Schnell Ý Steiner
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Peter Schmid " Heinrich Wanderwitz (Hrsg. ) DIE GEBURT ÖSTERREICHS 850 Jahre Privilegium minus SCHNELLý STEINER Roman Deutizzgez" Das Privilegium minus, Otto von Freising und der Verfassungswandel des 12. Jahrhunderts Die Urkunde, die Kaiser Friedrich Barbarossa am 17. September 1156 über die Vereinbarungen des vorangegangenen Regensburger Reichstags ausstellte, und der Bericht, den Otto von Freising zwei Jahre später in seinen Gesta Friderici über diese Vorgänge niederschrieb, bilden Österreichs für uns die beiden wichtigsten Quellen über die Erhebung zum Herzogtum. Beide Texte bergen eine Fülle von Interpretationsproblemen; soweit sie rein quellenkritischer Natur sind, werden sie in anderen Beiträgen dieses Bandes behandelt. Im folgenden sollen vielmehr die verfassungsgeschichtlichen Deutungsschwierigkeiten in den Blick genommen werden, die Privilegium minus und Gesta Friderici aufiverfen. Dabei werden drei Problemkreise im Zentrum der Betrachtung stehen: zuerst die lehnrechtliche Bedeutung des Gesamtvorgangs (I); dann die Bedeutung der einzelnen durch die Urkunde verbrieften Privilegien für die tatsäch- lichen Verfassungszustände des 12. Jahrhunderts (II); die Frage den zuletzt nach drei Grafschaften", die Ottos Bericht her" Mark Österreich nun zufolge von alters zur gehörten und zusammen mit dieser das neugeschaffene Herzogtum bildeten (III). Alle drei Problemkreise sol- len jeweils vor dem Hintergrund des allgemeinen Verfassungswandels im 12. Jahrhundert ver- ortet werden, wobei diese Perspektive nicht nur das Verständnis für diese Fragen verbessern kann, sondern gleichzeitig umgekehrt das rechte Verständnis der beiden Texte auch helfen kann, diesen allgemeinen Verfassungswandel besser zu begreifen. Angesichts des Umstandes, dass beide Quellen, ihrer Bedeutung entsprechend, schon vielfach Gegenstand gelehrter Bemühungen gewesen sind, kann es dabei weniger um die Präsentation von umwälzenden Entdeckungen oder Neuerkenntnissen gehen als vielmehr um die kritische Auseinandersetzung mit bisherigen Deutungen. Doch soll versucht werden, dabei den Blick gelegentlich auch auf solche Phänomene zu lenken, die von der bisherigen Forschung vielleicht zuwenig beachtet worden sind. I Das Privilegium minus beschränkt sich bei der Darstellung der Ereignisse auf dem RegensburgerHoftag auf das juristisch Relevante. Der Reihe nach werden die rechtsetzenden Akte genannt, zuerst die Rückgabe Bayerns an Kaiser Friedrich durch Heinrich Jasomirgott, dann die Weitergabe des Herzogtums an Heinrich den Löwen, die Rückgabe der Mark Öster- reich an den Kaiser, das Fürstenurteil über die Erhebung der Markgrafschaft zum Herzogtum ' und schließlich dessenVergabe an den Babenberger. In welchen Formen sich diese Rechtsakte 1 DF.l. 151; vgl. dazu auch Ferdinand OPLL,Die Regestendes Kaiserreiches unter Friedrich I., 1. Lieferung: 1152 (1122)-1158 (Regesta Imperii IV, 2/I), Wien - Köln - Graz 1980, Nr. 417. 180 Roman Deutinger vollzogen haben, sagt die Urkunde nicht; darüber belehrt uns Otto von Freising in seinen Gesta 2 Friderici. Ihm zufolge wurde das Herzogtum Bayern bei diesen Vorgängen durch sieben Fahnen symbolisiert. Die Siebenzahl der Fahnen ist etwas rätselhaft, doch waren damit ver- mutlich nicht sieben konkrete, verschiedene Rechte gemeint, sondern die mit dem Herzogtum verbundenen Rechte in ihrer Gesamtheit. Bei der Investitur von Reichsfürsten in späteren Zeiten war es durchaus üblich, das Fürstentum durch mehrere Fahnen zu symbolisieren; der Akt 3 von 1156 ist dafür das früheste Beispiel. Diese sieben Fahnen gab zuerst Heinrich Jasomirgott dem Kaiser, dieser unmittelbar darauf weiter an Heinrich den Löwen, der damit - nach jahr- Bayern Zwei Fahnen, die die zehntelangem Streit - endlich rechtmäßiger Herzog von wurde. Österreich dahin fester Bestandteil Bayerns der Welfe Mark - bis ein - repräsentierten, gab sofort wieder an Friedrich Barbarossa zurück. Daraufhin erklärte ein Rechtsspruch der deut- Österreich schen Fürsten die bisherige Markgrafschaft zu einem Herzogtum. Damit erhielten die beiden symbolischen Fahnen eine neue, höhere Bedeutung, und in dieser erhöhten Bedeutung wurden sie schließlich an Heinrich Jasomirgott überreicht, der durch diesen Akt Herzog von Österreich wurde. Der Bericht Ottos von Freising zeigt uns, wie komplizierte und abstrakte verfassungsrechtli- che Vorgänge durch symbolische Handlungen sinnfällig und allgemeinverständlich öffentlich dargestellt werden konnten. Im Hinblick auf diese Symbolhandlungen hat man der Passage des- halb schon oft die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Noch viel bemerkenswerter ist mei- ner Meinung nach aber etwas, das man bei Otto nicht findet, sondern allein im Privilegium minus, und was, wenn ich recht sehe, bisher noch überhaupt nicht beachtet und gewürdigt wor- den ist. Das Privilegium minus von 1156 ist nämlich der erste explizite Beleg überhaupt dafür, dass das Herzogtum Bayern als Lehen betrachtet worden ist. Ausdrücklich heißt es da vom ducatus Bawarie, er sei in beneficium an Heinrich den Löwen vergeben worden, und analog Übertragung 4 dazu auch vom neugeschaffenen ducatusAustrie bei der an Heinrich Jasomirgott. Das ist bemerkenswerter, als es auf den ersten Blick aussieht, denn nach geläufiger Ansicht sind zwar schon in den vorausgehenden Jahrhunderten die jeweiligen bayerischen Herzöge mit ihrem Herzogtum belehnt worden, bis hin zu Arnulf, dem ersten Herzog des Hochmittelalters 5 im frühen 10. Jahrhundert, allein wenn man die zeitgenössischen Quellenberichte zu allen die- sen Vorgängen durchmustert, so sieht die Sache anders aus. Etwa zwanzigmal ist zwischen 919 und 1156 das Herzogtum Bayern vergeben worden. In den meisten Fällen erfahren wir gar nicht genauer, unter welchen Umständen das geschehen ist; meistens sind wir schon froh, wenn wir halbwegs sicher die Regierungszeiten der Herzöge ermitteln können. Doch in allen Fällen, in WArrz SI>tso%(NIGH 2 Gesta Friderici c. II, 55, hg. von Georg - Bernhard voN SS rer. Germ. 46), Hannover - Leipzig 1912,160. 3 Karl-Friedrich KRIEGER, Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200-1437) (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte,N. F. 23), Aalen 1979,37ff. 4 DF.I. 151: dux Austrie resignavit nobis ducanun Bauarie, quert statim in beneficium concessinutsduci Saxonie [.. 1 eundetn ducatum cum onini iure prefato patnto nostro Heinrico ei prenobilissme uxori sue Theodore in beneficium concessimus. 5 Friedrich MERZBACHER,Der Lehnsempfang der Baiemherzöge, in: ZBLG 41 (1978) 387-399. Das Privilegium minus, Otto von Freising und der Verfassungswandel 181 denen die Vergabedes Herzogtums ausdrücklich genannt wird, ist kein einziges Mal von einem feudtnn oder beneficium die Rede. Dieser Quellenbefund als solcher ist eindeutig. Aber wie kann man ihn sich erklären? Bisher gingen die Historiker offensichtlich stillschweigend davon aus, dass es sich dabei lediglich um ein Defizit der Quellenberichte handelt, dass das Herzogtum Bayern schon seit seinen Anfängen im 10. Jahrhundert ein Lehen war und die Verfasser der Quellen es bloß nicht für nötig befan- den, dies explizit zu erwähnen. Das scheint indes eine allzu leichtfertige und oberflächliche Erklärung. Sie setzt nämlich als gegeben voraus, dass schon seit dem 10. Jahrhundert das Lehnswesen ein integraler Bestandteil der Reichsverfassung gewesen ist, dass wir über die Gestalt dieser Reichslehnverfassung schon in dieser Zeit gut Bescheid wissen, und dass das Schweigen der Quellen bezüglich des Herzogtums Bayern lediglich eine seltene Ausnahme wäre. Doch gerade das Gegenteil ist der Fall! Seit einigen Jahren sind nämlich gerade diese Prämissen fragwürdig und Gegenstand einer grundlegenden Diskussion geworden. Auslöser dafür war die provokante These der britischen Historikerin Susan Reynolds, das Lehnswesen sei im Mittelalter überhaupt unbekannt gewesen und erst von neuzeitlichen Juristen erfunden 7 worden. In dieser radikalen Zuspitzung ist die These zu Recht abgelehnt worden, denn wenig- stens seit dem 13. Jahrhundert sind die Zeugnisse für ein etabliertes System des Lehnswesens, auch und gerade als Bestandteil der deutschen Reichsverfassung, so zahlreich und eindeutig, 8 dass man an seiner Existenz nicht gut zweifeln kann. Offen ist vorläufig jedoch die Frage, seit wann das so war. Reynolds' kühner Vorstoß hat zu einer erneuten Beschäftigung mit diesen Problemen geführt, und dabei hat sich gezeigt, dass auf diesem Feld viele scheinbare 9 Gewissheiten auf recht fragwürdiger Grundlage beruhen. Ohne nun zu dieser Diskussion grundsätzlich Stellung zu nehmen, kann man zu den frag- würdigen Grundlagen getrost auch den Lehnscharakter der deutschenHerzogtümer im 10. und 6 Dies gilt übrigens genauso schon für das agilolfingische Herzogtum; vgl. Philippe DEPREUX,Tassilon III et le roi des Francs: examen d'une vassalite controversee, in: Revue Historique 293 (1995) 23-73, bes. 46ff. 7 Susan REYNOLDS,Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted, Oxford 1994; ergänzend DIES., Afterthoughts on Fiefs and Vassals,in: The Haskins Society Journal 9 (1997) 1-15. 8 Vgl. v. a. die Besprechung von Karl-Friedrich KRIEGER,in: HZ 264 (1997) 174-179; ferner Karl-Heinz SPIESS, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter (Historisches Seminar-Neue Folge 13), Idstein 2002,18f. 9 Siehe z. B. Brigitte KASTEN,Beneficitml zwischen Landleihe und Lehen - eine alte Frage neu gestellt, in: Mönchtum - Kirche- Herrschaft 750-1000, hg. von Dieter BAUERu. a., Sigmaringen 1998,243-260; Hans-Werner GoETZ, Staatlichkeit, Herrschaftsordnung und Lehnswesen im Ostfränkischen