus; schwäbischer Abt mit dem Namen Öttinger hat wohl das auch das sollten wir – ich schaue dabei zum Kollegen Zitat geprägt: Scholz – deutlich sagen. Dazu sollten wir uns bekennen, Herr Kollege Scholz. Herr, gib mir die Kraft, Dinge zu verändern, die ich ändern kann. Gib mir die Geduld, Dinge hinzuneh- (Beifall bei der FDP) men, die ich nicht ändern kann. Und gib mir die Wenn die Kommission bei der komplizierten Aus- Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. gangslage und den unterschiedlichen Interessen zu ei- Wir müssen den Mut dazu aufbringen, Dinge zu ändern. nem Erfolg kommen will, dann muss es ihr gelingen, eine – wie es neudeutsch heißt – Win-win-Situation zu Ich appelliere an den Ministerpräsidenten Oettinger, schaffen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das möglich der den Vorsitz für die Länderseite übernehmen wird, sein wird. Wenn wir ein Modell vorlegen, nach dem die auf die Worte seines Namensvetters zu hören und bei Mehrzahl der Länder verlieren würde, dann bekommen den Ländern einen Veränderungswillen zu wecken. Ich wir dafür keine Mehrheit. Das macht auch keinen Sinn. appelliere auch an uns alle in diesem Hause, mit der not- Wir müssen vielmehr ein Modell finden, bei dem alle die wendigen Offenheit an das Werk zu gehen. 7396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Ernst Burgbacher (A) Für die FDP kann ich sagen, dass wir diesen Prozess nen aber nicht ohne einen finanziellen Ausgleich für die (C) sehr konstruktiv unterstützen werden. In diesem Sinne: Kommunen in Kraft treten wird, ist genau das, was wir Gehen wir es an! Ich persönlich freue mich auf eine gute mit der Föderalismusreform I wollten. Das, was wir dort Zusammenarbeit im ganzen Hause. den Kommunen versprochen haben, wird jetzt in der Praxis umgesetzt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Diese Beispiele verdeutlichen, dass schon beim ersten Schritt der Föderalismusreform Weichen gestellt wur- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den, deren Tragweite erst nach und nach deutlich wird. Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von Nun gilt es, diese Schritte weiterzugehen und die der CDU/CSU-Fraktion. Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Län- dern auf eine solide Grundlage zu stellen. Dieses Bemü- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hen erhält heute einen formellen Rahmen. neten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn wir dieses Bemühen nicht von Anfang an zunichte Antje Tillmann (CDU/CSU): machen wollen, dann dürfen wir Ihrem Antrag zur Auf- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gabenerweiterung der Kommission unmöglich zustim- Sehr geehrte Besucher! Wenn wir uns nicht in einem se- men. Wie sollen wir denn bitte die schwierigen Pro- riösen Parlament befinden würden, müsste ich jetzt ru- bleme auf den Gebieten der Finanzbeziehungen, der fen: Jetzt geht’s los! Wachstums-, Beschäftigungs- und Klimaschutzpolitik Anders als bei der ersten Stufe der Föderalismus- sowie der gerechten Gestaltung der Wissensgesellschaft reform, die in der Öffentlichkeit bis kurz vor deren Ende auf einmal lösen? Ich glaube, wir haben mit den Finanz- kaum zur Kenntnis genommen wurde, diskutiert die beziehungen schon hinreichend genug zu tun. Deshalb Finanzfachwelt schon seit einiger Zeit die Einsetzung wollen wir den Aufgabenbereich nicht noch mehr erwei- der Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder- tern. Finanzbeziehungen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Schon die Föderalismuskommission I hat im FDP) Finanzbereich kleine, aber sehr wichtige Weichen ge- Schon mit dem, was in dem gemeinsamen Antrag von stellt. Herr Burgbacher, ich sehe die Ergebnisse der ers- CDU/CSU, SPD und FDP vorliegt, haben wir eine Rie- (B) ten Kommission durchaus positiv. senaufgabe übernommen. Wir werden dabei von der (D) (Volker Kröning [SPD]: Richtig!) Skepsis begleitet, ob wir diese Aufgabe überhaupt erfül- len können. Ich sage ganz offen: Nein, wir werden bis So haben wir Finanzhilfen hinterfragt und befristet, 2008 voraussichtlich keine konkreten Vorschläge zu einige Gemeinschaftsaufgaben einschließlich der finan- Länderfusionen vorlegen. Wir werden uns aber damit ziellen Mittel der alleinigen Zuständigkeit der Länder befassen, welche Hürden für eine eventuelle Fusion zu anvertraut sowie EU-Haftungsfragen nach dem Verursa- überwinden sind und wie man diese Hürden senken cherprinzip geordnet und in die gemeinsame Verantwor- kann. Gegebenenfalls muss überprüft werden, ob das, tung von Bund und Ländern gelegt. Um ein Haar hätten was das Grundgesetz für eine Fusion verlangt, zu schwer wir diese neuen Haftungsregeln beim Vertragsverlet- zu erreichen ist. Wir, der Bund, werden die Frage beant- zungsverfahren wegen der Sparkasse Berlin schon worten müssen, ob wir fusionswilligen Ländern unsere ausprobieren müssen. Darüber hinaus haben wir das Hilfe anbieten, ob wir zum Beispiel Entschuldungshilfen Finanzverwaltungsgesetz verändert, um eine bessere Zu- leisten können oder wollen. sammenarbeit der Länderfinanzbehörden zu erreichen. Nein, ziemlich sicher werden wir bis 2008 auch nicht Am deutlichsten wird die Tragweite der Regelungen einen neu ausgehandelten Länderfinanzausgleich ein- durch die erste Kommission aber beim Zusatz zu Art. 84 schließlich Solidarpakt II vorlegen. Wir werden aber, und Art. 85 Grundgesetz. Hiernach können Gemeinden wenn wir die Solidarität zwischen den Ländern und dem durch Bundesgesetz keine Aufgaben mehr direkt über- Bund und innerhalb der Länder dauerhaft aufrechterhal- tragen werden. In der Vergangenheit hatte die direkte ten wollen, selbstverständlich klären müssen, welche Aufgabenzuweisung des Bundes an die Kommunen in Voraussetzungen ein Land erfüllen muss, um die Solida- erheblichem Maße zu der Finanzmisere der Kommunen rität der anderen Länder in Anspruch nehmen zu können. geführt. Den Kommunen wurden kostenträchtige Aufga- ben übertragen, ohne dass der Gesetzgeber die Finanzie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rung sicherstellte. neten der SPD) Nun will ich die Tatsache, dass bei einem der ersten Viel sinnvoller, als ein weiteres Verfassungsgerichts- Gesetze nach dem In-Kraft-Treten dieser Grundge- urteil abzuwarten, ist es, ein Frühwarnsystem einzurich- setzänderungen, dem Verbraucherinformationsgesetz, ten und sich auf Eckpunkte hinsichtlich der Frage, wann diese neue Selbstbeschränkung im parlamentarischen der Bündnisfall eintritt, festzulegen. Technische Voraus- Verfahren nicht als einschlägig empfunden wurde, nicht setzung hierfür ist, dass auf den verschiedenen Ebenen kommentieren. Dass dieses Gesetz zulasten der Kommu- vergleichbare Haushaltsdaten vorliegen. Erst dann kön- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7397

Antje Tillmann (A) nen wir prüfen, inwieweit sich ein Land, das Hilfe bean- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (C) sprucht, mehr Personal, mehr freiwillige Leistungen Dr. Peter Struck [SPD]) oder vielleicht höhere Standards als andere Länder leis- tet. Zurzeit ist der Vergleich nur sehr eingeschränkt mög- Wir werden prüfen müssen, warum manch hohe lich. Wir werden dabei die Frage beantworten müssen, finanzielle Aufwendungen von Bund und Ländern bei ob das Verfahren der Kameralistik, nach dem wir heute den Bürgerinnen und Bürgern nicht richtig ankommen. den Haushalt aufstellen, die Gefahren wirklich deutlich Wir tun gut daran, mit der Arbeitsgruppe im Familien- sichtbar macht oder ob wir nicht den Anträgen Ham- ministerium, die die Einführung einer Familienkasse burgs und Hessens folgen sollten, den Bundeshaushalt prüft, zusammenzuarbeiten. Das ist ein Bereich, mit dem und die Länderhaushalte in Form der doppelten Buch- auch wir uns befassen müssen. Die Frage ist: Warum führung aufzustellen. kommt von dem vielen Geld, das wir in manchen Berei- chen ausgeben, so wenig bei den Bürgerinnen und Bür- (Volker Kröning [SPD]: Prüfen wir bereits!) gern an? Wir werden – Herr Burgbacher hat schon darauf hin- Bei all diesen größeren und kleineren Schwächen des gewiesen – das Thema Neuverschuldung angehen müs- Systems ist es müßig, zu überlegen, wie groß der Wurf sen. Notlagen von Ländern entstehen nicht von heute auf sein könnte, den wir in dieser Kommission erreichen. morgen; sie bahnen sich langsam an. In vielen Fällen könnten sie bei rechtzeitigem Gegensteuern verhindert Wir müssen diese Probleme angehen; denn jetzt ist werden. Art. 115 Grundgesetz und die entsprechenden der Zeitpunkt für Veränderungen günstig. Die Progno- Vorschriften der Landesverfassungen wollten verhin- sen sind gut. Die Neuverschuldung auf Bundes- und dern, dass mehr Schulden aufgenommen werden, als po- Länderebene sinkt. Das Bruttoinlandsprodukt steigt und sitives Vermögen vorliegt. Aber schon die wortgetreue die Sozialversicherungssysteme profitieren von den gu- Auslegung des Artikels wird diesem Ziel nicht gerecht. ten Aussichten. Wenn wir jetzt keine Lösung herbeifüh- Hier wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass sich In- ren, dann werden wir das niemals tun. vestitionen in der Praxis schneller abnutzen, als die zu- grunde liegenden Kredite getilgt werden. Die Auslegung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Ausnahmeregelung für den Fall der Störung des ge- neten der SPD) samtwirtschaftlichen Gleichgewichts geht weit über das wirtschaftlich Vernünftige hinaus. Meine beiden Vorredner haben schon an der einen oder anderen Stelle persönliche Bedenken vorgetragen. Sie sehen: Es geht hierbei um verhältnismäßig spröde Als ich gefragt wurde, ob ich für meine Fraktion die Themen, die sich nicht in Mark und Pfennig ausrechnen Aufgabe in der Föderalismuskommission II übernehmen (B) (D) lassen. Am Ende der Beratungen zum Finanzaus- wolle, fiel mir mein Lieblingsheld Beppo Straßenfeger gleichsgesetz werden wir ein Ergebnis in Euro vorlegen aus dem Roman „Momo“ ein. Beppo bekommt jeden müssen. Im Finanzausgleichsgesetz ist zum Beispiel ver- Tag ein Stück Straße zugewiesen, das er fegen muss. Es einbart, die Bundesergänzungszuweisungen zum Aus- ist ein langes, endlos erscheinendes Stück Straße, das ei- gleich der Belastungen aufgrund der Zusammenführung nem schon Sorgen bereiten könnte, wenn man nur bis von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für den Zeitraum zum Ende dieser Straße blickt. Nicht so Beppo: Beppo ab 2008 neu zu verhandeln. Dasselbe gilt für die Zuwei- schaut immer nur so weit, wie er den Fuß setzen kann: sungen aufgrund hoher Kosten politischer Führung. Schritt, Besenstrich, Verschnaufen, Schritt, Besenstrich, 2013 steht die Überprüfung der Ausgleichszahlungen Verschnaufen – und noch ehe er sich versieht, ist die wegen der Auflösung der Gemeinschaftsaufgaben auf ganze Straße gefegt. Grundlage des Entflechtungsgesetzes an; spätestens 2019 laufen die Solidarpaktmittel aus. Also nur Mut! Ich glaube, so wie Beppo beim Fegen dieser Straße Die Föderalismusreformen III bis X können nahtlos fol- werden auch wir in der Föderalismuskommission II in gen. einzelnen Schritten vorgehen müssen. Wir werden kon- sequent schrittchenweise vorgehen müssen, damit keiner Weniger schmerzhaft, als begrenzt vorhandene Mittel der Beteiligten atemlos auf der Strecke zurückbleibt. Ich neu zu verteilen, ist es, zu überprüfen, ob im vorhande- kann das den Kolleginnen und Kollegen in den Ländern nen System alle Mittel vernünftig und effektiv eingesetzt und den Ministerpräsidenten zusagen. Dazu sind wir werden. Die Haupteinnahmequellen von Bund und Län- auch nach unserer Verfassung verpflichtet. Denn wir dern – die Gemeinschaftssteuern wie Einkommen-, Kör- können in unserem Grundgesetz fast alles außer den perschaft- und Umsatzsteuer – werden im Rahmen der Grundrechten ändern, aber nicht die Neugliederung der Auftragsverwaltung von den Ländern eingezogen. Mit Länder bzw. die Regelungen, die diese Gliederung be- dem Finanzverwaltungsgesetz haben wir erste Schritte treffen. Dazu gehört auch, die Finanzen so zu ordnen, hin zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit unter- dass Bund und Länder finanziell lebensfähig sind. Das nommen. Liebe Kollegen von der Linken, der Bericht gehen wir an und ich bin sicher, dass wir Ihnen im des Bundesrechnungshofes, den Sie in Ihrem Ände- nächsten Jahr eine Lösung vorlegen werden. rungsantrag zitieren, ist zu einer Zeit entstanden, als diese neuen Regelungen noch nicht in Kraft waren. Ich Danke. denke, wir sollten der Finanzverwaltung Zeit geben, diese Regelungen umzusetzen. Dann sollten wir über- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie prüfen, ob wir nachbessern müssen. bei Abgeordneten der FDP) 7398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es wundert mich sehr, dass der Deutsche Bundestag (C) Das Wort hat jetzt der Kollege Bodo Ramelow von jetzt eine Kommission einsetzt, die all diese Themen be- der Fraktion Die Linke. handelt, in der die Ministerpräsidenten der Bundesländer vertreten sein werden, die damals noch als Fraktionsvor- (Beifall bei der LINKEN) sitzende die Lübecker Erklärung mit unterschrieben ha- ben. Vier Namen sind darin zu finden, die damals diese Bodo Ramelow (DIE LINKE): Erklärung mit unterschrieben haben und sich jetzt auf Werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem vom Abt die Bundesratsseite stellen. Ich habe die Befürchtung, Öttinger die Rede war und Laotse zitiert worden ist, dass man im Zweifelsfall eine abgeschottete Finanzver- möchte ich mit Konfuzius anfangen: handlungsrunde durchführt, an der die Landesparla- mente nicht beteiligt sind. Das halte ich für ein struktu- Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die relles und inhaltliches Problem. Dunkelheit zu klagen. (Beifall bei der LINKEN) Ich denke, in der Föderalismusreform II gibt es viel Dunkelheit zu beklagen. Es reicht mir nicht, Kollegin Kollege Struck, ich gebe Ihnen ausdrücklich Recht: Tillmann, wenn wir nur auf unsere Fußspitzen schauen. Es darf keine parteipolitische Kungelrunde werden. Es Man sollte schon wissen, in welche Richtung der Stra- darf nicht dazu führen, dass sich die Ayatollahs mancher ßenfeger die Straße auskehrt. Wenn man das Ziel nicht Bundesländer als Gegenregierung zur großen Koalition vor Augen hat, dann kann man seine Hausaufgaben nicht präsentieren. Ich meine zum Beispiel Ihren Herrn Koch, machen. den ultraorthodoxen Konservativen, der seine macht- politischen Spielchen auf Landesebene spielt, wenn es (Beifall bei der LINKEN) gegen die große Koalition geht. Wenn ich mir den Ver- Kollege Struck, Sie haben die Frage aufgeworfen, wa- treter des Freistaates Bayern anschaue, dann habe ich rum wir den Einsetzungsantrag, den wir zwar für verbes- den Eindruck, dass wir eine Gegenregierung in diesem serungswürdig, aber von der Richtung her für richtig Land haben und dass die einzige Opposition nicht die halten, nicht mitgetragen haben. Ich will Ihnen diese drei kleinen Fraktionen im Bundestag, sondern die Frage beantworten. CDU/CSU-Ministerpräsidenten sind. Am 31. März 2003 fand in der Hansestadt Lübeck der (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Lübecker Konvent statt. Alle Landesparlamente waren Daniela Raab [CDU/CSU]) durch ihre Fraktionsvorsitzenden vertreten und auch der – Es scheint Sie tief zu treffen, dass diese Kakophonie Bundespräsident hat teilgenommen. Ich darf auf das Pro- von Ihren Repräsentanten zu vertreten ist. Das ist aber (B) (D) tokoll hinweisen. Darin ist festgehalten worden, dass der noch immer besser als der gestrige Ausdruck „Brüssel- Föderalismuskonvent der Auftakt der Initiativen ist, dass dorf“. auch die Landesparlamente an der Föderalismusreform mitarbeiten müssen. Man kann diese Reform nicht ohne Die Finanzbeziehungen der Länder müssen im Ver- sie und auch nicht gegen sie durchführen, Kollegin hältnis zum Bund neu geordnet werden. Deswegen be- Tillmann. grüßen wir die Einsetzung der Kommission. Wir werden in der Kommission mitarbeiten. Wir werden Ihnen aber (Beifall bei der LINKEN) Gelegenheit geben, darüber abzustimmen, ob die Lan- Sie haben zu Recht auf die Neuordnung der Länder hin- desparlamente in eigener Verantwortung bestimmen gewiesen, die im Grundgesetz als geschützter Bereich können, dass sie zumindest antrags- und redeberechtigt geregelt ist. sind. Das ist ein qualitativer Unterschied. Es dürfen nicht nur vier Vertreter der Landesparlamente am Katzentisch In dem Protokoll heißt es aber auch – ich zitiere; es sitzen. Vielmehr sollen sie antragsberechtigt sein. – Frau lohnt sich, das nachzulesen –: Tillmann, regen Sie sich doch nicht auf! Ich habe Ihren Es zeigt sich darin auch der einheitliche Wille, über Humor doch auch ertragen. Nun ertragen Sie, dass ich, den jetzt festgelegten Maßstab der „Lübecker Er- der ich einmal Fraktionsvorsitzender im Thüringer klärung“ hinaus einen weitergehenden Prozess zu Landtag war, einfordere, das umzusetzen, was wir im eröffnen, der sich in mindestens einem Folgekon- Lübecker Konvent fraktionsübergreifend beschlossen vent niederschlagen wird. haben. Sie können im Bundestag nicht sagen: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Diese Halbherzig- Ich sage: niederschlagen muss; denn wenn wir nicht in keit können wir nicht akzeptieren. einen zweiten Konvent mit den Landtagen eintreten wer- den, dann wird es zu einer Verhandlungsrunde ohne die (Beifall bei der LINKEN) Landesparlamente kommen. Darauf bezieht sich unsere Es geht nicht nur um die Beziehungen der Länder un- kritische Sichtweise. Deswegen haben wir einen Ände- tereinander, sondern auch um den Wettbewerbsfödera- rungsantrag vorgelegt. lismus. Wir lehnen den Wettbewerbsföderalismus ab. Das unterscheidet uns in der Tat von der FDP. (Volker Kröning [SPD]: Lesen Sie doch den Antrag!) (Beifall bei der LINKEN) – Ich habe ihn gelesen, Herr Kollege. Sie haben aber of- Wir wollen nicht, dass sich die Länder, die eine prospe- fenkundig die Lübecker Erklärung nicht gelesen. rierende Entwicklung haben, mit allen ihren Möglichkei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7399

Bodo Ramelow (A) ten besser aufstellen und dass anschließend – Stichwort len, weil wir so die Fehler der Föderalismusreform I (C) „gemeinsame Bildungslandschaft in Deutschland“ – die noch potenzieren. einen im Armenhaus und die anderen auf der Sonnen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seite der Bundesrepublik Deutschland leben. Ich emp- fehle einen Blick auf die vorgestrige Satire in Belgien. Das wird ein wichtiger Punkt sein, über den wir reden Hier hat ein Fernsehprogramm das Verhältnis zwischen müssen. Flamen und Wallonen in Form einer bissigen Satire dar- gestellt. Das Schlimme war, dass die Menschen in Bel- Frau Kollegin Tillmann, wir haben Ihrem Antrag gien geglaubt haben, dass Belgien auseinander fällt. nicht zugestimmt, weil wir finden, dass auch andere Wenn die wirtschaftlich stärkeren Länder in der Bundes- Themen – nicht nur Wachstum und Beschäftigung – zu republik Deutschland auf dem Rücken der wirtschaftlich den Zielsetzungen der Neuordnung der Finanzbeziehun- schwächeren Länder Geschäfte machen, dann haben wir gen zwischen Bund und Ländern gehören müssen, zum mit Zitronen gehandelt. Wir halten an dem Prinzip der Beispiel eine gerechte Finanzierung der Wissensgesell- Ausgleichsverpflichtung fest. Alle Menschen in schaft und unseres Bildungssystems. Deutschland müssen gleichwertige Arbeits- und Lebens- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bedingungen haben und Chancengerechtigkeit erleben. Es kann doch nicht angehen, dass wir die Finanzbezie- (Beifall bei der LINKEN) hungen zwischen Bund und Ländern nur in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung neu ordnen, aber in Bezug Die Gemeinschaftsaufgabe Ost ist zwar bis 2010 ge- auf Bildung und Gestaltung der Wissensgesellschaft sichert. Aber nach 2010 – nun verstehe ich langsam, was nicht. Sie haben übrigens in Ihrem Redebeitrag selber die Agenda 2010 von Herrn Schröder bedeutet – werden ein Beispiel dafür gebracht, dass die Ziele zu eng sind, die Mittel degressiv abgeschmolzen. Wir brauchen daher als Sie sagten, es wäre interessant zu überlegen, ob man einen Sonderweg, wenn es um die Schulden der neuen nicht die verschiedenen Transferleistungen für Familien Bundesländer geht. Wenn wir die zu bewirtschaftenden in eine Kasse aufnehmen sollte. Das ist natürlich ein an- Schuldenberge nicht berücksichtigen, werden wir einen deres Ziel als Wachstum und Beschäftigung. Wettbewerbsföderalismus Ost-West haben. Dann haben wir einen bitteren Weg vor uns. (Zuruf von der FDP: Das steht doch drin!) Reden Sie also bitte auch über die Einnahmeseite und Vielleicht verstehen Sie an Ihrem eigenen Beispiel, wa- nicht nur über die Verteilung! Wenn die Abgaben- und rum es richtig ist, die Ziele weiter zu fassen und Ihrem Steuerquote in Deutschland nur den OECD-Durchschnitt Antrag nicht zuzustimmen. erreichte, hätten wir 130 Milliarden Euro mehr in der (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Kasse und wir könnten uns starke, prosperierende Bun- desländer erlauben. Dann könnten wir über einen neuen, Ich rate der Bundesregierung, wie es jeder Industrie- innovativen Haushaltsansatz nachdenken, bei dem die betrieb macht, wenn es neue Rahmenbedingungen gibt, Mittel für die Bildung als Investition und nicht als kon- zunächst einmal eine Schulung zu machen, was sie ei- sumtive Ausgaben gewertet werden. Lassen Sie uns in gentlich mit der Föderalismusreform I beschlossen hat. diesem Sinne an die Arbeit in der Föderalismusreform- Es ist eine Zumutung und schafft Politikverdrossenheit, kommission herangehen. Nicht dass der Bundespräsi- wenn man mit großem Trara – Herr Stoiber sprach von dent hinterher wieder alles aus dem Verkehr zieht. Das der „Mutter aller Reformen“ – eine Reform macht, aber hielte ich für eine Katastrophe. am Schluss selber nicht weiß, was man beschlossen hat, und einen Bundespräsidenten in die Situation zwingt, in Vielen Dank. der er sich offensichtlich in den letzten Wochen und Mo- naten befunden hat. Da hilft übrigens Bundespräsiden- (Beifall bei der LINKEN) tenkritik nichts. Wenn Sie Gesetze machen, die auf den ersten Blick nicht gesetzeskonform sind, dann können Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie nicht sagen, dass der Bundespräsident, wenn er ent- Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom Bünd- sprechend reagiert, schlecht ist und man ihn nicht wieder nis 90/Die Grünen. wählt. Sie als Bundesregierung müssen sich in Zukunft klarer machen, was Sie beschlossen haben und was zu tun ist. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir grundsätzlich optimistisch sind, haben wir die Hoff- Ich habe die Hoffnung, Herr Struck, dass wir mit der nung, dass bei der Föderalismusreform II etwas Besseres Föderalismusreform II etwas Neues bewegen können. herauskommt als bei der Föderalismusreform I. Ich sage Ich will eines vorwegschicken: Wenn jetzt alle in den das, weil wir bei den aktuellen Themen, die wir diskutie- Graben gehen und auf die Rechnung schauen, ob sie ge- ren, zum Beispiel bei der Bildungspolitik und beim Ver- winnen oder verlieren, und wenn sie verlieren, Nein sa- braucherinformationsgesetz, sehen, welche Schwierig- gen, dann können wir das gleich lassen. – Ich weiß nicht, keiten die Föderalismusreform I den Deutschen, der ob das mit dem Begriff Win-win-Situation zu meistern Bundesrepublik Deutschland und den Ländern einge- ist, Herr Kollege. Es kommt darauf an, dass auch die bracht hat. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich halte we- neuen Länder, die im Länderfinanzausgleich gegenwär- nig davon, in diesem Rahmen jetzt die Mittel zu vertei- tig Nehmerländer sind, also etwas bekommen, einsehen, 7400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Fritz Kuhn (A) dass sie von einer neuen Struktur vielleicht nicht kurz- Wir vom Bündnis 90/Die Grünen glauben, dass der (C) fristig – von einem Haushaltsjahr aufs nächste Haus- richtige Weg der ist – das betrifft nur die Richtung, weil haltsjahr –, aber insgesamt profitieren können, weil es nicht alles übertragbar ist –, den die Schweizer mit der den Föderalismus stärkt, wenn man zum Beispiel über so genannten Schuldenbremse eingeschlagen haben. Die Finanzautonomie und andere Schritte in der Finanzver- Idee ist einfach. Zuerst müssen die strukturellen Defizite fassung der Länder nachdenkt. der Haushalte ausgeglichen werden. – Wieso sage ich „einfach“? Das ist ein kompliziertes Unterfangen; aber Ich appelliere an die nicht anwesenden Ministerpräsi- dies ist die Voraussetzung. – Dann muss ein Mechanis- denten, dass es keinen Sinn hat, zu sagen: Ich rechne das mus in Gang gesetzt werden, der es erlaubt, dass in aus und wenn es eine Veränderung ins Negative gibt, schwierigen Konjunktursituationen etwas mehr für In- dann lehnen wir es ab. – So würden Tabufelder abge- vestitionen ausgegeben werden kann, während in Zeiten steckt und für Peter Struck wäre überschaubar, welche einer guten Konjunkturentwicklung zwingend stärker Themen noch zu behandeln sind. Es bliebe nämlich nur konsolidiert werden muss, als es in der Vergangenheit eine minimale Ebene übrig, über die man dann noch re- – ich füge hinzu: auch in der Gegenwart – in Deutsch- den könnte. land der Fall war bzw. ist. Das heißt, vereinfacht ausge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) drückt, Schuldenbremse. Es müssen also alle deutlich machen, ob sie diese Re- Wie wir das gesetzlich realisieren, ist für mich der form wollen. Man kann nicht sagen, dass man über be- zentrale Gegenstand der Kommission. Ich finde übri- stimmte Themen nicht redet. Das gilt übrigens auch für gens, Herr Finanzminister Steinbrück, dass der Bund so den Bund; darauf werde ich gleich zu sprechen kommen. etwas in seinem Bereich vorher selber machen sollte. Das kann er und das hätte sehr positive Auswirkungen Die Frage, die wir auch zu beantworten haben, ist, ob auf die Kommissionsverhandlungen. Ich finde, dass Sie wir in einem Mechanismus zwischen Bund, Ländern und mehr für die Konsolidierung machen müssen, als bisher Gemeinden das Schuldenproblem der Bundesrepublik in der konjunkturstarken Zeit geschehen ist. Wer auf- Deutschland wenigstens mittelfristig in den Griff be- grund von neuen Steuern und Privatisierungserlösen kommen oder nicht. Wir haben auf allen drei Ebenen ge- mehr als 20 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen hat, genwärtig Zinszahlungen in Höhe von 68 Milliarden aber die Nettoneuverschuldung nur um 11 Milliarden Euro zu leisten. Man braucht niemandem in diesem Euro reduziert, wie es in dem Haushalt, den wir be- Hause und in der Öffentlichkeit zu sagen, welchen Ge- schlossen haben, geschehen ist, der kann nicht sagen, staltungsspielraum wir hätten, wenn wir nicht so hohe dass er die Konsolidierung im Griff hat. Der hat ein biss- Zinslasten hätten. Das heißt, politische Entscheidungen chen mit Steuermehreinnahmen jongliert, aber nicht der Vergangenheit haben dazu geführt, dass wir heute (B) wirklich die strukturellen Verhältnisse verändert. (D) 70 Milliarden Euro weniger in Bildung, Zukunft, Um- weltschutz usw. investieren können. Dies setzt eigentlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Verpflichtung in Gang, für die Zukunft einen anderen Weg zu finden und nicht mehr so weiterzumachen. Wir müssen natürlich auch über die Steuerverteilung reden. Entscheidend ist die Frage, ob die Länder mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Steuerautonomie bekommen. Wir würden das befürwor- Dann, Frau Kollegin Tillmann, müssen wir aber über ten. Entweder müsste eine Steuer von den Gemein- die Substanz reden. Ich finde, dass Art. 115 des Grund- schaftsteuern den Ländern ganz übertragen werden oder gesetzes nicht mehr taugt, um die Haushalte zu stabili- es müsste wenigstens dafür gesorgt werden – das ist die sieren und die Verschuldung aufzuhalten. Ich finde auch, mildere Variante –, dass die Länder bei einer Steuerart dass das Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus dem zusätzliche Hebesätze festlegen können und somit einen Jahre 1967 mit dem Mechanismus – Sie haben das gewissen Gestaltungsspielraum bekommen. zitiert –, dass man immer wieder eine Störung des ge- Sie, Herr Ramelow, machen es sich leicht, wenn Sie samtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellt und es gegen Wettbewerbsföderalismus sind. Ich würde Ihnen überhaupt keine Verpflichtung gibt, in Jahren guter kon- raten, darüber noch einmal in Ruhe nachzudenken. Ich junktureller Entwicklung die Schulden zu tilgen bzw. finde, es kommt darauf an, was man darunter versteht. wenigstens die Nettoneuverschuldung signifikant zu Dass die Länder in einem bestimmten Wettbewerb ste- senken, nicht mehr funktioniert. Wenn wir heute in der hen müssen – in einem solidarischen Wettbewerb, bei Finanz- und Haushaltspolitik feststellen, dass die Ge- dem der Ausgleich systematisch und fair organisiert setzgebung bis hin zum Art. 115 des Grundgesetzes ist –, – damit ist ja auch der Investitionsbegriff verbunden – ungenügend ist und dies Bund, Länder und Gemeinden (Ernst Burgbacher [FDP]: Keine Frage!) systematisch in die Staatsverschuldung führt, dann muss ist logisch; denn so, wie die Situation heute ist, kann es das Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus dem Jahre passieren, dass weder die starken noch die schwachen 1967 verändert und ein vernünftiger Mechanismus eta- Länder weiterkommen. Deswegen muss die 12-Prozent- bliert werden, damit wir den Weg aus dem Schuldenstaat Regel, nach der die ersten 12 Prozent der Mehreinnah- finden können. Das erwarte ich von der großen Koali- men nicht in den Länderfinanzausgleichsmechanismus tion. eingehen, verändert werden. Das ist zu wenig. Wir haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – heute die Struktur – wer die Debatten über den Länder- Volker Kröning [SPD]: Das kommt bestimmt!) finanzausgleich kennt, der weiß das –, dass es sich weder Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7401

Fritz Kuhn (A) für ein starkes Land lohnt, Mehreinnahmen zu erzielen Das wirft in der Tat ein gewisses Licht auf das Haus. (C) – das merken Sie beim Steuervollzug –, noch für ein Deshalb ist der heutige Freitag durchaus ein bedeutender schwaches Land. Auch da müssten Sie einmal darüber Tag bei der Umsetzung eines wichtigen Vorhabens aus nachdenken, wie Betriebsprüfungen im Steuerbereich der Koalitionsvereinbarung, nämlich der Modernisie- ausfallen und ob sie intensiviert werden können. rung der bundesstaatlichen Ordnung. Ich sage klar: Es muss einen Wettbewerbsföderalis- Ich fürchte, das ist für die Bürgerinnen und Bürger, mus geben; aber er muss systematisch solidarisch sein die uns heute zuschauen oder zuhören, eine ziemlich tro- und darf vor allem nicht nur immer wieder einmal einen ckene Materie. Alle reden über diesen sehr komplizier- Ausgleich für die Schwachen schaffen, sondern muss sie ten, komplexen deutschen Föderalismus; aber wie er dauerhaft stärken. Das konnten wir bei den Zahlungen wirklich funktioniert – dabei will ich von dem Spezifi- an das und an Bremen bis zum Jahr 2004 sehr kum des Finanzausgleiches gar nicht reden – weiß nie- deutlich feststellen. mand so genau. Aber ich will allen zurufen: Es ist eine ziemlich wichtige Frage, weil die innenpolitische Hand- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lungsfähigkeit und insbesondere die Europatauglichkeit sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. der Bundesrepublik Deutschland in der EU davon in ei- Bodo Ramelow [DIE LINKE]) nem erheblichen Ausmaß abhängig sind. Wir werden, Peter Struck, konstruktiv in der Kom- (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!) mission mitarbeiten. Ich finde, dass man die Länder und Ich fürchte, dass der deutsche Föderalismus, wie er sich die Landtage stärker hätte beteiligen müssen. Auch das in den letzten Jahren entwickelt hat, eher handlungs- ist ein Grund, warum wir dem Antrag von SPD, CDU/ unfähiger geworden ist und dass wir in Europa nicht so CSU und FDP nicht zustimmen. Wenn man wirklich stark aufgestellt sind, wie wir es eigentlich sein müssten, eine grundsätzliche Reform plant, ist es wichtig, dass die um das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland ange- Länder und die Länderparlamente stärker gehört wer- messen zur Geltung zu bringen. den und mitreden können, als Sie es vorgeschlagen ha- ben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) In der Summe kann ich sagen: Machen wir uns an die Arbeit! Es wird mühsam. Vergessen wir die starken Ich bin der Meinung, dass der Effekt der ersten Stufe Sprüche vom Durchregieren; beziehen wir Bund und der Föderalismusreform nicht ganz angemessen beurteilt Länder ein und setzen wir darauf, dass alle im Grundsatz wird. Der Erfolg ist größer, als wir ihn selber dargestellt ein Interesse daran haben müssen, die Finanzverfassung haben; denn diese Stufe der Föderalismusreform leistet, wie ich finde, einen bemerkenswerten Beitrag zur stär- (B) in Deutschland zu verändern! Dann kann man wahr- (D) scheinlich zu vernünftigen Vorschlägen kommen. keren Entflechtung der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat und damit zur Begegnung bestehender Danke. Reibungsverluste, gerade mit Blick auf die zustim- mungspflichtigen oder einspruchsberechtigten Gesetze, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die es früher gegeben hat. Dies ist mit der Föderalismus- sowie bei Abgeordneten der SPD) reform I gelungen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich begrüße wie alle Redner hier außerordentlich, Das Wort hat jetzt der Bundesminister Peer dass der Bundestag und der Bundesrat heute eine ge- meinsame Kommission zur Modernisierung der Bund- Steinbrück. Länder-Finanzbeziehungen einsetzen werden. Es wird (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie nicht wundern, dass ich es auch sehr begrüße, dass der CDU/CSU) vier Mitglieder der Bundesregierung zum ersten Mal or- dentliches Mitglied einer solchen Kommission mit Stimmrecht sind. Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Guten Morgen, sehr geehrter Herr Präsident! Meine (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Gern sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe kein Origi- geschehen!) nalzitat von Laotse oder Konfuzius zu liefern. – Sehen Sie, ich habe damals noch nicht auf der Regie- (Otto Fricke [FDP]: Churchill!) rungsbank gesessen, sondern auf der Länderbank, und war ein ordentliches Mitglied. Aber es hat mich schon – Wenn Sie mich auffordern, Herr Fricke, einen engli- gewundert, dass die Bundesregierung in der ersten Föde- schen Premier zu zitieren, würde das Zitat abgewandelt ralismuskommission reinen Gaststatus hatte, obwohl sie lauten: Es gibt nur noch drei Menschen in Deutschland, doch auch ein Verfassungsorgan der Bundesrepublik die den deutschen Föderalismus und insbesondere die Deutschland ist. Finanzbeziehungen wirklich verstehen. Der eine ist tot, der zweite ist verrückt geworden und der dritte ist ein na- Ich glaube allerdings, dass wir uns und denen, die mentlich unbekanntes Mitglied dieses Hohen Hauses, diese Beratungen verfolgen, nichts vormachen sollten. das alles vergessen hat. Vor uns liegt eine Titanaufgabe. Das erste Halbjahr 2007, in dem wir eine Doppelpräsidentschaft innehaben, wird (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der noch nicht einen solchen Sitzungsrhythmus hervorbrin- FDP – Heiterkeit im ganzen Hause) gen, der uns in die Lage versetzt, sehr schnell Ergebnisse 7402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) vorweisen zu können. Ich finde es wichtig, dass sich nach hen, dass wir vier Mal in Folge die Einhaltung der 3-Pro- (C) Konstituierung der Kommission im Januar beide Seiten, zent-Defizitgrenze von Maastricht nicht geschafft haben. die Länder wie auch der Bund, über den Themenkatalog Im Jahr 2006 haben wir sie erstmals wieder erfolgreich sehr schnell verständigen und abstimmen. eingehalten. Die Interessenunterschiede laufen nicht an politi- Wie problematisch die Situation ist, hat nicht zuletzt schen Linien wie A-Länder/B-Länder entlang, sondern das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall von entlang Linien wie Groß/Klein, Ost/West, Geberland/ Berlin ausgewiesen. Die Verfahren in Bezug auf das Nehmerland. Das habe ich unmittelbar erfahren, als ich Saarland und Bremen sind immer noch anhängig. Ich Mitglied einer Landesregierung war. Allen ist daher be- glaube, dass die Vermeidung von Haushaltsnotlagen wusst, dass eine Reform der Bund/Länder-Finanzbezie- und das Nachdenken über die Frage, wie wir stärkere hungen angesichts der enormen Interessenunterschiede disziplinierende Klammern zur Haushaltssanierung ver- kein leichtes Unterfangen sein wird. ankern können, die Hauptaufgaben sind. Das hat uns üb- rigens das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil als Man muss einen gewissen Spagat machen: Einerseits Aufgabe im Rahmen der Beratungen der zweiten Föde- stellt sich insbesondere mit Blick auf die Zweidrittel- ralismuskommission mitgegeben. mehrheiten der großen Koalition in Bundestag und Bun- desrat die Frage, wann, wenn nicht jetzt, das Fenster (Volker Kröning [SPD]: Überdeutlich!) weit genug geöffnet ist, um eine grundlegende Reform Ich will den Debatten nicht vorgreifen und daher im durchzuführen. Wenn dieses Fenster wieder geschlossen Augenblick nicht sagen, wie die präventiven Verschul- sein sollte, wird es natürlich umso schwieriger sein, an dungsregelungen aussehen könnten. Ich habe gelegent- der Stelle anzuknüpfen, an der man vorher gescheitert lich darauf hingewiesen, man könnte daran denken, ist, selbst unter den relativ günstigen Bedingungen einer analog den Stabilitäts- und Wachstumspakt und den großen Koalition. Ich möchte an dieser Stelle ausdrück- Maastrichtvertrag anzuwenden. Man kann versuchen, lich unterstreichen, Herr Kuhn, dass ich die Meinung die Verschuldensregeln einfachgesetzlich anders zu fas- von Herrn Struck teile, dass es keine parteipolitische sen. Man kann – das ist mein dritter Hinweis – die jet- Veranstaltung ist. Sie darf es nicht sein und sie wird es zige Möglichkeit, von den Verschuldensregelungen mit angesichts der Interessendivergenzen auch nicht sein. Hinweis auf die Abwehr eines gesamtwirtschaftlichen Andererseits wissen wir, dass man sich an diesem Ungleichgewichts abzuweichen, sehr viel stärker ein- Thema die Zähne ausbeißen kann. Ich selber habe über schränken, indem man Regeln verankert, unter welchen zwei bis drei Jahre – Volker Kröning kann sich daran er- Bedingungen ein solches Vorgehen überhaupt möglich innern – allein an der Neuorganisation des Finanzaus- ist. Das gilt dann auch für die Länder. (B) (D) gleichs mitgearbeitet. Ich weiß nicht, wer richtigerweise Ich stimme Herrn Kuhn zu: Es wäre des Schweißes darauf hingewiesen hat – ich glaube, es war Frau der Edlen wert, sich anzuschauen, was in anderen Län- Tillmann oder Herr Burgbacher –, wie wichtig es wäre, dern passiert. Das Schweizer Beispiel ist hochinteres- den Finanzausgleich ebenfalls horizontal und vertikal sant; das unterstreiche ich ausdrücklich. Ich habe den mit einzubeziehen. Vielleicht erinnern Sie sich daran: Eindruck, dass dieses Beispiel auf allen Seiten des Parla- Das hat uns das letzte Mal drei Jahre gekostet. Aus der mentes – auch aufseiten der FDP – die Neugier wecken Sicht vieler ist dabei eine Minilösung herausgekommen. könnte, einmal nachzuschauen, ob es in anderen Ländern Aus der Sicht vieler anderer wiederum war das, was da- Best Practices gibt, die man aufgreifen könnte. bei herausgekommen ist, schon zu viel Wettbewerbs- föderalismus. Wenn wir uns mit stärkeren und präventiven Ver- schuldungsregelungen beschäftigen, landen wir automa- (Zustimmung des Abg. Volker Kröning [SPD]) tisch bei der Frage – sie wurde richtigerweise schon Das ist die Schwierigkeit, in der wir uns befinden. gestellt –, ob die Länder, um solchen Verschuldensrege- lungen auch folgen zu können, nicht eine größere Mein Ansatz als Bundesfinanzminister ist deshalb zu- Steuerautonomie brauchen. Diese Frage wird uns in nächst sehr pragmatisch. Ich würde mich erst einmal auf diesem Zusammenhang beschäftigen. Ich glaube nicht, die Frage konzentrieren, wie wir Haushaltsrisiken und dass die großen Gemeinschaftssteuern aufzuteilen sind. Haushaltskrisen im Bundesstaat vermeiden können. Das Ein Ländervertreter hat mir einmal in einem Zustand oberste Reformziel in meinen Augen ist also in der Tat geistiger Verwirrung angeboten, die Länder sollten die die Begrenzung der Staatsverschuldung und die Ver- Einnahmen aus der Mehrwertsteuer bekommen – viel- meidung von Haushaltskrisen. Dass das eine wichtige leicht wollte er mich auch nur schlicht und einfach auf Rolle spielt, kann man am Bundeshaushalt der vergange- den Arm nehmen – und der Bund im Gegenzug die Ein- nen Jahre ablesen, in denen wir die Regelgrenze gemäß nahmen aus der Einkommensteuer. Das wäre ein ganz Art. 115 des Grundgesetzes nicht eingehalten haben. merkwürdiger Deal, weil die Dynamik des Mehrwert- steueraufkommens viel höher ist als die der Einkommen- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) steuer. Das kann man an den Hinweisen erkennen, die Sie rich- (Volker Kröning [SPD]: So ist es!) tigerweise mit Blick auf die Zahl der Länder gegeben ha- ben, die schon bei der Aufstellung ihrer Haushalte die Es wird letztlich darum gehen, dass die Gemeinschafts- Ausnahmeregelungen ihrer Landesverfassungen in An- steuern erhalten bleiben. Aber wir reden möglicherweise spruch nehmen müssen. Das kann man auch daran se- über Zuschlagsrechte, und zwar nicht nur bei den Ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7403

Bundesminister Peer Steinbrück (A) meinschaftssteuern. Das ist in diesem Zusammenhang Letzter Punkt in diesem Zusammenhang. Ich bin auch (C) ein wichtiges Thema. an einer Effizienzverbesserung in der Steuerverwaltung interessiert. (Ernst Burgbacher [FDP]: Absolut!) (Beifall bei der SPD, der FDP und dem Ein weiteres wichtiges Thema, das aus meiner Sicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in den Debatten, die im Vorfeld des heutigen Tages ge- Denken Sie allein an das Thema der Steuerhinterzie- führt worden sind, etwas unterbelichtet war, sind die Er- hungsbekämpfung; ich beziehe mich da jetzt einmal fahrungen, die der Bund mit Geldern macht, die er zwar nur auf die Mehrwertsteuer. Sie alle kennen das System nicht für die Daseinsvorsorge, aber für bestimmte Leis- der Karussellgeschäfte, das auf der europäischen Ebene tungen auf kommunaler Ebene bereitstellt, ohne dass er aufgrund unseres Drängens, ein anderes Erhebungssys- nach der jetzigen Finanzverfassung der Bundesrepublik tem einzuführen – es hat den sehr komplizierten Begriff Deutschland in direkten Finanzbeziehungen mit der „Reverse-Charge-Modell“ –, eine Rolle spielt. Nun ist kommunalen Ebene steht. Als Bundesfinanzminister Deutschland ohnehin aufgrund seiner wirtschaftsgeogra- sage ich Ihnen freimütig: Ich möchte nicht, dass die fischen Lage das prädestinierte Opfer krimineller Ener- Kommunen je zum Bestandteil des Bundes werden. gie. Wir laden dazu insbesondere deswegen ein, weil wir (Volker Kröning [SPD]: Genau!) auch noch föderal strukturiert sind. Wir sollten aus mei- ner Sicht auch dort einen Einstieg schaffen, indem wir, Dann haben wir sie täglich vor der Tür stehen; das wissen zumindest auf diese für den Betrug sehr anfällige Steuer- wir alle. Sie sind vielmehr nach wie vor Bestandteil der art bezogen, zum Beispiel eine einheitliche Bundes- Länder. Ich mache aber die Erfahrung, dass es, wenn der steuerverwaltung einführen. Das gehört aus meiner Sicht Bund bereit ist, behilflich zu sein, auf dem Weg hin zu zwingend zu dieser Debatte. den Kommunen gewisse klebrige Hände geben kann – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der und dies massiv. CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fazit: Wir haben uns ein sehr großes Rad vorgenom- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- men. Aber ich finde, dass wir dieser Herausforderung SES 90/DIE GRÜNEN) mit Unterstützung aller Kräfte im Deutschen Bundestag und, wie ich hoffe, in einem konstruktiven Verhältnis mit Das Thema der Regionalisierungsmittel für die För- den Ländern entsprechen. Ich glaube, dass die Erwartun- derung des Schienenpersonennahverkehrs – ich will die- gen nicht gering sind, selbst wenn die Materie nicht für ses Thema nicht sehr strapazieren – ist in diesem Zusam- jeden Bürger und jede Bürgerin leicht verständlich ist. (B) menhang von Bedeutung. Es ist zu fragen: Inwieweit (D) Das ist sie letztendlich auch für uns selber nicht. führen die Bundesmittel, die auf der Basis des Regiona- lisierungsgesetzes gewährt werden, dazu, dass die Län- (Zuruf des Abg. [SPD]) der eigene Mittel für Verkehrsinvestitionen einsparen? – Ja, man muss da Überzeugungskraft haben. – Aber für Ein viel problematischeres Thema haben wir gerade die zukünftige Handlungsfähigkeit und Europatauglich- erörtert: Das sind die Kosten der Unterkunft. keit des föderalen Gebildes, das viele Vorteile hat und das wir nicht aufgeben, sondern stärken wollen, wird die (Otto Fricke [FDP]: Jawohl!) Arbeit dieser zweiten Föderalismusreform eine erhebli- che Bedeutung haben. Die Vertreter der Bundesregie- War die Einigung im Vermittlungsausschuss zu den Kos- rung werden ihre Möglichkeiten einbringen, damit es zu ten der Unterkunft eigentlich nicht damit verbunden, einem guten Ergebnis kommt. dass die Kommunen 1,5 Milliarden Euro für die Betreu- ung der unter dreijährigen Kinder ausgeben sollten? Wie Herzlichen Dank. sieht das in den Ländern aus? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: GRÜNEN) Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion. Ein weiteres Beispiel, um deutlich zu machen, über wie viel Geld wir reden, ist die, wie ich finde, seinerzeit (Beifall bei der FDP) richtige Maßnahme des Bundes – ich war nicht beteiligt; deshalb Kompliment an diejenigen, die es beschlossen Dr. Volker Wissing (FDP): haben –, für den Auf- und Ausbau von Ganztags- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In schulen ein 4-Milliarden-Programm aufzulegen. Was der Debatte heute Morgen sind schon viele Persönlich- kommt da eigentlich auf welchem Wege bei denjenigen keiten zitiert worden, nur die Bundeskanzlerin nicht. an, die wir damit erreichen wollen, nämlich bei den Kin- Weil wir Ihnen eine offene, konstruktive Zusammen- dern und Eltern, die von der Bereitstellung der entspre- arbeit bei diesem Vorhaben zugesichert haben, will ich chenden institutionellen und personellen Infrastruktur ei- das jetzt nachholen. Die Bundeskanzlerin hat im An- nen Nutzen haben sollen? Dieses Thema wird, wie ich schluss an die erste Föderalismusreform gesagt: Viele glaube, eine erhebliche Rolle spielen. Bürger wussten nicht mehr, wer in unserem Land für 7404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Volker Wissing (A) was zuständig ist. – Ich will anfügen, dass das auch nach So sollte man nicht in eine solche Kommission hineinge- (C) der ersten Reform nicht klar ist. Vor allen Dingen ist hen; das muss an dieser Stelle gesagt werden. Wir sind nach der ersten Reform nicht klar, wer für was bezahlt. es unserem Land schuldig, offener an das Werk heranzu- Genau das müssen wir jetzt klarstellen. Das wollen wir gehen. Kleinstaatliches Denken, fehlender Mut und feh- gemeinsam angehen. lende Reformbereitschaft untergraben das Vertrauen der Menschen in die Politik und befördern letztlich Politik- Die Reform der Finanzbeziehungen – Herr Minister verdrossenheit. Dessen müssen sich alle bewusst sein. Steinbrück, Sie haben das zu Recht betont – ist eine Her- kulesaufgabe. An ihr wird sich zeigen, wie reformfähig Die Diskussion über die Reform der Finanzbezie- unser Land ist. Diesmal geht es nicht um die Reformbe- hungen muss nach vorne gerichtet sein. Deswegen sind reitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sondern um die Vorwürfe, wie sie der bayerische Ministerpräsident in Reformbereitschaft und Reformfähigkeit der politischen der vergangenen Woche gegenüber Berlin erhoben hat, Klasse. Dieser Verantwortung müssen wir uns ständig wenig hilfreich. Berlin weiß selbst, auch ohne Belehrung bewusst sein. Wir haben den Menschen in den letzten durch Herrn Stoiber, dass es dringend sparen muss. Jahren viel Reformwillen und Reformbereitschaft abver- (Beifall des Abg. [Spandau] langt. Jetzt wird sich zeigen, wie reformwillig und re- [SPD] und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE formbereit die Politik ist. Ein Scheitern der Föderalis- LINKE]) muskommission II würde das Vertrauen der Deutschen in die Problemlösungsfähigkeit unseres Landes weiter Die Bundeskanzlerin hat es gesagt: Die Arbeit wird schwächen. Das können und wollen wir uns nicht leis- nicht einfach. Es gilt, ein dickes Brett zu bohren. Die ten. Deswegen wird die FDP dieses Vorhaben konstruk- Union kann aber dafür sorgen, dass das Bohren dieses tiv und offen begleiten. dicken Brettes leichter geht. Wir wollen den Menschen zeigen, dass Politik fähig Das Arbeitsprogramm liegt vor. Ob Verschuldens- ist, die Probleme unseres Landes zu lösen. Ich hoffe, grenzen, nationaler Stabilitätspakt oder Entbürokratisie- dass wir mit unserem Mut und unserem Willen zur Ver- rung: Die Agenda ist ehrgeizig. Die FDP begrüßt außer- änderung auch der Bevölkerung Mut machen: Mut zu ordentlich, dass Herr Minister de Maizière – leider kann Reformen, Mut zu Veränderungen und Mut zur Gestal- er an der heutigen Debatte nicht teilnehmen – ausdrück- tung der Zukunft unseres Landes. lich erklärt hat, dass es bei der Themenfestsetzung keine Tabus geben darf. Die Messlatte liegt hoch, sogar sehr hoch. Wie sagt man so schön: Beim Geld hört der Spaß auf! Wir werden Herr Kollege Kuhn, die Begründung, die Sie dafür nur Erfolg haben, wenn wir alle bereit sind, an der einen geliefert haben, dass die Grünen den Antrag nicht unter- (B) oder anderen Stelle Abstriche zu machen und aufeinan- stützen können, war alles andere als überzeugend. (D) der zuzugehen. An dieser Stelle appelliere ich ganz be- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sonders an die Union. Sie hat eine besondere Verantwor- der CDU/CSU) tung. Sie stellt nämlich nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch die Mehrzahl der Ministerpräsidenten. Sie versuchen krampfhaft, sich zu Beginn der Debatte Eine Finanzreform ohne Ergebnis wäre auch ein politi- über die Einsetzung der Kommission von den anderen scher Offenbarungseid der Union. Die Bundeskanzlerin abzusetzen. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist. ist als Vorsitzende der CDU besonders gefordert. Wenn man Ihre Ausführungen hört, gewinnt man den Eindruck, dass Sie Ihre eigenen Ziele nicht sehr coura- (Beifall bei der FDP und der SPD) giert verfolgen. Macht ist kein Selbstzweck. Macht ist auch Verant- Herr Minister Steinbrück, ich begrüße es außerordent- wortung. Man kann sie nicht nur für sich selbst bean- lich, dass Sie hier und heute eine Bundessteuerverwal- spruchen; sie muss vielmehr verantwortungsbewusst für tung gefordert haben. Wir werden dieses Vorhaben im die Allgemeinheit genutzt und im Sinne der Bürgerinnen Rahmen der Kommission unterstützen. Sie haben es und Bürger eingesetzt werden. Die Menschen erwarten sachlich begründet und können sicher sein, dass die FDP von den politisch Verantwortlichen viel. Sie werden ge- in diesem Punkt an Ihrer Seite ist. nau beobachten, wie sich die Ministerpräsidenten ver- halten und ob sie bereit sind, sich ihrer Verantwortung zu Wir sind bereit, konstruktiv an der Suche nach Lösun- stellen. Auch die Ministerpräsidenten sind dem Gemein- gen mitzuarbeiten. Wir sind bereit, uns unserer politi- wohl des gesamten Landes verpflichtet. schen Verantwortung für das Land, für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu stellen. Die Föderalismus- Die Union hat hierbei großen Einfluss und die Men- reform muss ein Erfolg werden. Ein Scheitern würde das schen sind sehr gespannt, wie sie diesen einsetzen wird. Vertrauen der Menschen in Deutschland in die demokra- In diesem Zusammenhang ist es nicht sehr hilfreich, tischen Institutionen schwächen. Wir sind in diesem wenn einzelne Bundesländer unter der Hand signalisie- Sinne gemeinsam aufgerufen, die Kommission zu einem ren, dass sie kein großes Interesse an einer grundlegen- Erfolg zu führen, nicht nur Bundestag und Bundesregie- den Neuordnung der Finanzbeziehungen haben. Auch rung, sondern auch die Ministerpräsidenten und alle, die das muss an dieser Stelle gesagt werden. sich an der Föderalismuskommission beteiligen. Stellen wir uns gemeinsam unserer großen Verantwortung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7405

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das zu vertreten, ist manchmal schmerzlich – ich habe (C) Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Wolfgang gerade die Debatte dieser Woche erwähnt –, aber trotz- Schäuble. dem halte ich es für richtig. In diesem Sinne ist die Debatte über Wettbewerbs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- föderalismus nicht falsch: Lasst uns doch ausprobieren, neten der SPD) wer die besseren Ergebnisse erzielt.

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nern: neten der SPD und der FDP) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Dann werden die, die schlechtere Ergebnisse haben, von möchte die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, um zu- denen, die bessere Ergebnisse haben, lernen. nächst einmal ein wenig für das föderale Prinzip zu wer- Mir hat einmal der frühere Bremer Bürgermeister ben. Henning Scherf – ich glaube, ich darf das sinngemäß zi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tieren; es ist lange genug her – in einem Gespräch ge- neten der SPD und der FDP) sagt: Wir haben von den „Bremer Verhältnissen“ in der Hochschule – das war seinerzeit ein Begriff in der bil- Denn angesichts der öffentlichen Debatten dieser Tage dungspolitischen Debatte, der nicht eben als Qualitäts- – Schutz von Nichtrauchern – habe ich die Sorge, dass merkmal aufgefasst wurde – genug und versuchen jetzt, wir die Prinzipien europäischer Verfassungstradition von anderen zu lernen. – Jetzt ist Bremen ein Wissen- nicht mehr richtig begreifen oder aus dem Blick verlie- schaftsstandort – immerhin war man mit im Rennen um ren. Die Tatsache, dass ein großes Problem einer Lösung die Benennung von Eliteuniversitäten – und niemand re- bedarf, beantwortet noch nicht die Frage, wer legitimiert det mehr von „Bremer Verhältnissen“. Das heißt: Der ist, ein solches Problem zu lösen. Dazu muss es eine ver- Prozess des Benchmarking kann gerade für die Schwä- fassungsrechtlich begründete Kompetenz geben und eine cheren durchaus gute Ergebnisse bringen. Deswegen demokratische Legitimation. sollten wir ihn nicht kleinreden, sondern sagen: Es ist richtig, notwendig und nützlich. Es ist wahr, dass die öffentliche Meinung dazu neigt – das ist ganz allgemein so –, zu sagen: Ein großes Pro- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der blem muss eigentlich auf einer hohen Ebene geregelt FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- werden. Aber konsequent zu Ende gedacht, hieße das, SES 90/DIE GRÜNEN) (B) dass der Nichtraucherschutz letztlich durch die UNO ge- Ich will ausdrücklich auf das Bezug nehmen, was der (D) regelt wird. Kollege Steinbrück gerade gesagt hat: Die Föderalis- musreform I wird in der öffentlichen Wahrnehmung un- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie terschätzt. Sie bedeutet eine Stärkung unserer föderalen bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Ordnung. Das ist aber nicht das Ende der Bemühungen; Spätestens dann werden wir auf ein zweites Problem das geht schrittweise. Es ist ein mühsamer, schwieriger stoßen: In der globalisierten Welt mit ihren großen Ver- Prozess. Aber die Föderalismusreform ist, wie gesagt, änderungen und schnellen strukturellen Umbrüchen eine Stärkung der föderalen Ordnung. Wir sollten sie wächst ungeheuer viel Verunsicherung. Eine der Voraus- richtig wahrnehmen. Wir sollten sie nutzen und auf die- sem Weg vorangehen. setzungen für die Zukunftsfähigkeit und die Stabilität unserer demokratischen verfassungsmäßig gebundenen Ein anderer Punkt ist ebenfalls klar. Wir leben in einer freiheitlichen Ordnung ist, dass die Bürger sich in dieser Zeit, in der die Haushaltsspielräume eng sind und der Wi- Ordnung zu Hause fühlen, dass sie Orientierung finden. derstand gegen Veränderungen – nicht nur in den Das ist eine der großen Fragen; sie ist nicht leicht zu be- politischen Parteien, egal ob sie nun in der Opposition antworten. Alle Umfragen belegen, dass die Zustim- oder an der Regierung sind, sondern generell in unserer mung zu den demokratischen Institutionen nicht wächst; Bevölkerung – groß ist. Die Forderung nach Reformen uns beschäftigt die abnehmende Wahlbeteiligung usw. wird zwar häufig erhoben, aber gegen jeden konkreten Das ist nicht nur in Deutschland so. Vorschlag einer Veränderung – egal von wem er kommt – gibt es zunächst einmal ziemlich viele Widerstände. Ich glaube, dass es bei der Suche nach Antworten da- Auch das ist wahr. Das hat auch etwas damit zu tun, dass rauf vielleicht nicht falsch ist, sich an die Vorteile föde- wir insgesamt in 60 Jahren, in einer glücklichen Phase raler Ordnungen zu erinnern: Nähe der Entscheidung der deutschen Geschichte, viel erreicht haben und Ängste zu den Menschen, dezentrale Entscheidungsfindung, gegenüber der Zukunft zunehmen. Deswegen ist der Wi- Machtbegrenzung und Machtverteilung sowie mehr derstand gegen konkrete Veränderungen immer relativ Chancen für die Partizipation der Menschen. Deswegen groß. Man muss also schrittweise vorangehen. Die Hand- bin ich ein überzeugter Anhänger der föderalen Ordnung lungsspielräume sind begrenzt. unseres Grundgesetzes und halte sie nicht für einen Standortnachteil. Deswegen kann ich es auch verstehen, dass wir bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen nur dann wirk- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie lich etwas erreichen werden, wenn wir Synergieeffekte bei Abgeordneten der FDP) erschließen. Natürlich wird jedes Land am Ende sagen: 7406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Wenn für uns unter dem Strich wenig herauskommt, Tür zu. Deshalb will ich vorab sagen: Die Linke ist ohne (C) kann ich es nicht verantworten. – Herr Steinbrück ist ja Wenn und Aber für starke Kommunen in diesem Land. einmal Ministerpräsident gewesen; ich darf sagen: (Beifall bei der LINKEN) Glücklicherweise ist er es nicht mehr. Die Föderalismuskommission II soll die Finanzbezie- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) hungen zwischen Bund und Ländern modernisieren und Wie Sie das „glücklicherweise“ interpretieren, ist jetzt die Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften und Ihre Sache. Aber klar ist: Niemand könnte so etwas ver- ihre aufgabengerechte Finanzausstattung stärken. Auch antworten. Auch die Bundesregierung kann nicht sagen: die Kommunen sind Gebietskörperschaften. Daher müs- Das ist kein Problem; das zahlt dann der Bund. – Also sen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und müssen wir schon schauen, dass wir durch Synergieef- Kommunen neu geordnet werden. Außerdem treten die fekte zu einer besseren Zusammenarbeit kommen. Kommunen im System der Finanzverfassung unmittel- bar in Erscheinung. Neben dem Bund und den Ländern Da gibt es eine Menge Bereiche, an die man in diesem fließen gemäß Art. 106 des Grundgesetzes auch den Zusammenhang denken könnte. Wir könnten beispiels- Kommunen Steuereinnahmen zu. Wir fordern eine un- weise nach dem Prinzip verfahren, dass ein Land für alle mittelbare und umfassende Beteiligung der Kommu- anderen Länder Verwaltungsmodelle entwickelt. Es gibt nen. Die kommunalen Spitzenverbände müssen mit beim Zusammenwirken der Verwaltungen, der Bundes- Rede- und Antragsrecht ausgestattet werden. verwaltung, der Länderverwaltung, der Auftragsverwal- tung, große Potenziale. Durch eine bessere Organisation (Beifall bei der LINKEN) und Zusammenarbeit können wir uns Synergieeffekte er- Es muss bei dieser Reform um eine grundsätzliche schließen, sodass wir am Ende die Handlungsfähigkeit Neuordnung der Finanzen gehen und nicht um Kosme- unseres föderal organisierten Gemeinwesens stärken und tik. Wir wollen den Anteil der Kommunen an den Ein- gleichzeitig die Prinzipien von Machtteilung, Gewalten- nahmen aus den Gemeinschaftsteuern wirksam erhöhen. teilung, Bürgernähe und Transparenz befördern. Denken Derzeit beträgt dieser Anteil in Deutschland 13,2 Pro- wir beispielsweise an die Nutzung moderner Kommuni- zent. In Skandinavien hingegen liegt er zwischen 40 und kationstechnologien für Verwaltungsabläufe: Da kann 60 Prozent. Wir sagen: Die Verteilung der Finanzen der Bund Dienstleister für alle sein, aber man kann ge- muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Es muss nauso – das hat man in der Steuerverwaltung teilweise auch Aufgabe der Kommission sein, eine nachhaltige gemacht – verabreden, dass ein Land oder eine Ober- Gemeindefinanzreform auf den Weg zu bringen. Wenn finanzdirektion vorangeht und die anderen es überneh- es aber bei der vorgeschlagenen Besetzung der Kom- men. Wir müssen nicht gleichzeitig alles machen. mission bleibt, wird niemand die Interessen der Kom- (B) (D) munen in diesen existenziellen Fragen vertreten. Ich verstehe die Rolle des Bundesinnenministeriums in dieser Kommission ein Stück weit so, dass wir Vor- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!) schläge machen werden, mit denen wir durch Modelle Weder Bund noch Länder können dies tun. Die Interes- effizienterer Zusammenarbeit in der Verwaltung Syner- senlagen sind viel zu unterschiedlich. Den Ländern wird giepotenziale erschließen wollen. Wenn wir uns gemein- es in erster Linie um ihre Finanzausstattung gehen und sam darauf verständigen können, dass der Föderalismus nicht darum, wie die Kommunen aufgestellt sind. das richtige Organisationsprinzip für unsere freiheitliche Demokratie ist und dass wir seine Leistungsfähigkeit (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!) stärken wollen, dann haben wir eine Chance, unser Land zu modernisieren und zugleich das Vertrauen und die Das sind die „klebrigen Hände“, die Sie, Herr Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger unseres Lan- Steinbrück, vorhin erwähnt haben. des zu seiner demokratischen Verfasstheit nachhaltig zu (Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings stärken. Das ist das Wichtigste. [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie glauben an die Solidarität!) Herzlichen Dank. In der Vergangenheit haben Bund und Länder über die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Kommunen hinweg Entscheidungen getroffen. Die FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Folge sind zum Beispiel Mehrbelastungen bei den Kos- SES 90/DIE GRÜNEN) ten der Unterkunft. Es ist überhaupt nicht akzeptabel, dass der Anteil, den die Kommunen an den Verwaltungs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kosten der Argen zu tragen haben, demnächst erhöht Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Kunert von der werden soll. Dieser Kurs zulasten der Kommunen darf Fraktion Die Linke. nicht fortgesetzt werden. Die Bundespolitik muss sich daran messen lassen, wie gut oder schlecht sie bis in die (Beifall bei der LINKEN) unteren Ebenen wirkt und wie sie bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt. Katrin Kunert (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Wel- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! che zwingenden Gründe gibt es, diese Kommission nicht Sehr geehrte Gäste! Sehr geehrter Herr Steinbrück, die mindestens so zu besetzen wie die erste Kommission zur Kommunen stehen ständig vor der Tür. Oftmals ist die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung? Da- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7407

Katrin Kunert (A) mals gab es für viele hier im Haus anscheinend gute Das föderale Credo von Herrn Bundesminister (C) Gründe – ich darf zitieren –: Schäuble, der meines Wissens noch nicht in der Landes- politik tätig war, übernehmen mein Fraktionsvorsitzen- Schließlich haben wir die Interessen unserer Kom- der und ich sicherlich gerne. Ganz bescheiden gesagt, munen zu achten, ohne deren aktive Mitwirkung Herr Minister, erwarten wir im Bundesrat eine Achse am demokratischen Prozess unsere Demokratie von Baden-Württemberg–Bremen. unten her ausgetrocknet würde. Deswegen dürfen wir sie auch finanziell nicht austrocknen. Es scheint einen gemeinsamen Nenner einer breiten Mehrheit in diesem Haus zu geben, was das erste Thema So hat sich damals der Kollege Thierse geäußert. Dem auf der Agenda sein wird, sowie dass wir keine ge- können wir nur zustimmen. schlossene Themenliste wollen. Obenan soll es um die (Beifall bei der LINKEN) Prävention von Haushaltsnotlagen gehen. Ich rechne allerdings fest damit, dass sich das Bundesverfassungs- Die vorgesehene Beteiligung der Landtage und gericht mit den Anträgen des Saarlandes und Bremens kommunalen Spitzenverbände halten wir für ange- erst beschäftigen wird, wenn es absehen kann, was der messen. Bundesgesetzgeber auch zur Bewältigung von Haus- Diese Position stammt von Herrn Böhmer, dem Minis- haltsnotlagen bzw. -beinahenotlagen tun wird. terpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Es sind bereits entsprechende Modelle genannt wor- Jetzt aber geht es um Geld. Die Kommunen sollen den. Ich will uns Mut machen mit dem Beispiel der zwar weiterhin möglichst viele Leistungen erbringen Schuldenbremse, die im Jahre 2001, als wir mit dem und möglichst viel in eigener Sache entscheiden, aber Solidarpakt II beschäftigt waren, von der Schweizer Be- die Ressourcen und das Geld dazu sollen ihnen entzogen völkerung mit 85-prozentiger Mehrheit gebilligt worden werden. Die Formulierung, die Sie in Ihrem Antrag im ist. Und sie funktioniert. Der gewachsene Föderalstaat Hinblick auf die Beteiligung der kommunalen Spitzen- Schweiz ist zwar klein, mit ihm kann sich die Bundesre- verbände gefunden haben – dort heißt es, dass sie „in ge- publik Deutschland aber am ehesten vergleichen. eigneter Weise“ einbezogen werden sollen –, ist uns nicht verbindlich genug. (Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, fast jeder zweite von Ihnen war oder ist in einer kommunalen Vertretung Was ist das Interesse der Länder und was ist das In- tätig. Ich bitte Sie, unserem Antrag im Interesse der teresse des Bundes? Die Länder – das muss deutlich ge- Kommunen zuzustimmen. sagt werden – sind Teil des bundesstaatlichen Finanzsys- (B) tems, unabhängig von ihrer Zahl. Es ist schon zu Beginn (D) Ich danke Ihnen. der Föderalismusreform I bekräftigt worden, dass (Beifall bei der LINKEN) Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes – die so genannte Ewigkeitsgarantie – die Gliederung der Bundesrepublik in Länder festschreibt. Aber die Länder haben ein Pro- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: blem – besonders in ihrem Verhältnis zum Bund, aber Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Kröning von auch in ihrem Verhältnis zu ihren Gemeinden –: Sie ha- der SPD-Fraktion. ben in ihren Budgets den höchsten Anteil der Fixkosten, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aber zugleich die schlechtesten Finanzierungsmöglich- der CDU/CSU) keiten, erst recht wenn eine Schuldenbremse geschaffen werden wird. Volker Kröning (SPD): Es ist so viel von der Asymmetrie im Föderalismus Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und die Rede. Die Asymmetrie besteht vor allen Dingen zwi- Herren! Ich glaube, der heutige Auftakt zur zweiten schen den Ländern, aber auch innerhalb ein und dessel- Stufe der Bundesstaatsreform im Deutschen Bundestag ben Landes sowie in den jeweiligen Länderhaushalten. kann sich hören und sehen lassen. Mit Interesse werde Während die Föderalismusreform I die Ausgabenauto- ich die Debatte nachlesen, die zu diesem Thema parallel nomie der Länder gestärkt hat, wovon sie in der nächsten im Bundesrat geführt wird. Peer Steinbrück hat in erfri- Zeit sicher Gebrauch machen werden – Berlin hat damit schender Weise die Themen und Beispiele aufgelistet, begonnen –, ist ihre Einnahmenautonomie bis auf die um die es bei den uns bevorstehenden Beratungen gehen Kreditaufnahme gleich null; doch gerade die soll ja be- wird. Ich schließe nicht aus – ich fürchte es sogar fast –, grenzt werden. Also bleibt die Frage von mehr Steuerau- dass die nächste Zeit noch weitere Beispiele liefern wird. tonomie, die wir bereits bei der Föderalismusreform I andiskutiert haben, unausweichlich. Die Länder haben Verehrter Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Struck, ge- dieses Thema noch nicht in ihre Themensammlung auf- genwärtig gibt es zum Beispiel zwischen Bund und Län- genommen; doch sie werden dieser Frage nicht auswei- dern und übrigens auch zwischen Staat und Wirtschaft chen können. eine Auseinandersetzung über die Absicherung der FuE- Strategie. Das ist eine praktische Frage, Herr Kollege Es gibt auch klare Interessen des Bundes. Neben sei- Kuhn, um die es auch bei der Verwirklichung der Wis- nen Eigeninteressen hat der Bund auch gesamtstaatliche sensgesellschaft geht. Wir werden es also ständig mit Interessen. Denn als Einzelkörperschaft ist er leichter neuen Lehrbeispielen zu tun haben. handlungsfähig als die Ländergesamtheit, und im 7408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Volker Kröning (A) Außenverhältnis wird er zur Verantwortung gezogen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ (C) nicht die 16 Länder. Dazu will ich als Haushälter, der CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ sich für das Steuergeld verantwortlich fühlt, sagen: Der DIE GRÜNEN) Bund trägt 61 Prozent der gesamtstaatlichen Schulden; aber er bekommt nur 42,1 Prozent des gesamten Steuer- Das wäre am heutigen Tage ein sehr guter parlamentari- aufkommens. Und der Gesamtschuldenstand – wir reden scher und föderaler Doppelauftakt gewesen. nicht nur von der Neuverschuldung – von Bund und Wir werden als Bund darauf aufpassen müssen, dass Ländern, Gemeinden und Sozialkassen ist nach wie vor wir den Gemeinden nicht zu sehr entgegentreten. Wir zu hoch, von einem Schuldenabbau ist unser Gesamt- haben den Gemeinden in den letzten Jahren schon sehr staat noch weit entfernt! Darum muss gehandelt werden; viel Gutes getan. Die große Gemeindefinanzreform ha- das ist der eigentliche Grund, warum wir diese Stufe II ben wir hinter und nicht vor uns. einleiten. (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Länder werden sich daran gewöhnen müssen, dass sie die erste Adresse der Gemeinden sind. Eine Seitenbemerkung zur Neugliederung der Län- Die Zeitspanne des 2001 neu geregelten und 2019 der, einem seit einiger Zeit nicht mehr nur außerhalb, auslaufenden Finanzausgleichs und die eigentümliche sondern auch innerhalb des Hauses besonders beliebten Norm des Art. 143 c Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes, Thema, kann ich mir nicht verkneifen: Man kann eine die wir jüngst geschaffen haben – ich zitiere wörtlich: Neugliederung nach Art. 29 des Grundgesetzes vorneh- „Die Vereinbarungen aus dem Solidarpakt II bleiben un- men. Die Schwelle ist im Sinne von mehr Verantwortung berührt“ –, geben uns allen Planungssicherheit. Diesen der Länder gesenkt worden; mit der Wiedervereinigung Satz richte ich vor allem an die Bundesratsvertreter in ist aus einer Mussvorschrift eine Kannvorschrift ge- der Kommission. Angesichts dieser Planungssicherheit macht worden. Debatten über die Fusion von Ländern sollten wir uns vor einer offenen Diskussion nicht ängs- sind scheinbar tabuisiert. Dennoch werden manche ge- tigen. führt, zum Beispiel die über ein Land Berlin-Branden- burg. Ich finde, jedes Land sollte im Hinblick auf seine Vielen Dank. Leistungsfähigkeit – das ist das Kriterium des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes – auf den Prüfstand ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stellt werden. Dazu sollte jedes Land bereit sein. Jedes der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Land sollte sich allerdings auch fragen und in die De- Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ (B) batte einbringen, ob und unter welchen Voraussetzungen DIE GRÜNEN]) (D) föderaler Fairness es sich zutraut, auf einen grünen Zweig zu kommen, das heißt, den allfälligen Struktur- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wandel zu bewältigen und mit den anderen Gliedern der Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt Gemeinschaft gleichzuziehen. gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion. Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben als Beispiel das Land Bremen genannt. Hier hat sich gezeigt, dass (Beifall bei der CDU/CSU) dies nicht ohne Hilfe möglich ist. Dieser Hilfe muss man dann aber auch gerecht werden. Das ist ein mehrfaches Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Wechselverhältnis. Deshalb gefällt mir die Formel von Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herrn Kollegen Kuhn vom fairen Wettbewerb sehr gut. Ich denke, die Debatte hat deutlich gemacht, dass es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- richtig war, für die Föderalismusreform II eine sehr breit SES 90/DIE GRÜNEN) gefasste und offene Themenliste vorzusehen. Ja, wir dre- hen damit ein sehr großes Rad; das haben wir uns vorge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf aus der nommen, Herr Minister Steinbrück. Wir haben keinen heutigen Debatte, in der nicht alles vorweggenommen Grund zu Pessimismus. werden konnte, zusammenfassen: Wir vonseiten des Bundes werden parallel zu den Ländern einen eigenen Ich erinnere mich an die Einsetzung der Föderalis- Standpunkt entwickeln. Ich begrüße es, dass die Bundes- muskommission I. Damals waren viele, ja sogar die regierung auf die Bank des Bundestages aufgenommen meisten skeptisch. Und tatsächlich: Kurze Zeit später wurde. Das entwertet die Kommission, die beide gesetz- – das war in der Vorweihnachtszeit vor zwei Jahren – ist gebenden Körperschaften umfasst, überhaupt nicht. sie gescheitert. Aber die Ergebnisse, die in dieser Föde- ralismuskommission I erarbeitet wurden, waren Grund- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lage für weitere Beratungen, erst zwischen Stoiber und Müntefering, später auch in den Koalitionsverhandlun- Im Gegenteil – ich erlaube mir eine etwas skeptische gen. Wichtig war, dass man einen langen Atem bewahrt Anmerkung –: Ich hätte es schön gefunden, wenn auch hat. Lieber Kollege Struck, ich wünsche Ihnen und die Länderregierungen und die Ministerpräsidenten be- Herrn Ministerpräsidenten Oettinger, dass auch Sie in reit gewesen wären, die Landtage auf ihre Bank mitauf- dieser Föderalismuskommission II langen Atem haben, zunehmen. den wir für einen Erfolg brauchen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7409

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) Wir werden – ich denke, das hat diese Debatte deut- Der öffentliche Schuldenstand von insgesamt (C) lich gemacht – drei Kategorien von Themen angehen 1 500 Milliarden Euro sei das Ergebnis der „organi- müssen: sierten Verantwortungslosigkeit unserer derzeiti- gen Finanzverfassung“. Der erste Themenbereich umfasst Themen, die besser heute als morgen oder gar übermorgen gelöst werden Unser Auftrag für diese Kommission ist, diese organi- müssen. Ich meine damit vor allem die Aufgabe, den sierte Verantwortungslosigkeit zu beenden. Weg in den Schuldenstaat zu stoppen. Das muss noch in dieser Wahlperiode mit klaren Regelungen gelingen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Ernst Burgbacher (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [FDP]) Zweitens. Es gibt Themen, bei denen wir zwischen Kollege Ernst Burgbacher, wir werden darüber strei- Bund und Ländern bzw. zwischen den Ländern unter- ten, ob wir ein generelles oder ein relatives Verschul- einander erst noch ein gemeinsames Verständnis entwi- dungsverbot einführen und ob wir Ausnahmen zulas- ckeln müssen. Dazu zählen die Bündelung von Verwal- sen – wie auch immer. Das Ziel sollte uns allerdings tungsaufgaben, Verwaltungsvereinfachung – Minister immer vor Augen bleiben: Wir wollen, dass die Neuver- Schäuble hat das schon angedeutet –, Erschließung von schuldung der Gebietskörperschaften – Bund, Länder Synergieeffekten und kritische Überprüfung von Staats- und Gemeinden – künftig nur noch eine Ausnahme und aufgaben. Das ist die zweite Kategorie, für die wir der nicht wie heute die Regel ist. Das muss uns gelingen. Diskussion innerhalb dieser Kommission eine Struktur Wer Schulden macht, ohne beantworten zu können, wie geben müssen. er sie zurückzahlt, handelt verantwortungslos, unsolide Zur dritten Kategorie zählen die Themen, die auf die und unmoralisch – auch gegenüber den künftigen Gene- politische Tagesordnung hier in Berlin und in Deutsch- rationen. land gehören. Wir wissen aber, dass wir die Probleme (Beifall bei der CDU/CSU) nicht auf einen Schlag lösen können. Ein Stichwort ist hier genannt worden, nämlich die Länderneugliede- Die Bürger eines Landes müssen wissen, dass ihnen rung. die Regierung, die Schulden macht, letzten Endes die Konsequenzen daraus – sie bestehen beispielsweise da- Wir werden mit dieser Föderalismuskommission II ei- rin, einen handlungsunfähigen Staat zu hinterlassen – nen politischen Prozess bzw. zumindest eine weiterfüh- aufbürdet. Letzen Endes zahlen die Bürger die Rech- rende Diskussion anstoßen. Ich denke, dass wir Georg nung, die ihnen diejenigen, die Schulden machen, prä- Paul Hefty, der in der „FAZ“ heute vor Illusionen warnt, sentieren. (B) beruhigen können. Wir werden uns nicht überheben, (D) sondern ganz realistisch an die Dinge herangehen. Wir brauchen deswegen Mechanismen, um Haus- haltsrisiken vorzubeugen, sie zu erkennen und sie zu be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wältigen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns in sei- neten der SPD) nem Berlinurteil eine klare Anweisung – sozusagen Das Ziel, die Finanzbeziehungen neu zu regeln, um- einen Handlungsauftrag, wenn ich es einmal so sagen fasst mehr als Grundgesetzänderungen. Grundge- darf – dafür gegeben, indem es gesagt hat: setzänderungen werden aber nötig sein. Eine ist heute Das Bundesstaatsprinzip macht solche Bestrebun- schon genannt worden. Mit dem Art. 115 des Grundge- gen setzes wurde nicht das erreicht, was man sich erhofft hatte: Die Verschuldung konnte nicht in breitem Maße – nämlich solche Mechanismen zu entwickeln – gestoppt werden. An dieser Stelle brauchen wir also eine angesichts der gegenwärtig defizitären Rechtslage Verfassungsänderung. Dies gilt übrigens auch für andere erforderlich. Bereiche. Zum Beispiel müssen beim Verteilen von Geld mehr Pflichten gelten. Es ist unsere Aufgabe, dieses Defizit durch diese Föde- ralismuskommission zu beseitigen. Wir werden aber auch eine zweite Kategorie der Ge- setzgebung beachten müssen, nämlich einfachgesetz- Ich bedanke mich beim Verfassungsgericht für die liche Regelungen unterhalb des Grundgesetzes. Auch Steilvorlage, die wir mit dem Berlinurteil für die Arbeit sie müssen Gegenstand der Diskussionen zwischen dem in der Kommission erhalten haben. Mit den Urteilen zur Bund und den Ländern sowie innerhalb der Länder sein. Erforderlichkeitsklausel haben wir übrigens auch Ich denke zum Beispiel, dass mit Art. 109 des Grundge- schon bei der letzten Kommission Flankenschutz von setzes schon heute viele Möglichkeiten gegeben sind, dem anderen Verfassungsorgan erhalten, für den wir uns durch Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates herzlich bedanken sollten. mehr Disziplin in der Haushaltsführung einzuführen. Wir brauchen noch in dieser Wahlperiode einen natio- Wir werden also sicher darüber diskutieren müssen, auch nalen Stabilitätspakt, der nicht nur so heißt, sondern sei- auf der Ebene unterhalb der Verfassung Regelungen zu nen Namen auch verdient. Wir brauchen klare Maßstäbe treffen. für die Neuverschuldung. Wir brauchen ein Frühwarn- Die wichtigste Aufgabe ist, den Marsch in den Schul- system für Haushaltskrisen, die den Ländern drohen. denstaat zu stoppen. Roman Herzog, der frühere Bun- Das ist auch eine Frage des demokratischen Prinzips, der despräsident, wird im „Tagesspiegel“ zitiert. Dort steht: demokratischen Verantwortung: Möglichst zeitnah muss 7410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) jede Regierung – nicht erst die übernächste Regierung – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) für die Schulden, die sie den Bürgern aufbürdet, zur Ver- Ich schließe die Aussprache. antwortung gezogen werden. Ich bitte um Aufmerksamkeit, damit wir die folgen- (Beifall bei der CDU/CSU) den Abstimmungen ordentlich durchführen können. – Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Georg Milbradt, der Ministerpräsident von Sachsen, hat vorgestern in einem Interview mit dem „Handels- Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP mit dem Titel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommission blatt“ gesagt: zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehun- Wir können es uns nicht mehr leisten, dass auf der gen“. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die einen Seite alle Länder auf ihre Finanzautonomie wir zuerst abstimmen. pochen und gleichzeitig die Solidargemeinschaft für hochverschuldete Länder einstehen muss. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3888? – Gegenstimmen? – Ich stimme diesem Zitat zu. Mit anderen Worten: Wer Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim- sich beim Schuldenmachen auf Haushaltsautonomie men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei beruft, kann sich beim Zurückzahlen von Schulden nicht Zustimmung der Fraktion Die Linke und der Fraktion auf Solidarität berufen. des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3887? – Das Bundesverfassungsgericht hat uns mit seiner Berli- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungs- nentscheidung und dem klaren Hinweis, dass jedes Land antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und für politische Entscheidungen und ihre Folgen selber der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Die verantwortlich ist, in dieser Frage Flankenschutz gege- Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ben. abgelehnt. Wir brauchen Sanktionsmechanismen. Ich habe jetzt Jetzt kommen wir zum eigentlichen Antrag mit dem in der Diskussion gemerkt, dass wir durchaus unter- Titel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur schiedliche Ansatzpunkte haben. Man muss entscheiden, Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehungen“ was man will: mehr Rechte, von außen einzugreifen, auf Drucksache 16/3885. Wer stimmt für diesen Antrag? – oder eine stärkere Entflechtung im Hinblick auf die Soli- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit darität. Wir werden darüber streiten, was der richtige den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP- Weg ist. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und (B) Vorschläge gemacht, wie man Haushaltskrisen bewälti- (D) Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gen und ihnen rechtzeitig vorbeugen kann. Ich nenne angenommen. hier das Stichwort Stabilitätsrat. Das ist ein Thema, dem wir uns sehr zügig widmen sollten. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3539 mit dem Titel „Beteiligung der Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, Landtage bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform dass aufgrund der Staatlichkeit der Länder Eingriffen und Information des Deutschen Bundestages“. Die Frak- von außen Grenzen gesetzt sind. Ich bedanke mich herz- tion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt. lich bei Bundesinnenminister Schäuble, der auf die Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir nach große Bedeutung der föderalistischen Tradition unse- der namentlichen Abstimmung noch die Mitglieder der rer Verfassung hingewiesen hat. Wir haben die Staatlich- soeben eingesetzten Kommission mittels einfacher Ab- keit der Länder zu achten und müssen Rücksicht nehmen stimmung wählen werden. auf das, was unsere Verfassungstradition ausmacht. Ich möchte das Thema Länderneugliederung nicht Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh- vertiefen. Nur so viel: Das ist keine heilige Kuh; das rer, die Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze eingenom- muss auf die Tagesordnung. men? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Lassen Sie mich zuletzt etwas zu den Kommunen sa- Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihre gen. Die Kommunen sind über Art. 28 des Grundgeset- Stimme nicht abgegeben haben? – Das scheint nicht der zes, aber auch als Adressaten von Finanzzuweisungen Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und geschützt. Ich kann für meine Fraktion versichern, dass bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wir die Kommunen, immer wenn ihre Rechte betroffen 1) sind, in die Diskussion, in die Verhandlungen einbezie- wird Ihnen später bekannt gegeben. hen werden. Wir, die Bundestagsabgeordneten der Ich gehe davon aus, dass wir mit der Wahl der Mit- Koalitionsfraktionen, können und wollen die Interessen glieder der Kommission fortfahren können. Deswegen unserer Kommunen in der Föderalismuskommission bitte ich Sie, sich auf Ihre Plätze zu begeben, damit ich nachhaltig vertreten. bei der kommenden Abstimmung einen Überblick habe. Ich danke Ihnen. (Unruhe) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) 1) Seite 7413 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7411

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- (C) zu nehmen. NISSES 90/DIE GRÜNEN (Glocke des Präsidenten) Tierschutzpolitik energisch fortführen und weiterentwickeln Wir kommen damit zur Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsa- – Drucksachen 16/550, 16/1464 – men Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder- Berichterstattung: Finanzbeziehungen. Hierzu liegen Wahlvorschläge der Abgeordnete Dr. Peter Jahr Fraktionen auf Drucksache 16/3886 vor. Wer stimmt für Dr. Wilhelm Priesmeier diese Wahlvorschläge? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Hans-Michael Goldmann gen? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenom- Dr. Kirsten Tackmann men. Damit sind die vom Deutschen Bundestag zu ent- Bärbel Höhn sendenden Mitglieder der gemeinsamen Kommission gewählt. d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu auf: dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Goldmann, Dr. Karl Addicks, , Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN so- Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier wie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlin- ausweiten burg), Bärbel Höhn, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- – Drucksache 16/3703 – SES 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbot der Einfuhr von Wildvögeln Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Drucksachen 16/1502, 16/2849 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan (B) richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- (D) schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Dr. Kirsten Tackmann Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Undine Kurth (Quedlinburg) Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der LINKEN e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Arbeitsplätze durch artgerechte Legehen- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu nenhaltung in Deutschland sichern – Verbot dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth der Käfighaltung ab 2007 durchsetzen (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, NISSES 90/DIE GRÜNEN Ulrike Höfken, , Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion des BÜND- Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle NISSES 90/DIE GRÜNEN – Drucksachen 16/841, 16/3079 – Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab Berichterstattung: 2007 beibehalten Abgeordnete Dr. Peter Jahr – Drucksachen 16/1128, 16/839, 16/1463 – Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Berichterstattung: Dr. Kirsten Tackmann Abgeordnete Dr. Peter Jahr Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Wilhelm Priesmeier Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Hans-Michael Goldmann die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Dr. Kirsten Tackmann Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so Bärbel Höhn beschlossen. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- nerin das Wort der Kollegin Bärbel Höhn vom Bünd- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu nis 90/Die Grünen. dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 7412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lerweile Schweinefabriken mit mehr als 20 000 Tieren in (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einem Betrieb. Das ist zu viel. Das hat mit Tierschutz Heute ist der letzte Debattentag vor Weihnachten. Da nichts zu tun. sich das Jahr dem Ende nähert, ist es richtig, im Bereich des Tierschutzes Bilanz zu ziehen. Was hat das Jahr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2006 für den Tierschutz gebracht? Der 1. Januar 2007 sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sollte der große Tag des Tierschutzes werden; denn Riesige Mastanlagen mit bis zu 90 000 Tieren sind in Renate Künast hatte erkämpft, dass an diesem Tag ein Planung. Die Schweine werden in Deutschland auf har- Verbot der Batteriekäfighaltung in Kraft tritt. Kein ten Betonböden mit Spalten gehalten, durch die ihre Ex- Huhn in Batteriekäfighaltung ab dem 1. Januar 2007! kremente fallen, und in diesem Gestank leben die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schweine in Deutschland. Billige Schweine- und Puten- schnitzel haben ihren Preis, gerade was den Tierschutz Es wird leider nicht so kommen; denn Bundesminister angeht, und das müssen wir ändern. Seehofer hatte nichts Besseres zu tun, als gemeinsam mit den Ländern das Verbot rückgängig zu machen. Er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zwingt die Legehenne für weitere Jahre in die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schlimmste Form der Käfighaltung. 2006 ist also kein Auf EU-Ebene steht im nächsten Jahr die Hähnchen- gutes Jahr für den Tierschutz in Deutschland. mast an. Der Vorschlag, den die EU hierzu unterbreitet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat, würde in Deutschland zu einer Verschlechterung sowie bei Abgeordneten der LINKEN) führen. Es würden dann immerhin 38 Kilogramm pro Quadratmeter zugelassen, wobei ich es abartig finde, Die Fortführung der Batteriekäfighaltung wurde übri- dass man, wenn man von Tieren redet, von Kilogramm gens schon 1999 vom Bundesverfassungsgericht als ver- pro Quadratmeter spricht. Tiere werden in Deutschland fassungswidrig eingestuft. Deshalb ist das rückgängig nur noch nach Kilogramm bemessen und nicht mehr gemachte Verbot ein Rückschlag. Bundesminister nach Tierzahl. Seehofer hält es offensichtlich noch nicht einmal für nö- tig, hier anwesend zu sein, obwohl er den Weiterbetrieb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterschrieben hat. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was die Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Schauen Sie Verbraucher tun können. Sie können mit dem Einkaufs- einmal nach links zur Bundesratsbank! Dort wagen entscheiden, aber sie müssen es auch können. Be- (B) sitzt Herr Seehofer!) züglich der Eier gibt es mittlerweile eine Kennzeich- (D) nungspflicht. Wir sagen eindeutig: Kein Ei mit der „3“, – Es wäre gut, wenn Herr Seehofer zuhörte. denn das sind Batteriekäfigeier. Die Verbraucherinnen 2002, vor fast genau fünf Jahren, haben alle Fraktio- und Verbraucher halten sich auch daran, was ihr Früh- nen in diesem Haus den Tierschutz in die Verfassung stücksei angeht. Sie halten sich aber nicht beim Kauf aufgenommen. Ich habe mir die Protokolle der Debatten von verarbeiteten Produkten daran, denn dort gibt es vom Jahre 2000 und 2002 noch einmal durchgelesen und keine Kennzeichnungspflicht. Deshalb fordern wir eine fand die Rede von Herrn Röttgen interessant. Er hat sich Kennzeichnungspflicht auch bei verarbeiteten Produk- zum Schutz der Tiere bekannt und gesagt: Der Schutz ten. Diesen Antrag haben wir eingebracht. der Tiere ist ein essenzieller Bestandteil jeder humanen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaft. Die Anerkennung der Würde der Tiere sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zählt zu den zivilisatorisch-kulturellen Elementen. Für die CDU/CSU sei das kein Lippenbekenntnis. Sie trete Bezüglich des Informationsrechts für die Verbrauche- vielmehr für eine konkrete, aktiv betriebene Tierschutz- rinnen und Verbraucher gibt es auch das Verbraucher- politik ein. informationsgesetz. Dies ist die zweite Pleite des Jahres 2006. Dieses Verbraucherinformationsgesetz ist inhalt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich schlecht, lückenhaft und lässt sehr viele Ausnahmen Gute Worte, gute Lippenbekenntnisse! Aber ich frage zu. Dieses Gesetz ist aber nicht nur inhaltlich schlecht, mich, ob es konkreter, aktiv betriebener Tierschutz ist, sondern auch juristisch falsch gemacht. Das sind keine wenn Legehennen so wenig Platz haben, dass sie noch zusätzlichen Rechte für die Verbraucherinnen und Ver- nicht einmal nebeneinander schlafen oder gleichzeitig braucher in diesem Land. Nehmen Sie einfach den Ge- fressen können. Das ist nicht artgerecht. Deshalb muss setzentwurf der Grünen. Der ist gut und würde den Ver- mit der Batteriekäfighaltung in Deutschland Schluss braucherinnen und Verbrauchern endlich etwas bringen. sein. Das ist Verbraucherschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Batteriekäfighaltung ist agroindustriell. Das eigentli- Herr Seehofer hat in seiner Rede vor dem Deutschen che Problem ist, dass es jetzt nicht nur für Hühner gilt, Tierschutzbund eine Menge Redewendungen gebracht, sondern dass es zunehmend auch auf Schweine ange- die mit Tieren zu tun haben. Ich kann Ihnen auch eine wandt wird. In den neuen Bundesländern haben wir mitt- Redewendung nennen. Herr Seehofer, bezüglich der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7413

Bärbel Höhn (A) Batteriekäfighaltung hat man mit Ihnen den Bock zum nur die Robben in Kanada und Norwegen am Herzen, (C) Gärtner gemacht. Das war keine gute Lösung für die sondern wir sollten auch mehr für die mehr als Tiere. 100 Millionen Nutztiere in Deutschland tun. Das wäre ein Geschenk an die Tiere. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ansonsten zeichnen Sie sich durch eine Vogel-Strauß- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Politik aus. Anstatt die Initiative Hessens zum jüngsten Urteil zum Schächten aufzugreifen, in der Tierschutz und freie Religionsausübung zusammengebracht wer- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den, stecken Sie den Kopf in den Sand und nützen nicht Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, gebe ich Ihnen den Tieren in diesem Land. das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Beteiligung der Landtage Ich komme zum Schluss. Wir haben auf Initiative der bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform und In- Grünen mit Mehrheit aller Fraktionen – dafür danke ich formation des Deutschen Bundestages“ auf Druck- Ihnen – das Verbot der Einfuhr von Robbenprodukten in sache 16/3539 bekannt: Abgegebene Stimmen 544, mit Deutschland beschlossen. Weihnachten ist ja die Zeit der Ja haben 47 gestimmt, mit Nein haben 451 gestimmt, Geschenke, und zwar auch für Tiere. Uns liegen nicht Stimmenthaltungen 46. Der Antrag ist damit abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Dr. Norman Paech Wolfgang Börnsen Markus Grübel Abgegebene Stimmen: 544 (Bönstrup) davon Bodo Ramelow Monika Grütters Elke Reinke Klaus Brähmig Holger Haibach ja: 47 Paul Schäfer (Köln) Michael Brand nein: 451 Volker Schneider Ursula Heinen enthalten: 46 (Saarbrücken) Dr. Uda Carmen Freia Heller Dr. Herbert Schui Monika Brüning Ja Dr. Ilja Seifert Jürgen Herrmann Dr. (B) DIE LINKE Frank Spieth Ernst Hinsken (D) Dr. Kirsten Tackmann Peter Hintze Dr. Dietmar Bartsch Dr. Robert Hochbaum Dr. Thomas Dörflinger Klaus Hofbauer Heidrun Bluhm Sabine Zimmermann Marie-Luise Dött Joachim Hörster Eva Bulling-Schröter Maria Eichhorn Anette Hübinger Dr. fraktionslos Hubert Hüppe Gert Winkelmeier Susanne Jaffke Sevim Dağdelen Dr. Peter Jahr Dr. Ingrid Fischbach Dr. Hans-Heinrich Jordan Werner Dreibus Nein Hartwig Fischer (Göttingen) (Konstanz) Dr. Dagmar Enkelmann Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Franz Josef Jung CDU/CSU Axel E. Fischer (Karlsruhe- Bartholomäus Kalb Wolfgang Gehrcke Land) Steffen Kampeter Diana Golze Dr. Dr. Klaus-Peter Flosbach Bernhard Kaster Lutz Heilmann Siegfried Kauder (Villingen- Hans-Kurt Hill Dorothee Bär Dr. Hans-Peter Friedrich Schwenningen) Cornelia Hirsch Thomas Bareiß (Hof) Inge Höger-Neuling Erich G. Fritz Eckart von Klaeden Dr. Jochen-Konrad Fromme Julia Klöckner Dr. Lukrezia Jochimsen Günter Baumann Dr. Michael Fuchs Dr. Hakki Keskin Ernst-Reinhard Beck Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) (Reutlingen) Dr. Jürgen Gehb Manfred Kolbe Monika Knoche Norbert Königshofen Dr. Dr. Katrin Kunert Ralf Göbel Hartmut Koschyk Dr. Reinhard Göhner Ulla Lötzer Carl-Eduard von Bismarck Josef Göppel Dr. Gesine Lötzsch Peter Götz Dr. Günter Krings Ulrich Maurer Dr. Wolfgang Götzer Dr. Martina Krogmann Dorothee Menzner Johann-Henrich Kersten Naumann Dr. Maria Böhmer Hermann Gröhe Krummacher Wolfgang Nešković Michael Grosse-Brömer Dr. Hermann Kues 7414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Bernd Siebert Martin Dörmann Christian Lange (Backnang) (C) Andreas G. Lämmel Dr. Carl-Christian Dressel Dr. Dr. Elvira Drobinski-Weiß Waltraud Lehn Detlef Dzembritzki Helga Lopez Dr. Max Lehmer Gabriele Lösekrug-Möller Christian Freiherr von Stetten Siegmund Ehrmann Dirk Manzewski Lothar Mark Andreas Storm Gernot Erler Dr. Michael Luther Petra Ernstberger (Altötting) (Heilbronn) Karin Evers-Meyer Wolfgang Meckelburg Lena Strothmann Annette Faße Markus Meckel Dr. Michael Stübgen Elke Ferner Petra Merkel (Berlin) Hans Peter Thul Dr. Laurenz Meyer (Hamm) Antje Tillmann Rainer Fornahl Ursula Mogg Dr. Hans-Peter Uhl Gabriele Frechen Marko Mühlstein Detlef Müller (Chemnitz) Philipp Mißfelder Volkmar Uwe Vogel Peter Friedrich Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Eva Möllring Andrea Astrid Voßhoff Gesine Multhaupt Gerhard Wächter Renate Gradistanac Franz Müntefering Carsten Müller Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Rolf Mützenich (Braunschweig) Dieter Grasedieck Stefan Müller (Erlangen) Bernward Müller (Gera) Peter Weiß (Emmendingen) Holger Ortel Dr. Gerd Müller Gerald Weiß (Groß-Gerau) Gabriele Groneberg Heinz Paula Hildegard Müller Karl-Georg Wellmann Achim Großmann Johannes Pflug (Bremen) Anette Widmann-Mauz Wolfgang Grotthaus Christoph Pries Klaus-Peter Willsch Wolfgang Gunkel Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Georg Nüßlein Willy Wimmer (Neuss) Hans-Joachim Hacker Franz Obermeier Elisabeth Winkelmeier- Dr. Becker Klaus Hagemann Mechthild Rawert Matthias Wissmann Nina Hauer (Cottbus) Rita Pawelski Wolfgang Zöller Reinhold Hemker Maik Reichel Ulrich Petzold Rolf Hempelmann Gerold Reichenbach Dr. SPD Dr. Barbara Hendricks Dr. Carola Reimann (B) Sibylle Pfeiffer Dr. Lale Akgün Christel Riemann- (D) Petra Heß Hanewinckel Gabriele Hiller-Ohm René Röspel (Essen) Dr. Daniela Raab Ingrid Arndt-Brauer Gerd Höfer Michael Roth (Heringen) Rainer Arnold (Wismar) Hans Raidel (Neuruppin) Frank Hofmann (Volkach) Marlene Rupprecht Dr. Doris Barnett Eike Hovermann (Tuchenbach) Dr. Hans-Peter Bartels Klaas Hübner Anton Schaaf (Potsdam) Christel Humme Axel Schäfer (Bochum) Sören Bartol Lothar Ibrügger Bernd Scheelen Franz Romer Sabine Bätzing Johannes Jung (Karlsruhe) Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Johannes Kahrs Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Norbert Röttgen Klaus Uwe Benneter Ulrich Kasparick (Nürnberg) Dr. Christian Ruck Dr. Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Frank Schmidt (Weiden) Heinz Schmitt (Landau) Peter Rzepka (Heidelberg) Anita Schäfer (Saalstadt) Hans-Ulrich Klose Hermann-Josef Scharf Kurt Bodewig Astrid Klug Reinhard Schultz Dr. Wolfgang Schäuble (Everswinkel) Dr. Fritz Rudolf Körper Swen Schulz (Spandau) Dr. Dr. Karin Kortmann Karl Schiewerling Klaus Brandner Rolf Kramer Christian Schmidt (Fürth) Dr. Angelica Schwall-Düren Andreas Schmidt (Mülheim) Ernst Kranz Dr. Martin Schwanholz (Berlin) (Hildesheim) Nicolette Kressl Dr. Volker Kröning Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Ole Schröder Dr. Michael Bürsch Angelika Krüger-Leißner Wolfgang Spanier Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Margrit Spielmann Marion Caspers-Merk Jürgen Kucharczyk Jörg-Otto Spiller Wilhelm Josef Sebastian Dr. Helga Kühn-Mengel Dr. Ditmar Staffelt Dr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Uwe Küster Ludwig Stiegler Kurt Segner Rolf Stöckel Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7415

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Christoph Strässer Hans-Joachim Otto (C) Dr. Peter Struck (Frankfurt) Joachim Stünker Ernst Burgbacher Detlef Parr Britta Haßelmann Dr. Rainer Tabillion Patrick Döring Cornelia Pieper Jörg Tauss Mechthild Dyckmans Gisela Piltz Peter Hettlich Dr. h. c. Jörg van Essen Jörg Rohde Ulrike Höfken Jörn Thießen Ulrike Flach Frank Schäffler Dr. Franz Thönnes Otto Fricke Dr. Bärbel Höhn Rüdiger Veit Paul K. Friedhoff Marina Schuster Thilo Hoppe Simone Violka (Bayreuth) Dr. Hermann Otto Solms Ute Koczy Jörg Vogelsänger Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Sylvia Kotting-Uhl Dr. Marlies Volkmer Dr. Dr. Rainer Stinner Fritz Kuhn Hedi Wegener Hans-Michael Goldmann Carl-Ludwig Thiele Renate Künast Andreas Weigel Miriam Gruß Undine Kurth (Quedlinburg) Petra Weis Joachim Günther (Plauen) Christoph Waitz Markus Kurth Gunter Weißgerber Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Claudia Winterstein Heinz-Peter Haustein Dr. Volker Wissing Dr. Reinhard Loske (Wiesloch) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Anna Lührmann Martin Zeil Lydia Westrich Birgit Homburger Dr. Dr. Werner Hoyer Kerstin Müller (Köln) Andrea Wicklein Enthalten Winfried Nachtwei Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Heinrich L. Kolb Engelbert Wistuba Hellmut Königshaus BÜNDNIS 90/ Brigitte Pothmer Waltraud Wolff Gudrun Kopp DIE GRÜNEN (Augsburg) (Wolmirstedt) Jürgen Koppelin Elisabeth Scharfenberg Heidi Wright Heinz Lanfermann Christine Scheel Uta Zapf Marieluise Beck (Bremen) (Köln) Irmingard Schewe-Gerigk Manfred Zöllmer Harald Leibrecht Dr. Cornelia Behm Ina Lenke Rainder Steenblock Michael Link (Heilbronn) FDP Horst Meierhofer Grietje Bettin Hans-Christian Ströbele Patrick Meinhardt Dr. Harald Terpe Dr. Karl Addicks Jan Mücke Ekin Deligöz Jürgen Trittin Christian Ahrendt Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Thea Dückert Wolfgang Wieland (B) (Münster) Hans Josef Fell Josef Philip Winkler (D)

Die nächste Rednerin ist Kollegin Julia Klöckner, Was bei Ihren Anträgen immer wieder fehlt, ist der Rea- CDU/CSU-Fraktion. litätssinn und der Wunsch, praktikable Regelungen zu treffen. Eines finde ich noch viel trauriger: Sie sprechen (Beifall bei der CDU/CSU) von Weihnachtsgeschenken. Ihre Botschaft an die Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in dieser Bran- Julia Klöckner (CDU/CSU): che arbeiten, heißt: Wir möchten Arbeitsplätze vernich- Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und ten. Kollegen! Unsere Freunde von der grünen Fraktion ha- ben wieder einen putzigen Antrag gestellt. Wir haben (Zurufe von der CDU/CSU: Genau! – Wider- bald Weihnachten, können Wunschzettel schreiben und spruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – auch an das Christkind glauben. Frau Höhn, wenn ich Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie richtig verstanden habe, fordern Sie allen Ernstes, NEN]: Das schafft Arbeitsplätze!) die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung so zu än- dern, dass Angaben zur Haltungsform der Legehennen Es ist schon schlimm, dass es trotz des härter werden- bei allen Lebensmitteln und auch anderen Produkten, die den Wettbewerbs zahlreiche Ausnahmeregelungen für Ei als Zutat enthalten, verpflichtend vorgeschrieben wer- Länder, die der EU kürzlich beigetreten sind, gibt. Ich den. nenne Tschechien, Ungarn und Slowenien. Diese Aus- nahmeregelungen belasten die deutsche Produktion. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausnahmeregelungen gelten bis zum Jahr 2009. Diese und bei der LINKEN – Renate Künast Länder brauchen Tierschutzstandards, die unsere Be- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!) triebe in Deutschland einhalten müssen, nicht einzuhal- Die Frage ist: Darf es sonst noch irgendetwas sein? Sie ten. Mittlerweile kommt jedes fünfte Ei, das derzeit in bleiben Ihren ideologischen Vorstellungen treu. Bei Ih- Tschechien produziert wird, aus Betrieben, die die Min- nen gibt es nur Schwarzweißmalerei. Hennenhaltungs- deststandards des Tierschutzes nicht einhalten. Sie, Frau betriebe, die hochtechnisiert sind, sind schlecht und des- Künast, haben als ehemalige Ministerin diesen Regelun- halb sollen die Eier dieser Betriebe stigmatisiert werden. gen bei den Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Für die 7416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Julia Klöckner (A) deutschen Unternehmen haben Sie aber eine viel stren- weil die Vorschrift auf EU-Ebene nicht harmonisiert ist. (C) gere Regelung gefordert. Sie machen es unseren Betrieben und damit den Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland unnö- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Doppelzüngig!) tig schwer. Das ist die Wahrheit. – Doppelzüngigkeit ist das. (Beifall bei der CDU/CSU) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bei einer weitgehenden Umstellung auf Eier aus Bo- NEN]: Nein, Vorreiter!) denhaltung, ob auf Freilandeier oder auf Bioeier, wäre Sie fordern eine willkürliche Kennzeichnung auf der mengenmäßige Bedarf der industriellen Verarbeiter Verpackungen. Die hätten Sie in Ihrer Regierungszeit – die Zahlen sollten Sie sich anschauen – aus diesen Be- umsetzen können. In Ihrer Regierungszeit hätten Sie die reichen gar nicht zu decken. Die Deutschen konsumieren Mehrheit dafür sammeln können. Jetzt glauben Sie allen jährlich 14 Milliarden Eier. Denken Sie doch einmal ei- Ernstes, dass wir dem Antrag heute zustimmen. Ihnen nen kleinen Schritt um die Ecke, wenn der Weg nicht ge- fehlt der Realitätssinn. Selbst die EU hat 2003 Ihr Ansin- rade geht. Wenn eine Mauer kommt, rennen Sie als nen, Frau Künast, abgelehnt. Grüne immer dagegen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich habe es immerhin versucht!) NEN]: Die Mauer ist doch längst weg! Guten Morgen, Frau Klöckner!) Dieser Realitätssinn ist ein Grund, warum ich auf die EU stolz sein kann. Sie schaffen es einfach nicht, um die Kurve zu denken. (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn 70 Prozent der 14 Milliarden Eier, die hier in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber Deutschland konsumiert werden, kommen aus Legehen- ein Ding!) nenhaltung; 12 Prozent kommen aus Freilandhaltung. Wenn wir Ihre Forderung umsetzten, käme es zu immen- Haben wir keine anderen Probleme in diesem Land, sen Engpässen bei der Produktion. Wir wissen alle, wo als diese absurden Forderungen zu diskutieren? Konkret die Eier dann herkommen. heißt das nämlich, dass Sie auf jeder Nudelpackung, bei jedem Kuchen, bei allen Keksen und bei allen Produk- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten, die Eier aus Legehennenhaltung enthalten, eine NEN]: Ja und?) Kennzeichnung durchsetzen möchten. – „Ja und?“, sagt Frau Höfken. Dann würde uns der Tier- (B) (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schutz außerhalb Deutschlands überhaupt nicht interes- (D) NEN]: Ja!) sieren. Wir würden dann Eier aus Ländern beziehen, die einen viel geringeren Tierschutzstandard als wir in Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ich stelle Deutschland haben, und das einschließlich Verbraucher- mir jetzt eine Szene im Restaurant vor, wenn das pa- täuschung; denn der Verbraucher weiß dann noch weni- nierte Schnitzel gebracht wird. Vielleicht haben Sie auch ger über die Herkunft der Eier als hier in Deutschland. noch Vorschläge, wie man den Teller optisch gestalten könnte, damit man erkennt, welches Ei, das in der Pa- (Beifall bei der CDU/CSU) nade ist, aus Freilandhaltung, welches aus Bodenhaltung Sie als Grüne schieben gerne immer die Interessen und welches aus Käfighaltung stammt. der Verbraucher vor, um Ihre eigenen ideologischen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vorstellungen durchzusetzen. NEN]: Ich finde es gut!) (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Sie haben einen Wunschzettel, auf dem Sie gerne noch Kastner) diesbezüglich etwas aufschreiben können. Das hört sich bei Ihnen alles prima an, aber wir müssen das zu Ende Bei einer Umfrage der Verbraucherzentrale gaben denken. Das heißt nämlich, dass alle Produkte gekenn- 64 Prozent der Befragten an, mit den bisherigen Infor- zeichnet werden müssen, nicht nur Mayonnaise, Schoko- mationen auf den Verpackungen eigentlich zufrieden zu küsse und Haarshampoo, sondern auch Katzenfutter. sein. Außerdem gaben sie an, dass sie Wert darauf legen, Ich bezweifle, dass es die Katze interessiert, wie das Informationen darüber zu erhalten, welche Inhaltsstoffe Huhn das Ei gelegt hat. enthalten sind, die für sie möglicherweise gesundheits- gefährdend sind; das ist zum Beispiel für Allergiker sehr (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wichtig. Das halten auch wir für richtig. NEN]: Das Huhn interessiert es!) Aber seien Sie doch so realitätsnah, einzusehen, dass Bedenken Sie einmal den Bürokratieaufwand. der Verbraucher, wenn wir noch mehr auf eine Verpa- ckung schreiben, gar nicht mehr draufschaut und auch Abgesehen davon, dass das nicht praktikabel ist, ma- nicht mehr weiß, wie er damit umgehen soll. Auf eine chen Sie keine Vorschläge, wie wir mit importierten solche Informationsflut zu verzichten, das ist richtig ver- Produkten umgehen sollen. Sie machen keine Vor- standener Verbraucherschutz; das ist besser als reiner schläge, wie wir die importierten Produkte überhaupt Aktionismus. kontrollieren und letztlich rückverfolgen sollen. Für mich ist das eine klassische Inländerdiskriminierung, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7417

Julia Klöckner (A) Warum sagen Sie nicht, was Sie wirklich wollen? Sie fürchten Sie, dass der Verbraucher sich daran gewöhnt (C) wollen eine Haltungsform verbieten. Dazu haben Sie vor und Sie Ihr Schreckensszenario nicht mehr verbreiten Monaten einen Antrag gestellt, der nicht durchgekom- können. men ist. Deshalb versuchen Sie jetzt, diesen Antrag mit- hilfe irgendwelcher anderen fadenscheinigen bürokrati- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schen Regelungen doch noch durchzubringen. Für wie Ich frage Sie noch einmal, Frau Kollegin: Gestatten blöd halten Sie uns eigentlich? Wir sind ein bisschen frü- Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Künast? her aufgestanden, als Sie glauben und als Sie es je schaf- fen werden. Julia Klöckner (CDU/CSU): Es wird nicht dadurch besser, dass sie sich öfter mel- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: det. Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann fragen Sie mich doch nicht stän- dig! – Zuruf von der LINKEN: Sie werden Julia Klöckner (CDU/CSU): nicht besser!) Ich würde gerne erst meine Rede beenden. Dann kön- nen Sie noch einmal nachfragen. Die derzeitige Kennzeichnungsregelung führt meiner Meinung nach in die Irre. Meine Fraktion und ich sind Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dafür, zukünftig alle Produkte zu kennzeichnen, die gen- Nein, nach der Redezeit lasse ich keine Zwischen- technisch verändert sind oder bestimmte Stoffe enthalten frage mehr zu. können. Dann sieht der Verbraucher, dass bereits 80 Prozent gentechnisch verändert sind. Julia Klöckner (CDU/CSU): (Ulrich Kelber [SPD]: Da müssen Sie in der Koali- Umso besser. tion aber erst noch mit uns verhandeln!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Es ist keiner daran gestorben. Ich halte es auch für sehr wichtig, noch einmal darauf Ich denke, das ist eine ganz klare Botschaft. Wir als hinzuweisen, dass Ihnen die Arbeitsplätze in Deutsch- CDU/CSU-Fraktion werden uns im kommenden Jahr der land offensichtlich völlig egal sind. Sie verlieren kein Ernährung widmen. Wir werden in unserer Fraktion ei- Wort darüber, wenn man Sie fragt, wie Sie damit umge- nen Ernährungskongress veranstalten. Mit unserem Ko- alitionspartner werden wir einen Ernährungsantrag stel- (B) hen. Dass Tierschutzstandards in anderen Ländern viel (D) niedriger sind, len. Die Bundesregierung hat zugesagt, einen nationalen Ernährungsplan und einen Allergieplan mit auf den Weg (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu bringen. Sie sehen, bei uns ist das Thema in den rich- NEN]: Sind Sie eigentlich Kirchenmitglied, tigen Händen. Frau Klöckner? Was sagt denn die katholische Kirche dazu?) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: interessiert Sie nicht. Auch wenn die Kennzeichnung im Frau Kollegin, jetzt müssen Sie zum Ende kommen. Ausland nicht durchsetzbar ist, ist Ihnen das egal. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Julia Klöckner (CDU/CSU): NEN]: Die Schöpfung! Sie sind ja unchrist- Dann wünsche ich allen trotz Ihres Wunschzettels lich! Pfui!) wunderschöne Weihnachtstage. Wir als CDU/CSU-Fraktion setzen darauf, dass der (Beifall bei der CDU/CSU) Verbraucher entscheiden soll und kann. Es ist richtig, dass er auch jetzt im Supermarkt entscheiden kann. Wir Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sind dafür, dass die wichtigsten Informationen gegeben Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDP- werden, zum Beispiel für die Allergiker über allergene Fraktion. Stoffe, damit sie kein falsches Produkt greifen, oder Ta- bellen mit Nährwertkennzeichnung. Das machen viele (Beifall bei der FDP) Betriebe freiwillig und darin liegt ein Wettbewerbsvor- teil. Darauf setzen wir. Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Noch eines, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion und ich persön- Grünenfraktion. lich begrüßen es, dass wir uns heute zu einer angemesse- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nen Tageszeit – diese Debatte wird übertragen – dem Darf ich denn jetzt die Frage stellen?) Tierschutz in Deutschland zuwenden. Wir können heute eine Leistungsbilanz vorlegen und darstellen, welche Bei der Grünen Gentechnik fordern Sie keine Kenn- gute Arbeit wir im Ausschuss geleistet haben. zeichnung. Da könnten wir doch eine Kennzeichnung vornehmen! Aber weil klar ist, dass schon jetzt Weil es vielleicht den einen oder anderen gibt, der 80 Prozent aller Produkte gentechnisch verändert sind, sich die Tagesordnung nicht so genau angeschaut hat, 7418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Hans-Michael Goldmann (A) will ich einmal aufzählen, worüber wir konkret reden (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (C) wollen. Wir reden über die Ausweitung der Kennzeich- DIE GRÜNEN) nungspflicht auf verarbeitete Eier, über Käfighaltung, In diesem Punkt hat Frau Künast mit ihrem Zwischenruf über das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln und über schon Recht, dass man manchmal etwas vorauseilend das Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle. Ich machen muss, um etwas zu erreichen. glaube, viele Menschen in Deutschland bewegen diese Themen; sie sind in der vorweihnachtlichen Zeit davon (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ durchaus berührt. Deswegen finden wir es, wie gesagt, DIE GRÜNEN) prima, dass wir darüber reden können. Ich erinnere mich an Diskussionen im Ausschuss da- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ rüber, wie wir es eigentlich mit dem Einfuhrverbot für DIE GRÜNEN) Katzen- und Hundefelle und mit dem Verbot der Ein- fuhr von Wildvögeln halten. Aus dem Haus kam dann Wir als FDP begrüßen dies auch, weil wir insoweit in die Bemerkung, dass man das nicht national regeln einer guten Tradition stehen. Herr Hirsch hat damals da- könne, sondern dass es europaweit geregelt werden für gekämpft, den Tierschutz in die Verfassung aufzu- müsse. Jetzt hat es eine europaweite Regelung gegeben. nehmen. 2002 wurde dann der Tierschutz als Staatsziel Warum? Weil die Dänen vorher ein Verbot erlassen hat- ins Grundgesetz aufgenommen. Das war ein Erfolg. ten. Die Harmonisierung musste also „durch die Hinter- Vielleicht hat sich die Position, die den Grünen vor- tür“ eingeführt werden. schwebte, nicht ganz durchgesetzt. Aber es ist besser, Fakten zu schaffen als nur Zeichen zu setzen oder Aktio- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) nismus zu betreiben. Ich denke, in dieser Kontinuität Weil die Dänen Vorreiter waren, ist es Gott sei Dank zu sollten wir die Dinge fortführen. einem Verbot für die meiner Meinung nach völlig un- (Beifall bei der FDP) mögliche Einfuhr von Katzen- und Hundefellen gekom- men. Ich kann das nur begrüßen. Wir müssen uns intensiv darüber unterhalten, wie wir es mit der Kennzeichnungspflicht halten. Der Antrag (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ der Grünen geht meiner Meinung nach nicht substanziell DIE GRÜNEN) genug mit dem Sachverhalt um. Aber wir alle, die wir in Ich denke, auch bei dem Verbot der Einfuhr von Wild- diesen Bereichen arbeiten, wissen, dass Rückverfolgbar- vögeln müssen wir genau diesen Weg gehen. keit heute ein außerordentlich wichtiges Kriterium ist (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine wichtige (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Erkenntnis: nicht eins zu eins, sondern Front (B) (D) DIE GRÜNEN) runner!) und dass dadurch Verbraucherentscheidungen durchaus – Es geht hier nicht um „eins zu eins“. Bei einer Eins-zu- beeinflusst werden. Ein mündiger Verbraucher muss eins-Umsetzung geht es um Verordnungen, die von der wissen, unter welchen Bedingungen ein Produkt herge- europäischen Ebene kommen. Hier geht es aber darum, stellt wurde und was darin enthalten ist. Ansonsten kann etwas auf den Weg zu bringen, was dann in allen europäi- er sich nicht qualifiziert verhalten. Wir sollten also über schen Ländern hoffentlich umgesetzt wird. diese Punkte reden. (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Ulrich Auch ich finde es ein bisschen eigenartig, dass Kelber [SPD]) Frischeier gekennzeichnet werden müssen, dass aber – Herr Kelber, das ist überhaupt kein Widerspruch. verarbeitete Eier keinerlei Kennzeichnung haben. Wenn Sie die Ausschussarbeit verfolgen, dann wissen (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Sie, dass sich die Vertreter der Opposition in diesen Fra- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen zum Erstaunen des einen oder anderen fachlich zu- sammenfinden. Ich finde es auch nicht besonders glücklich, dass, wie wir alle wissen, aus Brasilien importiertes Fleisch mit (Beifall bei der FDP) dem so genannten Frischemerkmal durch das Hinzufü- Ich finde es richtig, dass man in der Ausschussarbeit den gen von Salz und auch aufgetautes Fleisch als Frisch- fachlichen Aspekt in den Vordergrund stellt. fleisch gehandelt werden können, obwohl Frischfleisch nach Auffassung der Verbraucher in der Tat frisches (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Fleisch sein sollte. Ich denke, wir müssen zum Wohle DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der Ernährungswirtschaft in Deutschland und, liebe Julia LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Die Erkennt- Klöckner, im Interesse der Arbeitsplätze in diesem Be- nis greift durch!) reich darüber reden. – Dass die Erkenntnis durchgreift, gilt hoffentlich auch (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ für Ihre eigene Fraktion. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten LINKEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn wir werden den Wettbewerb um Arbeitsplätze nur Weil es uns Vergnügen macht, darüber zu reden, will gewinnen, wenn wir in diesem Bereich Vorreiter sind. ich in Erinnerung rufen, was wir im Ausschuss alles ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7419

Hans-Michael Goldmann (A) macht haben. Wir haben zum Beispiel über die Robben- Das hat nichts mit agroindustrieller Wirtschaftsweise zu (C) problematik gesprochen. Mir hat sehr imponiert, was Sie tun. Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch. von Ihrem Besuch in Kanada erzählt haben. Wir haben gehandelt. Wir haben uns beispielsweise mit dem Import (Widerspruch der Abg. Bärbel Höhn [BÜND- von Wildvögeln und mit dem Halten von Tieren in Zir- NIS 90/DIE GRÜNEN]) kussen beschäftigt. Dazu gab es eine hochinteressante – Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch. Anhörung. Wir haben uns mit dem Halten von Tieren in Zoos beschäftigt. Ich glaube, dass jedem von Ihnen, der Ich bin ja mit meinem Vater seit 1954 durch die Ge- zurzeit in ländliche Gegenden kommt, in denen ein Zir- gend gefahren kus untergebracht ist, und sieht, wie Zirkustiere zum Teil (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) in ihren Winterquartieren gehalten werden, das Tier- schutzherz schmerzt. und habe landwirtschaftliche Betriebe besucht; auch mein Vater war ja Tierarzt. Da hatten die Bauern acht bis (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ zehn Kühe. Ich sage Ihnen einmal ganz ehrlich ein biss- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der chen flapsig: Da hätte ich weiß Gott keine Kuh sein wol- LINKEN) len. Die standen mit dem Kopf vor der Wand; es tropfte. Sie standen mit den Beinen hinten im Mist und hatten Ich finde es nicht schlimm, dass es einen schmerzt. Man „saumäßige“ Haltungsbedingungen. muss dann aber zu den Leuten gehen und mit ihnen re- den. Man muss sich kommunalpolitisch und wir müssen (Dr. Rainer Stinner [FDP]: So ist es!) uns bundespolitisch dafür einsetzen, dass Verbesserun- gen erzielt werden. Heute haben bei uns Milchbauern in leistungsfähigen Betrieben, wo sie sich – weil sie, nebenbei gesagt, eine (Beifall bei der FDP) gute Ertragssituation haben – um die Tiergesundheit und den Status des Tieres in der Haltungsform kümmern Frau Höhn, ich finde es gut, wenn Sie eine Aktion in können, 120 bis 150 Milchkühe. All diese Kühe sind der Form machen: der Wal und ich vor dem Brandenbur- nicht mehr angebunden. Diese Kühe können ihre Liege- ger Tor. Das ist hübsch; das hat eine Botschaft. Aber bei fläche wählen, wie sie wollen. Diese Kühe werden zu den Legehennen liegen Sie nun wirklich falsch. Für die dem Zeitpunkt gefüttert, zu dem die Tiere es wollen. Haltung von Legehennen haben wir in Deutschland Diese Tiere haben heute einen Gesundheitsstatus, der eine Lösung gefunden, die ich für praktikabel halte. dem in früheren Zeiten haushoch überlegen ist. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau!) (Dr. Rainer Stinner [FDP]: So ist das!) (B) (D) Wenn Legehennen Eier legen, ist das eine Leistung. Deswegen ist es schlicht falsch, zu sagen: Eintierhal- tung ist gut und Vieltierhaltung ist schlecht. Es kommt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten darauf an, wie die Vieltierhaltung ausgestaltet ist. Das der CDU/CSU) sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Aber man muss vielleicht ein bisschen biologisch und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie tierärztlich gebildet sein, was ich Gott sei Dank bin, um bei Abgeordneten der SPD) zu wissen: Hühner legen nur Eier, wenn es ihnen ge- sundheitlich gut geht. Wenn die Eierlegeleistung in der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: neuen Haltungsform, in der Volierenhaltung oder der Herr Kollege, die Frau Kollegin Höhn würde furcht- Kleingruppenhaltung, hoch ist, dann können Sie bis zu bar gerne eine Zwischenfrage stellen. einem gewissen Grad davon ausgehen, dass diese Hal- tungsform der Artgerechtigkeit bei diesen Tieren nicht unmittelbar widerspricht. Hans-Michael Goldmann (FDP): Das gönne ich ihr. Frau Höhn, bei solchen Dingen sollten wir nicht ir- gendetwas in die Gegend blubbern und Wind in Bezug Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auf den Tierschutz machen, sondern konkret Problemlö- sungen angehen. Ich finde, dass die Lösung, die hierzu Herr Kollege Goldmann, ich habe eben von der Bat- gefunden worden ist – Sie wissen, dass das nicht immer teriekäfighaltung gesprochen. Ich habe diese Batterie- unsere Vorstellung war –, sachgerecht ist und durchaus käfighaltung auf das bezogen, was über Jahrzehnte in eine Zukunftschance haben sollte. Deutschland üblich war und was zum 1. Januar nächsten Jahres auslaufen sollte. Können Sie bestätigen, dass die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Möglichkeit der schlimmen alten Batteriekäfighaltung, der CDU/CSU) die wir von vielen Bildern kennen und die viele auch in der Praxis gesehen haben – ich rede nicht von dem neuen Sie sollten nicht einfach Blindbegriffe verwenden. Käfig, der aus meiner Sicht aber auch schlimm genug Die Zuhörer sind ja keine Experten. Die neue Haltungs- ist –, von der Bundesregierung und den Ländern um form hat nichts mit Batteriekäfighaltung zu tun. zwei weitere Jahre verlängert worden ist? (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das geht doch gar Aber sicher!) nicht anders!) 7420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Hans-Michael Goldmann (FDP): Hans-Michael Goldmann (FDP): (C) Es ist richtig, was Sie sagen: Die Möglichkeit dieser Das habe ich selbst registriert. Deswegen war ich für Haltungsform ist verlängert worden. Denn es macht mei- Ihre Frage, Frau Höhn, durchaus dankbar. ner Meinung nach keinen Sinn, dass man diese Hal- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Ab- tungsform ins Ausland exportiert und wir dann die Ge- geordneten der CDU/CSU und der SPD) flügelprodukte – Fleisch und Eier – aus einem Land bekommen, wo die Haltungskriterien viel schlechter Ich finde es gut, dass wir darüber reden. Lassen Sie sind als bei uns. uns gemeinsam weitermachen, damit wir viel für die Tiere erreichen. Wir sind auf einem guten Weg. Wir Ich will Ihnen etwas anderes sagen, Frau Höhn: Sie müssen aber vernünftig sein. Es geht nicht um Aktionis- tun sich selbst keinen Gefallen damit, wenn Sie in die- mus, sondern um das konkrete Tun, liebe Frau Höhn. sem Zusammenhang das Wort „Käfig“ wieder so benut- zen, wie es für frühere Zeiten zutraf. Sie wissen ganz ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nau: Der alte Käfig ist verboten. Wir sind auf dem Weg, der CDU/CSU) Haltungsformen zu entwickeln, die den Tieren gerechter werden. Es gibt Versuche dazu. Ich glaube, dass wir da Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: auf einem guten Weg sind. Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Rawert, (Widerspruch der Abg. Bärbel Höhn [BÜND- SPD-Fraktion. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Frau Höhn, Sie tun sich damit keinen Gefallen. Mechthild Rawert (SPD): Auch der Begriff „Schweinefabrik“ hat nichts mit der Idee des Tierschutzes zu tun. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Werte Gäste! Tierschutz ist ein hohes (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut. Der Schutz der Tiere ist zwischenzeitlich auch im Oh doch!) Grundgesetz festgeschrieben worden. – Nein, Frau Höhn. – Das ist eine Diskriminierung ge- Ich möchte mich an dieser Stelle bei den vielen Mit- genüber heute notwendigen Haltungsformen. Frau bürgerinnen und Mitbürgern bedanken, die sich in Tier- Höhn, es ist schlicht falsch, anzunehmen, dass es dem schutzorganisationen engagieren, in kleinen und gro- Tier Nr. 36 besser geht als dem Tier Nr. 8 720 in einem ßen Verbänden, die nicht nur auf lokaler und regionaler Ebene tätig sind. Ihnen gebührt unser Dank. Dieser Dank (B) Betrieb. (D) soll hier und heute von mir – ich denke, im Namen des (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauses – ausgesprochen werden. Das habe ich auch nicht gesagt!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es kommt darauf an, wie viel Platz das Tier hat, wie viel der FDP und der LINKEN) Licht es bekommt und welchen Futterzugang es hat. Wenn die Haltungsformen nicht tier- und artgerecht wä- Die Bundesregierung nimmt die Aufgabe des Tier- ren, könnten wir die züchterischen Erfolge überhaupt schutzes sehr ernst und verfolgt das Ziel, ein hohes nicht erzielen, hätten keine Marktteilhabe mehr und wä- Tierschutzniveau in Deutschland zu gewährleisten und ren im Grunde genommen auf Importe aus Ländern an- den Tierschutz weiterzuentwickeln. Das betrifft den Be- gewiesen, in denen ich wirklich kein Tier sein wollte; reich der Rechtsprechung sowie die Berücksichtigung Gott sei Dank bin ich es nicht. des Tierschutzes bei der Abwägung mit anderen Rechts- gütern und schließt die finanzielle Unterstützung tierge- Wir müssen uns auf das Ziel fokussieren, guten Tier- rechter Haltungsformen, die Forschungsförderung und schutz in Deutschland zu verwirklichen. Dafür müssen ein intensives Engagement auf europäischer und interna- wir gemeinsam streiten. tionaler Ebene ein. Die Bundesregierung setzt mit ihrem Engagement in den Gremien Akzente. Sie beteiligt sich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: an zahlreichen nationalen und internationalen Vorhaben zur Verbesserung des Tierschutzes. Das gilt hier und Herr Kollege, ich glaube, die Zwischenfrage ist jetzt heute genauso wie in der Zukunft. beantwortet, und ich darf die Redezeit weiterlaufen las- sen. Die SPD ist und bleibt die Tierschutzpartei. Sie setzt sich seit Jahren kontinuierlich für die Weiterentwicklung Hans-Michael Goldmann (FDP): des Tierschutzes inner- und außerhalb Deutschlands ein. Wir gehen voran. Wir gehen vorwärts. Liebe Frau Präsidentin, meine Redezeit ist ja auch schon abgelaufen. (Beifall bei der SPD) Wir stellen uns der Verpflichtung des ersten Paragrafen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: unseres Tierschutzgesetzes: So ist es. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund (Heiterkeit) Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7421

Mechthild Rawert (A) In 2002 wurde – maßgeblich von meiner Fraktion vo- Abhilfe für die Verbraucherinnen und Verbraucher (C) rangetrieben – der Tierschutz in Art. 20 a unseres könnte ein einheitliches europäisches Tierschutzsiegel Grundgesetzes als Staatsziel verankert. Damit wurde schaffen. Dieses Tierschutzsiegel muss für die Verbrau- eine lange Diskussion über den Rang des Tierschutzes cherinnen und Verbraucher verständlich und ihnen leicht im Verfassungsgefüge endlich beendet. Dieses Staatsziel vermittelbar sein. Selbstverständlich muss es gesetzliche muss aufseiten der Politik bei der Gesetzgebung und Standards für die Haltung aller Tierarten festlegen. So aufseiten der Verwaltungsbehörden und der Gerichte bei gibt es zum Beispiel bis heute keine Regelungen für der Auslegung und Anwendung des Tierschutzrechts im- Mastgeflügel, Rinder, Schafe, Ziegen oder Kaninchen. mer Berücksichtigung finden. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich komme zur Verbindung zwischen Tierschutz und NEN]: Ist doch eine tolle Idee!) Verbraucherschutz. Nach dem Auftreten von BSE und Die grundlegenden Kriterien für ein solches Tierschutz- zahlreichen Gammelfleischskandalen ist das gesamte siegel sollten unter anderem Bewegungsfreiraum, Ein- Feld rund um die Ernährung kritisch hinterfragt und neu streu, Tageslicht, Beschäftigungsmaterial, Strukturie- bewertet worden: von der Sicherheit und Qualität der rung und auch Außenklima sein. Lebensmittel über die Produktionsprozesse und deren Auswirkungen auf Umwelt, Natur und Tierhaltung, Es hat sich – das wurde in den Reden deutlich – quasi „From the Farm to the Fork“, von der Farm zur durchaus schon Diskussionsbedarf innerhalb der Koali- Gabel. tion aufgetan. Ich habe vorhin sehr intensiv die Rede von Frau Klöckner verfolgt. Dieses Tierschutzsiegel könnte (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann ein weiteres Problem bei der Lebensmittelkennzeich- [FDP] – Hans-Michael Goldmann [FDP]: nung lösen. Zurzeit können die Verbraucherinnen und Danke! Man ist ja dankbar!) Verbraucher beim Einkauf nämlich nicht erkennen, unter Tierschutz ist für uns integraler Bestandteil einer welchen Bedingungen die einzelnen Zutaten für Fertig- Nachhaltigkeitsstrategie, die dem vorsorgenden Ver- produkte verwendet werden und wie sie hergestellt wor- braucherschutz Vorrang einräumt, den schonenden den sind. So können – bleiben wir heute beim Beispiel Umgang mit Natur und Umwelt beachtet, auf eine nach- der Eier – Konsumentinnen und Konsumenten von Hüh- haltig produzierende Landwirtschaft setzt und den länd- nereiern zwar durch die Kennzeichnung erkennen, ob es lichen Raum mit seinen verschiedenen Funktionen als sich um ein Ei aus Freiland- oder Käfighaltung – dem- Lebens-, Wirtschafts-, Natur- und Erholungsraum in den nächst Volierenhaltung – handelt. Diese Kennzeichnung Blick nimmt. findet allerdings nicht bei Produkten statt, bei denen die Eier Zutat sind, wie zum Beispiel Mayonnaise, Nudeln (B) Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden durch oder Backwaren. (D) bewusste Kaufentscheidungen an der Ladentheke (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Katzenfutter!) – darüber wurde heute schon ein wenig dissonant disku- tiert – darüber, wie unsere Tiere in der Landwirtschaft Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Fertig- gehalten und genutzt werden. produkte. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft, die jetzt be- ginnt, hat Deutschland die Gelegenheit, dieses Thema Jede und jeder hat somit die Möglichkeit, sich tagtäglich auf europäischer Ebene aktiv voranzubringen. Ich bin in kleinem und in größerem Umfang für den Tierschutz mir sicher, dass die Bundesregierung diese Pflicht sieht. einzusetzen. Ich fordere unseren Bundesminister ausdrücklich auf, Dies setzt jedoch voraus, dass die Verbraucherinnen sich hierfür einzusetzen und Verbraucher ausreichend über die Produkte infor- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wofür?) miert sind. Mit Recht fordern sie daher von uns eine de- tailliertere Informationspflicht bezüglich der Produkte und für die entsprechende Aufklärung der Verbrauche- und der damit verbundenen Herstellungsprozesse, damit rinnen und Verbraucher zu sorgen. Unsere Fraktion wird die Kaufentscheidung adäquat getroffen werden kann. hierbei selbstverständlich die größtmögliche Unterstüt- zung geben. Die Kennzeichnung in Deutschland ist jedoch nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln. Die Verbraucherin- Den teilweisen Widerstand gegen einen besseren nen und Verbraucher müssen zwischen einer Vielzahl Tierschutz vonseiten einzelner Produzenten in der Land- von Bio- und Ökosiegeln unterscheiden und wissen oft wirtschaft verstehe ich nicht. Gerade besserer Tierschutz nicht, welche Qualitätsstandards sich dahinter verber- als Qualitätsmerkmal kann heimischen Lebensmitteln ei- nen Marktvorteil bringen und sichtbar machen, dass gen. So sind Produkte, die nach der EU-Öko-Verordnung durch tierschutzgerechtes Wirtschaften Arbeitsplätze gekennzeichnet sind, mit einem Biosiegel und einem erhalten und neue geschaffen werden. Dass das möglich Code der Kontrollstelle versehen. Mittlerweile haben ist, zeigt – erneut komme ich auf die Hühnereier zurück – viele Supermärkte eigene Handelsmarken – das Wettbe- die große Nachfrage nach Bio- und Freilandeiern, die werbsrecht verbietet jetzt leider eine Aufzählung –, unter zurzeit nicht aus der heimischen Produktion gedeckt denen sie Bioprodukte vertreiben. Einige Verbände des werden kann. ökologischen Landbaus haben eigene Siegel und legen strengere Auflagen, als die EU-Öko-Verordnung vorgibt, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nur bei für ihre Produzenten fest. Frischeiern!) 7422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Mechthild Rawert (A) An dieser Stelle möchte ich auf Folgendes hinweisen: wenig alt, zehn Monate. Ein Teil der darin enthaltenen (C) Ich selber komme von einem Bauernhof. Wir hatten Forderungen, zum Beispiel hinsichtlich der Nutztierhal- 15 000 Hühner. Ich bin mit Eiereinsammeln und der ent- tungsverordnung für Pelztiere, ist durch Verabschiedung sprechenden Arbeit durchaus vertraut. In diesem Bereich einer entsprechenden Vorlage im Bundesrat längst erfüllt ist es möglich, viel zu tun. Jetzt hier davon zu reden, worden. Das steht schon im Gesetzblatt. Wir haben auch dass in diesem Bereich keine neuen Arbeitsplätze ge- dafür gesorgt, dass für kommerziell gehaltene Nerze, schaffen werden können, lehne ich ab, nicht nur aus der Iltisse, Füchse, Marderhunde, Sumpfbiber und auch eigenen familiären Biografie heraus, sondern auch aus Chinchillas künftig konkrete Haltungsbedingungen gel- den Erfahrungen meiner Bekanntschaft, meiner Freunde ten. und Verwandten und auch sämtlicher Nachbarn und Nachbarinnen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Kommen wir zu den Bioeiern zurück. Sie kommen Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. zurzeit aus den Niederlanden. Ich bin der Meinung, dass unsere deutschen Bauern und Unternehmen eine Chance Mechthild Rawert (SPD): am deutschen und auch am europäischen Markt vertun. Ich komme hiermit zum Schluss. – Ich freue mich als Ich rechne aus diesem Grunde auch mit der Unterstüt- Berichterstatterin für Grauwale, dass wir 2007 das Jahr zung des Lebensmittelhandels für meine Vorschläge und der Wale und Delphine haben. erwarte, dass auch die Produzenten in Deutschland das ständig wachsende Marktpotenzial für Bioprodukte end- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Was? Schon wieder lich erkennen und nutzen. Wale?) (Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜND- Ich freue mich ebenfalls, dass in den nächsten Tagen ins- NIS 90/DIE GRÜNEN]) besondere Ochs und Esel, Schafe und Kamele mit Si- cherheit – Gerade jetzt sind dazu mehrere Umfragen durchge- führt worden. Sie belegen, dass hier von einer Auswei- tung und nicht von einem Rückgang gesprochen werden Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kann. Mit Blick auf die Arbeitsplätze und mit Blick auf Frau Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam ma- die Produktion wären wir hier auf dem vollkommen chen, dass Sie auf Kosten Ihres Nachfolgers reden. richtigen Weg. Mechthild Rawert (SPD): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – eine gute Haltung haben werden. – Ich bin fertig. (B) DIE GRÜNEN) (D) Aus verbraucherpolitischer Sicht ist mir noch ein an- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten deres Thema wichtig, nämlich die Förderung neuer und der CDU/CSU) innovativer Techniken zur tierversuchsfreien For- schung. Verbraucherinnen und Verbraucher achten sehr Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wohl darauf, ob Produkte mithilfe von Tierversuchen ge- Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling- testet worden sind oder nicht. Seit 2004 ist es bereits ver- Schröter, Fraktion Die Linke. boten, kosmetische Mittel einschließlich ihrer Bestand- teile in Verkehr zu bringen, wenn diese im Tierversuch (Beifall bei der LINKEN) überprüft wurden, obwohl alternative Methoden zur Verfügung stehen. Ich bin sehr dankbar, dass das For- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): schungsministerium nach wie vor große Förderpro- Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen gramme in Bezug auf Ersatzmethoden für den Tier- und Kollegen! Wäre dieser Saal hier eine Legehennen- versuch, aber auch in Bezug auf die Vergabe von batterie, würden an Ihrer Stelle über 17 000 Hühner sit- Forschungsmitteln zur wissenschaftlichen Erarbeitung zen. Nutzen wir den Raum bis unter die Decke – das ist von Tierversuchsersatzmethoden finanziert. Wie das die Realität in Hühnerbatterien –, funktioniert, konnten vor kurzem die Mitglieder des Landwirtschaftsausschusses beim Bundesinstitut für Ri- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich lege aber sikobewertung in Augenschein nehmen. Ich bin der fes- keine Eier!) ten Überzeugung, dass Verbraucherinnen und Verbrau- wären das fast 1 Million Hühner; 1 Million Hühner im cher gern solche Produkte kaufen, bei denen sie Plenarsaal des Deutschen Bundestages dank moderner überzeugend nachgewiesen bekommen, dass sie nicht Käfigbatterien. unter Verwendung von Tierversuchen produziert worden sind. Die SPD ist daher der Meinung, dass solche For- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt schungsvorhaben und Techniken zugleich wichtige Im- ja nicht, was Sie sagen! Wo gibt es eine Lege- pulse für unseren Forschungs- und Wirtschaftsstandort hennenhaltung bis an die Decke?) geben und dass wir somit in diesem Bereich weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen können. Hierzulande werden 43 Millionen Hühner gehalten, davon mehr als 73 Prozent in Käfigen bei Gestank und Zu dem Antrag der Grünen möchte ich am Ende mei- künstlichem Licht. Die Folge: zerstörtes Gefieder, ka- ner Rede nur ein kurzes Wort sagen. Er ist leider ein putte Gelenke, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7423

Eva Bulling-Schröter (A) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt ökologischen Landbau getan haben, das nun womöglich (C) doch nicht, was Sie sagen!) vor dem Aus steht. schwere Verhaltensstörungen. Die Tiere können nicht (Ulrich Kelber [SPD]: Keine Angst!) sandbaden, weder Gefieder noch den Kopf schütteln. Wir dürfen die Menschen nicht für dumm verkaufen. Das Federkleid kann nicht geputzt, Kopf und Schnabel können nicht gekratzt werden. (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Genau das ma- chen Sie aber! – Hans-Michael Goldmann (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Es stimmt [FDP]: Genau! Das machen Sie jetzt!) nicht!) Worum es wirklich geht, ist doch leicht zu durch- Praktisch alle natürlichen Triebe werden unterdrückt. schauen: Die Käfighaltung soll nicht nur beibehalten, sondern wieder eingeführt werden. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Aber nicht alle!) (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Sie lügen ja!) Früher hat ein Huhn 20 Eier pro Jahr gelegt – so viel dazu, wie die Situation früher war, Herr Goldmann –, Längere Übergangsfristen für Käfigbatterien sollen her, heute sind es mehr als 300. Masthühner werden heute so ganz im Sinne der EU-Richtlinie. Die Industrielobby gezüchtet, dass sie täglich – ich betone: täglich – mehr wird sich bei Ihnen bedanken. als 50 Gramm zunehmen müssen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist wirklich Normalerweise verbringt ein Huhn den Tag mit Fut- nicht schön, was Sie da machen!) tersuche und Gefiederpflege. Beides ist bei konventio- Aber ich sage noch einmal: Käfigbatterien, egal ob mit neller Käfighaltung nicht möglich. Langweiliges Futter oder ohne Mobiliar, gehören abgeschafft. und bedrückende Enge führen zu Kannibalismus und Krankheit. Das hat der Bundestag vor fünf Jahren beschlossen. Wir waren daran beteiligt. Kaputtgemacht wurde diese (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Kannibalis- Regelung auf Antrag einiger Bundesländer. Ab Januar mus im Käfig? Das kommt bei Freilandhal- 2007 sollte ein Käfigverbot gelten. Wir unterstützen das. tung viel häufiger vor!) Dazu haben wir einen eigenen Antrag eingebracht. Den Tieren hilft man nicht dadurch, dass man ihnen (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Völliger die Schnabelspitzen amputiert oder das Licht in ihrem Schwachsinn!) Käfig auf ein Minimum abdimmt. Wir brauchen eine tiergerechte Geflügelhaltung, sowohl für Mast- als auch Mit Einführung der neuen Käfigsysteme ist dieser Fort- schritt allerdings hinfällig. (B) für Legehühner. Damit sind aber explizit nicht die ausge- (D) stalteten Käfige und Kleinvolieren für die so genannte Ich möchte kurz auf die Vorgeschichte eingehen. Das Gruppenhaltung gemeint. Was so putzig klingt, bedeutet: Bundesverfassungsgericht hat die Käfighaltung zu Recht Die Tiere können weiterhin nicht auf Sitzstangen schla- schon im Jahr 1999 als nicht tiergerecht eingestuft. fen, nicht im Sand baden und sich nicht ungestört pfle- gen, schütteln oder aufbäumen. Hier wird schöngeredet, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- was die tierquälerische Käfighaltung in Wirklichkeit NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ausmacht. ten der SPD) Deshalb wurde die Hennenhaltungsverordnung außer (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Kraft gesetzt. Dazu haben wir damals im Rechtsaus- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- schuss auch eine Anhörung durchgeführt. ten der SPD – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal einen Bauern!) Mein nächster Punkt. Da es auch um Wirtschaftspoli- tik geht – manchen Parteien geht es vielleicht nicht so Zeigen Sie mir doch einmal ein Huhn, das auf der Fläche sehr um den Tierschutz –, eines Bierdeckels sein Sandbad nehmen kann! (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das eine (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wenn Sie so schließt das andere nicht aus!) weiterreden, kommen Sie selber in den Käfig! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich verstehe komme ich nun auf den Import von Eiern zu sprechen. wirklich nicht, was Sie jetzt sagen!) Käfigeier werden nicht nur millionenfach importiert, sie werden auch millionenfach bei uns produziert. Da als ein wichtiger Grund für die Käfighaltung die Hygiene angeführt wird, sage ich Ihnen: Wir ignorieren Nun zum Thema Arbeitsplätze. In Deutschland wer- Hygieneprobleme nicht. Aber der Tierschutz darf nicht den in 849 Betrieben fast 29 Millionen Hühner in Käfi- den Kürzeren ziehen. Deshalb brauchen wir mehr For- gen gehalten. Das sind drei Viertel des gesamten Hüh- schung auf dem Gebiet der alternativen Landwirtschaft. nerbestands. Was bedeutet das für die Hühner und für die Zahl der Arbeitsplätze? Zunächst zu den Hühnern. Ich (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- wiederhole es: Kannibalismus, Fettleber, schwere Fuß- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- verletzungen und Knochenschwäche. ten der SPD) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach Gott! Das geht natürlich nicht, wenn Sie die nötigen Mittel in Jetzt geht das wieder los! – Marlene Mortler diesem Bereich streichen, wie Sie es beim Institut für [CDU/CSU]: Wo bleibt die Praxis?) 7424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Eva Bulling-Schröter (A) Wir meinen, das ist nicht im Sinne des verfassungsmäßi- zeichnung schon möglich. Was in der Schweiz möglich (C) gen Staatsziels Tierschutz. ist, muss auch bei uns möglich sein. Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies, dass über den (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Daumen gepeilt ein Beschäftigter auf 40 000 Hühner in NIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael einer Legebatterie kommt. Goldmann [FDP]: Beim Frauenwahlrecht wa- ren wir aber schneller als die Schweiz!) (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Wie viele sind denn im vorgelagerten Bereich? – Julia Tierschutz mit dem Einkaufskorb ist nur möglich, Klöckner [CDU/CSU]: Genau! Sagen Sie auch wenn sich der Verbraucher, wie es immer wieder ver- einmal etwas zum vor- und nachgelagerten sprochen und gelobt wird, informieren kann. Mehr als Bereich!) 50 Prozent der konsumierten Eier stecken in verarbeite- ten Lebensmitteln – ein enormes Tierschutzpotenzial, Rechnen Sie selbst aus, um wie wenige Arbeitsplätze es eine vertane Chance, wie wir meinen. Übrigens kommen also bei knapp 29 Millionen Käfighühnern geht. Hinzu inzwischen besonders viele Eier aus alternativer Erzeu- kommt: Es gibt keine regionale oder Kreislaufwirtschaft. gung aus dem Ausland. 2005 stieg der Anteil der impor- Das Futter wird importiert. Die Ställe werden aus dem tierten Bioeier bzw. der importierten Eier aus Bodenhal- Ausland geliefert, weil sie dort billiger hergestellt wer- tung sehr stark. Allerdings betrifft dies nur die den können. Geschlachtet wird an einem anderen Ort. Schaleneier. Aus diesem Grund unterstützen wir den An- Für die Vermarktung sind die großen Unternehmen zu- trag der Grünen. ständig. Weil wir gerade bei Geflügel sind: Auf der Arche (Zuruf von der SPD: Informieren Sie sich doch Noah sind auch Wildvögel. Wir fordern ein Verbot der erst einmal!) Einfuhr von Wildvögeln. Die EU ist der größte Absatz- Bei tiergerechter Haltung sieht das schon besser markt: 8,8 Millionen Vögel wurden während der letzten aus: Bioerzeugung führt wirklich zur Schaffung von Ar- zehn Jahre in die EU importiert. Das sind weit mehr als beitsplätzen. 29 Millionen glückliche Hühner bedeuten zwei Drittel des Umfangs des weltweiten Wildvogelhan- 4 800 glückliche Arbeitskräfte in den Hühnerbetrieben, dels. Bis vor kurzem wurden jährlich über 1,7 Millionen eine Kreislaufwirtschaft in der Nahrungsmittelproduk- Wildvögel in die EU importiert. Deutschland war ein tion und eine Vermarktung unter Beachtung des Tier- wichtiges Abnehmerland. So paradox es klingt: Es war und Umweltschutzes. die Vogelgrippe, die hier zur Rettung beitrug. Weil kranke Papageien in England daran starben, wurde die Umfragen haben ergeben, dass 80 Prozent der Men- Einfuhr letztes Jahr verboten. Bis zum Jahresende kön- (B) schen das Ende der konventionellen Käfighaltung wol- nen so fast 4 Millionen Vögel gerettet werden. Denn mit (D) len. dem legalen Handel geht auch der illegale Handel zu- rück. (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Ja, ja! Darum kaufen sie wahrscheinlich auch die Eier!) Unzählige Vögel fallen unter das Washingtoner Ar- tenschutzabkommen. Allein, der Handel mit geschützten Wir haben hierzu einen Antrag eingebracht, mit dem wir Tieren ist vollkommen außer Kontrolle geraten: Für noch einmal an Sie appellieren: Unterstützen Sie, was Prachtfinken, Gimpel, Stare gibt es keinerlei Handels- die Mehrheit der Bevölkerung will! Wir fordern auch ein kontrollen. Da wird gefangen und verkauft, was Flügel Verbot der schöngeredeten Gruppenhaltung. Ohne Ver- hat und womit man Geld machen kann. Nur bot, denke ich, machen Sie sich unglaubwürdig. Wir sind 1 500 Vogelarten, die international gehandelt werden, für Innovation und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. werden erfasst und unterliegen dem Washingtoner Ar- Artgerechte Legehennenhaltung sichert und schafft Ar- tenschutzabkommen. Gehandelt werden nachweisbar beitsplätze. mehr als 2 600 Vogelarten. (Ulrich Kelber [SPD]: Was ist artgerecht?) Um Missverständnisse zu vermeiden: Dort, wo die Werden Eier aus Boden-, Freiland- und Biohaltung Natur geplündert wird, bleibt das Geld nicht. In Deutsch- angeboten, werden sie auch gekauft. Angebot und Nach- land gibt es leider keinerlei Kontrolle der bzw. Statistik frage, ganz einfach. Wenn die Leute Eier aus Boden-, über die Wildvogelhaltung. Der Handel läuft hauptsäch- Freiland- und Biohaltung wollen, dann müssen die Tiere lich über Zooläden, Inserate und, fatalerweise, immer auch so gehalten werden. Wir haben es geschafft, dass mehr über Tierbörsen. Ungefähr eine Dreiviertelmillion seit 2004 auf den Verpackungen von Schaleneiern die Ziervögel, geschützte und ungeschützte, sind in diesem Haltungsform und der Erzeugercode stehen müssen. Jahr gehandelt worden. Ich meine, da muss dringend et- was getan werden. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben bestimmt nichts geschafft!) Was bewirkt der Import von Vögeln in die EU? Allein in Mittel- und Südamerika wird ein Drittel der dort ge- Doch auch wer Eiprodukte kauft, hat das Recht, zu fangenen Papageien illegal gefangen. Übrigens sind die erfahren, woher die Eier kommen. Den Konsumentinnen Exportländer von Wildvögeln hauptsächlich Entwick- und Konsumenten wird vorenthalten, woher die Eier in lungsländer. Korruption und fehlende Infrastruktur ma- Keksen, Nudeln, Kuchen usw. kommen. Ich meine, es chen eine Kontrolle von Zahl, Art und Versand der Wild- wird Zeit, das zu ändern. In der Schweiz ist so eine Aus- vögel unmöglich. Aber wie wollen wir von Kontrolle Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7425

Eva Bulling-Schröter (A) reden, wenn sie auch bei uns oft nicht funktioniert? Hier Durch punktuelle Einschränkungen, auch wenn sie gut (C) muss wirklich etwas getan werden. gemeint sind, verlagert sich das jeweilige Problem nur an andere Orte, meist dorthin, wo wir überhaupt keinen Jetzt ist meine Redezeit fast zu Ende. politischen Einfluss mehr haben. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Es reicht auch!) (Beifall bei der CDU/CSU) – Ich sehe, Sie sind furchtbar traurig. – Ich hätte noch das Thema Stopfleber und einige andere Dinge. – In unserer gemeinsamen Welt ist der kleinste politi- sche Handlungsmaßstab nun einmal die Europäische (Peter Bleser [CDU/CSU]: Machen wir nächs- Union. Als Beispiel möchte ich das Thema Legehen- tes Jahr weiter!) nenhaltung nennen. Natürlich können wir in Deutsch- Aber da meine Redezeit dafür nicht mehr ausreicht – wir land die Legehennenhaltung in Ställen generell verbieten können im nächsten Jahr darüber weiterdiskutieren –, und durch eine artgerechte Freilandhaltung ersetzen. bleibt mir abschließend nur noch zu sagen: Lassen Sie Wie die aussieht, habe ich schon als Student gelernt: Art- sich Keule und Leber in diesem Jahr schmecken, viel- gerechte Freilandhaltung von Hühnern bedeutet 100 bis leicht sogar bei einem gemütlichen Picknick in der Kie- 150 Quadratmeter pro Henne. Die Eier dieser Hennen ler Bucht. Dort werden zurzeit TNT und Munition ent- könnte keiner mehr kaufen, weil sie schlicht und ergrei- sorgt. Die Wale leiden darunter. Ich denke, auch mit fend zu teuer wären. Wir hätten zwar die glücklichsten diesem Thema sollten wir uns im nächsten Jahr sehr in- Hühner der Welt, aber auch die wenigsten. Wir hätten tensiv beschäftigen. 300 000 Arbeitsplätze vernichtet und hätten – was noch viel schlimmer wäre – die nicht tierartgerechte Hühner- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten haltung ins Ausland verlagert. Dort würde sie sich eta- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) blieren. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ist einfach falsch! Das wissen Sie doch!) Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Jahr, CDU/CSU- Fraktion. In diesem Sinne finde ich auch das Verhalten des Lan- des Rheinland-Pfalz, eine Normenkontrollklage gegen (Beifall bei der CDU/CSU) die Legehennenverordnung einzureichen, sehr irritie- rend. Staatsmännisch formuliert könnte man sagen: Das Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Verhalten des Landes ist wenig hilfreich und nicht ziel- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im führend. Bei aller Sympathie für die Eigenständigkeit (B) Deutschen Bundestag diskutieren wir heute am letzten der Länder – ich selber war zwölf Jahre lang Mitglied ei- (D) Sitzungstag eines politisch anstrengenden Jahres in gro- nes Landesparlamentes – meine ich, sagen zu können: ßen Redeblöcken über verschiedene Anträge. Auch zum Das Verhalten von Rheinland-Pfalz ist unsolidarisch, Thema Tierschutz gibt es heute, wie man nur unschwer erkennen kann, einen wirklich großen Redeblock. Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- denke, das ist auch gut so. neten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: In ande- ren Bereichen macht Bayern das!) Obwohl die heutigen Themen sehr breit gefächert zu sein scheinen, zieht sich das Thema Tierschutz wie ein vor allem gegenüber uns in der Regierungskoalition. Ich roter Faden durch alle Anträge. Deshalb gestatten Sie sehe vor allem zur SPD: Wir haben lange diskutiert und mir am Anfang, ein paar allgemein gültige Bemerkun- gerungen. gen zur politischen Einordnung des Tierschutzes in un- Ich möchte den Landwirten an dieser Stelle zusichern: serer entwickelten Gesellschaft zu machen. Ich hoffe Wir stehen zu der beschlossenen Legehennenverordnung – das gilt insbesondere für Sie, meine Damen und Her- ohne Wenn und Aber. ren von der Opposition –, dass ein paar meiner Schluss- folgerungen und Leitlinien auch Ihre Zustimmung fin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den werden. neten der FDP) Erstens. Tierschutz ist wichtig. Dieses Thema ist kein Ich fordere die Geflügelhalter auf, die gesetzlichen Randthema mehr, sondern ist mittendrin in der Gesell- Grundlagen auszuschöpfen und in die Zukunft zu inves- schaft. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich tieren. Jeder hat das Recht, zu klagen, aber niemand hat bei den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, das Recht, Arbeitsplätze zu vernichten. Landwirtschaft und Verbraucherschutz und bei der Bun- desregierung für die engagierten Diskussionen zu dieser (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn Problematik. Sie wissen: Es gibt auch positive Beispiele; [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ich erinnere nur an den so genannten Robbenantrag. wirklich unverschämt!) Zweitens. Tierschutz ist unteilbar. Tierschutz ist glo- – Frau Höhn, ich nenne gleich einen Versöhnungsaspekt. bal. Mit regionalen und nationalen Aktivitäten muss man sich stets global behaupten. Punktueller Tierschutz Drittens. Tierschutz ist nicht statisch. Tierschutz ist immer auf dem Weg. Das ist ein Trost für diejenigen, de- bringt wenig. Tierschutz findet in der Fläche statt. nen der Tierschutz noch nicht ausreicht, soll aber auch (Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!) denjenigen Mut machen, die vorangehen wollen. 7426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Peter Jahr (A) In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Thema (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das war (C) Schächten zu sprechen kommen. aber nicht mehr Goethe!) (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) – Der Nachsatz war von mir. Ich gestehe, dass das nicht mehr von Goethe war. Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestags- fraktion möchte ich feststellen: Ich bin mit dem Urteil Das sind für mich die fünf Zielkoordinaten der Tier- des Bundesverwaltungsgerichtes hochgradig unzufrie- schutzpolitik. Das Problem dabei ist: Um auf die aktuellen den. Wir werden im Ausschuss noch darüber reden müs- tierschutzpolitischen Herausforderungen angemessen rea- sen. Ich denke, was das Schächten betrifft, sind wir auf gieren zu können, müssen alle fünf Zielkoordinaten be- dem Weg und noch nicht am Ziel angekommen. achtet werden. Es genügt also nicht, das Problem nur (Beifall bei der CDU/CSU) zwei- oder dreidimensional widerzuspiegeln, sondern es müssen fünf Dimensionen erfasst werden. Das ist ja Auch Führen will gelernt sein. Wer zu langsam geht, schon fast höhere Mathematik. wird überholt. Das gilt in jedem Politikbereich, also auch für die Tierschutzpolitik. Michail Gorbatschow hat es Nun habe ich diese umfangreichen Vorbemerkungen 1989 auf den Punkt gebracht: „Wer zu spät kommt, den nicht gemacht, um die Tierschutzpolitik in den Höhen bestraft das Leben“. Sehr richtig. – manche sagen auch: in den Tiefen – der komplizierten theoretischen Mathematik zu etablieren. Meine Damen (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ und Herren von der Opposition, ich wollte Ihnen erklä- DIE GRÜNEN]: In allen Bereichen!) ren, worin der Hauptmangel Ihrer Anträge besteht. Man – Das ist richtig. – Es gilt aber auch: Wer zu früh kommt, kann Ihnen aus tierschutzpolitischer Sicht nicht unter- den bestraft das Leben auch. Anders formuliert: Führen stellen, dass Sie bei Ihren Anträgen keinen rationalen heißt nicht, voranzurennen. Wer zu weit vorneweg geht, Anfangsverdacht hatten. Der Hauptmangel besteht aber wird nicht mehr gesehen. Wer nicht mehr gesehen wird, darin, dass die Problematik durch Ihre Anträge nur im wird nicht mehr ernst genommen. Noch schlimmer: Wer ein- oder zweidimensionalen Raum widergespiegelt sich zu weit von der Truppe entfernt, merkt gar nicht, wird und sie damit für die Praxis völlig untauglich sind. wenn die Truppe abbiegt oder stehen bleibt. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das habe Viertens. Beim Tierschutz soll das Tier und nicht der ich nicht verstanden!) Mensch im Mittelpunkt stehen. Immer wieder laufen – Ich war bei der höheren Mathematik, Herr Kollege, wir in den Debatten über den Tierschutz Gefahr, den und ich muss mich nun langsam auf das Niveau des Tier- Tierschutz zu vermenschlichen. Es gilt eben nicht der schutzes zurückbewegen. (B) Satz: Wenn es dem Menschen gut geht, geht es auch dem (D) Tier gut. Beim Tierschutz muss dieses Prinzip umge- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wiederhole kehrt werden. Es gab einmal einen schönen Werbe- das einmal für die eigene Partei!) spruch, durch den das auf den Punkt gebracht wurde: „Ist das Tier gesund, freut sich der Mensch.“ Wie kom- Nun zu den einzelnen Anträgen. Mit der Kennzeich- pliziert sich der Sachverhalt darstellt, haben wir in der nungspflicht für verarbeitete Eier hat sich meine Kol- Anhörung zur Haltung von Wildtieren im Zirkus ge- legin Klöckner umfangreich beschäftigt. merkt. Über die Frage, was eigentlich tierartengerecht (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist mir sehr ist, wurde von den Experten sehr sach- und fachkundig, nahe gegangen! – Hans-Michael Goldmann aber auch sehr kontrovers diskutiert. [FDP]: Wie viele Dimensionen hat sie denn?) Fünftens. Der Verbraucher hat in der sozialen Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestags- Marktwirtschaft einen entscheidenden Einfluss auf den fraktion erkenne ich das Recht des Verbrauchers auf eine Tierschutz, weil er für die Nachfrage sorgt. angemessene Kennzeichnung der Produkte an, anderer- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jawohl!) seits muss auch ein Grundvertrauen dafür vorhanden sein, dass alle Produkte, die man kauft, den gesetzlichen Die meisten Dinge, die uns tierschutzpolitisch überhaupt Normen entsprechen. Mehr Information bedeutet nicht nicht gefallen, haben oft einen wirtschaftlichen Hinter- automatisch auch bessere Information. grund. Beispiele dafür sind das grausame Töten von Hunden und Katzen für die Pelzgewinnung, das Erschla- (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael gen von Robbenbabys und die Einfuhr von Wildvögeln. Goldmann [FDP]: Erste Dimension!) Das heißt aber im Umkehrschluss: Wenn es keinen Ver- Ich will nicht, dass jeder Verbraucher für jedes Pro- braucher für diese Produkte gäbe, entfiele auch die dukt ein Beipackbuch bekommt, das schwerer als das Nachfrage und damit auch das Tierschutzdefizit. Produkt selbst und dazu noch in den 25 Sprachen der EU (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann abgefasst ist. Sächsisch habe ich vernachlässigt. Wenn [FDP]) man Sächsisch auch noch erfassen würde, wären das 26 Sprachen. Nicht einmal auf einem Straußenei wäre Es könnte so einfach sein, wenn wir auf Goethe hören dafür genügend Platz. würden: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Wir haben in der Schule immer hinzugefügt: wenn er es denn (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das Strau- öfter tut. ßenei bekommt einen Stempel!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7427

Dr. Peter Jahr (A) Zweitens zu den Anträgen hinsichtlich der Legehen- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) nenhaltung. Wenn ich bei den Dimensionen bleibe, Herr Kollege, auch ich hätte gerne ein Geschenk von muss ich dazu sagen: Der Antrag der Grünen ist 2,5-di- Ihnen. mensional und der Antrag der Linken ist eindimensional. (Heiterkeit im ganzen Hause) Deshalb lehnen wir sie schlicht und ergreifend ab.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Goldmann [FDP]: Wie zählt ihr denn?) Ich komme zum Schluss. – Wenn wir tierschutzpoliti- sche Wünsche und Ansprüche mit der unmittelbaren Re- Drittens zum Antrag „Tierschutzpolitik energisch alität verbinden, gelingt es uns, gemeinsam sehr viel fortführen und weiterentwickeln“. Konkretes für das Tier zu erreichen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Fünf Ich wünsche Ihnen allen eine friedliche und gesegnete Dimensionen!) Advents- und Weihnachtszeit. Wir sind der Auffassung, dass wir genau das tun. Wir (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- führen die Tierschutzpolitik im Rahmen der fünf Zielko- NEN]: Und den Tieren auch!) ordinaten energisch und zielgerichtet fort. Der Antrag ist überflüssig. Die Lösung aller wichtigen Probleme ist Ich danke der Präsidentin für ihre Toleranz. entweder in aktueller Bearbeitung oder auf dem besten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wege bzw. bereits gefunden. Ich verweise hier auf die neten der SPD) Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich dachte, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: man müsste Dimensionen anstreben! – Gegen- Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/ ruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE Die Grünen. GRÜNEN]: Der hat eine Nullrechnung, der hat gar keine Dimensionen!) Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viertens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr von Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Wildvögeln. Das Anliegen stößt bei mir auf ein gewis- lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den ses Verständnis, aber der Vorschlag ist vor allem recht- Rängen! Wir reden hier über Tierschutz. In unserer Ge- lich unausgewogen. Auch hier muss man die globali- sellschaft gibt es ein sehr zwiespältiges Verhältnis zum (B) sierte Welt berücksichtigen. Im Jahr 1997 wurden Tier: Auf der einen Seite ist es von innigster Liebe, auf (D) aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU- der anderen Seite von brutaler Ausbeutung gekennzeich- Kommission gegen Deutschland nationale Einfuhrrege- net. lungen für nicht europäische Wildvögel gestrichen. Es gilt aber: Tierquälereien, die beim Fang, bei der Haltung Ich möchte nicht noch einmal auf das Thema Lege- und beim Transport auftreten, müssen konsequent be- hennenhaltung eingehen. Eines möchte ich Ihnen, Frau kämpft werden. Klöckner, aber doch sagen: Auch ein so genanntes Nutz- tier ist ein Mitgeschöpf. Fünftens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr von Hunde- und Katzenfellen. Das Anliegen ist verständ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – lich. Handlungseinheit ist hier die Europäische Union. Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da bin ich Ihrer Inzwischen ist es die erklärte Absicht der EU, ein Verbot Meinung!) des Imports von Hunde- und Katzenfellen in die EU zu Man wird dem Thema Tierschutz in keiner Weise ge- beschließen. Lassen wir die Regierung arbeiten! Sie ar- recht, wenn man es lächerlich macht. beitet gut. Ich habe volles Vertrauen, dass sie dieses Pro- blem in der nächsten Zeit löst. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich mache es nicht lächerlich! Ich frage, was praktikabel Gestatten Sie mir ein Schlusswort. Zum Jahresende ist!) blicke ich auf ein Jahr als Tierschutzbeauftragter der – Ich hatte den Eindruck, dass Sie es lächerlich machen. CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurück. Ich habe in mei- ner tierpolitischen Jungfernrede im Februar 2006 – da- Ich frage mich, ob Ihnen und uns allen in diesem Saal mals noch unter Beifall von rechts und links; so steht es bewusst ist, dass es beim Thema Tierschutz auch um im Protokoll – gesagt: politische Zuverlässigkeit bzw. um Politikverdrossen- heit geht. Die Größe einer Nation lässt sich daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie kennen Tiere doch nur aus dem Fernsehen!) Dieses Zitat wird Gandhi zugeschrieben. Anders ausgedrückt: Wir müssen darüber reden, warum In der Advents- und Vorweihnachtszeit werden häufig heute leider so viele der politischen Klasse nicht mehr so Geschenke verteilt. Tun wir das doch auch an dieser recht etwas Gutes zutrauen. Spätestens seit der Auf- Stelle! Ich erinnere an den interfraktionellen Antrag zu nahme des Staatszieles des ethischen Tierschutzes ins den Robben. Grundgesetz wissen wir, für wie viele Menschen der 7428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Undine Kurth (Quedlinburg) (A) Tierschutz ein ganz wichtiges, emotionales Thema ist. ken. Das war nach der Rede Ihrer Vorgängerin wohl- (C) Im Jahr 2002, vor der Bundestagswahl, haben Sie alle tuend. das akzeptiert und haben für die Aufnahme ins Grundge- setz gestimmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP) (Peter Bleser [CDU/CSU]: Was hat es denn Trotzdem war die Koalition nicht in der Lage, diesen gebracht?) Antrag zu befürworten. Wir sollten nicht mehr über das Und was kommt nun? Wir müssen mit Fug und Recht Engagement der Bundesrepublik beim weltweiten Bio- davon ausgehen, dass all diejenigen, denen wir mit die- diversitätsschutz reden, wenn wir nicht einmal bei einer ser Entscheidung versprochen haben, etwas für den Tier- so klaren Faktenlage imstande sind, zu handeln. schutz zu tun, nun von uns erwarten, dass in diesem Be- Das zweite Beispiel ist das Verbot der Einfuhr von reich etwas passiert. Katzen- und Hundefellen. Es wäre zu wünschen, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich die SPD als Tierschutzpartei profiliert und dem An- trag zustimmt. Denn es gibt genug Belege dafür, wie Ein Gesetz hat, wenn wir nicht für seine Umsetzung sor- brutal die Bedingungen sind, unter denen die Tiere ge- gen, keinen Nutzen. Darüber hinaus – da werden Sie alle halten und getötet werden. Es gehören sehr gute Nerven sicherlich meiner Meinung sein – schadet es auch dem dazu, sich diese Bilder anzusehen. Rechtsverständnis unserer Gesellschaft. Wir haben nichts weniger gewollt, als dass die Bundes- Man muss sagen: Das Markanteste, was im letzten republik dem Beispiel anderer Staaten folgt und ein Ver- Jahr beim Thema Tierschutz in den Köpfen geblieben bot der Einfuhr von Hunde- und Katzenfellen und -häuten ist, ist leider die Verlängerung der Käfighaltung durch erlässt. Wir wollten eine Kennzeichnungspflicht für ver- die Hintertür. arbeitete Pelze, damit die Verbraucher und Verbrauche- rinnen die Chance haben, sich gegen solche Produkte zu (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das stimmt doch entscheiden. gar nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ich sage, das war das Markanteste. Ich möchte die Er- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) folge, zum Beispiel bei den Robbenfellen – Bärbel Höhn hat davon gesprochen –, nicht in Abrede stellen. Im Mai dieses Jahres sind dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Müller 130 000 Unterschriften für die- Ich freue mich über jeden einzelnen Fortschritt; denn ses Anliegen übergeben worden. Es war aber wieder jede einzelne Verbesserung für jedes einzelne Tier ist (B) Fehlanzeige. Sie verkriechen sich hinter der Aussage, (D) wichtig. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass dass eine EU-weite Regelung notwendig sei. Aber nach noch vieles dringend zu tun ist. Ihnen, Herr Minister, der EU kommt dann noch die WTO und irgendwann und der Bundesregierung fehlt offensichtlich die Hand- sind wir im intergalaktischen Raum. lungsbereitschaft. Diese Anmerkung ist nicht nur im Hinblick auf Minister Seehofer, der immer als Erster an- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Im exorbitalen!) gesprochen wird, wichtig; das ist auch eine Frage für das Justizministerium, für das Wirtschaftsministerium und Wann sind wir bereit, hier in diesem Land zu handeln? für das Innenministerium. Offensichtlich muss man noch Es muss doch möglich sein, dass wir definieren, was in einmal darauf hinweisen, dass Tierschutz eine Quer- diesem Land für uns verbindlich gelten soll bzw. welche schnittsaufgabe ist. Normen und Regelungen wir uns hier geben wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nehmen Sie die Wählerinnen und Wähler ein einzi- ges Mal so ernst wie die Vertreter der Landwirtschaft Damit komme ich zu unseren Anträgen. Das erste und der Wirtschaftslobby! Das wäre sehr hilfreich. Beispiel ist das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln. Der Inhalt dieses Antrags ist schon mehrfach zur Spra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) che gekommen. Dabei geht es zunächst um das große Problem der Tierquälerei. Denn die 1,76 Millionen im- Trauen Sie den Menschen in diesem Land Urteilsvermö- portierten Vögel bedürfen eines Fangs von 3,5 Millionen gen zu! Dann würde es Ihnen vielleicht auch leichter fal- Tieren, weil die Hälfte der gefangenen Vögel schon im len, endlich das notwendige Verbandsklagerecht für Ursprungsland stirbt. Insofern ist das sowohl ein Tier- Tierschutzverbände einzuführen. schutzproblem als auch ein Artenschutzproblem. Auf die Es bleibt sehr viel zu tun. Der Handlungsbedarf reicht Zusammenhänge mit der Vogelgrippe ist bereits hinge- vom Schächten bis zu Tierversuchen. Das wissen wir. Es wiesen worden. ist bereits angesprochen worden. Der Sachverstand der (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann sind Tierschutzverbände würde Ihnen sicherlich dabei helfen, wir uns doch einig!) das Problem zu bewältigen. Dass sie sich bereits mit der Frage befasst haben, was im Rahmen der EU-Ratspräsi- – Wir sind uns einig. Das freut uns auch. Ich hätte es fast dentschaft auf europäischer Ebene zu tun ist, geht aus ei- vergessen, Herr Goldmann: Ich wollte mich bei Ihnen nem Memorandum hervor, das ich Ihnen, Herr Minister, für Ihre sehr sachliche und argumentative Rede bedan- gerne stellvertretend für andere Stellungnahmen der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7429

Undine Kurth (Quedlinburg) (A) Tierschutzorganisationen übergeben möchte. Denn wir Zweitens. Ein nationales Besitz- und Vermarktungs- (C) haben einen großen Handlungsbedarf. verbot im Hinblick auf alle Wildvögel, wie es im vorlie- genden Antrag gefordert wird, verstößt gegen geltendes Danke schön. EU-Recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drittens. Auf der Ebene der Europäischen Union gab sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und gibt es keine Mehrheit für ein generelles Verbot der Einfuhr von Wildvögeln. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Christoph Pries von Es gibt darüber hinaus einen aktuellen Anlass, warum der SPD-Fraktion. wir den Antrag ablehnen. Die Bundesregierung hat sich auf EU-Ebene sowohl im Rat der Agrarminister als auch (Beifall bei der SPD) im Rat der Umweltminister dafür eingesetzt, dass auf wissenschaftlicher Grundlage geprüft wird, ob und wie Christoph Pries (SPD): eine Verbesserung im Bereich des Wildvogelhandels er- Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen reicht werden kann. Im Auftrag der EU-Kommission hat und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Umweltpoliti- die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ker in der heutigen tierschutzpolitischen Debatte zum Ende Oktober dieses Jahres entsprechende Empfehlun- Thema Artenschutz – genauer gesagt: zum Wildvogel- gen ausgesprochen. Diese Empfehlungen sind inzwi- schutz – sprechen darf. Wir debattieren heute unter ande- schen in eine Entscheidungsvorlage der EU-Kommis- rem über den Antrag der drei Oppositionsfraktionen, in sion zur Neuregelung der Bestimmungen für den Import dem ein generelles Verbot des Imports von Wildvögeln von Wildvögeln eingeflossen, die spätestens im Frühjahr auf EU-Ebene gefordert wird. 2007 verabschiedet werden soll. Bis dahin gilt das EU- weite Importverbot. Die geplante Neuregelung wird zu Wir werden diesen Antrag ablehnen, obwohl ich der einer deutlichen Einschränkung der Wildvogelimporte in Auffassung bin, dass die Meinungsunterschiede beim die EU führen. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Arten- Thema Wildvogelschutz insgesamt nur sehr gering sind. schutz in den Ursprungsländern sowie zur Tiergesund- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann stellt heit und zum Tierschutz. doch Änderungsanträge!) Was sieht die Beschlussvorlage der Kommission zum Der beste Beleg für diese Behauptung ist, dass die FDP Wildvogelhandel vor? und die Linke gemeinsam einen Antrag eingebracht ha- Erstens. Der Handel mit Wildvögeln wird auf Zucht- ben. Das ist sonst eher die Ausnahme, Herr Goldmann. tiere beschränkt. Wildfänge dürfen in Zukunft nicht (B) (D) Ein weiterer Beleg ist, dass die Grünen, die jetzt ein mehr in die EU eingeführt werden. Gerade das Verbot EU-Verbot des Imports von Wildvögeln unterstützen, des Imports von Wildfängen ist meiner Ansicht nach ein erst nach dem Regierungswechsel 2005 ihre Meinung wesentlicher Fortschritt für den Artenschutz. Ich würde zur Umsetzbarkeit eines solchen Vorhabens geändert ha- mich freuen, wenn dieser Ansatz auch bei anderen Tier- ben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, arten, insbesondere bei Fischen und Reptilien, weiterver- in der gesamten Zeit, als das Landwirtschafts- und das folgt würde. Umweltministerium unter Ihrer Führung gestanden ha- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- ben, ist von Ihnen keine Initiative für ein Verbot des Im- Michael Goldmann [FDP]) ports von Wildvögeln ausgegangen. Ich verstehe Sie. Denn trotz aller Einigkeit im Grundsatz stellt sich die Bedauerlich ist, dass die EU-Kommission dieses Verbot Umsetzung eines EU-weiten Importverbotes als äußerst allein auf seuchenrechtliche Grundlagen gestützt hat. schwierig dar. Als Umweltpolitiker hätte ich mir hier eine stärkere Be- tonung artenschutzrechtlicher und artenschutzpolitischer Worin besteht Übereinstimmung? Welche Probleme Aspekte gewünscht. gibt es? Wir alle wollen nicht, dass sich gefährliche Krankheiten wie die Vogelgrippe über Wildvögelimporte Zweitens. Die nachgezüchteten Wildvögel dürfen nur nach Europa ausbreiten. Wir alle wollen nicht, dass aus zugelassenen Zuchtstationen in sicheren Drittländern Wildvögel auf dem Transport vom Ursprungsland nach importiert werden. Sichere Drittländer sind diejenigen Europa qualvoll zugrunde gehen. Wir alle wollen auch Staaten, aus denen auch Geflügel und Eier in die EU ein- nicht, dass zahlreiche Vogelarten durch die unkontrol- geführt werden dürfen. Aktuell sind dies Australien, lierte Entnahme von Wildfängen in ihrem Bestand ge- Neuseeland, Teile von Brasilien, Chile, die USA, Ka- fährdet werden. nada, Israel, Kroatien und die Schweiz. Das Problem ist die konkrete Umsetzung. Ich möchte Drittens. Andere Länder können die Aufnahme in die drei Aspekte ansprechen. Liste der zugelassenen Exportländer beantragen. Diese Länder müssen allerdings strenge Auflagen bezüglich Erstens. Die Forderung nach einem generellen Ein- der Tiergesundheit, der Bauweise der Zuchtstationen, fuhrverbot ist mit der Konvention über die biologische der kontinuierlichen tierärztlichen Überwachung und der Vielfalt nicht vereinbar. Die Grundsätze der Konvention Dokumentation erfüllen. verwehren den Ursprungsländern den Verkauf von Wild- tieren so lange nicht, wie dieser nachhaltig ist und sich Viertens. Durch Fußringe oder die Implantierung von am Vorsorgeprinzip orientiert. Mikrochips sowie eine entsprechende Dokumentation 7430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Christoph Pries (A) wird in Zukunft eine individuelle Identifizierung der Tierschutz ist unteilbar. Das heißt, artgerechte Tier- (C) Zuchtvögel gewährleistet. So soll sichergestellt werden, haltung ist sehr viel mehr, als nur über den Platzanspruch dass zwischen Wildfängen und Nachzuchten unterschie- von Tieren zu sprechen. Eine art- und rassengerechte den werden kann. Ernährung ist Voraussetzung für das Wohlbefinden von Tieren. Wir alle wissen, beide, Dackel und Bernhardiner, Ich bin mir durchaus bewusst, dass sich die Natur- sind Hunderassen. Gleichwohl wissen wir auch, die Fut- und Tierschutzverbände eine weiter gehende Regelung terportionen für den Dackel lassen den Bernhardiner ver- gewünscht hätten. Dennoch bin ich der Auffassung, dass hungern. Das leuchtet unmittelbar ein. Sehr ähnlich er- eine europaweite Lösung, die mit internationalem Recht geht es Tieren von Hochleistungsrassen, Hühnern oder vereinbar ist, einen ersten, aber wichtigen Fortschritt Kühen, wenn sie nach den Regelungen von Ökoverord- beim Artenschutz, im Bereich des Tierschutzes und bei nungen gefüttert werden. Für die Biomast – das müssen der Bekämpfung der Vogelgrippe darstellt. wir anerkennen – sind deshalb nur langsam wachsende Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wün- Tierrassen geeignet und nur diese dürfen dort gehalten sche Ihnen ein frohes Fest. Herzlichen Dank. werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Gustav Herzog [SPD]: Es ist blanke Ideolo- gie, was Sie verbreiten!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: – Wenn Sie eine Frage stellen wollen, Herr Kollege Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel Herzog, dann tun Sie das. – Schnell wachsende Tierras- Happach-Kasan, FDP-Fraktion. sen müssen entsprechend ihrem Nahrungsbedarf gefüt- tert werden. Alles andere ist Tierquälerei. Ansonsten ha- (Beifall bei der FDP) ben wir Mortalitätsraten zwischen 30 und 50 Prozent, was dem Tierschutz widerspricht. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): (Beifall bei der FDP) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tiere sind Mitgeschöpfe. Sie sind keine Objekte. Wir Der Energiegehalt sowie der Gehalt an Aminosäuren tragen Verantwortung insbesondere für die Tiere, die in im Futter von Schweinen und Geflügel müssen bedarfs- unserer Obhut sind. Aus diesem Grunde meine ich, dass gerecht sein. Deshalb ist es nicht entscheidend, ob Me- Tiere nicht auf den weihnachtlichen Gabentisch gehören. thionin von gentechnisch veränderten Organismen Wir haben für sie Verantwortung und dürfen sie nicht stammt, sondern es ist entscheidend, dass die Methionin- wie Sachen verschenken. Vielmehr müssen wir dafür versorgung ausreichend ist; denn Tierschutz hat Priorität und nicht die Bekämpfung der Gentechnik. (B) sorgen, dass es ihnen gut geht. (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der SPD) Es ist völlig überzogen, wenn unter dem Deckmantel Auch aus diesem Grunde hatte sich die FDP – lange und des Umweltschutzes für bekannte und sichere chemische inzwischen erfolgreich – für die Aufnahme des Tier- Stoffe komplizierte Prüfverfahren mit aufwendigen schutzes in die Verfassung eingesetzt. Tierversuchen gefordert werden, ohne dass ernsthafte Risiken abgeklärt werden müssen. Tiere leiden, aber ein Der Tierschutz ist unteilbar. Um jeden Quadratzenti- Gewinn an Sicherheit wird nicht erzielt. Tierversuche meter mehr Platz für Hühner wurde hier gekämpft. Das sind nur dann gerechtfertigt, wenn es um die biologi- hat die bisherige Debatte hauptsächlich bestimmt. Aber schen Leistungen eines ganzen Organismus geht. wie verhält es sich mit anderen Tieren? Zum Beispiel er- laubt die EU-Ökoverordnung die Anbindehaltung von (Beifall bei der FDP) Kühen bis 2010. Ist das eine tiergerechte Haltung von Impfen statt Töten ist ein Gebot des Tierschutzes. Im intelligenten Tieren wie beispielsweise Rindern? Wurde Zuge der Bekämpfung der Vogelgrippe sind bis jetzt nicht im Jahre 2003 die Anbindehaltung insbesondere 200 Millionen Tiere getötet worden. In Südkorea waren von Pferden verboten? Warum nicht auch bei Rindern? es in der vergangenen Woche 700 000 Tiere. Das erneute Warum, Frau Kollegin Bulling-Schröter, machen Sie Auftreten dieses Virus erinnert daran, dass wir noch nicht auch einmal Tierschutz vor Ihrer Haustür? Das lange mit der Vogelgrippe zu rechnen haben und dass die Ganze ist insbesondere in Bayern ein Problem. Entwicklung eines Markerimpfstoffes vordringlich ist, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der damit wir vorbeugend impfen können. SPD) (Beifall bei der FDP) Der bayerische Minister Miller kämpft dafür, dass die In Kassel-Witzenhausen wurde vor wenigen Monaten Anbindehaltung von Kühen beibehalten wird. Wir, Herr das Fachgebiet „Biologisch-dynamische Landwirt- Minister Seehofer, fordern Sie auf, dies nicht zuzulas- schaft“ ins Leben gerufen. Kaum ist die vormalige FDP- sen; denn dies widerspricht dem Tierschutzgedanken. Wissenschaftsministerin Ruth Wagner nicht mehr im Amt, wird dort biologisch-dynamischer Schabernack ge- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ trieben. „Erleuchtung durch die Gurke“ titelte der „Spie- DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling- gel“ seinen Bericht über den Fachbereich. Schröter [DIE LINKE] – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Da haben Sie Recht!) (Zuruf von der FDP: Das ist ja unerhört!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7431

Dr. Christel Happach-Kasan (A) Mehr Tierschutz erreichen wir nur Seit langem gilt das Wort: Gesundheit ist nichts, aber (C) ohne Gesundheit ist alles nichts. (Ulrich Kelber [SPD]: Durch ideologiefreie Rede im Bundestag!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) durch seriöse Agrarforschung, aber nicht durch Vergra- ben von Kuhhörnern zum Beispiel im Acker. Deswegen Dies gilt nicht nur für den Menschen, sondern vor allem fordere ich Sie auf, solchen Spuk zu beenden. auch für die von uns gehaltenen Tiere. Deshalb ist die im Frühjahr beschlossene Rechtsnorm zur Legehennenhal- (Beifall bei der FDP – Widerspruch beim tung in Kleingruppen ein wesentlicher Fortschritt im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vergleich zur Käfighaltung. Unsere deutsche Norm liegt Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die letzte bei weitem über dem Standard der EU-Mindestanforde- Debatte über den Tierschutz vor Weihnachten. Ich wün- rungen. sche Ihnen frohe Festtage. Tierschutz im Rahmen der Nutztierhaltung ist ab Ja- Vielen Dank. nuar 2007 ein wesentlicher Maßstab für die Gewährung von Beihilfen an landwirtschaftliche Betriebe. Sie ist (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Gegenstand von Cross-Compliance-Kontrollen. Tierge- Die ganze Rede von Herrn Goldmann entwer- sundheit ist die ausschlaggebende Größe für Leistungen tet!) von Tierbeständen und fordert als Maßstab eine artge- rechte und durch Wissenschaft begründete Haltung. Dies Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: darf und kann kein Tummelplatz von Ideologie und Ver- Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Hans-Heinrich klärung sein. Jordan, CDU/CSU-Fraktion. Mit der ab Januar 2007 gültigen Rechtsnorm zur Le- (Beifall bei der CDU/CSU) gehennenhaltung hat der Gesetzgeber Voraussetzungen geschaffen, dass durch die Sicherung der Wettbewerbs- Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU): fähigkeit mehr als 40 000 Arbeitsplätze bestandssicherer werden. Die Übergangsfrist von zwei Jahren, die die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Umrüstung bestehender Anlagen ermöglicht, bietet die Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei einem Chance, dem hohen Wettbewerbsdruck durch ausländi- Gespräch fragte mich vorhin ein Kollege etwas blauäu- sche, günstiger gestellte Anbieter auf dem europäischen gig: Warum wird diese Diskussion heute und nicht zu Markt standzuhalten. Wir wollen nicht durch neue For- Ostern geführt? (B) derungen Gefahren für Standorte heraufbeschwören. Es (D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE kann nicht rechtens sein, nach planwirtschaftlichen GRÜNEN]: Wegen der Weihnachtsgans!) Maßstäben Betriebsformen, Betriebsgrößen oder gar Ar- beitsplatzzahlen gesetzlich zu normieren. Wir haben Ich muss ehrlich sagen: Nach dem, was ich von Frau Vielfalt nicht nur in der Natur zu fördern, sondern auch Höhn gehört habe, hätte ich mir diese Debatte auch lie- in der Volkswirtschaft und in der Gesellschaft. Derartige ber zu Ostern gewünscht; denn dann hätte Frau Höhn Vorgaben sind nicht frei von Ideologie und ziehen unver- bereits gewusst, dass wir zum 1. Januar 2007 einige Ver- antwortliche Bürokratie nach sich. änderungen im Bereich der Batteriekäfighaltung vorge- nommen haben und dass bereits einiges auf dem Weg ist. Aus den Erfahrungen des letzten Winters mit der Vo- gelgrippe wird deutlich, dass ein sehr unterschiedliches (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gefahrenpotenzial in den verschiedenen Haltungsfor- Verschlechterungen!) men steckt. Unbestritten ist derzeit, dass auch deutlich Frau Höhn, es verbindet uns ja aber einiges mehr als das negative Aspekte bei der Freiland- und Bodenhaltung von mir eben Dargestellte. auftreten. Die heute anstehenden Vorlagen sind ein Ergebnis ei- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) ner langwierigen politischen Diskussion, die von ideolo- In Form von Kannibalismus und durch höheren Infek- gischen Vorurteilen, wissenschaftlichen Erkenntnissen tionsdruck werden sie von Wissenschaft und Praxis und vielen anderen Einsichten und Standpunkten geprägt nachgewiesen, zuletzt von der Hochschule für tierärztli- ist. Da kommen wir vielleicht zu dem, was uns eint, che Wissenschaften in Hannover. nämlich das Geschöpf in der Schöpfung zu ehren. Das in Art. 20 a des Grundgesetzes festgelegte Staatsziel ist Der mühsam errungene Kompromiss bei der Klein- unsere gemeinsame Richtschnur, Frau Höhn. Unsere Ge- voliere ist eine Alternative zur Tierhaltung in Großbe- sellschaft steht in der Verantwortung, die Vielfalt in un- ständen von bis zu 6 000 Stück in einer Gruppe bei der serer Flora und Fauna zu schützen und zu erhalten. Freiland- und Bodenhaltung. (Beifall bei der CDU/CSU – Lutz Heilmann (Beifall bei der CDU/CSU) [DIE LINKE]: Dann tun Sie das auch mal!) Kleine Gruppen von bis zu 30 oder 60 Stück in Volieren Dabei geht es nicht zuletzt darum, dass der Tierschutz sind gesundheitlich wesentlich weniger belastet. Das be- seine Voraussetzungen in der Gesundheit und in dem deutet geringeren Einsatz von Pharmaka und eine höhere Wohlbefinden unserer Tiere finden muss. Leistung. 7432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Hans-Heinrich Jordan (A) Das viel gelobte System der Schweiz zeigt, dass dort heit politischer Handlungsbedarf besteht. Die Europäi- (C) nur 50 Prozent des Eigenverbrauchs hochsubventioniert sche Kommission hat vor mehr als einem halben Jahr produziert werden und der Rest aus sonstiger Haltung angekündigt, bis zum Jahresende ein EU-Importverbot aus dem Ausland kommt. von Katzen- und Hundefellen umzusetzen. Dies ist ein- deutig ein weiter gehender Schritt, weil er die Chance (Kurt Segner [CDU/CSU]: Hört! Hört!) bietet, dass das Problem europaweit geregelt wird. Die Schweden war eines der ersten Länder mit Käfighal- CDU/CSU-Fraktion unterstützt diese europäische Initia- tungsverbot und machte nun eine Kehrtwendung von tive. 180 Grad auf die EU-Norm zu. Die Kommission hat am 20. November 2006 den Im- Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Die Klein- port- und Exportverkauf sowie das Verkaufsverbot von gruppe ist aus tierphysiologischer und tierpsychischer Katzen- und Hundefellen für die EU als Verordnung auf Sicht weniger stressbelastet. den Weg gebracht. Aus den genannten Gründen halte ich es für Wettbe- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Weil Däne- werbsverzerrung und irreführend, Eier und Eiprodukte mark es schon hatte! Das war der Grund!) aufgrund der Haltungsform qualitativ zu differenzieren. – Das ist doch positiv. – Dieses Vorgehen ist effizient (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das und richtig. Schon jetzt zeigen die Unterschiede – das ist stimmt!) das, was uns unterscheidet, Herr Goldmann – in den ein- zelstaatlichen Verboten eine Störung des europäischen Sie mögen schmunzeln: Ei ist Ei, ohne wissenschaftlich Binnenmarktes. Mit einem einheitlichen EU-Verbot der begründbaren herkunftsbezogenen Unterschied Vermarktung und des Handels mit Katzen- und Hunde- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fellen werden wir eine eindeutige Rechtslage und glei- NEN]: Millionen Hausfrauen wissen, dass das che Bedingungen in der Gemeinschaft schaffen sowie falsch ist!) unnötige Hindernisse im Binnenmarkt beseitigen. – das ist vielleicht aus Ihrer Sicht so – in der biologi- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Zusammensetzung und ernährungsphysiologi- Da wir einmal dabei sind, Herr Goldmann, noch ein schen Qualität. Wort an die Adresse der FDP, die den Antrag der Grünen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ja unterstützt. Sie pflegen das Bild, Weltmeister im Sie müssten mal Kuchen backen!) Bürokratieabbau zu sein. Wie oft wurde uns hier vor- geworfen, wir würden mit der Umsetzung von EU- (B) Wir stehen unzweideutig zum Verbraucherschutz. Das Richtlinien die Bürokratie noch weiter aufblühen lassen. (D) beinhaltet auch den Schutz vor Manipulation und Irre- führung. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ein von Ihnen gefordertes bzw. unterstütztes nationales der SPD) Gesetz zum Einfuhrverbot von Katzen- und Hundefel- len, welches in naher Zukunft ein Gesetz der EU nur Gesunde Tiere bringen gesunde Produkte und Tiere mit substituieren würde, bedeutet ein Vielfaches mehr an Wohlbefinden bringen hohe Leistung; Sie wissen das, Bürokratie. Herr Goldmann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die CDU/CSU-Fraktion ist angesichts der breiten Über- Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Not- einstimmung über alle Parteigrenzen hinweg sehr zuver- wendigkeit des Kampfes gegen Bürokratie sind wir uns sichtlich, dass das Europäische Parlament und der Rat alle einig. Ich kann mir praktisch nicht vorstellen, wie dem entsprechenden Verordnungsentwurf zügig zustim- bis zum letzten Produkt ein Nachweis der Haltungsform men werden. machbar sein soll. Sehr geehrte Damen und Herren, auch unter Würdi- (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ gung der Aspekte des Tierschutzes stimmen wir völlig DIE GRÜNEN]: Wie beim Rindfleisch! Da überein, dass die Einfuhr von Wildvögeln aus Nicht- geht es auch!) EU-Staaten uns zum Handeln zwingt. Die Gefahren der Einschleppung – Dies geht nur mit einem Höchstmaß an Belastung für den Erzeuger und für den Verbraucher. Deshalb kann man der Vorlage der Grünen zur Kennzeichnung von Ei- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: produkten keinesfalls zustimmen. Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr! (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU): Werte Kolleginnen und Kollegen, zum wiederholten – ja, ein paar Sekunden noch – von Wildtierkrankhei- Mal hat die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ei- ten stellen uns vor die Aufgabe, Maßnahmen einzuleiten. nen Gesetzesantrag zum Einfuhrverbot von Katzen- Wir sind sehr gut beraten, wenn wir auch hier den EU- und Hundefellen in den Deutschen Bundestag einge- Vorgaben und -Richtlinien folgen und die Initiative und bracht. Es ist völlig unstrittig, dass in dieser Angelegen- das gemeinsame Vorgehen seitens der EU unterstützen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7433

Dr. Hans-Heinrich Jordan (A) Als Letztes wünsche ich Ihnen alles Gute für Weih- Wenn man nicht mehr in Deutschland produziert, (C) nachten, ein gesundes neues Jahr und gute Zusammenar- dann muss man sich über die veränderten Bedingungen beit im Jahr 2007. bei der Hygiene im Klaren sein. Wenn man sich im Rah- men des Baselineverfahrens zum Salmonellenmonito- Herzlichen Dank. ring die Länder anschaut, in denen produziert wird, dann (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der muss man feststellen, dass in diesen Ländern zwischen FDP) 60 bis 80 Prozent aller Bestände hochgradig mit Salmo- nellen befallen sind.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ist es! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Das Problem haben wir hier aber auch!) Dr. Wilhelm Priesmeier, SPD-Fraktion. – Bei uns ist das auch ein Problem. – Aus dem Grunde (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gilt es, die Bedingungen der Tierhaltung in allen Hal- der CDU/CSU) tungssystemen im Hinblick auf die Gesundheit der Tiere zu harmonisieren und die entsprechende Forschung vo- Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): ranzutreiben. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Vom Bundesrat wurde ein Maßgabeschluss formu- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird liert; er wird von der Koalition unterstützt. Man kann wieder deutlich: Tierschutz verbindet mehr, als er trennt. hinterher zustimmen oder ablehnen. Dieser Beschluss Unserer ethischen Verantwortung sind wir uns alle be- besagt, dass gerade die Forschung in diesem Bereich wusst. Das Ziel, das wir erreichen wollen, haben alle in verstärkt werden muss. Das konnten wir zur Zeit der rot- diesem Hause fest im Blick; nur der Weg dorthin ist strit- grünen Regierung nicht umsetzen. tig. Es ist aber gut, dass man sich in einem Parlament über den Weg streitet; denn ein Streit bewirkt in der Re- Man kann jetzt einen Grundsatzstreit führen. Ich habe gel einen vernünftigen Kompromiss. dazu an gleicher Stelle schon eine Bemerkung gemacht. Das Problem der einen Haltungsform ist die einge- Unter diesem Aspekt sehe ich auch die Regelungen schränkte Bewegungsfähigkeit durch die Drahtkäfige. im Bereich der Hennenhaltung. Wir haben unendlich Das Problem der anderen Haltungsform heißt Kopropha- lange gestritten. Eigentlich hätten wir schon viel früher gie, das bedeutet, dass Hühner ihre Ausscheidungen einen Kompromiss erreichen können. Natürlich gibt es fressen. Damit gibt es in bestimmten Haltungsformen auch Stimmen, die von einem Rückschritt sprechen. auch ganz spezifische Risiken und Erkrankungen. Daher (B) (D) Aber ich glaube, mit unseren Regelungen liegt Deutsch- ist je nach Haltungssystem der Einsatz bestimmter Medi- land immer noch erheblich über dem EU-Standard. An- kamente notwendig. Im Bereich der Boden- und Frei- gesichts anderer Produktionsbedingungen – Stichwort landhaltung brauchen wir daneben ein extrem gutes Her- „Verbraucherschutz“ – ist die Herstellung von Eiproduk- denmanagement. ten bei uns weiterhin gesichert. Wenn man als einziges Kriterium für Tierschutz die Dass die Versorgung deutscher Haushalte mit Eiern Mortalität heranzieht, dann muss man Folgendes be- von Hennen aus Bodenhaltung oder aus Freilandhaltung achten: In den jetzigen Haltungssystemen und unter kon- gewährleistet ist, ist aufgrund der gegenwärtigen Ent- trollierten Bedingungen liegt die Mortalität bei 2 Pro- wicklung unstrittig. Angesichts der jetzigen Vorgaben zent, in den konventionellen Systemen zwischen 6 und kann man davon ausgehen, dass für die etwa 30 Prozent 8 Prozent. Bei der Boden- und Freilandhaltung kann sie der Hennen, die jetzt noch in den alten Käfigsystemen im Regelfall zwischen 12 und 18 Prozent betragen. gehalten werden, das ab 1. Januar 2007 nicht mehr der (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fall sein wird, weil diese Systeme ab diesem Zeitpunkt Kann!) verboten sind. Wir werden uns relativ schnell dem Ziel nähern, 50 Prozent der Hennen in Bodenhaltung zu ha- – Betragen kann und es auch tut. Schauen Sie sich die ben. Verlustzahlen an! Sie sind abhängig von der Größe und dem Management. Wenn wir uns die Entwicklung in diesem Bereich an- schauen, dann erkennen wir, dass von 1990 bis 2005 der Wenn wir demnächst nur noch Hühner in Freilandhal- Hennenbestand in Deutschland von 53 Millionen auf tung in Größenordnungen von bis zu 5 000 Hennen pro- 36 Millionen gesunken ist. Das hat natürlich Gründe. duzieren wollen, soll das in Ordnung sein. Rechnen Sie Der Selbstversorgungsgrad hat sich in allen Bereichen sich einmal die Zahl der Betriebe aus, die wir brauchen, der Produktion von fast 100 Prozent auf 70 Prozent ver- um unter optimalen Managementbedingungen zu produ- ringert. zieren. Das wäre wünschenswert, ist aber nicht real. (Zuruf der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ Das System der Freilandhaltung oder auch der Bo- DIE GRÜNEN]) denhaltung bedingt natürlich einen erheblichen tier- schutzrelevanten Eingriff an dem jeweiligen Huhn. Das – Frau Höfken, Sie können gerne eine Zwischenfrage heißt, ich muss dem Huhn einen Tastsinn rauben. Dieser stellen. Aber ich möchte Sie bitten, ansonsten nicht da- ist im Oberschnabel und im Unterschnabel beheimatet. zwischenzureden. Damit kann das Huhn Partikel in der Größenordnung 7434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Wilhelm Priesmeier (A) von 0,2 Millimeter sortieren. Das kann es, wenn ich sei- Sie mit mir der Auffassung, dass erstens die bisherige (C) nen Schnabel gekürzt habe, nicht mehr. Dieses Schna- Politik in diesem Bereich dazu geführt hat, dass der ge- belkürzen ist in dem System, so wie es jetzt ausgestalte- samte Wirtschaftsbereich inzwischen nicht mehr in den tet ist, nachweislich nicht notwendig. Das heißt, dass Händen der bäuerlichen Geflügelhaltung ist, sondern unter diesen Voraussetzungen eine Abwägung vorzuneh- ausschließlich in den Händen einer Industrie mit sehr men ist, was tierschutzgerechter ist und in welcher Hal- wenigen Arbeitsplätzen und höchster Konzentration im tung Tiere in ihrer Empfindung besonders beeinträchtigt gewerblichen und industriellen Bereich, dass zweitens werden. Ob die Möglichkeit des Flatterns gegeben sein die Verlustzahlen, die Sie erwähnen, zwar durchaus muss oder nicht, darüber streitet sich die Wissenschaft möglich sind, in gut geführten Betrieben aber nicht auf- natürlich weiterhin. treten, und dass es drittens gut wäre, wenn Sie dafür sor- gen würden, dass es in diesem Bereich intensive Res- Wer sich zum Beispiel die Umweltbelastungen ver- sortforschung gibt, um zum Beispiel in der Züchtung zu schiedener Produktionsformen anschaut, erkennt ganz erreichen, dass es im Sinne von umwelt- und tiergerech- klar, dass es erhebliche Unterschiede gibt. Das hat natür- ten Formen bessere Rassen gibt? lich mit Genehmigungsprozeduren und -verfahren und auch damit zu tun, dass man nicht einfach von der Käfig- Ich denke aber auch an die Wettbewerbsfähigkeit. haltung auf die Bodenhaltung umstellen kann. Wer das Es könnte ein deutlicher Wettbewerbsvorteil für die hei- versucht, hat aufgrund emissionsschutzrechtlicher Be- mische Wirtschaft sein, tiergerecht zu produzieren, statt stimmungen unter Umständen das große Problem, in ei- im Gegenzug – das tun Sie jetzt offensichtlich – ausge- nem angemessenen Zeitraum eine Genehmigung dafür staltete Käfige, die bei allen Berechnungen, die man an- zu bekommen. Das ist unbestritten so. Dies ist und war stellen kann, überhaupt nicht mit der Käfighaltung in in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen so. Dies Drittländern wettbewerbsfähig sind, zur Norm zu ma- gilt auch für andere Bundesländer. chen. Damit verspielen Sie einerseits den Tierschutz und die Chance, die sich daraus bietet, und schädigen ande- Aus diesem Grunde sollte man eine sorgfältige Abwä- rerseits den Wettbewerbsstandort. gung vornehmen. Ich glaube, dass das in Form des ge- genwärtigen Kompromisses auch passiert ist. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Vergleichen wir einmal die Flächenvorgaben. Beim Frau Kollegin, Ihrer ersten Feststellung stimme ich alten System ist pro Henne quasi eine Fläche eines DIN- zu. Nennen Sie mir ein Land, in dem in entsprechender A4-Blattes vorgesehen. Dieses System ist ab 2007 nur Größenordnung Eier produziert werden, wo das nicht so noch aufgrund einer Übergangsregelung und mit der de- ist und wo die Politik vor Ort eine entsprechende Ent- finitiven Erklärung darüber zu betreiben, was ich als wicklung verhindert hat. Ich kenne keines. Das gilt so- (B) Hühnerhalter bis 2008 tun will. Wenn ich dies nicht tue, wohl für die USA als auch für unsere benachbarten Län- (D) muss ich die Hühnerhaltung aufgeben. Das ist zwingend; der Holland und Belgien. Von idealen Strukturen daran führt kein Weg vorbei. Im Hinblick auf die nor- träumen kann man. male Bodenhaltung, bei der circa 800 Quadratzentimeter pro Huhn und pro Quadratmeter neun Hennen festgelegt Unter bestimmten Bedingungen kann man sich eigene worden sind, kann sich jeder Folgendes ausrechnen: Das Vermarktungssysteme schaffen, in denen man eine hö- sind pro Huhn etwa 1 100 Quadratzentimeter. Wenn ich here Wertschöpfung erzielen kann. Dann kann man auch dann im Rahmen von Bodenhaltungssystemen Etagen- mit kleineren Systemen zurechtkommen. Betriebe und systeme habe, liege ich bei 18 Hennen pro Quadratmeter Unternehmen aus dem ökologischen Bereich können pro Huhn bei einer Fläche von 555 Quadratzentimetern. Märkte schaffen, die vom Verbraucher honoriert werden. Vergleicht man das mit dem alten System, sieht man, Wenn das geschieht, ist das sehr lobenswert. Das muss dass die Differenz nicht mehr allzu groß ist. nachhaltig unterstützt werden. Zur zweiten Frage. Sie haben gar nicht zugehört. Ich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: habe gesagt, dass der Maßgabebeschluss die Vorgabe Herr Kollege, die vorhin von Ihnen erwähnte Kolle- enthält – wenn Sie ihn gelesen hätten, wüssten Sie das –, gin Höfken würde jetzt gerne eine Zwischenfrage stel- bezüglich aller Systeme vermehrte Forschung zu betrei- len. ben. Diese Vorgabe wird ja auch zwingend umgesetzt. Fragen Sie doch den Herrn Minister. Er hat große An- strengungen unternommen, um die Forschung, insbeson- Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): dere im Zusammenhang mit dem so genannten Tier- Gerne. Ich freue mich schon. schutz-TÜV, voranzutreiben. Wir werden schauen, wie (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wilhelm, das weitergeht. Ich freue mich schon auf die Ergebnisse. der ICE geht um 13.48 Uhr!) (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das werden wir ja sehen!) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich hoffe, dass wir diese Ergebnisse nach Europa tragen Ich weiß, dass alle nach Hause wollen. – Nachdem können; denn ich halte das für ein System, das sich euro- ich mir das alles angehört habe, möchte ich trotzdem paweit gut etablieren ließe. feststellen: Ich habe ein Plädoyer dafür gehört, dass möglichst alles so bleibt, wie es einmal unter der Käfig- (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann haltung war. Ich will Ihnen folgende Frage stellen: Sind [FDP]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7435

Dr. Wilhelm Priesmeier (A) Zum dritten Punkt. Sie liegen mit Ihrer Vermutung Dieses Urteil ist zunächst einmal zu akzeptieren. Auf (C) falsch. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, die Sys- die Begründung und auf die Auswertung müssen wir war- teme nicht als Gegensätze zu diskutieren. Wir müssen ten. Aber es ist nicht zweckdienlich, dieses Urteil zu in- die wissenschaftliche Erkenntnis berücksichtigen und strumentalisieren. Wenn es notwendig ist, werden wir die dürfen nicht emotional, aus dem Bauch heraus, diskutie- gesetzlichen Möglichkeiten im Rahmen des Tierschutz- ren. Wir müssen Systeme auf der Basis von Indikatoren gesetzes nutzen, um den Vorgang des Schächtens in einer – was ist tierschutzgerecht und was ist weniger tier- Art und Weise zu regeln, die den Verfassungsnormen schutzgerecht? – entwickeln. Wir müssen dafür sorgen, entspricht, aber natürlich auch den Normen, die wir übli- dass in Zukunft nur noch tierschutzgerechte Systeme zu- cherweise an den Umgang mit Tieren stellen. Dieses gelassen werden. Das ist Konsens und entspricht der Spannungsfeld müssen wir mit einer entsprechenden Re- Ausrichtung des Maßgabebeschlusses; denn ab 2010 gelung lösen. Ich glaube, das wird uns gelingen. wird es – das ist hervorragend – einen Tierschutz-TÜV Noch einmal eine kurze Bemerkung zu dem, über das geben, ab 2012 wird es nur noch zugelassene Haltungs- hier heute Morgen schon diskutiert wurde: Wildtiere in systeme geben und ab 2020 überhaupt kein System Zirkussen. Die Anhörung dazu haben wir bereits durch- mehr, das nicht zugelassen ist. Das ist ein Erfolg, mit geführt. Die Schlussfolgerungen daraus müssen noch ge- dem wir in der EU an der Spitze stehen. Das werden Sie, zogen werden. Bei über 1 000 Verstößen zwischen 2000 Frau Kollegin, doch wohl nicht bezweifeln, oder? und 2002 fordere ich, dass die Leitlinien zumindest in (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike eine Verordnung umgewandelt werden, dass das Zirkus- Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: register uns entsprechend schnell zur Verfügung gestellt Doch!) wird und dass Zirkusse nur noch dann Wildtiere beher- bergen dürfen, wenn sie eine dauerhafte Betreuung Ich fahre mit meiner Rede fort, auch wenn der ICE durch Fachtierärzte und damit entsprechende Standards des Kollegen Goldmann um 13.13 Uhr abfährt. Das tut nachweisen. Für andere Verfahren, zum Beispiel Ersatz- mir Leid. vornahmen und Wegnahmen, müssen wir eine Regelung mit den Ländern finden. Ich glaube, dann können wir (Hans-Michael Goldmann [FDP]: 13.48 Uhr! diesen Bereich etwas beruhigen. Mensch, hör auf!) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!) – Sie werden den Weihnachtsmann nicht verpassen, Herr Kollege Goldmann, da bin ich mir ganz sicher. Wie alle anderen, meine lieben Kolleginnen und Kol- legen, danke auch ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Es gäbe sicherlich noch einiges zu bemerken, zum All den guten Wünschen, die von den anderen Kollegen, Beispiel zu dem Normenkontrollverfahren, das von (B) die heute Morgen gesprochen haben, geäußert wurden, (D) Rheinland-Pfalz angestrebt wird. Das ist ein abstraktes schließe ich mich an, vor allen Dingen denen in Bezug Verfahren. Es bezieht sich nicht auf die Verankerung des auf Weihnachten und Neujahr. Hinsichtlich der Ge- Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz; in ihm wer- schenke, Frau Höhn, handhabe ich es wie folgt: Ich habe den zunächst Verfahrensmängel gerügt und es bezieht meinem Hund, sozusagen als Geschenk für die Tiere, sich inhaltlich auf § 2 des Tierschutzgesetzes, der schon schon vor einiger Zeit einen grünen Knochen geschenkt Grundlage des Urteils zur Hennenhaltung war. Das ist zu und daran kaut er noch heute. prüfen. Es ist jeder Landesregierung vorbehalten, ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht in Anspruch zu Danke schön. nehmen. Aus Respekt vor unserem Grundgesetz übe ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten daran auch keine Kritik. Über den Zeitpunkt kann man der CDU/CSU) zwar streiten, das lasse ich jetzt aber einmal dahinge- stellt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: In Rheinland-Pfalz werden immerhin 613 000 Hühner Ich schließe die Aussprache. gehalten; sprich: 1,7 Prozent aller Hühner in Deutsch- land. 70 Prozent davon werden in Käfigen gehalten. An- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf gesichts dessen ist sicherlich noch einiges zu tun. Drucksache 16/3703 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Wichtig ist mir vor allen Dingen Folgendes. Ich verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung möchte Sie bitten, ein bisschen aufmerksam zu sein. Viele so beschlossen. von Ihnen werden im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Schächten von hoch Tagesordnungspunkt 22 b. Wir kommen zur Be- motivierten Bürgerinnen und Bürgern E-Mails erhalten ha- schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, ben. Sie werden aber auch einige E-Mails erhalten haben Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache – sie stehen im Zusammenhang mit einer Kampagne –, die 16/1463. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- ganz klar einen antisemitischen oder antiislamischen schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Hintergrund haben. Davon sollten wir uns hier ganz klar tion Die Linke auf Drucksache 16/1128 mit dem Titel und deutlich distanzieren. „Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung in Deutschland sichern – Verbot der Käfighaltung ab 2007 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be- GRÜNEN) schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen 7436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) der SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Grü- Berichterstattung: (C) nen und Gegenstimmen der Linken angenommen. Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen (Wiesloch) Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt Marina Schuster der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Dr. Norman Paech des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/839 Kerstin Müller (Köln) mit dem Titel „Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab 2007 beibehalten“. Wer stimmt für diese Beschluss- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – gemäß § 96 der Geschäftsordnung Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von – Drucksache 16/3846 – Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Berichterstattung: Die Linke angenommen. Abgeordnete Herbert Frankenhauser Tagesordnungspunkt 22 c. Beschlussempfehlung des Lothar Mark Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Jürgen Koppelin cherschutz auf Drucksache 16/1464 zu dem Antrag der Michael Leutert Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache Alexander Bonde 16/550 mit dem Titel „Tierschutzpolitik energisch fort- Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussemp- führen und weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt fehlung später namentlich abstimmen werden. in seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Tier- schutzberichtes 2005 auf Drucksache 15/5405, den An- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die trag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Aussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. – Ich lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des gin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion. Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Brunhilde Irber (SPD): Tagesordnungspunkt 22 d. Der Ausschuss für Ernäh- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt Kollegen! Die humanitäre Katastrophe im sudanesischen in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2849 Darfur ist ein afrikanisches, aber auch ein weltpoliti- die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der FDP, Die sches Armutszeugnis. Am vergangenen Dienstag hat (B) Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- Kofi Annan in einer Dringlichkeitssitzung des UN- (D) sache 16/1502 mit dem Titel „Verbot der Einfuhr von Menschenrechtsrates in Genf noch einmal dazu aufge- Wildvögeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- rufen, der Gewalt in Darfur endlich ein Ende zu setzen. lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be- Wir alle wissen: Es ist eigentlich schon fünf nach zwölf. schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition Letzten Mittwoch hat der Menschenrechtsrat erstmals bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. seit seiner Gründung eine einstimmige Sudanresolution Tagesordnungspunkt 22 e. In seiner Beschlussemp- verabschiedet, die der algerische Botschafter als Hoff- fehlung auf Drucksache 16/3079 empfiehlt der Aus- nung für Afrika bezeichnet hat. Danach wird eine hoch- schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- rangige UN-Delegation die Lage vor Ort unabhängig schutz die Ablehnung des Antrags der Fraktion des untersuchen und auf der vierten Sitzung des Menschen- Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/841 mit rechtsrats im März 2007 Bericht erstatten. Wir haben dem Titel „Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle“. uns freilich mehr von den Beratungen des Rates erwar- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer tet. Trotzdem müssen wir festhalten: Wenigstens die stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- schon lange geforderte Kommission wird installiert. fehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Es bleibt die Frage, ob Khartoum der Überleitung von AMIS in eine VN-Mission – so wie es der VN-Sicher- Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: heitsrat in seiner Resolution 1706 vorsieht – doch noch zustimmen wird. Derzeit steht ja auch eine „Hybrid- – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- truppe“ aus UN und AU zur Diskussion. Immerhin ist richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- das ein Schritt in die richtige Richtung. schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Wir müssen uns heute aber mit dem beschäftigen, was Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut- derzeit politisch möglich und praktisch vor Ort umsetz- scher Streitkräfte zur Unterstützung der bar ist: Das ist die Peacekeeping-Mission „AMIS“ der Überwachungsmission AMIS der Afrikani- Afrikanischen Union, deren Verstärkung dringend gebo- schen Union (AU) in der Region Darfur/Sudan ten ist. Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestages auf Grundlage der Resolutionen 1556 (2004) vom 3. Dezember 2004 beteiligt sich die Bundeswehr an und 1564 (2004) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. Sep- der AU-Mission. Es geht dabei um logistische Hilfe und tember 2004 insbesondere um den Lufttransport der AU-Soldaten. Unsere Soldaten leisten hervorragende Arbeit. Ihnen – Drucksachen 16/3652, 16/3845 – gelten unser Respekt und unsere Anerkennung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7437

Brunhilde Irber (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (C) der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Ich bin der Meinung, die Situation vor Ort verpflichtet SES 90/DIE GRÜNEN) dazu. Frau Irber hat gerade ausgeführt, wie die Lage vor Diese jetzt zur Entscheidung anstehende Unterstüt- Ort ist. Die AU-Mission soll das Waffenstillstandsab- zung der AU-Mission dürfte wohl kaum in der Kritik kommen überwachen. Aber es gibt keinen Waffenstill- stehen. Sie ist die konsequente Fortsetzung des Einsatzes stand, geschweige denn eine Entwaffnung. Vielmehr unter den gleichen völkerrechtlichen Bedingungen wie kommt es auf allen Seiten zu einer Bewaffnung. Die bisher. Der Einsatz von bis zu 200 Soldaten wird für ei- Konfliktlage ist unüberschaubar und es gibt kein wir- nen Zeitraum von sechs Monaten 800 000 Euro kosten. kungsvolles Darfur Peace Agreement. Wenn dieser bescheidene Beitrag dazu führt, dass der Dass die AU nicht sehr stark sein kann, liegt sowohl Auftrag der AU-Soldaten auch im Hinblick auf humani- am Mandat selbst als auch an seiner mangelhaften Aus- täre Hilfsleistungen erfüllt werden kann, dann hat er sich stattung. Heute schützt die AU die Region vor dem gelohnt. Dass wir uns insgesamt eine in Wirkung und freien Fall. Aber sie wird in zunehmendem Maße auch Ausrüstung verbesserte AU-Mission wünschen, steht da- selbst zum Ziel von Angriffen. Dabei handelt es sich bei außer Frage. Ziel ist und bleibt es, den Friedenspro- auch um Angriffe verzweifelter Menschen, die sich nicht zess im Sudan zu fördern. ausreichend beschützt fühlen. Ich frage: Was bedeutet Das Darfur Peace Agreement und die AU-Mission das eigentlich sowohl für die Menschen vor Ort als auch sind wichtige Bestandteile dieses Prozesses. Deshalb für uns im Hinblick auf das African-Ownership-Kon- stimmt meine Fraktion dem vorliegenden Antrag zu. Die zept, das gleich bei seiner ersten großen Bewährungs- AU-Mission braucht unsere Unterstützung. probe Gefahr läuft, diskreditiert zu werden? Im Kongo war es uns möglich, trotz aller Risiken da- Wie dringend der Handlungsbedarf nicht nur deswe- bei zu helfen, den Start in eine hoffnungsvollere Zukunft gen ist, zeigt auch ein Blick in die Region. Denn am zu wagen. Wir hoffen, dass dies auch im Sudan gelingt. Horn von Afrika, in Somalia, droht zwischen der Über- Es bedarf allerdings enormer Kraftanstrengungen aller gangsregierung und den islamischen Gerichtshöfen ein Interessengruppen, um für die Konfliktherde in den un- Stellvertreterkrieg von einem Ausmaß, das wir über- terschiedlichen Regionen tragfähige Lösungen zu erzie- haupt noch nicht auf dem Schirm haben. len. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!) In der letzten Woche hatte ich im Sudan die Gelegen- Ich war in der letzten Woche in Addis und kann Ihnen heit, mit Vertretern aus Darfur und Khartoum zu spre- berichten. chen. Alle meine Gesprächspartner drückten ihre Hoff- (B) Im Westen des Sudans greift der Darfurkonflikt längst (D) nung aus, dass sich auch jene wieder am Dialog auf den Tschad und auf die Zentralafrikanische Republik beteiligen, die dem Darfur Peace Agreement bislang über. Wir reden hier über nicht weniger als über die dro- nicht zugestimmt haben. hende Destabilisierung einer ganzen bedeutenden Re- Deutschland genießt im Sudan einen guten Ruf. Es gion. wäre zu überlegen, ob die Bundesregierung im Rahmen In den Gesprächen, die ich im Rahmen der African der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands eine entspre- Union in Addis geführt habe, wurde deutlich: Wir brau- chende Initiative startet. Wir brauchen mehr diploma- chen einen regionalen Ansatz, wenn wir dort dauerhaft tische Initiativen, um den Friedensprozess im Sudan zu für Stabilität sorgen wollen. Das zweite klare Votum fördern. Viele Zahnräder müssen ineinander greifen, da- war: Neben der dringenden Herstellung der Sicherheit mit sich im Sudan stabile Verhältnisse entwickeln kön- für die Menschen brauchen wir ein Darfur Peace Agree- nen. Die AU-Mission ist eines davon. Deshalb sollte der ment, das von allen Parteien getragen und implementiert Antrag der Bundesregierung von einer großen Mehrheit wird. dieses Hauses getragen werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber wie bringen wir die Verhandlungspartner wieder der CDU/CSU und des Abg. Winfried an einen Tisch? Wie will die Bundesregierung hier im Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rahmen ihrer Doppelpräsidentschaft tätig werden? Staatsminister Erler hat gestern im Auswärtigen Aus- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schuss einen kenntnisreichen Bericht zur Lage in Darfur Nächste Rednerin ist die Kollegin Marina Schuster, abgegeben. Aber im Kern lief dieser Bericht darauf hi- FDP-Fraktion. naus, dass Deutschland weder direkt auf Khartoum noch auf die Rebellengruppen entscheidenden direkten Ein- (Beifall bei der FDP) fluss ausüben kann. Aber was tut die Bundesregierung dann? Marina Schuster (FDP): Die kritische Frage, die Herr Erler nicht beantwortet Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hat, ist: Wie nehmen wir China in die Verantwortung? Gleich vorweg: Meine Fraktion wird dem vorliegenden Denn China hat einen beachtlichen Einfluss auf Khar- Antrag der Bundesregierung zustimmen. toum. Bei meinem Besuch im Außenministerium in 7438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Marina Schuster (A) Khartoum sagte man mir: „China is our friend for deca- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) des.“ Das ist für uns nicht neu: China deckt 9 Prozent Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des seiner Ölimporte aus dem Sudan. China ist der größte In- Kollegen von Klaeden? vestor und versorgt die sudanesische Regierung mit De- visen, Personal, Krediten – und wohl auch direkt mit Marina Schuster (FDP): Waffen. Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung in Gerne. der Darfurfrage auf China direkt Einfluss nimmt. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Eckart von Klaeden (CDU/CSU): DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt, SPD) wie sich Mitglieder der Bundesregierung zu einem Ein- satz in Darfur geäußert haben, und versucht, daraus ei- Welchen Einfluss möchte Deutschland nehmen, wenn nen Widerspruch abzuleiten. Da würde mich interessie- es darum geht, Druck auf die Konfliktparteien auszu- ren, wie die Haltung der FDP dazu ist. üben? Herr Jung, ich möchte wissen: Unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag, eine Flugverbotszone Marina Schuster (FDP): einzurichten, um zu unterbinden, dass sudanesische Ich danke ganz herzlich für Ihre Frage, weil sie mir Antonows die eigenen Dörfer unter Feuer nehmen? Oder eine gute Gelegenheit gibt, darauf einzugehen. Die Sa- sollte ich besser fragen, wer in der Bundesregierung die- che ist die: Wir entscheiden heute über die Verlängerung sen Vorschlag unterstützt. des Mandats zur Unterstützung von AMIS. Wenn die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bundesregierung einen Darfurantrag vorlegt, werden wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über ihn in unserer Fraktion ausgiebig und ausführlich beraten. Erleben wir in dieser Frage erneut, wie bereits in der (Gernot Erler [SPD]: Sehen Sie! Genau so ma- Vergangenheit, komplett verschiedene Meinungen? Im chen wir es auch!) „Morgenmagazin“ vom 28. November sagte der Vertei- digungsminister, dass sich deutsche Truppen einer Ver- Doch eine solche Entscheidung steht jetzt nicht an. antwortung nicht entziehen werden. (Beifall bei der FDP) (Dirk Niebel [FDP]: Angebotspolitiker!) Der Punkt ist einfach der: Wir wollen nicht nacheifern mit einer Militärangebotspolitik. Wenn ein Antrag für Der Außenminister wurde in der „Frankfurter Rund- ein entsprechendes Mandat vorliegt, werden wir weiter- (B) schau“ am gleichen Tag wie folgt zitiert: sehen. Im Moment geht es aber darum, das AMIS-Man- (D) Die Entsendung europäischer Kampftruppen in den dat um ein halbes Jahr zu verlängern. Ob wir uns das Darfur sehe ich jedoch nicht: Dass nur sie das errei- wünschen oder nicht, dieser Antrag liegt heute vor. chen können, was afrikanische Truppen bislang (Beifall bei der FDP) nicht geschafft haben, ist eine gefährliche und, wie ich finde, auch arrogante Illusion. Ich komme zur letzten grundsätzlichen Bemerkung. Welche Pläne hat die Bundesregierung für die langfris- (Beifall bei der FDP) tige Zusammenarbeit mit der AU beim direkten Aufbau der Strukturen in Addis? Ich meine, wir können im Be- Ich frage angesichts dieser Statements: Was ist Ihre reich der Ausbildung und auch durch Know-how-Trans- Strategie? Einigkeit herrscht bei Ihnen nicht. Leider fer beim Aufbau der Strukturen vor Ort wichtige Arbeit herrscht auch international keine Einigkeit. Wenn wir leisten. Die langfristige, über AMIS hinausgehende Per- heute mit Nachdruck ein entschlossenes Handeln der in- spektive liegt mir besonders am Herzen. Denn eine stra- ternationalen Gemeinschaft fordern, dann weil hier noch tegische und konzertierte Afrikapolitik, die endlich AA, nicht alles getan wurde, gerade politisch. Wir wissen na- BMZ, BMVg und auch das BMWi stringent umfasst, türlich, dass es unter den P5 im Sicherheitsrat in den ent- fehlt bis heute – und diese sollte die Kanzlerin nicht scheidenden Fragen auch keinen Interessenausgleich Herrn Jung überlassen. gibt. Doch die unermessliche Katastrophe in Darfur ver- pflichtet uns alle an einem Strang zu ziehen, die wir uns (Beifall bei der FDP) auf die Achtung der Menschenwürde und das friedliche Zusammenleben der Völker verständigt haben. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Erlauben Sie mir am Ende zwei grundsätzliche Be- Dr. Franz Josef Jung. merkungen, die die langfristige Strategie betreffen. Ich begrüße ausgesprochen, dass die Kanzlerin Afrika auf (Beifall bei der CDU/CSU) die Agenda unserer G-8-Präsidentschaft gesetzt hat. Doch wie passt das zur Ausstattung unserer Botschaften Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- in Afrika? Wie sollen unsere Botschaftsangehörigen die gung: Arbeit vor Ort leisten bei einer Personalausstattung, die Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und von den chinesischen Botschaften um ein Vielfaches Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bitten Sie übertroffen wird? heute um die Verlängerung des Einsatzes bewaffneter Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7439

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwa- tionen fortgesetzt werden und dass effektive Hilfe ge- (C) chungsmission AMIS der Afrikanischen Union in Dar- leistet werden kann. Der Prozess muss aber weiterhin ein fur/Sudan. afrikanisches Gesicht behalten. Das ist wichtig bei der Umsetzung, um zu einer Stabilisierung durch eine solche Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt, Mission zu kommen. dass es zum Thema Afrika keine Strategie geben würde. Ich will Sie nur daran erinnern, dass wir in diesem Jahr Wie ich vor dem Deutschen Bundestag vorgetragen vonseiten der Europäischen Union unter großer Beteili- habe, hatten wir in einigen Ländern der Vereinten Natio- gung deutscher Streitkräfte einen, wie ich finde, sehr nen teilweise nur eine Mandatsverlängerung von wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Afrika geleistet 14 Tagen, um entsprechenden Druck auszuüben. Um haben, indem wir die Durchführung demokratischer keine Lücke entstehen zu lassen, hat der Friedens- und Wahlen im Kongo unterstützt haben. Unsere Soldatin- Sicherheitsrat der Afrikanischen Union am 30. No- nen und Soldaten werden rechtzeitig zu Weihnachten vember entschieden, das Mandat für die Mission AMIS wieder nach Hause kommen. bis zum 30. Juni 2007 zu verlängern. Ich denke, es ist richtig, dass eine solche Verlängerung erfolgt; denn so (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE kann wenigstens in gewisser Weise vermieden werden, GRÜNEN – Marina Schuster [FDP]: Das ist dass ein Machtvakuum entsteht. kein Konzept! – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Die Verlängerung dieser Mission wird meiner Mei- Jetzt weiß ich, was Sie unter Strategie verste- nung nach einer weiteren Stabilisierung dienen. Aber ich hen!) glaube, dass sie nicht ausreichen wird. Die Bemühungen Das Mandat vom 17. November 2004 betreffend Dar- der Vereinten Nationen müssen auch weiterhin unter- fur/Sudan sieht Lufttransport einschließlich Bewachung stützt werden, um zu einem effektiveren Mandat zu und Eigensicherung sowie Unterstützungskräfte mit ei- kommen. Es ist aber auch notwendig – ich glaube, auch nem Personalumfang von maximal 200 Soldaten vor. darauf muss man hinweisen; Sie haben das angedeutet –, Der Bundestag hatte am 25. Mai 2006 beschlossen, den den Willen der Konfliktparteien, ihren Beitrag zur Be- Einsatz bis zum 2. Dezember 2006 fortzusetzen. Das friedung Darfurs zu leisten, zu fördern, damit es zu einer Bundeskabinett hat, wie Sie wissen, zwischenzeitlich Verbesserung der Situation kommt. In Darfur sind be- entschieden, dass der Einsatz fortgesetzt werden soll. reits 200 000 Menschen ums Leben gekommen, es gibt Heute kommt es darauf an, dass der Deutsche Bundestag Millionen von Flüchtlingen. Ich glaube, deshalb ist es dem zustimmt, um eine entsprechende Verlängerung zu notwendig, hier eine zusätzliche Stabilisierung zu errei- (B) bewirken. chen. (D) Teilweise ist nur wenig bekannt – ich habe zumindest Aufgrund der von mir beschriebenen Lage ist es er- diesen Eindruck –, auf welche Art Unterstützung ge- forderlich, dass wir dieses Mandat jetzt verlängern. Der- leistet wird. Militärbeobachtung und Militärberatung zeit gibt es nämlich keine Alternative dazu, dass wir die habe ich gerade schon angesprochen. Im Mai dieses Jah- Bemühungen der Vereinten Nationen in der von mir ge- res haben wir die Rotation eines gambischen Kontin- rade angedeuteten Hinsicht unterstützen. Wir schöpfen gents durchgeführt und haben im Dezember zusammen alle Möglichkeiten aus, um den Menschen in Not zu hel- mit unseren französischen Freunden den Transport eines fen und dazu beizutragen, dass es zu einer friedlichen senegalesischen und eines weiteren gambischen Kontin- und stabileren Entwicklung in dieser Region kommt. gents gewährleistet. In diesem Prozess haben wir der Afrikanischen Union Unterstützung geleistet. Ich denke, durch dieses Mandat, das wir heute verlän- gern wollen, erhält die Afrikanische Union die Unter- Aber es ist wahr: Die Lage in Darfur hat sich nicht stützung, die sie braucht, damit hier keine Lücke ent- stabilisiert, sie ist eher noch kritischer geworden. Man steht. Es bleiben aber auch weiterhin die Bemühungen denke nur an die Ausdehnung des Konflikts auf den der Vereinten Nationen, sie dabei zu unterstützen, mehr Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Deshalb Effektivität zu erreichen. ist es, wie ich glaube, richtig, dass auch vonseiten der Vereinten Nationen alles daran gesetzt wird, eine Über- Deshalb glaube ich, dass es wichtig und notwendig einstimmung zu erzielen. Zunächst war es Ziel, dass die ist, dass wir das Mandat heute verlängern. Ich bitte um Mission AMIS in eine rein VN-geführte Friedensmis- breite Zustimmung für diese Verlängerung und auch um sion überführt wird. Dies ist am Widerstand des sudane- Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten bei die- sischen Präsidenten gescheitert. Es wurde dann am ser Mission. Ich hoffe und wünsche, dass von den Ver- 16. November versucht, einen Kompromiss herbeizu- einten Nationen eine weit darüber hinausgehende Lö- führen, der eine gemeinsame Mission der Vereinten Na- sung bewirkt werden kann. Heute geht es aber um die tionen und der Afrikanischen Union unter dem Kom- Zustimmung für das Mandat hinsichtlich der Überwa- mando der Vereinten Nationen vorsah. Aber auch dies ist chungsmission AMIS. Ich bitte noch einmal um breite am Veto des sudanesischen Präsidenten gescheitert. Zustimmung des Deutschen Bundestages. Freunde haben, wie Sie wissen, eine Frist bis zum Besten Dank. Ende des Jahres gesetzt. Ich denke, dass es wichtig ist, dass die gemeinsamen Bemühungen der Vereinten Na- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 7440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: könnte“. Ich frage Sie: Ist das nun Dummheit oder Pro- (C) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norman Paech, gramm? Ich glaube, es ist beides; denn das würde einen Fraktion Die Linke. umfangreichen Krieg im großen Maßstab bedeuten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie wissen doch ganz sicher: Die Regierung in Khar- Dr. Norman Paech (DIE LINKE): toum wird der Resolution 1706, die die UNO vom Sü- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe den des Sudan nach Darfur bringen soll, niemals zustim- Kolleginnen und Kollegen! Wie vor einem Jahr können men und China und Russland werden einer neuen wir auch in diesem Jahr der Verlängerung des Einsatzes Resolution hinsichtlich eines direkten Eingriffs in Darfur deutscher Streitkräfte in Darfur nicht zustimmen. auch nicht zustimmen. Wozu also das Gerede? (Zuruf von der SPD: Pfui!) Spätestens seit vorgestern wissen wir, dass die USA Wir sind uns darüber einig, dass sich die Situation schon eigene Pläne für ein militärisches Eingreifen im nicht gebessert hat. Sudan – das zitiere ich aus der „Financial Times“ – „in- nerhalb der nächsten zwei bis drei Monate“ ausgearbei- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tet haben. Großbritannien hat den Plänen zugestimmt. NEN]: Eben!) Sie sehen die Errichtung von Flugverbotszonen über Wir sind uns auch darüber einig, dass die Lage der Men- Darfur, eine Seeblockade des Ölhafens Port Sudan sowie schen in Darfur unerträglich ist. Wir sind uns aber nicht Luftangriffe auf Flughäfen und andere Einrichtungen darüber einig, wie dieses Elend gestoppt werden kann vor. Natürlich möchten die USA diese Pläne auf der und was wir dazu beitragen können. Sie setzen wieder Grundlage eines UN-Mandats umsetzen. Sie haben aber einmal auf eine militärische Intervention. deutlich gesagt: Wenn das nicht möglich ist, machen wir es auch alleine, in einer neuen „Koalition der Willigen“. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Blödsinn! Das Das ist doch Irrsinn! Werden nun die Kriege gegen Ju- ist doch nicht der 13. August!) goslawien und den Irak auf den afrikanischen Kontinent – Warten Sie ab, Sie werden es bald erkennen. – Sie se- übertragen? Können Sie sich dann einer solchen Koali- hen keine Alternative zur militärischen Intervention. Wir tion widersetzen? Frau Merkel ist doch nicht Herr hingegen sehen eine Alternative in zivilen und diplo- Schröder. matischen Mitteln. Schon jetzt verlängern Sie den Einsatz deutscher Sol- Dabei ist Zweierlei doch klar: daten auf der Basis einer Resolution nach Kap. VII der (B) UN-Charta. So schleichen Sie sich ganz langsam in ein (D) Erstens. Wir müssen uns immer wieder eingestehen, afrikanisches Abenteuer, das den Menschen im Sudan dass wir keine Lösung für diesen nun schon so lange – nach allen Erfahrungen der letzten Jahre, die wir in Af- dauernden und hoch komplizierten Konflikt anbieten ghanistan und im Irak gesammelt haben – bestimmt können. nicht helfen wird. Zweitens. Die afrikanischen Truppen der AMIS sind (Beifall bei der LINKEN – Winfried Nachtwei nicht in der Lage, den Schutz der Bevölkerung militä- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ei- risch zu garantieren. Trotz dieser Situation verfallen Sie gentlich das Mandat, über das wir heute spre- wieder auf das Militär, um zumindest sagen zu können: chen, gelesen? Worüber reden Sie?) Na, wir tun doch etwas. Wir fordern von Ihnen nur eines: Verlassen Sie den Ginge es wirklich nur um den Einsatz von 200 Solda- Weg eines militärischen Einsatzes! ten zur logistischen Unterstützung auf der Basis eines richtigen Blauhelmeinsatzes nach Kap. VI der VN- (Beifall bei der LINKEN) Charta, dann könnte man ja darüber reden. Sie verfolgen aber ganz offensichtlich ein viel weiter reichendes Kon- Hören Sie auf den Rat des finnischen Botschafters beim zept, das Verteidigungsminister Jung neulich ausgeplau- Menschenrechtsrat in Genf. Er sagte vorgestern: dert hat. Ich zweifle daran, dass es nur seiner Unfähig- Es ist besser, mit dem Sudan zusammenzuarbeiten, keit anzulasten ist, wenn er von einem stärkeren Einsatz um konkrete Resultate zu erzielen. der Bundeswehr redet, sobald die UNO ruft. Das kann auch nicht die scharfe Kritik aus seinen eigenen Reihen Bringen Sie die Konfliktparteien wieder an den Ver- wieder zurückholen. handlungstisch, damit sie einen Friedensvertrag unter- zeichnen. Dies hat auch der Menschenrechtsrat gefor- (Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert) dert. Unsere Stärke besteht in den diplomatischen Mag sein, dass er sich verplappert hat, wie jüngst Fähigkeiten, in den wirtschaftlichen Möglichkeiten und auch Ehud Olmert, aber wir haben auch schon vergleich- im humanitären Engagement. Wir plädieren für ein sol- bare Töne aus dem Kabinett gehört. Sein Vorgänger, der ches Engagement und nicht für den Rückfall in eine mi- SPD-Fraktionsvorsitzende Struck, hat ihm vor einem litärische Drohung. Monat sogar bestätigt und hinzugefügt, dass es dann Danke sehr. – ich zitiere ihn – ein „brisantes Mandat“ wäre, das „auch mit Kampfeinsätzen der Soldaten verbunden sein (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7441

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nach Bosnien und Ruanda haben wir alle gesagt: (C) Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller, nie wieder. Bündnis 90/Die Grünen. Wie kann da die Welt dem Horror in Darfur untätig zuse- hen? Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Präsident Dr. Norbert Lammert: Meine Damen und Herren! Herr Präsident! In den Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischen- nächsten Tagen wird Kofi Annan, der Generalsekretär frage des Kollegen Paech? der Vereinten Nationen, seine Amtszeit beenden. Er ist nun wirklich mit den Krisen dieser Welt vertraut. Er hat in all seinen Reden der letzten Tage eine Krise besonders Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hervorgehoben und eindringliche Appelle an die interna- NEN): tionale Gemeinschaft gerichtet, endlich einzugreifen: in Ja, ich führe nur noch diesen Gedanken zu Ende. – Darfur. Annan appellierte an die Welt, 60 Prozent der Menschen in Darfur können nicht mehr versorgt werden. Bei dem robusten UNO-Mandat, das in den Alptraum der Gewalt in Darfur endlich zu be- der Resolution 1706 schon längst beschlossen ist, geht es enden und nicht wieder zu warten, bis der Völker- zunächst einmal darum, die Menschen mit dem Nötigs- mord einsetzt, sondern die ten zu versorgen. Erst dann kann man wieder über Poli- – auch das muss man sich vor Augen führen – tik reden und dann muss man sich daran machen, den Konflikt politisch zu lösen. Diesen Zusammenhang soll- erst im letzten Jahr auf dem Millenniumsgipfel von ten nach Srebrenica und Ruanda endlich alle verstanden allen Staats- und Regierungschefs haben. – auch von der deutschen Regierung – eingegangene Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sponsibility to Protect, also die Verpflichtung, die Men- bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- schen vor Völkermord und ethnischen Säuberungen zu geordneten der FDP) schützen, endlich ernst zu nehmen und endlich in die Re- alität umzusetzen. Darum geht es in Darfur. Bitte schön, Herr Paech. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dr. Norman Paech (DIE LINKE): der SPD) Frau Kollegin Müller, um es kurz zu machen: Würden Sie zur Kenntnis nehmen oder gegebenenfalls nachlesen, (B) Liebe Kollegen von der PDS, Herr Dr. Paech, in der dass es sich bei den beiden Resolutionen 1556 und 1564, (D) derzeitigen Situation reicht AMIS nicht aus. Es handelt auf denen der Antrag der Bundesregierung beruht, um sich hierbei im Kern um ein Mandat gemäß Kap. VI der Beschlüsse nach Kap. VII der UN-Charta handelt? Das UN-Charta. ist dort ausdrücklich festgehalten. (Dr. Norman Paech [DIE LINKE]: Sieben!) Danke schön. Die AU-Mission ist im Kern ein Beobachtermandat, (Beifall bei der LINKEN) welches Sie gerade gefordert haben. Wissen Sie auch, dass die AU inzwischen Angriffen durch die Bevölke- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung vor Ort ausgesetzt ist? Wissen Sie, warum? NEN): (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Nein, das weiß der Ich kenne die Resolutionen sehr gut. Ich weiß auch, nicht!) was die Afrikanische Union beschlossen hat und dass die Afrikaner international nur ermächtigt sind, dort zu be- Weil die AU-Soldaten zwar auf der Grundlage des Man- obachten, zu protokollieren, was vor sich geht, und den dates nachher protokollieren dürfen, dass ein Massaker Waffenstillstand zu überwachen. Das ist die Ursache für stattgefunden hat und dass die Menschen umgebracht die Wut der Bevölkerung, weil nur protokolliert, aber werden, aber nicht eingreifen dürfen. Das macht die nicht eingeschritten wird. Auf diesen Skandal hat Annan Leute wütend. Deswegen wollte die Afrikanische hingewiesen. Das muss die internationale Gemeinschaft Union selber nicht mehr dableiben. Sie konnte nur müh- ändern. sam überzeugt werden, das Mandat überhaupt um ein halbes Jahr zu verlängern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Frank Spieth (Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU]) [DIE LINKE]: Das beantwortet unsere Frage Da fordern Sie hier ein Kapitel-VI-Mandat. Das ist wirk- nicht! Lesen Sie in Zukunft die Anträge!) lich an Zynismus nicht mehr zu überbieten! – Ich habe sie nicht nur gelesen, sondern mitgestaltet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Widerspruch bei der LINKEN) bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) – Das ist so. Kofi Annan hat in seiner Rede zum Tag der Men- schenrechte – die können Sie sich auch einmal an- Vor dem Hintergrund, dass alle dem Vorhaben zuge- schauen – auch Folgendes gesagt: stimmt haben, will ich auf die Debatte eingehen, die 7442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Kerstin Müller (Köln) (A) leider in den letzten Wochen in der Koalition geführt Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) wurde. Herr Ramsauer zum Beispiel hat gesagt, gerade Frau Kollegin Müller, Ihnen wird entgangen sein, weil die Lage so schrecklich sei, sollten keine deutschen dass Sie die Redezeit überschritten haben. Soldaten nach Darfur geschickt werden. Herr Stoiber wiederum hat festgestellt, die deutschen Interessen seien Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hier nicht so stark berührt. Leider steht auch immer noch NEN): die Äußerung der Bundeskanzlerin im Raum, dass wir Nein. Ich komme zum letzten Satz. Oder gibt es noch uns über die Unterstützung von AMIS hinaus nicht enga- eine Zwischenfrage? gieren würden. Unabhängig davon, ob deutsche Soldaten dorthin ent- Präsident Dr. Norbert Lammert: sandt werden oder nicht, glaube ich, dass das ein völlig Nein. Ich bin beinahe beruhigt, auch wenn Ihre Reak- kontraproduktives Signal an das Regime in Khartoum tion mir bestätigt, dass Ihnen in der Tat entgangen sein ist. muss, dass die Bewirtschaftung der Redezeit durch mich wieder einmal viel großzügiger war als durch die Frak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tion. Denn dadurch müssen die Vertreter dieses Regimes zu (Heiterkeit) der Auffassung kommen, dass sie von Europa nichts zu erwarten haben. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Damit komme ich zu meinem Hauptanliegen. Wir NEN): brauchen keine unseligen Debatten über die Beteiligung Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Es geht zur- deutscher Soldaten, nach der noch niemand gefragt hat, zeit um politische Initiativen. Ich appelliere eindringlich und einer UNO-Truppe, die noch gar nicht in das Land an Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregie- hinein kann. Wir müssen jetzt vielmehr alle Kräfte auf rung: Werden Sie politisch aktiv! Gerade wir Deutsche diplomatische Initiativen konzentrieren. Herr Minister mit unserer Geschichte dürfen nicht tatenlos zusehen, Jung, Sie haben selber festgestellt, dass das robuste wenn in Darfur ein Völkermord geschieht. Ich glaube, Mandat notwendig ist. Ich fordere Sie auf, im Rahmen dass wir Deutsche hier eine besondere Verantwortung der EU-Ratspräsidentschaft diplomatische Initiativen zu haben. ergreifen und auf die Schutzmächte Sudans, China und Vielen Dank. Russland, einzuwirken und in jedem Gespräch mit China anzusprechen, dass wir alles versuchen, um die Zustim- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) mung der sudanesischen Regierung für ein robustes UN- und bei der SPD) (D) Mandat zu bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präsident Dr. Norbert Lammert: sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion. Gestern wurde vorgeschlagen, eine Flugverbotszone einzurichten, damit die sudanesische Regierung nicht Rainer Arnold (SPD): mehr die Antonows zur Unterstützung der Reitermilizen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! einsetzt. Leider hat sich die Bundesregierung nicht dazu Die Nachrichten aus dem Sudan sind sicherlich für uns geäußert. alle mehr als beunruhigend. Der begonnene Friedenspro- Nach meinen Informationen haben die Außenminister zess droht zu scheitern. Die Risiken für die gesamte Re- auf dem Ratstreffen gestern einen Beschluss zum weite- gion werden gerade in den letzten Tagen an den Grenzen ren Vorgehen in Darfur gefasst. Das sind aber leider auch des Sudans deutlich sichtbar. Die Untersuchung der noch keine Taten; es sind nur Worte. Wir brauchen aber Kommission, die dem Internationalen Strafgerichtshof endlich Taten im Sinne der Diplomatie. Was gestern auf zuarbeitet, zeigt, dass 200 000 Menschen ermordet und dem Ratstreffen passiert ist, darf bei der EU-Ratspräsi- 2,5 Millionen vertrieben wurden und dass Folter und se- dentschaft nicht wieder passieren. Wir müssen durch xuelle Misshandlungen zum Alltag in dieser Region entschlossenes Handeln der internationalen Gemein- gehören. Die Situation ist unübersichtlich. Es gibt tradi- schaft den Druck auf das Regime erhöhen. tionelle Stammesfehden um die ökonomischen Grundla- gen. Reitermilizen operieren mit Duldung der Zentralre- Wenn es nicht gelingt – etwa wegen eines Vetos von gierung. In dieser unübersichtlichen Situation versucht China und Russland –, im Sicherheitsrat gezielte perso- nun die Afrikanische Union, mit ihrem Mandat AMIS nenbezogene Sanktionen zu beschließen, um die Zu- ein Stück weit für Stabilität zu sorgen. stimmung für die UNO-Truppe zu erwirken, dann muss meiner Meinung nach die Europäische Union endlich Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, vorangehen und – das hat sie schon x-mal beschlossen – Kap. VII der UN-Resolution 1706 umfasst zwei Kompo- gezielte personenbezogene Sanktionen gegen die Verant- nenten: Beobachtung und Schutz. Aber die Afrikaner wortlichen des Völkermordes verhängen, um die Zu- stoßen bei dieser Mission an die Grenzen sowohl ihrer stimmung zu erwirken. materiellen Möglichkeiten als auch ihrer operativen Fä- higkeiten; darauf haben Sie schon hingewiesen. In einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Situation, in der wir sehen, dass die Afrikaner es nicht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7443

Rainer Arnold (A) alleine leisten können, wollen Sie ihnen die relativ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) kleine Unterstützung, die wir in erster Linie bei der Lo- der CDU/CSU) gistik und beim Lufttransport leisten, verwehren und ih- nen so den Boden unter den Füßen wegziehen. Dies ist Wir Deutsche bewegen uns im Einklang mit den Ver- zutiefst inhuman. einten Nationen, mit der Afrikanischen Union, im Kon- zert mit der Europäischen Union. Es ist kein Sonderweg, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP sondern wir sind im Einklang mit allen europäischen Or- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ganisationen. Wenn wir heute der Fortsetzung des Ein- satzes zustimmen, dann sollten wir uns immer wieder Wir alle wissen, dass eine Fortsetzung des Einsatzes fragen, welche Legitimation wir für diesen Einsatz ha- bewaffneter deutscher Streitkräfte für weitere sechs Mo- ben. Wer sich die Europastrategie zu Afrika anschaut nate nicht die beste Lösung ist. Aber das ist das Maxi- und nicht will, dass dieses kluge Papier reine Makulatur mum, das im Augenblick erreicht werden kann. Mehr wird, der muss die Bereitschaft und die Fähigkeit haben, wird man erst erreichen, wenn die Zentralregierung in hier ein Stück weit mitzuhelfen. Die Beweggründe dafür Khartoum den Frieden wirklich will und bereit ist, den sind eindeutig. Wir haben zunächst ein eigenes Interesse Frieden mit einer stabilen Truppe absichern zu lassen. an Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent, nämlich Das steht nicht im Gegensatz zu unseren humanitären unser Sicherheitsinteresse. Neben diesem Interesse ha- und diplomatischen Anstrengungen, wie Sie von der ben wir aber im Sudan auch eine zutiefst humanitäre PDS behaupten. Aber Sie müssen irgendwann einmal Verpflichtung. Von diesen beiden Gründen lassen wir kapieren, dass man gelegentlich mit freundlichen Worten uns bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Ein- alleine leider an die Grenzen stößt und dass dann eine satzes leiten. militärische Schutztruppe notwendig und zutiefst human ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir wissen nicht, wie sich das Ganze in den nächsten Mona- ten entwickeln wird. Vielleicht müssen wir darüber er- Präsident Dr. Norbert Lammert: neut nachdenken. Aber wir sollten vorsichtig sein und Das Wort hat nun der Kollege Eckart von Klaeden, keine schnellen Antworten geben. Mein Eindruck ist, CDU/CSU-Fraktion. dass in allen Fraktionen, falls ein erneutes Nachdenken erforderlich ist, zu Recht sehr schwierige und komplexe (Beifall bei der CDU/CSU) Debatten geführt werden müssen. Die Antworten kön- Eckart von Klaeden (CDU/CSU): (B) nen dann gegeben werden, wenn die Debatten beendet (D) sind. Ich denke, das ist die korrekte Reihenfolge. Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Das, was wir bisher von den beiden Oppositionsfraktio- Wir sollten uns daran erinnern, dass die UN-Resolu- nen der Grünen und der FDP in dieser Debatte gehört ha- tion 1706 drei Phasen vorsieht. Wir sind in der ersten ben, ist in seiner Substanz engagiert vorgetragene Ratlo- Phase, bei der es um die logistische Unterstützung der sigkeit. Afrikanischen Union geht. Die zweite Phase sieht eine personelle Erweiterung vor. Die dritte Phase sah ur- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der sprünglich ein VN-Mandat vor. Nun sagt die Zentralre- FDP) gierung, dass sie das nicht will. Vielleicht lässt sie sich Die Ratlosigkeit ist eine Konsequenz aus der Situa- – es ist richtig, dass China ein bisschen helfen kann, da- tion, die wir im Sudan, in Darfur vorfinden. Aber es ist mit sich im Sudan etwas bewegt – auf eine Mischform intellektuell unredlich, dafür die Bundesregierung ver- ein, eine so genannte Hybridlösung, eine gemeinsame antwortlich zu machen und dann nicht mehr auf der Mission von VN und Afrikanischer Union. Platte zu haben als den Vorschlag, man müsste einmal Ich habe den Eindruck, die Beweggründe für eine sol- Druck auf China oder Russland ausüben, um die Krise che Lösung im Sudan sind nicht korrekt. Das Ziel ist zu überwinden. aber möglicherweise auch unseres. Vielleicht ist es klü- (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist unerhört!) ger, auf dem afrikanischen Kontinent durch eine sehr gute Kooperation der Vereinten Nationen, durch eine Ich finde, hier müssen mehr Vorschläge kommen. Kooperation der militärischen Fähigkeiten der westli- Wir befinden uns dort in einem Dilemma. Der Sicher- chen Industriestaaten mit den afrikanischen Partnern da- heitsrat hat zwar nach der Resolution 1706 beschlossen, für zu sorgen, dass auf einer längeren Zeitschiene die die AMIS-Mission in eine VN-Mission zu überführen, Afrikanische Union als legitime regionale Ordnungs- aber das Dilemma ist doch, dass die Zustimmung der organisation die Fähigkeiten erhält, dass sie sie entwi- Regierung in Khartoum nicht vorliegt. ckeln, dass sie lernen – wir sollten sie materiell darin un- terstützen, selbst die Fähigkeiten zu entwickeln –, auf Jeder von uns weiß, dass diese Zustimmung zwar ihrem Kontinent für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. rechtlich nicht mehr erforderlich ist, aber doch politisch Darum muss es uns gehen. Deshalb wäre ich nicht un- erforderlich ist, um eine erfolgreiche militärische Opera- glücklich, wenn eines Tages auch in Deutschland eine tion durchzuführen. Selbstverständlich unternehmen wir ernsthafte Debatte über diese Hybridlösung geführt in Richtung Khartoum alles, um eine Zustimmung würde. möglich zu machen. Aber die Bundesregierung dafür 7444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Eckart von Klaeden (A) verantwortlich zu machen, dass es nicht dazu kommt, ist die Suche nach einer Lösung des Konflikts mit einge- (C) hanebüchen. bunden werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es ist von mir schon angesprochen worden: Die Mis- neten der SPD) sion soll in eine VN-Mission überführt werden. Nach der Resolution 1706 soll das sogar bis zum Ende dieses Jah- Zurzeit findet ein Gipfeltreffen von elf afrikanischen res stattfinden, aber es fehlt an der politisch erforderli- Staaten, der Demokratischen Republik Kongo, der Re- chen Zustimmung der Regierung in Darfur. Deswegen publik Kongo-Brazzaville, Zentralafrikanische Repu- ist es leider nicht möglich, diese VN-Mission so durch- blik, Ruanda, Burundi, Uganda, Angola, Sambia, Tansa- zuführen, wie wir das alle wünschen. nia, Kenia und Sudan, in Nairobi statt. Heute soll ein „Pakt über Sicherheit, Stabilität und Entwicklung der Ich will bei dieser Gelegenheit aber auch ein Wort zu Region der Großen Seen“ unterzeichnet werden. Man dem in dieser Debatte schon zitierten Menschenrechts- will, wie es so schön heißt, die „Dynamik der Konflikte rat der Vereinten Nationen sagen, der am letzten Mitt- in den Aufbau des regionalen Friedens“ umwandeln. woch von der Regierung in Khartoum eine verstärkte Diese Konferenz kann einen elementaren Beitrag zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft Konfliktverhütung und -bewältigung, zur Friedensförde- gefordert hat. Eine Verurteilung der Regierung in Khar- rung nach dem Grundsatz der afrikanischen Eigenver- toum durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Natio- antwortung leisten. Aber sie muss dieser Aufgabe auch nen ist aber ausgeblieben. Diese fehlende Verurteilung nachkommen; denn Hunger und Armut, wirtschaftliche der Regierung in Khartoum halte ich für einen Skandal. Ungleichheit und politische Ungerechtigkeit, fehlende (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Rechtsstaatlichkeit, die Eskalation von Konflikten durch bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- gewaltsame Vertreibungen, Epidemien, Ressourcen- NISSES 90/DIE GRÜNEN) knappheit und ökologische Gefährdungen vielfältiger Art gehören ja seit langem für die afrikanische Bevölke- Die 47 Mitglieder des Menschenrechtsrates haben es rung zu den vordringlichsten Problemen. nicht verstanden, ein klares Zeichen gegen die Verlet- zung von humanitärem Recht und Menschenrechten so- Im Sudan konnte der über 20 Jahre andauernde Bür- wie gegen Gewalt und Terror zu setzen. Die Erklärung gerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden, der lässt eine klare Sprache vermissen. Ich kritisiere den 2 Millionen Menschen das Leben gekostet und 4 Millio- Menschenrechtsrat mit Blick auf diese Entscheidung ins- nen Menschen zu Binnenvertriebenen und Flüchtlingen besondere deswegen, weil er erst seit März dieses Jahres gemacht hat, zwar durch den Friedensvertrag von Nai- in dieser Form besteht und in seinen bisherigen sechs (B) robi im Januar 2005 beendet werden. Der Waffenstill- Sitzungen insgesamt acht Resolutionen gegen Israel ver- (D) stand wird aber immer wieder gebrochen. Seit 2003 tobt abschiedet hat. Wenn dem Westen von diesen Staaten ein grausamer und blutiger Konflikt in der westsudanesi- immer wieder vorgeworfen wird, dass er Doppelstan- schen Provinz Darfur. Das Darfur Peace Agreement vom dards anwende, dann müssen sich die Ländergruppen, Mai dieses Jahres wird von keiner der beteiligten Rebel- die im Menschenrechtsrat für diese Entscheidung verant- lengruppen und auch nicht von den Milizen eingehalten. wortlich sind, wirklich Doppelzüngigkeit vorwerfen las- Nach Schätzung der Vereinten Nationen sind in Darfur sen. über 200 000 Menschen ums Leben gekommen und 2 Millionen wurden zu Vertriebenen und Flüchtlingen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist klar – das sollten wir hier auch deutlich machen –, Ich wünsche mir – und bitte die Bundesregierung, die dass für diese beiden Konfliktherde die Regierung in Entwicklung sehr sorgfältig zu beobachten und alles in Khartoum mit ihrem Verhalten die Hauptverantwortung ihrer Macht Stehende dafür zu unternehmen –, dass die trägt. vom VN-Menschenrechtsrat nun eingesetzte Kommis- Ich begrüße, dass der Sudan auf dem Gipfeltreffen in sion schnellstmöglich zusammengesetzt wird und sie Nairobi beteiligt ist und nach den bisherigen Meldungen dann ihre Untersuchung zur Menschenrechtslage in Dar- den Pakt unterzeichnet hat. Es kommt aber darauf an, fur vor Ort ohne Behinderungen jeglicher Art durchfüh- dass die Verpflichtungen, die damit eingegangen wer- ren kann. Als ein Mitglied der insgesamt 28-köpfigen den, schließlich auch erfüllt werden. Bislang kann Präsi- Gruppe der Freunde der Region der Großen Seen ist dent Bashir nicht nachgesagt werden, er halte viel von Deutschland dazu verpflichtet. Vertragstreue: Abkommen werden nicht eingehalten, All dies zeigt, dass wir unser Engagement für Frieden wie zum Beispiel das eben bereits angesprochene Darfur und Stabilität in der Region im östlichen Afrika beibe- Peace Agreement. Nach Angaben der VN-Hochkommis- halten müssen. Wir müssen uns vor allem dafür einset- sarin für Menschenrechte sind in den letzten sechs Wo- zen, dass die humanitären Hilfsleistungen für die Not chen in Darfur weitere 80 000 Menschen vertrieben und leidende Bevölkerung ermöglicht werden; die Kollegin mehrere hundert Personen getötet worden. Die Regie- Müller hat darüber heute schon gesprochen. rung habe die Milizen nicht entwaffnet, sondern viel- mehr aufgerüstet. Es gibt aber noch einen weiteren gravierenden Grund. Die internationale Staatengemeinschaft muss ihren Bei- Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch daran erin- trag nicht nur zur Stabilisierung der Lage in Darfur leis- nern, dass es die Arabische Liga war, die als erste auf die ten, sondern auch zur Stabilisierung der gesamten Gewalt in Darfur hingewiesen hat. Sie muss deshalb in Region. Das liegt auch in unserem Sicherheitsinteresse. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7445

Eckart von Klaeden (A) Aus diesem Grund ist es notwendig, unseren Beitrag zur Das ist es, wozu Sie Stellung nehmen sollten. Ich (C) Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der finde es intellektuell redlich, von der Bundesregierung Afrikanischen Union auch in den nächsten sechs Mona- einzufordern, dass sie hier aktiv wird. ten fortzusetzen, so enttäuschend die Ergebnisse der Mission bisher auch sein mögen und sosehr zu kritisie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren ist, dass die Regierung in Khartoum der Übertragung und bei der FDP) der Mission auf die Vereinten Nationen bisher nicht zu- gestimmt hat. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung Herr Kollege von Klaeden. Meine Fraktion wird deswegen dem Antrag der Bun- desregierung zustimmen. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Kollege Trittin, mein Hinweis auf die fehlende neten der SPD) intellektuelle Redlichkeit hat sich nicht auf die Schilde- rung der Situation bezogen. Wenn ich ausreichend Rede- Präsident Dr. Norbert Lammert: zeit gehabt hätte, hätte ich das, was Sie eben noch ein- Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Jürgen mal betont haben, darstellen können. Aber das, was Sie Trittin das Wort. vorgeschlagen haben und was auch die Kollegin Schuster hier gesagt hat, läuft de facto auf das hinaus, Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): was ich gesagt habe, nämlich dass von der Bundesregie- Lieber Herr Kollege von Klaeden, Sie wissen, dass rung erwartet wird, dass mehr Druck auf China oder ich Sie als Außenpolitiker durchaus schätze. Aber ich Russland ausgeübt wird. Ich habe doch die Kollegin finde, Sie haben sich keinen Gefallen getan, als Sie, be- Schuster gefragt, wie Sie sich die Durchsetzung eines vor Sie angefangen haben, Ihre Rede abzulesen, FDP Flugverbots vorstellt. und Grüne der intellektuellen Unredlichkeit in dieser (Marina Schuster [FDP]: Nein! Das haben Sie Frage geziehen haben. nicht gefragt!) Worum geht es hier? Es geht nicht darum, wie Herr Darauf ist keine Antwort gekommen. Es hieß, wenn ein Paech glaubt, dass dort ein großer Kampfeinsatz, eine solcher Antrag einmal vorliege, dann würde man da- Friedenserzwingung stattfinden soll, sondern es geht ei- rüber in der Fraktion beraten. Das ist doch nicht intellek- gentlich um etwas sehr Simples: Es geht darum, dass die tuell redlich. Das ist der Versuch, die eigene Ratlosigkeit 15 000 zivilen Helferinnen und Helfer, die dort zur Ver- der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben. Das ma- fügung stehen, die bedrohten Menschen wieder errei- (B) chen wir nicht mit. (D) chen können. Das ist der Kern. Das ist mit 7 000 Leuten für ein Gebiet der Größe Frankreichs nicht zu gewähr- (Beifall bei der CDU/CSU – Marina Schuster leisten. Deswegen hat die UN beschlossen, die Zahl der [FDP]: Buh!) Soldaten von 7 000 auf 17 000 aufzustocken. Nun geht es darum, dafür die Zustimmung der sudanesischen Re- Präsident Dr. Norbert Lammert: gierung zu bekommen. Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für die letzte Red- Die Frage, die Frau Müller und Frau Schuster hier an nerin in dieser Debatte, die Kollegin Gabriele Groneberg die Bundesregierung gestellt haben, war nicht intellek- für die SPD-Fraktion. tuell unredlich, sondern nahe liegend, und zwar deswe- (Beifall bei der SPD) gen, weil sie wissen wollten, was die Bundesregierung tut, um diesen Zustand, den Sie Zustand der Ratlosigkeit genannt haben, zu durchbrechen und Druck auf Khar- Gabriele Groneberg (SPD): toum auszuüben. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich verdammt ratlos bin. Das sage ich einmal ganz unge- und bei der FDP) schminkt. Wir müssen seit Jahren hilflos dem zusehen, Es ist auch nicht so, dass keine Vorschläge genannt was in Darfur passiert. Aber auch die vorherige Bundes- worden wären. Wie ist die Haltung der Bundesregierung regierung konnte nicht anders mit diesem Problem um- zum Vorschlag einer Flugverbotszone dort? Wie soll gehen, Herr Trittin. das umgesetzt werden? Warum hat der Rat der Außen- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) minister gestern, obwohl man sich im Prinzip schon lange darauf verständigt hat, nicht entschieden, individu- Die Situation ist folgendermaßen: Die Bundesregie- elle Sanktionen gegen die Machthaber in Khartoum zu rung und all die anderen, die in der Vergangenheit tätig ergreifen? Was muss eigentlich noch passieren? gewesen sind und die auch jetzt handeln – Frau Müller ist intensiv daran beteiligt gewesen –, haben sich in den (Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP]) vergangenen Jahren intensiv um eine Lösung bemüht. Die werfen einen Bevollmächtigten, einen ehemaligen Aber Deutschland allein kann nicht die Lösung bringen; Umweltminister der Europäischen Union, aus Khartoum auch die anderen Staaten sind gefordert. Nur in Zusam- raus, aber wir wollen sie weiter reisen lassen. Das geht menarbeit mit diesen ist eine Lösung möglich. Ich bin mir nicht in den Kopf. davon überzeugt, dass die Bundesregierung das ihr 7446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Gabriele Groneberg (A) Mögliche tut. Wir können nur hoffen, dass die internatio- Dieser Mission hat es an allem gefehlt, angefangen (C) nale Gemeinschaft sozusagen mehr in die Pötte kommt. damit, dass 7 000 Soldaten für ein Gebiet der Größe Frankreichs viel zu wenig sind. Da muss man natürlich (Beifall bei der SPD) fragen, ob das reicht. Seit zwei Jahren verlängern wir das Mandat für deut- Eine weitere Frage ist, wie denn die Rahmenbedin- sche Soldaten, die zur Unterstützung der Überwachungs- gungen für einen solchen Einsatz aussehen. Von Beginn mission der Afrikanischen Union als Militärbeobachter an waren die Grundvoraussetzungen für einen effektiven und im Transportbereich eingesetzt werden. Ich bin nicht Einsatz nicht gegeben. Erst fehlten die Hubschrauber, nur betroffen und frustriert, sondern ich fühle mich, wie dann fehlten die Geländefahrzeuge und die Transport- schon gesagt, mittlerweile hilflos, weil wir bei der Lö- fahrzeuge. Waren sie endlich vor Ort, dann fehlte der sung dieses Konfliktes immer noch kein Stück weiter ge- Sprit für die Fahrzeuge. Die afrikanischen Soldaten wa- kommen sind. ren also überhaupt nicht in der Lage, das Gebiet zu kon- trollieren und die Menschen zu schützen. Im Gegenteil: Die aktuelle Situation in Darfur hat sich zur größten Katastrophe der Gegenwart ausgewei- Warum ist der Kraftstoff nicht an seinem Bestim- tet. Seit Ausbruch des Konfliktes sind Hunderttausende mungsort angekommen? Weil die Transporte auf ihrem von Menschen – Herr von Klaeden, die Zahlen schwan- Weg von der See durch den halben Sudan bis nach Dar- ken; man spricht teilweise von 200 000, aber es können fur permanent überfallen wurden. Außerdem war gerade nach Schätzung einiger Organisationen durchaus in den letzten Monaten die Lebensmittelversorgung der 450 000 Menschen sein – getötet und Millionen von Soldaten nicht sichergestellt. Es gab also ganz viele Menschen in die Flucht getrieben worden. Noch schlim- Schwierigkeiten. Diese versorgungstechnischen Pro- mer ist, dass die an diesen Raum angrenzenden Länder bleme sind auch der Grund dafür, dass die AU ihre Mis- mittlerweile in den Konflikt hineingezogen werden. Hier sion nicht in der Form erfüllen konnte, wie sie es gerne entwickelt sich ein Flächenbrand. getan hätte. Ich kreide der internationalen Gemeinschaft an, dass Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sie nicht in der Lage gewesen ist, die Unterstützung für sammenarbeit und Entwicklung habe ich die Region die Soldaten sicherzustellen, zum Beispiel auch durch mehrfach besucht. Ich habe mir Flüchtlingslager anse- Druck auf die sudanesische Regierung. Hinzu kommt, hen können. Ich habe gesehen, unter welchen Bedingun- dass der im Mai dieses Jahres für Darfur geschlossene gen die Menschen dort leben; teilweise muss man von Friedensvertrag Makulatur ist, weil er nicht von allen Vegetieren sprechen. Die Hilfsorganisationen sind be- kämpfenden Gruppierungen getragen wird. (B) müht gewesen, die größte Not zu lindern. Für eine kurze (D) Zeit schien sich wenigstens die humanitäre Situation In Darfur eskaliert die Gewalt. Wir werden nicht zu- zu verbessern. Nach Angaben der Vereinten Nationen schauen. Wir tun das, was wir tun können, auch wenn hatte sich aufgrund des massiven Hilfseinsatzes in den wir damit nicht zufrieden sind. Aber zumindest das müs- beiden vergangenen Jahren die Versorgungslage deutlich sen wir tun. Insofern freue ich mich, dass wir in der fol- verbessert. Die Sterblichkeitsrate bei den Kindern und genden Abstimmung sicherlich eine Mehrheit dafür fin- bei den Erwachsenen war je nach Region um die Hälfte den werden. bzw. um zwei Drittel zurückgegangen. Das Problem ist Danke. aber, dass man effektive Hilfe nur leisten kann, wenn die Sicherheit der Menschen und derjenigen, die für die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hilfsorganisationen arbeiten, gewährleistet ist. Aber ge- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- rade das ist in dem letzten halben bis dreiviertel Jahr SES 90/DIE GRÜNEN) nicht mehr der Fall. Diese Menschen sind nicht mehr si- cher. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. An dieser Stelle komme ich zu der Mission der AU. Herr Paech, ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Sie an Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- dieser Stelle nicht verstehe. schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/3845 zum Antrag der Bundesregierung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher der CDU/CSU und der FDP) Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmis- sion AMIS in der Region Darfur/Sudan. Der Ausschuss Es ist unverantwortlich, dass Sie hier sagen, wir würden empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3652 anzuneh- uns an einer militärischen Intervention beteiligen. Wenn men. Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt. wir das getan hätten, dann hätten wir vielleicht eine Lö- sung des Problems erreicht. Die AU ist, was diese Mis- Während die Schriftführerinnen und Schriftführer, so- sion angeht, vollkommen hilflos. Die Afrikaner wollen weit nicht bereits geschehen, jetzt die dazu vorgesehe- anfangen, ihre Probleme selbst zu lösen; das ist löblich. nen Plätze einnehmen, bitte ich Sie um eine halbe Mi- Aber sie sind zum ersten Mal im Rahmen einer solchen nute Aufmerksamkeit. Da wir zum Ende der heutigen Mission vor Ort. Meiner Ansicht nach ist die internatio- Tagesordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr nale Gemeinschaft nicht in der Lage gewesen, sie genü- ganz so zahlreich sein werden wie jetzt und die meisten gend zu unterstützen. von Ihnen ganz unglücklich wären, wenn sie den Heim- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7447

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) weg in die Wahlkreise und die Weihnachtspause ohne Dr. Ditmar Staffelt, Ludwig Stiegler, Dr. Rainer (C) präsidiale Grüße zu den bevorstehenden Feiertagen an- Wend, weiterer Abgeordneter und der Fraktion treten müssten, der SPD (Heiterkeit im ganzen Hause) Anstrengungen für einen erfolgreichen Ab- schluss der Doha-Welthandelsrunde mit nutze ich die Gelegenheit des in diesem Jahr zum letzen höchster Priorität fortsetzen Mal vollen Hauses, um Ihnen allen ganz persönlich ein frohes, besinnliches Weihnachtsfest, alles Gute zum – Drucksache 16/3810 – neuen Jahr und dazwischen ein paar ruhige Tage und b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- dann Kraft und Zuversicht für ein neues Jahr zu wün- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- schen, das vermutlich nicht weniger interessant, vermut- nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- lich nicht weniger kontrovers und hoffentlich mindes- ordneten Gudrun Kopp, Hellmut Königshaus, tens so erfolgreich wird wie das, das wir jetzt schon fast Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der hinter uns haben. Fraktion der FDP (Beifall im ganzen Hause) Doha-Runde wieder beleben – WTO-General- Damit eröffne ich die Abstimmung. direktor als Schlichter einsetzen Ist noch ein Mitglied des Hauses im Plenarsaal anwe- – Drucksachen 16/2658, 16/3584 – send, das seine Stimme nicht hat abgeben können? – Das Berichterstattung: scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Ab- Abgeordnete Ulla Lötzer stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Ergebnis der Abstimmung während der Debatte zum diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. letzten Tagesordnungspunkt bekannt, sobald die Stimm- karten ausgezählt sind.1) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- nächst dem Kollegen Erich Fritz für die CDU/CSU- Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord- Fraktion. nung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) schäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und Erich G. Fritz (CDU/CSU): (B) diese sofort als Zusatzpunkt 12 ohne Aussprache aufzu- Herr Präsident, ich bin von Ihren weihnachtlichen (D) rufen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Worten noch so gerührt, dass es mir schwer fällt, jetzt zu Dann ist das so beschlossen. einem so sachlichen Thema wie dem Stand der Doha- Ich rufe also den Zusatzpunkt 12 auf: Welthandelsrunde zu sprechen.

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Präsident Dr. Norbert Lammert: schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Herr Kollege, wenn das zur Verkürzung Ihrer Rede- schäftsordnung (1. Ausschuss) zu einem Antrag zeit führt, wird das keine Bestürzung im Plenum auslö- auf sen. Genehmigung zur Durchführung eines Straf- verfahrens Erich G. Fritz (CDU/CSU): Ich denke, es wird eher dazu führen, dass ich immer – Drucksache 16/3896 – wieder Pausen zum Nachdenken brauche, um mich auf Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss das Thema konzentrieren zu können. für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Doha- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Welthandelsrunde angeht, gibt es in diesen Tagen gute che 16/3896, die Genehmigung zur Durchführung eines und schlechte Zeichen. Am 1. und 2. Dezember haben Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Be- sich in Genf Parlamentarier fast aller Mitgliedstaaten ge- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- troffen und versucht, gegenüber ihren Regierungen zum hält sich der Stimme? – Dann ist diese Beschlussemp- Ausdruck zu bringen, dass es durchgängig den Willen fehlung einstimmig angenommen. gibt, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen und Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, und zwar auf: aus Sicht sowohl der Industrieländer als auch der Ent- wicklungsländer, sowohl der Schwellenländer als auch a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz der ärmsten Länder mit den kleinsten Volkswirtschaften. Meyer (Hamm), Erich G. Fritz, Veronika Pascal Lamy hat dort keine sehr optimistische Pro- Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- gnose gegeben, indem er gesagt hat: Ein Scheitern ist tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten nicht unmöglich. – Dennoch hat er vernünftige Appelle ausgesandt. In der aktuellen Ausgabe der „Wirtschafts- 1) Ergebnis Seite 7450 C woche“ hat er wiederum sehr optimistische Signale 7448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Erich G. Fritz (A) ausgesandt. Er sagte, es zeichne sich ab, dass das, was er Agenda verhandeln können und dass wir – hoffentlich (C) die ganze Zeit gefordert habe, nämlich dass alle Flexibi- bevor der Wahlkampf in Frankreich richtig beginnt und lität zeigen, nun umgesetzt werde. Konkret sehen wir das die USA sich auf die Präsidentschaftswahlen einstellen – allerdings noch nicht. Lamy hat in Genf deutlich an die zu einem Abschluss kommen. EU und die USA appelliert, noch einmal etwas zu geben. Bezüglich der USA setze ich an „noch einmal“ ein Fra- Die Europäische Union hat in diesem Prozess eine gezeichen; denn bisher haben sich die USA noch nicht wichtige Aufgabe. Da die Bundesregierung aufgrund der sehr bewegt. Er hat auch gesagt, dass Länder wie Indien deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der deutschen etwas geben müssen, und zwar mehr als Länder wie Präsidentschaft der G 8 in der Lage ist, wesentliche Im- Sierra Leone, weil sie dazu in der Lage sind. pulse zu setzen, dient diese Debatte dazu, noch einmal klar zu machen, dass der Deutsche Bundestag die Bun- Die Entwicklungsländer haben in der Debatte ganz desregierung ausdrücklich ermuntert, entsprechende deutlich vernommen, dass es für sie einen großen Scha- Schritte zu gehen und alle Möglichkeiten der Kontakt- den bedeuten würde, wenn diese Runde in dem schma- aufnahme zu nutzen. Diese gibt es in den nächsten Wo- len Zeitfenster, das es dafür gibt, nicht zu einem Ab- chen an vielen Stellen. schluss kommen sollte, weil dann alle Zusagen für einen zoll- und quotenfreien Zugang für die ärmsten Länder, Es gibt Anfang des Jahres ein Treffen der Handels- nicht nur für die Industrieländer, und schrittweise auch minister der Europäischen Union, bei dem die Euro- für die großen Schwellenländer hinfällig wären. Der päer zeigen müssen, dass sie zwei Dinge ernst nehmen. Vorteil für die ärmsten Länder kann nur darin bestehen, Als Erstes müssen wir zeigen, dass Doha eine Entwick- dass sie den Marktzugang für die Produkte bekommen, lungsrunde bleibt und dass an dem, was bereits in die- die sie selbst anzubieten haben. sem Rahmen zugesagt worden ist, nicht mehr gerüttelt wird. Das Zweite ist, dass wir deutliche Ansprüche auf In dieser Runde soll alles nur gemeinsam beschlossen einen weiteren Marktzugang gerade auch für die werden. Dieses Prinzip darf nicht aufgegeben werden. Schwellenländer erheben müssen, damit das Rosinenpi- Deshalb dürfen nicht nur Entwicklungsaspekte verhan- cken nach dem Motto „Wir suchen uns nur das raus, was delt werden. Es muss auch die Frage gestellt werden: unsere eigenen Unternehmen im Wettbewerb besser Wie kommen wir zu einem Gesamtpaket, das für alle stellt; aber wir wollen auf keinen Fall einen offenen Mitgliedstaaten eine Verbesserung mit sich bringt, das Markt für ausländische Investoren schaffen“ aufhört. zu mehr Wachstum auf der Welt führt, Entwick- lungschancen bietet und durch das weitere freie Märkte Es muss auch bei anderen Themen, bei denen die Eu- im Bereich der Industriegüter und der Dienstleistungen ropäer besonders glaubwürdig sind, zu Bewegungen geschaffen werden? Wir wissen, dass mittlerweile auch kommen. Hierbei geht es um die differenzierten Regeln (B) sehr viele Schwellenländer gerade im Bereich der für die Entwicklungsländer, den Umgang mit Antidum- (D) Dienstleistungen Interessen haben und dort sehr gerne ping, die Form des Streitschlichtungsverfahrens und das Fortschritte sähen. geistige Eigentum. Worauf wird es in den nächsten Wochen ankommen? Das zweite Treffen, bei dem die Hauptspieler zusam- Zunächst einmal ist zu begrüßen, dass alle Mitgliedstaa- menkommen und man den Geist dieser Runde beflügeln ten – egal welcher Art und welcher wirtschaftlichen kann, ist das Welthandelsforum in Davos. Bis es statt- Stärke – angekündigt haben, jetzt flexibel sein zu wollen finden wird, ist ja auch nicht mehr lange hin. Dort wird und selbst Angebote zu machen. ein großer Teil der Leute, auf die es ankommt, zusam- men sein. Man kann die dann amtierende Präsidentin des (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sehr gut!) Europäischen Rats nur ermuntern, diese Gelegenheit zu Es gibt also momentan nicht mehr den Zustand, dass alle nutzen. nur sagen: „Die USA müssen sich bewegen“ oder „Be- Das Zeitfenster für die Verhandlungen bleibt schmal. vor wir selbst etwas tun, muss unser Interesse berück- Ich muss das hier nicht weiter ausführen; jeder kennt die sichtigt werden“. Das ändert aber nichts daran, dass wir Rahmenbedingungen solcher multilateralen, auf Kon- als Ausgangslage nach wie vor eine sehr unglückliche sens angewiesenen Runden. Ein Scheitern dieser Runde Konstellation zwischen Europa und den USA haben: Die wird nicht nur viele Nachteile für Schwellenländer und Europäische Union hat durch ihre eigene Reform der Entwicklungsländer mit sich bringen, sondern wird auch Agrarpolitik und durch die Zugeständnisse in Hong- den Wachstumsprozess in den Industrieländern schädi- kong – einschließlich des Auslaufens der Exportsubven- gen. Die Kosten eines Scheiterns werden wesentlich hö- tionen – bereits Vorleistungen erbracht in einer Zeit, in her sein als die für die Anpassungsbemühungen aufzu- der die USA sich kein Jota bewegt haben. Allerdings wendenden Kosten bzw. als alle Schwierigkeiten, die gibt es jetzt Signale aus den USA – das steht im Gegen- sich aus einem erfolgreichen Abschluss ergeben. satz zu dem, was wir in Genf von Herrn Allgeier gehört haben, Herr Kollege Dobrindt –, dass man bereit ist, sich Entwicklung braucht Handel, aber auch die Absiche- hinsichtlich der Agrarsubventionen zu bewegen. rung des europäischen Sozialsystems braucht Handel. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gute Nachricht!) der SPD) Wenn das so ist, dann ist das ein erstes gutes Zeichen. Es Auch die Finanzierung von Entwicklungszusammenar- bietet die Chance, dass wir weiter über eine breite beit und von Einsätzen, von denen wir gerade einen be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7449

Erich G. Fritz (A) schlossen haben, braucht eine wirtschaftliche Grund- menhang sind die Signale, die kürzlich von Minister (C) lage. Wir alle kennen die Prognosen – selbst wenn wir Glos und auch von der Bundeskanzlerin Frau Merkel ge- davon Abstriche machen –, die besagen, wie sehr sich kommen sind und die auf eine Freihandelszone zwischen ein positiver Abschluss dieser Runde auf die Wohlfahrt EU und USA oder auf mehr bilaterale Abkommen ziel- der Welt auswirkt. Deshalb kann das Motto nur lauten: ten, nicht hilfreich. Es gibt derzeit etwa 380 bilaterale Mit ganzer Kraft für eine erfolgreiche Runde! Abkommen weltweit, von denen etwa 300 in Kraft sind. Wir als Parlamentarier müssen dazu beitragen, dass Wenn es bei der weiteren Liberalisierung des Welt- die Regierungen in dieser Frage ermuntert werden. Wir handels kein Fortkommen gibt, müssen sich die EU und müssen ebenfalls dazu beitragen, dass auch die Bevölke- Deutschland darum bemühen, dass es zumindest zu bila- rung erkennt, dass mit diesem Prozess immer Schwierig- teralen Abkommen kommt; das ist erforderlich. Aber bi- keiten verbunden sind, dass immer Anpassungsleistun- laterale Abkommen können und dürfen nur zweite Wahl gen erfolgen müssen, die manchmal schwer zu sein. Noch einmal: Ich finde, dass die Signale, die in der verkraften sind, dass der Weg aber richtig ist und dass er letzten Zeit von Frau Merkel und von Herrn Glos ge- Chancen für alle auf dieser Welt beinhaltet – unabhängig kommen sind, nicht hilfreich waren. davon, wo sie leben. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. Es ist wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten damit auf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hören, in erster Linie ihre eigenen Egoismen zu pflegen. neten der SPD) Im Rahmen der letzten WTO-Verhandlungsrunden, etwa in Hongkong, haben wir erlebt, dass ein Land wie Frank- Präsident Dr. Norbert Lammert: reich ein großer Bremser war, da es darauf gedrängt hat, Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp für das Auslaufen der Agrarsubventionen mit einer Jahres- die FDP-Fraktion. zahl zu versehen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es immer wieder zu Verzögerungen kommt und dass es (Beifall bei der FDP) auch innerhalb der EU Länder gibt, die größeres Ge- wicht und mehr Einfluss für sich reklamieren. In diesem Gudrun Kopp (FDP): Zusammenhang bedauere ich, dass Deutschland, einer Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da- der wichtigsten Mitgliedstaaten der EU, seine Stimme men! Ich glaube, niemand in diesem Hause kann wollen nicht öfter erhebt, beispielsweise durch die verstärkte und will, dass die Doha-Welthandelsrunde, scheitert. Präsenz seiner Minister oder dadurch, dass man sich in Wir brauchen mehr Welthandel und nicht weniger – größerem Umfang in die Verhandlungen einbringt. (B) (D) nicht etwa aus dem Grunde, dass die Industrieländer (Beifall bei der FDP) weiter profitieren können, sondern zum Wohle der schwachen und schwächsten Länder auf der ganzen Das Zeitfenster, das uns zur Verfügung steht, ist in der Welt. Ich hoffe, dass wenigstens in Bezug auf diesen Tat sehr klein. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um diese Punkt hier Einigkeit besteht. Verhandlungsrunde überhaupt noch zu einem Abschluss zu bringen. Weil das so ist und weil wir wissen, welche Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Folgen ein Scheitern der Doha-Verhandlungsrunde hätte Zahlen nennen, die sehr eindrucksvoll und wichtig sind. – niemand von uns möchte, dass sie scheitert –, legen wir Die Weltbank beziffert die globalen Einkommenseffekte Ihnen heute einen Antrag vor, der einen großen Schritt einer vollständigen Liberalisierung der Doharunde bis nach vorne bedeutet. 2015 auf etwa 461 Milliarden US-Dollar. Allein im Jahre 2005 hat die Bundesrepublik Waren und Dienst- Lassen Sie uns den WTO-Generalsekretär Lamy da- leistungen im Wert von rund 786 Milliarden Euro expor- mit beauftragen, hier als Schlichter tätig zu werden, die tiert. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom derzeit zu vernehmenden positiven Signale zu bündeln Welthandel ab. Wir Deutsche sind ja immer noch Ex- und sie in die Erfolgsspur zu bringen. Dadurch könnten portweltmeister. Das ist positiv; das muss uns aber, ge- wir deutlich machen, dass unsere Absicht, den multilate- schätzter Kollege Fritz, ralen Handel zu stärken, ernst gemeint ist und dass wir schnell zu einem effektiven Ergebnis kommen wollen. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Danke! – Heiterkeit Wer den multilateralen Handel stärken möchte, den bit- bei Abgeordneten der SPD) ten wir um Zustimmung zu unserem Antrag, darauf hin- umso mehr dazu antreiben, die Regierung aufzufordern, zuwirken, einen solchen WTO-Schlichter einzusetzen. hier weiter aktiv zu werden und mehr Druck zu machen, (Beifall bei der FDP) damit diese Doharunde erfolgreich abgeschlossen wer- den kann. Das muss eine Aufforderung an die Regierung Das wäre übrigens für die FDP und für das gesamte Par- und darf nicht einfach nur eine Ermunterung an sie sein. lament ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk, das allen Menschen nutzen würde. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank und Ihnen allen ein schönes Weih- Wir wissen, dass es mit Übernahme der EU-Rats- nachtsfest! präsidentschaft durch Deutschland notwendig ist, Si- gnale zu setzen, dass sich die Bundesregierung bemüht, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten diese Welthandelsrunde zu puschen. In diesem Zusam- der CDU/CSU) 7450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte (C) Die weiteren Redner bitte ich, Ihre möglichen Wün- Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Be- sche an andere Fraktionen, was Weihnachtsgeschenke schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum betrifft, möglichst innerhalb ihrer Redezeit unterzubrin- Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsat- gen. zes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS in der Region Darfur/ (Heiterkeit bei der FDP) Sudan bekannt geben: Abgegebene Stimmen 519. Mit Ja Bevor ich nun dem Kollegen Staffelt die Gelegenheit haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 44, ent- zur Fortsetzung der Debatte gebe, möchte ich gerne auf halten haben sich neun Kolleginnen und Kollegen. Da- Tagesordnungspunkt 23 zurückkommen und Ihnen das mit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Hans-Peter Friedrich Gunther Krichbaum Dr. Norbert Röttgen Abgegebene Stimmen: 521 (Hof) Dr. Günter Krings Dr. Christian Ruck davon Erich G. Fritz Dr. Martina Krogmann Albert Rupprecht (Weiden) Jochen-Konrad Fromme Johann-Henrich Peter Rzepka ja: 466 Dr. Michael Fuchs Krummacher Anita Schäfer (Saalstadt) nein: 44 Dr. Jürgen Gehb Dr. Hermann Kues Hermann-Josef Scharf enthalten: 11 Norbert Geis Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Dr. Wolfgang Schäuble Eberhard Gienger Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Scheuer Ja Ralf Göbel Dr. Norbert Lammert Karl Schiewerling Dr. Reinhard Göhner Katharina Landgraf Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU Josef Göppel Dr. Max Lehmer Andreas Schmidt (Mülheim) Peter Götz Paul Lehrieder Ingo Schmitt (Berlin) Ulrich Adam Dr. Wolfgang Götzer Ingbert Liebing Dr. Andreas Schockenhoff Ilse Aigner Reinhard Grindel Patricia Lips Dr. Ole Schröder Peter Albach Hermann Gröhe Dr. Michael Luther Bernhard Schulte-Drüggelte Peter Altmaier Michael Grosse-Brömer Stephan Mayer (Altötting) Uwe Schummer Dorothee Bär Markus Grübel Wolfgang Meckelburg Wilhelm Josef Sebastian Thomas Bareiß Manfred Grund Dr. Michael Meister Horst Seehofer Norbert Barthle Monika Grütters Friedrich Merz Kurt Segner Günter Baumann Holger Haibach Laurenz Meyer (Hamm) Bernd Siebert (B) Ernst-Reinhard Beck (D) Gerda Hasselfeldt Maria Michalk Thomas Silberhorn (Reutlingen) Ursula Heinen Hans Michelbach Jens Spahn Veronika Bellmann Uda Carmen Freia Heller Philipp Mißfelder Erika Steinbach Dr. Christoph Bergner Michael Hennrich Dr. Eva Möllring Christian Freiherr von Stetten Otto Bernhardt Gero Storjohann Clemens Binninger Jürgen Herrmann Marlene Mortler Bernd Heynemann Carsten Müller Andreas Storm Carl-Eduard von Bismarck Max Straubinger Renate Blank Ernst Hinsken (Braunschweig) Peter Hintze Stefan Müller (Erlangen) Thomas Strobl (Heilbronn) Antje Blumenthal Lena Strothmann Dr. Maria Böhmer Robert Hochbaum Bernward Müller (Gera) Klaus Hofbauer Dr. Gerd Müller Michael Stübgen Jochen Borchert Hans Peter Thul Wolfgang Börnsen Anette Hübinger Hildegard Müller Hubert Hüppe Michaela Noll Antje Tillmann (Bönstrup) Dr. Hans-Peter Uhl Klaus Brähmig Susanne Jaffke Dr. Georg Nüßlein Dr. Peter Jahr Franz Obermeier Arnold Vaatz Michael Brand Volkmar Uwe Vogel Helmut Brandt Dr. Hans-Heinrich Jordan Eduard Oswald Andreas Jung (Konstanz) Henning Otte Andrea Astrid Voßhoff Dr. Ralf Brauksiepe Gerhard Wächter Monika Brüning Dr. Franz Josef Jung Rita Pawelski Bartholomäus Kalb Ulrich Petzold Marco Wanderwitz Georg Brunnhuber Kai Wegner Gitta Connemann Steffen Kampeter Dr. Joachim Pfeiffer Alois Karl Sibylle Pfeiffer Marcus Weinberg Leo Dautzenberg Peter Weiß (Emmendingen) Hubert Deittert Bernhard Kaster Beatrix Philipp Karl-Georg Wellmann Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Villingen- Ronald Pofalla Anette Widmann-Mauz Thomas Dörflinger Schwenningen) Ruprecht Polenz Elisabeth Winkelmeier- Marie-Luise Dött Volker Kauder Daniela Raab Becker Ilse Falk Eckart von Klaeden Thomas Rachel Wolfgang Zöller Enak Ferlemann Julia Klöckner Hans Raidel Ingrid Fischbach Jens Koeppen Dr. Peter Ramsauer SPD Hartwig Fischer (Göttingen) Kristina Köhler (Wiesbaden) Eckhardt Rehberg Dirk Fischer (Hamburg) Manfred Kolbe Katherina Reiche (Potsdam) Dr. Lale Akgün Axel E. Fischer (Karlsruhe- Norbert Königshofen Klaus Riegert Gerd Andres Land) Dr. Rolf Koschorrek Franz Romer Niels Annen Dr. Maria Flachsbarth Hartmut Koschyk Johannes Röring Ingrid Arndt-Brauer Klaus-Peter Flosbach Michael Kretschmer Kurt J. Rossmanith Rainer Arnold Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7451

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ernst Bahr (Neuruppin) Frank Hofmann (Volkach) Axel Schäfer (Bochum) Dr. Christel Happach-Kasan (C) Doris Barnett Eike Hovermann Bernd Scheelen Heinz-Peter Haustein Dr. Hans-Peter Bartels Klaas Hübner Marianne Schieder Elke Hoff Klaus Barthel Christel Humme Otto Schily Birgit Homburger Sören Bartol Lothar Ibrügger Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Werner Hoyer Sabine Bätzing Brunhilde Irber Renate Schmidt (Nürnberg) Michael Kauch Dirk Becker Johannes Jung (Karlsruhe) Dr. Frank Schmidt Hellmut Königshaus Uwe Beckmeyer Josip Juratovic Heinz Schmitt (Landau) Gudrun Kopp Klaus Uwe Benneter Johannes Kahrs Olaf Scholz Heinz Lanfermann Dr. Axel Berg Ulrich Kasparick Ottmar Schreiner Sibylle Laurischk Ute Berg Dr. h. c. Susanne Kastner Reinhard Schultz Ina Lenke Lothar Binding (Heidelberg) Ulrich Kelber (Everswinkel) Michael Link (Heilbronn) Volker Blumentritt Christian Kleiminger Swen Schulz (Spandau) Horst Meierhofer Kurt Bodewig Hans-Ulrich Klose Ewald Schurer Patrick Meinhardt Clemens Bollen Astrid Klug Frank Schwabe Jan Mücke Gerd Bollmann Walter Kolbow Dr. Angelica Schwall-Düren Burkhardt Müller-Sönksen Klaus Brandner Fritz Rudolf Körper Dr. Martin Schwanholz Dirk Niebel Willi Brase Karin Kortmann Rita Schwarzelühr-Sutter Hans-Joachim Otto Bernhard Brinkmann Rolf Kramer Wolfgang Spanier (Frankfurt) (Hildesheim) Anette Kramme Dr. Margrit Spielmann Detlef Parr Ernst Kranz Jörg-Otto Spiller Cornelia Pieper Ulla Burchardt Nicolette Kressl Dr. Ditmar Staffelt Gisela Piltz Dr. Michael Bürsch Volker Kröning Ludwig Stiegler Jörg Rohde Christian Carstensen Angelika Krüger-Leißner Rolf Stöckel Frank Schäffler Marion Caspers-Merk Dr. Hans-Ulrich Krüger Christoph Strässer Dr. Konrad Schily Dr. Peter Danckert Jürgen Kucharczyk Dr. Peter Struck Marina Schuster Dr. Herta Däubler-Gmelin Helga Kühn-Mengel Joachim Stünker Dr. Max Stadler Karl Diller Ute Kumpf Dr. Rainer Tabillion Dr. Rainer Stinner Martin Dörmann Dr. Uwe Küster Dr. h. c. Wolfgang Thierse Carl-Ludwig Thiele Dr. Carl-Christian Dressel Christine Lambrecht Jörn Thießen Florian Toncar Elvira Drobinski-Weiß Christian Lange (Backnang) Franz Thönnes Christoph Waitz Detlef Dzembritzki Dr. Karl Lauterbach Rüdiger Veit Dr. Claudia Winterstein Sebastian Edathy Waltraud Lehn Simone Violka Dr. Volker Wissing Siegmund Ehrmann Helga Lopez Jörg Vogelsänger Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. Marlies Volkmer Martin Zeil (B) Hans Eichel Gabriele Lösekrug-Möller (D) Gernot Erler Dirk Manzewski Hedi Wegener Petra Ernstberger Lothar Mark Andreas Weigel BÜNDNIS 90/ Karin Evers-Meyer Caren Marks Petra Weis DIE GRÜNEN Gunter Weißgerber Annette Faße Katja Mast Kerstin Andreae Gert Weisskirchen Elke Ferner Hilde Mattheis Marieluise Beck (Bremen) (Wiesloch) Gabriele Fograscher Markus Meckel Volker Beck (Köln) Lydia Westrich Rainer Fornahl Petra Merkel (Berlin) Cornelia Behm Dr. Margrit Wetzel Gabriele Frechen Dr. Matthias Miersch Birgitt Bender Andrea Wicklein Dagmar Freitag Ursula Mogg Matthias Berninger Dr. Dieter Wiefelspütz Peter Friedrich Marko Mühlstein Grietje Bettin Engelbert Wistuba Martin Gerster Detlef Müller (Chemnitz) Ekin Deligöz Waltraud Wolff Renate Gradistanac Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Thea Dückert (Wolmirstedt) Angelika Graf (Rosenheim) Gesine Multhaupt Hans Josef Fell Heidi Wright Dieter Grasedieck Dr. Rolf Mützenich Kai Gehring Uta Zapf Monika Griefahn Andrea Nahles Anja Hajduk Manfred Zöllmer Kerstin Griese Thomas Oppermann Britta Haßelmann Gabriele Groneberg Holger Ortel Winfried Hermann FDP Achim Großmann Heinz Paula Peter Hettlich Wolfgang Grotthaus Christoph Pries Dr. Karl Addicks Ulrike Höfken Wolfgang Gunkel Dr. Wilhelm Priesmeier Christian Ahrendt Dr. Anton Hofreiter Hans-Joachim Hacker Florian Pronold Daniel Bahr (Münster) Bärbel Höhn Bettina Hagedorn Dr. Sascha Raabe Uwe Barth Thilo Hoppe Klaus Hagemann Mechthild Rawert Angelika Brunkhorst Ute Koczy Alfred Hartenbach Steffen Reiche (Cottbus) Ernst Burgbacher Sylvia Kotting-Uhl Nina Hauer Maik Reichel Mechthild Dyckmans Fritz Kuhn Gerold Reichenbach Jörg van Essen Renate Künast Rolf Hempelmann Dr. Carola Reimann Otto Fricke Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Barbara Hendricks Christel Riemann- Paul K. Friedhoff Markus Kurth Gustav Herzog Hanewinckel Horst Friedrich (Bayreuth) Monika Lazar Petra Heß René Röspel Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Reinhard Loske Gabriele Hiller-Ohm Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Wolfgang Gerhardt Anna Lührmann Gerd Höfer Michael Roth (Heringen) Hans-Michael Goldmann Jerzy Montag Iris Hoffmann (Wismar) Ortwin Runde Miriam Gruß Kerstin Müller (Köln) 7452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Winfried Nachtwei SPD Dr. Lukrezia Jochimsen fraktionslos (C) Dr. Hakki Keskin Omid Nouripour Gregor Amann Katja Kipping Gert Winkelmeier Brigitte Pothmer Reinhold Hemker Monika Knoche Claudia Roth (Augsburg) Petra Hinz (Essen) Jan Korte Elisabeth Scharfenberg Katrin Kunert Enthalten DIE LINKE Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Hüseyin-Kenan Aydin Ulla Lötzer FDP Dr. Gerhard Schick Heidrun Bluhm Ulrich Maurer Joachim Günther (Plauen) Rainder Steenblock Eva Bulling-Schröter Dorothee Menzner Silke Stokar von Neuforn Sevim Dağdelen Wolfgang Nešković DIE LINKE Hans-Christian Ströbele Dr. Diether Dehm Dr. Norman Paech Dr. Harald Terpe Werner Dreibus Elke Reinke Dr. Dietmar Bartsch Dr. Dagmar Enkelmann Paul Schäfer (Köln) Jürgen Trittin Dr. Martina Bunge Klaus Ernst Vol ker Sc hne i de r Wolfgang Wieland Roland Claus Wolfgang Gehrcke (Saarbrücken) Dr. Gregor Gysi Diana Golze Dr. Herbert Schui Dr. Barbara Höll Heike Hänsel Dr. Ilja Seifert Nein Michael Leutert Lutz Heilmann Frank Spieth Dr. Gesine Lötzsch CDU/CSU Hans-Kurt Hill Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Hirsch Dr. Axel Troost Kersten Naumann Dr. Wolf Bauer Inge Höger-Neuling Alexander Ulrich Bodo Ramelow Willy Wimmer (Neuss) Ulla Jelpke Sabine Zimmermann Dr. Petra Sitte

Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der Ansätze seitens des Umfeldes des US-Präsidenten. Wie Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion. sich der Kongress im Einzelnen verhalten wird, gilt als fraglich. Hier müssen wir einen Teil unserer Bemühun- Dr. Ditmar Staffelt (SPD): gen entfalten, die Amerikaner auf diesem Wege in Be- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- wegung zu bringen. ren! Es ist gut, dass wir heute über die Doha-Welthandels- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten runde bzw. über die Fortsetzung der WTO-Verhandlun- der CDU/CSU) (D) (B) gen sprechen. Denn ich glaube, dass dies tatsächlich ein Thema der G-8-Präsidentschaft Deutschlands sein muss Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der in unse- und sein wird. Ich erwarte zwar nicht, dass alle Probleme rer Debatte immer wieder wichtig ist: Natürlich ist es dieser Welt im nächsten halben Jahr im Rahmen der G-8- eine Entwicklungsrunde. Es ist aber auch eine Runde, Präsidentschaft bzw. im Rahmen der EU-Ratspräsident- bei der Europa seine Interessen in der Welt vertritt. Ich schaft unseres Landes gelöst werden können. Doch hier habe hier bei anderer Gelegenheit schon einmal gesagt: könnte eine Reihe wichtiger Impulse gesetzt werden. Auch mit den Schwellenländern stehen wir heute in heftigem Wettbewerb, Ich sage das, weil wir eine verfahrene Situation haben: Die EU hat – auch deshalb ist dieser Antrag wichtig – im (Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]) Verlauf des Jahres noch einmal ein Angebot unterbreitet. vor allem mit den Chinesen, den Indern und den Brasi- Es ist jetzt aus unserer Sicht insbesondere an den Verei- lianern, aber auch mit den Südafrikanern und den Mexi- nigten Staaten von Amerika, gerade im Bereich der kanern. Dass sich Europa hier in angemessener Weise po- Landwirtschaft den Forderungen des Restes der Welt ein sitionieren muss, damit es im Welthandel keine Nachteile Stückchen entgegenzukommen. erleiden muss, liegt wohl auf der Hand. Wir sind eines der Hauptexport- und -handelsländer dieser Welt. Deshalb (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der liegt es besonders in unserem Interesse – das sage ich be- CDU/CSU) wusst in Richtung des Wirtschaftsministeriums –, alles Ich gebe all jenen Recht, die sagen: Wir dürfen nicht im- Erdenkliche dafür zu tun, dass das multilaterale Welthan- mer darauf warten, dass sich noch einer bewegt, und an- delssystem erhalten bleibt. sonsten das Scheitern hinnehmen. Ich konzediere sehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wohl, dass auch Europa noch das eine oder andere leis- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- ten kann. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass es SES 90/DIE GRÜNEN) europäische Länder gibt, deren Landwirtschaft in einem Maße von Subventionen profitiert, dass wir schon sagen Wir müssen auch weiter daran arbeiten, dass endlich müssen: Hier muss den Entwicklungsländern in stärke- wieder Vertrauen in die internationalen Institutionen ein- rem Maße Gelegenheit gegeben werden, ihre landwirt- kehrt. Es geht hier nicht nur um die WTO, es geht auch schaftlichen Erzeugnisse nach Europa zu exportieren. um den IWF und die Weltbank. Wenn wir unsere Philo- Nur, zuallererst brauchen wir Bewegung in den Verei- sophie ein Stück weit verändern – sie darf nicht mehr ge- nigten Staaten von Amerika. Nach den Aussagen von tragen sein von der Dominanz der Amerikaner, sondern Handelskommissar Mandelson gibt es einige positive wir müssen von einer multipolaren Welt der Zukunft Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7453

Dr. Ditmar Staffelt (A) ausgehen –, dann kann Deutschland einen wichtigen, spielt hat: Wir müssen uns langfristig Gedanken darüber (C) vermittelnden, aber in der Zielsetzung durchaus klaren machen, ob die Struktur der WTO wirklich als arbeitsfä- Standpunkt entwickeln, mit dem wir die Dinge voran- hig zu bezeichnen ist. bringen können. Darum bitte ich die Bundesregierung ausdrücklich. (Beifall des Abg. Dr. Axel Berg [SPD]) (Beifall bei der SPD) Es ist gut, wenn alle Einfluss haben und mitbestimmen können. Aber eine Organisation oder Institution, die Es geht bei dem Werben auch um etwas, das mir im- sanktionieren kann und die handeln und steuern muss, mer mehr Kopfschmerzen bereitet: die Vorbildfunktion. braucht letztlich ähnliche Strukturen wie beispielsweise Man kommt auf internationale Kongresse und Tagun- die Vereinten Nationen. Nur ein Delegationsverfahren gen, und die Entwicklungsländer fragen zu Recht: Was ermöglicht letztlich Arbeitsfähigkeit. Diesen Aspekt macht eigentlich ihr Amerikaner, aber auch ihr Euro- sollten wir Deutsche im Rahmen der G 8 zur Sprache päer? Ihr haltet euch nur sehr bedingt an die von euch bringen, zumal sich auch die EU dazu schon eingelassen selbst gesetzten Standards. Doch von uns erwartet ihr, hat. dass wir diese Standards erfüllen. – Hier muss ein stär- keres Maß an Durchgängigkeit, an Klarheit dessen, was Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme wir anderen zumuten, und dessen, was wir uns selbst zu- zum Schluss. Wir sollten mit großem Engagement die muten müssen, hergestellt werden. Diese Glaubwürdig- Fortführung der Doha-Entwicklungsrunde betreiben. keit kann auch im Rahmen unserer G-8-Präsidentschaft Falls es nicht weitergehen sollte, sollten wir alles dafür stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. tun, um die Ergebnisse der Konferenz in Hongkong zu sichern. Das wäre zugunsten der Entwicklungsländer, Jene, die in dieser Debatte darauf verwiesen haben, aber auch zugunsten unserer Position. Ich denke, das ist das ganze WTO-System sei eigentlich nichts weiter als eine Menge Arbeit. Ich hoffe sehr, dass Herr Glos und eine neokoloniale Erscheinung, sollten einmal über Fol- sein Wirtschaftsministerium die der Stellung Deutsch- gendes nachdenken: Die Alternative zur Multilateralität lands zukommende Aufgabe wahrnimmt. ist, dass eine Vielzahl bilateraler Abkommen geschlos- sen würden. Das würde am Ende insbesondere den ärms- Schönen Dank. ten der armen Länder in der Welt schaden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Präsident Dr. Norbert Lammert: DIE GRÜNEN) Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion (B) Wir wie andere vergleichbare Länder würden vielleicht Die Linke. (D) noch damit zurechtkommen, die armen Länder aber mit (Beifall bei der LINKEN) Sicherheit nicht. In diesen Ländern würde sich der Pro- zess der Verarmung in einer Weise fortsetzen, die nicht mehr verantwortbar wäre. Deshalb müssen wir in dieser Ulla Lötzer (DIE LINKE): Frage beieinander stehen. Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fritz, Kollege Staffelt, bei aller Beschwörung des guten (Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) Willens zum Abschluss: Der Geist des Antrags spiegelt Ein weiterer Punkt. Wir müssen, allein schon aus ei- die Gründe für das Scheitern der WTO-Verhandlungen genem Interesse, allergrößten Wert darauf legen, dass wider. die Kernarbeitsnormen der ILO und Umwelt- und So- Rufen wir uns einmal den Ausgangspunkt in Erinne- zialstandards in verstärktem Maße Eingang in die Volks- rung. Die verheerenden Folgen der Uruguayrunde – als wirtschaften dieser Welt finden. Es führt kein Weg daran Konsequenz von Liberalisierung und Deregulierung – vorbei, auf dieses Thema hinzuweisen, selbst wenn es waren nicht Wohlstandsentwicklung, sondern wachsende nicht unmittelbar in die WTO-Verhandlungen einfließen Armut und wachsende Polarisierung. Deswegen war es kann. Nur dann werden wir a) zur Wahrung der Men- erforderlich, für die Zustimmung der Entwicklungsländer schenwürde beitragen, b) die Realisierung des Klima- zur Doharunde deren Interesse in den Mittelpunkt zu stel- schutzes voranbringen und c) dafür Sorge tragen, dass len und nichts anderes. Deshalb sollte es eine Entwick- die Wettbewerbsfähigkeit in dieser Welt und damit un- lungsrunde werden. Aber wo Entwicklung draufsteht, sere Wettbewerbsposition nicht dadurch weiter untermi- muss auch Entwicklung drin sein – niert werden, dass sich andere überhaupt nicht an Stan- dards halten und tun, was sie wollen, noch dazu (Beifall bei der LINKEN) ungestraft. Das darf nicht sein. Wir müssen uns alle zu- anstatt, wie Sie, die Interessen der Konzerne in Europa sammen dafür einsetzen, dass sich Europa und Deutsch- und Deutschland in den Vordergrund zu stellen. land dieser Aufgabe stellen und eine wichtige Klammer- funktion wahrnehmen. Weiterhin fordern Sie das Dreiecksgeschäft: Zuge- ständnisse an die Entwicklungsländer gibt es nur, wenn (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem die Schwellenländer ihre Märkte für die Industrie und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für Dienstleistungen öffnen. Ausnahmen zum Schutz der Abschließend noch ein Aspekt, der kürzlich bei der Ernährungssicherheit und für Souveränität sollen nur für WTO-Parlamentarierkonferenz eine gewisse Rolle ge- die ärmeren Entwicklungsländer gelten. Auch die Men- 7454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Ulla Lötzer (A) schen in Brasilien und Indien wehren sich zu Recht ge- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Ditmar Staffelt (C) gen den Ausverkauf ihrer öffentlichen Daseinsvorsorge. [SPD]: Am Schluss eine solche Weichmacher- nummer! Wieso sollen wir mit Ihnen gut zu- (Beifall bei der LINKEN) sammenarbeiten?) Kollege Fritz, Sie haben vor kurzem während der Reise nach Indien doch auch wieder erfahren: Schutz- Präsident Dr. Norbert Lammert: mechanismen für die Landwirtschaft sind auch in Indien Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der dringend notwendig, weil sonst Millionen von Subsis- Kollege Thilo Hoppe, Fraktion Bündnis 90/die Grünen. tenzbauern ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das bestreitet Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch niemand!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 11. September 2001 brachte einen großen Schock. Un- Sie weisen zu Recht auf die Verletzung der Kern- mittelbar danach fand in Doha eine Konferenz statt. Un- arbeitsnormen in vielen Ländern – zum Beispiel in ter dem Eindruck dieser schrecklichen Ereignisse gab es China – hin. Wer veranlasst diese aber und wer zieht den das Versprechen, dass die Doharunde eine Entwick- Nutzen daraus? lungsrunde werden sollte. Es wurde schon gesagt: Die Am 8. Oktober 2006 hat das Magazin „Weltspiegel“ Auswertung der Uruguayrunde hatte ergeben, dass es in einem Bericht über einen chinesischen Hersteller von den ärmsten Ländern danach noch schlechter als zuvor Duschvorhängen gezeigt, wie die Aufkäufer aus Europa ging. An die Doharunde wurde ein ganz anderer An- und den USA in China agieren. Sie erpressen die chine- spruch gestellt: Mit ihr sollte wirklich zur Armutsbe- sischen Hersteller: Wenn du den Auftrag willst, musst du kämpfung und zur Wohlfahrtssteigerung in den Entwick- billiger produzieren als bisher – auch unter Verletzung lungsländern beigetragen werden. der Kernarbeitsnormen. – Eingekauft wird in China für Doch was ist daraus geworden? Wir erleben in den 1,96 Dollar und verkauft wird in Europa für 20 bis Diskussionen sehr viel Entwicklungsrhetorik. Ich habe 30 Dollar. Wer die Bedeutung der ILO-Kernarbeitsnor- das „off the record“ am Rande der WTO-Konferenz in men stärken will, der sollte zunächst einmal die europäi- Hongkong erlebt, weil ich in demselben Hotel wie die schen Konzerne verbindlich darauf verpflichten, sie Mitglieder der EU-Kommission untergebracht war. auch in China einzuhalten. Abends an der Hotelbar hat ein sehr hoher Repräsentant (Beifall bei der LINKEN) der EU-Kommission gesagt: Meine Herren, bei den Er- öffnungsveranstaltungen müssen wir alle eine Träne aus- (B) Wer die soziale Situation verbessern will, der muss die drücken, die Millenniumsziele zitieren und von der Ar- (D) Konzerne hinsichtlich der Kernarbeitsnormen auch bei mutsbekämpfung sprechen. Aber seien wir ehrlich: den Investitionen in die Pflicht nehmen. Wenn wir nach Hause kommen, werden wir daran ge- Mit der EU-Strategie „Ein wettbewerbsfähiges messen, was wir für unsere Exportindustrie herausgeholt Europa in einer globalen Welt“ forcieren Sie im Gegen- haben. – Das war jetzt kein Originalzitat – ich habe es teil die Freizügigkeit bei Investitionen europäischer nicht mit einem Rekorder aufgenommen –, aber sinnge- Konzerne in bilateralen Handelsabkommen. Damit neh- mäß vorgetragen. Offenbar legen viele dort eine ziem- men Sie den Regierungen die Gestaltungsmacht in die- lich zynische Haltung an den Tag. sen Dingen, anstatt sie zu stärken. Auch für Europa be- Hier wurde in vielen Reden gesagt, die Europäische handeln Sie soziale und ökologische Auflagen in dieser Union habe sich bereits hervorragend bewegt; abgesehen Strategie als Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit, die von den Franzosen seien es allein die Amerikaner, die es zu beseitigen gilt. blockierten. Das sieht die große Mehrheit der Entwick- Wer erfolgreiche Verhandlungen und einen erfolgrei- lungsländer völlig anders. Auch da gibt es eine große chen Abschluss will, der muss im Rahmen der Ratspräsi- Kluft zwischen Selbsteinschätzung und Fremdwahrneh- dentschaft und des G-8-Vorsitzes eine Neuorientierung mung. vornehmen: die Förderung sozialer und ökologischer In den Reden, die zum Antrag gehalten wurden, Nachhaltigkeit in Europa und in den Verhandlungen, die wurde viel Richtiges gesagt. Ich war angenehm über- Orientierung an einem fairen Welthandel mit den Ent- rascht, dass die Kernarbeitsnormen der ILO unter- wicklungs- und Schwellenländern – das heißt, Ernäh- stützt werden. Es ist eine sehr wichtige und gute Forde- rungssicherheit und Souveränität für alle; auch für die rung in diesem Antrag, diese Normen anzuwenden. Schwellenländer –, eine tatsächlich an deren Interessen Außerdem wurde gefordert, ein Standing Forum zu orientierte Verhandlung – das heißt, keine Ausweitung in etablieren, damit sich die WTO stärker mit anderen mul- das GATS – und der Schutz vor dem Zugriff auf ihre tilateralen Organisationen, die für die ökologischen und Märkte. Kollege Fritz, der Handel braucht auch die Ab- sozialen Dimensionen der Globalisierung verantwortlich sicherung des Sozialsystems. Das gilt also nicht nur um- sind – die WTO ist stark; die anderen Organisationen gekehrt. sind sehr schwach –, verzahnt. Richtig war auch, dass Schöne Feiertage und auf gute Zusammenarbeit im gesagt wurde: Umweltschweinereien und ausbeuterische nächsten Jahr! Kinderarbeit sowie die Verletzung von Kernarbeitsnor- men dürfen sich nicht als komparative Kostenvorteile Danke. auswirken. Das sind ganz wichtige Punkte, die ich aus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7455

Thilo Hoppe (A) drücklich unterstreichen möchte. Das Votum fast aller rung beispielsweise für die Staaten Afrikas große Risi- (C) Redner ist also zu unterstützen: Wir sind nicht an einem ken in sich berge. Man hat die bisherigen Zahlen stark Scheitern der WTO, sondern an ihrer Stärkung interes- relativiert. Das, was ich sage, hat weder Attac noch die siert; wir brauchen multilaterale Regeln für alle. Kirchen, sondern die Weltbank selber formuliert. Es heißt dort, gerade die ärmsten, aber auch die weniger ar- Wir können hier eigentlich eine breite Übereinkunft men Staaten Afrikas brauchten in einigen Bereichen von fast allen feststellen. Liest man aber den Antrag, er- mehr Schutzmechanismen, mehr Außenschutz, um nicht kennt man, dass er in einigen Punkten eine ganz andere nur den Ernährungssektor, sondern auch die sonstige In- Sprache spricht. Er beinhaltet Double-Bind: Einerseits dustrie, die sich gerade entwickelt und noch sehr verletz- fordert er, der Doha-Entwicklungsrunde zum Erfolg zu lich ist, zu schützen. verhelfen; gleichzeitig sagt er aber auch: Wenn das nicht klappt, müssen bilaterale und polylaterale Verhand- lungen mit Kraft geführt werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege! (Manfred Zöllmer [SPD]: Das wollen doch viele Entwicklungsländer auch, wenn das nicht Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): klappt!) Ich werbe also für eine Entwicklungsrunde, die diesen Das ist keine Zukunftsvision; das geschieht schon, etwa Namen wirklich verdient. Wir sollten der Entwicklungs- im Rahmen der EPA-Verhandlungen, der Verhandlungen rhetorik nicht auf den Leim gehen. mit den AKP-Staaten sowie bei den Verhandlungen mit Danke schön. asiatischen Staaten, mit China und Indien, die Peter Mandelson begleitet hat. Damit wird aber nicht das Er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebnis von Hongkong gesichert. sowie bei Abgeordneten der SPD) Themen, die bei der WTO schon hinten herunterge- fallen waren, kommen durch die Hintertür wieder auf die Präsident Dr. Norbert Lammert: Agenda; das wird im Antrag sogar ausdrücklich gefor- Ich schließe die Aussprache. dert. Hiermit meine ich die Singapurthemen: Investi- Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den An- tionsschutz, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswe- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem sen. Unter Rot-Grün haben wir vor der Cancúnkonferenz Titel „Anstrengungen für einen erfolgreichen Abschluss einen Antrag verabschiedet, der eindeutig vorsah, die der Doha-Welthandelsrunde mit höchster Priorität Singapurthemen herauszunehmen, weil sie zu kompli- fortsetzen“. Wer stimmt für den Antrag auf Druck- (B) ziert sind, weil sie eine Einigung erschweren. Jetzt heißt sache 16/3810? – Das sind die Antragsteller. – Wer (D) es im Antrag plötzlich zu bilateralen Abkommen, sie stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das erste war die … sollten allerdings mit dem Anspruch verbunden Mehrheit. Dann ist der Antrag angenommen. werden, über den aktuellen Stand der WTO-Verein- Zum Tagesordnungspunkt 24 b stimmen wir nun über barungen hinauszugehen. die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- Diese Themen sollen also wieder aufgenommen wer- schaft und Technologie auf Drucksache 16/3584 zum den. Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Doha-Runde wieder beleben – WTO-Generaldirektor als Schlichter (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das macht auch einsetzen“ ab. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf keinen Sinn, die herauszunehmen!) Drucksache 16/2658 abzulehnen. Wer stimmt für die Be- Das ist eine Sabotage der WTO. Wir sehen das sehr kri- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- tisch. In diesem Bereich können wir Ihrem Antrag nicht hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit zustimmen. gegen die Stimmen der FDP angenommen. Wir möchten eine Entwicklungsrunde, die diesen Na- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf: men verdient. Das Wort Entwicklungsrunde soll kein Beratung des Antrags der Abgeordneten Etikettenschwindel sein. Das macht weit größere Zuge- Dr. Christel Happach-Kasan, Cornelia Pieper, ständnisse auch der Europäischen Union bei der Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter Abschaffung der Agrarexportsubventionen – nicht und der Fraktion der FDP nur der direkten Agrarexportsubventionen, sondern aller Subventionen im Agrarbereich, die sich handelsverzer- Eigentumsrechte und Forschungsfreiheit rend und nachteilig für die Entwicklungsländer auswir- schützen – Entschiedenes Vorgehen gegen Zer- ken können – erforderlich. störungen von Wertprüfungs- und Sortenver- suchen sowie von Feldern mit gentechnisch Zum Schluss möchte ich einige Redner bremsen. Ei- veränderten Pflanzen nige Rednerinnen und Redner haben zitiert, eine gren- zenlose Liberalisierung aller Märkte würde große Wohl- – Drucksache 16/2835 – standsgewinne für die ganze Welt bringen. Es gibt neue Überweisungsvorschlag: Studien der Weltbank – ich habe die Zahlen leider nicht Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) vorliegen; ich kann sie Ihnen aber zur Verfügung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie stellen –, die besagen, dass eine grenzenlose Liberalisie- Ausschuss für Gesundheit 7456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Das wäre ein großer Verlust für unser Land und vor al- (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und lem für die Menschen, die darauf angewiesen sind, dass Technikfolgenabschätzung andere ihr Geld bei ihnen ausgeben. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Frak- (Beifall bei der FDP) tion. Deswegen ist es nicht nur eine Frage des Züchtungs- (Beifall bei der FDP) fortschritts, sondern auch des sozialen Miteinanders, ob es sinnvoll ist, dass wir als ein Land, in dem relativ hohe Gehälter gezahlt werden, diejenigen ins Ausland vertrei- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): ben, die diese hohen Einkommen beziehen. Es stellt sich Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch die Frage, ob es sinnvoll ist, diejenigen, die bei uns 23 Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen wur- studiert und sich ein umfassendes Wissen erarbeitet ha- den in diesem Jahr zerstört. Forschungsinvestitionen ben, ins Ausland gehen zu lassen, weil sie bei uns keine wurden entwertet, Wissensfortschritt verhindert und das Arbeit finden. Engagement junger Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler ins Leere geführt. Wir in der FDP empfinden Der Wackelkurs von Minister Seehofer in der Frage diese Situation als unerträglich. der Novellierung des Gentechnikgesetzes hat den De- monstrationstourismus noch gefördert. Er hat die Hoff- (Beifall bei der FDP) nung geweckt, es gäbe Möglichkeiten, die Gentechnik zu verhindern. Dabei wissen wir alle, dass gentechnisch Dabei wollen wir festhalten: Die Mehrzahl der Zer- veränderte Pflanzen inzwischen weltweit auf über störungen richtete sich nicht gegen den kommerziellen 90 Millionen Hektar angebaut werden. Anbau von Bt-Mais, eine gentechnisch veränderte Mais- sorte, die gegen das Schadinsekt Maiszünsler resistent (Ulrich Kelber [SPD]: 95 Prozent in ist. Die Mehrzahl der Zerstörungen richtete sich gegen vier Ländern!) Sortenversuche und Wertprüfungen, gegen Versuche zur biologischen Sicherheit und gegen Koexistenzversuche. – In mehr als vier Ländern, und es sind große Länder. All diese Versuche finden auf Miniflächen statt. Damit Die Produkte kommen zu uns. Es macht keinen Sinn, richteten sich diese Zerstörungen gezielt gegen den sich gegen eine Züchtungsmethode zu wehren, über die Züchtungsfortschritt von landwirtschaftlich genutzten zum Beispiel der Senat der Bundesforschungsanstalten Sorten und die Steigerung der Wertschöpfung in den sagt: Bt-Mais ist gesünder als herkömmlich gezüchteter ländlichen Räumen. Die Schäden betrugen mehrere Mil- Mais. Warum soll dieser Züchtungsfortschritt bei uns (B) lionen Euro. Ich meine, dass wir das nicht länger hinneh- verhindert werden? (D) men können. (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ken- (Beifall bei der FDP) nen Sie auch das Gutachten des BfN?) Eine Regierung, die eine Hightechstrategie auf den – Ich kenne auch das Gutachten, das in Bayern erarbeitet Weg gebracht hat und diese auch umsetzen will, wie ich wurde. Das Bt-Mais-Monitoring wurde in vier Jahren an annehme, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD fünf Standorten durchgeführt. Das Gutachten ist hervor- und der CDU/CSU, und die im Koalitionsvertrag verein- ragend. Wenn Sie es ganz lesen, dann werden Sie fest- bart hatte, dass Anbau und Forschung gentechnisch stellen, was uns alles entgeht. veränderter Pflanzen zum Wohle der ländlichen Räume gefördert werden sollen, ist angesichts dieses zerstöreri- (Ulrich Kelber [SPD]: Das Gutachten des schen Demonstrationstourismus gefordert, Gegenmaß- Bundesamtes für Naturschutz, nicht nur in nahmen zu entwickeln. Bayern!) Mittelständische Zuchtunternehmen haben wegen – Das Bundesamt für Naturschutz hat in seinen Stel- dieser Situation bereits vor mehreren Jahren Forschungs- lungnahmen in der Regel eine sehr abwegige Sicht der abteilungen ins Ausland verlagert. Dinge. Es weiß noch nicht einmal, dass beispielsweise Kartoffeln nicht auskreuzen. Studenten, Diplomanden, Doktoranden und andere Wissenschaftler können aufgrund ihrer guten Sprach- (Uta Zapf [SPD]: Das ist höhnisch!) kenntnisse ebenfalls ins Ausland gehen. Es ist für sie kein Problem, ein Arbeitsplatzangebot im Ausland anzu- – Das ist nicht höhnisch. Ich habe mich mit dem Gutach- nehmen. ten des Bundesamtes für Naturschutz und den an mich gerichteten Briefen auseinander gesetzt. Ich habe sie Aber was wird aus unserem Mittelstand, aus der Gas- mithilfe von Wissenschaftlern gegengecheckt und tronomie und dem Handwerk, wenn diejenigen unser musste feststellen, dass das Bundesamt für Naturschutz Land verlassen, die relativ gut verdienen und es sich in Forschungsfragen nicht auf der Höhe der Zeit ist. Ich leisten können, ein Haus zu bauen, die hier Urlaub ma- will Ihnen ganz ehrlich sagen: Das bedauere ich als en- chen und gerne in die Gastwirtschaft gehen? gagierte Biologin. (Gudrun Kopp [FDP]: Das ist ein großer Ver- (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: lust!) Was sagt das BfN zum Bt-Mais?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7457

Dr. Christel Happach-Kasan (A) – Ich fahre in meiner Rede fort. Aber Sie dürfen mir Hellmut Königshaus (FDP): (C) selbstverständlich gerne eine Frage stellen, Herr Kol- Frau Kollegin, teilen Sie meine Auffassung, dass die lege. Bundesregierung offenbar die Zuständigkeit für die Gen- technologie im Bereich des Auswärtigen Amtes ansie- Präsident Dr. Norbert Lammert: delt? Denn außer Herrn Erler ist niemand sonst von der Bundesregierung bei diesem Tagesordnungspunkt ver- Nein. Es gab bereits vorher eine andere Wortmeldung. treten. Diese müssen wir, wenn überhaupt, zuerst berücksichti- gen. (Ute Kumpf [SPD]: Die wollte nicht mit mehr Leuten da sein als die FDP-Fraktion!) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich teile Ihre Auffassung, dass die Bundesregierung offensichtlich die Verantwortung für die Grüne Gentech- Präsident Dr. Norbert Lammert: nik in das Auswärtige Amt verlagert hat. Ich glaube, Gestatten Sie denn eine Zwischenfrage? Sehen allein dass sie dort gut aufgehoben ist. Ich darf an meine Erfah- reicht nicht. rungen in Argentinien erinnern. Dort wurde uns gesagt: Die Koexistenz ist die Sache derjenigen, die ohne Gen- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): technik anbauen wollen. Insofern vielen Dank für Ihre Unterstützung. Sehr gerne. (Beifall bei der FDP – Eckart von Klaeden Präsident Dr. Norbert Lammert: [CDU/CSU]: Der Staatssekretär aus dem Ver- teidigungsministerium ist auch anwesend!) Bitte schön, Frau Kurth. Ich möchte in meiner Rede fortfahren. Bei der Novel- lierung des Gentechnikgesetzes verspielt Bundesminis- Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE ter Seehofer viele Chancen für den Wissenschaftsstand- GRÜNEN): ort Deutschland. Willentlich hat Minister Seehofer die Frau Happach-Kasan, habe ich richtig verstanden, Novellierung des Gentechnikgesetzes so weit hinausge- dass Sie gesagt haben, dass das Bundesamt für Natur- schoben, dass es in der kommenden Anbausaison nicht schutz in der Einschätzung wissenschaftlicher Sachver- mehr zur Geltung kommt. Damit enttäuscht insbeson- halte nicht auf der Höhe der Zeit ist? dere die CDU/CSU, mit der ich noch vor einem Jahr völ- (B) lig übereingestimmt habe, die Erwartungen der Wähle- (D) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): rinnen und Wähler. Ich habe mich insbesondere mit den Arbeiten des (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE Bundesamtes für Naturschutz zur Freisetzung von Kar- LINKE]) toffeln auseinander gesetzt. Ich habe einen Brief von Herrn Vogtmann zu diesem Thema bekommen. Ich habe – Das glaube ich sehr wohl, Frau Kollegin Tackmann. nach Kontrolle durch andere wissenschaftliche Einrich- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tungen der Bundesrepublik Deutschland feststellen müs- Herr Seehofer kann auch dazulernen!) sen, dass bestimmte Dinge, die das Bundesamt für Na- turschutz vertritt, nicht richtig sind. Ich möchte zudem Es gibt in unserem Rechtsstaat keinen Freibrief für daran erinnern, dass das UBA und das BfN gemeinsam rechtswidriges Handeln. Im Grundgesetz ist der Schutz Gutachten über die Wirksamkeit von Freisetzungsversu- des Eigentums verankert. Die Zerstörung von Feldern ist chen herausgegeben haben, die meine Position sehr eine gesetzeswidrige Aktion. Den Aktivisten, die für die deutlich bestätigen. Das heißt, wenn das UBA beteiligt Zerstörung von Feldern werben, ist dies bekannt. Laut wird, kann auch das BfN gut arbeiten. „taz“ sagte eine Aktivistin: „Wir wissen, dass es sich im Prinzip um eine Sachbeschädigung handelt, und gehen (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: von einer Anklage aus.“ Die FDP bedauert, dass sich Das BfN hat zur Maisfreisetzung „unverant- trotz der eindeutigen Rechtslage nur wenige Verbände wortbar“ gesagt! Das ist eine Unterstützung sowie nur wenige Politikerinnen und Politiker von für Frau Happach-Kasan!) – rechtswidrigen – Zerstörungsaktivitäten distanzie- ren. Ministerin Künast hat in ihrer Amtszeit auf die kon- Präsident Dr. Norbert Lammert: krete Anfrage des ZDF eine Distanzierung verweigert. Möchten Sie eine weitere Zwischenfrage aus den ei- Greenpeace begrüßt laut einer Sprecherin eine Vielzahl genen Reihen beantworten? von Protesten. Ich wünsche mir, dass sich meine Kolle- ginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen in den kommenden Debatten öffentlich von diesen Zerstörun- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): gen distanzieren; denn unser Rechtsstaat ist ein sehr ho- Gerne. hes Gut, das wir einer tagespolitischen Auseinanderset- zung nicht opfern sollten. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bitte schön, Herr Königshaus. der CDU/CSU) 7458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Christel Happach-Kasan (A) Wer Transparenz beim Anbau gentechnisch veränder- (Ute Kumpf [SPD]: Das ist ein schönes Weih- (C) ter Pflanzen will, muss den Zerstörungen aktiv entge- nachtsgeschenk!) gentreten. Es ist in meinen Augen extrem doppelzüngig, die Ortsangabe für diese Felder einzufordern, aber wenn Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf sie zerstört werden, die Hände in Unschuld zu waschen. Drucksache 16/2835 an die in der Tagesordnung aufge- Wir sollten uns einig sein – – führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Ich stelle fest, dass das so ist. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, einig sollten wir uns auch über die Re- Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: dezeit sein. Diese ist, wie Ihnen entgangen sein dürfte, Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- schon deutlich überschritten. gierung

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Erster Bericht der Bundesregierung über die Ich möchte die Geduld der Kolleginnen und Kollegen Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Kri- nicht zu lange strapazieren und komme deshalb zum senprävention, Konfliktlösung und Friedens- Schluss. Ich bin in bei einer der konsolidierung – Sicherheit und Stabilität 23 Zerstörungsaktionen dabei gewesen. durch Krisenprävention gemeinsam stärken (Zurufe von der SPD: Oh! – Jürgen Trittin – Drucksache 16/1809 – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Selbst- Überweisungsvorschlag: anzeige?) Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss – Als Beobachter und Schützer des Landwirts! – Er- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe schreckend waren der extrem geringe Informationsstand Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vieler Aktivisten – nicht aller – und die Tatsache, dass Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Veranstalter vor Fehlinformationen nicht zurück- scheuten und dass diese Aktion durchgezogen wurde, Hierzu soll eine dreiviertelstündige Debatte stattfin- obwohl sie in der dortigen Bevölkerung keinerlei Unter- den. Ich stelle dazu Einvernehmen fest. Dann ist das so stützung fand. Nur die „taz“ hat von dieser Aktion be- beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat richtet. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die gewalti- zunächst Staatsminister Gernot Erler. gen Proteste nicht von Ängsten motiviert sind, sondern – immer am Wochenende organisiert – eine Form der Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: (B) Freizeitgestaltung sind. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am (D) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 12. Mai 2004 hat die rot-grüne Bundesregierung den Ak- NEN]: Ausgerechnet am Wochenende! Mein tionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Gott! Am Wochenende! Nee! Können die Friedenskonsolidierung“ vorgelegt. Er enthielt mehr als nicht in die Kirche gehen?) 160 Handlungsvorschläge, baute auf einer Reorientie- rung von Sicherheitspolitik seit dem Jahr 2000 auf und Diese sollte durch das Gentechnikgesetz keine wei- reflektierte Erfahrungen mit verschiedenen Konflikten, tere Unterstützung finden. Auch deswegen muss das unter anderem auf dem Balkan und später auch in Af- Gentechnikgesetz novelliert werden. ghanistan. Diese Art der Freizeitgestaltung Zwei Jahre später, am 31. Mai 2006, hat das Bundes- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kabinett den ersten Bericht zur Umsetzung dieses Ak- Sollen die das während der Arbeit machen?) tionsplans verabschiedet und vorgelegt. Auf 133 Seiten wird hier bilanziert, was zwischen Mai 2004 und Mai muss auf den Widerstand der Gesellschaft, der Politike- 2006 erreicht werden konnte. Dieser Bericht stellt fest: rinnen und Politiker und von ernsthaft im Naturschutz Der Aktionsplan hat das deutsche Engagement bei Kri- engagierten Verbänden treffen. senpräventionsmaßnahmen verstärkt und das auch inter- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün- national sichtbar gemacht. Der Aktionsplan hat insge- sche Ihnen schöne Weihnachten und ein gutes neues samt zu erhöhter Aufmerksamkeit auf diesen Jahr. Politikbereich geführt und dazu beigetragen, dass heute Krisenprävention zunehmend Teil von Sicherheitspolitik (Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜND- geworden ist. Diese Erkenntnis hatte sich auch in dem NIS 90/DIE GRÜNEN]: Letzterem schließen kürzlich vom Deutschen Bundestag beratenen Weiß- wir uns gerne an!) buch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zu- kunft der Bundeswehr 2006 niedergeschlagen. Ich Präsident Dr. Norbert Lammert: möchte daraus eine kurze Passage in Erinnerung rufen. Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Max Lehmer, Dort heißt es wörtlich: Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Kirsten Tackmann und Sicherheit kann weder rein national noch allein Ulrike Höfken geben ihre Reden zu Protokoll.1) durch Streitkräfte gewährleistet werden. Erforder- lich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in 1) Anlage 2 vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7459

Staatsminister Gernot Erler (A) im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatli- personalgesetz, um den Rechtsstatus von Leuten, die (C) chen und globalen Sicherheitsverständnisses zu ent- bei ziviler Krisenprävention eingesetzt werden, zu klä- wickeln ist. Das Gesamtkonzept der Bundesregie- ren. Zweitens. Wir sind uns noch nicht klar, wie genau rung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und das Ressourcenpooling, das wir auch brauchen, gestal- Friedenskonsolidierung“ ist ein Baustein hierzu. tet werden soll. Drittens. Wir müssen klären, wie die Beiträge der Privatwirtschaft zur Friedensförderung Dieser Baustein wird immer wichtiger. Warum? Weil je- systematisch unterstützt werden können. Viertens. Wir der sieht, dass ein alleiniges Setzen auf Fähigkeiten, müssen sehen, dass die internationalen, multilateralen Konflikte, wenn sie ausbrechen, durch militärische In- Strukturen gestärkt werden. Das gilt auch für unser En- tervention unter Kontrolle zu bringen, große Risiken gagement bei der kürzlich erst gebildeten UN-Peacebuil- birgt. Wir wissen aus dem Balkan und aus Afghanistan, ding Commission. Allein die Bildung dieser Kommis- dass das Risiko besteht, dass jede solche Intervention zu sion zeigt, wie aktuell der deutsche Ansatz ist. Fünftens. einer sehr aufwendigen Langzeitverantwortung führt Schließlich brauchen wir eine bessere internationale Ver- und dass dabei tendenziell eine Überforderung, ein so netzung der Akteure, das heißt Zusammenarbeit der genanntes Overstretching, der Weltgemeinschaft ent- EU mit den europäischen NGOs, die sich mit ziviler steht. Die Alternative ist in der Tat eine wirksamere, vor- Krisenprävention beschäftigen. Das alles sind Erkennt- ausschauende Friedenspolitik, eine bessere und frühzei- nisse aus diesem Bericht, den wir heute hier beraten. tige Analyse, Early Warning, und eine bessere und frühzeitige Antwort, Early Action, auf drohende Kon- Abschließend möchte ich feststellen: Zivile Krisen- flikte, also letztlich die Verhinderung von Krisen, be- prävention ist nicht mehr ein Randthema oder ein Thema vor sie überhaupt richtig ausbrechen können. für Sonntagsreden. Das Thema ist bei uns und zuneh- mend weltweit in die Mitte verantwortungsbewusster Si- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem cherheitspolitik gerückt. Dazu hat die deutsche Politik BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seit 2000 und besonders mit der Arbeit an dem Aktions- Dieser Baustein ist aber auch wichtig, weil wir die Er- plan seit 2004 nicht unwesentlich beigetragen. Es be- fahrung machen, wie schwierig Friedenskonsolidierung, steht eine belastbare, glaubwürdige Selbstverpflichtung also die langfristige Stabilisierung nach einer vorläufi- der Bundesregierung, sichtbar in diesem Aktionsplan, gen Konfliktlösung, ist. Wir verdanken dem scheidenden sichtbar aber auch im Koalitionsvertrag, der ausdrück- UN-Generalsekretär Kofi Annan die Erkenntnis, dass lich auf die Umsetzung dieses Aktionsplans hinweist. 50 Prozent aller schon gelösten Konflikte nach fünf Jah- Das Ganze findet im Rahmen der europäischen Sicher- ren wieder virulent werden und wieder ausbrechen. Weil heitsstrategie statt. Wir können eigentlich jeden Ver- das so ist, ist es kein Wunder, dass zivile, präventive und gleich aushalten, was die Umsetzung dieser europäi- (B) friedenskonsolidierende Missionen immer wichtiger schen Sicherheitsstrategie angeht. (D) werden. Es ist kein Zufall, dass von den 15 laufenden Die Bundesregierung will die Arbeit an dem Groß- Maßnahmen im Rahmen der ESVP heute 13 ziviler und thema zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Frie- nur zwei militärischer Natur sind. In diese Richtung geht denskonsolidierung fortsetzen. Sie bittet dabei um die es weiter. kritische Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen, Während unserer Ratspräsidentschaft in der EU wer- die sich für dieses Thema interessieren. den wir wahrscheinlich die bisher umfangreichste (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Rechtsstaatsmission in der bisherigen Geschichte der GRÜNEN]: Der anderen auch!) ESVP auf den Weg bringen, nämlich die im Kosovo. Dort werden etwa 950 Spezialisten plus 250 Polizisten Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche eingesetzt, die auf Crowd-and-Riot-Control spezialisiert Ihnen alles Gute und mir selber gute Besserung. sind. Wir werden vielleicht darüber beraten müssen, was das Ergebnis der Fact-Finding-Mission ist, die gerade in (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Afghanistan war und die dort über eine Polizeimission BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fakten gesammelt hat. Wir werden uns sicher darüber unterhalten, wie es im Kongo weitergehen soll, wo im Präsident Dr. Norbert Lammert: Augenblick zwei zivile Missionen in Sachen Sicher- Das Wort hat nun der Kollege Hellmut Königshaus, heitssektor und Polizei sind, um den schönen Erfolg im FDP-Fraktion. Kongo, den die Weltgemeinschaft und speziell die EU erreicht haben, mit der EUFOR abzusichern. Es gibt so- Hellmut Königshaus (FDP): gar schon erste Überlegungen über künftige ESVP-Auf- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gaben in Zentralasien. Das alles zeigt die Vitalität der glaube, lieber Herr Staatsminister, das Thema ist aus der Nachfrage nach wirksamen Missionen im Bereich ziviler Sicht der Bundesregierung doch ein Randthema; wenn Krisenprävention. Damit zeigt sich auch die Bedeutung ich die Präsenz auf der Regierungsbank betrachte, sieht der Umsetzung des Aktionsplans, dessen Bericht wir das jedenfalls so aus. hier beraten. (Beifall bei der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Die Der Bericht der Bundesregierung zeigt allerdings ist proportional zu unserer Präsenz!) auch, dass noch viel zu tun ist. Dessen ist sich die Bun- desregierung bewusst. Ich will hier fünf Punkte stich- hatte gestern, wie man weiß, keinen wortartig anführen: Erstens. Wir brauchen ein Missions- besonders guten Auftritt. Aber heute möchte ich ihn 7460 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Hellmut Königshaus (A) loben. Denn der von ihm verantwortete Aktionsplan zur folgten Zielen wirkliche Priorität zu geben. Hier muss (C) zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedens- das punktuelle Lob, das ich eben für Rot-Grün und konsolidierung war eine wichtige Initiative. Sie eröffnet Fischer ausgesprochen habe, in Kritik umschlagen. Wir große Chancen, jedenfalls wenn sie richtig umgesetzt wissen alle, dass die Krisenprävention bei Joschka wird. Fischer in der praktischen Politik nicht an erster Stelle stand. Das ist leider Gottes heute nicht wesentlich an- Der Vorrang der Prävention und des Zivilen vor der ders. Das Thema ist so wesentlich, dass es die Richtlini- rein militärischen Reaktion ist natürlich ein vernünftiger enkompetenz auf den Plan rufen muss. Es muss Chef- Ansatz, wenn die notwendigen Mittel bereitgestellt wer- bzw. Chefinnensache sein; denn sonst fehlt es – das ist den. Leider ist das nicht ganz selbstverständlich. Auch klar – an Geld, Aufmerksamkeit und auch Durchset- wir hier im Hohen Hause haben immer wieder erlebt, zungskraft. dass wir Militäreinsätze fast schon routinemäßig be- schließen und beschließen müssen. (Beifall bei der FDP) Der Aktionsplan unternimmt wenigstens den Versuch, Ich will in diesem Zusammenhang das Beispiel solchen Krisen vorzubeugen, mit zivilen Mitteln einzu- Afghanistan in Erinnerung rufen. Wir wissen alle, dass greifen und insbesondere durch eine kohärente Politik die Entwicklung dort dramatisch ist und dass der militä- ressortübergreifend die Kräfte zu bündeln, bevor ein Mi- risch fast gewonnene Konflikt in das Gegenteil umzu- litäreinsatz erforderlich wird. schlagen droht, weil es beim Aufbau nicht vorangeht (Beifall bei der FDP) und weil das Vertrauen der Menschen dort verloren geht. Das wird von der Bundesregierung und insbesondere Dadurch wird zugleich versucht – auch das ist gut –, vom BMZ allerdings nicht ernst genommen. Ressortegoismen dem großen Ziel unterzuordnen. So weit, so gut. (Uta Zapf [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr!) Leider verliert sich die Umsetzung des Aktionsplans Während in aller Welt erzählt wird, wie wichtig für uns allerdings in Kleinigkeiten und Einzelheiten. Vielleicht Deutsche die zivile Aufbauhilfe sei, stattet die Bundes- – das kann man sicherlich konzedieren – ist das der regierung sie nur mit einem ganz mickrigen Aufwuchs in Preis, den man zahlen muss, wenn man bestimmte Auf- Höhe von 5 Millionen Euro aus. Die Ministerin lässt per gaben zwar ressortübergreifend berät, aber in den einzel- Pressemitteilung sinngemäß erklären, es werde schon nen Häusern entscheiden lassen muss. Hier werden wie- jetzt genug für Afghanistan getan, und rechtfertigt, in der der Reibungsverluste sichtbar, die beispielsweise der Haushaltsdebatte darauf angesprochen, das im Übrigen leidigen Trennung von AA und BMZ geschuldet sind. auch noch. Das ist peinlich. (B) Das will ich hier jetzt nicht vertiefen. (Uta Zapf [SPD]: Das hat sie anders gesagt!) (D) Aber eines muss man feststellen: In dem eigens gebil- Wo ist denn die Ministerin oder ein Vertreter ihres deten Ressortkreis geben die Mitarbeiter ihr Bestes. Das Ministeriums heute, da wir dieses Thema behandeln? gilt auch für die Mitglieder des beim AA angesiedelten Die Ministerin fährt lieber um die Welt, um mit einem Beirats, zu denen übrigens viele Vertreter von NROs ge- Pulk von Journalisten und mit einem Jubelchor von Ko- hören, aber auch viele Mitarbeiter von internationalen alitionsabgeordneten in Indonesien eine Homestory mit Unternehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Ihnen ge- schönen Fotos zu produzieren. So sollte man an dieses bührt der besondere Dank der FDP-Fraktion und, wie ich wichtige Thema nicht herangehen. annehme, des ganzen Hauses. (Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜND- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Aceh! der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Das sollten Sie nicht so herabwürdigen!) SES 90/DIE GRÜNEN) Ich nehme an, dass diesen Dank auch die Kolleginnen – Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Katastrophe und Kollegen von der Union und der Linken teilen, von Aceh schon zwei Jahre zurückliegt. Man hätte also auch zu einem anderen Zeitpunkt dorthin fahren können. (Holger Haibach [CDU/CSU]: Wir haben ge- klatscht!) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt werden Sie aber kleinlich!) obwohl sie dem Beirat bisher noch keinerlei Zeichen von Teilnahme gezeigt haben. Das wird sich hoffentlich än- Da ein Thema auf der Tagesordnung steht, das im Zen- dern. Die Kollegin Hänsel, die noch in letzter Minute ih- trum unserer Aufmerksamkeit liegen sollte, hätte die Mi- ren Beitrag hier angemeldet hat – normalerweise nennt nisterin heute hier und nicht dort sein müssen. man das eine Spätberufene –, wird uns sicher erklären, (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist klein- dass auch die Linken dieses Thema ernst nehmen. lich!) Trotz der genannten Hemmnisse und Hindernisse ist Hier zeigt sich, dass für die Ministerin die Öffentlich- es also insgesamt ein lobenswertes Vorhaben. Aber was keitsarbeit mit „Frau im Spiegel“ wichtiger ist als die hat sich an positiven Ansätzen konkret daraus entwi- mit dem „Spiegel“. ckelt? Wir wissen es: leider nicht besonders viel. Der Bericht selbst belegt dies. Es ist Kleinkram. Es fehlt ein- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! Das ist fach der politische Wille, den mit dem Aktionsplan ver- ein Niveau!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7461

Hellmut Königshaus (A) Diese Geringschätzung der Krisenprävention in der gierung und in den sie tragenden Fraktionen sehr wohl (C) praktischen Arbeit ist das Problem, mit dem wir uns aus- der Wille existiert, an dieser Stelle etwas zu tun. einander setzen sollten. Sie sollten genauso wie wir ein- mal danach fragen, wo eigentlich die ordnende Hand ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – die tatsächlich Prioritäten setzt. Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Der Ruck setzt sich Tag und Nacht dafür ein!) Rund ein halbes Prozent unserer gesamten EZ-Mittel gehen zurzeit nach Afghanistan. Obwohl wir am Hindu- Es ist daher richtig, wenn wir versuchen, vorurteils- kusch, wie der jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende und frei an die Sache heranzugehen und zu schauen, was in ehemalige Verteidigungsminister – er ist sozusagen ein den letzten beiden Jahren wirklich passiert ist. Sachverständiger in dieser Frage – sagt, – (Walter Kolbow [SPD]: So ist das!) Niemand bestreitet doch, dass dieser Bereich ausbau- Präsident Dr. Norbert Lammert: fähig ist. Jeder von uns würde gerne mehr Mittel zur Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege. Verfügung stellen, damit mehr getan werden kann. Aber schauen Sie einmal auf den Rest von Europa und auf die Hellmut Königshaus (FDP): anderen Kontinente. Viele Länder dieser Welt haben – ich habe es gesehen, Herr Präsident – unsere Frei- das Instrument der zivilen Krisenprävention, der Kon- heit verteidigen, passiert nichts Adäquates. fliktlösung und der Friedenskonsolidierung gerade erst entdeckt. In Deutschland sind wir immerhin schon so (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt wird es weit, dass wir diesen Weg seit zwei Jahren gehen. Natür- auch Zeit!) lich ist dies immer noch ein zartes Pflänzchen; aber es ist Der Plan ist also gut. Aber seine Verankerung in den immerhin eines vorhanden und wir brauchen nicht erst Köpfen ist leider miserabel und seine Umsetzung des- noch den Samen zu streuen. Auch das sollten Sie bei al- halb weitestgehend misslungen. ler notwendigen Kritik seitens der Opposition anerken- nen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das war keine Rede, sondern eine Zumutung, eine vor- (Beifall bei der CDU/CSU) weihnachtliche Zumutung!) Ich glaube, dass in dem heute vorliegenden Bericht sehr Da ich außerhalb meiner Redezeit keine Weihnachts- deutlich gemacht wird, wo in Zukunft unsere Schwer- wünsche mehr äußern darf, möchte ich wenigstens da- punkte liegen müssen. rum bitten, dass die Bundesregierung für das neue Jahr Ich möchte auf das zu sprechen kommen, was der (B) gute Vorsätze fasst und sich vornimmt, diesen Aktions- (D) plan wenigstens zu lesen. Wir wünschen uns, Frau Kol- Kollege Königshaus gesagt hat: Wir sind in letzter Zeit legin Zapf, dass er in konkrete Politik umgesetzt wird. sehr häufig dafür kritisiert worden, dass wir uns zu we- nig an harten Militäreinsätzen beteiligen, Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Zuruf von der FDP: Aber nicht von uns!) (Beifall bei der FDP – Uta Zapf [SPD]: Im Beirat haben Sie sich ganz anders geäußert!) dass wir nicht an diesem internationalen Einsatz teilneh- men und nicht in jenes Land gehen. Wir leisten aber ei- nen wichtigen Beitrag. Die Konsolidierung von Frie- Präsident Dr. Norbert Lammert: densprozessen und die Konfliktprävention sind vielleicht Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für nicht sehr spektakulär; denn sie liefern nicht solche Bil- die CDU/CSU-Fraktion. der, wie sie Kriegseinsätze liefern. Aber sie wirken zum (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt steigt Schluss dauerhafter und nachhaltiger und verdienen des- das Niveau wieder! – Jürgen Trittin [BÜND- halb unsere volle Unterstützung. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss er sich noch (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem nicht einmal anstrengen!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Holger Haibach (CDU/CSU): Natürlich ist es in diesem Zusammenhang schwierig, einen ressortübergreifenden Ansatz zu wählen. Aber Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- es ist immerhin gelungen. Ich finde, dass man an vielen ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller vorweih- Stellen sehr deutlich sehen kann, wo wir Möglichkeiten nachtlichen Friedfertigkeit, Herr Kollege Königshaus, und Chancen haben. Natürlich gibt es Länder, von denen muss ich sagen: Was Sie eben von sich gegeben haben, wir heute sagen: Da sind wir nicht so weit, wie wir gerne kann man nicht unkommentiert stehen lassen. wären. Das ist gar keine Frage. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mir fällt in diesem Zusammenhang auch Afghanistan Ich glaube, die Entwicklung im Kongo und die Auf- ein. Afghanistan ist ein Land, das unsere volle Aufmerk- gaben, die Deutschland im Bereich der Friedenskonsoli- samkeit verdient; über die Mittel, die dort hinfließen, dierung und der Konfliktprävention in vielen anderen habe ich schon gesprochen. Es ist ein Land, für dessen Ländern übernommen hat – zum Beispiel werden Stabilisierung wir alle Kräfte – in diesem Fall von der 885 Millionen Euro für Entwicklungshilfe in Afghanis- klassischen Verteidigungs-, also Militärpolitik, über die tan ausgegeben – zeugen davon, dass in der Bundesre- klassische Außenpolitik und die Menschenrechtspolitik 7462 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Holger Haibach (A) bis hin zur Entwicklungspolitik – bündeln müssen. Ge- In einem Land, wo das bis vor einigen Monaten viel- (C) rade an dieser Stelle sollten wir die Entwicklungspolitik leicht nicht ohne weiteres denkbar gewesen wäre, kön- viel mehr als strategisches Element und strategisches nen wir gewisse Entwicklungen feststellen: in den USA. Moment begreifen; denn nur sie kann dabei helfen, sozi- Der Baker-Report hat dort gerade die große Runde ge- ale Verwerfungen zu beseitigen und nachhaltige Lösun- macht. Der Bericht behandelt zum einen die Frage des gen zu schaffen. zukünftigen militärischen Engagements. Daneben ent- hält er aber einen wichtigen Hinweis: Wir brauchen ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen breiteren Politikansatz, der alle Politikfelder sowie neten der SPD) die handelnden Personen und Institutionen einbezieht. Ich denke, dass Deutschland aufgrund seiner guten Ex- Ich denke dabei gerade an den Bereich, der sicherlich pertise, die es in den vergangenen Jahren und Jahrzehn- mit am wichtigsten ist: die Verbreitung von Drogen. ten gewonnen hat, einen wichtigen Beitrag leisten kann. Dies ist eine große Aufgabe; das ist gar keine Frage. Sie Das gilt vielleicht nicht unbedingt für den persönlichen lässt sich nicht nur mit militärischen Mitteln lösen. Wir Kontakt; wir sollten uns aber einbringen, denn wir haben haben zum einen ein Mentalitätsproblem und zum ande- die entsprechende Expertise und können etwas errei- ren vor allen Dingen das Problem zu lösen, dass wir den- chen. Ich glaube, dass wir einen solchen Beitrag leisten jenigen, die Drogen anbauen, eine tatsächliche Alterna- können und auch leisten müssen. Die vernünftige Ein- tive bieten müssen, damit sie damit aufhören, Drogen bindung von Nichtregierungsorganisationen ist in die- anzubauen. Da sind unsere Kreativität und unsere Mittel sem Zusammenhang ganz wichtig. Ich habe den Ein- gefragt; denn wir können an dieser Stelle nur dann etwas druck, dass auch insoweit bereits ein wichtiger Schritt erreichen, wenn wir echte Alternativen haben. Zu sagen: getan wurde. „Baut irgendein Getreide an“, das dann vielleicht nur ein Zehntel oder ein Hundertstel des Gewinnes abwirft, den Es wird immer wieder gefragt: Was macht die Bun- der Drogenanbau bringt, wird keine Lösung sein. Auch desregierung, und was macht die Bundesregierung das sollten wir für die Zukunft sehen. nicht? Deutschland verfügt – das will ich an dieser Stelle (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) erwähnen, weil es immer wieder vergessen wird – mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze Ein Weiteres, wenn wir über Afghanistan reden. Wir über ein ganz hervorragendes Instrument zur Ausbildung haben es mit einem Land zu tun, das eine Grenze zu Pa- von Menschen, die an Friedensmissionen beteiligt sind. kistan hat. Diese Grenze ist, wenn wir über die Verbrei- Das wissen Sie genauso gut wie ich. Das sollte man in tung und den Transport von Drogen reden, ein großes dieser Debatte einmal deutlich erwähnen. Problem für uns; das wissen wir alle. Es gibt noch keine (B) richtige Lösung dafür. Aber ich glaube, auch hierin liegt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) durchaus ein Ansatz für entwicklungs- und menschen- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ rechtspolitische Maßnahmen. Wir haben es nun einmal DIE GRÜNEN) mit einer Grenzregion zu tun, die sich nicht mit einer Interessanterweise ist der Kollege Königshaus ja Mit- europäischen Grenzregion oder einer auf dem amerika- glied des Aufsichtsrats. Deswegen finde ich es ausge- nischen Kontinent vergleichen lässt. Es leben dort Men- sprochen spannend, dass er das an dieser Stelle leider gar schen, die sich nicht zwingend als Afghanen oder Pakis- nicht gesagt hat. tanis bezeichnen würden. Es sind vielleicht Paschtunen oder Angehörige einer anderen Volksgruppe. Es gehört In dem Bericht kann man nachlesen, wo sich für uns dazu, zu lernen, dass die Mentalitäten anders Deutschland überall engagiert. Ich zähle es einmal auf: sind. Wir müssen uns auf diese anderen Mentalitäten bei Missionen der Europäischen Union und der UN in einstellen und sie bei unseren Maßnahmen im Bereich den Ländern Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Afghanis- der Entwicklungspolitik berücksichtigen. tan, Sudan, Äthiopien, Eritrea, Georgien, Sierra Leone, Liberia, Mazedonien, Aceh in Indonesien, Moldau/ So könnte man viele andere Gebiete auf dieser Welt Ukraine und am Grenzübergang Raffah zwischen Ägyp- beleuchten. Ich möchte daher – es hat in der Debatte vor- ten und dem Gazastreifen. Dazu kommen 180 OSZE- hin eine Rolle gespielt – noch den Sudan ansprechen. Missionen und 10 Missionen des Europarates. Ich glaube Da erleben wir eine verkehrte Welt. Die Fraktion des nicht, dass man davon sprechen kann, dass sich Deutsch- Bündnisses 90/Die Grünen hätte vielleicht vor zehn Jah- land zu wenig engagiert. ren nicht so gesprochen, wie sie es heute tut, wenn es um die Frage geht: Brauchen wir mehr Militär an dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Stelle in der Welt? Dazu sage ich ganz deutlich: Natür- lich hat das etwas mit militärischem Engagement zu tun. Natürlich ist es wichtig – Herr Staatsminister Erler Aber es ist doch unverantwortlich, Soldaten in eine Mis- hat das schon angesprochen –, dass wir die Kräfte in Zu- sion zu schicken, von der wir von vornherein wissen, kunft bündeln; das muss die Aufgabe der kommenden dass sie angesichts der gegenwärtigen Situation keine Jahre sein. Wir wissen, dass uns nicht die finanziellen Aussicht auf Erfolg hat. Dementsprechend brauchen wir Ressourcen zur Verfügung stehen werden, die wir ei- auch hier einen übergreifenden Ansatz und eine über- gentlich bräuchten. Deshalb ist es notwendig, dass wir greifende Lösung. Ich glaube nicht, dass wir mit kurz- uns besser verzahnen, dass wir uns hinsichtlich der Ini- fristigen Aussagen weiterkommen, mögen sie auch recht tiativen mit anderen Ländern zusammenschließen. Wir interessant sein. müssen dieses Thema in der Europäischen Union und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7463

Holger Haibach (A) der transatlantischen Partnerschaft in den Vordergrund Das Echo vor zwei Jahren auf den Aktionsplan war (C) rücken. deutlich gespalten. In der Fachwelt sah man ihn sehr po- sitiv und war zustimmend, in der Öffentlichkeit lag die Ich habe vor zwei Tagen ein Gespräch mit Mitarbei- Reaktion praktisch bei null. Das muss man so deutlich tern des britischen Außenministeriums geführt. Sie ver- sagen. suchen in diese Richtung etwas, was beispielhaft ist. Ich denke, dass wir dort und auch jenseits des Atlantiks gute Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Ansatz Anknüpfungspunkte finden. der zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidie- rung aktueller denn je ist. Wir erinnern uns an die zuneh- Wir haben es, so meine ich, mit einer durchaus erfolg- mende Ernüchterung in den letzten Wochen und Mona- reichen Angelegenheit zu tun. Ich kann die Bundesregie- ten, die alle angesichts der Auslandseinsätze packt. Wir rung nur ermuntern, auf diesem Weg weiterzufahren. sehen immer deutlicher die Grenzen dieser Auslandsein- Ich wünsche uns allen frohe Weihnachten und ein gu- sätze und merken, dass es von ganz entscheidender Be- tes neues Jahr. deutung ist, dass die zivile Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung mit einer ganz anderen Intensität Ich danke Ihnen. vorangetrieben werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Es reicht nicht aus, wenn wir als Parlament diesen Be- richt jetzt nur wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Das kennen wir bereits aus dem militärischen Bereich, Herr Präsident Dr. Norbert Lammert: Staatssekretär Schmidt, wenn zu Recht ein „wohlwollen- Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Winfried des Desinteresse“ an der Bundeswehr beklagt wird. Das Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen. wollen wir nicht. Es kommt darauf an, dass die Bundes- regierung mit diesem Bericht konstruktive Kritik und Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vor allem Rückenstärkung bekommt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier möchte ich zunächst einmal bestimmte Punkte Herr Staatsminister Erler, Herr Botschafter Däuble, bitte ansprechen, bei denen ich politischen Klärungsbedarf bestellen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehe; es gibt noch andere, aber diese sind mir besonders unseren ganz herzlichen Dank dafür, dass sie diesen Be- wichtig. Erstens dominiert im Überprüfungsbericht der richt zusammengestellt haben. große Bereich der so genannten Konfliktnachsorge. Wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – müssen aufpassen, dass wir die Primärprävention, die Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist staats- um einiges schwieriger ist, darüber nicht vernachlässi- (B) männische Opposition!) gen. (D) Dieser Bericht zeigt erneut, in welcher Breite und Inten- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sität in diesem Bereich schon seit längerem vonseiten sowie bei Abgeordneten der SPD) der Bundesregierung gearbeitet wird. Zweitens ist das zivil-militärische Verhältnis, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zivil-militärische Zusammenarbeit zu klären. Sie wird sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und im Überprüfungsbericht sehr stark aus der Perspektive der SPD) des Militärischen geschildert. Hier ist es wichtig, auch Im Unterschied zum ursprünglichen Aktionsplan die Perspektive der anderen einzubeziehen. Da muss deutlich nachgearbeitet werden. kommt es in diesem ersten Überprüfungsbericht erstmals zu Schwerpunktsetzungen, was sehr wichtig ist. Defizite Schließlich nenne ich das Nebeneinander der ver- – den Ball werde ich gleich noch stärker aufnehmen – schiedenen Grundlagendokumente der Bundesregierung werden zumindest angedeutet. in diesem Bereich: Aktionsplan und Weißbuch. Staats- Zur Erinnerung: Der Aktionsplan „Krisenprävention, minister Erler, Sie haben das angesprochen. Ich habe Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ geht auf – im Gegensatz zu Ihrer offiziellen Einschätzung – den zwei wesentliche Erfahrungen zurück, erstens auf die Eindruck, dass beide Dokumente sehr unverbunden ne- Erfahrungen, die man im Rahmen des internationalen beneinander stehen. Im letzten Anlauf sind sozusagen Krisenengagements gesammelt hat. Es gab ein eklatan- noch einzelne Andockstellen eingebaut worden, aber tes Defizit bei den Fähigkeiten zur zivilen Krisenpräven- insgesamt ist das noch kein Ausdruck integrierter tion und Friedenskonsolidierung. Daraus sind seit 1998 Außen- und Sicherheitspolitik, die wir uns inzwischen erhebliche Schlussfolgerungen gezogen worden. Das auf die Fahnen geschrieben haben. ZIF ist nur ein Beispiel von vielen. Ein anderes Beispiel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ist der Zivile Friedensdienst. Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist wahr!) Die zweite Erfahrung: Es kam darauf an, nicht nur Wo gibt es Verstärkungsbedarf? Erstens braucht der einzelne Maßnahmen und Instrumente, sondern auch Ressortkreis mehr Steuerungskompetenz. Das ist von neue Fähigkeiten systematisch zu entwickeln. Dies ist ganz entscheidender Bedeutung. der Ansatz des Aktionsplans. Es kommt darauf an, die ganze Politik der Bundesregierung an dieser Quer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schnittsaufgabe auszurichten. sowie bei Abgeordneten der FDP) 7464 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Winfried Nachtwei (A) Da kann, glaube ich, helfen, dass der Ressortkreis einen gern – weil ich glaube, dass das notwendig ist – etwas (C) Ressourcenpool mit „neuem“ Geld zugeordnet be- zur Geschichte und zur Entstehung dieser neuen Poli- kommt, wodurch ressortübergreifende Maßnahmen tik und dieser neuen Strukturen hier im Deutschen Bun- gefördert werden. destag beitragen. Ich gebe meinem Kollegen Nachtwei Recht: Das alles ist ziemlich im Verborgenen geschehen. Zweitens brauchen wir – das kennen wir im militäri- Umso froher bin ich, dass es in reale Politik umgesetzt schen Bereich seit Jahren; das ist dort eine Selbstver- worden ist. Denn es ist in der Tat mit Händen zu greifen, ständlichkeit – zivile Planziele. Mit wie vielen Friedens- dass es einen Paradigmenwechsel in der Sicherheits- fachkräften muss die Bundesrepublik für eine effektive politik gegeben hat – und zwar nicht nur national, son- Krisenbewältigung im Rahmen von Friedensmissionen dern auch auf den anderen Ebenen, bei der EU, der beitragen? Ich nenne das Stichwort Sicherheitssektor- OSZE und den UN. reform. Wir müssen uns – auch bezüglich der Polizei – auf Zahlen einigen, die wir anstreben wollen. Wir müs- Es ist traurig, dass zum Beispiel der Kollege Paech, sen auch zu einer schnellen Verfügbarkeit dieser Kräfte der jetzt leider nicht mehr anwesend ist, vorhin bei der kommen. Das ist im Personalgesetz angesprochen. Da Debatte über „AMIS“ in völliger Unkenntnis dieser müssen wir schnell zu Potte kommen. neuen politischen Entwicklungen mit Blick auf die Mis- sion, die wir eben verlängert haben, wieder nur von mili- Von ganz entscheidender Bedeutung ist – der Redner tärischer Intervention gesprochen und gesagt hat, man der FDP hat es angesprochen –, dass wir eine deutliche müsse auf zivile und diplomatische Mittel zurückgreifen Aufstockung der entsprechenden Haushaltstitel brau- und dann wäre alles in Ordnung. Das ist ein offensicht- chen. lich völlig blinder Fleck in der Wahrnehmung von man- (Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]) chen Leuten; ob das nun bewusst geschieht oder nicht, weiß ich nicht. Es ist wirklich höchste Zeit, dass man ge- Hier bekommen wir für wenig Geld viel Extrakt. nau auf das schaut, was wir seit den Balkankriegen, seit Als Letztes komme ich zum Schlüsselprojekt. Bisher Srebrenica, seit Ruanda und seit Darfur entwickelt ha- gibt es eine schlimme Unsichtbarkeit dieses Politikansat- ben, um es nicht so weit kommen zu lassen. Dass das zes. Bei Google zum Beispiel gibt es zum Aktionsplan noch nicht in vollem Umfang Früchte trägt, das, denke – er ist inzwischen seit zwei Jahren auf dem Markt – un- ich, weiß jeder hier in diesem Hause. Auch dass es nicht gefähr 28 700 Treffer, das Weißbuch – es ist seit zwei ohne militärische Mittel und Unterstützung geht, diese Monaten auf dem Markt – erzielt dort über 125 000 Tref- Erkenntnis haben wir allmählich gewonnen. fer. Dies ist ein riesiger Unterschied. Daran muss gear- Ich will auch noch zu Ihrem Redebeitrag, Herr beitet werden. Königshaus, etwas sagen. Ich bin von Ihrer Rede etwas (B) (D) enttäuscht. Ich erlebe Sie in dem Beirat als einen sehr Präsident Dr. Norbert Lammert: auf diese Politikinhalte eingehenden Kollegen, der daran Herr Kollege! sehr interessiert ist. Sie haben nun aber eine Kritik an der Entwicklungsministerin geäußert, die ich für völlig un- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): angemessen halte. Sie haben außerdem kritisiert, dass sie Ja, ich komme zum Schluss. heute nicht da ist. Wo ist denn Ihre Fraktionsspitze? Wo sind denn, bitte, Herr Hoyer, Herr Gerhardt, Herr Im Umsetzungsbericht ist von einer Kommunika- Westerwelle? Aber auch wir bekleckern uns in dieser tionsstrategie die Rede. Sie muss jetzt schleunigst ange- Beziehung nicht gerade mit Ruhm. Wenn Sie sich um- gangen werden. Es kann nicht wie in der Vergangenheit schauen, merken Sie: Wir sind schlicht und ergreifend sein, dass über Jahre das Geld fehlt, um den Aktionsplan unterbesetzt. zum Beispiel als Broschüre bekannt zu machen. (Hellmut Königshaus [FDP]: Das ganze Haus Zusammengefasst: Krisenprävention ist in jeder Hin- ist nicht stark!) sicht sehr kostensparend, aber es gibt sie nicht zum Bil- ligtarif. Es ist auch ein schlechter Zeitpunkt für diese Debatte. Ich danke Ihnen. Gute Feiertage! Ich wollte etwas zur Vorgeschichte dieses Politikfel- des sagen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat vor über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Jahren angefangen, an diesem Thema zu arbeiten. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Wir haben eine Anhörung im Auswärtigen Ausschuss FDP) am 25. Mai 1994 veranlasst; das ist tatsächlich schon so lange her. Diese Anhörung haben wir in der Fraktion Präsident Dr. Norbert Lammert: ausgewertet und haben im Februar 1997 einen Antrag im Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf, SPD-Fraktion. Deutschen Bundestag gestellt. Er ist natürlich nicht auf Resonanz gestoßen; das ist klar. 1998 haben wir diese (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Prinzipien in der Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün niedergeschrieben. Von diesem Zeitpunkt an ist von der Uta Zapf (SPD): rot-grünen Regierung eine Entwicklung vorangetrieben Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und worden, die wir Parlamentarier stark unterstützt haben. Kollegen! Es ist hier schon eine Menge zu den Inhalten Im Juni 2000 hat Rot-Grün einen Antrag eingebracht, und zu den Perspektiven gesagt worden. Ich würde ganz der viele Elemente enthalten hat, die heute von der aktu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7465

Uta Zapf (A) ellen Politik umgesetzt werden. Darin waren enthalten: Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) die Ausbildung für Menschen, die wir in Krisengebiete Frau Kollegin. entsenden; die Forderung nach Schaffung eines Zen- trums für internationale Friedenseinsätze. Das alles Uta Zapf (SPD): ist umgesetzt worden. Das ist eine gute Entwicklung. Wenn wir beklagen, dass noch nicht alles verwirklicht Das Stichwort „lessons learned“ ist in diesem Zusam- worden ist, möchte ich darauf hinweisen, dass vieles, menhang sehr wichtig. Wir müssen, zum Beispiel in Be- was auch eine Veränderung in den Strukturen bedeutet, zug auf unser Engagement in Afghanistan, überprüfen – gewöhnungsbedürftig ist und dass es Zeit braucht, bis es angenommen wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen er- In der neuen Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU läutern. und SPD sind diese Prinzipien enthalten. Ich beklage nicht, dass das im Weißbuch noch nicht in allen Kapiteln (Heiterkeit) der Fall ist. Vielmehr bin ich ganz froh, dass im ersten Entwurf des Weißbuchs überhaupt davon die Rede ist, Uta Zapf (SPD): im Rahmen der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik verstärkt zivile Instrumente einzusetzen. Ich muss in die- – ich bin sofort fertig –, was wir falsch und was wir sem Zusammenhang an Boutros Boutros-Ghali denken, richtig gemacht haben. Das ist eine sehr wichtige Auf- der im Jahre 1992 die Agenda for Peace ins Leben ge- gabe, die noch vor uns liegt. rufen hat. Wir haben mit diesem Bericht den ersten kon- Fröhliche Weihnachten, ein glückliches neues Jahr kreten Schritt zur Umsetzung dieser Agenda gemacht. und Frieden! Ich möchte noch einen zweiten Aspekt ansprechen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Wir befassen uns mit diesem Thema nicht nur im kleinen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Kreis, sondern wir haben es auch auf die europäische geordneten der FDP) Ebene transportiert. Diese Vorschläge sind auf dem Eu- ropäischen Rat in Köln im Jahre 1999 unter deutscher Präsidentschaft zum ersten Mal eingebracht worden. Da- Präsident Dr. Norbert Lammert: mals waren sie durchaus neu. Andere Länder, allerdings Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist eher die Zwerge unter den europäischen Staaten, haben die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. uns unterstützt. Aufgrund der Erkenntnis, dass neue (Beifall bei der LINKEN – Norbert Konflikte auch einen neuen Sicherheitsbegriff erfor- (B) Königshofen [CDU/CSU]: Jetzt ist Schluss (D) dern, haben sie diese Konzepte mitgetragen. mit Frieden!) Dieser Sicherheitsbegriff umfasst viel mehr als nur militärische Sicherheit. Wichtig ist, dass es fast keine Heike Hänsel (DIE LINKE): zwischenstaatlichen Kämpfe mehr gibt. Im Jahre 2002 Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! waren 32 von 33 Konflikten innerstaatliche Konflikte. Herr Königshaus, ich war davon ausgegangen, dass alle Daran wird deutlich, dass wir andere Mittel brauchen. Abgeordneten, die zu diesem Tagesordnungspunkt spre- Deshalb ist es richtig, dass wir den Ressortkreis einge- chen wollten, ihre Reden zu Protokoll geben. Als ich er- setzt haben. Die Beratung all dieser Themen findet nun fahren habe, dass sich das geändert hat, habe ich mich, in einem Gremium statt. Wenn es dort hin und wieder weil dieses Thema sehr wichtig ist, nachnominieren las- holpert, ist das kein Wunder. Da in diesem Gremium der sen. Finanzminister neben der Entwicklungsministerin und der Innenminister neben dem Außenminister sitzt und (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- darüber hinaus auch der Verteidigungsminister anwe- NEN]: Nachnominieren? Das ist ja wie bei der send ist, ist es schwierig, sich zu koordinieren. Aber wir Fußball-WM!) sind auf dem Weg, für eine kohärente Politik zu sorgen. Eines muss ich Ihnen gleich zu Beginn sagen: Weder Da wir dieses Thema auf die europäische Ebene durch die Präsenz im Beirat noch dadurch, dass man hier transportiert haben und es dort verankert ist, verfügen eine Rede hält, leistet man einen nachhaltigen Beitrag wir über die entsprechenden Strukturen. Ich bin froh, zur Friedenspolitik. Das glauben Sie hoffentlich nicht dass im Konzept Deutschlands für die EU-Ratspräsi- im Ernst! Dafür sind größere Anstrengungen notwendig. dentschaft darauf hingewiesen wird, dass wir diese Prin- Ich zum Beispiel war als Anhängerin der Friedensbewe- zipien auch auf europäischer Ebene fördern wollen. gung jahrelang auf der Straße, habe viele Krisenregionen besucht und mich für die Nutzung von Instrumenten der Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfehle Ihnen, zivilen Krisenprävention eingesetzt. Die Politik der Bun- den vorliegenden Bericht und den Aktionsplan an den desregierung war nämlich eine andere. Wenn Sie glau- Weihnachtsfeiertagen zu lesen. Man kann viel daraus ben, dass Sie mit einer Rede die Welt verändern können, lernen. Das sollten wir auch tun. Wir sollten zum Bei- dann muss ich Ihnen sagen: Das ist völlig unrealistisch. spiel noch mehr Interesse für eine Politik entwickeln, die Entscheidend ist, dass wir aktiv sind und Initiativen er- dazu beiträgt, die zivile Krisenprävention zu etablieren, greifen. und wir sollten uns dafür einsetzen, dass neue Strukturen gefördert und alte evaluiert werden. (Beifall bei der LINKEN) 7466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Heike Hänsel (A) Damit komme ich zum Knackpunkt des Konzeptes Es ist ein integraler Bestandteil ziviler Krisenprävention, (C) der zivilen Krisenprävention. Dieser Aktionsplan wurde das Energiesystem umzustellen. Auch da sind die An- von Friedensgruppen und von entwicklungspolitischen sätze der Bundesregierung viel zu zaghaft. Es gibt sogar Organisationen erst einmal begrüßt. Aber es gab schon Stimmen, die in eine ganz andere Richtung gehen, und bei der Formulierung einige Kritik an der inhaltlichen das, obwohl ganz klar ist, dass die Umstellung des Welt- Ausrichtung. Mehrere Bereiche, die wir kritisieren, wur- energiesystems ein entscheidender Beitrag zu ziviler den genannt. Zentraler Kritikpunkt ist der Sicherheits- Krisenprävention ist. Das betrifft auch die Handelspoli- begriff, der dem Aktionsplan zugrunde liegt und den Sie tik. Wir haben gerade über die Doharunde gesprochen. auch erwähnt haben, Frau Zapf. Für uns ist ganz klar: Solange wir ein Handelssystem und ein Energiesystem Solange wir in Deutschland von einem Sicherheitsbe- haben, die die Ursachen für Konflikte sind, die weltweit griff ausgehen, zu dem eine militärische Absicherung entstehen, und die diese Dynamik auch noch verstärken, des Zugangs zu Ressourcen zählt, sind wir ein Teil des ist die zivile Krisenprävention marginalisiert. Deswegen Problems, nicht der Lösung. setzen wir uns für einen grundsätzlichen Politikwechsel ein. (Beifall bei der LINKEN – Uta Zapf [SPD]: Ich empfehle Ihnen, einmal den Aktionsplan Mein letzter Punkt – auch das kommt viel zu kurz, da- zu lesen!) bei ist es sehr wichtig – sind die Akteure und Akteurin- nen. Es geht darum, Partizipation zu organisieren. Viel Zivile Krisenprävention macht überhaupt nur Sinn als mehr Menschen müssen in die Suche nach Lösungen für Teil einer aktiven Friedenspolitik, die von der Bundesre- eine zivile Krisenprävention einbezogen werden. Wir gierung formuliert werden muss. Sie kann eine militäri- haben solche Kapazitäten, wir haben umfassende Kom- sche Politik nicht abfedern, sie kann kein Beiwerk sein. petenz in unserem Land, außerhalb dieses Parlaments, Man kann nicht Jugoslawien bombardieren und dann nämlich bei den Friedensgruppen und auch vor Ort in einfach ein paar zivile Friedenskräfte in die Region schi- den Krisenregionen. Wir besuchen die Mitarbeiter Jahr cken; diese Arbeitsteilung funktioniert nicht. Deswegen für Jahr vor Ort, in vielen Ländern. Es gibt viel zu wenig fordern wir einen Wechsel in der Grundausrichtung der Unterstützung für diese Friedenskräfte, die in diesen deutschen und europäischen Außenpolitik. Ländern unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Das (Beifall bei der LINKEN) betrifft zum Beispiel den Nahen Osten. Wir geben sehr viel Geld aus für unsere UNIFIL-Beteiligung. Die israe- Wir erleben zunehmend eine Vermischung des Zivi- lischen Friedenskräfte, die libanesischen Friedenskräfte, len und des Militärischen. So etwas liegt auch diesem die palästinensischen Friedenskräfte haben keine ver- Aktionsplan zugrunde: Es werden zunehmend zivil-mili- gleichbare Unterstützung. Wir müssen die Menschen in (B) tärische Instrumente formuliert. Für mich als Mitglied diesen Regionen unterstützen. Das ist für mich ein ganz (D) des Ausschusses für Entwicklungspolitik ist es ein Wi- konkreter Beitrag zu ziviler Krisenprävention. derspruch in sich, zu behaupten, militärische Instru- mente könnten einen Beitrag zu ziviler Krisenprävention Danke. leisten. Zivile Krisenprävention muss – das ist der An- spruch an uns – zivil formuliert werden. Wir müssen die (Beifall bei der LINKEN) zivilen Instrumente entsprechend ausstatten, ja erst ent- wickeln. Ich glaube, in vielen Bereichen fehlt schlicht Präsident Dr. Norbert Lammert: die politische Fantasie, was es alles an zivilen Instru- Ich schließe die Aussprache. menten geben kann. Mit welcher Intensität, mit welchen finanziellen Ressourcen wird unsere Armee, wie auf eu- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf ropäischer Ebene formuliert, in eine Interventionsar- Drucksache 16/1809 an die in der Tagesordnung aufge- mee umgebaut! Das steht in keinem Verhältnis zur Be- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- deutung ziviler Instrumente, geschweige denn zu ihrer verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. angemessenen finanziellen Unterstützung. Wir sagen: Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Wir brauchen ganz andere Instrumente. Im Grunde müs- sen wir das Ministerium für Verteidigung in ein Ministe- Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten rium für zivile Krisenprävention umbauen. Denn es geht Ursula Lötzer, Dr. Barbara Höll, Dr. Dieter überhaupt nicht mehr um Landesverteidigung – wir be- Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion treiben eine Politik der militärischen Intervention. der LINKEN (Beifall bei der LINKEN – Uta Zapf [SPD]: Haltung der Bundesregierung zur Europäi- Keine Ahnung!) schen Dienstleistungsrichtlinie Ein richtiger Schritt wäre es, zu sagen: weg von diesen – Drucksachen 16/136, 16/2058 – Militärhaushalten und weg von Rüstungsexporten! Der beste Beitrag zu ziviler Krisenprävention sind internatio- Der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze so- nale Abrüstung und ein Stopp aller Rüstungsexporte. wie die Kolleginnen und Kollegen Doris Barnett, Kurt Bodewig, Martin Zeil, Ulla Lötzer und Dr. Thea Dückert (Beifall bei der LINKEN) geben ihre Reden zu Protokoll.1) Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir müssen uns auch Gedanken über unseren Ressourcenverbrauch machen. 1) Anlage 3 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7467

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 28 sowie Dieses Zitat stammt aus dem Antrag der Bundesregie- (C) Zusatzpunkt 11: rung zur Beteiligung Deutschlands an den UNIFIL-Ein- heiten. 28 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Fritz Mit unserem Antrag verfolgen wir das Ziel, dass ge- Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion nau diese Friedensimpulse wieder verstärkt werden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wir sollten uns dabei nicht überschätzen. Aber das, was Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedens- wir als Bundesrepublik Deutschland leisten können, prozesses im Nahen Osten nach der Resolution sollten wir auch tatsächlich leisten. 1701 (2006) des Sicherheitsrats der Vereinten Schauen wir uns den Bericht der Baker-Hamilton- Nationen vom 11. August 2006 Kommission an. Die Empfehlungen dieser Kommission – Drucksache 16/3547 – beruhen auf zwei Säulen: Zum einen müsse die Sicher- heitslage im Irak stabilisiert werden; zum anderen Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) müsse man sich um das Verhältnis des Iraks zu seinen Verteidigungsausschuss Nachbarn bemühen, also um die regionale Stabilität. Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Meine Befürchtung ist zurzeit, dass man sich auf die Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und erste Säule beschränkt und es nur zu einem einfachen Entwicklung Abzug kommt – das wird dann aber nicht funktionieren – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und dass die zweite Säule zu kurz kommt. Wir erwarten b) Beratung des Antrags der Abgeordneten gerade von der Bundesregierung energische Initiativen, Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech, Monika damit tatsächlich eine regionale Stabilisierung stattfin- Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion den kann. Das gilt beispielsweise auch und gerade für der LINKEN das Verhältnis zu Syrien. Ich will ausdrücklich sagen: Wir finden es richtig, dass Herr Steinmeier nach Syrien Den Friedensprozess im Nahen Osten wieder gefahren ist. aufnehmen – Drucksache 16/3802 – Was passiert, wenn keine Stabilisierung stattfindet? Mir bereitet die Ankündigung Saudi-Arabiens, den iraki- Überweisungsvorschlag: schen Sunniten gegen Angriffe der irakischen Schiiten Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und militärisch zu helfen, extrem große Sorge. Gleichzeitig Entwicklung müssen wir aber auch die Chancen sehen, die sich in (B) schwierigen Situationen eröffnen. So unerträglich in die- (D) ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. sen Tagen die Konferenz der Holocaustleugner in Tehe- Werner Hoyer, Dr. Rainer Stinner, Birgit ran ist, so schwierig der Umgang mit dem iranischen Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak- Atomprogramm ist, man muss sich fragen: Hat der Iran tion der FDP wirklich ein Interesse an einem Zerfall des Iraks? Bedeu- Für eine Konferenz für Sicherheit und tet eine Destabilisierung nicht auch für ihn als Vielvöl- Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) kerstaat eine massive Bedrohung? Ist es deswegen nicht richtig, wie die Baker-Hamilton-Kommission vorge- – Drucksache 16/3816 – schlagen hat, über die Frage der Stabilisierung der Situa- Überweisungsvorschlag: tion im Irak Verhandlungen ohne Vorbedingungen zu Auswärtiger Ausschuss führen? Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Das ist nach den Äußerungen von Herrn Olmert über Debatte eine halbe Stunde dauern, wobei die Fraktion die israelische Atombewaffnung nicht einfacher gewor- des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten Redezeit den; das will ich an dieser Stelle feststellen. Gleichzeitig 1) erhalten soll. will ich aber auch darauf hinweisen, dass Israel in die- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege sen Tagen durch die Ankündigung seines Ministerpräsi- Jürgen Trittin. denten einen großen Schritt nach vorne gemacht hat, der nämlich zugesagt hat, den Waffenstillstand durchzuhal- ten, obwohl es mehrfach Verletzungen vonseiten der Pa- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lästinenser gegeben hat. Das heißt aber auch, dass wir Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen überlegen müssen, was wir eigentlich zur Stabilisierung Sie mich mit einem Zitat beginnen: der Situation der Palästinenser und beispielsweise zur Um einen dauerhaften und stabilen Frieden im Na- Herausbildung einer Regierung der nationalen Einheit hen Osten zu erlangen, reichen militärische und po- beitragen können. lizeiliche Maßnahmen nicht aus. Seine Konflikte Ist es eigentlich klug, mit der Umsetzung des verein- lassen sich nur durch politische Verhandlungen lö- barten Finanzmechanismus an dieser Stelle noch zu war- sen. Die Region benötigt dringend neue Friedens- ten und zuzusehen, wie Herr Haniyeh mit Taschen voller impulse. Dollars aus Teheran zurückkehrt, was nur der Hamas, aber nicht hinsichtlich des Aufbaus ziviler Strukturen in 1) Anlage 4 Palästina helfen würde? 7468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Jürgen Trittin (A) Ich glaube, dass die Bundesregierung im Rahmen des dass durch Fortschritte bei der Lösung wesentliche Bei- (C) Nahostquartetts große Anstrengungen unternehmen träge zur Befriedung der gesamten Region geleistet wer- muss, um dafür zu sorgen, dass sich die USA in diesem den können. Ich halte aber die Analyse für falsch, diesen Prozess wieder engagieren. Ich denke, dass Deutschland Konflikt als den Kernkonflikt zu bezeichnen. durch die Präsidentschaften eine gute Funktion einneh- men kann und eine gute Ausgangsbasis dafür hat, um ein In allen drei Anträgen wird eine Reihe von Anregun- erneutes Engagement der USA in diesem Prozess zu er- gen gemacht, die entweder schon lange Regierungshan- reichen und um im Rahmen dieses Prozesses etwas ge- deln darstellen oder Schwerpunkte für die nun bevorste- gen das zu tun, was uns vielleicht am aktuellsten Sorgen hende deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen macht, nämlich die weitere Destabilisierung der Situa- Union sind. tion im Libanon. Durch die Besuche sowohl des ägyptischen Präsiden- Ich glaube, dass wir die gewählte Regierung des Liba- ten Mubarak als auch des israelischen Ministerpräsiden- non nur dann gegen die Ansprüche, die aus dem Libanon ten Olmert in Berlin in dieser Woche wird deutlich heraus formuliert werden, stützen können, wenn es zu gemacht, wie engagiert die Bundesregierung bei den Ini- sichtbaren Fortschritten beim Ausgleich mit Israel tiativen zur Lösung des Nahostkonflikts ist. Auch die kommt. Dazu gehört beispielsweise die Lösung des Pro- Ankündigung der Bundeskanzlerin, die kommende Prä- blems der Schebafarmen ohne Präjudizierung, indem sidentschaft der Bundesrepublik Deutschland zu einer man sie zum Beispiel einer Verwaltung durch die Verein- Wiederbelebung des Nahostquartetts und zur Vermitt- ten Nationen unterstellt. lung zwischen Israelis und Palästinensern zu nutzen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Bundesregierung Eine – wenn nicht die zentrale – Herausforderung für mehr als die Vorgängerregierungen in dieser Angelegen- die Bundesrepublik Deutschland während der EU-Rats- heit engagiert ist. präsidentschaft ist es, solche Ansätze nachdrücklich und bei jeder Gelegenheit zu verfolgen. Ich wünsche mir da- Wir halten am vorrangigen Ziel einer Zweistaaten- für die Unterstützung des ganzen Hauses. lösung zwischen Israel und den Palästinensern fest. Wir sehen in der Rede von Ministerpräsident Olmert, die er Ihnen allen schöne Feiertage und ein schönes neues am Grab von Ben Gurion gehalten hat, eine ganze Reihe Jahr. von Hoffnungszeichen. Die palästinensische Seite hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf diese Rede mit dem Angebot von Endstatusver- handlungen reagiert. Präsident Dr. Norbert Lammert: Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass es – jeden- (B) Eckart von Klaeden ist der nächste Redner für die falls aus meiner Sicht – erfolgreicher sein kann, eine (D) CDU/CSU Fraktion. Strategie kleinerer vertrauensbildender Schritte zu ver- folgen, als jetzt sofort mit der großen Frage eines mögli- Eckart von Klaeden (CDU/CSU): chen Endstatus des palästinensischen Staates zu begin- Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! nen. Die Bundeskanzlerin hat betont, dass es zur Lösung Wir sprechen heute über die drei Anträge der drei Oppo- des Konflikts auch ungewöhnlicher Schritte bedarf. Wir sitionsfraktionen. Ich will gleich zu Anfang sagen, dass sehen auf der palästinensischen Seite insbesondere in sich der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü- Präsident Abbas einen Bündnispartner, jemanden, der an nen hinsichtlich der Sorgfalt und der Qualität wohltuend einer nachhaltigen Lösung des Konflikts interessiert ist. von den beiden anderen unterscheidet. Wir müssen alles tun, um ihn zu unterstützen und seine Stellung bei den Palästinensern weiter zu stärken. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sie haben ja gar keinen!) Es ist etwas Neues, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, in der Region – bei der Unterstützung und Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass die Links- Absicherung eines Waffenstillstandes im Rahmen der partei mit ihrem Antrag der altbekannten Tradition folgt, UNIFIL-II-Mission – militärisch engagiert sind. Darüber vor allem den Westen und Israel für die Konflikte ver- hinaus sind wir aber auch unmittelbar in den palästinen- antwortlich zu machen. Bezeichnend ist auch, dass die sischen Autonomiegebieten, im Libanon engagiert. Es Infragestellung des Existenzrechts Israels durch den Iran geht insbesondere darum, durch wirtschaftliche Prospe- in dem Antrag der Linkspartei keine Erwähnung findet. rität die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha!) Weg zu Frieden und Demokratie der richtige Weg ist und dass die Fortsetzung der Gewalt jeglichen Fortschritt In allen Anträgen wird von dem israelisch-palästinen- verhindert. Aus diesem Grund begrüßen wir auch, dass sischen Konflikt als dem Kernkonflikt in der Region auf dem heutigen EU-Gipfel beschlossen wurde, den gesprochen. Ich halte diese Bezeichnung für falsch; denn Mechanismus, nach dem die Europäische Union Finanz- weder das iranische Verhalten in den Verhandlungen hilfen an bedürftige Palästinenser direkt, ohne Beteili- über das Nuklearprogramm noch die Nichtanerkennung gung der Hamas-Regierung, weiterleitet, weiterhin anzu- des Libanon durch Syrien noch die Lage im Irak noch wenden. das Bestreiten des Existenzrechts Israels durch den Iran haben irgendetwas mit dem Konflikt zwischen Israel und Unser Ziel ist es, die libanesische Regierung bei der den Palästinensern zu tun. Das ändert nichts an der Tat- Stärkung ihrer staatlichen Identität zu unterstützen; denn sache, dass dieser Konflikt natürlich grundlegend ist und sie ist die demokratisch legitimierte Kraft in dem Land. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7469

Eckart von Klaeden (A) Eine Stärkung der Souveränität des Libanon bedeutet Die Chance, die der Besuch von Außenminister (C) einen Gewinn an Sicherheit für die gesamte Region. Un- Steinmeier in Damaskus geboten hat, ist von der syri- ser Engagement im Rahmen der UNIFIL-II-Mission schen Führung leider vergeben worden. Die Signale, die dient ebenfalls dem Ziel, die Sicherheit in der gesamten aus Syrien kommen – dazu zählen ein „Spiegel“-Inter- Region zu stärken. view, das vor kurzem mit Assad geführt wurde, aber auch der heutige Aufruf, dass Israel und die USA mit In den Anträgen ist die Rede von einer Konferenz für Syrien in einen Dialog eintreten mögen –, werden un- Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten bzw. glaubwürdig, wenn es daran fehlt, bei solchen Besuchen im Nahen und Mittleren Osten. Die Grünen möchten oder auf andere Weise zumindest kleine, aber doch sub- eine solche Konferenz an eine Reihe von Bedingungen stanzielle Schritte in die richtige Richtung zu unterneh- knüpfen, die, wie ich finde, nachvollziehbar sind. Ich men. denke, bevor es an die Umsetzung der Idee einer Konfe- renz geht, müssen ein paar Voraussetzungen, ein paar Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang auch Punkte geklärt sein. Wenn sie nicht geklärt würden, die unsägliche Konferenz der Holocaustleugner bleiben, könnte das dazu führen, dass diese an und für sich gute (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Idee scheitert. Es ist eine allgemeine Lebenserfahrung, dass eine gute Forderung zur falschen Zeit bedauerli- die in diesen Tagen in Teheran stattgefunden hat und die cherweise eine falsche Forderung ist. Die Idee einer sol- leider alles andere als ein Zeichen dafür ist, dass man in chen Friedenskonferenz ist zu wertvoll, als dass man dieser Zeit mit einem positiven Signal vonseiten des Iran sie dadurch beschädigen dürfte, dass die Voraussetzun- und insbesondere von seinem Präsidenten rechnen kann. gen für ihre Umsetzung nicht geklärt sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dazu gehört zunächst einmal die Frage, wer an dieser All diese Beispiele lassen mich einer Initiative zu ei- Konferenz teilnehmen soll. Wollen wir den Iran zu die- ner solchen Konferenz zum jetzigen Zeitpunkt zurück- ser Konferenz einladen? Nicht einmal Syrien möchte haltend gegenüberstehen, weil ich die Sorge habe, dass dem Iran ein Mitspracherecht einräumen. Wer soll die die an sich gute Idee durch unzureichende Vorbereitung palästinensische Seite vertreten: der Präsident oder die und fehlende Voraussetzungen beschädigt werden Regierung? Wollen wir tatsächlich eine Hamas-geführte könnte. Regierung zu einer solchen Konferenz einladen, obwohl Auch von mir die besten Wünsche für ein gesegnetes sie die selbstverständlichen Forderungen der internatio- Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. nalen Gemeinschaft noch nicht erfüllt hat? All das sind Fragen, die zu klären sind, bevor es zu einer solchen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) Konferenz kommen kann. neten der SPD) (D)

Diejenigen, die an dieser Konferenz teilnehmen, müs- Präsident Dr. Norbert Lammert: sen bereit sein, müssen sich selbst verpflichtet haben, an Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege einer friedlichen Lösung der Konflikte mitzuwirken. So Dr. Rainer Stinner. richtig die allgemeine Forderung nach einer Einbezie- hung Syriens und des Iran auch sein mag, verkommt sie (Beifall bei der FDP) doch zu einer Floskel, wenn man die Länder nicht diffe- renziert betrachtet, wenn man nicht individuelle Beiträge Dr. Rainer Stinner (FDP): fordert, damit es zu einer vernünftigen Lösung kommen Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- kann. gen! Wir haben in den letzten Jahren schon oft Nahost- debatten in diesem Hause geführt. Aber durch die Tatsa- Der Iran könnte einen solchen Beitrag im Zusammen- che, dass wir seit drei Monaten selber in der Region hang mit dem Nuklearprogramm leisten. Herr Kollege durch deutsche Soldaten vertreten sind, bekommt die Trittin, es mag sein, dass der Iran im wohlverstandenen Diskussion meines Erachtens eine andere Qualität. Denn Sinne ein Interesse daran haben muss, dass der Irak jetzt sind wir selber Teil des Konfliktes. Wir haben uns nicht zerfällt. Im Augenblick scheint mir aber das über- selber engagiert. Ich weiß, dass wir in diesem Hause eine geordnete iranische Interesse zu sein, letztlich alles zu heiße Diskussion über den Einsatz geführt haben, aber unterstützen, was den Amerikanern schaden kann. Dabei wir sind jetzt vor Ort. Aus der Tatsache, dass deutsche nimmt der Iran eine Verschlechterung der Lage im Irak Soldaten vor Ort sind, ergibt sich, glaube ich, nicht nur in Kauf. das Recht, sondern auch die Pflicht, uns noch intensiver in den politischen Prozess in dieser Region einzuschal- Ein anderes Beispiel ist die Situation in Syrien. Es ten. fehlt nicht an diplomatischen Initiativen, Syrien gegen- über eine konstruktive Rolle zu spielen. Die syrische (Beifall bei der FDP) Führung hat eine ganz Reihe von Möglichkeiten, zu zei- Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Erklärung zum gen, dass sie an einer friedlichen Lösung interessiert ist. UNIFIL-Mandat wörtlich gesagt: Insbesondere bietet sich in diesem Zusammenhang die Resolution 1680 an, die Syrien verpflichtet, den Libanon Die militärische Umsetzung der UN-Resolu- endlich anzuerkennen und diplomatische Beziehungen tion 1701 kann … nur der Anfang eines langen We- mit Beirut aufzunehmen. ges sein. Natürlich muss die Waffenruhe in einen 7470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Dr. Rainer Stinner (A) neuen Anlauf für einen umfassenden politischen nen, dass die USA ihrer wesentliche Rolle nachkommen. (C) Friedensprozess übergeleitet werden. Ich bedauere das sehr. Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass es angesichts der Rolle, die die deutsche Regierung im Das ist völlig richtig. Der Meinung sind wir schon seit nächsten halben Jahr spielen wird, die Aufgabe Deutsch- langem. Aber in der Diskussion über einen solchen Pro- lands ist, darauf hinzuwirken, dass die USA wieder ver- zess sind zwei Dimensionen zu beachten. Das sind ers- stärkt ihrer Rolle nachkommen. Darüber sind wir uns tens die Gestaltung dieses Prozesses und zweitens seine alle sicherlich einig. Inhalte. Natürlich können und wollen wir die Inhalte eines Schon hinsichtlich der Gestaltung gibt es offensicht- solchen umfassenden Friedensprozesses heute nicht end- lich eine Reihe von unterschiedlichen Meinungen, Herr gültig festschreiben. Aber ich glaube, wir alle sind einer von Klaeden. Dass sich jetzt mehrere Fraktionen für eine Meinung, dass es gewisse Grundsätze und Grundbedin- Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen gungen gibt. Dazu gehören sicherlich das Existenzrecht Osten aussprechen, zeigt, dass wir dasselbe anstreben und die Sicherheit des Staates Israel sowie ein lebensfä- wie die Frau Bundeskanzlerin, nämlich einen integrier- higer palästinensischer Staat als Ergebnis eines solchen ten und umfassenden politischen Ansatz. Prozesses. Des Weiteren müssen wir dafür sorgen, dass Dieser Ansatz ist aber umstritten. Zumindest ein Land der Libanon möglichst weitgehend selbstbestimmt han- in der Region glaubt nach wie vor, dass es besser ist, die deln kann und nicht von fremden Mächten dominiert einzelnen Konfliktfelder sequenziell, das heißt nachein- wird und dass die legitimen Sicherheitsinteressen aller ander abzuarbeiten, und hält es nicht für sinnvoll, die Staaten in der Region in einem solchen umfassenden Si- Konfliktlösung umfassend zu bearbeiten. Wir halten das cherheitsprozess Berücksichtigung finden. Dass wir uns aber für sinnvoll und haben deshalb noch einmal einen darüber hinaus wünschen, dass nicht nur dieser Konflikt entsprechenden Antrag eingebracht. Wir haben schon gelöst wird, sondern dass dort auch eine Region der Sta- vor vier Jahren einen Antrag zu diesem Thema vorge- bilität und des Friedens entsteht, ist richtig. Aber das ist legt. Bisher haben Sie unsere Forderungen abgelehnt. noch ein langer Weg. Ich beglückwünsche alle, die nunmehr auch die höheren Herr von Klaeden, darüber, ob es der Kernkonflikt Weihen der Weisheit genossen haben und jetzt derselben oder ob es nur ein wesentlicher Konflikt ist, kann man Meinung sind wie wir. Deshalb rechne ich damit, dass sicherlich semantisch streiten. Uns allen ist aber klar, Sie unserem Antrag heute entsprechend freudig zustim- dass er nicht nur für die Region wesentlich ist. men werden. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das hat (Beifall bei Abgeordneten der FDP) aber Konsequenzen für die Betrachtungs- (B) Herr von Klaeden, bei den von Ihnen genannten Vo- weise!) (D) raussetzungen handelt es sich doch um Details. Wir kön- – Ich bin nicht sicher, ob uns die semantische Diskussion nen uns doch nicht schon jetzt mit den Teilnehmern und darüber, ob es der Konflikt oder ob es ein wesentlicher der Tagesordnung beschäftigen. Im ersten Schritt geht es Konflikt ist, weiterbringt. Das mögen Sie anders sehen. darum, die Grundvoraussetzungen bzw. das Verständnis dafür zu schaffen, dass der integrierte Ansatz richtig ist, Die Bundesregierung hat in den nächsten sechs Mo- und einen entsprechenden Prozess einzuleiten. naten eine nahezu einzigartige Möglichkeit, zu gestalten; denn in diesem Zeitraum hat sie die EU-Ratspräsident- Ein solcher umfassender Prozess bedeutet auch, dass schaft und die G-8-Präsidentschaft inne. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, mit all denen zu reden, mit denen man re- wir aufgrund unserer Beteiligung an dem militärischen den muss, um etwas bewegen zu können. Deshalb sind Engagement das Recht und die Pflicht haben, hier ver- wir in der Tat derselben Meinung wie die Mehrheit die- stärkt einzuwirken. Die Bundesregierung ist aufgefor- ses Hauses, dass der Besuch des Bundesaußenministers dert, hier aktiv zu werden und Initiativen zu ergreifen. in Syrien sinnvoll und richtig war. Ich hoffe, dass sie das tut. Sie hat jedenfalls unsere Un- Das ist alles andere als Appeasementpolitik. Es terstützung, wenn es darum geht, eine nachhaltige Frie- kommt nicht darauf an, mit wem man redet, sondern da- denslösung in dieser Region zu finden. rauf, was man dort sagt. Das, was man sagt, muss in der Vielen Dank. Sache sehr klar sein. Ich bin der Überzeugung, dass der Herr Außenminister es richtig gemacht hat. (Beifall bei der FDP) Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit ist sicherlich ein Vorbild für diese Region; denn dieser Pro- Präsident Dr. Norbert Lammert: zess hat erstmals gezeigt, dass es sinnvoll ist, mit Men- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und schen und Staaten in einen Diskussionsprozess einzutre- voraussichtlich letzter Redner in diesem Jahr ist der Kol- ten, obwohl man vorher weiß, dass die Meinungen völlig lege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. unterschiedlich sind. (Beifall bei der LINKEN) Herr Trittin, Sie haben die Hoffnung geäußert, dass die Vereinigten Staaten in den nächsten Monaten aktiver Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): werden. Auch ich habe diese Hoffnung, allein mir fehlt Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich der Glaube. Die augenblicklichen Signale aus Washing- wollte schon immer einmal das letzte Wort in diesem ton sind nicht so eindeutig, dass wir darauf hoffen kön- Hause haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7471

Wolfgang Gehrcke (A) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Bleiben Sie – gewusst haben wir es schon länger –, gesagt hätte. (C) friedlich!) Atomwaffen bringen Israel kein Stück mehr Sicherheit, sondern sie gefährden die Sicherheit in dieser Region. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der LINKEN) Ich muss Sie enttäuschen. Das wird Ihnen nicht ganz gelingen. Dieses Eingeständnis – unkommentiert von der Bun- deskanzlerin – könnte ein Signal für weitere Staaten in (Heiterkeit) der Region sein – nicht nur für den Iran –, sich Atom- waffen zulegen zu wollen. Eine solche Politik wird aus Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): meiner Sicht mit Sicherheit scheitern. Stimmt, das letzte Wort werden Sie haben. Aber auch (Beifall bei der LINKEN) das vorletzte Wort ist ganz in Ordnung. Zu der strategischen Zielsetzung, die hier beschrieben (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Vorsicht, werden müsste – da müssen Sie einmal Butter bei die die Redezeit ist gleich vorbei!) Fische geben –, muss gehören: Wir sollten einen mas- Die Bundeskanzlerin hatte eine neue Nahostinitiative senvernichtungsfreien Nahen Osten anstreben, weil das Deutschlands während der EU-Ratspräsidentschaft an- die einzige politisch tragfähige Konzeption ist. gekündigt. Ich finde, das ist zu begrüßen. Ich war ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – spannt, was sie inhaltlich vorschlägt. Dann kam der Vor- Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dazu hat schlag, das Nahostquartett wieder zu beleben. Das ist sich doch Israel verpflichtet!) richtig, aber nicht ausreichend. Bis heute hat die Bundes- regierung keinen einzigen inhaltlichen Vorschlag ge- Das steht ja auch in unseren Anträgen. Dabei ist es nicht macht, aus dem hervorgeht, wie eine neue Nahostinitia- erheblich, ob Sie den Konflikt als Kernkonflikt bezeich- tive aussehen soll. Die Politik der Bundesregierung ist nen. Klar ist doch, dass ohne Lösung des Konflikts zwi- konturlos. schen Israel und Palästina auch die anderen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten nicht lösbar sind. Das ist der Nun kann man wie Herr von Klaeden die Opposi- Punkt, auf den es entscheidend ankommt. tionsfraktionen ob ihrer Ideen kritisieren. Aber das setzt voraus, dass man selber Ideen hat. Wenn man keine hat, (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Differen- sollte man nicht kritisieren. Dann bleibt man im unver- zierung schadet nicht!) bindlichen Nebel. (B) Das bedingt – miteinander verbunden und nicht ne- (D) (Beifall bei der LINKEN – Hartmut Koschyk beneinander – die Existenz Israels in völkerrechtlich [CDU/CSU]: Herr von Klaeden hat immer verbindlichen und gesicherten Grenzen und ebenso die gute Ideen!) Existenz eines eigenständigen palästinensischen Staa- tes, und zwar lebensfähig und nicht in einem Flickentep- Ich halte fest, dass in den letzten Monaten in diesem pich. Wer das voneinander trennen will – wie es bei Hause alle Vorschläge zum Nahostkonflikt entweder von Herrn Olmert immer noch anklingt –, der wird weder das den Grünen, von der FDP oder von den Linken kamen. eine noch das andere erreichen. Der Weg dazu wird ein (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Waren Sie Dialog sein. Man kann sich natürlich seinen Dialogpart- für UNIFIL II? – Hartmut Koschyk [CDU/ ner nicht aussuchen. Man muss mit Positionen in die Ge- CSU]: Was ist mit UNIFIL II?) spräche gehen und den Partnern sagen, was geht und was nicht geht. Das muss man dem Iran, der Hisbollah, der Die CDU/CSU und die SPD haben es nicht fertig ge- Hamas, aber auch Israel sagen. Aber ohne Dialog wird bracht, einen einzigen schriftlichen Vorschlag auf den es keinen Weg für den Frieden im Nahen Osten geben. Tisch zu legen. Man kann deswegen nichts kritisieren, Das muss man deutlich aussprechen. Daran muss sich weil Sie einfach nichts haben und nichts vorlegen kön- die deutsche Politik orientieren. nen. Damit werden Sie in der EU-Ratspräsidentschaft und in der G 8 nicht durchkommen. (Beifall bei der LINKEN) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh, wir Der Präsident mahnt; ich habe doch nicht das letzte haben Angst!) Wort. Ich finde es richtig, dass alle hier im Hause – es hätte Die große Weihnachtsbotschaft lautet: Frieden auf Er- sehr viel früher passieren müssen – die Holocaustlügner- den und den Menschen ein Wohlgefallen. Ich finde, auf konferenz im Iran nachhaltig verurteilen. Erden ist kein Frieden, und so, wie die Welt ist, kann sie den Menschen auch nicht wohlgefallen. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. Ich hätte es für notwendig gehalten – es wäre gut ge- (Beifall bei der LINKEN – Eckart von wesen, wenn Sie dazu etwas gesagt hätten –, dass die Klaeden [CDU/CSU]: Das ist eine Verhei- Frau Bundeskanzlerin Herrn Olmert etwas zu seinem of- ßung! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das fiziellen Eingeständnis, dass Israel Atomwaffen hat mit dem Wohlgefallen war anders gemeint!) 7472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Da ich bereits allen gute Wünsche für das bevorste- (C) Ich schließe die Aussprache. hende Weihnachtsfest und das neue Jahr übermittelt habe, wünsche ich denen, die es bis zum Schluss durch- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf gehalten haben, exklusiv ein wunderschönes drittes Ad- Drucksache 16/3547 an die in der Tagesordnung aufge- ventswochenende unter Aufrechterhaltung der guten führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Wünsche für die Festtage, die sich daran anschließen. Drucksache 16/3802 – Tagesordnungspunkt 28 b – soll Wenn diejenigen, die heute bis zum Schluss da waren, zu zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Aus- den Ersten gehörten, die in der nächsten Sitzung des schuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirt- Deutschen Bundestages wieder gebraucht werden, dann schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwie- wäre das eine besonders schöne Verbindung. sen werden. Die Vorlage auf Drucksache 16/3816 Jedenfalls berufe ich die nächste Sitzung des Deut- – Zusatzpunkt 11 – soll ausschließlich im Auswärtigen schen Bundestages für Mittwoch, den 17. Januar 2007, Ausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstan- 13 Uhr, ein. den? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Über- weisungen so beschlossen. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ordnung. (Schluss: 15.55 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7473

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bierwirth, Petra SPD 15.12.2006 Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 15.12.2006

Binder, Karin DIE LINKE 15.12.2006 Poß, Joachim SPD 15.12.2006

Bülow, Marco SPD 15.12.2006 Riester, Walter SPD 15.12.2006

Burkert, Martin SPD 15.12.2006 Rix, Sönke SPD 15.12.2006

Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 15.12.2006 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 15.12.2006 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN

Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.12.2006 Dr. Scheer, Hermann SPD 15.12.2006

Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 15.12.2006 Teuchner, Jella SPD 15.12.2006

Gabriel, Sigmar SPD 15.12.2006 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 15.12.2006

Gleicke, Iris SPD 15.12.2006 Dr. Westerwelle, Guido FDP 15.12.2006

Gloser, Günter SPD 15.12.2006 Wieczorek-Zeul, SPD 15.12.2006 Heidemarie Granold, Ute CDU/CSU 15.12.2006 (B) Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ 15.12.2006 (D) Freiherr zu Guttenberg, CDU/CSU 15.12.2006 DIE GRÜNEN Karl-Theodor Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 15.12.2006 Hartenbach, Alfred SPD 15.12.2006 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 15.12.2006 Hilsberg, Stephan SPD 15.12.2006 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 15.12.2006 Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/ 15.12.2006 Margareta DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Wunderlich, Jörn DIE LINKE 15.12.2006 Holzenkamp, Franz- CDU/CSU 15.12.2006 Josef Zylajew, Willi CDU/CSU 15.12.2006

Kammer, Hans-Werner CDU/CSU 15.12.2006 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Klimke, Jürgen CDU/CSU 15.12.2006 sammlung des Europarates

Dr. Kofler, Bärbel SPD 15.12.2006 Anlage 2 Leutheusser- FDP 15.12.2006 Schnarrenberger, Zu Protokoll gegebene Reden Sabine zur Beratung des Antrags: Eigentumsrechte Lintner, Eduard CDU/CSU 15.12.2006* und Forschungsfreiheit schützen – Entschiede- nes Vorgehen gegen Zerstörungen von Wert- Löning, Markus FDP 15.12.2006 prüfungs- und Sortenversuchen sowie von Fel- dern mit gentechnisch veränderten Pflanzen Merten, Ulrike SPD 15.12.2006 (Tagesordnungspunkt 25)

Möller, Kornelia DIE LINKE 15.12.2006 Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Erstens. Die Feldzer- Nitzsche, Henry CDU/CSU 15.12.2006 störungen sind auf das Schärfste zu verurteilen und in je- dem Fall strafrechtlich zu verfolgen. Hierin stimmen wir 7474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) mit der FDP überein. Eine Entscheidung über die Zu- Den Antrag halten wir aber in der vorgelegten Form (C) kunft von Wissenschaftsdisziplinen kann nur auf der nicht für zustimmungsfähig, und zwar aus folgendem Basis transparenter und reproduzierbarer Versuche ge- Grund: Zuständig für die öffentliche Sicherheit und Ord- funden werden. Zerstörung kann kein Mittel der Ausei- nung in Deutschland und damit für die Unversehrtheit nandersetzung sein! der Versuchsfelder ist nicht der Bund, sondern die Län- der. Der Antrag ist folglich abzulehnen! Zweitens. Im Rahmen der notwendigen Forschungen zur Grünen Gentechnik sind Freilandversuche unver- zichtbar. CDU/CSU und SPD haben bereits bei ihren Ko- Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ein solch überflüssi- alitionsverhandlungen die Bedeutung der Forschung für ger Antrag wie der vorliegende ist mir selten unterge- diese innovative Technologie erkannt und deshalb in den kommen; ich fasse mich deshalb kurz: Ich weiß nicht, Koalitionsvertrag aufgenommen, die Forschung in der warum Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Grünen Gentechnik zu fördern. Freilandversuche sind FDP, zum wiederholten Mal den Eindruck zu erzeugen die Voraussetzung, um verlässliche, wissenschaftlich suchen, Feldzerstörungen seien politisch motivierte fundierte Erkenntnisse zu folgenden Fragestellungen zu Akte. Damit machen doch gerade Sie die Täter zu Mär- erlangen: Erkenntnisse zur Koexistenz – Anbauabstände, tyrern und ermöglichen denen, dass sie plumpe Sachbe- Nachbarkulturen, Mantelsaat etc. –, Auswirkungen auf schädigung als „große Tat im Dienste eines höheren das Bodenleben, Basisdaten und Fakten für die „Gute Ziels“ verkaufen können. Dass Sie Zeit und Energie da- landwirtschaftliche Praxis“ und praktikable Haftungsre- für aufwenden, zu beobachten und zu dokumentieren, gelungen. wer sich hier wie und wie deutlich von solchen Zerstö- rungsakten distanziert, wundert mich auch. Ich gehe Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass nicht davon aus, dass irgendjemand in diesem Saal mit ein Hauptargument der Gentechnikgegner immer war, solchen Feldzerstörungen in Zusammenhang gebracht die Gentechnik sei nicht genug erforscht und es gebe zu werden kann. Trotzdem – zu Ihrer Beruhigung und um wenig Versuchsergebnisse, um die ökologischen Aus- uns weitere Debatten dieser Art zu ersparen – sage ich wirkungen durch den Anbau von GVO-Pflanzen umfas- das hier noch mal ganz deutlich und im Namen meiner send beurteilen zu können. Genau dem helfen wir nun Fraktion: Wir distanzieren uns von Feldzerstörungen. ab. Wir tun also etwas zur Beruhigung der Gegner! Die Zerstörung fremden Eigentums verurteilen wir, da- Drittens. Was können wir nun zum besseren Schutz mit haben wir nichts zu tun, und wir machen auch nicht der Felder tun? Hier muss als erstes über das Standortre- mit, wenn solche Debatten wie die heutige hier letztend- gister gesprochen werden. Es dient leider in der jetzigen lich den Tätern in die Hände spielen, die ihr Tun umso Form auch den Zerstörern der Versuchsfelder als verläss- stärker als politisch motiviert verkaufen werden. (B) licher Wegweiser. (D) Wir machen aber auch nicht mit, wenn solche Vorfälle Wir müssen uns also fragen, ob die Einschränkung der dazu benutzt werden sollen, Geheimniskrämerei zu öffentlichen Zugänglichkeit der Standortregister eine Lö- rechtfertigen. Damit meine ich Forderungen nach Ein- sung wäre. Ich stelle dies infrage, da unser Ziel bei der schränkung des öffentlichen Standortregisters mit der Gentechnik sein muss, die öffentliche Akzeptanz zu ver- flurstückgenauen Angabe der Freisetzungsflächen, wie bessern. Wenn wir die öffentliche Zugänglichkeit aber es seit Februar 2005 auf den Internetseiten des BVL für einschränken, wirkt das, als gebe es etwas zu verbergen. alle einsehbar ist. Es gibt keinen Zusammenhang zwi- Das ist aber nicht der Fall. Wir stehen zur Öffentlichkeit schen Feldzerstörungen und transparentem Standortre- des Registers. Aber: Wir müssen die Wegweiserfunktion gister. Auf eine entsprechende Anfrage der Grünen lau- entschärfen. Hierzu könnte man beispielsweise die ge- tet die Antwort der Bundesregierung: „Es konnte im Jahr naue Bezeichnung des Feldes oder Flurstücks streichen 2005 kein Anstieg der Anzahl der Feldzerstörungen von und nur die Gemeinde nennen. Aber die Diskussion ist Freisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten noch völlig offen. Pflanzen festgestellt werden.“ Damit wäre eigentlich al- les gesagt. Viertens. Stichwort Akzeptanz und Kommunikation: Die Ängste in der Bevölkerung gegenüber modernen Umso erstaunlicher ist es dann, in einer Presseinfor- Technologien müssen sehr ernst genommen werden. mation der FDP-Fraktion vom 11. Dezember 2006 zu le- Ängste basieren meist auf fehlenden verständlichen In- sen: „Die durch das Gentechnikgesetz gewährte Trans- formationen. Die Bürger unseres Landes müssen endlich parenz ist missbraucht worden. Deshalb muss die sachlich aufgeklärt werden und wissenschaftlich fun- Öffentlichkeit des Anbauregisters eingeschränkt wer- dierte Fakten über die Grüne Gentechnik und die Zielset- den.“ Ich will natürlich vollständig zitieren. Der voraus- zungen der Freilandversuche erhalten. gegangene Satz der Presseinformation lautet: „Die Zahl der Feldzerstörungen hat sich in diesem Jahr gegenüber Viele Ängste wurden und werden immer noch durch 2004 verfünffacht.“ Nun gibt es das öffentliche Anbau- sehr einseitige, überzogene Risikodarstellungen durch register – wie gesagt – erst seit Februar 2005. Ich weiß Organisationen verursacht, die bewusst und absichtlich nicht, woher die Zahlen der FDP stammen, aber wenn die Grüne Gentechnik ablehnen, ja diese bekämpfen! ich der Auskunft der Bundesregierung glaube – und das Eine Abwägung zwischen Chancen und Risiken kann tue ich –, dann stagniert die Zahl seit Einführung des öf- aber nur in angst- und ideologiefreiem Klima stattfinden. fentlichen Registers. Also muss dieser enorme Anstieg Fünftens. Wir stimmen in vielen Punkten mit der FDP an Feldzerstörungen vor Einführung des transparenten überein, die aber im Wesentlichen schon erfüllt wurden. Standortregisters stattgefunden haben. Das wäre dann ei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7475

(A) gentlich ein weiteres Argument für die Transparenz, Kurzum: Die Menschen, die Agro-Gentechnik aus (C) denn damit wäre ja dann der Trend zum rasanten Anstieg sehr verschiedenen Gründen ablehnen, verschaffen sich der Feldzerstörungen gestoppt worden! auf sehr unterschiedlichen Wegen Gehör, einige Wenige auch durch die Vernichtung gentechnisch veränderter Wegen der unsicheren Herkunft der Daten will ich es Maispflanzen. Meine Fraktion Die Linke hält das für aber dabei bewenden lassen; denn es gibt noch andere keine geeignete Protestform. Aber wir verstehen die gute Gründe für die Transparenz. Das flurstückgenaue Botschaft dieser so genannten Feldbefreiungen: Sie for- Standortregister hat sich bewährt. Die transparente Lö- dern uns zum Nachdenken auf. Zum Nachdenken da- sung ist unbürokratisch und für alle unmittelbar und mit- rüber, wie bedrohlich Menschen die Agro-Gentechnik telbar Betroffenen am leichtesten handhabbar. Sie wahrnehmen! schafft Vertrauen bei der Bevölkerung, und das ist der Weg zu mehr Akzeptanz. Nicht unterschätzt werden Und das ist ja nicht unbegründet. Um nur ein paar darf, welch enorme Erleichterung diese Transparenz für Beispiele zu nennen: Der Reis LL601 gelangt europa- Berufsstände wie zum Beispiel den Imker darstellt; na- weit in Lebensmittelregale, obwohl er angeblich nur in türlich auch für die Behörden, die nicht erst prüfen müs- einem kleinen wissenschaftlichen Versuch in den USA sen, ob jemand ein berechtigtes Interesse auf Informa- angebaut wurde und nicht zugelassen ist; es besteht zu- tion hat. mindest das Risiko, dass Felder in der Umgebung konta- miniert werden. Das entwertet das Erntegut der Nichtan- Nicht nur Landwirte haben ein Interesse an solchen wender. Haftung gibt es nur bei Verschulden; Informationen, sondern auch Kleingärtner, Verarbei- Nichtanwender müssen die Kosten für den Nachweis der tungsindustrie, Handel sowie Imker und vor allem auch Gentech-Freiheit ihrer Ernte selbst bezahlen; auf dem die Verbraucher. Eine Einschränkung des öffentlich ein- Acker verbleibendes Erntegut entwertet Pachtflächen sehbaren Teils erleichtert nicht den GVO-Anbau, son- und gentechnisch veränderte DNA wird in Honig nach- dern erhöht die bürokratischen Lasten der Anbauenden gewiesen, Imker bekommen daher Vermarktungspro- und der Verwaltung, weil alle Betroffenen ermittelt und bleme. angeschrieben werden müssen. Kann man nicht verstehen, dass sich Menschen gegen Die FDP fordert den konstruktiven öffentlichen Dia- eine solche Gefahr wehren, wenn die Politik sie nicht log mit Gentechnikgegnern und Gentechnikbefürwor- durch Gesetze schützt? Eines habe ich aus meiner eige- tern. Das ist ja an sich eine unterstützenswerte Forde- nen Geschichte gelernt: Statt nur über die Art und Weise rung. Ein solcher Dialog kann aber nur konstruktiv sein, des Protestes zu debattieren ist jede Regierung gut bera- wenn er nicht auf Geheimniskrämerei setzt. Weniger ten, solche Aktionen als Warnsignal ernst zu nehmen. (B) Transparenz im öffentlichen Register verträgt sich damit Der Versuch, die berechtigten Proteste zu kriminalisie- (D) nicht und ist gleichbedeutend mit mehr Bürokratie und ren, löst das Problem nicht. Viel klüger wäre es, die da- mit Einführung von neuen Informations-, Benachrichti- hinter stehenden Ängste und Sorgen endlich ernst zu gungs- und Dokumentationspflichten für die GVO-An- nehmen. Es gibt aus Sicht der Linken, eine viel wirksa- bauer. Machen wir uns doch nichts vor: Feldzerstörun- mere Form des Protests: die Bildung von Gentechnik- gen können durch eine Schränkung der Informationen freien Regionen oder Kommunen. Sie ist ein bürger- nicht verhindert werden, die Standorte für Freisetzungen schaftliches, demokratisches Mittel des Widerstands. müssen auch ohne öffentliches Register angekündigt Daher unterstützen wir diese Lösung ausdrücklich und werden und können zum Beispiel von Betroffenen veröf- sehr konkret vor Ort. fentlicht werden. Sollen wir dafür die Transparenz Die Regierung handelt auch bei diesem Thema nicht opfern und neues Misstrauen schaffen? Ich denke, nein; im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. damit ist niemandem gedient. Anders als zum Beispiel kürzlich in Südtirol – hier sucht Wir lehnen den Antrag der FDP ab, denn die dort vor- die Regierung nach Möglichkeiten eines europarechts- geschlagenen Maßnahmen sind nicht geeignet, die konformen Wegs ohne Agro-Gentechnik. Bis dahin ist Eigentumsrechte und die Forschungsfreiheit zu schüt- der Anbau über ein Moratorium verboten. In der zen. Schweiz besteht das Moratorium nach einer Volksbefra- gung.

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Wir sprechen Die Bundesregierung versucht stattdessen, das Volk heute über einen Antrag, der gar nicht nötig wäre, wenn mit zwei Versprechen im Koalitionsvertrag zu beruhi- die Regierung die Skepsis oder Ablehnung der großen gen: Erstens. Die Sicherung der Wahlfreiheit der Ver- Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der braucherinnen und Verbraucher und, zweitens, die Si- Agro-Gentechnik respektieren würde. cherung der Koexistenz zwischen Anwendern und Nichtanwendern. Diese breite Ablehnung äußert sich in vielen Protest- aktionen. Die Realität sieht anders aus: Erstens. Es gibt keine wirkliche Wahlfreiheit bei Lebensmitteln: Gentechnik- Anfang November bildeten 13 000 Luftballons in frei heißt nicht wirklich frei, sondern eine zufällige Kon- Berlin den Schriftzug: „Gen-Food: Nein Danke!“ Es taminationen bis zu 0,9 Prozent, und weder Milch noch gibt: Demonstrationen, Streitgespräche, Informations- Eier sind gekennzeichnet, wenn genetisch veränderte veranstaltungen und E-Mail- oder Postkartenaktionen. Futtermittel verwendet werden. 7476 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Zweitens. Koexistenz ist auf Dauer nicht zu sichern amt jahrelang Sortenprüfungen von gentechnisch verän- (C) und sehr teuer – aufgrund der großen Anzahl nicht oder derten Pflanzen durchgeführt hat – ohne Wissen der Öf- kaum kontrollierbarer Verschleppungsrisiken, wie zum fentlichkeit. Mit einer gewissen Häme wird nun darauf Beispiel Wind, Insekten, verunreinigte Erntetechnik, verwiesen, dass diese geheimen Sortenprüfungen ja auch Transportverluste, Resternte auf dem Feld, Eintragsrisi- schon in der rot-grünen Regierungszeit stattgefunden ken in die Produktionskette etc. Das war auch die über- hätten. Das stimmt – denn bis 2005 – also bis zum In- wiegende Meinung der Experten in unserer Ausschuss- Kraft-Treten des neuen Gentechnikgesetzes mit dem öf- anhörung zur Koexistenz vor wenigen Wochen. fentlichen Standortregister – fehlte schlicht die Rechts- grundlage dafür, diese Standorte zu veröffentlichen. Die In einer Aussage würde ich Minister Seehofer unter- Geheimhaltung der Standorte durch das Bundessorten- stützen. Er will keinen Krieg in die Dörfer tragen, sagte amtes war nur möglich, weil wir bis 2005 kein öffentli- er im Sommer. Aber wer das nicht will, darf auch nicht ches und transparentes Standortregister im Gentechnik- an der Lunte zündeln, sondern muss sich auf die Seite gesetz hatten. der Mehrheit stellen. Gerade der Fall der Wertprüfungsstandorte zeigt: je mehr Geheimhaltung, desto mehr Feldzerstörungen! Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie- Dies ergibt sich auch aus den Antworten der Regierung der einmal verschwendet die FDP unsere Zeit mit einem auf unsere Fragen. Denn erst nachdem im Sommer 2006 Antrag, den wir in steter Regelmäßigkeit aufs Neue von viele Landwirte unter anderem in NRW, aber auch in den Liberalen präsentiert bekommen. Das Ziel dieses Hessen und anderen Bundesländern sich zu Recht da- Antrags ist es, die Kritik an der Gentechnik zu kriminali- rüber empörten, dass jahrelang ohne ihr Wissen vom sieren und – entgegen dem Willen der Mehrheit der Be- Bundessortenamt Wertprüfungen von gentechnisch ver- völkerung – den Verbrauchern die Agrogentechnik auf- änderten Sorten durchgeführt wurden, nahmen die Feld- zudrängen. zerstörungen zu. Es ist unlauter, wenn Sie in ihrem Antrag davon re- Wann und wo es zur Zerstörung von Feldern mit gen- den, der Herr Minister Seehofer würde sich dadurch von technisch veränderten Pflanzen kommt, ist also offen- seiner Vorgängerin unterscheiden, dass er kriminelle sichtlich eine Frage der öffentlichen Debatte. Die Ge- Handlungen verurteile. An dieser Stelle haben wir schon heimhaltung – und nicht die Transparenz des einmal über diese dreiste Unterstellung verhandelt. Ende Standortregisters – ist meines Erachtens ein Grund für Januar 2004 haben Sie schon einmal versucht, Frau Feldzerstörungen. Darum darf die Transparenz des Stand- Künast etwas unterzujubeln, was sie nicht gesagt hat. ortregisters, wie unter rot-grün geschaffen, nicht einge- Aber auch diesmal läuft ihr Versuch ins Leere. Die Un- schränkt werden. (B) terschiede zwischen der Verbraucherschutzministerin (D) Künast und ihrem Nachfolger Seehofer sind himmel- Dennoch bietet dieser Antrag auch die Möglichkeit, weit, aber an diesem Punkt werden sie keinen Unter- einige Dinge ins rechte Licht zu rücken. Die Antragstel- schied feststellen oder herbeireden können. Feldzerstö- ler von den Liberalen beklagen, dass die Feldzerstörun- rungen sind gesetzeswidrige Handlungen – und als gen zu einem mutmaßlichen Schaden von circa 1 Mil- solche lehnen wir Grüne sie kategorisch ab. lionen Euro geführt haben. Dabei verursacht die Agrogentechnik selbst derzeit nicht nur mutmaßliche, Zur inhaltlichen Kritik an diesem Antrag: Es ist of- sondern reale wirtschaftliche Schäden – zum Beispiel fensichtlich, dass Sie sich im Vorfeld dieses Antrages durch die gentechnische Verunreinigung von Reis, aber scheinbar nicht ausreichend über die angeblich so stark auch durch die Kosten, die der Lebensmittelwirtschaft angestiegene Zahl der Feldzerstörungen informiert ha- und dem Steuerzahler durch die Testkosten aufgebürdet ben. werden, wenn sie – und das wollen derzeit die meisten, Wir haben die Bundesregierung gebeten, einmal ge- egal ob konventionell oder ökologisch – ohne den Ein- nauer aufzuschlüsseln, wie viele Feldzerstörungen es bei satz von gt-Pflanzen arbeiten wollen. Freisetzungsversuchen seit dem In-Kraft-Treten des Darüber hat man die FDP noch nie klagen hören! Gentechnikgesetzes 1990 gab, und zu beurteilen, ob es Nehmen wir nur das Beispiel Gentech-Reis, welches uns einen Zusammenhang zwischen der Einführung des in jüngsten Zeit viel beschäftigt hat Nach Auskunft der Standortregisters im Jahr 2005 und der Anzahl der Feld- Bundesregierung beläuft sich der Schaden, der durch zerstörungen gibt. Die Antwort der Regierung ist ein- gentechnische Verunreinigungen von Reis entstanden deutig: „Es konnte im Jahr 2005 kein Anstieg der Anzahl ist, auf rund 10 Millionen Euro. Denn es mussten etwa der Feldzerstörungen von Freisetzungsversuchen mit 10 000 Tonnen Reis und eine Vielzahl von reishaltigen gentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt werden.“ Produkten in einer Rückrufaktion aus dem Verkehr gezo- Und auch auf die Frage, ob es wegen des Standortregis- gen werden, weil illegal nicht zugelassene gentechnisch ters im Jahr 2005 vermehrt zu Zerstörungen von Wert- veränderte Produkte in Umlauf gebracht wurden. Hier- prüfungsstandorten gekommen ist, antwortet uns die Re- bei handelt es sich um eine Straftat! gierung: „Im Jahr 2005 hat es keine Feldzerstörungen von Wertprüfungen des Bundessortenamtes mit gentech- Wir brauchen keinen Bericht der Regierung über die nisch veränderten Sorten gegeben.“ Folgen von Zerstörungen auf die Hightechstrategie der Regierung, wie die FDP in ihrem Antrag fordert. Was Fakt ist: In den letzten Monaten kommen immer mehr wir wirklich brauchen, ist, dass die Regierung endlich ei- Informationen darüber zutage, dass das Bundessorten- nen Fortschrittsbericht zum Stand öffentlich finanzierter Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7477

(A) Aktivitäten im Zusammenhang von Erforschung, Zulas- uns bei dem Ziel nachhaltige Landwirtschaft und ge- (C) sung, Anbau und Vermarktung von gentechnisch verän- sunde Lebensmittel in Deutschland und der Welt zu för- derten Pflanzen vorlegt, wie ihn das Büro für Technik- dern. folgenabschätzung in dem Bericht „Gentechnisch veränderte Pflanzen der 2. und 3. Generation“, Drucksa- che 16/121, sowie auf der Fachanhörung des For- Anlage 3 schungsausschusses am 22. Juni 2006 vorgeschlagen hat. Zu Protokoll gegebene Reden Der Generalsekretär der CSU, Markus Söder, hat in zur Beratung der Großen Anfrage: Haltung der einem Artikel zur Gentechnik aus dem Juni diesen Jah- Bundesregierung zur Europäischen Dienstleis- res gefordert, „dass für uns die Sicherheit vor bloßen tungsrichtlinie (Tagesordnungspunkt 27) Kommerz geht.“ Da kann ich ihm nur zustimmen. Diese Frage genießt aber in der Forschungspolitik, die von der Regierung betrieben wird, anscheinend keine Priorität. Kurt Bodewig (SPD): Es gab kaum ein anderes eu- Biologische Sicherheitsforschung findet unsere volle ropapolitisches Thema in den letzten Monaten, ja in den Zustimmung, denn, wie sich GVO auf die Biodiversität letzten zweieinhalb Jahren, das die öffentliche Diskus- auswirken, und wie man die Umwelt vor Verunreinigun- sion derart bestimmt hat wie die Dienstleistungsricht- gen mit Risikostoffen schützen kann, sind für Bündnis 90/ linie. Endlich – so sage ich als Europapolitiker – hat Die Grünen wesentliche Fragen, die eingehender Studien Europa mal in abendlichen Diskussionsrunden im Fern- bedürfen. Unter biologischer Sicherheitsforschung wer- sehen und in der Tagesschau eine ausführliche Rolle ge- den den Bürgern aber auch Projekte verkauft, die nicht spielt und Menschen konnten nachvollziehen, dass im entferntesten diesen Zielen dienen, sondern nur dar- Europa sie unmittelbar betrifft. Anfangs waren es die ne- auf abzielen, die Produktentwicklung zu fördern und die gativen Schlagzeilen über das vom liberalen Kommissar Bevölkerung zu manipulieren. Wir brauchen weniger PR Bolkestein beabsichtigte so genannte Herkunftslandprin- für Gentechnik, sondern mehr qualitativ anspruchsvolle zip, erhitzte Debatten wurden geführt. Dieses Prinzip hat Forschung, welche die Risiken dieser Technologie zu Massendemonstrationen in nahezu allen Hauptstädten durchleuchtet. der EU – allen voran in Brüssel – geführt. Erstmals ging die öffentliche Auseinandersetzung um dieses europäi- Deswegen ist nach Meinung von Bündnis 90/Die Grü- sche Thema über die spezifischen Probleme und Interes- nen ein Gentechnik-Moratorium nach Vorbild der Schweiz sen einzelner Wirtschaftssektoren oder bestimmter Be- auch für Deutschland angebracht Denn solange wir nicht rufsgruppen hinaus. im Bilde sind über die Langzeitfolgen der Agro-Gentech- (B) (D) nik kann man nicht guten Gewissens einen derart gravie- Nun ist aber endgültig der Weg für die Dienstleis- renden Eingriff in die Natur rechtfertigen. Deshalb lauten tungsrichtlinie frei. Das Herkunftslandprinzip wurde unsere Forderungen an die Bundesregierung: aufgrund sozialdemokratischer Initiative an dieser Stelle aus der DLR entfernt. Nach dem Europäischen Parla- – den Ausbau der ökologischen Landbauforschung, ment hat nun auch der Ministerrat über die Richtlinie denn die angeblichen Vorteile der GVO wie Schäd- entschieden. Damit wurde eines der wichtigsten wirt- lingsresistenzen und höhere Erträge, lassen sich viel schaftspolitischen Projekte der EU im Rahmen der Ver- leichter über natürliche Züchtungen verfolgen, wirklichung der Lissabon-Strategie abgeschlossen, die – die Festlegung von Regeln der Gute Fachliche Praxis, Öffnung des Dienstleistungsmarktes für alle Staaten in die sicherstellen, das ökologischer und konventionel- der EU – ohne Restriktionen und Inländer-Diskriminie- ler Landbau weiterhin gentechnikfrei möglich sind, rung. das heißt zum Beispiel bei Abstandsregelungen den Bestandsschutz der gentechnikfreien Landwirtschaft Ich möchte an dieser Stelle unserer Berichterstatterin Vorrang gegenüber der Agrogentechnik einzuräumen, im Europäischen Parlament, der sozialdemokratischen Abgeordneten Evelyne Gebhardt, ganz herzlich unseren – die Schaffung eines internationalen unabhängigen Dank aussprechen. Evelyne Gebhardt hat großartige Ar- Datenbanksystems für Freisetzungsversuche weiter beit im Rahmen der Verhandlungen zur Erzielung eines voran zu treiben, damit illegal in Umlauf gebrachten Kompromisses geleistet. Sie hat uns kontinuierlich über GVO schnell und zuverlässig auf den Verursacher zu- ihre Arbeit informiert und wir waren stets im Bilde da- rückgeführt und geeignete Gegenmaßnahmen getrof- rüber, was SPD-Fraktion und das EP auch in unserem fen werden können, und Sinne tun, um den europäischen Binnenmarkt voran zu bringen. Evelyne Gebhardt hat sich immer offen gegen – die ablehnende Haltung der Mehrheit der Bevölke- den horizontalen Ansatz der Kommission und gegen das rung gegenüber der Gentechnik auch aufseiten der Herkunftslandprinzip ausgesprochen und sie hat bereits Regierung endlich zur Kenntnis zu nehmen und ein zu Beginn der Verhandlungen auf massive Änderungen Gentechnik-Moratorium auf den Weg zu bringen. gepocht. Sie hat sowohl zwischen den Fachausschüssen Ich bin skeptisch, ob es uns weitere Anträge wie die- des EP als auch zwischen den politischen Fraktionen und ser erspart bleiben werden, der so weit an den dringen- den nationalen Gruppen intensiv zu vermitteln versucht den Problemen der Landwirtschaft und der Verbraucher und nach Kompromissmöglichkeiten gerungen. Meines vorbeigeht. Bitte behelligen Sie uns nicht weiter mit Erachtens zeigt der Verhandlungsprozess um die Richt- solch lächerlichen Anträgen, sondern unterstützen Sie linie die Bedeutung der politischen Gestaltungsmacht 7478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) des Europäischen Parlaments, gerade auch im intensiven Doris Barnett (SPD): In Europa hat die Dienstleis- (C) Dialog mit den nationalen Parlamenten. tungsrichtlinie mit dem 15. November 2006 nun alle Hürden genommen. Die Mitgliedstaaten, damit auch ins- Nach Zustimmung im Rat kann nun die Richtlinie in besondere wir im Parlament, haben nun die Aufgabe, die den nächsten Wochen in Kraft treten. Bis die geplanten Richtlinie innerhalb der nächsten drei Jahre in nationales Erleichterungen tatsächlich greifen können, sind jedoch Recht umzusetzen. noch zahlreiche Umsetzungsmaßnahmen notwendig. In spätestens drei Jahren muss die Umsetzung allerdings er- Für die Europäische Kommission gehört die Dienst- folgt sein. Wir werden die Bundesregierung regelmäßig leistungsrichtlinie zu den wichtigsten Teilen der Lissa- auffordern, zum Verlauf der Umsetzungsmaßnahmen bonstrategie, die ja das Ziel hat, Europa bis zum Jahr Stellung zu nehmen. 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Ob dieses Ziel er- Insgesamt kann ich sagen, dass wir einen guten Kom- reicht wird, mag jetzt dahingestellt sein. Aber wichtig promiss erzielt haben. Die Öffnung des Binnenmarktes ist, dass wir auch Bewegung und damit Wettbewerb im für Dienstleistungen war sowohl europarechtlich erfor- Dienstleistungssektor brauchen. derlich als auch politisch und ökonomisch gewollt. Die Richtlinie ist unverzichtbar, um die vorhanden Hemm- Nun war der Bolkestein-Entwurf wirklich nicht dazu nisse für den freien Dienstleistungsverkehr abzubauen. angetan, auf Verständnis oder gar Zustimmung in vielen Nur so kann Wirtschaftswachstum generiert werden und Ländern zu stoßen. Deshalb löste er ja auch sofort Dis- können neue Arbeitsplätze entstehen. kussionen, Proteste, Ablehnung aus. Dank dem Einsatz der Berichterstatterin im Europäischen Parlament, Der Hauptkonfliktpunkt, das Herkunftslandprinzip, Evelyne Gebhardt, aber auch der guten Zusammenarbeit wurde gestrichen und durch eine „Bestimmung über die deutscher und französischer Parlamentarier gelang es, Dienstleistungsfreiheit“ ersetzt. Diese besagt, dass das dass die Richtlinie im parlamentarischen Prozess mas- Zielland für eine freie Aufnahme und Ausübung der sive Veränderungen erfuhr. Dienstleistung zu sorgen hat, unabhängig von den Be- stimmungen des Herkunftslands. Die heute zu behandelnde Große Anfrage der Frak- tion Die Linke von vor einem Jahr geht allerdings – wie Auch wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie auch ihr Antrag für die Anhörung – von dem ursprüngli- gegenüber dem ursprünglichen Entwurf deutlich einge- chen Bolkestein-Entwurf aus, ist somit obsolet und auch schränkt. Ausgenommen sind nun alle Dienstleistungen, zeitlich überholt. Inhaltlich hat sich so viel bewegt, wie für die es bereits spezielle EU-Regelungen gibt, wie man es zu Beginn der Diskussion gar nicht erwarten Finanz- und Verkehrsdienstleistungen, Telekommunika- konnte. Die Antragsteller tun ja so, als brauche man nur (B) tion und Hafendienste. Ebenso sind ausgenommen Nota- gut zu verhandeln und alles wird gut. Tatsache ist aber (D) riatsdienstleistungen und private Sicherheitsdienste. nach wie vor, dass Deutschland nur eines von 25 Län- Auch die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse dern ist und wir in Brüssel nicht „durchregieren“ kön- und soziale Dienstleistungen fallen nicht mehr in den nen, also Rücksicht zu nehmen haben. In vielen Staaten, Anwendungsbereich. Ich freue mich über unseren Er- besonders den neuen Mitgliedern, fielen deshalb unsere folg, denn wir Sozialdemokraten treten für eine Siche- Bedenken auf Unverständnis. Dass die Richtlinie dank rung der Daseinsvorsorge in Deutschland ein. Auch wer- des Verhandlungsgeschicks und der Ausdauer und Hart- den das nationale Arbeitsrecht und Steuerwesen sowie näckigkeit von Evelyne Gebhardt und ihren Mitstreitern staatliche Bildungseinrichtungen nicht berührt. doch noch zu einem guten Ende geführt werden konnte, darüber können wir uns auch wirklich einmal freuen. Die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungen insbesondere für ausländische Anbieter wird durch die Jetzt allerdings gilt es, die Richtlinie europaweit in Richtlinie enorm erleichtert. Durch die Einrichtung so nationales Recht umzusetzen. Damit eröffnet sich für die genannter Einheitlicher Ansprechpartner – „one-stop- deutsche Dienstleistungswirtschaft die Möglichkeit, die shops“ – in den nationalen Verwaltungen verfügen die Chancen des EU-Dienstleistungsmarktes optimal zu nut- Dienstleistungserbringer über eine Kontaktstelle, über zen. Denn bisher haben etliche nationale Regelungen die alle Verfahren und Formalitäten abgewickelt werden den europaweiten Austausch von Dienstleistungen ein- können. geschränkt. Ich bin überzeugt, dass Deutschland von der Marktöffnung profitieren wird, weil hier ein deutlicher Auch wir werden von der neuen Richtlinie profitie- Nachholbedarf besteht und es hier auch Wachstums- ren. So ist auch in Deutschland der Dienstleistungssektor potenziale gibt. ein besonders dynamischer Wirtschaftsbereich, der hohe Wachstumspotenziale und Beschäftigungsanreize birgt. Es ist gelungen, die Richtlinie so auszugestalten, dass sie eine Symbiose darstellt zwischen den Interessen der Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Verbrau- unser Auftrag war, die EU-Dienstleistungsrichtlinie so- cherinnen und Verbraucher auf der einen Seite und den zial zu gestalten. Dies ist uns gelungen. Wir beteiligen Interessen der Wirtschaft auf der anderen Seite. Den uns seit Beginn der Debatte im Jahr 2004 kritisch und Menschen auch bei der Dienstleistungsrichtlinie in den konstruktiv an der Gestaltung einer sozial ausgewogenen Mittelpunkt der politischen Zielsetzung zu stellen – das Dienstleistungsrichtlinie. Ich sage an dieser Stelle noch ist gelungen. Dabei wurde nicht vergessen, dass auch die einmal: Wer nicht bereit ist, Verantwortung zu überneh- Wirtschaft, die Dienstleister einen Gewinn haben müs- men, kann auch nicht mitgestalten! sen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7479

(A) Eine Erkenntnis allerdings können wir Parlamentarier tungen aus den Mitgliedstaaten hätte kompensieren kön- (C) aus dem Verfahren um die Dienstleistungsrichtlinie al- nen, was dem Verbraucher zugute gekommen wäre. lerdings ziehen: Die Beratungen in der Kommission, im Die Folgen des Protektionismus werden sich schon Rat und im Europaparlament wurden begleitet durch bald offenbaren: Die Entstehung neuer wirtschaftlicher zum Teil heftige Diskussionen in den Nationalparlamen- Dynamik auf dem Zukunftsmarkt Dienstleistungen wird ten, allen voran Frankreich und Deutschland. Die De- verhindert, die Schaffung neuer Arbeitsplätze unmöglich monstrationen der Gewerkschaften haben gerade der gemacht. Kommission und dem Rat deutlich gemacht, wie wichtig zur Akzeptanz eines europäischen Vorhabens die Fähig- Insbesondere Deutschland, den derzeit größten keit ist, auf berechtigte Forderungen der Betroffenen mit Exporteur von Dienstleistungen in Europa, wird dies in Kompromissen einzugehen. Der Platz, an dem die Kom- besonderem Maße treffen. Dass das Ganze unter dem promisse formuliert und letztlich auch durchgesetzt Deckmantel „sozial“ geschieht, den die Konservativen wurde, war dann das Europaparlament. Ich begrüße es wie die Sozialisten wie eine Monstranz vor sich hertra- gerade aus Demokratieüberlegungen heraus, dass es hier gen, ist ebenso tragisch wie schizophren. Die Linken ha- zu einer gewissen Machtverschiebung von der Kommis- ben im Meinungsbildungsprozess wieder einmal eine be- sion und vom Rat hin zum Europaparlament gekommen sonders unrühmliche Rolle gespielt. Sie schürten, wo ist – wenn auch nicht freiwillig; das Europaparlament immer sie konnten, im Verein mit den Gewerkschaften hat dafür heftig und letztlich erfolgreich gestritten. Der Ängste in der Bevölkerung. Geradezu gebetsmühlenartig Umstand, dass SPD und EVP hier ganz gut kooperierten, sprachen sie vom angeblich drohenden Lohn-und So- kam Gewinn bringend hinzu. zialdumping, ein Totschlagsargument, mit dem versucht wurde, jeden sachlichen Dialog im Keim zu ersticken. Ich glaube, dass gerade das Verfahren um die Dienst- leistungsrichtlinie beispielhaft gezeigt hat, wie Europa Es ist im Gefolge dieser beispiellosen populistischen besser funktionieren und auch eine höhere Akzeptanz er- Kampagne zu Großdemonstrationen in Brüssel und zu fahren könnte: Es ist das demokratische Zusammenspiel einer tief greifenden Verunsicherung aller Beteiligten ge- der Nationalparlamente mit dem Europaparlament. Na- kommen. Sowohl der Rat als auch die Kommission wa- türlich werden auch die Kommission und der Rat seine ren weitgehend paralysiert. Im Rat taten sich Deutsch- Bedeutung behalten. Aber die stärkere Einbindung des land und Frankreich eher bei der Organisierung einer parlamentarischen Prozesses führt auch direkt zu einer Blockademinderheit als bei der Bildung einer Gestal- Legitimation von Regelungen, die die Vorschläge der tungsmehrheit hervor. Zum eigentlichen Ort der Verstän- Kommission sicherlich nicht in dem Umfange haben. digung entwickelte sich schließlich das Europäische Par- lament. (B) (D) Martin Zeil (FDP): Ich sehe, ehrlich gesagt, wenig Der gefundene Kompromiss ist, wie das Kompro- Sinn darin, noch einmal über die Dienstleistungsricht- misse oft an sich haben, in vieler Beziehung unbefriedi- linie zu diskutieren. Die Messen in dieser Frage sind ge- gend. In zentralen Fragen des Anwendungsbereichs und lesen, seit das EU-Parlament am 15. November die des Herkunftslandprinzips ist er teilweise wenig konkret. Dienstleistungsrichtlinie verabschiedet hat. Jetzt bleibt Ein Beispiel: Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, eigentlich nur noch, die Richtlinie in nationales Recht die freie Ausübung der Dienstleistungstätigkeit in ihrem umzusetzen. Hoheitsgebiet zu gewährleisten. Sie dürfen aber natio- nale Auflagen vorgeben, um die öffentliche Sicherheit Unsere Position in dieser Frage dürfte inzwischen und Ordnung zu gewährleisten. Diese nationalen Regeln hinlänglich bekannt sein. Wir sind der Meinung, dass die müssen „verhältnismäßig und erforderlich“ sein. Ob sie Richtlinie im Ergebnis jahrelangen Meinungsstreites ge- das im Einzelfall sind, entscheidet die Verwaltung vor genüber dem Ursprungsentwurf des früheren Wettbe- Ort, von deren Interpretation und Auslegung viel abhän- werbskommissars Bolkestein bis zur Unkenntlichkeit gen wird. verwässert wurde. Die Richtlinie ist insgesamt voller Rechtsunsicherhei- Die notorischen Bedenkenträger und Wettbewerbs- ten und unklarer Begriffe, die man hätte vermeiden kön- verhinderer in der EU haben sich leider durchgesetzt und nen, wenn man das Herkunftslandprinzip konsequent an- nicht nur das Herkunftslandprinzip weitgehend ausgehe- gewendet hätte. Dann müsste man sich nicht darüber belt, sondern auch in vielen anderen Bereichen dafür streiten, was denn nun Dienstleistungen von allgemei- gesorgt, dass auf dem Dienstleistungsmarkt, wenn über- nem Interesse oder Dienstleistungen in sozial sensiblen haupt, nur ein schaumgebremster Wettbewerb stattfin- Bereichen sind. Das sind alles Definitionsfragen, die, det. das ist vorhersehbar, zu unendlichen Streitereien führen werden. Die Rechtsunsicherheiten werden zudem zu ei- Die ganze Diskussion war geprägt von protektionis- nem Wust an Bürokratie führen, weil für die zahlreichen tischen Tendenzen, obwohl sich im Wirtschaftsleben an Ausnahmen Regeln zu finden und umzusetzen sind, was vielen Stellen gezeigt hat, dass dies durchweg negative natürlich auch einen Beschäftigungseffekt hat, aber nicht Auswirkungen hat. Warum zum Beispiel die Dienstleis- den, den man sich von der Dienstleistungsrichtlinie ei- tungen im Gesundheitswesen, der Altenpflege sowie in gentlich erhofft hat. der Kinderbetreuung von der Richtlinie ausgenommen wurden, bleibt völlig unerfindlich. Hier gibt es eindeutig Letztlich wird es wohl häufig der Rechtsprechung des Angebotsdefizite in Deutschland, die man durch Leis- EuGH überlassen bleiben, festzulegen, wie die Bestim- 7480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) mungen im konkreten Einzelfall anzuwenden sind. Da- führen wird. Rund 30 Anforderungen an Dienstleis- (C) mit wird der Gerichtshof einmal mehr in seiner Rolle als tungserbringer müssen von den Mitgliedstaaten sofort Politik gestaltendes Verfassungsgericht der EU bestätigt. abgeschafft werden und weitere 60 dahin gehend über- Ich bedaure das, weil ich es für wesentlich besser halte, prüft werden, ob sie erforderlich sind. wenn Politiker Politik gestalten, als wenn Richter es tun, Zwar haben insbesondere die Kolleginnen und Kolle- die dafür eigentlich gar kein Mandat haben. gen der SPD sich in der Anhörung an der kritischen Dis- Auf die Richter des EuGH wird also eine Menge Ar- kussion beteiligt, ohne jedoch in einem einzigen Punkt beit zukommen, aber auch die nationale Verwaltung daraus Konsequenzen zu ziehen. wird jetzt viel zu tun bekommen. Sie muss die deutsche Ein völlig unhaltbarer Zustand ist, dass nach dieser Rechtslage analysieren und auf ihre Vereinbarkeit mit Dienstleistungsrichtlinie nicht einmal mehr nach dem der europäischen Vorgabe überprüfen. Zudem muss sie Buchstaben in einem Land alle „vor dem Gesetz gleich“ die einheitliche nationale Ansprechstelle für Dienstleis- sein werden. Das grenzt an politisch gewolltes Chaos ter aus anderen Ländern, „one-stop-shop“ genannt, und führt zu hoher Rechtsunsicherheit. Wie kann die schaffen. Das wird Zeit kosten und viel Geld. Bundesregierung denn einem inländischen Handwerker Der Umsetzungszeitraum von drei Jahren erscheint gegenüber rechtfertigen, dass dieser sich selbstverständ- jedenfalls als sehr ambitioniert und ob er zu halten ist, ist lich in allen Punkten an die deutschen Gesetze zu halten fraglich. Insbesondere ist offen, ob es Deutschland gelin- hat, sein Konkurrent aus einem anderen EU-Land, der gen wird, das E-Government bei Deutschland Online hier tätig wird, aber nicht? In der Antwort auf unsere fristgerecht auf- bzw. auszubauen und die Umsetzung Große Anfrage schreibt die Bundesregierung, das sei der Dienstleistungsrichtlinie dort mit einzubinden. Denn doch kein Problem, weil der andere Anbieter ja schon es sind erhebliche Mengen an Daten zwischen den Insti- die Gesetze seines Herkunftslandes einhalten müsse. tutionen der Mitgliedstaaten auszutauschen und abzu- Dies wird jedoch niemanden beruhigen, der einen Auf- gleichen, ohne eine leistungsfähige elektronische Basis trag verliert, weil er teurer anbieten muss. Stufe zwei ist ist das eine kaum lösbare Aufgabe. doch schon absehbar: die generelle Absenkung der An- forderungen im Inland. Und dann haben wir die Harmo- nisierung in der EU auf das jeweils niedrigste Niveau. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Mit der Zustimmung zur EU-Dienstleistungsrichtlinie hat das Europäische Parla- Ein großes Problem wird die Einschränkung einer ment eine umfassende Deregulierung, ein Sozial- und wirksamen Wirtschaftsaufsicht und Kontrolle der Umweltdumping in großem Maßstab in die Wege gelei- Dienstleistungserbringer. Die Kontrollrechte liegen zwar tet. entgegen dem Ursprungsentwurf beim Zielland, werden (B) aber stark beschnitten. Es bleibt für nationale Behörden (D) Eine Zeitlang sah es so aus, als würde die ursprüng- völlig unklar, welche Vorschriften denn nun gelten: liche Bolkestein-Richtlinie grundlegend geändert wer- Wenn Vorschriften des Ziellandes nach der Richtlinie für den – so groß war die Wut der Bürgerinnen und Bürger unzulässig erklärt werden, gelten dann diejenigen des über dieses Vorhaben. Die Änderungen am ursprüngli- Herkunftslandes oder gar keine Vorschriften mehr? chen Entwurf, die mit viel Engagement und Protesten Überhaupt wird es in der EU zu 25 unterschiedlichen von Gewerkschaften, Attac und anderen gesellschaftli- Auslegungen kommen. Mehr Rechtssicherheit für Ver- chen Bewegungen durchgesetzt werden konnten, sind braucherinnen und Verbraucher wird das nicht bringen wichtige Teilerfolge. Sie ändern aber leider nichts an der und auch nicht für Unternehmen. Vom Dienstleister darf grundsätzlichen Ausrichtung der Richtlinie gegen eine zukünftig keine Registrierung, keine Genehmigung, Harmonisierung von Standards auf hohem Niveau, ge- keine Zertifizierung und kein Beitritt zu einer Kammer gen die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge und mehr verlangt werden. gegen Umwelt- und Verbraucherschutz. Leider ist es nicht gelungen, dass alle Bereiche der öf- Wenn die Bundesregierung in der Antwort zu unserer fentlichen Daseinsvorsorge aus der Richtlinie ausge- Großen Anfrage schreibt, die Dienstleistungsrichtlinie nommen werden. Dazu sind die Aussichten auf profi- würde die Bedingungen für alle verbessern, so spricht table Geschäfte in Bereichen wie zum Beispiel die Realität eine andere Sprache: Mehr Wettbewerb, De- Weiterbildung, Kindergärten, Alten- oder Behinderten- regulierung und Privatisierung haben im Schnitt zu sin- pflege zu verlockend. Diese Dienste am und für den kenden Kosten und höheren Gewinnen geführt und das Menschen sind jedoch ein Grundrecht und dürfen nicht durch Abbau von Arbeitsplätzen, Absenken von Real- den Regeln eines freien Marktes überlassen werden. löhnen und einer Ausweitung der prekären Beschäfti- gungsverhältnisse sowie zu höherer Konzentration, zur Eines ist jedoch schon heute klar: Viele Aspekte re- Verfestigung von privaten Monopolen und Oligopolen. gelt die Dienstleistungsrichtlinie nur sehr ungenau. Die Die Ergebnisse der Liberalisierung der Energiemärkte Folge ist absehbar: Viele strittige Fragen werden an den spricht hier doch eine deutliche Sprache. Mit der Dienst- Europäischen Gerichtshof delegiert. Die politische Ge- leistungsrichtlinie wird diese Entwicklung enorm for- staltung Europas wird an den Europäischen Gerichtshof ciert werden. abgetreten. Dass sich ein Parlament das gefallen lässt, ist ein Armutszeugnis für die Demokratie. Wie der Europäi- Die Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat deutlich sche Gerichtshof entscheidet, wissen wir: konsequent gezeigt, dass die Richtlinie auch zu Rechtsunsicherheiten zugunsten der neoliberalen Wirtschafts- und Wettbe- und zu tiefen Eingriffen in die nationalen Rechtssysteme werbsdoktrin. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7481

(A) Jetzt kommt es darauf an, bei der nationalen Umset- Das Grundproblem besteht darin, dass Sie an dem (C) zung das Bestmögliche für die Bürgerinnen und Bürger Herkunftslandprinzip – wenn auch unter neuem Na- daraus zu machen. Gerade vor dem Hintergrund der men – festgehalten haben. Weil aber dieses Herkunfts- Richtlinie gewinnen ein gesetzlicher Mindestlohn und landprinzip gravierende Folgen für Sozial-, Umwelt- die Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen und Verbraucherschutzstandards hat, haben Sie unter noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Nur so können dem Druck der Öffentlichkeit Auflagen unter bestimm- die Beschäftigten im Dienstleistungsbereich vor einem ten Bedingungen ermöglicht, Branchen ausgenommen Leben in Armut geschützt werden. Handeln Sie endlich. usw. Der Durchsetzung von gewerkschaftlichen Rechten im Das mindert zwar die Probleme – deshalb ist die grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr kommt Richtlinie jetzt auch besser als der ursprüngliche Ent- ebenso eine Schlüsselstellung zu wie der möglichst wei- wurf –, führt aber zu neuen Abgrenzungsproblemen und ten Beibehaltung von Kontroll- und strafrechtlichen Rechtsunsicherheit. Wenn eine Regel so viele Ausnah- Sanktionsmöglichkeiten. men braucht wie das Herkunftslandprinzip, dann muss eine andere Regel her. Die öffentliche Daseinsvorsorge muss soweit als möglich vor jeder weiteren Privatisierung geschützt wer- Wir Grünen haben uns für eine andere Regel einge- den. Die Bundesregierung fordern wir auf, einen Rechts- setzt: das Herkunftslandprinzip beim Marktzugang, das folgebericht in die Wege zu leiten und dabei mit den Ziellandprinzip bei der Ausübung der Dienstleistung. betroffenen Branchen und Gewerkschaften eine umfas- Das wäre eine saubere Lösung gewesen und hätte viel sende Information vorzubereiten, die der Öffentlichkeit, Rechtsunsicherheit vermieden. Betrieben und Selbstständigen zur Verfügung steht. Die Union wollte das von Anfang an nicht und die SPD hat ihre Berichterstatterin Gebhardt, die genau die- Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sen Vorschlag vertreten hat, nicht entschlossen unter- Die Dienstleistungsrichtlinie ist nach jahrelangem Tau- stützt. Insofern ist jede Klage beim Europäischen Ge- ziehen vom Ministerrat und dem Europäischen Parla- richtshof – und jeder, der sich mit der Sache beschäftigt, ment endgültig verabschiedet worden. Damit ist es nun weiß, dass es viele Klagen sein werden – auch Ergebnis an der Zeit, losgelöst von den teilweise aufgeregten und der falschen Politik dieser Bundesregierung. instrumentalisierten Debatten der vergangenen Jahre, Bei der nun anstehenden Umsetzung der Richtlinie in eine Bewertung der Richtlinie vorzunehmen. deutsches Recht werden wir eine Vielzahl von schwieri- gen Fragen zu lösen haben. Ich möchte hier nur einen Die Bewertung aus grüner Sicht lautet: Es hat zwar (B) Punkt herausgreifen, der uns Grünen besonders wichtig (D) lange gewährt, ist aber trotzdem nicht gut geworden. ist: Die Dienstleistungsrichtlinie vergrößert die Notwen- Natürlich ist das, was jetzt verabschiedet wurde deutlich digkeit von verbindlichen Mindestlöhnen. Hier muss die besser als der ursprüngliche Vorschlag von Bolkestein. Et- Bundesregierung etwas vorlegen, bevor die Dienstleis- was Besseres als den Tod finden wir allemal, wussten tungsrichtlinie in Deutschland greift. Drei Jahre sind für schon die Bremer Stadtmusikanten. Viel besser ist es die Umsetzung der Richtlinie Zeit. Doch angesichts der aber nicht geworden. heillosen Zerstrittenheit der Koalition beim Thema Min- destlohn könnte selbst diese lange Frist nicht reichen. In einem typisch großkoalitionären Kompromiss Wir Grünen haben einen Vorschlag gemacht, wie wir zu wurde keines der beiden Ziele erreicht: weder die Öff- branchen- und regionalspezifischen Mindestlöhnen nung der Dienstleistungsmärkte einerseits noch der kommen, die auch für ausländische Arbeitnehmerinnen Schutz nationaler Standards andererseits. Weil man sich und Arbeitnehmer gelten würden. nicht einigen konnte, ob man nun links oder rechts am Europa und seine Bürger hätten aus zwei Gründen Hindernis vorbei soll, ist man geradeaus an die Wand ge- eine bessere Richtlinie verdient: fahren und hat hinterher auch noch verkündet: Wenigs- tens sind wir nicht falsch abgebogen. Erstens wäre es der EU zu wünschen gewesen, dass sie eine Richtlinie hinbekommt, bei die Bürgerinnen und Kleine und mittlere Unternehmen müssen nach wie Bürger das Gefühl haben: Jawohl, hier hat Europa für vor mit Hürden rechnen, wenn sie ihre Dienstleistungen mich ganz konkret etwas gebracht. europaweit anbieten wollen. Unklare Rechtsbegriffe und faule Formelkompromisse machen die Richtlinie zu ei- Zweitens sind im Dienstleistungssektor noch unge- ner ABM für Rechtsanwälte. Zumindest dieser Dienst- nutzte Beschäftigungspotenziale, die wir dringend er- leistungsbereich wird garantiert von der Richtlinie profi- schliessen müssen, wenn wir die Arbeitslosigkeit dauer- tieren. haft senken wollen. Auch die nationalen Sozial- und Verbraucherschutz- Leider hat diese Bundesregierung mit einen Anteil standards sind nicht gesichert. Nötig wären Ausnahmen daran, dass es mit einer besseren Richtlinie nichts ge- für die gesamte Daseinsvorsorge, sowie für Sozial- und worden ist. Bildungsdienstleistungen gewesen. Das nationale Ar- beitsrecht kann durch die Richtlinie unterlaufen werden. Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Die Mitgliedstaaten sind nicht in der Lage, die Dienst- nister für Wirtschaft und Technologie: Die Möglichkeit, leistungserbringung effektiv zu kontrollieren. Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union über 7482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) nationale Grenzen hinweg erbringen zu können, gehört freue mich, dass wir hierfür eine breite Unterstützung (C) zu den tragenden Säulen des europäischen Binnenmark- quer durch Europa gefunden haben. Dies war keines- tes. Leider wird diese Freiheit noch durch viele Hürden wegs selbstverständlich. Wir hatten mit unseren Forde- erheblich eingeschränkt. Dies geht zulasten vieler deut- rungen auch deshalb Erfolg, weil wir bei den Verhand- scher Dienstleistungsunternehmen und ihrer Beschäftig- lungen immer auch mehrheitsfähige Kompromisse im ten. Zentrales Ziel der Dienstleistungsrichtlinie ist es, Blick behalten haben, statt uns mit Maximalpositionen bestehende Barrieren auf sozialverträgliche Weise abzu- zu isolieren. bauen und der Dienstleistungsbranche in Europa neue Impulse zu verleihen. Ich weiß, dass sich auch manche unter den Kollegen hier noch mehr gewünscht hätten – in der einen wie der Bei den jetzt erfolgreich abgeschlossenen Verhand- anderen Richtung. Doch mehr als das jetzt Erreichte war lungen ging es darum, eine vernünftige Balance zwi- auf europäischer Ebene nicht durchsetzbar, das muss schen der Erleichterung des Dienstleistungsverkehrs und man in aller Deutlichkeit sagen. den Schutzinteressen der Mitgliedstaaten herzustellen. Drittens. Eckpunkte der neuen Richtlinie. Ich erinnere Nach fast drei Jahren intensiver Diskussion ist es ge- an die Kernpunkte des jetzt verabschiedeten Textes: Das lungen, einen ökonomisch wie sozial ausgewogenen umstrittene Herkunftslandprinzip wurde durch eine Re- Kompromiss herzustellen, der auch unsere deutschen In- gelung ersetzt, bei der einerseits nationale Barrieren teressen berücksichtigt. abgebaut werden müssen, was zu deutlichen Erleichte- Dies ist ein gutes Signal für Europa, für Deutschland rungen für den Dienstleistungssektor führen wird. Ande- und für die Unternehmen in unserem Land! rerseits sind Ausnahmen der Mitgliedstaaten zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Erstens. Chancen der Richtlinie nutzen. Eines möchte der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt weiter zu- ich gleich zu Anfang sehr deutlich betonen: Abschottung gelassen. und Protektionismus sind der falsche Weg! Denn sie be- hindern innovative Unternehmen und gefährden Arbeits- Einige besonders sensible Bereiche sind – auch auf plätze in Deutschland. Als exportorientiertes Land sind unser Drängen – von der Richtlinie ausgenommen. Dies wir im Gegenteil essentiell darauf angewiesen, dass un- gilt zunächst für wichtige Querschnittsthemen wie die seren Unternehmen auch im Ausland die Türen offen Anerkennung beruflicher Qualifikationen, das gesamte stehen. Arbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit. Deutsche Dienstleister verfügen über weltweit aner- Ausgenommen sind aber auch sensible Branchen wie kannte, hohe Qualitäts- und Kompetenzstandards. Diese Gesundheit, soziale Dienstleistungen und Verkehr, Zeit- (B) Stärken können unsere Unternehmen aber vielfach noch arbeit und das Glücksspiel. (D) nicht ausspielen, weil sie – wie wir aus vielen Berichten Umgekehrt bleiben wichtige Branchen wie die techni- wissen – im EU-Ausland immer wieder auf ungerecht- schen Dienstleister und die IT-Dienstleister, die For- fertigte Hindernisse stoßen. schung und Entwicklung, Berater und Unternehmens- Die Zahlen sprechen für sich: Dienstleistungen stehen dienstleister sowie die Bauwirtschaft, der Handel und für rund 70 Prozent unserer Wertschöpfung und Be- die Gastronomie einbezogen. Für sie wird es spürbare schäftigung, doch sind bislang nur 14 Prozent unserer Vereinfachungen im In- und Ausland geben. Ausfuhren Dienstleistungen! Es sind vor allem drei Eckpfeiler, die die Richtlinie Hier schlummern erhebliche Wachstums- und Be- dazu vorsieht: den konsequenten Abbau bürokratischer schäftigungschancen, auch und gerade für Deutschland. Hürden, eine verbesserte Unterstützung für Dienstleister Diese Chancen zu nutzen und nicht abzuwürgen, zählt und Dienstleistungsempfänger, beispielsweise durch die ganz sicher zu den zentralen Interessen Deutschlands. neuen „Einheitlichen Ansprechpartner“ sowie eine Ver- tiefung der europäischen Verwaltungszusammenarbeit. Zweitens. Ängste aufnehmen. Aber wir haben auch sehr deutlich gemacht – ich zitiere als Beispiel die Besonders hervorheben will ich aus diesem Katalog Koalitionsvereinbarung –, dass dabei die Ordnung auf die Einrichtung eines „Einheitlichen Ansprechpartners“. dem Arbeitsmarkt gewahrt werden muss und dass wei- Hier können Dienstleister künftig europaweit alle not- terhin hohe Standards für die Sicherheit und Qualität von wendigen Informationen erhalten und Behördengänge Dienstleistungen gewährleistet sein müssen. zentral über eine Stelle erledigen. Der Einheitliche An- sprechpartner wird als „Dienstleister für Dienstleister“ Wir alle hier kennen die Befürchtungen, die der ur- den Zugang zur Verwaltung entscheidend vereinfachen. sprüngliche Kommissionsentwurf in dieser Hinsicht bei vielen Menschen ausgelöst hat. Die Bundesregierung hat Wichtig sind aber auch die Verbesserungen bei der daher mit Nachdruck eine Änderung des Entwurfs gefor- Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitglied- dert, die sowohl die ökonomischen Chancen einer staaten. Erstmals erhalten damit die deutschen Kontroll- Marktöffnung als auch die berechtigten Sorgen der Men- behörden die Möglichkeit, effektiv mit den zuständigen schen berücksichtigt. Kollegen im Ausland zusammenzuarbeiten. So haben wir erfolgreich darauf gedrängt, das umstrit- Auftretende Fragen – zum Beispiel bei Verdacht auf tene Herkunftslandprinzip fallen zu lassen und notwen- Scheinselbstständigkeit – können künftig damit ebenso dige Ausnahmen für sensible Bereiche zu verankern. Ich schnell wie verbindlich geklärt werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7483

(A) Viertens. Ausblick auf die Umsetzung. Wir haben gungen verbunden, die auf eine Vergrößerung des Teil- (C) große Fortschritte gegenüber dem ursprünglichen Kom- nehmerkreises zielen. Zu nennen wären hier vor allem missionsentwurf erreicht, Fortschritte, auf die wir stolz das ständige Sicherheitsratsmitglied China und die Insti- sein können. Für die Umsetzung haben wir nun drei tution der Arabischen Liga. Jahre Zeit, was nicht viel ist, wenn man die Fülle an Aufgaben und die Vielzahl der Beteiligten auf allen Ebe- Der Krieg im Libanon hat diesen Sommer gezeigt, nen bedenkt. wie groß die Gefahr nach wie vor ist, dass solche Vor- kommnisse sich zu einem großen Krieg in der Region Ich nenne als Beispiel die Errichtung der Einheitli- ausweiten. Deshalb ist es richtig, dass wir UNIFIL unter- chen Ansprechpartner für die Information und die Erle- stützt haben. Die internationale Friedenstruppe ist der- digung aller notwendigen Formalitäten. Hierzu müssen zeit ein Garant für die Einhaltung der Waffenruhe und wir die komplexe föderale Struktur in der Bundesrepu- Voraussetzung für die Wiederherstellung der Souveräni- blik in ein effizientes Netzwerk einbinden, und zwar tät des Libanon, der von allen ausländischen Einflüssen – das betone ich als Vertreter des Wirtschaftsministe- und Mächten soweit wie möglich frei sein muss. riums – vor allem unter dem Aspekt der Nutzerfreund- lichkeit für die Dienstleister. Dies führt mich zu Syrien. Es war wichtig und richtig, Aber auch die von der Richtlinie geforderte Prüfung dass der Außenminister in diesem Jahr bereits sechsmal des für Dienstleister geltenden Rechts dürfte die Abkehr die Region bereist hat. Und dies gilt ausdrücklich auch von einigen lieb – und teuer – gewordenen Regelungen für seinen Besuch in Syrien Anfang des Monats. Es geht bedeuten. dabei in erster Linie darum, Gespräche zu führen, Empa- thie zu entwickeln und Gesprächswünsche und -kanäle Fünftens. Fazit. Viel Arbeit und manche Diskussion zu sondieren. liegen also noch vor uns. Doch das Ziel ist diese Mühen allemal wert: Lassen Sie uns die Dienstleistungsricht- Dabei hat der Außenminister in Damaskus klarge- linie jetzt konsequent als Anstoß für mehr Wachstum stellt: Nur wenn Syrien konstruktiv und stabilisierend und Beschäftigung in Deutschland nutzen! agiert, wird Europa Syrien helfen, den Ausweg aus der internationalen Isolation zu finden. Die Reise nach Sy- rien war richtig und das Gespräch mit Assad schon des- Anlage 4 wegen sinnvoll, weil praktische Fortschritte in der Re- gion auch die Mitwirkung Syriens erfordern. Assad hatte Zu Protokoll gegebene Rede in einem „Spiegel“-Interview entsprechende Andeutun- zur Beratung der Anträge: gen gemacht. Diese mussten überprüft werden. Jetzt ist (B) es an Syrien, die nächsten, belastbaren Schritte zu tun. (D) – Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedens- Denn wenn den Worten Taten folgen und Syrien aktiv prozesses im Nahen Osten nach der Resolu- zur Stabilisierung und Befriedung des Nahen Ostens bei- tion 1701 (2006) des Sicherheitsrats der Ver- trägt, würden sich dem Land auch neue Perspektiven einten Nationen vom 11. August 2006 öffnen. – Den Friedensprozess im Nahen Osten wieder Entscheidend für eine Wiederbelebung des Friedens- aufnehmen prozesses bleibt jedoch eine Lösung des israelisch-paläs- – Für eine Konferenz für Sicherheit und Zu- tinensischen Kernkonfliktes, der wiederum nur Teil ei- sammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) nes weitergehenden regionalen Lösungsansatzes sein kann. Hier möchte ich doch meine Zweifel äußern, ob (Tagesordnungspunkt 28 und Zusatztagesord- die von Abbas ins Auge gefassten vorzeitigen Wahlen nungspunkt 11) zweckdienlich sind. Angesichts der finanziellen Hilfen aus dem Iran sollte die EU überlegen, ob die bisherige Dr. Rolf Mützenich (SPD): Eine Wiederbelebung Strategie nicht variiert werden könnte. Eine palästinensi- des stagnierenden Nahostfriedensprozesses ist in der Tat sche Regierung, die die entscheidenden drei Vorausset- dringend geboten. Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass zungen für einen tragfähigen Frieden akzeptiert – Ge- die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft auch waltverzicht, Anerkennung des Existenzrechts Israels dazu nutzen will, um das Nahostquartett wieder zu bele- sowie die Anerkennung der bisherigen internationalen ben. Entscheidend dabei ist, dass auch die USA wieder Verträge – ist unabdingbar. Hamas könnte sich dann als eine konstruktive Rolle im nahöstlichen Friedensprozess politische Partei in Folge verändern. spielen. Der Baker-Bericht setzt hier hoffnungsvolle Ak- zente, wenn er auch meiner Meinung nach nicht über- Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat am schätzt werden sollte. Es stimmt jedoch hoffnungsvoll, 27. November eine wichtige Rede gehalten und seine dass man in Washington offenbar die Konzepte und In- Bereitschaft zu umfassenden Zugeständnissen an die pa- strumente des „alten Europa“ wieder zu entdecken be- lästinensische Seite unterstrichen. Jetzt müssen weitere ginnt. Parallel zur Reaktivierung des Quartetts wäre es Schritte folgen. Nach dem Krieg gegen die Hisbollah ist auch sinnvoll, wenn der Sonderbeauftragte der EU für die israelische Regierung in einer schwierigen Situation. den Nahen Osten künftig wesentlich enger mit dem ame- Wir tun gut daran, Olmert und Perez zu unterstützen, rikanischen Sondergesandten zusammenarbeiten würde. weil unter einer anderen Regierung wohl kaum bessere Mit der Wiederbelebung des Quartetts sind auch Überle- Fortschritte erzielt werden könnten. 7484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) Zum Thema der israelischen Kernwaffen nur so viel: und ihnen menschenwürdige Lebensbedingungen zu (C) Meines Erachtens kann es keine einfache Übertragung schaffen. der nuklearen Abschreckungsdoktrin auf den Nahen Os- Momentan sind die Erwartungen an Deutschland und ten geben. Wenn aber Lehren aus der Abschreckungspo- Europa überaus hoch, vielleicht zu hoch. Aber Europa litik des Kalten Krieges gezogen werden können, dann wird gebraucht, umso mehr je überforderter die USA die, dass rationale Schritte, Gespräche, Institutionen, sind, Gebrauch mit zivilen, glaubwürdigen Initiativen Verträge und vor allem Rüstungskontrolle unterhalb di- und viel Geduld. rekter nuklearer Abrüstung maßgeblich zur Überwin- dung des Gleichgewichts des Schreckens beigetragen Die Umsetzung der durch Schimon Peres geprägten haben. Deutschland sollte hierbei assistieren und seine Vision von einem „Neuen Nahen Osten“ erfordert sowohl Erfahrungen an der Nahtstelle des Systemkonflikts ein- auf israelischer als auch auf arabischer Seite Verständi- bringen. gungsbereitschaft, gegenseitige Akzeptanz und den Wil- len zur Zusammenarbeit. Nochmals: Eine gerechte und umfassende Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ist auch der Schlüssel zur Lösung der anderen Konflikte in der Re- gion. Der Friedensplan des Nahostquartetts aus EU, Anlage 5 USA, Russland und UNO bleibt dabei die wichtigste Ba- Amtliche Mitteilung sis der politischen Bemühungen. Das Ingangsetzen eines Friedensprozesses ist zudem nur durch massive multila- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben terale Anstrengungen zu erreichen. Vorrangig bleibt da- mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- bei der bessere Schutz der Menschen vor der Gewalt im Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Nahen Osten. Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Die internationale Gemeinschaft sollte deshalb Israel bei den Verhandlungen mit seinen drei Nachbarn, mit denen es noch keine Friedensverträge gibt, unterstützen. Auswärtiger Ausschuss Israels Sicherheit, ein lebensfähiger palästinensischer Drucksache 16/1748 Nr. 2.7 Staat, die Wiederherstellung der Souveränität des Liba- non sind dabei die Zielvorgaben. Innenausschuss Ich möchte hier jedoch zugleich vor einer zu großen Drucksache 16/2555 Nr. 2.78 Erwartungshaltung an die deutsche EU-Ratspräsident- Drucksache 16/3196 Nr. 1.34 (B) schaft warnen. Deutschland kann sicherlich eine aktive (D) Rolle spielen, Initiativen starten, mit den Akteuren spre- chen und Botschaften transportieren. Hier geht es in ers- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und ter Linie auch darum, Denkblockaden auf allen Seiten Verbraucherschutz aufzubrechen. Deutschlands kann als wichtiger Akteur Drucksache 16/2695 Nr. 1.10 Drucksache 16/3196 Nr. 1.6 in der EU einen Beitrag leisten, um den Teufelkreis der Drucksache 16/3196 Nr. 1.8 Gewalt zu durchbrechen – aber nicht allein, sondern nur Drucksache 16/3196 Nr. 1.9 im Konzert mit den beteiligten regionalen und externen Drucksache 16/3196 Nr. 1.10 Akteuren. Drucksache 16/3196 Nr. 1.11 Drucksache 16/3196 Nr. 1.14 Eine Lösung des Nahostkonflikts, der einer der ältes- Drucksache 16/3196 Nr. 1.15 ten und kompliziertesten Konflikte der Welt ist, wird je- Drucksache 16/3196 Nr. 1.35 Drucksache 16/3196 Nr. 1.39 doch auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nicht Drucksache 16/3196 Nr. 1.42 leisten können. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vor- Drucksache 16/3196 Nr. 1.47 bei, dass tragfähige Lösungen letztendlich die Konflikt- Drucksache 16/3196 Nr. 1.51 parteien vor Ort aushandeln müssen in dem Bewusst- sein, dass sie keine Alternative zum Friedensprozess Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben. Drucksache 16/820 Nr. 1.42 Religiöser Fanatismus und übersteigerter Nationalis- Drucksache 16/993 Nr. 1.2 mus sind keine tragfähigen Antworten auf die Heraus- Drucksache 16/1101 Nr. 1.2 forderungen des 21. Jahrhunderts. Mehr als je zuvor sind politische Antworten und der Mut zu Kompromissen ge- Ausschuss für Gesundheit fragt. Das Existenzrecht des Staates Israel und die Si- Drucksache 16/3196 Nr. 1.48 cherheit seiner Bürgerinnen und Bürger stehen dabei nicht zur Disposition. Alten und neuen Antisemitismus wird die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmen – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen ebenso wenig wie die unsägliche Konferenz der Holo- Union caustleugner in Teheran, deren Veranstalter sich damit Drucksache 16/150 Nr. 2.8 selbst diskreditiert haben. Zugleich sind realistische po- Drucksache 16/820 Nr. 1.52 Drucksache 16/820 Nr. 1.53 litische Regelungen und Lösungswege vonnöten, um die Drucksache 16/820 Nr. 1.54 nationalen Rechte der Palästinenser zu gewährleisten Drucksache 16/820 Nr. 1.55 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7485

(A) Drucksache 16/820 Nr. 1.60 Drucksache 16/2555 Nr. 2.128 (C) Drucksache 16/820 Nr. 1.64 Drucksache 16/2555 Nr. 2.132 Drucksache 16/820 Nr. 1.65 Drucksache 16/901 Nr. 2.7 Drucksache 16/901 Nr. 2.28 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 16/1748 Nr. 2.7 Drucksache 16/1748 Nr. 2.8 Drucksache 16/419 Nr. 2.65 Drucksache 16/1942 Nr. 2.6 Drucksache 16/2695 Nr. 1.14 Drucksache 16/2555 Nr. 1.38 Drucksache 16/2695 Nr. 1.15

(B) (D)

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