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i Barbara Sternthal r u J

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Dass Wien zu den schönsten, lebens- und ü f

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liebenswertesten Städten der Welt zählt, ist bekannt. e r

h Habsburg Gästen mit einem Faible für Kulturgeschichte jedoch bietet ü F -

die Stadt an der Donau mehr, als sich auf den ersten Blick n e offenbart. Für sie gibt es ein Wien mitsamt seinen i W Hofrat r

Geschichten, Anekdoten und Schauplätzen zu entdecken, e das nicht jeder kennt, dessen Erkundung sich D

nicht nur für Juristen auszahlt. r Heuriger e g i

r Der Wien-Führer für Juristen

Die Straßen und Gassen, die Paläste und u e

Gerichtsbauten Wiens erzählen ihre bekannten und weniger H

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bekannten Geschichten. Von einem Markgrafen etwa, t a r

der sich als Erpresser betätigte, einem Erzherzog, der sich f um die Einrichtung einer Juristenschule kümmerte und o H

von einer gefeierten Schauspielerin, die fast , g r

einem Betrüger und Mörder zum Opfer gefallen wäre. u b s b

Wiens Architektur kommt dabei nicht zu kurz: a die Hofburg als Verwaltungszentrum des Habsburgerreichs, H l

Justizpalast und Landesgericht, aber auch Wiens berühmtestes a h t

Museum als Schauplatz eines spektakulären Kunstdiebstahls. n r e t S

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»Sternthal versteht es meisterhaft, b r a

die Geschichte komprimiert darzustellen …« B Neue Juristische Wochenschrift

C.H. BECK · STÄMPFLI 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 1

Barbara Sternthal Habsburg, Hofrat, Heuriger Der Wien-Führer für Juristen 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 2

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Barbara Sternthal

H A B S BU R G, H O F R AT, H E U R I G E R Der Wien-Führer für Juristen

Wien 2013 Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien Verlag C.H. Beck, München Stämpfli Verlag, Bern 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 4

Printed in EU

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ISBN 978-3-214-00721-8 (Manz) ISBN 978-3-406-65453-4 (Beck) ISBN 978-3-7272-7724-5 (Stämpfli)

© 2013 MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, Wien Telefon: +43 1 531 61-0 E-Mail: [email protected] www.manz.at Layout: Barbara Sternthal Lektorat: Christopher Dietz 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 5

Inhalt

7 Eine Geschichte der Stadt an der Donau 8 Die Babenberger 15 Auftritt: die Habsburger 22 Die Haupt- und Residenzstadt 32 gloriosa 37 Aufbruch 47 Untergang 52 Vom Wiederaufbau bis heute

61 Von Kaisern und Kanzlern, Richtern, Advokaten und Delinquenten Im Zentrum habsburgischer Macht 74 Barocke Pracht und Herrlichkeit 84 Zwischen Schranne und Malefizspitzbubenhaus

91 Reformen, Revolutionen, Untergänge Das Jahrhundert der Staatsverfassungen 95 Revolution in Wien 100 Ein neuer Kaiser – eine neue Epoche 107 Die Tragödien der Ersten Republik

119 Die Paläste der Justitia Wo in Wien Recht gesprochen wird 119 Der Justizpalast 126 Das Landesgericht

135 Mörder! Mörder! Erfundene Ermittler und Halunken

141 Anhang 141 Personenregister 146 Bildnachweis 147 Bibliografie 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 6 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 7

Eine Geschichte der Stadt an der Donau

u behaupten, die eigentliche Geschichte Wiens begänne Zmit dem 17. September 1156, jenem Tag, an dem das Privile- gium minus anlässlich des Regensburger Hoftags mit Signatur und Siegel Kaiser Friedrichs I. Barbarossa versehen wurde, ist wohl zu kurz gegriffen – und doch so unrichtig nicht. Denn was als Gründungsurkunde Österreichs schlechthin gilt, hatte auch für Wien große Bedeutung, entschloss sich doch der Nutznießer des kaiserlichen Gunstbeweises, Herzog Heinrich II. Jasomirgott aus dem Geschlecht der Babenberger, seine Residenz fortan in einer kleinen Burgsiedlung an der Donau einzurichten, die wir der Einfachheit halber gleich Wien nennen, obwohl nicht ganz klar ist, wann der Ort diesen Namen tatsächlich bekam. Historisch gesichert ist mittlerweile, dass das römische Vindo- bona mit Wien identisch ist, wobei die Römer mit diesem Namen eine keltische Ortsbezeichnung aufnahmen. Obwohl Vindobona weit weniger von Belang war als das weiter östlich gelegene Carnuntum, Hauptstadt Oberpannoniens und Sitz des römischen Statthalters, war es in den ersten drei Jahrhunderten nach der Zeitenwende eine lebendige Siedlung – ein Legionsla- ger mit rund 4000 Soldaten und eine Lagervorstadt, in der rund 12–15000 Menschen lebten. Allenthalben begegnet man auf Streifzügen durch die Innenstadt Wiens den Relikten aus dieser Ära, sei es im + Römermuseum auf dem Hohen Markt, bei den + römischen Ruinen auf dem Michaelerplatz oder in Form des massiven + Thermensteins am Fuß der Treppe in der Sterngasse – und natürlich im Namen der + Marc-Aurel-Straße: Marcus Aurelius, der Philosoph, der Kaiser wurde, der Zeit seines Lebens einen Staat nach dem Zuschnitt von Platons Politeia-Dialog für das Ideal hielt und dieses immerhin soweit zu verwirklichen trachtete, indem er die Gerechtigkeit über alles stellte, die jährli- chen Gerichtstage auf über 200 erhöhte und selbst so oft wie möglich Recht sprach, starb möglicherweise in Vindobona. 7 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 8

Eine Geschichte der Stadt an der Donau

Die Ära des Marcus Aurelius war auch jene der Kriegszüge der Markomannen und Quaden, die auf ihrem Weg bis nach Oberitalien eine Schneise der Verwüstung hinterließen; mitten- drin auch Vindobona, das vermutlich vollkommen zerstört, aber wieder aufgebaut wurde und dank eines Coup d’État zu neuen Ehren kam. Denn als die Soldaten im nahen Carnuntum den Statthalter Septimus Severus zum ersten Soldatenkaiser ausrie- fen, bedankte sich dieser für die Treue seiner Legionen, indem er unter anderem Vindobona den Status eines municipiums ver- lieh. Für Vindobona bedeutete dies nach römischem Recht die Autonomie, einen zugeordneten Landbezirk und in der Folge – nun bereits unter Kaiser Caracalla – die Erhebung der Bewoh- ner zu römischen Bürgern. Langfristig betrachtet war jedoch die Entscheidung Kaiser Probus’ von ausschlaggebenderer Bedeutung: Er gestattete in der zweiten Hälfte des 3. Jh. erstmals den Weinbau außerhalb Italiens. Damit durfte Wein auch rund um Vindobona großflächig angebaut und vermarktet werden – ein Gunstbeweis, der Teile der Stadt bis heute prägt.

Die Babenberger Die Jahrhunderte zwischen dem Ende des Römischen Reiches und dem Auftauchen der Babenberger bedeuteten für die Siedlung, die nicht mehr Vindobona und noch nicht Wien war, eine Abfolge von wechselnden Herrschern, von Zerstörung und Wiederaufbau und wenigen Jahren des Friedens. Regisseu- re der Zeitläufte waren die West- und Ostgoten, die Hunnen, schließlich die Vandalen, Alanen und Sueben, Rugier und Heruler, zuletzt die Langobarden, die Awaren und, als Inter- mezzo, die Slawen. Erst mit dem Aufstieg der Karolinger rückte Wien langsam wieder ins Licht der Geschichte. Zwischen Hohem Markt, Juden- und Sterngasse sowie Marc-Aurel-Straße hatte sich eine Ansiedlung erhalten, bestehend aus ein paar Häusern, die sich um ein halbwegs wehrhaftes Gebäude gruppierten, das später den Namen Berghof erhielt. Mit Ausnahme der Ruprechtskir- che, Wiens ältestem Gotteshaus, blieb von dieser Kernsiedlung 8 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 9

Die Babenberger

Wien und der Wein Vor allem im Westen und Norden prägen sie den Saum der Stadt: Weingärten auf sanften Hügeln, die allesamt die Bezeichnung »Berg« tragen: Kahlenberg, Galitzinberg, Bisamberg, Nußberg. Die Geschichte des Weins in dieser Gegend reicht zwar bis in die Zeit der Kelten zurück, offiziell zum Anbaugebiet für Wein wurde Wien jedoch in der Zeit, als es eine kleine Garnisonstadt im riesigen Römischen Reich war. Es war Kaiser Probus (232–282), der Ende des 3. Jh. ein Gesetz erließ, wonach den Bauern erlaubt wur- de, nun auch außerhalb Italiens Wein anzubauen. Als historischer Beleg für dieses Gesetz gilt ein entsprechender Hinweis in der Historia Augusta, einer Sammlung von Kaiserbiogra- fien, deren Wahrheitsgehalt von Historikern allerdings stark in Zweifel gezogen wird. Han- delt es sich also bloß um eine Legende? Möglich – doch die Wiener stört das wenig, und niemand käme auf die Idee, die nach Kaiser Probus benannte Gasse in + Nußdorf umzu- benennen. Mit der Völkerwanderung versinken Wien und der Wein im Dunkel der Geschichte. Licht bringt erst wieder die Ära Karls des Großen und seiner Nachfolger. Abge- sehen von einer rigorosen Verwaltungs- und Gesetzesreform veranlasste Karl auch die Capi- tulare de villis vel curtis imperii, die von dem Benediktinerabt Ansegis verfasste Landgüter- verordnung, in der auch detaillierte Anweisungen zum Weinbau gegeben werden, darun- ter die Anweisung, Wein in Fässern und nicht in Schläuchen aufzubewahren und die Trau- ben mittels einer Presse zu entsaften. Mit den neuen Vorschriften kamen auch Experten (darunter kundige Mönche aus Burgund), die neue Impulse brachten, die Rebsorten klassi- fizierten und was gut war mit der Bezeichnung »frän- kisch« versahen. Um die Ausschank des Weines küm- merten sich nahezu tausend Jahre später Maria The- resia und Joseph II. Da der Wein dem kriegerischen 16. und 17. Jh. – den marodierenden Truppen wäh- rend des Dreißigjährigen Kriegs und den Belagerun- gen durch die Osmanen – fast vollständig zum Opfer gefallen war, musste man seinem Gedeihen wieder auf die Sprünge helfen. Dies geschah nicht zuletzt durch ein Dekret, das es Bauern erlaubte, die hofeige- nen Produkte auch zu servieren, womit der+ Wiener Heurige geboren war. In Verruf kam österreichischer Wein, als 1985 in »Qualitätswein« große Mengen von Diethylenglykol, eine Komponente wirksamer Frost- schutzmittel, entdeckt wurden. Findige Winzer hatten ihren Wein damit gestreckt, im schlimmsten Fall sogar Kunstwein erzeugt, der nie mit auch nur einer Traube in Berührung gekommen war. Der Skandal war enorm, die Verluste ebenfalls. Die Konsequenz war eines der schärfsten Weingesetze der Welt. Man kann sich also getrost darauf verlassen, von den 300 Wiener Winzern, die auf insgesamt knapp 700 Hektar Flä- che Wein anbauen (übrigens das einzige Weinbaugebiet der Welt, das zur Gänze innerhalb der Grenzen einer Großstadt liegt), nur beste Qualität zu erhalten.

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Eine Geschichte der Stadt an der Donau

kaum etwas erhalten. Mit der Eroberung des Awarenreichs durch Karl den Großen und der Errichtung der Awarenmark – Karls Schutzregion gegen kriegslüsterne Völker aus dem Osten – kam schon aufgrund der zahlreichen karolingischen Reformen wenigstens für eine Zeitlang Ordnung ins vorangegangene Cha- os. Lange währte die Ruhe nicht, denn Karls Nachfolger rieben sich in langwierigen Erbfolgekonflikten auf, die erst mit dem Vertrag von Verdun (843) ein Ende fanden: Das riesige Franken- reich wurde aufgeteilt, und in seinem äußersten Osten lag die Marcha orientalis, die einstige Awarenmark, und an deren östlicher Grenze Wien. Eine gefährliche Position, denn noch bevor die Entwicklung dieser Siedlung nach mehr als einem halben Jahr- tausend in geregelteren Bahnen verlief, fielen noch die Ungarn ein. Ironie der Geschichte: im Zusammenhang mit den Brand- schatzungen und Plünderungen dieses Kriegszugs taucht erst- mals der Name »Wien« auf, da in den Salzburger Annalen für das Jahr 881 ein Gefecht »ad Uueniam«, »bei Wien« verzeichnet ist. Besiegt wurden die Ungarn, die bis weit in den Westen vor- drangen, vom späteren Kaiser Otto I. in der Schlacht auf dem Lechfeld nahe Augsburg (955), womit er viele verlorene Gebiete im Osten des Reiches zurückgewinnen konnte. Das Grenzland dieser Territorien zwischen Enns und Traisen war ein sensibles Gebiet – einerseits durch seine Exponiertheit gefährdet, anderer- seits Königsland, also direkt im Eigentum des Herrschers –, des- sen Verwaltung jemandem Vertrauenswürdigem überlassen wer- den musste. 976 ernannte Otto I. einen Markgrafen, dem er die Aufgabe zutraute. Zwei Jahrzehnte später besiegelte Otto II. das Lehen mit einer Urkunde, in der das zum Herzogtum Bayern gehörende Gebiet die Bezeichnung ostarrîchi, das Land im Osten, trug. Des kaiserlichen Vertrauens würdig erwies sich Leopold, Spross des aus Franken stammenden Adelsgeschlechts der Babenberger, das in den folgenden drei Jahrhunderten durch taktisch geschickte Heiraten, ein zunehmendes Maß an Selbstbe- wusstsein sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Loyalität und Widerspenstigkeit die Keimzelle für das später unter den Habsburgern riesige Österreich legte. 10 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 11

Die Babenberger

Markgraf Leopold III., der spätere Landes - patron von Niederösterreich – hier auf dem Babenbergerstammbaum, der nach Leopolds Heiligsprechung im Jahr 1485 in Auftrag gegeben wurde –, war zu seinen Lebzeiten eher ein taktisch überaus geschickter Politiker als ein Heiliger.

Um die Jahrtausendwen- de war Wien – die Babenber- ger regierten von Melk aus – nach wie vor ein durch permanen- te Einfälle der Ungarn gefährdeter Grenzort in exponierter, aber strategisch wichtiger Lage und weitgehend unabhängig. Die wahren Herrn von »Vienni« waren mächtige Adelsfamilien wie die Formbacher, die als Besitzer der Burgen Kreuzenstein nörd- lich und Kierling südlich der Donau den Handel auf dem Strom kontrollierten. Es war ein kluger Schachzug des babenbergischen Markgrafen Leopold II., die Formbacherin Itha von Burghausen zu heiraten, brachte ihm ihre Mitgift doch weitläufigen Grund- besitz im Wiener Raum ein. Eine glückliche Hand hinsichtlich seiner Ehen bewies auch Leopolds gleichnamiger Sohn, der, 1485 heiliggesprochen, als Landespatron Niederösterreichs und Wiens in die Geschichte einging. In erster Ehe war Leopold III. (1073–1136) mit Adelheid von Perg verheiratet, deren hocharistokratische Herkunft ihrem Ehemann ein Vermögen und Einfluss in bislang halb autonomen Gebieten des heutigen Nieder- und Oberösterreichs brachte. Übertroffen hat Leopold III. dies mit seiner zweiten Ehe mit Agnes von Waiblingen (1074–1143): Die Tochter Kaiser Hein- richs IV. war auch die Witwe des Staufers Friedrich I. von Schwaben und damit die Mutter des ersten Staufer-Kaisers Konrad III., die Großmutter des mächtigen Friedrich Barbarossa und die Ururgroßmutter Kaiser Friedrichs II., des »stupor mun- di«, des Staunens der Welt. Für Macht und Einfluss der Baben- berger eine mehr als günstige Ausgangsbasis. Das Erbe des Vaters trat Leopold IV. (1108–1141) an, dessen Halbbruder Kaiser Konrad III. ihn zum Herzog von Bayern 11 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 12

Eine Geschichte der Stadt an der Donau

erhob. Nach Leopolds überraschend frühem Tod musste sein Bruder und Nachfolger Heinrich II. Jasomirgott (1107–1177) Bayern zwar wieder abgeben, bekam dafür aber vom nunmehri- gen Kaiser Friedrich Barbarossa die Erhebung der östlichen Mark zum Herzogtum, festgeschrieben im Privilegium minus. Und da Heinrich Jasomirgott Wien zu seiner Residenz wählte, ist die eingangs erhobene Behauptung tatsächlich zulässig: Wiens Geschichte als Siedlung begann lange vor der Zeitenwende, sei- ne Geschichte als Stadt und Residenz jedoch im September 1156 mit der Ratifizierung des Privilegium minus. Als Regierungssitz eines Herzogs erfuhr Wien nachhaltige Veränderungen. An der Außenseite der ehemaligen Begrenzung Vindobonas begann Heinrich mit der Errichtung seiner Resi-

Der kleine Freiheitsbrief Das Privilegium minus, im September 1156 auf dem Hoftag zu von Kaiser Friedrich Barbarossa ausgestellt, gilt als eine der Gründungsur- kunden Österreichs, das in diesem Dokument als »Marcha « bezeichnet wurde. Aufgrund der Spannungen zwischen Staufern und Welfen waren die Babenberger 1139 mit Bayern belehnt worden. Nun wollte der Kaiser den Konflikt beenden und Bayern dem rechtmäßigen Erben, dem Welfen Heinrich dem Löwen, zurückgeben, konnte die Baben- berger aber unmöglich wieder zu von Bayern abhängigen Markgrafen degradieren. Die Lösung war, Bayern und Ostarrîchi zu trennen und letzteres von der Markgrafschaft zum Herzogtum zu erheben. Das Ritual, mit dem diese Entscheidung besiegelt wurde, ist überliefert: Auf den Barbinger Wiesen bei Regensburg übergab Heinrich Jasomirgott sei- nem Kaiser zum symbolischen Verzicht auf Bayern sieben Fahnen. Friedrich Barbarossa überreichte die Fahnen Heinrich dem Löwen, der zwei davon – Symbol für die bis dahin zu Bayern gehörende Markgrafschaft im Osten – dem Kaiser zurückgab. Mit der Verkündi- gung, der Kaiser habe Österreich zum erblichen Herzogtum erhoben, händigte Friedrich Barbarossa die beiden Fahnen Heinrich II. Jasomirgott aus, womit die Marcha Austria zu einem vom Reich direkt übertragenen Lehen wurde. Um Heinrich II. den Verzicht auf Bay- ern zu versüßen, hatte der Kaiser den kleinen Freiheitsbrief mit großen Vorrechten ausge- stattet, darunter auch die Höchstgerichtsbarkeit des Herzogs. Das für das feudale Gefüge des Mittelalters ungewöhnlichste aber war das ius libertas affectandi, das dem Herzogs- paar im Falle der Kinderlosigkeit das Recht erteilte, das Herzogtum nach ihrem Tod nach eigenem Gutdünken zu vererben. Auch die Möglichkeit einer weiblichen Nachfolge wurde ausdrücklich eingeräumt. Das Original des Privilegium minus wurde wahrscheinlich bereits 1358/59 im Auftrag des Habsburgers Herzog Rudolf IV. vernichtet, um Schriftbild und äußere Merkmale unerkannt in sein gefälschtes Privilegium maius integrieren zu können.

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Die Babenberger

denz, woran bis heute die Die Freyung Dem Adresse + Am Hof erinnert. von ihm gestifteten In unmittelbarer Nachbar- Schottenkloster ver- schaft stiftete er das + Schot- lieh Herzog Hein- tenkloster (in deren Kirche er rich II. auch die Befreiung von der städti- auch bestattet wurde) und schen Gerichtsbarkeit. Ein Delinquent, wel- förderte zudem den Vorgän- cher Art auch immer, der diese vriunge erreichte, konnte von der landesherrlichen gerbau des Stephansdoms. Ge richtsbarkeit nicht belangt werden. Die- Leopold V. (1157–1194), ses Freiungsrecht hielt sich bis zum Ende Heinrichs Sohn, führte die des 18. Jh. und wurde erst in der Franzisca- kluge, eng an Kaiser Fried- na, dem unter Franz II./I. entstandenen rich Barbarossa gebundene Strafgesetzbuch nicht einmal mehr erwähnt: die Rechtshoheit des Staates war Politik der Babenberger fort selbstverständlich geworden. und konnte mit der Georgen- berger Handfeste – ausgehan- delt mit dem kinderlosen Traungauer Ottokar IV. –, der formell durchaus Verfassungsrang zukommt, sein Herzogtum wesent- lich vergrößern: Die Babenberger erbten das Herzogtum Stei- ermark, zu dem das heutige Slowenien ebenso gehörte wie Tei- le Ober- und Niederösterreichs. In die Geschichte ging Leo- pold V. – der übrigens den Beinamen »der Tugendreiche« erhielt – jedoch mit einem ganz speziellen Schelmenstück ein, nämlich der Festnahme des englischen Königs Richard Löwenherz und dessen Auslieferung an den Kaiser gegen ein enormes Lösegeld. Entgegen der hartnäckigen Legende, nach der Leopold V. im Alleingang gehandelt hat, stand hinter diesem »Kidnapping« eine großangelegte politische Intrige. Gespon- nen hatten sie aufgrund nicht eingehaltener Eheversprechen sowie einiger Territorial- und Hegemonialstreitigkeiten der französische König Philipp August und Kaiser Heinrich VI. Wo Legende und historische Tatsache wieder deckungsgleich sind, ist die Höhe des Lösegelds: Leopolds V. Anteil – rund 10 000 Tonnen Silber – ermöglichte ihm, die Wiener Stadtbefestigung auszubauen (u. a. ließ er den bis heute so genannten + Graben von der Stephanskirche bis zum Hof zuschütten) und Wiener Neustadt zu gründen. 13 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 14

Eine Geschichte der Stadt an der Donau

Sigillum Civium Winnensium lautet die Umschrift auf Wiens ältestem Stadtsiegel aus dem Jahr 1231. Es entstand im Zusammenhang mit Wiens erstem Stadtrecht von 1221.

Der Beiname »der Glorreiche« wurde Leopold VI. (1176–1230), jüngster Sohn Leopolds V., nicht zu Unrecht verliehen, erreichte das Anse- hen der Babenberger unter seiner Herr- schaft doch seinen Höhepunkt. Leopolds Hof, den er mit seiner Ehefrau, der byzantinischen Prinzessin Theodora Angeloi, führte, galt als einer der kultiviertesten nördlich der Alpen. Er war ein Zentrum des Minnesangs, wo Walther von der Vogelweide ebenso wirkte wie Neidhart von Reuental und Ulrich von Liechtenstein; die Gotik, dieser neue himmelwärts strebende Baustil, fasste mit der Klosterneuburger Capella Spe- ciosa erstmals auch in Österreich Fuß; und auch Wien, dem 1221 das Stadt- und Stapelrecht verliehen wurde, das ein vom Herzog eingesetztes Kollegium aus 24 angesehenen Bürgern kontrollierte, blühte unter Leopold VI. auf. Leopolds VI. Nachfolger, seinem Sohn Friedrich II. (1211– 1246) »der Streitbare«, war Wien nicht sonderlich gewogen, lukrierte er die benötigten Mittel für seine ständigen Konflikte mit den Böhmen und den Ungarn doch durch immer höhere Steuern, die er den Bürgern seiner Residenzstadt auferlegte. Als selbstbewusste Bewohner einer mittlerweile blühenden Han- delsstadt drohten sie mit Rebellion und komplimentierten Friedrich II. auch aufgrund einiger unschöner Affären, die der Herzog angeblich mit hübschen Bürgerstöchtern hatte, aus der Stadt. Als sich der Streitbare auch noch mit Kaiser Friedrich II. selbst überwarf, dieser über den Babenberger die Reichsacht verhängte und mit einem Heer gegen Österreich zog, öffneten die Wiener Stadtväter dem Kaiser im Januar 1237 bereitwillig die Tore. Wien wurde zur reichsunmittelbaren Stadt erhoben und – das einzige Mal in seiner Geschichte – gleich auch noch Ort der römisch-deutschen Königswahl. 14 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 15

Auftritt: die Habsburger

Zwei Jahre später hatte der Babenberger Wien wieder erobert und bewies einmal diplomatisches Geschick, indem er auf ein großes Strafgericht verzichtete und sich stattdessen mit den Stadtverantwortlichen aussöhnte. Die Reichsunmittelbar- keit Wiens hob er zwar mit großer Geste auf, erließ jedoch 1244 ein neues, erweitertes Stadtrecht. Selbst mit dem Kaiser söhnte sich Friedrich II. aus, und zwar offenbar so restlos, dass Ersterer sich bereit erklärte, das Herzogtum Österreich zum Königreich zu erheben. Doch dazu kam es nicht mehr. Am 15. Juni 1246 fiel der kinderlose Babenberger Friedrich II. in der Schlacht an der Leitha gegen ungarische Truppen, womit die Herrschaft der Babenberger nach 250 Jahren endete.

Auftritt: die Habsburger Zwar hätte das Privilegium minus eine weibliche Erbfolge – des Streitbaren Schwestern – ermöglicht, doch Kaiser Friedrich II. kümmerte diese Petitesse in dem von seinem Großvater ausge- stellten Dokument wenig. Er erhob Wien neuerlich zur reichs- unmittelbaren Stadt und sandte Graf Otto von Eberstein als Verwalter in das verwaiste Herzogtum. Es war die politisch ehr- geizige Margarethe (1204–1266), ältere Schwester des letzten Babenbergers und verwitwete Schwiegertochter des Kaisers, der es gelang, die Babenber- ger doch noch im Spiel zu halten, als sie im Jahr 1152 den um nahezu dreißig Jahre jün- geren böhmischen Thron -

König Ottokars Glück und Ende In der Rück- wand des Franz-Grillparzer-Denkmals im Volksgarten findet sich dieses Relief als Illustration von Grillparzers Trauerspiel. Ursprünglich wollte der Jurist in Staats - diensten ein Drama über Napoleon verfassen, fürchtete jedoch die Metternich’sche Zensur und entschied sich stattdessen für Ottokar Pˇremysl, dem er ein Temperament ähnlich jenem Napoleons attestierte.

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Eine Geschichte der Stadt an der Donau

folger Ottokar Prˇemysl (um 1232–1278) heiratete, der so zum missing link zwischen der Epoche der Babenberger und jener der Habsburger wurde. Ein Vierteljahrhundert regierte Ottokar von Wien aus das Land der Babenberger und Böhmen und drückte der Stadt in dieser Zeit seinen Stempel schon allein durch den Ausbau der alten Burg auf (s. S. 63). Zum Instrument von Ottokars Ende wurde der 1273 von den deutschen Fürsten zum römisch-deut- schen König gewählte Rudolf von Habsburg, der Wien bereits zwei Jahre vor der finalen Schlacht gegen Ottokar einnahm. Als Rudolf im November 1276 in die Stadt einzog, bedeutete das den großen historischen Wendepunkt: Von nun an bis ins das Jahr 1918, ebenfalls im November, herrschten die Habsburger (ausgenommen ein paar langfristig gesehen belanglose Unter- brechungen) in Wien und schufen hier im Laufe der kommen- den Jahrhunderte ihre prachtvolle Residenz. Bis dahin aber war noch ein langer Weg zurückzulegen, denn einfach hatten es die frühen Habsburger mit den Bewoh- nern ihrer Residenz nicht. Rudolfs Sohn und Erbe Albrecht I. machte sich damit, dass er den Wienern zahlreiche Privilegien entzog, sie wirtschaftlich schwächte und darüber hinaus die Reichsunmittelbarkeit in Frage stellte, so unbeliebt, dass ein Aufstand ausbrach. Albrecht Soziale Ausgewogenheit Aus dem Jahr floh aus der Stadt, zog sich 1356 stammt eine Urkunde, in der erst- auf die Burg auf dem Leo- mals der »Äußere Rat« genannt wird. poldsberg (der damals noch Dabei handelt es sich um 40 Personen, Kahlenberg hieß) zurück die die Bürger Wiens bei wichtigen Ent- scheidungen vertraten. Dieses Gremium und blockierte die Straßen, diente als Gegenpol zum »Rat«, der vor so dass jeder Handel zum allem die Interessen der Patrizier schützte. Erliegen kam. Wien konnte Und 1396 verlieh Albrecht der Geduldige, es sich gar nicht leisten, den Neffe Rudolfs IV., der Kommune das Rats- Aufstand fortzuführen, un - wahlprivileg, in dem eine drittelparitäti- ter warf sich und bezeugte sche Aufteilung der Ratsmandate auf Patrizier, Kaufleute und Handwerker fest- seine Loyalität in Huldi- geschrieben wurde. gungsbriefen, die eine Rei- he vermögender Bürger 16 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 17

Auftritt: die Habsburger

Im Innenhof des hochbarocken Alten Rathauses – von seinen gotischen Ursprün- gen sind nur noch einzelne Elemente erhal- ten – befindet sich mit dem Andromeda- Brunnen von 1741 das letzte Werk des Bild - hauers Georg Raphael Donner.

vorzulegen hatte. Das Jahr 1281 brachte aber auch erstmals einen Bürger- meister, der fürs Erste in einem Rathaus in der Wollzeile residierte, bevor der Inhaber dieses Amts ab 1316 in die Räume des heutigen + Alten Rathauses in der Wipplingerstraße zog. Rebelliert wurde auch gegen Albrechts Erben, Friedrich den Schönen (1289–1330), der im Gegenzug gnadenloses Gericht über die Verräter hielt und das Intermezzo nützte, um das Machtgefüge in Wien zu verändern. Von nun an übernahmen den Habsburgern loyal verbundene Familien die Führung der Kommune. Diesen neuen Ratsbürgern zeigte sich Friedrich gewogen, erließ Handelsprivilegien für die »chramer und chouf - lute ze Wienne«, schenkte der Stadt aus konfiszierten Gütern jenes Haus, in dem später das Alte Rathaus eingerichtet wurde und gestattete die schriftliche Sammlung städtischer Privilegien. Dieses rechtpuch, nach 1320 begonnen und bis ins 18. Jh. fortge- führt, ging aufgrund der Messingbeschläge auf dem Einband als Eisenbuch in die Geschichte ein und befindet sich heute im Wie- ner Stadt- und Landesarchiv. Als Residenzstadt der habsburgischen Länder etablierte sich Wien schließlich endgültig unter Otto dem Fröhlichen (1301– 1339) und Albrecht dem Weisen (1298–1358), den jüngeren Brü- dern Friedrichs, die gleichermaßen Sinn fürs Praktische wie für ein kultiviertes Hofleben bewiesen. 1331/32 wurde Wien erst- mals in Viertel gegliedert, die je nach den Haupttoren der Stadt- mauer benannt wurden: Kärntner-, Schotten-, Stuben- und 17 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 18

Eine Geschichte der Stadt an der Donau

Widmertor. Steuererhebung und Grundbuchführungen wur- den nun nach den Vierteln organisiert. Gleichzeitig erhielt Wien ein Müllgesetz, in dem die Entsorgung toter Haustiere und Unrat aller Art auf der Straße untersagt wurde. Die folgenden Jahre, Albrecht regierte nach dem Tod seines Bruders allein, waren geprägt von Heuschreckenplagen, kata- strophalen Überschwemmungen und erstmals der Pest, an der im Sommer 1349 täglich über 500 Menschen starben. Im Jahr darauf war es ein verheerender Brand, dem nicht nur Teile Wiens zum Opfer fielen, sondern aufgrund eines heftigen Sturms auch zahlreiche Häuser außerhalb der Stadtmauern. Albrecht steuerte sein Her- Der große Freiheitsbrief Die Rechte, die zogtum und seine Residenz angeblich bereits Nero und Cäsar der Pro- mit ruhiger Hand durch die- vinz verliehen hatten und die Kai- se Unbilden, stellte sich in ser Friedrich I. Barbarossa für die Baben- unsicheren Zeiten schützend berger mit Unterschrift und Siegel verse- hen haben sollte, die jedoch tatsächlich vor die jüdische Gemeinde eine Fälschung im Auftrag Ru dolfs IV. Wiens – was nach ihm kein waren, stellten die Habsburger mit den Habsburger mehr tat – und deutschen Kurfürsten auf eine Ebene. Die bereitete gleichzeitig seinen wesentlichen Vorrechte, die das Privilegi- um maius verbriefte: die Länder der Habs- Sohn auf dessen zukünftige burger sollten fortan unteilbar und auto- Aufgaben vor. Ein gelunge- matisch erblich sein, die Gerichtsbarkeit nes Unterfangen, denn mit sollte unabhängig sein, also ohne Appella- Rudolf IV. dem Stifter tionsmöglichkeit an den Kaiser, und vor (1339–1365) wandelten sich allem war der Herzog von nun an ein Pfalz - erzherzog, dem ein Platz zur Rechten des Wien und das Herzogtum Kaisers gleich neben den Kurfürsten zu - grundlegend. Manches ge - stand. Mit der Bestätigung des Dokuments schah dabei auf legalem, durch den aus dem Hause Habsburg stam- manches auf nicht ganz so menden Kaiser Friedrich III. entstand 1442 der Titel des archidux, des Erzherzogs, ein legalem Weg. Titel, den es ausschließlich bei den Habs- Zuerst nahm sich Rudolf burgern gab. Die Fälschung übrigens wur- der ehrmindernden Tatsache de von Petrarca nur vermutet, eindeutig an, dass Wien immer noch an als solche verifiziert wurde sie erst um das bayerische Bistum von 1850 von dem Paläografen und Historiker Wilhelm Wattenbach. Passau gebunden war. Er lös- te das Problem kreativ, indem 18 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 19

Auftritt: die Habsburger

Kunsthistorisch kaum zu überschätzen ist dieses Porträt Rudolfs IV. Es gilt als erstes Halbfrontal-Por- trät des Abendlandes. Das Werk eines unbekannten Künstlers aus der Prager Schule dürfte sehr realis- tisch sein – lediglich die Erzherzogskrone ist erfun- den und perspektivisch nicht ganz zufrieden stellend gelungen. Das Porträt befindet sich im Wiener Dom- und Diözesanmuseum.

er in St. Stephan die Gründung eines Domkapitels, dessen Mit- glieder Kardinälen gleich in Rot ge kleidet waren, unterstützte und dem Propst den feinen Titel »Erz- kanzler von Österreich« verlieh. Zudem veranlasste Rudolf den Neubau der Kirche zu St. Stephan und stiftete nach Prag die zweite deutschsprachige Universität, die als Alma Mater Rudolfina bis heute seinen Namen führt. Einfallsreich zeigte sich Rudolf in seiner Reaktion auf jenes Verfassungsdokument, das sein Schwiegervater, der römisch- deutsche Kaiser Karl IV., 1356 verabschiedete: Es regelte die Wahl- und Krönungsmodalitäten der römisch-deutschen Köni- ge, bestimmte die wahlberechtigten Kurfürsten, galt bis 1806 und erhielt im 15. Jh. den Namen Goldene Bulle. Die Habsburger waren leer ausgegangen, was Rudolf IV. veranlasste, seinerseits ein Dokument anzufertigen, das dem Haus Habsburg wenn schon nicht die Wahlberechtigung, so doch zumindest die Gleichstellung mit den Kurfürsten brachte. Dieses im Winter 1358/59 zusammengestellte Privilegium maius besteht aus fünf gefälschten Urkunden, für die Rudolfs Fälscher auf ältere Dokumente zurückgriffen, und zwar vor allem auf das Privilegi- um minus, dessen Siegel man an der Fälschung anbrachte. Die damals von Kaiser Friedrich I. Barbarossa den Babenbergern gewährten Rechte wurden nun zugunsten der Habsburger als rechtmäßige Nachfolger ausgeweitet. Und um dem Ganzen den Anstrich höchster Legitimität zu geben, fügte man noch gut 19 02_Wien_RZ_NEU_31.7._Wien_Juristen_Layout 20.08.13 22:09 Seite 20

Eine Geschichte der Stadt an der Donau

erdachte Urkunden von Nero und Julius Cäsar hinzu, die ihrer Provinz Noricum angeblich bereits besondere Rechte gewährt hatten. Der Jurist, Gelehrte und Dichter Francesco Petrarca, der sich am Hof Karls IV. aufhielt, bezeichnete das Ganze als Fäl- schung, worauf der Kaiser die Anerkennung verweigerte. Erst gute achtzig Jahre später wurde das Dokument doch noch von einem Kaiser bestätigt, und zwar von Friedrich III. aus dem Hause Habsburg. Die sieben Jahre, die Rudolf hatte, nützte er zu umfassenden Reformen, die vor allem in Wien darauf abzielten, Verwaltung und Justiz zu vereinfachen sowie die kommunalen Gremien zu stärken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Erfolgreich war Ru - dolf IV. auch in seinen Verhandlungen mit Markgräfin Margare- te von Tirol-Görz, die Rudolf nach dem Tod ihre Mannes und ihres Sohnes Tirol überschrieb. Margarete Maultasch, wie sie später genannt wurde, verbrachte ihre letzten Jahre in Wien, in einem Haus in der Nähe der + Minoritenkirche. Als Rudolf IV. überraschend starb, erwies sich seine 1364 erlassene Rudolfinische Hausordnung – sie sah eine gemeinsame Herrschaft der männlichen Nachkommen vor – als problema- tisch, weil sich Rudolfs jüngere Brüder Albrecht III. und Leo- pold III. vor allem in Streitigkeiten untereinander aufrieben. Sogar eine Teilung Wiens wurde kurz überlegt. Dazu kam es nicht, wohl aber zu einer Teilung der habsburgischen Besitzun- gen: Österreich ob und unter der Enns sowie Wien sollten fort- an von den Nachkommen Albrechts (Albertinische Linie), Stei- ermark, Kärnten, Tirol und die habsburgischen Vorlande von Leopolds Nachfahren (Leopoldinische Linie) regiert werden. Das sensible Machtgefüge zwischen den habsburgischen Erben zerbrach Anfang des 15. Jh., als es galt, die Vormundschaft für den minderjährigen AlbrechtV. aus der Albertinischen Linie festzulegen. Wien teilte sich nun doch, und zwar in die jeweili- gen Anhänger der Brüder, die um diese Vormundschaft stritten: Die Zünfte hingen Leopold IV. an, Ernst dem Eisernen die Patrizier. Als sich im Januar 1408 die Handwerker erhoben, ließ Konrad Vorlauf, Bürgermeister und Anhänger Ernsts, fünf 20