Nr. 21 / 19.5.2018 Deutschland €5,10 Slowakei € 6,60 Slowakei 185,- Kc Spanien € 6,50 Tschechien in Printed Slowenien € 6,30 Spanien/Kanaren Slowenien Ft 2350,- Ungarn € 6,70 Germany

Wie Verbrecher und Heilige eine Weltmacht schufen BeNeLux € 5,80 Finnland € 8,– NOK 82,– Griechenland € 7,– Norwegen ZL 32,– (ISSN00387452) Polen Dänemark dkr 53,– € 6,50 Frankreich Italien € 6,50 € 5,80 Österreich (cont) € 6,50,– Portugal Joschka Fischer zur globalen Krise Die neue Supermacht Trumps Affären »Können wir uns Chinas Griff nach der Eine kurze Begegnung selbst verteidigen? Nein.« deutschen Wirtschaft mit Stormy Daniels Junge Sterne glänzen dreifach: flexibel, verlässlich, überzeugend.

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Hausmitteilung Betr.: Titel, Missbrauch, Hochbegabte, SPIEGEL BIOGRAFIE

Das Pfingstwunder, glauben Christen, sei der Anfang der Kirche. In einer Geschichte voller Dramen und Verbrechen wurde dann aus einer Gruppe von Aposteln die Weltmacht Vatikan. Als Autor Clemens Höges und Rom-Korres- pondent Walter Mayr mit der Recherche be- gannen, sah es so aus, als könnte da ein Span- nungsverhältnis entstehen: Höges hält Götter für eine der gefährlichsten Erfindungen der Mayr, Papst Franziskus Menschheit. Mayr ist katholischer Kirchgänger, traf in den vergangenen Wochen Insider und sogar Papst Franziskus und dessen Vorgänger Benedikt XVI. Doch es ging ja nicht um Gott oder Glauben, sondern um eine zutiefst menschliche Organisation. Am Ende konnten sich die Autoren auf ein Fazit des Erzbischofs Georg Gänswein einigen: »In der Geschichte des Vatikan gibt es Großartiges und Erbärmliches, Heiliges und Unheiliges – und das alles unter dem einen Dach.« Seite 10

Auch im Buddhismus geschieht Unheiliges: Der Abt Thich Thien Son versprach in hessischen Klöstern über Jahre Erleuchtung – und soll unter diesem Vorwand Klos- terschüler sexuell belästigt haben. Ann-Katrin Müller und Anna Sawerthal redeten mit Betroffenen und mit Zeugen eines Gesprächs, bei dem der Abt Sexualkontakte eingeräumt haben soll. Alle Ermittlungen gegen ihn wurden allerdings eingestellt. Die Erinnerungen der Betroffenen seien nicht konkret genug und die Aussagen nicht konstant gewesen. Müller war verblüfft, dass die Betroffenen den Abt immer noch verteidigen: »Alle haben erst mal betont, was für ein talentierter Mann er sei und wie er ihnen geholfen habe; dabei hat er sie traumatisiert.« Seite 48

Journalisten sind es gewohnt, Fragen zu stellen. Aber die Kinder, mit denen Indien-Korresponden- tin Laura Höflinger im Schulbus mitfuhr, drehten den Spieß schnell um. Ist Deutschland eine par- lamentarische Demokratie? Müssen Juden dort noch immer Angst haben? Und ist Journalismus ein redlicher Beruf? Höflinger traf die 11- bis 14- Jährigen im indischen Gurugram. Dort sucht der Mensa-Verein, die Organisation für Hochbegabte,

nach versteckten Genies: solchen, die in bitterer / DER SPIEGEL FABIAN ENRICO Armut aufwachsen, aber einen IQ von 130 und Höflinger, Hochbegabte höher haben. Mensa schickt die Kinder auf eine Privatschule, wo sie gefördert werden. »Bildung verändert für diese Kinder alles«, sagt Höflinger, »nicht nur die Aussichten für das weitere Leben, sondern auch ihre Träume.« Seite 112

Er brachte es vom Hirtenjungen zum Friedensnobelpreisträ- ger, war Freiheitskämpfer, Kommunist, politischer Gefange- ner, schließlich Präsident Südafrikas: Vor 100 Jahren wurde SPIEGEL BIOGRAFIE LEXICON HARDSIDE Nelson Mandela geboren. zeichnet aus- GLOBAL CARRY-ON führlich die Lebensgeschichte Mandelas nach, aber auch die Schrecken des südafrikanischen Apartheidregimes – und den Köln | Zürich | Luzern Widerstand gegen Unterdrückung und Diskriminierung. His- torische Dokumente verbinden sich mit SPIEGEL-Geschich- SHOP ONLINE AT VICTORINOX.COM ten aus fünf Jahrzehnten sowie aktuellen Porträts und Re- portagen zu einem umfassenden Kompendium. SPIEGEL BIOGRAFIE »Nelson Mandela« erscheint am Mittwoch.

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 3 ESTABLISHED 1884 Inhalt

72.Jahrgang | Heft 21 | 19.Mai 2018

Titel Kommentar Das neue bayer ische Polizeigesetz nutzt vor Vatikan Die Geschichte der allem Islamisten und der Kirche ist voller Sünden und AfD ...... 41 Verbrechen – kann Papst Franziskus zum Reformer Netzwerke Die Beziehung werden? ...... 10 zwischen FDP-Chef Christian Wim Wenders’ Dokumen tar - Lindner und einem Düssel - film über Papst Franziskus ist dorfer Unternehmer ...... 44 PR vom Feinsten ...... 19 Viele Abgeordnete haben hohe Nebeneinkünfte 46 Deutschland Missbrauch Ein buddhistischer Leitartikel Wie Kanzlerin Abt soll Klosterschüler Merkel bei ihrem Besuch in in Hessen sexuell belästigt China auftreten sollte ...... 6 haben ...... 48

Meinung Der gesunde Menschenverstand / So Gesellschaft IBRAHEEM ABU MUSTAFA / REUTERS IBRAHEEM ABU MUSTAFA gesehen: Steinmeier royal . . . 8 Früher war alles schlechter: Armutsrisiko für Mieter steigt / Weltbrandstifter Trump Die Grundschulklassen werden Alliierte wussten vor BND kleiner / Gehören Panini- vom Kampfstoff Nowitschok / Der US-Präsident kündigt das Iran-Abkommen Sticker zu Deutschland? . . . . 52 Rückruf von 60 000 mani- und verlegt die Botschaft nach Jerusalem. In Gaza pulierten Porsche ...... 20 werden 60 Demonstranten erschossen, an einem Eine Meldung und ihre Geschichte Ein englischer Außenpolitik Wie Donald Tag. Und im Irak ist nach dem Wahltriumph eines Fußballverein steigt Trump einen Keil zwischen schiitischen Geistlichen unklar, wie es weitergeht. nach 145 Jahren zum ersten Berlin und Paris treibt ...... 24 »Draußen tobt ein Gewitter«, sagt Joschka Fischer Mal ab ...... 53 im SPIEGEL-Gespräch. Handle Europa nicht, Karrieren Mit dem Amerikaner Verführung Der unheimliche Richard Grenell erlebt »spielen wir keine Rolle mehr«. Seiten 24, 60, 84, 89 Erfolg der Deutschrock-Band Berlin einen Botschafter ganz Frei.Wild ...... 54 neuen Typs ...... 28 Zeremonien Wie eine israelische Affären Ein Flüchtling erzählt, Sängerin für die Eröffnung wie er dafür zahlte, in Bremen der Botschaft der Vereinigten schnell als Asyl bewerber Staaten in Jerusalem instru- anerkannt zu werden ...... 30 mentalisiert wurde ...... 60

Konservative Ausgerechnet Homestory Wenn politisch ein CSU-Mann will neuer korrekte Erziehungsmethoden Kommissionspräsident in scheitern ...... 63 Brüssel werden ...... 32

SPD Weil die Umfragewerte Wirtschaft sinken, beginnt in der Partei / GETTY IMAGES QILAI SHEN / BLOOMBERG eine Debatte über das Ende Flüchtlingspolitik kostet den der Großen Koalition ...... 34 In der Chinafalle Bund bis zum Jahr 2022 70 Milliarden Euro / Nation Was ein Auftritt mit dem Intelligente Maschinen, saubere Autos: Die IWF vor Ausstieg aus der türkischen Präsidenten über Volksrepublik wird zum globalen Hightech - Griechenlandhilfe ...... 66 die Fußballer Mesut Özil und giganten – und zum Konkurrenten für İlkay Gündoğan sagt – und die Globalisierung Deutschland Aufregung darum über alle die deutsche Wirtschaft. Die Bundesregierung braucht eine neue Strategie anderen Deutschen ...... 38 braucht eine Chinastrategie. Seite 68 für den Umgang mit China 68

4 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Handelskrieg SPIEGEL-Ge - Luftfahrt Die Wahrheit über spräch mit EU-Kommissarin den Geisterflug – was an Bord Cecilia Malmström über von MH370 geschah ...... 106 Trumps Drohungen ...... 76 Psychologie Warum wir essen, Analyse Die Aufregung um was wir essen – die erstaun- die neuen Datenschutzregeln lichen Entdeckungen eines ist entlarvend ...... 79 britischen Gastroforschers 110

Telekommunikation United- Bildung Die Wunderkinder Internet-Chef Ralph Dommer- aus den indischen Slums 112 muth kritisiert die Verzöge- rung bei der 5G-Auktion . . . 80 Kultur

Ausland Neuer »Star Wars«-Klon / Debatte um Beuys / Kolumne: ENRICO FABIAN / DER SPIEGEL FABIAN ENRICO Über den Weg der italienischen Zur Zeit ...... 116 Fünf-Sterne-Bewegung in die Regierung / Schweden Genies aus den Slums Teilhabe Wie selbstgerecht ist schützt sich gegen mögliche das Weltbild der Links- Wahlmanipulationen ...... 82 Intelligenzforscher fahnden in indischen Armuts- liberalen? Ein SPIEGEL- vierteln nach hochbegabten Mädchen Gespräch mit dem Philosophen Irak I Ein Entführer, ein Start- und Jungen. Dank spezieller Förderung sollen Michael Sandel ...... 118 up-Förderer – zwei Versionen der Zukunft von Bagdad . . . 84 die Wunderkinder später Mediziner, Autoren Junot Díaz – Literatur- Wissenschaftler oder Ingenieure werden. Seite 112 star im Zwielicht ...... 122 Irak II Wer ist der Wahlsieger Muqtada al-Sadr? ...... 86 Missbrauch Der Schriftsteller Christian Kracht offenbart Europa Ex-Bundesaußen - ein frühes Trauma ...... 124 minister Joschka Fischer im Flirt mit dem Bruch SPIEGEL-Gespräch über das Staatsministerinnen Kultur - drohende Ende des Westens 89 Schon nach wenigen Wochen in der Regierung politikerin Michelle Münte- wächst in der SPD der Frust über die Große Koali- fering über das Berliner Stadt- USA Eine Pornodarstellerin tion. Führende Genossen wollen die Gangart schloss und die Rückgabe wird zur größten Gefahr für von Raubgut ...... 125 Präsident Trump ...... 92 gegenüber der Union verschärfen – und drohen offen mit einem Aus von Schwarz-Rot. Seite 34 Helden Eine Verneigung vor dem verstorbenen Schrift - Sport steller Tom Wolfe ...... 126

Was der Videobeweis bringt / Rassismus Eine Dresdner Aus- Magische Momente: Ex- stellung untersucht die Nationaltorwart Uli Stein Geschichte einer Ideologie 128 über seinen DFB-Pokalsieg mit Eintracht Frankfurt . . . . . 95 Filmkritik Sandra Hüller im Supermarkt-Drama Karrieren SPIEGEL-Gespräch »In den Gängen« ...... 130 mit Ex-Rennfahrer Nico Rosberg und Ex-Eishockey- spieler Christian Ehrhoff über den schwierigen Abschied vom Profisport ...... 96

Bundesliga Ein Schiedsrichter wehrt sich gegen einen DFB- DÖRING / AGENTUR FOCUS DER SPIEGEL SVEN Gutachter ...... 100 Der Soundtrack zur AfD

Wissenschaft Die Südtiroler Rockgruppe Frei.Wild füllt die Bestseller ...... 121 großen Hallen Deutschlands, ihre Platten führen Impressum, Leserservice . . . 132 Onlinehandel mit Elfenbein / die Charts an. Die Texte sind mindestens rechts- Nachrufe ...... 133 Gefährlicher Mückenspeichel / Personalien ...... 134 Analyse: Wie brandgefährlich populistisch, manche behaupten: nationalistisch Briefe ...... 136 sind Elektroautos? ...... 104 und rassistisch. Woher kommt der Erfolg? Seite 54 Hohlspiegel / Rückspiegel . . 138

Titelbild: FILIPPO MONTEFORTE / AFP / Getty Images 5 Das deutsche Nachrichten-Magazin

Verhandeln mit dem Leviathan

Leitartikel Auf ihrer elften Chinareise hat die Bundeskanzlerin eine historische Mission.

m Frühjahr 1989, kurz bevor Angela Merkels politische Keines dieser drei Bilder ist falsch, doch sie allein beschrei- Laufbahn begann, schlug Chinas Führung den Aufstand ben die komplizierte Wirklichkeit nicht mehr. Pekings Wirt- I auf dem Platz des Himmlischen Friedens nieder. Von schafts- und Außenpolitik ist zu herrisch, als dass man sich ihr Ost-Berlin bis Ulan Bator stürzten die kommunistischen einfach fügen könnte. Chinas Ingenieure sind zu innovativ Regime, das »Ende der Geschichte«, der Triumph des demo- und seine Unternehmen zu erfolgreich, als dass ihnen allein kratischen Rechtsstaats schien sich abzuzeichnen. Wer hätte mit Handelsschranken beizukommen wäre. Und die chinesi- damals auf die Zukunft des chinesischen Regimes gewettet? sche Gesellschaft ist zu lebendig und dynamisch, als dass man Die Geschichte widersetzte sich. China hat sich zu einem sich von ihrem Regime abwenden sollte. China ist kein Alles- der wirtschaftlich stärksten und zugleich repressivsten Staa- oder-nichts-Staat und seine Führung kein guter Adressat für ten der Welt entwickelt. Jahrzehntelang war das Land ganz die reine Lehre der parlamentarischen Demokratie und der auf sich selbst und seinen Aufstieg konzentriert, nun aber Marktwirtschaft. In diesem einen Punkt hatten Chinarealis- drängt Peking »ins Zentrum des ten wie Henry Kissinger und Hel- Weltgeschehens«, wie Staatschef mut Schmidt recht. Mit radikalen Xi Jinping auf dem Parteitag im Ratschlägen ist Politikern im Um- Oktober sagte. Kein westlicher gang mit Peking nicht geholfen. Regierungschef hat diese Entwick- US-Präsident Donald Trump lung so lange und so aufmerksam hat sich entschieden, China wirt- verfolgt wie die deutsche Kanzle- schaftlich herauszufordern und rin, die selbst in einer Diktatur auf- gleichzeitig die Nähe seines auto- gewachsen ist. Kommende Woche ritären Herrschers zu suchen. Er bricht sie zu ihrer elften China- droht Peking mit einem Handels- reise auf. Sie wird Peking und die krieg und schmeichelt Xi Jinping südchinesische Hightech-Stadt zugleich, indem er ihn »König Shenzhen besuchen, deren Unter- von China« und sein Verhältnis nehmen sich bereits mit dem Sili- zu ihm »wundervoll« nennt. Mit con Valley messen. Menschenrechten, Meinungs- Im März wurde Xi Jinping zum und Pressefreiheit behelligt Herrscher auf Lebenszeit ernannt. Trump Xi nicht. Das ist für Ange- Wie soll die Kanzlerin diesem von la Merkel keine Option, weder Sendungsbewusstsein erfüllten politisch noch persönlich. Aber Mann gegenübertreten? Sein Land sie hat andere Möglichkeiten, ist seit zwei Jahren Deutschlands darunter die Anwendung eines größter Handelspartner, die Chine- Begriffs, auf den die Weltmacht

sen sind VIP-Kunden der deut- PLAMBECK / LAIF HANS CHRISTIAN China selbst gerade ihre neue schen Auto- und Maschinenbauer. Staatschef Xi, Kanzlerin Merkel Außenpolitik baut. Zugleich steuert Xi einen Levia- Die Kanzlerin sollte von Pe- than, einen krakenhaften, alles king verlangen, was Peking auch durchdringenden Staats apparat, dessen Tentakel sich bis für sich beansprucht: Deutschlands »Kerninteressen« anzu- in den Privatsektor erstrecken, der Milliarden in deutsche erkennen. Sie sollte für deutsche Unternehmen in China Unternehmen investiert. die gleichen Rechte fordern, die chinesische in Deutschland In Deutschland dominieren drei Bilder des modernen genießen; Peking muss zudem die Einheit Europas respek- China: Das eine ist der effiziente, tatkräftige Machtstaat, der tieren, sich also aus Sonderbündnissen zurückziehen, Deutschlands Wirtschaftsführern imponiert. Die »neue Sei- wie es sie mit osteuropäischen Staaten geschlossen hat; vor denstraße«, Pekings eurasisches Entwicklungsprogramm, sag- allem aber die individuellen Menschenrechte achten, als te Siemens-Chef Joe Kaeser, werde die Welthandelsorgani- deren letzte westliche Anwältin Merkel nach Peking reist. sation ablösen – »ob Ihnen das passt oder nicht«. Das zweite Gerade dazu besteht ein dringender Anlass, der direkt ist der technologische Aufsteiger, der die liberalen Regeln des ins Jahr 1989 und auf Merkels Anfänge zurückweist: Die Welthandels und die Größe seines eigenen Marktes nutzt, Dichterin Liu Xia, Witwe des Tiananmen-Aktivisten und um das Know-how westlicher Unternehmen abzugreifen. Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, steht seit Jahren un- Dem möchten Politiker in Berlin und Brüssel einen Riegel ter Hausarrest, obwohl sie nie ein Gesetz gebrochen hat. vorschieben. Das dritte ist die brutale Diktatur, die Minder- Liu Xia ist schwer krank und möchte nach Berlin ausreisen. heiten unterdrückt, die Presse zensiert und Bürgerrechtler Diesen Wunsch können ihr nur Xi Jinping und Angela einsperrt. Diesen Unrechtsstaat verachten viele Deutsche. Merkel erfüllen. Bernhard Zand

6 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 TISSOT chrono xl. MIT 45 MM GEHÄUSE.

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TISSOTWATCHES.COM TISSOT, INNOVATORS BY TRADITION So gesehen Meinung Hallo, Herr Kaiser! Markus Feldenkirchen Der gesunde Menschenverstand Royal Wedding? Nie bei uns. Die Merkel-Scholz-Partei Wir haben Steinmeier.

Bevor sich die SPD ein drit- sagt Scholz und klingt fast wie Kaiser G Armes Deutschland! Wenn am tes Mal in die Große Koa- Wilhelm II.: »Ich kenne keine Parteien Samstagabend der letzte Adelsexper- lition mit Merkel drängen mehr!« Scholz’ Regierungsmannschaft te seine Analyse des Hochzeitsklei- ließ, erklärte jeder Spit- folgt derweil brav der Devise: Lieber des von Meghan Markle abgeschlos- zengenosse, dass ein sol- Ruhe als Ärger. Egal ob bei der Zukunft sen hat, wenn der Gesichtsausdruck ches Bündnis der Demokra- der EU, der Reform von Hartz IV, der Queen im Moment der Vermäh- tie schade. Die ersten zwei dem Streit um die Abtreibung oder lung ihres Enkels Harry vom letzten Bündnisse mit der Union hatten ja dem Familiennachzug von Flüchtlin- Sachverständigen final ausgedeutet gezeigt, dass beide Parteien darin ihr gen. Die Einzigen, denen Wiederer- ist, wenn schließlich das letzte Stück Profil verlieren. Am Ende wusste kennbarkeit noch ein Anliegen ist, sind nach Originalrezept gebackener kaum noch jemand, wofür sie stehen die Herren von der CSU und die Lin- Royal-Wedding-Torte vor dem Fern- und was sie unterscheidet. Es gehe ken in der SPD. sehgerät verspeist wurde, dann wird jetzt darum, österreichische Verhält- Das Duo Merkel/Scholz pflegt – es Zeit für den deutschen Hobby- nisse in Deutschland zu verhindern, anders als zur Zeit des Vizekanzlers monarchisten, den hierzulande ver- sagte Olaf Scholz nach der Bundestags- – sogar denselben Poli- gleichsweise matten Glanz an der wahl – im Wissen, dass eine ewige tikstil: Ihren Überschuss an Vorsicht Staatsspitze zu betrauern. Große Koalition die politischen Extre- kompensieren beide mit dem Verzicht me stärkt. Man ging dann doch wieder auf Leidenschaft, sie wirken distanziert eine ein. Nicht einfach so, nein, nein, und erklären sich eher ungern. Sie ver- diesmal, so hieß es, werde man alles bindet eine chronisch unterzuckerte anders machen: weniger kuscheln, Art des Politikmachens. Beide agieren, mehr streiten. Und die Eigenständig- als wären die Debatten des vergange- keit klar herausstellen. Also wirklich nen Jahres einfach an ihnen vorbeige- jetzt. Dann wurde Scholz Vizekanzler. laufen. Während die Kanzlerin nicht Nachdem jahrelang mal ansatzweise erkennen lässt, dass an der Verschmelzung von CDU und ihr die Kritik an ihrem positionsarmen, SPD gearbeitet hatte, bekam sie mit bestenfalls reaktiven Regierungsstil zu Scholz nun einen emsigen Partner. denken gibt, fungiert Scholz eher als Dank seiner konservativen Haushalts- Merkels Buchhalter denn als Gegenent- Hätte doch nur der deutsche Kai- politik ist ihm die Wolfgang-Schäuble- wurf zu ihr. Verglichen mit Kanzlerin ser Wilhelm II. nicht 1918 abdanken Gedächtnismedaille schon jetzt nicht und Vizekanzler dürfte es den Kessler- müssen! Dann wäre heute wohl mehr zu nehmen. Für Scholz gibt es Zwillingen jedenfalls leichtgefallen Georg Friedrich Prinz von Preußen keine rechten und linken Politikentwür- sein, ihre Unterschiede zu erklären. unser Staatsoberhaupt, ein properer fe mehr, sondern nur solide und un - Betriebswirt und Major der Reserve solide. »Ein deutscher Finanzminister An dieser Stelle schreiben Jakob Augstein, Jan aus Potsdam. Das ewige Konzept - bleibt ein deutscher Finanzminister«, Fleisch hauer und Markus Feldenkirchen im Wechsel. geschacher um die Verwendung des Berliner Stadtschlosses bliebe uns erspart: Hier wohnt der Kaiser, keine Kittihawk Diskussion. Donald Trump würde gern zu Besuch kommen, er könnte mit einer goldenen Kutsche durch die Gegend fahren, wäre schwer beeindruckt und danach gewiss zu weitreichenden Zugeständnissen aller Art bereit. Aber nichts da, wir haben eine Republik und Frank-Wal- ter Steinmeier als Staatsoberhaupt. Von einer baldigen Großhochzeit sei- ner Tochter Merit ist nichts bekannt, keine Liaison mit einem TV-Star, nicht einmal kleinere Skandale sind überliefert. Aufregendste Anekdote: Man baute einmal gemeinsam bis zwei Uhr früh Ikea-Regale auf. So gesehen: glückliches Deutschland. Stefan Kuzmany

8 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 Der neue Ford Mustang

Einfach mal machen. Der neue Ford Mustang ist authentisch und souverän. Mit anderen Worten: Gönnen Sie sich markantes Design und 331 kW (450 PS) Leistung mit cleveren Extras, wie dem adaptiven MagneRideTM-Fahrwerk, dem neuen 10-Gang-Auto- matikgetriebe und zahlreichen Sicherheits- und Assistenzsystemen.

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Vatikan Nach dem Pfingstwunder zogen die Apostel in alle Welt – die Kirche entstand. In Jahrhunderten voller Sünden und Verbrechen wurde sie zur Weltmacht. Jetzt versucht Papst Franziskus, die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben.

10 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 ie Quelle der Macht, der Mittel- punkt eines Weltreiches, in dem D die Sonne nie untergeht – ist nur eine kleine Nische in einer Wand unter der Erde. Direkt daneben wurden einst ein paar Knochen und Goldfäden ge- funden. Und deren Geschichte ist ebenso geheimnisvoll, so grausam und umstritten wie vieles, was die Herrscher dieses Rei- ches in den vergangenen fast 1700 Jahren taten. Die Geschichte geht so: Nach der Auf- erstehung Jesu soll Petrus und den ande- ren Jüngern der Heilige Geist erschienen sein, und plötzlich konnten sie in vielen Sprachen reden. Das ist das Pfingstwun- der – und die Jünger verstanden es offen- bar als Auftrag, sich zu organisieren, in die Welt hinauszuziehen und den Menschen ihren Glauben zu predigen. Deshalb gilt Pfingsten, 50 Tage nach Ostern, den Chris- ten als der Moment, in dem die Gruppe der Apostel zum Kern einer Kirche wurde. Den Oberapostel Petrus soll es auf sei- nen Wanderungen nach Rom verschlagen haben. Dort hatten die Kaiser Caligula und Nero im Feuchtgebiet Ager Vaticanus eine Kampfarena gebaut. Und im Jahr 64 wur- den in diesem Zirkus Anhänger der neuen Christensekte massakriert. Einer davon soll Petrus gewesen sein. Neros Schergen warfen die Leichen von Hingerichteten meist in den Tiber. Doch den toten Petrus sollen ein paar Freunde im Schutz der Nacht in ein Tuch gewickelt und in die Via Cornelia am Vatikanhügel geschleppt haben. Kleine Mausoleen säumten die Straße, und nahebei sollen die Männer den Apostel beerdigt haben. Viele Jahrhunderte später, um 1939, wollte Papst Pius XII. die Grotten unter dem Petersdom renovieren lassen. Dabei stießen Archäologen auf die Reste der alten Petersbasilika, die Kaiser Konstantin ungefähr ab dem Jahr 326 hatte bauen lassen. Sie erkannten, dass die Arbeiter des Kai- sers mit gewaltigem Aufwand manche Mausoleen abrasiert und andere Stellen mit Schutt aufgefüllt hatten, um eine ebene Fläche für die Basilika zu schaffen. Dabei gab es einen besseren Bauplatz nur wenige Schritte weiter. Aber unter dem Altar der alten Basilika und des Petersdoms stießen die Archäologen auf ein paar Knochen. Sie stammten von zwei Männern und einer Frau. Und von einem Hahn, einem Schwein und einem Pferd. Noch einmal Jahrzehnte später fand eine Wissenschaftlerin eine Kiste mit Kno- chen, die ein Vorarbeiter damals in einer von zwei Nischen entdeckt und beiseite- geräumt hatte. Es waren die Knochen ei- ner Maus – und die eines Mannes, der zwi- schen 60 und 70 Jahren alt gewesen sein Petersdom dürfte und im ersten Jahrhundert gestor-

DPA ben war. Dabei lagen Reste eines Purpur-

11 Titel tuchs, von Goldfäden durchzogen. Im Juni der Vergangenheit noch da. Es sind die Ge- der Händedruck ist allerdings schwächer 1968 verkündete Papst Paul VI., diese Kno- spenster von Tätern wie Hitler und Mus- geworden. Der einst kräftige Mann wirkt chen seien die von Petrus. solini, die der Vatikan stützte – und von nun federleicht, durchsichtig beinahe. Zwar bezweifeln manche Historiker, Opfern wie all den Sklaven, deren Leiden Ganz anders Franziskus, 81, inzwi- dass der überhaupt in Rom war. Doch die die Päpste guthießen. schen fünf Jahre im Amt. Wenn er einem mutmaßlichen Petrus-Knochen sind wich- Der jetzige Papst Franziskus ist an- die Hand schüttelt, denkt man, die Finger tig für den Vatikan. Sie sollen die Macht getreten, die Gespenster der Vergangen- wären in einen Schraubstock geraten. Sei- der Päpste stützen, denn schon immer heit zu vertreiben, indem er die Kirche ne Augen fixieren das Gegenüber mit fröh- hatten die Bischöfe von Rom den An- in die Moderne führt. Er will sie de- licher Neugier. Der Mann denkt und spruch, sie allein seien die Nachfolger Petri zentralisieren, die Macht des Apparats spricht direkt, bildhaft. Und besonders und somit die Oberhirten einer Glau - beschränken, die Rolle der Frauen auf- gern vom Teufel. Für den Argentinier bensgemeinschaft von rund 1,3 Milliarden werten. Die Kirche müsse für die Um- steckt der Teufel hinter allem Bösen, er Menschen. welt kämpfen und für die Armen. Der treibe Kinderschänder oder Mörder an – Dass alle Fäden der Macht in Rom zu- Kapitalismus sei »in der Wurzel un- und auch jene im Vatikan, die Reformen sammenlaufen, ist einer der Geburtsfehler gerecht«. verhindern wollen. des Vatikan. Er erklärt den Auf- Satan sei »keine diffuse Sa- stieg des Christentums zur Welt- che, sondern eine Person«, sagt religion – aber auch die vielen Franziskus: »Mit uns Priestern, Verbrechen der Geschichte. Bischöfen ist er wohlerzogen. Denn es entstand eine geistliche Dann aber geht es übel aus, Diktatur: schlagkräftig, skrupel- wenn du es nicht rechtzeitig los, erfolgreich, ein Herrschafts- merkst.« apparat, der seit Jahrhunderten Um zu verstehen, welche funktioniert. Der begründet wur- Macht der Teufel im Vatikan hat, de in der Zeit der Kaiser und Kö- muss man in die Anfangsjahre nige, der Tyrannen und Eroberer. des Christentums zurückkehren. Und der auch heute noch immer Tausend Jahre Finsternis nach uralten Regeln funktioniert. Dieser Apparat hat wenig ge- In den ersten rund 300 Jahren mein mit dem Kern der christ- ihrer Geschichte waren die lichen Lehre. Eher ist er eine Christen die Verfolgten: Sie leb- furchtbar menschliche Organi- ten ihren Glauben im Verborge- sation, Zentrale einer schwer zu nen; viele starben wie Petrus, fassenden Weltmacht, verschlos- sie wurden verbrannt, gekreu- sen und geheimnisvoll. Der Va- zigt, in der Arena von Raubtie- tikan hat Sünden und Verbre- ren zerrissen. Allein 32 Päpste chen begangen, er hat Hundert- endeten als Märtyrer. Doch kurz tausenden Menschen den Tod nachdem Roms Kaiser Konstan- gebracht. Er hat andere Kirchen tin den Christen Glaubensfrei- vernichtet, Kriege angezettelt, heit eingeräumt hatte, änderte Völker mit unterworfen. sich das Bild radikal. Der Chris- Und in den vergangenen Jah- tusglaube wurde schnell die ein- ren flogen gleich mehrere Skan- flussreichste Religion im Römi- dale auf. Es geht um Korruption schen Reich. Und schon um das und schwarze Kassen, die Vati- Jahr 500 behauptete Papst Ge- kanbank hat mit der Mafia ko- lasius I., die geistliche Macht sei

operiert, geheimnisvolle Morde / DEMOTIX GIUSEPPE CICCIA der weltlichen übergeordnet. konnten nie aufgeklärt werden. Papst Franziskus im Vatikan 2015: »Satan ist eine Person« Aus den Gejagten wurden zu- Kinder und Jugendliche wurden gleich Jäger, aus Opfern Täter. missbraucht, der Apparat der Jesus hatte Sanftmut gepredigt, Kirche versagte bei der Aufklärung. Und Das Ringen um die Zukunft wird da- aber unter den Augen der ersten Päpste die Frage ist, ob dieses System überlebens- durch symbolisiert, dass nun zum ersten entwickelten sich seine Anhänger zu Ter- fähig ist. Oder ob es sich reformieren muss – Mal in der Geschichte zwei Päpste im Va- roristen. und wenn ja, ob es das überhaupt kann. tikan leben, die unterschiedlicher kaum Die britische Altertumswissenschaftle- Als die Alliierten im Herbst 1944 Rom sein könnten: der Deutsche und der Ar- rin Catherine Nixey hat Mitte September eingenommen hatten, betrat der britische gentinier, Benedikt XVI. und sein Nach- unter dem Titel »Das Zeitalter der aufzie- Hochkommissar Harold Macmillan den folger Franziskus. Der eine in Fragen der henden Dunkelheit« eine Untersuchung Vatikan. Er beschrieb »ein Gefühl der Zeit- Doktrin erzkonservativ, der andere eher über den Machtrausch der ersten Gottes- losigkeit – Zeit bedeutet hier nichts, Jahr- reformfreudig. krieger vorgelegt. Die Autorin räumt mit hunderte kommen und gehen, doch hier Der 264. Nachfolger des Apostels Pe- der Vorstellung auf, die frühen Christen lebt man in einer vierten Dimension. Und trus, bürgerlich Joseph Ratzinger, ist mitt- hätten die Menschen nur mit der Kraft im Zentrum von alldem, hinter dem Pomp lerweile 91. Auf dem Weg zur Morgen - ihrer Worte auf ihre Seite gezogen. Sie der Jahrhunderte – sitzt der kleine heilig- andacht hat er Mühe, mit seinem Rollator seien vielmehr Barbaren gewesen und hät- mäßige Mann, eine bemitleidenswerte und über die einen Zentimeter hohe Schwelle ten Hochkulturen zerstört. Wenn Christen zugleich beeindruckende Gestalt«. der Hauskapelle zu kommen. Aber noch kamen, mussten Priester anderer Reli- Und weil die Zeit im Vatikan scheinbar trägt der zurückgetretene Pontifex das gionen »schweigen oder sterben«, zitiert nicht vergeht, sind auch die Gespenster päpstliche Wappen auf dem Messgewand, Nixey ein historisches Dokument.

12 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Sie beschreibt, wie christliche Horden richteten ein furchtbares Blutbad an, aus rief Innozenz zum Kreuzzug auf und ver- über die Stadt Palmyra im heutigen Syrien der Stadt dreier Religionen wurde ein sprach den Rittern Seelenheil und die herfielen. Die »bärtigen, schwarz geklei- christliches Königreich. Ländereien jener, die nichts gegen die deten Eiferer« kamen mit »Stöcken und Doch der übelste Kreuzzug dieser Katharer unternahmen. Unter Führung Steinen und eisernen Stäben«, so ein his- Zeit richtete sich nicht gegen Muslime, des nordfranzösischen Adligen Simon de torisches Zeugnis. Sie zerstörten Statuen sondern gegen andere Christen. In Süd- Montfort setzte sich daraufhin ein Heer von Gottheiten, die ihnen nicht passten – frankreich hatten sich die Katharer (»die beutegieriger Ritter in Bewegung. Eines ähnlich wie Jahrhunderte später die Krie- Reinen«) ausgebreitet. Ihre Priester und ihrer ersten Ziele war die Stadt Béziers. ger des »Islamischen Staats«, ebenfalls in Priesterinnen verabscheuten den Reich- Aber die Katharer waren tolerant, des- Palmyra. tum der katholischen Kirche, die Pras- halb lebten sie in Béziers friedlich mit Ka- In Alexandria zerstückelte ein christ- serei, den Prunk. Sie lebten wie Jesus: tholiken und Juden zusammen. Der Le- licher Mob die Mathematikerin und Arm, ohne jeden Besitz zogen sie übers gende nach wurde ein Vertreter des Paps- Astronomin Hypatia, die mit mathema- Land. Sie bauten auch keine Kirchen, tes vor dem Sturm auf die Stadt deshalb tischen Formeln und astronomischen sie predigten im Freien oder in Privat- gefragt, wie denn Ketzer von treuen Ka- Instrumenten hantiert hatte – die frühen häusern. tholiken zu unterscheiden seien. Er soll ge- Christen sahen darin Werkzeuge antwortet haben: »Tötet sie alle. des Satans. Gott wird die Seinen erkennen.« Die Fanatiker des neuen Glau- Und so geschah es. Das päpst- bens attackierten die vielschich- liche Heer schlachtete Männer, tige Welt der Antike und nisteten Frauen und Kinder ab. Ein Chro- sich in deren Tempeln ein. Und nist berichtete, allein in einer sie brachten die Finsternis des Kirche seien 7000 Menschen Mittelalters über Europa. Gelehr- massakriert worden. Die Zahl samkeit wurde bald fast nur noch war sicher zu hoch gegriffen, hinter Klostermauern geduldet – aber nach heutigen Schätzun- soweit die Kirche das zuließ. Da- gen ermordeten die Vatikankrie- mals, so Nixey, »wurden die geis - ger in Béziers insgesamt etwa tigen Grundlagen für tausend 20000 Katharer, Katholiken Jahre Unterdrückung durch eine und Juden in wenigen Stunden. religiöse Macht gelegt«. Béziers war nur der Anfang. Simon de Montfort erwies sich Die letzte Festung als effizienter Anführer, erst ein Es kann nur einen geben. Dieser Jahrzehnt später tötete ihn ein Grundgedanke kann monotheis- Stein aus einem Katapult. »So tische Religionen intolerant und also starb der, der den Schrecken gefährlich werden lassen. Wo es des Krieges vom Mittelmeer bis nur einen Gott geben darf, sind an die Nordsee gesät hat, durch Andersgläubige fast zwangsläufig einen einzigen Stein«, schrieb Ungläubige. So schafft der Glau- der Chronist Wilhelm von Puy- be immer den Gegensatz: die und laurens, selbst Katholik. wir. Und aus dem Gegensatz wird Der Vatikan ließ sich vom Tod oft Hass: die oder wir. seines Handlangers, der so viele Dieser Hass lässt sich ausnut- Christen auf dem Gewissen hat- zen: Im 11. Jahrhundert war der te, nicht beirren. Die Häresie Vatikan in Not, seine geistliche sollte um jeden Preis ausgerottet Autorität schwand nach Jahren werden. Es wurde ein langer

von Nepotismus, Gier und Un- IMAGES / MAURITIUS PHOTONONSTOP Krieg. Am Ende hatte sich der zucht. Katharer-Zuflucht Montségur: »Tötet sie alle« Kern der Katharer in die letzte Papst Urban II. kam auf eine Festung zurückgezogen, die grausam-geniale Idee, auch um nahezu uneinnehmbare Burg von alldem unchristlichen Treiben abzu- Ihre Religion unterschied sich in einem Montségur, hoch oben auf einem Berg am lenken. Nachdem Glaubensbrüder aus By- Punkt besonders von den Dogmen der ka- Rand der Pyrenäen. Den ganzen Sommer zanz um Hilfe gebeten hatten, rief er am tholischen Kirche: Sie glaubten an Gott im über im Jahr 1243 belagerten die Kreuz- 27. November 1095 die Ritter der Chris- Himmel – aber die Erde mit all ihren ritter Montségur. Erst am 16. März 1244 tenheit zum ersten Kreuzzug auf: Sie soll- Übeln, Sünden, mit Not und Kriegen, Gier gaben die letzten Katharer auf. Aber sie ten Jerusalem von den Muslimen befreien. und Krankheiten habe nicht Gott erschaf- weigerten sich, ihrem Glauben abzuschwö- Ein Angriffskrieg, doch das störte den fen, sondern Satan. Das Problem dabei: ren. Die rund 200 Prediger und Predige- Herrn im Vatikan nicht: »Mögen jene, die Damit galt den Katharern auch der Vati- rinnen stiegen lieber auf einen Scheiter- gegen Brüder und Verwandte kämpften, kan als eine Kreation Satans. haufen am Fuße des Berges. nunmehr mit gutem Recht gegen Barba- 1207 forderte Papst Innozenz III. den Verteidiger der Kirche argumentieren, ren streiten.« Es wurde der erste »heilige französischen König auf, die Katharer Päpste, Kardinäle und ihre Untertanen Krieg«, und er sollte die weltliche Macht niederzumachen, damit »die Anhänger seien immer nur Menschen ihrer Zeit ge- der Päpste zementieren. der verruchten Häresie unter dem Zwang wesen. Wer sie nach moralischen Maß- Im folgenden Jahr setzten sich wohl der königlichen Gewalt und unter den Lei- stäben der Neuzeit verurteile, denke 50000 Männer in Marsch; schon auf dem den des Krieges ihren wahren Glauben ahistorisch. Das stimmt vielleicht, aller- langen Weg plünderten und mordeten sie. wiederfinden«. Wenig später, nach dem dings baut der Vatikan seine Macht auf Im Juli 1099 eroberten sie Jerusalem und Mord an einem päpstlichen Abgesandten, dem Anspruch auf, der Papst sei der Stell-

13 Titel

Weltmacht Vatikan Ansicht der Città del Vaticano Der Vatikan ist mit weniger als einem halben Quadratkilometer Fläche und rund 1000 Ein- wohnern der kleinste und sonderbarste Staat der Welt. Die Staatsform ist absolutistisch. Das Territorium ist der Rest eines weit größeren Kirchenstaats, der jedoch ab 1870 nach der Einigung Italiens dem Königreich einverleibt worden war. Vatikanische Gärten 1929 schloss Mussolini die sogenannten Lateranverträge mit dem Heiligen Stuhl. Darin sicherte der Diktator den Päpsten die Herrschaft über das ummauerte Areal auf dem einstigen »Ager Vaticanus« am Westufer des Tibers zu. Kloster Mater Ecclesiae Wohnung von Benedikt XVI.

Hubschrauber- landeplatz

Sendeanlagen Radio Vatikan Norden Verwaltungsgebäude

Bahnhof vertreter Christi. Eben kein normaler Mensch. Nach welchen Maßstäben also kann Palazzo della Canonica man das Handeln der Päpste, ihre Verge- hen bewerten? Auf jeden Fall doch nach ihren eigenen. Nach dem also, was Jesus laut Bibel gesagt haben soll: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Oder nach den sieben Todsünden. Oder einfach nach den Zehn Geboten, von denen eines lautet: »Du sollst nicht töten.« Die Hunde des Herrn Gästehaus Santa Marta Campo Santo Teutonico Wer mehr wissen will über die Vergangen- Hier wohnt Papst Franziskus Deutscher Friedhof mit dem Grab des Hitler-Verehrers Alois Hudal heit des Vatikan, und zwar aus Sicht des Vatikan, der muss im Palazzo della Cano- nica über der Sakristei des Petersdoms hinauf in den vierten Stock fahren und bei che ist nicht der Papst.« Selbst beim Blick einem Teleskop die Gestirne studiert. Da- Kardinal Walter Brandmüller klingeln. auf die historisch finstersten Zeiten des Va- bei sah er, dass der Jupiter Monde hat, die Der Historiker und Theologe aus Ansbach, tikan dürften die Gläubigen nicht an der sich um den Planeten drehen. Seine Er- mittlerweile 89, war mehr als ein Jahr- Doktrin zweifeln. Was zähle, sei der Inhalt, kenntnisse stützen die These, dass sich das zehnt lang Vorsitzender des Päpstlichen nicht das Gefäß: »Auch in einem ungespül- Universum nicht um ein Zentrum dreht. Komitees für Geschichtswissenschaft. Er ten Glas kann guter Wein sein.« Das war Häresie. lebt in einer großzügigen Gelehrtenwoh- Und natürlich gab es immer wieder Ka- Einige Jahre zuvor hatte die Inquisition nung mit Blick über Rom. tholiken, die Gutes taten, Bürger oder Hei- noch den Astronomen Giordano Bruno auf Brandmüller lässt keinen Zweifel daran, lige, ohne die der Kirche die moralische den Scheiterhaufen geschickt, weil er be- dass Kritik an den Taten der Päpste auf Kraft gefehlt hätte, so groß zu werden – hauptet hatte, das Weltall müsse unendlich Jahrtausende gesehen bedeutungslos sei. Männer wie Franz von Assisi oder Maximi- sein. Galilei wurde vor ein Tribunal der In- Er hat ein Schreiben konservativer Kir- lian Kolbe, der sich im KZ opferte. Und auch quisition gestellt, er musste abschwören chenmänner an Franziskus mitunterzeich- manche Sünden der Kirche wiegen nicht so und bekam lebenslangen Hausarrest, aber net, in dem sie sich gegen die teilweise Zu- schwer, wie es auf den ersten Blick scheint. immerhin ermordete der Vatikan ihn nicht. lassung wiederverheirateter Geschiedener Brandmüller ist Experte für Konzilien- Die Inquisition, gegründet im Jahr 1231 zur Kommunion wenden, also gegen eine geschichte, hat aber in »Der Fall Galilei von Papst Gregor IX., war gewissermaßen Franziskus-Reform. Brandmüller wird und andere Irrtümer« auch das kompli- die Folterkammer der Päpste. 700 Jahre nicht müde, davor zu warnen, dass ein Ab- zierte Verhältnis zwischen Macht, Glaube lang verfolgten die Schergen der Kirche rücken von der reinen Lehre zur Spaltung und Wissenschaft seziert. Den Umgang Abweichler von der katholischen Lehre in der Kirche führen könne. mit Galileo Galilei zum Beispiel für die ganz Europa. Grauenhaft effizient ar - Trotzdem wirkt er entspannt. Die Rolle Borniertheit der Kirche zu erheben, das beiteten vor allem die Dominikanermön- des Papstes dürfe nicht überschätzt wer- hält einer wie er für verfehlt. che, vom Volk als »Domini Canes« gefürch- den, sagt der Kardinal: »Päpste kommen, Galilei, einer der angesehensten Wis- tet, als »Hunde des Herrn«. Tausende Päpste gehen, es bleibt die Kirche. Die Kir- senschaftler Europas, hatte ab 1609 mit von Menschen wurden auf Streckbänken

14 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Eingang zu den Vatikanischen Museen

Museen Redaktion des »Osservatore Petersdom (erbaut Vatikanisches Romano« 1506 bis 1626). Unter Geheimarchiv dem Papstaltar liegt das mutmaßliche Petrusgrab.

Sixtinische Kapelle Tagungsort des Konklaves Hauptpostamt Papstpalast

Institut für die Religiösen Werke Die Vatikanbank betrieb zahlreiche skandalöse Geldgeschäfte.

St.-Anna-Tor

Kaserne der Informations- Schweizergarde zentrum für Touristen Petersplatz Der mittig aufgestellte Obelisk stand zur Zeit Kaiser Neros in einer Arena, in der zahlreiche Christen umgebracht wurden.

die »Bastion des Establishments«. Das Audienzhalle Sitz der Glaubenskongregation Wohl der Kirche sei den Päps ten »immer des Papstes für (Nachfolgeorganisation der vorrangiger als der Mensch«. 6000 Besucher Inquisition) Schon der Jesuitenschüler Giovanni Botero (1544 bis 1617) hatte geschrieben: »Unter allen Gesetzen gibt es nicht ein ein- zerrissen, verbrannt oder mit glühenden Dagegen haben sich immer wieder ziges, das den Fürsten gewogener ist als Zangen gequält und hatten alles Mögliche Christen auch innerhalb der katholischen das christliche, denn es unterwirft ihnen gestanden. Kirche gestellt. Die meisten wurden ver- nicht nur die Körper und Vermögen der Nicht alle Schuld an diesem Grauen folgt und vernichtet. Der bekannteste ist Untertanen, sondern auch die Seelen.« liegt beim Vatikan, auch Könige und der Mönch Martin Luther, sein Hass auf Viele Päpste sahen sich sogar als den Fürsten missbrauchten die Inquisition Macht und Glorie des Vatikan (»Die teuf - weltlichen Herrschern übergeordnete In- zur Einschüchterung. Aber ohne den Se- lische Päpsterei ist das letzte Unglück auf stanz. Nachdem Christoph Kolumbus für gen aus Rom hätten die Folterknechte Erden«) führte zur Spaltung der Kirche. die spanische Krone Amerika entdeckt hat- wohl nicht so viele Menschen umbringen Seitdem die heilige Inquisition niemanden te und auch portugiesische Kapitäne im- können. mehr zu Tode foltern darf, werden Kritiker mer weiter in unbekannte Gegenden vor- stattdessen kaltgestellt und ausgestoßen. stießen, stritten sich die beiden Seefahrer- Heilige Rassisten Dabei haben es nur wenige Katholiken nationen um die Aufteilung der Welt. Neben Diktatur und Intoleranz gibt es gewagt, den Vatikan so hart anzugreifen Zu der Zeit herrschte im Vatikan Ro- einen dritten Grund für den historischen wie der Wiener Theologieprofessor Hu- drigo Borgia unter dem Namen Alexan - Erfolg, aber auch für die Verbrechen des bertus Mynarek. 1972 schrieb er in einem der VI. Seinen Zeitgenossen galt er als Vatikan: die unheilvolle Vermischung von offenen Brief an Papst Paul VI. von der Monster. Giftmorde, Erpressung, Vatikan - weltlicher Macht und Religion, Herr- »Sünde der Machtlust«. Der Vatikan sei orgien mit 50 Huren auf einmal, Inzest – schaftsprinzip der Päpste von Anfang an. der »Hort und Garant des Bestehenden«, unter ihm soll es alles gegeben haben. Sein

15 zungsweise zehn Millionen Menschen wurden in Afrika eingefangen wie Vieh, in Ketten gelegt und übers Meer geschickt. Viele starben schon bei der Überfahrt. Über 150 Jahre hinweg passierte all das mit dem Segen des Vatikan. Noch 1866 ließ Papst Pius IX. erklären: »Die Sklavenhaltung widerspricht nicht natürlichem und göttlichem Recht.« Erst 1965 verdammte das Zweite Vatikanische Konzil die Sklaverei endgültig. Und 2015 entschuldigte sich Franziskus in Bolivien für die »schweren Sünden« der Kirche und vor allem die Qualen der Indios in Latein- amerika. Auf der Rattenlinie Nur wenige Schritte vom Palazzo della Ca- nonica und Kardinal Brandmüller entfernt geht es hinein in ein von hohen Mauern umstandenes Juwel des Vatikanstaats – den Campo Santo Teutonico. Auf dem Friedhof der Deutschen und Flamen, zu dem eine Kirche und ein Priesterseminar gehören, sind an diesem Sonntag vor Pfingsten viele Menschen unterwegs: El- tern und ihre Kinder rüsten sich draußen zur Erstkommunion, drinnen vor dem Al- tar der Kirche predigt der diensthabende Priester das Gebot der Liebe. Zypressen wachsen an den Gräbern deutscher Pilger, die in Rom gestorben sind. Zwischen ihnen liegt der österreichische Bischof Alois Hudal, unter anderem Rek- tor des deutschen Priesterkollegs in Rom. Ein Mann, der für die vielleicht schwerste Schuld in der Geschichte des Vatikan steht: für die Arrangements zweier Päpste – Pius XI. und Pius XII. – mit den Faschis- ten. Für den Erhalt der Macht schwieg der Vatikan lange zur Vernichtung der Juden. Hudal träumte von einer Einheitsfront zwischen Nationalsozialisten und katholi- scher Kirche im Kampf gegen den »Ost- bolschewismus«. Eines seiner Bücher wid- mete er dem »Führer der deutschen Erhe- bung und Siegfried deutscher Hoffnung und Größe« – Adolf Hitler. VATICAN / REUTERS VATICAN Vor zwei Jahren erschien in Deutsch- Papst Johannes Paul II. 2001: Absolutistische Monarchie land eine Studie des US-Historikers David Kertzer. Jahrelang hatte er Akten aus dem natürlich illegitimer Sohn Cesare wurde Indios starben allein in Lateinamerika an päpstlichen Geheimarchiv studieren kön- mit 17 zum Kardinal ernannt. Krankheiten und durch Zwangsarbeit. nen, die 2006 freigegeben worden waren. Von Macht verstand Alexander viel. Manche Kirchenmänner hielten selbst Pius XI. und Mussolini, so Kertzer, »hiel- Und er sah in den Eroberungen der See- Sklaven, hatte doch schon Thomas von ten nichts von Demokratie und Parlamen- fahrer die Chance, sein Reich noch zu ver- Aquin (auch er trotzdem ein sogenannter tarismus«. Mussolini berichtete, der Papst größern. Also entwarf der Papst im Streit Heiliger) die Sklaverei gerechtfertigt. Und habe ihm gesagt: »Ich sehe in dem Kom- der Könige einen Kompromiss: Im Vertrag mehrere Päpste bestätigten dieses Recht. plex der faschistischen Lehren, die die von Tordesillas 1494 wurde eine vertikale Es gab aber ein praktisches Problem: Prinzipien von Ordnung, Autorität und Linie gezogen durch das, was damals von Die Indios im neu entdeckten Amerika Disziplin befürworten, nichts, was den ka- der Erde bekannt war. Alle neuen Länder hielten die Strapazen unter europäischer tholischen Lehren zuwiderläuft.« westlich davon sollten künftig Spanien ge- Knute nicht durch, sie starben viel zu Der »Duce« stärkte im Gegenzug den hören, alle Länder im Osten Portugal. schnell. Der Priester Bartolomé de Las Einfluss der Päpste: Das Kreuz hing in Ita- Die Konquistadoren unterwarfen ein Casas, Fürsprecher der Indios, empfahl, liens Klassenzimmern, Mussolinis erste Volk nach dem anderen und zwangen die Sklaven aus Afrika zu holen. Die Schwar- Regierung kniete 1922 beim Amtsantritt Eingeborenen, in Plantagen und Silber- zen seien robuster – und so begann der nieder. 1929 schlossen Faschisten und Va- minen zu schuften bis zum Tod. Millionen transatlantische Sklavenhandel. Schät- tikan die Lateranverträge, die dem Papst

16 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Titel

auch die weltliche Macht über den Vati- Wende. In seiner Weihnachtsansprache er hinderte ihn auch nicht daran. Hudal kanstaat garantierten. 1942 erwähnte er »Hunderttausende Men- schrieb noch in seinen Memoiren, er sei Vier Jahre später unterzeichnete ein schen«, die »zum Teil nur wegen ihrer Na- stolz darauf, den Nazis geholfen zu Vertreter des Papstes dann einen Vertrag tionalität oder Rasse dem schnellen oder haben. mit Hitler-Deutschland. Das Reichskon- langsamen Tod ausgeliefert« seien. Als Immerhin hat Johannes Paul II. im Jahr kordat stärkte den »Führer«, und die Kir- 1943 die SS bis an die Mauern des Vatikan 2000 als erster Papst eine Synagoge betre- che konnte ihr Vermögen und ihre Macht vorrückte, gewährte er 7000 Juden in ten – und sich für all das entschuldigt, was bewahren, etwa ihre Bekenntnisschulen Klöstern und im Vatikan Zuflucht. die Kirche den Juden angetan hat, für Ver- in Deutschland. Doch längst nicht alle im kirchlichen folgung und Hass. Später, viel zu spät, bereute der Papst. Apparat wollten diese Wende mitmachen: Die drei Spuren Am 21. März 1937 verbreiteten die deut- Als das »Dritte Reich« zusammenbrach, schen Kirchen seine Enzyklika »Mit bren- versuchten viele der Massenmörder, sich Das also ist das historische Erbe, das Papst nender Sorge«. Die Nazis würden sich ge- abzusetzen, so wie Ratten ein sinkendes Franziskus nun verwaltet. Und es wiegt gen die »gottgeschaffene und gottbefoh- Schiff verlassen. Es entstand, was Geheim- schwer, bis heute. Selbst ein entschlossener lene Ordnung« stellen, sie hielten sich dienstler die »Rattenlinie« nannten. Reformer wie Franziskus werde gebremst nicht an das Konkordat. Auch Mussolinis Über Herbergen und katholische Klös- von den »Gespenstern der Vergangen- neue Rassengesetze gegen die Juden gin- ter flohen die Nazis Richtung Süden. Und heit«, urteilt Bestsellerautor Gianluigi gen Pius XI. 1938 dann zu weit, die Pries- der wichtigste Organisator der Rattenlinie Nuzzi. Seine auf vertrauliche Dokumente ter sollten sie von den Kanzeln aus kri- war Bischof Alois Hudal in Rom, dessen gestützten Sachbücher handeln von dunk- tisieren. Doch da war er schon schwer Gebeine heute in Ehren auf dem Campo len Umtrieben im Kirchenstaat: von haar- krank, das wussten seine Kardinäle. Nach Santo ruhen. sträubenden Finanztransaktionen und Kertzers Recherchen spielten sie auf Zeit Zu den »Ratten« gehörte Adolf Eich- schwarzen Konten und von sexuellem und verschleppten den Entwurf einer mann, Organisator des Holocaust. Und Missbrauch von Messdienern. Enzyklika. Nuzzi ist eher klein, kahlköpfig, 48 Jah- Dem Tod nahe, wollte Pius XI. wenigs- re alt, und er hält den Heiligen Stuhl in tens noch eine Rede vor seinen Bischöfen Atem als eine Art Großinquisitor gegen halten. Aber am Tag davor starb er. neuzeitliche Verbrechen im Vatikan. Er Die Macht in Rom übernahm Eugenio folge, so der Autor, immer drei Fährten: Pacelli, jener Kardinalstaatssekretär, der Geld, Blut und Sex. den Vertrag mit Hitler-Deutschland ausge- Seit Nuzzi vor zehn Jahren Zugang er- handelt hatte. Er nannte sich Pius XII. und hielt zum in die Schweiz geschmuggelten sorgte dafür, dass Manuskripte der unge- Geheimarchiv von Renato Dardozzi, dem haltenen Rede seines Vorgängers ver- Ex-Kanzler der Päpstlichen Akademie der schwanden. Wissenschaften, spinnt er seinen Faden Pius XII. unterstützte den ultrarechten weiter. Und versucht zu beweisen, dass Putschisten General Francisco Franco im die Skandale aus den Zeiten von Papst Spanischen Bürgerkrieg. Als Franco die re- Paul VI. um 1970 bis in die Jetztzeit unter publikanischen Truppen geschlagen hatte, Franziskus reichen. als seine Kämpfer in Madrid einmarschier- Was Nuzzi über die Jahre aus Tausen- ten, beglückwünschte Pius via Radio die den Dokumenten filterte, liest sich wie ein »Söhne des katholischen Spanien« zum Krimi: Die Bankiers des Papstes koope- Sieg über die »Proselyten des Atheismus« rierten mit der Mafia; der Vatikan unter- – die Demokraten. Danach sah der Papst hielt geheime Schließfächer. Es ging um zu, wie der Holocaust begann. Milliardenbetrug, Schmiergelder und mys- Gesandte der britischen und der ameri- teriöse Morde. kanischen Regierung beknieten ihn, er Im Morgengrauen des 18. Juni 1982 bau- möge gegen Hitler Stellung beziehen. melte eine Leiche von der Londoner Black- Doch der Papst schwieg. friars Bridge, den Kopf in einer Schlinge, Sicher, er sorgte sich um den Erhalt des Misshandelter Sklave 1836 die Anzugtaschen voller Backsteine. Es Kirchenstaats. Aber war er auch ein Anti- Mit dem Segen des Papstes war Roberto Calvi, Direktor der Mailän- semit, wie einst so viele Katholiken? In der Bank Ambrosiano, die kurz zuvor den Jahrhunderten zuvor waren Juden in zahlungsunfähig geworden war – maßgeb- der christlichen Welt als »Jesus-Mörder« Auschwitz-Arzt Josef Mengele, der Zehn- lich mitverschuldet von Erzbischof Paul verfolgt und umgebracht worden. Juden- tausende Juden in die Gaskammern schick- Casimir Marcinkus, dem Chef des Instituts hass gehörte zur katholischen Gedanken- te. Und Franz Stangl, Kommandant des für die Religiösen Werke (IOR): der Bank welt wie übrigens auch zur evangelischen. Konzentrationslagers Treblinka. Und Klaus des Vatikan. In Marcinkus’ Auftrag sollen »Im Laufe der Zeit bin ich zu der Überzeu- Barbie, Gestapo-Chef von Lyon. Und Alois über Briefkastenfirmen Waffengeschäfte gung gelangt, dass während des Zweiten Brunner, Eichmanns rechte Hand. abgewickelt und Drogengelder gewaschen Weltkriegs Papst Pius XII. und die über- Die Kirche versorgte sie mit neuen Iden- worden sein. wältigende Mehrheit der europäischen Kir- titäten und Beglaubigungsschreiben. Damit Und all das im Namen des Heiligen chenführer die Beseitigung der Juden als bekamen sie in der Regel vom Roten Kreuz Vaters? ebenso nützlich ansahen wie die Vernich- Reisepapiere unter falschem Namen. Und Papst Paul VI., bei dem Marcinkus, Spitz- tung des Bolschewismus«, so schrieb der dann gingen sie an Bord der Schiffe nach name »Gorilla«, einst als Leibwächter be- US-Historiker Richard Rubenstein. Chile, Brasilien oder Argentinien. gonnen hatte, ehe er Finanzchef wurde, Doch dann trat Amerika in den Krieg Papst Pius XII. hatte Hudal nicht den schien an den Skandalen unter der Regie ein, in Stalingrad wurde Hitlers 6. Armee Auftrag gegeben, die Massenmörder vor seines Schützlings wenig Anstoß zu neh- eingekesselt – und Pius XII. vollzog eine den Galgen der Alliierten zu retten. Aber men. Unter Mithilfe von Calvi und dem

17 später mit Rattengift ermordeten Mafia - Und jetzt ist da Kardinal George Pell. les mit Chatprotokollen, SMS und »dick finanzier Michele Sindona verstrickten sich Der Australier war bis vor Kurzem als pics«, Intimfotos von Männern, vor from- die Männer des Vatikan tief ins organisierte Superwirtschaftsminister nominell die men Hintergründen belegen. Der Mann Verbrechen. Ein von den italienischen Be- Nummer drei im Vatikan, er muss sich nun prangert nicht die Homosexualität der Kir- hörden ausgestellter Haftbefehl gegen den wegen des Vorwurfs des sexuellen Miss- chenleute an, sondern ihre Verlogenheit. Papstvertrauten Marcinkus blieb folgenlos, brauchs von Kindern verantworten. Pell Die Skandale belasten Papst Franziskus, weil der Vatikan sich weigerte, den Bischof bestreitet die Vorwürfe. Aber es gibt noch auch wenn die Schuld meist in den Ponti- auszuliefern. mehr Missbrauchsfälle in aller Welt, zu de- fikaten vor seiner Zeit zu suchen ist. Aber Was diese Verbrechen mit heute, mit nen der Vatikan lange schwieg. der Papst wittert bei vielen der Enthül- der Ära Franziskus zu tun haben? Viel, so Ein polnischer Erzbischof soll sich in lungen »Verrat«, weil ihm vor allem die der Aufdecker Nuzzi. Die Mitwisser von der Dominikanischen Republik an Kin- Finanz skandale schaden. Er sieht, dass damals seien weiter im Hin- seine Reformen durch den tergrund tätig. Intrigen laufen Widerstand der Konservati- beispielsweise gegen den ven stocken. Und dass zu- französischen IOR-Wächter gleich eine Rückkehr zu den und Franziskus-Vertrauten üblen Zuständen der Vergan- Kardinal Jean-Louis Tauran. genheit droht. Ein 2017 aufgetauchtes rät- Bei seiner vergangenen selhaftes Papier erwähnt ihn Weihnachtsansprache vor als Empfänger detaillierter Würdenträgern waren unter Kostenaufstellungen, die mit den Zuhörern nicht wenige, der Verschleppung und spä- die das Pontifikat des Argen- teren »Verlegung in den Vati- tiniers kritisch sehen. Über kanstaat« von Emanuela Or- »um sich greifende Ver- landi zu tun haben sollen, wirrung« lästern sie, und: samt »Erledigung abschlie- Der Papst schwäche die Dok- ßender Schritte«. Die 15-jäh- trin und stärke seine Fans rige Emanuela, Tochter eines außerhalb der Kirche. Dieners von Johannes Paul »Die Agenda dieses Paps - II., war am 22. Juni 1983 spur- tes deckt sich mit jener der los verschwunden. Kirchenfeinde«, sagt einer Die Spekulationen da - derjenigen im Vatikan, die rüber, ob sie als Sexobjekt im den Pontifex der Häresie be- Vatikan benutzt oder ermor- zichtigen. det worden war und dann Der Papst ein Ketzer? einbetoniert in einem Küs- Beson ders kritische Geister tenvorort endete, dauern bis sehen sogar das Risiko, dass heute an. Emanuelas Bruder »die katholische Kirche zer- Pietro, der weiter nach dem stört« werde, wenn Franzis- Verbleib seiner Schwester kus versuche, »jedermanns forscht, erhielt von Papst Liebling« zu sein, wie es Kar- Franzikus die Antwort: »Sie dinal Gerhard Ludwig Müller ist im Himmel.« nennt, der vom Papst gefeu- Nur: Warum legt der Vati- erte Vorsitzende der Glau- kan keine Akten offen? benskongregation – so heißt 2011, noch unter Benedikt die heilige Inquisition heute. XVI., war eine andere Affäre Papst Benedikt XVI. war, als um den Kammerdiener Paolo er noch Ratzinger hieß, lange Gabriele ans Licht gekom- deren Chef. men. Der Mann hatte Briefe Dem Altpapst selbst ist zu und Akten vom Schreibtisch ROLAND FISCHER dieser Frage nichts zu entlo- des Pontifex kopiert und Fensterbild im Petersdom: Retter der Judenmörder cken. Schon gar nicht, dass er aus dem Vatikan geschleust: die Theologie seines Nachfol- »Vatileaks I«. Geheime Kon- gers freudig begrüße. ten, gehalten von Strohmännern der orga- dern vergangen haben. Chilenische Opfer Franziskus weiß, worauf er sich einge- nisierten Kriminalität, sollen entdeckt wor- beklagten sich im April bei Franziskus lassen hat: Den Vatikan ändern zu wollen, den sein. Es ging auch um Korruption und über hochrangige Kleriker. Erst hatte der sagte er vor Kurzem, sei so, als versuchte Günstlingswirtschaft. Papst die Beschuldigten noch verteidigt, man, »die ägyptische Sphinx mit einer Dann folgte »Vatileaks II«, die Affäre später entschuldigte er sich »als Papst und Zahnbürste zu putzen«. um einen spanischen Prälaten und eine im Namen der Weltkirche«. Clemens Höges, Walter Mayr PR-Spezialistin aus der Finanzkommis- Und im Februar hat zudem ein männ- sion. Sie hatten vertrauliche Dokumente licher Prostituierter ein 1200-Seiten-Dossier Video an die Öffentlichkeit geschmuggelt. Beide über Umwege an den Heiligen Stuhl ge- Als eine Leiche auf dem wurden vor Gericht dafür verurteilt, dass schickt. Darin schildert er nicht nur, wie er Papstthron saß sie Misswirtschaft in der Kurie und verein- sogar hochrangigen Geistlichen zu Diens - spiegel.de/sp212018vatikan zelt auch das Luxusleben von Kardinälen ten war und dass diese sich auch sonst an oder in der App DER SPIEGEL öffentlich gemacht hatten. geheimen Plätzen betätigten – er kann vie-

18 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Titel

das Material sichten, Szenen auswählen und zusammenschneiden. O Wunder: Auf Priester des Zelluloids den Bildern von Vatikan-TV macht Fran- ziskus immer eine gute Figur. Kino Wim Wenders’ neuer Dokumentarfilm Bei einem normalen Dokumentarfilm wäre der Einsatz von so viel PR-Material über Papst Franziskus ist ein Meisterstück der PR-Kunst. problematisch. Doch Wenders erklärt die- se Methode einfach zum Konzept: »Ich mache keine Filme, um etwas zu kritisie- itte Mai, einen Tag nach der Pre- Franziskus war noch nicht einmal ein Jahr ren. Das können andere auch viel besser.« M miere des neuen Kinofilms über im Amt, lud Viganò den Regisseur nach Den Vorwurf, er habe sich vom Vatikan Papst Franziskus, bekam der Rom ein. Warum Wenders? »Er hat diesen instrumentalisieren lassen, weist er zurück: SPIEGEL eine kurze Nachricht aus dem maßvollen, poetischen und innovativen »Ich bin komplett Herr dieses Films ge- Vatikan. Ein Emoji. Monsignore Dario Blick«, so Viganò. Der PR-Mann ist stu- wesen. Der Vatikan hat nur den Anstoß Edoardo Viganò, bis vor Kurzem Präfekt dierter Theologe, aber er hat auch rund gegeben, sich in die Produktion aber nicht der Kommunikationsabteilung des Vatikan ein Dutzend Bücher übers Kino verfasst, eingemischt«, sagt Wenders. und noch immer einer der engsten Mitar- Werke wie »Der Priester des Zelluloids«. PR-Mann Viganò formuliert es so: »Ich beiter von Franziskus, schickte per iPhone Viganò kann wortreich schwärmen von habe alle Phasen des Projekts an der Seite das Symbol , Daumen rauf, ein Finger- Wenders’ früheren Dokumentationen wie des Regisseurs begleitet, von der Entwick- zeig Richtung Himmel. Wohin auch sonst? »Buena Vista Social Club« oder »Pina« lung der Erzählidee über die Produktion, Von Kommunikation verstehen sie et- und von dessen wohl berühmtestem Spiel- über den Schnitt bis hin zur Kopie des was im Vatikan, schon immer. Ein Papst, film, »Der Himmel über Berlin«, Bruno Films« für das Festival von Cannes. Das Er- der sogar vor Mordanschlägen nicht zu- Ganz als Engel auf der Siegessäule. gebnis, lobt Viganò, sei »eine aufmerksame rückschreckte, ließ im Jahr 1612 seinen Über das Konzept der Papst-Dokumen- Regiearbeit, die sich selbst zurücknimmt«. Namen in riesigen Lettern in die Fassade tation wurden sich Viganò und Wenders »Papst Franziskus – Ein Mann seines des Petersdoms meißeln, »Paul V. Borghese, schnell einig. Die Aufrufe des Papstes zum Wortes« beginnt mit den Worten von Pontifex maximus«, eine Bot- Wim Wenders. Mit ergriffener schaft der Macht in Marmor, bis Stimme klagt der Regisseur aus heute. 2018 lässt der aktuelle dem Off über den Zustand der Amtsinhaber seine Botschaft als Welt, »Katastrophen ziehen über Kinofilm verbreiten, mit freund- uns hin«, die Kamera blickt dabei licher Unterstützung eines be- wie ein Gott vom Himmel. »Wie rühmten deutschen Regisseurs: sollen wir leben, heute, in Frieden, Wim Wenders’ Dokumentation miteinander und in Eintracht mit »Papst Franziskus – Ein Mann sei- unserer Erde?«, fragt Wenders. nes Wortes« soll Millionen Zu- Langsam reißen die Wolken auf schauer in aller Welt erreichen, und geben den Blick frei auf Christen, Atheisten, Neugierige. das Kloster von Assisi. In der Ba- Wenders wurde katholisch ge- silika ist der heilige Franziskus tauft, als Jugendlicher wollte er begraben, der Namenspatron des Priester werden. »Aber dann kam Papstes. der Rock’n’Roll«, sagt der Regis- / REX / EPA-EFE FRANCK ROBICHON Wenders kommt im Film immer seur, Jahrgang 1945; später ent- Regisseur Wenders wieder auf Franz von Assisi zurück. deckte er für sich den Sozialismus, »Das ist ein armer Film« Weil in diesem Fall nicht einmal den Existenzialismus, die Psycho- das Archiv des Vatikan mit Film- analyse, den Buddhismus, »alles, was man Verzicht setzte der Regisseur in die Praxis aufnahmen dienen konnte – der Mann so macht«. Schließlich sei er »in einem gro- um. »Das ist ein armer Film«, rein budget- starb 1226 –, hat Wenders einige Szenen ßen Bogen zurückgekehrt zum Glauben mäßig, sagt Wenders. »Mit einem Papst, aus dessen Leben mit Schauspielern nach- meiner Kindheit«. Heute ist der Regisseur der eine arme Kirche für die Armen will, gestellt, gedreht in Schwarz-Weiß mit einer evangelisch, ein Protestant mit einem darf man keinen reichen Film machen.« alten Kamera mit Handkurbel, wie bei Faible für Franziskus. 2,5 Millionen Euro habe man bei priva- einem Stummfilm. Am Tag nach Christi Himmelfahrt wur- ten Geldgebern eingesammelt, darunter Ansonsten zeigt die Dokumentation de Wenders’ Papst-Film beim Katholiken- eine Schweizer Kulturstiftung. Eine Million nur den Papst. Die Inszenierung der Inter- tag in Münster uraufgeführt, am Sonntag davon spendeten die Produzenten. Genau- views, die direkte Ansprache des Zuschau- vor Pfingsten folgte die Gala-Premiere er: Das Geld »ging auf ein Konto, über das ers, verstärkt sein natürliches Charisma. beim Festival von Cannes. Am 14. Juni der Papst verfügen kann, für Zwecke, die »Franziskus’ Starqualität«, sagt Wenders, bringt das Hollywoodstudio Universal die er für richtig hält«, sagt Wenders. Der Film »ist sein Zugang zu Menschen, seine un- Dokumentation in die deutschen Kinos. Es selbst habe 1,5 Millionen Euro gekostet, un- mittelbare, freundliche Fähigkeit, sich auf ist kein Film über den Papst, sondern einer gefähr so viel wie ein Fernseh-»Tatort«. jeden einzulassen.« mit ihm. Im Zentrum stehen vier lange Zu wenig, um den Papst auf Reisen mit Auch auf den Regisseur. Am Ende des Interviews, die Wenders mit Franziskus ge- einem eigenen Team zu begleiten. Doch Films hat der Papst sogar ein Kompliment führt hat. Der Papst blickt dabei direkt in praktischerweise werden die Auftritte des für Wenders versteckt. »Ein Künstler«, die Kamera; es wirkt, als redete er jedem Papstes, seine Reden und Reisen, ohnehin sagt Franziskus, »ist ein Apostel der Schön- Zuschauer persönlich ins Gewissen. von Kameraleuten des Centro Televisivo heit, der uns anderen hilft zu leben.« Die Idee zum Film stammt nicht von Vaticano gefilmt. Viganò sorgte dafür, dass Zusammengefasst: Wenders, sondern von Dario Viganò, dem Wenders Zugang zum Archiv des Vatikan- Martin Wolf PR-Strategen des Papstes. Ende 2013, senders bekam. Der Regisseur musste nur

19 Deutschland

»Wann kriegt die Union jetzt endlich auf die Fresse?« ‣S.34

Mietwohnensemble in Berlin-Wilmersdorf PAUL LANGROCK PAUL

Immobilienmarkt Arme Mieter

Vor allem junge Erwachsene treffen die steigenden Ausgaben für Wohnen hart.

Das Risiko, von Armut bedroht zu 30 zahlungen. Mieter hingegen mussten werden, ist für Mieter in den vergange- 2010, so die DIW-Studie, im Schnitt rund nen Jahren deutlich gestiegen. Zu diesem 28 Prozent des Haushaltsnettoeinkom- Ergebnis kommt eine neue Studie des 25 mens für Miete ausgeben. Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor- Als armutsgefährdet gilt, wer 60 Pro- schung (DIW) zur Einkommensverteilung Mieter zent oder weniger des mittleren Ein - in Deutschland. Danach lag die Armuts - 20 kommens zur Verfügung hat. Die Schere risikoquote für Mieter im Jahr 2015 bei Armutsrisiko dürfte sich noch weiter öffnen: Parallel knapp 29 Prozent. Anfang der Neunziger- Quote* in Prozent zu den Mieten steigt seit 2010 auch die 15 jahre war der Anteil noch mit 16 Prozent *Personen mit weniger Armutsrisikoquote stärker als zuvor. nur gut halb so hoch. »Von dieser Ent- als 60 Prozent des mittleren Betroffen sind vor allem Menschen mit wicklung sind vor allem junge Erwachse- Einkommens; Quelle: DIW niedrigen Einkommen. »Menschen, die ne bis 35 Jahre betroffen«, heißt es in 10 ein Armutsrisiko haben, dürfte es also der Studie. Bei Menschen, die Wohn - Eigentümer immer schwerer fallen, auf dem Immobi- eigentum besitzen, liegt dieses Risiko lienmarkt bezahlbare Mietwohnungen lediglich bei rund vier Prozent und ist seit 5 zu finden«, sagt DIW-Forscher Markus über zwei Jahrzehnten relativ konstant. Grabka. Das Institut fordert deshalb von Ist die eigene Wohnung erst einmal ab - der Politik, mehr für den sozialen Woh- gezahlt, ent fallen Kreditraten oder Miet- 1991 2000 2010 15 nungsbau zu tun. MAD

20 Digitalisierung Seitenwechsel Ex-Piratin hilft Grünen Gabriels Alleingang Marina Weisband, ehemalige politische Die Bundesregierung hat noch nicht Geschäftsführerin der Piratenpartei, wird entschieden, unter welchen Bedingun- künftig die Grünen bei der Erarbeitung gen sie den Wechsel von Ex-Bundesmi- ihres Grundsatzprogramms unterstützen. nister Sigmar Gabriel (SPD) in den Ver- Die Ex-Piratin soll im Bereich Digitalisie- waltungsrat des geplanten Bahnherstel- rung und Automatisierung mitarbeiten. lers Siemens-Alstom genehmigt. Das

Die grüne Parteispitze hat sechs soge- ALLIANCE / DPA PEDERSEN / PICTURE BRITTA Bundesministergesetz sieht vor, dass nannte Impulsgruppen zu Themen wie Weisband bei Parteitag 2017 in Berlin ausscheidende Regierungsmitglieder Digitalisierung, Wirtschafts- und Sozial- vor einem Wechsel in die Wirtschaft bis politik sowie neuen Fragen der Wissen- sagt der politische Geschäftsführer der zu 18 Monate pausieren müssen, wenn schaftsgesellschaft und Bioethik gegrün- Grünen, Michael Kellner. Eine gute Digi- Interessenkonflikte drohen. Wie lange det. Im noch geltenden Programm talpolitik sei eine Zukunftsaufgabe, so der Betreffende gesperrt wird, emp- kommt das Stichwort »digital« nur drei- Kellner: »Marina Weisband ist eine Kory- fiehlt eine Ethikkommission. Das Gre- mal vor – es stammt aus dem Jahr 2002. phäe auf diesem Gebiet.« Das grüne mium hat jedoch nach Angaben aus »Genau da wollen wir auf die Höhe der Grundsatzprogramm soll im Frühjahr Regierungskreisen seinen Bericht zur Zeit – und noch weiter vorausdenken«, 2020 beschlossen werden. HÖH Causa Gabriel noch nicht dem Kanzler- amt vorgelegt. Der SPD-Politiker geht offenbar bereits davon aus, dass er lediglich zwölf Monate pausieren muss. Linke ringert werden«, so Wagenknecht. Die Er stehe, teilte Gabriel mit, »nach derzeitige Lösung sei ungerecht. Grund- Ablauf eines Jahres nach dem Ausschei- Wagenknecht will Reform sätzlich sprach sich Wagenknecht für den aus der Bundesregierung zur Ver - der Rundfunkgebühren einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk fügung«. Die Pressemitteilung sorgte in aus. Allerdings solle dieser den Ehrgeiz der Regierung für Irritation. CSC Die Fraktionsvorsitzende der Links - haben, ein Programm zu machen, das partei, , fordert eine mehr Menschen, etwa auch Jüngere, Reform der Gebühren des öffentlich- erreiche. »Der öffentlich-rechtliche Rund- rechtlichen Rundfunks. »Der Beitrag soll- funk muss seinem Auftrag gerecht wer- Datenschutz te nach Einkommen gestaffelt werden den und nicht Seifenopern bringen«, so Aufstand in der Union und für niedrige Einkommen deutlich ver- Wagenknecht. ABE In der Unionsfraktion gibt es scharfe Kritik an den neuen Datenschutz- vorschriften der EU, die kommende Betrugsverdacht ger Millionenhöhe zu sein, in die damals Woche in Kraft treten. Bei einem ver- auch die Deutsche Bank verwickelt war. traulichen Treffen von Mitgliedern der Rücktritt auf Antigua nach Trutschler seinerseits war einst – auch Fraktionsspitze mit Vertretern des BKA-Überwachung durch falsche Angaben – Chef des Elek- Innenministeriums wurden massive Vor- trizitätswerks in der kosovarischen behalte gegen die Regelung deutlich. Telefonüberwachungen des Bundeskri- Hauptstadt Priština geworden und wegen Die Abgeordneten fürchten, dass kleine minalamts (BKA) haben am Dienstag dubioser Zahlungen in Misskredit gera- Firmen und Freiberufler bei Verstößen zum Rücktritt des Energieministers des ten. Beide Männer bestreiten die Beste- von Abmahnvereinen und -anwälten Karibikstaats Antigua und Barbuda, Asot chungsvorwürfe und behaupten, sie seien zur Kasse gebeten werden. Vizefrak- Michael, geführt. Das BKA hatte bei illegal abgehört worden. Der High Court tionschef sagte, die Ermittlungen wegen Umsatzsteuerbe- in London hat jedoch die Beweismittel Regelung fördere die Demokratiever- trugs mit Umweltzertifikaten 2016 ein für zulässig erklärt. AUL drossenheit und spiele der AfD in die Gespräch mit dem illustren Hände. Kollege britischen Investor Peter Vir- mahnte, wenn die Regierung nichts dee Singh und dem deut- gegen die Folgen der »Datenschutz- schen Geschäftsmann Dieter grundverordnung« unternehme, brau- Trutschler abgehört und che sie künftig nicht mehr über Bürokra- dabei Hinweise auf Beste- tieabbau zu sprechen. Die Verordnung chung des Karibikpolitikers sieht zahlreiche neue Dokumentations- erhalten. In dem Telefonat und Rechenschaftspflichten vor. Die ging es im Zusammenhang Fraktionsführung will die Regierung mit dem Bau einer Solar - dazu bewegen, bereits auf der Kabi- anlage um Provisionen in nettssitzung am kommenden Mittwoch Millionenhöhe, Wahlkampf- ein Eckpunktepapier zu verabschieden, unterstützung, aber auch um das die Praktiken unseriöser Abmahn- ein Auto für die Mutter des vereine untersagt. Ein entsprechendes Ministers. Die Staatsanwalt- Gesetz soll so schnell wie möglich auf schaft Frankfurt am Main den Weg gebracht werden. Das Innen- wirft Virdee vor, Hinter- ministerium wurde beauftragt, zu prü-

mann von Umsatzsteuer- ROWSE SANDRA fen, ob die Regeln auch rückwirkend manipu lationen in dreistelli- Queen Elizabeth II., Virdee 2014 in London angewandt werden können. RAN

DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 21 Drittes Geschlecht SPD-Häuser blockieren Seehofers Entwurf

Justizministerin und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) blockieren einen Gesetz- entwurf von Innenminister Horst See- hofer (CSU) über die Rechte von Men- schen ohne eindeutiges biologisches Geschlecht. In einem Schreiben des Justizministeriums gegen Seehofers Entwurf, der ein Bundesverfassungs - gerichtsurteil von 2017 umsetzen soll, heißt es, dessen Regelwerk sei »noch nicht ausgereift«. Der Entwurf erzeuge »ein Ungleichgewicht zwischen Inter- und Transsexuellen«, für die Barley ein einheitliches Gesetz fordert. Seehofer strebt dagegen eine juristische Mini -

MATT CARDY / GETTY IMAGES CARDY MATT mallösung an: Menschen, die weder Ermittler in Salisbury, England weiblich noch männlich sind, sollen sich laut seinem Haus künftig in Ausweis- papieren in der Kategorie »anderes« Zeitgeschichte Tochter verübt. Indizien legen nahe, dass eintragen lassen können. Im Justiz- Alliierte wussten vor dem Moskau dahintersteckt. Die Existenz und im Familienministerium hält man dieser Probe widerspricht allerdings der diese Bezeichnung, die auf eine Emp - BND von Nowitschok Behauptung Großbritanniens, der Kampf- fehlung des Ethikrats zurückgeht, für stoff könne nur aus Russland kommen. herabsetzend. Barley bevorzuge den Mehrere Nato-Staaten verfügten Mitte Schon vor dem Mauerfall wusste der Begriff »weiteres«, heißt es, Giffey der Neunzigerjahre über detaillierte Westen, dass Moskau das Gift produzier- wolle »divers« oder »inter«. Seehofer Kenntnisse zum sowjetischen Kampfstoff te, bald darauf lag auch die Formel vor will überdies Kindern mit uneindeuti- Nowitschok – und hielten ihr Wissen vor (SPIEGEL 17/2018). Immerhin durften die gem Geschlecht ab dem Alter von der Bundesregierung Helmut Kohls Deutschen dank ihrer Probe bei einer 14 Jahren die Entscheidung gestatten, (CDU) geheim. Das musste der Bundes- Arbeitsgruppe in der Nato mitmachen, wie sie im Personenstandsregister nachrichtendienst (BND) feststellen, als zu der Amerikaner, Briten, Niederländer, geführt werden. Barley fordert dagegen, er damals die Verbündeten stolz über Kanadier und weitere Länder zählten. »zumindest zu erwägen«, ob dies nicht eine Probe Nowitschok informieren woll- Die Geheimdienstler tauschten sich eini- schon für noch jüngere Kinder möglich te, die ein russischer Überläufer dem ge Male etwa über Toxizität, Nachweis- sein solle. Auch will die Justizministerin BND besorgt hatte. Die Alliierten »wuss - und Lagerfähigkeit von Nowitschok aus, es den Betroffenen im Konfliktfall ten bereits Bescheid«, ärgert sich noch dann löste sich die Gruppe auf. Viele ermöglichen, eine Personenstandsände- heute ein Beteiligter. Mit Nowitschok Medien hatten jüngst berichtet, der BND rung ohne Zustimmung ihrer Eltern zu wurde kürzlich im englischen Salisbury habe mit seiner Probe »maßgeblich« erreichen – und sich später im Leben ein Anschlag auf den britisch-russischen dazu beigetragen, dass der Westen No- doch wieder für ein anderes Geschlecht Doppelagenten Sergej Skripal und dessen witschok kenne. KLW zu entscheiden. AMA

Abgasaffäre ministeriums. Beide Modelle haben die Rückruf von Schadstoffklasse Euro 6, die von Kon- zernen und Regierung beworben wird, 60 000 Porsche um im Austausch gegen ältere Diesel für bessere Luft zu sorgen. Beim Ma - Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) lässt can fanden die Prüfer des KBA fünf ille- zwei Dieselmodelle von Porsche zu - gale Abschalteinrichtungen, die bewir- rückrufen. Dabei handelt es sich nach ken, dass die Abgasreinigung nur im Informationen des SPIEGEL und des Labor voll funktioniert – auf der Straße Bayerischen Rundfunks um das aktuelle nicht. Im Verkehrsministerium ist man Modell des Macan 3,0 Liter V6 mit einer über die Anzahl der Softwaremanipula- Stückzahl von 53 000 und den Cayenne tionen ebenso verärgert wie darüber, 4,2 Liter V8, bei dem in 6800 Exem - dass beim Macan bereits 2016 ein Soft- plaren Software manipuliert wurde. wareupdate vorgenommen wurde – »Aufgrund der eingebauten Abschaltein- angeblich um die Abgaswerte zu ver- richtungen kann es im Betrieb der Fahr- bessern. Porsche erklärte, man habe

zeuge zu erhöhten Stickoxidemissionen ALLIANCE / DPA / PICTURE WOITAS JAN bereits im Februar die Behörden über kommen«, so ein Sprecher des Verkehrs- Porsche-Logo »Unregelmäßigkeiten« informiert. GT

22 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 COMMANDER BIG DATE

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EIFFEL TOWER, PARIS WWW.MIDOWATCHES.COM Deutschland DIMITAR DILKOFF / AFP DILKOFF DIMITAR Hände an der Hosennaht

Außenpolitik Eigentlich sollte der Streit mit Trump über das iranische Atomabkommen die Europäer einigen, aber nun setzt Kanzlerin Merkel auf Beschwichtigung. Wieder einmal übernimmt Frankreichs Präsident Macron die Führung des Kontinents.

s kommt nicht häufig vor, dass der zusteigen, hat Europa damit zu einer ers- schlossen Widerstand leisten, oder wird überzeugte Europäer Peter Alt- ten Antwort auf den Affront aus Washing- er die Situation nur weiter zuspitzen? E maier Vorschläge aus Brüssel in ton gefunden. Die EU-Kommission kün- Es ist die große, alte Frage der Außen- Zweifel zieht. In der vergangenen digte an, von amerikanischen Sanktionen politik, die Frage nach der richtigen Reak- Woche aber erteilte er dem Plan der EU- betroffene europäische Unternehmen tion auf Druck und Zwang: Appeasement? Kommission, europäische Unternehmen für durch das sogenannte Blocking Statute zu Oder fühlen sich die Raufbolde der Welt- die neuen amerikanischen Iransanktionen schützen. politik dadurch eher ermutigt? Es ist eine zu entschädigen, eine Absage. »Wir haben Es war nicht die Antwort Deutschlands, Frage, die man sich bisher im Umgang mit juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unter- jedenfalls nicht die der Kanzlerin und ihres Wladimir Putin und den Diktatoren dieser nehmen gegen Entscheidungen der ameri- Wirtschaftsministers. Es war die Antwort Welt gestellt hat. kanischen Regierung zu schützen oder sie von Emmanuel Macron, dem neuen star- An der Entschlossenheit der Amerika- davon auszunehmen«, sagte der Bundes- ken Mann in Europa. Vor allem der fran- ner besteht kein Zweifel. Trump setzt auf wirtschaftsminister. Er warnte davor, »vor - zösische Präsident hatte hinter den Kulis- maximalen Druck – auch gegenüber den eilige Vorschläge« ins Gespräch zu bringen. sen Druck gemacht, während Berlin vor Verbündeten in Europa. Richard Grenell, Doch in Brüssel wollte keiner auf ihn einer Konfrontation mit Trump zurück- der neue US-Botschafter in Berlin, ver- hören. Als Außenminister schreckte. band das Thema Iran ganz offen mit dem einige Tage später seine Amtskollegen Von Anfang an steuerten Berlin und Pa- Handelsstreit zwischen Europäern und aus Großbritannien und Frankreich traf, ris in unterschiedliche Richtungen, wie es Amerikanern. Wenn die Europäer sich ge- hatte die EU-Außenbeauftragte Federica nun weitergehen soll im transatlantischen gen Iran an die Seite Trumps stellten, Mogherini bereits ein Papier vorbereitet, Verhältnis. Soll man Trump beschwichti- könnte der darauf verzichten, die ange- das ebenjene Vorschläge, vor denen Alt- gen oder ihm die Stirn bieten? Soll Europa drohten Strafzölle für Stahl und Alumi- maier gewarnt hatte, auf den Weg brachte. wegen Iran einen Handelskrieg mit den nium einzuführen, ließ Grenell vergan- Neun Tage nach Trumps Entscheidung, USA riskieren? Lässt Trump sich davon gene Woche gegenüber der »New York aus dem Nuklearabkommen mit Iran aus- beeindrucken, wenn die Europäer ent- Times« durchblicken.

24 DIMITAR DILKOFF / AFP DILKOFF DIMITAR Staatschef Macron, Kanzlerin Merkel: Frankreich macht sich groß, Deutschland macht sich klein

Das heißt im Umkehrschluss: Spuren bietet. Nun kann er den Franzosen be- auftraten, bereit zur Machtprobe mit Wa- die Europäer nicht, werden sie den Han- weisen, wofür es Europa wirklich braucht. shington. delskrieg bekommen. Wer solche Freunde Nur Europa kann seiner Meinung Le Drian sprach von »unserer Entschlos- habe, brauche keine Feinde, konstatierte nach dem Vertragsbrecher USA Paroli senheit zu kämpfen, damit die Entschei- EU-Ratspräsident Donald Tusk. bieten. dungen der USA keine negativen Auswir- Klar ist, dass die Europäer nur dann et- In Berlin ist dagegen viel von »Real- kungen auf französische Unternehmen was erreichen können, wenn sie sich auf politik« die Rede. Damit ist gemeint, dass haben«. Und Le Maire legte noch drauf: eine Linie einigen. Doch damit tut sich man Trump nicht viel entgegenzusetzen »Ganz Europa ist vor die Herausforderung Berlin schwer. Die Deutschen wollen das habe. Trump werde die Iranfrage sehr gestellt, seine wirtschaftliche Souveränität Abkommen zwar gern retten, aber eigent- hart spielen, heißt es. Von »Überforde- durchzusetzen.« lich nicht dafür kämpfen. Paris ist dagegen rung« ist die Rede. Der ehemalige Premier Jean-Pierre Raf- zur Konfrontation bereit. »In Ber- Tatsächlich fehlt es wohl vor allem farin, der als Regierungschef 2003 zwi- lin setzt man eher auf Appease- an politischem Willen. Für Altmaier schen Paris, Berlin und Moskau den ment, während Paris befürchtet, ist das Abkommen mit Iran im Zwei- Widerstand gegen Bushs Irakkrieg koor- dass man Trump mit jedem Zuge- fel weniger wichtig als der Streit dinierte, forderte gar eine G4 aus Frank- ständnis ermutige, noch dreister mit der Trump-Administration reich, Deutschland, Russland und China, vorzugehen«, sagt ein hoher EU- um Strafzölle auf Stahl und Alu- um Trump die Stirn zu bieten. Frankreich Beamter. minium. Er will um jeden Preis ver- sieht sich eben immer noch als Weltmacht. Auffällig ist, wie unterschiedlich hindern, dass er sich zu einem ve- Und als solche schmiedet es die Allianzen, Berlin und Paris ihre Tonlage wäh- ritablen Handelskrieg ausweitet – die ihm gerade passen. len. »Da können wir nichts ma- und auf das Herz der deutschen Deutschland tut sich da schwerer. Ein chen«, das ist, zusammengefasst, Nahost- Wirtschaft übergreift: die Autoindus- Bündnis mit Russland und China gegen der Sound, der im Berliner Kanz- krise trie. Amerikanische Strafmaßnah- die USA, den Freund und Verbündeten, leramt zu hören ist. In Paris heißt men würden Deutschland als Export - ist für Transatlantiker wie Altmaier ein es dagegen: »Das können wir uns nicht nation viel empfindlicher treffen als Albtraum. Hinzu kommt, dass auf der bieten lassen.« Frankreich. Gegenseite nicht nur die USA, sondern Es ist der bekannte Reflex: Deutschland »Die USA können nicht der wirtschaft- auch Israel stünden. Die Frage, wie man macht sich klein. Frankreich macht sich liche Weltpolizist sein«, wettert dagegen mit Iran umgehe, habe natürlich eine is- groß. »Wenn wir akzeptieren, dass andere Frankreichs Finanz-und Wirtschaftsminis- raelische Komponente, heißt es im Kanz- Großmächte, auch wenn sie Verbündete ter Bruno Le Maire. Er und sein Kabinetts- leramt. Wenn man über Iran spreche, müs- sind, für uns entscheiden, dann sind wir kollege, Außenminister Jean-Yves Le Drian, se man immer Israel im Auge haben. nicht mehr souverän«, warnte Macron luden demonstrativ zu einer gemeinsamen Im Zentrum der Auseinandersetzung beim EU-Gipfel in Sofia. Pressekonferenz ins monumentale Pariser mit den USA steht die Wirtschaft. In Frank- Er hat erkannt, welche Chance ihm Finanz- und Wirtschaftsministerium, bei reich wären vor allem Großkonzerne wie der Widerstand gegen die US-Sanktionen der die beiden Minister wie Feldherren der Ölriese Total oder der Autohersteller

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 25 Deutschland

Peugeot von amerikanischen Sanktionen Handelspartner Iran mit der EU-Außenbeauftragten Federica betroffen, in Deutschland ist der Anteil Mogherini auf ein Maßnahmenpaket mittelständischer Unternehmen, von de- Außenhandelsvolumen mit Iran, drängte. Man sei nicht ohnmächtig, sagte nen viele kein nennenswertes US-Geschäft in Milliarden US-Dollar Maas in Brüssel. Auch wenn es nicht ein- haben, hoch. Sie können also im Zweifel 6,1 fach werde, gebe es sicherlich »Möglich- ihre Verträge mit Iran trotz amerikanischer keiten und Instrumente«. Mitte Januar 2016 wurden die Sanktionen erfüllen. Total legte dagegen Wirtschafts- und Finanzsanktionen »Wir sollten nicht zu sehr auf Anpassung am Mittwoch sein Großprojekt, die Explo- gegen Iran aufgehoben oder Beschwichtigung setzen, sondern ration des iranischen Gasfelds South Pars eine selbstbewusste europäische Haltung 4,1 im Persischen Golf, auf Eis. Deutschland entwickeln«, sagt auch der CDU-Außen- Weder für Deutschland noch für Frank- politiker . »Es ist rich- reich hat das Irangeschäft allerdings wirk- 3,8 tig, dass die Franzosen sagen, wir Euro- lich entscheidende Bedeutung. Nur 0,3 Pro- 3,4 päer dürfen jetzt nicht unsere Hand an zent der französischen Exporte gehen nach die Hosennaht legen. Nur auf Grundlage Iran, in Deutschland sind es 0,2 Prozent. klarer Positionen und Geschlossenheit Maßnahmen zum Schutz europäischer können wir einen Dialog mit den USA fort- Firmen haben also vor allem politisch-sym- setzen, der unseren Interessen dient.« bolische Wirkung. Sie sind ein Signal an Frankreich Kritik an ihrem vorsichtigen Kurs be- Trump, dass sich die Europäer nicht alles kommt Kanzlerin Merkel in Brüssel zu gefallen lassen. Und ein Signal an Iran, hören. »Kriechen ist das Anlocken weiterer dass die EU wirklich für das Abkommen Quelle: IWF Maßnahmen«, sagt der CDU-Europapoli- kämpft. Diese Signale brauchen die Refor- 2010 2012 2014 2016 2017 tiker Elmar Brok, ein Vertrauter Merkels. mer in Teheran, um die Hardliner davon »Deswegen muss man auch mal einen abzuhalten, den Nukleardeal zu kündigen. Punkt setzen.« Trump liebe starke Ver- Das sogenannte Blocking Statute, das Handelspartner USA handlungspartner zwar nicht, »aber er die EU-Kommission nun auf den Weg ge- Außenhandelsvolumen mit den USA, respektiert sie, so wie alle starken Leute bracht hat, sieht vor, europäische Unter- nur starke Leute respektieren«. Es brauche, in Milliarden US-Dollar 180,3 nehmen, die den US-Sanktionen Folge »ein Symbol, dass wir uns nicht alles gefal- leisten, Strafzahlungen aufzuerlegen. Im len lassen«. Gegenzug sollen Unternehmen, die den Nachgiebigkeit dagegen ermutige US-Sanktionen trotzen, für Einnahmeaus- Trump in seiner Einschätzung: »Mit denen fälle entschädigt werden. Der Rat hat nun Deutschland kann ich’s ja machen, die fressen mir aus zwei Monate Zeit, bevor das Statut in 134,2 der Hand«, meint Brok. Kraft tritt. Das könnte Deutschland nur Iran jedenfalls, das machte Außenminis- verhindern, wenn eine qualifizierte Mehr- ter Mohammad Javad Zarif diese Woche heit dagegen stimmt. Frankreich noch einmal klar, könne sich nicht mit Die »Blocking Actions« wurden 1996 57,4 einem »Wir können nichts tun« seitens der von der EU verabschiedet, ursprünglich, 73,0 Europäer abfinden. »Die EU, Russland um US-Sanktionen gegen Iran, Libyen und und China sind gemeinsam nicht weniger Kuba zu kontern, die Wirkung auf Dritt- mächtig als die USA«, sagt Irans Botschaf- länder in der EU hatten. Damals verzich- ter in Berlin, Ali Majedi. Im Streit um die tete US-Präsident Bill Clinton auf die ame- Quelle: IWF Strafzölle habe sich die EU gemeinsam rikanischen Sanktionen, sodass das Statut 2010 2012 2014 2016 2017 Trump entgegengestellt und sei damit er- nie angewandt wurde. folgreich gewesen. Das Gleiche erwartet Auch wenn die Chancen als gering ein- Teheran nun für das Nuklearabkommen. gestuft werden, damit tatsächlich Unter- das sogenannte External Lending Manda- »Wenn die EU, Russland und China die nehmen in Iran zu halten, ist Außenminis- te der Bank geändert. Seit April steht Iran Instrumente in ihrer Hand nutzen, damit ter Maas, anders als Altmaier, zu dem nun erstmals im Annex 2 der »potenziell« Iran von dem Abkommen wirtschaftlich Schluss gekommen, dass es das richtige für Hilfen infrage kommenden Staaten, profitiert, werden auch wir das Abkommen Signal an die US-Administration wäre. Geld kann aber erst fließen, wenn das weiter befolgen«, so Majedi. Dann könne Altmaier hingegen sieht die Idee des Land in Annex 3 aufrückt, also auf die man auch über Irans Rolle in der Region »Blocking Statute« kritisch, im Kanzleramt Stufe etwa des Libanon kommt. oder das umstrittene ballistische Raketen- hält man sie gar für »absurd«. Sollten sich Nächster Schritt wäre dann ein Rahmen- programm reden, allerdings unabhängig Maas und Altmaier nicht einigen, müsste abkommen der EU mit Iran, auf dessen vom Atomabkommen. »Wenn es die Er- sich der deutsche Vertreter in Brüssel ent- Grundlage konkrete Projekte finanziert wartung gibt, dass Iran das Abkommen halten. Macron hätte dann einen weiteren werden könnten. Problematisch ist aber, neu verhandelt und weitere Zugeständ- Grund, Deutschland in Sachen europäi- dass auch die EIB in den USA, am größten nisse macht – das ist nicht akzeptabel.« sche Außenpolitik als unsicheren Kanto- Finanzmarkt der Welt, tätig ist und daher Markus Becker, Christiane Hoffmann, nisten einzustufen. ins Visier der US-Sanktionen geraten Peter Müller, Christoph Schult, Eine weitere Idee sieht vor, dass sich die könnte. Gerald Traufetter Europäische Investitionsbank in Iran en- Nicht nur Macron macht Druck auf gagiert. Schon im November hatten die Kanzlerin Merkel, auch in der Regierung EU-Außenminister die Bank beauftragt, und den eigenen Reihen sehen manche die Video Ausweg aus ihr Mandat so zu erweitern, dass auch die Leisetreterei der Kanzlerin kritisch. Außen- der Hilflosigkeit Finanzierung von Projekten in Iran denk- minister Maas schloss sich am Dienstag- spiegel.de/sp212018eu bar ist. Doch bis das wirklich geschieht, abend beim Krisengipfel in Brüssel seinem oder in der App DER SPIEGEL kann es dauern. So wurde bislang zwar französischen Kollegen an, der gemeinsam

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Grenell ist laut, wie sein Präsident. Er twittert mehr als Trump. Ihm liegt die Pro- Der schillernde Falke vokation näher als der Kompromiss. Doch er sucht die konstruktive Auseinanderset- Karrieren zung, er fordert sie von seinem Gegenüber Mit Richard Grenell ist ein ungewöhnlicher Diplomat ein. Schreibt doch mal, was uns verbindet, in die US-Botschaft in Berlin eingezogen: laut, modern, und nicht nur, was uns trennt, empfiehlt offen schwul, erzkonservativ. Er tweetet mehr als sein Präsident. er den Journalisten. Hört endlich auf die schweigende Mehrheit in eurem Land und nicht nur auf die, die laut sind. Er glaubt, nkonsistent ist ein Wort mit vielen Be- gangenheit einiges vermasselt habe. Er dass Politiker wie , Sebastian I deutungen: unbeständig, unstimmig, selbst fährt BMW. Kurz und genau das be- widersprüchlich. Eigenschaften, die Im Weißen Haus ist Grenell bestens ver- griffen hätten. Er wolle ein »begieriger Zu- man nicht unbedingt einem Spitzendiplo- netzt, John Bolton, der nationale Sicher- hörer« sein, sagt Grenell, aber er sei auch maten zuschreiben würde. Der neue Bot- heitsberater, ist einer seiner Mentoren und einer, der »rundheraus spricht«. schafter der Vereinigten Staaten von Ame- engsten Partner. Zu den Deutschen sprach er rundheraus rika in Berlin, Richard Grenell, sagt, er sei Bolton machte zuletzt mit scharfen gleich am ersten Amtstag mit einem Tweet: in hohem Maße inkonsistent. Sprüchen zu Iran auf sich aufmerksam. »Deutsche Firmen, die in Iran tätig sind, Ein Mittagessen in der US-Vertretung In der Frage Nordkoreas forderte er, die sollten ihre Geschäfte sofort herunterfah- am Pariser Platz, der Botschafter spricht atomare Abrüstung müsse dem »Modell ren.« Trump hatte am selben Tag angekün- über sein Weltbild. Er hat eine kleine Run- Libyen« folgen. Wohl auch deshalb stellte digt, das Atomabkommen mit Iran aufzu- de aus Journalisten eingeladen, in Rotwein Nordkoreas Diktator Kim Jong Un das ge- kündigen. geschmorte Rippchen werden gereicht. Da- plante Spitzentreffen mit Donald Trump Der Tweet kam nicht gut an, er wider- zwischen platziert der Botschafter Sätze, infrage. Die Falken bestimmen die Außen- sprach den Regeln der Diplomatie, dass von denen er weiß, dass sie wirken. politik im Weißen Haus. Auch Richard man seinem Gastgeber nichts auftrage. Es Sein Blick auf die Welt sei nicht ideo- Grenell ist ein Falke, wenngleich ein schil- liege ihm fern, den Deutschen Anweisun- logisch gefestigt, sagt Grenell. Er passe in lernder. gen zu geben, sagt Grenell. Und doch hat keine Schublade, in keine der üblichen Drei Tage vor dem Mittagessen war Gre- er diesen Satz bewusst gesetzt: Er ist nicht Denkrichtungen. Mal fühle er sich als nell in Berlin gelandet, mit seinem Partner nur eine Drohung, man kann ihn auch als Liberaler, mal als Konservativer. Er wäre Matt Lashey, einem Entwickler von Ge- Angebot begreifen. zum Beispiel gern ein Verfechter des sundheits-Apps, ihrem Blue-Lacy-Hund Er erwähnt das Beispiel der Chinesen, freien Handels. Doch dann sehe er, dass Lola, mit sieben Koffern und Taschen, eine die sich nach Trumps ausdrücklichem andere diesen freien Handel manipu- ziert seine Initialen, RG. Wunsch den Sanktionen gegen Nordkorea lierten. Es wäre nicht klug, wenn er dann Acht Monate hat es gedauert, bis der angeschlossen hätten. Dafür belohne sie weiter den freien Handel verteidigen Senat in Washington seine Nominierung Trump nun mit besseren Konditionen. würde. bestätigt hat. Was an der hilflosen Blocka- Grenell erinnert daran, dass die EU mit Jede neue Situation erfordere eine neue depolitik der Demokraten gegen Trump den USA ja derzeit über Einfuhrzölle Antwort, sagt Grenell, er sei ein Problem- liegt, aber auch an der ungestümen Per- auf Stahl und Aluminium verhandelten. löser. Darin gleiche er dem Präsidenten. sönlichkeit des neuen Botschafters. Über Trump werde ein Paket aus verschiedenen Auch Donald Trump sei ideologisch inkon- Hillary Clinton tweetete er einmal, sie politischen Entscheidungen schnüren und sistent, deshalb habe Trump die Wahl ge- sehe immer mehr aus wie Madeleine Al- sie nicht isoliert betrachten. Der Tweet, er wonnen. »Ich halte es für einen großen bright. Er hat sich dafür entschuldigt. sollte auch eine Verlockung sein. Vorteil für Trump, dass man nicht voraus- Man konnte die Reise des neuen Bot- Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich sagen kann, wohin er steuert.« Es halten schafters auf Instagram verfolgen. Dort innerhalb und außerhalb der Botschafts- alle kurz inne nach diesem Satz. teilt er sein Leben mit allen, die es sehen mauern die Sicht auf die derzeitige Welt- Mit Richard Grenell ist eine neue Art wollen. Man entdeckt unter vielen fröh- lage ist. Während in Zeitungen nach der der Diplomatie in die amerikanische Bot- lichen Selfies mit Freunden auch sein Haus Aufkündigung des Iran-Deals von einem schaft eingezogen. In ihrer Darstellung mo- in Palm Springs, das er mit seinem Partner Ende der westlichen Allianz die Rede ist, dern und bunt, Grenell überlegt etwa, wie selbst entworfen und eingerichtet hat, das vermag der amerikanische Botschafter kei- die Kunst in der Botschaft anders präsen- Bild einer Drag Queen an der Wand, des nen tiefen Graben zwischen Europa und tiert werden könnte. Künstlers Magnus Hastings. Man lernt, den USA zu erkennen. Im Gegenteil: Er Außenpolitisch aber argumentiert der dass Lola, dem Hund, drei Tumoren ent- sieht die Iran-Frage als Beleg, dass man Diplomat konservativ und strikt auf fernt werden mussten. Man begleitet Gre- auf derselben Seite stehe. Er rät, sich die Trumps Linie. Sei es in Fragen der Klima- nell zum Britney-Spears-Konzert. Man Erklärung genau anzusehen, die Deutsch- politik, sei es bei der Frage, ob die Verle- sieht ihn mit einem Hut auf dem Kopf, den land, Frankreich und Großbritannien zu gung der US-Botschaft in Israel sinnvoll Truthahnschenkel zieren, beim »Turkey Iran abgegeben haben. Darin würden sie war. Der Präsident habe im Wahlkampf Trot«, einem Benefizlauf zu Thanksgiving. die Angst der USA, der Iran könne Atom- versprochen, die Botschaft zu verlegen, Er ist sich für nichts zu schade, er lacht waffen erlangen, teilen. sagt Grenell. »Anders als viele andere Prä- viel auf diesen Bildern. Richard Grenell sieht sich als Freiden- sidenten vor ihm hat er sein Versprechen Atmosphärisch wird sich der diploma- ker, doch in Wahrheit ist auch er ein Teil gehalten.« Jerusalem anzuerkennen, be- tische Alltag in Berlin verändern. Grenell der politischen Klasse. Nachdem er in deute, die Realität anzuerkennen. Kein ist nicht gekommen, um den Flurschaden, Missouri studiert und später die Harvard Wort zu den Toten. den die Tweets und Statements aus Wa - Kennedy School mit einem Master abge- Grenell wendet sich gegen eine zu star- shington in Deutschland und Europa schlossen hatte, arbeitete er als Sprecher ke Regulierung von Facebook und Google hinterlassen haben, wieder zu bereinigen. für den damaligen Gouverneur des US- in Europa und bewundert die deutsche Er kann höchstens erklären, warum er Bundesstaats New York, George Pataki, Autoindustrie, auch wenn sie in der Ver- entstanden ist. als Sprecher der Oberbürgermeisterin von

28 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 ten Nationen verbringen, um zu spüren: Deutschland und die USA sind auf einer Seite. Wir sind Freunde, auch wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben. Wir glauben an dieselben Werte; Demokratie, Menschenrechte, an die Regeln des Geset- zes und den Kapitalismus.« Nach seiner Zeit bei der Uno gründete Grenell mit Capitol Media Partners sein eigenes Unternehmen. Die Firma berät Re- gierungen, Unternehmen und Persönlich- keiten mit außenpolitischen Interessen. Grenell arbeitete etwa mit George Cloo- ney oder mit Ryan Gosling zusammen. Er kenne die Welt der Medien, sagt Grenell, »ich liebe sie«. Er möchte in Berlin viel mit Journalisten arbeiten, auch, um ihren Blick auf Amerika zu weiten. Außenpolitisch ist Grenell ein Hard- liner, doch er hat auch weiche Seiten. Bis- weilen bricht seine Stimme, etwa dann, wenn er über John McCain spricht, der ihn im Senat nicht mitwählen konnte, weil er sterbenskrank zu Hause ist. Wenn er über seine eigene Krebserkrankung spricht, die er mit Chemotherapien be- siegt hat. Wenn er von der dicken Bibel erzählt, auf die er seinen Eid abgelegt hat: Sie stammt aus dem Jahr 1892 und gehör- te seinem Ururgroßvater. Grenell ist gläu- big, zu Hause betet er mit seinem Partner jeden Tag. Emotional wird er auch, wenn er von Momenten erzählt, in denen seine Homo- sexualität politisch gegen ihn verwendet wurde. Es war vor sechs Jahren, im August 2012. Ricard Grenell, damals 45 Jahre alt, stand im Honey Pot, einer Bar in Tampa, Florida. Eine Schwuleninitiative der Re- publikaner hatte zur Party eingeladen. Kurz zuvor hatte der Parteitag der Re- publikaner den Mormonen Mitt Romney zum Präsidentschaftskandidaten nomi- niert, Grenell war in seinem Team der au- ßen- und sicherheitspolitische Sprecher. Nach drei Wochen aber schmiss er hin, evangelikale Gruppen in der Partei hatten

MICHAEL HÜBNER / BILD gegen ihn und seine sexuelle Orientierung Botschafter Grenell in seiner Berliner Residenz: Einer, der »rundheraus spricht« gehetzt. Das Wahlkampfteam empfahl ihm, sich mit Äußerungen zurückzuhalten. »Es ging irgendwann nicht mehr um meine San Diego und für republikanische Kon- McCain mache sich jedes Mal ein eigenes außenpolitische Kompetenz, sondern nur gressabgeordnete. Bild. Das bewundere er, so denke auch er. noch darum, dass ich schwul bin«, sagte Im Jahr 2000 half er im Wahlkampf des Von 2001 bis 2008 war Grenell Presse- Grenell damals in der Bar. Das habe ihn republikanischen Präsidentschaftskandida- sprecher für die US-Vertretung bei den Ver- tief getroffen. ten John McCain, der schließlich George W. einten Nationen in New York, so lange wie Donald Trump dagegen, der erst vor Bush unterlag. Bis heute bezeichnet er John kein anderer. Schon damals war das Ver- Kurzem angeordnet hat, Transsexuelle aus McCain als seinen Mentor, obwohl man von hältnis zu den Deutschen angespannt: dem Militär auszuschließen, hatte mit der McCain weiß, für wie gefährlich er Trump Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte Homosexualität seines neuen Botschafters hält. »So beginnen Diktaturen«, hat der sich dem Irakkrieg verweigert, George W. offenbar kein Problem. Er machte Richard republikanische Senator gesagt, nachdem Bush war mit seinem Folter- und Vergel- Grenell zu seinem bislang höchstrangigen Trump die Medien als »Feinde des Volkes« tungsprogramm nach 9/11 bei den Deut- offen schwulen Beamten. Das, sagt Gre- bezeichnet hatte. Für Grenell ist die Un - schen ähnlich beliebt wie heute Donald nell, habe nicht jeder von Trump erwartet. abhängigkeit McCains entscheidend. Ihm Trump mit seinen Tweets. Es sei die ideologische Inkonsistenz, die sei es egal, was Republikaner über eine Sa- Dennoch findet der neue Botschafter: Unberechenbarkeit. Martin Knobbe che denken würden, was die Demokraten. »Man muss nur einen Tag bei den Verein-

29 Flüchtlinge auf der Balkanroute 2015 SERGEY PONOMAREV / NYT / REDUX / LAIF / NYT / REDUX PONOMAREV SERGEY

hielt die Anerkennung. Den Bescheid unterschrieb Ulrike B., langjährige Chefin Murks mit Siegel der Außenstelle. Die Beamtin aus Bremen und der Anwalt aus Hildesheim sind die Schlüsselfiguren in der Affäre. Affären 1000 Euro zahlen – und schon lief das Asylverfahren schnell Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen und erfolgreich: Ein Flüchtling erzählt, wie einfach es die beiden sowie zwei weitere Anwälte, ei- wohl war, in Bremen den gewünschten Bescheid zu bekommen. nen Dolmetscher und einen Vermittler – und kaum ein Tag vergeht, ohne dass neue peinliche Details ans Licht kommen. Das uri Khalil* steht in einem gelben re auf den Tisch. »Die Flüchtlingseigen- Bamf mit seiner Chefin Jutta Cordt muss Nike-Shirt vor zwei Fleisch - schaft wird zuerkannt«, steht in dem drei- sich rechtfertigen, weil es schon 2014 und Nspießen in einer Dönerbude in seitigen Asylbescheid der Flüchtlingsbe- danach immer wieder alarmierende Berich- Cuxhaven. Der Kurde lebt seit mehr als hörde aus Bremen. Ziel erreicht. te erhielt, aber bestenfalls halbherzig han- 20 Jahren in Deutschland, aber ein aner- Sein Fall klingt nicht nach der Bundes- delte (SPIEGEL 20/2018). Und inzwischen kannter Flüchtling ist er erst seit Kurzem, republik, die von dem Selbstverständnis ist auch ein Politiker im Blickpunkt, der wie seit zwei Jahren. lebt, dass ihre Behörden und ihre Büro- kein anderer für Recht und Ordnung steht: Seine vorherigen Versuche hatten nicht kratie funktionieren und ihre Beamten Horst Seehofer, Bundesminister des Innern. gefruchtet. Den ersten Asylantrag hatte streng nach Vorschrift arbeiten. Was sich Das Bamf, das ihm unterstellt ist, kann das Amt abgelehnt, seine Klage das Ver- in Bremen, in der Außenstelle des Bundes- immer noch nicht sagen, wie groß das Aus- waltungsgericht abgeschmettert. Khalil amts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), maß des Skandals ist. »Da weiß die eine hätte, wenn alles nach Recht und Ordnung in den vergangenen Jahren ereignet hat, Hand nicht, was die andere tut«, kritisiert in der Bundesrepublik gelaufen wäre, vor klingt eher nach Bananenrepublik. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer Jahren abgeschoben werden sollen. Der Fall von Khalil wäre wohl in jeder (SPD). Die FDP forderte bereits einen Aber dann hörte Khalil von diesem An- anderen Flüchtlingsbehörde mit spitzen Untersuchungsausschuss im Bundestag. walt, Irfan C., dem nachgesagt wurde, Fingern angefasst worden, in Bremen aber Die Innenminister der Länder treibt die auch in schwierigen Fällen helfen zu kön- hatte der Kurde innerhalb kurzer Zeit Er- Frage um, wie groß das Sicherheitsrisiko nen. Gegen Geld, bar auf die Hand. Khalil folg. Und mit ihm vermutlich viele andere. war, das durch das Schlupfloch in der Bre- fuhr in die Kanzlei nach Hildesheim – und Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt mer Dienststelle entstanden ist. Die Be- erhielt wenige Monate später die ersehnte wegen mutmaßlichen Asylmissbrauchs in hörde winkte in vielen Fälle auch Flücht- Anerkennung. mindestens 1176 Fällen. linge aus anderen Bundesländern durch, Khalil eilt hinter der Theke seiner Dö- Als Khalil seinen Asylantrag stellte, leg- vor allem aus Nordrhein-Westfalen und nerbude hervor und legt stolz seine Papie- te er einen gefälschten syrischen Ausweis Niedersachsen, zudem Bayern oder Bran- vor. Trotz Hinweisen, dass er log, wurden denburg. Und das häufig, ohne die Iden- * Name geändert. die Papiere nicht geprüft, und Khalil er- tität der Asylbewerber und ihre Fluchtge-

30 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Deutschland schichte ordentlich überprüft zu haben. Ul- im Spiel sei: Der Anwalt kassiere vorab fahren hatte er auf alle Fragen harmlose rike B. schaute sich die Fälle der Asylsu- 700 Euro pro Flüchtling und organisiere Antworten angekreuzt. Mit bewaffneten chenden offenbar nur oberflächlich an, mittwochs und freitags eine Bustour für Gruppen habe er nichts zu tun. Aber als verzichtete vielfach darauf, Fingerabdrü- Flüchtlinge nach Bremen. er sich ausweisen sollte, zeigte er einen sy- cke zu nehmen. Ob Ulrike B. von den Honoraren des rischen Militärpass vor. Bei Nuri Khalil aus Cuxhaven hat sich Anwalts wusste, womöglich davon profi- Der Fall beschäftigte auch das Gemein- inzwischen herausgestellt, dass seine Pa- tierte, ist nicht bekannt. Bisher beschränkt same Terrorismusabwehrzentrum in Ber- piere aus dem Gebiet der Terrormiliz »Is- sich der Korruptionsvorwurf gegen sie da- lin-Treptow. Ende 2017 war M. aber wieder lamischer Staat« (IS) stammten. Khalil rauf, dass sie sich angeblich eine Hotel- verschwunden, angeblich, um in Syrien zu sagt, ein Bekannter habe ihm die Doku- übernachtung bezahlen und zum jesidi- kämpfen. Unklar ist, auf welcher Seite. mente für 550 Euro besorgt, sie seien ihm schen Neujahrsfest einladen ließ. B.s Ver- Ein weiterer Fall: Dalaf E., ein 45 Jahre als Original angeboten worden, mit dem teidiger hat bestritten, dass seine Mandan- alter Mann mit ungeklärter Herkunft. 2014 IS habe er nichts zu tun. Das kann man tin sich bestechen ließ. Fragen zum mut- wollte die Ausländerbehörde ihm sein Auf- glauben oder nicht, für Bamf-Mitarbeiter maßlichen Asylmissbrauch beantworten enthaltsrecht in Deutschland entziehen. jedenfalls galten klare Vorschriften: Solche weder die Beamtin B. noch Anwalt C. Dalaf E. hatte in den vorangegangenen Fälle sind dem Sicherheitsreferat des Am- In den Bundesländern ist die Aufregung zehn Jahren immer wieder Straftaten be- tes zu melden. Die Experten entscheiden groß. Sie wollen wissen, in welchem Aus- gangen, dafür auch in Haft gesessen. Ge- dann, ob sie die Geheimdienste oder die maß sie von den Missständen betroffen richte in Zerbst, Dessau und Wuppertal Polizei informieren. sind; von der Bundesregierung sei bisher hatten ihn verurteilt, wegen versuchter räu- Es gibt weitere Beispiele dafür, dass die nicht viel gekommen, beklagt ein Beamter. berischer Erpressung, Strafvereitelung, Be- Bremer Praxis zu Sicherheitslücken führte. In dieser Woche trafen sich Staatssekre- drohung. »Ich bring dich um, es ist mir Ein Asylbewerber legte Papiere aus der täre von Bund und Ländern in Berlin, um scheißegal, ob ich dafür in den Knast gehe«, einstigen IS-Hochburg Rakka vor, ohne die Innenministerkonferenz Anfang Juni so bedrohte er seine Ex-Partnerin. Auch dass diese geprüft wurden. Ein anderer be- vorzubereiten. In einem Beschlussvor- in Griechenland wurde E. schon verurteilt, richtete in seiner Anhörung, er sei in Sy- schlag verlangen die Länder vom Bund, wegen des Versuchs der Schleuserei. rien beim Geheimdienst gewesen. Selbst »für eine umfassende Aufklärung« zu Die Bremer Bamf-Außenstelle aber ge- diesen Vorgang meldete Ulrike B. offenbar sorgen. Alle »in Verbindung mit dem Kor- währte ihm Flüchtlingsschutz. Sein An- nicht den Sicherheitsexperten. Gleiches ruptionsskandal stehenden Asylentschei- walt: Irfan C. aus Hildesheim. Erst jetzt, gilt für einen Mann, der erzählte, in einem dungen« müssten überprüft und fehlende im Nachhinein, stellten Prüfer des Amtes PKK-Lager mit Waffen hantiert zu haben. »erkennungsdienstliche Behandlungen un- fest, dass die Straftaten wohl »ein Aus- Khalil ist der erste Nutznießer, der öf- verzüglich« nachgeholt werden. schlussgrund« gewesen wären und die An- fentlich darüber spricht, wie einfach er zu Da nur ein Teil der Flüchtlinge, die mut- erkennung vermutlich »von Anfang an einem Bescheid aus Bremen kam. Wobei maßlich zu Unrecht anerkannt wurden, in rechtswidrig war«. Offenkundig kein Ein- er selbst dort gar nicht vorstellig werden Bremen lebt, soll nun das Bundesamt für zelfall – Hunderte Bremer Entscheidungen musste. Das habe alles Rechtsanwalt Irfan Verfassungsschutz die sicherheitsrelevan- sollen rückgängig gemacht werden. C. für ihn erledigt, sagt er. ten Fälle bearbeiten. Dort habe man be- Der Bremer SPD-Innensenator Mäurer Bekannte hätten ihm den Anwalt emp- reits Zustimmung signalisiert, heißt es. will endlich alle Fakten haben, der Um- fohlen. Er erinnere sich gut an das Ge- Einen Fall haben die Verfassungsschüt- gang mit der Affäre verärgert ihn. Noch spräch in der Kanzlei in Hildesheim, sagt zer ohnehin seit Längerem im Blick. Im im November habe es aus Nürnberg ge- Khalil, 1000 Euro habe der Anwalt für sei- Frühjahr 2017 warnte das Kölner Bundes- heißen: alles in Ordnung. Dabei habe es ne Dienste verlangt. Khalil sagt, er hätte amt vor Muhammad M., der möglicher- im Bamf längst ein Disziplinarverfahren sogar das Doppelte gezahlt, wenn es noch weise eine Verbindung zur Terrorgruppe gegen Ulrike B. gegeben, kurz darauf habe schneller mit der Flüchtlingsanerkennung IS habe. Auch er war in Bremen als Flücht- das Amt sogar Strafanzeige erstattet. Auch geklappt hätte, »ich hatte so viele Jahre ling anerkannt worden. In dem Asylver- die Bundesregierung habe offensichtlich lang Ärger«. Ende 2017 falsche Informationen verbrei- Irfan C. versprach nicht zu viel. Am tet, das sei »befremdlich«, sagt Mäurer. 31. Mai 2016 erhielt Khalil seinen Bescheid, Eine Kleine Anfrage im Bundestag hatte mit Dienstsiegel und Unterschrift der Bre- zutage gefördert, dass in Bremen die Asyl- mer Bamf-Leiterin. Unter Asylbewerbern Anerkennungsquoten ungewöhnlich hoch sprach sich der Erfolg des Anwalts herum. waren. Das Bamf wiegelte ab. Am 17. Ok- Auch sein Bruder sei bei Irfan C. gelandet, tober schrieb die Nürnberger Zentrale an sagt Khalil, »der bezahlte 500 Euro An- das Bundesinnenministerium: Auch we - zahlung«. Bei erfolgreichem Abschluss soll- gen der »extrem flüchtlingsfreundlichen te er für seine vierköpfige Familie noch mal Politik der grün-roten Bremer Koalition« 1500 Euro drauflegen, »in bar«. sei die Hansestadt zum Anzugsort für Die Schilderungen von Khalil decken Jesiden geworden – und diese hätten nun sich teils mit einer E-Mail, die ein leitender mal hohe Anerkennungschancen. Beamter aus Bremen im Juli 2017 an die Dabei lagen dem Bamf bereits zahlrei- Nürnberger Bamf-Zentrale schickte. Er be- che Hinweise auf massive Unregelmäßig- lastet darin seine langjährige Chefin Ulrike keiten vor, die nicht in der Bremer Lan- B.: Sie habe »massenhaft« die Verfahren despolitik zu suchen waren – sondern im von Anwalt C. »vorgezogen«. Statt bis zu eigenen Amt. Inzwischen haben interne eineinhalb Jahre auf ihr Verfahren zu war- Ermittler bundesweit 4568 Fälle durch- ten, sei den Jesiden, die der Anwalt vertrat, leuchtet: Drei Viertel der Bremer Verfah- manchmal innerhalb einer Woche der / LAIF ALEX KRAUS ren waren Murks. Flüchtlingsstatus zuerkannt worden. Der Bamf-Chefin Cordt 2017 Hubert Gude, Wolf Wiedmann-Schmidt Beamte berichtete auch davon, dass Geld Peinliche Details

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Am vergangenen Sonntag sitzt Weber am frühen Nachmittag im Schatten vor Ein Bayer in Brüssel einem Bierzelt in niederbayerischen Post- münster und stürzt einen halben Liter Konservative Mineralwasser hinunter. Eben hat er sich Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred bei über 30 Grad schweißnass geredet, Weber, bringt sich als Spitzenkandidat bei der Europawahl unter anderem warb er für mehr Demo- in Stellung. Kann ausgerechnet ein CSU-Mann die EU führen? kratie in Europa, ein sperriges Thema fürs Bierzeltpublikum, noch dazu am Mutter- tag und bei bestem Grillwetter. Weber hat das ganz gut hingekriegt, er ist beliebt in der Partei. In der CSU ist das für einen Europapolitiker eher ungewöhn- lich. Offiziell lässt er sich nicht in die Kar- ten blicken, ob er als Spitzenkandidat an- treten will. »Die Frage steht jetzt nicht an«, sagt er. Er fühle sich an der Fraktionsspitze wohl. Im kleinen Kreis jedoch hat er längst zu erkennen gegeben, wie sehr ihn der Job des Kommissionschefs reizt. In den Tagen, an denen die CSU-Spitze im vorigen Herbst damit haderte, Markus Söder zum Alleinherrscher in Bayern auf- steigen zu lassen, ging es auch darum, ob Weber bereit wäre, von Brüssel nach Berlin oder München zu wechseln, um CSU-Par- teichef zu werden. Weber liebäugelte zwar mit dem Posten, bestand aber darauf, die CSU von Brüssel aus zu führen. Der Grund, so vertraute er seinen Mitstreitern an: »Den Kommissionschef zu stellen, so eine Chance gibt es für die CSU so schnell nicht wieder.« In Europas Hauptstädten steht das The-

QUELLE FACEBOOK ma ebenfalls auf der Tagesordnung. Egal Europapolitiker Weber (M.), Festbesucher in Postmünster: »Er muss das machen« ob Weber im Élysée-Palast vorbeischaut oder am Wiener Ballhausplatz, überall soll er sich erklären, ob er antreten wird. Und er Absender spart nicht mit freund- Programm ist daher ganz auf ihn zuge- immer ist seine Antwort die gleiche: Den D lichen Worten. Wie kein zweites schnitten. Erfolge im Europaparlament, Sommer über will er das Bewerberfeld Unternehmen stehe Siemens für Prioritäten der EU, Weber spricht zu allem. sichten, dann soll die Entscheidung fallen. »das bayerische Erfolgsmodell«, heißt es Damit es an Berichterstattung nicht man- Die EVP will ihren Kandidaten im Herbst in dem Schreiben aus Straßburg, die Firma gelt, bietet seine EVP-Fraktion Journalis- in Helsinki küren, klare Favoriten gibt es sei ein »weltweiter Leuchtturm für Ideen- ten, die aus Brüssel anreisen, sogar an, ihre nicht, das macht die Sache so reizvoll. reichtum«. Daher wäre es umso schöner, Flug- und Hotelkosten zu erstatten. Zwar macht sich Michel Barnier Hoff- wenn der »liebe Herr Kaeser« es einrich- Es geht um das höchste Amt, das Europa nungen auf den Posten. Der Franzose woll- ten könnte, beim Kongress der Europäi- zu vergeben hat. Als Spitzenkandidat wür- te bereits 2014 Spitzenkandidat werden, schen Volkspartei (EVP) zum Thema de Weber nicht nur auf dem ganzen Konti- damals unterlag er Jean-Claude Juncker. »freier und fairer Welthandel« zu sprechen. nent für die EVP Wahlkampf machen. Seit Nun eilt der Brexit-Chefunterhändler ge- Der Siemens-Boss, so versichert der der Europawahl 2014 ist die Wahrschein- nauso eifrig durch Europas Hauptstädte Autor des Briefes, werde sich in illustrer lichkeit deutlich gestiegen, dass der Sieger wie Weber. Als Barnier zuletzt in Berlin Gesellschaft befinden. Bundeskanzlerin anschließend zum Chef der Kommission war, schaute er kurz bei Generalsekretä- Angela Merkel habe zugesagt, sogar Paul aufsteigt, des mächtigen Brüsseler Beam- rin Annegret Kramp-Karrenbauer in der Ryan sei eingeladen, der Sprecher des US- tenapparats mit über 30000 Mitarbeitern. CDU-Zentrale vorbei, sicher kein Zufall. Repräsentantenhauses. Da die EVP mit ziemlicher Sicherheit als Allerdings ist Barnier schon 67 Jahre alt, Wer das Schreiben liest, mit dem Man- stärkste Parteienfamilie aus der Wahl in dazu kommt, dass Frankreichs Präsident fred Weber, der Fraktionschef der EVP im genau einem Jahr hervorgehen wird, ist Emmanuel Macron womöglich lieber ei- Europaparlament, für das Treffen seiner die Frage ihres Spitzenkandidaten eine Art nen Getreuen in die nächste Kommission Fraktionsspitze wirbt, bekommt den Ein- Vorentscheidung für den Posten des Kom- schicken will als einen Vertreter genau je- druck, er bereite eine Krönungsmesse vor. missionspräsidenten. nes Parteiensystems, das er bei der Wahl Der Aufmarsch internationaler Promi- Weber wäre der erste Deutsche auf dem in Frankreich eben erst atomisiert hat. nenz mag auch der bayerischen Landtags- Posten seit Walter Hallstein in den Sech- Christine Lagarde wiederum, die Präsi- wahl im Oktober geschuldet sein, bei der zigerjahren. »Es ist gar keine Frage«, sagt dentin des Internationalen Währungsfonds die CSU um die absolute Mehrheit kämpft. der Bundestagsabgeordnete Max Straubin- in Washington, hat zwar einen klangvollen Doch CSU-Vize Weber, 45, geht es um ger aus Webers Heimat, »er muss das Namen. Ihr Problem ist aber, dass Wähler mehr. Er trägt sich mit dem Gedanken, als machen.« Parteichef Horst Seehofer, mit in den von Sparprogrammen geknechteten Spitzenkandidat der EVP für die Europa- dem Weber vergangene Woche unter vier Ländern wie Griechenland oder Portugal wahl ins Rennen zu gehen. Das Münchner Augen in Berlin sprach, sieht das ähnlich. es als Zumutung empfinden dürften, für

32 die Chefin des verhassten IWF zu stim- In Deutschland wird dieses Anbandeln Eine entscheidende Rolle in Webers Be- men. Bedenken gibt es auch gegen die li- mit den Mächtigen Europas kaum beach- werbung spielen seine Fraktionskollegen. tauische Staatschefin Dalia Grybauskaite, tet, doch Weber will ja nicht nur in seiner Vielen Abgeordneten gilt es als Krönung deren Name in Brüssel zuletzt häufig fiel. Heimat gewählt werden, sondern in allen der europäischen Demokratie, wenn erst- Wer aber traut sich, die Dame mit dem 27 EU-Ländern. Im Ausland ist er eine mals einer wie sie, ein Parlamentarier, an sperrigen Namen in Aschaffenburg oder feste Größe. Mitte April hatte Weber einen die Kommissionsspitze rückt. »Wenn Man- Taufkirchen zu plakatieren? Termin bei Macron, seine Leute rechneten fred Weber als Spitzenkandidat der EVP Weber kennt die Nachteile der Kandi- jede Minute mit einer Absage, es war der antreten will, wird er die breite Unterstüt- daten genau, in ihren Schwächen sieht er Tag, an dem zwischen Frankreich, Groß- zung der Fraktion erhalten«, sagt Daniel seine Chance. Für die Operation Spitzen- britannien und den USA die Entscheidung Caspary, der Chef der deutschen Unions- kandidat hat er sein Brüsseler Team ver- fiel, Syrien mit Raketen zu beschießen. Europaabgeordneten. stärkt, Udo Zolleis wechselte vom Pla- Doch Macron empfing Weber im Unklar ist noch, wieweit sich Weber mit nungsstab der CSU-Landtagsfraktion nach Élysée-Palast, eine Dreiviertelstunde lang seinem Kurs in seiner eigenen Partei durch- Brüssel, der Politikprofessor schreibt nun redeten die beiden unter vier Augen, setzen kann. Zwar hat Parteichef Horst Webers Reden und dient als Ideen geber. auf Englisch. Zwischen zwei Telefonaten, Seehofer intern bereits zu erkennen gege- Auffällig oft ist Weber derzeit auch in in denen Macron, Theresa May und Do- ben, dass die brachiale Anti-EU-Strategie jenen Ecken Europas unterwegs, in denen nald Trump ihren Militärschlag gegen der vergangenen Europawahl ein Fehler die Unterstützung für einen deutschen Assad planten, ging es um die Zukunft des gewesen sei. Im Frühjahr 2014 zog der Kandidaten alles andere als selbstverständ- Euro und die Frage, ob der siegreiche eigens zum stellvertretenden Parteichef

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lich ist. Zuletzt half er Parteifreunden in Spitzenkandidat auch Kommissionschef beförderte EU- und Eurokritiker Peter Slowenien im Wahlkampf. Ungewöhnlich werden soll. Gauweiler als Spitzenmann durch Bayern häufig taucht Weber auch in italienischen Macron ist kein Freund dieser Idee, und lästerte über Brüssel. Das Ergebnis: Zeitungen auf, für den »Corriere della auch deshalb nicht, weil seine Bewegung Die Zahl der CSU-Europaparlamentarier Sera« gab er im vergangenen halben Jahr En Marche keiner der traditionellen Par- schrumpfte von acht auf fünf. gleich drei Interviews. Und wenn Silvio teienfamilien angehört und er so keinen Auf der anderen Seite aber passt ein all- Berlusconi in Brüssel weilt, eilt Weber zum eigenen Kandidaten mit Aussicht auf Er- zu europafreundlicher Kurs nicht zu der intimen Dinner, das der skandalumwitter- folg ins Rennen schicken kann. Doch das Strategie, der die CSU derzeit sonst alles te Pate der Forza Italia in seiner Suite im heißt nicht, dass Weber ohne Verbündete unterordnet: Sie will so weit nach rechts Steigenberger-Hotel an der noblen Avenue wäre, im Gegenteil. Gerade die jüngeren rücken, dass für die AfD nur noch die Louise zubereiten lässt. Regierungschefs im Europäischen Rat rechtsradikale Schmuddelecke bleibt. Selbst mit Ungarns Premier Viktor Or- wünschen sich, dass nicht erneut ein er- Hinterm Bierzelt in Postmünster winkt bán kennt Weber keine Berührungsängste, grauter Ehemaliger wie José Manuel Bar- Weber ab. Wenn ein Bayer Kandidat auch dessen Fidezs-Partei hat mitzureden, roso oder Juncker an die Kommissions- für einen ganzen Kontinent würde, dann wenn in Helsinki die Entscheidung fällt. spitze rückt. Irlands Regierungschef Leo würde dies der CSU auch in Bayern gleich »Die Politiker, die die Grenze in Europa Varadkar denkt so, ebenso Österreichs vier oder fünf Prozent mehr bringen, sichern, haben Unterstützung verdient«, Kanzler Sebastian Kurz; 39 ist der eine, meint er. ruft Weber im Bierzelt in Postmünster. Or- 31 Jahre alt der andere. Logisch, dass es Und ihn womöglich an die Spitze der bán weiß es zu schätzen, wenn sich ein sich Kurz nicht nehmen lässt, bei Webers EU. Peter Müller Mann des Mainstreams hinter ihn stellt. EVP-Sause in München vorbeizuschauen.

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 33 Deutschland

Finanzminister Scholz KRISZTIAN BOCSI / BLOOMBERG / GETTY IMAGES BOCSI / BLOOMBERG KRISZTIAN Der Fehlstart

SPD Zwei Monate nach der Kanzlerwahl fürchten viele Sozialdemokraten, dass sie in der neuen Regierung genauso schlecht abschneiden könnten wie in der alten. Erste Genossen drohen bereits mit einem vorzeitigen Ende der Großen Koalition.

ndrea Nahles ist selbst mal Juso- Schäuble-Politik fortsetzen«? Und über- la Merkels Union. Diesmal, so hatten es die Vorsitzende gewesen, deshalb haupt: »Wo ist die Grenze des Erträglichen Spitzengenossen den zahlreichen Zweiflern A dürf te sie eine ungefähre Vorstel- in dieser Koalition?« und Gegnern versprochen, würde die SPD lung davon gehabt haben, was Am Ende, nachdem sie anderthalb Stun- nicht nur als fleißiges Anhängsel der Union ihr bevorsteht, als sie sich am späten Sonn- den lang ruhig und ausführlich auf jede wahrgenommen und am Ende vom Wähler tagvormittag im Willy-Brandt-Haus aufs Frage, jeden Vorwurf, jede Forderung ein- abgestraft werden. Stattdessen, so hatte es Podium stellt. Doch es kommt eher noch et- gegangen ist, atmet Nahles durch und sagt: gerade Nahles beschworen, werde man in was dicker. Am Muttertag. Ausgerechnet. »Ich denke, das war jetzt gut.« der Regierung als eigenständige Partei sicht- Am Morgen hat sie sich daheim in der Tatsächlich weiß sie: Gut ist derzeit we- bar bleiben und neue sozialdemokratische Eifel noch schnell ein selbst gebasteltes Ge- nig in der SPD. Oder auch: fast nichts. Ideen entwickeln. Um dann 2021 stärker schenk von ihrer Tochter überreichen las- Natürlich sind die Jusos immer ein biss - zurückzukommen. sen, dann musste sie los, nach Berlin, wo chen linker, feuriger und empörter als der Davon ist zwei Monate nach dem Start wieder mal Ärger wartete – diesmal in Ge- sozialdemokratische Durchschnitt. Doch der Großen Koalition allerdings wenig zu stalt von mehr als 200 Jusos, die nun von Kritik, wie sie sich Nahles von den Jusos sehen. Die Union prägt den Diskurs, wäh- Nahles wissen möchten, wie es weitergeht anhören muss, ist derzeit an vielen Stellen rend sich die SPD in internen Debatten mit der SPD. Und die, vor allem das, mal in der Partei zu hören. Der Unmut der über die Agenda 2010 oder die Russland- ordentlich Dampf ablassen wollen. Jungsozialisten steht stellvertretend für politik verheddert. Von der sozialdemo- »Wann kriegt die Union jetzt endlich eine Stimmung in der Sozialdemokratie, kratischen »Erneuerung«, wie sie die Par- auf die Fresse?«, fragt eine Junggenossin. die schon jetzt gefährlich ist – für Nahles teispitze versprochen hatte, hört man nicht Einer fordert »mehr Umverteilung«. und den Rest der Parteispitze, aber auch viel. Stattdessen geht es im neuen Regie- »Mir fehlt eine sozialdemokratische Sicher- für den Fortbestand der Koalition. rungsbündnis kaum anders zu als im alten. heitspolitik«, motzt ein anderer. Eigentlich sollte diesmal ja alles anders Dabei kämpft die SPD um ihr Überle- Was nütze der SPD eigentlich das Bun - werden als 2005 und 2013, anders also als ben. In Umfragen rangiert sie mittlerweile desfinanzministerium, »wenn wir jetzt die in den ersten beiden Bündnissen mit Ange- regelmäßig unter 20 Prozent, und das

34 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Miss trauen gegenüber der Führung sitzt werden es am Ende: »Jeff Bezos verdient Hessen, der ebenfalls als Spitzenkandidat so tief wie nie. »Wir haben als Parteifüh- keinen Preis!«, ruft sie. »Er verdient ’ne eine Landtagswahl vor sich hat, ebenfalls rung vor dem Mitgliederentscheid ein Ver- klare Ansage: Wir wollen den Tarifver- im Herbst. In Bayern wird zuerst gewählt, sprechen abgegeben, in der neuen Großen trag!« Schon wenige Meter von der Bühne und nach derzeitigem Stand muss die SPD Koalition anders zu agieren als in der letz- entfernt ist sie nicht mehr zu verstehen. dort womöglich sogar darum kämpfen, ten«, mahnt , einflussrei- Der verunglückte Auftritt steht symbo- zweistellig zu bleiben. Sollte es zum De - cher Chef der Linken in der SPD-Bundes- lisch für die Misere der SPD: Was sie auch saster kommen, dürfte das auch die Chan- tagsfraktion. »Wir müssen jetzt liefern.« tut, sie wird ihre Vergangenheit nicht los. cen der hessischen Genossen zwei Wochen Und wenn nicht? Dann wird in der SPD Und die politische Gegenwart wird von später schmälern. Entsprechend deutlich derzeit nicht einmal die äußerste Konse- der Union dominiert. Jedenfalls bestim- forderten Kohnen und Schäfer-Gümbel im quenz ausgeschlossen: dass die Koalition, men deren Themen die Debatte. SPD-Präsidium am vergangenen Montag, die keiner wollte, vorzeitig platzen könnte. Mal bricht Jens Spahn, der Gesundheits- endlich eigene Akzente zu setzen. Womöglich, so wird es in der Partei venti- minister, eine Armutsdiskussion vom In normalen Zeiten hätten Nahles und liert, schon im nächsten Jahr. Der Bremer Zaun. Mal spricht Innenminister Horst Scholz mindestens ein Jahr Zeit, um die Regierungschef warnt be- Seehofer dem Islam ab, ein Teil Deutsch- Partei von ihrem Kurs zu überzeugen. Dass reits: »Das wird der Sommer der Wahrheit. lands zu sein. Dann wieder giftet CSU- es in der Partei schon jetzt gärt, liegt an den Wenn die Vereinbarungen insbesondere Landesgruppenchef allseits düsteren Aussichten der Genossen. im Bereich Arbeit nicht umgesetzt werden, gegen die »Anti-Abschiebe-Industrie«. In Bremen droht 2019 der Verlust der rot- wird das die Koalition schwer belasten.« Und die SPD? Kommt kaum vor, weil sie grünen Mehrheit. In Sachsen, wo die Sozial - Es ist ein lauer Dienstagabend Ende sich bislang in Zurückhaltung übt. Vielen demokraten traditionell schwache Ergeb- April, als sich in der Rolle Genossen reicht es damit nun. nisse einfahren, steht die Regierungsbetei- der Arbeiterführerin versucht. Vor dem »Die SPD muss selbstbewusst ihre The- ligung auf dem Spiel. In Brandenburg, wo Hochhaus des Axel-Springer-Verlags in men vertreten und darf nicht schüchtern die Sozialdemokraten den Ministerpräsi- Berlin-Kreuzberg demonstriert die Ge- schweigen, wenn Dobrindt und Co. den denten stellen, liegt die AfD fast gleichauf werkschaft Verdi gegen Amazon-Chef Jeff Rechtsstaat infrage stellen«, fordert Par- mit der SPD. Besonders große Sorgen be- Bezos, der hier an diesem Abend einen teivizin Natascha Kohnen. Als Spitzenkan- reitet dem Willy-Brandt-Haus die Lage der Preis für sein »visionäres Unternehmer- didatin der Bayern-SPD hat sie im Herbst Genossen im einstigen Stammland Nord - tum« verliehen bekommt. Nahles, zwei eine Landtagswahl zu bestehen. »Wir müs- rhein-Westfalen. Gerade mal 22 Prozent er- Tage zuvor zur Parteichefin gewählt, hat sen unsere Lautstärke aufdrehen«, sagt sie. gab dort zuletzt eine Umfrage für die SPD. sich extra eine neongelbe Verdi-Weste Was viele in der Partei außerdem ver- Und neben all dem, neben Dauerwahl- übergestreift. Aber die nützt ihr nichts. missen: eigene Akzente. Jahrelang hatten kampf und Regierungsarbeit, soll sich die »Hartz IV, das wart ihr! Hartz IV, das die Genossen sehnsüchtig auf das Finanz- SPD nun auch noch neu erfinden. »Erneu- wart ihr!«, schallt es ihr entgegen. Mehrere ministerium geblickt, ohne das in der rungsprozess«, so heißt das, was die SPD- Dutzend der etwa 500 Demonstranten bu- Bundesregierung nichts geht. Nun haben Spitze in den nächsten Monaten und Jah- hen und pfeifen Nahles minutenlang aus. sie es – und was tut Minister Olaf Scholz? ren vorantreiben will. Mittlerweile fragen Der Verdi-Moderator versucht, die Leute Trägt das Leitbild der »schwarzen Null« sich die Parteistrategen allerdings, ob der zur Ruhe zu bringen: »Ein bisschen Res- vor sich her und stellt sich damit in die Begriff wirklich klug gewählt war – schließ- pekt bitte! Und den Finger zeigt man einer Tradition seines Vorgängers Wolfgang lich weckt man damit Erwartungen, die Frau übrigens nicht!« Doch der Appell ver- Schäuble. Parteiintern kursiert für Scholz man kaum erfüllen kann. pufft. Die Demonstranten brüllen: »Wer bereits ein Spitzname: »Rote Null«. Als Juso-Chef Kevin Kühnert kürzlich hat uns verraten? Sozialdemokraten!« Für zwei Genossen ist die Lage be- mit SPD-Generalsekretär Zeitweise ist unklar, ob Nahles über- sonders gefährlich: Natascha Kohnen aus auf einem Podium saß, fragte er: »Lars, haupt reden kann. Knapp drei Minuten Bayern und Thorsten Schäfer-Gümbel aus wie oft habt ihr euch eigentlich schon in BEGLEITEN SIE UNS

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den Hintern gebissen, dass ihr diesen Pro- zess ›SPD erneuern‹ genannt habt?« Antwort Klingbeil: »Das ist doch gar nicht die Frage.« Kühnert: »Doch, das ist die Frage.« Worauf Klingbeil erläuterte, der Prozess müsse gelingen – denn: »Das ist einer der letzten Schüsse, die diese Partei hat.« Ende Mai sollen vier Arbeitsgruppen loslegen. Ende des Jahres, wahrscheinlich im November, soll es dann ein sogenanntes Debattencamp geben, bei dem die Vor- schläge und Ideen diskutiert werden. Soll- ten kurz vorher die Wahlen in Bayern und Hessen verloren gehen, dürfte dort jedoch über ganz andere Dinge debattiert werden. Statt um die mittelfristige Zukunft der SPD könnte es dann um die unmittelbare Zu- kunft der Koalition gehen. HANNES JUNG / DER SPIEGEL Das Stichwort, das bereits durch die Par- Fraktionschefin Nahles tei geistert, lautet Revisionsklausel. Mit Düstere Aussichten diesem Instrument, im Koalitionsvertrag neutral Evaluierung genannt, wollen Gabriel und Schulz nehmen die Schwie- Union und SPD zur Hälfte der Legislatur- rigkeiten der neuen Parteiführung mit periode überprüfen, was geschafft und was Interesse zur Kenntnis, beide haben wenig noch zu tun ist. Verschlechtert sich die Lust, Nahles und Scholz unter die Arme Stimmung in der SPD aber weiter, könnte zu greifen. Stattdessen trafen sich die ab- der linke Flügel die Klausel als Hebel ein- getretenen Parteichefs vor einigen Tagen setzen, um Schwarz-Rot platzen zu lassen. zu einem längeren Abendessen in einem »Nach zwei Jahren kommt die Koalition Berliner Hotel, um sich nach ihrem Zer- auf den Prüfstand«, warnt Johanna Ueker- würfnis im Wahlkampf auszusöhnen. Und mann, Mitglied im Parteipräsidium. »Wei- offenkundig können sie über ihr eigenes gert sich die Union, den Koalitionsvertrag Scheitern mittlerweile sogar lachen. »Wir umzusetzen, oder blockiert zentrale Fort- haben ein Meisterstück geschafft«, sagte schritte, dann wird die SPD die nötigen Schulz in dem Gespräch zu Gabriel. »Wir Konsequenzen ziehen müssen.« haben aus dem populärsten den unpopu- Die Gegner der Koalition haben sogar lärsten Politiker gemacht und aus dem un- Die ganze Welt in schon ein Datum im Blick. Ende 2019 ist populärsten den populärsten. Das muss Parteitag, und neben der Wiederwahl der man uns erst mal nachmachen.« Grinsen einem Kiez Vorsitzenden dürfte es dort auch um die auf beiden Seiten. Zukunft von Schwarz-Rot gehen. Das Ar- Beide haben karrieretechnisch noch et- Ein halber Quadratkilometer zwischen gument der staatspolitischen Verantwor- was vor. Wie dieser Tage bekannt wurde, Gosse und Boheme: Im Frankfurter Bahn- tung, mit dem man die Basis nach dem will Gabriel im nächsten Jahr in den Ver- hofsviertel treffen Banker auf Drogen- Platzen der Jamaikagespräche auf Linie waltungsrat des geplanten Schienenunter- abhängige, Prostituierte auf Künstler, zwang, dürfte dann kaum noch ziehen – nehmens Siemens Alstom einziehen – was Angeberteenies auf Kriminelle – das Leben schließlich hätte man Ende 2019 bereits bei diversen Sozialdemokraten wieder ein- in all seinen Schattierungen. Die Fotogra- fast zwei Jahre regiert. mal Kopfschütteln auslöste. Auch wenn fen Kiên Hoàng Lê und Alina Emrich haben Der Parteispitze sollte es deshalb zu der Schritt rechtlich sauber sein mag, denken geben, wenn der Parteilinke Mat- über zwei Jahre die Veränderung ihres thias Miersch nun betont, die Revisions- Stadtteils dokumentiert und porträtieren klausel »sehr ernst« zu nehmen: »Wenn Sonntagsfrage Menschen, die hier gestrandet sind: Doris, Provokationen einzelner Akteure nicht Nordrhein-Westfalen die tagsüber zu Dieter wird, Camilla, die aufhören und die Ziele des Koalitionsver- »Welche Partei würden Sie wählen, wenn am wie so viele hier nicht von den Drogen los- trags nicht konsequent abgearbeitet wer- kommenden Sonntag Landtagswahl wäre?« kommt. Oder den Maler Alexander, der sagt: den, kann das im nächsten Jahr für die Stimmenanteile für die SPD, in Prozent »Meine Kunst sind die Menschen hier.« gesamte Koalition ernste Folgen haben.« 37 19. Februar Der Bremer Bürgermeister Sieling sagt: 14. Mai Sehen Sie die Visual Story im digitalen »Die geplante Halbzeitbilanz spielt für die Landtagswahl SPIEGEL, oder scannen Sie den QR-Code. SPD eine große Rolle. Sollte die Union 31,2 Vereinbarungen torpedieren, können wir 32 28 14. Januar das Regieren nicht einfach so fortsetzen.« 30. Oktober Als wären all dies noch nicht genug Schwierigkeiten für das neue SPD-Spitzen- duo, finden jetzt auch noch zwei Männer wieder zusammen, die viele politisch 22 13. Mai längst für erledigt hielten: Sigmar Gabriel Umfragen von Infratest dimap JETZT DIGITAL LESEN und . Ausgerechnet. 2016 2017 2018

36 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 scheint er das alte Vorurteil zu bestätigen, wonach die Spitzengenossen doch sowieso mit dem Kapital im Bunde stünden. Schulz wiederum steht vor der Frage, ob er noch einmal die Spitzenkandidatur für die Europawahl im nächsten Jahr an- streben soll, wie Berlins Regierender Bür- germeister Michael Müller vorige Woche im SPIEGEL angeregt hat. Er sagt dazu nur: »Ich kämpfe für die Inhalte des Koa- litionsvertrags. Vor allem das Europakapi- tel liegt mir am Herzen, ich habe es selbst verhandelt. Über Personalfragen wird in den Gremien unserer Partei entschieden.« Soll also jener Mann, der für die schlimmste Niederlage in der Nachkriegs- geschichte der SPD steht, im kommenden Jahr wieder von Wahlplakaten lächeln? Es ist die nächste unangenehme Debatte, die der Parteispitze bevorsteht – eine von zahl - losen Baustellen, um die sich Andrea Nah- les kümmern muss. Und weil die neue Che- fin an manchen Tagen gar nicht weiß, wo sie anfangen soll, hat sie sich jetzt offenbar für eine Herangehensweise entschieden, die ihr schon immer lag: Attacke. Mittwochmorgen im Bundestag, Gene- raldebatte zum Haushalt, Nahles legt los: »Was sollen unsere Polizei und unsere Jus- tiz von Politikern halten, die von Rechts- bruch reden, wo es keinen gibt, und die Anwälte als Saboteure des Rechtsstaates bezeichnen?«, ruft sie. Jeder hier weiß, dass Alexander Dobrindt gemeint ist. Ohne seinen Namen zu nennen, rechnet Nahles mit ihm und seinen Tiraden über eine »Anti-Abschiebe-Industrie« ab. Dann knöpft sie sich die Verteidigungs- ministerin vor. Deren Wunsch nach immer weiteren Etaterhöhungen könne sie nicht verstehen, sagt Nahles zu – schließlich habe die es in den ver- gangenen Jahren nicht einmal geschafft, das vorhandene Geld auszugeben. Das sitzt. Die SPD-Abgeordneten sind angetan: Genau das haben sie vermisst. Der Parteilinke Miersch lobt: »Die Haus- haltsrede von Andrea Nahles muss der Maßstab für die Leidenschaft sein, in kon- kreten Themen Profil zu zeigen.« Und die Wahlkämpferin Kohnen aus Bayern for- LANXESS Qualität setzt Zeichen! Gerade in der Chemie dert: »Davon brauchen wir mehr.« macht Qualität den Unterschied zwischen Alltäglichem und Doch die Frage ist, ob Nahles den Besonderem – so wie z. B. Nanotubes die Qualität vieler Wunsch erfüllen kann – schließlich will sie im Gegensatz zu ihren Parteifreunden Produkte verbessern. Deshalb leben wir bei LANXESS vom linken Flügel unbedingt die volle Le- Qualität in allem, was wir tun – für hochwertige, nachhaltige gislaturperiode durchhalten. Die andere Produkte, für mehr Lebensqualität im Alltag und für den Frage ist, ob es reichen wird, der Union Erfolg unserer Kunden. Das ist es, was wir Energizing hin und wieder eins überzubraten. quality.lanxess.de Am Tag nach Nahles’ Auftritt im Chemistry nennen. Bundestag kommt eine neue Umfrage auf den Markt, diesmal vom Meinungsfor- schungsinstitut GMS. Danach liegt die SPD in der Wählergunst bei 16 Prozent. Christoph Hickmann, Veit Medick, Christian Teevs

37 Deutschland Integrationsverrat Nation Zwei berühmte deutsche Fußballer lassen sich mit dem türkischen Autokraten Erdoğan fotografieren. Dürfen die das? Von Lothar Gorris

s gibt dieses Foto von Angela ge im Nationalteam, die Großeltern ğan. Und dass der Bundestag nicht in An- Merkel aus den Katakomben des ebenfalls Türken, ist auch zu sehen. kara, sondern in Berlin sitze. Die Kanz- Berliner Olympiastadions, wie Sie haben Erdoğan Trikots ihrer engli- lerin ließ einen Tag später erklären, für E sie Mesut Özil die Hand schüttelt. schen Vereine mitgebracht. Gündogan ihre Verhältnisse also erstaunlich rasch, Das Foto ist acht Jahre alt, entstanden hat seines mit einer Widmung versehen: die Bilder würden Fragen aufwerfen und nach einem Länderspiel gegen die Tür- »An meinen verehrten Präsidenten – zu Missverständnissen einladen, weil kei. Frau Merkel hatte sich das Match zu- hochachtungsvoll«. Die beiden wirken Nationalspieler ja Vorbildfunktion hätten. sammen mit dem damaligen türkischen stolz und gut gelaunt, fast ein wenig Wo man hinschaut, von der FDP bis Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdo- feierlich, eins mit sich und der Welt und zu den Linken, Eintracht überall: geht gar ğan angesehen, der einen deutsch-türki- ihrem Präsidenten. nicht. Frau Weidel von der AfD erklärte, schen Freundschaftsschal trug und da- mals noch nicht ganz der Schurke zu sein schien, als der er heute gilt. Die Deut- schen siegten 3:0, es war eher ein Heim- spiel für die Türken. Wenn Özil den Ball bekam, pfiffen die mehr als 40000 Fans des türkischen Teams ihn aus, viele von ihnen Deutschtürken. Er schoss trotz- dem ein Tor, auf den Jubel verzichtete er. Wer nicht zum Team gehört, hat nor - malerweise nichts in der Umkleide verlo- ren. Frau Merkel, einen Fotografen im Schlepptau, hat, so kann man das wohl sagen, Mesut Özil fast ein wenig gestalkt. Er steht dort in kurzer Hose und mit nacktem Oberkörper, ein Handtuch in der Hand, und weiß nicht recht, wie ihm geschieht. Er wirkt ein bisschen ratlos. Das Foto sorgte damals für Ärger, der DFB-Präsident empfand das Verhalten der Kanzlerin als übergriffig. Von heute aus betrachtet erzählt es aber eine wun- derbare Geschichte über das moderne, sich wandelnde Deutschland: die Bundeskanzlerin, die ers te Frau in der Geschichte des Landes, im Gespräch mit

einem schüchternen jungen Burschen DPA aus Gelsenkirchen mit türkischen Wur- Sportler Özil mit Präsident Erdoğan in London, mit Kanzlerin Merkel 2010 in Berlin: zeln, der der neue Star einer deutschen Mannschaft ist, die so bunt ist wie die Gesellschaft und einen Fußball spielt, der Plötzlich war es, als ob das Land auf- die Integration in Deutschland sei ge- nicht nur erfolgreich ist, sondern auch schreckte aus dem wunderschönen scheitert, die beiden sollten gefälligst für schön. Junge, Junge, wir können, das ist Traum von einer bunten Republik, weil die Türkei spielen. Auch DFB-Präsident die Botschaft, ziemlich gut sein, besser, zwei junge, erfolgreiche deutsche Fußbal- beklagte sich, dass als wir glauben, wenn wir schlau sind ler einfach so zum Feind übergelaufen das Treffen für die Integrationsarbeit des und kreativ und uns anstrengen, wie die sind. Eine Art Landesverrat, ein Integra- deutschen Fußballs nicht hilfreich sei. Podolskis und Neuers, die Özils und tionsverrat, der nur die Höchststrafe als Eine schnell erhobene Umfrage stellte Lahms, die Boatengs und Hummels, die Antwort haben kann: Desintegration. fest, dass 66 Prozent der Bundesbürger Jungs aus den Migrantenmilieus und der Dass irgendetwas Besonderes passiert glauben, das Ansehen der DFB-Elf sei be- Mittelschicht. war, zeigte sich schon daran, dass das schädigt. Und als Trainer Joachim Löw Diese Woche gibt es mal wieder ein politische Berlin, das sich sonst gern strei- am Dienstag den Kader für die Weltmeis- neues Foto von Mesut Özil mit einem tet und den Widerspruch pflegt, plötzlich terschaft in Russland bekannt gab, Regenten. Diesmal ist es Recep Tayyip ziemlich einig wirkte. Der Grüne Cem wurde er auch gefragt, ob er daran ge- Erdoğan. Diesmal lacht Özil. Es ist am Özdemir sprach am Montag davon, dass dacht habe, die beiden Fußballer nicht zu Sonntag in London entstanden, während der Bundespräsident eines deutschen berücksichtigen, was er verneinte. des Staatsbesuchs Erdoğans in Groß - Fußballnationalspielers Frank-Walter Acht Jahre liegen zwischen den bei- britannien. Ilkay Gündogan, Özils Kolle- Steinmeier heiße und eben nicht Erdo - den Fotos. Acht Jahre, in denen Merkels

38 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Kanzlerschaft langsam verblühte, Jahre, Millionen Follower auf Twitter, Insta- Land, stellt sich auch deswegen nicht so in denen eine Flüchtlingskrise das Land gram und Facebook. Seine Mitteilungen richtig, weil er zwar einen deutschen spaltete, eine rechtspopulistische Partei werden auf Türkisch, Spanisch, Englisch, Pass besitzt, aber das Land längst verlas- entstand, eine Volkspartei sich marginali- Arabisch und, auch das, auf Deutsch sen hat. Die meiste Zeit verbringt er in sierte und die Gesellschaft im Dauer- verfasst. Er dürfte in seiner Karriere England, den Sommer auf Jachten im streit um Populismus und Rassismus, um mehr als 75 Millionen Euro erspielt Mittelmeer, die Freizeit in der Türkei, wo Islamisten und Einwanderer sich zerleg- haben, ohne Sponsorenverträge, in - man ihm längst verziehen hat und wo te – und sich inzwischen vor lauter Um- zwischen lebt er in London und ist Teil seine berühmte Schauspielerfreundin zu wälzungen und Angst und Unsicherheit einer globalen Elite superreicher Super- Hause ist. ständig selbst befragt, wer sie ist und was sportler. Der Weltstar Özil ist einer dieser hei- sie eint. Und kaum Antworten findet. Als das Foto in der Umkleide des matlosen Globalisten, und wahrschein- Vielleicht liegt auch darin die Wucht, Olympiastadions entstand, war es gerade lich wird er die wenigsten Wochen eines die das Erdoğan-Foto der beiden Fußbal- gut anderthalb Jahre her, dass er sich Jahres in Deutschland verbringen. Wo ler entwickelt hat. Natürlich ist Fußball entschieden hatte, für Deutschland zu denn auch? Im schönen Gelsenkirchen- ein Sport, ein Spiel, ein Spaß. Aber man spielen und nicht für die Türkei, die Bismarck? Der Plan war ja, von ebendort sollte die Kraft des Spiels nicht unter- jahrelang um ihn geworben hatte. Des- so schnell wie möglich wegzukommen. schätzen, erst recht nicht, wenn es das wegen damals auch die Pfiffe in Berlin, Ilkay Gündogan, was für ein Zufall, einzige nationale Heiligtum zu sein deswegen die Angriffe in türkischen kommt auch aus Gelsenkirchen. Özil ist scheint, das in diesen wilden, unruhigen Medien, für die er ein Verräter war. Er auf dem Platz eher eine Art genialer Zeiten übrig geblieben ist und auf das hatte lange gezögert, viele in seiner Fa- Schläfer, dessen Körper aber, wenn er denn erwacht, plötzlich Dinge tut, die ei- gentlich unmöglich sind. Gündogan ist eher das pfiffige Genie, schnell im Kopf, gerissen, wach, blitzgescheit. Er hat, anders als Özil, das Abitur gemacht. Er spielte in Bochum, Nürnberg und Dort- mund und lebt nun seit fast zwei Jahren in Manchester. Bislang steht Gündogans Karriere noch im Schatten von Özils, weniger Ruhm, weniger Geld. Immerhin be- kommt er seinen Lohn inzwischen von einem Scheich aus Abu Dhabi, 40 Mil - lionen Euro dürften alles in allem zusammengekommen sein. Als er im Herbst des vergangenen Jahres nach ei- nem Dreivierteljahr Pause sein Come- back feierte, erschien ausgerechnet in der eher fußballfernen, dafür aber glo - balen »New York Times« der große Arti- kel eines Reporters, der ihn während der Leidenszeit begleitet hatte. Auch für Gündogan ist Gelsenkirchen längst Ver- gangenheit. Es ist viel von Identitätspolitik die Rede, davon, dass sich die Menschen ihre

DPA eigene Identität schaffen, das werden, Aufgeschreckt aus dem wunderschönen Traum was sie sein wollen, und nicht das, was man ihnen zuweist. Mesut Özil hat sich mal öffentlich darüber gewundert, dass sich alle einigen können, voller Stolz und milie wollten, dass er für die Türkei er immer der deutschtürkische National- Hingabe. Die Fußballkanzlerin Merkel spielt. Man tut ihm wahrscheinlich nicht spieler sei, während Miroslav Klose, wird, wie so viele, ziemlich empört gewe- unrecht, wenn man sagt, dass seine Ent- ein Spieler mit polnischen Wurzeln, im- sen sein. Empört und vielleicht auch ent- scheidung weniger damit zu tun hatte, mer nur ein deutscher Spieler war. täuscht über diese undankbaren Türken. ob er sich als Deutscher fühlt. Es war Gündogan und Özil werden in Eng- Man kann die Geschichte dieser bei- eine Karriereentscheidung. 2014 wurde land vom selben Agenten vertreten, Er- den Fotos, die Geschichte dieser acht er mit Deutschland Weltmeister. kut Söğüt. Seine Agentur nennt sich Fa- Jahre aber auch aus der Perspektive der Für viele Deutsche blieb er trotzdem mily and Football. Er ist in Hannover ge- hochbegabten Fußballer erzählen. ein Türke, für viele Türken ein Deut- boren, als Teenager putzte er in Fabriken Mesut Özil ist in diesen Jahren von einem scher. Das muss unangenehm sein. Und und verkaufte Klamotten bei H&M. Er deutschtürkischen Fußballer aus einem plötzlich stand da im Olympiastadion die spricht Englisch, Deutsch, Türkisch und schwierigen Stadtteil in Gelsenkirchen Kanzlerin der Deutschen vor ihm, wäh- Spanisch, ein smarter Typ, mit einem zu einem internationalen Weltstar aufge- rend draußen die Türken pfiffen. Nicht Doktortitel in Rechtswissenschaften, ele- stiegen. Damals, im Oktober 2010, war meine Kanzlerin. gant, slick, und auch er hat sich längst er gerade zu Real Madrid gewechselt, er Die Frage, ob er nun ein Vorbild, ein wegintegriert aus Deutschland. Im ver- sorgte schnell für Furore, der Mann an Musterbeispiel sei für die gelungene Inte- gangenen Jahr erklärte er gegenüber Ronaldos Seite, heute hat er mehr als 70 gration von Migrantenkindern in diesem einem britischen Journalisten, er fühle

39 kurz zuvor operiert worden war, ein Tri- kot von Real Madrid. 2016 war er Gast auf der Hochzeit einer Nichte Erdoğans, und auch im vergangenen Herbst noch trafen sich der Fußballer und der Politi- ker auf einem Empfang. Was wiederum nicht heißt, dass die Fotos aus London nicht trotzdem Erdo - ğans Wahlkampf helfen, der bislang noch nicht so richtig in Schwung gekommen war. Und so funktioniert das dann: Die Fotos, die von der AKP gepostet wurden, spielten erst eine Rolle, als Fußball- deutschland sich empörte. »Das Foto, das die Deutschen verrückt macht«, titel- te die Boulevardzeitung »Akşam«. In der Zeitung »Sabah« hieß es: »Das wah- re Problem der Deutschen ist ihre Türkei- feindlichkeit.« Und wer verstehen will, warum so viele Deutsche mit türkischen Wurzeln Sympathien für einen Autokra- ten haben, braucht sich nur in den sozia- len Medien umzuschauen: »Spätestens wenn mit einem Bild deine Integration als gescheitert gilt, weißt du – Deutsch-

DPA land war nie deine Heimat.« Fußballer Gündogan, Wahlkämpfer Erdoğan: Sieht cool aus Der Philosoph Peter Sloterdijk hat ein- mal in einem SPIEGEL-Gespräch die Spiele der Nationalmannschaften als letz- sich zwar in Deutschland zu Hause, weil ner, der einen unrechtmäßigen Krieg ge- ten Ort beschrieben, an dem moderne er dort aufgewachsen ist, aber nicht gen die Kurden führt, die Pressefreiheit Nationen noch als Erregungsgemein- deutsch. »Eigentlich gehörte ich nie abschafft, Merkel Nazimethoden unter- schaften zusammenfinden. Özil und dazu.« Mit den Deutschen und den Tür- stellt oder Deniz Yücel ins Gefängnis Gündogan, um diesen Gedanken fortzu- ken sei das so eine Sache. Wer dazugehö- steckt. Ihr Präsident Erdoğan ist offenbar setzen, gehören nun irgendwie nicht ren wolle, müsse sich assimilieren, so nur ihr Präsident, der Chef, der Baba, mehr zu dieser Erregungsgemeinschaft. werden wie die Deutschen. »Polen und der Sultan, die Heimat. Zwei Jungs aus Dabei ist sie im Zeitalter der Hyperglo- andere können das, aber Türken nicht, Gelsenkirchen und ihr Präsident. balisierung eigentlich ein lächerlicher weil wir eine andere Kultur und eine an- Gündogan ließ sich extra einen Anachronismus. Oder was ist es sonst, dere Religion haben.« Schnauzer stehen, wie ihn die Männer wenn Deutschlandfahnen geschwenkt Ein Foto mit Erdoğan? Warum denn der AKP gern tragen. Was nicht heißen werden, Hymnen gesungen und sich ge- nicht. muss, dass er die AKP unterstützt, son- meinsam an epische Schlachten gegen Das Treffen von Gündogan und Özil dern einfach nur: sieht cool aus. Ein bis- die Engländer erinnert wird oder an gro- in London kam wohl auf Vermittlung des schen Tradition, ein bisschen dicke Eier, ße Triumphe in Brasilien? Erdoğan-Beraters Hamza Yerlikaya zu- ein fescher Undercut, ein bisschen Sub- Global agierende Supersportler wie stande, eines Olympiasiegers im Ringen. kulturgehabe, auch wenn ansonsten das Gündogan und Özil haben das längst hin- Es fand im Rahmen eines Abendessens Prinzip gilt: bloß nicht anecken, keinen ter sich gelassen. Sie spielen für Deutsch- im Four Seasons statt, das von einer Stif- Aufstand machen, keine Rebellion. land, weil sie sich davon einen Vorteil tung namens Turken ausgerichtet wurde. Dass vielleicht trotzdem ein wenig versprechen. Ehre? Werte? Nation? Vor- Die Stiftung betreibt Studentenwohnhei- Ärger erwartet wurde, lässt sich daran bilder? Was also ist heute eine National- me und vergibt Stipendien im Ausland. erkennen, dass beide darauf verzichte- mannschaft, die inzwischen in den Me- Sie gehört zu dem komplizierten, durch- ten, die Fotos in den sozialen Diensten dien immer öfter DFB-Auswahl genannt aus korrupt anmutenden Geflecht aus zu publizieren. Die Welle der Empörung wird, was einerseits ziemlich politisch Stiftungen und Wirtschaftsunternehmen und Wut und Enttäuschung aber über- korrekt klingt, andererseits angemessen der Familie Erdoğan. Esra Albayrak, raschte sie. Gündogan ließ schon am nüchtern und modern: die besten 11 Ki- Tochter des Präsidenten, sitzt im Vor- Montagnachmittag eine Erklärung, cker unter 80 Millionen Staatsbürgern stand. Zum Abendessen in London wenn nicht gar eine Entschuldigung ver- mit deutschem Pass. Nicht mehr, nicht brachte Recep Tayyip Erdoğan fast sein breiten, dass die Fotos aus Respekt weniger. Gündogan und Özil gehören gesamtes Kabinett mit und auch den vor dem Präsidenten gemacht worden zweifelsfrei dazu. Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Die seien, als Geste der Höflichkeit. Sie Jeder deutsche Staatsbürger kann den- Fotos waren schon bei einem Treffen am seien kein politisches Statement, kein ken und tun und lassen, was er will. So- Nachmittag entstanden. Wahlkampf für Erdoğan. »Fußball«, gar ein Altkanzler darf sich in Moskau Die Frage, was zum Teufel die beiden schrieb Gündogan, »ist unser Leben und bei Putins Amtseinführung fotografieren Fußballer sich dabei gedacht haben, dürf- nicht die Politik.« lassen, so verrückt das auch ist. Gerhard te ziemlich einfach zu beantworten sein: Eine politische Aktion war es wohl Schröder ist auch weiterhin in der SPD, nicht viel. Wie cool, wir treffen den Prä- wirklich nicht, auch wenn Özil sich seit der deutsche Pass wurde bislang nicht sidenten. Ihr Präsident ist ein anderer als Jahren regelmäßig mit Erdoğan trifft. eingezogen. der, den wir kennen. Kein Autokrat, kei- 2011 überreichte er dem Politiker, der

40 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Deutschland

Kommentar Staatliche Willkür

Das bayerische Polizeigesetz soll der CSU im Wahlkampf helfen – nutzt aber vor allem der AfD und islamistischen Ideologen.

n Himmelfahrt protestierten in München 30000 Die hohen Hürden, die im Rechtsstaat bestehen, um jeman- Menschen gegen ein neues Polizeigesetz. Es war ein den in Untersuchungshaft zu bringen, gelten hier nicht. A bemerkenswerter Vorgang: Bayern sind nicht für ihre Es ist ein Jammer, dass sich darüber kaum jemand aufregt. Freude am politischen Straßenprotest bekannt. Und Als der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im sie rufen selten nach weniger Sicherheit. Bundestag, , 2016 diese Präventivhaft für Ge- Das bayerische Gesetz ähnelt auf den ersten Blick den fährder forderte, hagelte es Kritik. Inzwischen erhebt außer Regeln, die in anderen Bundesländern gelten. Es weitet die den 30000 von München kaum jemand die Stimme. In Befugnisse der Polizei aus – auf Kosten der Bürgerrechte. Nordrhein-Westfalen wird ein solches Gesetz mithilfe der Aber in anderen Bundesländern haben nur wenige demon- FDP zustande kommen, in Baden-Württemberg war der grü- striert. Warum auch? Die Gesetze versprechen mehr Sicher- ne Ministerpräsident Winfried Kretschmann verantwortlich. heit. Die Rechte jener, auf die sie vorrangig zielen, sind der Die simple wie dumme Rechtfertigung dieser Aushöhlung Mehrheit herzlich egal: radikale Islamisten. rechtsstaatlicher Prinzipien lautet: Das Berliner Attentat wäre Doch das Gesetz gilt für alle. Bereits im Jahr 2017 hat die nicht geschehen, hätte der Asylbewerber Amri in Haft geses- CSU die Rechtslage verschärft. Ist Neu-Ministerpräsident sen oder wäre er nicht mehr im Land gewesen. Hätte niemand Markus Söder diesmal zu weit gegangen? das Auto erfunden, wäre es übrigens auch nicht passiert. »Arme Freiheit« haben wir bereits Dass Amri nicht gestoppt wurde, vor drei Jahren über eine Titelge- hat damit zu tun, dass es keine voll- schichte des SPIEGEL (Nr. 24/2015) kommene Sicherheit gegen Terror- geschrieben. Wir haben kritisiert, anschläge geben kann. Und damit, dass Behörden aus Sicherheitsbeden- dass Behörden wie die Berliner Poli - ken Großveranstaltungen absagten, zei versagten. Das Problem waren und gezeigt, wie neue Gesetze seit nicht mangelhafte Gesetze, das Pro- dem 11. September 2001 die Freiheit blem war, dass sie nicht angewendet in Deutschland einschränkten. Das wurden. Die Politik antwortet auf war, bevor an Silvester 2015/16 in Anschläge stets, indem sie Wün- Köln Hunderte Frauen sexuell beläs- schen der Sicherheitsbehörden nach- tigt wurden und das politische Beben gibt. An den Wünschen ist per se danach Ausländerhass salonfähig nichts Falsches: Sie formulieren, wie machte. Und bevor Anis Amri im De- aus Behördensicht die Bösen besser zember 2016 einen Lkw in die Men- bekämpft und damit die Guten ge- schenmenge am Berliner Breitscheid- schützt werden können. Aufgabe

platz steuerte und zwölf Menschen PRESS ZUMA PRESS / ACTION der Politik ist aber auch, die Rechte tötete. Seither hat sich viel verändert: Demonstrationsplakat in München der Unbescholtenen zu wahren. in der Rechtsprechung, in der Gesetz- Seit Amri geht es stattdessen nur gebung, in der öffentlichen Debatte. in eine Richtung. Das bayerische Davon ist wenig begrüßenswert. Inzwischen echauffiert Polizeigesetz ist ein neuer Tiefpunkt. Im Freistaat dürfen sich der CSU-Politiker Alexander Dobrindt über eine »ag- künftig viel einfacher DNA-Proben und Fingerabdrücke ge- gressive Anti-Abschiebeindustrie«. FDP-Chef Christian Lind- nommen werden, Polizisten sollen mit Handgranaten aus- ner fordert, man müsse in der Schlange beim Bäcker sicher gerüstet werden und dürfen nun einschreiten, wenn sie eine sein, dass die Mitschlangesteher sich legal in Deutschland »drohende Gefahr« wahrnehmen – anstatt wie bisher bei aufhielten. Die »Bild«-Zeitung bejubelt die Abschiebung von einer tatsächlichen Gefahr. Als Gefährder identifizierte Men- Menschen. In mehreren Bundesländern sind Gesetze in Ar- schen dürfen ohne eine festgesetzte Höchstdauer in Präven- beit oder bereits in Kraft, nach denen die Polizei Menschen tivhaft genommen werden. Das ist ein Skandal. inhaftieren kann, die sie für gefährlich hält. Der Schritt zur staatlichen Willkür ist damit gemacht. Der Unter den Tisch fällt dabei, dass in Deutschland eigentlich Freistaat geht so weit wie kein anderes Bundesland. Sogar nur in Haft oder Untersuchungshaft geht, wer verurteilt wur- die Polizeigewerkschaft GdP sieht in dem Werk »Regelungen, de oder einer Straftat dringend verdächtig ist. Die Befürwor- die nicht dazu dienen, das Vertrauen zwischen der Bevölke- ter verschärfter Sicherheitsgesetze argumentieren, dass man rung und der Polizei zu stabilisieren«. den Terrorismus nicht bekämpfen könne, wenn man erst In Bayern ist Wahlkampf. Söder sorgt sich nicht darum, nach einem Anschlag etwas tue. Doch die Vorbereitung einer Stimmen an das liberale Lager zu verlieren, sondern an die schweren staatsgefährdenden Gewalttat ist in Deutschland AfD. Er übersieht dabei, dass seine Politik vor allem anderen schon lange strafbewehrt. dient: den Rechtspopulisten, deren Positionen dadurch ak- Sicher, auch bei der Präventivhaft entscheiden Richter, ob zeptabler werden. Und den Islamisten, deren Vorwurf, Mus- sie angeordnet wird. Aber sie befinden nicht über Schuld lime würden diskriminiert, manchen nun plausibler erscheint. oder Unschuld, sondern darüber, ob die Polizei mit ihrer Ein- Die 30000, die in München auf die Straße gegangen sind, schätzung wohl richtigliegt, jemanden für gefährlich zu halten. hatten recht. Sie waren viel zu wenige. Fidelius Schmid

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Zentrum. Sie berät Unternehmen und Be- hörden beim Einkauf. Gute Kontakte zu Feuer unterm Dach Politikern können da nicht schaden. Auf den Fluren zu Kerkhoffs Büro hän- Netzwerke Ein Unternehmer lädt Politiker zu Kaminabenden ein. gen viele Urkunden. Der Berater wurde als »Hidden Champion« und »Top Con- Mit Christian Lindner kam er darüber ins Geschäft. sultant« ausgezeichnet, die Wirtschafts- presse feierte ihn als »Sparfuchs der Nation«. Kerkhoff, 60, trägt m 13. November 2017 orangefarbene Socken und zieht A steuerten die Sondie- in seinem Chefzimmer fortwäh- rungsgespräche auf ihren rend an einer E-Zigarette. Höhepunkt zu, als Christian Seit 2008 veranstalte er ge- Lindner nach Hamburg reiste. meinsam mit seiner Frau die Ka- Ein Abendempfang mit Bankern minabende, sagt Kerkhoff. Auf und Managern stand auf dem die Idee sei er gekommen, als er Programm, ein Termin wie ge- selbst mal beim Kaminabend ei- macht für den eloquenten FDP- nes Managers gewesen sei. Der Chef. Im vornehmen Anglo-Ger- Gast damals hieß Guido Wester- man Club an der Außenalster er- welle: »Da habe ich gesagt: Wie fuhren die erlesenen Gäste aus geil ist das denn?« erster Hand, woran es noch ha- Die Salons finden in seinem perte in den Gesprächen mit Haus in Rottach-Egern am Te- Union und Grünen. gernsee oder in der Kerkhoff Den Abend veranstalteten Lounge im Dachgeschoss der Fir- die HypoVereinsbank und ein menzentrale statt. Dort oben Unternehmer aus Düsseldorf, gibt es zwar keinen Kamin, da- Gerd Kerkhoff. Er bezahlte das für Ruhe und einen freien Blick Honorar des Parteichefs. Wie über die Rheinmetropole. viel Lindner genau erhielt, blieb Es existiert ein Büchlein, das geheim. Kerkhoff an potenzielle Abend- Wenige Tage nach dem Be- gäste verschickt hat: »Das Buch such in Hamburg scheiterte eine der kleinen und großen Taten«. Jamaika-Bundesregierung an Darin wirbt er damit, die Gäste Lindner, der die Sondierungen bekämen die Chance, in einem platzen ließ. Das nahmen ihm »kleinen, illustren Kreis« mit 12 viele Anhänger übel. Doch sei- bis 15 Leuten zu diskutieren. ner Popularität bei Geldgebern »Sie als Ehrengast und Kompe- schadete es offenkundig nicht: tenzträger können Ihre Erfahrun- Der Fraktionschef hielt seit der gen und Ihr Fachwissen an einem Wahl im September mindestens Kaminabend präsentieren. So 13 Vorträge und kassierte dafür können Sie prüfen, wie Sie von locker 77000 Euro. Nur wenige Ihrer Zielgruppe (Multiplikato- Abgeordnete schafften es, in so ren) wahrgenommen werden.« kurzer Zeit so viele Honorare Die Broschüre listet auf, wer einzustreichen wie er. schon alles als Redner aufgetre- Parlamentarier müssen ihre ten ist: Bischof Franz-Josef

Nebeneinkünfte auf der Website / DER SPIEGEL JOHANNES ARLT Overbeck, der Philosoph Ri- des Bundestags veröffentlichen, Firmenchef Kerkhoff: »Da habe ich gesagt: Wie geil ist das denn?« chard David Precht, Helmut wenn auch nur ungefähr: von Kohls Sohn Walter und viel Stufe 1 (von 1000 Euro bis 3500 Politprominenz – Karl-Theodor Euro) bis Stufe 10 (mehr als 250000 Euro). 15000 Euro. Das Geld floss aber auch in zu Guttenberg, Markus Söder, Joschka Fi- Seit Kurzem sind fast alle Nebentätigkei- die andere Richtung: Als Lindner Frak- scher, Gerhard Schröder, Christian Wulff, ten online einsehbar. Der SPIEGEL und tionschef im Landtag von NRW war, be- Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier. das Portal Abgeordnetenwatch.de haben auftragte die Fraktion Kerkhoff mit einem Wie kommt man an diese Leute? sie analysiert (siehe Seite 46). Gutachten. Kerkhoff erklärt es so: »Wenn Herr Ga- Beim Verhältnis zwischen Christian Die Geschichte dieser Verbindung ge- briel hier war, dann sagt man dem: Ich wür- Lindner und Gerd Kerkhoff lohnt es sich, währt einen Einblick in die recht geschlos- de gern mal den Herrn Steinmeier haben. genauer hinzusehen. Der Unternehmer sene Welt der politischen Salons und Ka- Dann spricht der Herrn Steinmeier an. spendete an die FDP und heuerte Lindner minabende. Reiche Menschen bezahlen Dann fragt Herr Steinmeier, ist das eine seit 2011 mindestens siebenmal als Redner Politiker, um mit ihnen in vertrauter Run- gute Veranstaltung? Und dann hat der ge- an. Auch der Termin in Hamburg taucht de zu diskutieren. Die Frage ist, was sie sagt, das war supernett bei den Kerkhoffs bei Lindners Nebentätigkeiten auf, merk- sich davon versprechen. im Wohnzimmer. Dann kam Herr Stein- würdigerweise ohne den Mitveranstalter In der vergangenen Woche empfängt meier. Dann hat man zwei Ansprechpart- HypoVereinsbank. Allein für diesen Vor- Gerd Kerkhoff zum Gespräch am Düssel- ner. Dann tauscht man die Karten aus.« trag bezahlte Kerkhoff dem FDP-Vorsit- dorfer Firmensitz. Die Kerkhoff Group re- Neben den Gästen kämen Mitarbeiter, zenden ein Honorar der Stufe 3, also bis sidiert auf vier Etagen im Düsseldorfer Kunden und Freunde zu den Kamingesprä-

44 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 chen. Was besprochen werde, bleibe ver- Bei der Landtagswahl 2012 in NRW hol- rung eines »zentralen Bedarfs- und Be- traulich: »In solchen Runden entstehen na- te die FDP mit Lindner als Spitzenkandi- schaffungsmanagements« im Koalitions- türlich superspannende Diskussionen mit dat 8,6 Prozent, damals ein Erfolg. Die vertrag mit der CDU. Kerkhoff sagt: »Ich Menschen, die in ihrem Job erfolgreich Bande zwischen Kerkhoff und den Libe- will nicht bestreiten, dass ich aus meinen sind. Es sind intellektuelle Zirkel, die los- ralen wurden allmählich enger. Im Bundes- Netzwerken mal einen Ansatzpunkt ver- gelöst über ein Thema sprechen.« tagswahljahr 2013 spendete Kerkhoff der folge. Wir haben die Studie auf Bitten von Er sei sehr an Politik interessiert und Partei 13756,40 Euro. Im Sommer 2015 Christian Lindner erstellt und öffentlich habe mal Journalist werden wollen, sagt erstellten Berater Kerkhoffs eine Studie präsentiert, weil er die Einsparpotenziale Kerkhoff, sich dann aber für den bei der Beschaffung des Landes Beruf seiner Eltern entschieden: zeigen wollte. Dafür gab es Betriebswirt. Die Kaminabende 5000 Euro. Das war’s. Heute helfen auch dem Geschäft. »Das bin ich null involviert bei dem ist für mich ein Hebel, die Bezie- Thema.« hungen zu meinen Kunden zu Lindner lässt über seinen An- halten«, sagt Kerkhoff. Große walt Christian Schertz ausrich- Konkurrenten wie McKinsey ten, zwischen Aufträgen der und Roland Berger säßen überall FDP-Fraktion im Landtag von in den Führungsetagen: »Wenn NRW und seiner freiberuflichen Sie sich als Mittelständler dage- Tätigkeit bestehe »kein Zu- gen behaupten wollen, können sammenhang«. Er erfülle »alle Sie das ohne ein Netzwerk nicht Verpflichtungen zur Transpa- machen.« renz von vergüteten Tätigkeiten Vor einigen Jahren bewarb neben seinem Abgeordneten- sich Kerkhoff um einen Auftrag mandat«. Bei dem Abendemp- der Uno. Die Vereinten Natio- fang 2017 in Hamburg sei ihm nen wollten ihren Reinigungsser- die Kerkhoff-Gruppe als Ver- vice optimieren. Kerkhoff wand- tragspartner und Veranstalter er- te sich an den damaligen Uno- schienen. Botschafter Thomas Matussek. Auf die Anfrage des SPIEGEL Die beiden verstanden sich gut. erklärte Schertz, Lindner habe Matussek habe sich danach für »vorsorglich« die HypoVereins- ihn verwendet, sagt Kerkhoff, bank gegenüber dem Bundestag »wie sich Botschafter für Anwen- als »Mitveranstalter« angezeigt. der ihres Landes immer verwen- Mittlerweile haben die Libe- den«. Seine Beratungsfirma be- ralen auf Bundesebene ihr kam den Auftrag. Später lud er Comeback geschafft. Gerd Kerk- Matussek zum Kaminabend ein. hoff sitzt im neu geschaffenen Als Sigmar Gabriel 2009 FDP-Wirtschaftsforum, das die zum SPD-Parteivorsitzenden ge- Parteispitze berät. »Ich bin ein wählt wurde, organisierte Kerk- liberaler Mensch. Gleichzeitig hoff ein Dinner mit Mittelständ- möchte ich, dass es in dieser Re- lern. Kerkhoff wurde Berater publik vorangeht. Lindner ist da- des SPD-Politikers. Einige Jahre für ein Aushängeschild«, sagt später, Gabriel war nun Wirt- Kerkhoff. schaftsminister, reiste Kerkhoff Der FDP sei er nicht böse, mit ihm nach Vietnam. Als Teil- dass Jamaika gescheitert sei. nehmer einer Wirtschaftsdelega- Christian Lindner gehöre die

tion saß er im Regierungsflieger / DPA JUTRCZENKA BERND VON Zukunft – und die halte seine nach Fernost. FDP-Vorsitzender Lindner: Informationen aus erster Hand Firma auch fest im Blick, so Kerkhoff sagt dazu, er glaube Kerkhoff: »Wir sind eine Bera- nicht, dass seine Teilnahme an tungsgesellschaft, die andere Wirtschaftsdelegationen davon abhänge, im Auftrag der FDP-Landtagsfraktion. Unternehmen frisch machen soll. Da liegt dass er jemanden zum Kaminabend ein - Thema: »Einkaufspotenziale in der Be- es in der Natur der Sache, dass man sich lade. Die Bewerbungen würden über den schaffung des Landes Nordrhein-Westfa- eher zu einem Politiker hingezogen fühlt, Bundesverband der Deutschen Industrie len«. 5000 Euro überwies die Fraktion da- der frischer und unverbrauchter ist als ein laufen, wo er im Förderkreis sitze. für an Kerkhoff. 78-jähriger Politiker, der noch vier Wo- Ab 2011 suchte Kerkhoff die Nähe zu Noch wichtiger dürfte der Imagegewinn chen hat.« Christian Lindner. Damals lag die FDP am gewesen sein. Kerkhoff und Lindner prä- In diesem Jahr war Lindner zweimal Boden. Lindner warf als Generalsekretär sentierten die Studie gemeinsam im Land- zu Gast beim Kaminabend im Hause hin und ging zurück nach NRW. Für Kerk- tag. Die wichtigste Forderung machte Kerkhoff. Wieder floss ein Honorar der hoff ein Grund, den Politiker zum Kamin- Karriere: Kerkhoff empfahl die Einfüh- Stufe 3 in die Kasse des FDP-Chefs. Kerk- abend einzuladen. Er sagt: »Ich wollte den rung einer »zentralen Einkaufsstelle« für hoff hatte auch Cem Özdemir angefragt, Menschen näher kennenlernen. Okay? die Landesbehörden. Die FDP-Fraktion der 2012 schon mal beim Kaminabend Das ist so. Es ist für einen jungen Mann übernahm sein Anliegen fast wortgleich war. Aber Lindner sagte schneller zu. nicht der leichteste Schritt, aus dem großen in einem Parlamentsantrag. Sven Becker repräsentativen Berlin zurück nach Düs- Zwei Jahre später, als die FDP in die Mail: [email protected] seldorf zu gehen. Das fand ich spannend.« Landesregierung einzog, stand die Einfüh-

45 Bundestag Mehr als jeder fünfte Abgeordnete verdient sich Die Angaben fördern interessante etwas dazu. Konstellationen zutage: Landwirte und Bauernlobbyisten, die im Landwirt- schaftsausschuss über die Agrarpolitik mitentscheiden; Aufsichtsräte, die im Das gewisse Extra Wirtschaftsausschuss für Unternehmen relevante Entscheidungen treffen. Der Arzt sitzt für die Es ist Ende Oktober 2017, in vielen zulegen, werden die Angaben auf der CDU im Gesundheitsausschuss und ficht Abgeordnetenbüros müssen die Umzugs- Bundestagswebsite veröffentlicht, bei gleichzeitig als Vorstand der Bundes - kisten noch ausgepackt werden, da bezahlten Nebentätigkeiten auch die ärztekammer und als Vorsitzender des erreicht die Parlamentarier schon ein Höhe der Einkünfte in Form grober Ein- Marburger Bunds für die Interessen der Schreiben des frisch gewählten Bundes- kommensstufen. Seit wenigen Tagen Ärzte. Im Bundestag handle er »nicht tagspräsidenten. sind die Angaben nahezu aller 709 Ab- danach, welche Ämter ich an anderer Wolfgang Schäuble erinnert sie an die geordneten öffentlich. Der SPIEGEL und Stelle ausübe«, sagt er. Mit seinen Tätig- Pflichten, die das Mandat mit sich bringt. die Transparenzinitiative Abgeordneten- keiten kam er in den ersten Monaten Ein 16-seitiger Fragebogen ist auszufüllen, watch.de haben sie ausgewertet. der Wahlperiode auf Nebeneinkünfte zu unterschreiben und beim Präsidium ein- 556 Parlamentarier gaben Nebentä - in Höhe von mindestens 70000 Euro – zureichen. Die Volksvertreter müssen un- tigkeiten an. 154 dieser Abgeordneten zusätzlich zu den Diäten von rund ter anderem angeben, ob sie neben dem (22 Prozent aller MdB) erzielen mit min- 115000 Euro brutto im Jahr. Mandat weiteren Tätigkeiten nachgehen. destens einer Tätigkeit Einkünfte von Henkes Parteifreund Johannes Röring Viele Parlamentarier halten bezahlte mehr als 1000 Euro im Monat oder 10000 ist selbstständiger Landwirt, tätig in Vorträge, sind als Anwalt tätig, führen Euro im Jahr. Spitzenreiter ist die FDP: den Bereichen Energieerzeugung und den eigenen landwirtschaftlichen Be- 44 Prozent ihrer Abgeordneten gaben Düngemittel. Außerdem sitzt er in meh- trieb weiter oder sitzen in einem Auf- Tätigkeiten mit Einkünften an. Auch die reren Aufsichtsräten und anderen Unter- sichtsrat. Das kann zeitraubend sein, ist Unionsfraktion liegt mit 26 Prozent über nehmensgremien und kommt in der aber ausdrücklich erlaubt: Das dem Parlamentsschnitt. In der AfD-Frak- laufenden Wahlperiode mittlerweile Abgeordneten gesetz erlaubt Nebenjobs, tion nannten 18 Prozent Nebeneinkünfte, auf Nebeneinkünfte von mindestens solange das Bundestagsmandat »im bei der SPD 15 Prozent. Die Linksfraktion 288 000 Euro; bei den Bezügen als Mittelpunkt der Tätigkeit« steht. Um kommt auf einen Anteil von 14 Prozent, Selbstständiger handelt es sich allerdings mögliche Interessenkonflikte offen- die Grünen auf sieben Prozent. um den Umsatz, von dem noch die nicht unerheblichen Betriebsausgaben abge- hen. Dass er im Landwirtschaftsaus- Abgeordnete mit Nebeneinkünften im Deutschen Bundestag schuss über den Politikbereich mitent- scheidet, der ihn als Geschäftsmann FDP betrifft, findet er nicht problematisch. AfD 35 Auch ein Zeitproblem durch die Mehr- 17 Link D e P 1 fachbelastung sieht er nicht: »Das Ab- S 3 0 2 geordnetenmandat steht für mich an

n erster Stelle.« o G i r n 3 ü Von vielen Abgeordneten mit Neben- n U 6 5 e job hört man solche Argumente: Reine Berufspolitiker gebe es schon genug, es brauche auch andere Volksvertreter. Und ; Abgeordnete mit eigenem Betrieb wol- 80 2 69 len für ein vierjähriges Bundestagsman- 9 f r 3 6 a 7 k dat nicht gleich den eigenen Laden 5 t 1 i nete g o rd e 1 s n o a schließen oder verkaufen. e 2 s 6 m g l 4 b o t

2 s A Etliche Abgeordnete aber führen LANDWIRTSCHAFTSVERBAND

/

nicht einfach ihren Beruf fort – oft schei- nen Unternehmen und Verbände erst Rudolf Henke (CDU) (AfD) ALLIANCE wegen des Mandats auf sie aufmerksam Ärztefunktionär im Gesundheits- Rechtsanwalt mit Nebeneinkünften zu werden. Für die vergangenen

PICTURE ausschuss, Nebeneinkünfte von von mindestens 347500€ von ; mindestens 70000€ 15 Mandanten beiden Wahlperioden stellte die Otto Brenner Stiftung der IG Metall fest: NIETFELD Steigt die Mandatsdauer, steigt auch die KAY

/ Christian Lindner (FDP) Carl-Julius Cronenberg (FDP) Zahl der Abgeordneten mit Nebentätig- erhielt für 13 Vorträge und Kamin- Unternehmer mit Nebeneinkünften keiten. Die Stiftung kommt zu dem ALLIANCE abende mindestens 77000€ von mindestens 508000€ Schluss, »dass das Mandat dazu genutzt

PICTURE wird, neue Tä tig keiten aufzunehmen ; und neue gesellschaftliche Funktionen PRESS Johannes Röring (CDU) (CDU) wahrzunehmen«. Landwirt im Agrarausschuss, Neben- Landwirt im Agrarausschuss, Neben- ACTION

Max Holscher, Marcel Pauly /

X einkünfte von mindestens 288000€, einkünfte von mindestens 585000€,

überwiegend Umsätze ausschließlich Umsätze ‣ Weiterführende Informationen unter Quelle: Deutscher Bundestag; Stand: 17. Mai 2018 spiegel.de/abgeordnete PICTURE ALLIANCE / MICHAEL KAPPE; ACHIM MELDE / DEUTSCHER BUNDESTAG MELDE / DEUTSCHER ALLIANCE / MICHAEL KAPPE; ACHIM PICTURE PHOTOWEB

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* Unter allen Neuanmeldungen verlosen wir 10 Hotelgutscheine für je zwei Übernachtungen für zwei Personen inkl. Frühstück in einem 5-Sterne Hotel. Deutschland Buddhas Irrweg Missbrauch Ein buddhistischer Abt aus Frankfurt am Main versprach Erleuchtung – und verging sich unter diesem Vorwand offenbar an seinen Klosterschülern.

eun Menschen saßen 2013 in möglichen und zu rechtfertigen. Jenen während seiner Europareise 2009 auch zu dem Kloster »Buddhas Weg« Buddhismus, der als besonders tolerant einer viertägigen Veranstaltung in Frank- N im Odenwald zusammen: fünf und weltoffen gilt und dessen bekanntester furt mit 50000 Teilnehmern zu kommen. Mönche, drei Nonnen und ihr Mönch, der 14. Dalai-Lama, den Friedens- Thich Thien Son soll nicht nur ein Kind Zenmeister, der Abt Thich Thien Son. Sie nobelpreis erhalten hat. sexuell missbraucht, sondern über Jahre sprachen darüber, dass der Abt mehrere Wie anfällig geschlossene Systeme für auch andere Klosterangehörige sexuell be- Angehörige des Klosters sexuell belästigt sexualisierte Gewalt sind, ist schon seit den lästigt haben. Davon hat ein Dutzend Per- und ein Kind missbraucht habe, so erin- Skandalen der katholischen und der evan- sonen dem SPIEGEL berichtet, Dokumen- nern sich mehrere Anwesende überein- gelischen Kirche sowie der Odenwaldschu- te bestätigen die Vorwürfe. Außerdem stimmend. Trotzdem sei die Atmosphäre le bekannt. Buddhistische Gemeinschaften wird dem Abt vorgeworfen, pornografi- lange erstaunlich freundlich geblieben. sind da offenbar keine Ausnahme. sche Videos gedreht zu haben. Ruhig hätten die Schüler den Zenmeis- ter gefragt, warum er so gehandelt habe, wie er es getan habe. »Für mich ist die Se- xualität das größte Hindernis«, habe Thich Thien Son gesagt. Erst wenn sie »durchge- arbeitet« sei, stünden ihnen die Wege frei. Was »durcharbeiten« in dem Kontext bedeuten solle, habe einer der Mönche ge- fragt. Schließlich könne es nicht sein, dass der Abt einen Zwölfjährigen zum Oralver- kehr auffordere, während auch noch ein Elfjähriger im Zimmer sei. Genau das soll acht Jahre zuvor passiert sein. Der Zenmeister habe den Vorwurf da- mals nicht bestritten, sondern gesagt, es sei ein Fehler gewesen, ein Prozess des Lernens. Er habe nicht die Intention ge- habt, irgendjemanden zu missbrauchen. Die Anwesenden erinnern sich, wie Thich Thien Son selbstbewusst gesagt habe, es sei für ihn kein Problem, wenn man ihm etwas anhängen wolle. Selbst wenn er ins

Gefängnis müsse – kein Problem. MARIO VEDDER / DDP IMAGES Er habe helfen wollen, so habe er sich Zenmeister Thich Thien Son 2009: »Gravierendes Ausnutzen der Schüler-Lehrer-Bindung« gerechtfertigt, und den Zwölfjährigen mit dessen eigenen sexuellen Energien kon- frontieren wollen. Bei einem älteren Klos- So wurde einem der erfolgreichsten Einige Menschen hätten das Kloster terschüler habe er klären wollen, ob der buddhistischen Lehrer der westlichen wegen Thich Thien Son verlassen. Es gab Schüler Homosexualität in sich trage. Welt, Sogyal Rinpoche Lakar, vorgewor- auch Klostermitglieder, die sich an das Eine Nonne habe noch einmal nach fen, Schülerinnen und Schüler »physisch, Jugendamt und an die Polizei wandten. dem Minderjährigen gefragt, was denn da emotional und psychisch« missbraucht Doch das Jugendamt konnte nichts fest- die Motivation gewesen sei, so erinnern zu haben. Zudem soll er sich »sexueller stellen. Und die Staatsanwaltschaft stellte sich Anwesende. Sie wolle es nicht anpran- Vergehen« schuldig gemacht und einen zwei Verfahren ein: 2011, weil der betrof- gern, sondern verstehen, habe sie hinter- »unersättlich verschwenderischen und ge- fene Jugendliche bestritt, sexuell miss- hergeschoben. Der Abt habe ausweichend nusssüchtigen Lebensstil« gepflegt haben, braucht worden zu sein; zu der Zeit war geantwortet, der Zwölfjährige sei einfach finanziert aus Spenden. Lakar trat darauf- er mit Einverständnis seiner Eltern in der neugierig gewesen. hin 2017 von all seinen Ämtern zurück. Obhut des Klosters. Und im Jahr 2016, Dann habe der Zenmeister plötzlich ab- Der Abt Thich Thien Son ist nicht ganz weil der ermittelnde Staatsanwalt nach geblockt. Er wolle nicht gezwungen wer- so bekannt, in Hessen aber eine Größe. Er einem aussagepsychologischen Gutachten den, etwas auszusprechen, was die ande- gründete das Kloster »Pagode Phat Hue« Zweifel an den Aussagen des Betroffenen ren hören wollten. in Frankfurt am Main und leitete später hatte – obwohl dem Staatsanwalt außer- Glaubt man den Aussagen der Anwe- auch »Buddhas Weg« im Odenwald. Bis dem von dem Eingeständnis des Abts be- senden, dann würden das lapidare Einge- 2009 war er Vorsitzender der Deutschen richtet worden war. Eine Beschwerde ge- ständnis des Abts und seine Erklärungen Buddhistischen Ordensgemeinschaft e.V. gen die Einstellung verwarf die General- offenbaren, wie er sich die Religion zunut- (DBO). Er war einer derjenigen, die den staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ze machte, um seinen Missbrauch zu er- Dalai-Lama davon überzeugen konnten, Ende 2016.

48 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19.5. 2018 Nur die DBO reagierte. Im Dezember Im Frankfurter Kloster Pagode Phat wie eine Auszeichnung gewesen. Doch es 2010 schloss sie ihr Mitglied Thich Thien Hue wurde zwar ein neuer Abt benannt, habe nicht lange gedauert, bis Thich Thien Son aus, nachdem ihr mehrere unterschrie- doch ohne Thich Thien Son geht es offen- Son ihn das erste Mal missbraucht habe. bene Briefe vorgelegt worden waren, die bar nicht. Er bringt die Spenden, er zieht »Jede Nacht kam er mir etwas näher. Erst den Abt belasteten, der eine Stellungnah- neue Interessierte an. Das sagen die, die musste ich ihn nur so massieren. Dann me zunächst verweigert hatte. »An dem sich im Kloster und in der buddhistischen auch seine Genitalien«, sagt er. Schließlich Wahrheitsgehalt der Briefe können wir Szene auskennen. Sogar im Impressum habe er ihn oral befriedigen müssen. nicht zweifeln«, hieß es in einer öffent- der Internetseite steht sein Name noch. Einmal sei ein elfjähriger Klosterschüler lichen Mitteilung dazu. Die Aussagen be- Stefan Schulz* hat das dazu bewogen, mit im Zimmer gewesen. Während der dem zeugten ein Verhalten, das zum reinen Le- mit dem SPIEGEL über seine Geschichte Abt die Füße massiert habe, habe Schulz benswandel eines buddhistischen Mönchs zu sprechen. Er wolle nicht, dass andere den Penis des Abts anfassen müssen, sagt in völligem Widerspruch stehe. Und: »Es erleben müssten, was er erlebt habe, sagt er. Ob der Jüngere das gesehen habe, wisse zeigt ein gravierendes Ausnutzen der Leh- er. Und er fühle sich schuldig, da er bei der er nicht genau. Woran er sich aber sicher rer-Schüler-Bindung.« ersten polizeilichen Vernehmung 2011 ge- erinnere, sei, dass das vietnamesische Haus- Den Stand eines Mönchs gab Thich leugnet habe, missbraucht worden zu sein. mädchen des Abts an einem Morgen leise Thien Son allerdings erst drei Jahre später Er ist derjenige, um den es bei dem Ge- und in gebrochenem Deutsch zu ihm gesagt auf. Einige Mönche aus Frankfurt hatten spräch 2013 geht, er ist der Zwölfjährige habe: »Nicht mehr bei ihm schlafen.« sich mit einem Brief an einen der populärs - von damals. Heute ist er Mitte 20 und sitzt Thich Thien Son weist diese Vorwürfe ten buddhistischen Mönche im Westen, in seiner spartanisch eingerichteten WG: zurück. Er sei Opfer einer Intrige der DBO Thich Nhat Hanh, gewandt, in dem sie die eine Matratze auf dem Boden, ein Bücher- und der Deutschen Buddhistischen Union Vorwürfe zusammenfassten. Bevor er bald regal, ein Tisch und ein Klappsofa, irgend- (DBU) geworden. DBO und DBU hätten den Buddhismus in Deutschland aus kom- merziellen Gründen als Religionsgemein- schaft anerkennen lassen wollen. Da er da- gegen gewesen sei, habe vor allem die DBO »alles Mögliche« unternommen, um ihn aus dem Amt zu drängen. Deshalb habe jemand aus dem Vorstand der DBO 2014 Anzeige gegen ihn erstattet. Der Abt verweist auf das aussagepsychologische Gutachten und die eingestellten Verfahren der Staatsanwaltschaft. Aber neben Schulz berichten auch an- dere Männer, Thich Thien Son habe sexu- alisierte Gewalt ausgeübt – und sein Ver- halten religiös begründet. Thomas Arnold* war Anfang 20, als er Thich Thien Son traf. Damals habe er mit seiner Sexualität gehadert, sei unsicher ge- wesen, ob er vielleicht schwul sei. Er lebt inzwischen nicht mehr in Deutschland. Er sitzt in seinem Haus, als er per Videotele- fonat von seinen Erlebnissen berichtet.

EUROLUFTBILD.DE / AKG-IMAGES EUROLUFTBILD.DE Auch er heißt anders und will nicht, dass Kloster »Buddhas Weg« im Odenwald: Das Jugendamt konnte nichts feststellen sein richtiger Name öffentlich wird. Er möchte endlich mit der Sache abschließen. Aber er möchte nicht, dass der frühere Abt auf Thich Thien Son treffe, würden sie ihm wo in Europa. Er will nicht, dass seine weiter in Kontakt mit jungen Menschen gern die »wahren Fakten« mitteilen, Identität bekannt wird, darum sollen sein ist, die ihm hörig sein könnten, so wie er schrieben die Mönche und baten um seine Name und sein Wohnort geheim bleiben. es damals aufgrund von dessen gehobener »Weisheit«: »Wir fühlen uns hilflos, ver- Bei grünem Tee berichtet er von seiner Position war. Deswegen spreche er. letzt und sind verwirrt, wie wir weiterver- Kindheit. Es habe viel Ärger in seiner Fa- Es habe begonnen, als er dem Abt im fahren sollen.« milie gegeben. Bei Akupunkturterminen Jahr 2005 seine Verwirrung über seine Se- Ein paar Wochen später legte Thich seiner Mutter habe er den Abt kennen- xualität anvertraut habe. Der habe unvor- Thien Son die gelbbraune Mönchskleidung gelernt. Der Abt habe ihn ins Kloster ein- eingenommen zugehört, erinnert sich Ar- ab und trat fortan nicht mehr öffentlich auf. geladen, also verbrachte er immer mehr nold, und dann gesagt: »Nun, mach doch. Doch da die buddhistische Gemeinschaft Zeit dort, gemeinsam mit anderen Kin- Wenn du einen Mann küssen willst, tu es.« hierzulande kaum Kontrollinstanzen hat dern: »Das war wie ein Sommercamp, das Er sei verdutzt gewesen, sagt Arnold. und niemand entscheiden kann, welche Ro- einfach nicht endete.« Die Menschen er- Doch der Abt, dem er vertraute, zu dem ben und welche Titel jemand bei Auftritten schienen glücklicher als die zu Hause. Des- er aufsah, habe versichert: »Ich bin nicht verwendet, arbeitet Thich Thien Son seit wegen wollte Stefan Schulz im Kloster le- an Sexualität interessiert. An mir kannst Längerem wieder. In seinem alten Kloster ben, Mönch werden. du das ausprobieren.« Also habe er den »Buddhas Weg« gibt er Seminare, auch für Wenn er im Kloster übernachtete, durf- Abt geküsst. Immer wieder habe der ihn und über Kinder, zuletzt im April dieses te er beim Abt im Zimmer, sogar in dessen dabei gefragt: »Nun, bist du schwul oder Jahres: »Schattenkinder – Sonnenkinder« Bett schlafen, sagt Schulz. Anfangs sei das nicht? Ändert das was?« und »Familienkarma«. Zu Ostern leitete er Dann habe er gesagt, er wolle mit Ar- eine Meditationsklausur. * Name geändert. nold »arbeiten«, um ihm zu »helfen«. So

49 Deutschland erinnert sich Arnold. Über Mo- Monate zu sexuellen Handlun- nate habe der Abt ihn zu sich ge- gen gedrängt worden zu sein, be- holt. Er habe ihn dann aufgefor- ginnt seinen Brief mit dem Satz: dert, ihn zu berühren, es habe »Ich verdanke Thich Thien Son Küsse gegeben, dann Oral-, spä- einen großen Teil dessen, was ter Analverkehr, sagt Arnold. ich bin.« Sein Anliegen sei es »Immer wieder fragte er mich nicht, den Ruf des Abts zu rui- während des Sex: ›Bist du nieren. schwul? Bist du hetero? Ändert Der Staatsanwaltschaft Frank- das was?‹« Arnold schüttelt sich. furt am Main lagen all diese Brie- Ihm werde jedes Mal schlecht, fe von 2010 vor, als sie zum zwei- wenn er daran denke. ten Mal ermittelte. Dazu noch Als er die »Arbeit« nach ein eine eidesstattliche Versicherung paar Monaten infrage gestellt eines anderen Mönchs von 2014. habe, habe der Abt ihm gesagt, Er bezeugt, dass Thich Thien dass ihm die Erleuchtung ver- Son bei jener Gesprächsrunde wehrt bliebe, wenn er nicht 2013 im Kloster im Odenwald

weiter mitmache. Er sei doch IMAGO ein Eingeständnis abgelegt habe, bestimmt als Kind missbraucht Gast Dalai-Lama in Frankfurt am Main 2009: Tolerant und weltoffen und schreibt, dass dieser seither worden, das wolle er nun mehrmals versucht habe, »auch »nachinszenieren«, damit sich mich mit Halbwahrheiten oder Arnold daran erinnern und das Trauma er nicht gewusst habe, wie. »Gewollt habe Lügen zu manipulieren und einzuschüch- verarbeiten könne. »Es war unendlich ich es jedoch zu keinster Zeit«, schreibt er. tern, damit ich nach außen schweigen soll«. perfide«, sagt Arnold heute. Nach einem Im April 2008 habe der Abt ihn auf- Am Ende der Ermittlungen stellt die halben Jahr habe Thich Thien Son die gefordert, bei ihm im Zimmer zu schlafen, Staatsanwaltschaft fest: »Zwar sprechen »Arbeit« schließlich beendet – und danach da ein guter Freund von ihm gestorben sei viele Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich so getan, als wäre zwischen ihnen nie et- und er nicht allein sein wolle. Der junge sexuelle Handlungen zwischen dem Be- was gewesen. Mönch legte sich vor das Bett auf den Bo- schuldigten und dem damals kindlichen Drei Jahre später habe er mitbekom- den, schreibt er. »Während der Nacht kam Zeugen stattgefunden haben.« Doch weil men, dass der Abt immer wieder junge er immer wieder zu mir runter auf den Bo- die Erinnerungen der Zeugen nicht kon- Männer in sein Zimmer eingeladen habe, den und berührte und streichelte mich, be- kret genug seien, gebe es keinen »hinrei- sagt Arnold. Einer dieser Männer habe sonders an meinem Penis.« Gewehrt habe chenden Tatverdacht«. Es habe Mängel in sich ihm anvertraut und ihm berichtet, wel- er sich nicht, am nächsten Morgen aber der »Aussagekonstanz« gegeben. che Gründe Thich Thien Son für die se- seine Sachen gepackt und das Kloster Die polizeiliche Vernehmung zu den xuellen Handlungen angeführt habe: »Es heimlich verlassen. Im August sei er kurz Vorfällen fand im Februar 2014 statt, die waren genau dieselben wie bei mir.« Ar- zurückgekehrt, weil ihm Thich Thien Son Exploration des aussagepsychologischen nold verließ daraufhin das Kloster. gedroht habe, dass er »jegliche andere bud - Sachverständigen erst im Juli 2015. Die All das schilderte Arnold im Oktober dhistische Tempel benachrichtigen« wür- Vorfälle lagen da schon zehn Jahre zurück. 2010 auch in einem Brief auf Englisch, der Die wesentlichen Details, in denen sich mit folgenden Sätzen beginnt: »Ich versi- der Zeuge widersprach, waren, ob in ei- chere an Eides statt, dass der folgende »Er suchte sich nem Hotel ein Missbrauch geschehen war, Brief nach bestem Wissen verfasst wurde, grundsätzlich Jungs, wie lange seine Hand auf dem Penis des wissend, dass ich bestraft werden kann, Beschuldigten gelegen haben soll und ob falls herausgefunden werden sollte, dass die ohne Vaterfigur der Beschuldigte ihn anal penetrieren woll- er nicht stimmt.« Dann begründet er, wa- aufgewachsen waren.« te oder ob er ihn penetrieren sollte. rum er sich erst nach Jahren äußert. Er Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass habe sich erst mal wieder »aufbauen« müs- Betroffene sexualisierter Gewalt solche sen. »Es war eine traumatische Erfahrung de, sodass er nirgendwo mehr aufgenom- Details verdrängen oder nur manchmal ab- für mich, jemandem so viel Glauben und men würde. Nach drei Monaten aber habe rufen können. Der aussagepsychologische Vertrauen zu schenken, nur um dann se- er das Kloster endgültig verlassen. Sachverständige argumentierte dennoch, xuell missbraucht zu werden.« Die vergan- Die drei anderen Briefeschreiber wur- dass der Zeuge sich »intensiv mit dem The- genen Jahre seien die schwierigsten seines den selbst nicht belästigt, wollen aber Zeu- ma Missbrauch in Internetforen und in Ge- Lebens gewesen. gen von Thich Thien Sons Verhalten ge- sprächen beschäftigt« habe und deswegen Es gibt noch vier weitere Personen, die wesen sein: Einer hat ihn laut eigener Aus- nicht auszuschließen sei, dass »Teile seiner 2010 schriftlich Vorwürfe gegen Thich sage bei sexuellen Handlungen mit jungen Aussage Autosuggestionsprodukte sind«. Thien Son erhoben. Männern gesehen. Die anderen haben mit Auch das Eingeständnis des Abts half Ein Mann berichtet, wie ihn der Abt, Mönchen gesprochen, die davon berichte- nicht. Der Staatsanwalt hielt vielmehr fest, als er ein junger Erwachsener war, auf ei- ten. Es passierte demnach nicht nur in dass sich an seiner Entscheidung »auch für ner Pilgerreise im Bus plötzlich am Penis Deutschland, sondern auch in den USA, den Fall«, dass sich noch weitere Zeugen berührt habe. »Er begründete diese Tat wo Thich Thien Son Seminare gab. aus dem Gespräch 2013 meldeten, nichts mit dem Argument, dass ich noch sehr viel Die Briefe haben etwas gemeinsam: Die ändern würde. Das Jugendamt prüfte das sexuelles Verlangen in mir trage, welches Autoren schreiben mit großem Respekt Kloster wiederholt, 2013 sogar wegen ich unterdrücken würde«, schreibt er. Zu- für ihren religiösen Führer. Sie erwähnen Missbrauchsvorwürfen, fand aber »keine rück in Deutschland habe er den Abt fast die Verfehlungen ebenso wie seine Fähig- Anhaltspunkte für sexuelle Übergriffe«. jeden Abend massieren müssen, »auch an keiten, schreiben, wie sehr er ihnen »spi- Man werde die Sache allerdings »weiter- seinem Hintern sowie um seinen Penis he- rituell« über die Jahre geholfen habe. hin gewissenhaft begleiten«, versichert die rum«. Widersprochen habe er nicht, weil Selbst Thomas Arnold, der berichtet, über Amtsleiterin.

50 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19.5. 2018 Für SPIEGEL-Abonnenten: Tatsächlich hatte Abt Thich Thien Son offenbar ein ausgeklügeltes System. Wenn das Jugendamt kam, sei im Tempel schnell alles hergerichtet worden, sagt Schulz. Er Digital-Upgrade nur € 0,50. beispielsweise habe kein eigenes Zimmer gehabt, weil er über Monate beim Abt ge- schlafen habe. Wenn aber jemand vom Jugendamt vor der Tür gestanden habe, »schossen sofort alle los, richteten ein Zim- mer her, das als meines ausgegeben wurde, und legten auch noch ein paar ›Bravo‹-Hef- Jetzt te hin«. Damals habe er das lustig gefun- den. Schließlich sei das Jugendamt böse ge- 4 Wochen wesen, so sei es ihm beigebracht worden. gratis Melissa Horner* ist diejenige, die das Jugendamt eingeschaltet hat – wenn auch testen über Dritte. Die Nonne sagt, sie sei ent- setzt gewesen über das, was sie im Kloster mitbekommen habe. Auch sie heißt eigent- lich anders, will aber ihre Identität schüt- zen. Einige Jahre hat sie mit Thich Thien Son im Kloster gelebt, bis heute fühlt sie sich ihm und der Gemeinschaft verbunden, lobt seine Fähigkeiten, seinen Charme. Dennoch geht sie hart mit ihm ins Ge- richt. Sie habe gesehen, dass viele junge Männer bei ihm ein und aus gegangen seien, sagt Horner: »Er suchte sich grundsätzlich Jungs, die ohne Vaterfigur aufgewachsen waren.« Denen habe er einen Vaterkom- plex eingeredet. Thich Thien Son sei sich seiner Macht immer sicherer geworden, sagt Horner. Einmal sei ein Siebenjähriger, der im Kloster lebte, zu ihr gekommen. In gebrochenem Deutsch habe er gesagt: »Ich habe gesehen! Der Penis in dem Mund! Und auf dem Computer, so ekelig!« Weitere Mönche und Nonnen berichten, dass sie Pornos auf dem Rechner des Abts Schwarz,Rosenzweig Hamburg & gefunden hätten, sogar selbst gedrehte. Auch Gleitcreme und Rechnungen von Spas, die als Treffpunkte Homosexueller Ohne Verpfl ichtung lesen galten, wurden demnach bei dem Abt ent- deckt, der eigentlich zölibatär leben soll. Bereits ab freitags 18 Uhr Und sie berichten, dass Thich Thien Son Auch offl ine lesbar auch Sex mit Frauen gehabt habe. Er habe es »Initiation« genannt, sagt Auf bis zu 5 Geräten Horner, oder auch »Ritual auf dem Weg zur Erleuchtung«. Den Frauen habe er ge- Inklusive SPIEGEL DAILY – Die neue digitale Tageszeitung sagt, es gehe um Tantra. Eine Frau habe ihr eines Tages erzählt, der Abt sei bei ihr so aggressiv vorgegangen, dass sie anschlie- ßend drei Stunden lang nicht in der Lage gewesen sei, das Bett zu verlassen. Be- schwert habe sich wohl keine Frau, so Hor- ner, denn Thich Thien Son habe gedroht: Ja, ich möchte den SPIEGEL digital testen! Falls sie jemandem davon erzählten, wür- den sie ihr Gelübde brechen und ihren Ich lese 4 Wochen den SPIEGEL digital kostenlos, danach als Weg zur Erleuchtung unterbrechen. SPIEGEL-Abonnent für nur € 0,50 statt € 4,10 pro Ausgabe. Thich Thien Son geht weder auf sein mutmaßliches Eingeständnis noch auf alle Ich gehe keine Verpflichtung ein, denn ich kann jederzeit zur konkreten Vorwürfe ein. Er sieht darin die nächsterreichbaren Ausgabe kündigen. »Verunglimpfung eines religionspolitisch Unliebsamen«. Ann-Katrin Müller, Anna Sawerthal Einfach jetzt anfordern: Mail: [email protected] abo.spiegel.de/upgrade 51 Gesellschaft

»Das Martinsfest heißt jetzt Laternenumzug – wegen der Fremden, die zu uns kommen.« ‣S.54

2015 kommen auf einen Lehrer an einer deutschen Grundschule Früher war alles schlechter 16 Schüler. 1997 waren es 22. Nº 125: Schüler pro Lehrer QUELLE: KULTUSMINISTERKONFERENZ

2015: 2010: 2009: 2007: 2004: 1997: 16 17 18 19 20 22

Wenn das Frau Bohse wüsste. Anfang des Jahres veröffentlich- und Zentralasien sind es 18 und in Nordamerika 15. Am besten te die Bertelsmann-Stiftung eine Studie, der zufolge bis zum Jahr schneidet Norwegen ab (1:9), am schlechtesten die Zentralafrika- 2025 an den Grundschulen in Deutschland mindestens 35000 nische Republik (1:80). Diese Zahlen sagen nichts darüber aus, Lehrer fehlen. 35000, das klingt nicht gut. Man muss unweiger- wie viele Stunden die Kinder in der Schule verbringen und ob lich an seine eigene Schulzeit denken, Ende der Siebzigerjahre, sie dort genügend lernen. Sie dienen jedoch als Indikator für den 34 Kinder in der Klasse und eine Lehrerin, Frau Bohse, die alle Lebensstandard in einem Land. Je besser die Schulen personell Fächer unterrichtete; alle bis auf Religion – das hat der Rektor ausgestattet sind, desto höher ist er. In Deutschland sitzen im übernommen. Aber die Zeiten von Frau Bohse sind vorbei, Gott Schnitt 21 Kinder in einer Grundschulklasse, in Südkorea sind es sei Dank. Gab es 1997 in der Grundschule noch 22 Kinder pro mehr, trotzdem fordern bei uns Eltern- und Lehrerverbände Lehrer, waren es 2010 im Schnitt 17 und vor drei Jahren nur ständig kleinere Klassen. Dabei schneiden die Asiaten bei Ver- noch 16. Damit steht Deutschland im internationalen Vergleich gleichsarbeiten besser ab; im Lesen, Rechnen, Schreiben. Das natürlich mal wieder gut da: Im weltweiten Durchschnitt kom- hat vermutlich auch mit der Qualität der Lehrer zu tun. Aber das men auf einen Grundschullehrer knapp 24 Schüler, in Europa ist ein anderes Thema. [email protected]

Jäger und Sammler Wenn man nach Angebot und Nachfrage SPIEGEL: Und Mesut Özil? Gehören Panini-Sticker zu auf unserer Tauschbörse geht, ist der wert- Kuhn: Etwas hinter Messi, jedoch vor vollste Sticker momentan das Brasilien- Neymar. Deutschland, Herr Kuhn? Emblem in Glitzer, gefolgt von den rest- SPIEGEL: Ilkay Gündogan? lichen Glitzer-Stickern. Am beliebtesten Kuhn: Gündogan hat es leider nicht ins Stefan Kuhn, 43, Gründer der größten ist das Panini-Logo. Der beliebteste deut- Album geschafft. Panini sagt selbst, dass Online-Tauschbörse »Stickermanager«, sche Spieler ist Thomas Müller. die Fehlerquote bei etwa zwölf Prozent über das Sammeln von Panini-Stickern liegt – bestimmt wird es einen Nachdruck mit den fehlenden Spielern geben. SPIEGEL: Ein Päckchen Sticker kostet in SPIEGEL: Stimmt es, dass einige Sticker diesem Jahr 90 Cent. Vor vier Jahren seltener als andere sind? waren es noch 60. Das ist Abzocke, oder? Kuhn: Das ist die Gretchenfrage bei der Kuhn: Wenn man bedenkt, dass das ganzen Angelegenheit. Panini bestreitet Album 682 Sticker umfasst und man dafür das. Aber auf unserer Tauschbörse sind im günstigsten Fall Tütchen für rund 130 fast 200000 Nutzer angemeldet. Und Euro kaufen muss, ist das ein ziemlich anhand ihrer Daten sehen wir schon, dass kostspieliges Hobby geworden. Langsam die Glitzer-Sticker deutlich seltener zu ist schon eine Schmerzgrenze erreicht. sein scheinen. SPIEGEL: Welcher Sticker ist denn am SPIEGEL: Wer ist denn für das Mischen begehrtesten? der Päckchen zuständig? Kuhn: Man muss unterscheiden zwischen Kuhn: Eine Maschine namens Fifimatic.

den beliebtesten und den wertvollsten. / AFP BERTORELLO MARCO Das Wort hat Panini erfunden. MKE

52 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 se des englischen Fußballs. Sie waren dabei im Jahr 1902, als Eine Meldung und ihre Geschichte Trinity zu Hause auf eine Mannschaft traf, die sich gerade von Newton Heath in Manchester United umbenannt hatte. 4000 Männer, herausgeputzt mit Melonen und Jacketts, sa- Der britische HSV hen im »Northolme« zu, wie Trinity nur knapp verlor. Seither, so erzählt Richard Kane, sei die Geschichte seines Klubs eine fast endlose Aneinanderreihung aus vielen Nieder- Ein englischer Fußballverein steigt nach lagen und gelegentlichen, identitätsstiftenden Erfolgen. Da 145 Jahren zum ersten Mal ab. sei die Saison kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, als Bomben viele Häuser in Gainsborough zerstört hatten und Trinity es trotzdem in die erste Runde des FA Cups s lief die 67. Spielminute an einem Samstag im April, schaffte. Da sind die Jahre 1928, 1949 und 1967, als Trinity E dem vorletzten Spieltag der Conference North, der den Meisterpokal der Midland League nach Gainsborough sechsten englischen Fußballliga, als Richard Kane seine geholt hatte. Aber als »größten Triumph überhaupt« bezeich- Hände über dem Kopf zusammenschlug, hinter dem Tor net Kane die Tatsache, dass der Klub seinen Anhängern in seiner Mannschaft auf den Rasen sank und sich klein machte, 144 Jahren keinen einzigen Abstieg antun musste. als wollte er verschwinden. Der Gainsborough Trinity Andere Vereine kamen, wieder andere gingen zugrunde. Football Club musste gewinnen, um nicht abzusteigen, hatte Die Spielklasse, in der Trinity antrat, wurde mal umbenannt, aber gerade gegen den AFC Telford United eine Führung mal neu zusammengestellt, aber nie spielte Trinity gut genug, mit zwei Toren verspielt. Da spürte Kane, dass sein Verein, um in eine höhere Liga aufzusteigen, und immer wenn dessen ganze Geschichte nach einem einzigen großen der Abstieg schon nicht mehr zu vermeiden schien, gelang Fußballwunder klingt, dieses Mal kein Wunder erleben dem Klub doch noch wundersam die Rettung. Im würde. vergangenen Sommer, als am letzten Spieltag wieder mal Richard Kane, 51, Vorsitzen- der Abstieg in die siebte Liga der des Gainsborough Trinity drohte, half erneut ein Priester, FC, ein Mann mit perfekten der in seiner Robe die Seitenli- Zähnen und gestärktem Hemd- nie entlangschritt und den Ra- kragen, erzählt davon auf den sen mit Weihwasser besprenkel- Rängen von »The Northolme«, te. Nur dank seines Beistands, einem Stadion mit 504 Klapp- da sind sich Kane und andere sitzen und einem Eingangstor, Vereinsmitglieder einig, wurde von dem die blaue Vereinsfarbe der Abstieg im letzten Moment abblättert. Er berichtet vom verhindert. schwärzesten Tag in der Fuß- Bis zu diesem Jahr, als selbst ballgeschichte Gainsboroughs, die Kirche dem Gainsborough einer Kleinstadt mit knapp Trinity FC nicht mehr helfen 20 000 Einwohnern im Norden konnte, als gegen Telford United Englands, zwei Autostunden der Ausgleich fiel und Richard entfernt von Manchester. In Kane hinter dem Tor kniete, derselben Woche, in der der reglos, wie verstorben. Es ver- HSV nach 55 Jahren zum ersten gingen nur sieben Minuten, Mal aus der ersten deutschen dann musste er mitansehen, wie Bundesliga absteigt, spricht Trinity auch noch das dritte Tor

Kane von einem »zerschmet- JOHN RUDKIN kassierte, wie das Schicksal des ternden Ergebnis« und von ei- Gainsboroughs Schicksalsspiel Klubs endgültig besiegelt wur - nem »Gift«, das sein Verein zu de. Er kann heute nicht mehr ge- schlucken habe. nau sagen, woran er in diesen Den HSV, sagt er, kenne er Augenblicken dachte. Er grübel- nicht, aber was seien auch schon te wohl, wie es nun weitergehen 55 Jahre? »Trinity«, erzählt Ri- sollte, eine Liga tiefer und mit chard Kane, sei bis vor Kurzem Von der Website 11freunde.de weniger Einnahmen. Würden 144 Jahre lang nicht abgestiegen. Trinitys Fans noch immer zu al- Es war das Jahr 1873, auf dem britischen Thron saß Queen len Spielen kommen? Würden die Spieler dem Verein die Victoria, das Deutsche Kaiserreich war gerade erst entstan- Treue halten? den, aber in Deutschland gab es noch keinen einzigen Fuß- Als der Abpfiff ertönte, ging Kane nicht zu seinen Spielern, ballverein, als der Gainsborough Trinity FC gegründet wur- die kein Wort sagten, sondern direkt zu seinem Auto. Er war de. Börsencrash und Weltwirtschaftskrise hatten die Insel »am Boden zerstört«, so erzählt er, also fuhr er stundenlang in die Große Depression gestürzt, da wollte ein Pfarrer der durch die Stadt, vorbei an Feldern und an Backsteinhäusern, Holy Trinity Church die Menschen mit Sport von ihren Geld- bis er wieder klar denken konnte. sorgen und ihrem Leid ablenken. Er taufte den Klub unter Am Abend, die Trauer und Wut wich nur allmählich neu- dem Beinamen »The Recreationists«, die Erholungsuchen- em Mut, schrieb er auf seine Twitter-Seite, was nach Hoff- den, und tatsächlich kamen bald Menschen aus ganz Gains- nung und nach Phrasen klingt, aber was Fußballvereins- borough und der Umgebung zusammen, um für Trinity zu vorsitzende auf der ganzen Welt nach Abstiegen eben zu spielen oder die Mannschaft anzufeuern. sagen pflegen, sogar in Hamburg. Kane schrieb: »In it toge- Die ersten Fans waren Zeugen, wie der Klub Mitglied der ther«, alle im selben Boot, und: »We go again«, wir kommen Second Division wurde, der damals zweithöchsten Spielklas- wieder. Cathrin Schmiegel

53 Gesellschaft Das wird man ja wohl noch singen dürfen Verführung Die Rockband Frei.Wild füllt Deutschlands große Arenen. Ihre Lieder bedienen rechtes Gedankengut, manche sagen: Sie sind rechtsradikal. In jedem Fall klingen sie wie der Soundtrack zum Parteiprogramm der AfD. Ein Tourbericht von Maik Großekathöfer

rei Stunden vor dem Konzert Die Demonstranten rollen ein Banner Messe zu gehen. Burger meint, christliche liegt Philipp Burger in seiner Gar- aus, auf dem »Kein Bock auf Frei.Wild« Traditionen müssten bewahrt werden. D derobe auf dem Sofa, er guckt auf steht. Der Parteinachwuchs der Grünen Er kann die tobende Halle hören. Gut seinem Laptop eine Komödie, und der Linken hat zum Protest aufge - zwei Stunden Konzert liegen vor ihm, während draußen die Polizei anrückt. Sie rufen, und rund 200 Leute sind erschienen, 22 Songs. Burger bekreuzigt sich mit ge- fährt mit 13 Mannschaftswagen vor, weil ältere Damen, Studenten im Kapuzenpulli. schlossenen Augen, dann läuft er los. Das sich auf dem Parkplatz vor der Arena in Sie werfen der Gruppe vor, rassistisch zu Schlagzeug setzt ein. Bremen Demonstranten versammelt ha- sein und »Blut-und-Boden-Metaphern« zu Unser Wort als spitzes, scharfes Schwert ben, die Burgers Musik verabscheuen. Bur- verbreiten. Eine Frau mit runder Brille Biegt sich nicht, bricht nicht, nein es ger ist Sänger, Texter und Komponist der greift zum Megafon: »Frei.Wild macht wehrt Gruppe Frei.Wild. Ein Songtext lautet fol- rechtes Denken salonfähig!«, ruft sie. Sich voll Aggression … gendermaßen: Etwa hundert Meter entfernt steigt ein Die Evolution hat nach uns verlangt Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Mann aus seinem Auto. Er besucht zum Wollte keine Speichellecker Respekt vierten Mal ein Konzert von Frei.Wild. Als Sie wollte Rock-’n’-Roll-Vollstrecker. Vor den andersgläubigen Kindern er die Demonstranten sieht, fragt er: »Lie- Jede Show startet mit den Versen. Bur- Das ist das Land der Vollidioten ben diese Menschen ihre Heimat nicht? ger singt sie nicht, er grölt sie ins Mikrofon. Die denken, Heimatliebe ist gleich Haben die keine?« Entgegnet man ihm, Vor ihm tanzende, schwitzende Leiber. Staatsverrat dass sie gegen Nationalismus und Aus - Es sind Menschen wie Tine Schwan, die Wir sind keine Neonazis und keine Anar - länderfeindlichkeit protestieren, sagt er: 25 von 30 Urlaubstagen nutzt, um mit auf chisten »Frei.Wild ist nicht rechts. Ihre Lieder sind die Konzertreise zu gehen. Sie kommt aus Wir sind einfach gleich wie ihr ... von lebensbejahend. Also ich liebe meine Hei- dem Saarland und ist Vorsitzende des of- hier. mat, und ich bin weder links noch rechts. fiziellen Fanclubs, auf ihrem T-Shirt ist das Burger streckt die Beine aus, gähnt. Seit Ich habe im Prinzip auch nichts gegen Logo der Gruppe abgebildet: ein F und vier Tagen tourt die Band durch Deutsch- Flüchtlinge. Ich habe nur was dagegen, ein W, das aussieht wie ein Geweih. land, die Nächte sind kurz. Burger ist dass die morden und vergewaltigen.« Er Schwan ist 49 Jahre alt, sie arbeitet als In- 37 Jahre alt und Vater von zwei Töchtern, zeigt den Demonstranten den Mittelfinger formatikerin und findet, in Deutschland ein sportlicher Typ in Turnschuhen und und läuft hinüber zur Halle. laufe einiges schief. engen Hosen. Seine Schläfen sind kahl Das aktuelle Album der Band heißt »Ri- Sie sagt es so: »Unsere Kultur wird doch geschoren, das restliche Haar kämmt er valen und Rebellen«, es stieg auf Platz eins immer mehr an den Rand gedrängt. Durch mit reichlich Gel zur Seite. Er ist groß - in die Charts ein, in diesem Jahr hat sich die Globalisierung. Das Martinsfest heißt flächig tätowiert. Auf seiner Brust sind die bisher kein Album in Deutschland besser jetzt Laternenumzug – wegen der Frem- Wörter »Glaube, Liebe, Hoffnung« in die verkauft. Und das, obwohl kein ernst zu den, die zu uns kommen. Das geht doch Haut gestochen, unterhalb des Bauch - nehmender Radiosender ihre Lieder spielt. nicht. Die Musik von Frei.Wild bestätigt nabels steht »xtreme«. Ist er das, extrem? Frei.Wild ist umstritten und populär wie mich da.« Er hat den Film auf seinem Laptop an- keine zweite deutschsprachige Band. Für Tine Schwan und viele andere Fans, gehalten. Burger meint, »größere Arsch- Wenn man versuchen will zu verstehen, mit denen man spricht, ist Frei.Wild »Die löcher als die Antifa« gebe es kaum. Dann warum das so ist, wer diese Band ist und Band, die Wahrheit bringt«. So heißt ein holt er sich ein Bier aus dem Kühlschrank. wie ihr Publikum denkt, muss man mit ihr Song, der vor drei Jahren erschienen ist. Es ist ein gewittriger Freitag Mitte April. auf Tournee gehen, 14 Städte in 19 Tagen, Der Titel erinnert an den Slogan »Mut zur Vor der Halle wartet das Publikum auf Ein- sie haben nur die größten Hallen Deutsch- Wahrheit«, den die AfD auf ihre Plakate lass, knapp 10000 Leute werden es am lands gebucht, fast alle sind ausverkauft. druckt. Beide, Frei.Wild und AfD, locken Ende sein, ein solider Querschnitt durch Mehr als 135000 Menschen haben sich mit derselben Verheißung: Sie sind Pächter die Gesellschaft. Grau melierte Herren im ein Ticket gekauft. der Wahrheit in einer Umgebung voller Blouson sind dabei und Männer, die das Um 20.57 Uhr steht Philipp Burger in Lüge. Die Band liefert gewissermaßen den Bier aus Dosen trinken, auffallend hüb- Bremen hinter der Bühne und betet. Gott Soundtrack zum Parteiprogramm. sche Frauen, Mütter mit Teenager-Kindern stellt er sich dabei als alten Mann vor, der In ihren Liedern teilt Frei.Wild die Welt und Glatzen mit breitem Nacken. Auf den aussieht wie sein Großvater. Burger war in Gut und Böse, in »wir« und »die«. Wir, Parkplätzen stehen tiefergelegte Karren Ministrant, er hat den Jugendkatechismus das sind Menschen, die sich jeden Tag ab- neben SUVs. Es gibt keine einfachen Zu- der katholischen Kirche gelesen, und er rackern müssen, mit ihren Händen arbei- ordnungen bei diesem Publikum. versucht, dreimal im Monat in die heilige ten und meinen, keine Anerkennung zu

54 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 SVEN DÖRING / DER SPIEGEL SVEN Frei.Wild-Sänger Burger in Riesa: Heute wieder das große Gedeck

55 Gesellschaft bekommen. Die, das sind Politiker, Jour- zen einverstanden sind. »Ich nehme die Mit 18 trug er Glatze und Springerstie- nalisten, die Elite. Sorgen der einfachen Bürger wahr«, sagt fel, Burger war Neonazi-Skinhead gewor- Frei.Wild schreibt Lieder für Leute, bei Burger. »Rockmusik ist total linkslastig. den. Er lernte Gitarre und spielte in seiner denen sich offensichtlich etwas aufgestaut Wir passen nicht ins Schema, deswegen ersten Band, die »Kaiserjäger« hieß. Die hat, die darum ringen, wo sie herkommen kritisiert man uns. Unsere Lieder klingen Musik wurde zur Abspielfläche für seine und wer sie eigentlich sein wollen. Die et- nach Meinungsfreiheit. Zum Auftrag der Agenda. Er sang von »Negern«, von »Ju- was rauslassen wollen, das man nicht über- Kunst gehört, auch nonkonforme Themen gos« und »Gesindel«. Es gibt ein Foto aus all laut sagen darf, aber singen schon. Sei- anzusprechen. Deswegen mache ich Mu- jener Zeit, auf dem er den Arm zum Hit- nem Publikum bietet die Band ein einfa- sik.« Er drückt den Stummel in den ler-Gruß hebt. ches Identitätsangebot: die Rückkehr zu Aschenbecher und steigt die Treppe hoch Spricht man ihn darauf an, redet Burger Bekanntem und Bewährtem. ins Oberdeck. von einer »Jugendsünde«. Ich scheiß auf Gutmenschen, Moral- Seine Kabine dort ist ein mal zwei Die Gruppe löste sich Anfang 2001 auf, apostel Meter groß, er hat den Platz vorn links. nachdem bei einem Konzert eine Massen- Selbst ernannt, political correct Burger zieht den Verdunklungsvorhang prügelei ausgebrochen war. Der die Schwachen in die Ecke stellt zu, dann schläft er. Sieben Monate später stand Burger er- Und dem Rest die Ärsche leckt. Wer ist dieser Mann? neut im Proberaum, dieses Mal mit Jonas In München steigt Philipp Burger nachts Philipp Burger stammt aus Südtirol, wie Notdurfter, einem Automechaniker. Burger um zwei in den Tourbus, ein mobiles Hotel alle in der Band. Südtirol ist ein sonderba- schrieb jetzt Lieder über Saufen, Schläge- mit zwei Etagen. Unten die Lounge mit Smart-TV und Minibar, darin Sojamilch und drei Sorten Bier. Oben 16 Betten. Vor den Fenstern hängen Plissees. Burger lässt sich in einen Ledersessel fallen, schiebt ein Stück Gemüsepizza in den Mund, öffnet dann ein Bier mit dem Feuerzeug, zündet sich eine Zigarette an. Er hat eine unge- duldige Art zu rauchen. Wenn man ihn mit dem Vorwurf kon- frontiert, er lehne eine offene, moderne Gesellschaft ab, nimmt er einen energi- schen Zug, presst den Rauch durch die Nase und denkt ersichtlich etwas in der Art: heute wieder das große Gedeck. Er legt die Finger an die Schläfe und be- ginnt mit seiner Gegenrede. Er sagt, dass er »gewisse Parallelen« erkenne zwischen der Judenverfolgung und der Massen - dynamik, mit der Frei.Wild als radikal ab- gestempelt werde. »Das hatten wir schon: Wenn der Mensch nicht seinem Herz und seinem Verstand folgt, sondern in einen

Automatismus verfällt.« DÖRING / DER SPIEGEL SVEN Burger zündet sich die nächste Zigarette Frei.Wild-Fans in Hamburg: Lieder für Leute, bei denen sich etwas aufgestaut hat an. Er sei nicht rechts, sagt er, sondern konservativ. »Ich schätze die scheinbar gest- rigen Werte: Familie, Treue, Ehrlichkeit, rer Landstrich: Nach dem Ersten Welt- reien, Freundschaft. Kurz darauf kamen Jo- Tradition.« Es sind die Werte der Provinz. krieg fiel er an Italien, die Einwohner ha- chen Gargitter und Christian Föhre dazu, Dann ist er beim Thema Heimat. »Ich ben dafür gekämpft, die deutsche Sprache zwei gelernte Gärtner. Sie nannten sich Frei. könnte niemals aufhören, über Heimat zu und die regionale Kultur bewahren zu kön- Wild, weil sie so sein wollten: frei und wild. singen, sonst würde ich eine Depression nen – inklusive Schützenbund und Herz- Burger engagierte sich 2008 in Brixen kriegen«, sagt er. »Heimat bedeutet Frei- Jesu-Feuer. Hier ist Burgers Weltbild ent- bei den »Freiheitlichen«, einer Partei, die heit. Das Problem in Deutschland ist, dass standen. gegen Einwanderung und Überfremdung jeder, der stolz auf seine Heimat ist, sofort Er lebt in Brixen, einer mittelalterlichen kämpft. 2012 fiel der Name der Band bei als Rechter gilt.« Stadt am Rand der Dolomiten, 21000 Ein- einer Fernsehsendung zu den NSU-Mor- Man muss sich erst einmal sortieren bei wohner. Er wohnt etwas außerhalb auf ei- den. Ein Kenner rechtsextremer Subkul- dem, was jetzt hier im Bus unter der Decke nem Gehöft mit Stallungen. Bei der Erzie- turen mit dem Decknamen Thomas Kuban hängt. Hat er eben gesagt, dass er sich fühlt hung seiner Kinder lässt er »eine gewisse beschrieb Frei.Wild als neuartiges Phäno- wie ein entrechteter Jude, wenn man ihn Strenge« walten. men: Burger sei »der erste Rechtsrock- kritisiert? Sein Vater ist Vermessungstechniker, sei- star«, weil sein Wirken »auf keine Szene Man muss das wahrscheinlich so ver- ne Mutter Lehrerin. Als Kind lernte er beschränkt« sei, er erreiche auch das »bür- stehen. Frei.Wild ist, das soll hier einmal Blockflöte und ging zu den Pfadfindern, gerliche Spektrum«. klargestellt werden, keine Naziband, sie in den Ferien besserte er sein Taschengeld Burger hat ein Lied geschrieben, in dem sind nicht rechtsextrem. Aber Rechts- als Hofknecht auf. Mit 15 Jahren zog er in ein berühmtes Zitat von Joseph Goebbels populisten sind sie mit Sicherheit, sie be- ein Schülerheim, jeden Morgen betete er vorkommt, »Sturm brich los«. Mit diesen herrschen das Spiel mit dem Feuer. Und den Rosenkranz. All das erklärt nicht, wa- Worten schloss Goebbels seine Rede im man kann unterstellen, dass ihre Fans mit rum sein Leben irgendwann nach rechts Sportpalast, bei der er zum totalen Krieg Burgers Gedanken im Großen und Gan- abbog. aufrief.

56 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Für immer wild, für immer frei Café in die Sonne, da klingelt sein Handy, Der Vortrag könnte so ähnlich auch von Anker und Flügel unseres Lebens ein WhatsApp-Anruf. Heino ist dran. stammen, die rhetori- Frei von Ketten und mit vollem Stolz »Mensch, Heino«, ruft Burger ins Han- schen Mittel sind vergleichbar: Am Anfang dabei dy. Die beiden kennen sich seit Jahren. Sie stehen ein paar unverfängliche Sätze, dann Sturm brich los, und trag uns laut haben mal auf demselben Festival gespielt. folgt die Anklage und ein Referat darüber, voran. Heino hat neulich der nordrhein-west- was »die Leute« finden, und am Ende gern Burger sagt, es handle sich um einen Zu- fälischen Heimatministerin eine Platte ge- die Inszenierung als Opfer. fall; er kenne den Satz aus der Bibel. Das schenkt, »Die schönsten deutschen Hei- Die Frequenz ihrer Mutter strahlt nur muss nicht falsch sein, aber es bleibt eben mat- und Vaterlandslieder«. Auf der LP »wir schaffen das« auch ein Satz von Goebbels, und dieser befanden sich Stücke, die im Gesangsbuch Feuer auf dem Dach im Hause Ratlos, Satz bleibt ein Teil von Burgers Song. Das der SS standen. Unmut breitet sich aus ist das Einerseits. Er meldet sich bei Burger, weil er einen Doch statt die Sorgen zu löschen, gießt Das Andererseits ist: Vor jedem Kon- Song von Frei.Wild covern möchte, um an man Öl auf die Flammen … zert von Frei.Wild kontrolliert der Sicher- die alten Erfolge anzuknüpfen. »Ja, super«, Im Auge des Sturms heitsdienst beim Einlass die Zuschauer sagt Burger. Er schlägt vor, sich nach der Lässt man die Menschen allein auf rechtsextreme Zeichen und Symbole. Tour zu treffen, um die Details zu regeln. Im Auge des Sturms Trägt jemand einen Aufnäher mit Lorbeer- Als er nachmittags in seiner Garderobe Predigt man Wasser und säuft Wein. kranz und einer 88, der Chiffre für »Heil auf den Soundcheck wartet, liest er auf Zu den Konzerten kommen etwa genau- so viele Frauen wie Männer, sie sind Kran- kenschwester oder Bürokauffrau, Schlos- ser oder Steuerberater. Was sie nicht sind: Migranten. Bei den Konzerten entdeckt man niemanden, der so aussieht, als könn- te er einer sein. Wenn Philipp Burger über die Fans re- det, spricht er von der »Frei.Wild-Familie«. Das Publikum tritt aber nicht auf wie eine Familie, eher wie eine Armee. Fast alle tra- gen ein T-Shirt von Frei.Wild, fast immer ist es schwarz, darauf Sprüche wie »Gegen- gift« oder »Der Mittelfinger der Nation«. Tobias Fritz ist ein einigermaßen be- kanntes Mitglied dieser Armee. Er stammt aus Halle an der Saale und ist zum Konzert nach Leipzig gekommen. Im Oktober ist er verprügelt worden, weil er in einer Ja- cke der Band spazieren ging. Er weiß nicht mehr, wie viele Leute auf ihn losgegangen sind, fünf oder sechs müssen es gewesen sein. »Zecken«, sagt er. Sie haben ihm ei- nen Zahn ausgeschlagen und die Ohrringe

SVEN DÖRING / DER SPIEGEL SVEN rausgerissen, und als er sich am Boden Burger-Hände: Dreimal im Monat in die heilige Messe krümmte, haben sie ihn getreten. Tobias lag einen Tag lang auf der Intensivstation. Die Band hat den Überfall in einem Hitler«? Hat irgendwer eine Jacke der dem Handy einen Artikel über die Islam- Musikvideo nachgespielt, er passt gut zur Marke »Thor Steinar« an? debatte. Als er fertig ist, legt er das Handy Opferrolle, die Frei.Wild einnimmt. In Bei der Show in Hamburg feiert in der zur Seite, reibt sich mit der Hand durchs dem Lied, in dem die Band über sich selbst zweiten Reihe ein Mann, dessen rechter Gesicht, als würde er sich waschen, und singt, lautet ein Vers: »Von oben gejagt, Arm mit einem Eisernen Kreuz tätowiert hält einen Monolog über Angela Merkel. doch von unten gewollt.« ist, dem Reichsadler und dem Spruch Er sagt: »Ich frage mich, ob Merkel die Tobias sagt, Frei.Wild gebe jemandem »Gott mit uns«. Der Schlachtruf stand auf Grenzen auch geöffnet hätte, wenn sie wie ihm eine Stimme. dem Koppelschloss der Wehrmacht. Nach Mutter wäre. Was hätte sie geantwortet, Er macht im zweiten Jahr eine Lehre einer Weile entdeckt die Security den wenn ein Kind am Frühstückstisch zu ihr als Lackierer. Er sagt, sein Lohn reiche Mann, holt ihn nach vorn, schaut sich den gesagt hätte: Erklär mir mal, warum du kaum zum Leben, manchmal frage er sei- Arm an, unternimmt aber nichts. das machen willst? Wenn ich dem Kind nen Schwager, ob der ein Butterbrot für Burger wird später sagen: »Solche Kerle sage, du bist zu blöd, scher dich raus, dann ihn habe. Tobias formt mit den Händen wollen wir nicht sehen.« darfst du dich nicht wundern, dass es die Merkel-Raute. »Mutti interessiert das Es ist ein Spiel mit Widersprüchen und keinen Bock mehr auf dich hat. So ist es nicht. Ich meine: Wir sind doch auch noch Andeutungen. Es ist dasselbe Spiel, das vielen Leuten ergangen. Die möchten da. Uns hört niemand zu.« Bei der Bundes- Pegida bei seinen Demonstrationen spielt, nicht für blöd verkauft werden. Da kann tagswahl hat er eine Stimme der SPD ge- bei denen Israel-Fahnen neben Reichs- man sich hinterher nicht hinstellen und geben, die andere »einer Nebenpartei«. kriegsflaggen wehen. sagen: Wir haben hier 13 Prozent, die Genauer will er nicht werden. Am sechsten Tag der Tournee ist der Bus AfD gewählt haben, ihr seid alles Arsch- Wenn man Tobias und all den anderen, in Berlin angekommen. Burger lässt sich löcher, ihr seid alle nicht gebildet, ihr habt die nach Leipzig gekommen sind, dabei vormittags von einem Fahrer nach Frie- keine Weitsicht, habt kein Mitgefühl, ihr zusieht, mit welcher Kraft sie die Texte drichshain bringen. Er setzt sich in einem seid Pack.« mitsingen, bekommt man eine Vorstellung

57 Gesellschaft

Rede und von »Lynchmorden von Musli- men an Ungläubigen«. Klaus Farin, der Linke, der Flüchtlingsversteher, scheint sich wohlzufühlen. Du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen Denn deine Kinder werden später da - rauf bauen Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk. Philipp Burger ist ein Frühaufsteher, in Leipzig steigt er morgens um halb sieben aus dem Nightliner und telefoniert mit sei- ner Frau. Zum Frühstücken geht er in die Halle, wo die Roadies schon angefangen haben, die Bühne aufzubauen. Ein paar Stunden später läuft er in raum- greifenden Schritten durch die Arena, er sucht das Büro des Geschäftsführers. Bur-

SVEN DÖRING / DER SPIEGEL SVEN ger hat gerade erfahren, dass die Band vor Bandchef Burger im Tourbus: »Volkskrankheit Naziphobie« der Halle keine Fanartikel verkaufen soll, sie soll keine Zelte aufbauen, keine Plakate aufhängen und muss die Trucks im Hinter- davon, was in der Gesellschaft so vor sich nem Kümmerer-Gift«, von einer »Über- hof parken, wo sie keiner sieht. Der Be- geht. Ein Rockkonzert ist ja etwas anderes elite an Künstlern und Schreibern«. treiber des Sportforums befürchtet, die als ein Parteitag, Musik ist unverfänglicher. Einer der wenigen Journalisten, die er Antifa greife sonst mit Farbbeuteln an oder Wo bleiben die echt harten Eisen, die für fähig hält, ist Julian Reichelt, der Chef- werfe die Scheiben der Halle ein. »Sorgen des Volkes« heißen? redakteur der »Bild«. Reichelt ist wie Bur- Der Geschäftsführer steht vor dem Se- An denen sich tausende Tausende die ger ein Mann in permanentem Kampfmo- kretariat auf dem Flur. Als Burger ihn an- Zähne ausbeißen dus. Reichelt macht Schlagzeilen wie diese: spricht, umarmt der Mann sich selbst, als Ihr bleibt die Duckmäuser-Künstler, »Islamismus-Alarm an Grundschulen«. müsste er seinen Körper schützen. System-Marionetten Burger sagt: »Der Reichelt nennt die Din- »Was soll der Scheiß?«, fragt Burger. Die Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Mu- ge beim Namen.« »Wir sind doch keine Leprakranken.« sikerdeppen. Wäre Reichelt sein einziger Verbünde- »Leipzig ist eine Stadt für sich«, sagt der Morgens um zehn, der Tourbus fährt ter, dann wäre die Sache klar. Die beiden Geschäftsführer. über die A45 nach Oberhausen, erzählt gucken in mancher Beziehung ähnlich auf »Was ist das für ein Signal, wenn wir Burger einen Witz. »Was ist der Lieblings- die Welt. Aber so einfach ist es eben nicht. uns diesen Geisteskranken beugen? Wo stahl der Polen? Na? Der Diebstahl.« Er In Oberhausen geht die Tür zu Burgers sind wir denn? In Nordkorea? Wir sind findet das so komisch, dass man sein hei- Garderobe auf, und Klaus Farin betritt den kein Risiko für andere.« seres Lachen hört. Draußen zieht das Sau- Raum, ein 60-jähriger Mann mit schulter- »Meinen Sie.« Der Geschäftsführer sagt, erland vorbei. Burger redet über das Laich- langen Haaren und kleinem Bauch. Farin er habe sich intensiv mit der Band ausei - verhalten von Saiblingen, er ist begeister- hat das Archiv der Jugendkulturen mitge- nandergesetzt. Er halte es für sinnvoll, ter Angler, dann öffnet er am Rechner eine gründet und ist politischer Autor, er bezeich- draußen keine Ziele zu bieten. E-Mail von Peter Maffay. Es ist ein hand- net sich als »eher linksradikal«. Ende März Gegenüber von der Halle liegt eine geschriebener Brief, den Maffay einge- hat er eine Petition gegen die Ausgrenzung Tankstelle. Burger schickt jemanden hin, scannt hat. Er entschuldigt sich, dass er es von Flüchtlingen gestartet, als Antwort auf der fragen soll, ob sie den Merchandising- nicht zum Konzert schafft und wünscht die »Gemeinsame Erklärung 2018« von Uwe Truck dort abstellen dürfen. Der Tankwart noch eine gute Zeit auf Tour, »get rocking«. Tellkamp und Thilo Sarrazin. Farin hat ein will das nicht. Burger sagt: »Der Peter hat ein Gerech- Buch über Frei.Wild geschrieben, und darin Am Abend beginnt das Konzert um tigkeitsgen, genau wie ich.« Er hat Maffay hat der Linke den rechten Populisten einen 21 Uhr. Draußen, vor der Halle, ahnt man vor einigen Jahren geschrieben, weil er un- Thron gezimmert. Seitdem ist Farin so et- nichts davon, niemand ist zu sehen. Als bedingt mit der Band in Maffays Studio was wie Burgers gutes Gewissen. wären sie gar nicht da. Als wäre wirklich nach Tutzing wollte. »Der hätte uns nie Farin sagt: »Die sind halt konservativ alles halb so schlimm. Aber das stimmt reingelassen, wenn er dieselben Vorbehal- und sozialkritisch. Die machen Deutsch- nicht. Man muss nur hinhören. te hätte wie alle anderen.« rock. Nicht so einen Disco-Scheiß – lang- So verteilen sich unsere Klänge Wer Burger oder seine Musik angreift, weilig und inhaltslos.« Wenn man das gan- Von Ost nach West, von Nord nach Süden dem antwortet er gern auf Facebook. Man ze Popgeschäft betrachte, sei das ein Fort- Und nur die Sterne allein sind Zeugen bekommt dort ganz gute Einblicke, was er schritt. Es gebe zwar eine Textpassage, die Dass sie uns verführten. so über die Welt denkt. er für völkisch halte, »aber ich respektiere, Er schreibt vom »verdammt erbärm- wenn die Gruppe mir da widerspricht«. lichen linksradikalen Abschaum«, den Auf einem Tisch in der Garderobe steht Video Im Tourbus Deutschland selbst gezüchtet habe, »gra- eine Flasche Rotwein. »Ein Gläschen, mit Frei.Wild tuliere, deutscher Rechtsstaat«. Er schreibt Klaus?«, fragt Burger. spiegel.de/sp212018freiwild von der »Volkskrankheit der nicht mehr Sie reden dann über Flüchtlinge, im Ver- oder in der App DER SPIEGEL nachvollziehbaren Naziphobie«, von »grü- lauf des Gesprächs ist von der Scharia die

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Zeremonien Am 14. Mai wurde in Israel aus ein und demselben Grund gefeiert, gestorben, gelacht, geweint und getötet. Eine junge israelische Sängerin sang das Lied dazu. Von Alexander Osang

ls Hagit Yaso die Bühne in Jeru- der Bühne. David Friedman, der Botschaf- Zeit auf einem Stuhl neben der Bühne und salem betrat, vermeldeten die ter der USA in Israel, begrüßte ein Publi- lächelte wie ein Kind auf seiner eigenen A Agenturen gerade den 39. Toten kum, das aussah wie eine Mischung aus Geburtstagsparty. des Tages im Gazastreifen. Aber Evangelistenversammlung und Zionisten- Jetzt stand er am Pult, um das Kultur- davon wusste sie nichts. Sie war in der kongress. Ein Rabbi aus New York und ein programm anzusagen. Eine Sängerin, die Nacht zuvor von einem Auftritt in Wien Baptistenprediger aus Dallas sprachen den er sich persönlich ausgesucht hatte. Hagit angereist, sie hatte in einem Hotel in Jeru- Segen. Es war viel von Frieden die Rede Yaso. salem geschlafen und war von dort direkt und viel von Unendlichkeit. Friedman hatte sie im Frühjahr auf einer in den Stadtteil Arnona gefahren worden, Dann enthüllte Ivanka Trump das neue Veranstaltung in Jerusalem erlebt. Er hatte in dem die Botschaft der Vereinigten Staa- Namensschild der amerikanischen Bot- sie zu einem Casting in seine Botschaft ein- ten eröffnet wurde. Zu Hause in Sderot schaft. Es ist die erste amerikanische Bot- geladen. Hagit Yaso hatte 2011 einen popu- hätte sie die Schüsse natürlich gehört. Der schaft in Jerusalem. Entsprechend groß lären Gesangswettbewerb im israelischen Grenzzaun ist nur etwa einen Kilometer war die Aufregung. Die Mehrheit der Uno- Fernsehen gewonnen. Sie wirkte wie ein be- von ihrem Haus entfernt. Aber das hier Mitglieder kritisierte den symbolischen scheidener, stiller Star. Vor allem aber stimm- war eine andere Welt. Jerusalem war mit Akt, ein Großteil der Welt blieb der Eröff- te ihre Geschichte. Und die erzählte David amerikanischen und israelischen Flaggen nung fern, in Gaza rannten Menschen in Friedman nun seinen Gästen. Es begann wie behängt, das Viertel war abgeriegelt, als den Tod, um daran zu erinnern, dass ihre eine Lesung aus der Heiligen Schrift. würde der Messias noch heute erwartet. Familien vor 70 Jahren aus ihrer Heimat »Im Jahr 1980 heiratete ein jüdischer Es gab eine kurze Probe, dann wurden die vertrieben worden waren, zu der sie auch Mann im Alter von 18 eine jüdische Frau Gäste eingelassen und platziert. Hagit Jerusalem zählen. von 17 Jahren in Äthiopien. Noch in dieser Yaso wartete mit ihrer Band hinter der Es war der 70. Jahrestag der Staatsgrün- Nacht verließ das Paar das Land und be- Bühne auf ihren Auftritt. Sie bekam nicht dung Israels. Auch das. gab sich auf eine lange Wanderung durch mit, wie sie in Gaza die Toten zählten. »Herzlich willkommen in der Botschaft die Wüste, bis es den Sudan erreichte. Es wurde der blutigste Tag der vergange- der Vereinigten Staaten, hier in Jerusalem, Dort wurden die beiden auf ein entlegenes nen Jahre. Aber es war auch der größte der Hauptstadt Israels«, rief Ivanka Flugfeld geführt und von einem israeli- Auftritt im Leben von Hagit Yaso. Zu- Trump. schen Militärflugzeug nach Israel geflogen. nächst stand nur ein weißes Keyboard auf »Danke, Ivanka«, sagte David Friedman. Solcherart gerettet, ließen sie sich in der Friedman hat jahrelang als Insolvenz- Stadt Sderot nieder, an der Peripherie von Die Bilder zu diesem Text sind einerseits Screenshots anwalt für Donald Trump gearbeitet und Gaza. Jahre später wurde sie dort von an- aus Sendungen des israelischen Nachrichtensenders i24news; sie zeigen Szenen von der Eröffnungsfeier wurde sofort zum Botschafter in Israel be- fliegenden Raketen geschützt, durch die der US-Botschaft in Jerusalem (Seite 60: mit Israels rufen, als Trump Präsident war. David ›Eiserne Kuppel‹, ein israelisches Raketen- Regierungschef Benjamin Netanyahu und den US-Gäs- Friedman hatte vor allem ein Ziel: Er woll- abwehrsystem, das die Vereinigten Staaten ten Jared Kushner und Ivanka Trump, Seiten 61, 62: te, dass die Botschaft Amerikas von Tel finanziert haben.« Sängerin Hagit Yaso). Andererseits Fotos von gewalt- samen Auseinandersetzungen im Gazastreifen und im Aviv nach Jerusalem verlegt wird. Er saß Es war seine Weltsicht in fünf Sätzen. Westjordanland. während der Eröffnungsfeier die meiste Darum ging es heute. Herkunft, Glauben,

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Freundschaft, Land, Wehrhaftigkeit. Dafür Der Song benötigte viele weitere Jahre Sie machte ihm eine Liste. wurde an diesem Tag gefeiert und gestor- und Interpreten, um berühmt zu werden. »Killing Me Softly« von Roberta Flack. ben. Aber noch war David Friedman nicht Er wirkt leicht und schwer zugleich, düster »Aïcha« von Khaled. fertig. und hoffnungsvoll. Am Anfang des Liedes »If I Ain’t Got You« von Alicia Keys. »Eine ihrer Töchter wurde eine erfolg- gibt es eine komische Passage, die einem Und eben: »Hallelujah«. reiche Sängerin, und sie ist heute hier bei musikalisch nicht so begabten Zuhörer die Friedman entschied sich sofort für »Hal- uns. Um ›Hallelujah‹ zu singen. Das große Struktur des Songs erklärt. lelujah«. Vielleicht mochte er einfach das Wort des Segens, geschaffen von König »Now I’ve heard there was a secret Wort. Vielleicht auch das Lied, in irgendei- David, dem ersten jüdischen König Israels. chord ner seiner unzähligen Fassungen. Es gibt Ver- Begrüßen Sie Hagit Yaso.« That David played and it pleased the sionen von Bob Dylan, von John Cale, Rufus Die junge Frau, die die Bühne betrat, Lord« Wainright und eine wunderbare von Jeff sah erstaunlich fragil aus, nach dieser An- Ganz vorn in der ersten Reihe saßen Buckley. Und nun gibt es auch noch die von kündigung. Hagit Yaso ist 28 Jahre alt, sie Ivanka Trump, Jared Kushner, Benjamin Hagit Yaso. Leonard Cohen befand am Ende hat zwei Jahre lang in der israelischen Netanyahu und seine Frau sowie ein seines Lebens: »Es ist ein gutes Lied, aber Armee gedient, sie ist im ganzen Land Mann mit einem Haarschnitt, der vom es wird von zu vielen Leuten gesungen.« bekannt. Aber jetzt wirkte sie jünger. Viel- gleichen Friseur gemacht zu sein schien Das hat David Friedman nicht beein- leicht hatte man auch nur die energie ge - wie der des Präsidenten Trump. Das war druckt. Er hat sich das Lied genommen, so ladene Frau im Kopf, die zwei Näch- Sheldon Adelson, 84-jähriger Casi- wie er sich die Sängerin nahm, deren Ge- te zuvor den Eurovision Song Con- no-Milliardär aus Las Vegas, der schichte und die ganze Stadt. Jerusalem. test für Israel gewonnen hatte. Ihre viele Millionen Dollar für Trumps »Hagit«, sagte Friedman am Ende. Botschaft: I Am Not Your Toy. You Wahlkampf spendiert und ange - »Danke, das war schön.« Stupid Boy. Hagit Yaso erschien in boten hatte, die neue Botschaft mit- Inzwischen gab es 41 Tote in Gaza. diesem Moment wie das Gegenteil zufinanzieren. Kein Würdenträger, Dann kamen weitere Reden, am Ende von Netta. Ein Spielzeug. kein Politiker – ein Mann mit die von Benjamin Netanyahu, der die Und dann war da der Song. »Hal- Kohle. längs te und die mitreißendste hielt. Er hat- lelujah«. »But you don’t really care for mu- te die ganze Zeit gestrahlt, nun entlud sich Leonard Cohen hat ihn geschrie- Nahost- sic, do you?«, sang Hagit Yaso ins seine Freude. Er platzte fast aus seinem ben. In einem seiner letzten Gesprä- krise Gesicht der Honoratioren. Aber es Anzug vor Stolz und Kraft. che hat er mit David Remnick vom waren Cohens Worte. Hagit spricht »Wir haben keine besseren Freunde auf »New Yorker« über sein Leben ge- kein Englisch. der Welt als die Vereinigten Staaten«, rief redet, auch über jenes Lied. Er erzählte, Hinter ihr auf der Videoleinwand, die er. »Was für ein glorreicher Tag. Das ist dass ihn Bob Dylan einst gefragt hatte, wie in den Farben der amerikanischen Fahne ein großer Tag für Israel. Für Amerika. lange er an »Hallelujah« gearbeitet hätte. gerahmt war, tobten Wolken. Es war eine Aber es ist auch ein großer Tag für den Sie waren in Paris, zwei amerikanische himmlische Perspektive. Gott sah zu. Frieden. Gott schütze Jerusalem. Die ewi- Sänger in Europa. »And love is not a victory march. It’s a ge, ungeteilte Hauptstadt Israels.« »Zwei Jahre«, sagte Cohen. cold and it’s a broken Hallelujah«, sang Dann kam Hagit Yaso noch einmal für Es war eine Lüge. Er habe es nicht Hagit. ein Schlusslied auf die Bühne, »Od Javo fertiggebracht, dem Schnellschreiber Vielleicht fragte sich David Friedman Schalom Aleinu«. Der Frieden wird zu uns Dylan zu gestehen, dass er für »Hallelu- auf seinem Kindergeburtstagsstuhl, ob es kommen. Sie sang es in Arabisch, Hebrä- jah« fünf Jahre gebraucht hatte. Er schrieb das richtige Lied war. Er hatte Hagit ge- isch und Englisch. Ein Beschwörungslied und schrieb, nichts passte zusammen. fragt, welche internationalen Songs sie im für den Frieden in Israel. Aber das Sterben Manchmal fand er sich in Unterwäsche Repertoire habe. Es würden ja viele ame- in Gaza war noch nicht zu Ende. auf dem Boden eines Hotelzimmers wie- rikanische Gäste im Publikum sein. Und 50 Tote jetzt, schrieben die Agen - der und schlug, verzweifelt über seine Hunderte Millionen in der Welt würden turen. Unzulänglichkeit, den Kopf auf den Fuß- zuschauen. Hagit singt normalerweise vor Hagit Yaso dachte, dass es nach der Feier boden. allem jüdische Lieder, viele religiöse. vielleicht Gelegenheit geben würde, dem

61 Gesellschaft ABBAS MOMANI / AFP ABBAS einen oder anderen die Hand zu schütteln vier Geschwister leben hier, ihr ältester zeigt den kleinen Spielplatz am Ende ihrer und ein Erinnerungsfoto zu machen, aber Bruder lebt als Geschäftsmann in Miami. Straße, auf dem es eine große, bunte Be- alle brachen sehr schnell auf. Und so pack- Sie haben zwei Schutzräume im Haus. Ha- tonschlange gibt, in die sich die spielenden ten sie und ihre Bandkollegen ihre Sachen git Yaso aber schlief in der Nacht nach der Kinder bei einem Raketenangriff aus Gaza zusammen und gingen ebenfalls. Auf dem Botschaftseröffnung in ihrem Zimmer. Sie flüchten müssen. In Tel Aviv habe man Weg zu ihrem Auto traf sie zufällig Jared war froh, nach der langen Reise endlich eine Minute Zeit, um es vom Ertönen der Kushner, der sich freundlich bei ihr bedank- wieder zu Hause zu sein. Abends im Bett Sirene bis zum nächsten Bunker zu schaf- te. Ein netter Mann. Das sagen alle. las sie noch die Nachrichten, die ihr Freun- fen. Dann schlägt die Rakete ein. Hagits Eltern warteten draußen auf sie. de geschickt hatten. Es waren sehr viele. »Wir haben nur 15 Sekunden«, sagt sie. Es sind die beiden Menschen aus der Bot- Es gab auch die ersten Anfragen für Auf- »Wir sind so dicht dran.« schafterrede, die 1980 in ihrer Hochzeits- tritte in Israel und in den USA. Sie fühlte Es ist ihre Heimat. Ein Land, das ihren nacht aus Äthiopien ins gelobte Land auf- sich ein wenig wie damals 2011, am Abend Eltern Zuflucht bot, für das sie durch die gebrochen waren. Der Botschafter hatte nach dem Sieg beim Talentwettbewerb, Wüste gingen. Zwei junge, sephardische sie zur Eröffnungsparty eingeladen. Sie der ihr Leben verändern sollte. Es würde Juden, die sich in ihrer Hochzeitsnacht auf waren auch schon in Shimon Peres’ Resi- einen weiteren Schub geben. den Weg ins Gelobte Land machten und denz zu Gast, nachdem ihre Tochter den Sie schlief gut. Am Morgen schien die nun zum Teil der Erzählung ihres Volkes Talentwettbewerb im Fernsehen gewon- Sonne. Alles war ruhig. geworden sind, das so lange auf der Flucht nen hatte, um mit dem damaligen Präsi- Hagit Yaso fuhr ins nahe Netivot, um gewesen ist. denten ihre Immigrationserfahrungen zu zu beten. Der Glaube sei ihr wichtig, sagt Hagit war zweimal in Äthiopien. Sie diskutieren. sie. In ihrem Wohnzimmer hängt ein Por- mochte es. Die Leute, die Bescheidenheit, Die drei fuhren zusammen nach Hause, trät von Ovadia Josef, dem verstorbenen die Prioritäten. Sie hat, glaubt sie, auch et- nach Sderot. Nun erreichten die Nachrich- spirituellen Oberhaupt der Schas-Partei, was über sich gelernt. Ihre äthiopische Sei- ten von den Kämpfen in Gaza auch Hagit einer ultraorthodoxen israelischen Partei. te. Einmal ist sie aufgetreten dort. Einmal Yaso. Sie erschütterten sie nicht. Sie ist Die Familie versammelt sich jeden Freitag- war sie mit ihrem Vater in dessen Dorf, mit diesen Nachrichten groß geworden, abend, um gemeinsam Schabbat zu feiern. um nach den Wurzeln ihrer Familie zu su- sagt sie. Sie lebt ja seit 28 Jahren in Sderot. Mittags sitzt Hagit mit ihrer kleinen chen. Ihr Vater war Schäfer in Äthiopien, Die Stadt wird die Welthauptstadt der Schwester im Wohnzimmer. Die Jalousien in Israel hat er dann in einer Fabrik gear- Luftschutzbunker genannt, weil es dort sind heruntergelassen. Es ist ganz still. Es beitet. Er war die ganze Zeit unruhig, als so viele davon gibt. Hagit hat drei Gaza- ist ein schmuckloser, sehr sauberer Raum. sie dort waren. Die Angst von damals kam kriege hier erlebt. Den ersten sogar als Der Fußboden gefliest, die Möbel eier - wohl zurück. Soldatin. 2008 war sie an der Operation schalenfarben, an den Wänden ein paar »Man weiß, was man hier hat, wenn »Gegossenes Blei« beteiligt. Es waren die reli giöse Sinnsprüche. man von dort kommt«, sagt sie. schlimms ten Luftangriffe seit dem Sechs- Was glaubt sie, wird passieren? Wie Gestern war der 70. Jahrestag der tagekrieg. wird der Auftritt in der Botschaft ihr Leben Staatsgründung Israels, heute ist Nakba- Da war sie 19 Jahre alt. verändern? Tag. Der eine Tag bedeutet ihr etwas, der »Es wird schlimmer, und dann wird es Sie lächelt. Sie weiß es nicht. Und sie andere nicht. Sie steht hier in Sderot zwi- auch immer wieder besser«, sagt sie. weiß auch nicht, ob sie will, dass sich da- schen diesen beiden gigantischen Tagen Als sie ihrem Heimatort näher kamen, durch etwas ändert. in der Geschichte dieses Landes. Am hell- sahen sie die Rauchwolken, die in Gaza in Sie habe lange überlegt, ob sie wirklich blauen Himmel Richtung Westen sieht den Himmel stiegen. Am Ende würden 60 an der Botschaftseröffnung teilnehmen sol- man ganz leichte, graue Wölkchen aufstei- Menschen gestorben sein. Über 2000 ver- le, nachdem ihr David Friedman gesagt gen. Die letzten Feuer von Gaza. Sie be- letzt, viele von ihnen schwer. Die Nach- hatte, es würden Hunderte Millionen da- trauern heute die Toten und versorgen die barn beglückwünschten Hagit zu ihrem bei zuschauen. Verletzten. Es ist ruhig. Am nächsten Tag Auftritt an diesem Tag. Viele kündigten Sie wüsste nicht, ob sie stark genug sei, aber, wird Sderot von Maschinengeweh- an, dass sie die Nacht lieber in ihren sagt sie. ren der Hamas beschossen, die israelische Bunkern verbringen würden. Einen Zu- Sie war in jedem Fall sehr froh, als Do- Armee antwortet mit Luftangriffen auf sammenhang zwischen der Botschafts - nald Trump seinen Besuch abgesagt hatte. Gaza. eröffnung und dem Bettenmachen in Luft- Sie mag Trump, sagt Hagit Yaso. Nicht, Hagit Yaso geht aufrecht durch die ge- schutzräumen sahen die meisten nicht. dass man sie falsch verstehe. Sie mag Män- putzte kleine Stadt an der Grenze zum Das Haus von Hagits Familie steht in ner, die zu ihrem Wort stehen, sagt sie. Leid. Zerbrechlicher kann ein Auftritt einem modernen Wohnviertel. Sie sind Vielleicht ahnt sie, dass es schwer ist, nicht sein. Sie war die perfekte Wahl. vor fünf Jahren eingezogen. Zwei ihrer ihr da zu folgen. Aber sie sagt es nicht. Sie

62 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 So ungern ich das zugebe, sosehr ich das als Kind gehasst habe, sosehr ich weiß, dass es falsch war, wie er sich benom- 180 Puls men hat: Ich bewundere meinen Vater, ein andalusischer Zie- genhirte, der von Erziehungstheorie keine Ahnung hatte und Homestory Warum der Spagat zwischen Pestalozzi vermutlich bis heute für ein Düngemittel hält. Mein Vater hat nie getobt, nie geschrien. Er kontrollierte autoritärer und politisch korrekter uns mit seinen Blicken. Prügelten wir drei uns in unserem Erziehung manchmal einfach zu groß ist Kinderzimmer (ja, wir hatten ein Zimmer für drei, und, nein, mir sind keine bleibenden Schäden bekannt), stand er irgend- wann in der Tür und fragte in einem Ton, den ich später bei weimal im Jahr steigen meine Familie und ich in ein Christoph Waltz in einer seiner fiesen Rollen wiederentdeck- Z Flugzeug. Es ist immer dieselbe Flugnummer. Ryanair, te: »Darf ich mitmachen?« Der Gedanke löste Panik bei uns FR 2529. Start in Berlin-Schönefeld irgendwann am aus. Abend, Ankunft in Madrid gegen Mitternacht. Wir sind sechs. Dabei kann ich mich nicht erinnern, dass er uns jemals ge- Zwei Erwachsene, vier Kinder. schlagen hätte. Die Vorstellung, er könnte es tun, reichte. Ich Vielleicht sollte man gleich klarstellen: Ich weiß, dass wir weiß, dass eine gute Beziehung zwischen Vater und Kind für alle anderen Fluggäste der Horror sind. Wenn Ryanair nicht auf Angst basieren kann. Ich weiß aber auch, dass ich mir schreiben würde – »Lieber Herr Moreno, nehmen Sie es nicht viermal die Woche eine Dreiviertelstunde vor der Kita uns nicht übel, aber Ihre Familie ist eine verfluchte Plage. stehen kann. Könnten Sie künftig bitte Easyjet fliegen?« –, ich würde das Ich wusste immer, dass mein Vater mich liebt, irgendwie verstehen. ahnte ich auch, dass er sich für jeden von uns vor ein Auto Meine jüngste Tochter ist zwei und liebt es, mit den Füßen werfen würde, um uns zu retten. Aber wir hatten dennoch gegen den Vordersitz zu treten. Sie hält das drei Stunden absolut keine Lust, unsere Grenzen auszuloten. Er war immer durch. Verbiete ich es ihr, kriegt sie einen Schreikrampf. Der sehr streng, sehr fordernd, dabei aber immer gerecht und Vordermann kann sich entscheiden: Rückenschaden oder ehrlich. Nicht so schlecht für einen andalusischen Ziegen - Tinnitus. hirten. Meine andere Tochter ist vier. Ihr schlägt die Fliegerei auf Ich hingegen versage regelmäßig. Ich schreie, ich brülle. den Darm. Anders ausgedrückt: Sie pupst, ohne Unterlass, Das sind meine letzten Mittel. Außer natürlich im Flugzeug. kein Witz. Der Zweitältesten wird traditionell schlecht. Denn die gleichen Leute, die meine Kinder am liebsten direkt Spätestens über Frankreich hat sie alle verfügbaren Spucktüten gefüllt. Die Äl- teste, in der Blüte ihrer Pubertät, sitzt grundsätzlich genervt mit Kopfhörer im Flieger. Sie ignoriert uns und hofft, dass andere Gäste sie nicht mit uns in Ver- bindung bringen. Die eine tritt, die andere pupst, die dritte kotzt, und die vierte schmollt, und alle streiten ununterbrochen. Um den Fensterplatz, die Kopfhörer, das Stofftier, die Wasserflasche, über den Alpen absetzen würden, würden niemals akzeptie- um alles. Es ist, als würde der SPD-Vorstand verreisen. ren, wenn ich laut würde. Jeder Wutanfall meiner Tochter Ich weiß nicht, was ich in diesen Momenten tun soll. Ich verwandelt sich in diesem verdammten Madrid-Flieger zu bin in Spanien geboren und habe eine südspanische Erzie- einem Charaktertest für mich. Die Jury, das sind die Leute hung aus den Siebzigerjahren genossen. Meine deutsche Frau im Flugzeug. Erwartet wird eine souveräne, pädagogisch ver- sagt, dass ich »’ne totale andalusische Erziehungsklatsche« nünftige Reaktion. Ruhig sollte man bleiben. Das Kind als habe. Ich sei viel zu streng. In Berlin-Prenzlauer Berg, wo gleichwertigen Gesprächspartner akzeptieren. wir wohnen, würden einige meiner Ansagen als Kindesmiss- Alles schön. Alles richtig. Ich versuche das ja auch manch- handlung durchgehen. Sagt meine Frau. mal, aber immer passiert das Gleiche. Kaum mache ich auf Meine Älteste musste Teile ihres Skiurlaubs, den sie mit Prenzlauer-Berg-Pädagogik, fange an zu erklären, warum einer Freundin und deren Eltern verbracht hat, von ihrem man jetzt nicht treten darf oder pupsen sollte, weil wir doch Ersparten bezahlen. Der anderen habe ich das Taschengeld jetzt im Flugzeug sind und die anderen Leute nicht stören gekürzt, weil sie das Licht in ihrem Zimmer brennen ließ. wollen, merken meine Kinder, dass irgendwas nicht stimmt. Die Kleinen bestimmen selbstverständlich nicht, was sie an- Ich schwöre: Sogar meine Zweijährige merkt das. Dann tritt ziehen und auch nicht, wann sie schlafen gehen. »Lauras sie nur noch fester gegen den Vordersitz. Stern« gucken sie, wenn ich das erlaube. Wenn sie keine Lust Es macht mich so hilflos, das kann ich gar nicht beschrei- auf Gemüse haben, haben sie auch keine Lust auf Grießpud- ben. Ich sitze da und habe 180 Puls. ding mit Zimt. Ein Geschenk zum Geburtstag reicht, gern Manchmal frage ich mich, ob sich so viele deutsche Fami- vom Flohmarkt. lien einen Hund anschaffen, weil der Vater wenigstens einen Für den Prenzlauer Berg bin ich so eine Art Ceaușescu im Haus haben will, der auf ihn hört. der Kindererziehung. Als wir beim letzten Mal in Madrid angekommen waren, Vergangene Woche stand vor der Kita meiner Tochter ein setzte sich meine Vierjährige aufs Gepäckband und wollte Vater 45 Minuten lang vor dem Eingang. Sein Sohn weigerte darauf eine Runde drehen. Ich konnte endlich wieder laut sich reinzugehen. Die Erzieherin sagte, dass dies zuletzt oft werden, wir waren ja raus aus dem Flugzeug. Sie stand auf, passiert sei. »Ihr Kind soll ohne das Wort ›Nein‹ aufwachsen«, lächelte mich an und sagte: »Papa, jetzt geht es dir wieder sagte die Erzieherin. gut, oder?« Juan Moreno

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»Deutschland hat etwa tausend mittelständische Weltmarktführer, an die wollen die Chinesen ran.« ‣S.68

Flüchtlinge in Lager in der Türkei SEDAT SUNA / PICTURE ALLIANCE / DPA SUNA / PICTURE SEDAT

Haushalt Hohe Belastung durch Flüchtlingspolitik Mit 70 Milliarden Euro Kosten rechnet die Regierung für den Bund bis zum Jahr 2022.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) rechnet bis 2022 Bekämpfung von Fluchtursachen in den betroffenen Län- mit Kosten für die Flüchtlingspolitik in Höhe von rund dern, die mit 31 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Für Sozial- 70 Milliarden Euro allein für den Bund. Das geht aus einer transfers an Flüchtlinge stehen knapp 21 Milliarden Euro Unterlage des Bundesfinanzministeriums zur mittelfristigen bereit. Für Integrationsleistungen, also zum Beispiel Sprach- Finanzplanung hervor. Noch nicht eingerechnet sind 8 Mil - kurse, stellt Scholz 13 Milliarden Euro zur Verfügung. Die liarden Euro, die laut Koalitionsvertrag bis 2021 vom Bund Aufnahme, Registrierung und Unterbringung von Flücht - an Länder und Kommunen als Entlastung für deren Kosten lingen kostet 5,2 Milliarden Euro. »Im Jahr 2018 unterstellt überwiesen werden sollen, deren Aufteilung aber noch nicht die Bundesregierung einen Migrationssaldo von 200000 als feststeht. Die Gesamtbelastung des Bundeshaushalts sum- technische Annahme«, heißt es in dem Papier. Bis 2022 wer- miert sich im Finanzplanungszeitraum also auf rund 78 Mil - de die Zahl auf 150000 sinken. »Eine explizite Annahme zur liarden Euro. Größter Posten ist laut der Aufstellung die Asylmigration wird nicht mehr getroffen.« REI

Luftfahrt Das Unternehmen mit Sitz in Hongkong 40 Tage. Easyjet sagt, dass man die Ergeb- Hält Easyjet Kunden hin? analysierte 28000 Schadensersatzforde- nisse der Airhelp-Analyse nicht anerkenne. rungen gegen die Billiglinie; bei diesen Fäl- Man nehme die Fluggastrechte »sehr Die britische Fluglinie Easyjet bearbeitet len seien in weniger als zwei Prozent der ernst«. Passagiere, die ein auf der Easyjet- Passagierbeschwerden nach Angaben des Anfragen Entschädigungen an die Passa- Website vorhandenes Formular verwende- Fluggastrechteportals Airhelp sehr lang- giere ausgezahlt worden, ohne dass diese ten, erhielten bei gültigen Ansprüchen in sam, sie halte ihre Kunden hin und reagie- juristische Hilfe brauchten. Auch die Be - weniger als 21 Tagen eine Antwort. Bei re fast nur bei Druck durch einen Rechts - arbeitungszeit ist laut Airhelp lang, eine Organisationen wie Airhelp verlören Pas- anwalt. Airhelp will seit 2014 von Easyjet Antwort der Airline komme erst nach sagiere »einen wesentlichen Teil ihrer Ent- mehr als 1,8 Millionen Euro an Entschädi- etwa 80 Tagen; wurde ein Anwalt hinzuge- schädigung unnötig«. Zudem sei Easyjet gungen für Passagiere eingetrieben haben. zogen, sank sie in der Stichprobe auf rund Mitglied der Schlichtungsstelle SÖP. MUM

66 Atomausstieg Griechenlandkrise ten auch die Unterstützungszahlungen EU-Kommission IWF vor dem Ausstieg des europäischen Rettungsschirms ESM und die bilateralen Hilfskredite hilft Deutschland Das aktuelle Rettungsprogramm für einbezogen werden, die Mitgliedslän- Griechenland wird wohl ohne finan- der Griechenland zu Beginn der Krise Die Bundesregierung hat gute Chan- zielle Beteiligung des Internationalen gewährt hatten, so forderten die IWF- cen, einen teuren Rechtsstreit über die Währungsfonds (IWF) zu Ende gehen. Vertreter. Die Europäer lehnen diesen Stilllegung zweier Atomkraftwerke zu Das zeichnet sich nach einer Sitzung Vorschlag aus rechtlichen Gründen ab, gewinnen. Der schwedische Konzern der sogenannten Arbeitsgruppe der weil damit direkte Belastungen für die Vattenfall hatte den deutschen Staat Eurogruppe Anfang dieser Woche ab, jeweiligen Länderhaushalte verbunden vor dem Schiedsgericht der Weltbank bei der Spitzenbeamte aus den wären, wenn Teile der bilateralen Kre- (ICSID) in Washington verklagt, weil er Finanzministerien der Mitgliedsländer dite abgeschrieben werden müssten. nach der Reaktorkatastrophe von und Vertreter des IWF in Brüssel Als letzter Termin, doch noch eine Fukushima die pannenanfälligen AKW zusammenkamen. Der IWF und seine Einigung mit dem IWF herbeizufüh- Krümmel und Brunsbüttel abgeschaltet Chefin Christine Lagarde schätzen die ren, gilt nun das Finanzministertreffen hatte. Vattenfall sieht darin eine Ent - Wachstumsperspektiven Griechen- in der kommenden Woche. Die Chan- eignung und fordert inklusive Zinsen lands viel skeptischer ein als die Euro- cen dafür stünden jedoch schlecht, rund 5,7 Milliarden Euro Schadenser- päer. Deshalb brauche das Land größe- heißt es aus Teilnehmerkreisen. Die satz. Nun gerät die Klage ins Wanken. re Schuldenerleichterungen. Darin soll- Beteiligung des IWF am dritten Anfang März hatte der Europäische Hilfsprogramm für Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Griechenland wäre Urteile von internationalen Schieds- mit gerade einmal gerichten bei Streitigkeiten über Investi- 1,6 Milliarden Euro tionen zwischen EU-Staaten unzulässig ohnehin nur von sind. Die EU-Kommission hat sich nun symbolischer Natur auf Anfrage des ICSID dieser Meinung gewesen. Das Pro- angeschlossen. Die Kommission fun- gramm läuft im giert in dem Rechtsstreit seit 2015 als August aus. Den- unbeteiligte Partei, die zu wichtigen noch ist der Aus- Fragen Stellung nehmen darf. Die stieg des IWF nicht erneute Konsultation der Kommission unproblematisch. durch das Schiedsgericht wertet man Bundeskanzlerin in Berlin als Zeichen, dass das ICSID Angela Merkel der EuGH-Vorgabe folgen wird. Die (CDU) hatte den atompolitische Sprecherin der Grünen Unionsabgeordne- teilt diese Einschätzung. »Die Stel - ten zugesagt, dass lungnahme aus Brüssel könnte zum der Internationale letzten Sargnagel der Vattenfall-Klage CHIP SOMODEVILLA / GETTY IMAGES Währungsfonds an werden«, sagt Sylvia Kotting-Uhl. SSU Lagarde Bord bleibe. REI

Kommentar Zeit für ein Abkommen

Mit ihrem Dauerstreit schaden sich Boeing und Airbus selbst.

Es ist seit Jahren dasselbe unwürdige Ritual: Wann immer die dern um Anschubhilfen oder verdeckte Zuschüsse dauert inzwi- Welthandelsorganisation WTO eine neue Entscheidung im Sub- schen 14 Jahre. Es wird höchste Zeit, den Spuk zu beenden – und ventionsstreit zwischen Boeing und Airbus bekannt gibt, feiern zwar nicht durch Strafzölle oder Exportbeschränkungen, sondern beide das Ergebnis als Sieg – obwohl eine Seite meist eine heftige durch ein neues bilaterales Abkommen. So etwas gab es schon Klatsche abbekommt. Vergangenen Dienstag war wieder einmal einmal. Doch der Vertrag aus dem Jahr 1992 wurde 2004 von den Airbus dran. In ihrem jüngsten Urteil geißeln die Schiedsrichter, Amerikanern gekündigt. Ein neuer Pakt müsste beiden Konzer- dass Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien dem nen enge Grenzen für die staatliche Förderung von neuen Jets set- Unternehmen einst viel zu billige Anschubkredite für seine Jets zen. Alternativ könnten die Firmen auch ganz auf Subventionen vom Typ A380 und A350 gewährt hatten. verzichten. Leisten könnten sie sich das. Der Börsenkurs von Trotzdem brach bei Airbus Jubel aus. Das WTO-Berufungs - Boeing hat sich in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht, der gericht habe immerhin einen Großteil der übrigen Vorwürfe des von Airbus sogar mehr als verfünffacht. Auch Umsatz und Erzrivalen Boeing verworfen. Auch die Amerikaner triumphier- Gewinn legten deutlich zu. Außerdem haben die Regierungen ten. Nun sei klar, dass Airbus »unfaire Geschäftspraktiken« ihre An teile bei Airbus ohnehin drastisch reduziert. Lenken die betreibe und »illegale Subventionen« erhalten habe. Zur Strafe Unternehmen nicht ein, könnte sie das teuer zu stehen kommen. drohten die USA mit Sanktionen. Dabei ist über die Boeing- Lachender Dritter könnte der chinesische Staatskonzern Comac Gegenklage von Airbus noch gar nicht entschieden. Der Schlag- sein. Er wartet nur darauf, seine Flugzeuge in die angestammten abtausch zwischen den Flugzeugbauern und ihren Herkunftslän- Märkte von Boeing und Airbus zu drücken. Dinah Deckstein

DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 67 JORDI BOIXAREU / ZUMAPRESS / PICTURE ALLIANCE / DPA JORDI BOIXAREU / ZUMAPRESS PICTURE JASON LEE / REUTERS JASON

Audi-Plakat in Peking, Containerzug in Duisburg, Messestand von Huawei in Barcelona Aus einem Entwicklungsland ist ein mächtiger Konkurrent geworden

68 Wirtschaft Aufholen und überholen Globalisierung Deutschlands Wirtschaft hat sich von China abhängig gemacht. Jetzt wird ihr das zum Verhängnis. Im globalen Handelskonflikt zwischen der Volksrepublik und den USA kann es die Bundesregierung unmöglich beiden recht machen. Sie braucht eine neue Strategie.

it einem Bein steht China ten Papierdrachen wurde die Ankunft der ein Produktionsstandort mit schier uner- schon mitten in Deutschland, Lok gefeiert, die aus seiner Heimat gekom- schöpflichen Ressourcen war, ist ein mäch- M in Duisburg-Rheinhausen. Wo men war, die Kapelle spielte »Glück auf, tiger Konkurrent geworden. Chinesische 1987 Stahlarbeiter vergebens ihr Bergleut jung und alt«. Damals schüt- Unternehmen entwickeln intelligente Ma- um ihre Hütte gekämpft haben, rollen heute telte Erich Staake dem chinesischen Präsi- schinen und Anlagen; sie bauen Autos, im- Züge über das Gelände; dort drehen sich denten die Hand. Staake, wie Xi 1953 ge- mer öfter mit Elektroantrieb; sie tummeln die Hafenkräne und türmen sich die Stahl- boren, ist der Vorstandschef des Hafens. sich auf Feldern, die Domänen der deut- container. Genau hier endet die »Neue Sei- Der Manager verbindet große Hoffnun- schen Industrie waren. China hat das Er- denstraße«, Chinas Jahrhundertprojekt. gen mit der Bahnstrecke, für sein Unter- folgsmodell kopiert – nun wird es zur Be- »Logport I« nennt sich das Areal in Duis - nehmen und für die Region, sie hat es nö- drohung für das Original. burg, es ist einer der größten Güterum- tig. »Wir wollen wachsen«, sagt er. »China Mikko Huotari hat als einer der Ersten schlagplätze in Europa. Am Terminal DIT, und die Neue Seidenstraße bieten für uns auf diese Entwicklung hingewiesen, vor auch Chinaterminal genannt, kommen die großes Potenzial.« Mit der Seidenstraße Jahren schon. Huotari ist Wissenschaftler Waggons von ihren Reisen aus Chongqing rücken China und Deutschland näher zu- am Mercator Institute for China Studies an, mehr als 10000 Kilometer entfernt, sammen. So kann man das sehen. (Merics), eines Thinktanks in Berlin. Die über Kasachstan, Russland, Weißrussland Oder auch ganz anders: dass das Milliar - alte Logik »China braucht uns« stimme so und Polen. 25 Züge jede Woche. denprojekt nämlich den Chinesen nur nicht mehr, sagt Huotari. Es sei eher um- Vor vier Jahren besuchte Chinas Präsi- dazu dient, eine Art Brückenkopf zu er- gekehrt: Deutschland gerate immer stärker dent Xi Jinping den Binnenhafen. Mit ro- richten. Von hier aus treiben sie ihre Ex- in Abhängigkeit von China, die Volks- pansion in Europa voran und republik avanciere zum globalen Innova- bauen ihren wirtschaftlichen tionstreiber: »Die ganze Mechanik im Einfluss aus. Was ist das nun: System hat sich verändert.« Chance oder Bedrohung? Wie selbstbewusst, ja aggressiv die Die Antwort zu finden fällt Chine sen auftreten, zeigen sie, wenn sie nicht leicht, und das ist bezeich- hierzulande Unternehmen kaufen. Früher nend. Wenn Kanzlerin Angela beschränkte sich ihr Interesse auf Firmen Merkel kommende Woche aus der zweiten Reihe, seit einigen Jahren nach China reist, wird ihr Be- zielen sie mitten ins Herz der Industrie. such einen anderen Charakter »Deutschland hat etwa tausend mittel- haben als die zehn Visiten zu- ständische Weltmarktführer, an die wollen vor. Das Verhältnis zwischen die Chinesen ran«, sagt Kai Lucks, Vor - den Staaten hat sich verändert. sitzender des Bundesverbands Merger & Es hat seine Balance verloren. Acquisitions. Bislang schien die Bezie- Neuerdings sind nicht mal mehr Dax- hung fast symbiotisch, die Konzerne vor dem Zugriff der Chinesen Rollen waren klar verteilt: geschützt. Klammheimlich sicherte sich Deutschland verkaufte in Chi- der Milliardär Li Shufu im Februar fast na hochwertige Maschinen und zehn Prozent der Anteile an Daimler. Vor- Fahrzeuge, im vorigen Jahr al- standschef Dieter Zetsche hält es sogar für lein mehr als fünf Millionen möglich, dass sein Unternehmen einen Pkw. Im Gegenzug exportier- weiteren Aktionär aus China bekommt, ten die Chinesen Möbel, Kühl- den Staatskonzern BAIC, Daimlers Part- schränke oder Elektroartikel ner in China. Auf wen, fragen sich Politiker zu unschlagbar günstigen Prei- und Manager, werfen die Chinesen als sen. Mittlerweile ist China flüg- Nächstes ein Auge? Droht hier der Aus- ge geworden, viel schneller als verkauf von Deutschlands Zukunft, die erwartet; die Volksrepublik ist schleichende Unterwanderung der Volks- zur reifen Supermacht aufge- wirtschaft? stiegen – und in der Lage, Viele sind verunsichert. Für den Export- Deutschland abzuhängen. standort steht ohnehin manches, was Ge- Aus einem Entwicklungs- wissheit schien, nun infrage. Der Merkel- land, das für westliche Indus- Besuch fällt mitten in eine Umbruchphase trieländer zuerst ein giganti- im Welthandel, eine neue Ordnung ent-

SHAN YUQI / PHOTOSHOT / PICTURE ALLIANCE / DPA / PICTURE SHAN YUQI / PHOTOSHOT scher Absatzmarkt und dann steht, mit einem starken China und einem

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 69 Wirtschaft unberechenbaren Amerika. Deutschland Der Weckruf Kuka gilt als Vorreiter der Industrie 4.0, muss seinen Platz erst noch finden. der digital vernetzten Wirtschaft. Deshalb Die Wirtschaft hatte sich an scheinbar Es gibt ein Datum, das einen Wendepunkt ist der Coup der Chinesen zu einem Poli- ewig währendes Wachstum in Fernost ge- in der Beziehung zwischen Deutschland tikum geworden, als hätten sie das Bran- wöhnt, in zehn Jahren konnte sie die Aus- und China markiert, es war der 18. Mai denburger Tor gekauft und rot angemalt. fuhren fast verdreifachen. Was aber, wenn 2016. An diesem Tag teilte der chinesische Kuka dürfe nicht in chinesische Hände die Volksrepublik selbst Hightechmaschi- Konzern Midea mit, er wolle Kuka überneh- fallen, warnte EU-Kommissar Günther nen baut oder Elektrofahrzeuge entwi- men, einen weltweit führenden Roboter - Oettinger, das Unternehmen befinde sich ckelt? Dann wird die Industrie schmerzhaft hersteller. Im ersten Moment habe ihn die »in einem strategischen Sektor mit wichti- spüren, wie sehr sie sich ausgeliefert hat. Nachricht erschreckt, sagt der Gewerk- ger Bedeutung für die digitale Zukunft der Zugleich irritiert die Unternehmen der schafter Armin Kolb, »alles andere wäre europäischen Industrie«. Auch der dama- erratische Kurs, der in Washington gefah- gelogen«. lige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Ga- ren wird. Sollte US-Präsident Donald Kolb ist der Betriebsratschef bei Kuka. briel (SPD) missbilligte die Aktion. Hinter Trump am 1. Juni die Zölle auf Einfuhren Damals hätten sich mehr als 3000 Mit- den Kulissen wurde sondiert, das Manage- von Stahl und Aluminium verhängen und arbeiter auf dem Werkshof in Augsburg ment heimischer Konzerne wie Siemens die EU darauf mit Vergeltungsmaßnahmen versammelt, erinnert er sich, in Sorge, was oder Bosch beschworen, sich doch bitte zu reagieren, wird sich Deutschland weiter die neuen Eigentümer wohl im Sinn hät- engagieren. Alle winkten ab. Und die Alt- von Amerika entfremden – noch ist es ten: ob sie das Unternehmen zerschlagen eigentümer machten Kasse. Exportziel Nummer eins. Auch hier hat würden, Betriebsteile verlagern oder ganz Der Kuka-Deal wirkte auf die deutsche die Volkswirtschaft viel zu verlieren. dichtmachten. Vieles schien möglich. Wirtschaftspolitik wie ein Weckruf. Zwar Über allem grollt wie ein heraufziehen- Heute, zwei Jahre später, macht Kolb hatten chinesische Firmen schon seit Jah- des Gewitter der Handelskonflikt zwi- einen gelassenen Eindruck. Midea hat sich ren Jagd auf Hightech »made in Germany« schen der Supermacht des Westens und verpflichtet, am Firmensitz festzuhalten, gemacht, sie kauften Maschinenbauer mit der Supermacht des Ostens. US-Präsident keine Fabriken zu verlagern oder zu schlie- klangvollen Namen, KraussMaffei zum Donald Trump wirft Peking unfaire Han- ßen und die Arbeitsplätze zu erhalten; bis Beispiel oder Putzmeister. Doch erst der delspraktiken und massiven Diebstahl geis - 2023 gilt die Vereinbarung. »Wir haben Fall Kuka weckte solches Unbehagen. Bis tigen Eigentums vor, er will deshalb Straf- aus dem, was möglich war, das Maximale dahin waren die Erfahrungen mit chinesi- zölle auf Waren im Wert von 150 Milliar- herausgeholt«, sagt der Betriebsrat. schen Eignern sogar eher positiv. den Dollar verhängen, China droht mit Kolb, ein bulliger Mittfünfziger, arbeitet Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stif- Vergeltung. seit bald 40 Jahren bei Kuka. Er steht in tung äußerten die Unternehmen, sie seien Sollten beide Staaten Ernst machen, be- Halle 2, hier hat Kolb 1978 als Dreher be- mit ihren neuen Arbeitgebern sehr zufrie- fände sich Deutschland in einer heillosen gonnen. Heute demonstriert das Unterneh- den. Die Investoren übten auf das Tages- Lage, nämlich zwischen den Fronten: Dort men in derselben Halle, wie die Fabrik von geschäft kaum Einfluss aus, sie hielten an lebt es sich am gefährlichsten. Kommen morgen aussieht. Ein mobiles Transport- den Standorten fest, investierten in Anla- die Deutschen der einen Seite entgegen, system befördert eine Autotür zu einer gen und schüfen neue Arbeitsplätze. verprellen sie die andere. In diesem Di- Vierergruppe von Robotern; diese identi - Derzeit aktualisieren die Wissenschaft- lemma sind sie gefangen, und daraus müs- fizieren das Karosserieteil, beugen ihre ler die Untersuchung. Mittlerweile, so viel sen sie sich befreien. Nur wie? Wie kann Stahlarme darüber und setzen die Schweiß- lässt sich sagen, beurteilen die befragten eine neue Strategie aussehen, insbesonde- punkte an. »Mit Fräsen und Drehen hat das Aufsichts- und Betriebsräte das Engage- re gegenüber China? hier nicht mehr viel zu tun«, sagt Kolb. ment aus Fernost nicht mehr ganz so be-

Chinas Einkäufe in deutsche Unternehmen Januar 2012 März Juni August Januar 2016 Februar

Putzmeister Kiekert Q-Cells Kion KraussMaffei E.on Der schwäbische Der Weltmarktführer Das insolvente Die chinesische Weichai Der Münchner 18 ehemals im Besitz des Betonpumpen- für Pkw-Schließsysteme Solarunternehmen Power beteiligt sich Spezialist für Spritz- Essener Konzerns befindliche bauer geht für wurde von Hebei Lingyun, verkauft seine auf mit 25 Prozent an dem gußmaschinen Müllverbrennungsanlagen rund 360 Millionen einem Tochterunter- Dünnschichtsolarzellen Gabelstaplerhersteller. geht für 925 Millionen werden für insgesamt Euro an den Bau- nehmen der China North spezialisierte Tochter Inzwischen liegt der Euro in den Besitz 1,8 Milliarden Euro von maschinen- Industries (Norinco), Solibro an die Pekinger Anteil bei 43 Prozent. der Staatsfirma Beijing Enterprises konzern Sany. übernommen. Hanergy Holding. ChemChina über. gekauft. 213 Firmen wurden zwischen 2010 und Juli August Mai 2017 Juli 2017 übernommen. Januar 2018 Februar Davon 43 im Jahr Osram Kuka Deutsche Bank Ista Biotest Daimler 2017. Der Verkauf der Den deutschen Der Luftfahrt- und Für mehr als Der hessische Der chinesische Lampensparte an Roboterhersteller Tourismuskonzern 5 Milliarden Euro Anbieter von Autohersteller Geely den LED-Spezialisten übernimmt der HNA beteiligt sich geht der Essener Arzneimitteln wird erwirbt 9,7 Prozent MLS wird bekannt Klimaanlagen- mit knapp 10 Prozent Heizungs- und Wasser- für 1,3 Milliarden der Aktien und wird gegeben. und Kühlschrank- am Frankfurter Bank- ableser an den Euro an die chine- damit zum größten Kaufpreis: rund hersteller Midea für haus. Inzwischen sind Milliardär Li Ka-shing sische Creat Group Einzelaktionär 500 Millionen Euro. 4,5 Milliarden Euro. es noch 7,9 Prozent. aus Hongkong. verkauft. der Stuttgarter.

70 geistert. »Das Bild bekommt Risse«, sagt der Forscher Oliver Emons. Der Druck auf die Arbeitsplätze habe zugenommen, die neuen Eigentümer träten selbstbewusst auf, manche verfolgten offensichtlich die Absicht, Know-how abzuschöpfen. Chinaforscher sprechen von der »Hai- er-Strategie«, benannt nach dem Herstel- ler von Haushaltsgeräten aus Qingdao. Über Jahre hinweg hat das Unternehmen systematisch Wettbewerber geschluckt und verdaut. Haier interessiert weniger die Rendite, die die Akquisition verspricht. Sie haben es auf die Marke, die Technolo- gie, den Vertrieb abgesehen. So ist Haier Weltmarktführer geworden, jedes fünfte Gefriergerät kommt von den Chinesen. Noch ist nicht absehbar, ob Kuka ein ähnliches Schicksal blüht. In der Augsbur- ger Zentrale findet sich jedenfalls kein Hin- weis darauf, wer der neue Herr im Haus ist. Nirgendwo taucht der Name »Midea«

auf, nicht mal im Kleingedruckten auf dem / GETTY IMAGES VCG Briefpapier. Und vor der Zentrale flattern Daimler-Chef Zetsche*: Im Visier chinesischer Investoren weiter die weiß-orangefarbenen Kuka-Fah- nen. Nur im Januar waren hier einmal rote Fahnen zu sehen: Es war die IG Metall, Verpflichtung von Henning Kagermann nes modernen Staates«, hatte Staatschef die zum Warnstreik aufrief. als Aufsichtsrat, Ex-SAP-Chef mit besten Xi 2013 in einer Rede gesagt; sie bringt Auch im Management herrscht Konti- Drähten in die Politik, ist ebenfalls als ver- den Kern von Chinas neuer Industriepoli- nuität. Till Reuter, seit 2009 Vorstandschef trauensbildende Maßnahme zu verstehen. tik zum Ausdruck. »Unsere Technologie von Kuka, fragte kürzlich auf der Hanno- Andererseits: In den kommenden Jah- liegt hinter der entwickelter Staaten zu- ver Messe beim Abendessen in die Runde: ren investiert der Roboterbauer vor allem rück. Wir müssen eine asymmetrische Stra- »Und Kollegen, hat sich was verändert?« in Shunde. Dort wird für 400 Millionen tegie anwenden, um aufzuholen und (diese Allgemeines Kopfschütteln, »nichts«. Euro eine neue Fertigungsstätte gebaut, Staaten –Red.) zu überholen«, sagte Xi. Für Reuter zumindest ist neu, dass er dort entstehen die neuen Produkte, dort Damit meint er, dass er zehn Schlüssel- einmal im Monat in China ist und an der will das Unternehmen bis 2024 rund felder schneller vorantreiben will als an- Vorstandssitzung von Midea teilnimmt, in 75000 Roboter im Jahr herstellen, dreimal dere: Informationstechnologie, Automati- der Zentrale in Shunde. Mit Midea könne so viele wie bisher in Augsburg. Was bleibt sierung und Robotik, Luft- und Raumfahrt, Kuka weit stärker wachsen, als dies allein dann für Deutschland übrig? Schiffsausrüstung und Navigation, Hoch- möglich gewesen wäre, sagt Reuter, zum Die Zukunft der Robotik liegt in China – geschwindigkeitsbahnen, Elektrofahrzeu- Beispiel mit Robotern, die in Handyfabri- und damit auch die Perspektive für Kuka. ge, Energietechnik, landwirtschaftliche Ge- ken zum Einsatz kommen können oder Das steht schon jetzt fest, auch wenn die räte, neue Materialien, Pharmaindustrie die im Krankenhaus beim Operieren assis- Standortvereinbarung mit Midea noch und Medizingeräte. tieren: »Wir sehen da Riesen-Potenziale.« fünf Jahre läuft. Anders als vorangegangene Langfrist- Bislang lag Kukas Schwerpunkt bei Kun- pläne hat die 2025-Strategie einen globa- den aus der Autoindustrie. In Wolfsburg, Die Kampfansage len Anspruch. Sie zielt darauf ab, westliche München oder Sindelfingen schweißen, Konkurrenten abzuhängen und eigene kleben und bohren die Automaten seit Kuka passt perfekt ins Beuteschema der Unternehmen zu internationalen Cham- Jahrzehnten. Das Unternehmen weiß eine Chinesen, sie haben einen Plan. Kaum je- pions zu machen. Sie ist die Blaupause für Menge über die Abläufe in den Werken, mand nahm hierzulande vor drei Jahren den Umbau der Volkswirtschaft, von den die Modellpolitik, die Technologien. Seit Notiz davon, als Peking ihn formulierte. Fabriken bis zu den Laboratorien, von der die Chinesen Kuka kontrollieren, zeigen »Made in China 2025« hieß das Dokument, Industrie bis zu den Dienstleistern, von manche Kunden Vorbehalte, sie sorgen das im sperrigen Jargon der Kommunisti- den Staatsbetrieben bis zum Privatsektor. sich um ihre Geschäftsgeheimnisse: Keiner schen Partei festhielt, wie China zur wirt- Ähnliche Strategien hatten zuvor auch an- möchte sich trojanische Pferde in die Fa- schaftlichen Supermacht aufsteigen will: dere Länder verfolgt: Südkorea, Japan – und brikhalle stellen. Das Kuka-Management eine Kampfansage an den Westen. Deutschland, dessen Industriegeschichte muss nun immer wieder um Vertrauen Die Kerndaten lauten: Bis 2025 soll das Chinas Experten eingehend studiert haben, werben. Dann verweist Reuter auf die ver- Land eine »starke«, bis 2035 eine »Mittel- bevor sie ihren eigenen Plan vorstellten. tragliche Zusage Mideas, wonach Kunden- macht« und bis 2049 eine »Weltmacht« »Das Schlagwort Industrie 4.0 ist in China daten tabu seien: »Dafür stehe ich ein.« der verarbeitenden Industrie sein, dann wie eine Bombe eingeschlagen«, sagt Chang- Kuka sei ein deutsches Unternehmen, wird die Volksrepublik den 100. Jahrestag feng Tu, Partner der Kanzlei Hengeler Muel- das hier seine Steuern zahle, argumentiert ihrer Gründung begehen. Krisen sind in ler. Es lieferte letztlich die Blaupause für der Vorstandschef, nur eben mit einem chi- Pekings Masterplan nicht vorgesehen. »Made in China 2025«. Der Unterschied be- nesischen Eigentümer. Bei der Hannover »Moderne Technik ist die scharfe Waffe ei- steht darin, dass Chinas System autoritär ist Messe im April besuchte die Kanzlerin und die Dimension des Landes gewaltig. erneut den Kuka-Stand, »ein wichtiges * Mit Chinas Wissenschaftsminister Wan Gang bei der Wenn die Führung in China es will, Si gnal« sei das gewesen, sagt Reuter. Die Automesse in Peking im April. kann sie ganze Wirtschaftssektoren neu

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 71 ZHANG SILING / IMAGINECHINA / LAIFZHANG SILING / IMAGINECHINA

stammen ausnahmslos von hei- mischen Anbietern. Allerdings subventioniert der Staat die THOMAS DASHUBER / AGENTUR FOCUS DASHUBER THOMAS Offensive massiv, er fördert die Forschung und weist die Kom- Kuka-Chef Reuter, munen an, E-Autos zu kaufen. Flughafenterminal in Shenzhen, Was für Peking zählt, ist das Politiker Merkel, Xi 2016 Ergebnis: Die Kunden können »Taktgeber für Elektromobilität bereits zwischen rund hundert und Digitalisierung« verschiedenen E-Autos wäh- len. Von einem solchen Ange- bot sind die Deutschen noch weit entfernt. ETIENNE OLIVEAU / DPA ETIENNE OLIVEAU Selbst bei BMW, einem Vor- reiter der E-Mobilität, werden manche nervös. Betriebsrats- aufrollen, so ist es in der Stahl- oder der Die Nachfrage ist groß, vor allem nach chef Manfred Schoch warnt vor einer dro- Solarindustrie geschehen. Und nun pas- Premiummodellen mit teurer Sonderaus- henden Übermacht Chinas. »Wir haben siert es ausgerechnet in der Autoindustrie, stattung. Gleichzeitig liegen die Arbeits- überlegenes Wissen in Bezug auf Diesel- der deutschen Paradebranche. kosten in China noch immer deutlich nie- und Benzinmotoren«, sagt er, »aber in der driger. Das führt zu Traumrenditen für die Elektromobilität machen uns die Chinesen Das Klumpenrisiko Autohersteller, die teils doppelt so hoch die Technologieführung streitig.« Sie han- liegen wie im Rest der Welt. Und zu einer delten langfristiger, konsequenter, radikaler. Früher empfanden deutsche Automanager immer größeren Abhängigkeit vom chine- Peking kauft Minen in Afrika und eine Versetzung nach China als Strafe. sischen Markt: Daimler erwirtschaftet dort sichert sich damit Lithium und Kobalt, es- Heute bedeutet es einen Aufstieg. Jochen mittlerweile 20 Prozent seiner Gewinne, senzielle Rohstoffe für den Bau von Strom- Goller, 52, führt seit März das Chinage- BMW 28 Prozent, Volkswagen sogar 43 speichern. Firmen wie BYD und CATL, schäft von BMW. Er sitzt im 29. Stock Prozent. Im Finanzwesen würde man von die in Deutschland kaum jemand kennt, eines gläsernen Hochhauses in Peking, einem Klumpenrisiko sprechen. bauen eine Batteriefabrik nach der ande- trinkt grünen Tee und beschreibt die neue Dies gilt umso mehr, da die Dominanz ren auf. Und die Deutschen? Der Zuliefe- Realität in seiner Branche: »China ist zum der deutschen Hersteller zu bröckeln be- rer Bosch hat sich gegen eine Zellenpro- Taktgeber für Elektromobilität und Digi- ginnt, Konkurrenten wie Geely, Great duktion entschieden. Das Investitionsrisi- talisierung geworden.« Wall oder BYD holen auf. Von den Deut- ko, angeblich 20 Milliarden Euro, war dem Vor wenigen Wochen verkündete BMW, schen haben sie gelernt, wie man Großfa- Konzern zu groß. Damit läuft die deutsche die E-Version des Kleinwagens Mini in briken organisiert und darin jährlich Hun- Autoindustrie Gefahr, sich beim Herzstück China zu bauen, ebenso die elektrische derttausende Fahrzeuge baut. »Viele chi- der E-Autos von Lieferanten aus Fernost Variante des Geländewagens X3. Die nesische Hersteller haben sich zu ernst zu abhängig zu machen. Münchner rechnen sich dort die besten nehmenden Herausforderern entwickelt«, Auch im Geschäft mit digital vernetzten Verkaufschancen aus. Während die Märk- sagt Goller. Mit neuen Antriebstechniken Fahrzeugen strebt China die Führung an. te in Europa und den USA stagnierten, ist wollen sie erreichen, was ihnen mit eige- Bis 2030, schätzt die Beratungsfirma BMW in China vergangenes Jahr um mehr nen Verbrennungsmotoren nie gelungen McKinsey, werde das Land zum weltgröß- als 15 Prozent gewachsen. Jedes vierte ist: den Weltmarkt zu erobern. ten Markt für selbstfahrende Autos und Auto verkauft BMW dort, der Wettbewer- Die Strategie zahlt sich aus. Die fünf entsprechende Mobilitätsdienste aufstei- ber Audi sogar jedes dritte. meistverkauften Elektroautos in China gen. Die Treiber hier sind Alibaba und

72 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Wirtschaft

Tencent. Die IT-Konzerne besitzen einen Am Schreibtisch nebenan nimmt ein sind. Das Misstrauen wächst, zumal immer Börsenwert von jeweils fast 500 Milliarden australischer Gründer gerade den Proto- deutlicher wird, wie strategisch China sei- Dollar, siebenmal mehr als BMW. Der Ab- typ eines Geräts in Augenschein, mit dem ne wirtschaftliche Macht ausbaut und nach stand zeigt, wo die Anleger Fantasien für große Schafherden überwacht werden kön- Europa expandiert. Dieser Weg führt über die Zukunft entwickeln. nen. Es handele sich bereits um die dritte die neue Seidenstraße. Serie seines Produkts, sagt er, für jedes Up- Das Hightechlabor grade kehre er nach Shenzhen zurück. Der Brückenkopf Früher hätten die niedrigen Preise In der kommenden Woche kann sich die Shenzhens Attraktivität ausgemacht, sagt Es war kurz nach seinem Amtsantritt 2013, Kanzlerin selbst ein Bild vom technologi- Ingenieur Höfflin: »Jetzt ist es das große da präsentierte Chinas Staatschef Xi die schen Anspruch der Chinesen machen – Angebot an Zulieferern.« Gezielt locken Idee für eine neue Weltordnung. Die Sei- und von deren Vorsprung. Wenn Merkel die Chinesen deutsche Jungunternehmer denstraßen-Initiative ist ein Netz von Han- in der südchinesischen Hightechmetropole nach Shenzhen, um von ihrem Know-how dels- und Energiekorridoren, Pipelines, Shenzhen wie geplant eintrifft, wird sie ei- zu profitieren. Sie gehen aber auch den Eisenbahn- und Schifffahrtsrouten, das bis nes der spektakulärsten Flughafengebäude umgekehrten Weg, nach Deutschland. Mitte des Jahrhunderts ganz Eurasien um- der Welt zu Gesicht bekommen. Wie ein Huawei hat im vorigen Jahr in München spannen soll – und in China seinen Aus- gigantischer weißer Tintenfisch ragt der schon sein zweites Forschungszentrum er- gang nimmt. neue Terminal des Bao’an-Airports ins öffnet. Rund 300 Fachleute arbeiten hier Xi stellte das Vorhaben als Plan für Perlflussdelta hinaus. Das Gebäude sym- an der 5G-Technologie, dem Mobilfunk- »eine gemeinsame Zukunft der Mensch- bolisiert den Ehrgeiz einer Zwölfmillionen- standard der nächsten Generation. Sie ent- heit« vor, sie solle »die Globalisierung of- stadt, Chinas Silicon Valley. wickeln spezielle Antennen oder auch fener, inklusiver und ausgeglichener ma- In Shenzhen haben der Mobilfunkriese Halbleiter für Smartphones. »Huawei be- chen«. In der Praxis ist es heute jedoch so, Huawei, der Onlinekonzern Tencent und trachtet Europa als zweiten Heimatmarkt, dass 89 Prozent aller Infrastrukturaufträge Weltmarktführer wie der Drohnenbauer und Deutschland hat hier das größte Ge- an chinesische Baufirmen fallen. Und diese DJI ihren Sitz. Hier treffen sich Gründer wicht«, sagt Torsten Küpper, Mitglied der Projekte haben vor allem die Funktion, und Wagniskapitalgeber, um die Grenzen Geschäftsleitung des Deutschland-Able- die Handelskorridore zu sichern, über die des technisch und finanziell Machbaren gers von Huawei. China Rohstoffe importiert und seine zu erkunden. Gut eine Viertelstunde vom Kein anderes Unternehmen hat im ver- Waren exportiert. Flughafen entfernt steht, fast fertig einge- gangenen Jahr in Europa mehr Patente an- Zunächst konzentrierte sich die Initiati- richtet, ein moderner Büroturm, es ist die gemeldet, nicht einmal Bosch oder Sie- ve auf wirtschaftlich angeschlagene Län- Keimzelle der »vorbildlichen chinesisch- mens. Bei Informations- und Kommunika- der wie Myanmar, Sri Lanka, Pakistan so- deutschen Industriezone von Bao’an«, wie tionstechnologie sieht Küpper Huawei wie die Staaten Zentralasiens. Je mehr es in einer Onlinebroschüre heißt. weltweit an führender Stelle. Jetzt aber aber China an Stärke gewinnt, desto kon- Die Idee dazu ist vor zwei Jahren auf gelte es, nicht nur Menschen, sondern die kreter werden auch die Projekte im weite- der Hannover Messe entstanden. In Bao’- Industrie zu vernetzen, und deshalb sei ren Verlauf der Strecke: vom Bau einer an wollen die Initiatoren Deutschlands »In- man hierhergekommen, in die Region Schnellbahn zwischen Belgrad und Buda- dustrie 4.0«-Konzept mit der »Made in München, wo so viele Firmen aus Maschi- pest bis zum Engagement im Hafen von China 2025«-Strategie verknüpfen. An- nenbau und Autoproduktion ansässig sind. Piräus. Und von Duisburg, am westlichen fang kommenden Jahres soll der Industrie- Als Netzwerkausrüster für die deutsche Ende der Seidenstraße. park in Betrieb gehen. Im fünften Stock Industrie besetzt Huawei eine Schnittstelle Dort plant derzeit direkt neben dem Lo- ist ein chinesisches, im vierten ein deut- zu sensiblen Firmendaten, es dringt gleich- gistikareal der chinesisch-deutsche Projekt- sches Restaurant vorgesehen. Und es soll sam tief ins Nervensystem seiner Kunden entwickler Starhai ein Handelszentrum. eine Videowand geben: um gemeinsam die ein. Es gibt Vorbehalte gegenüber den Chi- In den Gebäuden sollen sich chinesische Fußball-Bundesliga schauen zu können. nesen, Küpper versucht sie zu entkräften. Firmen niederlassen, um ihre Produkte in Shenzhen ist das, was seit der industriel- »Wir respektieren selbstverständlich den Europa zu vermarkten. Dazu nutzen sie len Revolution auch Deutschland auszeich- Patent- und Datenschutz, so wie auch wir unter anderem den Chinaexpress. net – ein Standort, der technisches Know- respektiert werden wollen«, sagt der Ma- Der Erfolg des Handelszentrums hängt how mit industrieller Anwendung verbin- nager. Huawei ähnele einem genossen- also auch davon ab, ob sich die Hoffnun- det; ein Hightechlabor, von dem allerdings schaftlich organisierten Unternehmen, es gen erfüllen, die Hafenchef Staake an die noch der Zauber des Neuen ausgeht. Der gehört den Mitarbeitern. Zugverbindung nach China knüpft. Schon deutsche Ingenieur Jens Höfflin sagt: »Die Eine solche Eigentümerstruktur schützt in diesem Jahr soll der erste Zug mit Möglichkeiten, die Shenzhen bietet, sind aber kaum vor einem Zugriff durch das E-Autos »made in China« nach Duisburg fast grenzenlos.« Regime in Peking. Unternehmen wie Hua- fahren. Im Moment rechnet sich die Ver- Höfflin, 36, sitzt in Shorts und Badelat- wei stehen im Westen unter besonderer bindung nur, weil sie von China massiv schen bei HAX, einem Start-up-Zentrum. Beobachtung. Der Konkurrent ZTE wurde subventioniert wird. Außerdem sind die Er und sein amerikanischer Partner haben von der Regierung Trump von einem Tag Züge lange unterwegs, im Schnitt 13 Tage. in Boston einen mobilen Magnetresonanz- auf den anderen vom Zugang zu US-Zu- Von Zentralchina bis an die EU-Außen- tomografen entwickelt, der Herz- und Nie- lieferern abgeschnitten, weil es gegen grenze brauchen sie sechs bis sieben Tage, renpatienten den Weg ins Krankenhaus er- Nordkorea-Sanktionen verstoßen habe. der kurze Rest, gut ein Zehntel der gesam- sparen soll. Bei HAX in Shenzhen bekom- Zwar klang Trump vor wenigen Tagen wie- ten Strecke, dauert noch mal so lang. Wa- men sie Unterstützung, um eine Kleinserie der moderater, ob aber das Unternehmen rum dies so ist, dafür kennt Hafenchef ihres Geräts herzustellen. Was immer man überlebt, hängt letztlich von den Launen Staake viele kleine Gründe. Manches habe benötige, Leiterplatten oder Spritzguss- des Präsidenten ab. mit starren Arbeitszeitregelungen oder mit teile, lasse sich in Shenzhen leicht beschaf- Huawei ist in Amerika nicht so ex- bürokratischen Auflagen zu tun. Verständ- fen, sagt Höfflin. »Hier findet man im Um- poniert wie ZTE. Doch auch Europa könn- nis hat er dafür nicht. kreis weniger Kilometer die richtige Fabrik te auf die Idee kommen, dass Mobilfun- Die Verzögerungen im Zugverkehr sind dafür.« knetze gewissermaßen systemrelevant für Staake Sinnbild dafür, wie unentschlos-

73 Wirtschaft sen die Europäer gegenüber der Volks - 16+1-Format sei China dabei, Europa zu schen Firmen greifen. Es müssen schon republik aufträten. »China geht strategisch spalten. 16+1, das sind 16 mittel- und ost- sicherheitspolitische Interessen berührt vor, während Europa noch immer darüber europäische Staaten – plus China. Vor sein, damit seine Behörde mithilfe des diskutiert, wie man mit der Initiative und sechs Jahren hat die Volksrepublik dieses Außenwirtschaftsgesetzes einen Kauf ver- China umgehen soll.« Die EU sei aufge- Bündnis gestartet, es richtet sich gegen eiteln kann. Daran hat sich auch wenig fordert, eine Position zu finden, sagt Staa- Russland und gegen die EU. Mit dabei sind verändert, seit es im vorigen Sommer ver- ke: »Nur in der Verteidigung kann man Serbien oder Mazedonien, aber auch EU- schärft wurde. Seither hat das Ministerium keine Spiele gewinnen.« Mitglieder wie Tschechien und Ungarn. 62 Erwerbsvorgänge geprüft, keine einzige Beim letzten 16+1-Treffen in Budapest Übernahme wurde untersagt. Der Riss durch Europa hörte sich Chinas Premierminister Li Die nur bedingte Wehrfähigkeit wurmt Keqiang die Wünsche der Europäer nach den Minister. Deshalb erwägt er eine wei- Die Gefahr ist längst erkannt, Europa ringt chinesischem Geld an. Ein Regierungschef tere Verschärfung. Derzeit darf sein Haus seit Monaten um eine gemeinsame Linie nach dem anderen habe im großen Kreis erst prüfen, wenn Anteile von 25 Prozent gegenüber China. Im September kündigte bei Li vorsprechen müssen, berichtet einer, an einem deutschen Unternehmen zum EU-Kommissionschef Jean-Claude Jun- der dabei war. Am Ende nannte jeder noch Verkauf stehen; diese Schwelle war bei cker kämpferisch »einen neuen europäi- ein Projekt, bei dem die Chinesen doch 50Hertz nicht erreicht. Also soll sie sinken, schen Rahmen zur Überprüfung von bitte Geld zuschießen sollten. auf möglicherweise bis zu zehn Prozent. Investitionen« an, ein »Screening« für Die Politiker dienen sich China regel- Mit Ordnungspolitik allein lässt sich der Firmenkäufe aus dem Ausland. In zwei recht an, die Chinesen müssen nicht um Kampf gegen China allerdings kaum ge- Wochen soll der Handelsausschuss im Eu- Einfluss kämpfen. Ungarns Regierungs- winnen. Statt eine Abwehrschlacht zu füh- ropäischen Parlament abstimmen. Doch chef Viktor Orbán droht sogar mehr oder ren, würde Minister Altmaier lieber kon- bevor der Vorschlag Gesetz wird, muss minder offen, sich der Volksrepublik zu- struktiv agieren und deutsche Forscher, der Rat mit der qualifizierten Mehrheit zuwenden, wenn die EU zu wenig Geld Ingenieure oder IT-Spezialisten fördern. der 28 EU-Mitgliedstaaten zustimmen. gibt oder herummäkelt. Deutsche Universitäten brächten zwar jun- Ausgemacht ist die Sache nicht. Kanz- Immerhin konnte die Kommission ge Talente hervor. »Doch die gehen dann lerin Merkel hatte schon beim EU-Gipfel durchsetzen, dass ein Behördenvertreter lieber in die USA, anstatt für deutsche vorigen Sommer noch unter dem Eindruck bei den 16+1-Terminen als Beobachter da- Unternehmen ihr Können in ganz konkre- der Kuka-Übernahme erklärt, Europa bei ist. Für Handelsfragen liegt die Kom- te Produkte umzusetzen«, moniert Altmai- müsse Investitionen aus China besser kon- petenz allein bei der EU, Länder wie Un- er. Der Minister will die Abwanderung trollieren. Doch der entsprechende Passus garn können nicht ohne Weiteres entspre- stoppen, mit der Gründung von For- des Gipfeldokuments wurde auf Druck chende Abkommen mit China schließen. schungszentren oder mit Programmen zur Griechenlands und Tschechiens verwäs- EU-Diplomaten verweisen darauf, dass Förderung von künstlicher Intelligenz. sert; beide EU-Länder stehen China nahe. Deutschland nicht ganz unschuldig daran Im Rat dürfte also hart gerungen wer- ist, dass sich ein Riss durch Europa zieht. den. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, Die Osteuropäer würden eigene Wege ge- Investitionen 2017 dass EU-Mitgliedstaaten ausländische hen, auch weil Berlin in der Vergangenheit nach Branchen, in Mrd. € Direktinvestitionen überprüfen können, eifersüchtig darüber gewacht habe, selbst wenn ihre Sicherheit, kritische Infrastruk- die besten Zugänge nach China zu beset- Transport, tur oder die öffentliche Ordnung betroffen zen. Die Bundesregierung muss erst ler- Versorgung sind. Die Kommission gibt Empfehlungen nen, damit umzugehen, dass China zum und Infrastruktur ab, die Entscheidung bleibt Sache der Mit- Wettbewerber geworden ist. Bislang rea- 15,3 gliedstaaten. Sie sollen »Instrumente zur giert sie darauf mit einer Mischung aus Überprüfung solcher Investitionen in die Guerillataktik und schärferen Gesetzen. Hände bekommen. Wenn wir hier zusam- Immobilien- und Gastgewerbe 2,9 men handeln, gibt das den Mitgliedstaaten Der machtlose Minister IT und Kom- die Stärke, bei dem einen oder anderen munikations- sonstige 3,6 verlockenden Investitionsangebot auch Wenn es um den Schutz der deutschen technologie Unterhaltung 1,8 mal Nein zu sagen«, sagt Handelskommis- Wirtschaft geht, erzählt Bundeswirt- 4,8 SPIEGEL sarin Cecilia Malmström im - schaftsminister (CDU) neu- Autoindustrie 1,3 Gespräch (siehe Seite 76). erdings die Geschichte von der State Grid Europaparlamentariern der Union geht Corporation of China. Der Staatskonzern Quellen: Rhodium, Merics dies nicht weit genug. Sie fordern, dass die wollte Anfang des Jahres beim Berliner Überprüfung der EU-Kommission über- Netzbetreiber 50Hertz einsteigen. Der Chinesische 2016: tragen wird. »Die Chinesen haben in eini- Angriff auf den strategisch wichtigen Ver- 35,9 gen EU-Mitgliedstaaten inzwischen so viel sorger schien Befürchtungen über das He- Direktinvestitionen Einfluss, dass gar nicht sichergestellt ist, gemonialstreben Chinas zu bestätigen. in Europa ob ein Screening tatsächlich stattfindet«, Doch dann schnappte der belgische sagt Daniel Caspary, Handelsexperte und Konzern Elia den Chinesen die Anteile an in Mrd.€ 2017: Chef der deutschen Unionsabgeordneten 50Hertz weg – im Hintergrund hatte Alt- 29,7 im Europaparlament. Wenn die Kommis- maier die Fäden gezogen. »Ein paar An- sion ein Screening für notwendig halte, rufe in Belgien waren da schon nötig«, sagt müsse sie es notfalls gegen den Willen des er sichtlich stolz. Gegen Begehrlichkeiten betroffenen Staates durchsetzen. chinesischer Investoren helfe manchmal 6,9 Führende Europapolitiker fürchten List – und die Landessprache zu können. allerdings, dass es ohnehin zu spät sein In der Regel sind Altmaier und seine Investitionen könnte, Chinas Einfluss einzudämmen. Beamten jedoch weitgehend machtlos, 2008: Europas in China Mit der Seidenstraßen-Initiative und dem wenn ausländische Investoren nach deut- 0,7

74 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Sein Wunsch: Er möchte, dass die erste Aufbau von Fertigungsstätten investiert, weltweit führende Mobilitätsplattform aus es beherrscht den Weltmarkt. Wenn Euro- Wie wird man Deutschland kommt. Mit ihr soll man sich pas Autoindustrie hier mitspielen und die- in Berlin ein Carsharing-Auto für die Fahrt sen Teil der Wertschöpfung behalten will, zum Flughafen buchen können, ein Flug- wird sie kaum umhinkommen, selbst Bat- zum glücklichen ticket nach Shanghai und dann ein U- terien herzustellen. Bahn-Ticket ins Hotel. Für Altmaier wäre BMW-Betriebsratschef Schoch fordert es ein Graus, wenn Amazon diese App dafür einen Masterplan, unterstützt durch vorstellte. Oder Alibaba. Berlin und Brüssel. »Wenn wir keine Bat- Hobby- teriefabriken für Elektroautos in Europa Die Chinastrategie bauen, dann werden es die Chinesen tun.« Sein Vorschlag: Konzerne wie BMW, Ein solcher Ansatz mag sicher nicht ver- Daim ler und Volkswagen sollten sich ver- Handwerker? kehrt sein – eine Strategie gegenüber der bünden, um eine erste Großfabrik aufzu- Volksrepublik ist er noch lange nicht. Was bauen. Die würde nach seiner Kalkulation in Berlin und in Brüssel bisher erdacht wur- höchstens 1,5 Milliarden Euro kosten. de, um China Paroli zu bieten, wirkt wie Im Erfolgsfall könnten weitere Fabriken Stückwerk. Deutschland muss der Volks- folgen. »Wer diese Zukunftstechnik nicht republik mehr entgegensetzen, sonst läuft beherrscht«, warnt Schoch, »der ist irgend- der Standort Gefahr, irrelevant zu werden. wann weg vom Fenster.« Jetzt lesen, Ein zentraler Punkt: Die Bundesregie- Viel Zeit bleibt nicht mehr, um eine Chi- rung muss gegenüber China auf Gleichbe- nastrategie zu entwerfen und sie auch lernen und selber handlung drängen. »Reziprozität« nennt anzuwenden. Unermüdlich klettert die machen! sich das Prinzip, es bedeutet: Was der an- Volksrepublik auf der Leiter des Fort- dere darf, darf ich auch – und umgekehrt. schritts weiter nach oben. Bei einer aktuel- Heute fällt es Chinas Investoren viel len Umfrage der Deutschen Handelskam- leichter, sich an deutschen Unternehmen mer in China hätten mehr als 40 Prozent zu beteiligen als deutschen Investoren an aller dort vertretenen Unternehmen ange- Firmen in China. »Der Mangel an Rezi- geben, dass China in ihrer Branche in fünf prozität verletzt Prinzipien der Fairness, Jahren zum Innovationsführer aufsteigen auf die die ökonomische Nachkriegsord- werde, berichtet der Handelskammer-Ma- nung aufgebaut war«, so eine Merics-Stu- nager Jens Hildebrandt. Das Büro in Shenz- die. Nach Einschätzung der Wissenschaft- hen würde aufgerüstet und ein Experten- ler wären von den großen Übernahmen team eingestellt, die die Entwicklungen in chinesischer Firmen in Europa seit 2000 der Stadt beobachten sollen: »Techno- drei Viertel nicht zustandegekommen, hät- Scouting« für den deutschen Mittelstand. ten hier chinesische Regeln gegolten. Nicht alles, was China anpacke, verwan- Deshalb ist es gerecht, dieses Ungleich- dele sich automatisch in einen Erfolg, sagt gewicht zu beseitigen. Die Bundesregie- Hildebrandt. Industrieparks wie der in rung könne selbstbewusst auftreten, meint Bao’an hätten auch schon enttäuschende der Managementexperte Lucks. »China Ergebnisse produziert. Aber Rückschläge reagiert auf Druck«, ist seine Erfahrung. schreckten niemanden ab. Nur ein paar »Deutschland sollte ihn hochhalten, gerade Kilometer von Bao’an entfernt baue die weil die chinesische Regierung diese Be- Stadt das größte Messezentrum der Welt, ziehung als sehr wichtig ansieht.« in einem Land, das heute schon einige der Allerdings wird sich Deutschland allein größten Industriemessen ausrichte. kaum Geltung verschaffen können. Es ist Dass die Kanzlerin Shenzhen besuche, daher angebracht, sich mit anderen Staa- hält der Mann von der Handelskammer

ten Europas zu verbünden und eine ge- für eine gute Idee. Dort könne sie am bes- ISBN 978-3-54837-755-1 meinsame Industriepolitik zu entwickeln. ten ein Gefühl dafür bekommen, wie Wie das funktionieren kann, hat die schnell aus der »Werkbank der Welt« die- Bahnbranche im vorigen Jahr vorgemacht. ser Innovationsstandort geworden sei. Als in China durch die Fusion zweier Her- Allerdings müsse sie darauf gefasst sein, steller CRRC, der größte Bahnkonzern der dass die Deutschen in Pekings »Made in Welt, entstanden war, dauerte es gar nicht China 2025«-Strategie eine ungewohnte lange, bis die Wettbewerber in Europa rea- Rolle spielten: »Zurzeit sind wir hier nur gierten: Siemens und Alstom, der franzö- die Zulieferer.« sische Konkurrent, kündigten an, ihr Zug- Simon Hage, Martin Hesse, geschäft zusammenzulegen. Sie schufen Alexander Jung, Peter Müller, eine Art »Airbus auf Schienen«, einen eu- Gerald Traufetter, Bernhard Zand ropäischen Champion, der auf dem Welt- markt Hochgeschwindigkeitszüge ver- Video kauft: eine Alternative zu CRRC. Was China Ein ähnliches Vorgehen wäre in der Bat- Deutschland lehrt teriefertigung denkbar. Der Stromspeicher spiegel.de/sp212018china ist mit Abstand der teuerste Teil eines oder in der App DER SPIEGEL Elektroautos. China hat Milliarden in den

75 Wirtschaft »Wir verhandeln erst, wenn Trump die Pistole von unserer Brust nimmt«

SPIEGEL-Gespräch EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, 50, will zurückschlagen, falls der US-Präsident Strafzölle verhängt. Sie sucht aber nach einem Kompromiss.

SPIEGEL: Frau Malmström, haben Sie Prä- Malmström: Mein Eindruck ist, dass es handeln. Sie stehen sehr loyal zu Trump, sident Donald Trump und seinem Handels- eine dauerhafte Entscheidung geben wird, aber das kann uns ja nicht überraschen. minister Wilbur Ross eigentlich schon gra- in die eine oder andere Richtung. Wilbur SPIEGEL: Als Trump zuletzt entschied, der tuliert? Ross und ich haben vielleicht zehnmal te- EU noch mal einen Aufschub bis 1. Juni Malmström: Ich wüsste nicht, wie ich lefoniert in den vergangenen Wochen. In zu gewähren, reagierte Ihre Behörde bei- dazu käme. wenigen Tagen treffe ich ihn in Paris. Ich nahe pampig … SPIEGEL: Die beiden haben die EU erfolg- habe sehr deutlich gemacht, dass wir dau- Malmström: Ja, das alles ist ja auch kein reich erpresst. Die EU ist bereit, mit den erhaft von den Strafzöllen ausgenommen Spiel. Wir reden von 25 Prozent Strafzöl- USA über niedrigere Zölle zum Beispiel werden wollen. Sie verstoßen gegen die len auf Stahl und 10 Prozent auf Alumi- für amerikanische Autos zu verhandeln. Regeln der Welthandelsorganisation WTO nium. Es geht um viel Geld – und mehr: Malmström: Moment mal, wir lassen uns und sind durch nichts gerechtfertigt. Ga- Die Unsicherheit schadet den Unterneh- nicht erpressen, und wir verhandeln nicht, rantieren kann ich so ein Ergebnis aber men, all das dauert bereits viel zu lange. wenn uns jemand die Pistole auf die Brust nicht. Die letztendliche Entscheidung trifft Um es klar zu sagen: Für unsere Unter - setzt. Das habe ich meinen amerikani- Präsident Trump, und wir haben ja gese- nehmen ist es besser, jetzt eine schlechte schen Gesprächspartnern immer wieder hen, dass das in jede Richtung gehen kann. Entscheidung und Klarheit zu haben, als sehr klargemacht. Erst dann, wenn sicher SPIEGEL: Haben Sie den Eindruck, dass vielleicht irgendwann einmal Aussicht auf ist, dass die USA keine Strafzölle auf Stahl Präsident Trump und seine Handelsbeauf- Besserung. Diese Unsicherheit hat schon und Aluminium aus der EU erheben wer- tragten für rationale Argumente über- heute negative wirtschaftliche Auswirkun- den, sind wir bereit, über die Dinge zu re- haupt zugänglich sind? gen. Sie schadet uns allen. den, die Präsident Trump umtreiben. Malmström: Ich hoffe doch. Mein Ein- SPIEGEL: Wenn Sie von einer positiven SPIEGEL: Die Entscheidung soll am 1. Juni druck ist, dass Minister Ross und der US- Entscheidung ausgehen und Verhandlun- fallen. Haben Sie schon Hinweise darauf, Handelsbeauftragte Robert Lighthizer gen beginnen können, bietet die EU dann wie Trump sich entschließen wird? nahe am Präsidenten sind und für ihn ver- eine Art TTIP light an, also ein umfassen- des Handelsabkommen? Malmström: Nein, erst müssen wir sehen, Einfuhrzölle in Prozent des Warenwerts was am 1. Juni passiert. Ich kann keine Verhandlungen beginnen, sondern nur ein- in die EU in die USA grenzen, was das Thema solcher Verhand- lungen sein könnte, und dann brauche ich 10,0 2,5 dafür ein Mandat. Aber unabhängig da- Pkw von: Es wird kein TTIP light geben. Es wäre ein schmales Abkommen, das sich auf Zölle und öffentliche Ausschreibungen 13,5 25,0 beschränkt. Parallel können wir auch un- Pick-ups sere Zusammenarbeit in Energiefragen dis- kutieren, ebenso darüber, wie die Funk- tionsweise der WTO verbessert werden 6,5 7,9 kann. Textilien* SPIEGEL: Also bekommt Trump, was er will: Er kann Flüssiggas in die EU verkau- fen, und die Zölle auf amerikanische Autos 11,1 5,2 werden sinken. Agrarprodukte* Malmström: Zölle auf Industriegüter wä- *Durchschnittswerte Quelle: WTO ren Teil solcher Verhandlungen, auch die

76 JUSTIN JIN / DER SPIEGEL JUSTIN EU-Kommissarin Malmström: »Diese Unsicherheit schadet uns allen« für Autos. Die Mechanik ist so: Da wir SPIEGEL: Was macht Sie so sicher, dass die nahmen angemeldet, etwa Strafzölle auf kein Freihandelsabkommen mit den USA Europäer eine einheitliche Verhandlungs- Bourbon Whiskey, Motorräder von Har- haben, gelten für Autoimporte aus den linie gegenüber den USA halten werden? ley-Davidson … USA die gleichen Zölle wie für all jene Schon in den vergangenen Wochen lagen Malmström: … vergessen Sie die Erdnuss- Länder, mit denen es solche Abkommen Deutschland und Frankreich in der Frage butter nicht, ja. Ich habe Handelsminister ebenfalls nicht gibt. Wenn wir Zölle spe- des Umgangs mit Trump doch immer wie- Ross klipp und klar gesagt: Unsere Liste ziell für die USA senken wollen, brauchen der erkennbar über Kreuz. mit Gegenmaßnahmen ist fertig, sie um- wir ein Abkommen. In jedem Fall müsste Malmström: Nein, schauen Sie doch auf fasst 332 Produkte, auf die wir, je nach ein Abkommen Vorteile für beide Seiten die gemeinsame Haltung der Staats- und Umfang der US-Strafzölle, im Gegenzug bringen, und die Amerikaner müssten Regierungschefs bei ihrem Abendessen am ebenfalls Strafzölle erheben werden. Wir auch einige ihrer hohen Zölle abbauen. Mittwoch in Sofia. Unsere gemeinsame werden proportional reagieren, genau so, Darum geht es. Linie ist klar: Wir verhandeln erst, wenn wie es die Regeln der WTO vorsehen. SPIEGEL: Mit Verlaub, das klingt schon Trump die Pistole von unserer Brust SPIEGEL: Versteht ein Mann vom Typus nach TTIP light. nimmt. Schulhofrüpel wie Trump solch harte An- Malmström: Nein, bitte erinnern Sie sich: SPIEGEL: Ihr Wort in allen Ehren, uns sagen besser als Kompromissvorschläge? TTIP sollte der größte, ambitionierteste scheint aber, dass die Europäer alles ande- Malmström: Das kann schon sein, mir Handelsvertrag aller Zeiten werden. Da re als einig sind. Bundeswirtschaftsminis- aber ist der Kompromiss immer lieber. Das ging es nicht nur um Industriegüter, da ter Peter Altmaier drängt schon länger auf liegt in unserer DNA als Europäer. Die EU ging es beispielsweise um die regulatori- Gespräche, Frankreich ist zögerlich. ist eine Rechtsgemeinschaft, entsprechend sche Zusammenarbeit und nachhaltige Malmström: Ich würde das nicht über- wichtig sind uns Verträge und die interna- Entwicklung. Ich denke, die Umstände bewerten. Ich spreche beinahe täglich mit tionale Ordnung. Fast immer gehen diese sind heute nicht so, dass wir darüber ver- Peter Altmaier und den anderen Ministern. Regeln auf das gemeinsame Engagement handeln könnten. Wenn unsere TTIP-Ver- Sie haben unterschiedliche Prioritäten, das von Europäern und Amerikanern zurück. handlungen mit den Amerikanern von Er- ist ganz normal. Ich gebe hier aber keine Deswegen verteidigt die EU auch das Iran- folg gekrönt gewesen wären, befänden wir Noten über Minister ab. Abkommen so vehement. Es ist ein Ab- uns heute gar nicht in dieser misslichen SPIEGEL: Sprechen wir über das Alterna- kommen unter dem Dach der Vereinten Lage. Ich denke, Trump wäre dann immer tivszenario. Die EU bereitet sich darauf Nationen, nicht irgendein Deal, wie es im- noch besorgt über den Stahl- und Alumi- vor zurückzuschlagen, falls Trump tatsäch- mer wieder abfällig genannt wird. niumsektor, aber das ist nicht Europas lich Strafzölle verhängt. Sie haben soeben SPIEGEL: Wie beschädigt ist dieses inter- Schuld. bei der WTO die angedachten Gegenmaß- nationale System bereits?

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 77 Malmström: Die internationale Ordnung SPIEGEL GESCHICHTE wird schwächer, weil die USA sich immer MONTAG, 21. 5., 21.00 – 21.45 UHR | SKY mehr zurückziehen, sie bricht aber nicht zusammen. Es gibt eine Gegenbewegung. Fake War – Propaganda im Krieg Schauen Sie nur, mit wie vielen Ländern Propaganda ist Meinungsmache und die EU derzeit Handelsabkommen ab- in Gebrauch, seitdem Menschen schließt. Das Abkommen mit Japan ist ge- über Menschen herrschen. In Kriegs- rade für Deutschland wichtig, unsere Ver- zeiten laufen die Propagandisten zur handlungen mit Mexiko sind abgeschlos- Hochform auf. Um den Gegner zu sen, und auch mit den Mercosur-Ländern JIN / DER SPIEGEL JUSTIN demoralisieren, die eigenen Truppen kommen wir gut voran. Es gibt also auch Malmström, SPIEGEL-Redakteure* anzuheizen und die Heimatfront zum positive Nachrichten. »Vergessen Sie die Erdnussbutter nicht« Durchhalten anzuspornen. In der SPIEGEL: Macht es überhaupt Sinn, mit Kriegs propaganda werden Worte und den USA über Zollfragen zu verhandeln? was die Überproduktion von chinesischem Bilder zu Waffen, die mindestens ge- Sie können doch gar nicht sicher sein, ob Stahl angeht. Warum arbeiten Sie da nicht nauso rücksichtslos eingesetzt werden Trump beim nächsten Vollmond nicht alles stärker mit den Amerikanern zusammen? wie die Bomben und Maschinengeweh- wieder aufkündigt. Sind die USA über- Malmström: Das wird Sie jetzt vielleicht re auf dem Schlachtfeld. Manipulatio- haupt noch ein verlässlicher Partner? überraschen, aber das tun wir längst. Wir nen, Täuschung, Lügen sind die Werk - Malmström: Das werden wir sehen. Aber reden ständig darüber in verschiedenen zeuge jedes Kriegspropagandisten. klar ist: Wenn wir in Verhandlungen ein- Gremien, auch mit den Amerikanern. Wir steigen, müssen wir gemeinsam die Para- diskutieren darüber, wie wir mit China um- meter festlegen. Wir verhandeln nichts, gehen bei den Stahl-Überkapazitäten, bei SPIEGEL TV REPORTAGE was nicht beiden nutzt. In jedem Abkom- Subventionen und geistigem Eigentum. DIENSTAG, 22. 5., 23.10 – 0.15 UHR | SAT.1 men gibt es einen Mechanismus für die Wir sprechen auch darüber, wie wir mit Lösung von Streitfragen zwischen den bestimmten ausländischen Investitionen Die Stilllegung – Fahrradcops Parteien. umgehen. Die USA und Japan haben ihre gegen PS-Protze SPIEGEL: Sie haben das Iran-Abkommen Mechanismen, wir haben unseren Vor- bereits erwähnt. Die Frage, ob Iran sich schlag vorgelegt. Ich hoffe, dass wir das weiter an die Abmachung hält und sein noch in diesem Jahr zum Abschluss brin- umstrittenes Nuklearprogramm nicht wie- gen können. der auflegt, wird sehr davon abhängen, ob SPIEGEL: Wie groß ist die Gefahr tatsäch- europäische Unternehmen trotz der ame- lich, die von chinesischen Investitionen rikanischen Sanktionen mit dem Land wei- in sensiblen Wirtschaftssektoren ausgeht, ter Geschäfte machen können. Die EU tut etwa um europäisches Know-how abzu- sich erkennbar schwer, diesen Unterneh- saugen? men zu helfen. Was muss geschehen? Malmström: Unser Gesetz richtet sich Malmström: Wir arbeiten daran. Natür- nicht gegen ein Land, auch wenn es gerade lich müssen wir europäische Unternehmen Bedenken wegen China gibt. Es geht nicht

SPIEGEL TV SPIEGEL unterstützen, die völlig legale Geschäfte darum, freien Handel zu unterbinden. Ei- Polizist Mertens im Einsatz mit Iran machen und jetzt zum Ziel von nige Investitionen aus China und aus an- Sanktionen werden. Einfach ist das aller- deren Ländern sind fantastisch. Wir wol- Viel PS und wenig Einsicht: Getunte dings nicht. Und, vergessen Sie nicht: Wir len aber, dass die Mitgliedstaaten, die dies Autos mit lautstark pöbelnden wissen ja noch gar nicht, ob Iran sich wei- noch nicht haben, Instrumente zur Über- Fahrern – das lassen sich die Kölner ter an das Abkommen hält. Es gibt starke prüfung solcher Investitionen an die Hand Fahrradcops nicht gefallen. In die- Kräfte in Teheran, die das Abkommen bekommen. Wenn wir hier zusammen sem spektakulären Fall heißt es, jetzt gern in die Tonne treten würden. handeln, gibt das den Mitgliedstaaten die das PS-Monster kommt auf den Ab- SPIEGEL: Zuletzt konnte sich Präsident Stärke, bei dem ein oder anderen verlo- schleppwagen und wird direkt zum Trump über einen einfachen Triumph freu- ckenden Investitionsangebot auch mal TÜV gebracht. Und am Ende ist der en: Das WTO-Gericht urteilte, dass EU- Nein zu sagen. Fahrer nicht nur seinen Wagen los. Hilfen für Airbus unzulässig seien. Kann SPIEGEL: Welche meinen Sie? es sein, dass sich die EU in Handelsfragen Malmström: Investitionen beispielsweise gar nicht viel besser verhält als Trump? in Häfen oder Flughäfen, in Kommunika- SPIEGEL TV WISSEN Malmström: Das Gericht hat gesagt, dass tions- oder IT-Unternehmen können pro- FREITAG, 25. 5., 20.15 – 21.00 UHR | PAY-TV, einige wenige unserer Hilfen für Airbus blematisch sein, müssen es aber nicht. Ge- BEI ALLEN FÜHRENDEN KABELNETZBETREIBERN gegen WTO-Regeln verstoßen, die große nau darüber spreche ich mit meinen ame- Mehrheit aber nicht. Außerdem gibt es rikanischen Partnern. Spezialeinheit für Deutschland – wohl noch in diesem Jahr ein weiteres SPIEGEL: Wie erklären Sie sich, dass die Die Bundespolizei Urteil – dann urteilt das Schiedsgericht USA auf der einen Seite ihre Partner wie Die fünfteilige Reportageserie doku- über die amerikanischen Hilfen für Boeing. Gegner behandeln und mit ihnen auf der mentiert den Alltag einer Mammutbe- Darauf freue ich mich schon. anderen Seite, etwa gegen China, gemein- hörde. SPIEGEL-TV-Reporter wurden SPIEGEL: Auch wenn man es angesichts same Sache machen wollen? Zeuge von Festnahmen, Vernehmun- des Gebarens von Präsident Trump ver- Malmström: Ehrlich gesagt habe ich dafür gen und Abschiebungen. Gedreht wur- gessen könnte, hat die EU ja weiterhin ge- keine Erklärung. In der Tat ist das ein biss- de auch bei Auslandseinsätzen in Mo- meinsame Interessen mit den USA, etwa chen widersprüchlich. gadischu und Kabul. In Folge eins geht SPIEGEL: Frau Malmström, wir danken es unter anderem um das ausgefeilte * Christian Reiermann und Peter Müller in Malmströms Ihnen für dieses Gespräch. Auswahlverfahren der Polizeibeamten. Büro in Brüssel.

78 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Wirtschaft Digitale Inventur Analyse Die Aufregung um die neuen EU-Datenschutzregeln ist entlarvend. Denn sie räumen dem Thema den Stellenwert ein, den es verdient – und bieten der Wirtschaft auch Chancen.

ie nennen es monströs, irrsinnig oder eine Karikatur Die aktuelle Aufregung, die in Deutschland ausgeprägter Svon einem Gesetz. Familienunternehmer und Mittel- ausfällt als anderswo in Europa, ist entlarvend. Wenn Wirt- ständler schimpfen über die Datenschutz-Grundverord- schaftsverbände und Firmen klagen, mit der Umsetzung der nung (DSGVO) genauso wie Sportvereine, Fotografen und Vorschriften nicht termingerecht fertig zu werden, dann illus- Blogger. Das Wehklagen hat auch das Kanzleramt erreicht. triert das den Stellenwert, den viele dem Schutz persönlicher Angela Merkel sagte vorige Woche, manches daran sei »wirk- Daten bislang einräumen – nämlich irgendwo unter »ferner lich eine Überforderung«. liefen«. Viele Vorgaben sind zudem gar nicht neu, sondern wa - Es ist eine Weile her, dass eine Vorgabe aus Brüssel derart ren nach dem Bundesdatenschutzgesetz längst vorgeschrieben. emotionale Debatten ausgelöst hat. Manche vergleichen die Insofern hat die DSGVO eines ihrer Ziele schon vor Freitag Panik vor den neuen Regeln, die vom kommenden Freitag erreicht. Sie hat bei vielen Unternehmen und Organisationen an vollständig umgesetzt werden müssen, schon mit dem so etwas wie eine digitale Inventur ausgelöst und dem Umgang »Millennium Bug« – den angeblich drohenden massenhaften mit personenbezogenen Daten die Aufmerksamkeit verliehen, Computerabstürzen in der Silvesternacht auf das Jahr 2000. den er verdient – nicht nur beim Datenschutzbeauftragten, Die Verunsicherung ist enorm, die Kanzlerin hat sie mit sondern bis hinauf in die Vorstandsebene. Verbraucher beka- der Andeutung, die Bundesregierung könnte in letzter Minute men in den vergangenen Wochen Mails mit der Aufforderung, noch Änderungen planen, noch genährt. Ein Sprecher musste neue Geschäftsbedingungen zu akzeptieren oder Newsletter- das schnell wieder einkassieren. Was ist passiert? Hat die EU Abos zu bestätigen – und so Gelegenheiten für eine persönliche tatsächlich ein neues Bürokratieungeheuer Bestandsaufnahme. Viele wurden dadurch erschaffen, mit unkalkulierbaren Folgen? Datenschutz-Grundverordnung erst wieder daran erinnert, wo sie ihre Da- Die Fakten sind vergleichsweise nüch- Stand der Umsetzung* bei Unternehmen ten bereits überall hinterlassen haben. tern. Die ersten Entwürfe für eine Neu- in Deutschland Natürlich gibt es an der DSGVO auch regelung des europäischen Datenschutzes einiges zu kritisieren. Sie enthält un - stammen aus dem Jahr 2012 und waren teilweise 33 % 32 % größtenteils bestimmte Begriffe, die für Rechtsunsi- keine spontane Kopfgeburt gelangweilter cherheit sorgen. Die umfangreichen Vor- Brüsseler Bürokraten – sondern eine Re- schriften, etwa die Dokumentationspflich- aktion auf ganz reale Missstände. Die un- ten, gelten für kleinere Anbieter genauso einheitlichen Regeln in den EU-Ländern wie für Großkonzerne, die ein Heer von ermöglichten es Konzernen wie Face - 6 % Beratern und Anwälten darauf ansetzen book, Google und Co., ihre Europazen- konnten – Google allein will »500 Men- 5 % 24 % vollständig tralen im Land mit den laxesten Vor- noch nicht schenjahre in die Vorbereitung gesteckt« schriften zu errichten. Die galten dann begonnen/ haben. Sie zeitigt auch schon ungeplante ganz am Anfang keine Angabe/weiß nicht für alle EU-Kunden. Wer als Nutzer Be- Nebenwirkungen: Facebook verlegte die schwerden vorbringen wollte, etwa ge- *Bitkom-Umfrage von April/Mai, 505 Befragte Verträge mit mehr als 1,5 Milliarden Nicht- gen diese beiden üblichen Verdächtigen, EU-Bürgern kurzerhand von Dublin in muss te das auf Englisch tun, bei einer unterbesetzten und die USA – und stellte das Gros seiner Nutzer somit schlechter eher unwilligen Behörde in Dublin. als zuvor. In die Einwilligungen, die seine EU-Mitglieder geben Es gab damals im EU-Parlament intensive Debatten, es mussten, um das Angebot weiter nutzen zu können, schmug- gab massives und teils erfolgreiches Lobbying der IT-Industrie gelte der Konzern auch die zur Gesichtserkennung ein. Damit und eigentlich ausreichend Zeit, sich vorzubereiten: Die sichert er sich im Fahrwasser der DSGVO Zugang zu be- DSGVO wurde im Frühjahr 2016 offiziell beschlossen. Am sonders sensiblen biometrischen Personendaten. Freitag endet die zweijährige Übergangsfrist, die es allen Be- Andere mögliche Auswirkungen wären noch gravierender: troffenen ermöglichen sollte, die neuen Vorgaben umzuset- Abmahnorgien beispielsweise gegen die vielen Anbieter, die zen. Nun werden sie sozusagen scharf gestellt. auch am 25. Mai nicht alle Vorgaben umgesetzt haben wer- Neben einheitlichen Regeln soll das vor allem mehr Rechte den. Oder ein Rückzug privater Blogger und Künstler aus für Nutzer schaffen und ihnen eine bessere Kontrolle über Furcht davor– das würde das Netz ärmer machen. Vor allem die eigenen Daten geben. Wie überfällig das ist, zeigen die darf die DSGVO nicht als Innnovationsbremse wirken, etwa zahllosen Skandale der vergangenen Jahre, zuletzt wieder in Sachen künstliche Intelligenz, bei der Algorithmen anhand bei Facebook. großer Datenmengen trainiert werden – und Europa derzeit Nach der DSGVO dürfen personenbezogene Daten nur hinter China und den USA um den Anschluss ringt. zweckgebunden verwendet werden, Nutzer können Rechen- Den Negativszenarien ihrer Gegner stehen indes auch Chan- schaft über gespeicherte Informationen sowie deren Löschung cen gegenüber. Weil die Branchengiganten viel investiert haben, verlangen. Anbieter müssen ihre Geschäftsbedingungen in ver- um die neuen EU-Regeln zu erfüllen, könnten diese zum inter- ständlicher Sprache formulieren. Und ab sofort drohen emp- nationalen Standard werden. US-Politiker nannten sie zuletzt findliche Strafen bei Verstößen: bis zu 20 Millionen Euro oder häufig als mögliches Vorbild. Sollte sich das europäische Verständ- vier Prozent des weltweiten Umsatzes. Facebook könnte bei nis von Datenschutz durchsetzen und eine Art Qualitätssiegel Vergehen gemessen an seinen aktuellen Geschäftszahlen also werden, dann würde das nicht nur Nutzer besserstellen – son- eine Buße von bis etwa 1,3 Milliarden Euro drohen. dern auch die Vorreiterfirmen aus der EU. Marcel Rosenbach

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SPIEGEL: Die Telekom hat Ihren Vorschlag als »Enteignung« gebrandmarkt. »Viel auf dem Spiel« Dommermuth: Das würde ich verstehen, wenn wir etwas geschenkt haben wollten, aber darum geht es ja nicht. Roaming be- Telekommunikation United-Internet-Chef Ralph Dommermuth, 54, deutet, dass Anbieter gegen eine angemes- über Deutschlands Rückstand bei den 5G-Mobil- sene Miete andere Netze mitnutzen kön- funkfrequenzen und eigene Pläne beim erwarteten Wettbieten nen. Das ist Standard, sonst würde Ihr Han- dy im Ausland nicht funktionieren. SPIEGEL: Wenn die Bundesnetzagentur SPIEGEL: Herr Dommermuth, der Bund Dommermuth: Das stimmt, aber niemand das »nationale Roaming« in die Ausschrei- will die Frequenzen für den nächsten Mo- kann über Nacht ein bundesweites Funk - bung aufnimmt, sind Sie also dabei? Wie bilfunkstandard 5G nun doch erst im kom- netz realisieren. Wenn die frisch gewon- viele Milliarden Euro wollen Sie für die menden Jahr versteigern. Was bedeutet das nenen 5G-Kunden aus den ersten Ausbau- Frequenzen und den Netzaufbau in die für den ursprünglichen Plan der Großen gebieten herausfahren, müssen sie weiter Hand nehmen? Koalition, »Leitmarkt« dafür zu werden? durch herkömmliche Netze versorgt wer- Dommermuth: Wir haben verschiedene Dommermuth: Wir verlieren wertvolle den und dürfen nicht in Funklöcher fallen. Szenarien betrachtet. Es gibt nämlich Zeit, und andere Länder vergrößern ihren Das würde kein Nutzer mitmachen. Wir noch weitere Themen, bei denen Deutsch- Vorsprung. Nächstes Jahr werden in den brauchen bei der anstehenden Vergabe land von den 5G-Vorreitern lernen kann. USA, Südkorea und China die ersten 5G- deshalb eine nationale Roaming-Pflicht Dort werden beispielsweise große Teile Netze in Betrieb gehen. für bestehende Netze, so wie es andere der Mobilfunkinfrastruktur gemeinsam SPIEGEL: Kann 5G helfen, die deutsche Länder schon handhaben. Ohne eine sol- genutzt. Das beschleunigt den Ausbau Misere bei der Versorgung mit schnellem che Auflage werden nicht nur wir abwin- und schont Umwelt und Ressourcen. In Internet zu überwinden? ken, da bin ich sicher. Deutschland stapeln sich die Antennen an Dommermuth: 5G wird die Echtzeitkom- lukrativen Standorten, anderswo haben munikation von Geräten und Maschinen Mobilfunkstandards im Vergleich wir bis heute noch keine Mobilfunkver- im Internet der Dinge ermöglichen, etwa sorgung. Dieses Businessmodell ist aus das autonome Fahren. Das wird aber noch Wie lange der Download eines einstündigen der Zeit gefallen. dauern, denn dafür wird eine gewisse Films (0,7GB) dauert SPIEGEL: Die Telekom hat in Berlin erste Flächendeckung benötigt. Zuerst könnten GPRS 29 Stunden 5G-Antennen eingeweiht, Vodafone hat Haushalte und Unternehmen profitieren, 1 Sekunde 1 Minute 1 Stunde 1 Tag 2 Tage gerade ein Testlab eröffnet. Haben die bei- denn 5G eignet sich auch als Ersatz für einen 53,6 KBit/s* den damit nicht einen großen Vorsprung Festnetzanschluss. Sie müssen nicht graben gegenüber möglichen Neueinsteigern wie oder ihr Haus neu verkabeln und können EDGE 6,5 Stunden Ihnen? trotzdem ihre Geräte mit Gigabit-Geschwin- 1 Sekunde 1 Minute 1 Stunde 1 Tag Dommermuth: Ich kann da nichts Unein- digkeit nutzen. Das ist eine Riesenchance, 236,8 KBit/s holbares erkennen. Die Hardware kaufen gerade für ländliche Regionen. Da würde ohnehin alle bei denselben Ausrüstern in ich mit dem Ausbau beginnen, gern auch 3G (HSPA) 13 Minuten China und den USA, es gibt keine Tele- gemeinsam mit interessierten Kommunen. 1 Sekunde 1 Minute 1 Stunde kom-5G-Technologie. SPIEGEL: Das heißt, Sie bieten mit? 7,2 MBit/s SPIEGEL: Liebäugeln Sie deshalb mit dem Dommermuth: Das entscheiden wir, so- 4G (LTE-Advanced) 6 Sekunden Aufbau eigener Netze, weil die Verpflich- bald wir die genauen Bedingungen dieser tung von Telefónica und Co., Ihre Ange- 1 Sekunde 1 Minute Auktion kennen. bote zu transportieren, in einigen Jahren SPIEGEL: Milliarden Euro wird es in jedem 1 GBit/s ausläuft? Fall kosten. Oder welche Bedingungen 5G circa eine halbe Sekunde Dommermuth: Wir stehen nicht unter meinen Sie? 1 Selkunde Druck, aber vielleicht ergibt sich jetzt eine Dommermuth: Der Koalitionsvertrag for- Chance. Nun ist aber erst einmal die Poli- 10 GBit/s muliert den Willen, bei der digitalen Infra- tik am Zug: Sie muss entscheiden, ob *typische maximale Datenübertragungsrate struktur in die Weltspitze aufzusteigen. Deutschland sich die nächsten 20 Jahre Bei den Vergabebedingungen wird sich auf Telekom und Vodafone verlässt oder nun zeigen, wie ernst das gemeint ist: ein neues, viertes Netz und somit mehr Überlässt die Große Koalition den Aufbau Wettbewerb möchte. Was der vermag, dieser wichtigsten Zukunftstechnologie sieht man gerade in den USA. Dort greift einem Duopol aus Deutscher Telekom und die Telekom mit ihrer geplanten Sprint- britischer Vodafone und vielleicht noch Übernahme das bestehende Breitband- spanischer Telefónica? Oder ermöglicht Duopol an und will in den nächsten drei sie den Markteintritt neuer Wettbewerber? Jahren 40 Milliarden Dollar in 5G in- Es steht viel auf dem Spiel: Jetzt werden vestieren. Der T-Mobile-Chef hat betont, die Weichen für die nächsten 20 Jahre wie wichtig 5G für die USA sei, für den gestellt, und wir entscheiden, ob Deutsch- Technologiestandort und das ländliche land aufholt. Amerika. Übrigens gibt es dort National SPIEGEL: Bislang verkauft Ihr Unterneh- Roaming, und 75 Prozent der Anten nen - men Handyverträge und nutzt dabei die standorte werden gemeinsam genutzt. Es Netze der Wettbewerber. Was hält Sie wäre schön, wenn die Berliner Politiker davon ab, mit 5G-Antennen eine eigene / AGENTUR FOCUS ROTH STEFFEN sich das auch einmal ansehen würden. Infrastruktur aufzubauen, das ist doch Ihre Unternehmer Dommermuth Interview: Marcel Rosenbach ureigene Entscheidung? »Die Politik ist am Zug«

80 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Der Sieger am Ring 2018: Ein Boxer, natürlich.

Porsche gewinnt die 24h vom Nürburgring. Wir gratulieren Manthey Racing zum Gesamtsieg mit dem 911 GT3 R und seinem 4-Liter-Boxermotor. Danke an all unsere Kundenteams und Fans für die einzigartigen #MomentsOfRacing. Weil auch Siegesmomente größer werden, wenn man sie teilt. Mehr erfahren unter: www.porsche.de/momentsofracing Ausland

»Draußen tobt ein Gewitter, und was soll ich sagen? Es scheint die Sonne!« ‣S.89 LUIS ROBAYO / AFP ROBAYO LUIS Der Jubel für den Präsidentschaftskandidaten Javier Bertucci kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wiederwahl des Amtsinhabers Nicolás Maduro an diesem Sonntag in Venezuela so gut wie sicher ist. Der frühere evangelikale Prediger Bertucci verteilt bei vielen Wahlkampfauftritten Suppe, die meisten Menschen haben nicht genug zu essen. Teile der Opposition rufen zum Wahlboykott auf, weil Maduro nach ihren Angaben Stimmen kauft und Gegner unterdrückt. Die EU und die USA wollen das Ergebnis nicht anerkennen.

Georgien ministers zu fordern, ist das ziemlich Nur kommen die Leute hier vor allem Techno-Revolte in Tiflis ungewöhnlich. Der Innenminister ent- aus Armenien, Aserbaidschan oder schuldigte sich für das harte Vorgehen Iran, um die Freiheit der Tanzfläche zu Drogenrazzien in Technoklubs gibt es der Polizei und wies diese dann an, suchen, viele von ihnen sind lesbisch häufig, auch wenn sie meist nicht so brutal die Raver vor Hunderten gewaltbereiten oder schwul. Die Klubmacher sind selbst- ablaufen wie die Durchsuchung zweier Rechtsradikalen zu schützen, die sich bewusst, hochprofessionell, gut vernetzt Diskotheken in der georgischen Haupt- zu einer Gegendemonstration versammelt und unabhängig. stadt Tiflis am vergangenen Wochenende, hatten. Wahrscheinlich gibt es jenseits Seit Langem wehren sie sich gegen als schwer bewaffnete Polizeieinheiten von Berlin keine Stadt, in der die elektro- die drakonischen Drogengesetze Geor- Dutzende Raver verhafteten. Wenn nische Tanzmusik eine solche Bedeutung giens – schon der Besitz kleinster Mengen sich aber schon Stunden später viele Tau- hat wie in Tiflis. kann zu langjährigen Haftstrafen führen. send junge Leute mit Plattenspielern und Das Bassiani, das durchsucht wurde, gilt Die Regierung möchte das Land gern Lautsprechern vor dem Parlament ver- als einer der besten Undergroundklubs in den Westen führen. Die Technotänzer sammeln, um zu tanzen und den Rücktritt Europas, die Szene ist ähnlich inter - erinnern sie nun daran, dass dazu auch des Ministerpräsidenten und des Innen- national wie in der deutschen Hauptstadt. Freiheiten gehören. RAP

82 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 Italien »Eine teuflisch geniale Erfindung«

Marco Morosini, 65, langjähriger Ideen - geber und Ghostwriter des Partei-Idols Beppe Grillo, über den Weg der Fünf- Sterne-Bewegung (M5S) in die Regierung

SPIEGEL: Herr Morosini, Sie zählten zu den Geburtshelfern der Fünf-Sterne- Bewegung. Sind Sie stolz darauf, dass sie jetzt wohl Italien regieren wird? Morosini: Ich habe Beppe Grillo, dem Mitbegründer, geholfen, ein »Homo poli - ticus« zu werden. Der späteren Partei gegenüber war ich immer skeptisch. Inzwischen ist sie eine Bedrohung für die Demokratie und das zivilisierte Miteinander in Italien wie in Europa. SPIEGEL: Warum? Was steht Italien bevor? Morosini: Sehr schlechte Zeiten, zumin- GENTILE / REUTERS TONY dest mit einer Regierung aus M5S und Wandbild von Di Maio und Salvini in Rom der Lega unter Matteo Salvini. Die Lega hat alle kriminellen Machenschaften SPIEGEL: Sie sind ein Freund und Morosini: Er brilliert in den TV-Talkshows, Silvio Berlusconis mitgetragen. Sie habe Weg begleiter Grillos. Wie viel Macht hat ohne eine einzige Idee zu formulieren – sogar »dieses Land zerstört« – wie der er noch? er macht das so gut, dass die eigentlichen M5S-Chef Luigi Di Maio oft betonte, aller- Morosini: In der Partei hat er nie Macht M5S-Macher zu Hause auf dem Sofa ihre dings nur bis kurz vor den Wahlen. gehabt. Aber er hat ihr die Stimme und Fernbedienung, mit der sie ihn steuern, SPIEGEL: Sind die »Grillini« als angeblich das Gesicht gegeben. Das Hirn der Partei beruhigt aus der Hand legen dürfen. erste digitale Partei der Welt leichter war und ist woanders. SPIEGEL: Welche Überlebensdauer manipulierbar? SPIEGEL: Das Mailänder Unternehmen räumen Sie einer Regierung aus M5S und Morosini: Die digitale Partei ist eine teuf- Casaleggio gilt als strategische Schalt - Lega ein? lisch geniale Erfindung, die die totale Kon- zentrale. Was trauen Sie einer Regierung Morosini: Wahrscheinlich eine sehr trolle und Manipulation der eigenen unter dem M5S-Vorsitzenden Luigi kurze – aber Italien ist immer für Über - Abgeordneten und Aktivisten ermöglicht. Di Maio zu? raschungen gut. WMA

Chappatte Schweden Schutz vor Einmischung Auch in Demokratien sind freie, unbeeinflusste Wahlen keine Selbstver- ständlichkeit mehr. Und so betreiben die Schweden gerade großen Aufwand, um ihre Parlamentswahl im September vor russischer Einflussnahme zu schüt- zen. Sie befürchten die Verbreitung von Fake News über Propagandakanäle wie RT und Sputnik sowie in sozialen Netzwerken. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven hat be reits die Gründung einer neuen Be hör - de für psychologische Verteidigung an - ge ordnet. Und um auf Gerüchte, Falsch - meldungen oder andere Ma nipula tions- versuche sofort reagieren zu können, hat das Amt für Zivilschutz MSB ein Lagezentrum in Stockholm eingerichtet, das an allen Wochentagen rund um die Uhr besetzt ist. »Die Wahl in den USA hat uns die Augen geöffnet«, sagt der zuständige Abteilungsleiter Mikael Tofvesson, »jedes Land muss begreifen, dass es verwundbar ist.« DIP

83 Ausland Stadt der Mauern

Irak I Der eine entführt Menschen für Geld, der andere will Start-ups fördern – zwei junge Männer in Bagdad, zwei Versionen der Zukunft für eine geschundene Stadt. Wer wird sich durchsetzen? Von Fritz Schaap und Christian Werner (Fotos)

ie Zukunft Bagdads spiegelt sich schen. Dort, wo nie etwas besser Fährt man nach Sadr City hinein, in den Geschichten zweier junger wird. sieht man zuerst die Fahnen. Grün D Männer. Der eine will die Gräben Sie beide stehen für Bagdad. Nur und Schwarz, die Farben des Islam, der Vergangenheit zuschütten. dass es wenige gibt wie Waisi und Konterfeis schiitischer Imame, zer- Der andere braucht die Gräben, denn viele wie Hassan. Wie also sieht die fetzt an langen Stäben über den un- Krieg ist alles, womit er Geld verdienen Zukunft dieser Stadt, dieses Landes verputzten Häusern, die eng anei nan - kann. Der eine will eine Zukunft ohne die aus, nun da der »Islamische Staat« dergedrängt stehen, als könnten sie Geister der Vergangenheit. Der andere ist (IS) militärisch so gut wie besiegt sich so schützen vor der Stadt, in der ein Geist der Vergangenheit. ist? Eines Landes, das in all den Jah- sie gebaut wurden. Der eine sagt: »Wir wollen Erfolgsge- ren der Kriege – gegen Iran, Kuwait, Nahost- Ali al-Hassan steigt aus seinem schichten wie Viren schaffen. Die sich aus- gegen sich selbst, die Amerikaner, krise Nissan, schaut sich um, läuft in eine breiten und das Klima der Angst und der den IS – zersplittert ist. Und in dem Seitenstraße, die wie eine Scharte in Inkompetenz vernichten.« Der andere die Zukunft mal wieder ungewiss ist, nach den Slum geschlagen scheint. Dann schaut sagt: »Das Land hat keine Zukunft. Die dieser Wahl am 12. Mai, bei der überra- er sich wieder um und verschwindet in Oligarchen im Parlament wollen nur rei- schend der schiitische Kleriker Muqtada einem Durchgang, eilig verriegelt er das cher werden. Irgendwann werden wir, die al-Sadr vorn liegt und die bisher Regieren- Metalltor des Hofes. Vor dem Tor fährt Armen, uns erheben. Alle politischen Par- den abgestraft wurden. der Wind in die Plastiktüten, die im Sta- teien und ihre Milizen müssen weg.« Vor allem in Bagdad haben die Men- cheldraht festhängen, der die Mauern Der eine ist Mujahed Waisi, der Grün- schen für Sadr gestimmt, dieser Stadt, die krönt. der des ersten Start-up-Inkubators der zerrissen ist zwischen Aufbruchstimmung Vor 32 Jahren wurde Hassan hier ge- Stadt. Er hat ein modernes Glashaus in und Resignation, zwischen Hoffnung und boren, er hat die Hoffnung aufgegeben, je- Karrada errichtet, einem gutbürgerlichen Angst; die seit ihrer Gründung im Jahr 762 mals wegzukommen. Sein Gesicht ist Viertel, in dem die Stadt fast normal wirkt. den Namen »Stadt des Friedens« trägt und weich, der Bart ist sauber gestutzt, er wirkt Von hier aus soll eine neue Generation deren Geschichte doch von Anbeginn so nicht wie ein Mann, der mit Gewalt sein Unternehmer das Land aufbauen und den grausam war, dass sie später den Beinamen Geld verdient. Seit seiner Kindheit atmet Kreislauf der Gewalt durchbrechen. »Stadt des Blutes« erhielt. er den Rauch der brennenden Müllkippen, Der andere ist Ali al-Hassan, der davon Dort, wo Bagdad noch heute eher eine seine Stimme ist davon rau geworden. Er lebt, Menschen zu entführen und einzu- Stadt des Blutes ist, im schiitischen Slum ging nur zwei Jahre zur Schule, und er er- schüchtern. Er wohnt in einem unverputz- Sadr City, benannt nach dem Vater von innert sich mehr an die Schläge der Lehre- ten Haus in Sadr City, dort, wo die Regie- Muqtada al-Sadr, lebt Ali al-Hassan, der rin als daran, wie man Buchstaben liest. rung keine Macht hat, wo die Milizen herr- Entführer. »Wir entführen für Geld, und wir ent- führen für Macht«, sagt Hassan über sei- nen Job. »Vor einigen Wochen haben wir einen Abgeordneten verschleppt, um eine Vertragsvergabe zu erzwingen.« In ande- ren Vierteln wird entführt, um Minderhei- ten wie die Christen zu vertreiben. Meis- tens aber geht es einfach um Lösegeld. Oder um Arbeitsplätze. Als einer den Job des Vizegeneraldirektors des Ölministe - riums haben wollte, ließ er den Mann kid- nappen, um seinen Rücktritt zu erzwingen. »Und viele der Entführer«, sagt Hassan, »kommen von hier«, aus Sadr City. Zwei Millionen Menschen leben in dem schiitischen Armenviertel, in dem Tiere am Straßenrand in Ställen aus zusammen - gebundenen Kühlschrankgittern gehalten werden, in dem die Häuser flach und grau sind, die Bilder der Märtyrer hängen, Scha- fe im Müll nach Essbarem suchen. Und in dem einst, nach der Invasion der Ameri- kaner 2003, die Armee Muqtada al-Sadrs CHRISTIAN WERNER / DER SPIEGEL CHRISTIAN entstand, die sich heute Friedenskompanie Milizmitglied Hassan: »Wir entführen für Geld, und wir entführen für Macht« nennt. Sadr City steht sinnbildlich für die

84 CHRISTIAN WERNER / DER SPIEGEL CHRISTIAN Geier und Adler auf einem Markt in Bagdad: Nach jeder Bombenexplosion machen die Menschen weiter, als wäre nichts gewesen

Probleme, die das Land hat. Mit seinen hier. Wenn ein Familienmitglied hinaus- Es herrscht ein fragiler Frieden im Irak; Milizen, mit der Armut, der Gewalt. muss zu dem Loch, das die Toilette ist, wie schon 2010, nach dem Pyrrhussieg Die Regierung schickte neben den regu- steigt es über die anderen. über al-Qaida, steht das Land vor einem lären Soldaten Zehntausende Männer ver- Ein Junge bringt Tee herein. Seit drei vermeintlichen Neuanfang. Doch die schiedener, teils mafiöser Milizen in den Tagen ist Hassan aus dem Süden der Stadt Probleme der Zukunft zeichnen sich be- Kampf gegen den IS. Im Juni 2014 grün- zurück, sein Auftrag dort: Eine Einheit sei- reits deutlich ab. Mehrheitlich schiitische dete die Führung in Bagdad die Haschd al- ner Miliz hatte sich am Kommandeur vor- Milizen, die oftmals ihre Befehle aus Schaabi, einen mehrheitlich schiitischen bei bereichert; sie hatten mehrere Zehn- Teheran erhalten, kontrollieren Teile der Milizenverbund, und machte die Milizio- tausend Dollar kassiert und dafür Unifor- Hauptstadt und des Landes. Ihnen gegen- näre zum Teil ihrer Streitkräfte. Nun kön- men und Abzeichen verteilt. Hassan fuhr über stehen zornige Sunniten, die das nen sie ihren kriminellen Nebengeschäften mit zwölf Mann zu ihrem Checkpoint, ließ Wüten der Streitkräfte und Milizen bei ganz legal nachgehen, mit Uniformen und die Untreuen in eine Lagerhalle zerren der Vertreibung des IS, all die Plünderun- Abzeichen der Streitkräfte. und zusammenschlagen. Reich wird hier gen und Morde, nicht vergessen haben. Ali al-Hassan, der früher Taxi fuhr, ist nur, wer Befehlsgewalt hat. »Korrupt ist Und über allem liegt unausrottbar die Mitglied solch einer Miliz. Er kämpfte ge- jeder, der Macht hat«, sagt er, während Korruption. »Alles kann sich über Nacht gen den IS, plünderte auf Befehl eroberte Fliegen über den Teegläsern kreisen. ändern«, sagen sie deshalb in Bagdad, Gebiete, stieg auf zum Kommandeur. Heu- Es ist gefährlich für ihn zu reden. Doch »nur die korrupten Politiker nicht.« Die te führt er eine kleine Einheit an, zuständig die Abscheu vor dem System ist größer als Wahl des Populisten Sadr ist ein Ergebnis für Entführungen und Einschüchterungen. die Angst. »Ich kenne alle Führer der Mi- davon. Jede Miliz, sagt er, habe solche Einheiten. lizen«, sagt er. »Ich kenne ihre Familien, Knapp 40 Prozent der Iraker sind nach »Es geht um viel Geld.« Und es geht da- ihre Paläste: Sie sind alle Kriminelle.« Saddam Husseins Sturz geboren. Viele rum, dass viele Männer ein regelmäßiges Selbst der Einstieg in die Gruppe kostet kennen nur die Kämpfe, die folgten. Sie Einkommen, eine vorerst gesicherte Zu- Geld, es ist wie im Staatsapparat, auch wollen Jobs, Sicherheit, ein bisschen Wohl- kunft haben. Als Taxifahrer hatte Hassan dort werden die begehrten Stellen meist stand. Diese Jugend sieht sich von den Re- das nicht. gegen Bestechungsgelder vergeben. gierenden im Stich gelassen. Redet man Der Name seiner Miliz darf nicht ge- Hassan trat seiner Gruppe bei, als der in Bagdad mit jenen, die während des nannt werden, auch nicht Hassans wahrer IS vor Bagdad stand. Er kämpfte, bis sich Kampfes gegen den IS erwachsen wurden, Name, sein Leben wäre sonst in Gefahr. die Islamisten zurückzogen. Nun ist er zu- entsteht Hoffnung, dass die konfessionel- Er betritt das einzige, karge Zimmer, rück in Sadr City. Aber Arbeit gibt es im- len Linien, die das Land lange trennten, stellt den Fernseher stumm und setzt sich. mer noch nicht. Und so kämpft er weiter verblassen. Diese Generation identifiziert Die rohen Klinker sind eierschalenfarben gegen Gegner, die ihm sein Kommandeur sich mehr mit dem Staat als mit ihrer Reli- überstrichen. Nachts holen sie die feuchten am Telefon durchgibt. Einen anderen Job gionsgemeinschaft. Und deswegen fordern Matratzen aus dem Anbau und schlafen findet er nicht. vor allem junge Iraker nun einen funktio-

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 85 Irak II Einst töteten Muqtada al-Sadrs Milizen US-Soldaten Gelegenheit. Im Sommer 2015 etwa, als und Sunniten. Jetzt hat sein Bündnis die Wahl gewonnen – und rund 50000 Sunniten aus Anbar auf der Flucht vor dem »Islamischen Staat« nahe das könnte sogar gut sein. Bagdad strandeten und man sie nicht weiterließ, weil sie, wie alle Sunniten, als potenzielle IS-Terroristen galten. Die Sieg des Predigers einzigen Helfer, die Wasser, Nahrung und Medikamente verteilten, waren Sadrs Leute. Und als im Frühjahr 2016 Er war der Irrwisch des neuen Irak, aufer- In den ersten Jahren der amerikani- schiitische Milizen in der Stadt Tus Khur- standen aus den Trümmern von Saddam schen Besatzung zog sich Sadr immer matu auf kurdische Peschmerga und ara- Husseins Diktatur, die Amerikas Streit- wieder nach Iran zurück, um nicht von bische Flüchtlinge losgingen, weigerte macht in nur knapp vier Wochen zusam - den Amerikanern gefangen genommen sich Sadrs mittlerweile in Friedenskom- mengebombt hatte: Muqtada al-Sadr. oder umgebracht zu werden. Dass Tehe- panie umgetaufte Miliz, auf Kurden und Jung, zornig und mächtig dank seines ran Sadr zu einem seiner Satrapen im Araber zu schießen. »Wir müssen die Namens. Denn er ist einer der letzten Irak machen wollte, führte aber schließ- Sunniten als gleichberechtigte Bürger männlichen Überlebenden der berühmtes- lich zum Bruch. Anders als viele Schii- behandeln, sie für uns gewinnen«, sagte ten schiitischen Klerikerdynastie im Irak. tenführer, die sich in Treueschwüren an 2015 Saleh Obeidi, einer der engsten Seinen Vater und zwei Brüder Berater Sadrs. »Sonst zerstö- hatte Saddam ermorden lassen. ren wir den Irak endgültig.« Dass Muqtada al-Sadr davon- Danach richtete sich Sadr kam, lag an seinem Ruf, sich gegen die Korruption; wobei eher für seine Playstation als auch seine Minister in diversen für Politik zu interessieren. Regierungen einst berüchtigt Kaum waren die US-Trup- waren für ihre Gier. Gemein- pen in Bagdad einmarschiert, sam mit den Kom munisten trafen sie auf wütende Men- führten Sadrs Anhänger den- schenmassen, ausgerechnet noch 2016 monatelange Pro- jene, die sie doch gerade teste gegen die Korruption an, be freit hatten: die Schiiten, die überrannten schließlich die ewig unterdrückte Mehrheit Grüne Zone, das hochgesicher- im Irak, von denen mehr als te Areal der Mächtigen in Bag- zwei Millionen allein in Bag- dad, und zwangen Premier dads größtem Slum lebten, Haider al-Abadi zur Kabinetts - in Saddam City, umgehend umbildung. um getauft in Sadr City. Ihr So ungewöhnlich das Bünd- Anführer: Muqtada al-Sadr. nis mit den Kommunisten Seine auf Zehntausende klingt, es hat historische Wur- anwachsende »Armee des zeln, denn einst war die ira- Mahdi« machte brutal klar, kische KP vor allem die Partei dass sie sich nicht der US-Herr- der Schiiten. schaft unterwerfen würde. Bei der Wahl am 12. Mai »Sadr« wurde zum Schreckens- hatte Sadr seinen bisherigen ruf. Seine Milizen waren ver- 34 Abgeordneten verwehrt, antwortlich für zwei Aufstands- abermals anzutreten, stattdes- wellen gegen die Amerikaner, sen ließ er Technokraten ver-

für Entführungen und Morde / AP HADI MIZBAN schiedener Konfessionen auf- an Sunniten, Homo sexuellen, Siegesfeier von Sadr-Anhängern in Bagdad stellen. Damit hat er offenbar einstigen Saddam-Getreuen, den Nerv der Bevölkerung Athe isten. Sadr gewährte keine getroffen, sein Bündnis liegt langen Interviews. Traf man ihn, wie Irans Revolutionsführer Ali Khamenei vorn, vor der Allianz des Premiers etwa Ende 2003 in einer Moschee in überbieten, setzte sich Sadr von dem Abadi. Sadr selbst kann nicht Premier Kufa, gab er lediglich ein Stakkato von Regime ab – und wurde ein irakischer werden, da er nicht angetreten ist. Aber Slogans gegen die Ungläubigen von sich. Nationalist mit politischen Ambitionen. er könnte Königsmacher sein in einer Jetzt, 15 Jahre später, hat ebendieser So wie einst sein Vater, den Saddam Koalition. Mann mit einem Bündnis aus seinen deshalb hatte umbringen lassen. »Er ist der einzige Politiker mit einer Anhängern, Kommunisten und Säku - Mit Sadr geißelte ausgerechnet ein klaren Vision für den Irak«, konstatiert laren die meisten Stimmen bei der Par - Abkömmling der verehrtesten Aja - ein westlicher Diplomat in Bagdad. »Irak lamentswahl gewonnen. Und zwar tollahs den Glaubensmissbrauch und zuerst, Korruption ausrotten, eine Re - mit einem Programm, das der komplette die Unterdrückung der Sunniten gierung der Technokraten.« Keine neue Gegenentwurf zum früheren Sadr ist. im Irak. Aber wer außer ihm hätte es Idee, aber ausgerechnet Muqtada al-Sadr, Damit hat Muqtada al-Sadr, mittler- auch wagen können, sich Iran so der Nachkomme legendärer Geistlicher, weile 44, eine spektakuläre politische Ver- glaubhaft und entschlossen entgegen- hätte die Macht, sie durchzusetzen. wandlung durchlaufen – die auf den zustellen? Nicht das Schlechteste, was man aus ersten Blick widersprüchlicher erscheint, Sadr und seine Anhänger meinten es solch einem Erbe machen kann. als sie tatsächlich ist. ernst, das zeigte sich bei mehr als einer Christoph Reuter

86 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 CHRISTIAN WERNER / DER SPIEGEL CHRISTIAN Frau mit Kind in Sadr City: Sinnbild für die Probleme des Landes, mit den Milizen, der Armut, der Gewalt nierenden Staat. Gesetze, die eingehalten »Bagdad«, sagt Waisi, »ist eine Stadt mit chen und picknicken Familien. In den bür- werden. Ein Ende der Korruption. begrenzten Möglichkeiten.« Wer sie nut- gerlichen Vierteln antworten sie auf die Einer von ihnen ist Mujahed Waisi, 33, zen kann und wo die Grenzen liegen, da - Frage, wie das Leben in Bagdad denn heu- ein Jungunternehmer, der im Viertel Kar- rüber entscheiden allein Vermögen und te sei, mit einem Wort: besser. rada eine Insel der Normalität schaffen Kontakte. Damit die Start-ups, die hier Bagdad, das ist auch immer dieser im will, in diesem Meer aus Lethargie und eingezogen sind, schnelles Internet beka- Bombenhagel gehärtete Wille weiterzuma- Angst. Die Insel wird von einem Fahrrad - men, musste jemand im Kommunikations- chen. Und nun vor allem die Entschlossen- ständer angekündigt. Dort steht ein liebe- ministerium bestochen werden. heit, neu anzufangen. voll restauriertes Hollandrad. Daneben Waisi hat vieles miterlebt: Saddam Hus- Aber natürlich ist das nur eine Seite die- sitzt ein Wächter mit einer Kalaschnikow sein, die Zeit des verheerenden Embargos, ser Stadt. Mehrere Hundert Entführungen im Schoß vor einem schweren Metalltor. den Einmarsch der Amerikaner, die Plün- gibt es noch immer jedes Jahr, allein in Dahinter steht ein Haus aus Glas und alten derungen und Entführungen, den Krieg Bagdad. 745 registrierte Fälle waren es in Schiffscontainern. al-Qaidas und des IS. Aber er möchte den ersten neun Monaten des Jahres 2016, Hier sollen Start-ups entstehen, soll Bag- da rüber nicht mehr reden. Er wolle eine neue Zahlen gibt es nicht. Und in den ers - dad neu gedacht werden. Mujahed Waisi Zukunft haben, sagt er, die nicht mehr von ten vier Monaten dieses Jahres starben hat seinen Inkubator, die »Station«, vor der Vergangenheit diktiert wird. Und tat- laut Uno bereits mindestens 180 Men- zwei Monaten eröffnet. »Es gibt hier keine sächlich hat er Hoffnung. schen bei Anschlägen oder bewaffneten Kultur, keinen Nährboden für junge, mo- Das Leben in der Innenstadt, in Karrada Auseinandersetzungen im Gouvernement derne Unternehmer. Wer sich verwirk- und Mansur, normalisiert sich. Die Men- Bagdad, 500 wurden verletzt. lichen wollte und konnte, ist ins Ausland schen haben sich die Straßen, die Nächte Es fehle der ordnende Staat, sagt Ali al- gegangen.« Gegen diesen Braindrain will zurückerobert. Die Restaurants sind voll, Hassan, der Entführer, ausgerechnet. »Frü- Waisi angehen. Er spricht fließend Eng- Nachtklubs werden eröffnet, Motorrad- her, unter Saddam, hatten wir eine eiserne lisch, betreibt nebenbei eine Produktions- klubs, Literaturvereine, Festivals, Gale- Faust, heute haben wir Dutzende.« firma und eine Eventagentur. Ein junger rien. Nur noch alle vier Stunden fällt der Über Jahrzehnte hatten sich die Men- Mann mit rundem Gesicht, den die Stadt Strom aus, manchmal wird sogar der Müll schen an einen bis in jeden Winkel präsen- älter aussehen lässt, als er ist. eingesammelt. Auf der Mutanabbi-Straße ten Staat gewöhnt. Im Schlechten, aber Er sitzt in dem 15 Meter hohen Atrium, werden wie immer Bücher verkauft, liegen auch im Guten: Die Schulen funktionierten, dahinter liegt ein Coworking Space, der alte Ausgaben von Ernest Hemingway die Wasserversorgung, die Müllabfuhr. Seit aussieht, wie solche Orte auch in Amster- neben denen von Simone de Beauvoir, mehr als 15 Jahren ist da nun ein Vakuum, dam, Berlin oder London aussehen: lange finden sich arabische Übersetzungen fast und bei vielen sei deswegen der Wunsch Tische mit Laptops darauf, von der Decke aller europäischen Klassiker. Im Qishleh- nach starker Führung gewachsen. Aber baumeln nackte Lampenfassungen. Es Park am Flussufer stehen freitags die Dich- dass es in Sadr City eher immer schlimmer läuft ein Song von Mark Knopfler. ter und rezitieren ihre Werke, sitzen Pär- als besser werde, das sei nicht nur die

87 Niemand bekomme hier eine gute Aus- bildung, sagt der Unternehmer. Alle woll- ten in den Staatsdienst, die wenigsten hät- ten weiterreichende Ambitionen. Ein Job als Beamter, das sei die größte finanzielle Sicherheit, die dieses Land biete. Und an- dere Jobs gebe es ohnehin kaum. Tatsächlich sind die alten Fabriken im Süden der Stadt fast alle geschlossen. Die Industrieproduktion ist zusammengebro- chen, das meiste muss importiert werden. Der Hauptarbeitgeber ist der Staat, einen Großteil der durch den Ölexport einge- nommenen 60 Milliarden Dollar wendet er für die Gehälter seiner Angestellten auf. »Es ist ein Denken wie in einer Planwirt- schaft«, sagt Waisi. »Es kam zu einem geis- tigen Stillstand. Den wollen, den müssen wir hier beenden.« Er schaut nach drau- CHRISTIAN WERNER / DER SPIEGEL CHRISTIAN ßen, auf den Wächter mit der Kalaschni- kow, das Tor, die Schutzmauern. Auch er weiß, dass es nicht einfach wird. Die Bomben, die noch bis 2017 den Takt der Stadt angaben, sind weniger geworden, manchmal explodiert eine ganze Woche lang nichts. Aber sie sind nicht verschwun- den. Die IS-Kämpfer haben sich in den sunnitischen Vorstadtring um Bagdad zu- rückgezogen. Die Terrorgruppe mag be- siegt sein, verschwunden aber ist sie nicht. Bagdad, so die Armeeführung, sei nun wieder das Hauptziel des IS. »Die Bomben«, sagt Waisi, »sind Teil der Stadt geworden. Aber die Menschen interessiert das nicht mehr. Auf eine ge- wisse Art und Weise sind sie alle verrückt geworden. Wenn etwas explodiert, geht das Leben bald weiter wie zuvor.« Waisi tritt vor die Tür, wo junge Männer mit sauber getrimmtem Bart und Tätowie- rungen an ihrer Zigarette ziehen.

CHRISTIAN WERNER / DER SPIEGEL CHRISTIAN »Den Menschen in Bagdad fehlt es an Unternehmer Waisi, Coworking-Café in Karrada: »Den geistigen Stillstand beenden« rudimentären Dienstleistungen. Trink- wasser, Strom, gute Schulen – es gibt fast nichts. Eigentlich sind das doch ideale Be- Schuld der Regierung, sagt Hassan. Es sei mittelalterliche Trutzburgen aus der fla- dingungen für den privaten Sektor. Es ist vielmehr die Schuld der Menschen hier. chen braunen Stadt, die sich an das Ufer Zeit für große Veränderungen. Für junge »Sobald die Regierung Aufträge ver- des Tigris kauert. Zwar hat die Armee Unternehmer«, sagt er. gibt, wollen alle ihren Anteil haben«, sagt nach eigenen Angaben mehr als 70000 Das Problem ist, dass niemand in Bag- er. »Als die Türken den Auftrag bekom- dieser Mauerteile abgebaut, aber sie sind dad einfach aufsteigen kann. Für alles men haben, hier zu bauen, haben Männer trotzdem noch überall. Der Staat ist in Bag- braucht es Geld, für das schnelle Internet, von Kataib Hisbollah die türkischen Ar- dad vor allem präsent in Gestalt von Si- aber auch für die Sicherheit. Die Men- beiter erst bedroht und sie dann ent- cherheitskräften, darüber hinaus scheint schen in Karrada zahlen auch heute noch führt.« Seitdem wird nicht mehr gebaut. die Stadt sich selbst überlassen. Schutzgeld, das Männer wie Ali al-Hassan »Die Leute denken nicht an die Zukunft. In seinem Glashaus in Karrada holt sich für ihre Bosse eintreiben. Das Morgen war so lange so unsicher, Mujahed Waisi einen Tee und läuft an dem »Die Veränderungen, die man sieht«, dass alle nur noch an das Heute denken Buchhändler vorbei, der im Eingangsbe- sagt der Entführer, als er einige Tage später und daran, wie sie zu Geld kommen kön- reich die Werke junger irakischer Autoren zu einem Waffenschmuggler fährt, »die nen.« Das werde, sagt er, bevor er auf- verkauft. »Die Leute sind des Krieges Cafés, die Restaurants, die Shoppingmalls, brechen muss, auch die neue Regierung müde, aber der Krieg hat sie alle gezeich- die Klubs – davon haben wir armen Leute nicht ändern können. net. Nicht die Korruption ist das größte nichts.« Dann schaut er aus dem Autofens - Die Regierung, der Hassan so misstraut, Problem, sondern ein Mangel an Wissen ter, ein Esel zerrt verzweifelt an einem Kar- sitzt noch immer in der Grünen Zone, ver- und Qualifikation«, sagt er und geht dann ren, der in einem Schlagloch festhängt. schanzt hinter Mauern aus Stahlbeton, die hinauf in den Saal, wo die Vorbereitungen »Wir müssen entweder Diebe oder Mör- vor Bomben schützen sollen. Auch des- für ein Rockkonzert am Wochenende ge- der werden. Oder arm sterben. Für uns wegen wirkt sie für die meisten Menschen rade beginnen. Er gibt ein paar Anweisun- wird sich nichts ändern.« so fern. Die Ministerien erheben sich wie gen und eilt wieder hinunter.

88 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Ausland »Der amerikanische Präsident zerstört die amerikanische Weltordnung«

SPIEGEL-Gespräch Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer spricht über die Gefahr eines Krieges gegen Iran, das gestörte transatlantische Verhältnis und er appelliert an Deutschland, in Europa und seine Verteidigung zu investieren.

SPIEGEL: Herr Fischer, Sie haben 2003 als einer der Ers- ten den Verhandlungsweg mit Iran eingeschlagen – das Abkommen von 2015 war gewissermaßen Ihr Erbe. Wie sehr hat Sie Donald Trumps Rückzug aus dem Iran-Deal getroffen? Nahost- Fischer: Ich nehme das krise nicht persönlich, mache mir aber große Sorgen über die fatalen Konsequenzen von Trumps Ent- scheidung. Die werden wesentlich drama- tischer sein, als das in den meisten Kom- mentaren bislang dargestellt wird. Es ging mit dem Abkommen darum, nach dem Irakkrieg eine zweite Katastrophe zu ver- hindern: einen Landkrieg in großem Stil in Iran. Die Iraner haben schon damals versucht, Europa und die USA zu spalten, vergebens. Erst Donald Trump hat das jetzt geschafft. SPIEGEL: Befürchten Sie, dass nun der Krieg gegen Iran kommt? Fischer: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Trump das wollen kann. Die Frustration über diese nicht gewinnbaren, endlosen Kriege hat doch mit zu Trump geführt. SPIEGEL: Sein Sicherheitsberater John Bol- ton hat geschrieben… Fischer: Hören Sie mir mit Bolton auf! SPIEGEL: Bolton kennen Sie noch aus Ih- rer Zeit als Außenminister. Fischer: Den kenne ich sehr gut. Er ist einer der Mitverantwortlichen für das Irak- desaster. SPIEGEL: Bolton hat einmal geschrieben: Um Irans Bombe zu stoppen, müssen wir Iran bombardieren. Fischer: Bolton hat auf alles immer nur die- se eine Antwort: bombardieren. Da würde ich nicht allzu viel drauf geben. Aber wenn Iran mit der verstärkten Uran-Anreiche- rung wieder beginnt, hätten wir sicher eine sehr gefährliche Situation. Die Konfronta- tion zwischen Iran und Israel hat in Syrien militärisch ja bereits begonnen. SPIEGEL: Sie sagten zu den Amerikanern / DER SPIEGEL HAAS MAURICE damals, vor der Irakinvasion: »I am not Außenpolitikexperte Fischer: »Ein historischer Moment, in dem Europa springen muss«

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 89 Ausland convinced.« Erinnert Sie die jetzige Krise Fischer: Die Bundesrepublik war der wohl Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir des transatlantischen Verhältnisses an größte Erfolg der amerikanischen Außen- uns davon verabschieden, verabschieden 2003? politik. Seit 1949 ist unter der Patronage wir uns von dem größten Fortschritt, der Fischer: Die Lage ist heute wesentlich dra- der USA eine stabile, florierende Demokra- nach den nationalen Großkatastrophen matischer. Die Gefahr eines militärischen tie entstanden. Die Deutschen haben nach durch die Bundesrepublik West erreicht Zusammenpralls zwischen Israel und Iran zwei Weltkriegen erkannt: Wir können wurde. Dass eine Partei wie die CSU da in Syrien wird durch den Rückzug der Weltpolitik nicht, das hat uns als Nation fast jetzt anfängt zu wackeln, ist für mich völ - USA aus dem Abkommen noch verschärft. völlig verbrannt, machtpolitisch und mora- lig unverständlich. Das Sonderverhältnis Richtig ist, dass wir die heutige Krise der lisch. Amerika war für unseren Schutz zu- zu Russland ist ein alter Traum der deut- Ursünde der Irakinvasion zu verdanken ständig. Daran haben wir uns gewöhnt. Die- schen Konservativen wie der deutschen haben. Den Aufstieg Irans zu einer Hege- ses Windschattenfahren war bequem und Linken, nur – es hat nie funktioniert. monialmacht hätte es ohne die tätige Mit- historisch verständlich, aber das ist vorbei. SPIEGEL: Wenn Deutschland nicht bereit hilfe von George W. Bush und den ameri- SPIEGEL: Hat Trump also recht, wenn er ist, mehr Geld für Verteidigung auszu- kanischen Neocons nicht gegeben. Und die Deutschen auffordert, mehr für die Ar- geben, wenn sich die USA gleichzeitig ohne den Zerfall des Irak wäre es auch in mee auszugeben? zurückziehen – bleibt da nicht nur der Aus- Syrien mit dem Aufstieg des »Islamischen Fischer: Es geht nicht um Trump. Hillary gleich mit Russland? Staats« nicht so weit gekommen. Clinton hätte das als Präsidentin genauso Fischer: Also statt Verteidigungsfähigkeit SPIEGEL: Wie sehr ist das transatlantische kritisiert. Es geht um uns: Seit Jahren in- Unterwerfung? Diese Auffassung teile ich Verhältnis durch Trump beschädigt? vestieren wir zu wenig in unsere Sicher- nicht. Dass wir mit Russland ein gutes Ver- Fischer: Wir erleben eine Zeitenwende. heit. Was lese ich neulich innerhalb einer hältnis anstreben sollten: ja. Aber nicht Das transatlantische Verhältnis hat seine Woche? Bundeswehrpiloten verlieren ihre auf den Knien. Das wird in Moskau nie- Selbstverständlichkeit verloren. Es wäre Lizenz, weil sie wegen Hubschrauber- manden beeindrucken. Im Kern des Kon- aber töricht, wenn wir es nun von uns aus mängeln nicht genug Flugstunden absol- flikts um die Ukraine steht: Sind wir bereit aufgeben würden. vieren können. U-Boote können nicht aus- zu akzeptieren, dass Russland seinen SPIEGEL: Bundeskanzlerin Angela Merkel laufen, weil Ersatzteile fehlen. Wir haben Großmachtstatus über Einflusszonen be- hat gesagt, dass wir uns auf die USA nicht nur vier kampffähige Eurofighter. Was für kommt? Wenn die Nationalisten in Europa mehr richtig verlassen können. ein Armutszeugnis! Wenn Sie mich fragen, wieder Einflusszonen definieren, landen Fischer: Es ist sogar schlimmer. Die ame- ob wir uns selbst verteidigen können, dann wir in des Teufels Küche. Das wäre das rikanische Weltordnung wird bewusst vom ist die klare Antwort: nein. Ende der EU. amerikanischen Präsidenten zerstört. Ich SPIEGEL: Die Deutschen wollen mehrheit- SPIEGEL: Ist Trumps Ausstieg aus dem war daran gewöhnt, dass die Nato vom lin- lich nicht mehr Geld für Rüstung ausgeben. Iran-Abkommen ein Weckruf für Europa? ken Flügel der Grünen angegriffen wird, Fischer: Das ist ein Problem, aber wir Fischer: Mein Eindruck ist, dass es so lang- aber doch nicht vom amerikanischen Prä- müssen es tun. Wir müssen ein Minimum sam einsickert. Dass die schwarze Null uns sidenten! Wirtschaftspolitisch stellt Trump an Verteidigungsfähigkeit haben, sonst lei- nicht retten wird. das Geschäftsmodell der Bundesrepublik det Europa. Meinen Sie, ich finde es für SPIEGEL: Die schwarze Null gefährdet infrage, das von Anbeginn auf Export aus- mich ansprechend zu sagen, wir müssten Europa? gerichtet war. Viele sagen, das können wir mehr in der Verteidigung tun? Wir sind zu Fischer: Sie gefährdet nicht Europa, aber uns doch nicht bieten lassen. Diese Reak- groß und zu wichtig, als dass wir uns einen sie blockiert uns. Wir müssen unsere finan- tion finde ich nachvollziehbar, aber auch schlanken Fuß machen könnten. zielle Macht in politische Macht umwan- putzig. Was will man denn tun? Wenn die SPIEGEL: Der Begriff Transatlantiker ist deln, im Interesse Europas. Buchhalterisch Kräfteverhältnisse so sind, wie sie sind, in gewissen Kreisen zum Schimpfwort Sparkonten verwalten, das bringt’s nicht. bleibt manchmal nur ein Zähneknirschen. geworden. Ein Teil der Deutschen wünscht Insofern rate ich dazu, massiv in Europa SPIEGEL: Sie haben ein Buch veröffent- sich eine Annäherung an Russland. zu investieren. licht mit dem düsteren Titel »Der Abstieg Fischer: Das ist spürbar. Die große Leis- SPIEGEL: In Verteidigung? des Westens«. Ist der Westen am Ende? tung Adenauers war, dass er vor dem Fischer: In alle Bereiche. Vor allem poli- Fischer: Alles spricht dafür, dass es so Hintergrund seiner eigenen Biografie, der tisch. Sicher, Deutschland hat seine Inte - kommt. Der Westen war der transatlanti- Erfahrung von zwei Weltkriegen, die Kon- ressen, wir werden keine Blankoschecks sche Raum, die Gründerväter waren Groß- sequenz gezogen hat, dass Deutschland schreiben. Aber dieses »Die wollen nur britannien und die USA. Der Westen kann rausmuss aus der Position des ewig unser Geld«, das ist eine Selbstblockade. ohne sie nicht überstehen, schon gar nicht schwankenden Halms in der Mitte Euro- SPIEGEL: »Die wollen nur unser Geld«, ist mit einem schwachen, gespaltenen Europa. pas. Er hat gesagt: Wir gehören zum Wes - die Antwort, die Emmanuel Macron bis- Deshalb müssen die Europäer stärker wer- ten. Das ist das Geheimnis des Erfolgs der her aus Deutschland auf seine Ideen für den, sehr viel stärker. eine Reform der EU erhalten hat. SPIEGEL: Ist der Ausstieg aus dem Iran- Fischer: Ja, das ist die Rückkehr zur deut- Abkommen der Moment, in dem Europa schen Zipfelmütze. Gegenüber der Pickel- sich endlich entscheiden muss, eine eigen- haube und dem Stahlhelm ist das ein Fort- ständige Außenpolitik zu entwickeln? schritt, aber angesichts der dramatischen Fischer: Das ist leicht gesagt. Das muss geopolitischen Situation ein Fehler. man machen. Da müssten welche voran- SPIEGEL: Was wäre die richtige Antwort? gehen. Deutschland und Frankreich spie- Fischer: Das große reiche Deutschland – ge- len in der EU die entscheidende Rolle, meinsam mit Frankreich – bezahlt. Warum ohne Deutschland geht es nicht. Wenn gibt es die EU überhaupt? Weil seit Ade- wir meinen, wir müssten uns weiter im nauer alle Bundeskanzler Kompromisse zu Windschatten der Weltgeschichte auf- später Nachtstunde möglich gemacht haben, halten, werden die Europäer nicht hand- / DER SPIEGEL HAAS MAURICE Fischer, SPIEGEL-Redakteure* lungsfähig. * Mathieu von Rohr und Christoph Schult im Zürcher SPIEGEL: Was soll Deutschland also tun? »Rückkehr zur deutschen Zipfelmütze« Hotel Baur au Lac.

90 in Israel und den USA. Ich habe die Ver- antwortlichen gefragt: Was wollt ihr denn durch einen Militärschlag erreichen? Die Antwort war: Wir können das Programm vielleicht nicht zerstören, aber verzögern. Genau diese Verzögerung ist zu wesentlich besseren Bedingungen durch das Abkom- men erreicht worden. SPIEGEL: Aber Iran hat seine nuklearen Ambitionen nicht aufgegeben. Fischer: Da sind die Iraner aber nicht die Einzigen. Nehmen Sie Saudi-Arabien oder die Türkei. Sie können eine Karte des Na- hen Ostens malen und einzeichnen, wel- ches Land ein sogenanntes ziviles Atom- programm anstrebt. Klar wollen die damit auch Strom produzieren, aber die wahre Absicht ist eine andere. SPIEGEL: Die expansive Rolle Irans in der Region hat sich seit dem Abkommen noch

HO / AFP verstärkt. Fischer: Antiamerikanischer Protest im Teheraner Parlament: »Die Kriegsgefahr kehrt jetzt wieder« Natürlich ist die Rolle Irans in der Region hochproblematisch, aber Iran war schon vor dem Nuklearabkommen ex- indem sie Geld auf den Tisch gelegt haben. stellen, wie das gehen soll. Sie können pansiv. Glauben Sie, die Rolle Teherans in Wir müssen unsere ökonomische Stärke im deutsche Unternehmen angesichts der en- Bahrain, im Jemen oder in Syrien wäre Interesse Europas in Macht umsetzen. gen Verflechtungen nicht schützen – viele ohne den Iran-Deal eine andere? SPIEGEL: Haben Sie keine Angst, der AfD haben riesige Investitionen in den USA, SPIEGEL: Sigmar Gabriel hat ein Szenario damit Wähler zuzutreiben? sie hängen vom US-Markt ab. skizziert. Nach dem Ende des Iran-Ab- Fischer: Emmanuel Macron hat in Frank- SPIEGEL: Die EU hat ein Gesetz reakti- kommens investiert niemand mehr in Iran, reich mit einem explizit proeuropäischen viert, mit dem Firmen unter Strafe verbo- das Atomprogramm wird wieder angewor- Programm den Sieg von Marine Le Pen ver- ten werden könnte, sich an die US-Sank- fen – und die USA und Israel antworten hindert. Man kann solche historischen tionen gegen Iran zu halten… mit einem Militärschlag. Ist das realistisch? Zäsuren nicht beschweigen, man muss sie Fischer: Ein deutscher Automobilkonzern, Fischer: Es ist nicht so, dass sich da eine erklären. Das betrifft nicht allein die Kanz- der nicht nach Iran liefert, weil der US- Konstellation Irak 2.0 in sehr viel größer lerin. Alle Parteien haben doch im Bundes- Markt zu wichtig für ihn ist, wird also noch aufbaut. Aber Israel wird eine iranische tagswahlkampf zu Europa geschwiegen – mal bestraft. Wie soll das funktionieren? militärische Präsenz in Syrien nicht akzep- haben Sie was gehört? Die Einzigen, die SPIEGEL: Das hieße: Der Deal ist tot? tieren, unabhängig von der Nuklearfrage. darüber geredet haben, das war die AfD. Fischer: Es wird schwer. Ich sehe es sehr Insofern droht dort eine hegemoniale Aus- Das ist das Problem! Bei Macron kommt skeptisch. einandersetzung aufgrund der Ambitio- Europa von Herzen. Er weiß: Wenn Europa SPIEGEL: War es im Rückblick ein Fehler, nen Irans, die sich mit der Nuklearfrage bei der Ausgestaltung der neuen Weltord- sich in den Verhandlungen mit Iran nur sehr leicht verschränken lassen. Das alles nung nicht dabei ist, nicht nur machtpoli- auf das Atomprogramm zu konzentrieren, kann uns Europäern nicht egal sein, nicht tisch, auch technologisch, dann war’s das. statt die aggressive Rolle Teherans im zuletzt nach unseren Erfahrungen mit der SPIEGEL: Wie erklären Sie sich, dass Mer- Nahen Osten sowie das Raketenpro- Flüchtlingskrise von 2015. kels Antwort auf Macrons Vorschläge gramm einzubeziehen? SPIEGEL: Das klingt alles sehr düster. Hat noch immer aussteht? Fischer: Darauf hätte sich das iranische man als ehemaliger Außenminister auto- Fischer: Sie kann nichts für das Wahlergeb- Regime nie eingelassen. Es war richtig, sich matisch einen pessimistischen Blick auf nis. Die große Tragödie der Bundestags- auf das Nuklearprogramm zu konzentrie- die Welt? wahl besteht darin, dass Christian Lindner ren, denn davon ging die größte Kriegsge- Fischer: Ich glaube nicht, dass ich einen pes- nach der Wahl nicht begriffen hat, dass es fahr aus, und die kommt jetzt wieder. Wir simistischen Blick habe. Es macht mich ra- nicht nur um die Rettung der FDP geht, haben uns über den Charakter und die Ab- send, wenn einem immer wieder gesagt sondern dass Deutschland eine neue Kon- sichten des iranischen Regimes nie Illusio- wird, man sei pessimistisch, wenn man re- stellation wie Jamaika braucht. Lindner nen gemacht. Unser Ziel war es, Iran mit alistisch ist. Draußen tobt ein Gewitter, und hätte das angesichts seines Alters und sei- friedlichen Mitteln einzubinden, gleichzei- was soll ich sagen? Es scheint die Sonne! nes Potenzials vorantreiben müssen. Dann tig das Nuklearprogramm zu verzögern Ich mach mich doch nicht zum Affen vor würden wir heute ganz anders dastehen. und unter Kontrolle zu halten. mir selbst. Wenn ein Gewitter droht, muss Man hat bei der Großen Koalition den Ein- SPIEGEL: Israels Regierungschef Benjamin der Analyst sagen: Es droht ein Gewitter. druck, dass die bereits erschöpft sind, be- Netanyahu hat kurz vor Trumps Entschei- Auch auf die Gefahr hin, dass man dann vor es richtig losgegangen ist. Die können dung mit Verweis auf den Mossad angeb- zum Dunkelpropheten ernannt wird. Es ist sich einfach nicht mehr sehen. liche Beweise dafür präsentiert, dass Iran jetzt ein historischer Moment, in dem Euro- SPIEGEL: Die Europäer haben diese Wo- über sein Atomprogramm gelogen habe. pa springen muss. Entweder handeln wir che mit Irans Außenminister Mohammad Fischer: Ich habe dadurch nichts Neues jetzt, oder wir tun nichts. Dann werden wir Javad Zarif die Absicht bekundet, den gelernt. Dass Iran vor dem Deal nach der abgehängt und spielen keine Rolle mehr. Deal zu erhalten. Wie könnte das gehen? Atombombe strebte, wussten wir; genau SPIEGEL: Herr Fischer, wir danken Ihnen Fischer: Vermutlich gar nicht! Ich würd’s deshalb hatten wir ja die Verhandlungen für dieses Gespräch. mir wünschen, aber ich kann mir nicht vor- begonnen. Ich hatte damals Diskussionen

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 91 Im Rotlicht

USA Zwei Menschen bringen Donald Trump in große Schwierigkeiten: sein Anwalt und eine Pornodarstellerin. Was als Sexaffäre begann, weitet sich zum politischen Großskandal aus. JOE RAEDLE / GETTY IMAGES

Stripperin Stormy Daniels bei Auftritt: 130000 Dollar, damit sie nicht redet – der Versuch ging grandios schief

er Penthouse-Klub von Philadel- ben. Inzwischen ist er der Mann, der Pro- Halbwelt, von möglichen Verbindungen phia liegt in einem Industrie- bleme macht, anstatt sie zu beseitigen. Cohens zur russischen Mafia, von all sei- D gebiet im Nordosten der Stadt, im Im Grunde lässt sich das ganze Desaster nen Fehltritten. Die Stormy-Saga beschäf- Niemandsland zwischen einer Öl- dieser Präsidentschaft an diesen beiden tigt das Land deshalb so intensiv, weil raffinerie und einem Betonmischwerk. Es Personen erklären, Clifford und Cohen. Trump und seine Helfer bei der Vertu- ist abends um kurz nach neun, der Park- Im Juli 2006 hatte Trump Sex mit Clifford, schung der Affäre ungeschickt bis dämlich platz ist noch leer. Am Eingang hängt angeblich nur ein einziges Mal, was dieser vorgingen und weil fast täglich neue De- hinter einer roten Kordel ein Plakat von bis heute bestreitet. All das wäre nicht auf- tails und Lügen ans Licht kommen. Stormy Daniels: »Penthouse Pet of the regend, wäre Clifford nicht eben eine Por- Und dann ist da noch der Sonderermitt- Century«, das Haustier des Jahrhunderts. nodarstellerin, und wäre vier Monate vor ler Robert Mueller, der seit einem Jahr der Zehn Dollar Eintritt, inklusive eines »Pent- der Affäre nicht Trumps jüngster Sohn Frage nachgeht, ob Trumps Wahlkampf- house«-Magazins mit Stormy Daniels auf geboren worden. Nichts also, was sich im team mit Russen kooperierte, um die Wahl dem Cover, eingewickelt in die amerikani- Wahlkampf gut macht, vor allem, wenn zu gewinnen. Muellers Untersuchung hat sche Flagge. Neben der Kasse sitzen zwei man von Konservativen gewählt werden sich längst zur großen Korruptionsermitt- Reporter des dänischen Fernsehens, drin- will. Deshalb zahlte Michael Cohen vor lung ausgeweitet, die sämtliche Teile von nen saugen Männer an Zigarren. der Wahl 130000 Dollar an Clifford, um Trumps Privat- und Geschäftsleben um- Das ist die Welt von Stormy Daniels. zu verhindern, dass sie redet. wälzt. Und dazu noch die Stormy-Affäre. Ein Klub mit geilen Herren, dazu das däni- Wie sich herausstellte, ging dieser Ver- Es sah ja lange nach einer Story für die sche Fernsehen, hier und da ein Ehepaar: such grandios schief. Im Januar wurde die Klatschpresse aus – der Anwalt des Präsi- die Peripherie des amerikanischen Traums. Zahlung an Clifford öffentlich, seitdem denten bezahlt eine alte Affäre aus dem Das Haustier des Jahrhunderts. Nächstes reißen die Enthüllungen nicht ab. Diese Pornobusiness. Ein Präsident im Rotlicht, Jahr wird sie 40. Der Manager des Pent- Woche gab Trump erstmals zu, Cohen im eine saftige Geschichte zwar, aber auch house-Klubs sagt: »Keine Fotos.« vorigen Jahr mindestens 100000 Dollar nicht sehr überraschend bei einem Mann, Die Pornodarstellerin Stormy Daniels, zurückgezahlt zu haben. Sein Finanzbe- der zum dritten Mal verheiratet ist und im- bürgerlich Stephanie Clifford, ist die Frau, richt, den die Regierung am Mittwoch ver- mer gern mit seinen Liebschaften prahlte. die von Donald Trump lange unterschätzt öffentlicht hat, nennt zwar keinen Zweck Aber mittlerweile geht es nicht nur um wurde, zu lange womöglich, und die ihm für die Zahlung, in Washington aber glaubt Sex, es geht um die Fragen, ob Cohen Geld nun gefährlich nahe rückt. Riskanter für niemand an eine harmlose Erklärung. aus Russland bekam, wenn ja, wofür, und den Präsidenten sind vielleicht nur noch Und so wird der Präsident immer mehr ob Trump davon wusste. die Skandale rund um Michael Cohen, der von seiner Vergangenheit eingeholt. Von Aber natürlich geht es auch um Sex. einst der Mann für die heiklen Fälle war, Frauengeschichten, von der Nähe seines Um kurz nach elf regelt der DJ die Mu- der Problemkiller, seinem Boss loyal erge- Anwalts zu Gestalten aus der New Yorker sik im Penthouse-Klub herunter und ruft:

92 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Ausland

»Sie ist die Nummer eins auf Pornhub!« Besser, man fährt hinüber nach Queens, Irgendwann nach dem Jahr 2000 wurde Kunstnebel, Männerblicke, »American zehn Minuten mit der U-Bahn, in Cohens er auf Trump aufmerksam. Er bewunderte Woman« von Lenny Kravitz. Stormy Da- früheres Leben. Schrottlaster holpern den Reichtum des Immobilienunterneh- niels tritt auf, sie trägt einen Umhang mit über löchrige Straßen, auf den Hochglei- mers und begann, Apartments in Trumps US-Flagge. Ein halbes Dutzend Body- sen rattern alle paar Minuten Züge vorbei, Gebäuden zu kaufen, in großem Stil. guards und Aufpasser achtet darauf, dass in der Luft schwebt ein Hauch von Mari- »Trump-Immobilien sind solide Investi- wirklich niemand Fotos macht. Nach zwei huana. Die Zwölf-Dollar-Grapefruit ist tionen«, sagte Cohen damals. »Michael Minuten trägt sie nur noch BH und Slip, weit weg. In einem Backsteingebäude an Cohen kennt den Immobilienmarkt sehr nach fünf Minuten noch etwas weniger. der 43rd Avenue hatte Cohen jahrelang gut«, sagte Trump. Cohen kaufte sich die Männer stecken ihr Dollarnoten unters seine Büroadresse, in einer Taxizentrale, Anerkennung des Unternehmers, im Strumpfband, aber ihre Brüste sind so rie- die von dem ukrainischen Einwanderer Gegenzug wurde er in den erweiterten sig, dass man dazwischen einen ganzen Simon Garber geführt wird. Cohen betrieb Kreis der Familie aufgenommen. Geldkoffer klemmen könnte. Nach einer hier mit Garber ein Geschäft mit Taxi - Trump hat eine Schwäche für Schmeich- Viertelstunde tritt sie ab. lizenzen. ler, besonders wenn sie von den Straßen »Bisschen kurz«, sagt Rich, ein Sport- Die Tür klemmt etwas. Drinnen sitzen von Queens stammen. Vermutlich hatte lehrer im Ruhestand, der an der Bar hockt. drei Frauen unter Neonlampen, in Regalen er nie einen größeren Bewunderer als sei- Er hat sich lange auf diesen Abend gefreut, stapeln sich Aktenordner. Die Managerin nen eigenen Anwalt. er ist ein Fan von Stormy Daniels, seit sie sagt mit russischem Akzent, sie kenne Co- So erfuhr Cohen alles, war überall dabei im Mittelpunkt dieses großen Politskan- hen nicht. »Schade.« Und Mister Garber und sorgte unter anderem dafür, dass Frau- dals steht. Außerdem ist sie ein Star im befinde sich auf Dienstreise, ihr Boss sei en bezahlt und ruhiggestellt wurden, die Pornogeschäft, wenn auch einer, der lang- per E-Mail erreichbar. Sie lächelt. Die gan- über Affären mit seinem Boss plaudern sam verblasst. »The Price of Lust« ist lange ze Kulisse wirkt wie aus der Anwaltsserie wollten. Unterstützung fand er in dem her, »Operation: Desert Stormy« ebenfalls. »Better Call Saul«, ein tägliches Scheitern Chefredakteur des »National Enquirer«, Die Aufnahme in die Hall of Fame ihrer auf mittlerem Niveau. Auf die E-Mail ant- einem Trump-freundlichen Blatt, das die Branche bedeutet, dass sie schon etwas zu wortet der Boss natürlich nicht. exklusive Geschichte einer Trump-Lieb- lange dabei ist. Clifford ist wohlhabend, Cohens Karriere hat viele Wendungen schaft kaufte, um sie für immer tief im Gift- aber nicht reich, ihre Karriere im Business genommen. Als junger Anwalt arbeitete schrank zu verstauen. Als ein Unterneh- neigte sich allmählich dem Ende zu. er für einen Juristen in Manhattan, der mer kurz nach Bekanntgabe von Trumps Jetzt aber ist sie wieder da, Trump sei sich auf Unfallopfer spezialisiert hatte; der Präsidentschaftskandidatur drohte, Bilder Dank. Ihre Geschichte hat sie doppelt und Mann wurde später wegen Bestechung zu veröffentlichen, auf denen Trump an- dreifach verkauft, an CBS, ABC, zuletzt von Versicherungssachverständigen verur- geblich die nackten Brüste einer Frau sig- an »Penthouse«, für das sie sich schon vor teilt. Zahlreiche Geschäftspartner verloren nierte, rief Cohen: »Ich mach dich fertig, Jahren auszog, aber diesmal sind die Posen im Lauf der Jahre ihre Lizenzen, mal ging wenn du die Fotos zeigst.« noch eine Umdrehung expliziter. Sie sagt, es um Betrug, mal um mehr. Simon Garber, Einer Journalistin erzählte er einmal: sie wolle, dass die Wahrheit ans Licht kom- der Taxikönig aus Queens, ist in mindes- »Ich bin der Kerl, der den Präsidenten und me, vor allem aber verdient sie mit der tens drei Bundesstaaten bereits wegen Ge- seine Familie schützt. Ich bin der Kerl, der Selbstenthüllung Geld. Ziemlich sicher waltdelikten aufgefallen. Michael Cohen eine Kugel für den Präsidenten abfängt.« würde sie ohne Trump nicht mehr so häu- umgab sich gern mit Gestalten aus der Es gab kein Geschäft, bei dem er nicht fig in Stripklubs auftreten. Halbwelt der russisch-ukrainischen Immi- dabei sein wollte. Ende 2015 schlug ihm Nach der Show gibt sie Autogramme, granten in New York. Trotzdem schafft er ein alter Bekannter, der russischstämmige für Fotos verlangt sie 20 Dollar. Erst am es immer wieder, aus einem schmutzigen Unternehmer Felix Sater, vor, einen Vormittag hatte ihr Anwalt Michael Ave- Umfeld scheinbar sauber herauszukom- Trump Tower in Moskau zu errichten. natti die Zahlungen eines russischen Oli - men. Zumindest bis jetzt. Cohen wollte Wladimir Putins Sprecher garchen an Michael Cohen veröffentlicht, noch ein Skandal, mit dem niemand ge- rechnet hätte. Avenatti ist überzeugt, dass Trump seine Amtszeit nicht beenden wird. Wieder erschien ihr Name in Großbuch- staben. Stormy Daniels, das Maskottchen dieser Präsidentschaft. Kurze Frage: »Glauben Sie, dass Trump bald zurücktreten muss?« »Keine Ahnung.« »Hoffen Sie, dass er zurücktritt?« »Wenn alles stimmt, was heute Vormit- tag gesagt wurde, muss er das vielleicht.« Einer ihrer Bodyguards schiebt den Re- porter zur Seite. Netter Versuch. Also Michael Cohen. Im Moment wohnt er im Loews Regency an der Park Avenue, einem dieser New Yorker Hotels, die gar nicht erst versuchen, bezahlbar zu wirken. Eine halbe Grapefruit zum Frühstück kos- tet zwölf Dollar. Dafür sitzt man in Gesell- schaft von dunklen Anzügen, sehr weißen Zähnen und spitzen Absätzen. / AFP PASKOVA YANA Aber natürlich ist Cohen nicht zu sehen. Jurist Cohen in New York: »Ich bin der Kerl, der eine Kugel für den Präsidenten abfängt«

93 Ausland eine Nachricht schicken, hatte aber keine New York, die mit dem russischen Magna- direkten Kontakte in den Kreml und fand ten Wiktor Wexelberg verwoben ist. Die nur eine allgemeine E-Mail-Adresse für Firma ließ an Cohen zwischen Januar und Presseanfragen. Cohen schickte die Mail August vorigen Jahres 500000 Dollar in trotzdem ab. Noch so eine dilettantische acht Tranchen überweisen. Wexelberg Aktion, die ihm die Aufmerksamkeit von zählt zum engen Kreis von Multimilliardä- Robert Mueller einbrachte. ren um Putin. Mittlerweile steht er nach Das Problem ist, dass Cohen nicht der dem Giftanschlag auf den russischen Ex- hellste Jurist ist. Für die 130000 Dollar, Geheimdienstler Sergej Skripal auf einer die er Stormy Daniels zahlte, gründete er Sanktionsliste des US-Finanzministeriums, vor der Wahl eigens eine Beratungsfirma, als einer von sieben Oligarchen. Essential Consultants, registriert im Bun- Warum sollte ein Putin-Freund, mit ei- desstaat Delaware, dem Paradies der Brief- nem Vermögen von rund 13 Milliarden kastenfirmen. Allerdings beging er den Dollar, eine halbe Million Dollar an den Fehler, sich selbst als Bevollmächtigten ein- Anwalt des US-Präsidenten überweisen? zutragen, statt einen Gewährsmann einzu- War das Geld für Cohen, oder diente er setzen. Reporter des »Wall Street Journal« als Mittelsmann? Und: Wechselt Cohen stießen auf Cohens Firma, so begann der nun die Seiten, kooperiert er mit Robert öffentliche Teil der Geschichte. Mueller, wenn der Druck zu groß wird? Anfang April durchsuchten dann FBI- Muellers Ermittlungen führten zu einer Beamte im Auftrag der New Yorker Staats- Welle von Verfahren in den vergangenen anwaltschaft seine Büro- und Privaträume, zwölf Monaten, Cohen ist ein Teil davon. auch das Hotelzimmer im Loews. Sie nah- Vier frühere Berater des Präsidenten wur- men 16 Mobiltelefone mit, Tablets, Com- den unter anderem angeklagt, 13 Russen, puter, Dokumente – und die große Frage drei russische Firmen, aber das wird erst lautet seither, welche dunklen Geheim- der Anfang sein. Von den Geldströmen an nisse über Trump und seinen Anwalt sich Cohen wusste Muellers Team bereits im in all dem Material noch verbergen könn- November, ohne dass etwas nach außen ten. Trump jedenfalls war wütend wie sel- drang, der Sonderermittler ist bestens in- ten zuvor, als er von der Razzia hörte. formiert, und das ist keine gute Nachricht Die Ermittlungen gegen Cohen liefen für den Präsidenten. Am Mittwoch erzähl- zu diesem Zeitpunkt bereits seit Monaten, te Rudolph Giuliani, ein weiterer von so das Justizministerium, unter anderem Trumps Anwälten, Mueller habe ihm an- wegen Cohens Verwicklung in zwielichtige geblich bestätigt, er könne den Präsiden- Taxigeschäfte. ten gar nicht anklagen. Verlassen kann sich Seither kommen immer neue Skandale Trump darauf nicht, und so geht die Stor- hinzu. Vorige Woche enthüllte dann Clif- my-Affäre weiter, in täglicher Fortsetzung. fords Anwalt Michael Avenatti, dass große Womöglich sind sie sich ähnlicher als Unternehmen an Cohen Geld gezahlt hat- gedacht, der Präsident und die Pornodar- ten, mehr als vier Millionen Dollar, das stellerin. Sie wollen beide oben mitspielen, meiste im Jahr 2017. Plötzlich geht es nicht um jeden Preis, sie wollen beide Ruhm mehr nur um Schweigegeld, sondern um und Anerkennung. Bescheidenheit ist kei- den Verdacht von Korruption und Betrug, ne Option. Beide werden mit allen Mitteln um eine Ahnung von Endzeitstimmung. kämpfen. Natürlich geht es dabei auch um Cohen sei, so erzählen es Freunde, nach Geld, ohne Frage. Trumps Einzug ins Weiße Haus frustriert Clifford ist keine Frau, die schnell auf- gewesen. Er hatte sich einen Job in der Re- gibt, sie ist stolz auf ihre Hartnäckigkeit. gierung erhofft, in der Nähe des Chefs, war Sie sagt, ihr sei von Anfang an klar gewe- aber leer ausgegangen. Also bot er seine sen, dass dieser Mann nicht ihr Typ sei. Nähe zum Präsidenten zum Verkauf an – Zu selbstverliebt, zu großkotzig vielleicht. offenbar erfolgreich. Eine längere Affäre habe sie abgelehnt. »I’m crushing it«, erzählte er einem Be- Trump beeindruckte das offensichtlich, er kannten vergangenes Jahr laut »Washing- war es bis dahin gewohnt, dass Frauen ihm ton Post«, er schaufle das Geld nur so. und seinem Geld zu Füßen lagen. Irgend- Der US-Telekommunikationskonzern wann habe er zu Clifford gesagt: »Du er- AT&T überwies Cohen voriges Jahr innerst mich an meine Tochter.« Er meinte 600000 Dollar für angebliche Beratungs- Ivanka. leistungen, der Schweizer Pharmakonzern Aus seiner Sicht war es das bestmögli- Novartis knapp 1,2 Millionen, eine korea- che Kompliment. Christoph Scheuermann nische Rüstungsfirma 150000. Im Gegen- Twitter: @chrischeuermann zug erhofften sich die Unternehmen Ein- blicke in Trumps Denken. Das ist nicht il- Video legal, aber für einen Präsidenten äußerst Ein Abend mit Stormy peinlich, der angetreten ist, um den Sumpf Daniels von Washington trockenzulegen. spiegel.de/sp212018daniels Eine große Summe kam auch von Co- oder in der App DER SPIEGEL lumbus Nova, einer Investmentfirma in Sport

»Ich habe nur dafür gelebt, das nächste Ding zu gewinnen.« ‣S.96

Einsatz des Videobeweises bei 804 Fußballspielen weltweit* überprüfte Situationen nach Videobeweis gegeben nach Videobeweis zurückgenommen Elfmeter 1319 72 39

Tor 929 13 53

Rote Karte 1669 57 3 71-mal *davon 154 in Deutschland führte der Videobeweis zu einer anderen ohne Videobeweis Punktevergabe. 553 Spiele 1 Videobeweis 209 Spiele IMAGO / Anzahl 2 Videobeweise Videobeweise 39 Spiele 3 Videobeweise Quelle: KU Leuven nach Spielen 3 Spiele THOMAS FREY

Anfang Mai gewann Melbourne durch ein 1:0 gegen Newcastle scheidung. Nach einer Studie der Universität Leuven in Belgien den Titel in der australischen A-League. Das Tor: regelwidrig, führte der VAR bis Anfang 2018 in 98,9 Prozent zum korrekten ein Spieler stand im Abseits. Doch der Verstoß blieb ungeahndet. Urteil, ohne technische Hilfe liegt die Quote bei 93 Prozent. Dem Video Assistant Referee (VAR) fehlten schlicht die TV- Nun kommt der Videoassistent erstmals bei der WM zum Ein- Bilder, die Technik streikte, das Tor zählte. Eine seltene Fehlent- satz. Ob sich das nächste »Wembley-Tor« so verhindern lässt?

Magische Momente linie und erzielten das entscheidende Tor. Eintracht-Fans sagen bis heute, dass es »Ein geiles Gefühl« ein Duell Werder gegen Stein war. Ich glaube, es war eins der besten Spiele mei- Ex-Torwart Uli Stein, 63, über den DFB-Pokal-Sieg mit Eintracht Frankfurt nes Lebens. SPIEGEL: Sie waren damals nach Frank- SPIEGEL: Ihr Karrierehö- Gefühl ist, den Pokal in den Berliner Him- furt gewechselt, weil Sie einen Stürmer hepunkt war der Europa- mel zu heben. des FC Bayern München mit einem Faust- pokal-Triumph mit dem SPIEGEL: Sie kannten dieses Gefühl schon schlag niedergestreckt hatten … Hamburger SV 1983. Was aus dem Vorjahr … Stein: Den Hieb gegen Jürgen Wegmann blieb vom Pokalsieg mit Stein: Da wurde ich mit dem HSV Pokal- kann ich mir bis heute nicht erklären. Es Frankfurt fünf Jahre später sieger, aber der Erfolg mit der Eintracht war eine Kurzschlussreaktion, und der hängen? war viel überraschender. HSV zog die Konsequenzen. Bis zu mei- Stein: Mein Kabinen-Donnerwetter. SPIEGEL: Im Halbfinale bezwangen nem Rauswurf konnte ich mir nicht vor- SPIEGEL: Bitte erzählen Sie … Sie sogar den späteren Deutschen Meister stellen, den Verein jemals zu verlassen. Stein: Wir hatten mit Karl-Heinz Feld- Werder Bremen. SPIEGEL: Sie sind gebürtiger Hamburger kamp einen top Trainer, aber eines konnte Stein: Wir waren krasser Außenseiter, und absolvierten 228 Bundesligaspiele er nicht: Mit der Faust auf den Tisch kamen gefühlt nur einmal über die Mittel- für den HSV. Wie bewerten Sie den Ab- hauen! Wenn es schlecht lief, überließ er stieg? die lauten Töne mir. Stein: Für Trainer Christian Titz und die SPIEGEL: Im Finale sah es nicht gut aus? treuen Fans tut es mir leid. Über die Jahre Stein: Unsere erste Halbzeit war grausam, wurde beim HSV aber so viel falsch

PATRICK BECHER / PICTURE ALLIANCE / DPA / PICTURE BECHER PATRICK und jemand musste die Mannschaft wach gemacht, dass der Abstieg die logische rütteln. Zwei Spieler unseres Gegners VfL Konsequenz ist. Bochum erzählten mir später, dass ich so SPIEGEL: Thema Manuel Neuer – finden laut war, dass sie ihre Besprechung in der Sie es richtig, mit vier Torhütern in die Kabine gegenüber ab brachen. WM-Vorbereitung zu gehen? SPIEGEL: Was haben Sie gebrüllt? Stein: Ja. Die Tür sollte für ihn so lange Stein: Dass wir hier keinen netten wie möglich offen sein. Letztlich muss Wochenendausflug machen, sondern den er im Gespräch mit Jogi Löw ehrlich erklä-

Pott wollen. Dass wir uns für die harte SPORT IMAGO ren, ob er sich zu 100 Prozent fit fühlt Arbeit belohnen können und es ein geiles Stein (l.) 1988 in Berlin oder nicht. PK

DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 95 Sport »Mama, es ist vorbei«

SPIEGEL-Gespräch Rennfahrer Nico Rosberg und Eishockeyspieler Christian Ehrhoff beendeten ihre Karrieren auf dem Zenit ihres Erfolgs. Was hat sie dazu getrieben? Und wie fühlt sich das Leben jetzt an?

onaco im Mai. Im Foyer des SPIEGEL: Sind Sie in ein Loch gefallen? ger Spieler musste ich mich erst zurecht- Hotels Le Méridien Beach Pla- Rosberg: Loch klingt zu extrem, das nicht, finden, als Führungsspieler später vorne- M za treffen sich zwei ehemalige aber man durchlebt schwierige Phasen, weg gehen. Weltklassesportler. Der eine muss sich erst mal finden – und einen SPIEGEL: Was waren besondere Momente hat 20 Jahre auf dem Eis verbracht, der an- neuen Sinn. Ihrer Karriere? dere 20 Jahre im Cockpit von Rennautos. SPIEGEL: Wie lange hat dieser Prozess ge- Ehrhoff: Mit einem Team etwas zu gewin- Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs zogen dauert? nen, das gibt einem viel. Wie jetzt bei sie sich aus dem Profisport zurück. Völlig Rosberg: Der dauert noch an, aber ich Olympia. Schon die Qualifikation war sehr unerwartet für Fans, Freunde und Familie. habe einen Riesenschritt gemacht. Ich pfle- emotional. Nico Rosberg, 32, saß mit 17 als sei - ge meine Sponsoren und habe mir ein coo- SPIEGEL: Sie gewannen das entscheidende nerzeit jüngster Fahrer der Motorsportge- les neues Team aufgebaut, mit dem ich Spiel gegen Lettland mit 3:2. schichte in einem Testwagen der Formel1. neue Projekte angehe, um in der Business- Ehrhoff: Wir standen unter großem Druck, Elf Jahre lang fuhr Rosberg im Schatten welt Erfolg zu haben. schließlich ging es auch um Fördergelder von Teamkollegen wie Michael Schuma- für den Verband. Das Leuchten in den Au- cher und Lewis Hamilton, bevor er 2016 Die Bedienung kommt an den Tisch. Ros- gen der Jungs, die zum ersten Mal dabei endlich Weltmeister wurde. Fünf Tage berg fragt nach Karottensaft. Haben sie sein konnten. Und dass wir das am Ende nach dem Triumph gab er seinen Rücktritt nicht. Also Tomatensaft. »Spicy?«, fragt noch krönen konnten mit dem histori- bekannt. die Kellnerin, »No, no, no«, sagt Rosberg. schen Triumph, das ist wunderschön. Christian Ehrhoff, 35, lernte Eishockey »And some purple chips.« Er zeigt zur Bar, SPIEGEL: Schöner als der Gewinn der bei den Krefelder Pinguinen. In der nord- auf der Kelche mit Trüffelkartoffelchips deutschen Meisterschaft 2003 mit Krefeld, amerikanischen National Hockey League stehen. Ehrhoff bestellt Espresso und stil- Ihrem Heimatverein? (NHL) war er später kurzzeitig der bestbe- les Wasser. Ehrhoff: Das war auch unheimlich groß. zahlte Verteidiger der Welt. Ehrhoff vertrat Der Verein wartete seit 51 Jahren auf eine Deutschland bei sieben Weltmeisterschaften SPIEGEL: Wie sieht Ihr Zeitplan aus, Herr Meisterschaft. Und dann haben wir es echt und vier Olympischen Spielen. Vier Wochen Ehrhoff? geschafft. Damals war ich 20 und dachte, nach dem Gewinn der Silbermedaille von Ehrhoff: Die nächsten sechs Monate will das geht jetzt so weiter. Pyeongchang beendete er seine Karriere. ich mich auf nichts festlegen, was nicht Rosberg: Das habe ich in dem Alter auch heißt, dass ich ratlos auf dem Sofa sitze. gedacht. SPIEGEL: Herr Ehrhoff, Herr Rosberg, wie Ich habe das Glück, machen zu können, SPIEGEL: Woran erinnern Sie sich? findet man sich nach zwei Jahrzehnten im wozu ich Lust habe. Das können nicht alle Rosberg: Der erste Sieg hier zu Hause in Profisport im normalen Alltag zurecht? Profisportler nach ihrer Karriere. Die meis- Monaco, 2013, das war das beste Wochen - Ehrhoff: Einen richtigen Tagesablauf habe ten hören ja auf, haben sich nicht vorbe- ende meiner Karriere. Und dann der WM- ich in diesen zwei Monaten noch nicht ent- reitet und müssen dann irgendwas machen. Gewinn natürlich. Ich bin mir nicht sicher, wickelt. Ich kann meine Frau nun besser Rosberg: Ich erlaube mir mal, einen Tipp ob ich so intensive Emotionen noch einmal unterstützen, bin an den Wochenenden zu zu geben (lacht). erleben werde. Das sind Dimensionen Hause, das ist eine ganz neue Erfahrung. Ehrhoff: Klar, gern. (schüttelt den Kopf) – crazy, völlig crazy. Ich versuche, ein wenig Zeit zu finden für Rosberg: Geh raus und rede mit Men- SPIEGEL: Was verursacht solche Höhen? ein paar Hobbys, Golf und Tennis. Ich will schen, die dich interessieren. Das hat mir Rosberg: Die Arbeit, die da drinsteckt. Bei erst mal den Kopf freikriegen, mich ins enorm geholfen. Da finden sich ganz neue meinem letzten Rennen, 2016 in Abu Dha- neue Leben reinfühlen. Wege. Und gerade jetzt nach deinem Er- bi, da kamen in den letzten zwei Runden Rosberg: Witzig. Genau das habe ich da- folg hat jeder Zeit für dich. Bilder aus den vergangenen 20 Jahren mals auch gesagt, in Kopie. Und jetzt, nur SPIEGEL: Abseits des Erfolgs, was hat Ih- hoch. Wäre da etwas schiefgegangen, wäre anderthalb Jahre später, bin ich in einer nen beiden der Sport gegeben? alles für die Katz gewesen. komplett anderen Lebensphase. 18 Mona- Rosberg: Er hat enorm zu meiner persön- SPIEGEL: Was hätten Ihre Eltern dazu ge- te machen einen Monsterunterschied aus. lichen Entwicklung beigetragen. Ich habe sagt? Ehrhoff: Das kann ich mir vorstellen. natürlich gelernt, wie man mit Druck um- Rosberg: Meine Mutter war immer voller Rosberg: Es braucht einfach Zeit. Ich habe geht, wie man mit anderen Menschen klar- Liebe, ihr war völlig wurscht, ob ich ge- nur dafür gelebt, das nächste Ding zu ge- kommt, was Teamgeist bedeutet. Aber winne oder Letzter bin. Mein Vater war winnen. Jeden Tag trainieren, noch besser auch, dass ich besser werde, wenn ich mich auch unterstützend, aber erwartungsvoller. werden, Ernährung, Fitness, Verletzungs- ins Unangenehme stürze, wie zum Bei- (Keke Rosberg wurde 1982 Formel-1-Welt- prophylaxe, das wird zur Identität. Es ist spiel vor vielen Menschen zu reden. meister –Red.) Ich habe ihm als kleiner nicht einfach, wenn das plötzlich wegfällt. Ehrhoff: Die Lebenserfahrung, die ich Junge immer zugeschaut und mir gesagt, jetzt mit 35 habe, hätte ich in keinem an- das muss ich auch machen eines Tages. Das Gespräch führten die Redakteure Thilo Neumann deren Beruf sammeln können. Ich habe in SPIEGEL: Welche Rolle haben Ihre Eltern und Antje Windmann. vielen Städten im Ausland gelebt. Als jun- gespielt, Herr Ehrhoff?

96 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 REBECCA MARSHALL / DER SPIEGEL REBECCA Ex-Spitzensportler Rosberg, Ehrhoff: »Vom Kopf her war ich fertig«

97 Ehrhoff: Sie hatten mit Eishockey nichts zu tun, mein Vater kann nicht mal Schlitt- schuh laufen. Mit 17 habe ich morgens in Krefeld trainiert und abends in Duisburg, da mussten mich meine Eltern zweimal am Tag hin- und herkutschieren. Ihnen habe ich am meisten zu verdanken. SPIEGEL: Eishockey und Rennfahren sind beides risikoreiche Sportarten. Hatten Ihre Eltern Sorge um Sie? Ehrhoff: Meine Mutter konnte meine Spie- le nicht im Fernsehen gucken, sie hatte zu große Angst um mich. Ihr ist wahrschein- lich der größte Stein vom Herzen gefallen, als ich aufgehört habe. Rosberg: Meine Mutter hat meine Rennen auch nicht geguckt. Als ich zurückgetreten bin, habe ich zu ihr gesagt: »Mama, du brauchst nie wieder Angst zu haben in dei- nem Leben, es ist vorbei« (lacht).

SPIEGEL: Wie gefährlich haben Sie selbst WITTERS Ihren Beruf empfunden? Olympiazweiter Ehrhoff 2018 in Korea: »Historischer Triumph« Ehrhoff: Wir riskieren auf dem Eis nicht unser Leben, aber natürlich nehmen wir langfristige Verletzungen in Kauf. Aber Ehrhoff: Bei mir ist es auch der Rücken. Rosberg: Nein. Man hat 1300 Leute im darüber denkt man nicht nach. Ich hatte Ich muss weiter Krafttraining machen, Team, die zwei Rennautos bauen. 650 sind nie Angst, mich zu verletzen. sonst kriege ich da Probleme. Nico-Fans, 650 sind Lewis-Fans, das zieht SPIEGEL: Dabei hätten Sie mit 19 fast ein SPIEGEL: Was waren die Tiefpunkte Ihrer sich hoch bis zu den Chefs. Auge verloren. Karrieren? SPIEGEL: Haben Sie noch Kontakt zu Ha- Ehrhoff: Ja, ich habe einen Schläger ins Rosberg: Ich hatte einige, besonders in milton? Auge bekommen, auf der Netzhaut ist den letzten Jahren gegen Lewis. Ich habe Rosberg: Fast gar nicht, obwohl wir im eine Narbe zurückgeblieben. Deswegen einmal die WM verloren im letzten Ren- gleichen Haus wohnen. Jetzt ist der Pool sehe ich links schlecht. Es stand für mich nen der Saison, nachdem ich fast das ganze wieder offen, da sieht man sich ab und zu. aber nie zur Debatte, deswegen aufzu - Jahr geführt hatte. Sich danach mit der Fa- Früher ist er auch mal zum Burgeressen hören. milie im Arm zu liegen, und alle weinen – vorbeigekommen, das hat aber aufgehört. Rosberg: Und das hat dich nicht beein- boah. In unserem Sport weiß man ja auch Ehrhoff: (grinst) Er isst ja kein Fleisch trächtigt auf dem Eis? nie, ob man noch eine Chance bekommt, mehr, vielleicht deshalb. Ehrhoff: Nein, das rechte Auge hat alles denn man ist sehr vom Auto abhängig. SPIEGEL: Sie sind auch Vegetarier. übernommen. Ehrhoff: Ich habe 2011 mit Vancouver das Rosberg: Echt? Hat dir das was gebracht? Rosberg: (hebt das »Reserviert«-Schild Stanley-Cup-Finale verloren, im entschei- Ehrhoff: Ich habe den Eindruck, dass es vom Tisch hoch) Kannst du das mit links denden Spiel um die NHL-Meisterschaft. mir bei der Regeneration geholfen hat. nicht lesen? Da stehst du am Ende einer Saison nach Rosberg: Als ich gefahren bin, habe ich auf Ehrhoff: Nein, nur mit rechts. 107 Spielen mit leeren Händen da und alles verzichtet: kein Gluten, keine Laktose, Rosberg: Das ist ja krass. musst zusehen, wie der Gegner feiert. keine Fruktose, kein Industriezucker. SPIEGEL: Sie erlitten 2015 zudem zwei Ge- SPIEGEL: Wie fühlt sich das an? SPIEGEL: Haben Sie das beibehalten? hirnerschütterungen. Ehrhoff: Erst mal war da totale Leere. Rosberg: (greift in die Chips-Schale) Nein, Ehrhoff: Die waren problematisch. Ich war Aber als ich nach dem Spiel meine Familie jetzt ist mir alles egal (beide lachen). Aber zweimal hintereinander sechs Wochen gesehen habe, bin ich in Tränen ausgebro- Mann, der Körper verwandelt sich. Un- außer Gefecht. Als ich nach der zweiten chen. Du hast das Gefühl, auch die Erwar- glaublich! Ich habe meinem Vater, der ein Verletzung vom Eis ging, dachte ich, das tungen der anderen enttäuscht zu haben. bisschen Bauch hat, früher gesagt, ich wer- könnte der letzte Moment meiner Karriere Rosberg: (nickt) Ich kann diesen Moment de mich nie gehen lassen – habe ich alles sein. exakt nachempfinden. zurückgenommen. SPIEGEL: Herr Rosberg, Sie wurden vor SPIEGEL: Wie ist es dann, die Schlagzeilen SPIEGEL: Herr Ehrhoff, auch Sie hatten mit mehr als zehn Jahren bei einem Unfall aus- am nächsten Tag zu lesen? Konflikten in Ihren Teams zu kämpfen. Wie geknockt. Ehrhoff: Ich habe mich nie darum geschert, sind Sie als Kapitän damit umgegangen? Rosberg: Ja, das war in der Formel 3. Die was über mich geschrieben wurde, auch Ehrhoff: Ich war eher ein ruhiger Typ, der Bremse hat versagt, und ich bin voll in die nie was gelesen. Außer jetzt bei Olympia. mit gutem Beispiel voranging. Aber wenn Bande geflogen am Ende der Start-Ziel- Rosberg: Für mich gab es nur Familie und ich mal laut wurde, wussten die anderen, Geraden. Aber ich habe Glück gehabt. Rennsport. Keine News, kein Facebook, dass es ernst ist. SPIEGEL: Haben Sie gesundheitliche Pro- kein Instagram. Zwischenzeitlich hatte ich SPIEGEL: Wie greifbar waren Sie für Ihr bleme durch Ihren Sport? nicht mal ein Handy. Absoluter Fokus. Team, Herr Rosberg? Rosberg: Die Wirbelsäule hat schon eini- SPIEGEL: Braucht man den besonders, Rosberg: Ich habe mir sehr viel Mühe ges abbekommen. Ein paar Wehwehchen, wenn der größte Konkurrent, Lewis Ha- gegeben, weil ich wusste, wie viel Energie aber das kann auch das Alter sein. milton, im eigenen Team fährt? meine Mechaniker investiert haben. Deren SPIEGEL: Sie sind 32! Rosberg: Das ist schon echt kompliziert. Familien haben darunter gelitten, wenn Ehrhoff: Ab 30 geht das los (lacht). SPIEGEL: Kann man so eine Situation die mal wieder Tag und Nacht an dem Rosberg: Das ist so. lösen? Auto gebastelt haben, das ich am Ende

98 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Rosberg: Nein. Aber ich bin auch so was von raus. Aus allem. Mit zwei kleinen Töchtern bleibt kaum Zeit für anderes. Hast du auch Kinder? Ehrhoff: Ja, drei Töchter, neun, sieben und dreieinhalb. Wie alt sind deine? Rosberg: Zweieinhalb und acht Monate. Ehrhoff: Oh, das ist noch viel Arbeit. Rosberg: Heute früh um zwei kam meine Frau und sagte: Es geht nicht mehr. Die Kleine hat nur geweint. Also: Boxenstopp, fliegender Wechsel, ich habe übernommen. SPIEGEL: Stichwort Boxenstopp. Juckt es Sie heute, wenn Sie Formel 1 schauen? Rosberg: Ich genieße die Rennen, aber ich finde es schön, dass ich jetzt als TV-Exper- te zu dieser Show beitrage – ich habe ja ein Insiderwissen, das nur wenige haben. SPIEGEL: Und wie ist es mit Eishockey? Ehrhoff: Die Play-off-Spiele habe ich mit

PETER J FOX / GETTY IMAGES PETER J FOX einem weinenden Auge verfolgt, aber eher Weltmeister Rosberg 2016 in Abu Dhabi: »Crazy, völlig crazy« weil ich selber nicht so weit gekommen bin. Spannend wird es, wenn ich zum ers - ten Mal als Zuschauer in einer Halle bin. gefahren bin. Deshalb: Meine Rennsport- war ich fertig, es hat sehr viel Kraft ge - Mal sehen, ob ich das Gefühl bekomme, familie am Ende hängen zu lassen, das war kostet, sich mental immer wieder aufs dass ich eigentlich mitspielen sollte. mit das Heftigste für mich. Neue auf Spiele vorzubereiten. Aber ich SPIEGEL: Also eine Rückkehr ist für Sie SPIEGEL: Inwiefern? wollte unbedingt noch einmal bei Olympia beide kein Thema? Rosberg: Ich hatte bei meinem Rücktritt dabei sein. Als ich dann in Pyeongchang Ehrhoff: Für mich ist das ausgeschlossen. noch zwei Jahre Vertrag und wusste, wie ankam, wusste ich: Nach der Saison ist Rosberg: Kommt darauf an. Wenn Ferrari sehr ich mein Team in Schwierigkeiten Schluss. das Angebot verdoppelt, muss ich noch mal bringe. Alle anderen Fahrer standen be- SPIEGEL: Am 25. März schieden Sie mit überlegen. Nein, ich bin komplett erfüllt. reits unter Vertrag. den Kölner Haien in den Play-offs aus. Das SPIEGEL: Was sind Ihre nächsten Ziele? SPIEGEL: Warum sind Sie dann zurück- war Ihr letztes Spiel. Rosberg: Die Mobilität zu fördern. Ich bin getreten? Ehrhoff: Danach saß die Mannschaft Investor in der Formel E, dort werden Rosberg: Einmal Weltmeister zu werden, stumm in der Kabine, und ich habe kein Motoren entwickelt, die später alle auf der das war mein Kindheitstraum. Ich hatte Wort rausbekommen. Ich habe es den Straße fahren werden. Ich bin bei Autos mein Ziel erreicht. Die Überlegung, mehr Jungs dann nach und nach erzählt. Dabei zu Hause, finde Themen wie Nachhaltig- Zeit für die Familie zu haben. Es war per- kamen mir schon die Tränen. Zu Hause keit und grüne Mobilität sehr spannend. fekt, es ist alles zusammengekommen. Als habe ich dann einen Post für Instagram Dazu will ich meinen Teil beitragen. ich dann beim letzten Rennen über die verfasst und meiner Frau vorgelesen, das SPIEGEL: Herr Ehrhoff, ist es bei Ihnen Ziellinie fuhr, war mir klar: Ich mache das. war auch noch mal sehr emotional. Ich noch zu früh, über Ziele zu reden? SPIEGEL: Das klingt nach einer einsamen war erleichtert, als der dann raus war. Ehrhoff: Ich möchte schon weiter im Eis- Entscheidung. SPIEGEL: Das war sechs Wochen vor Be- hockey bleiben. Der Sport hat mir so tolle Rosberg: Total. Ich habe es meiner Frau ginn der Eishockey-WM. Es gab negative Momente ermöglicht, da möchte ich etwas erst kurz vor der Verkündung erzählt und Reaktionen, eine Überschrift lautete: »Ehr- zurückgeben. In welcher Form das sein meinen Eltern nur eine SMS geschickt. hoff lässt das Nationalteam im Stich«. Was wird, muss sich noch zeigen. Und ich SPIEGEL: Sie haben sie nicht angerufen? denken Sie, wenn Sie so was hören? möchte auch als Unternehmer meine Er- Rosberg: Ich habe mich nicht getraut. Ich Rosberg: Da brauchst du jetzt gar nichts fahrungen machen. Ich habe mit zwei hatte es auch meinem besten Freund er- zu sagen, ich rede mal für dich. Das ist Freunden ein Physiotherapie- und Fitness - zählt, der mein größter Fan war. Der war doch komplett scheiße. Was er für unser zentrum aus der Insolvenz übernommen, am Boden zerstört und meinte: Jetzt weiß Land geleistet hat in all den Jahren und das versuchen wir wieder anzuschieben. ich, wie sich meine Schwester gefühlt hat, jetzt bei Olympia – das hat es doch über- SPIEGEL: Herr Rosberg, weil Sie jetzt als sich Take That aufgelöst hat (beide la- haupt noch nie gegeben, oder? schon viel länger raus sind: Was vermissen chen). Ich war kaputt danach. Wenn mein Ehrhoff: Nein, das war der größte Erfolg Sie am wenigsten aus dem Sportlerleben? Kumpel schon so reagiert, was wird dann des deutschen Eishockeys. Rosberg: Meine Torturmaschine für die wohl mein Vater sagen? Rosberg: Der größte Erfolg der deutschen Nackenmuskulatur. SPIEGEL: Was stand in der SMS? Eishockeygeschichte. Come on, guys, was SPIEGEL: Ihre Torturmaschine? Rosberg: »Mama, ich hör auf, bitte sag es wollt ihr denn noch? Rosberg: Ja, die steht in meiner Garage. dem Papa, ich melde mich später mal« Ehrhoff: Ich verstehe das auch nicht. Da sitzt man drin wie in einem Renn- (klatscht lachend in die Hände). Das war Rosberg: Habt ihr danach eigentlich schön wagen. An dem Helm sind Ketten mit Ge- super. gefeiert? wichten befestigt. Dann geht es los, in alle SPIEGEL: Wie war es bei Ihnen? Ehrhoff: Na ja, so richtig ausgelassen war Richtungen. Ekelhaft. Ich schwöre, da set- Ehrhoff: Ähnlich. Ich hatte seit Beginn der das nicht. Wir mussten noch in der Nacht ze ich mich nie wieder rein. letzten Saison überlegt, wann der richtige wieder zum Flughafen, und drei Tage spä- SPIEGEL: Herr Ehrhoff, Herr Rosberg, wir Zeitpunkt wäre. Körperlich habe ich mich ter stand das nächste Ligaspiel an. danken Ihnen für dieses Gespräch. noch super gefühlt, aber vom Kopf her SPIEGEL: Haben Sie das Finale gesehen?

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der vor fast sieben Jahren versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, seien »unver- Angriff auf den Zeugen kennbar«, schreibt Thiel von Herff. Der Schiedsrichter selbst antwortet auf An- frage, er halte die Ausführungen des Gut - Bundesliga Manuel Gräfe hat öffentlich Missstände im achters für unvollständig und zum Teil Schiedsrichterwesen angeprangert. Ein Gutachten empfiehlt daraufhin, »mindestens fahrlässig«. ihn auszubooten. Die DFB-Aufklärung gerät zur Farce. Fandel sagt, es sei nicht seine Absicht gewesen, zu viel Druck aufzubauen, an das Zitat könne er sich nicht erinnern. er Schiedsrichter Manuel Gräfe war tionsskandal um Robert Hoyzer im Jahr Auch der Gutachter sieht keinen Beweis in der abgelaufenen Bundesliga - 2005. für Mobbing. Überhaupt kommt Thiel von D saison ein Mann für die wichtigen Der DFB versuchte zunächst, die Gräfe- Herff zu Schlussfolgerungen, die Gräfes Spiele. Im Revierderby und im Abstiegs- Affäre mit geringem Aufwand wegzu- Kritik in vielen Punkten widersprechen. kampf – kein Schiedsrichter hat in dieser bügeln, Krug und Fandel wurden teilweise Krug und Fandel seien vom DFB »öffent- Spielzeit mehr Partien geleitet als Gräfe. entmachtet. Das war ein Teilerfolg für lich zu rehabilitieren«. In 3672 Datensät- Ausgerechnet Gräfe soll jedoch aus dem Gräfe, der als einziger aktiver Schiedsrich- zen sei keine systematische Einflussnahme Verkehr gezogen werden – so zumindest ter öffentlich die Vorgesetzten angegangen auf die Benotung zu erkennen. lautete im Januar die Empfehlung eines war. Doch der Streit ging weiter, bis der Der DFB-Gutachter, an den sich Whistle- Gutachters des Deutschen Fußball-Bundes DFB bei seinem verbandseigenen Ombuds- blower mit Informationen zu Spielmani- (DFB). Gräfe, 44, sei »ab sofort« nicht mann für Spielmanipulation und Schieds- pulationen vertrauensvoll wenden sollen, mehr »mit Spielleitungen zu betrauen«. richterwesen, Carsten Thiel von Herff, ein hat nicht nur an der Aufklärung der Vor- Die DFB-Gremien sind dieser Empfehlung Gutachten in Auftrag gab. würfe gearbeitet. Er fertigte zudem einen Bericht über seine persön- lichen Eindrücke vom Haupt- zeugen Manuel Gräfe an. Seine Beschreibungen fallen nicht sonderlich schmeichelhaft aus und stellen Gräfe als manipu- lativ dar. Er sei »nicht kontrol- lierbar«, außerdem solle man dem Schiedsrichter einen Kon- takt zur Robert-Enke-Stiftung vermitteln, »als reine Vorsichts- maßnahme«. Die Stiftung för- dert Projekte, die über Depres- sionen aufklären. Gräfe, der in der Fußballsze- ne durchaus als komplizierter, fordernder Charakter bekannt ist, focht das Gutachten mit einem 108 Seiten langen Schrei- ben anwaltlich an. Der Brief, für den der Gutachter nun wiederum Gräfe verklagen will, ging am 19. April auch an meh- rere Vorgesetzte und kursiert seitdem in der DFB-Führung. In dem Schreiben spricht der Anwalt des Schiedsrichters

FOTO HUEBNER / PICTURE ALLIANCE / DPA HUEBNER / PICTURE FOTO sogar von einer Intrige. Thiel Unparteiischer Gräfe: Aussage gegen Aussage von Herff habe im Gespräch mit Gräfe Informationen plat- ziert, um seinen Zeugen zu tes- nicht gefolgt. Vielmehr stellt man sich in In den Dokumenten, die dem SPIEGEL ten. Als diese am folgenden Tag in einem der Verbandsspitze nun Fragen über diese vorliegen, kommt Thiel von Herff zu dem Artikel der »Bild«-Zeitung auftauchten, Art der Aufklärung. Schluss, dass Hellmut Krug und Herbert fühlte sich der Gutachter in seinem Miss - Es ist eine neue Volte im Schiedsrich- Fandel durchaus Versäumnisse in der Mit- trauen bestätigt. Gräfes Anwalt bestreitet, terstreit, der seit August 2017 schwelt. arbeiterführung vorzuwerfen seien. Ein dass der Schiedsrichter die Details durch- Manuel Gräfe kritisierte in einem »Tages - eindrucksvolles Beispiel ist die Aussage gestochen hat und hält das in seinem spiegel«-Interview die Schiedsrichter - eines aktuellen Bundesliga-Schiedsrichters, Schreiben für faktisch widerlegt. bosse Hellmut Krug und Herbert Fandel er habe sich von Fandel monatelang unter Das Gespräch mit Gräfe hat Thiel von hart. Er warf ihnen Vetternwirtschaft Druck gesetzt und vorgeführt gefühlt. Herff in 30 Stichpunkten zusammengefasst. und Einflussnahme bei der Schiedsrich- »Pfeifst du noch ein Spiel in der ersten Liga Nun steht Aussage gegen Aussage über den terbenotung vor . Zudem attackierte schlecht, bist du raus«, habe Fandel ihm genauen Gesprächs inhalt. Gräfes Anwalt Gräfe seinen Kollegen Felix Zwayer für gesagt. Der Schiedsrichter sei angeschlagen übermittelt zudem weitere Aus sagen von dessen Verstrickungen im Manipula- gewesen. Die Parallelen zu Babak Rafati, Zeugen, die mit ihrer Rolle in Thiel von

100 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Herffs Gutachten nicht einverstanden sind. Der Bundesliga-Schiedsrichter Guido Wink- mann bekundet, er hätte seine Zeugenaus- sage so nicht unterschrieben. Sein Kollege Robert Hartmann beklagt, er sei »wenig detailgetreu und in Teilen eindimensional wiedergegeben« worden. Thiel von Herff bestreitet das. Der ehemalige Schiedsrich- terassistent Cars ten Kadach erklärt laut Grä- fes Anwalt, dass der Gutachter »belastende Details gegen H. Krug und H. Fandel« außer Acht gelassen habe. Thiel von Herff sagt, selbst auf Nachfrage habe Kadach keine belastenden Details geäußert. Kadach kommt zu dem Schluss, dass es sich bei dem Gutachten »keinesfalls um eine externe Untersuchung handeln« kön- ne, sondern um eine »sportpolitisch gesteu- erte Aufarbeitung für den DFB«. Thiel von Herff hingegen sagt, Kadachs Aussagen seien »mit Vorsicht zu genießen«. Er habe ein differenzierendes Gutachten vorgelegt. In seiner Handlungsempfehlung an den DFB rät Thiel von Herff, »die Chance des ersten ›medialen Aufschlags‹« zu nutzen und das Ergebnis seiner Untersuchung öffentlich zu kommunizieren, um Gräfe die Das Nachrichten-Magazin Möglichkeit zu nehmen, »Tatsachen in der Öffentlichkeit anders darzustellen«. Im nächsten Satz schreibt der Gutachter wiede- rum, es gehe nicht darum, »einen Zeugen für Kinder. zu sanktionieren oder gar mundtot zu ma- chen« – nur um anschließend zu empfehlen, Gräfe als Schiedsrichter auszubooten. Das DFB-Präsidium ist dieser Empfeh- lung nicht gefolgt. Vielmehr zeigt man sich in der Verbandsführung erschrocken über Jetzt das strittige Gutachten. Ein hochrangiger DFB-Funktionär spricht aufgebracht ins testen: Telefon: »Das ist alles verunglückt, eine Katastrophe.« Erst, so der Mann, der die www.deinspiegel.de inneren Abläufe beim DFB sehr gut kennt, hätte die verbandseigene Ethikkommis- sion unter dem Vorsitzenden Ex-Außen- minister Klaus Kinkel den Schiedsrichter- streit lösen sollen. »Das war eine Farce«, sagt der Funktionär. »Kinkel wollte ledig- lich verhindern, dass weiterhin in der Öf- fentlichkeit mit Schmutz geworfen wird.« Kinkel selbst antwortet darauf, dass er alle Akten vorliegen gehabt und sehr wohl eine einvernehmliche Lösung im Gespräch mit allen Beteiligten gesucht habe. Eine Untersuchung wäre aber zu umfangreich und teuer geworden und zu keinem ra- schen Ergebnis gekommen. Aus der Sicht des DFB-Funktionärs folgte dann der Kardinalfehler des Verbandes, der den Skandal rund um die deutschen Refe- rees auf die Spitze trieb: »Statt Thiel von Herffs hätte der DFB sofort einen unabhän- gigen Prüfer installieren müssen.« In einer Stellungnahme antwortet der DFB, dass Thiel von Herff ein »komplett unabhängiger Prüfer« sei, der hohes Ansehen genieße. Rafael Buschmann, Christoph Winterbach

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Die TITEL irre Show Während Präsident Trump seit einem Jahr twittert und wütet, hat die Regierung in seinem Auftrag begonnen, alles abzuwickeln, was Amerika einst wichtig war. Über das Politik-Theater im Weißen Haus – und eine tief verstörte Nation

Von Andreas Albes und Nicolas Büchse FOTO: DOUG MILLS/THE NEWYORKTIMES/REDUX/LAIF DOUG MILLS/THE FOTO: Wissenschaft+Technik

Starke Hintergrundgeräusche mindern die Fähigkeit, Süßes und Salziges zu schmecken. ‣S.110 NICOLE OTTAWA / OLIVER MECKES (EYE OF SCIENCE) / OLIVER MECKES OTTAWA NICOLE

Die wenige Millimeter große Eintagsfliegenlarve (hier mit mehr als hundert facher Vergrößerung dar- gestellt) schwimmt am Grund von Bergbächen oder Flüssen, wo sie sich von Resten abgestorbener Pflanzen ernährt. Die erwachsene Eintagsfliege nimmt keine Nahrung mehr auf – was auch nicht nötig ist, weil sie nur wenige Tage lebt, die sie mit Begattung und Eiablage verbringt. Das Foto stammt aus dem soeben erschienenen Buch »Wandlungskünstler. Die geheime Erfolgsgeschichte der Insekten«.

Infektionskrankheiten scher in Experimenten an sogenannten ten Mücken, so glauben die Forscher, hel- Gefährliche humanisierten Mäusen herausgefunden, fe diese Reaktion Krankheitserregern wie Versuchstieren mit einem menschlichen dem Zika- oder dem West-Nil-Virus, sich Mückenspucke Immunsystem. Obwohl die Nager im im menschlichen Körper zu vermehren. Laborversuch nur von erregerfreien Wenn es hingegen gelänge, einen Impf- Der Speichel von Mücken könnte Mücken gestochen wurden, verursachten stoff gegen die Mückenspuckeproteine zu Krankheitserreger, die von den Insekten die im Mückenspeichel enthaltenen Pro- entwickeln, könnte das möglicherweise übertragen werden, noch gefährlicher teine eine starke, bis zu sieben Tage die Übertragung tropischer Krankheiten machen. Das haben amerikanische For- andauernde Immunreaktion. Bei infizier- eindämmen. VH

104 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 Medizin Dorpmans: Bei Open-Air-Festivals wird Artenschutz viel Ecstasy geschluckt, diese kleinen Pil- »Knochen von dem Tier »Heroin ist eine len mit den lustigen Logos drauf. Ecstasy gilt als Liebesdroge, man kommt oft zärt- mit dem Rüssel« Verliererdroge« lich drauf. Aber die Dosierung des Wirk- stoffs MDMA hat sich in den letzten Jah- Der Internethandel mit Elfenbein Der niederländische ren verdoppelt. Aktuell ist also eine hat in Deutschland stark zugenommen. Drogenberater Charles Ecstasy-Pille so wirksam wie früher zwei. Bei einer Suche auf Onlinemarktplät- Dorpmans, 62, von der Damit wächst das Risiko einer Vergiftung. zen fanden Mitarbeiter des Internatio- gemeinnützigen Organisa- SPIEGEL: Warum steigt die Dosis an? nal Fund for Animal Welfare 172 Anzei- tion Novadic-Kentron Dorpmans: Viele Konsumenten suchen gen, in denen insgesamt 211 Objekte für Suchtforschung und den schnellen Kick, nach dem Motto der aus Elfenbein angeboten wurden. 2014 -prävention über neue Leistungsgesellschaft: Ich arbeite hart, waren bei einer ähnlichen Suchaktion Rauschmittel und gefährliche Missver- ich feiere hart. Sie glauben, dass die Dro- nur 27 derartige Anzeigen entdeckt ständnisse ge selbst sie high mache. Das stimmt aber worden. Angeboten wurde das Elfen- gar nicht. bein in Form von Broschen, Ketten, SPIEGEL: Sie koordinieren die Arbeit von SPIEGEL: Sondern? Statuen und anderen Schnitzereien. sieben Zentren, bei denen Konsumenten Dorpmans: Die Pillen führen dazu, dass Auf vielen Onlinemarktplätzen ist der anonym Drogen testen lassen können. Neurotransmitter wie Serotonin ver- Verkauf von Elfenbein seit Langem Wäre es nicht wichtiger, vor der Einnah- mehrt ausgeschüttet werden und länger verboten. Trotzdem sei man dort auf me illegaler Drogen zu warnen? wirken. Ich kann noch so viele Pillen Anzeigen gestoßen. Meist kam es dann Dorpmans: Klar, aber sie werden ja trotz- schlucken, aber wenn meine Serotonin- aber nicht zum Verkauf. Um die wahre dem genommen. Und es kann einen speicher nach einer Party leer sind, Natur der Ware zu verschleiern, seien großen Unterschied ausmachen, womit bringt das gar nichts mehr. Der Körper die Produkte mitunter auch als »Bein eine Droge verunreinigt ist. Vor Kurzem braucht zwei oder drei Monate, bis Ecsta- der Elfe« oder »Knochen von dem Tier haben wir Kokain gefunden, das mit sy wieder in gleicher Intensität wirkt. mit dem Rüssel« angeboten worden. VH Atropin verunreinigt war; die Einnahme Wer öfter Pillen nimmt, bekommt statt kann tödlich enden. Wir haben Alarm eines Kicks eher eine Vergiftung. ausgelöst und Polizei, Krankenhäuser, SPIEGEL: Woher wissen Sie all das? Ärzte informiert. Und natürlich auch das Dorpmans: Es ist meine Arbeit, Entwick- Publikum, über Flyer und Social Media. lungen auf dem Drogenmarkt zu verfol- SPIEGEL: Was erhoffen sich die Konsu- gen, aber ich habe auch eigene Erfahrun- menten von den Tests? gen. Als junger Mann war ich heroinsüch- Dorpmans: Häufig kommen die zu uns tig. Die Kids von heute lachen darüber mit einer Pille und fragen: Ist die gut oder nur, Heroin gilt heute als totale Verlierer- schlecht? Dann muss ich oft erst einmal auf- droge. Aber meine eigenen Erfahrungen klären, wie gefährlich diese Drogen sind, sind ein guter Anlass, um ins Gespräch egal, ob sie verunreinigt sind oder nicht. zu kommen. Das ist wie beim Thema SPIEGEL: Welche Mittel sind besonders Sex. Aufklärung ist viel wirkungsvoller / DPA IRUNGU DANIEL gefährlich? als Tabus und Verbote. HIL Beschlagnahmtes Elfenbein

Analyse Mehr Sicherheit, weniger Reichweite Zwei tödliche Tesla-Unfälle beunruhigen: Wie brandgefährlich sind Elektroautos?

Dass Autos ohne Verbrennungsmotor in Flammen aufgehen, zen die meisten anderen Hersteller von Elektromobilen deshalb klingt überraschend. Genau das passierte aber, als kürzlich ein bei ihren Großakkus auf weniger energiehaltige, dafür weniger deutscher Tesla-Fahrer auf einer Schweizer Autobahn in die Leit- entzündliche Nickel-Mangan-Verbindungen – geringere Reich- planke schleuderte und tödlich verunglückte. Aufnahmen der weite, mehr Sicherheit. Bereits im Jahr 2014 hatte eine Folge von Bergungsarbeiten zeigen den havarierten Wagen in einem Flam- Feuerunfällen Tesla zur Nachrüstung einer Titanplatte im Boden - menmeer. Er brannte ebenso aus wie ein zwei Tage zuvor in bereich des Model S bewogen, die die Gefahr einer Beschädigung Florida verunglückter Tesla, in dem zwei Insassen beim Aufprall der tiefliegenden Akkus vermindern soll. An der kritischen NCA- gegen eine Wand ums Leben gekommen waren. Kathodenchemie hält der Hersteller jedoch fest, da sie ihm die Ob die Flammen Todesursache waren, konnte bisher in keinem sehr weiten Fahrstrecken garantiert. der Unglücksfälle geklärt werden. Unstrittig ist aber, dass Lithium- Unterm Strich attestieren Unfallexperten den Elektroautos bis- Ionen-Akkus brandgefährlich sein können; ihr Elektrolyt enthält lang kein höheres Entflammungsrisiko. Der Gesamtverband der leicht entzündliche organische Verbindungen. Fest steht auch, Deutschen Versicherungswirtschaft wertete 14000 Pkw-Unfälle dass Tesla einen Batterietyp mit einer Nickel-Cobalt-Aluminium - mit Brand- und Explosionsschäden im Jahr 2016 aus. Das Ergeb- mischung (NCA) an der Kathode einsetzt, der sehr hohe Energie- nis: »Von Elektroautos«, sagt Sprecherin Kathrin Jarosch, »geht dichten speichert, sich im Falle einer Beschädigung der Zellen unserer Einschätzung nach keine höhere Brandgefahr aus als von aber auch rasch und heftig entflammen kann. Üblicherweise set- Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren.« Christian Wüst

105 Technik

2 AP

1 REUTERS

(1) Stück des Höhenleitwerks von MH 370 (2) Teilemarkierung der gefundenen Landeklappe (3) Ausgefranstes Flaperon (4) Mutmaßliche Trümmerstücke von MH 370 3 (5)

Wabenplatte, mutmaßlich von MH 370 / DDP IMAGES XINHUA

5 BLAINE ALAN GIBSON / DPA 4 ADRIEN BARBIER / AFP ADRIEN BARBIER Massenmord am Himmel

Luftfahrt Was geschah an Bord des Geisterflugzeugs MH370, das vor vier Jahren spurlos verschwand? Ein kanadischer Flugunfallermittler hält das Rätsel jetzt für gelöst: Nicht ein Unfall, sondern ein Psychodrama habe zum Absturz der Maschine geführt.

106 as größte Mysterium der Luft- hatte. Mindestens 20 Wrackteile sind tionsmaterial hatte Feuer gefangen, das fahrt ist keines mehr. Das Schick- nach und nach aufgetaucht. Die meisten sich rasch ausbreiten konnte. D sal des Geisterflugs MH370 stammen von den Flügeln, den Triebwer- Was bleibt von so einem Jet, wenn er scheint endlich aufgeklärt – das ken oder dem Leitwerk. Doch kaum ein mit einer Geschwindigkeit von 555 Kilo- Verschwinden einer Boeing 777 von Trümmerstück stammt aus dem Innern metern pro Stunde mit der Nase voran in Malaysia Airlines, die am 8. März 2014 der Maschine. Nicht ein einziges Sitz - den Ozean kracht? Die Antwort auf diese kurz nach Mitternacht von Kuala Lumpur kissen und keine Schwimmweste wurden Frage liefert ein entscheidendes Indiz zu nach Peking fliegen sollte, dort aber nie angespült, obwohl Hunderte davon an dem Schicksal von MH370. ankam und auch nirgendwo sonst. Bord waren. Ein Hinweis darauf, dass Die Millisekunden nach dem Aufschlag Auf die Frage, wo das Flugzeug und sei- MH 370 beim Absturz nicht aufgebro- der Swissair-Maschine muss man sich in ne 239 Insassen denn nun sind, gibt es chen ist. Superzeitlupe so vorstellen: Der Bug des gleichwohl keine Antwort. Niemand weiß Vance und seine Mitstreiter haben in Fliegers wird vom Wasser eingedrückt und es, und wahrscheinlich wird es niemand ihrem Berufsleben gelernt, in Wrackteilen platzt auf. Der Flugzeugrumpf taucht, je erfahren. Seit Januar läuft die Such - zu lesen. Jede Delle und Verformung er- ohne nennenswert gebremst zu werden, aktion einer US-Firma mit acht Tauch - zählt ihnen, was für physikalische Kräfte ins Meer ein. Die Luft im Inneren trifft auf robotern, doch diese wird Mitte Juni so er- hier am Werk waren, jeder Kratzer und Wassermassen, die sich, so ist die Physik, gebnislos abgebrochen werden wie die Riss im Metall wird für sie zum stummen nicht komprimieren lassen. Also steigt der dreijährige Suche zuvor. Zeugen dessen, was MH370 widerfahren Luftdruck in der Kabine schlagartig ins Der Jet liegt irgendwo auf dem Grund ist. »Es ist nicht schwer«, sagt Vance, »fest- Unermessliche. Die Maschine explodiert des südlichen Indischen Ozeans. Wie er zustellen, was sich hier ereignet hat.« regelrecht von innen nach außen und von dorthin kam und wer dafür verantwortlich Seinen australischen Kollegen wirft vorn nach hinten. Gleiches passiert mit ist, das zumindest wird immer klarer. Die Vance mangelnde Sorgfalt und Inkom- allen Hohlräumen, etwa in den Flügeln. Lösung des Rätsels gelang nicht den dafür petenz vor. Sie hätten von Anbeginn eine Die Swissair-Maschine ist so in Sekun- zuständigen Stellen in Malaysia und Aus- falsche Spur verfolgt und diese stur vertei- denbruchteilen in etwa zwei Millionen Ein- tralien, wo Experten unter Hochdruck und digt gegenüber allen Hinweisen, die ihre zelteile zerbrochen, und kaum ein Trüm- mit Millionenbudgets an dem Fall arbeite- Theorie später infrage stellten. Ihre Leis- merstück war größer als ein Handteller. ten. Sie gelang einem unbeteiligten Fach- Die Menschen wurden ebenso übel zuge- mann: Larry Vance aus Ottawa in Kanada, richtet. Köpfe explodierten. Nur eine Lei- einem pensionierten und nun freiberuflich che war visuell zu identifizieren. tätigen Flugunfallermittler. Was folgt daraus nun für die Rekon- Ende Mai erscheint sein Buch »MH370 – struktion des Geisterflugs MH370? Im Juli Mystery solved«. Vance, 69, weist darin 2015 tauchte auf der Insel La Réunion mit bestechender Logik nach, dass nach das erste Wrackteil von MH370 auf: eine Lage der Dinge nur ein möglicher Hergang 2,43 Meter lange und 1,5 Meter breite in Einklang mit allen verfügbaren Indizien Flügelklappe, Flaperon genannt, die von steht: MH370, seine Crew und Passagiere der rechten Tragfläche stammt. wurden das Opfer des Flugkapitäns Zaharie Im Juni 2016 wurde auf einer zu Tansa- Ahmad Shah, 53. nia gehörenden Insel eine Landeklappe Shah – verheiratet, drei Kinder – hatte, gefunden, 4,57 Meter mal 1,83 Meter groß. aufgrund welcher Psychopathologie auch Sie war gleich neben dem Flaperon am immer, offenbar den Plan gefasst, für alle rechten Flügel montiert gewesen. Beide

Zeit ohne jede Spur von der Erdoberfläche / DDP IMAGES NEWSCOM Teile waren weitgehend intakt geblieben, zu verschwinden. Er hat seine Maschine Flugkapitän Shah ihre unbeschädigten Hohlräume hatten ih- deshalb bewusst über Stunden bis ans Todesflug am Simulator geübt? nen genug Auftrieb verliehen, um sie über Ende der Welt geflogen, dorthin, wo kein den Ozean driften zu lassen. Nur an ihrer Radar und keine Schiffe, nichts und nie- tung sei besorgniserregend und »einer pro- Hinterkante, der dünnsten Stelle, waren mand ihn je bemerken würden. Er setzte fessionellen Untersuchung unwürdig«. sie ausgefranst. den Jet so sanft wie möglich auf dem Was- Vance ist ein Altmeister seines Fachs. Als Vance die Fotos der massiven Wrack- ser auf, um ihn am Stück zu versenken. In seiner Karriere hat er mehr als 200 teile sah, wusste er auf Anhieb: »Diese Ma- Der Massenmord an seinen Passagieren Untersuchungen zu Vor- und Unfällen in schine kann unmöglich mit Hochgeschwin- und Besatzungsmitgliedern, so Vance, habe der Luftfahrt verantwortet. Als stellvertre- digkeit ins Wasser gestürzt sein.« Das aber Shah ebenso wenig gekümmert wie den tender Ermittlungsleiter hat er auch den ergäbe sich aus der Theorie, der die Ermitt- Germanwings-Co-Piloten Andreas Lubitz, mit 229 Toten schwersten Absturz in der ler der offiziellen Flugunfalluntersuchung der seinen Airbus A320 fast genau ein Jahr Geschichte von Swissair aufgeklärt. immer noch anhängen. Die Australier ge- später in ein Alpen-Bergmassiv steuerte. Was Vance bei der Rekonstruktion des hen davon aus, dass MH370 führerlos da- Neu ist das Schreckensszenario eines er- Swissair-Crashs lernte, eine der komple- hinflog, etwa nach einem Feuer an Bord, weiterten Suizids als Erklärung für das Ver- xesten überhaupt, das half ihm jetzt bei nur gesteuert vom Autopiloten, bis nach schwinden von MH370 nicht. Neu aber der Rekonstruktion des Geisterflugs. über sieben Stunden das Kerosin ver- ist die Fülle an Belegen, mit der Vance Am 2. September 1998 war die McDon- braucht war und die Maschine aus großer seine Theorie nun untermauern kann. Er nell Douglas MD-11 südwestlich vom ka- Höhe mit mindestens 700 Kilometern pro hat dafür die Mithilfe zweier weiterer nadischen Halifax brennend in den Atlan- Stunde kopfüber auf das Meer knallte. Flugunfallermittler im Ruhestand genutzt. tik gestürzt. Vance und das Team haben »Die Beleglage dagegen ist überwälti- Terry Heaslip, Elaine Summers und Vance das Wrack in vierjähriger Arbeit zu- gend«, sagt Vance. »Schon die großen greifen zusammen auf mehr als hundert sammengepuzzelt und die Brandursache Trümmer beweisen: So kann es auf gar Jahre Berufserfahrung zurück. aufgedeckt: Im oberen Cockpitpanel war keinen Fall gewesen sein.« MH 370 ist eben nicht so spurlos ver- es zu einem Kurzschluss gekommen. Ein Wenn MH370 also nicht hart aufschlug schwunden, wie Shah dies wohl geplant damals noch häufig verwendetes Isola- auf dem Wasser, wie dann? 13 charakteris-

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Teil des Seitenleitwerks und wann hat er die Menschen an Bord getötet? Am wahrscheinlichs- Teil des Höhenleitwerks ten, sagt Vance, sei es, dass Shah Kabinen- Fundorte von Wrackteilen mit einem Handgriff im Cock- teile pit einen Druckabfall her- Verkleidungsteile Flügel- teile beiführte, kaum dass er nach Flaperon Wahrscheinliche 40 Minuten Flugzeit seine Landeklappe Flugroute geplante Route verlassen Flügelteile von MH370 hatte. Rodrigues Sauerstoffmasken fielen von der Decke. Die verängs - La Réunion Triebwerks- tigten Passagiere atmeten abdeckungen Australien durch sie. Als die Gasvorräte MH370 Schranktür Südafrika leer waren, erstickten sie. Der Pilot verfügte über eine sepa- Bislang wurden 20 Wrackteile von Meeresströmungen an den Küsten Teil der rate Sauerstoffversorgung. Afrikas angespült, die dem vermissten Fahrwerksklappe Um 1.20 Uhr Ortszeit verließ Flugzeug zugeordnet werden konnten. Shah den malaysisch kontrollierten Luftraum. »Good Night, Malaysia Three Seven Zero«, waren seine letzten auf- tische Merkmale an den beiden aufgefun- tastrophaler Druckverlust, eine Bombe, gezeichneten Worte. Seine Stimme klang denen Klappen lassen für Vance nur einen eine Rakete. Doch gegen alle Varianten ruhig und entspannt. Augenblicke später Schluss zu: Als die Maschine in Kontakt sprechen gewichtige Gründe. Am Ende begann er das Verbrechen. Er schaltete mit dem Wasser kam, müssen die Lande- bleibt nur ein Szenario, in dem sich laut alle Geräte ab, die Informationen über klappen, die als Auftriebshilfen dienen, Vance alle bekannten Fakten zu MH370 das Flugzeug an Flugsicherung und voll ausgefahren gewesen sein – wie bei und die zutage geförderten Hinweise Fluggesellschaft sendeten. Er wendete einem normalen Landeanflug. widerspruchsfrei verknüpfen lassen: Das die Maschine und flog einen zuvor minu- Vance glaubt, dass die Maschine sich ist die Pilot-als-Täter-Hypothese. tiös geplanten Kurs, der das Risiko mini- dem Wasser vollkommen gerade näherte. Verdächtig ist damit auch der Co-Pilot. mierte, von militärischem Radar erfasst Als Erstes tauchten die Triebwerke in die Fariq Abdul Hamid, 27, war gerade dabei, zu werden. Wogen ein und rissen ab. Dann zerfetzten auf die Boeing 777 umgeschult zu werden. Shah wusste nur nicht, dass sein Flieger die tief hängenden Klappenränder. Mo- MH370 sollte sein letzter Ausbildungsflug weiterhin ein Signal von sich gab. Einmal mente später versank die rechte Flügelspit- sein. Seine Freundin war ebenfalls Pilotin, pro Stunde nahm ein Satellit automatisch ze in einer Welle. Durch die dabei auftre- die Hochzeit geplant. Seine Lebens- Kontakt auf mit der Maschine. Ermittler tenden Kräfte lösten sich nun die Klappen umstände lassen eine Selbstmordabsicht konnten von diesen »Handshakes« mit raf- aus ihren Verankerungen. Jetzt wurde als unwahrscheinlich erscheinen. finierter Mathematik Rückschlüsse auf den auch noch der gesamte rechte Flügel ab- Kurs von MH370 ziehen. So definierten getrennt. Das schließt Vance daraus, dass sie ein Suchgebiet, in dem sie die Maschine Wrackteile gefunden wurden von jener Sauerstoffmasken mit einem hohen Grad an Hoffnung ver- Stelle, an der die rechte Tragfläche und fielen herunter. Als die muteten. der Rumpf ineinander übergehen. Dies, sagt Vance, war der Moment, an Der Rumpf schlug leck, Wasser strömte Vorräte leer waren, dem die offizielle Untersuchung entgleiste. hinein, rasch sank die Maschine, nur we- erstickten die Passagiere. Denn die scheinbar objektiven Rückschlüs- nige Teile aus dem Innenraum verließen se aus den Satellitendaten verschleierten, das Wrack durch die Löcher im Rumpf dass diese auf einer Reihe von Annahmen und die vordere rechte Tür, die bei allem Shah hingegen besaß daheim einen fußten, etwa der, dass der Autopilot die Biegen und Brechen aufgesprungen war. Flugzeugsimulator. Ermittler des FBI ha- Maschine immer geradeaus gesteuert hat. Da rauf deutet ein Teil der inneren Tür- ben entdeckt, dass er auf diesem in den Da Shah sie aber mindestens in der letzten verkleidung hin, das 2016 auf der Insel Wochen vor seinem Verschwinden einen Flugphase aktiv geflogen hat und er selbst Rodrigues entdeckt worden war. Kurs in den südlichen Indischen Ozean ab- Kurs, Geschwindigkeit und Flughöhe be- Wenn die Klappen aber ausgefahren wa- geflogen ist. stimmte, endete MH370 an einem Punkt, ren, dann ergeben sich daraus eine Reihe Vance macht keinen Versuch zu ergrün- der für die Ermittler für immer unauffind- von Schlussfolgerungen. Jemand hat im den, warum ein Mensch so ein Verbrechen bar bleiben wird. Cockpit gesessen und den entsprechenden begehen sollte. Das ist nicht sein Fach- »Es ergibt keinen Sinn mehr, die Suche Hebel betätigt. Dieser Jemand muss ein gebiet. Er hofft, dass sich für die Klärung fortzusetzen«, sagt Vance. Dazu sei der ausgebildeter Pilot gewesen sein. des Tatmotivs andere Experten finden. An Ozean schlicht zu groß. Und um das Die Klappen bewegen sich nur, wenn die australischen Kollegen richtet er den Schicksal von MH370 und seinen 239 In- das elektrische System und die Hydraulik Appell, sich seiner Analyse anzuschließen. sassen aufzuklären, sei der Zugang zum funktionieren. Das wiederum ist nur der Doch die offiziellen Stellen schweigen sich Wrack auch gar nicht mehr nötig. Fall, wenn mindestens ein Triebwerk läuft. bisher aus, beziehen keine Stellung zu Marco Evers Spritmangel, sagt Vance, könne daher als seiner Selbstmordtheorie. »Dabei gibt es Absturzursache ausgeschlossen werden. keine Zweifel am Ablauf«, sagt Vance, Vance geht in seinem Buch alle Mög- »alle Beweisstücke erzählen die gleiche Video Was mit MH 370 geschah lichkeiten durch: ein Feuer im Cockpit, Geschichte.« brennende Lithium-Ionen-Batterien im Andere Teile der Geschichte werden spiegel.de/sp212018mh370 Frachtraum, mechanische und/oder elek- sich hingegen nie klären lassen. Wie hat oder in der App DER SPIEGEL trische Defekte, eine Entführung, ein ka- sich Shah des Co-Piloten entledigt? Wie

108 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Flexibel bleiben:>ğťğō^ĴğĚğō ^V0(>DŽťœŅćōĬğ^ĴğŋŘĔıŭğōƼ

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s ist ein seltsames Ritual, dem wir beides konsumieren«, ist der Psycho- »Vermutlich besitzt die Tomate eine ge- hung rige Menschen neuerdings kulinariker überzeugt. Der britische For- schmackliche Eigenschaft, die von den E wieder häufiger frönen: Sie ste- scher meint sogar, dass Geräusche, die Hintergrundgeräuschen im Flugzeug un- cken Brotklumpen auf einen Spieß beim Essen und Trinken auftreten, das berührt bleibt.« und tauchen ihn in einen Kessel, in dem Geschmackserlebnis stark beeinflussen. Die Spur führt zu einer besonders wür- geschmolzener Käse blubbert. »Beim Essen werden Aroma, Ge- zigen Geschmacksrichtung, die der japa- Das Fondue schien so aus der Zeit ge- schmack, die Textur, die Farbe und der nische Chemiker Kikunae Ikeda Anfang fallen wie Discomusik und Bonanzaräder. Klang der Speise zu einer unglaublich des vergangenen Jahrhunderts entdeckt Doch plötzlich ist das gehaltvolle Party- komplexen multisensorischen Erfahrung hat und die sich nicht mit den bis dahin gericht aus den Siebzigern wieder in aller verbunden«, sagt der Psychologe. bekannten gustatorischen Wahrnehmun- Munde. Anbieter von Fonduesets melden So hat Spence bei Experimenten mit gen in Einklang bringen ließ. Diese Ge- stark steigende Absatzzahlen. Testessern in seinem Labor in Oxford he - schmacksempfindung firmiert seitdem Sogar das »International Journal of Gas- rausgefunden, dass Chips umso besser unter dem Namen »umami« und wird tronomy and Food Science« hat sich in sei- schmecken, je höher der Crunch-Faktor häufig mit der besonderen Würze von ner neuesten Ausgabe dem Comeback des des Kartoffelsnacks im Mund ist. Um bis Geschmacksverstärkern in Verbindung Sattmachers angenommen. Dem Autor zu 15 Prozent, so haben seine Versuche gebracht – und sie prägt offenbar auch des Beitrags sind solche menschlichen ergeben, lasse sich der Genuss durch den Tomatensaft. Abgründe nur allzu vertraut – zumindest, intensivere Knusprigkeit steigern. Die Doch warum lässt die Geschmacks- wenn es ums Essen geht. mögliche Erklärung: Mit dem appetit- schranke im Gehirn ausgerechnet das Der britische Psychologe Charles lichen Geräusch verbindet das mensch- würzige Umami passieren, wenn im Flie- Spence von der Oxford University ist in liche Gehirn größere Frische. ger großer Lärm herrscht? Spence vermu- der Welt der Kulinarik eine Ausnahme- tet: Das Gehirn bevorzuge proteinhaltige erscheinung: Gastrophysik nennt er die Kost, wenn es unter Stress gerät – genau von ihm geschaffene Disziplin, die mit den Deuten auffällige jene Nahrungsmittel, die stark umami Mitteln der Psychologie und der Neuro- Geschmacksvorlieben schmecken. wissenschaften unser Essverhalten zu er- Auf viele andere Fragen jedoch, die sich gründen sucht. auf krankhafte Persön- seinem Fachbereich der Psychokulinarik Eine auffällige Wölbung in der Bauch- lichkeitsmerkmale hin? stellen, hat auch Spence noch keine Ant- region verrät, dass der sinnenfrohe Profes- wort. Nach Jahren der Gastroforschung sor Knusper lukullischen Anfechtungen ist er überzeugt: »Im Mund ist kaum etwas selbst nur ungern widersteht. Anders als Diese Beobachtung deckt sich mit an- so, wie es scheint.« den Durchschnittsesser treibt Spence aber deren Forschungsergebnissen. So haben Vieles deutet darauf hin, dass unser Ge- stets auch die Frage um, warum wir die Tests mit Probanden gezeigt, dass starke hirn bei der Nahrungsaufnahme Kapriolen eine Speise leckerer finden als die andere. Hintergrundgeräusche die Fähigkeit des schlägt. Warum etwa weckt eine rundlich Für die neue Beliebtheit des zur Völlerei Menschen mindern, Süßes und Salziges geschwungene Schrift, wie Versuche zei- einladenden Käsegetunkes liefert er unter zu schmecken. In einem Passagierflugzeug gen, die Erwartung an süße Naschereien? anderem folgende Erklärung: Das Gericht beispielsweise verursachen die Turbinen Ebenso verblüffend ist, dass unsere Genuss - passe perfekt in unsere Zeit, in der Selber- einen Lärmpegel von 75 bis 80 Dezibel, erwartung anscheinend davon abhängt, machen großgeschrieben werde. Das Ein- mit dem die Insassen während des Flugs nach welcher Himmelsrichtung der Koch tauchen des Spießes in den Käse vermittle beschallt werden. Spence: »Kein Wunder, das Essen auf dem Teller ausrichtet. dem Konsumenten das Gefühl, er habe dass das Essen im Flugzeug meistens nicht Spence und seine Kollegen an der sein Essen selbst zubereitet – was dazu schmeckt.« Oxford University baten Besucher des beitrage, den Genuss zu steigern. Das Wissen um unseren geräuschemp- Science Museum in London, auf einem So hat eine Studie norwegischer Wis- findlichen Geschmackssinn könnte nach Computerbildschirm auszuwählen, welche senschaftler tatsächlich nachgewiesen, Überzeugung des britischen Psychologen Position einer aus roten Zwiebeln und wie positiv sich das Gefühl, selbst zu auch das Rätsel lösen, weshalb Passagiere Tapioka bestehenden Mahlzeit ihnen auf kochen, auf das Geschmacksempfinden in der Luft eine irritierend starke Neigung dem Teller am meisten behage; mehr als auswirkt. Dieser Effekt trat sogar dann zum Tomatensaft entwickeln. Der Gemü- 12000 Menschen beteiligten sich. auf, wenn der Kochvorgang nur eine sesaft, den am Boden nur wenige Men- Das überraschende Ergebnis: Die At- gut inszenierte Illusion war, weil die Pro- schen anrühren, nimmt mit einem Anteil traktivität einer Mahlzeit schien den Teil- banden lediglich vorgefertigte Zutaten von 27 Prozent aller an Bord georderten nehmern deutlich höher, wenn die einzel- zusam menrührten. Drinks eine Spitzenposition ein. nen Elemente des Gerichts auf dem Teller Für Spence ist das keine unerwartete Spence glaubt, dass der rote Saft über nach oben oder zumindest nach außen Erkenntnis. »Wie wir unser Essen und eine besondere stoffliche Eigenschaft ver- zeigten, nicht aber nach innen. Trinken empfinden, hängt wesentlich von fügen muss, die von der Süß-salzig-Hem- Wenn es ums Essen geht, laufen im dem Ort und den Umständen ab, in denen mung im Flugmodus nicht betroffen ist. Hintergrund offenbar komplexe Denk -

110 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 prozesse ab, die über die bloßen Urteile »schmeckt« oder »schmeckt nicht« weit hinausgehen. Ist es sogar denkbar, dass auf- fällige Geschmacksvorlieben auf krankhaf- te Persönlichkeitsmerkmale hindeuten? Der österreichischen Psychologin Chris- tina Sagioglou von der Universität Inns- bruck gelang mit einer Fragebogenaktion, an der sich knapp tausend Teilnehmer beteiligt haben, eine unerwartete Ent - deckung: Statistisch gesehen besteht dem- nach ein Zusammenhang zwischen der Vorliebe für bittere Kost und sadistischen Neigungen – bis hin zu Elementen einer psychopathischen Persönlichkeitsstörung. Wenn dies tatsächlich zuträfe: Was sagt es umgekehrt über jemanden aus, wenn er bittere Speisen verschmäht? Eine solche Person war der 41. Präsi- dent der Vereinigten Staaten: Schon bald nach Ableistung des Amtseids im Jahr 1989 ließ George Bush senior die Zube- reitung von Brokkoli im Präsidentenjet Air Force One verbieten. Schon als Kind habe er das bittere Gemüse gehasst; gleichwohl sei er von seiner Mutter zum Verzehr der Kreuzblütler gezwungen worden, klagte Bush – und erklärte tri- umphierend: »Ich bin Präsident der Ver- einigten Staaten und muss keinen Brok- koli mehr essen.« Offenbar gehört der inzwischen 93-jäh-

REX / SHUTTERSTOCK rige ehemalige Präsident zu der seltenen Spezies sogenannter Superschmecker, die überdurchschnittlich viele Geschmacks- knospen besitzen. Diese Menschen können Bitterstoffe in Kaffee, Bier oder Gemüse wie Brokkoli besonders intensiv wahr - nehmen. »Kann es sein, dass eine Sensi - bilität für Bitterkeit sehr viel mehr über die Persönlichkeit aussagt als die bloße Wahrnehmung des Geschmacks?«, fragt sich Spence. Dass Essen nicht nur zur Befriedigung des körperlichen Energiebedarfs dient, sondern auch psychosoziale Funktionen hat, haben Forscher ohnehin längst aufgedeckt. In der Gegenwart von zu- mindest einer weiteren Person steigt die Menge der verzehrten Nahrung um bis zu 35 Prozent. Sitzen noch zwei weitere Menschen mit am Tisch, steigt der Um- fang der Nahrungsaufnahme sogar um bis zu 75 Prozent. Auch die gesellige Versammlung um den brodelnden Käse im Fonduetopf die - ne einem höheren gruppendynamischen Zweck, vermutet Spence: der Beruhigung verunsicherter Menschen, welche die Welt zunehmend wieder als einen gefährlichen Ort erleben. Der Gastrophysiker will deshalb mit Spannung verfolgen, ob der Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit Iran die Verkaufszahlen für Fonduesets weiter TAXI / GETTY IMAGES TAXI in die Höhe schnellen lässt. Frank Thadeusz Psychologe Spence, üppig gedeckte Tafel: »Im Mund ist kaum etwas so, wie es scheint«

111 Wissenschaft Die unbekannten Genies Bildung Mensa, der Verein für Hochbegabte, sucht in indischen Armutsvierteln mithilfe von Intelligenztests nach Wunderkindern. Die Mädchen und Jungen sollen später zur neuen Elite ihres Landes gehören – als Ärzte, Ingenieure oder Mathematiker. ENRICO FABIAN / DER SPIEGEL FABIAN ENRICO Mensa-Stipendiatin Ritu: »Unsere einzige Hoffnung, es hier rauszuschaffen«

112 n einem indischen Slum, in dem nie- fast die Hälfte der Drittklässler, die eine muss ein Kind nicht einmal lesen und mand einen Hochschulabschluss hat, staatliche Schule auf dem Land besuchen, schreiben können, um gut abzuschneiden. I träumt ein Mädchen davon, Medizin nur mit Mühe lesen. Es zählen einzig und allein die kognitiven zu studieren. Und das Schöne an Es ist nicht schwer vorauszusagen, was Fähigkeiten. dieser Geschichte ist: Der Wunsch könnte aus Ritu geworden wäre, wenn niemand Die Kinder sehen eine Reihe von Mus- in Erfüllung gehen. ihr Talent erkannt hätte. tern vor sich, die sie erkennen und dann Es ist Nachmittag, die Schule ist gerade Vor der Tür seiner Wohnung streift fortführen müssen. Niemand schafft alle zu Ende gegangen, und Ritu, so heißt das Mädchen die Schuhe ab. Eine Lichter - Aufgaben. Aber wenn es heißt, Ritu habe das Mädchen, klettert auf das Dach kette taucht den Raum in grünliches Licht. einen IQ von 140, dann bedeutet das, sie ihres Hauses. In der Ferne rauscht die Barfuß läuft Ritu über den kalten Stein- hat besser abgeschnitten als rund 99 Pro- Metro in den Bahnhof, die Glasbauten boden. Hier isst, lernt, lebt und schläft zent aller anderen Teilnehmer. inter nationaler Konzerne glitzern in der sie mit vier weiteren Personen. Abends, Nach dem Mensa-Test hat sich für Ritu Sonne. Im Schatten der Türme liegt Ritus wenn die Familie Paswan die einzige viel geändert. Sie hat seither einen Mentor Zuhause: ein kleines Zimmer ohne Bad, Lampe löscht, legt sich der Vater ins ein- an ihrer Seite. Sie bekommt ein kleines ohne fließend Wasser und ohne Tages- zige Bett. Ritu und ihre Mutter kauern Taschengeld und vor allem: ein Stipen- licht. Das einzige Fenster ist mit Farbe sich auf den Boden davor, ihre beiden Brü- dium für eine Privatschule. Ritu trägt ihre übermalt. der daneben. Schuluniform mit Stolz: weiße Hose und Es ist ein elendiger Ort, und we- ein dunkles Filzsakko. Auf der nige würden wohl vermuten, dass Brust steht Vidya, Sanskrit für Wis- ausgerechnet hier ein Genie auf- sen, der Name der Schule. Rund wächst. Aber genau das ist der Fall. 1000 Schüler besuchen die Vidya, Ritu hat einen IQ von mehr als 40 Schüler pro Klasse, vom Kinder- 140 (der Durchschnitt liegt um die garten bis zu Klasse zwölf. Es gibt 100). Sie gehört damit zu den klügs - ein Physik labor, einen Computer- ten Kindern der Welt. raum und zwei Bibliotheken. Es ist Das wäre womöglich nie jeman- hell, es ist luftig; die Vidya ist eine dem aufgefallen, hätte der indische großartige Lehranstalt. Mensa-Verein das Mädchen nicht Sie strenge sich an, um ihren entdeckt. Die weltweit tätige Orga- Traum, Ärztin zu werden, wahr nisation für Hochbegabte sucht der- werden zu lassen, sagt Ritu. Ihr zeit in Ritus Heimatstadt Guru- Wunsch hat einen traurigen Hinter- gram (früher Gurgaon) nach unbe- grund. Einer ihrer Brüder erkrank- kannten Genies: nach Kindern, die te in jungen Jahren schwer. Der überdurchschnittlich klug sind, Arzt sagte, er werde von selbst wie- aber deren Fähigkeiten bisher von der gesund. 24 Stunden später war niemandem erkannt wurden; deren der Junge tot. Deswegen will sie Familien arm sind, aber deren Medizin studieren und dann von Töchter und Söhne das Potenzial hier fortziehen. Und wohin? In das haben, später einmal zur Elite ihres Dorf, in dem ihre Eltern aufwuch- Landes zu gehören. sen, »weil die Leute dort noch är- Da ist Vishal, ein Mathegenie; er mer sind als wir und nicht einmal beschreibt die Welt lieber in Zahlen ein Krankenhaus haben«. als in Worten (Familieneinkom- Es ist ein bemerkenswert reifer men: 225 Euro). Oder die kleine Satz für eine 13-Jährige. Aber die Jyoti, die auf eine Schule geht, die meisten Stipendiaten reden so. Es kein Dach hat. Und eben das Wun- sind Kinder, die im Halbdunkeln derkind Ritu, 13 Jahre alt, auf das ihre Hausaufgaben erledigen, weil die ganze Nachbarschaft stolz ist. die Eltern die Stromrechnung nicht Alle drei, das haben Tests ergeben, bezahlen können. Ritu zum Bei-

sind hochbegabt, haben also einen / DER SPIEGEL FABIAN ENRICO spiel rollt zum Lernen eine Decke IQ von 130 oder höher. Mathegenie Vishal: Mit vier Jahren Schach gelernt auf dem Boden aus. Dann kniet sie Aber sie leben in einem Land, sich hin, ein Hocker dient als in dem es oft nicht von der Intelli- Schreibtisch. So geht das mehrere genz abhängt, was aus einem Kind wird, Morgens, bevor Ritu zur Schule geht, Stunden pro Tag. Sie weiß, dass sie mit sondern von seiner Herkunft. Haben die pumpt sie Wasser aus dem Brunnen im einer schlechten Note mehr riskiert als Eltern genug Geld, um ihr Kind auf eine Hof. Dahinter liegen vier Toiletten für ihr Stipendium. Ritus Mama sagt: »Ritu Privatschule zu schicken? Oder nehmen 40 Familien. Die Miete für die Wohnung ist unsere einzige Hoffnung, es hier raus- sie es früh aus der Schule, weil auch die beträgt umgerechnet 50 Euro. Das ist fast zuschaffen.« Kinder mitarbeiten müssen – oder weil so viel wie Ritus Mutter als Hausangestell- Aber Hochbegabung allein ist kein Ga- es ein Mädchen ist und früh verheiratet te im Monat verdient. rant für Erfolg. Es braucht harte Arbeit werden soll? Intelligenztests haben einen elitären und auch den Glauben daran, es schaffen Es gibt in Indien die allerbesten Schulen Ruf, aber das Gute an ihnen ist, dass sie zu können. Zwei Stipendiaten droht der- und wahrscheinlich auch ein paar der aller- nicht unterscheiden zwischen Arm und zeit der Ausschluss vom Programm. Ein schlechtesten. Das Land hat vier Nobel- Reich, Mann oder Frau, zwischen hoher hoher IQ macht viele Dinge einfacher: preisträger hervorgebracht und die Chefs und niedriger Kaste. Mensa verwendet komplexe Sachverhalte zu begreifen, klar von Microsoft und Google. Aber laut ei- einen sogenannten Matrizentest. Sprache und strukturiert zu denken. Aber Intelli- nem aktuellen Bildungsbericht können spielt darin keine Rolle. Rein theoretisch genz, sagen Forscher gern, sei wie eine

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 113 Wissenschaft

14 Jahre alt, nur ein Jahr älter als Ritu. Sie beide sind außergewöhnlich klug, beide sind Stipendiaten, und beide gehen auf die Vidya. Auch Vishals Familie lebt in einer zu kleinen Einzimmerwohnung mit nur einem Bett. Aber es gibt ein Bad, zwei gro- ße Fenster, durch die Sonnenlicht fällt. Sei- ne große Schwester hat Bilder an die Wand gemalt, seine Mutter zeigt Fotoalben. Auf dem Schrank liegen Bücher von Ste- phen Hawking und Comics über berühmte Wissenschaftler. In Ritus Wohnung gibt es zwei Fernseher, aber kein einziges Buch. Vishals Vater gab seinem Sohn ein Schach- brett, das er auf der Arbeit geschenkt be- kommen hatte. Vishal lernte schon mit vier Jahren, Schach zu spielen. Heute ist er Schulmeister seines Bundesstaats. Mit 13 gewann er einen Robotikwettbewerb. Auch Ritus Mutter gibt sich so viel Mühe, wie sie kann. Aber ihr Leben ist zu widrig, um es allein zu stemmen. Ihre bei- den Söhne haben die Schule abgebrochen, als der Vater die Familie vor Jahren im Stich gelassen hatte. Vor vier Monaten stand er plötzlich wieder vor der Tür.

ENRICO FABIAN / DER SPIEGEL FABIAN ENRICO Vishals Vater hat als Koch vier verschie- Schule in Gurugram: »Niemand hat diesen Kindern jemals gesagt, dass sie schlau sind« dene Jobs. Auch er hat keinen höheren Schulabschluss, aber er liest jeden morgen die Zeitung, vor allem den Wirtschaftsteil; Blume: Pflegt man sie gut, dann blüht sie Jyotis Mutter arbeitet als Hausangestellte, wenn er einen Artikel interessant findet, auf. Falls aber nicht, dann verwelkt sie. ihr Vater als Sicherheitsmann. Sie selbst wür- dann schneidet er ihn aus und heftet ihn An diesem Morgen ist es so kalt, dass de gern Polizistin werden, um Verbrecher ab. Er träumt davon, dass sein Sohn Inge- die Finger schmerzen. Ein Dutzend Kinder zu fangen. »Streng dich an, dann wirst du nieur wird und seine Tochter Versiche- versammelt sich auf einem Feld, das aus- Hauptkommissarin«, sagt Kishore Asthana, rungskauffrau. Und er tut alles dafür, dass sieht, als wäre eine Bombe explodiert. Die der selbst ein schlauer Mann ist: Er ist der der Wunsch in Erfüllung geht. Stadt ließ hier ein Gebäude abreißen, die Präsident des indischen Mensa-Vereins. Da Schon als sein Sohn vier Jahre alt war, Trümmer des Hauses haben die Bauar- grinst Jyoti. Es ist das Erste, was sich ver - schickte er ihn in den Kindergarten. Ein beiter zurückgelassen. Die Kinder hängen ändert: der Glaube an die eigenen Fähigkei- Jahr später, als er es gern getan hätte, sagt ihren Rucksack an die Äste eines Baums. ten. Und damit wachsen irgendwann auch er bedauernd. »Aber Bildung ist teuer«, Dann machen sie sich ans Werk. die Ziele. Gut möglich, dass Jyoti später entschuldigt er sich. Sie fegen den Untergrund und husten Ingenieurin wird und Weltraumraketen baut. Ritu besuchte anfangs eine Schule, in im Staub. Sie rollen Teppiche aus, das wird »Niemand hat diesen Kindern jemals ge- welcher der Lehrer manchmal nicht zum der Boden. Sie spannen Planen, das wer- sagt, dass sie schlau sind«, erzählt Asthana. Unterricht erschien. Sie war elf Jahre den die Wände. Innerhalb einer halben Und manche seien auch nicht in der Lage, alt, als sie dank Mensa auf die Vidya wech- Stunde entsteht so eine Schule am Rand es zu beweisen: weil sie keine Brille besit- seln konnte. Dort angekommen, quälte sie einer ungeteerten Straße. Eine Gruppe zen und die Tafel nicht erkennen können. sich sehr. Unterrichtet wird auf Englisch, Nachbarn, die meisten Rentner, unterrich- Weil sie hungrig zur Schule kommen. Weil so wie in den meisten Privatschulen in tet hier ehrenamtlich Kinder. Der Schultag ihre Mutter erkrankt ist und sie zu Hause Indien. Ritu ist mit Hindi aufgewachsen, beginnt mit Mathematik, und es wird einspringen müssen. sie verstand kein Wort. Prompt blieb sie schnell klar, dass der Lehrer es gut meint, Rund zwei Prozent der Weltbevölke- sitzen. aber Division gehört nicht zu jedermanns rung gelten als hochbegabt. Umgerechnet Intelligenz ist zum Teil angeboren. Aber Stärken. Es wäre vielleicht auch nicht auf- auf das ländliche Indien wären das bis zu was ein Mensch daraus machen kann, gefallen, säße in der Gruppe nicht dieses sechs Millionen Kinder. Asthana sieht sein hängt von den äußeren Umständen ab; naseweise Mädchen, das den Lehrer immer Engage ment daher weniger als gute Tat, davon, ob Eltern ihrem Kind Aufmerksam- wieder auf Fehler hinweist. sondern als einen Dienst an der Nation: keit schenken, ihm vorsingen oder vorle- Jyoti hat ein breites Lächeln und zwei gro- Weil jedes Jahr das Talent Hunderttausen- sen – und es auf eine gute Schule schicken. ße Löcher in den Socken. Auch die Elfjährige der verkümmere, sei Indien heute nicht Elf Jahre sind eine lange Zeit in der Ent- hat sich für ein Hochbegabtenstipendium dort, wo es sein könnte. wicklung eines Kindes. Aber selbst dann qualifiziert, aber bislang keinen Platz in der Welchen Unterschied frühe Förderung ist es noch nicht zu spät, eine Hochbegabte Privatschule erhalten, weil Mensa noch kei- auf die Entwicklung eines Menschen zu fördern. nen Spender für sie finden konnte. Ein Schul- ausmachen kann, das wird auch an den Heute gehört Ritu zu den Klassenbes- jahr an einer besseren Schule kostet umge- Stipendiaten sichtbar. Denn deren Start- ten. Laura Höflinger rechnet rund tausend Euro. 154 Kinder hat bedingungen sind höchst unterschiedlich. Mail: [email protected] Mensa gefördert, doch nun sind dem Verein Vishal Paudel ist ein Junge mit strub - Twitter: @hoeflingern erst einmal die Spendengelder ausgegangen. beligem Haar und vielen Fragen. Er ist

114 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Jetzt testen: Das digitale manager magazin 2 Ausgaben für nur € 11,90 manager-magazin.de/angebot DER FALL GENERAL ELECTRIC Wie GE seine Investoren in die Irre geführt hat KIFFERGLÜCK Beim teuersten Drogenkonzern der Welt Kultur

Credo für das Zeitalter des Massenkonsums: In jeder Minute wird ein neuer Idiot geboren. ‣S.126

Klassik Nachtstück

Manchmal sind die Tage beim SPIEGEL sehr lang. Allein sitzt man dann zu Hause in der Küche, fast in der Dunkelheit, man will ja zur Ruhe kommen. Ein kleines Nachtessen. Ein bisschen Musik. Wenn es gut läuft, hört man ein Album wie das von Annika Treutler. Klavierstücke von Johan- nes Brahms hat sie aufgenommen, nicht die Monster der Klavierliteratur, die ande- re junge Pianistinnen heute runterdonnern, sondern kurze und sehr kurze Werke: die Orgelchoralvorspiele nach Busoni, von de - nen eine ganz leicht sakrale Intimität aus- geht; dann die Variationen und die Fuge über ein Thema von Händel, ein intellek- tuelles Spiel mit Barockmusik; schließlich die Fantasien aus Brahms’ Spätwerk. Man hört zu und denkt an Gottfried Benn. Der hat mal ein Gedicht geschrieben. Nicht über Brahms, sondern über dessen Zeitge- nossen Chopin. Das Wort »Sanatorium« kam darin vor. Stimmt schon, kleine Kla- vierstücke können wohltuend sein. Annika Treutler Treutler spielt sie klar, unpräten tiös. Klassi- SHA NEDA NAVAE NEDA sche Musik, ganz klassisch.

Kommentar Gläubige und Glaubwürdigkeiten Die Anhänger von Joseph Beuys versuchen, ihr Idol vor der Wahrheit zu schützen.

Es ist faszinierend, wie mit der wachsenden Bekanntheit einer Per- obwohl der Regisseur Andres Veiel Beuys sogar zum Märtyrer son die Unsicherheit darüber zunehmen kann, wer dieser Mensch made in Germany verklärt. Und was Veiel in Interviews von wirklich ist oder war. Joseph Beuys etwa: Viele Kunstexperten sich gibt, nämlich, dass Auschwitz für diesen Künstler eine äl teren Jahrgangs schätzen ihn, manche trafen ihn persönlich, profi- deutsche Wunde gewesen sei – das hält der in Harvard lehrende tierten von seinem Ruhm. Für sie ist Beuys ausreichend ausgeleuch- Kunst historiker Benjamin Buchloh für eine »absolute Obszö- tet, als Künstler, als (ehrenwerter) Charakter. Beuys gilt es nicht nität«. Solche Termini drückten »deutsches Selbstmitleid« aus, mehr zu hinterfragen, nur noch zu feiern. Seit fünf Jahren aber stört keine Einsicht. Denn: Wurde dem Tätervolk eine Wunde zu - eine Debatte diese Andacht – ausgelöst vom SPIEGEL (20/2013), gefügt? der eben doch Fragen zu Beuys stellte. Seither wird immer lauter Vor fünf Jahren erschien die investigative Beuys-Biografie darüber diskutiert, und derzeit besonders heftig, warum viele Sei- des Autors Hans Peter Riegel; jetzt kam eine erweiterte Version ten seiner Persönlichkeit ausgeblendet werden. Warum log er oft, heraus. Biograf Riegel gab vor Kurzem ein Interview, es hagelte wenn es um seine Vergangenheit (etwa im Krieg) ging? Weshalb Entgegnungen, abgedruckt in der »Süddeutschen Zeitung«. umgab er sich mit Altnazis, mit einem Holocaust-Leugner? Warum Echte Argumente der Anhänger fehlten, allein der Glaube war blieb er ein Anhänger des Anthroposophen Rudolf Steiner, ohne spürbar. Doch Kunst ist nichts, das man vor der Wahrheit schüt- sich von dessen rassistischen Ansichten zu distanzieren? zen muss. Beuys, der hoch talentierte Vernebler seiner selbst, 2017 kam eine Dokumentation über Beuys in die Kinos, vor ist nicht mehr das Problem, die Heuchelei der Kunstwelt, ihre Kurzem wurde sie mit dem Deutschen Filmpreis prämiert – schwindende Glaubwürdigkeit sind es sehr wohl. Ulrike Knöfel

116 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Kino Solo, der in den bisherigen Filmen der Se- Nils Minkmar Zur Zeit Cowboy im All rie von Harrison Ford verkörpert wurde, als charmanten Heißsporn. Der teilweise Frau Nummer 15 Der Laser hat gegenüber dem Revol- von Ron Howard inszenierte Film kehrt ver den Vorteil, dass man nicht ständig zurück zu den Wurzeln und erzählt, In Frankreich ist die Aufnahme nachladen muss. Und der »Millennium wie aus einem Lausbuben ein Kerl eines Autors in die »Biblio- Falke«, das legendäre Raumschiff der wurde. Es gibt Zugüberfälle und thèque de la Pléiade« des »Star Wars«-Serie, ist etwas schneller als Duelle im Staub, Freunde, denen Verlags Gallimard bedeuten- ein Pferd. Doch ansonsten stapft Han man nicht trauen kann, und ziemlich der als der Nobelpreis. Hier Solo, Held des neuen Films »Solo: A Star undurchschaubare Frauen. »Solo« ist werden aus Büchern Zeug- Wars Story«, der am 24. Mai in die Kinos eine Zeitreise, bei der sich Vergangen- nisse für kommende Generatio- kommt, breitbeinig wie Billy the Kid heit und Zukunft in einer fernen Galaxis nen. Aber dieser Inbegriff des Kanons durch die Gegend und hält nach jeman- zu treffen scheinen, eine recht vergnüg - reflektiert auch die Machtverhältnisse dem Ausschau, der schneller zieht als er. liche Mischung aus Western und Science- der literarischen und der übrigen Welt: Alden Ehrenreich spielt den jungen Han Fiction-Epos. LOB 209 Männer fanden bis dato Aufnahme in die »Pléiade«, aber nur 14 Frauen. Nun kommt die 15., und das Problem wird erstmals zum Thema, denn die neue ist Simone de Beauvoir. In zwei Bänden erscheinen jene Bücher, in denen sie über ihr Leben Auskunft gibt. Gefeiert wird der Verlag für diese späte Entscheidung nicht. Es ist, wie es immer war: Beauvoir kann es nieman- dem recht machen. Aber man könnte auch einfach drauf - loslesen. In diesen Memoiren begegnet man einer Frau, wie es im vorigen Jahr- hundert sonst keine gab. Die keine Kin- der wollte, sondern lieber schreiben. Die den Heiratsantrag ihres lebenslan-

LUCASFILM LTD. / WALT DISNEY STUDIOS / WALT LTD. LUCASFILM gen Partners Jean-Paul Sartre ablehnte Szene aus »Solo: A Star Wars Story« und die, als sie endlich mal einen or - dentlichen Preis erhielt, nicht zur Ver- leihung erschien. Beauvoir galt der Zeitgeschehen Kleeberg: Da es keine organisierte Oppo - Bourgeoisie ihrer Zeit mindestens als »Fatalismus und Schönheit« sition im Lande gibt, sondern nur Refor- linksradikale Nymphomanin, manchen mer innerhalb des Systems, und da keine Feministinnen aber als zu wenig eman- Der Schriftsteller Michael Kleeberg, 58, Exilgruppe irgendjemanden in der Bevölke- zipiert, weil in ihrem Leben ein Mann über seine Eindrücke aus Iran, wo er rung repräsentiert, wird sich der Frust an - eine Konstante bildete, der sich doch sich am 8. Mai aufhielt, als Donald Trump gesichts von Inflation, Korruption, großer allerlei Freiheiten nahm. Zeitgenös- das Atomabkommen aufkündigte Armut weiterhin auf individuelle Weise stei- sisch und posthum hat jeder eine Mei- gern, in Form eines passiven Widerstands nung zu den beiden. Es ist mit ihnen, SPIEGEL: Welche Reaktionen und eines Aufbegehrens der jungen Leute. wie wenn der Name Einstein fällt – haben Sie an jenem Tag in Teheran SPIEGEL: In Ihrem neuen Roman »Der dann findet sich immer jemand, der erlebt? Idiot des 21. Jahrhunderts«, der im bemerkt, der habe doch gar nicht rech- Kleeberg: Ich und andere August erscheinen wird, nen können. So viele Helden hat das Europäer waren diejenigen, schreiben Sie von »Wunder- 20. Jahrhundert nicht hervor gebracht, die wie gebannt vor den dingen«, die ein Reisender aus als dass sie per Anekdote dekonstruiert Newstickern saßen. Die Iraner Iran erzählt. Was zählt für Sie werden müssten. waren mäßig interessiert. Die zu diesen Wunderdingen? Die Nachricht von der »Pléiade«-Aus- weitverbreitete Stimmung ist: Kleeberg: Die atemberauben- gabe gab »Le Monde« Anlass, Beauvoir Eine Regierung, die mich nicht de Schönheit der Städte und vorzuwerfen, sich stets als Nummer repräsentiert, die nichts für Landschaften. Das hohe Bil- zwei hinter Sartre verstanden zu haben. mich tut, sondern mich unter- dungsniveau und die überbor- Solche Kritik ist bemüht. Man sieht oft

drückt, hat Konflikte mit dem BAUER JUERGEN dende Gastfreundschaft der Frauen, die ein Taschenbuch von Beau- amerikanischen Präsidenten, Iraner. Die Liebe zu ihrer eige- voir lesen – aber wer schaut heute noch der uns ohnehin nicht wohlwill. Fata- nen, auch vorislamischen Kultur und in ein Werk von Sartre? In der Prüfung lismus, Überdruss und die Abneigung Geschichte. Die Bedeutung der persi- für Gymnasiallehrer war Beauvoir die dagegen, von der eigenen Regierung in die schen Literatur im Alltag der Menschen. Zweitbeste ihres Jahrgangs, Sartre war Arme Putins getrieben zu werden. Dass Jeden Tag versammeln sich in Schiras der Beste. Allerdings war er im Jahr dies die Konsequenz wäre, wenn der Tausende Menschen aller Schichten und zuvor durchgefallen. Heute teilen sich Westen sich wirtschaftlich zurückzieht, ist Altersgruppen am Grabmal des Dichters beide ein schmales Grab auf dem Pari- allen klar. Hafis, der auch in meinem Roman eine ser Friedhof Montparnasse. Es ist, hoch- SPIEGEL: Würden Sie eine Prognose wichtige Rolle spielt und dessen Name verdient, die Nummer eins. wagen, wie sich die Entscheidung in Iran und Texte Losungsworte des Wider- An dieser Stelle schreiben Nils Minkmar und innenpolitisch auswirken wird? stands gegen die Herrschenden sind. CLV Elke Schmitter im Wechsel.

117 Kultur »Die Eliten begehen den Fehler zurückzuschimpfen«

SPIEGEL-Gespräch Was läuft falsch in den Gesellschaften des Westens? Der Philosoph Michael J. Sandel hat klare Antworten, er kritisiert den US-Präsidenten ebenso wie das eigene liberale Milieu.

Sandel, 65, ist Professor für Politische Philo- SPIEGEL: Die populistische Reaktion Misstrauen in die Regierung, in Parteien sophie mit dem Schwerpunkt Gerechtigkeit stürzt die liberale Demokratie in eine exis- und Politiker. Wenn Geld spricht, wenn an der Harvard University. tenzielle Krise. die freie Rede in der politischen Auseinan- Sandel: Der Liberalismus hat die verhäng- dersetzung käuflich wird, überrascht es SPIEGEL: Mr Sandel, lange Zeit schien die nisvolle Tendenz, die Demokratie in eine nicht, dass sich Ressentiment gegen diese liberale Demokratie auf einem weltweiten Plutokratie zu verwandeln. Wer reich ist, Art der Korruption aufbaut. Die Hybris Siegeszug. Mit ihr sollten sich Freiheit, Ge- ist auch politisch einflussreich. Große fi- der sogenannten Leistungsträger, die wach- rechtigkeit und Sicherheit verbreiten. Die- nanzstarke Konzerne und einzelne Milliar - sende Ungleichheit, die Verbandelung von ses Sendungsbewusstsein des Westens ist däre können sich einen überpropor tionalen Macht und Geld, die technokratische Ab- geschwunden. Müssen wir uns von den Anteil an politischer Wirkmacht sichern. kapselung der Berufspolitiker – das sind Illusionen des politischen Liberalismus ver- Die Lobbyisten- und Beraterindustrie blüht. die Ingredienzen, welche die Suppe des abschieden? Vor ein paar Jahren hat der Oberste Ge- Populismus zum Brodeln bringen. Sandel: Das Vertrauen darauf, dass die richtshof der USA die Begrenzung der ge- SPIEGEL: So gesehen wäre der Populismus demokratische Expansion einer Gesetz- samten Partei- und Wahlkampfspenden eine verständliche Gegenwehr gegen die mäßigkeit der Geschichte folgen würde durch Einzelpersonen mit der Begründung Geldaristokratie. Warum spitzt sich dann und die Menschheit auf den Endpunkt aufgehoben, die Parteienfinanzierung sei der Protest gerade auf der rechten Seite der ideologischen Evolution zusteuerte, eine Form der Ausübung von Rede- und des politischen Spektrums zu? war von Anfang an eine Wunschvorstel- Meinungsfreiheit. Das war ein schlimmer Sandel: Der Groll nährt ja die Extreme lung. Sie befeuerte die Selbstzufriedenheit Fehler. Denn die Entscheidung lässt zu, dass auf beiden Seiten. Aber wenn die Bürger und die Selbsttäuschung der demokra- die Ungleichheit von Einkommen und Ver- das Gefühl haben, dass sie in der Politik tischen Eliten, gegen die wir jetzt die Re- mögen sich direkt in die Ungleichheit der nichts zu sagen haben, sind die Parteien aktion der Populisten und Nationalisten politischen Stimme verlängert. der liberalen und linken Mitte die ersten erleben. SPIEGEL: Und damit die Grundlage des Opfer. Denn sie tun sich am schwersten SPIEGEL: Warum wirken die liberalen demokratischen Systems sabotiert wird? mit der Einsicht, dass die Kümmernisse Kräfte dagegen wie gelähmt? Sandel: Die Erfahrung, dass sich mit Geld nicht nur wirtschaftliche, sondern auch Sandel: Die Abgehobenheit im politischen Politik kaufen lässt, schürt zwangsläufig moralische und kulturelle Gründe haben. Denken des Establishments offenbarte Es geht nicht allein um Löhne und Arbeits- sich am anstößigsten in der Hinnahme plätze, sondern mehr noch um soziale An- wachsender Ungleichheit im Zuge der erkennung. Diese wird doppelt versagt, unbekümmert begrüßten Globalisierung. wenn die Protestbewegung auf Nationa- Von den Amerikanern, die im ärmsten lismus, Rassismus und Ausländerfeindlich- Fünftel der Einkommensskala aufwachsen, keit reduziert wird. Hass und Intoleranz bleibt fast die Hälfte auch dort; nur vier müssen selbstverständlich bekämpft wer- Prozent schaffen den Aufstieg ins oberste den. Aber es reicht nicht, wenn die eta- Fünftel. Die Statistik entlarvt die Rhetorik blierten Parteien sich auf deren Verurtei- der Chancengleichheit als leeres Ge- lung zurückziehen. schwätz. Womöglich noch schwerer wiegt SPIEGEL: Dass man die Sorgen der kleinen das Gefühl der unteren Klassen, dass die Leute ernst nehmen müsse, ist eine wohl- Eliten auf sie herabblicken, dass ihre Ar- feile Floskel der Mehrheitsparteien. beit nicht geachtet und nicht gesellschaft- Sandel: Die Eliten begehen den Fehler zu- lich anerkannt wird. Dieser Eindruck der rückzuschimpfen, die populistische Reak- sozialen Zurücksetzung muss über kurz tion auf einen Mangel an Wissen, Bildung oder lang dazu führen, dass die da unten und Anstand zurückzuführen. Auf ihre ur- die da oben zur Rechenschaft ziehen wol- sprüngliche, eher unbewusste Arroganz len. Das Erstarken des Rechtspopulismus setzen sie bewusst eine weitere drauf. ist ein Symptom des Scheiterns fortschritt- Da rin spiegelt sich ihr eigenes Defizit an licher Politik. kritischer Selbsterkenntnis und -reflexion. REX FEATURES / ULLSTEIN BILD / ULLSTEIN REX FEATURES Sie entlasten sich durch Empörung von Denker Sandel Das Gespräch führte der Redakteur Romain Leick an der eigenen Verantwortung am Prozess der American Academy in Berlin. »Kunst des Zuhörens« der demokratischen Erosion.

118 CAROLYN DRAKE / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS DRAKE / MAGNUM PHOTOS CAROLYN U-Bahn-Fahrgast in Washington, D. C., 2017: »Moralische Leere des öffentlichen Diskurses«

SPIEGEL: Populisten fordern, dass der Wil- Gewaltenteilung, und Verhaltensnormen, SPIEGEL: Gibt die liberale Demokratie der le der Mehrheit uneingeschränkt zu gelten also einen bürgerlichen Kodex, und ein Freiheit des Einzelnen zu viel Gewicht habe. In diesem Sinn sind sie zutiefst de- Wertesystem, das sich auf Anerkennung gegenüber der Sicherheit, dem Zusammen- mokratisch. Zugleich sind sie zutiefst il - und Achtung stützt. In diesem Sinn gehö- halt und dem Gemeinwohl des Ganzen? liberal, denn sie erklären, dass es sowohl ren Liberalismus und Demokratie unteil- Sandel: Es gibt zwei Begriffe von Freiheit: für die Justiz als auch für die Opposition bar zusammen. Dem einen zufolge kann das Individuum oder die Medien nicht zulässig sei, die SPIEGEL: Die Gründerväter der amerika- nach seinen Wünschen und Interessen han- Stimme des Volkes zu missachten. Ist die nischen Demokratie waren sich der Gefahr deln, nach Glück und Selbstverwirk- illiberale Demokratie, zu der sich etwa Vik- einer Tyrannei der Mehrheit sehr wohl be- lichung streben. Ich halte das für die Auf- tor Orbán in Ungarn offen bekennt, ein wusst. Ist der Punkt des Umkippens von fassung des Konsumismus. Der andere Widerspruch in sich? Demokratie in Demagogie mit Donald kommt aus der republikanischen Tradi- Sandel: Das ist eine zentrale Frage. In ge- Trump erreicht? tion: Ich bin frei, wenn ich ein bedeut- wisser Weise stehen Liberalismus und De- Sandel: Sie wären bestimmt ziemlich un- sames Mitspracherecht bei der Gestaltung mokratie in einem Spannungsverhältnis. glücklich, wenn sie sähen, was heute des Gemeinwesens und dessen Zusammen- Der Liberalismus beruht auf bestimmten geschieht. Die Möglichkeit demagogischer lebens ausübe und nicht bloß ein Privatier Grundrechten, die Bestand haben müssen, Entgleisungen in einem ungefilterten bin. Die westlichen Gesellschaften rut- egal was die Mehrheit will. Er errichtet Wahlsystem bereitete den Gründervätern schen seit Jahrzehnten die schiefe Ebene Schranken gegen den demokratischen große Sorgen. Ihre Idee war es, beratende von einem starken bürgerlich-republika- Willen. Er hält die Redefreiheit für Dissi- Organe zwischen den Mehrheitswillen nischen Freiheitsverständnis zu einem denten oder die Religionsfreiheit für Min- und die Verpflichtung auf das Allgemein- dünnen konsumistischen hinunter. Die derheiten hoch, selbst wenn die Mehrheit wohl zu schalten. Das Wahlkollegium, bürgerlichen Tugenden höhlen sich zugun- sich durch sie bedroht fühlt. Demokratie das den Präsidenten und den Vizeprä- sten einer individualistischen Freiheit der ist mehr als das bloße Zusammenzählen sidenten wählt, sollte ursprünglich eine Selbstoptimierung aus, die den Staatsbür- von Stimmen. Sie benötigt eine Bürger- Versammlung weiser, erfahrener Männer ger am Ende entmächtigt. kultur und eine aktive Zivilgesellschaft sein, die aus eigener Urteilskraft entschei- SPIEGEL: Der autonome Staatsbürger auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. den würden. Davon sind wir weit abge- schafft sich ab, indem er seinem persön- Sie braucht deshalb Machtkontrolle, also rückt. lichen Erfolg nachjagt?

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 119 Kultur

was ein gutes Leben bedeutet. Wenn das vernachlässigt wird, verschaffen sie sich Er- satz. Die moralische Leere des öffentlichen Diskurses hat den Weg für Nationalismus und Fundamentalismus freigemacht. SPIEGEL: Was hält uns zusammen? Wer sind wir? Worin besteht unsere kollektive Identität? Sind das nicht abgründige Fra- gen, die extreme Antworten geradezu pro- vozieren? Sandel: Die größere Gefahr besteht darin, sie zu übergehen. Die Frage nach der poli- tischen Identität muss gestellt werden, denn sie ist für das Selbstverständnis jedes Gemeinwesens zentral. Wenn keine plu- ralistische Antwort gefunden wird, schlägt die Stunde des Nativismus. SPIEGEL: … der sie mit Geburt und Her- kunft beantwortet. Worauf gründet sich die kulturelle nationale Identität? Sandel: Sprache, Geschichte, Erinnerung, Tradition sind Bestandteile nationaler Identität. Doch diese ist keine feste Größe, sie muss auch als Prozess verstanden wer- den, als Wettstreit der Argumente und Ideen. Patriotismus erschafft und erfindet

ANDRES KUDACKI / NYT / REDUX / LAIF / NYT / REDUX ANDRES KUDACKI sich immer wieder neu, er ist kein Fetisch Schiffspassagiere in New York: »Chancengleichheit als leeres Geschwätz« an der Wand. Ein gesunder öffentlicher Diskurs begrüßt unterschiedliche Interpre- tationen der kollektiven Erinnerung und Sandel: Das ist die Falle der Meritokratie. SPIEGEL: Menschen, die zu dem Schluss Geschichte. Wer sich eine privilegierte Situation ver- kommen, dass ihre Regierung sich mehr SPIEGEL: Sie haben ein besonders heikles schafft hat, hält sie für ein persönliches um billige Güter und billige Arbeit als um Merkmal der Identitätsbildung weggelas- Verdienst und die Belohnung seiner Leis- das Wohlergehen des eigenen Volkes sorgt, sen – die Religion. tung. Für ihn sind die anderen Versager. ja dass das Volk überhaupt nur noch eine Sandel: Man kann sich auf den Stand- Der Einzelne wird mit der Verantwortung künstliche Größe ist, fühlen sich schnell punkt zurückziehen, Religion sei eine pri- für sein Wohlergehen allein gelassen, auch verraten und verkauft. Deshalb lösen Frei- vate Angelegenheit, die aus der öffent- wenn er damit überfordert ist. Obwohl handel und Einwanderung den schärfsten lichen Debatte herausgehalten werden sol- selbst Milliardär, hat Trump das sehr gut Widerstand von Populisten aus. Die De- le. Diese Haltung geht dem Streit aus dem verstanden. Anders als Barack Obama mokratie lässt sich aber nicht dadurch Weg, der mit Glaubensfragen fast unwei- und Hillary Clinton, die ständig von konsolidieren, dass die drinnen sich gegen gerlich verbunden ist. Aber sie ist zu ein- »Chancen« und »Gelegenheiten« spra- die draußen, wir gegen die anderen, zu- fach. Religionen regeln nicht nur das Ver- chen, zapft er das Ressentiment der sammenrotten. hältnis des Einzelnen zu Gott, sondern Verlierer an, denen die Gewinner auch Sandel: Staaten haben die Pflicht, ihre Bür- auch das der Menschen zueinander. Der noch ihre Würde absprechen, indem sie ger zu schützen. Das schließt das Recht ein, Glaube ist nie nur privat, er prägt die Wer- ihnen die Schuld an ihrem Unglück zu- eine Einwanderungspolitik festzulegen. te des Zusammenlebens. Die Herausfor- schieben. Aber humane Staaten haben auch die derung liegt darin, ethische Haltungen in SPIEGEL: Hat der Wohlfahrtsstaat ein moralische Verpflichtung, anderen Men- der öffentlichen Sphäre zuzulassen, ob sä- Klientenverhältnis hergestellt, in dem der schen in Gefahr Hilfe zu leisten. In der kular oder religiös motiviert. Wähler vor allem Geschenke erwartet? öffentlichen Wahrnehmung hat sich die SPIEGEL: Muss nicht jeder moderne Staat Sandel: Dass Demokratie mehr ist als eine Flüchtlings- mit der Migrationsfrage heillos säkular sein? Art Karitas für alle, nämlich partizipative verheddert. Die Feindseligkeit gegenüber Sandel: Ich glaube, dass ein pluralistisches Bürgerbeteiligung, daran gemahnt ausge- den Fremden ist Ausfluss eines verschärf- moralisches Engagement mehr zur He- rechnet der Ruf der Populisten, das Volk ten Nationalismus, der selbst wiederum rausbildung einer toleranten Gesellschaft müsse sich wieder Gehör verschaffen. ein moralisches Vakuum in der zeitgenös- beiträgt als nackter, moralisch verarmter Dazu gehört auch die Wiederherstellung sischen Politik zu füllen versucht. Die Men- Säkularismus. Der Bann des Religiösen ist von Würde, die durch die Entwertung von schen haben ein Bedürfnis, sich über Werte ein Zeichen der Angst. Die französische Arbeit und die Aufwertung des Kapitals und die großen Dinge zu verständigen, Form eines strengen Laizismus schafft für einen Großteil der Bevölkerung beschä- über Gerechtigkeit, Gleichheit, darüber, Spannungen, die selbst Züge eines Kultur- digt worden ist. Die Transformation der kampfes annehmen. herkömmlichen Arbeitswelt durch Digita- SPIEGEL: Halten Sie die moralische Neu- lisierung und künstliche Intelligenz wird tralität des politischen Liberalismus für diese Entwicklung in naher Zukunft noch »Der Bann des Religiösen eine Schwäche? verschärfen. Was tun mit denen, die über- ist ein Zeichen der Sandel: Eine pluralistische Gesellschaft flüssig werden? Ein bedingungsloses Angst. Strenger Laizismus muss die Kunst des Zuhörens statt des Aus- Grundeinkommen kann diesen Bedeu- blendens beherrschen. Das setzt eine öf- tungsverlust nicht wettmachen. schafft Spannungen.« fentliche Debattenkultur voraus, für deren

120 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Pflege vor allem die Medien verantwort- lich sind. SPIEGEL: Im Auftrag des SPIEGEL wöchentlich ermittelt vom Fachmagazin »buchreport« (Daten: media control); Trägt moralische Neutralität zu nähere Informationen finden Sie online unter: www.spiegel.de/bestseller einer fragmentierten Gesellschaft bei, in der unterschiedliche Teile beziehungslos Belletristik Sachbuch nebeneinander existieren? Sandel: Ja, Vermeidung von Kontakt und Konflikt spiegelt eine falsche Toleranz vor. 1 (2) Frank Schätzing 1 (2) Bas Kast Der Ernährungskompass Es ist schwieriger, sich fortwährend auf- Die Tyrannei des Schmetterlings C. Bertelsmann; 20 Euro Kiepenheuer&Witsch; 26 Euro einander mit allen Differenzen einzulas- 2 (1) Richard David Precht sen. Eine pluralistische Demokratie ist ein Jäger, Hirten, Kritiker Goldmann; 20 Euro offener Lernprozess ohne die Notwendig- Wie immer bei Frank Schätzing gibt es Bandwurmsätze mit keit endgültiger Einigung. schiefen Bildern, Spannung, 3 (3) James Comey SPIEGEL: Braucht eine Gesellschaft nicht solide Recherche und spekta- Größer als das Amt Droemer; 19,99 Euro trotzdem gemeinsame Grundüberzeugun- kuläre Schauplätze. Wer’s mag gen? 4 (5) Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt 2 (1) Volker Klüpfel/Michael Kobr Sandel: Eine gerechte Gesellschaft setzt Mit den Händen sehen Insel; 22,95 Euro Kluftinger Ullstein; 22 Euro nicht materielle Gleichheit voraus, wohl 5 (4) Peter Hahne Schluss mit euren aber die Möglichkeit, sich gleichberechtigt 3 (7) Jojo Moyes Mein Herz ewigen Mogelpackungen! Lübbe; 10 Euro zu begegnen, ungeachtet von Klassenzu- in zwei Welten Wunderlich; 22,95 Euro gehörigkeit und Glaubensgemeinschaft. 6 (7) Michael Wolff Selbst im Sport sondern sich die Wohlha- 4 (5) Maja Lunde Feuer und Zorn Rowohlt; 19,95 Euro benden inzwischen in der VIP-Loge, in Die Geschichte der Bienen btb; 20 Euro den USA Skybox genannt, vom Fußvolk 7 (9) Manfred Lütz 5 (4) Ferdinand von Schirach Der Skandal der Skandale Herder; 22 Euro der Fans ab. Die »Skyboxification«, die Strafe Luchterhand; 18 Euro Segregation im sozialen Leben, pflanzt 8 (10) Gerald Hüther sich durch die Gesellschaft fort, von der 6 (6) Paluten/Klaas Kern Freedom. Würde Knaus; 20 Euro Schule bis zur Rente. Die Wiederherstel- Die Schmahamas-Verschwörung lung einer staatsbürgerlichen Infrastruktur Community Editions; 12 Euro 9 (8) Hamed Abdel-Samad wäre das erste Gebot einer Gesellschaft, Integration Droemer; 19,99 Euro die mehr anzubieten hat als eine geografi- 7 (3) Martin Walker 10 Peter Wohlleben Das geheime sche Heimat, nämlich ein geteiltes Leben. Revanche Diogenes; 24 Euro (12) Leben der Bäume Ludwig; 19,99 Euro SPIEGEL: Wäre es im Zeitalter der Globa- 8 Maja Lunde lisierung nicht besser, eine kosmopoliti- (9) Die Geschichte des Wassers btb; 20 Euro 11 (17) Rolf Dobelli Die Kunst sche Ethik universeller Rechte zu kultivie- des guten Lebens Piper; 20 Euro ren statt nationaler Identitäten? 9 (8) Laetitia Colombani Sandel: 12 (6) Wolfram Eilenberger Eine universalistische, kosmo - Der Zopf S. Fischer; 20 Euro politische Ethik übersieht, dass wir aktive Zeit der Zauberer Klett-Cotta; 25 Euro Nächstenliebe und bürgerliche Tugenden 10 (11) Maxim Leo/Jochen Gutsch Es ist 13 (–) Yuval Noah Harari nicht im Abstrakten, sondern im Konkreten nur eine Phase, Hase Ullstein; 12 Euro Homo Deus C.H. Beck; 24,95 Euro und Besonderen erlernen und erfahren. Erst 11 (12) Mariana Leky Was man von hier wenn wir in der Nachbarschaft verwurzelt 14 (13) Elke Heidenreich aus sehen kann DuMont; 20 Euro sind, können wir über sie hinausreichen. Alles fließt Corso; 24,90 Euro SPIEGEL: Wird das auch Trumps Amerika 12 (17) Daniel Kehlmann gelingen? 15 (11) Ranga Yogeshwar Nächste Ausfahrt Tyll Rowohlt; 22,95 Euro Sandel: Trumps Amtsführung hat die mo- Zukunft Kiepenheuer&Witsch; 22 Euro ralischen und zivilen Normen angefressen. 13 Bernhard Schlink (13) 16 Axel Hacke Über den Anstand Er wirft den dunkelsten Schatten seit (18) Olga Diogenes; 24 Euro in schwierigen Zeiten und die Frage, Richard Nixon auf den demokratischen wie wir miteinander umgehen Rechtsstaat. Doch noch hält das System. 14 (–) Guido Maria Kretschmer Kunstmann; 18 Euro SPIEGEL: Die Opposition scheint kein rich- Das rote Kleid Goldmann; 14 Euro tiges Mittel gegen ihn zu finden. Wird er 15 Éric Vuillard 17 (16) Thea Dorn an sich selbst scheitern? (14) deutsch, nicht dumpf Die Tagesordnung Matthes&Seitz; 18 Euro Sandel: Die geradezu obsessive Aufmerk- Knaus; 24 Euro samkeit, die seine Tweets in der Öffent- 16 (–) Ralf Rothmann Der Gott lichkeit erregen, spielt seiner Art zu regie- jenes Sommers Suhrkamp; 22 Euro Die TV-Intellektuelle hat eine ren in die Hand. Die Medien können Streitschrift verfasst für die huma nistische Bildung und seinen Ausbrüchen nicht widerstehen, je 17 (10) Haruki Murakami Die Ermordung des für ein »Bekenntnis zur Na- schändlicher sie sind, umso weniger. Was Commendatore Band II DuMont; 26 Euro tion« als verbindendes Mittel die Opposition jetzt braucht, ist eine Öko- nomie der Empörung. Moralische Empö- 18 (18) Marc-Uwe Kling 18 (–) Uwe Birnstein QualityLand Ullstein; 18 Euro rung kann politische Energie freisetzen – Margot Käßmann bene; 19,99 Euro aber nur, wenn sie von einem politischen 19 (20) Nina George Die Schönheit 19 (19) Wilhelm Schmid Projekt kanalisiert und geleitet wird. der Nacht Knaur; 18,99 Euro Selbstfreundschaft Insel; 10 Euro SPIEGEL: Mr Sandel, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. 20 (–) Lucinda Riley 20 (15) Markus Feldenkirchen Die Perlenschwester Goldmann; 19,99 Euro Die Schulz-Story DVA; 20 Euro

121 Kultur Verletzte verletzen Autoren Gerade hat der US-Schriftsteller Junot Díaz öffentlich gemacht, dass er als Kind sexuell missbraucht wurde, da melden sich Frauen, die sich von ihm misshandelt fühlen. Was zunächst nach #MeToo aussieht, ist viel komplizierter. Von Philipp Oehmke

ass Junot Díaz möglicherweise gen betrifft, komplett anderen Zeitrech- Der Kuss gegen ihren Willen, den Zinzi ein Problem hat, stand für Moni- nung – nach Bill Cosby, nach Harvey Clemmons schilderte, ist möglicherweise ca Byrne fest, seit sie 2014 in ei- Weinstein, nach #MeToo –, veröffentlichte schlimm genug, aber er ist auch das D Schwerwiegendste, was bisher über Díaz ner größeren Dinnerrunde mit Díaz im April dieses Jahres mal wieder ei- dem Schriftsteller gesessen hatte, zehn nen Essay im »New Yorker«. Der Text ist bekannt wurde. Leute, der Verlag hatte eingeladen, ein fan- die erschütternde Schilderung davon, wie Der gerade noch gefeierte biografische cy Restaurant, der Star in der Mitte. Díaz Díaz als Kind von einer Vertrauensperson Essay wurde nun anders gelesen. Allein hatte zuvor auf einem Literaturfestival in seiner engsten Umgebung wiederholt die Wahl seines Titels: »The Silence: Con- einen Vortrag gehalten über »The Impor- und systematisch vergewaltigt worden war, fronting the Legacy of Childhood Trauma« tance of Love« in der Literatur. Byrne, da- und beschreibt, wie diese Erlebnisse sein – gehört zum »Erbe eines Kindheitstrau- mals 32, war kurz davor, selbst ihren ersten Leben zerstört haben, wie er gezwungen mas« auch die spätere Weitergabe der er- Roman zu veröffentlichen, eine feministi- war, Jahrzehnte »hinter einer Maske« zu lebten Gewalt? sche Science-Fiction-Geschichte. Der Ver- leben, und dass es den Junot Díaz, wie die Seine Erfahrung als Kind habe ihn zu lag hypte sie, man hatte sie neben ihn ge- Öffentlichkeit ihn kennt, eigentlich gar einem gestörten Menschen werden lassen, setzt, sie würden sich viel zu sagen haben. nicht gab. der andere verletzt habe, schreibt Díaz. Doch der Star beachtete sie nicht. Mo- Der Text schlug Wellen und löste, in die- Aber was soll es heißen in Zeiten von #Me- nica versuchte, am Gespräch teilzuneh- sen für Erlebnisse von sexueller Gewalt so Too, wenn jemand schreibt: »Ich denke an men, und als es darum ging, wie Statisti- sensibilisierten Zeiten, Stürme der Bestür- den Schmerz, den ich verursacht habe«? ken dabei helfen können, Unterdrückten zung und der Anerkennung aus. Junot Anfangs unbemerkt öffnete Díaz’ Text die eine Stimme zu geben, sagte sie, dass nicht Díaz war jetzt nicht nur der progressive Tür zu einer Frage, deren Erörterung in nur die Zahlen, sondern die persönlichen Autor, er war auch ein mutiges Opfer, ei- den vergangenen Jahren Fahrt aufgenom- Erfahrungen wichtig seien. Da habe sich nes, das in der Lage war, sein Leid in einem men hat: »Hurt people hurt people«, heißt Díaz zu ihr gedreht und ihr ins Gesicht ge- sehr wirkmächtigen Text zu bündeln. es im Amerikanischen, auf Deutsch funk- brüllt, sie wisse wahrscheinlich nicht, wie tioniert der Satz nur beinahe: Verletzte Statistiken funktionierten, aber ihre Be- Menschen verletzen Menschen. Díaz hat merkung sei, als ob sie gesagt hätte: Ich Dass er über Latino- diese Verbindung in seinem Essay klar ge- persönlich bin nicht vergewaltigt worden, Machos schrieb, hat seine zogen, wenn er von Depressionen, unkon- also existiert Vergewaltigung gar nicht. trollierter Wut und einem klassischen Mus- Das Wort Vergewaltigung habe Díaz ihr Leser nicht gestört. Man ter der Psychotraumatologie spricht: ins Gesicht gebrüllt, mehrmals. Rape! hielt es für Authentizität. »Nähe und Distanz, Nähe und Distanz. Rape! Von da an, sagt Byrne, sei Díaz ihr Und anderen dabei wehtun.« Worin dieses stets über den Mund gefahren oder habe Wehtun bestanden hat, war die große Lü- sie verhöhnt. »Ich habe in meinem gesam- Diesen Status behielt Díaz allerdings cke in dem Text. Sie lässt sich nun mögli- ten Erwachsenenleben noch nie so einen nur knapp einen Monat. Anfang Mai, am cherweise mit den Erlebnissen der sich zu starken Frauenhass gespürt«, sagt sie. anderen Ende der Welt, in Sydney, wieder Wort meldenden Frauen füllen. Für Byrne war dieses Verhalten verstö- auf einem Literaturfestival, an dem Díaz Es gibt keine belastbaren Erhebungen rend. Díaz war ein Vorzeigeautor der teilnahm, kam die Autorin Zinzi Clem- dazu, wie häufig in der Kindheit miss- Linksliberalen, Held von Feministinnen, mons nach einer Veranstaltung mit ihm brauchte Männer später selbst zu Tätern Antirassisten, Minderheitenaktivisten, Ivy- ans Mikrofon und fragte ihn sinngemäß, werden, aber ihr Anteil ist deutlich höher League-Studenten, Bernie-Sanders-Fans, wie er das gemeint habe in seinem »New als im männlichen Bevölkerungsschnitt. Gleichstellungsbeauftragten. Yorker«-Essay: dass er, weil er selbst se- Auch wenn das stimmt, entschuldigt das Mit sechs war Díaz aus der Dominika- xuelle Gewalt als Kind erfahren habe, die- irgendetwas? Monica Byrne nennt Díaz’ nischen Republik in die USA gekommen, se nun als Erwachsener ausüben dürfe? Er »New Yorker«-Bekenntnisse eine Art Prä- hatte mit 28, 1996, ein krachendes Debüt habe sie nämlich ein paar Jahre zuvor, als ventivschlag: schnell zum Opfer werden, hingelegt, ein Autor, durchaus intellektuell, sie eine blauäugige Studentin an der Co- bevor man der Täter ist. aber mit dem Sound der Latino-Barrios, lumbia University in New York gewesen Vergangenes Wochenende ist in den der Toni Morrison genauso zitieren konnte sei, gegen ihren Willen geküsst. USA eine lang erwartete Fernsehserie ge- wie den Rapper Tupac und seine Geschich- In den Tagen darauf meldeten sich wei- startet, die in fünf Teilen den Lebensweg ten im »New Yorker« veröffentlichen durf- tere Frauen mit ihren Geschichten, darun- eines missbrauchten Kindes bis ins Erwach- te: der »golden brown boy« des weißen ter auch Monica Byrne. Alle handelten senenalter verfolgt: Missbrauch, Heroin- Establishments, wie eine Literaturwissen- von Díaz als einem unsympathischen Typ, und Alkoholsucht, selbstzerstörerisches schaftlerin es ausdrückte. 2008 dann der einem Arschloch vielleicht, der Frauen ins Verhalten, Abstinenzversuche, schließlich Pulitzerpreis für seinen Roman »Das kur- Bett kriegen will oder mit ihnen Affären selbst Familienvater. Es ist die filmische ze wundersame Leben des Oscar Wao«. hat, sie als Frauen demütigt oder unkon- Umsetzung der halb biografischen Patrick- Vier Jahre nach dem Dinner mit Monica trolliert wütend wird. Aber keine weitere Melrose-Romane des britischen Schriftstel- Byrne, in einer, was die Geschlechterfra- handelte von sexueller Gewalt. lers Edward St Aubyn; und auch hier

122 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 KRISTA SCHLUETER / THE NEW YORK TIMES / REDUX / LAIF TIMES / REDUX / THE NEW YORK SCHLUETER KRISTA

Beschuldigter Díaz: Ein gequälter Mensch kommt der einmal dem Kind zugefügte nun öfter selbst furchtbar verhält, vor al- Doch da ist Monica Byrne, seine Neme- Schaden in unterschiedlichen zerstörischen lem gegenüber Frauen. Möglicherweise sis von dem Dinner, damals vor vier Jah- Ausformungen stets zurück. Es gibt kein aber hat es mit #MeToo weniger zu tun ren. Immer wieder gab es Gerüchte, und Entkommen, noch nicht einmal im Heroin - und sollte davon auch getrennt werden. im November 2017, inmitten des Wein- rausch. Am Montag vergangener Woche haben stein-Erdbebens, rief Byrne Frauen dazu In Junot Díaz’ Werk gibt es eine wieder- zwei Dutzend Professorinnen, viele da- auf, ihr ihre Geschichten von Erlebnissen kehrende Figur, oft der Icherzähler, er heißt runter hispanischer Abstammung, einen mit Junot Díaz zu schicken. Inzwischen Yunior, ein junger Amerikaner dominika- offenen Brief veröffentlicht, in dem sie habe sie 34 Storys gesammelt, sagt sie. Ei- nischer Abstammung. Er ist ein ziemlicher Díaz verteidigen und davor warnen, ihn nige sollen auch von sexueller Nötigung, Latino-Macho, er betrügt seine Frauen und als animalischen Sextäter darzustellen und Missbrauch und Gewalt handeln. Sie kön- verliert sie meist. Man könnte sagen, er somit rassistische Stereotypen über den ne sie aber nicht öffentlich machen, die hat misogyne Züge. Das hat jahrelang nie- männlichen Latino aufleben zu lassen. Die Betroffenen seien noch nicht bereit. Im manden von Díaz’ progressiven Lesern ge- einen kommen mit der Gender-Keule, die Verdeckten liefen Nachforschungen über stört, man hielt es für, nun ja, Authentizität, anderen schlagen mit dem Rassismus- Díaz, die möglicherweise sehr bald bisher für den genauen Blick auf eine Welt, die Hammer zurück. Es ist ziemlich irre. unbekannte, ernste Fälle zutage fördern der Ivy-League-Student so nicht kennt. Díaz selbst hat vergangene Woche über würden. Mehr kann Byrne nicht sagen. Und dagegen ist ja auch nichts einzuwen- seine Agentin ein vages, etwas verstören- Sie weist aber auf eine Petition hin, den, Yunior ist eine meisterhafte, lebendi- des Statement verbreiten lassen, in dem unterschrieben von mehr als 400 Studen- ge, ambivalente literarische Fiktion. Die er die Vorwürfe nicht bestreitet. Er über- ten, Ehemaligen und anderweitig Assozi- allerdings einem weißen Autor aus dem nehme die Verantwortung für seine Ver- ierten des von Díaz mitgegründeten Lite- mittleren Westen wahrscheinlich nicht gangenheit, er höre sich die Schilderungen raturinstituts VONA, das Schreibkurse für durchgegangen wäre. Marianella Belliard, der Frauen an und lerne von ihnen. Was Studenten mit dunkler Hautfarbe anbietet. eine Literaturwissenschaftlerin, die davon in aller Welt soll das heißen? Das ist die Díaz ist dort bis heute der Stardozent. Die berichtet, wie Junot Díaz auch sie einmal neue Form von Schadenskontrolle, die Verfasser sprechen in der Petition von ei- am Haar gefasst und mehr gewollt habe, sich PR-Strategen ausgedacht haben: die nem »offenen Geheimnis« an der Schule, glaubt, dass Junot sich als Yunior auslebe, Anklägerinnen ernst nehmen, zuhören einer sexuell anzüglichen Atmosphäre und die ganze Frauenverachtung, als Yunior und sagen, man wolle sich bessern. »einem zutiefst schädlichen Einfluss, den dürfe sie raus, und Junot werde auch noch Er hat den Vorsitz des Pulitzerpreis-Gre- Junot Díaz’ Gewalt« ausgeübt habe. Sie gefeiert. Yunior sei Junots Mr Hyde. miums, zu dem er gerade erst gewählt wor- verlangen, dass die Schule ihren Mitbe- Was bedeutet dies nun alles? den war, sofort wieder abgegeben und ist gründer und berühmtesten Lehrer entfernt. Zunächst sieht es so aus, als sei Junot abgetaucht. Die Anfrage des SPIEGEL ließ Hurt People hurt people. So geht es im- Díaz ein gequälter Mensch, dem Furcht- er unbeantwortet. Vielleicht hofft er, dass mer weiter. bares angetan wurde und der sich offenbar sich alles versendet.

123 Kultur

es, dass er schon bald sich selbst nicht genen Moment umkreist. Das unsichtbare Der Blitz mehr glaubte. Zentrum des Schreibens. Erst jetzt, im Zuge der Weinstein-Ent- »Der Akt des Schreibens selbst, die Ge- hüllungen, las Kracht in einem Magazin walt, die Erniedrigung, die Grausamkeit, Missbrauch Der Schriftsteller den Bericht über 30 Jungen, denen Glei- der körperliche Ekel und die fetischisierte, Christian Kracht berichtet ches geschehen war. Und plötzlich – bei- oft verlagerte männliche Sexualität sind nahe 40 Jahre nach dem Geschehen, Topoi meiner Arbeit, deren ich mir erst von einem frühen Trauma und wie ein Blitz, der Glaube an sich selbst. bewusst werde, die aber sozusagen mit der erklärt sein Werk. Zurückgegeben von Menschen, die sich ersten Zeile von ›Faserland‹ alles bestimmt erinnerten und darüber sprachen: »Sie haben.« können sich vielleicht vorstellen, was Ein Mann erklärt sich selbst sein Werk. diese späte, vor ein paar Monaten erst er- Mit schwingt dabei auch Krachts anhalten- a ist vor allem dieser eine Satz – langte Erkenntnis, ich sei eben kein fanta- de Empörung über die Unterstellung, »Tür- D und alle, die in letzter Zeit vor sich sievoller Lügner gewesen, mir bedeutet steher der rechten Gedanken« zu sein, die hinmurmelten, jetzt sei es aber auch hat.« 2012 im SPIEGEL geäußert wurde. mal langsam gut mit all den Missbrauchs- Können wir uns das vorstellen? Wenn Seine Protagonisten teilten sich alle geschichten und dieser bizarren Mas- da plötzlich fester Boden ist, auf dem man »eine ausschweifende Unbarmherzigkeit«, sentherapie der Welt, sollen ihn hören. steht, und kein Abgrund mehr? Wenn ein sagt Kracht. »Und es ist vielleicht diese un- Dieser Satz, den der Schriftsteller Chris - Trauma, ein nie wieder ausgesprochenes kommentierte Bevölkerung meines nun tian Kracht am Dienstagabend in seiner traumatisches Erlebnis, das man selbst ins ein gutes Vierteljahrhundert andauernden Poetikvorlesung an der Frankfurter Goe- Reich der Fiktionen verabschiedet hatte, Panoptikums mit derlei Gestalten, die mir the-Universität gesagt hat: »Lange Jahre, plötzlich wieder wahr erscheint? den widersinnigen Vorwurf eingebracht Jahrzehnte, 40 Jahre habe ich gedacht, ich Christian Kracht, der Meister des un- haben, ich sei ein Faschist.« hätte mir dieses Szenario eingebildet oder eigentlichen Sprechens, der vielfach ko- Er habe lange über die Motive des ausgedacht.« dierten Ironie, von dem auch enge Freun- Pastors nachgedacht, berichtet Kracht. Er Ein Mann hat in seiner Kindheit de sagten, bei ihm gehe man »nie auf glaube, es sei einerseits »Freude an der Schreckliches erlebt. Demütigung, Macht- festem Grund«, hat an diesem Abend in Ausübung von purer, unverfälschter missbrauch, sexuellen Missbrauch durch Frankfurt, so berichten es alle, die dabei Macht«, andererseits »ein gewisser Ästhe- einen Menschen, dem er anvertraut war, waren, plötzlich sich selbst und dem tizismus« und fügt hinzu: »Eigenschaften ausgeliefert ganz und gar. Christian Kracht Publikum eine ungeheuerliche Wahrheit und Empfindungen, so scheint es mir jetzt, war zwölf Jahre alt, als ihm vom Pastor erzählt. die viele meiner Figuren teilen mögen.« Keith Gleed in dem kanadischen Internat, Um dann sogleich, in einem zweiten, So bilden die mutmaßlichen Motive die- in das ihn seine Eltern geschickt hatten, unerhörten Schritt, dieses persönliche Ur- ses Verbrechers einen Teil des Fundaments Ungeheuerliches angetan wurde. Und als trauma als Grundlage seines schriftstelle- von Christian Krachts ästhetischem Reich, er daraufhin, so berichtete es Christian rischen Werkes zu beschreiben. Und wir das von seinem Erstling »Faserland« aus Kracht am Dienstag den versammelten Zu- sehen einen Mann, dessen Vergangenheit dem Jahr 1995 bis zu seinem bislang letz- hörern, seinen Eltern weinend am Telefon von seinen Mitmenschen ins Reich der Fik- ten Roman »Die Toten« reicht. davon erzählte, glaubten sie ihm kein tion wegberuhigt wurde und der nun in Und schließlich ist da die Szene, in der Wort. Er habe ja »schon immer so eine diesem Kosmos der Fiktion, im Reich des ein kanadischer Padre namens Keith dem ausladende Fantasie« gehabt. Und so kam literarischen Schreibens, diesen verschwie- Erzähler im Kriegsroman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« in einer Höhle »geheimnisvolle Malereien« seiner Urahnen zeigt, die Urherkunfts - geschichte des Erzählers also, und dabei, während er so versunken schaut, merkt er, »dass der Padre sich, hinter mir stehend, im schwachen Schein einer Öllampe, leise keuchend selbst befriedigte«. Christian Kracht hat sich an diesem Abend in Frankfurt zwei Sätze von Walter Benjamin geliehen, um das Verhältnis von Trauma und Werk zu beschreiben: »In den Gebieten, mit denen wir es zu tun ha- ben, gibt es Erkenntnis nur blitzhaft. Ein Text ist der lang anhaltende Donner.« Krachts Lesung in Frankfurt war, so stel- len wir uns das vor, in erster Linie eine Be- freiung für ihn selbst. Vielleicht auch in der Hoffnung, damit all den Menschen Mut zu machen, die selbst in einem Ge- fängnis der Scham, der Selbstlüge, des Un- glaubens gefangen sind. Und die nicht die Gabe haben, sich dem stillen Trauma ihres Lebens schreibend und zum Gewinn der Leser zu nähern. Befreit. Ein Blitz. Ein le- J. LECHER / GOETHE UNIVERSITÄT / GOETHE LECHER J. benslanger Donner. Volker Weidermann Autor Kracht in Frankfurt am Main: »Diese späte Erkenntnis«

124 Humboldt Forum einziehen, das zum »Kulturpolitik ist Schaukasten fürs koloniale Erbe werden soll. Was halten Sie davon? Müntefering: Vor 20 Jahren, als ich ge- Außenpolitik« rade bei den Jusos aktiv war, haben wir bereits darüber diskutiert, wozu dieses Staatsministerinnen neue alte Schloss gut sein soll. Dann Die SPD-Politikerin Michelle Müntefering wurde schließlich die Idee entwickelt, das über das Berliner Stadtschloss und koloniales Raubgut Humboldt Forum zu einem Zuhause der Weltkulturen zu machen. Das hat mich überzeugt, geradezu versöhnt. Auch als Müntefering, 38, ist als Staatsministerin Staatsministerin möchte ich das weiter mit im Auswärtigen Amt für die internationale vorantreiben. Kulturpolitik zuständig. SPIEGEL: Frau Grütters hat aber genaue Vorstellungen, welche Zuständigkeiten es SPIEGEL: Frau Müntefering, nach zwei im Schloss geben soll. Monaten als Kulturpolitikerin – wie geht Müntefering: Ich gehöre nun auch zum es Ihnen? Stiftungsrat des Humboldt Forums, und Müntefering: Sehr gut. Ich bin ja poli - dort haben wir vor ein paar Tagen wichti- tisiert worden mit Christoph Schlingen- ge Weichen gestellt, um Fahrt für eine siefs Aktion »Sechs Millionen Arbeitslose neue Phase aufzunehmen. Das Forum soll in den Wolfgangsee, wir fluten Kohls mit dem Goethe-Institut kooperieren und Urlaubs paradies!«. Das fand der damals so – eventuell auch noch über eine eigene wahrscheinlich nicht sehr witzig. Jetzt bin Stabsstelle – die mir so wichtige interna- ich selbst Teil der Bundesregierung. tionale Dimension stärken. Ich will da SPIEGEL: Diese Regierung setzt mehr nicht zu sehr vorgreifen, wir müssen dieses denn je auf Kultur. Allerdings ist die CDU Vorhaben gemeinsam zum Erfolg führen.

da präsenter. Kulturstaatsministerin Mo- TEDESKINO / DER SPIEGEL MARKUS Der ist für mich dann erkennbar, wenn aus nika Grütters hat die einstmals linke Do- dem Haus ein Fenster in die Welt gewor- mäne für die Konservativen gekapert. Was Müntefering: Ein Teil dieser Aufgabe ge- den ist. Ich habe nach meinen Gesprächen können Sie von ihr lernen? hört klassischerweise in den Verantwor- mit dem neuen Generalintendanten Hart- Müntefering: Das Amt des Kulturstaats- tungsbereich der inneren Kulturpolitik, mut Dorgerloh den Eindruck, dass auch ministers ist vor 20 Jahren von Gerhard etwa die Aufarbeitung und die Erfor- er frischen Wind einziehen lassen will. Schröder ins Leben gerufen worden! Jetzt schung der Provenienzen. Darüber hinaus SPIEGEL: Sie bestimmen nun maßgeblich sollte es auch für die internationale Kul- gilt es aber, die kulturellen Beziehungen die deutsche Außendarstellung mit. Wel- turpolitik eine Ansprechpartnerin geben, zu stärken und Zukunftsarbeit zu leisten, ches Bild von Deutschland wollen Sie im das bin ich. Keine Sorge, Monika Grütters in und mit den betroffenen Ländern. Das Ausland vermitteln? und ich sind im Gespräch. wiederum ist Aufgabe der internationalen Müntefering: Weniger ein Bild als mehr SPIEGEL: Warum braucht ein Land zwei Kulturpolitik. eine Haltung: Freiheit stärken, für die De- Kulturstaatsministerinnen, eine fürs Inne- SPIEGEL: Wären Sie für die Rückgabe von mokratie eintreten, für Kooperation. re und eine fürs Internationale? Raubgut? SPIEGEL: War es denn politisch klug, den Müntefering: Kulturpolitik ist nun einmal Müntefering: Wir stehen erst am Anfang Kandidaten der AfD für den Vorsitz im eine Säule deutscher Außenpolitik, die wir der Diskussion um die Aufarbeitung der Unterausschuss Auswärtige Kulturpolitik in Zeiten, in denen Autokratie und Natio- Kolonialgeschichte. Ich bin aber sehr wohl durchfallen zu lassen, obwohl der Partei nalismus auf dem Vormarsch sind, sogar offen für die Debatte, ob wir bezogen auf der Posten eigentlich zusteht? noch ausbauen müssen. Kulturdiplomatie die Kulturgüter aus kolonialem Kontext Müntefering: Das entscheiden jetzt die ist eines der wenigen Instrumente, die blei- beispielsweise Grundsätze der Washing- zuständigen Abgeordneten. Wie es weiter- ben, wenn die klassische Diplomatie an toner Kriterien anwenden. geht, wird sich zeigen. ihre Grenzen stößt. SPIEGEL: Die wurden 1998 von vielen SPIEGEL: In Deutschland ist umstritten, SPIEGEL: Was kann Kulturdiplomatie im Staaten ratifiziert, als klar wurde, wie viel was die nationale Identität ausmacht. Notfall bewirken? NS-Raubkunst noch in den Museen liegt. Müntefering: Ja, und das ist sicher auch Müntefering: Wir helfen konkret, um nur Gefordert wurden faire Lösungen in Form eine Frage, eine Aufgabe der Kultur. Denn ein Beispiel zu nennen, verfolgten Wissen- von Rückgabe an die Erben der Opfer oder Kultur ist eben auch, wie Menschen mit- schaftlern, darunter viele aus Syrien oder Kompensation. Lässt sich das auf Raubgut einander umgehen. In einer Welt, die sich der Türkei, in Deutschland Zuflucht zu aus kolonialen Epochen übertragen? so stark verändert, dürfen wir streiten, finden und hier an unseren Universitäten Müntefering: Der französische Präsident aber wir müssen auch aus der Geschichte weiterzuforschen. Bei der Frage um hat ein starkes Zeichen gesetzt, als er vor lernen. Politik sollte nicht darüber ent- Deutschlands Verantwortung geht es eben Kurzem versprach, afrikanisches Kultur- scheiden, ob ein Kreuz an der Wand hängt nicht nur um mehr Militär, sondern auch gut zurückzugeben. Wir haben da unsere oder nicht. Meine Oma war katholisch und um unsere Überzeugungen. eigene Aufgabe, und die müssen wir ge- konservativ, das Kreuz und den Rosen- SPIEGEL: Die viel diskutierte Frage, wie meinsam mit erfahrenen Organisationen, kranz hätte sie sicher zu ihrem Leben, zu mit kolonialem Raubgut in den deutschen wie etwa der Unesco, angehen. Für mich ihrer Identität gezählt. Aber ihr die Reli- Museen umzugehen ist, betrifft Kultur - und meinen Bereich gehört dazu auch, gion wegnehmen oder befehlen – das war politik im Inneren und ebenso die Be - eine kulturelle Infrastruktur in den ver- mit ihr nicht zu machen. ziehungen zu betroffenen Ländern. Sie schiedenen Ländern mitaufzubauen. Interview: Sebastian Hammelehle, könnte einen Konflikt mit Grütters aus- SPIEGEL: In Berlin wird bald die Stadt- Ulrike Knöfel lösen. schlosskopie fertiggestellt. Dort wird das

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 125 Kultur Batman in Weiß

Helden Er war die Stimme des goldenen amerikanischen Zeitalters: eine Verneigung vor Tom Wolfe, Schriftsteller und Reporter, 1930 bis 2018. Von Thomas Hüetlin

ie Hamptons waren schon da- in die Höhe stehen, schafft es doch, einfach »Master of the Universe« – diesen Be- mals, vor knapp 20 Jahren, im alles zu überrollen, was sich ihm in den griff hatte Wolfe berühmt gemacht mit sei- D Sommer die Hölle. Nicht allzu Weg stellt. Die Leute haben in den letzten nem 1987 erschienenen ersten Roman »Fe- lange Zeit vorher hatten Auto- Jahren so viel Geld gemacht. Jetzt wollen gefeuer der Eitelkeiten«. Der Investment- firmen herausgefunden, dass furchtsame sie ewig leben. Am besten hat diese Hal- banker Sherman McCoy war ein solcher Menschen bevorzugt überdimensionalen tung William Paley, der Gründer von CBS, Master, die Welt hatte ihm zu gehorchen. Geländewagen ihr Vertrauen schenkten, auf den Punkt gebracht. Auf dem Toten- Manhattan war seine Kommandozentrale, weil sie nicht mehr so viel Angst hätten, bett rief er aus: ›Aber warum soll ich über- als wäre die Insel sein Flugzeugträger, bis dass sich etwas unter dem Wagen verste- haupt sterben?‹« die Dinge beginnen, durch einen dummen cken könne, wenn er so hoch sei. Ich fragte Wolfe, ob er sich vor dieser kleinen Zufall schiefzugehen. Big Ego, Big Bei den Autobauern wollte man diesen Haltung grause oder sich darüber amüsie- Money, Big Trouble. Anfall von American Angst ursprünglich ren könne. Tom Wolfe hatte stets mit großem Stau- nicht wahrhaben. Aber dann gab man »Ganz ehrlich«, antwortete Wolfe, » ich nen auf die Hahnenkämpfe der amerika- nach und baute diese Ungetüme für den bin völlig für die Neureichen. Deren Erfolg nischen Gesellschaft geblickt. Aufgewach- Massenmarkt – und, peng, zogen die an- bedeutet doch nur: Ich kann das auch sen im behüteten Richmond, Virginia, fas- deren nach. schaffen. Wenn Geld so neu sein darf, habe zinierte ihn dieses Streben nach Glück Aus der Paranoia war eine Mode gewor- ich auch eine Chance, welches zu verdie- made in USA, das für die meisten Teilneh- den, und jetzt, in diesem Sommer 1999, nen. Mein Gott, es ist doch schön, dass es mer vor allen Dingen ein Ringen um Status wurde der Wahnsinn in den Hamptons, so viel Geld da draußen gibt.« ist. Nach Häusern in guten Lagen, großen einem Fegefeuer der Eitelkeiten der Extra- Es war ein anderes Land damals noch, Uhren, tief dekolletierten Frauen und Eck- klasse, voll durchgezogen. Amerika. Clinton regierte, der Wohlstand büros mit prächtiger Aussicht. Vom blauen Atlantik, den breiten, wei- für die meisten wuchs, auch dank der Ab- Dieser Nachkriegswohlstand entfesselte ßen Stränden, war nichts mehr zu sehen. schaffung des »Glass-Steagall Act«, der seine volle Kraft während der Sechziger- Eine Wand aus Chrom und buntem Auto- Trennung von Investment- und Privatban- jahre, frei nach dem Motto: »Ich kaufe, lack verstellte die Sicht. ken, was später fast zum Zusammenbruch also bin ich.« Während die Werber in der Tom Wolfe genoss das sehr. des Weltfinanzsystems führen sollte. Madison Avenue immer neue Zigaretten, Zum einen, weil er bereits damals ein Wolfe hatte das Gefühl, die USA seien Autos, Farbfernseher, Fotokameras und gatsbyartiges Anwesen mit hohen Hecken das mächtigste und reichste Land aller Zei- Bikinis anpriesen, erfand Wolfe eine Er- und einem eigenen Atlantikzugang besaß. ten. Die Liga von Makedonien unter Ale- zählform für das wild durch die Warenwelt Zum anderen, weil dieser Automobil- xander dem Großen, Rom unter Julius purzelnde Individuum. exzess bewies, dass das amerikanische Mo- Caesar, dem Mongolischen Reich unter Mit diesem Drive revolutionierte er den dell blendend funktionierte: Finde eine Dschingis Khan. Eine Arbeiter- oder Hand- Journalismus, wenn auch zuerst unfrei- Leerstelle im Unterbewusstsein deiner werkerklasse gebe es nicht mehr. Wenn willig. Landsleute, produziere wie ein Blöder, man heute einen Elektriker oder einen Air- Wolfe hatte einem wichtigen Redakteur und du kannst steinreich werden. Condition-Fachmann suche, tja, Pech ge- der Zeitschrift »Esquire« eine Geschichte »There’s a sucker born every minute«, habt. Man bekomme keinen, weil die meis- über die Subkultur junger Autofanatiker soll P.T. Barnum, der große New Yorker ten gerade mit ihrer dritten Frau in der Ka- in Kalifornien vorgeschlagen. Wolfe lebte Zirkusmann, über dieses Modell gesagt ha- ribik weilen würden, wo die Sonne der zwei Wochen lang im kostspieligen Bever- ben und formulierte damit das Credo für Goldkette in den Brusthaaren der ver- ly Wilshire Hotel in Los Angeles, und als das Zeitalter des Massenkonsums: In jeder meintlichen Proletarier eine Portion Extra- er wieder an seinem New Yorker Schreib- Minute wird ein neuer Idiot geboren. glanz verleihe. tisch saß, starrte er tagelang auf ein weißes Es war heiß, die Menschen froren in Es waren noch eineinhalb Jahrzehnte Blatt Papier. Kein Einfall, keine Zeile, Shorts in ihren tiefgekühlten Gelände- bis Trump. Der Größenwahn, in dem sich nichts. wagen, aber Tom Wolfe stand mit einem das Land befand und der immer neues Ma- Der Redakteur bat ihn schließlich re- Terrier an der Leine in der Einfahrt und terial für Wolfe lieferte, war noch dürftig signiert, einfach die Notizen zu schicken. trug sein Markenzeichen – einen dicken ökonomisch unterfüttert. Aber die An- Wolfe begann, diese abzutippen. Eine weißen Anzug mit einer ebenso weißen spruchshaltung, dass es immer so weiter- Nacht, 49 Seiten. Der Redakteur druckte Krawatte. gehen müsse, immer noch größere Autos, diese Notizen. Unter dem Titel »The Kan- Ich kletterte aus meinem Auto, deutete möglichst zweimal am Tag Barbecue, Roll- dy-Kolored Tangerine-Flake Streamline in Richtung der Wand aus Geländeautos schuhe, Wasserski und Schönheits-OPs für Baby« wurden diese zum ersten Klassiker und fragte Wolfe, ob er sich genötigt sehe, alle, barg bereits das Risiko, dass sehr viele des »New Journalism«. Eines neuen Stils sich ebenfalls ein solch doch eher unprak- Leute sehr wütend werden würden, wenn zu schreiben, der die Pop- und Wohlstands- tisches Gefährt zuzulegen. sich herausstellte, dass eben das Verspre- explosion der Sechziger aufsog und spie- »Ich sollte das vielleicht tun aus Grün- chen, als Amerikaner ein Master of the gelte. den der Selbstverteidigung«, sagte Wolfe. Universe zu sein, nicht mehr für jeden Geprägt von Jazz und Rock’n’Roll, mit »Ein Fahrzeug wie der ›Annihilator‹, bei Swimmingpoolbauer oder Walmart-Ver- einem Sinn für Tempo und Pointen, sollte dem allein die Kotflügel fünfeinhalb Fuß käufer gefühlt irgendwann einlösbar wäre. eine Story jetzt klingen wie großes Kino.

126 Über Wolfes »Ein ganzer Kerl« schrieb Mailer: »Wolfes Buch zu lesen ist wie Sex mit einer 300 Pfund schweren Frau. Wenn sie erst einmal oben ist, hast du nur noch zwei Chancen. Verliebe dich oder er- sticke.« Wolfe antwortete damals in den Hamp- tons mit stolzem Spott in den Augen. »Ich bin der Leithund, und Mailer ist ein Teil der Meute, die an meinen Absätzen sab- bert und versucht, mich in den Hintern zu beißen.« Er schätzte diese Duelle mit Mai- ler – auch weil der linkskonservative Mai- ler zuletzt im äußerst exklusiven Province- town auf Cape Cod lebte. Im Dezember 2012 habe ich Wolfe noch einmal besucht, in seiner Zwölfzimmer- wohnung im 14. Stock am Central Park in New York. Die Sirenen der Feuerwehr auf den Straßen unten klangen hier oben wie zartes Vogelgezwitscher. Mailer und Up- dike waren bereits einige Zeit tot, aber ein dünner, leicht zitternder Tom Wolfe hielt noch immer Hof in seiner weißen Uniform. Sein Spott war noch da, und gelegent- lich glitten seine Worte noch dahin wie ein Song von Cole Porter, aber das Schreiben, das er täglich pflichtschuldig absolvierte wie seine Liegestütze im Gym, kosteten ihn allmählich mehr Kraft, als er zurück- gewann. Sein eben erschienener Roman »Back to Blood« wirkte ein wenig aufgepumpt, auch wenn seine Passagen über die Art Ba- sel-Miami zum Lustigsten und Scharfsin- nigsten gehören, was ich über das neue vermeintliche Masseninteresse an moder- ner Kunst bis heute gelesen habe. Damien Hirst oder Jeff Koons waren für Wolfe nur neue Statussymbole, die den Besitzer als »someone who is in the know« auswiesen. Jemanden mit Geheimwissen, jemanden mit einer quasireligiösen Spezialantenne in der Sphäre der Superreichen. Jacht, Heli-Landeplatz, Learjet? Kann jeder. Autor Wolfe, SPIEGEL-Redakteur Hüetlin 1999 in den Hamptons bei New York Aber eine Arbeit von Bruce Nauman? Wow, »So viel Geld da draußen« he is sooooooo in the KNOWWWWWW! Tom Wolfe gehörte zu den großen Künst- lern, die dem nun unter Trump im Zeit - »Like a movie«, forderte Wolfe ungeniert. lief Wolfe bald nicht mehr nur im Sommer, raffer verbleichenden goldenen amerikani- Eine gute Geschichte sollte starten mit ei- sondern auch im Winter in seinem weißen schen Zeitalter eine Stimme gaben. Er lebte nem Feuerball wie eine Mondrakete, sie Anzug herum. Er besaß mutmaßlich für das Schreiben und durch das Schreiben, sollte swingen wie »A Hard Day’s Night« 40 Stück davon, er zog die Dinger nur er brachte uns mit so vielen seiner Geschich- von den Fab Four, sie sollte schweben wie noch zum Schlafen aus. ten zum Lachen, also fragte ich am Ende ein Schmetterling und zustechen wie eine Der weiße Anzug wurde seine Uniform, meines Besuchs, ob es ihm eigentlich noch Biene – oder Muhammad Ali. sein Markenzeichen wie das Cape von Spaß bereite, das Schreiben. Apropos Beatles. Natürlich schrieb Wolfe Batman. Tschok, zack, kabum, da war er Er blickte mich an wie ein Mann, den auch über sie und ihre ewigen Konkurren- wieder, der Verrückte mit seinem weißen man fragt, ob es ihm Spaß mache, wäh- ten, die Stones. »Die Beatles kommen, um Anzug. rend eines Staus in einem Bus zu stehen. deine Hand zu halten, die Stones, um dei- Wichtig war es auch für Wolfes Auftritt, »Ich traue keinem, dem das Spaß ne Stadt niederzubrennen«, textete Wolfe. die richtigen Feinde zu haben. Norman macht«, sagte Wolfe. »Es ist die härteste Er brachte die Sache auf den Punkt und Mailer, John Updike, John Irving, das mentale Arbeit überhaupt. Man muss so die Worte zum Tanzen. gesamte Establishment der amerikani- viele Dinge beachten und verknüpfen. Image war eines der großen Phänomene schen Literatur begegnete dem Journa- Trotzdem stellt man oft fest, o mein Gott, dieses neuen visuellen Zeitalters, ein Star listen, der ab Mitte der Achtziger als Ro- alles Müll.« zu sein, ein Verlangen der heraufziehen- manautor Millionen verdiente, mit Ver- Verneigung, fliegender Reporter. den Gesellschaftsdroge Narzissmus. Also achtung.

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Ein großes Holzregal empfängt den Be- sucher, es sieht schön aus im gedimmten Da war doch was, Licht, es scheint durch den Raum zu wu- chern, wächst in die Höhe, schlägt Brü- cken. Ein Ordnungssystem für die Expo- da ist doch was nate, das selbst Kommentar ist. Das Wort Rasse, das sich vom arabi- schen Wort ras (Kopf, Anführer) und dem Rassismus Eine Ausstellung in Dresden widmet sich lateinischen radix (Wurzel) ableitet, war der Erfindung von Menschenrassen. im Mittelalter nur in der Pferdezucht gebräuchlich und wurde erst im frühen Im Raum steht auch die Frage: was zeigen und was nicht? 16. Jahrhundert, gegen Ende der spani- schen Reconquista, der »Rückeroberung«, auf Menschen angewandt. Ziel war es, ne- wei Beispiele aus der vergangenen ben die »Reinheit des Glaubens« die Z Woche. Auf dem Parteitag der FDP »Reinheit des Blutes« zu stellen und damit am Samstag forderte deren Vorsit- die zunehmend nicht christlichen Religio- zender Christian Lindner, dass man beim nen im spanischen Gebiet anders zu qua- Bäcker Sicherheit darüber haben müsse, lifizieren und herabzusetzen. ob jemand, der »anders aussieht und nur Hier zeigt sich schon ein Grundmuster gebrochen Deutsch spricht«, legal oder rassistischen Denkens: Es ist dann stark, illegal hier sei, und somit kein Zweifel an wenn etwas in Bewegung gerät, eine Un- seiner »Rechtschaffenheit« bestehe. Viele ordnung entsteht, und diese dann, um Menschen fanden das rassistisch, wodurch daraus Kapital zu schlagen, in eine ver- sich andere wiederum dazu genötigt sahen, meintlich natürliche Ordnung wieder zu- vor der »Rassismuskeule« (so Julia Klöck- rückgeführt werden soll. So war es auch ner, CDU) zu warnen. der Ordnungs- und Kategoriesierungs- Am Montag twitterte das ZDF einen drang der Aufklärung, der die wissenschaft- Link zu einer Folge von »Terra X«. Deren liche Verwendung des Rassebegriffs und Titel lautete: »Gibt es menschliche Rassen?« -gedankens immer weiter vorantrieb. Zu- Angeteasert wurde die Sendung mit den dem wollte man aus ideologischen Grün- Worten: »Hat die Abstammung eines Men- den Menschen unterschiedliche Qualitäten schen Einfluss darauf, wie intelligent er ist? zuzuordnen. Es gibt Leute, die genau das bejahen. Doch Der Historiker Christian Geulen be- gibt es wirklich menschliche Rassen? ›Terra / BPK / RMN - GRAND PALAIS GÉRARD BLOT schreibt dies in einem Text zur Ausstellung: X‹ geht der Frage nach.« Beantwortet wur- Porträt des Abgeordneten Belley* »Erst als Humanismus, Naturrecht und Auf- de sie schnell und klar. Mit: nein. In der Hinweis auf Unzivilisiertheit klärung aus dem christlichen Menschheits- sich auf Twitter ausbreitenden Diskussion verständnis das säkulare Konzept einer fragte eine Nutzerin, ob man demnächst ist die genetische Varianz so gering, dass universalen Menschheit entwarfen, bedurf- dann auch Sendungen zur These »Ist die der Begriff keinen Sinn ergibt. Tierische ten die faktischen Differenzierungen, Un- Erde eine Scheibe?« machen wolle. Rassen hingegen sind das Resultat von gleichheiten und Ungleich behandlungen Beide Beispiele zeigen: Man muss kein Züchtungen, von menschlichem Eingriff. zwischen Menschen einer neuen Begrün- Rassist sein, um rassistische Strukturen Die Ausstellung ist in vier Teile geglie- dung.« Es ist zynisch: Indem Menschen- fortzuschreiben. Es muss nicht mal Kalkül dert. Zunächst geht es um die Anfänge der rechte proklamiert wurden, musste dafür sein. Es reicht ein Subtext, der eine leise Rassenforschung und deren vermeintliche gesorgt werden, dass es Menschen gibt, für Ahnung bestärkt, etwas, das wir eingeso- Wissenschaftlichkeit. Im zweiten Teil steht die diese Rechte nicht gelten. Die Idee der gen haben über Jahrhunderte, das irgend- das Hygiene-Museum selbst im Mittel- Gleichheit stimmte schlicht nicht mit der wo in uns wie Schlacke am Grund liegt punkt, das seinen eigenen unrühmlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit überein. und darauf wartet, an die Oberfläche zu Beitrag zur Rassenhygiene schon vor und Damit begann die wissenschaftliche kommen. Da war doch was. Da ist doch während des Nationalsozialismus geleistet Untersuchung der vermeintlichen Rassen, was. Da muss doch was sein. Ein Unter- hat. Der dritte Raum befasst sich mit der die typischerweise auf Zirkelschlüssen be- schied. Zwischen uns und den anderen. kolonialen Gewaltherrschaft, der vierte ruhte: Man nimmt ein paar Menschen als Das Deutsche Hygiene-Museum in Dres- schließlich stellt die Frage: Wie wollen wir Beispiel, sucht sich das passende Instru- den versucht, diese Ablagerung zu unter- zusammen leben? Videos und Installatio- mentarium, entwickelt eine Skala und wen- suchen. Die Ausstellung »Rassismus – die nen beschäftigen sich mit Alltagsrassismus det diese dann wiederum auf genau diese Erfindung von Menschenrassen« stellt und wollen die Besucher in einen Dialog Menschen an, und siehe: Es passt. Diese schon im Titel klar, dass die Rassenidee ein bringen. Skalen können Farbtafeln für Hautfarbe Konstrukt ist. Und allein schon das löst Ir- Das ist viel, sehr viel sogar, und dass es sein. Oder Augentafeln. Oder Haare. ritationen aus, Widerspruch und Angst. In nicht zu viel ist, liegt unter anderem an Echte Haare liegen da, in der Dresdner einer kleinen Vorankündigung zur Ausstel- der Ausstellungsgestaltung. Der Architekt Ausstellung, fein säuberlich sortiert nach lung auf der Website des MDR Ende 2017 Diébédo Francis Kéré hat die Räume auf Farbe und geografischer Herkunft. Doch lesen sich viele Kommentare wie das Aus- eine Weise konzipiert, die den Objekten menschliche Überreste zeigt kaum ein buchstabieren dessen, was die Kuratorin, Raum lässt, aber trotzdem eine Struk tur Museum mehr, auch diese Ausstellung Susanne Wernsing, die »Angst vor der Ab- anbietet, die mit dem Gezeigten kommu- sonst nicht. Da Haare aber heute noch in gabe von Deutungshoheit« nennt. niziert. europäischen Sammlungen zu finden sind, Wissenschaftlich gesehen gibt es keine hat sich Kuratorin Wernsing dazu ent- Menschenrassen. Zwischen den Menschen * Gemälde von Anne-Louis Girodet, 1797. schlossen, sie hier auszustellen.

128 COURTESY TASHA DOGUÉ / PHOTO: ANTONY LEWIS ANTONY DOGUÉ / PHOTO: TASHA COURTESY Künstlerin Tasha Dougé, Darstellung des US-Rassismus, 2016*: Eingesogen über Jahrhunderte

Die damit einhergehende Überlegung, wirkt, als bildeten die Schwarzen einen ter in den sozialen Medien, aber genauso was in einer derartigen Ausstellung ge- Hügel, auf dem die Weiße thront. auf der Straße am meisten erhitzt. Wenn zeigt werden soll und was nicht, betrifft Die Frage, die sich das Museum selbst Museen Teil des Diskurses sein wollen, letztlich beinahe jedes Objekt. Denn im- stellen muss, lautet: Wie stellt man Ras- bleibt ihnen nur, selbst zu entscheiden und mer wieder droht die Gefahr, ein Gewalt- sismus dar und entzieht ihm gleichzeitig diesen Prozess transparent zu machen. Die verhältnis, das die Ausstellung eigentlich seine Bilder? Soll man das 1797 gemalte »Abgabe von Deutungshoheit« – sie be- erklären will, wieder neu herzustellen. Bild zeigen, das Jean-Baptiste Belley zeigt, trifft auch die Museen, und dass die Dresd- »Viel zu spät«, sagt Wernsing, habe man wie er lässig an einer Büste des Schriftstel- ner Ausstellung das zwar spät begriffen, sich entschlossen, auch Menschen mit ins lers Abbé Raynal lehnt, der sich für die Auf- dann aber zum Thema gemacht hat, ist ge- Team zu holen, die selbst von Rassismus hebung der Sklaverei ausgesprochen hatte? nauso wichtig wie das, was man schlus- betroffen sind. Die Ausstellung wurde Was zunächst als respektvolle Darstellung sendlich in den Vitrinen sieht. noch einmal komplett gesichtet. Zusam- erscheint, wird unterlaufen, indem der Ma- Es fängt alles mit dem Geisterkoffer an, men mit den Aktivisten, Forschern und ler Belley die Hand auf sein Geschlecht zei- im ersten Raum. Damit sollten außersinn- Mitgliedern diverser Initiativen ging das gen lässt, ein Hinweis auf Unzivilisiertheit. liche Phänomene nachgewiesen werden, Museumsteam die einzelnen Exponate Das Museum entschied: ja. Das ist an- man wollte Geistererscheinungen belegen durch und kam zu dem Schluss, manches strengend und mühsam, aber unerlässlich, und mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen. nicht mehr zu zeigen. nicht zuletzt deshalb, weil derselbe Pro- Quatsch, sagt man heute. Damals war das Zum Beispiel eine Fotografie von Alice zess in der Gesellschaft stattfindet. Wissenschaft. Zur selben Zeit wurden mit Seeley Harris. Die britische Missionarin Es geht darum, was man noch sagen soll- den gleichen Instrumenten Rassenuntersu- hatte Anfang des 20. Jahrhunderts die te und was nicht, ob man das N-Wort aus- chungen gemacht. Um etwas zu beweisen, Menschenrechtsverletzungen im Kongo sprechen und ausschreiben sollte – das was man haben wollte, weil es einem pas- fotografisch dokumentiert. Auf dem Foto Museum entschied: nein –, was die Gemü- ste, nicht weil es da war. An Geister glaubt sieht man Harris, wie sie in weißem Kleid kaum einer mehr, an die Existenz von Ras- in einer riesigen Gruppe schwarzer nack- * Aus Synthetikhaar geflochtene Flagge, Titel: »This sen aber schon. Xaver von Cranach ter Kinder steht, etwas erhöht, sodass es Land Is OUR Land«.

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Verfallsdatums wegwerfen mussten. Ab und zu spricht Franz La La Land im Rogowskis Erzählerstimme aus dem Off ein paar Sätze, die wie lyrische Tagebucheinträge klingen. »Es gab kein Tages- licht in den Gängen«, sagt er zum Beispiel. Oder: »Wenn wir Weindepot nach Feierabend den Markt verlassen haben, war draußen alles anders.« Mit großer Geduld erkundet Stubers Film die Regeln, nach Filmkritik Sandra Hüller und Franz Rogowski denen die geschlossene Welt des Supermarkts funktioniert. Der Zigaretten- und Zeitungsshop im Markt beispielsweise sind ein hinreißendes Paar ist ein Rückzugsort, in dem sogar Schach gespielt wird. Und im Liebesdrama »In den Gängen«. der väterliche Marktleiter verabschiedet die Frauen und Män- ner aus dem Team am Ende jeder Schicht mit Handschlag. Kinostart: 24. Mai Viele Szenen des Films sind mit Musik unterlegt, mal mit sorgfältig ausgesuchtem zeitgenössischem Pop und mal mit ie Romanze unter zwei Supermarktangestellten, von Klassik-Gassenhauern von Johann Strauß und Johann Sebas- D der »In den Gängen« erzählt, ist eine Spur zu schön, tian Bach. Mitunter wirkt »In den Gängen« wie ein Musical. als dass sie wirklich wahr sein könnte – aber das passt Zumindest würde es einen nicht wundern, wenn Sandra Hül- ganz gut zu einem Geschäft, in dem es ums verführerische ler und Franz Rogowski plötzlich lossingen würden wie Präsentieren eigentlich banaler Dinge geht. Es ist ein Lebens- Emma Stone und Ryan Gosling in »La La Land«. Die Pal- mittelgroßmarkt irgendwo in der Steppe vor den Toren Leip- mentapete in einem der sächsischen Großmarktbüros sieht zigs, in dem der Film des Regisseurs Thomas Stuber spielt. aus wie eine halb wehmütige, halb ironische Hommage an Man sieht darin sagenhaft schön komponierte Bilder von tan- den kalifornischen Strand und an Hollywood. zenden Gabelstaplern, von penibel aufgefüllten Regalen mit Weinflaschen und Nudel kartons, von regennassen Parkplatzflächen in der Morgendäm- merung. Die Supermarktmalocher selbst sehen noch vor dem Kaffeeautomaten im Aufenthalts- raum so toll aus, als hätte sie ein Kunstfotograf für eine Ausstellung über die Anmut der werk- tätigen Klasse abgelichtet. Der mit einem wunderbar ruhigen Blick und einem aparten Lispelsprachfehler gesegnete Schauspieler Franz Rogowski ist Christian, der junge neue Angestellte im Großmarkt. Sie nennen ihn »Frischling«. Am Anfang des Films bekommt er Dienstkittel, Namensschild, Kugelschreiber und den Cutter verpasst, mit dem die Bänder aus Plastik zu zerschneiden sind, die bei fast allen Waren zur Verpackung gehören. Christian wird Bruno (Peter Kurth) zugeteilt, dem altgedienten Herrn der Getränkeabteilung. Die beiden Männer wuchten Wasserkisten von Paletten, lassen den

Stapler schnurren und rauchen auf dem Klo, dabei FILM ZORRO schweigen sie die allermeiste Zeit. Als der Frisch- Darsteller Hüller, Rogowski: Fernweh nach dem Palmenstrand ling Christian sich in Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwarenabteilung verguckt, die leider ver- heiratet ist, haben die Männer beim Schweigen wenigstens Allein die Untertreibungskunst der Schauspieler rettet Stu- ein Thema. bers Film, der natürlich von der Verlorenheit des Einzelnen »In den Gängen« lief im Februar im Wettbewerb der Ber- im Kapitalismus erzählen will, vor dem Kitsch. Sandra Hüller linale und beruht auf einer Erzählung des Schriftstellers Cle- und Peter Kurth sind schon länger für ihre Arbeit in Film mens Meyer. Meyer lebt in Leipzig und ist ein bisschen be- und Theater hoch geachtet. Franz Rogowski wird erst in rühmt für die liebevolle Präzision, mit der er die Außenseiter, jüngster Zeit sogar in der »New York Times« als herausra- Unterprivilegierten und manchmal auch Kriminellen der ost- gender deutscher Sonderlingsdarsteller gefeiert; zuletzt war deutschen Großstadtwelt porträtiert. Der Autor hat, er für cineastische Großprojekte von Michael Haneke, wie schon bei Stubers Boxerdrama »Herbert« (2016), Terrence Malick und Christian Petzold engagiert. auch diesmal am Drehbuch mitgeschrieben. Gemein- Es ist hinreißend, wie Rogowski im eher kleinen sam feiern Schriftsteller und Filmemacher nun die Film »In den Gängen« der Frau seiner Sehnsucht lan- Supermarktbelegschaft als ruppige, unter schwer er- ge Blicke zuwirft, kleine Geschenke macht und über träglichen Bedingungen hart arbeitende, unbedingt die Hindernisse verzweifelt, derentwegen die Lieben- solidarische Gemeinschaft. In der Truppe von Ver- den offensichtlich nicht zueinander kommen können. käuferinnen und Verkäufern, Lageristinnen und La- Video Christian war mal im Knast, Marion hängt an ihrem geristen herrscht eine Warmherzigkeit, die der Zu- Ausschnitte Ehemann, der mutmaßlich ein Schlägertyp ist – aber schauer surreal finden darf. aus »In den die Art, wie das Paar von der ganzen Supermarkt- Gängen« Manchmal wühlen die Werktätigen nach Dienst- belegschaft mit Zuneigung überschüttet wird, lässt schluss trotz strengen Verbots in den Abfallcontai- spiegel.de/ schon ahnen: Der scheinbar unmöglichen Liebe im sp212018kritik nern und stopfen Seite an Seite ein paar der Lebens- oder in der App Zentrum dieses Films dürfte in naher Zukunft ein mittel in sich hinein, die sie wegen des abgelaufenen DER SPIEGEL Märchenfinale beschert sein. Wolfgang Höbel

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Autor: Jörg Blech Tel. 0211 86679-01, Fax 86679-11 Papadopoulos, Ulrike Preuß, Axel Rentsch, Thomas Riedel, Andrea Sauerbier, SPIEGEL-Verlag, Abonnenten-Service, 20637 Hamburg KULTUR Leitung: Sebastian Hammelehle FRANKFURT AM MAIN Matthias Bartsch, Maximilian Schäfer, Marko Scharlow, Telefon: 040 3007-2700 Fax: 040 3007-3070 (stellv.). Redaktion: Tobias Becker, Lars- Tim Bartz, An der Welle 5, Mirjam Schlossarek, Dr. Regina Schlüter- Mail: [email protected] Olav Beier, Anke Dürr, Ulrike Knöfel, 60322 Frankfurt am Main, Ahrens, Mario Schmidt, Andrea Katharina Stegelmann, Claudia Voigt, Tel. 069 9712680, Fax 97126820 Schumann-Eckert, Ulla Siegenthaler, ¡ Martin Wolf. Autoren, Reporter: Georg Diez, KARLSRUHE Dietmar Hipp, Waldstraße Meike Stapf, Rainer Staudhammer, Dr. Martin Doerry, Lothar Gorris, Wolfgang 36, 76133 Karlsruhe, Tel. 0721 22737, Tuisko Steinhoff, Dr. Claudia Stodte, Abonnementsbestellung Höbel, Dr. Nils Minkmar, Elke Schmitter, Fax 9204449 Rainer Szimm, Dr. Marc Theodor, Andrea Volker Weidermann Tholl, Nina Ulrich, Ursula Wamser, Peter bitte ausschneiden und im Briefumschlag senden an: MÜNCHEN Anna Clauß, Dinah Deckstein, GESELLSCHAFT Wetter, Holger Wilkop, Karl-Henning Leitung: Matthias Geyer, Jan Friedmann, Martin Hesse, SPIEGEL-Verlag, Abonnenten-Service, 20637 Hamburg – Windelbandt, Anika Zeller, Malte Zeller Özlem Gezer (stellv.). Redaktion: Maik Rosental 10, 80331 München, oder per Fax: 040 3007-3070, www.spiegel.de/abo Große kathöfer, Barbara Hardinghaus, Tel. 089 4545950, Fax 45459525 Maren Keller, Timofey Neshitov, Dialika NACHRICHTENDIENSTE AFP, AP, Ich bestelle den SPIEGEL Neu feld, Claas Relotius, Jonathan Stock, dpa, Los Angeles Times / Washington Post, ❏ REDAKTIONSVERTRETUNGEN für € 4,80 pro gedruckte Ausgabe Takis Würger. Autoren, Reporter: Uwe New York Times, Reuters, sid ❏ Buse, Ullrich Fichtner, Jochen-Martin AUSLAND für € 4,10 pro digitale Ausgabe (der Anteil für das Gutsch (frei), Alexander Osang, Alexander BANGALORE Laura Höflinger, 811, SPIEGEL-VERLAG RUDOLF AUGSTEIN E-Paper beträgt € 3,60) Smoltczyk, Barbara Supp 10th A Main Road, Suite No. 114, 1st Floor, GMBH & CO. KG ❏ für € 0,50 pro digitale Ausgabe (der Anteil für das E-Paper SPORT Leitung: Udo Ludwig. 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132 Ein Impressum mit dem Verzeichnis der Namenskürzel aller Redakteure finden Sie unter www.spiegel.de/kuerzel Margot Kidder, 69 derbar versponnenen Nachrufe Berühmt wurde sie als Flug- Raume ntwürfen für Regis- begleiterin. Die kanadische seure wie Claus Peymann, Schauspielerin verkörperte Luc Bondy, George Tabori zwischen 1978 und 1987 in und Stein war Karl-Ernst vier Filmen Lois Lane, die Herrmann viele Jahre lang Freundin des Comic-Helden ein stilbildender Bühnen- Superman, gespielt von bildner des deutschsprachi- Christopher Reeve. Wenn gen Theaters. »Manches er vom Boden abhob, saus- Stück braucht Opulenz, te sie an seiner Seite schon manches nur einen Stuhl«, mal über die Wolkenkratzer sagte Herrmann. Mit seinen von New York. Margot filigranen Kunsträumen Kidder nutzte die Rolle als trug er zum Gelingen vieler Chance, dem kraftstrotzen- Uraufführungen von Tho- den, bisweilen etwas tum- mas Bernhard und Botho ben Helden mit Schlagfer- Strauß bei. Als Opernregis- tigkeit und Charme Paroli seur, oft gemeinsam mit sei- ner Frau Ursel, machte er von den Achtzigerjahren an eine spektakuläre Neben- beikarriere an den großen Musiktheatern der Welt.

VON DER BECKE / ULLSTEIN DER BECKE VON Karl-Ernst Herrmann starb am 13. Mai in Berlin. HÖB Dieter Kunzelmann, 78 Er war eine der schillerndsten Figuren der Revolte von Per Kirkeby, 79 1968. Dieter Kunzelmann, Sohn eines Bamberger Lange wunderte er sich, Sparkassen direktors, schloss sich in München der Künstler- weshalb er, der doch »ohne gruppe Spur an, wegen Gotteslästerung wurde er straf- falsche Bescheidenheit« ein

rechtlich verfolgt. Kontakt mit Staatsanwälten sollte zu / FOTOFINDER COLLECTION KOBAL großer Maler und Bildhauer einer Konstante seines unruhigen Lebens werden. 1967 zu nennen sei, von der gründete er in West-Berlin mit Fritz Teufel und anderen zu bieten. Was er an Mus- Kunstwelt übersehen werde. die Kommune 1, Vorbild für viele Wohngemeinschaften keln hatte, hatte sie an So sagte er es einmal dem jener Jahre. Nachdem sie mit Puddingbomben ein Attentat Grips, eine gute Vorausset- SPIEGEL. Zwar luden simulieren wollten, wurden die Bewohner festgenommen. zung, um die Welt zu retten. schließlich auch die großen Kunzelmann war ein begnadeter Selbstdarsteller und Pro- Doch Kidder schaffte es Museen den Dänen ein, da - vokateur: Anlässlich eines Staatsakts sprang er im Nacht - nicht, sich von der Figur der runter das Städel in Frank- hemd aus einem Sarg, vor Journalisten klagte er über Lois Lane zu befreien. Viele furt und die Tate Modern in »Orgasmusschwierigkeiten«. Er gehörte zum »Zentralrat der Filme, die sie außerhalb London. Aber seiner Mei- der umherschweifenden Haschrebellen«, einem mit Sinn der »Superman«-Reihe nung nach kam dieser für Ironie benannten linksradikalen Bündnis, später zu den drehte, waren Misserfolge. Erfolg ein wenig spät. Per Tupamaros West-Berlin, einer terroristischen Gruppierung. Also übernahm sie Gastrol- Kirkeby, promovierter Geo- Eines ihrer Mitglieder legte am 9. November 1969 im Jüdi- len in Fernsehproduktionen loge, suchte seine Inspira- schen Gemeindehaus in West-Berlin eine Brandbombe, die und stand häufiger auf der tion oft in der Natur. Auf sei- ein V-Mann des Verfassungsschutzes geliefert hatte. Sie Bühne. Sie gehörte zu den nen Gemälden ordnete er richtete zum Glück keinen Schaden an. Kunzelmann pro- politisch engagierten Schau- Farbschichten wie Sedimen- pagierte die Solidarität mit den gegen Israel kämpfenden spielern Hollywoods, setzte te an, alles wurde auf der Palästinensern, er lästerte über den »Judenknax« der deut- sich für das Ende des Viet- Leinwand zur Schicht, auch schen Linken, bestritt aber die Verantwortung für das unsäg - namkriegs ein, für Gleich - Acker und Himmel. Seit liche Attentat. Da er wegen verschiedener Anschläge im berechtigung und Umwelt- einem Sturz vor drei Jahren Gefängnis saß, konnte er sich Anfang der Siebzigerjahre schutz. Margot Kidder starb konnte er nicht mehr malen. nicht den Terroristen der Bewegung 2. Juni anschließen. am 13. Mai in Livingston, Per Kirkeby starb am Schon vor seiner endgültigen Freilassung strebte er 1975 Montana. LOB 9. Mai in Kopenhagen. UK ins West-Berliner Abgeordnetenhaus, scheiterte aber als Kandidat einer maoistischen Kleinpartei. 1983 zog er dann Karl-Ernst Herrmann, 81 doch ins Parlament ein, für die Alternative Liste, die Vor- Der russische Birkenwald, gängerpartei der Grünen in West-Berlin. Als Abgeordneter den er 1974 für Peter Steins brachte er die CDU-Fraktion zur Weißglut, später traktierte Inszenierung der »Sommer- er den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und gäste« in die Berliner dessen Dienstwagen mit Eiern. Den Antritt der Haft verzö- Schaubühne baute, war ein gerte er, indem er einen Suizid simulierte. In den letzten derart schöner Einfall, dass Jahren zog sich der selbst ernannte »Obermufti des Chaos« er ihn für Steins »Drei in seine Zwei-Zimmer-Hinterhofwohnung in Kreuzberg Schwestern« 1984 am sel- zurück. Interviews gab er nur noch gegen ordentliches Ho - ben Ort noch einmal vari-

no rar. Dieter Kunzelmann starb am 14. Mai in Berlin. MBS ierte. Mit seinen oft wun- / DPA GAMBARINI FEDERICO

DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 133 Personalien

Denkender Körper

G Derbe Sprüche über ihren Körper, kriti- sche Blicke auf Fettröllchen, Falten, Dellen: Das ist für viele Schauspielerinnen Alltag. In einer Branche, in der Frauen dafür bezahlt werden, sich anschauen zu lassen, sind Schlankheits- und Schönheitsideale besonders wirkmächtig. Im Blog des Berli- ner Theatertreffens berichtet nun ein männ- licher Theaterstar, dass es ihm nicht anders ergehe. Als er in den Beruf gestartet sei, sagt Benny Claessens, 36, habe es immer ge - heißen: »Dein Körper gehört nicht auf eine Bühne.« Später reagierten Zuschauer mitlei- dig, als er in einer Rolle mal seinen nackten Hintern zeigte. »Sie fanden mich zu dick.« Von einem wohlmeinenden Kritiker musste er sich als »poetisches Nilpferd« feiern las- sen, als »gutmütiges Reittier«. Claessens sagt, für ihn werde die Zusammenarbeit mit heterosexuellen weißen Regisseuren immer schwieriger: »Am liebsten würde ich nur noch mit Frauen und Schwulen arbeiten.« Auch mit einigen Kollegen habe er Probleme: »Meiner Meinung nach sind 90 Prozent der Mitglieder eines Stadttheaterensembles keine denkenden Menschen. Kein Wunder, schließlich werden die hauptsächlich nach

ihrer Optik ausgewählt.« TOB ARNO DECLAIR

Ein Koffer voller memacherin (»Die bleierne die Isolationshaft hätte es auch Zeit«) engagierte sich in der keine Sympathisanten gege- Geschichten Roten Hilfe, und einmal ver- ben. Darauf sind wir ange- steckte sie bei sich zu Hause sprungen.« Sie seien empört G »Sympathisanten – Unser einen Koffer, den ihr andere gewesen, »dass ein Staat, der Deutscher Herbst« heißt eine Linke übergeben hatten. Sie sich als demokratischer Staat Dokumentation des Histo - habe nie reingeschaut, be - ausgibt, dann doch wieder rikers Felix Moeller, die am hauptet sie im Film. Von Trot- Methoden anwendet, die 24. Mai in die Kinos kommt. ta galt als Sympathisantin der eigentlich dem Nationalsozia- Es ist ein persönlicher Film, Terrorgruppe RAF, ebenso lismus zugesprochen werden eine Familiengeschichte. wie ihr damaliger Mann, der konnten.« Im Rückblick wirft Moellers Mutter ist die Re - Regisseur Volker Schlöndorff. von Trotta sich vor, »dass ich gisseurin Margarethe von Der Staat sei an der Eskala- nicht immer mit meinem eige- Trotta, 76, die in den Sieb - tion im Deutschen Herbst »in nen Kopf gedacht habe«. Sie zigern sogenannte politische gewisser Weise« selbst schuld habe sich mitreißen lassen von TOB BÖRRES WEIFFENBACH / NFP BÖRRES WEIFFENBACH Häftlinge besuchte. Die Fil- gewesen, findet sie. »Ohne Utopien und Ideologien.

134 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 auf etwas andere Art für Sau- Showdown im berkeit sorgt. Zusammen mit Waschsalon drei weiteren Frauen knöpft sie sich einen Regisseur vor, G Veronica Ferres, 52, wird der offenbar dem Holly- in einem der ersten Spielfil- woodproduzenten Harvey me über die #MeToo-Debat- Weinstein nachempfunden te eine Hauptrolle überneh- wurde – #MeToo als amü- men und einen übergriffigen sante Rachegeschichte über Mann das Fürchten lehren. Frauenpower. Der Film, an In dem Episodenfilm dem auch Stars wie Helen »Berlin, I Love You«, Mirren, Keira der seit dem ver- Knightley, Mickey gangenen Jahr in der Rourke und Til Hauptstadt gedreht Schweiger mitwir-

wird und im Novem- ken, will Berlin / DPA UWE ANSPACH ber in die Kinos als Metropole zei- kommen soll, verkör- gen, in der sich Die Augenzeugin pert die Schauspiele- die Debatten und rin eine Putzfee, die Probleme unserer

in einem Waschsalon / GETTY IMAGES GERMAN SELECT Zeit bündeln. LOB »Die Gäste grölen mit« Rund 740000 Menschen in Deutsch- land sind mindestens 90 Jahre alt. Integration royal Upperclass noch darüber lus- Höchste Zeit, für diese Bevölkerungs- tig, dass Kates Eltern einst gruppe eigene Freizeitangebote zu G Die Rolle der Märchen- beide als Flug begleiter gear- prinzessin übernimmt 2018 beitet hatten. Längst verges- organisieren, findet Tanja Eichelbaum, eine Frau aus dem Land, sen! Heute wirkt Kate, als 41, vom Sozialzentrum der Arbeiter-

das manchmal als das Mut- wäre sie direkt in den Hoch- wohlfahrt im südhessischen Bensheim. ERIC LANGERBEINS terland der Demokratie adel hineingeboren worden bezeichnet wird: Die US- und nicht in eine Familie von G »Die Idee für eine Ü-90-Party ist vor vier Jahren entstan- Amerikanerin Meghan Kleinbürgern. Das Königs- den. Damals war Hessentag in Bensheim, ein großes Landes- Markle, 36, heiratet am haus beherrscht eben die fest. Die Stadt ist auf uns zugekommen und hat gesagt, es 19. Mai den britischen Prin- Kunst der Integration. Schon gibt immer mehr 90-Jährige hier, warum versuchen wir es zen Harry, 33. Dass Markle etliche Ausländer haben nicht mal mit einer Party? Keiner wusste, ob das funktionie- Schauspielerin ist, geschie- sich hier perfekt assimiliert. ren würde. Aber es ist ein Erfolg geworden, wir haben das den, zudem afroamerikani- Prinz Philip zum Beispiel, seitdem jedes Jahr wieder gemacht. Viele ältere Leute fragen sche Vorfahren hat und dann geboren auf Korfu, Nach- schon, ob sie auch kommen können, obwohl sie erst in ein auch noch mit einem Teil komme eines hessischen Fürs - oder zwei Jahren 90 werden. Aber da ist die Stadtverwal- ihrer Familie verkracht ist, tenhauses, ist längst ebenso tung streng. Eingeladen wird nur, wer den 90. Geburtstag hat dazu geführt, dass sie in britisch wie die Queen. RED hinter sich hat – oder am Tag der Party 90 wird. Das hatten den Medien als wir auch schon einmal, die Frau hat dann hier ihren Geburts- Gegenfigur zu tag groß gefeiert. ihrer künftigen So eine Ü-90-Party muss man natürlich anders organisie- Schwägerin Kate ren als eine Ü-30-Veranstaltung. In Bensheim leben 380 Bür- aufgebaut wird – ger, die mindestens 90 sind. Die werden angeschrieben. nicht nur wesent- 70 von ihnen haben dieses Jahr zugesagt. Eine Herausforde- lich modischer, rung ist schon der Fuhrpark, denn die meisten kommen mit sondern aufgrund einer Gehhilfe, einem Rollator oder im Rollstuhl. Da sind die der gebrochenen Flure schnell zugeparkt. Biografie auch Während der Party gibt es Livemusik. In diesem Jahr hat- viel zeitgemäßer ten wir die ›Sorgenbrecher‹, das sind zwei auch schon etwas als die allzu nobel betagtere Herren mit Akkordeon und Saxofon. Die machen wirkende Herzo- ordentlich Stimmung mit Hits aus den Vierziger-, Fünfziger- gin von Cam- und Sechzigerjahren. Da wird geklatscht und geschunkelt. bridge. Der Boule- Bei Volksliedern wie ›Ein Jäger aus Kurpfalz‹ oder dem Udo- vard ist eben ver- Jürgens-Schlager ›Aber bitte mit Sahne‹ grölen die Party - gesslich: Als Kate gäste mit. Erstaunlich, wie textsicher die sind. Getanzt wird Middleton, wie nicht so viel, die meisten sind gesundheitlich dazu leider sie damals noch nicht mehr in der Lage. Aber manche stehen auf und bewe - ganz bürgerlich gen sich zur Musik. Andere bleiben sitzen und freuen sich hieß, 2011 Prinz über den Kuchen und die Erdbeerbowle. Vor allem die William heiratete, Bowle mit Alkohol ist immer schnell weg. Aber es geht trotz- machte man sich dem gesittet zu bei den Partys. Die Gäste sind ja schon alle

in der britischen / REX SHUTTERSTOCK TIM ROOKE erwachsen.« Aufgezeichnet von Matthias Bartsch

135 »Auf die gegenwärtige US-Regierung ist kein Verlass mehr. Wenn die Stimme der Aufklärung und der Freiheit weiter Gewicht haben soll, ist eine starke und einige EU alternativlos.«

Dr. Walter Dallacker, Wolfenbüttel (Niedersachsen)

Ein Riss durch die Welt Unterwerfung unter ein Weltbild, das in Netanyahu einen Gefallen tun wollte, zu Ihren Artikeln zu Recht bloßgestellt wird! dem ja über Familie Kushner Beziehungen Nr.20/2018 Wie Trump die Welt gefähr- Monika Braun, Köln licher macht und die Europäer demütigt bestehen, genau wie mit der Aufwertung Jerusalems? Zumal das zu seiner Zwangs- Dem Stinkefinger Trumps muss die Win- Europa macht in dieser Zeit einen wirklich störung passt, alles, was Obama an Posi - kehand Europas entgegengehalten werden. rat- und zahnlosen Eindruck. Großbritan- tivem hinterlassen hat, zu zerstören. Europa verabschiedet sich vom »großen nien steigt aus, und Deutschland schafft es Joachim Mandrysch, Bensheim (Hessen) Bruder«, wird selbstständig und endlich nicht, seine im Prinzip vorhandenen Pfer- erwachsen. Ade, Amerika! destärken politisch auf die Straße zu brin- Trump ist nur auf Zerstörung ausgerichtet, Harald Dupont, Ettringen (Rhld.-Pf.) gen. Deutschland macht in alter Manier auf Unterwerfung. Und Europa starrt auf Politik mit dem erhobenen moralischen die rücksichtslosen Alleingänge und hofft, Am 12. Juni wird wohl erstmals ein Gipfel- Zeigefinger, ist großartig im Beschreiben mit Gesprächen eine Umkehr zu erreichen. treffen zwischen Donald Trump und Kim der vielen Probleme auf dieser Welt, hat Wollen die Politiker nicht sehen, dass der Jong Un in Singapur stattfinden. Allein des- aber selbst – außer der traditionellen beratungsresistente Herr daran gar nicht halb wäre für mich folgendes Titelbild pas- Scheckbuchdiplomatie – keinen Beitrag interessiert ist? Entwickelt endlich selbst sender gewesen: nicht Mittelfinger von, zur Lösung. Immer, wenn es in der Welt- Pläne, um mit einer eigenen selbstständi- sondern Daumen hoch für Trump. politik eng wird, erwartet man vom trans- gen, vor allem geschlossenen Politik dage- Arnd Deterding, Hamburg atlantischen Partner eine Reaktion, auch genzuwirken. Europa, werde erwachsen! militärischer Art, um sie dann, wenn sie Mertje Petersen, Minden (NRW) Der Riss verläuft nicht primär zwischen erfolgt ist, wieder vehement zu kritisieren. Europa und den USA, sondern quer durch So kann das Verhältnis zwischen Europa Wir passen perfekt zusammen fast alle Länder der westlichen Welt. Auch und den USA nicht mehr funktionieren. Nr.19/2018 Die Deutschen streiten, wie sie Dr. Hubert Hofmann, Immenstaad (Bad.-Württ.) in Europa drücken diejenigen Trump die mit Russlands Putin umgehen sollen Daumen, die seine Rücksichtslosigkeit als Stärke preisen. Seine rigorosen Entschei- Deutschland und Russland passen perfekt dungen gegen alle Spielregeln sollen seine zusammen mit unserer gemeinsamen Kul- politischen Gegner bewusst brüskieren und tur und der sich ergänzenden Wirtschaft. schwächlich erscheinen lassen. Er baut da- Durch unsere fatale Abhängigkeit von den bei auf »lieb gewonnene« Abhängigkeiten USA und die gnadenlose Korruption und und Verlustängste der Europäer. Nur wenn Unterdrückung in Russland kann diese ihm Europa wirklich konsequent den Rü- Chance bisher leider nicht genutzt werden. cken zuwendet und ihm dadurch von sei- Dr. Frank Leschhorn, München ner Bedeutung nimmt, wird sein destruk -

tives Handeln in den USA mittelfristig zum MAJID / GETTY SAEEDI IMAGES Das »wahre Russland« ist das Land Pusch- Scheitern (durch Isolation) führen. Anti-Trump-Protest in Teheran kins, Lermontows, Dostojewskis, das Winfried Burger, Ebensfeld (Bayern) Land der großen Komponisten und Musi- Cool down, SPIEGEL! Trump führt doch ker von Glinka bis Schostakowitsch, das Vielen Dank für den wichtigen Artikel. nur sein angekündigtes Programm aus; Land großer Malerinnen und Maler, be- Trump und sein Umfeld agieren derzeit Kündigung des Pariser Klimaschutzabkom- deutender Regisseure, Tänzerinnen und wie die Kriegsherren im europäischen mens, Kündigung des TTP, Immigrations- Tänzer. Dieses »wahre Russland« ist nicht Mittelalter. Staatenbündnisse und Interes- einschränkung, Erhebung von Importzöl- das Land Putins. Wir Deutschen sollten senausgleiche zum Erhalt des Friedens len, Ausstieg aus dem Atomabkommen mit uns nicht als willfährige »Putin-Versteher« sind für sie hinderlich, wenn es gilt, gute Iran, US-Botschaft in Jerusalem. Die USA politisch verkaufen und moralisch prosti- Gelegenheiten für Drohungen gleichgültig befinden sich jetzt auf Kollisionskurs mit tuieren. Wir sollten vielmehr die vom gegen wen durchzudrücken, um eigene Europa. Kim Jong Un hat uns gezeigt, wie Kreml drangsalierte und kriminalisierte Vorteile zu gewinnen. So kann man Ge- man auf Trump reagieren soll, Paroli bieten russische Zivilgesellschaft unterstützen. schichte auch »nutzen«. und aus einer Position der Stärke Trump Prof. Dr. Dietrich Wörn, Tübingen Dr. Lotte Herkommer, Ronnenberg (Nieders.) zu einem Treffen einladen. Und das scheint zu funktionieren. Wie reagieren unsere Eindämmung und Entspannung muss die Liebe SPIEGEL-Journalisten, aber auch wichtigsten europäischen Regierungschefs? Devise lauten! Nach allen Provokationen alle anderen seriösen Kollegen der Zunft: Sie fliegen nach Washington; Macron spielt und Blockaden Russlands sind klare Worte Bitte, bitte passen Sie Ihre Diktion nicht dort den Clown, und Merkel macht die von Heiko Maas voll berechtigt und ver- der platten Vorgabe an, die uns leider aus Raute. Na dann gute Nacht, Europa. ständlich. Appeasement wäre fehl am den USA entgegentwittert, und nennen Marcel Louis Bégoc, Ettlingen (Bad.-Württ.) Platz. Ebenso wichtig aber ist weiterhin Sie ein Abkommen weiterhin ein Abkom- der Versuch, mit Moskau als weltpoliti- men und nicht einen Deal. So beginnt näm- Könnte es sein, dass Trump mit dem Aus- schem Player in konstruktivem Gespräch lich durch die Hintertür die schleichende stieg aus dem Iran-Abkommen Herrn zu bleiben. Kuba 1962 darf sich nie wieder-

136 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Briefe holen. Hart in der Sache (inklusive Beibe- Schülern. Für mich sind das Signale für ren, von ihrem bisherigen Tun abzulassen. haltung der Sanktionen bei unveränderter eine Verrohung der Gesellschaft, die nicht Was den politischen Islam betrifft, ist zu Lage), aber etwas milder im Ton – allein verharmlost werden sollten. bedauern, dass der SPIEGEL nicht nach- mit dieser Strategie kann der Westen seine Dr. Brigitte Halewitsch, Köln hakte, als Herr Wali die kriegerische und Glaubwürdigkeit behalten und stärken. zerstörerische Rolle des von Saudi-Ara- Dr. Hartmut Velbinger, Stuttgart Ein gut recherchierter Artikel, doch wie bien ausgehenden Wahhabismus und der geschrieben: Liefert die Polizeistatistik ein westlichen Verbündeten dieses Terror - realistisches Bild der Sicherheitslage? Bei staates ansprach. Dazu sollten Sie mit der gefühlten Gefahr spielt auch die Frage Herrn Wali ein eigenes Interview führen. von de Maizière nach der Verrohung der Der Mann kann als »ungläubiger« Araber Gesellschaft eine Rolle. Als Ärztin möchte dazu viel Aufklärisches leisten. ich nur auf die Meldung des Verbandes Dr. Dieter Weber, Oy-Mittelberg (Bayern) der niedergelassenen Ärzte hinweisen: Jeder vierte Arzt war schon einmal Opfer Buch der Täter

MARKUS SCHREIBER / AP MARKUS von Gewalt durch Patienten. Mancher Nr.19/2018 Gegenspieler Putin, Merkel »German Angst« – Nachtdienst kann nur mit der Polizei wie das Inferno des Dreißigjährigen bewältigt werden. Werden darüber Statis- Krieges die Deutschen prägte Vielen Dank für diese objektive Darstellung tiken geführt? Allseits bekannt ist die des Verhältnisses von Russen und Deut- Behinderung und Beschimpfung von Ret- Ich glaube, dass dieser fürchterliche Krieg schen. Hier zeigt sich erneut der »neue« tungssanitätern. Bekannt ist auch die Be- doch nicht ganz aus dem Volksbewusstsein SPIEGEL, wie ich ihn mir wünsche. Seit drohung von Lehrern. Bei der Prävention verschwunden ist. Meine Großmutter – 2004 haben meine Frau und ich dreimal in ist Bildung wichtig, ja, aber sollte die Er- ich bin 75 Jahre alt – hat mir in meiner mehrmonatigen, selbst organisierten Wohn- ziehung der Kinder gleich welcher kultu- Kindheit folgenden Spruch beigebracht: mobilreisen alle Regionen der ehemaligen rellen Herkunft nicht auch Respekt vor be- »Bet, Kind, bet/morgen kommt der Sowjetunion kennengelernt. Da wir recht rechtigten Autoritäten beinhalten? Nicht Schwed’/morgen kommt der Ochsen- brauchbar Russisch sprechen, kamen wir zu vergessen, dass wir ob unserer guten stern/der wird dich das beten lehrn.« Mit immer wieder in engen Kontakt zur Bevöl- Sicherheitslage Ruheraum für die russi- Ochsenstern ist offensichtlich der schwe- kerung. Nirgendwo weltweit (gerade haben sche, italienische oder rumänische Mafia dische Reichskanzler Oxenstierna gemeint, wir eine Weltumrundung beendet) trafen sind. Auch das bekommen Ärzte mal zu der nach dem Tod König Gustav Adolfs wir herzlichere, liebenswertere und hilfs- spüren, wenn die Behandlung nicht gefällt. die politische Führung übernommen hatte. bereitere Menschen als die Russen. Und Sigrid Deussen, Bad Homburg (Hessen) Gerhard Webert, Fulda (Hessen) ja, wir gehören zu den Putin-Verstehern. Wie hätte er eine Nato-Ukraine, die sich Ich habe das Buch abzeichnete, zulassen können? Die Rüs- Die großartige Weltenuhr »Tyll« von Daniel tungsausgaben der USA betragen etwa das Nr. 19/2018 Arabischer Atheist trifft intellek- Kehlmann gelesen und Zehnfache derer Russlands. Um sie zu tuelle Christin: SPIEGEL-Gespräch mit bin somit Herrn Klein- rechtfertigen, braucht es natürlich einen Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali über hubbert sehr dankbar, das Kreuz und die Vollverschleierung Feind. Da kommt Putin gerade recht. dass er in seinem Arti- Hans Gerd Scholz, Delbrück (NRW) Ein multiperspektivischer Dialog auf ho- kel »Weltenbrand« hem Niveau. Weiter so, SPIEGEL! darauf hingewiesen

So läuft das Dr. Veit Gruner, Heidenheim (Bad.-Württ.) INGE PRADER hat, dass wir Men- Designer Joop schen üblicherweise Nr.19/2018 Übergriffe, Anzüglichkeiten, Machtmissbrauch: die Vorwürfe gegen den Frau Lewitscharoff stellt zu Recht fest: die Opfer vergessen WDR-Fernsehfilmchef Gebhard Henke »Das Nichts entzieht sich dem Vorstel- und verdrängen und den Tätern und Hen- lungsvermögen.« Schon die Antike hatte kern Denkmäler setzen. Das Buch der Die Führung des WDR hat offenbar kei- damit ihr Problem: »Ex nihilo nihil fit«. Geschichte ist eben ein Buch der Täter und nen Anstand und ist mit unqualifiziertem Unsere Denkkategorien kommen hier an nicht der Opfer. Es muss an unserer ak- Personal besetzt. Ob sie jetzt Henke, Buh- ihre Grenzen. Aber wer hat diese großar- tuellen Stimmung liegen, dass uns jetzt row, Schönenborn oder Hassel heißen, tige Weltenuhr aufgezogen? Wie kann aus doch – nach 400 Jahren – die frühneuzeit- man kennt sich, und man hilft sich. So läuft dem Nichts ein Etwas werden? Dies nie liche Geschichte so unheimlich aktuell das beim WDR in Köln. Eine Selbstreini- zu erfahren ist für mich als Agnostiker das erscheint. Das erste Kapitel im Buch »Tyll« gung findet nicht mehr statt, darum müsste existenzielle Ärgernis. beschreibt die plötzliche Auslöschung umgehend die gesamte Führungsspitze Klaus Döhmer, Bochum eines Dorfes. Angesichts der Toten und ausgetauscht werden. Das Ganze ist zu- Sterbenden, die unter religiösem Terror in dem ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Das ist das Beste, was ich seit langer Zeit letzter Minute beichten wollen, meint sein Klaus Uhlworm, Münchenstein (Schweiz) zum Thema Religion im SPIEGEL lesen Tyll: Hast Du Angst vor der Hölle, dann durfte. Beide Autoren sprechen so viele stirb einfach nicht. Selten oder nie spürte Realistisches Bild? Wahrheiten an, geben in ihrer Sachlichkeit ich beim Lesen eines Buches sowohl Span- so viel Stoff zum Nachdenken, dass man nung als auch einen beinahe physischen Nr.19/2018 Warum die deutsche Angst vor Gewaltkriminalität so übertrieben ist die selbst ernannten oder tatsächlichen Schmerz. politischen und religiösen Führer, Poten- Wolfgang Joop, Potsdam Bedroht fühle ich mich nicht, allerdings taten und Unruhe- und Kriegsstifter dieser deutlich beunruhigt durch Meldungen bei- Welt (ob im Orient oder Okzident) jeweils Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe spielsweise über eine erhebliche Zunahme auf einem Stuhl festbinden und ihnen die- ([email protected]) gekürzt von Angriffen auf Lehrer und Helfer wie ses Interview so lange vorlesen müsste, bis sowie digital zu veröffent lichen und unter Ärzte, Sanitäter, Sozialarbeiter, Polizisten sie bekennen, etwas von dessen Inhalt und www.spiegel.de zu archivieren. sowie über aggressives Mobbing unter Wesen verstanden zu haben, und schwö-

137 Hohlspiegel Rückspiegel

Zitate

Bild.de zum SPIEGEL-Bericht »Mutter NEU Teresa von der Weser« (Nr. 20/2018): im Handel Der Skandal um nicht geprüfte Asylbe- scheide zieht immer weitere Kreise. Nun hat der frühere Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Man- fred Schmidt, nach »Bild«-Informationen ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragt. Hintergrund ist offenbar der Skandal im Bremer Bamf, dessen Leiterin jahrelang Asylanträge ohne rechtmäßige Prüfung genehmigte. Schmidt war von 2010 bis 2015 Chef der Behörde. Obwohl Hinweis in der Backnanger Bucht es schon 2014 Hinweise auf Manipulatio- nen bei Asylverfahren durch die Chefin des Bremer Amtes, Ulrike B., gab, soll die Bildunterschrift in der »Heidenheimer Bamf-Zentrale, der Schmidt vorstand, Zeitung«: »Meghan und Harry nicht reagiert haben. Laut SPIEGEL hatte stehen für ein moderndes Königshaus.« der Leiter der Außenstellen Friedland und Oldenburg mehrere konkrete Fälle ent- deckt, in denen die Bremer Behörde un- rechtmäßig Asylanträge entschieden habe.

Michael Angele, Autor von »Schirrmacher«, einer Biografie Anzeige aus »Aktuell – Mitteilungsblatt des verstorbenen Herausgebers der Verbandsgemeinde Kirchen« der »Frankfurter Allgemeinen«, in der »Welt« über Inspiration durch den Bericht »Verstörung beim Frühstücksei« Auf Stuttgarter-Zeitung.de: »Er ist ( SPIEGEL reporter 12/1999): bekannt dafür, kein Wort vor den Mund zu nehmen: Karl Lagerfeld.« »Juhu, ich bin der Karlsson, der allerbeste Karlsson der Welt.« Es ist nicht mehr zwei- felsfrei zu rekonstruieren, wer Frank Schirrmacher auf den Spitznamen »Karls- son vom Dach« getauft hat. Vermutlich war es der Journalist Dirk Kurbjuweit, der seinem Sohn zufällig aus »Karlsson vom Aus der »Lebensmittel Zeitung« Dach« vorgelesen hatte, als er an einem Schirrmacher-Porträt arbeitete, das im De- zember 1999 im SPIEGEL reporter er- »Blickpunkt St. Wendel« über das Aufstel- schien. »Der ist doch wie Schirrmacher«, len eines Maibaums: »Im Innenhof dachte Kurbjuweit und schrieb es hin. schmückten viele lachende Kinderaugen mit ihren Eltern liebevoll den Baum.« Ehrung

Mit dem Titel »Gott, ach Gott, ach Gott! Kopftuch, Kreuz, Kippa« (Nr. 18/2018) gewinnt der SPIEGEL erneut den Zeitschrif- Aus der »Plauener Zeitung« tenwettbewerb »Cover des Monats«. Juror Andreas Pauli, Chief Creative Officer von Leo Burnett Deutsch- Von einer Vermittlungsseite für frei- land: »Der SPIEGEL hat- willige Arbeitseinsätze auf Bergbauern- te einen Lauf. Drei star- höfen in den Alpen: »Zur Alm gelangt ke Titelblätter hinter- man nach Zurücklegen eines 3-stündigen einander. Für mich das Fußmarsches. Der Helfer kann dann stärkste: Ach Gott! Die dort nächtigen und auch erst tags darauf Online bestellen unter: religiöse Zwickmühle zum Hof zurückkehren. Man muss amazon.de/spiegel simpel auf den Punkt sich dann auf der Alm selbst kochen.« gebracht.«

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