Gut Wohnen im Münsterland - eine Macher-Region mit enormem Potenzial -

Kreis

- bisherige Entwicklung und Szenarien zur künftigen Entwicklung -

beauftragt von der Wohnraumoffensive Münsterland

erstellt vom

Hannover, Mai 2019

Über die „Wohnraumoffensive Münsterland“

Die „Wohnraumoffensive Münsterland“ vertritt die Wohnungsmarktregion Münster- land mit den Kreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt, Warendorf sowie der Stadt Müns- ter. Das Marktgebiet umfasst 66 Kommunen mit rund 1,6 Millionen Einwohnern und repräsentiert von der Einwohnerzahl her einen Markt der Größe Kölns.

Auftraggeber der Studie:

▪ WohnBau Unternehmensgruppe ▪ Sparkasse Westmünsterland ▪ Kreissparkasse Steinfurt

Sponsoren der Studie:

▪ Arbeitsgemeinschaft der Wohnungsunternehmen im Münsterland ▪ Bocholter Energie- und Wasserversorgung GmbH ▪ EMERGY Führungs- und Servicegesellschaft mbH ▪ LBS Westdeutsche Landesbausparkasse ▪ NRW.BANK ▪ Stadtsparkassen Bocholt, Lengerich und ▪ Stadtwerke Steinfurt GmbH ▪ VerbundSparkasse - ▪ Westfälische Provinzial Versicherung Aktiengesellschaft

Koordination: WohnBau Unternehmensgruppe Stephan Riedel Im Piepershagen 29 46325 Borken Tel.: (0 28 61) 9 09 92 - 66 Fax: (0 28 61) 9 09 92 - 22 [email protected] www.wohnbau-wml.de ______Erstellt vom: ISP Eduard Pestel Institut für Systemforschung e. V. Dipl.-Soz.wirt. Jonas Abraham Dipl.-Ök. Matthias Günther M.Sc. Benedict Schmidtmann Gretchenstr. 7, 30161 Hannover Telefon (0511) 99 0 94-0, Telefax (0511) 99 0 94-30 E-Mail: [email protected] Internet: www.pestel-institut.de

II

INHALT

Tabellenverzeichnis IV Abbildungsverzeichnis V

Seite Vorwort VII

1 Einführung in das Thema, Aufbau der Untersuchung, Zensus 2011 1 1.1 Einführung in das Thema und Aufbau der Untersuchung 1 1.2 Der Zensus 2011 2

2 Wohnungsversorgung in Deutschland und Nordrhein-Westfalen 4 2.1 Eigentümer des Wohnungsbestandes 4 2.2 Struktur des Wohnungsbestandes 5 2.3 Einflussfaktoren auf die Wohnungsversorgung 7 2.4 Bevölkerungsentwicklung 8 2.5 Wohnungsbau und Wohnungsbestand 11 2.6 Wohnungsmarktsituation 13

3 Die Entwicklung im Kreis Steinfurt bis zum Jahr 2017 14 3.1 Vorbemerkung 14 3.2 Beschäftigung 16 3.3 Bevölkerung 19 3.3.1 Bevölkerungsentwicklung insgesamt 19 3.3.2 Wanderungsbewegungen 22 3.3.3 Altersstruktur 25 3.4 Bautätigkeit und Wohnungsbestand 27 3.4.1 Wohnungsneubau 27 3.4.2 Wohnungsbestand 28 3.4.3 Geförderter Wohnungsbestand 30 3.4.4 Kauf- und Mietpreisentwicklung 32 3.5 Private Haushalte und Wohnungsmarktsituation 34 3.6 Haushalte mit niedrigen Einkommen im Kreis Steinfurt 35 3.7 Spezielle Bedarfe 38 3.7.1 Wohnsituation der Altersgruppe 65plus 38 3.7.2 Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention 39 3.8 Fazit der bisherigen Entwicklung im Kreis Steinfurt 39

4 Projektion der Entwicklung 41 4.1 Zukunftsbetrachtungen 41 4.2 Wohnungsbedarf und Wohnungsnachfrage 42 4.3 Ausgangslage der Modellrechnungen für den Kreis Steinfurt 44 4.4 Szenarien der Bevölkerungsentwicklung für den Kreis Steinfurt 45 4.5 Haushalts- und Wohnungsbedarfsentwicklung im Kreis Steinfurt 54 4.6 Welche Art von Wohnungen werden im Kreis Steinfurt benötigt? 57 4.6.1 Nachfragemöglichkeiten der Senioren 58 4.6.2 Nachfrage nach Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern 60

III

4.6.3 Wohneigentumsbildung im Kreis Steinfurt 63 4.6.4 Wohnungsgrößen 65 4.7 Investoren für den künftigen Wohnungsbau im Kreis Steinfurt 67

5 Fazit 69

Tabellenverzeichnis

Seite Tabelle 1: Wohnungen nach Eigentümern 5 Tabelle 2: Wohnungen nach Zahl der Räume und dem jeweiligen Anteil am Wohnungsbestand in Deutschland 2016 5 Tabelle 3: Veränderung der Einwohnerzahl in Deutschland von 2010 bis 2017 10 Tabelle 4: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Kreis Steinfurt von 1995 von bis 2017 17 Tabelle 5: Gesamtbevölkerung, Geburten, Sterbefälle und Wanderungssaldo von 1995 bis 2017 im Kreis Steinfurt 21 Tabelle 6: Preisgebunde Mietwohnungen, Mieterquote sowie der Anteil der preisgebundenen an allen Mietwohnungen im Kreis Steinfurt Ende 2017 31 Tabelle 7: Durchschnittswerte zu Preisen und Größen der Jahre 2014 bis 2017 für verkaufte freistehende Ein- und Zweifamilienhäuser in den Städten und Gemeinden des Kreises Steinfurt 32 Tabelle 8: Entwicklung der Angebotsmietpreise in Euro pro Quadratmeter Wohnfläche in den Gemeinden des Kreises Steinfurt 33 Tabelle 9: Entwicklung der Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhauswoh- nungen im Kreis Steinfurt von 1995 bis 2017 61 Tabelle 10: Entwicklung der Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhauswoh- nungen im Kreis Steinfurt in den Szenarien 62 Tabelle 11: Wohnfläche je Wohnung in neu errichteten Wohngebäuden nach dem Gebäudetyp von 2001 bis 2017 für Deutschland insgesamt und für das Bundesland Nordrhein-Westfalen 66

IV

Abbildungsverzeichnis

Seite Abbildung 1: Wohnungsbestand nach Baualtersklassen in Deutschland im Jahr 2011 6 Abbildung 2: Entwicklung der Einwohnerzahlen in den Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands von 1995 bis 2017 8 Abbildung 3: Entwicklung der Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter (am Arbeitsort) in den Kreisen und kreisfreien Städten Deutsch- lands vom 30.06.1995 bis zum 30.06.2017 9 Abbildung 4: Entwicklung der Einwohnerzahlen in den Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands von 2010 bis 2017 11 Abbildung 5: Entwicklung des Wohnungsbaus in Deutschland von 1990 bis 2017 12 Abbildung 6: Wohnungsbestandsentwicklung in Deutschland von 1995 bis 2017 13 Abbildung 7: Wohnungsmarktsituation in Deutschland Ende 2017 14 Abbildung 8: Abweichung der vom Zensus 2011 festgestellten Einwohnerzahl in den Kommunen des Kreises Steinfurt von der fortgeschriebe- nen Einwohnerzahl auf der Basis der Volkszählung 1987 15 Abbildung 9: Entwicklung der Beschäftigten (am Arbeitsort) im Münsterland von 1995 bis 2017 (jeweils 30.6.d.J.) 18 Abbildung 10: Beschäftigte (am Arbeitsort) nach Wirtschaftszweigen im Müns- terland und in Nordrhein-Westfalen am 31.12.2017 19 Abbildung 11: Bevölkerungsentwicklung im Kreis Steinfurt von 1978 bis 2017 20 Abbildung 12: Bevölkerungsentwicklung im Münsterland von 1995 bis 2017 22 Abbildung 13: Wanderungsaustausch des Kreises Steinfurt mit verschiedenen Regionen in der Summe der Jahre 1989 bis 2016 23 Abbildung 14: Wanderungssalden der Kommunen der Kreise Borken, Steinfurt, Steinfurt und Warendorf in der Summe der Jahre 1989 bis 2017 gegenüber der Stadt Münster 24 Abbildung 15: Wanderungssalden des Kreises Steinfurt gegenüber verschie- denen Regionen in vier Zeiträumen 25 Abbildung 16: Altersstruktur der Bevölkerung im Kreis Steinfurt 2017 im Ver- gleich zur Altersstruktur des Jahres 1995 26 Abbildung 17: Wanderungssalden des Kreises Steinfurt nach Altersgruppen von 1995 bis 2017 27 Abbildung 18: Bautätigkeit von 1978 bis 2017 im Kreis Steinfurt 28 Abbildung 19: Wohnungsbestand nach Baualtersklassen im Münsterland und im Land Nordrhein-Westfalen 2011 in v. H. 29 Abbildung 20: Entwicklung der verfügbaren Wohnfläche je Einwohner von 1990 bis 2017 im Münsterland und im Land Nordrhein-Westfalen 30 Abbildung 21: Entwicklung der Zahl privater Haushalte sowie der Zahl der Er- wachsenen und der Einwohner je Haushalt im Kreis Steinfurt 34 Abbildung 22: Empfänger von Mindestsicherungsleistungen im Kreis Steinfurt von 2007 bis 2017 36

V

Seite

Abbildung 23: Empfänger von Mindestsicherungsleistungen je 100 Einwohner in den Städten und Gemeinden im Kreis Steinfurt 2007 und 2017 37 Abbildung 24: Seniorenhaushalte nach Einkommensklassen im Jahr 2014 39 Abbildung 25: Wohnungsnachfrage, Wohnungsangebot und politische Eingriffe 43 Abbildung 26: Durchschnittliche Wanderungssalden der vergangenen vier Sie- ben-Jahreszeiträume sowie die Ansätze in den Szenarien für den Kreis Steinfurt 46 Abbildung 27: Entwicklung der Einwohnerzahl im Kreis Steinfurt in den vier Szenarien 47 Abbildung 28: Entwicklung der Altersgruppe „bis unter 3 Jahre“ im Kreis Stein- furt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 48 Abbildung 29: Entwicklung der Altersgruppe „3 bis unter 6 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 48 Abbildung 30: Entwicklung der Altersgruppe „6 bis unter 10 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 49 Abbildung 31: Entwicklung der Altersgruppe „10 bis unter 16 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 49 Abbildung 32: Entwicklung der Altersgruppe „16 bis unter 18“ im Kreis Stein- furt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 50 Abbildung 33: Entwicklung der Altersgruppe „18 bis unter 25 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 50 Abbildung 34: Entwicklung der Altersgruppe „25 bis unter 30 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 51 Abbildung 35: Entwicklung der Altersgruppe „30 bis unter 50 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 51 Abbildung 36: Entwicklung der Altersgruppe „50 bis unter 65 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 52 Abbildung 37: Entwicklung der Altersgruppe „65 und älter“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 52 Abbildung 38: Entwicklung der Altersgruppe „80 und älter“ im Kreis Steinfurt und in den Szenarien bis 2050 53 Abbildung 39: Entwicklung der Zahl privater Haushalte im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035 55 Abbildung 40: Wohnungsbedarf im Kreis Steinfurt von 2018 bis 2035 56 Abbildung 41: Wohnungsbedarf nach dem Alter (Altersstrukturen im Kreis Steinfurt in den Jahren 2017 und in den Szenarien A und C) 58 Abbildung 42: Erwerbsfähige, Erwerbspersonen und tendenziell „Grundsiche- rungsgefährdete“ in Deutschland 59 Abbildung 43: Wohnbaulandrichtwerte für die mittlere Lage in den einzelnen Kommunen im Kreis Steinfurt 2011 und 2017 65 Abbildung 44: Entwicklung der durchschnittlichen Wohnungsgröße bei ver- schiedenen Gebäudearten im Kreis Steinfurt seit 1987 67

VI

Vorwort

„Gut Wohnen im Münsterland – eine Macher-Region mit enormem Potenzial“ ______

Für gleichwertige Lebensverhältnisse in den Städten und Regionen

Wohnen ist ein elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn vom derzeitigen Mangel an Wohnraum die Rede ist, dann stehen vor allem die Großstädte im Fokus. Doch nicht alle Menschen zieht es in die Ballungs- räume: Wie die Bundesstiftung Baukultur herausgefunden hat, bevorzugt rund ein Drittel der Deutschen eine Mittel- oder Kleinstadt als Wohnort und 45 Prozent möch- ten in einer ländlichen Gemeinde leben.

Ganz gleich in welcher Region - um den Markt zu stabilisieren, muss mehr gebaut werden, und zwar im Miet- und ebenfalls im Eigentumssegment. Mehr Wohnraum schaffen, der für alle Menschen erschwinglich ist: Das ist auch ein Ziel der öffentli- chen Wohnraumförderung. Die Landesregierung legt hierfür jährlich ein Programm auf, aus dem günstige Darlehen mit Tilgungsnachlass vergeben werden. Diese För- derung haben wir im Jahr 2018 von 800 Millionen Euro auf 1,1 Milliarden Euro auf- gestockt und beschlossen, dass die erhöhte Summe bis 2022 jährlich zur Verfügung steht.

Diese insgesamt 5,5 Milliarden Euro setzen wir nicht nur für die Neuschaffung von Mietwohnungen ein, sondern auch für den Bau und den Erwerb von selbst genutz- tem Eigentum, für Wohnungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Und auch Modernisierungen im Bestand, wie der Abbau von Barrieren und die ener- getische Erneuerung, sind förderfähig.

Wohnungsneubau soll dort entstehen, wo er benötigt wird. Und das ist eben nicht nur in den Groß- und Universitätsstädten der Fall, sondern auch in wirtschaftlich starken ländlichen Regionen wie dem Münsterland.

Die vorliegende Studie zeigt eindrucksvoll, wie hier die exzellente Beschäftigungsla- ge mit einem spürbaren Bevölkerungswachstum einhergeht. Der Bedarf auf dem Wohnungsmarkt kann daher kaum noch aus dem Bestand gedeckt werden. Hinzu kommt, dass mit der steigenden Lebenserwartung auch die Nachfrage nach kleinen, barrierefreien Wohnungen steigt. VII

Das Münsterland ist die erste Region in Nordrhein-Westfalen, die das lokale Gefüge von Wohnungsangebot und –nachfrage in einer fundierten Marktanalyse sichtbar und transparent macht. Mit konkreten Aussagen für die Kommunen und ihre unterschied- lich stark betroffenen Teilmärkte steht nun im Münsterland ein wertvolles Steuerungs- instrument zur Verfügung. Ich bin sicher, dass die regionale Wohnungspolitik und die Unternehmen der Wohnungswirtschaft dieses Instrument nutzen und Neubau und Modernisierung bedarfsgerecht voranbringen werden.

Ina Scharrenbach

Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen

Fotohinweis: © MHKBG 2018 / F. Berger

VIII

Gut Wohnen im Münsterland - eine Macher-Region mit enormem Potenzial -

Kreis Steinfurt

1 Einführung in das Thema, Aufbau der Untersuchung, Zensus 2011

1.1 Einführung in das Thema und Aufbau der Untersuchung

Die neue Wohnungsnot, insbesondere in deutschen Groß- und Universitätsstädten, hat sich verfestigt und strahlt inzwischen, ausgehend von diesen Hotspots der Knappheit, ins jeweilige Umland aus. Von Seiten der Politik gab es sowohl von den aktuellen Regierungsparteien als auch von der Opposition stetige Appelle zu mehr Investitionen in den Wohnungsbau. Trotzdem führten die Veränderungen der ver- gangenen 20 Jahre zu den schlechtesten Rahmenbedingungen für den Wohnungs- bau in der Nachkriegsgeschichte. Zu den wesentlichen Beschlüssen und Vorhaben der aktuellen Regierung zählen

- die Einführung des Baukindergeldes rückwirkend zum 1.1.2018 bis Ende 2020, - die vorgesehene Einführung der Sonderabschreibung rückwirkend zum 1.8.2018 im frei finanzierten Mietwohnungsbau von jeweils 5 % zusätzlich zur linearen AfA von 2 % über vier Jahre bis Ende 2021 (bis zum Redaktions- schluss vom Bundesrat noch nicht bestätigt), - das Mietrechtsanpassungsgesetz – MietAnpG (u.a. mit der Absenkung und Kappung der Überwälzung von Modernisierungskosten auf die Mieter) und - die zur Fortsetzung des Engagements des Bundes für den sozialen Wohnungs- bau auch nach 2019 notwendige Grundgesetzänderung. Allerdings ist gegen- über dem aktuellen Stand eine Absenkung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau um 500 Mio. € auf eine Milliarde je Jahr ab 2020 vorgesehen.

Hervorzuheben ist, dass sowohl das Baukindergeld als auch die Sonderabschrei- bung im Mietwohnungsbau, die Absenkung der Modernisierungsumlage und die Si- cherung der (dann abgesenkten) Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau befris- tet sind bzw. werden. Befristungen „produzieren“ Vorzieh- und Aufstaueffekte und widersprechen sowohl den Erfordernissen einer langfristig orientierten Branche wie der Wohnungsvermietung als auch den Interessen von Baugewerbe und Baustoff- herstellung. Letztere favorisieren eher eine kontinuierliche und damit planbare Aus- lastung als eine kurzfristige Spitze mit anschließendem Einbruch. Wenn sich schon auf die Wohnungsnachfrage wirkende demografische Prozesse wie Wanderungen nicht prognostizieren lassen, so sollten doch die Rahmenbedingungen von Woh- nungsbau und Wohnungsbewirtschaftung eine langfristige Kontinuität aufweisen.

Eine Veränderung der aktuellen Regelabschreibung im Mietwohnungsbau in Höhe von 2 % linear ist nicht absehbar, nachdem der vom Finanzministerium in der letzten Legislaturperiode vorgelegte Gesetzentwurf bereits innerhalb der Bundesregierung 1 keine Zustimmung fand. Eine lineare Abschreibung in Höhe von 3 % wird aber be- reits seit Jahren als sachgerechte Abschreibung auch im Wohnungsbau gefordert, da sich das Verhältnis von Rohbau- und Ausbaukosten grundlegend verschoben hat1. Nicht zuletzt die gestiegenen Anforderungen an Energieeffizienz und Barrierearmut von neuen Wohngebäuden erhöhten in den letzten Jahren laufend den Aufwand für den Einbau von Haustechnik. Die technischen Einrichtungen weisen eine erheblich geringere Lebensdauer auf als der Rohbau, so dass heute von einer gemittelten Le- bensdauer von etwa 36 Jahren ausgegangen wird.

Die Signale an Bauwirtschaft und Baustoffhersteller sind katastrophal, da eine langfristig kalkulierbare Verbesserung der Rahmenbedingungen des Woh- nungsbaus nicht gegeben ist. Insbesondere beim aktuellen Kernproblem, dem Grundstücksmangel, ist keine schnell greifende Veränderung in Sicht.

Seit dem Frühjahr 2012 hat das Pestel Institut mit „Mietwohnungsbau in Deutsch- land“, „Sozialer Wohnungsbau“, „Wohnen 65plus“, „Mietwohnungsbau 2.0“, der im September 2015 veröffentlichten „Einschätzung des aktuellen und mittelfristigen Wohnungsbedarfs“, „Eigentumsbildung 2.0“ sowie „Wirkung der Wohneigentumsför- derung und mögliche Beiträge des Wohneigentums zur Alterssicherung“ sieben Un- tersuchungen im Auftrage eines wechselnden Bündnisses von Verbänden erstellt, die eine starke Resonanz in den Medien und der Politik fanden. Gerade durch die Regionalisierung der entsprechenden Daten auf der Ebene der Kreise und kreis- freien Städte Deutschlands stellen diese Studien auch Vorarbeiten für tiefer gehende Untersuchungen einzelner Regionen dar.

Die hier vorgelegte Untersuchung für den Kreis Steinfurt zeigt zunächst die bundes- weite Entwicklung in einer Art aktualisierter Zusammenfassung der genannten Stu- dien. Dies trägt dazu bei, dass der Leser die darauffolgenden Ausführungen zum Kreis Steinfurt im bundesrepublikanischen Kontext besser einordnen kann.

1.2 Der Zensus 2011

Der Zensus 2011 war als EU-weite Volks- und Wohnungszählung angelegt. Rechtlich wurde mit dem im Juli 2009 in Kraft getretenen Zensusgesetz die EG-Verordnung 763/2008 in nationales Recht umgesetzt. Die letzte Vollerhebung von Bevölkerung und Wohnungen fand in Westdeutschland 1987 statt. Regelmäßige Zählungen von Bevölkerung und Wohnungen sind vor allem aus zwei Gründen sinnvoll und notwen- dig:

1. Die regelmäßig durchgeführten Stichprobenerhebungen (Mikrozensus) benö- tigen für die Hochrechnungen auf die Länder- und Bundeszahlen eine verläss- liche Basis.

1 vgl. Walberg, D. u.a.: Optimierter Wohnungsbau - Untersuchung und Umsetzungsbetrachtung zum bautech- nisch und kostenoptimierten Mietwohnungsbau in Deutschland; Hrsg.: Herausgeber: Dietmar Walberg, Arbeits- gemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.; Kiel 2014 2

2. Die Ermittlung kleinräumiger Daten ist nur über Zählungen möglich, da die Stichprobenerhebungen selbst bei verlässlicher Basis keine kleinräumigen Aussagen zulassen.

Ausgehend von der jeweils letzten Zählung werden die Zahlen anschließend regel- mäßig (monatlich, jährlich) mit Zahlen laufender Datenerfassungen fortgeschrieben. Bei der Bevölkerung sind dies die Geburten und Sterbefälle sowie die Umzüge (Wanderungen) der Einwohner. Im Bereich der Wohnungen sind es teils genehmi- gungs- und abnahmepflichtige Baumaßnahmen, teils meldepflichtige Bauten und Baumaßnahmen.

Trotz aller Melde- und Anzeigepflichten schleichen sich im Zeitablauf wachsende Un- sicherheiten in die Fortschreibungen ein. Bei der Bevölkerungsfortschreibung dürfte eine erhebliche Fehlerquelle daraus resultieren, dass Menschen, die ihren Wohnsitz dauerhaft ins Ausland verlagern, nicht unbedingt an die Abmeldung am letzten Hauptwohnsitz in Deutschland denken. Eine weitere typische Fehlerquelle liegt in der über die Jahre wechselnden, meldetechnischen Behandlung von Asylbewerbern. Mit der Zuweisung in ein Asylbewerberheim wurden diese Personen überwiegend als Bevölkerung am Hauptwohnsitz des Standortes des Asylbewerberheims gezählt. Je- der Fortzug ins Ausland ohne Abmeldung und jeder Umzug in eine andere Gemein- de Deutschlands ohne Anmeldung dort führen dazu, dass die Menschen der jeweili- gen Erstaufnahmegemeinde statistisch erhalten bleiben. Bei der hohen Fluktuation in den Unterkünften reicht ein sehr kleiner Anteil „verschwindender“ Asylbewerber, um große statistische Fehler zu produzieren. Weitere Fehlerquellen, gerade in Universi- tätsstädten, können durch Auslandssemester einheimischer Studenten, aber auch durch ausländische Studenten, die sich nur kurzzeitig (aber mit erstem Wohnsitz ge- meldet) in der jeweiligen Stadt aufhalten und diese anschließend (ohne Abmeldung) wieder verlassen, entstehen. Beispiele hierfür sind etwa Flensburg, Göttingen, Aachen und Tübingen. Weitere Fehler können natürlich schlicht durch „menschliches Versagen“ entstehen. So hat z. B. der zuständige Mitarbeiter in der Verwaltung einer kreisfreien Stadt über mehrere Jahre die Zuzüge in die Stadt nur unvollständig an das Statistische Landesamt weitergemeldet. Insgesamt lässt sich festhalten, dass mit zunehmender Entfernung von der Zählung mit immer größeren Fortschrei- bungsfehlern zu rechnen ist.

Seit 1996 gilt für den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern in vielen Fällen mit der „Bauanzeige“ eine vereinfachte Form des Baugenehmigungsverfahrens. Allerdings war vor allem in den ersten Jahren nach der Einführung dieses Verfahrens die Hand- habung der Einforderung des „Statistik-Bogens“ höchst unterschiedlich. Im Ergebnis sank „statistisch“ die Zahl der fertig gestellten Eigenheime von 1995 auf 1996 um gut 23.000 Wohnungen. Da sich die Untererfassung auch in den Folgejahren fortsetzte, ist bundesweit von mehr als 100.000 nicht erfassten Eigenheimen auszugehen. Aber auch verspätete Meldungen, Nachmeldungen etc. könnten weitere Fortschreibungs- fehler nach sich gezogen haben.

3

Regelmäßige Zählungen sind somit zur Schaffung von Planungsgrundlagen erforderlich und der Abstand zwischen den beiden letzten Zählungen war eher zu groß als zu klein. Dass bei der Wohnungszählung lediglich das von der EU ge- forderte „Minimalprogramm“ erhoben wurde, ist unter wohnungspolitischen Gesichts- punkten nicht nachvollziehbar. Es hätten mit geringem Mehraufwand bei den Befrag- ten grundlegende Erkenntnisse zu Energieeffizienz und Barrierearmut gewonnen werden können, die auch der Förderpolitik von Bund und Ländern eine aktuelle Da- tenbasis gegeben hätte.

Auf die aktuelle Wohnungsmarktsituation haben die Zensusergebnisse selbstver- ständlich keine Auswirkungen! Die Differenzen zwischen Fortschreibung und Realität haben sich über Jahre hinweg aufgebaut. Es standen bundesweit nicht plötzlich 500.000 Wohnungen mehr zur Verfügung. Auch die 1,5 Mio. Menschen, die im Ver- gleich zur Fortschreibung weniger in Deutschland lebten, haben nicht am Anfang des Jahres 2011, also unmittelbar vor der Zählung, fluchtartig das Land verlassen. Die vielen kleinen Fehlerquellen haben die Differenzen langsam anwachsen lassen.

Dies gilt auch für den Kreis Steinfurt, wo der Zensus im Vergleich zu den auf der Basis der Zählungen des Jahres 1987 fortgeschriebenen Daten eine um 1,9 % geringere Einwohnerzahl und einen um 1,3 % höheren Wohnungsbe- stand ergab.

2 Wohnungsversorgung in Deutschland und Nordrhein-Westfalen

2.1 Eigentümer des Wohnungsbestandes

In der öffentlichen Diskussion ist oftmals von „der Wohnungswirtschaft“ die Rede. Dies vermittelt den Eindruck, als seien überwiegend Unternehmen als Anbieter der gut 40 Mio. Wohnungen in Deutschland aktiv und die privaten Haushalte entspre- chend als Nachfrager. Wie Tabelle 1 zeigt, bestätigen die realen Eigentumsverhält- nisse dieses Bild nicht.

Zwar zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, aber insgesamt entfallen lediglich knapp 6,6 Millionen Wohnungen, also etwa 16 % des Wohnungsbestandes, auf Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsunternehmen. Andere privaten Unternehmen, Bund und Länder sowie Organisationen ohne Er- werbszweck spielen mit zusammen 3,2 % des Wohnungsbestandes eine unterge- ordnete Rolle. Die übrigen vier Fünftel der Wohnungen befinden sich direkt oder über Wohnungseigentümergemeinschaften im Eigentum von privaten Haushalten. Von diesen insgesamt fast 33 Millionen Wohnungen werden gut 17 Millionen Wohnungen von den Eigentümern selbst bewohnt und die übrigen 16 Millionen Wohnungen sind vermietet bzw. ein sehr kleiner Teil steht auch leer. Auch beim Mietwohnungsbestand dominieren die privaten Haushalte mit mehr als zwei Dritteln das Angebot. Im Kreis Steinfurt dominieren Privatpersonen und Wohnungseigentümergemeinschaften noch weit stärker als im Bundesdurchschnitt und halten zusammen knapp 94 % des Woh- nungsbestandes. 4

Tabelle 1: Wohnungen nach Eigentümern

Westdeutschland Ostdeutschland Deutschland Kreis Steinfurt Eigentümer absolut in v.H. absolut in v.H. absolut in v.H. absolut in v.H. Wohnungseigentü- mer-gemeinschaften 7.590.812 23,9 1.365.622 15,5 8.956.434 22,1 31.643 17,0 Privatperson/-en 19.587.842 61,7 4.140.865 47,1 23.728.707 58,5 144.186 77,4 Wohnungsge- nossenschaften 1.064.630 3,4 1.021.826 11,6 2.086.456 5,1 3.552 1,9 Kommune oder kommunale Woh- nungs-unternehmen 1.162.649 3,7 1.131.595 12,9 2.294.244 5,7 771 0,4 privatwirtschaftliche Wohnungs- unternehmen 1.504.903 4,7 678.280 7,7 2.183.183 5,4 3.749 2,0 andere privatwirt- schaftliche Unter- nehmen 388.320 1,2 293.106 3,3 681.426 1,7 1.592 0,9 Bund oder Land 182.924 0,6 115.400 1,3 298.324 0,7 238 0,1 Organisationen ohne Erwerbszweck 264.080 0,8 52.463 0,6 316.543 0,8 644 0,3 Insgesamt 31.746.160 100 8.799.157 100 40.545.317 100 186.375 100 Quelle: Wohnungs- und Gebäudezählung 2011

Der zum Zensuszeitpunkt (Frühjahr 2011) bundesweit mit gut 1,8 Millionen Wohnungen (4,5 % des Bestandes) ausgewiesene Leerstand hat sich unter Be- rücksichtigung von Wohnungsbestands-, Bevölkerungs- und Haushaltsent- wicklung bis Ende 2017 stark verringert. Dabei sind die Leerstände in ländli- chen Räumen mit geringer wirtschaftlicher Dynamik teils sogar noch angestie- gen, während in vielen Städten Leerstände nahe Null gemeldet werden.

2.2 Struktur des Wohnungsbestandes

Die Anteile der verschiedenen Wohnungsgrößen am Wohnungsbestand zeigt Tabel- le 2. Die höchsten Anteile weisen Vierzimmerwohnungen auf. Der höhere Anteil an Einfamilienhäusern in Westdeutschland macht sich im Vergleich zu Ostdeutschland durch deutlich höhere Anteile bei den Wohnungen mit sechs und mehr Zimmern be- merkbar.

Tabelle 2: Wohnungen nach Zahl der Räume und dem jeweiligen Anteil am Wohnungsbestand in Deutschland 2016

Zahl der Räume Region 1 2 3 4 5 6 7 u. m. Westdeutschland 3,3 8,5 20,3 24,6 17,4 11,9 14,0 Ostdeutschland 3,2 11,7 27,1 28,6 15,5 7,9 6,1 Deutschland 3,3 9,2 21,8 25,4 17,0 11,0 12,3 Quelle: Statistisches Bundesamt; Datenbank Genesis

Nach wie vor ist eine deutlich ansteigende Tendenz bei der durchschnittlichen Woh- nungsgröße zu erkennen. Seit dem Jahr 2000 ist die durchschnittliche Wohnfläche 5 des Bestandes an Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden in Westdeutsch- land von 87,9 m² auf 95,3 m² pro Wohnung angestiegen, in Ostdeutschland von 71,2 m² auf 78,3 m² pro Wohnung. Die Wohnfläche je Einwohner stieg bundesweit von 39,5 m² auf 46,5 m².

Im Hinblick auf die energieverbrauchsbezogene Zielstellung der Politik ist die Verteilung des Wohnungsbestandes auf Baualtersklassen von hoher Bedeu- tung. Bei den bis 1978 errichteten Wohnungen kann davon ausgegangen wer- den, dass zum Zeitpunkt des Baus die energetische Optimierung der Gebäude keine Bedeutung hatte.

Wie Abbildung 1 zeigt, entfielen im Jahr 2011 sowohl in West- als auch in Ost- deutschland knapp drei Viertel der Wohnungen auf diese Baualtersklasse. Der Un- terschied zwischen den beiden Landesteilen liegt im erheblich höheren Anteil des bis 1948 errichteten Altbaus in Ostdeutschland und einem entsprechend höheren Anteil der Nachkriegsbauphase bis 1978 in Westdeutschland. Die beiden gezeigten älteren Baualtersklassen eint jedoch der im Vergleich zu den heutigen Anforderungen ur- sprünglich marginale energetische Standard. Wenn das Ziel eines „Nahe Null- Energie Wohnungsbestandes“ weiterhin angestrebt wird und die wärmetechnische Sanierung der Wohngebäude einen wesentlichen Beitrag leisten soll, dann ist eine erhebliche Steigerung der Sanierungsquote erforderlich. Bei aktuellen Sanierungs- quoten von 0,8 % bis 1,0 % je Jahr und einer erwarteten Lebensdauer der Sa- nierung von rund 30 Jahren wird eine vollständige energetische Sanierung nicht gelingen. Ohne eine Ausweitung der Förderung oder eine drastische Erhö- hung der Preise für fossile Energieträger ist das Erreichen der angestrebten Ziele unrealistisch.

Abbildung 1: Wohnungsbestand nach Baualtersklassen in Deutschland im Jahr 2011

Quelle: Statistisches Bundesamt, Zensus 2011 6

2.3 Einflussfaktoren auf die Wohnungsversorgung

Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Wohnraum war ein politisches Ziel höchster Priorität im Nachkriegsdeutschland. Heute wird die Notwendigkeit der staat- lichen Wohnungsversorgung in der Regel ausschließlich auf diejenigen bezogen, die selbst nicht in der Lage sind, ihr Grundbedürfnis „Wohnen“ am Markt zu befriedigen. Dies hat meist finanzielle Gründe, d. h. im Rahmen der Daseinsvorsorge müssen auch heute, trotz teils recht hohem Leerstand, private Haushalte vom Staat mit Wohnraum „versorgt“ werden.

Für den überwiegenden Teil der privaten Haushalte wird dagegen von marktwirt- schaftlichen Verhältnissen im Sinne eines Ausgleichs von Nachfrage und Angebot am Wohnungsmarkt über die Preisbildung ausgegangen. Steigt die Nachfrage lokal deutlich über das - kurzfristig meist kaum steigerungsfähige - Angebot, so werden Preiserhöhungen ausgelöst, die dann mittelfristig eine Angebotserhöhung auslösen sollen. Anhand dieser Ausführungen wird bereits deutlich, dass es „den deutschen Wohnungsmarkt“ nicht gibt. Es gibt viele lokale Teilmärkte, die sich wiederum in un- terschiedlichste Segmente aufspalten. So steht z.B. eine exklusive Penthousewoh- nung in Berlin-Mitte in keinerlei Konkurrenz zur Plattenbauwohnung im Gebäudetyp WBS70 in Berlin-Marzahn.

Im Bereich der staatlichen Wohnungsversorgung müssen das angestrebte Versor- gungsniveau (Fläche, Ausstattung) und Einkommensgrenzen definiert werden. An- schließend sind die wesentlichen Einflussfaktoren für das quantitative Ausmaß der zu versorgenden Haushalte zu bestimmen. Dabei sind insbesondere die Entwicklungen am Arbeitsmarkt und der Eintritt von Jahrgängen mit gebrochenen Arbeitsbiogra- phien in den Rentenbezug relevant.

Für die Entwicklung des übrigen Wohnungsmarktes sind als Einflussfaktoren selbst- verständlich die demographischen Faktoren ebenso zu berücksichtigen wie die Wohnvorstellungen der privaten Haushalte. Allerdings kommen diese Faktoren nur dann zum Tragen, wenn sie mit kaufkräftiger Nachfrage hinterlegt sind. Insofern ist dieser „Wohnungsmarkt jenseits der mit öffentlichen Mitteln zu versorgenden Haus- halte“ in hohem Maße von der Höhe der vor Ort erzielbaren Einkommen und der Ar- beitsmarktsituation abhängig. Hinzu kommen aber auch Veränderungen im Verhalten der Bevölkerung. So ist die früher von den Städten gefürchtete Stadt-Umland- Wanderung nahezu zum Erliegen gekommen. Angesichts erheblich gestiegener Mobilitätskosten und dem Erfordernis einer überregionalen Mobilität im Beruf hat das eigene Einfamilienhaus im Umland der Städte für junge Familien an Attraktivität verloren. Durch dieses Verbleiben in den Städten und den weiter- hin stetigen Zuzug junger Menschen wachsen gegenwärtig insbesondere die Universitätsstädte, während sich ländliche Bereiche mit geringem Arbeits- platzangebot weiter ausdünnen. Diese Verhaltensänderungen haben vielerorts bereits wieder eine neue Wohnungsknappheit aufkommen lassen. Die Ange- botsausweitung ist häufig mangels Flächen limitiert. Wie in einer Marktwirt-

7 schaft zu erwarten, steigen bei wachsender potenzieller Nachfrage die Preise, um einen Ausgleich mit dem begrenzten Angebot herbeizuführen.

Weitere gelegentlich genannte Einflussfaktoren auf die Wohnungsmärkte sind eher für die Attraktivität der Städte und damit gerade auch für die Zuzugsattraktivität ver- antwortlich. Zu nennen sind etwa Bildungs- und Kulturangebote, der Ausbaustand des öffentlichen Nahverkehrs, Einzelhandelsangebote, Freizeitangebote oder auch die Entfernung zum nächsten Flughafen.

2.4 Bevölkerungsentwicklung

Die vergangenen 20 Jahre sind geprägt von einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Bevölkerungsverteilung. Wie die Abbildungen 2 und 3 zeigen, werden Bevölke- rungszuwächse nur noch in Regionen realisiert, die Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Die Zensusergebnisse sind in Abbildung 2 berücksichtigt.

Abbildung 2: Entwicklung der Einwohnerzahlen in den Kreisen und kreis- freien Städten Deutschlands von 1995 bis 2017

LK Rostock

SK Hamburg

LK Prignitz

LK Emsland

Region Hannover SK Berlin

LK Steinfurt

LK Borken LK Hameln-Pyrmont LK Coesfeld LK Harz LK Warendorf

LK Göttingen

SK Leipzig SK Düsseldorf LK Kassel

SK Dresden

LK Fulda Bevölkerungsentwicklung von 1995 bis 2017 in v.H.

< -10 < -5 < 0 < 5 < 10 LK Roth >= 10

LK Ostalbkreis

LK Ortenaukreis LK Passau

SK München

LK Lörrach

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes (Bevölkerungsfort- schreibung und Zensus) 8

Abbildung 3: Entwicklung der Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter (am Arbeitsort) in den Kreisen und kreisfreien Städten Deutsch- lands vom 30.06.1995 bis zum 30.06.2017

LK Rostock

SK Hamburg

LK Prignitz

LK Emsland

Region Hannover SK Berlin

LK Steinfurt

LK Borken LK Hameln-Pyrmont LK Coesfeld LK Harz LK Warendorf

LK Göttingen

SK Leipzig SK Düsseldorf LK Kassel

SK Dresden

LK Fulda Beschäftigtenentwicklung von 1995 bis 2017 in v.H.

< -10 < 0 < 10 < 20 < 30 LK Roth >= 30

LK Ostalbkreis

LK Ortenaukreis LK Passau

SK München

LK Lörrach

Quelle: Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen

Dabei hat sich die gegenläufige Entwicklung insbesondere zwischen städtischen und ländlichen Regionen gerade in den vergangenen Jahren zusehends beschleunigt. Einen Eindruck dieser Entwicklung innerhalb Deutschlands gibt Tabelle 3, die die Entwicklung von 2010 bis 2017 wiedergibt. Die Kreise und kreisfreien Städte wurden entsprechend der Bevölkerungsentwicklung in fünf Gruppen (Quintile) aufgeteilt. In der Gruppe der 80 Kreise und kreisfreien Städte mit den relativ stärksten Einwohner- verlusten (1. Quintil) reicht die Spanne von -7,9 % bis -1,4 %, wobei diese Gruppe nur vier kreisfreie Städte enthält.

9

Tabelle 3: Veränderung der Einwohnerzahl in Deutschland von 2010 bis 2017

Siedlungs- Einwohnerzahl Veränderung dichte 2017 Quintil 2010 2017 absolut in v.H. Einwohner/km² 1. 11.305.781 10.832.364 -473.417 -4,2 103 2. 13.656.220 13.648.297 -7.923 -0,1 179 3. 16.115.546 16.471.723 356.177 2,2 251 4. 16.840.422 17.563.471 723.049 4,3 249 5. 22.476.432 24.276.495 1.800.063 8,0 601 Summe 80.394.401 82.792.350 2.397.949 3,0 232 Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen

In der Gruppe mit der stärksten Entwicklung (5. Quintil) sind 42 kreisfreie Städte ent- halten. Die Zunahme der Einwohnerzahl reicht von 5,4 % bis 13,8 %. Ein Blick auf die Siedlungsdichte bestätigt die stärkere Einwohnerentwicklung in den städtischen bzw. verstädterten Gebieten hoher Einwohnerdichte.

Insgesamt bestätigt die Auswertung der jüngeren Vergangenheit seit 2010 die Ver- änderung des Wanderungsverhaltens. Eine deutlich positive Bevölkerungsbilanz weisen viele kreisfreie Städte sowie die wirtschaftlich attraktiven, d.h. Arbeits- plätze bietenden, Regionen Süddeutschlands, das Rhein-Main-Gebiet und der Raum Düsseldorf-Köln-Bonn auf. Weiterhin ist eine starke Entwicklungsachse vom Münsterland - also einschließlich der Kreise Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf - über weite Teile des ehemaligen Bezirks Weser-Ems in Nie- dersachsen bis Hamburg zu erkennen und der Großraum Berlin gehört eben- falls zu den Räumen positiver Bevölkerungsentwicklung (vgl. Abbildung 4).

10

Abbildung 4: Entwicklung der Einwohnerzahlen in den Kreisen und kreis- freien Städten Deutschlands von 2010 bis 2017

LK Rostock

SK Hamburg

LK Prignitz

LK Emsland

Region Hannover SK Berlin

LK Steinfurt

LK Borken LK Hameln-Pyrmont LK Coesfeld LK Harz LK Warendorf

LK Göttingen

SK Leipzig SK Düsseldorf LK Kassel

SK Dresden

LK Fulda Bevölkerungsentwicklung von 2010 bis 2017 in v.H.

< -6 < -3 < 0 < 3 < 6 LK Roth >= 6

LK Ostalbkreis

LK Ortenaukreis LK Passau

SK München

LK Lörrach

Quelle: eigene Berechnungen auf der Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes (Bevölkerungs- fortschreibung und Zensus)

2.5 Wohnungsbau und Wohnungsbestand

Insbesondere Westdeutschland musste nach dem Zuwanderungsschub um 1990 (Grenzöffnung in Osteuropa, Wiedervereinigung Deutschlands, hohes Zuwande- rungsniveau an Asylbewerbern) den Wohnungsbau erheblich steigern. Im Jahre 1995 wurden erstmals nach dem Bauboom 1972/73 (auch als Flucht ins „Be- tongold“ bekannt) wieder mehr als 600.000 Wohnungen gebaut. Anschließend ging die Bautätigkeit bis 2009 um fast 75 % zurück. Den Wohnungsbau nach der Gebäudeart zeigt Abbildung 5. Die regionalen Differenzen in der Wohnungsbe- standsentwicklung sind in Abbildung 6 dargestellt.

11

Abbildung 5: Entwicklung des Wohnungsbaus in Deutschland von 1990 bis 2017

1.000 Wohnungen 650

600 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern 550 Geschosswohnungen 500 Sonstige Wohnungen

450

400

350

300

250

200

150

100

50

0 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Quelle: Statistisches Bundesamt

Der Rückgang des Wohnungsbaus konzentrierte sich auf den Geschosswohnungs- bau sowie auf Maßnahmen an bestehenden Gebäuden. D.h., obwohl die höchste Dynamik der Bevölkerungsentwicklung in Städten bzw. dem hoch verdichteten Um- land der großen Städte festzustellen ist, ging gerade der in diesen Gebieten vorherr- schende Geschosswohnungsbau am stärksten zurück. Aber auch der Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern ist gegenüber der zweiten Hälfte der 1990-er-Jahre um et- wa die Hälfte gesunken. Hier macht sich auch die demographische Entwicklung be- merkbar: Durchliefen die geburtenstarken Jahrgänge in den 1990-er-Jahren die Pha- se der höchsten Nachfrage nach dieser Gebäudeart (30 bis etwa 45 Jahre), so ist diese Altersgruppe heute rund 25 % schwächer. Zudem werden immer mehr Be- standsgebäude angeboten, da Jahrgänge mit einem sehr hohen Anteil an Wohnei- gentum im Bereich Ein- und Zweifamilienhaus die Phase der Haushaltsauflösung erreichen.

Dies wird in Abbildung 6 bestätigt. Auch Regionen mit teils bereits deutlich abneh- mender Bevölkerung wiesen noch Zuwächse beim Wohnungsbestand auf. Trotz der insgesamt für die vergangenen 22 Jahre feststellbaren Singularisierung2 deuten schon die regionalen Entwicklungen von Bevölkerung und Wohnungsbau auf wach- sende Leerstände in ländlichen Räumen mit schwacher wirtschaftlicher Entwicklung bei gleichzeitigen Wohnungsverknappungen in städtischen Regionen und dort vor allem in Großstädten hin.

2 Abnahme der durchschnittlichen Haushaltsgröße. Gründe: sinkende Kinderzahlen; Ausweitung des Alleinlebens (Single-Dasein) in allen Altersgruppen; Zunahme des Anteils älterer Menschen (mit durch den Tod des Partners und geringer Neubindung hohem Single-Anteil) an der Gesamtbevölkerung. 12

Abbildung 6: Wohnungsbestandsentwicklung in Deutschland von 1995 bis 2017

LK Rostock

SK Hamburg

LK Prignitz

LK Emsland

Region Hannover SK Berlin

LK Steinfurt

LK Borken LK Hameln-Pyrmont LK Coesfeld LK Harz LK Warendorf

LK Göttingen

SK Leipzig SK Düsseldorf LK Kassel

SK Dresden

LK Fulda Wohnungsbestandsentw. von 1995 bis 2017 in v.H.

< 0 < 8 < 16 < 24 < 32 LK Roth >= 32

LK Ostalbkreis

LK Ortenaukreis LK Passau

SK München

LK Lörrach

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen

2.6 Wohnungsmarktsituation

Im Ergebnis ist in Abbildung 7 die Wohnungsmarktsituation Ende 2017 in den Krei- sen und kreisfreien Städten ausgewiesen. Obwohl in vielen Kreisen nach wie vor mehr oder weniger große Wohnungsüberhänge festzustellen sind, zeigen sich vor allem in den Großstädten und den daran angrenzenden Kreisen Wohnungsdefizite, die in den letzten vier Jahren stetig weiter angewachsen sind. Auch wenn der Woh- nungsbau leicht gesteigert werden konnte, so reichte dies keinesfalls aus, um die bereits aufgelaufene Mangelsituation abzubauen und auch nur ansatzweise die sich gerade auf die Städte konzentrierende Nettozuwanderung von 2 Mio. Personen in der Summe der Jahre 2015 bis 2017 wohnungsseitig zu verarbeiten.

13

Abbildung 7: Wohnungsmarktsituation in Deutschland Ende 2017

LK Rostock

SK Hamburg

LK Prignitz

LK Emsland

Region Hannover SK Berlin

LK Harz

Göttingen

SK Leipzig SK Düsseldorf LK Kassel

SK Dresden

LK Fulda Wohnungsmarktsituation Ende 2017

starkes Defizt Defizit ausgeglichen Überhang starker Überhang LK Roth

LK Ostalbkreis

LK Ortenaukreis LK Passau

SK München

LK Lörrach

Quelle: Eigene Berechnungen

3 Die Entwicklung im Kreis Steinfurt bis zum Jahr 2017

3.1 Vorbemerkung

Es stehen die auf der Basis des Zensus 2011 fortgeschriebenen Daten bis zum Jahr 2017 zur Verfügung. Allerdings liegt keine Rückrechnung vor (eine solche Rückrech- nung bis zum Zeitpunkt der vorherigen Volkszählung wird auch nicht erfolgen). Die im Zensus ermittelte Einwohnerzahl lag im Kreis Steinfurt knapp 8.500 Personen bzw. 1,9 % unter dem Fortschreibungswert. Die Abweichung entsprach dem bun- desweiten Durchschnitt. Das deutsche Melderecht lässt bei Umzügen innerhalb des Landes oder legalen Zuzügen aus dem Ausland kaum Erfassungslücken erkennen; bei als dauerhaft geplanten Fortzügen ins Ausland genießt die Abmeldung am Woh- nort aber offensichtlich keine hohe Priorität bei den Auswanderern. Deshalb sind Groß- und Universitätsstädte mit ihrem in der Regel überdurchschnittlichen Wande-

14 rungsaustausch mit dem Ausland auch weit stärker von der „Zensusdifferenz“ betrof- fen als Mittelzentren und ländliche Regionen.

Die Abweichungen auf der Ebene der Städte und Gemeinden des Kreises Steinfurt zeigt Abbildung 8.

Abbildung 8: Abweichung der vom Zensus 2011 festgestellten Einwohnerzahl in den Kommunen des Kreises Steinfurt von der fortgeschrie- benen Einwohnerzahl auf der Basis der Volkszählung 1987

Altenberge Emsdetten Hörstel Ibbenbüren Lengerich Lienen Lotte Neuenkirchen Nordw alde Ochtrup Rheine Steinfurt Wettringen -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 v.H.

Quelle: Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW)

Die größten Abweichungen wiesen die Städte Rheine (-4,7 %) und Greven (-3,9 %) auf. Eine im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt ebenfalls größere negati- ve Abweichung zeigte sich in Mettingen, Ochtrup, Tecklenburg und Wettringen. Mit Hopsten, Horstmar, Laer, Lienen, Metelen und gab es sechs Kommunen im Kreis Steinfurt, die eine im Vergleich zur Fortschreibung höhere Einwohnerzahl aufwiesen.

Der Wohnungsbestand im Kreis lag gegenüber der auf der Gebäude- und Woh- nungszählung 1987 basierenden Fortschreibung um gut 2.300 Wohnungen bzw. 1,3 % höher. Das war im Münsterland nach dem Kreis Warendorf die zweitgeringste Abweichung. Ein wesentlicher Grund für die Abweichung ist in der Untererfassung des Neubaus von Ein- und Zweifamilienhäusern nach Einführung der Freistellungs- verordnung im Jahr 1996 zu sehen. Die Einforderung der Statistikbögen für geneh- migungsfreie Neubauten war regional sehr unterschiedlich und führte teilweise zu einer Untererfassung bis zu 70 % des Neubaus an Ein- und Zweifamilienhäusern. Im Kreis Steinfurt war dieser Fehler besonders schwach ausgeprägt.

15

Diese neuen Erkenntnisse zu Einwohnerzahl und Wohnungsbestand ändern aller- dings nichts an der realen lokalen Wohnungsmarktkonstellation in den Kommunen des Kreises Steinfurt. Die „mehr“ gezählten Wohnungen standen ja nicht plötzlich zur Verfügung und auch die Einwohnerdifferenz hat sich „schleichend“ über den gesam- ten Zeitraum von 1987 bis 2011 aufgebaut. Für die Analyse wurden vom Pestel Insti- tut die über den Zensus ermittelten Differenzen auf den gesamten Zeitraum von 1987 bis 2011 verteilt. Um ein möglichst aktuelles Bild der Situation aufzuzeigen, wurde bei den Städten und Gemeinden des Kreises zusätzlich die Zahl der „nicht in Woh- nungen“ untergebrachten Flüchtlinge jeweils zum Jahresende 2015 bis 2017 abge- fragt.

3.2 Beschäftigung

Als Grundlage für die Bevölkerungsmodellrechnungen muss als ökonomischer Pa- rameter die Arbeitsplatzentwicklung einbezogen werden, weil insbesondere für die großräumigen Wanderungsbewegungen die wirtschaftliche Entwicklung einer Region entscheidend ist, wie die Abbildungen 2 und 3 zeigten.

Zur Abbildung der Beschäftigungssituation werden nur die sozialversicherungspflich- tig Beschäftigten herangezogen. Die im Vergleich zur Betrachtung der Erwerbstäti- gen durch die Ausblendung insbesondere der Beamten und der Selbstständigen ent- stehende Unschärfe kann hingenommen werden, weil die sozialversicherungspflich- tig Beschäftigten nach wie vor den weitaus größten Anteil an den Erwerbstätigen stellen. Die Entwicklung der Beschäftigten im Kreis Steinfurt seit 1995 zeigt Tabel- le 4.

Seit 1995 hat die Zahl der Arbeitsplätze für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Kreis Steinfurt um 32,7 % zugenommen. Ähnlich verhält es sich mit der Zahl der Beschäftigten am Wohnort, deren Steigerung mit 32,3 % etwas geringer ausfiel. Die Zahl der Einpendler über die Kreisgrenze hat sich im Betrachtungszeitraum mehr als verdoppelt und stieg auf 37.400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Der relati- ve Anstieg der Auspendler über die Kreisgrenze war mit knapp 70 % zwar geringer, wegen des höheren Ausgangsniveaus aber absolut stärker. Der Auspendlerüber- schuss hat sich über den Gesamtzeitraum um 5.400 Beschäftigte bzw. knapp 30 % auf fast 23.600 Beschäftigte erhöht. Das Niveau des Auspendlerüberschusses ist seit 2009 stabil bei 23.000 bis 24.000 Beschäftigen, während die Zahl der Arbeitsplätze im Kreis in dieser Zeit weiter anstieg. Gut ein Drittel der Auspendler arbeitete im Jahr 2017 in Münster. Knapp 37 % der Auspendler arbeiteten in Niedersachsen, vor allem in der Stadt und dem Kreis Osnabrück. Im Kreis Borken arbeiteten gut 6 % der Aus- pendler. Die übrigen verteilen sich vor allem auf Städte und Gemeinden in Nordrhein- Westfalen. Als Fernpendler arbeiteten aber immerhin rund 3.200 Auspendler in ande- ren Bundesländern als Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Insgesamt zeigt sich der Kreis Steinfurt als attraktiver Wohn- und Arbeitsplatzstand- ort. Die Zahl der Arbeitsplätze für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nahm seit 1995 mit knapp 33 % mehr als doppelt so stark zu wie im Land Nordrhein-Westfalen

16 insgesamt (14,6 %). Die trotz dieses Arbeitszuwachses erfolgte Erhöhung des Aus- pendlerüberschusses zeigt zudem die hohe Attraktivität der Wohnstandorte im Kreis Steinfurt insbesondere im Vergleich zu den angrenzenden Arbeitsplatzzenten Müns- ter und Osnabrück.

Tabelle 4: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Kreis Steinfurt von 1995 bis 2017

Jahr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Erwerbs- am Arbeitsort Einpendler Auspendler Saldo am Wohnort fähige *) 1995 116.994 17.831 35.982 -18.151 135.145 263.600 1996 115.683 18.449 37.187 -18.738 134.421 265.137 1997 114.230 18.513 38.100 -19.587 133.817 266.475 1998 115.471 19.601 39.095 -19.494 134.965 267.583 1999 116.277 19.904 40.092 -20.188 136.465 268.063 2000 118.389 21.005 42.475 -21.470 139.859 268.060 2001 120.596 22.880 43.084 -20.204 140.800 267.961 2002 121.563 23.090 43.388 -20.298 141.861 268.108 2003 119.610 22.931 43.296 -20.365 139.975 267.703 2004 117.724 22.913 43.989 -21.076 138.800 266.859 2005 117.175 23.511 44.777 -21.266 138.441 266.816 2006 119.738 24.532 45.986 -21.454 141.192 266.483 2007 122.879 26.197 48.111 -21.914 144.793 267.393 2008 126.772 27.452 49.291 -21.839 148.611 267.673 2009 125.582 26.919 49.899 -22.980 148.562 267.841 2010 127.428 27.537 50.773 -23.236 150.664 269.403 2011 131.481 28.986 52.492 -23.506 154.987 268.157 2012 134.153 30.057 53.508 -23.451 157.604 269.384 2013 135.876 30.910 54.402 -23.492 159.368 270.195 2014 142.644 32.685 56.078 -23.393 166.037 272.063 2015 146.281 34.024 57.787 -23.763 170.044 276.867 2016 150.468 35.993 59.145 -23.152 173.620 276.850 2017 155.230 37.409 60.973 -23.564 178.794 277.890 Veränder. 38.236 19.578 24.991 -5.413 43.649 14.290 in v.H. 32,7 109,8 69,5 29,8 32,3 5,4 *) 18 bis Ruhestandsalter (Rente mit 67 eingerechnet) Quelle: Bundesagentur für Arbeit; IT.NRW; eigene Berechnungen

Die Entwicklung in den Städten und Gemeinden zeigt Abbildung 9. Die niedrigsten Beschäftigungsgewinne zeigten sich in der Gemeinde Lienen (3,8 %) und der Stadt Lengerich (4,9 %). In allen übrigen Kommunen stieg die Zahl der Beschäftigten um mindestens 12 %. In 20 der 24 kreisangehörigen Kommunen stieg die Beschäftigung stärker als der Landesdurchschnitt (14,6 %).

17

Abbildung 9: Entwicklung der Beschäftigten (am Arbeitsort) im Münsterland von 1995 bis 2017 (jeweils 30.6.d.J.)

Beschäftigtenentwicklung von 1995 bis 2017 in v.H.

< 0 < 15 Hopsten < 30 LK Steinfurt Recke < 45 Mettingen Westerkappeln < 60 Hörstel Lotte >= 60 Rheine Ibbenbüren Wettringen Neuenkirchen Tecklenburg Ochtrup

Gronau (Westf.) Saerbeck Metelen Emsdetten Lengerich Steinfurt Ladbergen Lienen Ahaus Heek HorstmarNordwalde Schöppingen Greven Vreden Legden Laer Stadtlohn Rosendahl Sassenberg LK Borken Billerbeck Havixbeck Telgte Südlohn Gescher SK Münster Warendorf Coesfeld Nottuln Velen Beelen Everswinkel Bocholt Borken Isselburg Dülmen Rhede Senden Sendenhorst Ennigerloh Heiden Reken Oelde Drensteinfurt Raesfeld Ascheberg Lüdinghausen Ahlen Beckum Nordkirchen Olfen Wadersloh LK Warendorf LK Coesfeld

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Neben der Entwicklung der Arbeitsplätze insgesamt ist auch deren Verteilung auf die verschiedenen Wirtschaftszweige von Bedeutung. Insbesondere eine Konzentration auf wenige Arbeitgeber einer Branche, wie es etwa an typischen Automobilstandor- ten der Fall ist, birgt immer ein hohes Risiko. Wenn eine solche zentrale Regions- branche vom Strukturwandel erfasst wird, kann dies gravierende Auswirkungen auf die weiteren Entwicklungschancen der Region haben. Entsprechende Arbeitsplatz- verluste etwa der Textilindustrie bis in die 1980-er-Jahre hinein betrafen auch das Münsterland und auch der Stellenabbau bei Kohle und Stahl reicht bis in die betrach- teten Kreise hinein. Die aktuelle Verteilung der sozialversicherungspflichtig Beschäf- tigten am Arbeitsort auf verschiedene Wirtschaftszweige zeigt Abbildung 10.

Die Wirtschaftsstruktur in den vier Kreisen des Münsterlandes weist zwar einen hö- heren Beschäftigtenanteil des - in der Regel als potenziell arbeitsplatzabbauend klassifizierten - verarbeitenden Gewerbes auf als Nordrhein-Westfalen insgesamt, zeigt aber darüber hinaus eine ausgewogene Verteilung der Arbeitsplätze auf die verschiedenen Wirtschaftszweige.

18

Abbildung 10: Beschäftigte (am Arbeitsort) nach Wirtschaftszweigen im Müns- terland und in Nordrhein-Westfalen am 31.12.2017

v.H. 100

90

80

70

60

50

40

30

20

10

0 Borken Coesfeld Steinfurt Warendorf Münster Nordrhein-Westfalen Verarbeitendes Gew erbe Baugew erbe Handel, Instandhaltung, Reparatur von Kfz Verkehr und Lagerei Immobilien, freiberufliche w issenschaftliche Öffentliche Verw altung, Verteidigung, und technische Dienstleistungen Sozialversicherung, Ext. Organisationen Erziehung und Unterricht Gesundheitsw esen Heime und Sozialw esen IT und Finanzdienstleistungen sonstige Bereiche

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

3.3 Bevölkerung

3.3.1 Bevölkerungsentwicklung insgesamt

Die Entwicklung der Gesamtbevölkerung (Personen mit Hauptwohnsitz) und deren Veränderungsparameter zeigen für den Kreis Steinfurt Abbildung 11 seit 1978 und Tabelle 5 seit 1995. In der langfristigen Entwicklung wies der Kreis nach einer Stag- nation in den 1980-er-Jahren starke Bevölkerungsgewinne auf. Einerseits lag die Zahl der Geburten kontinuierlich bis in das neue Jahrtausend über den Sterbefällen, andererseits wies der Kreis Steinfurt mit Ausnahme einer längeren Phase in den 1980-er-Jahren und der Zeit um das Jahr 2010 immer einen positiven Wanderungs- saldo auf. Seit 1995 stieg die Anzahl an Einwohnern um 8 % auf über 446.000 Per- sonen.

19

Abbildung 11: Bevölkerungsentwicklung im Kreis Steinfurt von 1978 bis 2017

Geburten, Sterbefälle, Einwohner Wanderungssaldo in 1.000 Personen in 1.000 Personen 8 450

7 440

6 430

5 420

4 410

3 400

2 390

1 380

0 Einwohner 370 Geburten -1 Sterbefälle 360 Wanderungssaldo -2 350 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Zu Beginn des Betrachtungszeitraums schlugen sich bundesweit bedeutende Ereig- nisse wie die Rückkehrprämie für „Gastarbeiter“ (von 1982 bis 1984 die stärkste Wir- kung) und die Grenzöffnungen wie in Osteuropa (ab 1988) in der Wanderungsbilanz des Kreises deutlich nieder. Auch die ab 1991 einsetzenden Flüchtlingsströme aus den jugoslawischen Bürgerkriegen waren in der Wanderungsbilanz spürbar. Dies galt dann ebenso für die Rückkehr von Bürgerkriegsflüchtlingen in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens (1996 und 1997), die eine Abschwächung der positiven Wanderungsbi- lanz zur Folge hatte. Diese auch bundesweit geltende Trend mündete dann um das Jahr 2010 in Wanderungsverlusten. Da sich parallel dazu der natürliche Saldo um- kehrte, verlor der Kreis in dieser Zeit fast 4.000 Einwohner. Anschließend waren dann wieder Wanderungsgewinne zu erkennen, die 2015 in der Spitze fast 7.000 Einwohner erreichten. Bis September 2018 (die letztverfügbare Zahl zum Redakti- onsschluss) stieg die Zahl der Einwohner weiter bis auf 447.600 Personen.

20

Tabelle 5: Gesamtbevölkerung, Geburten, Sterbefälle und Wanderungssaldo von 1995 bis 2017 im Kreis Steinfurt

Jahr Gesamtbe- Gebur- Sterbe- Natürlicher Wanderungs- völkerung ten fälle Saldo saldo 1995 413.477 - - - - 1996 417.965 5.027 3.734 1.293 3.195 1997 422.392 5.362 3.562 1.800 2.627 1998 425.346 5.034 3.707 1.327 1.627 1999 428.386 4.795 3.612 1.183 1.857 2000 430.362 4.788 3.828 960 1.016 2001 432.628 4.636 3.754 882 1.384 2002 434.845 4.344 3.854 490 1.727 2003 436.337 4.262 3.953 309 1.183 2004 437.006 4.107 4.082 25 644 2005 437.796 3.950 4.056 -106 896 2006 437.587 3.893 3.963 -70 -139 2007 437.833 3.811 3.866 -55 301 2008 436.840 3.845 4.083 -238 -755 2009 435.726 3.689 4.107 -418 -696 2010 435.070 3.721 4.236 -515 -141 2011 433.820 3.573 4.084 -511 -739 2012 434.170 3.646 4.208 -562 912 2013 434.481 3.607 4.262 -655 966 2014 437.127 3.841 4.101 -260 2.906 2015 443.374 3.901 4.509 -608 6.855 2016 444.409 4.387 4.534 -147 1.182 2017 446.565 4.417 4.628 -211 2.367 Veränder./ Summe 33.088 3.913 29.175 in v.H. 8,0 0,9 7,1 Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen

Auf der Ebene der Städte und Gemeinden zeigt Abbildung 12 die Bevölkerungsent- wicklung seit 1995. Die Gemeinden Altenberge, Saerbeck und Lotte wiesen für den Zeitraum Einwohnersteigerungen von mehr als 20 % auf. Mit der Stadt Tecklenburg und der Gemeinde Lienen wiesen nur zwei Kommunen einen Bevölkerungsrückgang auf, der zudem noch unter 1 % lag. Im Land Nordrhein-Westfalen insgesamt erhöhte sich die Einwohnerzahl seit 1995 lediglich um 0,7 %. Dies zeigt die hohe Bevölke- rungsdynamik im gesamten Münsterland.

21

Abbildung 12: Bevölkerungsentwicklung im Münsterland von 1995 bis 2017

Bevölkerungsentwicklung von 1995 bis 2017 in v.H.

< 0 < 5 Hopsten < 10 LK Steinfurt Recke < 15 Mettingen Westerkappeln < 20 Hörstel Lotte >= 20 Rheine Ibbenbüren Wettringen Neuenkirchen Tecklenburg Ochtrup

Gronau (Westf.) Saerbeck Metelen Emsdetten Lengerich Steinfurt Ladbergen Lienen Ahaus Heek HorstmarNordwalde Schöppingen Greven Vreden Legden Laer Altenberge Ostbevern Stadtlohn Rosendahl Sassenberg LK Borken Billerbeck Havixbeck Telgte Südlohn Gescher SK Münster Warendorf Coesfeld Nottuln Velen Everswinkel Beelen Bocholt Borken Isselburg Dülmen Rhede Senden Sendenhorst Ennigerloh Heiden Reken Oelde Drensteinfurt Raesfeld Ascheberg Lüdinghausen Ahlen Beckum Nordkirchen Olfen Wadersloh LK Warendorf LK Coesfeld

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

3.3.2 Wanderungsbewegungen

Bei den Wanderungsbewegungen erscheint eine tiefergehende Auseinandersetzung angebracht, um später plausible Szenarien für die künftige Entwicklung aufbauen zu können. Für Nordrhein-Westfalen standen seitens des Statistischen Landesamtes Daten zu den Wanderungsbeziehungen zwischen den Städten und Gemeinden von 1989 bis 2016 zur Verfügung, so dass Veränderungen im Zeitablauf herausgefiltert werden konnten. Neben den Wanderungsbewegungen zwischen Städten und Ge- meinden des Bundeslandes sind auch die Wanderungen gegenüber anderen Bun- desländern und dem Ausland ausgewiesen. Den Wanderungsaustausch zwischen dem Kreis Steinfurt und verschiedenen Regionen zeigt Abbildung 13 in der Summe der Jahre 1989 bis 2016.

Im betrachteten Zeitraum übertraf die Anzahl der Zuzüge in den Kreis Steinfurt die Anzahl an Fortzügen, sodass mit den ausgewählten Regionen ein positiver Saldo vorliegt. Am stärksten waren die Gewinne aus dem Ausland sowie aus Unna und Schöppingen. Die Wanderungsbeziehungen mit diesen beiden Kommunen wurden separat ausgewiesen, da über dort ansässige Verteilzentren Spätaussiedler und Asylbewerber auf die Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalens verteilt wurden. 22

So gewann der Kreis Steinfurt aus der einseitigen Wanderungsbeziehung mit der Stadt Unna und der Gemeinde Schöppingen im erwähnten Zeitraum mehr als 19.000 Einwohner, überwiegend Spätaussiedler.

Die Wanderungsbewegungen mit den übrigen Münsterlandkreisen Kreisen Borken (ohne die Gemeinde Schöppingen), Coesfeld und Warendorf lagen auf einem relativ niedrigen Niveau und waren ausgeglichen. Ebenso ausgeglichen war die Wande- rungsbilanz mit der Stadt Münster, wobei das Wanderungsvolumen höher lag. Im gesamten Zeitraum waren über 44.000 Personen, meist junge Menschen, zum Stu- dieren und Arbeiten nach Münster gezogen, wohingegen knapp 44.600 aus Münster ihren Wohnsitz in den Kreis Steinfurt verlagert hatten.

Abbildung 13: Wanderungsaustausch des Kreises Steinfurt mit verschiedenen Regionen in der Summe der Jahre 1989 bis 2016

kreisinterne Wanderungen

Stadt Münster

übriges Münsterland

Zuzüge aus ... in den Kreis Steinfurt Unna, Schöppingen Fortzüge aus dem Kreis Steinfurt nach ...

übr. Nordrhein-Westfalen

Niedersachsen

übr. Westdeutschland

Ostdeutschland

Ausland

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160 170 180 1.000 Personen

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Aus dem übrigen Nordrhein-Westfalen waren in der Summe der Jahre mehr Men- schen in den Kreis Steinfurt zu- als fortgezogen. Andersherum verhält es sich mit dem übrigen Westdeutschland. Gegenüber Ostdeutschland lag ein positiver Wande- rungssaldo vor, da insbesondere nach der Wiedervereinigung viele Menschen in den Westen Deutschlands, so auch in den Kreis Steinfurt, zogen.

Die Wanderungsbilanz der Städte und Gemeinden mit der Stadt Münster fällt sehr unterschiedlich aus und ist vor allem von der Entfernung von der Stadt Münster ab- hängig, wie Abbildung 14 zeigt. Teils sehr hohe Wanderungsgewinne gegenüber der Stadt Münster weisen die unmittelbar an die Stadt angrenzenden Kommunen 23 auf. Bereits im „zweiten Ring“ um Münster treten Wanderungsverluste auf und mit noch größerer Entfernung überwiegen dann die Fortzüge nach Münster, vor allem junger Menschen, die Zuzüge aus der Universitätsstadt. Die so genannte Stadt- Umland-Wanderung aus der Stadt Münster heraus konzentriert sich damit auf einen sehr kleinen Kreis an Städten und Gemeinden.

Abbildung 14: Wanderungssalden der Kommunen der Kreise Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf in der Summe der Jah- re 1989 bis 2017 gegenüber der Stadt Münster

Wanderungssalden geg. Münster 1995 bis 2017 je 1.000 Einwohner

< -20 Hopsten < 0 LK Steinfurt Recke < 20 Mettingen < 100 Westerkappeln Hörstel >= 100 Lotte Rheine Ibbenbüren Wettringen Neuenkirchen Tecklenburg Ochtrup

Gronau (Westf.) Saerbeck Metelen Emsdetten Lengerich Steinfurt Ladbergen Lienen Ahaus Heek HorstmarNordwalde Schöppingen Greven Vreden Legden Laer Altenberge Ostbevern Stadtlohn Rosendahl Sassenberg LK Borken Billerbeck Havixbeck Telgte Südlohn Gescher SK Münster Warendorf Coesfeld Nottuln Velen Everswinkel Beelen Bocholt Borken Isselburg Dülmen Rhede Senden Sendenhorst Ennigerloh Heiden Reken Oelde Drensteinfurt Raesfeld Ascheberg Lüdinghausen Ahlen Beckum Nordkirchen Olfen Wadersloh LK Warendorf LK Coesfeld

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Den Vergleich der Wanderungssalden des Kreises Steinfurt gegenüber den zuvor betrachteten Regionen in vier verschiedenen Zeiträumen zeigt Abbildung 15.

Die Wanderungsbilanz mit dem Ausland war im ersten und letzten betrachteten Zeit- raum am höchsten, während von 1996 bis 2009 das Niveau nahe Null lag. Aus der Stadt Unna und der Gemeinde Schöppingen waren insbesondere zwischen 1989 und 2002 hohe Wanderungsgewinne zu verzeichnen. Anschließend fielen die Wan- derungsgewinne erheblich geringer aus, weil der über Unna erfolgende Spätaussied- lerzuzug nahezu zum Erliegen gekommen war. Gegenüber den übrigen Münster- landkreisen zeigten sich durchgehend Wanderungsgewinne auf einem niedrigen Ni- veau. Dies galt auch für das übrige Nordrhein-Westfalen, wobei das Niveau etwas höher lag. Die Wanderungsgewinne aus Ostdeutschland konzentrierten sich insbe- sondere auf die Zeiträume 1989 bis 1995 und 1996 bis 2002. In diesem Kontext

24 muss erwähnt werden, dass die DDR bis zur Wiedervereinigung statistisch zum Aus- land gezählt wurde.

Abbildung 15: Wanderungssalden des Kreises Steinfurt gegenüber verschie- denen Regionen in vier Zeiträumen

1.000 Personen 8 Stadt Münster 7 übriges Münsterland Unna, Schöppingen 6 übr. Nordrhein-Westfalen Niedersachsen übr. Westdeutschland 5 Ostdeutschland Ausland 4

3

2

1

0

-1

-2 1989 - 1995 1996 - 2002 2003 - 2009 2010 - 2016 Zeitraum

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Bei den kleinräumigen Umzügen steht in der Regel die Verbesserung der Wohnsitua- tion im Vordergrund. Großräumige Wanderungen werden dagegen häufig durch den Wechsel des Arbeitsplatzes oder den Beginn einer Ausbildung ausgelöst. Hinzu kommen natürlich auch persönliche Motive bei einem Teil der Umzügler zum Tragen.

3.3.3 Altersstruktur

Die Auswirkungen der natürlichen Bevölkerungsbewegung und der Wanderungen auf die Altersstruktur im Kreis Steinfurt zeigt Abbildung 16. Um die strukturellen Veränderungen der vergangenen Jahre zu verdeutlichen, wurde über die Altersstruk- tur des Jahres 2017 die Jahrgangsstärke der Bevölkerung im Jahr 1995 als Linie eingezeichnet.

Die geburtenstarken Jahrgänge der 1960-er waren im Jahr 1995 in der Spitze in der Altersgruppe „30 bis unter 35 Jahre“. Bis 2017 ist die Zahl an Personen dieser Al- tersgruppe (2017 „52 bis unter 57 Jahre“) um 7,6 % gestiegen.

25

Abbildung 16: Altersstruktur der Bevölkerung im Kreis Steinfurt 2017 im Vergleich zur Altersstruktur des Jahres 1995 Alter 85 u.ält.

80 - 81 75 - 76 70 - 71 65 - 66 60 - 61 55 - 56 50 - 51 45 - 46 2017 40 - 41 35 - 36 30 - 31 25 - 26 20 - 21

15 - 16 1995 10 - 11 5 - 6 0 - 1 2400 2000 1600 1200 800 400 0 400 800 1200 1600 2000 2400 Männer Frauen

Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen

Insgesamt zeigt der Vergleich der Altersstrukturen die besondere Wanderungsstruk- tur im Kreis Steinfurt (vgl. Abbildung 17). Wanderungsgewinne wies der Kreis Stein- furt, zunächst mit sinkender, ab 2014 mit kurzfristig steigender Tendenz, in den Al- tersgruppen „unter 18 Jahre“ und „30 bis unter 50 Jahre“ auf. In den jüngeren Alters- gruppen „18 bis unter 25“ und „25 bis unter 30“ verlor der Kreis Steinfurt dauerhaft durch Wanderungsbewegungen Einwohner. Im Ergebnis führt diese Struktur zu ei- nem langfristig höheren Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung. Dem- entsprechend war das Durchschnittsalter im Kreis seit 1995 von 38,2 Jahren um 5,5 Jahre auf 43,7 Jahre stärker angestiegen als im Land Nordrhein-Westfalen insge- samt, wo der Anstieg von 40,7 Jahren auf 44,5 Jahre um 1,7 Jahre geringer ausfiel.

26

Abbildung 17: Wanderungssalden des Kreises Steinfurt nach Alters- gruppen von 1995 bis 2017

Personen 1200

1000

800

600

400

200

0

-200

-400 65 Jahre u. älter 50 bis u. 65 Jahre -600 30 bis u. 50 Jahre -800 25 bis u. 30 Jahre 18 bis u. 25 Jahre -1000 bis u. 18 Jahre -1200 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen

3.4 Bautätigkeit und Wohnungsbestand

3.4.1 Wohnungsneubau

Wohnungsbau erfolgt auf Grund eines bestehenden demographischen Nachfrage- drucks oder zum Ersatz qualitativ ungenügender Altbestände. Die Entwicklung im Kreis Steinfurt seit 1978 zeigt Abbildung 18. Deutlich zu erkennen ist der Einbruch des Wohnungsbaus in der zweiten Hälfte der 1980-er-Jahre und der sich anschlie- ßende und bis zum Jahr 2000 reichende Boom. Nach einer kurzen Stagnationsphase auf einem etwas niedrigeren Niveau bis zum Jahr 2007 folgte ein nochmaliger Rück- gang um 40 Prozent innerhalb von zwei Jahren bis zum Tiefpunkt im Jahr 2009. In den darauffolgenden Jahren stiegen die Wohnungsfertigstellungen wieder auf das Niveau der Jahre um 2005 an.

Damit zeigt sich im Kreis Steinfurt ein Verlauf der Wohnungsbautätigkeit, der weitgehend der gesamtdeutschen Wohnungsbauentwicklung gefolgt ist. Im Jahr 2017 wurden knapp 2.400 Wohnungen gebaut.

27

Abbildung 18: Bautätigkeit von 1978 bis 2017 im Kreis Steinfurt

Wohnungen 4.400

Wohnungen in Ein- und 4.000 Zweifamilienhäusern Geschosswohnungen 3.600 Sonstige Wohnungen 3.200

2.800

2.400

2.000

1.600

1.200

800

400

0 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen

3.4.2 Wohnungsbestand

Die Baualtersstruktur des Wohnungsbestandes im Kreis Steinfurt ist in Abbildung 19 im Vergleich zur Stadt Münster, den übrigen Kreisen des Münsterlandes sowie dem Land Nordrhein-Westfalen ausgewiesen. Der Kreis Steinfurt wies zusammen mit den Kreisen Borken und Coesfeld die höchsten Anteile der beiden jüngsten Baualters- klassen am Wohnungsbestand auf. Dies unterstreicht die hohe Wachstumsdynamik der vergangenen 25 Jahre. Entsprechend geringer fallen die Anteile der Altbauten und der Wohnungen aus der Wiederaufbauphase aus. Bis 1949 gebaute Wohnun- gen sind in diesem Vergleich am stärksten in Nordrhein-Westfalen insgesamt und im Kreis Warendorf vertreten. Der Anteil an Wohnungen aus der Wiederaufbauphase ist in der Stadt Münster am höchsten, gefolgt vom Land insgesamt. In der Baualters- klasse „1970 bis 1989“ sind die Unterschiede zwischen den betrachteten Regionen am geringsten. Insgesamt verfügt der Kreis Steinfurt über einen vergleichsweise Wohnungsbestand im Münsterland.

Trotz des relativ jungen Wohnungsbestands wurden auch in den Kreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf über 60 % der Wohnungen bereits vor 1989 ge- baut. Auch wenn ein Teil dieser Wohngebäude energetisch bereits saniert wurde, so dürften sich noch erhebliche Einsparpotenziale bieten.

28

Abbildung 19: Wohnungsbestand nach Baualtersklassen im Münsterland und im Land Nordrhein-Westfalen 2011 (in v. H.)

v.H. 40 Nordrhein-Westfalen 35 Münster Borken Coesfeld 30 Steinfurt Warendorf 25

20

15

10

5

0 vor 1949 1950 - 1969 1970 - 1989 1990 bis 1999 2000 u.später Baualtersklasse

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Die Wohnungszählung im Jahr 2011 ermittelte für den Kreis Steinfurt einen Leer- stand von gut 2,5 %. Die Quote lag damit zu diesem Zeitpunkt bereits unter der für Umzüge der privaten Haushalte und notwendige Modernisierungen erforderlichen Reserve, die heute mit 3 % des Wohnungsbestandes veranschlagt wird.

Die Entwicklung der verfügbaren Wohnfläche je Einwohner im Münsterland sowie im Land Nordrhein-Westfalen zeigt Abbildung 20. Die abrupten Veränderungen von Einwohnerzahl und Wohnungsbestand durch den Zensus wurden ebenso herausge- rechnet wie die Einführung der Zweitwohnungssteuer in der Stadt Münster. Nach ei- ner kurzen Stagnation im Jahr 1991 stieg die verfügbare Wohnfläche je Einwohner in allen betrachteten Regionen bis etwa 2008 an. Während sich der Anstieg in den Kreisen und im Land Nordrhein-Westfalen bis 2014 fortsetzte und erst durch den be- sonders starken Zuzug im Jahr 2015 kurzzeitig gestoppt wurde, stagnierte die ver- fügbare Wohnfläche je Einwohner in Münster ab 2009 und sank im Jahr 2015 noch stärker als in den Kreisen und im Land. Auch im Jahr 2017 lag der Wert in Münster noch unter dem des Jahres 2009. Vor allem 2015 und 2016 lebten viele der zugezo- genen Flüchtlinge in kurzfristig geschaffenen Übergangslösungen und belasteten den normalen Wohnungsmarkt nicht. Da aber mittelfristig alle Zugezogenen in Woh- nungen leben sollen, zeigt der Rückgang der Wohnfläche je Einwohner im Jahr 2015 die Verschärfung der Wohnungsdefizite. Von den Kreisen wies Borken im Jahr 2017 mit 47 m² je Einwohner die niedrigste spezifische Wohnfläche auf, die aber noch rund 2 m² über dem Landesdurchschnitt lag. Die Kreise Coesfeld, Steinfurt und Warendorf lagen mit 48 m² je Einwohner nahezu gleich auf. In der Stadt Münster lag die spezifi- sche Wohnfläche von 2007 bis 2017 zwischen 44 m² und 45 m². 29

Abbildung 20: Entwicklung der verfügbaren Wohnfläche je Einwohner von 1990 bis 2017 im Münsterland und im Land Nordrhein-Westfalen

verfügbare Wohnfläche je Einwohner (m²) 50

Nordrhein-Westfalen 48 Münster Kreis Borken 46 Kreis Coesfeld Kreis Steinfurt 44 Kreis Warendorf

42

40

38

36

34

32

30 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Quelle: IT.NRW

Da unabhängig von der Wohnungsmarktsituation ein Teil der Haushalte im Kreis Steinfurt als Mieter oder Eigentümer bereits lange in der heutigen Wohnung lebt und die klassischen Singularisierungsgründe (Auszug von Kindern, Trennung vom Part- ner/der Partnerin, Tod des Partners/der Partnerin) bei diesen Haushalten fortbeste- hen, wurden von der Wohnungsknappheit vor allem zuziehende und umziehende Personen getroffen.

3.4.3 Geförderter Wohnungsbestand

Das ursprüngliche Ziel des sozialen Wohnungsbaus, die Versorgung „breiter Schich- ten“ der Bevölkerung, wurde spätestens mit der letzten Reform des Wohnraumför- dergesetzes auf Bundesebene im Jahr 2002 aufgegeben. Ziele der sozialen Wohn- raumförderung in Nordrhein-Westfalen3 sind:

1. Wohnraum für Haushalte zu schaffen, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind, 2. bestehenden Wohnraum an die Erfordernisse des demographischen Wandels anzupassen und energetisch nachzurüsten, 3. die städtebauliche Funktion von Wohnquartieren zu erhalten und zu stärken.

3 Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG NRW) vom 08.12.2009; § 2 30

Bei der sozialen Wohnraumförderung und der Sicherung der Zweckbestimmungen des geförderten Wohnungsbestandes werden insbesondere Familien und andere Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende, Schwangere, ältere Menschen und Men- schen mit Behinderung unterstützt. Einen Überblick über die im Kreis Steinfurt vor- handenen preisgebundenen Mietwohnungen Ende 2017 gibt Tabelle 6.

Tabelle 6: Preisgebunde Mietwohnungen, Mieterquote sowie der Anteil der preisgebundenen an allen Mietwohnungen im Kreis Steinfurt Ende 2017

Summe Anteil geför- preisge- Wohnungen Wohnungen derter Woh- bundene in der Darle- in 10-jähriger nungen an Mietwoh- hensverwal- Nachwir- Mieter- allen Miet- Ort nungen tung kungsfrist quote wohnungen Altenberge 128 103 25 41 7,3 Emsdetten 753 545 208 42 11,6 Greven 683 435 248 47 9,0 Hörstel 149 120 29 32 6,2 Hopsten 77 47 30 34 8,5 Horstmar 76 61 15 30 9,9 Ibbenbüren 2.104 1.756 348 41 23,1 Ladbergen 71 51 20 42 6,1 Laer 148 87 61 40 13,6 Lengerich 537 485 52 49 11,4 Lienen 66 61 5 40 4,6 Lotte 92 60 32 43 3,4 Metelen 136 111 25 35 15,1 Mettingen 124 114 10 35 7,4 Neuenkirchen 135 75 60 31 8,4 Nordwalde 130 83 47 35 10,0 Ochtrup 480 354 126 39 16,0 Recke 136 123 13 34 9,1 Rheine 1.734 1.523 211 48 10,7 Saerbeck 98 71 27 39 9,0 Steinfurt 725 542 183 43 11,3 Tecklenburg 70 61 9 38 4,6 Westerkappeln 140 126 14 44 6,8 Wettringen 114 64 50 34 12,0 Kreis Steinfurt 8.906 7.058 1.848 42 11,4 Quelle: NRW-Bank; eigene Berechnungen

31

Insgesamt waren 11,4 % der Mietwohnungen im Kreis Steinfurt preisgebunden. Dies waren 4,4 % des Gesamtbestandes an Wohnungen im Kreis. Der Anteil am Miet- wohnungsbestand reichte von 3,4 % in Lotte bis zu 23,1 % in Ibbenbüren, wo mit 2.100 preisgebundenen Wohnungen auch der absolut höchste Bestand vorhanden war.

3.4.4 Kauf- und Mietpreisentwicklung

Der Wohnungsmarkt im Kreis Steinfurt kann getrennt nach einzelnen Segmenten wie freistehenden Ein- und Zweifamilienhäusern dargestellt werden. So zeigt Tabelle 7 eine Auswertung der Gutachterausschussberichte 2018 des Kreises Steinfurt sowie der Stadt Rheine aus dem Jahr 2018. Es wurden Kauffälle der vergangenen 4 Jahre ohne Neubauverkäufe sowie gesonderte Durchschnittswerte zur Grundstücks- und Wohnfläche, dem Baujahr sowie zu finanziellen Aspekten ausgewiesen. Dabei wur- den Kauffälle berücksichtigt, in der das Grundstück eine Größe zwischen 350 bis 800 m² aufwies.

Tabelle 7: Durchschnittswerte zu Preisen und Größen der Jahre 2014 bis 2017 für verkaufte freistehende Ein- und Zweifamilienhäuser in den Städten und Gemeinden des Kreises Steinfurt

Anzahl Grundstücks- Wohn- Preis pro Gesamt- durch- der fläche in m² fläche Wohnfläche kaufpreis in schnittl. Kauf- in m² ( € /m²) € Baujah r fälle Altenberge 27 599 171 1.868 313.200 1984 Emsdetten 107 565 153 1.372 204.800 1963 Greven 106 573 161 1.582 249.000 1976 Hörstel 62 632 144 1.230 174.000 1983 Hopsten 17 662 151 1.025 149.400 1986 Horstmar 22 645 144 1.228 168.400 1975 Ibbenbüren 114 627 147 1.322 189.700 1980 Ladbergen 8 681 149 1.501 218.500 1983 Laer 14 646 161 1.520 247.000 1982 Lengerich 28 624 154 1.360 201.300 1970 Lienen 17 637 160 1.289 201.100 1981 Lotte 35 613 158 1.556 241.400 1986 Metelen 27 593 158 970 146.500 1970 Mettingen 21 654 160 1.262 196.600 1981 Neuenkirchen 41 641 151 1.268 188.600 1978 Nordwalde 23 579 146 1.533 218.900 1981 Ochtrup 42 615 144 1.249 177.000 1977 Recke 24 638 134 1.315 173.500 1989 Rheine 134 594 137 1.466 196.824 1968 Saerbeck 22 556 155 1.497 227.600 1987 Steinfurt 119 569 145 1.262 179.600 1963 Tecklenburg 31 635 157 1.219 185.400 1959 Westerkappeln 32 652 149 1.370 200.700 1980 Wettringen 26 645 157 1.224 187.800 1978 Quelle: Gutachterausschuss Rheine, Gutachterausschuss Steinfurt

32

Im Rahmen der dargestellten Kauffälle je Gemeinde reicht die Spanne der spezifi- schen Preise je m²-Wohnfläche von 970 € (Metelen) bis 1.868 € (Altenberge). Die durchschnittlichen Grundstücksgrößen reichten von 556 m² (Saerbeck) bis 681 m² in Hopsten, die Wohnflächen von 134 m² in Recke bis 171 m² in Altenberge.

Die Angebotsmieten zeigt Tabelle 8 für die Städte und Gemeinden des Kreises Steinfurt für den Zeitraum von 2012 bis 2017.

Tabelle 8: Entwicklung der Angebotsmietpreise in Euro pro Quadratmeter Wohnfläche in den Gemeinden des Kreises Steinfurt

2012 2013 2014 2015 2016 2017 Entwicklung (€/m²) (€/m²) (€/m²) (€/m²) (€/m²) (€/m²) In Prozent Altenberge 5,80 6,12 6,31 6,32 6,47 6,77 16,7 Emsdetten 5,67 5,94 6,24 6,28 6,22 6,33 11,6 Greven 5,86 5,98 6,04 6,24 6,36 6,54 11,6 Hörstel 5,00 4,78 5,13 5,18 5,35 5,82 16,4 Hopsten 4,90 4,92 4,69 4,67 4,98 5,95 21,4 Horstmar 5,09 5,11 5,23 5,39 5,39 5,77 13,4 Ibbenbüren 5,25 5,33 5,45 5,54 5,75 6,10 16,2 Ladbergen 5,23 4,98 5,25 5,25 5,78 6,53 24,9 Laer 5,25 5,26 5,37 5,72 5,76 6,15 17,1 Lengerich 4,94 4,99 5,17 5,31 5,59 5,87 18,8 Lienen 4,69 4,72 4,66 4,89 5,57 5,58 19,0 Lotte 5,07 5,45 5,41 5,59 6,01 6,37 25,6 Metelen 4,52 4,62 4,88 5,20 4,78 5,62 24,3 Mettingen 5,31 5,31 5,41 5,16 5,19 5,48 3,2 Neuenkirchen 5,31 5,00 5,08 5,60 5,73 5,71 7,5 Nordwalde 5,49 5,53 5,47 6,20 5,94 6,68 21,7 Ochtrup 5,01 5,42 5,34 5,81 5,76 5,88 17,4 Recke 5,53 5,62 5,31 5,40 4,93 5,55 0,4 Rheine 5,44 5,57 5,63 5,70 5,88 6,13 12,7 Saerbeck 5,44 5,30 5,56 5,54 5,92 6,17 13,4 Steinfurt 5,33 5,50 5,64 5,85 6,22 6,64 24,6 Tecklenburg 5,03 4,93 5,19 5,39 5,76 6,11 21,5 Westerkappeln 5,16 5,31 5,65 5,81 6,00 6,22 20,5 Wettringen 5,06 5,30 5,27 5,38 5,66 5,87 16,0 Quelle: empirica-Preisdatenbank, (www.empirica-systeme.de)

Im Verlauf der sechs Jahre war der durchschnittliche Mietpreis pro Quadratmeter in allen Kommunen des Kreises Steinfurt gestiegen. Die höchsten Steigerungen sind in Ladbergen, Lotte und Steinfurt zu vermerken, in denen von 2012 bis 2017 der Quad- ratmeterpreis um ein Viertel gestiegen ist, während die Lebenshaltungskosten nach den Daten des Statistischen Bundesamtes in dieser Zeit lediglich um gut 6 % gestie- gen sind. Die niedrigsten Mietsteigerungen liegen in Mettingen, Neuenkirchen und Recke vor. Im Jahr 2017 lag in den Kommunen der durchschnittliche Preis pro Quad- 33 ratmeter Wohnfläche zwischen 5,48 Euro (Mettingen) und 6,77 Euro (Altenberge). Im bundesweiten Vergleich gelten Mieten in dieser Höhe als „bezahlbar“.

3.5 Private Haushalte und Wohnungsmarktsituation

Die Entwicklung der Zahl privater Haushalte ist in Abbildung 21 ausgewiesen. Die Zahl der privaten Haushalte wird auf der Gemeindeebene nur bei den Großzählun- gen (Volkszählung 1987, Zensus 2011) ermittelt. Die in der Abbildung ausgewiese- nen Werte beruhen auf Modellrechnungen, die davon ausgehen, dass die zwischen den Zählungen festgestellte „Verkleinerung“ der Haushalte (Singularisierung) bei ausreichender Verfügbarkeit von Wohnungen ein kontinuierlicher Prozess gewesen wäre. Bei mangelnder Verfügbarkeit von Wohnungen, wie um das Jahr 1990 oder in der jüngsten Vergangenheit, wird der Zuzug von Haushalten gebremst oder sogar die Haushaltsbildung Einheimischer behindert, was in einem temporären Anstieg der Haushaltsgröße seinen Ausdruck findet.

Abbildung 21: Entwicklung der Zahl privater Haushalte sowie der Zahl der Er- wachsenen und der Einwohner je Haushalt im Kreis Steinfurt

1.000 Haushalte Personen je Haushalt 200 3,1

195 3

190 2,9

185 2,8

180 2,7

175 2,6

170 2,5

165 2,4

160 2,3 Haushalte 155 Erwachsene je Haushalt 2,2 150 Einwohner je Haushalt 2,1 145 2

140 1,9

135 1,8

130 1,7 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Quelle: IT.NRW; Eigene Berechnungen

Ursächlich für den stetigen Rückgang der durchschnittlichen Zahl erwachsener Per- sonen4 je Haushalt (Singularisierung) waren die sinkende Heiratsneigung, das frühe- re Lösen der Kinder aus dem Haushalt der Eltern und die zunehmende Zahl der Wit- wenhaushalte durch die bis weit in die 1990-er-Jahre schneller steigende Le-

4 Als Erwachsene werden alle Personen im Alter von 23 oder mehr Jahren gezählt. Diese Altersschwelle markiert das durchschnittliche Auszugsalter junger Menschen aus dem Haushalt der Eltern. Dies „hohe“ Alter resultiert aus einem beträchtlichen Anteil an jungen Menschen, die nach dem erstmaligen Auszug bei den Eltern, der in der Regel zwischen dem 18. und 20. Lebensjahr erfolgt, wieder zu den Eltern ziehen. 34 benserwartung von Frauen. Inzwischen ist vor allem die Zunahme der älteren Bevöl- kerung beiderlei Geschlechts für den weiteren Rückgang der Haushaltsgröße ver- antwortlich.

Seit 1995 hat sich nach diesen Berechnungen die Zahl der Haushalte im Kreis Stein- furt um knapp 31 % auf rund 188.500 erhöht, weil sich die Zahl der Erwachsenen um gut 14 % erhöhte und die durchschnittliche Haushaltsgröße erwachsener Personen im selben Zeitraum von 2,06 auf 1,80 Erwachsene sank. Sowohl die Haushaltsgröße Erwachsener als auch die Haushaltsgröße insgesamt (2,37 Personen je Haushalt) lagen im Vergleich zum Landesdurchschnitt höher (1,62 Erwachsene bez. 2,08 Per- sonen). Dies liegt vor allem am hohen Anteil klassischer Familienhaushalte, die wie- derum vor allem in Ein- und Zweifamilienhäusern wohnen, was wegen der ver- gleichsweise (zu Münster) günstigen Grundstücks- und Kaufpreise im Kreis Steinfurt noch möglich ist.

Ein wichtiger Indikator zur Beurteilung der Wohnungsmarktsituation ist der Leerstand. Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt wird heute in der Regel eine Leer- standsquote von 3 % des Wohnungsbestandes angesetzt, um Umzüge und Moder- nisierungen in ausreichendem Maße zu ermöglichen. Der Zensus im Jahr 2011 er- mittelte für den Kreis Steinfurt einen Leerstand von 2,5 %. Diese Leerstandsquote lag etwas höher als bei der Gebäude- und Wohnungszählung 1987 (damaliger Leer- stand im Kreis Steinfurt 1,6 %), aber unter dem als notwendig angesetzten Leer- stand. Wegen der hohen Eigentümerquote mit einer geringeren Fluktuation kann für den Kreis Steinfurt im Jahr 2011 von einem weitgehend ausgeglichenen Wohnungs- markt ausgegangen werden. In den Jahren vor dem Zensus lag der Leerstand zwi- schen 2,5 % und 3,5 % des Wohnungsbestandes, d.h. die am Anfang der 1990-er- Jahre entstandenen Wohnungsdefizite waren nach dem Jahr 2000 von einem aus- geglichenen Wohnungsmarkt mit Tendenzen zu leichten Überhängen abgelöst. In- zwischen hat sich bei hohen Zuwanderungen und relativ niedriger Bautätigkeit wie- der ein neues Wohnungsdefizit aufgebaut. Der Wohnungsleerstand liegt in den meis- ten Kommunen des Kreises nur noch bei Werten um 1 % des Wohnungsbestandes. Die Haushaltsbildung ist durch die Wohnungsknappheit im Kreis Steinfurt wie zu Be- ginn der 1990-er-Jahre auch heute wieder beeinträchtigt. Die sich bei sinkendem Leerstand wieder verschärfende Wohnungsknappheit zeigt eindeutig, dass im Kreis Steinfurt in den vergangenen Jahren deutlich zu wenige Wohnungen ge- baut wurden.

3.6 Haushalte mit niedrigen Einkommen im Kreis Steinfurt

Die Ermittlung „einkommensarmer“ Haushalte stößt sowohl auf definitorische als auch empirische Erfassungsprobleme, Definitorisch ist der häufig verwendete Anteil „armutsgefährdeter“ Personen5 insbesondere wegen der niedrigen Gewichtung von Kindern im Haushalt nach der aktuellen OECD-Skala nicht unumstritten. Zudem wird die „Armutsgefährdung“ lediglich im Rahmen des Mikrozensus erfasst, es liegen

5 Als armutsgefährdet gelten alle Personen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 60 Prozent des regionalen Durchschnitts, gemessen am Median. 35 deshalb nur Daten auf der Länderebene vor. Insofern werden zur Abbildung der loka- len Situation meist Hilfsindikatoren genutzt. Dabei kommt den Mindestsicherungsleis- tungen eine besondere Bedeutung zu, weil die Zahl der Empfänger dieser Leistun- gen bis auf Gemeindeebene hinunter als Zeitreihe vorliegt. Die Entwicklung der Zahl an Empfängern von „Arbeitslosengeld II“, „Hilfe zum Lebensunterhalt“, „Grundsiche- rung im Alter oder wegen Erwerbsunfähigkeit“ sowie „Leistungen nach dem Asylbe- werberleistungsgesetz“ im Kreis Steinfurt zeigt Abbildung 22 in der Entwicklung von 2007 bis 2017.

Abbildung 22: Empfänger von Mindestsicherungsleistungen im Kreis Steinfurt von 2007 bis 2017

1.000 Personen Anteil in v.H. 39 13

36 12

33 11

30 10

27 9

24 8

21 7

18 6

15 5

12 4

9 ALG II HLU Grundsich. AsylbLG 3 Anteil an der Anteil an der 6 Bevölkerung Bevölkerung 2 im Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen 3 1

0 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Die Zahl der Empfänger von Mindestsicherungsleistungen sank zum Jahr 2008 und stagnierte im darauffolgenden Zeitraum bis 2012 auf einem Niveau von 26.000 bis 27.000 Personen. Danach ist ein Anstieg bis auf knapp 37.000 im Jahr 2015 zur er- kennen. Anschließend waren die Zahlen wieder rückläufig, aber Ende 2017 lag die Zahl der Leistungsempfänger 14 % über dem Wert des Jahres 2007. Allerdings gab es bei der Struktur Verschiebungen: Die Zahl der Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Arbeitslosengeld II) lag 2017 lediglich 3 % höher als 2007. Die Zahl der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) ist zwar gestiegen, spielt aber mit rund 700 Personen quantitativ nach wie vor keine Rolle. Die Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter oder wegen Erwerbsunfähigkeit stieg stetig an und lag 2017 mit fast 2.200 Personen um 60 % über der Zahl von 2007. Die Zahl der Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stieg im Jahr 2015 um 200 % auf 7.500 Personen an. In den Jahren 2016 und 2017 ging deren

36

Zahl dann deutlich zurück und Ende 2017 bezogen noch knapp 3.100 Personen die- se Leistung.

Der Anteil der Leistungsempfänger an der Bevölkerung lag im Kreis Steinfurt Ende mit 7,7 % einen Prozentpunkt über dem Wert des Jahres 2007. In Nordrhein- Westfalen insgesamt ist der Anteil von 10,6 % im Jahr 2007 auf 11,8 % im Jahr 2017 gestiegen.

Insgesamt galten 2017 in Nordrhein-Westfalen 17,2 % der Einwohner als armutsge- fährdet. Die Quote ist seit dem Jahr 2005 um 2,6 %-Punkte angestiegen. Damit liegt der Anteil der tendenziell als einkommensarm zu bezeichnenden Personen um knapp 50 % höher als der Anteil der Bezieher von Mindestsicherungsleistungen. Der Anteil an den Haushalten liegt wegen des überproportional hohen Anteils an Einper- sonenhaushalten in der armutsgefährdeten Bevölkerung etwas höher. Dies korres- pondiert mit dem vom Pestel Institut für das Jahr 2010 geschätzten Anteil von knapp 19 % der privaten Haushalte, die als Bedarfsträger für sozialen Mietwohnraum be- trachtet werden können6. Die Versorgung aller einkommensarmen Haushalte mit preisgebundenem Wohnraum (Ende 2017 rund 8.900 Wohnungen im Kreis Steinfurt) ist, zumindest kurz und mittelfristig, nicht möglich. Dies ist aber auch nicht erforder- lich, da im frei vermieteten Bestand im Kreis Wohnungen auf einem ähnlichen Preis- niveau verfügbar sind. Weiterhin ist davon auszugehen, dass bei der hohen Eigen- tümerquote ein Teil der einkommensarmen Haushalte bei den Eltern wohnt oder durch Erbschaft trotz niedrigem Einkommen im Wohneigentum lebt.

Die Quoten an Mindestsicherungsleistungsempfängern in den Jahren 2007 und 2016 in den Städten und Gemeinden im Kreis Steinfurt zeigt Abbildung 23. Unter den 24 Kommunen wiesen die beiden größten Städte Steinfurt und Rheine die höchste Quo- te an Empfängern von Mindestsicherungsleistungen auf. Aber auch deren Quoten lagen noch unter dem Landesdurchschnitt. Im übrigen Kreis zeigten sich erheblich geringere Quoten. Insbesondere in Hörstel, Horstmar und Mettingen lagen die Quo- ten nur bei etwas mehr als einem Drittel des Landesdurchschnitts. Insgesamt war ein Anstieg der Quote von 2007 bis 2017 in fast allen Kommunen des Kreises zu be- obachten. Nur in Hopsten und Ibbenbüren ist die Quote leicht gesunken.

6 Günther, M.: Bedarf an Sozialwohnungen in Deutschland; Untersuchung im Auftrag der Wohnungsbau Initiative, Köln 2012 37

Abbildung 23: Empfänger von Mindestsicherungsleistungen je 100 Einwohner in den Städten und Gemeinden des Kreises Steinfurt 2007 und 2017

Nordrhein-Westfalen Stadt Münster Kreis Steinfurt Altenberge Emsdetten Greven Hörstel Hopsten Horstmar Ibbenbüren Ladbergen Laer Lengerich Lienen Lotte Metelen Mettingen 2007 Neuenkirchen 2017 Nordw alde Ochtrup Recke Rheine Saerbeck Steinfurt Tecklenburg Westerkappeln Wettringen 0 2 4 6 8 10 12 v.H. Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

3.7 Spezielle Bedarfe

3.7.1 Wohnsituation der Altersgruppe 65plus

Zum Zeitpunkt des Zensus wies der Kreis Steinfurt mit 57,2 % eine deutlich hö- here Wohneigentumsquote als das Land Nordrhein-Westfalen insgesamt auf. Der Landesdurchschnitt erreichte 40 %, die kreisfreien Städte 30 % und die Kreise 51 %.

Bei den reinen Seniorenhaushalten (alle Haushaltsmitglieder sind mindestens 65 Jahre alt) entsprach die Eigentümerquote im Kreis Steinfurt mit 58 % annähernd dem Gesamtdurchschnitt. Haushalte mit „Senioren und Jüngeren“, dies sind sowohl Paar- haushalte, bei denen ein Partner das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, als auch klassische Mehrgenerationenhaushalte, wiesen mit knapp 79 % eine deutlich höhere Eigentümerquote auf.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Umzugshäufigkeit ab. Daher wohnt ein Teil der Senioren bereits seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung, die zum Zeitpunkt der Errichtung weder energieeffizient noch barrierearm waren. Geht man von den bundesweit reali- sierten Modernisierungsquoten aus, so ist der größte Teil dieser Wohnungen allen- falls teilmodernisiert. Folgt man einem vom Kuratorium Deutsche Altershilfe im

38

Auftrage des damaligen BMVBS erstellten Gutachten7, so leben gegenwärtig in 23 % der Haushalte mit Senioren mobilitätseingeschränkte Personen, die vom Grundsatz her eine barrierearme Wohnung erfordern. Tatsächlich hatten nach den Ergebnissen der im Rahmen der Untersuchung durchgeführten Repräsen- tativbefragung aber nur 7 % der Haushalte keine erheblichen Barrieren in ihren Wohnungen. Überträgt man diese Ergebnisse auf den Kreis Steinfurt, so muss bei rund 57.000 Haushalten mit Senioren von gut 13.100 Haushalten ausgegan- gen werden, bei denen eine barrierearme Wohnung angezeigt wäre. Von diesen 13.100 Haushalten hätten aber nur rund 4.000 Haushalte tatsächlich eine barriere- arme Wohnung. Auch wenn deutliche lokale Abweichungen von diesen Durch- schnittswerten einkalkuliert werden müssen, so ist der zusätzliche Bedarf an barrie- rearmen, altengerechten Wohnungen im Kreis Steinfurt bereits aktuell mit über 8.000 Wohnungen zu veranschlagen. Gerade wegen des hohen Bestandes an Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern und der hohen Wohneigentumsquote ist für den Kreis Steinfurt eher von einem gegenüber dem Bundesdurchschnitt geringeren Be- stand an barrierearmen Wohnungen auszugehen.

Gegenwärtig sind die geburtenstarken Jahrgänge der 1960-er-Jahre in der Spitze 53 Jahre alt. Der Eintritt dieser Altersgruppe in den Ruhestand wird sich ab dem Jahr 2025 über die danach folgenden 15 Jahre erstrecken, so dass unabhängig vom Ausmaß der Zuwanderung die Zahl der Senioren und damit auch der Bedarf an se- niorengerechten Wohnungen steigen wird. Hinsichtlich der Einkommenssituation der Senioren ist langfristig von einer Verschlechterung auszugehen. Einen Überblick über die Einkommen von Seniorenhaushalten8 gibt Abbildung 24.

Auch wenn die Daten das Jahr 2014 abbilden, so wird sich angesichts der nied- rigen Inflationsraten die Situation bis heute nur wenig verändert haben. Grob zwei Drittel der Seniorenhaushalte dürften innerhalb der in Nordrhein- Westfalen vorgegebenen Einkommensgrenzen für den Bezug einer geförderten Wohnung liegen. Dies gilt es bei der Schaffung von seniorengerechten Woh- nungen zu beachten.

7 Forschungen Heft 147, Wohnen im Alter -Marktprozesse und wohnungspolitischer Handlungsbedarf; Hrsg.: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Berlin 2011 8 vgl. dazu auch: Günther, M.: Wohnen der Altersgruppe 65plus; Untersuchung im Auftrag vom: Verbändebündnis WOHNEN 65PLUS; Köln 2013 39

Abbildung 24: Seniorenhaushalte nach Einkommensklassen im Jahr 2014

in v .H. 30

28 insgesamt 26 Eigentümer 24 Mieter 22 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 bis unter 900 900 bis unter 1.100 1.100 bis unter 1.500 1.500 bis unter 2.000 2.000 bis unter 3.200 3.200 und mehr Einkommensklasse

Quelle: Mikrozensuszusatzerhebung Wohnen 2014; Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2016

3.7.2 Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert eine inklusive Gesellschaft - eine Gesellschaft des selbstverständlichen Miteinanders aller Menschen. Auch beim Thema Wohnen sind die Voraussetzungen für eine inklusive Gesellschaft zu schaffen. Im Kreis Steinfurt waren von den knapp 43.900 Schwerbehinderten 54 % in der Altersstufe 65 Jahre und älter, so dass es eine Überschneidung mit dem Thema seniorengerechtes Wohnen gibt. Aber auch ein Großteil der über 20.000 Menschen mit Behinderungen unterhalb des 65. Lebensjahres benötigt behindertengerechte Wohnungen, von denen bisher nur ein Bruchteil verfüg- bar ist.

3.8 Fazit der bisherigen Entwicklung im Kreis Steinfurt

Im Kreis Steinfurt sind Wohnungen heute ein knappes Gut. Auch wenn man berück- sichtigt, dass ein Teil der aufgenommenen Flüchtlinge am Jahresende 2017 noch in Gemeinschaftsunterkünften lebte und dementsprechend den Wohnungsmarkt nicht belastete, so muss doch von Leerstandsquoten im Bereich um 1,0 % des Woh- nungsbestandes ausgegangen werden. Derart niedrige Leerstandsquoten beein- trächtigen bereits die Haushaltsbildung. In der Folge wohnen erwachsene Kinder länger als geplant bei den Eltern und es kommt zur verstärkten Bildung von Wohn- gemeinschaften und Zuzugswünsche in den Kreis können nicht realisiert werden. Die sich bei sinkendem Leerstand wieder verschärfende Wohnungsknappheit zeigt, dass im Kreis Steinfurt in den sechs Jahren von 2012 bis 2017 jährlich rund 660 Wohnungen zu wenig gebaut wurden. 40

Insgesamt zeigt sich eine hohe Entwicklungsdynamik im Kreis Steinfurt. Als Wirt- schaftsstandort wies der Kreis mit einem Arbeitsplatzzuwachs von über 30 % seit 1995 eine stark positive Entwicklung auf. Der erhöhte Auspendlerüberschuss weist zum einen auf die hohe Attraktivität der Städte und Gemeinden des Kreises als Wohnstandort hin. Er zeigt aber auch, dass die Stadt Münster, der wichtigste Ar- beitsort der Auspendler, über die Jahre offensichtlich nicht in der Lage war, entspre- chend dem Zuwachs an Arbeitsplätzen in der Stadt auch Wohnmöglichkeiten zu schaffen, so dass ein Teil der in Münster arbeitenden Menschen einen Wohnstandort außerhalb der Stadt suchen musste.

Die Wanderungsbewegungen waren geprägt durch die Zuzugsspitzen um 1990 und im Jahr 2015. Aber auch in den übrigen Jahren waren mit Ausnahme der Zeit von 2005 bis 2011 immer mehr Zuzüge als Fortzüge zu verzeichnen.

Die Analyse der Herkunfts- und Zielregionen der Umzügler ab 1989 zeigt Muster, die auch in der Zukunft Bestand haben dürften:

- deutliche Wanderungsgewinne aus der Stadt Münster bis 2004. Seitdem überwogen die Fortzüge nach Münster. Die weitere Entwicklung wird vor allem vom Wohnungsangebot in Münster und den an Münster angrenzenden Kom- munen im Kreis Steinfurt abhängen. Mit zunehmender Entfernung von Müns- ter dominieren die Fortzüge junger Menschen nach Münster die Wanderungs- bilanz. - leichte Wanderungsverluste an das übrige Münsterland, - hohe Wanderungsgewinne aus dem übrigen Nordrhein-Westfalen, - Wanderungsverluste an Niedersachsen und das übrige Westdeutschland, - eine inzwischen nahezu ausgeglichene Wanderungsbilanz gegenüber Ost- deutschland sowie - stark schwankende, aber in der Summe hoch positive Wanderungssalden ge- genüber dem Ausland (die Verteilzentren Unna und Schöppingen eingerech- net).

Die Wanderungsbewegungen waren geprägt durch die Zuzugsspitzen in den Jahren 1990 und 2015. Aber auch in den übrigen Jahren waren mit Ausnahme einer kurzen Phase in den 1980-er-Jahren und der Zeit von 2006 bis 2011 immer mehr Zuzüge als Fortzüge zu verzeichnen.

Die Analyse der Herkunfts- und Zielregionen der Umzügler ab 1989 zeigt Muster, die auch in der Zukunft Bestand haben dürften:

- eine ausgeglichene Wanderungsbilanz mit den Kreisen Borken, Coesfeld und Warendorf sowie der Stadt Münster - leichte Wanderungsgewinne aus dem übrigen Nordrhein-Westfalen - steigende Wanderungsverluste an das übrige Westdeutschland.

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Der Zuzug von Spätaussiedlern aus Osteuropa kann als abgeschlossen betrachtet werden und dürfte keinen Einfluss mehr auf die Wanderungsbilanz des Kreises Steinfurt haben. Die Zuwanderungen aus Ostdeutschland sind nahezu zum Erliegen gekommen, weil wegen der dortigen Altersstruktur die jungen Menschen in ihrer un- mittelbaren Umgebung Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze finden. Eine „neue“ Abwanderung Ost ist nicht zu erwarten.

Die unmittelbaren Wanderungsbewegungen gegenüber dem Ausland werden auch künftig immer wieder von aktuellen internationalen Ereignissen beeinflusst. Mit der bundesweit wiederauflebenden Auslandszuwanderung (zunächst die Arbeitsmigrati- on aus der übrigen EU, zu der ab 2014 die Flüchtlingszuwanderung hinzukam) hat sich auch im Kreis Steinfurt der über den gesamten Zeitraum positive Wanderungs- saldo weiter verstärkt und im Jahr 2015 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

4 Projektion der Entwicklung

4.1 Zukunftsbetrachtungen

Seit ewiger Zeit wünscht der Mensch Wissen über die Zukunft zu erlangen. Das be- rühmte Orakel von Delphi, die Vorhersagen des Nostradamus oder der zum Filme- pos verarbeitete Maya-Kalender sind nur drei besonders populäre Beispiele der viel- fältig vorliegenden frühen Vorhersagen.

Da nach wie vor die Begehrlichkeiten hinsichtlich des Wissens über die Zukunft groß sind, finden Wahrsagerinnen und Wahrsager, die mittels Karten, Glaskugeln, Pen- deln oder sonstiger Hilfsmittel einen Blick in die Zukunft gewähren, auch heute noch ihre Kunden.

Notwendige Zukunftsaussagen im wirtschaftlichen und politischen Bereich werden über so genannte wissenschaftliche Prognosen befriedigt. Blicken wir auf die letzten fünfzig Jahre wissenschaftlicher Prognosen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen zurück, so lässt sich festhalten, dass ins- besondere quantitative Prognosen nur selten tatsächlich die Realität treffen. So haben die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihren Herbstgutachten bei der Vorhersage der bundesweiten Wirtschaftsentwicklung der kommenden 12 Mo- nate häufig deutliche Abweichungen erfahren müssen.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit von Prog- nosen mit zunehmendem Abstand vom aktuellen Zeitpunkt kleiner wird und - bezug- nehmend auf das Thema dieser Untersuchung - mit sinkender Größe der betrachte- ten regionalen Einheit ebenfalls mit wachsenden Unsicherheiten der Prognosen zu rechnen ist.

Unabhängig davon, welche mathematischen Verfahren eingesetzt werden, wis- sen wir doch nicht tatsächlich, was in der Zukunft passiert. Es werden Modelle 42 entwickelt, welche die vollständige Komplexität der realen Welt nicht abbilden können. Die quantitativen Vorhersagemodelle bauen immer auf Vergangen- heitsbetrachtungen auf und schreiben die für die Vergangenheit festgestellten Zusammenhänge und Entwicklungen unter bestimmten Rahmenbedingungen in die Zukunft fort. Bei Prognosen ökonomischer oder demographischer Ent- wicklungen kommt noch der Unsicherheitsfaktor Mensch ins Spiel, der seine bisherigen Verhaltensmuster während des betrachteten Zeitraums ändern kann. Darüber hinaus täuschen Prognosen mathematische Genauigkeit vor.

Damit ist aber auch das Ziel von Modellrechnungen definiert: Im Vordergrund steht das Schaffen von Transparenz. Welche Rahmenbedingungen haben sich verändert? Hat sich das Verhalten der Bürger verändert oder gibt es Gründe, die für eine baldige Änderung sprechen? Welche Rolle spielen Einkommen und relative Preise für den Haushaltsbildungsprozess und die Wohnortsuche?

Gerade auf der kommunalen Ebene kann nicht oft genug betont werden, dass die zentrale Aufgabe der Kommunalpolitik die Gestaltung der Zukunft ist. Si- cher sind den Gestaltungsmöglichkeiten Grenzen gesetzt, aber das permanen- te Ausloten der Optionen zur Erreichung einer „gewünschten“ Entwicklung sollte das kommunalpolitische Handeln bestimmen. Insofern ist das Wissen über grundlegende Zusammenhänge des Siedlungsverhaltens der Bürger eine Voraussetzung für gestaltende Kommunalpolitik.

Unmittelbar verbunden mit der Gestaltung der Zukunft ist deshalb die Diskussion und Definition der „gewünschten“ Entwicklung. Modellrechnungsergebnisse sollen An- sporn sein, eigene Ziele zu definieren und Maßnahmen zur Zielerreichung einzulei- ten.

4.2 Wohnungsbedarf und Wohnungsnachfrage

Bei der hier vorgelegten Untersuchung wird über Modellrechnungen der Wohnungs- bedarf im Kreis Steinfurt ermittelt. Dieser Wohnungsbedarf ist grundsätzlich zu unter- scheiden von der Wohnungsnachfrage.

Der Wohnungsbedarf ist eine normative Größe, zu deren Ermittlung zunächst Be- darfsnormen festgelegt werden müssen. Zu den klassischen Bedarfsnormen ist zu zählen, dass

- jeder Haushalt über eine Wohnung verfügen soll und - eine ausreichende Fluktuationsreserve einzuhalten ist.

Wohnungsbedarf orientiert sich an definierten Bedürfnissen und nicht am Ein- kommen. Demgegenüber steht die Wohnungsnachfrage, die zu realisierten Kauf- und Mietvertragsabschlüssen führt. Die Nachfrage ist abhängig von den Einkom- men der privaten Haushalte, deren individuelle Präferenzen und dem Preisniveau des Wohnens. Die Wohnungsnachfrage wird beeinflusst durch

43

- die Entwicklung des Erwerbseinkommens - die Höhe und Verteilung der Nettoeinkommen - die Entwicklung der Transfereinkommen und - die relativen Preise des Wohnens.

Da auf den Wohnungsmärkten ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage her- beigeführt wird, müssen auch die Einflüsse auf der Anbieterseite einbezogen wer- den. Zu nennen sind

- die Kosten der Angebotserstellung, - die Abschreibungsmodalitäten, - die Subventionierung (Investitionszuschüsse oder Darlehen zu Sonderkonditi- onen), - die Grunderwerbssteuer und - das Mietrecht.

Ohne die rot eingefärbten staatlichen Eingriffe würde der in Abbildung 25 dargestell- te Prozess zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage führen. Im Ergebnis würden die Mengen und Qualitäten an Wohnungen umgesetzt, die zu der entspre- chend den Präferenzen und Einkommen der Haushalte verfügbaren „Kaufkraft Woh- nen“ von den Anbietern bereitgestellt werden.

Abbildung 25: Wohnungsnachfrage, Wohnungsangebot und politische Eingriffe

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quantitative Aspekte qualitative Aspekte ökonomische Aspekte Veränderung von Einwoh- Haushaltsbildung- und Nettoeinkommen nerzahl und Altersstruktur Wohnvorstellungen

Marktwirksame Nachfrage Sozialhilfe, "Wohnen" Wohngeld, Eigenheimzulage, Kinderzulage

Eingriffe der Politik Marktwirtschaftlicher bei vermeintlich Prozess "unerwünschtem" Ergebnis

Sozialer Erhöhung oder Verminderung Wohnungsbau, des Angebotes Abschreibungsmög- lichkeiten, Grundsteuer, Renditevorstellungen von Investoren, Grunderwerbsteuer ökonomische Bau- und Grundstückspreise, etc. Aspekte Nebenkosten, Erwartungen zur Marktentwicklung

Quelle: Eigene Darstellung

Gemessen an einem politisch definierten „Wohnungsbedarf“ (z. B jedem Haushalt eine Wohnung) würde es aufgrund von Zeitverzögerungen (sowohl beim Erkennen von Veränderungen als auch durch objektiv notwendige Planungs- und Bauzeiten) immer wieder zu temporären Marktungleichgewichten kommen. Tendenziell würde sich das Angebot aber immer wieder der „kaufkräftigen Nachfrage“ annähern. Aller- dings würde der rein marktwirtschaftliche Prozess zu Ergebnissen führen, die zumin- dest nach bisheriger Interpretation der sozialen Marktwirtschaft nicht akzeptabel wä- ren. Insbesondere die Versorgung von einkommensschwächeren Haushalten mit Wohnraum wäre problematisch.

Und mit dieser Erkenntnis ist man wieder beim normativ definierten Wohnungsbe- darf. Welcher Mindestkonsum an Wohnen wird einer Einzelperson oder einem aus mehreren Personen bestehenden Haushalt zugebilligt? Diese Frage kann beim heu- tigen Niveau des Wohnkonsums nur politisch geklärt werden.

4.3 Ausgangslage der Modellrechnungen für den Kreis Steinfurt

Die Analyse hat aufgezeigt, dass der Kreis Steinfurt durch das Zusammenspiel hoher Zuwanderungen bei verhaltener Wohnungsbautätigkeit wieder ein deutliches Woh- nungsdefizit aufweist. Die Wohnungsmärkte sind geprägt vom Segment der Ein- und Zweifamilienhäuser.

45

Als wesentliche Bestimmungsparameter für die künftige Einwohnerentwicklung der gesamten Region sind die Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzentwicklung sowie die Wohnungsangebote (Qualität und Preise) zu betrachten.

Die kleinräumige Verteilung der Bevölkerung folgt vor allem der Attraktivität des Wohnungsbestandsangebotes sowie den auf der Verfügbarkeit und den Preisen für Bauland basierenden Neubauangeboten (da die Baupreise kleinräumig nicht stark differieren, stehen die Baulandangebote für die regionalen Differenzen). Private Haushalte optimieren Qualität, Preis und Lage ihrer Wohnung nach den Kriterien

• Belastung des Nettoeinkommens durch Miete bzw. Zinsaufwendungen (nach Steuern), • Nähe zum Arbeitsplatz (meist des Haushaltsvorstands) und • Erfüllung individueller Lagepräferenzen (im Grünen, im urbanen sozialen Umfeld usw.).

Die jeweils gewählte Wohnlage und der Typ der Wohnung wird immer ein Kompro- miss zwischen den drei genannten Kriterien sein. Den Ausschlag für einen bestimm- ten Wohnstandort wird i.d.R. das gebotene Preis-Leistungsverhältnis geben, wobei eine hohe Wohnungsbautätigkeit generell für ein breiteres Angebot und eine stärkere Konkurrenz zwischen den Anbietern spricht. Bei der Bewertung der in den Entschei- dungsprozess einfließenden Komponenten hat sich bei den privaten Haushalten in den letzten 15 Jahren ein grundlegender Wandel vollzogen. Früher hat der Wohn- wunsch – vor allem bei Familien nach dem Einfamilienhaus – die Entscheidung stark dominiert. Eher gegen das Einfamilienhaus auf dem Land oder in der Kleinstadt sprechende Argumente wie die Beschwernis und der finanzielle Aufwand des Pen- delns oder die geringe Infrastruktur im ländlichen Raum wurden überspielt. Heute verbleiben die jungen Familien dagegen zunehmend in den Großstädten. Die Gründe hierfür sind:

• Viele junge Menschen bekommen zunächst nur einen Zeitvertrag, der zudem finanziell schlechter dotiert ist als bei ihren Vorgängern vor 10 oder 15 Jahren. • Durch den Ölpreisschub 2007/08 müssen die Mobilitätskosten heute wesent- lich stärker berücksichtigt werden als früher. • Die von jungen Erwerbstätigkeiten geforderte nahezu grenzenlose räumliche Mobilität im Beruf spricht eindeutig gegen den Erwerb von Wohneigentum. • Die Werthaltigkeit von Immobilien gerade im ländlichen Raum wird zuneh- mend infrage gestellt.

Im Ergebnis hatte sich der Kompromiss der Wohnstandortsuche junger Familien in Richtung „Mietwohnung in der Großstadt“ verschoben. Die zunehmenden Preisunter- schiede zwischen den Zentren und ihrem Umland wirken dieser Entwicklung inzwi- schen so stark entgegen, dass die „alten“ Stadt-Umland-Abwanderungsmuster in vielen Regionen wieder zu erkennen sind.

46

4.4 Szenarien der Bevölkerungsentwicklung für den Kreis Steinfurt

In der Vergangenheit wurden bei lokalen Modellrechnungen zur Bevölkerungsent- wicklung in der Regel nur die Wanderungsannahmen variiert. Die Modellrechnung der Geburtenzahlen ließ das lokale Niveau der Geburtenhäufigkeit konstant. Die Zahl der Sterbefälle knüpfte an das lokale Mortalitätsniveau an und erhöhte dann langsam die Lebenserwartung. Während diese Vorgehensweise beim Sterblichkeitsszenario nach wie vor sinnvoll ist, erscheint bei der Geburtenhäufigkeit eine Neubewer- tung erforderlich. Die Geburtenhäufigkeit ist in den Jahren 2014 bis 2016 bun- desweit deutlich angestiegen. Deshalb wurde auch für den Kreis Steinfurt ein zusätzliches Szenario berechnet, das von einem Anstieg der Geburtenhäufig- keit um etwa 20 % bis zum Jahr 2025 ausgeht. Bundesweit steigt bei einem sol- chen Szenario die zusammengefasste Geburtenziffer auf einen Wert von etwa 1,84 an, was leicht über dem aktuellen Niveau in Skandinavien und den Benelux-Ländern liegt. Die durchschnittlichen Wanderungssalden für vier Vergangenheitszeiträume sowie die Ansätze für die durchschnittliche Nettozuwanderung zeigt Abbildung 26.

Abbildung 26: Durchschnittliche Wanderungssalden der vergangenen vier Sieben-Jahreszeiträume sowie die Ansätze in den Szenarien für den Kreis Steinfurt

Personen 4.000

3.500

3.000

2.500

2.000

1.500

1.000

500

0 1989 - 1995 1996 - 2002 2003 - 2009 2010 - 2016 Szenario A Szenario B Szenario C Szenario D (HF)

Quelle: IT.NRW; eigene Szenarienansätze

Szenario A geht von einem jährlichen Wanderungsgewinn in Höhe von 760 Perso- nen aus. In Szenario B ist ein Wanderungsgewinn von 2.100 Personen je Jahr ange- setzt und Szenario C wird ein Wanderungsüberschuss in Höhe von jährlich 3.440

47

Personen unterstellt. Eine Besonderheit stellt Szenario D dar. Wie in Szenario B wird von einer jährlichen Zuwanderung in Höhe von 2.100 Personen ausgegangen und zusätzlich wird eine bis 2025 nochmals um 20 % steigende Geburtenhäufigkeit an- gesetzt. Aus unserer Sicht markieren die Szenarien A und C über einen längeren Zeitraum mögliche Extremwerte. Insofern rechnen wir eher mit einer künftigen Ent- wicklung im Bereich von Szenario B als mittlerem Ansatz, auch wenn diesem Szena- rio keine mathematische Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden kann. In den fol- genden Darstellungen wurde dieser Einschätzung Rechnung getragen, indem Sze- nario B durch eine etwas stärkere Linie hervorgehoben wurde.

Von den vier Siebenjahreszeiträumen lagen zwei außerhalb des Szenarienbereichs. Allerdings werden die Szenarien nicht für sieben, sondern für 18 Jahre gerechnet und im Durchschnitt der 28 Jahre von 1989 bis 2016 betrug der Wanderungssaldo 2.096 Personen, dies entspricht dem gewählten mittleren Ansatz. Dies muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Szenarienansätze in der Zukunft nicht dauerhaft über- oder unterschritten werden, die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber eher gering.

Zur Klarstellung sei an dieser Stelle nochmals betont: dies sind Szenarien, die Reali- tät wird von der wirtschaftlichen Entwicklung der Region, der Kommunalpolitik sowie der übergeordneten Zuwanderungspolitik des Bundes bestimmt. Die Entwicklung der Einwohnerzahl in den vier Szenarien bis zum Jahr 2035 zeigt Abbildung 27.

Abbildung 27: Entwicklung der Einwohnerzahl im Kreis Steinfurt in den vier Szenarien

1.000 Personen 500

490

480 bisherige Entwicklung Szenario A 470 Szenario B Szenario C 460 Szenario D 450

440

430

420

410

400 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Die Modellrechnungen zeigen eine Bandbreite möglicher Einwohnerzahlen zwischen 443.500 und gut 490.600 Personen im Jahr 2035. Trotz positiver Wanderungssalden sinkt in Szenario A die Einwohnerzahl, da die Zahl an Sterbefällen die der Geburten um mehr als den Wanderungsgewinn übersteigt. Die Bezirksregierung Münster geht 48 in ihrer 2014 verabschiedeten Regionalplanung von einer Einwohnerzahl von 444.660 für den Kreis Steinfurt im Jahr 2025 aus. Dieser Wert war bereits 2017 über- schritten. Die Entwicklung in verschiedenen Altersgruppen zeigen die Abbildungen 28 bis 37.

Abbildung 28: Entwicklung der Altersgruppe „bis unter 3 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 bisherige Entwicklung 6 Szenario A 5 Szenario B 4 Szenario C 3 Szenario D 2 1 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Abbildung 29: Entwicklung der Altersgruppe „3 bis unter 6 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 bisherige Entwicklung 7 Szenario A 6 Szenario B 5 Szenario C 4 Szenario D 3 2 1 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen 49

Abbildung 30: Entwicklung der Altersgruppe „6 bis unter 10 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 25 24 23 22 21 20 19 18 17 16 15 14 13 12 11 bisherige Entwicklung 10 9 Szenario A 8 Szenario B 7 6 Szenario C 5 Szenario D 4 3 2 1 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Abbildung 31: Entwicklung der Altersgruppe „10 bis unter 16 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 36 34 32 30 28 26 24 22 20 18 16 bisherige Entwicklung 14 Szenario A 12 Szenario B 10 Szenario C 8 Szenario D 6 4 2 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

50

Abbildung 32: Entwicklung der Altersgruppe „16 bis unter 18 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 13

12

11

10

9

8

7

6 bisherige Entwicklung 5 Szenario A 4 Szenario B Szenario C 3 Szenario D 2

1

0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Abbildung 33: Entwicklung der Altersgruppe „18 bis unter 25 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 42

39

36

33

30

27

24

21

18 bisherige Entwicklung

15 Szenario A Szenario B = D 12 Szenario C 9

6

3

0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

51

Abbildung 34: Entwicklung der Altersgruppe „25 bis unter 30 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 39

36

33

30

27

24

21

18 bisherige Entwicklung 15 Szenario A 12 Szenario B = D Szenario C 9

6

3

0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Abbildung 35: Entwicklung der Altersgruppe „30 bis unter 50 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 150 140 130 120 110 100 90 80 70 bisherige Entwicklung 60 Szenario A 50 Szenario B = D 40 Szenario C 30 20 10 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

52

Abbildung 36: Entwicklung der Altersgruppe „50 bis unter 65 Jahre“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 120

110

100

90

80

70

60

50 bisherige Entwicklung Szenario A 40 Szenario B = D 30 Szenario C

20

10

0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Abbildung 37: Entwicklung der Altersgruppe „65 und älter“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Personen 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 bisherige Entwicklung 40 Szenario A 30 Szenario B = D 20 Szenario C 10 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

53

Abbildung 38: Entwicklung der Altersgruppe „80 und älter“ im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2050

1.000 Personen 70

65

60 bisherige Entwicklung 55 Szenario A 50 Szenario B = D 45 Szenario C 40

35

30

25

20

15

10

5

0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050

Quelle: IT.NRW; eigene Berechnungen

Was zeigen nun die unterschiedlichen Verläufe der Altersgruppen bis zum Jahr 2035?

Nur im Szenario mit steigender Geburtenhäufigkeit werden bei der jüngeren Bevölkerung (bis unter 10 Jahre) die seit 1995 aufgetretenen Höchstwerte wie- der erreicht und teilweise sogar leicht überschritten. Da in der Vergangenheit die Zugangsquoten zu Krippen und Kindertagesstätten angestiegen sind, dürf- te es bei den Kapazitäten in der Betreuung der „bis unter 6-jährigen Kinder“ allerdings Probleme geben, sollte sich eine weitere Steigerung der Geburten- häufigkeit realisieren. In keinem der anderen Szenarien werden bei der Bevöl- kerung bis zum 49. Lebensjahr die seit 1995 aufgetretenen Höchstwerte wieder erreicht.

In der Altersgruppe „50 bis unter 65 Jahre“ wird in wenigen Jahren in allen Szenarien der zu erwartende Höchstwert erreicht. Danach nimmt die Zahl der Einwohner in dieser Altersgruppe stark ab. Im Jahr 2035 wird die Altersgruppe um 15 % (Szenario C) bis 23 % (Szenario A) schwächer besetzt sein als 2017.

Die einzige sicher an Personenzahl zunehmende Altersgruppe ist die der Seni- oren (65 Jahre und älter), deren Zahl sich um mindestens 50 % erhöhen wird. Innerhalb dieser Altersgruppe sind es die Hochbetagten (80 Jahre und älter), deren Zahl besonders stark und auch nach dem Jahre 2035 weiter zunimmt. Die Veränderungen in den Altersgruppen werden sich hinsichtlich des Woh- nungsbedarfs sowohl bezüglich der Quantität als auch hinsichtlich der benö- tigten Qualitäten auswirken. 54

4.5 Haushalts- und Wohnungsbedarfsentwicklung im Kreis Steinfurt

Bisher gehen Modellrechnungen zur künftigen Haushaltsentwicklung i. d. R. von ei- ner weiteren Absenkung der durchschnittlichen Haushaltsgröße aus. Damit wird un- terstellt, dass sich in der Zukunft weitere reale Einkommenssteigerungen einstellen oder das Wohnen relativ preiswerter wird.

Eine Verbilligung des Wohnens ist jedoch gegenwärtig nahezu auszuschließen, da die Anforderungen insbesondere hinsichtlich Energieeffizienz und Barrierearmut den Preis des Wohnens eher weiter erhöhen. Auch die Entwicklung der Baulandpreise – vor allem in den Zentren – spricht eher für weitere Preissteigerungen des Wohnens. So wird z. B. bezüglich der jüngsten Verschärfung der Energieeinsparverordnung von einer Kostensteigerung im Neubau von etwa 6 % ausgegangen, denen keine ent- sprechenden Einsparungen bei der Beheizung gegenüberstehen. Nun soll nicht nur der Wohnungsbestand seinen Beitrag zur CO2-Minderung leisten, sondern zusätzlich ist die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien und die Abkehr der Mobilität von fossilen Brennstoffen angesagt. Bei einem heutigen Anteil (2017) der erneuerbaren Energien von 14 % am Primärenergieverbrauch erfordert die Schaffung der „postfossilen“ Gesellschaft enorme Investitionen über Jahr- zehnte, die eine Veränderung, aber kaum eine Ausweitung des materiellen Wohlstands zur Folge haben dürfte. Insofern erscheint die Unterstellung realer Einkommenszuwächse zumindest gewagt.

Deshalb wurden für die Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung jeweils zwei Varian- ten der Haushaltsgrößenentwicklung gerechnet. In Variante I wird eine weitere Sin- gularisierung gemäß der von 1987 bis 2011 beobachteten Entwicklung unterstellt. In Variante II bleibt die Haushaltsgröße konstant. Auf eine separate Berechnung der Haushaltszahlen in Szenario D kann verzichtet werden, da sich die gegenüber dem Szenario B erhöhten Geburtenzahlen bis zum Jahr 2035 noch nicht auf dem Woh- nungsmarkt auswirken. Bei einem durchschnittlichen Lösungsalter der Kinder aus dem Haushalt der Eltern von etwa 23 Jahren leben die im Jahr 2018 Geborenen im Jahr 2035 noch bei ihren Eltern.

In Abbildung 39 sind die Modellrechnungen zur Entwicklung der Zahl an Haushalten dargestellt. Danach liegt die Zahl an Haushalten im Jahr 2035 zwischen 190.000 und 233.600. Die Szenarien zeigen allerdings auch, dass die Haushaltszahlen nur bei niedrigen Wanderungsgewinnen und stagnierender Singularisierung auf dem heuti- gen Niveau bleiben werden. In Szenario A mit schwacher Singularisierung steigt die Haushaltszahl zunächst noch leicht an und sinkt wieder fast auf den Ausgangswert des Jahres 2017 ab. Alle anderen Szenarien weisen für das Jahr 2035 eine gegen- über 2017 deutlich höhere Zahl an Haushalten auf.

Die beiden Varianten von Szenario B zeigen für das Jahr 2035 eine Bandbreite von 200.000 bis 222.000 Haushalten. Selbst bei niedriger Singularisierung steigt die Zahl der Haushalte noch um knapp 6 %. Bei einer Singularisierung wie im Durchschnitt

55 der vergangenen Jahrzehnte beträgt der Zuwachs fast 18 %. Da die Entwicklung der Haushaltszahlen die wichtigste Komponente des Wohnungsbedarfs darstellt, ist ein Ende des Wohnungsneubaus im Kreis Steinfurt nicht in Sicht.

Abbildung 39: Entwicklung der Zahl privater Haushalte im Kreis Steinfurt bis 2017 und in den Szenarien bis 2035

1.000 Haushalte 240

230 bisherige Entwicklung Szenario A hohe Sing. 220 Szenario A schwache Sing. 210 Szenario B, D hohe Sing. Szenario B, D schwache Sing. 200 Szenario C hohe Sing. Szenario C schwache Sing. 190

180

170

160

150

140 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

Quelle: Eigene Berechnungen

Nach der Abschätzung von Bevölkerungs- und Haushaltszahlen erfolgt die Ermittlung des „Wohnungsbedarfes“. Der Wohnungsbedarf wird nach der Festlegung von Be- darfskriterien ermittelt, womit er eine von der Nachfrage unabhängige normative Größe darstellt, mit deren Umsetzung (in Wohnungsbau) ein festgelegtes Versor- gungsniveau erreicht wird.

In den Wohnungsbedarf einbezogen werden die Veränderung der Haushaltszahl, die Erhöhung der Leerwohnungsreserve auf 3 % des Wohnungsbestandes und Woh- nungsabgänge9 in Höhe von jährlich 0,05 % des Wohnungsbestandes. Die Entwick- lung des Wohnungsbedarfes in den Szenarien bis 2035 zeigt Abbildung 40.

In allen Szenarien zeigt sich ein insgesamt positiver Wohnungsbedarf, der ab- hängig von der angesetzten Zuwanderung und dem Ausmaß der Singularisie- rung allerdings sehr unterschiedlich ausfällt. Der Bedarf reicht von durch- schnittlich 380 Wohnungen je Jahr in Szenario A mit geringer Singularisierung

9 Wohnungsabgänge umfassen Abrisse, Zusammenlegungen sowie Umwidmungen von Wohnungen zu Gewer- beräumen. In der Vergangenheit wurden Abgangsraten von 0,2 % des Wohnungsbestandes angesetzt, die in der Realität aber nicht erreicht wurden. Der Abriss von Wohnungen lag in den vergangenen Jahren bei Werten um 0,07 % des Wohnungsbestandes pro Jahr. In wirtschaftlich prosperierenden Regionen, zu denen der Kreis Stein- furt zählt, waren die Abgangsraten mit Werten um 0,02 % in der Regel deutlich niedriger. Für die Zukunft wird mit leicht erhöhten Abgangszahlen gerechnet, da die Bausubstanz der Nachkriegsbauphase in Teilen qualitativ schlecht ist und auf untergenutzten Grundstücken steht, so dass technisch-wirtschaftlich bedingt zusätzliche Abgänge erwartet werden. 56

über 940 und 1.510 Wohnungen je Jahr in Szenarien B und C mit schwacher Singularisierung. Es folgen die Szenarien A und B mit hoher Singularisierung und einem jährlichen Bedarf von 1.580 bzw. 2.200 Wohnungen. Der höchste Bedarf zeigt sich mit gut 2.840 Wohnungen je Jahr in Szenario C mit hoher Singularisierung.

Abbildung 40: Wohnungsbedarf im Kreis Steinfurt von 2018 bis 2035

Wohnungen 4400 Szenario A Szenario A Szenario B, D 4000 hohe Sing. schw ache Sing. hohe Sing. Szenario B, D Szenario C Szenario C schw ache Sing. hohe Sing. schw ache Sing. 3600 ø Bau der letzten ø Bau der letzten 10 Jahre 30 Jahre 3200

2800

2400

2000

1600

1200

800

400

0

-400 2019 2021 2023 2025 2027 2029 2031 2033 2035

Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen

Der durchschnittliche Wohnungsbau seit 2008 lag im Kreis Steinfurt bei 1.800 Woh- nungen je Jahr. In der längerfristigen Betrachtung über die vergangenen 30 Jahre lag der durchschnittliche Wohnungsbau sogar bei 2.400 Wohnungen je Jahr. Allerdings befanden sich vor 30 Jahren die geburtenstarken Jahrgänge der 1960-er-Jahre in der Haushaltsbildungsphase und zusätzlich zogen viele Zuwanderer in den Kreis Steinfurt. Das Bild zeigt aber, dass zum Defizitabbau zunächst wieder ein Woh- nungsbau von möglichst mehr als 2.400 Wohnungen je Jahr erforderlich ist. Nach dem bis 2025 eingerechneten Defizitabbau nimmt der Wohnungsbedarf in allen Sze- narien deutlich ab, sinkt aber nur in Szenario A mit schwacher Singularisierung unter null.

An dieser Stelle muss nochmals betont werden, dass die künftige Entwicklung im Kreis Steinfurt nicht „schicksalhaft“ eintritt, sondern durch Kommunalpolitik gestaltet wird. Die Diskussion der „gewünschten“ Entwicklung einschließlich einer möglichst konsensualen Entscheidung über diese „gewünschte“ Entwicklung ist ein zentrales Element kommunaler Politik. Im Verlauf der Zeit werden sicher Anpassungen von Maßnahmen und Zielen erforderlich werden, da Politik immer von Entscheidungen unter Unsicherheit geprägt ist. So könnte zum Beispiel ein Anstieg der Geburtenhäu- figkeit neue Planungen hinsichtlich der Betreuungsplätze in Krippen, Kindergärten und Schulen erfordern. 57

Die Entwicklung der Zuwanderung nach Deutschland zeigt immer wieder die Ver- gänglichkeit von „Vorhersagen“ (Prognosen). Diese Unsicherheit hinsichtlich der künftigen Entwicklung entbindet die Räte aber nicht von Richtungsentscheidungen.

4.6 Welche Art von Wohnungen wird im Kreis Steinfurt benötigt?

Der rein quantitative Wohnungsbedarf sagt nichts über die konkrete Nachfrage, de- ren Befriedigung über Neubau und Bestandsobjekte realisiert wird. Den Wohnungs- bedarf nach dem Alter zeigt Abbildung 41 anhand der Altersstrukturen der Jahre 2017 und 2035 (Szenario A und C).

Kinder haben keinen eigenen Wohnungsbedarf, da ein gemeinschaftliches Wohnen mit den Eltern bzw. einem Elternteil unterstellt werden kann. Insofern erhöhen sie lediglich den Flächenbedarf bei bestehenden Haushalten. Mit dem Auszug aus dem Elternhaus erfolgt die Haushaltsbildung und der Wohnungsbedarf zielt zunächst auf kleine und preiswerte Mietwohnungen. Wie die Abbildung zeigt, sind die Jahrgänge der Kinder im Jahr 2035 in Szenario A etwas schwächer besetzt als im Jahr 2017. In Szenario C sind die Zahlen an Kindern und Jugendlichen in der Summe denen des Jahres 2017 sehr ähnlich. Die Jahrgangsstärken der haushaltsbildenden jungen Er- wachsenen sind 2035 sowohl in Szenario A als auch in Szenario C deutlich schwä- cher besetzt als heute.

Aus der später erfolgenden Familiengründung erwächst ein Bedarf an großen Woh- nungen. Im ländlichen Raum, zu dem der Kreis Steinfurt zu zählen ist, entfällt ein großer Teil des Bedarfs auf Ein- und Zweifamilienhäuser. Die Veränderung der Al- tersgruppe der 30- bis unter 45-Jährigen fällt bis zum Jahr 2035 mit -4 % in Szena- rio A bis +7 % in Szenario C relativ gering aus.

Vom 45. Lebensjahr an sinkt die Umzugshäufigkeit erheblich ab. In dieser Altersstufe befinden sich gegenwärtig die geburtenstarken Jahrgänge der 1960-er-Jahre. Im hö- heren Lebensalter nimmt dann der Bedarf an barrierearmen Wohnungen zu. Auch zur – zumindest temporären – Vermeidung stationärer Pflege ist eine Ausweitung des Angebotes solcher Wohnungen sinnvoll. Wie Abbildung 41 zeigt, ist es bis 2035 vor allem die Altersgruppe „65 bis unter 75 Jahre“, die mit +71 % (Szenario A) und +84 % (Szenario C) deutlich an Stärke gewinnt. In der Altersstufe „75 plus“ fällt der Zuwachs geringer aus. Er erreicht mit +34 % (Szenario A) und +49 % (Szenario C) immer noch eine Gesamtdynamik, die weit über der Entwicklung der Bevölkerung insgesamt liegt. Dies ist insofern bemerkenswert, weil die geburtenstarken Jahrgän- ge der 1960-er-Jahre erst nach 2035 in diese höchste Altersstufe einrücken und die Zuwächse in dieser Altersstufe dementsprechend nach 2035 nochmals an Dynamik zulegen werden.

58

Abbildung 41: Wohnungsbedarf nach dem Alter (Altersstrukturen im Kreis Steinfurt in den Jahren 2017 und in den Szenarien A und C 2035)

Alter 85u.ält. 80 - 81 75 - 76 Ruhestandsphase: Bedarf an 70 - 71 seniorengerechten Wohnungen 65 - 66 60 - 61 55 - 56 Konsolidierung: Kaum Veränderungen der Wohnsituation 50 - 51 45 - 46

40 - 41 Familienbildung: Bedarf an großen Wohnungen (Miete und Eigentum, alle 35 - 36 Gebäudearten und Preiskategorien) 30 - 31 2035 Szenario A 25 - 26 Haushaltsbildung: Bedarf an kleinen, preiswerten Mietwohnungen 20 - 21 15 - 16 keine eigener 10 - 11 Wohnungsbedarf 2035 5 - 6 Szenario C 0 - 1 4500 3600 2700 1800 900 0 900 1800 2700 3600 4500 Männer Frauen

Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen

4.6.1 Nachfragemöglichkeiten der Senioren

Wie Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums gezeigt haben, wird die bereits beschlossene Absenkung des Niveaus der umlagefinanzierten Rente, die für die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Basis oder sogar die alleinige Altersver- sorgung darstellt, dazu führen, dass ein großer Teil derer, die über viele Jahre Ein- zahlungen geleistet haben, nicht über die Grundsicherung hinauskommen werden. So ging das Ministerium in vor einigen Jahren durchgeführten Berechnungen davon aus, dass Arbeitnehmer, die im Durchschnitt ihrer Erwerbstätigkeit ein Bruttoein- kommen erzielten, dass zum damaligen Zeitpunkt 2.500 Euro brutto im Monat ent- sprach, nach 35 Jahren Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung im Jahr 2030 nur eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbetrages erhalten. Dies betrifft gut ein Drittel aller Vollzeitbeschäftigten (8 Mio. Personen). In Abbildung 42 sind die Erwerbsfähigen (alle Personen von 18 bis zum gesetzlichen Ruhestandsalter), die Erwerbspersonen und die tendenziell „Grundsicherungsgefährdeten“ ausgewiesen.

59

Abbildung 42: Erwerbsfähige, Erwerbspersonen und tendenziell „Grundsiche- rungsgefährdete“ in Deutschland

Quelle: eigene Darstellung auf der Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit, des Statistischen Bundesamtes und des BMAS

Neben der Ausweitung der Altersarmut durch heutigen Niedriglohnbezug, „prekäre“ Selbständigkeit und Zeiten der Arbeitslosigkeit, erreichen insbesondere in Ost- deutschland die Quoten an Leistungsbeziehern nach SGB II (erwerbsfähige arbeits- lose Personen ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld und erwerbstätige Menschen mit Einkünften unterhalb der SGB II-Leistungen, so genannte „Aufstocker“) in der Alters- gruppe „55- bis gesetzliches Ruhestandsalter“ aktuell Werte bis zu 18 %. Diese Men- schen mussten ihre „Vermögenslosigkeit“ bereits nachweisen, so dass der unmittel- bare Übergang in den Grundsicherungsbezug mit Erreichen des 65. Lebensjahres eine hohe Wahrscheinlichkeit hat. Selbst wenn die Hälfte der über 30 Mio. als „grundsicherungsgefährdet“ ausgewiesenen Personen über Familie oder Vermögen abgesichert ist, so wäre doch etwa ein Drittel der aktuellen Erwerbspersonen von Altersarmut im Sinne von Grundsicherungsbezug bedroht.

Insgesamt ist zu befürchten, dass sich der Anteil an Senioren, der ergänzende Grundsicherungsleistungen zur Absicherung des Lebensunterhaltes benötigt, von gegenwärtig rund 3 % innerhalb der kommenden 20 Jahre auf über 30 % ansteigt. Zur aktuellen Quote der Grundsicherungsempfänger ist noch anzu- merken, dass von einer Grundsicherungsberechtigtenquote in Höhe von etwa 9 % der aktuellen Senioren ausgegangen wird. D. h., etwa 6 % der heutigen Rentner nehmen die rechtlich vorhandenen Ansprüche nicht wahr. Im Kreis Steinfurt lag die Quote der Empfänger von Grundsicherung im Alter im Jahr

60

2017 bei 2,7 % und damit deutlich unterhalb des Landesdurchschnitts von 4,0 %.

Wie die Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung gezeigt haben, han- delt es sich bei den Senioren im Kreis Steinfurt um eine wachsende Alters- gruppe. Unsicher ist dagegen deren Einkommen. Ob neben dem Bedarf an „sehr“ kleinen, barrierearmen Wohnungen im Kreis Steinfurt neue Formen des gemeinschaftlichen Wohnens „ausprobiert“ werden können, um in 20 Jahren ein möglichst breites Spektrum an Wohnformen mit deutlich geringeren Wohn- flächen pro Kopf als heute verfügbar zu haben, kann nur vor Ort entschieden werden.

4.6.2 Nachfrage nach Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern

Die Einfamilienhausnachfrage ist, natürlich nur in Grenzen, unabhängig vom eigentli- chen Wohnungsbedarf. Als Nachfrager treten vor allem Haushalte mit einem Haus- haltsvorstand zwischen 30 und 45 Jahren auf. Zwar werden auch in den darüber und darunter liegenden Altersgruppen entsprechende Wohnungen nachfragt, aber etwa 80 % der Erstnachfrage entfällt auf die betrachtete Altersgruppe.

Als spezifische Nachfrage wird die Zahl der nachgefragten Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern je 1.000 Personen dieser Altersgruppe betrachtet. Im Landesdurchschnitt wurden in den vergangenen fünf Jahren jährlich 20,8 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern je 1.000 Personen im Alter zwi- schen 30 und 45 Jahren nachgefragt, wobei die Werte großen Städten in der Regel deutlich darunter liegen. Die Entwicklung im Kreis Steinfurt zeigt Tabel- le 6. Der Durchschnittswert im Kreis Steinfurt lag mit 39,7 weit über Landes- durchschnitt.

Die Nachfrage im Kreis Steinfurt wurde über den Gesamtzeitraum zu gut 56 % aus dem Bestand gedeckt. Für die Zukunft ist bei steigenden Sterbefallzahlen von einem weiter wachsenden Bestandsangebot auszugehen. Die Gesamtnachfrage ist abhän- gig vom Preisniveau, der Besetzung der Altersgruppe der 30- bis unter 45-Jährigen sowie der Wohnungsmarktsituation im Kreis Steinfurt und den konkurrierenden Wohnstandorten in der Region. Wie Tabelle 9 zeigt, waren im Kreis Steinfurt in der Vergangenheit Schwankungen der Nachfrageziffer zu verzeichnen.

Bundesweit waren im vergangenen Jahrzehnt bei nahezu ausgeglichenem Wanderungssaldo die Wohnungsmärkte weitgehend entspannt. Ein höherer Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern wäre mit einer deutlichen Senkung der (Grundstücks)Preise möglich gewesen, da das Einfamilienhaus bei den privaten Haushalten noch immer die Wohnform mit der höchsten Wertschät- zung darstellt. In der Phase niedriger Auslandszuwanderung wären parallel zur Ausweitung des Neubaus an Ein- und Zweifamilienhäusern allerdings Vermark- tungsschwierigkeiten bei gebrauchten Objekten und im Geschosswohnungs-

61 bereich entstanden oder hätten sich verschärft. Insofern war das politische In- teresse an einer Ausweitung des Ein- und Zweifamilienhausbaus gering.

Das Ein- und Zweifamilienhaus ist im Kreis Steinfurt sowie in den Kreisen des Münsterlandes das dominierende Objekt auf dem Wohnungsmarkt. Der Anteil der Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern lag 2017 bei 72,1 % des Woh- nungsbestandes im Kreis Steinfurt und der Anteil an Wohnungen in neuen Ein- und Zweifamilienhäusern am gesamten Wohnungsbau lag über die vergange- nen 30 Jahre bei knapp 56 %.

Tabelle 9: Entwicklung der Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhauswoh- nungen im Kreis Steinfurt von 1995 bis 2017

Gesamtan- Nachfrage 30- bis 45- Angebot aus gebot = je 1.000 30-45 Jahr Jährige Bestand Neubau Nachfrage Jähriger 1995 96.474 1.647 1.813 3.460 35,9 1996 99.868 1.619 1.756 3.375 33,8 1997 102.936 1.543 2.037 3.580 34,8 1998 105.273 1.602 1.628 3.230 30,7 1999 106.959 1.562 2.091 3.653 34,2 2000 107.877 1.666 2.417 4.083 37,8 2001 108.390 1.644 1.731 3.375 31,1 2002 108.006 1.688 1.339 3.027 28,0 2003 106.666 1.744 1.743 3.487 32,7 2004 104.809 1.798 1.917 3.715 35,4 2005 102.785 1.795 1.544 3.339 32,5 2006 100.259 1.763 1.420 3.183 31,7 2007 97.075 1.724 1.243 2.967 30,6 2008 93.691 1.821 815 2.636 28,1 2009 89.885 1.842 683 2.525 28,1 2010 86.642 1.904 708 2.612 30,1 2011 82.757 1.841 833 2.674 32,3 2012 80.132 1.902 863 2.765 34,5 2013 77.639 1.932 1.041 2.973 38,3 2014 75.976 1.861 1.008 2.869 37,8 2015 76.226 2.054 1.098 3.152 41,4 2016 75.669 2.072 1.020 3.092 40,9 2017 76.218 2.124 947 3.071 40,3 Veränder. -20.256 Durchschnitt in v.H. -21,0 ab 2013 39,7 Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen

Generell war der in ganz Deutschland nach dem Jahr 2000 zu erkennende deutliche Rückgang der Einfamilienhausnachfrage vor allem darauf zurückzuführen, dass die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Alter der stärksten Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern herauswuchsen und die Zahl der 30- bis unter 45-Jährigen stark 62 abgenommen hat. In Nordrhein-Westfalen erreichte der Rückgang seit dem Höchststand im Jahr 1999 gut 27 %. Im Kreis Steinfurt wurde der höchste Wert im Jahr 2001 erreicht. Der anschließende Rückgang bis 2017 fiel mit knapp 30 % aber noch stärker aus als im Land insgesamt.

Unterstellt man für die Zukunft, dass der aktuelle Durchschnittswert der Nachfragezif- fer langfristig konstant bleibt, so zeigt sich die in Tabelle 10 ausgewiesene Neubau- nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern für die Szenarien.

Tabelle 10: Entwicklung der Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhauswoh- nungen im Kreis Steinfurt in den Szenarien

30- bis 45-Jährige vermarktbarer Neubau *) Jahr Szenario A Szenario B Szenario C Szenario A Szenario B Szenario C 2017 76.218 76.218 76.218 - - - 2018 76.513 76.732 76.984 965 973 983 2019 76.658 77.089 77.591 930 942 951 2020 77.060 77.706 78.458 916 925 940 2021 77.225 78.097 79.093 894 907 919 2022 77.561 78.649 79.887 832 844 864 2023 77.857 79.165 80.638 833 846 865 2024 77.904 79.432 81.139 796 810 831 2025 77.631 79.392 81.331 763 779 788 2026 77.506 79.497 81.660 745 760 785 2027 77.551 79.781 82.170 747 764 778 2028 77.593 80.055 82.669 753 768 791 2029 77.544 80.238 83.063 731 750 777 2030 77.346 80.267 83.301 730 744 769 2031 76.866 80.030 83.266 717 742 765 2032 75.859 79.244 82.679 683 716 740 2033 74.895 78.517 82.148 654 691 718 2034 73.904 77.745 81.592 633 658 685 2035 72.605 76.686 80.760 595 631 669 Veränder. -3.613 468 4.542 in v.H. -4,7 0,6 6,0 Summe 13.917 14.250 14.618 *) Mindestens 20 % der Gesamtnachfrage Quelle: eigene Berechnungen

Da erwartet wird, dass mindestens 20 % der Gesamtnachfrage auf Neubauten entfallen, rücken alle Szenarien vom vermarktbaren Neubau her recht nahe zu- sammen. Nachdem in den kommenden Jahren noch 900 bis 1.000 Neubauwoh- nungen (auf dem aktuellen Preisniveau) vermarktbar sind, sinkt diese Zahl im Zeitablauf auf Werte unter 700 Wohnungen je Jahr gegen Ende des Betrach- tungszeitraums.

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In einzelnen Kommunen des Kreises wird das Angebot an Einfamilienhäusern aus dem Bestand stärker steigen als die Nachfrage. Ohne Preissenkung wird sich ein Teil dieser Häuser dann nicht mehr vermarkten lassen. Allerdings ist ein Preisverfall wie in sehr ländlichen Gebieten etwa in Südostniedersachsen, Nordhessen, Nordostbayern oder Teilen von Rheinland-Pfalz für den Kreis Steinfurt nur in Ausnahmefällen, z.B. sehr schlecht angebundener Ortsteile, zu erwarten. Die genannten Regionen zeigen seit Jahren starke Einwohnerverlus- te und der Grundstückswert liegt dort bei unsanierten Objekten teils unter den Abrisskosten, was einen negativen Objektwert zur Folge hat. Für eine derartige Entwicklung ist die wirtschaftliche und demographische Entwicklung im Kreis Steinfurt zu positiv.

4.6.3 Wohneigentumsbildung im Kreis Steinfurt

Die Schaffung von Wohneigentum stand in der Bundesrepublik Deutschland praktisch von Beginn an auf der politischen Agenda. So hatten bereits in den 1950-er-Jahren die Eigentumsmaßnahmen einen Anteil von über 40 % an den Bewil- ligungen im sozialen Wohnungsbau. Insgesamt wurden in der Zeit von 1952 bis 1969 im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus 2,26 Mio. Eigentumsmaßnahmen bewilligt, das waren gut 125.000 Wohnungen pro Jahr bzw. 22 % des gesamten Wohnungsbaus dieser Zeit und 45 % des sozialen Wohnungsbaus. Im Jahre 2017 wurden im sozialen Wohnungsbau lediglich 11.960 Wohnungen als Eigen- tumsmaßnahmen gefördert, darunter 2.143 Neubauten und 2.367 Bestandskäu- fe10. In Nordrhein-Westfalen waren es 178 Neubauten und 135 Bestandskäufe und 116 Modernisierungen, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus geför- dert wurden.

Zu der Eigentumsförderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus kam dann noch die Eigentumsförderung durch Steuererleichterungen zunächst über den § 7b EStG, dann über den 10e EStG und zuletzt über die Eigenheimzulage. Die Eigenheimzula- ge wurde letztmalig für im Jahr 2005 beantragte Neubauten bzw. beurkundete Käufe gewährt. Rückwirkend zum 1.1.2018 und begrenzt bis zum 31.12.2020 wurde das im Koalitionsvertrag vereinbarte „Baukindergeld“ eingeführt. Für Ersterwerber von selbstgenutztem Wohneigentum sollen über zehn Jahre 1.200 € je Kind und Jahr gezahlt werden. Da wegen der festen Höhe des Zuschusses die Subventionswirkung mit sinkendem Preis zunimmt, wurde erwartet, dass die Förderung überwiegend für Bestandskäufe in ländlichen Räumen in Anspruch genommen wird. Nach einer ers- ten Auswertung ist dies auch der Fall, denn bis November 2018 wurden 87,7 % der Anträge für Bestandskäufe gestellt11. Für Teile des Kreises Steinfurt ist das Baukin- dergeld durchaus relevant. Da das Angebot nicht erhöht wird, einem Teil der poten- ziellen Käufer aber mehr Kaufkraft gegeben wird, wird tendenziell eine preiserhöhen- de Wirkung erwartet.

10 Bundestagsdrucksache 19/3500 11 Bundestagsdrucksache 19/7341, S. 16 64

Für Nordrhein-Westfalen wurde 1950 eine Wohneigentumsquote von 31,5 % festge- stellt. Bis 1968 sank der Anteil der Haushalte, die in ihrer eigenen Wohnung lebten, auf 27,5 % ab und 1987 wurde bei der damaligen Gebäude- und Wohnungszählung mit 32,8 % ein im Vergleich zu 1950 nur geringfügig höherer Wert festgestellt. Bis zum Zensus 2011 stieg die Eigentümerquote dann auf 42 % an. Bedenklich ist aller- dings, dass in der eigentlichen Kernaltersgruppe der Wohneigentumsbildung, bei den 25- bis unter 40-Jährigen, auch in Nordrhein-Westfalen die Wohneigentumsquote von 2002 bis 2014 um über 2 %-Punkte zurückgegangen ist. Immer längere Ausbil- dungen, auf die dann teils Praktika oder befristete Arbeitsplätze folgen, führen zu einer Verschiebung der Wohneigentumsbildung auf ein höheres Lebensalter. Trotz der „Rente mit 67“ verkürzt sich die Phase des möglichen Wohneigentumserwerbs und die Resterwerbslebenszeit wird für viele zur Kreditrückzahlung zu kurz. Vor- schriften wie die Wohnimmobilienkreditrichtlinie verschärfen die Situation ge- rade für so genannte Schwellenhaushalte zusätzlich. Dabei sprechen heute mehr denn je die Argumente der Alterssicherung und der Vermögensbildung - aus Sicht des Staates auch der Vermögensverteilung - für das schon in der 1950-er-Jahren geforderte breit gestreute Wohneigentum.

Die Möglichkeiten der Wohneigentumsbildung ergeben sich aus den Preisen und den Einkommen in einer Region, insbesondere auch im Vergleich zu den aktuellen Mie- ten. Die Preise für Grundstücke sind, wenn nicht gesondert angegeben, den Grund- stücksmarktberichten des „Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Kreis Steinfurt“ entnommen.

Bei den Bodenpreisen wurden die „typischen Baulandpreise für Grundstücke des individuellen Wohnungsbaus in mittlerer Lage“ als Referenz genommen. Zur Diffe- renzierung der Bestandspreise trägt neben der individuellen Qualität des Objektes in hohem Maße auch der jeweilige Bodenwert bei. Die Baulandpreise sind in allen Kommunen des Kreises Steinfurt seit 2011 gestiegen, wie Abbildung 43 zeigt.

Für Grundstücke in mittlerer Lage wurden im Kreis Steinfurt im Jahr 2011 im Durch- schnitt 105 Euro je Quadratmeter gezahlt. Dieser Wert stieg auf knapp 117 Euro je Quadratmeter zum Jahr 2017 an. Damit stieg der Preis zwar etwas stärker als die allgemeinen Lebenshaltungskosten in diesem Zeitraum, von einer „Baulandpreisex- plosion“, wie sie für viele Großstädte zu verzeichnen war, ist der Kreis Steinfurt je- doch weit entfernt. Unter den Kommunen lag im Jahr 2017 der höchste Wert in Emsdetten mit 210 Euro, der niedrigste in Hopsten mit 55 Euro je Quadratmeter. Die höchste Preissteigerung gab es im Zeitraum seit 2011 in Ochtrup, in der der durch- schnittliche Wohnbaulandrichtwert um über ein Drittel von 85 Euro auf 115 Euro je Quadratmeter stieg. In Horstmar, Ibbenbüren und Tecklenburg stagnierten die Prei- se.

Neben den reinen Preisen für das Wohnbauland ist auch die Verfügbarkeit von Bau- flächen für die Wohneigentumsbildung von hoher Bedeutung. Der Rückgang des Ein- familienhausbaus, dies ist im Kreis Steinfurt nach wie vor die vorherrschende Form der Eigentumsbildung, seit Jahr 2015 deutet darauf hin, dass es bei der Verfügbar-

65 keit von Grundstücken zumindest in einigen Kommunen Probleme gibt. In der Sum- me der Jahre 2014 bis 2017 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Kreis Steinfurt 796.000 m² baureifes Land verkauft. Dies war zwar erheblich mehr als im Kreis Coesfeld (109.000 m²), der Stadt Münster (220.000 m²), dem Kreis Bor- ken (422.000 m²) oder dem Kreis Warendorf (531.000 m²); zur mittelfristigen Reali- sierung der erwarteten Neubaunachfrage reichte das Volumen aber nicht aus.

Abbildung 43: Wohnbaulandrichtwerte für Grundstücke des individuellen Wohnungsbaus in mittlerer Lage in den einzelnen Kommunen im Kreis Steinfurt 2011 und 2017

Altenberge Emsdetten Greven Hopsten Hörstel Horstmar Ibbenbüren Ladbergen Laer Lengerich Lienen Lotte 2011 Metelen 2017 Mettingen Neuenkirchen Nordwalde Ochtrup Recke Rheine Saerbeck EUR / m² Steinfurt Tecklenburg Westerkappeln Wettringen 0 50 100 150 200 250

Quelle: Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Kreis Steinfurt und Gutachterausschuss für Grundstückswerte in der Stadt Rheine, Grundstücksmarktberichte 2012 und 2018

4.6.4 Wohnungsgrößen

Gegenwärtig ist bundesweit eine Reduzierung der durchschnittlichen Wohnungsgrö- ße im Neubau festzustellen. Dies ist allerdings im Wesentlichen ein Effekt der wieder 66 gestiegenen Bedeutung des Geschosswohnungsbaus und speziell in den letzten Jahren des Wohnheimbaus insbesondere für Studierende. Die gewünschte Auswer- tung der Bautätigkeit nach Größenklassen von Wohnungen für Ein- und Zweifamili- enhäuser und Mehrfamilienhäuser war auf der Gemeindeebene für Nordrhein- Westfalen nicht lieferbar. Ersatzweise wurde die Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes genommen. Die Entwicklung bei den einzelnen Gebäudetypen seit 2001 zeigt Tabelle 11 für Deutschland und Nordrhein-Westfalen:

Tabelle 11: Wohnfläche je Wohnung in neu errichteten Wohngebäuden nach dem Gebäudetyp von 2001 bis 2017 für Deutschland insgesamt und für das Bundesland Nordrhein-Westfalen

Deutschland Nordrhein-Westfalen Einfa- Zweifa- Mehrfa- Wohn- Einfa- Zweifa- Mehrfa- Wohn- milienhaus milienhaus milienhaus heime milienhaus milienhaus milienhaus heime Jahr m² je Wohnung 2001 134,2 104,3 77,3 44,5 133,3 104,4 77,5 40,6 2002 135,6 105,1 78,8 40,1 133,5 105,8 79,1 86,5 2003 136,1 104,1 79,7 42,0 135,3 104,9 78,7 62,3 2004 136,6 104,9 80,3 49,8 135,3 105,8 81,8 55,7 2005 137,8 106,3 81,1 34,1 136,1 105,3 81,6 56,0 2006 138,6 106,7 78,7 37,8 137,6 106,1 81,4 66,6 2007 141,5 106,9 80,8 41,7 139,5 105,3 79,8 44,6 2008 142,6 107,4 81,6 35,9 141,1 106,3 80,6 27,9 2009 143,6 108,3 81,9 39,8 141,5 110,0 80,9 57,5 2010 144,3 108,7 81,1 32,7 142,1 108,6 78,4 43,6 2011 145,5 109,3 81,8 30,5 144,9 111,4 80,0 45,6 2012 146,8 109,5 82,7 33,3 146,9 109,3 81,1 37,2 2013 147,5 109,0 82,6 32,0 148,4 109,9 83,7 40,3 2014 148,4 109,0 82,8 32,6 149,9 110,0 82,8 47,4 2015 149,4 110,1 82,8 30,6 151,1 111,3 84,3 33,7 2016 148,9 110,8 80,6 33,3 151,1 111,4 80,9 37,9 2017 150,4 110,5 80,5 34,2 151,5 112,2 81,9 37,1 Quelle: Statistisches Bundesamt, IT.NRW

Bei Einfamilienhäusern scheint der Trend noch immer zu größeren Wohnflächen zu gehen. Auch bei Zweifamilienhäusern nahm die Wohnfläche je Wohnung in den ver- gangenen Jahren spürbar zu. Bei Mehrfamilienhäusern ist seit der - vorläufigen - Spitze im Jahr 2015 ein leichter Rückgang festzustellen. Dieser Rückgang der spezi- fischen Wohnfläche war schon seit längerer Zeit, insbesondere wegen der gestiege- nen Errichtungs- und Grundstückskosten, erwartet worden. Ob es sich bei dem aktu- ell feststellbaren Rückgang um eine Trendwende handelt oder ob nach wenigen Jah- ren wieder ein Anstieg eintritt, lässt sich gegenwärtig nicht abschließend beurteilen. Auch für den Kreis Steinfurt ist bisher kein Trendbruch ersichtlich, wie Abbildung 44 zeigt.

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Abbildung 44: Entwicklung der durchschnittlichen Wohnungsgröße bei ver- schiedenen Gebäudearten im Kreis Steinfurt seit 1987

Wohnungsgröße in m² 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 EFH ZFH 30 MFH dar.: ETW 20 10 0 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Quelle: IT.NRW

Da allerdings im Kreis Steinfurt das Angebot an Mietwohnungen wegen der hohen Eigentumsquote eher niedrig ist und aufgrund der zu erwartenden Alterseinkommen gerade kleine Wohnungen mit verstärkter Nachfrage rechnen können, wäre Investo- ren in den Mietwohnungsbau eher der Bau kleinerer Wohnungen zu empfehlen. Dies kann die Single-Wohnung mit ca. 40 m² sein, aber auch die von Single- und Paar- haushalten nutzbare Wohnung bis 65 m² sein. Im oberen Bereich der Wohnungsgrö- ßen wird im Kreis Steinfurt auch künftig das Wohneigentum dominierend sein und Mietwohnungsangebote werden es entsprechend schwer haben, eine ausreichende Nachfrage zu finden.

4.7 Investoren für den künftigen Wohnungsbau im Kreis Steinfurt

Angesichts der demographischen Situation Deutschlands mit einem längerfristig zwangsläufig ansteigenden Sterbeüberschuss sind Wohnungsbauinvestitionen gene- rell und noch stärker außerhalb der großen Städte als langfristige Investitionen mit einem demographischen Risiko zu betrachten. Es stellt sich immer wieder die Frage, wer kann, wer will und wer soll die Risiken dieser Investitionen tragen?

Schon beim Thema Bauland lassen sich unterschiedlichste Strategien erkennen. Grundsätzlich sind nur die Gemeinden in der Lage, Baurecht zu schaffen und damit Flächen aufzuwerten. Es gibt Städte und Gemeinden, die nur eigene Flächen über- planen, d.h. der vorherige Ankauf dieser Flächen ist obligatorisch. Andere Kommu- nen arbeiten bereits in diesem Stadium mit privaten Investoren zusammen und bin- den die kommunalen Interessen z. B. über städtebauliche Verträge ein. Weiterhin gibt es nach wie vor Städte und Gemeinden, die auf die Konkurrenz zwischen den 68

Flächeneigentümern bauen und über die Bebauungspläne ein mengenmäßiges Überangebot schaffen. Dieses Vorgehen ist in den meisten Regionen allerdings auf- grund der Vorgaben der Landes- und Regionalplanung nicht mehr möglich. Es hat in der Vergangenheit auch vielfach zum Entstehen von Baulücken beigetragen und ist aus gutem Grund kaum noch möglich. Letztlich ist es eine politische Entscheidung, wie weit eine Gemeinde in die Vorleistung und damit auch ins Risiko geht. Über- nimmt eine Gemeinde vom Flächenankauf über die Erschließung bis hin zur Ver- marktung alle Schritte in Eigenregie, so hat die Gemeinde den größten Einfluss auf das tatsächliche Baugeschehen, trägt aber auch das finanzielle Risiko. Je weniger Risiko eine Gemeinde zu tragen bereit ist, umso weniger Einflussmöglichkeiten hin- sichtlich der Bauten bleiben ihr.

Bezüglich der eigentlichen Bauinvestoren lässt sich im Bereich der Ein- und Zweifa- milienhäuser die Frage recht eindeutig beantworten. Es werden auch künftig in erster Linie private Haushalte sein, die für die Selbstnutzung ein Einfamilienhaus bauen oder bauen lassen. Möglicherweise zwischengeschaltete Bauträger orientieren sich an der aktuellen Marktlage und gehen kein langfristiges Risiko ein. Die Schaffung von Mieteinfamilienhäusern ist in Deutschland eher die Ausnahme. Für die Eigentü- mer der Flächen ist es in der Regel „einfacher“, mit Bauträgern/Projektentwicklern nur einen oder wenige Partner zu haben.

Den künftigen Geschosswohnungsbau im Kreis Steinfurt können sowohl pri- vate als auch öffentliche Investoren gestalten. Wie beim Bauland gilt auch für den eigentlichen Bau und Betrieb von Mietwohnungsprojekten: Je mehr eine Gemeinde mitgestalten will, umso stärker muss sie sich in der Regel am finan- ziellen Risiko beteiligen.

Abgesehen vom Bauträgergeschäft mit Eigentumswohnungen (relativ kurzfristiges Risiko; Entscheidung über Wohnungsgrößen und Ausstattung auf der Basis der ak- tuellen Marktlage) werden private Investoren in den Mietwohnungsbau die Wohnun- gen bauen, von denen sie sich langfristig die besten Vermarktungschancen und da- mit die höchsten Renditen versprechen.

Auch für öffentliche Investoren, Wohnungsgesellschaften oder die Städte unmittelbar sollte selbstverständlich die langfristige Wirtschaftlichkeit einer Wohnungsbauinvesti- tion Voraussetzung für die Investition sein. Allerdings muss nicht die Renditeorientie- rung im Vordergrund stehen. Weitere Ziele wie etwa die Versorgung von Haushalten mit niedrigen Einkommen oder die Durchmischung der Bewohnerschaft dürfen die Wirtschaftlichkeit nicht infrage stellen, können aber als wesentliche Entscheidungskri- terien mit eingehen. Für die Städte kommt als Entscheidungskriterium noch hinzu, dass sie im Rahmen der Daseinsvorsorge verpflichtet sind, ihren Bürgern ein ‚Dach über dem Kopf‘, also eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung zu stellen, wenn diese nicht selbst dazu in der Lage sind, Wohnraum im freien Wohnungsmarkt zu mieten oder zu kaufen. Diese Verpflichtung gilt sowohl für benachteiligte einheimische Haushalte als auch für zugewiesene Flüchtlinge. In der gegenwärtigen Situation stel-

69 len viele Kommunen wieder fest, wie gering ihre wohnungspolitischen Handlungs- möglichkeiten sind.

Der Bau eigener Wohnungen stellt die höchste Stufe der Zugriffsmöglichkeit dar. Al- lerdings ist zu beachten, dass die in der Regel unter Einsatz von Fördermitteln des sozialen Wohnungsbaus geschaffenen Wohnungen meist eine sehr geringe Fluktua- tion aufweisen. Wenn sich etwa Kommunen im Kreis Steinfurt bereits vor 15 Jahren entschlossen hätte, 5.000 barrierearme Sozialwohnungen zu bauen, so wären diese Wohnungen im Jahr 2015 nur im Rahmen der normalen Fluktuation verfügbar gewe- sen, d.h., bei einer im Bereich geförderter Wohnungen üblichen Fluktuation von 7,5 % hätten 375 dieser Wohnungen im Verlauf des Jahres neu belegt werden kön- nen. Wohnraum im öffentlichen Eigentum hilft somit, die langfristige Versorgung von benachteiligten Haushalten sicher zu stellen, kann aber in akuten Krisensituationen nur geringfügig zur Entspannung beitragen. In der aktuellen Situation des Jahres 2015 wäre es vordringlich gewesen, tatsächlich zusätzliche Wohnungen zu schaffen. Da der eigentliche Bau meist weniger als ein Jahr benötigt, wäre die Vorhaltung von unmittelbar bebaubaren eigenen Flächen eine Vorsorgemöglichkeit, um auf Zuwan- derungswellen, wie wir sie jüngst erlebt haben, schnell reagieren zu können.

Insofern bleiben die Empfehlungen,

1. die Zahl an Wohnungen im öffentlichen Eigentum zur Absicherung der langfristigen Wohnmöglichkeiten benachteiligter Haushalte zu erhöhen und 2. als Vorbereitung auf Zuwanderungsschübe dauerhaft unmittelbar bebau- bare Grundstücke vorzuhalten.

Ob der eigentliche Bau und die Bewirtschaftung durch ein öffentliches Wohnungsun- ternehmen oder die Städte und Gemeinden selbst erfolgt, ist grundsätzlich nachran- gig, sondern eher eine Frage der Wirtschaftlichkeit, bei der die Entscheidung in der Regel zugunsten eines Wohnungsunternehmens fällt. Wesentlich sind die notwendi- gen Zugriffsrechte auf freiwerdende Wohnungen im Sinne eines Belegungsrechtes bei den Kommunen.

5. Fazit

Die Wohnungsmärkte im Kreis Steinfurt sind inzwischen wieder deutlich angespannt. Die bei sinkendem Leerstand wieder gestiegene Wohnungsknappheit zeigt eindeutig, dass im Kreis Steinfurt in den vergangenen Jahren zu wenige Woh- nungen gebaut wurden. Gegenüber 2011, dem Jahr des Zensus, haben sich die Wohnungsdefizite in den Städten und Gemeinden des Kreises von gut 1.000 auf knapp 4.000 Wohnungen erhöht. Der 2011 noch in fünf Kommunen rechne- risch vorhandene Überhang von zusammen 170 Wohnungen war 2017 ver- schwunden, die Leerstandsquote liegt in allen Kommunen des Kreises unter 2,5 %, in den meisten um 1 %. Dies reicht für eine ungestörte Fluktuation und Haushaltsbildung nicht aus. In den sechs Jahren von 2012 bis 2017 hätten jähr- 70 lich rund 660 Wohnungen mehr gebaut werden müssen, um den Wohnungs- markt auszugleichen.

Da weite Teile der Bevölkerung mit Einkommensstagnation oder sogar Einkommens- rückgängen12 konfrontiert sind, stellt sich allerdings die Frage, wie viel Wohnen lang- fristig bezahlbar sein wird. Die Einkommensentwicklung hat sowohl Einfluss auf die Singularisierung als auch auf die nachgefragten Wohnflächen je Einwohner. Hinzu kommen die beschriebenen längerfristigen (Einkommens)Risiken bei den Senioren.

Bei den auch von der Bundesregierung formulierten Ansprüchen ans Wohnen, ins- besondere die Forderung nach den „Nahe-Null-Energie-Häusern“, ist parallel zur stagnierenden Zahlungsfähigkeit der Haushalte von weiteren realen Preissteigerun- gen des Wohnens auszugehen. Eine Senkung der Wohnkosten wird dann nur über eine Absenkung des Wohnflächenkonsums erfolgen können. Während dies bei Mehrpersonenhaushalten über einen Umzug häufig realisiert werden kann, ist diese Möglichkeit bei Single-Haushalten über das Wohnungsangebot begrenzt.

Hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung ist für den Kreis Steinfurt von einer weite- ren Einwohnerzunahme auszugehen. Angesichts der hohen wirtschaftlichen Dynamik im Kreis und dem wichtigsten Auspendlerarbeitsort, der Stadt Münster, wird das Wohnungsangebot (Quantität und Preis) zunehmend zum limitierenden Faktor der Zuzüge.

Mangels bezahlbarer Wohnungen ausbleibende Zuzüge könnten sehr schnell auch die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen, da aus der einheimi- schen Bevölkerung heraus die Zahl der Erwerbsfähigen sinkt. Dieses Absinken wird sich mit dem Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1960-er-Jahre in den Ruhestand noch beschleunigen. Dies gilt natürlich bundesweit und spricht für lang- fristige Wanderungsgewinne Deutschlands gegenüber dem Ausland auf einem Ni- veau um 300.000 Personen je Jahr, von denen ein Teil auch im Kreis Steinfurt sie- deln wird.

Die Frage nach der „gewünschten“ Entwicklung muss von den entsprechenden politi- schen Gremien der Städte und Gemeinden im Kreis Steinfurt beantwortet werden. Erst dann bzw. in einer Diskussion um die „gewünschte“ Entwicklung können mögli- che lokale Maßnahmen zur Erreichung der Ziele beraten werden. Unabhängig von der weiteren Entwicklung der Geburtenhäufigkeit wird in Deutschland insgesamt der Sterbeüberschuss ansteigen, d.h. viele Städte und Gemeinden werden ohne Wande- rungsgewinne schrumpfen. Wenn aber sehr viele Städte und Gemeinden wachsende Wanderungsgewinne benötigen, um die Einwohnerzahl zu steigern, zu halten oder auch nur den Rückgang zu stabilisieren, so deutet sich ein wachsender Wettbewerb der Städte und Gemeinden um Einwohner an.

12 vgl. Mietwohnungsbau in Deutschland, Pestel Institut 2012; Hrsg.: Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“ oder DenkwerkZukunft: Seit fast zehn Jahren sinken die Realeinkommen; download am 27.5.2013 unter: http://www.denkwerkzukunft.de/index.php/aktivitaeten/index/Sinkende%20Einkommen 71

Die Analyse hatte gezeigt, dass bereits heute ein ungedeckter Bedarf an klei- nen, barrierearmen Wohnungen und an Mietwohnungen im unteren Preisseg- ment vorhanden ist. Die Verfügbarkeit von Wohnungen für Haushalte, die sich nicht selbst am Markt versorgen können, wird somit ein wichtiges Thema im Kreis Steinfurt bleiben. Sowohl die Versorgung dieser Haushalte mit Wohnraum wie auch die Schaf- fung von Angeboten im so genannten Bereich des bezahlbaren Wohnens gehört zu den großen Herausforderungen der Kommunalpolitik im Kreis Steinfurt.

Bei noch moderaten Preisen scheint die Verfügbarkeit von Grundstücken in einigen Kommunen des Kreises problematisch zu sein. Damit gibt es unabhängig von der weiteren Bevölkerungsentwicklung die Notwendigkeit unmittelbaren wohnungspoliti- schen Handelns, der Entwicklung von Wohnbaulandflächen.

Weiterhin wären im Sinne eines krisenfesten Kreises als Vorbereitung auf Zuwande- rungsschübe dauerhaft unmittelbar bebaubare, eigene Grundstücke vorzuhalten. Auch eine solche Vorsorgemaßnahme hat eine zügige Baulandentwicklung zur Vo- raussetzung.

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