Unterwegs IM WILDEN KAISER

Ins Jahr 2000 fallen drei „runde Geburtstage“: Grutten-

und Vorderkaiserfeldenhütte werden 100 Jahre alt und

Foto: Ludwig Mallaun Foto: vor 125 Jahren wurde „Kaiserpapst“ Franz Nieberl geboren.

Grund genug, sich wieder einmal mit dem „Kaisergebirge“

zu beschäftigen, dessen Erschließungsgeschichte wohl

bekannt und bestens dokumentiert ist. Also nichts Neues?

Ein wenig vielleicht doch. Von HORST HÖFLER Foto: Archiv Horst Höfler Archiv Foto:

Mit ihren eindrucksvollen Nordabstürzen überragen die Fleischbank und das Totenkirchl die Gebäudeansammlung des Zu Besuch bei Stripsenjochhauses. Rechts: Hinterbärenbad um 1900, die mächtige Nordwestwand der Kleinen Halt im Hintergrund bildet eine der seiner Majestät klassischen Kaiserkulissen.

Nr. 5/2000 DAV Panorama 23 Unterwegs IM WILDEN KAISER

ls 1881 der königliche Pro- sich amal acht Gams und grad so viel Schaf nationalsozialistisches Gedankengut Raum fessor und Kunstmaler Max an einem Tag derfalln“.Widauer mutmaßte, greifen: „Das politische Leben der Nation A Kleiber – derselbe Kleiber, dass diese Begebenheit ungefähr 80 Jahre war in diesem Jahre (1936; Anm. d. V.) ge- den sie „Verwalter vom Wen- zurückläge.Dann erzählte er Kleiber in etwa kennzeichnet durch die vom Führer gege- delstein“ nannten, der dort 1899 das be- das, was in der Sage zu finden ist: Ein Bauer bene Parole ‚Ehre und Gleichberechtigung‘. kannte Kircherl erbauen ließ und auch das aus der Griesenau, als Wilderer berüchtigt, Fürwahr ein stolzer Satz, noch stolzer und später so genannte Anton-Karg-Haus in habe sich leichte Beute verschaffen wollen glanzvoller aber die Erfüllung. In den deut- Hinterbärenbad gestaltete – seine durchaus und den einzigen Gamswechsel,der sich an schen Rheinlanden weht seit 7. März die bemerkenswerten Touren im Wilden Kaiser den Fleischbankwänden befände (vermut- Fahne unserer jungen Wehrmacht,Deutsch- unternahm, gab es im gesamten Kaiserge- lich der heutige Egger-Steig;Anm. d.V.),mit lands Ströme sind wieder frei von den Ein- birge noch keine Unterkunftshütte für Berg- frischen,rutschigen Baumrinden präpariert. mischungsbestrebungen fremder Nationen, steiger. Man nächtigte im Tal oder auf den Tatsächlich seien acht Gämsen abgestürzt, die deutschen Sportler schrieben den deut- Almen, auf den „Steinbergeralpen“, auf der wenige Stunden später aber auch acht der schen Namen an die erste Stelle aller sport- „Kaisermannalpe“.Von der Hinterbärenbad- besten Schafe des Bauern.„Jetzt hatte er wi- pflegenden Völker der Erde.“ Das stammt

Alpe erzählte man sich wunderliche Dinge. der Willen 16 Stück tot beisammen liegen, Horst Höfler Archiv Foto: aus der Präambel des 64.Jahresberichts der „Es ist ein gefährlicher Ort (...),denn hier in und die Strafe war dem Frevel auf dem Fuß „Alpenvereins-Sektion Turner-Alpen Kränz- unheimlicher Nähe des Totenkirchls, des gefolgt.“ (Widauer) chen München“,verfasst im Januar 1937;ei- Teufelswurzgartens und des Totensessels Michael Sojer, der wilde „Steinackerer“, nes Vereins, in dem der berühmte Bergstei- haust auch ein wildes Ehepaar in einsamer, Babenstuber war der Eroberer des Totenkirchl. germaler und in einer „fremden Nation“ ge- tief im Grunde gelegener Hütte.Wehe dem und die „Kranzler“ borene Edward Theodore Compton (1849– Wanderer,welcher hier,nichts ahnend,etwa 1881 ist auch das Jahr der Totenkirchl-Erst- hütte (1899/1900). Das alte Schutzhüttl auf 1921) Mitglied gewesen war. mit traulichen Worten der holden Schönen ersteigung. Der Handstreich des wilden, der ,das – blitzschlaggefährdet Kulminationspunkt des Kaisergebirges sich nähern wollte.Gleich schleicht er herü- rauflustigen und versoffenen Steinackerer – in unmittelbarer Gipfelnähe gestanden ist das Massiv der Ellmauer Halt. ber aus dem waldigen Dunkel seiner nahe aus Going, der den Baiersdorfer Kürschner hatte,trug Babenstubers Namen ebenso wie Die Gruttenhütte auf einer frühen gelegenen Blockhütte, spähend mit eifer- und später hoch angesehenen Forscher ihn jetzt das neue Hüttl, das sich im Schutz Postkartenansicht. DAV Archiv Foto: süchtigem Blick und forschend, was der Gottfried Merzbacher auf das als unersteig- von Felsen ein gutes Stück südwestlich un- Fremdling hier wollte“. (Kleiber) bar gehandelte Kirchl lotste,ist legendär.Der terhalb des höchsten Punktes befindet, Darüber liest man nichts in den „Sagen Münchner Steinmetz Karl Babenstuber hät- trägt. „Kurz nach der Eröffnung (des alten aus dem Kaisergebirge“, die Anton Karg ge- te ja auch hinauf wollen,doch jener 16.Juni Hüttls, 1902; Anm. d. V.) humpelte der sammelt und um 1900 als Buch – mit Illus- 1881 war nicht sein Tag. Schon vor Errei- schwer herzkranke Mann,von zwei Führern trationen von Ernst Platz – herausgegeben chen der Felsen kehrte Babenstuber um und gestützt,auf seinen letzten Berggipfel:die so hat.Jene eigenartigen Geschichten,die auch als er später die von der Kletterei zerschun- sehr geliebte Halt.Hier schied er von seines Kleiber kannte und teilweise nacherzählte denen Hände Merzbachers sah, war er froh Lebens entschwundenem Glück.1908 starb und in denen bisweilen doch ein Funken darüber, herunten geblieben zu sein.Trotz- er irren Geistes.“ (Fritz Schmitt) Wahrheit gesteckt haben mag. Als Kleiber dem: Babenstuber, Gründungsmitglied der Laut Schmitt hatten die „Kranzler“ (ge- droben auf dem Ellmauer Tor seinen Führer zunächst privaten Bergsteiger-Vereinigung gründet 1872) während der Anfangsphase Thomas Widauer befragte, „was denn das „Turner-Alpenkränzchen“, galt als glühen- der klettersportlichen Erschließung des für Zacken“ seien, bekam er zur Antwort: der Kaiserfreund und als „geistiger Vater“ Wilden Kaiser als Verein eine wichtige Rolle

„Dös sind die Fleischbankspitzen.Da haben (August Sieghardt) für den Bau der Grutten- gespielt. 65 Jahre später sollte auch in ihm Heinz Zak Foto: Unterwegs IM WILDEN KAISER

Nieberl – ein „Chamäleon“? Was war doch Hans Dülfer dagegen für Als von Nazi-Deutschland infiziert outeten ein braver Bursch! Ein Anti-Alkoholiker! In- sich viele Bergsteiger, denen bis in die teressieren würde mich schon,ob der Hans Jetztzeit hinein Vorbild-Funktionen zuge- aus Barmen tatsächlich so still und beschei- schrieben werden. Ich denke an das Foto, den gewesen ist, wie ihn seine Freundin das Willo Welzenbach mit der Hakenkreuz- Hanne Franz beschrieben hatte.Hoffentlich Armbinde zeigt. Und – auf den Kaiser bezo- ritt ihn bisweilen wenigstens die Arroganz. gen – an die markigen Sprüche des Georg Der Ausspruch „Sind manche Bergsteiger Leuchs. Vor 100 Jahren glückte ihm allein nicht wie Dilettanten am Klavier, die ober- kletternd die erste Begehung des Kopftörl- flächlich, ohne ernstes sich Vertiefen in et- grats. Franz Nieberl unterschrieb als Vor- was Erhabenes, bald dieses, bald jenes sitzender des Zweiges im gleichge- Kunstwerk anfassen?“ lässt darauf schlie- schalteten Deutschen Alpenverein seine ßen.Und Sixt,der lila Socken trug;Preuß,der Briefe mit „Heil Hitler“ (hätte er anderes zu sich je nach Jahreszeit verschiedenfarbige tun vermocht?).Zum Beispiel ein Gutachten Krawatten umgeknotet hatte.Was waren sie über den berühmten Kaiserkletterer Franz Horst Höfler Foto: doch für „Spinner“.Trotz oder wegen ihrer Weinberger, der sich 1943 um die Pächter- Der Fels am Kopftörlgrat ist immer noch Marotten mögen wir sie. Vor allem Preuß, stelle der Gruttenhütte beworben hatte: so fest wie früher, doch weitaus weniger den (fast) lupenreinen Freikletterer,der den „Der Gesuchsteller ist dazu nach meinem Kletterer begeistern sich für Routen in Mauerhaken nur als Notreserve akzeptierte Dafürhalten völlig geeignet.Er ist ein ausge- diesem Schwierigkeitsbereich (III–IV). und 1913 mit seiner Erstdurchsteigung des zeichneter Bergsteiger und Schiläufer und Griesnerkamins im Alleingang eine ein- als solcher vor allem befähigt,bei den leider Westwand 1923 das Flaschl mit dem starken drucksvolle Visitenkarte im Kaiser hinter- sehr zahlreichen Unglücksfällen im Wilden und besonders guten Extraschnaps aus der ließ. Kaiser als Bergungs- und Rettungsmann mit Tasche gefallen war, so dass das edle Feuer- Rat und Tat einzugreifen. Er ist neben Peter wasser „zwischen den Scherben über die Statements zur Aschenbrenner wohl der beste Mann unter Felsen“ rann. „Aber der Hannes gönnte es Kletterrouten-Sanierung den mir unterstellten Führern und ich lege dem nicht allein, und er leckte Jedenfalls böte dieser Griesnerkamin, der den größten Wert darauf,daß auf Hütten,die aus einer kleinen, muschelartigen Vertie- nie in Mode kam, noch eine echte Abenteu- im Brennpunkt alpiner Unglücksfälle stehen fung, was noch zu retten war“ (Schmitt). ertour.Auch jetzt im „Zeitalter der Bohrma- (die Gruttenhütte gehört dazu), fähige und Klettern konnten sie trotzdem famos, die schine“ und der „baseclimbs“, die mittler- erfahrene Nothelfer sitzen“. Gott sei Dank beiden Führer. Die „Fiechtl-Weinberger“ weile im Wilden Kaiser Einzug gehalten ha- hielt man zu den bewährten Wirtsleuten gibt Zeugnis darüber ab. ben. Es drängt sich mir die Frage auf, wel- Eisenmann.Etwas mehr als zwei Jahre zuvor hatte Nieberl nämlich ganz andere Töne Klettertouren über Weinberger angeschlagen: „Der von mir zu meinem Stellvertreter bestimmte Leichte bis mittelschwere Genussklettereien Toni Haberl,dem ich die gesamte Geschäfts- Zettenkaiser, oberen Teil man durchsteigt, facher. Höhenunterschied führung in Hinterbärenbad übertragen ha- Alte Ostwand sehr schöne Kletterei. 480 m, 4–5 Std. be,wird von dem Bergführer Franz Weinber- IV+, vielfach IV und III. Höhenunterschied 800 m, Westliche ger zur Zeit an der Hochgebirgsschule in Ausgesprochen schöne 4–6,5 Std. Hochgrubachspitze, Fulpmes in einer Weise behandelt, die an Wand-/Risskletterei; ober- Totenkirchl, Herold-Weg Südostkante Ungebührlichkeit schon bald ihresgleichen halb des Schrofenvorbaus IV/A0 (eine Passage), über- IV- (Stelle), stellenweise sucht und mitunter geradezu an Bedrohung fester Fels. Wandhöhe 300 wiegend III. Interessante, III+, überwiegend II und III. grenzt. Dies geschieht vornehmlich dann, m, 3 Std. luftige Kletterei an festem Schöne, teilweise ausge- Foto: Heinz Zak Foto: wenn er zuviel getrunken hat. Er hat in die- sem Zustand, leider auch schon vor den Scheffauer-Nordwand, Fels (längerer, ausgesetzter setzte Wand- und Gratklet- An den Kalkpfeilern der Gästen Hinterbärenbads, sehr unangeneh- „Ostler“ Quergang) mit knackiger terei an festem, mitunter Prediktstuhl-Westwand wurde me Auftritte herbeigeführt. (...) Weinberger IV/A0 (Schlüsselstelle), Schlüsselstelle in der ersten grasdurchsetztem Fels. über Generationen hinweg ist ein guter Bergführer und Bergsteiger, überwiegend III und II. Seillänge. Höhenunterschied Kantenhöhe 260 m, 2,5 Std. Interessante Kletterei, nicht 320 m (bis zur Dritten Klettergeschichte geschrieben, aber ein haltloser Mensch, der seinen Beruf Lärcheck-Ostwand, ganz einfache Orientierung. Terrasse), 2–2,5 Std. von den hier kaum sichtbaren aufgegeben hat, sich dem Film zuwendete „Dülfer“ Wandhöhe 400 m, 3–4 Std. Rissen der Fiechtl-Weinberger- und nun Pacht oder Besitz einer Hütte an- Vordere Karlspitze, V- (kurze Stellen) und IV+ Route links bis zur „Direttissima“ strebt.“ Kleine Halt- Südostgrat (zwei längere Passagen), in Falllinie des Nordgipfels. Nordwestwand, IV (Stellen), überwiegend vielfach III. Auch wenn man Versoffene Bergführer Enzensperger-Führe III. Lange, alpine, abwechs- Dülfers Originalriss im unte- Über der Gruttenhütte bricht die und ein junger Abstinenzler III+, überwiegend III. Mit lungsreiche Kletterei an nicht ren Teil der Gipfelwand um- Ellmauer Halt mit mächtigen Süd- Fritz Schmitt bezeichnete Weinberger im- Zustieg (Totensesselschlucht, überall festem Fels; die geht, anspruchsvolle, teilwei- wänden ab. Der lange Kopftörlgrat merhin als trinkfest.Die Rolle der „Saufnase Querung der Nordflanke) Anforderungen ähneln de- se sehr luftige Kletterei. (rechts) gehörte über Jahrzehnte Nr. 1“ unter den Kaisergehern schrieb man lange, an der eigentlichen nen des Kopftörlgrats, doch Wandhöhe mit Ostschlucht hinweg zum Pflichtprogramm Hans Fiechtl zu, dem „Onkel Fickel“, dem Nordwestwand, deren ist dort die Orientierung ein- knapp 700 m, 4,5–5 Std.

Foto: Ludwig Mallaun Foto: alpiner „Genusskletterer“. am Einstieg der Predigtstuhl-Nordgipfel-

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eins vertritt. Kritik übt er an der Komplett- Oberland) favorisierte Personenseilbahn- Sanierung der Christa-Turm-Südostkante.Es Lösung (Ausbau der jetzigen Materialbahn seien an zwei neuralgischen Punkten die auf beschränkte Personen-Beförderung) schlechten Normalhaken stecken gelassen scheint die vernünftigere, weil sanftere, die worden. „Dadurch ist ein Unfall vorpro- Umwelt schonendere Lösung zu sein. Zu grammiert. Der alte Schrott hält keinen gerne würde ich mich der Alpenvereins- Zwei-Meter-Sturz aus“. Dies befürchtet Meinung anschließen – ich habe es in der Schubert unter anderen für die Ostler-Route Vergangenheit schon getan –,wenn da nicht der Scheffauer-Nordwand.Ich kenne sie von leise Zweifel zu nagen begännen:Wie bringt etlichen Begehungen her und bin der Auf- man einen schwer kranken Menschen im fassung,dass man sie auch konventionell or- Winter bei 20 Grad Kälte mit der Kleinseil- dentlich absichern kann. „Die meisten, die bahn zu Tal? Wie verhindert man Bedie- diese leichten Touren gehen, können das nungsfehler der Schulkinder? Andererseits: aber nicht“, sagt Schubert. Ein schlüssiges Wie ließe sich ein Missbrauch der Anrainer- Argument pro Routensanierung. Wie geht Zufahrt verhindern? Jede Medaille hat halt sie im Kaiser vonstatten? „Sehr zäh“, so zwei Seiten.Das trifft für die Straßenverbin- Schubert,„aber das kann auch eine Zeit- und dung Inntal- ebenso zu wie für die Kostenfrage sein.“ Wenigstens Standhaken Routensanierung im Wilden Kaiser. sollten in den häufig gekletterten Touren ge- Der Hintere Kaiserhof mit dem setzt werden, „dann wäre schon etwas ge- Wahrzeichen des Kaisertals, der schehen“. So wie in der nunmehr mit fixen himmelstürmenden Nordwestwand Horst Höfler ist als erfolgreicher Autor Standhaken ausgestatteten „Dülfer“ an der der Kleinen Halt. vieler Bergbücher bekannt. Totenkirchl-Westwand. Kronthaler, der mit Nach Süden hin dominiert eine imposante ches heutzutage die schwierigste Kaiser- hinter dieser Aktion gestanden hatte, wand- Höhenwege & Klettersteige Reihe von Kalkzinnen das Gebiet der route wäre, wenn sich die Spitzenkletterer- te ein, dass „der Druck hierfür von außen, Ackerlhütte: von links, Regalmspitze, Szene nach den Idealen des Paul Preuß ori- insbesondere von den deutschen Kletterern Sonnkaiser-Höhenweg dort über die östliche Kaiser- zigen Gipfel der Ellmauer Hochgrubachspitze, und die entiert hätte. Die Buhl-Route an der Mauk- gekommen sei“. Und dass man deshalb et- (Vorderkaiserfeldenhütte – hochalm, den Gscheuerkopf Halt. Maukspitze mit ihrem berühmt-berüchtigten, spitze-Westwand – Hermann Buhls Original- was unternehmen musste,wollte man nicht Stripsenjoch) und die Lourdes-Grotte zur

Foto: Ludwig Maullan Foto: Ellmauer Halt, Von Kufstein-Sparchen über Straße zwischen Gasteig und erstmals von Hermann Buhl durchkletterten Querung wurde bis heute nicht wiederholt! der „wilden Saniererei“ Vorschub leisten. „Kaiserschützensteig“ die Rietzaualm zur Vorder- St. Johann. 2-Tages-Tour. Kamin. – gäbe es.Die „Pumprisse“,„clean“ (nur mit Denn mancher Standhaken im Kaiser, das Von Hinterbärenbad (Anton- kaiserfeldenhütte (1388 m) Klemmkeilen abgesichert) erstdurchstie- steht fest, ist ohne Absprache mit dem Ar- Ellmauer Halt, 2344 m, Karg-Haus, 829 m) oder von und dem AV-Weg Nr. 811 gen, selbstverständlich auch. „Des Kaisers beitskreis gesetzt worden. Und die Neutou- „Gamsängersteig“ der Kaisertalhütte (Hans- folgend an der Südseite des neue Kleider“ gäbe es nicht. Als ich ren-Erschließer bohren sowieso hemmungs- Südseitige Normalroute auf Berger-Haus, 998 m) in den Zahmen Kaisers entlang zur Ein Paradebild im Zentrum des Wilden Schorsch Kronthaler fragte, ob er von den los ein. den höchsten Kaisergipfel. Oberen Scharlinger Boden, Hochalm. Weiter über den Kaisers bieten die Südostabstürze Gerüchten, dass man an einen Klettersteig Von der Wochenbrunner wo der gut markierte, an Feldalmsattel und das Joch von Christaturm und Fleischbank, an an der Westseite der Fleischbank denke, Was kommt im Kaisertal? Alm (1087 m) über die steilen und ausgesetzten zwischen Stripsen- und deren Südostwand 1924 der Sachse Fritz gehört habe, erwiderte er mit Schalk in der Befremden beschleicht mich beim Anblick Gruttenhütte ins Kar Hoch- Passagen hervorragend (nur Oberem Häuslkopf zum Wiessner eine der ersten a.f.-Erst- Stimme: „An der Fleischbank gibt es nur ei- des bis vor kurzem noch schönsten Bauern- grubach und dem Bänder- mit Drahtseilen) gesicherte (1577 m), begehungen des sechsten Grades in nen Klettersteig.“ Er meinte jene zweifellos hofes im Kaisertal – des Hinteren Kaiser- system der „Gamsänger“ Klettersteig beginnt. Er folgt über das Hans-Berger- und Foto: Horst Höfler Foto: den Alpen vorlegte. großartige Linie des Stefan Glowacz im obe- hofes.Angesichts der Größe und der Häss- unterhalb der Leuchs-Turm- der früher üblichen Route das Anton-Karg-Haus hinun- ren zehnten Schwierigkeitsgrad – die schwie- lichkeit des „Ausbaus“ stellt sich die Frage, Südwand durch folgend zur der Haltstock-Überschrei- ter ins Kaisertal und an den rigste Route im Wilden Kaiser –, an der die ob man da an einen Heu- oder auch an einen „Jägerwand“ mit ihren über- tung, wobei die Gipfel der Talhöfen vorbei zurück nach Hakenabstände offenbar so beschaffen sind, Tanzboden gedacht hat. Vorboten der Un- dimensionalen „Büroklam- Kleinen Halt (2119 m) und Kufstein-Sparchen. dass Kronthaler sich – im Bewusstsein des- bill, die viele befürchten, wenn erst einmal mern“. Weiter an steilem, der Gamshalt (2292 m) 1,5 Tage-Tour. sen, die Route in freier Kletterei nicht be- die Anrainer-Zufahrt aus dem Inntal herauf „abgespecktem“ Fels (eine „mitgenommen“ werden wältigen zu können – mit allen Finessen realisiert ist? Denn dass diese kommt,wenn Wilder-Kaiser-Steig luftige, gut gesicherte Ver- können. (Schürhaken!) artifiziell hinaufzutricksen die alte Schwaighoferin vom Pfandlhof – die Von Kufstein über die Waller- schneidung ist die anspruchs- vermochte. hochbetagte, vermutlich letzte Gegnerin zur westlichen Kaiserhoch- vollste Stelle) zum Baben- Der eigenwillige Kronthaler ist aber auch der Zufahrtspläne – nicht mehr lebt,scheint alm und dem Gruttenweg stuber-Hüttl und über glatte, Die Passage der Jägerwand Mitglied im „Arbeitskreis Wilder Kaiser“,der so sicher zu sein wie das Amen in der folgend zur Gruttenhütte gesicherte Platten zum win- am Gamsänger-Klettersteig. sich um eine behutsame Routensanierung Kirche. (1620 m). Weiter über den bemüht. Trotz aller selbst auferlegten Ein- Man muss die Argumente pro Zufahrt „Jubiläumssteig“ ins Kübel- schränkungen wurden von Gegnern Klebe- ernst nehmen. Die Bauern bleiben nicht kar und dieses querend haken abgesägt (Zettenkaiser-Ostwand), mehr im Tal. Sie müssen hinaus zur Arbeit, hinüber in den Ostteil des und innerhalb des Arbeitskreises existieren das Auf- und Absteigen über die Sparchen- Wilden Kaisers. Nördlich – wie könnte es anders sein – unterschied- Stiege frisst wertvolle Zeit. Das gilt in glei- des Baumgartenköpfls kurz liche Vorstellungen im Hinblick auf sinnvol- chem Maß für die Schulkinder.Und wenn je- dem „Gildensteig“ folgend, le Sanierungen. „Das müsste halt der Heinz mand plötzlich lebensbedrohlich erkrankt, dann in Ostrichtung unter- Zak machen, so wie an der Schüsselkar- erweist sich die Sparchen-Barriere als fatal. halb der Hochgrubachspitzen spitze“ meint Pit Schubert, der im Arbeits- Da muss dann der Hubschrauber her. Die vorüber zur Ackerlhütte. Von

kreis die Position des Deutschen Alpenver- von den Alpenvereinen (OeAV,DAV-Sektion Horst Höfler Fotos:

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Neue Kaiser-Kletterführer

tung (leider nicht ganz konsequent), die Klettergärten der Region sowie verschie- dene Baseclimbs, vor allem aber die große Zahl der neuen Sportkletterrouten einschließlich der dazugehörenden Topos. Allerdings verrät schon das Titelbild eine leicht übersteilte Optik.Während es bei vielen modernen Sportkletterrouten oft sicherheitsverheißend „eingebohrt“ lautet, wobei die Gewährsleute oft nur

Foto: Archiv DAV Archiv Foto: die Erstbegeher sind, werden die klassi- schen Routen zum Teil als „freigestürzt“ vorgestellt, was bedeutet, dass sie mögli- cherweise gegenüber der Erstbegehung wesentlich schwerer geworden sind. Das handliche Taschenbuch beschreibt gewohnt zuverlässig und wohltuend distanziert einen Routenzustand, der Klettern über sich naturgemäß rasch ändern kann und der Ackerlhütte daher einige Erfahrung in Planung und Der zum 75-jährigen Jubiläum der Edel- Durchführung voraussetzt.Wer den Foto: Kremling Foto: weißgilde Kitzbühel erschienene Führer Zeitgeist sucht und hundertprozentige „Klettern über der Ackerlhütte“ von Adi Tipps für die Freizeit erwartet, sollte Stocker und Peter Brandstätter bringt besser die Rubriken der Bergmagazine 100100 JahreJahre GruttenhütteGruttenhütte neben einer Fülle von überwiegend durchforsten. Der „Kaiser“ ist ein extremen Routen auch einen interessan- Hochgebirge, in dem, so Pit Schubert, Die im Gegensatz zur Vorderkaiserfelden- südseitig orientierte Gastraum,geschmückt anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens. Am ten, kaum bekannten Abriss der Kaiser- zwar „heute auffallend weniger Kletterer hütte geradlinig-nüchtern wirkende Grut- mit hochinteressanten Schwarzweiß-Klet- 15.Juli 1900 wurde der Bau eingeweiht.Die Klettergeschichte. anzutreffen sind“ als früher,aber immer tenhütte steht samt ihren separaten „Schlaf- terfotos, viel Sonne abbekommt. ersten Wirtsleute waren Georg und Kathi Adi Stocker/Peter Brandstätter: Klettern noch genügend und sehr vielfältige häusern“ (das große heißt „Josef-Dorn-Haus“) Mit dem Urbau der Gruttenhütte, den Stöckl aus Ellmau. Viele Jahre lang bewirt- über der Ackerlhütte. Edelweißgilde Abenteuer. hho südseitig unterhalb des Kopftörlgrats der Karl Babenstuber angeregt hatte und von schaftete der Scheffauer Bergführer Hans Kitzbühel, Kitzbühel 2000. 92 Seiten, Pit Schubert,Alpenvereinsführer: Ellmauer Halt auf einem prächtigen Platz. dem heutzutage aufgrund großzügiger Um- Eisenmann – er hatte etliche am Kopftörl- zahlreiche Fotos und Topos. Kaisergebirge extrem. Das Innere des Schutzhauses erscheint ge- bauten praktisch nichts mehr übrig ist, be- grat in Bergnot geratene Kletterer gerettet – Für DM 29,80 zu beziehen beim Bergverlag Rudolf Rother,München genüber der Holzausstattung auf Vorderkai- gannen die „Kranzler“ (heute Sektion Turner- mit seiner Frau Lina die Gruttenhütte. PANICO-Alpinverlag, Golterstraße 12, 12., vollständig neu bearbeitete serfelden etwas „kälter“, wenngleich der Alpen-Kränzchen München des DAV) 1899, Die Hütte, die von der Wochenbrunner 73257 Köngen,Tel.: 07024/8 27 80 Auflage 2000. DM 44,80 Alm (dorthin mit Kfz; Maut) in 1,5 Std. er- reicht werden kann, ist Stützpunkt für die Routen Richtung Kopftörlgrat (Kopftörl Kaisergebirge extrem 2058 m) und für die südseitigen Kletter- Die 12.Auflage des Alpenvereinsführers routen der Ellmauer Halt (2344 m,höchster „Kaisergebirge extrem“ von Pit Schubert Gipfel des Kaisergebirges) und des Leuchs- versammelt „alle Routen für Bergsteiger Turms (2275 m) ebenso wie für den Über- und Kletterer“ ab dem unteren III. gang über die Rote-Rinn-Scharte (2093 m) Schwierigkeitsgrad aufwärts zuzüglich zum Hans-Berger- (936 m) und zum Anton- der oft leichteren Normalwege. Karg-Haus (829 m).Dadurch lässt sich auch Trotzdem umfasst die Neuauflage ge- der beliebte „Kaiserschützensteig“ von der genüber Schuberts „Kaiserbibel“ Gruttenhütte aus unternehmen.Außerdem (10.Aufl., 680 Seiten) lediglich 400 ist sie die ideale Übernachtungsstation auf Seiten. Bei den meisten Routen ist die dem „Wilden-Kaiser-Steig“. seillängenweise Beschreibung durch Topos ersetzt, die, wie auch viele Hütteninfo Wandfotos, teilweise noch aus den frühe- ren Auflagen stammen. Hinzu gekommen Gruttenhütte (1620 m), Sektion Turner- sind in dem nach UIAA-Standard formu- Alpen-Kränzchen, von Pfingsten bis lierten Beschreibungskopf neben der Mitte Oktober bewirtschaftet, traditionellen A- eine Rotpunkt-Bewer- 50 Betten, 100 Lager, Winterraum. Tel.: 0043/(0)5358/22 42 (Hütte), 0043/(0)5358/81 41. 30 DAV Panorama Nr. 5/2000 Unterwegs IM WILDEN KAISER

ersuchen wir mit Franz Nieberl einmal rückwärts zu schauen. Welche ungeheure Erfahrungs- V fülle umspannt dieses Leben! Aus den Tagen der Reichsgründung über die Wil- helminische Epoche und zwei Weltkriege Hundegger Peter Foto: bis in das Atomzeitalter. Und im alpinen Nebenbereich vom wilden Gehen mit Al- penstange und Nagelschuhen über den klas- sischen Alpinismus der Führerlosen, dem kalten Krieg um die Verwendung künstli- cher Hilfsmittel beim Klettern bis zu den hemmungslosen Materialschlachten moder- ner Nordwandklettereien!“ So schrieb Fritz Schmitt anlässlich Nieberls neunzigstem Ge- burtstag,den dieser am 25.Februar 1965 bei erstaunlich guter Gesundheit feiern konnte. Am 18.August 1968 starb der “Kaiserpapst”. Franz Nieberl wurde und wird gerne als Kufsteiner angesehen und er fühlte sich mit der Zeit wohl auch als solcher. Dabei ist er in Würzburg geboren worden,doch zog die Familie bald nach München um. Dort und später in Augsburg ging Nieberl zur Schule. 1911/12 neben Tita Piaz in den von Paul Nach dem Abitur wusste er nicht so recht, Preuß entfachten „Mauerhakenstreit“ ein- was er werden wollte: Forstmann, Zoologe? getreten.Nieberl gab,nach einer ersten tem- „Weil’s rascher ging,wurde ich Zöllner.Nach peramentvollen schriftlichen Erwiderung – bestandener Diplomprüfung am Münchner „Herr Preuß mag ein Ideal anstreben, das Polytechnikum bat ich als Praktikant um glaube ich ihm gern, es ist aber ein kaltes, Zuweisung an ein Gebirgszollamt.“ starres,frostiges Ideal“ – während eines von Nieberl kam nach Reichenhall und über der Sektion Bayerland veranstalteten Dis- Touren in den Berchtesgadener Alpen zum kussionsabends am 31. Januar 1912 Preuß Bergsteigen.Nach dem Staatsexamen erhielt im großen und ganzen Recht und prägte er eine Anstellung in Kufstein.„Als ich mich den Schlusssatz,dass man in den Bergen „je- (...) als junges Mitglied der Zöllnergilde vor- den auf seine Fasson selig werden lassen sol- Foto: Archiv DAV Archiv Foto: stellte,wurde ich von einem langen,dürren, le“.(Dülfer,der sich an der vorhergehenden indianerfarbigen Amtsgenossen mit unend- Nach einem Sturz in der Nordwestwand Auseinandersetzung nicht beteiligt hatte, lich geringschätziger Miene gemustert. Als der Kleinen Halt hatte Nieberl dort „eine fasste die verschiedenen an diesem Abend Mann von Welt erschien ich damals in Frack, Rechnung offen“. getroffenen Aussagen ohne persönliche Wer- Foto: Archiv DAV Archiv Foto: weißer Binde und Lackschuhen, und ich tung zusammen.) Ein Beleg für Franz Nie- hörte beim Weggehen noch unter der Tür Daran änderte sich auch nichts,nachdem er berls Toleranz. Man sagte ihm Ironie und die höhnischen Worte: ‚Der hat hier noch zusammen mit Hans Dülfer, Klammer und Selbstironie nach und letztere mag ja auch Franz Nieberl – gefehlt! Der passt gut nach Kufstein!’“ Alfred Wolchowe als Neutour die Nordwand im Prädikat „Kaiserpapst“ stecken, das ihm Der unfreundliche Kollege war kein Ge- der Kleinen Halt geklettert hatte und noch – nach eigener Erzählung – auf dem Gipfel ringerer als der aus Traunstein stammende in den zwanziger Jahren als Seilzweiter mit des Totenkirchls zuteil geworden war: „Vor Josef Ostler.Er und Nieberl sollten sich bald Klammer den Dülfer-Weg an der Nordwest- uns saßen einige Münchner. Einer war un- sie nannten ihn anfreunden und anlässlich der fünften Durch- wand des gleichen Berges kennen lernen gemein neugierig und wollte sämtliche steigung der Marmolada-Südwand, die den durfte. Nieberl stürzte dort gar – kein Pro- Kletterwege,die er sah und auch solche,die beiden glückte, ließ Ostler seinen jüngeren blem, Klammer hielt –, doch hatte ihm die- er nicht sah, erklärt wissen. Eine Zeit lang „Schüler“ und Partner nicht nur die gesam- ser Zwischenfall die Tour vergällt. Der „Sta- stand ihm ein Kamerad Red und Antwort;als „Kaiserpapst“ te Tour voraussteigen, sondern bot ihm auf chel“ saß,wie Nieberl selbst bekannte, Jahre er sich aber auch noch in einen Aussichts- dem Gipfel das „Du“ an.Nieberls bevorzug- lang. tiger zu verwandeln begann, da brummte ter Seilpartner ist indessen der Kufsteiner Franz Nieberl,der leidenschaftliche West- der andere leicht verärgert:‚Was fragst denn Franz Nieberl (1875 bis 1968) zählte vor 100 Jahren Juwelier Josef Klammer geworden. Dieser alpengeher, Alpenvereinsmann, Jäger und alleweil mich? Da hinten sitzt der Papst des zur ersten Garnitur der Alpenkletterer. war zweifellos der bessere Kletterer der vielseitige Alpinschriftsteller, der schon Kaisergebirges; der weiß das besser als ich.’ Der passionierte Jäger und Bergsteiger verfasste Seilschaft, einer, der bereits vor Dülfer mit 1909 das Lehrbuch „Das Klettern im Fels“ – Und ich stieg herunter von der Höhe der mehrere Auflagen des Kaiserführers und das dem Seilquergang zu experimentieren be- Jahrzehnte lang ein Standardwerk – veröf- Tiara in die Niederung gewöhnlicher Sterb- Lehrbuch „Das Klettern im Fels“, welches gann, während Nieberl technischen Hilfs- fentlicht und 1956 den Kaiserführer von licher und beschrieb und erklärte, was ich jahrzehntelang als „Bibel des Bergsports“ galt. mitteln gegenüber immer skeptisch blieb. Georg Leuchs neu bearbeitet hatte, war wusste. hh

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