Nr. 21 / 19.5.2018 Deutschland €5,10 Slowakei € 6,60 Slowakei 185,- Kc Spanien € 6,50 Tschechien in Printed Slowenien € 6,30 Spanien/Kanaren Slowenien Ft 2350,- Ungarn € 6,70 Germany
Wie Verbrecher und Heilige eine Weltmacht schufen BeNeLux € 5,80 Finnland € 8,– NOK 82,– Griechenland € 7,– Norwegen ZL 32,– (ISSN00387452) Polen Dänemark dkr 53,– € 6,50 Frankreich Italien € 6,50 € 5,80 Österreich (cont) € 6,50,– Portugal Joschka Fischer zur globalen Krise Die neue Supermacht Trumps Affären »Können wir uns Chinas Griff nach der Eine kurze Begegnung selbst verteidigen? Nein.« deutschen Wirtschaft mit Stormy Daniels Junge Sterne glänzen dreifach: flexibel, verlässlich, überzeugend.
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Hausmitteilung Betr.: Titel, Missbrauch, Hochbegabte, SPIEGEL BIOGRAFIE
Das Pfingstwunder, glauben Christen, sei der Anfang der Kirche. In einer Geschichte voller Dramen und Verbrechen wurde dann aus einer Gruppe von Aposteln die Weltmacht Vatikan. Als Autor Clemens Höges und Rom-Korres- pondent Walter Mayr mit der Recherche be- gannen, sah es so aus, als könnte da ein Span- nungsverhältnis entstehen: Höges hält Götter für eine der gefährlichsten Erfindungen der Mayr, Papst Franziskus Menschheit. Mayr ist katholischer Kirchgänger, traf in den vergangenen Wochen Insider und sogar Papst Franziskus und dessen Vorgänger Benedikt XVI. Doch es ging ja nicht um Gott oder Glauben, sondern um eine zutiefst menschliche Organisation. Am Ende konnten sich die Autoren auf ein Fazit des Erzbischofs Georg Gänswein einigen: »In der Geschichte des Vatikan gibt es Großartiges und Erbärmliches, Heiliges und Unheiliges – und das alles unter dem einen Dach.« Seite 10
Auch im Buddhismus geschieht Unheiliges: Der Abt Thich Thien Son versprach in hessischen Klöstern über Jahre Erleuchtung – und soll unter diesem Vorwand Klos- terschüler sexuell belästigt haben. Ann-Katrin Müller und Anna Sawerthal redeten mit Betroffenen und mit Zeugen eines Gesprächs, bei dem der Abt Sexualkontakte eingeräumt haben soll. Alle Ermittlungen gegen ihn wurden allerdings eingestellt. Die Erinnerungen der Betroffenen seien nicht konkret genug und die Aussagen nicht konstant gewesen. Müller war verblüfft, dass die Betroffenen den Abt immer noch verteidigen: »Alle haben erst mal betont, was für ein talentierter Mann er sei und wie er ihnen geholfen habe; dabei hat er sie traumatisiert.« Seite 48
Journalisten sind es gewohnt, Fragen zu stellen. Aber die Kinder, mit denen Indien-Korresponden- tin Laura Höflinger im Schulbus mitfuhr, drehten den Spieß schnell um. Ist Deutschland eine par- lamentarische Demokratie? Müssen Juden dort noch immer Angst haben? Und ist Journalismus ein redlicher Beruf? Höflinger traf die 11- bis 14- Jährigen im indischen Gurugram. Dort sucht der Mensa-Verein, die Organisation für Hochbegabte,
nach versteckten Genies: solchen, die in bitterer / DER SPIEGEL FABIAN ENRICO Armut aufwachsen, aber einen IQ von 130 und Höflinger, Hochbegabte höher haben. Mensa schickt die Kinder auf eine Privatschule, wo sie gefördert werden. »Bildung verändert für diese Kinder alles«, sagt Höflinger, »nicht nur die Aussichten für das weitere Leben, sondern auch ihre Träume.« Seite 112
Er brachte es vom Hirtenjungen zum Friedensnobelpreisträ- ger, war Freiheitskämpfer, Kommunist, politischer Gefange- ner, schließlich Präsident Südafrikas: Vor 100 Jahren wurde SPIEGEL BIOGRAFIE LEXICON HARDSIDE Nelson Mandela geboren. zeichnet aus- GLOBAL CARRY-ON führlich die Lebensgeschichte Mandelas nach, aber auch die Schrecken des südafrikanischen Apartheidregimes – und den Köln | Zürich | Luzern Widerstand gegen Unterdrückung und Diskriminierung. His- torische Dokumente verbinden sich mit SPIEGEL-Geschich- SHOP ONLINE AT VICTORINOX.COM ten aus fünf Jahrzehnten sowie aktuellen Porträts und Re- portagen zu einem umfassenden Kompendium. SPIEGEL BIOGRAFIE »Nelson Mandela« erscheint am Mittwoch.
DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 3 ESTABLISHED 1884 Inhalt
72.Jahrgang | Heft 21 | 19.Mai 2018
Titel Kommentar Das neue bayer ische Polizeigesetz nutzt vor Vatikan Die Geschichte der allem Islamisten und der Kirche ist voller Sünden und AfD ...... 41 Verbrechen – kann Papst Franziskus zum Reformer Netzwerke Die Beziehung werden? ...... 10 zwischen FDP-Chef Christian Wim Wenders’ Dokumen tar - Lindner und einem Düssel - film über Papst Franziskus ist dorfer Unternehmer ...... 44 PR vom Feinsten ...... 19 Bundestag Viele Abgeordnete haben hohe Nebeneinkünfte 46 Deutschland Missbrauch Ein buddhistischer Leitartikel Wie Kanzlerin Abt soll Klosterschüler Merkel bei ihrem Besuch in in Hessen sexuell belästigt China auftreten sollte ...... 6 haben ...... 48
Meinung Der gesunde Menschenverstand / So Gesellschaft IBRAHEEM ABU MUSTAFA / REUTERS IBRAHEEM ABU MUSTAFA gesehen: Steinmeier royal . . . 8 Früher war alles schlechter: Armutsrisiko für Mieter steigt / Weltbrandstifter Trump Die Grundschulklassen werden Alliierte wussten vor BND kleiner / Gehören Panini- vom Kampfstoff Nowitschok / Der US-Präsident kündigt das Iran-Abkommen Sticker zu Deutschland? . . . . 52 Rückruf von 60 000 mani- und verlegt die Botschaft nach Jerusalem. In Gaza pulierten Porsche ...... 20 werden 60 Demonstranten erschossen, an einem Eine Meldung und ihre Geschichte Ein englischer Außenpolitik Wie Donald Tag. Und im Irak ist nach dem Wahltriumph eines Fußballverein steigt Trump einen Keil zwischen schiitischen Geistlichen unklar, wie es weitergeht. nach 145 Jahren zum ersten Berlin und Paris treibt ...... 24 »Draußen tobt ein Gewitter«, sagt Joschka Fischer Mal ab ...... 53 im SPIEGEL-Gespräch. Handle Europa nicht, Karrieren Mit dem Amerikaner Verführung Der unheimliche Richard Grenell erlebt »spielen wir keine Rolle mehr«. Seiten 24, 60, 84, 89 Erfolg der Deutschrock-Band Berlin einen Botschafter ganz Frei.Wild ...... 54 neuen Typs ...... 28 Zeremonien Wie eine israelische Affären Ein Flüchtling erzählt, Sängerin für die Eröffnung wie er dafür zahlte, in Bremen der Botschaft der Vereinigten schnell als Asyl bewerber Staaten in Jerusalem instru- anerkannt zu werden ...... 30 mentalisiert wurde ...... 60
Konservative Ausgerechnet Homestory Wenn politisch ein CSU-Mann will neuer korrekte Erziehungsmethoden Kommissionspräsident in scheitern ...... 63 Brüssel werden ...... 32
SPD Weil die Umfragewerte Wirtschaft sinken, beginnt in der Partei / GETTY IMAGES QILAI SHEN / BLOOMBERG eine Debatte über das Ende Flüchtlingspolitik kostet den der Großen Koalition ...... 34 In der Chinafalle Bund bis zum Jahr 2022 70 Milliarden Euro / Nation Was ein Auftritt mit dem Intelligente Maschinen, saubere Autos: Die IWF vor Ausstieg aus der türkischen Präsidenten über Volksrepublik wird zum globalen Hightech - Griechenlandhilfe ...... 66 die Fußballer Mesut Özil und giganten – und zum Konkurrenten für İlkay Gündoğan sagt – und die Globalisierung Deutschland Aufregung darum über alle die deutsche Wirtschaft. Die Bundesregierung braucht eine neue Strategie anderen Deutschen ...... 38 braucht eine Chinastrategie. Seite 68 für den Umgang mit China 68
4 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Handelskrieg SPIEGEL-Ge - Luftfahrt Die Wahrheit über spräch mit EU-Kommissarin den Geisterflug – was an Bord Cecilia Malmström über von MH370 geschah ...... 106 Trumps Drohungen ...... 76 Psychologie Warum wir essen, Analyse Die Aufregung um was wir essen – die erstaun- die neuen Datenschutzregeln lichen Entdeckungen eines ist entlarvend ...... 79 britischen Gastroforschers 110
Telekommunikation United- Bildung Die Wunderkinder Internet-Chef Ralph Dommer- aus den indischen Slums 112 muth kritisiert die Verzöge- rung bei der 5G-Auktion . . . 80 Kultur
Ausland Neuer »Star Wars«-Klon / Debatte um Beuys / Kolumne: ENRICO FABIAN / DER SPIEGEL FABIAN ENRICO Über den Weg der italienischen Zur Zeit ...... 116 Fünf-Sterne-Bewegung in die Regierung / Schweden Genies aus den Slums Teilhabe Wie selbstgerecht ist schützt sich gegen mögliche das Weltbild der Links- Wahlmanipulationen ...... 82 Intelligenzforscher fahnden in indischen Armuts- liberalen? Ein SPIEGEL- vierteln nach hochbegabten Mädchen Gespräch mit dem Philosophen Irak I Ein Entführer, ein Start- und Jungen. Dank spezieller Förderung sollen Michael Sandel ...... 118 up-Förderer – zwei Versionen der Zukunft von Bagdad . . . 84 die Wunderkinder später Mediziner, Autoren Junot Díaz – Literatur- Wissenschaftler oder Ingenieure werden. Seite 112 star im Zwielicht ...... 122 Irak II Wer ist der Wahlsieger Muqtada al-Sadr? ...... 86 Missbrauch Der Schriftsteller Christian Kracht offenbart Europa Ex-Bundesaußen - ein frühes Trauma ...... 124 minister Joschka Fischer im Flirt mit dem Bruch SPIEGEL-Gespräch über das Staatsministerinnen Kultur - drohende Ende des Westens 89 Schon nach wenigen Wochen in der Regierung politikerin Michelle Münte- wächst in der SPD der Frust über die Große Koali- fering über das Berliner Stadt- USA Eine Pornodarstellerin tion. Führende Genossen wollen die Gangart schloss und die Rückgabe wird zur größten Gefahr für von Raubgut ...... 125 Präsident Trump ...... 92 gegenüber der Union verschärfen – und drohen offen mit einem Aus von Schwarz-Rot. Seite 34 Helden Eine Verneigung vor dem verstorbenen Schrift - Sport steller Tom Wolfe ...... 126
Was der Videobeweis bringt / Rassismus Eine Dresdner Aus- Magische Momente: Ex- stellung untersucht die Nationaltorwart Uli Stein Geschichte einer Ideologie 128 über seinen DFB-Pokalsieg mit Eintracht Frankfurt . . . . . 95 Filmkritik Sandra Hüller im Supermarkt-Drama Karrieren SPIEGEL-Gespräch »In den Gängen« ...... 130 mit Ex-Rennfahrer Nico Rosberg und Ex-Eishockey- spieler Christian Ehrhoff über den schwierigen Abschied vom Profisport ...... 96
Bundesliga Ein Schiedsrichter wehrt sich gegen einen DFB- DÖRING / AGENTUR FOCUS DER SPIEGEL SVEN Gutachter ...... 100 Der Soundtrack zur AfD
Wissenschaft Die Südtiroler Rockgruppe Frei.Wild füllt die Bestseller ...... 121 großen Hallen Deutschlands, ihre Platten führen Impressum, Leserservice . . . 132 Onlinehandel mit Elfenbein / die Charts an. Die Texte sind mindestens rechts- Nachrufe ...... 133 Gefährlicher Mückenspeichel / Personalien ...... 134 Analyse: Wie brandgefährlich populistisch, manche behaupten: nationalistisch Briefe ...... 136 sind Elektroautos? ...... 104 und rassistisch. Woher kommt der Erfolg? Seite 54 Hohlspiegel / Rückspiegel . . 138
Titelbild: FILIPPO MONTEFORTE / AFP / Getty Images 5 Das deutsche Nachrichten-Magazin
Verhandeln mit dem Leviathan
Leitartikel Auf ihrer elften Chinareise hat die Bundeskanzlerin eine historische Mission.
m Frühjahr 1989, kurz bevor Angela Merkels politische Keines dieser drei Bilder ist falsch, doch sie allein beschrei- Laufbahn begann, schlug Chinas Führung den Aufstand ben die komplizierte Wirklichkeit nicht mehr. Pekings Wirt- I auf dem Platz des Himmlischen Friedens nieder. Von schafts- und Außenpolitik ist zu herrisch, als dass man sich ihr Ost-Berlin bis Ulan Bator stürzten die kommunistischen einfach fügen könnte. Chinas Ingenieure sind zu innovativ Regime, das »Ende der Geschichte«, der Triumph des demo- und seine Unternehmen zu erfolgreich, als dass ihnen allein kratischen Rechtsstaats schien sich abzuzeichnen. Wer hätte mit Handelsschranken beizukommen wäre. Und die chinesi- damals auf die Zukunft des chinesischen Regimes gewettet? sche Gesellschaft ist zu lebendig und dynamisch, als dass man Die Geschichte widersetzte sich. China hat sich zu einem sich von ihrem Regime abwenden sollte. China ist kein Alles- der wirtschaftlich stärksten und zugleich repressivsten Staa- oder-nichts-Staat und seine Führung kein guter Adressat für ten der Welt entwickelt. Jahrzehntelang war das Land ganz die reine Lehre der parlamentarischen Demokratie und der auf sich selbst und seinen Aufstieg konzentriert, nun aber Marktwirtschaft. In diesem einen Punkt hatten Chinarealis- drängt Peking »ins Zentrum des ten wie Henry Kissinger und Hel- Weltgeschehens«, wie Staatschef mut Schmidt recht. Mit radikalen Xi Jinping auf dem Parteitag im Ratschlägen ist Politikern im Um- Oktober sagte. Kein westlicher gang mit Peking nicht geholfen. Regierungschef hat diese Entwick- US-Präsident Donald Trump lung so lange und so aufmerksam hat sich entschieden, China wirt- verfolgt wie die deutsche Kanzle- schaftlich herauszufordern und rin, die selbst in einer Diktatur auf- gleichzeitig die Nähe seines auto- gewachsen ist. Kommende Woche ritären Herrschers zu suchen. Er bricht sie zu ihrer elften China- droht Peking mit einem Handels- reise auf. Sie wird Peking und die krieg und schmeichelt Xi Jinping südchinesische Hightech-Stadt zugleich, indem er ihn »König Shenzhen besuchen, deren Unter- von China« und sein Verhältnis nehmen sich bereits mit dem Sili- zu ihm »wundervoll« nennt. Mit con Valley messen. Menschenrechten, Meinungs- Im März wurde Xi Jinping zum und Pressefreiheit behelligt Herrscher auf Lebenszeit ernannt. Trump Xi nicht. Das ist für Ange- Wie soll die Kanzlerin diesem von la Merkel keine Option, weder Sendungsbewusstsein erfüllten politisch noch persönlich. Aber Mann gegenübertreten? Sein Land sie hat andere Möglichkeiten, ist seit zwei Jahren Deutschlands darunter die Anwendung eines größter Handelspartner, die Chine- Begriffs, auf den die Weltmacht
sen sind VIP-Kunden der deut- PLAMBECK / LAIF HANS CHRISTIAN China selbst gerade ihre neue schen Auto- und Maschinenbauer. Staatschef Xi, Kanzlerin Merkel Außenpolitik baut. Zugleich steuert Xi einen Levia- Die Kanzlerin sollte von Pe- than, einen krakenhaften, alles king verlangen, was Peking auch durchdringenden Staats apparat, dessen Tentakel sich bis für sich beansprucht: Deutschlands »Kerninteressen« anzu- in den Privatsektor erstrecken, der Milliarden in deutsche erkennen. Sie sollte für deutsche Unternehmen in China Unternehmen investiert. die gleichen Rechte fordern, die chinesische in Deutschland In Deutschland dominieren drei Bilder des modernen genießen; Peking muss zudem die Einheit Europas respek- China: Das eine ist der effiziente, tatkräftige Machtstaat, der tieren, sich also aus Sonderbündnissen zurückziehen, Deutschlands Wirtschaftsführern imponiert. Die »neue Sei- wie es sie mit osteuropäischen Staaten geschlossen hat; vor denstraße«, Pekings eurasisches Entwicklungsprogramm, sag- allem aber die individuellen Menschenrechte achten, als te Siemens-Chef Joe Kaeser, werde die Welthandelsorgani- deren letzte westliche Anwältin Merkel nach Peking reist. sation ablösen – »ob Ihnen das passt oder nicht«. Das zweite Gerade dazu besteht ein dringender Anlass, der direkt ist der technologische Aufsteiger, der die liberalen Regeln des ins Jahr 1989 und auf Merkels Anfänge zurückweist: Die Welthandels und die Größe seines eigenen Marktes nutzt, Dichterin Liu Xia, Witwe des Tiananmen-Aktivisten und um das Know-how westlicher Unternehmen abzugreifen. Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, steht seit Jahren un- Dem möchten Politiker in Berlin und Brüssel einen Riegel ter Hausarrest, obwohl sie nie ein Gesetz gebrochen hat. vorschieben. Das dritte ist die brutale Diktatur, die Minder- Liu Xia ist schwer krank und möchte nach Berlin ausreisen. heiten unterdrückt, die Presse zensiert und Bürgerrechtler Diesen Wunsch können ihr nur Xi Jinping und Angela einsperrt. Diesen Unrechtsstaat verachten viele Deutsche. Merkel erfüllen. Bernhard Zand
6 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 TISSOT chrono xl. MIT 45 MM GEHÄUSE.
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TISSOTWATCHES.COM TISSOT, INNOVATORS BY TRADITION So gesehen Meinung Hallo, Herr Kaiser! Markus Feldenkirchen Der gesunde Menschenverstand Royal Wedding? Nie bei uns. Die Merkel-Scholz-Partei Wir haben Steinmeier.
Bevor sich die SPD ein drit- sagt Scholz und klingt fast wie Kaiser G Armes Deutschland! Wenn am tes Mal in die Große Koa- Wilhelm II.: »Ich kenne keine Parteien Samstagabend der letzte Adelsexper- lition mit Merkel drängen mehr!« Scholz’ Regierungsmannschaft te seine Analyse des Hochzeitsklei- ließ, erklärte jeder Spit- folgt derweil brav der Devise: Lieber des von Meghan Markle abgeschlos- zengenosse, dass ein sol- Ruhe als Ärger. Egal ob bei der Zukunft sen hat, wenn der Gesichtsausdruck ches Bündnis der Demokra- der EU, der Reform von Hartz IV, der Queen im Moment der Vermäh- tie schade. Die ersten zwei dem Streit um die Abtreibung oder lung ihres Enkels Harry vom letzten Bündnisse mit der Union hatten ja dem Familiennachzug von Flüchtlin- Sachverständigen final ausgedeutet gezeigt, dass beide Parteien darin ihr gen. Die Einzigen, denen Wiederer- ist, wenn schließlich das letzte Stück Profil verlieren. Am Ende wusste kennbarkeit noch ein Anliegen ist, sind nach Originalrezept gebackener kaum noch jemand, wofür sie stehen die Herren von der CSU und die Lin- Royal-Wedding-Torte vor dem Fern- und was sie unterscheidet. Es gehe ken in der SPD. sehgerät verspeist wurde, dann wird jetzt darum, österreichische Verhält- Das Duo Merkel/Scholz pflegt – es Zeit für den deutschen Hobby- nisse in Deutschland zu verhindern, anders als zur Zeit des Vizekanzlers monarchisten, den hierzulande ver- sagte Olaf Scholz nach der Bundestags- Sigmar Gabriel – sogar denselben Poli- gleichsweise matten Glanz an der wahl – im Wissen, dass eine ewige tikstil: Ihren Überschuss an Vorsicht Staatsspitze zu betrauern. Große Koalition die politischen Extre- kompensieren beide mit dem Verzicht me stärkt. Man ging dann doch wieder auf Leidenschaft, sie wirken distanziert eine ein. Nicht einfach so, nein, nein, und erklären sich eher ungern. Sie ver- diesmal, so hieß es, werde man alles bindet eine chronisch unterzuckerte anders machen: weniger kuscheln, Art des Politikmachens. Beide agieren, mehr streiten. Und die Eigenständig- als wären die Debatten des vergange- keit klar herausstellen. Also wirklich nen Jahres einfach an ihnen vorbeige- jetzt. Dann wurde Scholz Vizekanzler. laufen. Während die Kanzlerin nicht Nachdem Angela Merkel jahrelang mal ansatzweise erkennen lässt, dass an der Verschmelzung von CDU und ihr die Kritik an ihrem positionsarmen, SPD gearbeitet hatte, bekam sie mit bestenfalls reaktiven Regierungsstil zu Scholz nun einen emsigen Partner. denken gibt, fungiert Scholz eher als Dank seiner konservativen Haushalts- Merkels Buchhalter denn als Gegenent- Hätte doch nur der deutsche Kai- politik ist ihm die Wolfgang-Schäuble- wurf zu ihr. Verglichen mit Kanzlerin ser Wilhelm II. nicht 1918 abdanken Gedächtnismedaille schon jetzt nicht und Vizekanzler dürfte es den Kessler- müssen! Dann wäre heute wohl mehr zu nehmen. Für Scholz gibt es Zwillingen jedenfalls leichtgefallen Georg Friedrich Prinz von Preußen keine rechten und linken Politikentwür- sein, ihre Unterschiede zu erklären. unser Staatsoberhaupt, ein properer fe mehr, sondern nur solide und un - Betriebswirt und Major der Reserve solide. »Ein deutscher Finanzminister An dieser Stelle schreiben Jakob Augstein, Jan aus Potsdam. Das ewige Konzept - bleibt ein deutscher Finanzminister«, Fleisch hauer und Markus Feldenkirchen im Wechsel. geschacher um die Verwendung des Berliner Stadtschlosses bliebe uns erspart: Hier wohnt der Kaiser, keine Kittihawk Diskussion. Donald Trump würde gern zu Besuch kommen, er könnte mit einer goldenen Kutsche durch die Gegend fahren, wäre schwer beeindruckt und danach gewiss zu weitreichenden Zugeständnissen aller Art bereit. Aber nichts da, wir haben eine Republik und Frank-Wal- ter Steinmeier als Staatsoberhaupt. Von einer baldigen Großhochzeit sei- ner Tochter Merit ist nichts bekannt, keine Liaison mit einem TV-Star, nicht einmal kleinere Skandale sind überliefert. Aufregendste Anekdote: Man baute einmal gemeinsam bis zwei Uhr früh Ikea-Regale auf. So gesehen: glückliches Deutschland. Stefan Kuzmany
8 DER SPIEGEL Nr. 21 /19. 5. 2018 Der neue Ford Mustang
Einfach mal machen. Der neue Ford Mustang ist authentisch und souverän. Mit anderen Worten: Gönnen Sie sich markantes Design und 331 kW (450 PS) Leistung mit cleveren Extras, wie dem adaptiven MagneRideTM-Fahrwerk, dem neuen 10-Gang-Auto- matikgetriebe und zahlreichen Sicherheits- und Assistenzsystemen.
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Kraftstoffverbrauch (in l/100 km nach § 2 Nrn. 5, 6, 6a Pkw-EnVKV in der jeweils gel- tenden Fassung): 19,0–16,6 (innerorts), 8,8–8,2 (außerorts), 12,4–12,1 (kombiniert).
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Vatikan Nach dem Pfingstwunder zogen die Apostel in alle Welt – die Kirche entstand. In Jahrhunderten voller Sünden und Verbrechen wurde sie zur Weltmacht. Jetzt versucht Papst Franziskus, die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben.
10 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 ie Quelle der Macht, der Mittel- punkt eines Weltreiches, in dem D die Sonne nie untergeht – ist nur eine kleine Nische in einer Wand unter der Erde. Direkt daneben wurden einst ein paar Knochen und Goldfäden ge- funden. Und deren Geschichte ist ebenso geheimnisvoll, so grausam und umstritten wie vieles, was die Herrscher dieses Rei- ches in den vergangenen fast 1700 Jahren taten. Die Geschichte geht so: Nach der Auf- erstehung Jesu soll Petrus und den ande- ren Jüngern der Heilige Geist erschienen sein, und plötzlich konnten sie in vielen Sprachen reden. Das ist das Pfingstwun- der – und die Jünger verstanden es offen- bar als Auftrag, sich zu organisieren, in die Welt hinauszuziehen und den Menschen ihren Glauben zu predigen. Deshalb gilt Pfingsten, 50 Tage nach Ostern, den Chris- ten als der Moment, in dem die Gruppe der Apostel zum Kern einer Kirche wurde. Den Oberapostel Petrus soll es auf sei- nen Wanderungen nach Rom verschlagen haben. Dort hatten die Kaiser Caligula und Nero im Feuchtgebiet Ager Vaticanus eine Kampfarena gebaut. Und im Jahr 64 wur- den in diesem Zirkus Anhänger der neuen Christensekte massakriert. Einer davon soll Petrus gewesen sein. Neros Schergen warfen die Leichen von Hingerichteten meist in den Tiber. Doch den toten Petrus sollen ein paar Freunde im Schutz der Nacht in ein Tuch gewickelt und in die Via Cornelia am Vatikanhügel geschleppt haben. Kleine Mausoleen säumten die Straße, und nahebei sollen die Männer den Apostel beerdigt haben. Viele Jahrhunderte später, um 1939, wollte Papst Pius XII. die Grotten unter dem Petersdom renovieren lassen. Dabei stießen Archäologen auf die Reste der alten Petersbasilika, die Kaiser Konstantin ungefähr ab dem Jahr 326 hatte bauen lassen. Sie erkannten, dass die Arbeiter des Kai- sers mit gewaltigem Aufwand manche Mausoleen abrasiert und andere Stellen mit Schutt aufgefüllt hatten, um eine ebene Fläche für die Basilika zu schaffen. Dabei gab es einen besseren Bauplatz nur wenige Schritte weiter. Aber unter dem Altar der alten Basilika und des Petersdoms stießen die Archäologen auf ein paar Knochen. Sie stammten von zwei Männern und einer Frau. Und von einem Hahn, einem Schwein und einem Pferd. Noch einmal Jahrzehnte später fand eine Wissenschaftlerin eine Kiste mit Kno- chen, die ein Vorarbeiter damals in einer von zwei Nischen entdeckt und beiseite- geräumt hatte. Es waren die Knochen ei- ner Maus – und die eines Mannes, der zwi- schen 60 und 70 Jahren alt gewesen sein Petersdom dürfte und im ersten Jahrhundert gestor-
DPA ben war. Dabei lagen Reste eines Purpur-
11 Titel tuchs, von Goldfäden durchzogen. Im Juni der Vergangenheit noch da. Es sind die Ge- der Händedruck ist allerdings schwächer 1968 verkündete Papst Paul VI., diese Kno- spenster von Tätern wie Hitler und Mus- geworden. Der einst kräftige Mann wirkt chen seien die von Petrus. solini, die der Vatikan stützte – und von nun federleicht, durchsichtig beinahe. Zwar bezweifeln manche Historiker, Opfern wie all den Sklaven, deren Leiden Ganz anders Franziskus, 81, inzwi- dass der überhaupt in Rom war. Doch die die Päpste guthießen. schen fünf Jahre im Amt. Wenn er einem mutmaßlichen Petrus-Knochen sind wich- Der jetzige Papst Franziskus ist an- die Hand schüttelt, denkt man, die Finger tig für den Vatikan. Sie sollen die Macht getreten, die Gespenster der Vergangen- wären in einen Schraubstock geraten. Sei- der Päpste stützen, denn schon immer heit zu vertreiben, indem er die Kirche ne Augen fixieren das Gegenüber mit fröh- hatten die Bischöfe von Rom den An- in die Moderne führt. Er will sie de- licher Neugier. Der Mann denkt und spruch, sie allein seien die Nachfolger Petri zentralisieren, die Macht des Apparats spricht direkt, bildhaft. Und besonders und somit die Oberhirten einer Glau - beschränken, die Rolle der Frauen auf- gern vom Teufel. Für den Argentinier bensgemeinschaft von rund 1,3 Milliarden werten. Die Kirche müsse für die Um- steckt der Teufel hinter allem Bösen, er Menschen. welt kämpfen und für die Armen. Der treibe Kinderschänder oder Mörder an – Dass alle Fäden der Macht in Rom zu- Kapitalismus sei »in der Wurzel un- und auch jene im Vatikan, die Reformen sammenlaufen, ist einer der Geburtsfehler gerecht«. verhindern wollen. des Vatikan. Er erklärt den Auf- Satan sei »keine diffuse Sa- stieg des Christentums zur Welt- che, sondern eine Person«, sagt religion – aber auch die vielen Franziskus: »Mit uns Priestern, Verbrechen der Geschichte. Bischöfen ist er wohlerzogen. Denn es entstand eine geistliche Dann aber geht es übel aus, Diktatur: schlagkräftig, skrupel- wenn du es nicht rechtzeitig los, erfolgreich, ein Herrschafts- merkst.« apparat, der seit Jahrhunderten Um zu verstehen, welche funktioniert. Der begründet wur- Macht der Teufel im Vatikan hat, de in der Zeit der Kaiser und Kö- muss man in die Anfangsjahre nige, der Tyrannen und Eroberer. des Christentums zurückkehren. Und der auch heute noch immer Tausend Jahre Finsternis nach uralten Regeln funktioniert. Dieser Apparat hat wenig ge- In den ersten rund 300 Jahren mein mit dem Kern der christ- ihrer Geschichte waren die lichen Lehre. Eher ist er eine Christen die Verfolgten: Sie leb- furchtbar menschliche Organi- ten ihren Glauben im Verborge- sation, Zentrale einer schwer zu nen; viele starben wie Petrus, fassenden Weltmacht, verschlos- sie wurden verbrannt, gekreu- sen und geheimnisvoll. Der Va- zigt, in der Arena von Raubtie- tikan hat Sünden und Verbre- ren zerrissen. Allein 32 Päpste chen begangen, er hat Hundert- endeten als Märtyrer. Doch kurz tausenden Menschen den Tod nachdem Roms Kaiser Konstan- gebracht. Er hat andere Kirchen tin den Christen Glaubensfrei- vernichtet, Kriege angezettelt, heit eingeräumt hatte, änderte Völker mit unterworfen. sich das Bild radikal. Der Chris- Und in den vergangenen Jah- tusglaube wurde schnell die ein- ren flogen gleich mehrere Skan- flussreichste Religion im Römi- dale auf. Es geht um Korruption schen Reich. Und schon um das und schwarze Kassen, die Vati- Jahr 500 behauptete Papst Ge- kanbank hat mit der Mafia ko- lasius I., die geistliche Macht sei
operiert, geheimnisvolle Morde / DEMOTIX GIUSEPPE CICCIA der weltlichen übergeordnet. konnten nie aufgeklärt werden. Papst Franziskus im Vatikan 2015: »Satan ist eine Person« Aus den Gejagten wurden zu- Kinder und Jugendliche wurden gleich Jäger, aus Opfern Täter. missbraucht, der Apparat der Jesus hatte Sanftmut gepredigt, Kirche versagte bei der Aufklärung. Und Das Ringen um die Zukunft wird da- aber unter den Augen der ersten Päpste die Frage ist, ob dieses System überlebens- durch symbolisiert, dass nun zum ersten entwickelten sich seine Anhänger zu Ter- fähig ist. Oder ob es sich reformieren muss – Mal in der Geschichte zwei Päpste im Va- roristen. und wenn ja, ob es das überhaupt kann. tikan leben, die unterschiedlicher kaum Die britische Altertumswissenschaftle- Als die Alliierten im Herbst 1944 Rom sein könnten: der Deutsche und der Ar- rin Catherine Nixey hat Mitte September eingenommen hatten, betrat der britische gentinier, Benedikt XVI. und sein Nach- unter dem Titel »Das Zeitalter der aufzie- Hochkommissar Harold Macmillan den folger Franziskus. Der eine in Fragen der henden Dunkelheit« eine Untersuchung Vatikan. Er beschrieb »ein Gefühl der Zeit- Doktrin erzkonservativ, der andere eher über den Machtrausch der ersten Gottes- losigkeit – Zeit bedeutet hier nichts, Jahr- reformfreudig. krieger vorgelegt. Die Autorin räumt mit hunderte kommen und gehen, doch hier Der 264. Nachfolger des Apostels Pe- der Vorstellung auf, die frühen Christen lebt man in einer vierten Dimension. Und trus, bürgerlich Joseph Ratzinger, ist mitt- hätten die Menschen nur mit der Kraft im Zentrum von alldem, hinter dem Pomp lerweile 91. Auf dem Weg zur Morgen - ihrer Worte auf ihre Seite gezogen. Sie der Jahrhunderte – sitzt der kleine heilig- andacht hat er Mühe, mit seinem Rollator seien vielmehr Barbaren gewesen und hät- mäßige Mann, eine bemitleidenswerte und über die einen Zentimeter hohe Schwelle ten Hochkulturen zerstört. Wenn Christen zugleich beeindruckende Gestalt«. der Hauskapelle zu kommen. Aber noch kamen, mussten Priester anderer Reli- Und weil die Zeit im Vatikan scheinbar trägt der zurückgetretene Pontifex das gionen »schweigen oder sterben«, zitiert nicht vergeht, sind auch die Gespenster päpstliche Wappen auf dem Messgewand, Nixey ein historisches Dokument.
12 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Sie beschreibt, wie christliche Horden richteten ein furchtbares Blutbad an, aus rief Innozenz zum Kreuzzug auf und ver- über die Stadt Palmyra im heutigen Syrien der Stadt dreier Religionen wurde ein sprach den Rittern Seelenheil und die herfielen. Die »bärtigen, schwarz geklei- christliches Königreich. Ländereien jener, die nichts gegen die deten Eiferer« kamen mit »Stöcken und Doch der übelste Kreuzzug dieser Katharer unternahmen. Unter Führung Steinen und eisernen Stäben«, so ein his- Zeit richtete sich nicht gegen Muslime, des nordfranzösischen Adligen Simon de torisches Zeugnis. Sie zerstörten Statuen sondern gegen andere Christen. In Süd- Montfort setzte sich daraufhin ein Heer von Gottheiten, die ihnen nicht passten – frankreich hatten sich die Katharer (»die beutegieriger Ritter in Bewegung. Eines ähnlich wie Jahrhunderte später die Krie- Reinen«) ausgebreitet. Ihre Priester und ihrer ersten Ziele war die Stadt Béziers. ger des »Islamischen Staats«, ebenfalls in Priesterinnen verabscheuten den Reich- Aber die Katharer waren tolerant, des- Palmyra. tum der katholischen Kirche, die Pras- halb lebten sie in Béziers friedlich mit Ka- In Alexandria zerstückelte ein christ- serei, den Prunk. Sie lebten wie Jesus: tholiken und Juden zusammen. Der Le- licher Mob die Mathematikerin und Arm, ohne jeden Besitz zogen sie übers gende nach wurde ein Vertreter des Paps- Astronomin Hypatia, die mit mathema- Land. Sie bauten auch keine Kirchen, tes vor dem Sturm auf die Stadt deshalb tischen Formeln und astronomischen sie predigten im Freien oder in Privat- gefragt, wie denn Ketzer von treuen Ka- Instrumenten hantiert hatte – die frühen häusern. tholiken zu unterscheiden seien. Er soll ge- Christen sahen darin Werkzeuge antwortet haben: »Tötet sie alle. des Satans. Gott wird die Seinen erkennen.« Die Fanatiker des neuen Glau- Und so geschah es. Das päpst- bens attackierten die vielschich- liche Heer schlachtete Männer, tige Welt der Antike und nisteten Frauen und Kinder ab. Ein Chro- sich in deren Tempeln ein. Und nist berichtete, allein in einer sie brachten die Finsternis des Kirche seien 7000 Menschen Mittelalters über Europa. Gelehr- massakriert worden. Die Zahl samkeit wurde bald fast nur noch war sicher zu hoch gegriffen, hinter Klostermauern geduldet – aber nach heutigen Schätzun- soweit die Kirche das zuließ. Da- gen ermordeten die Vatikankrie- mals, so Nixey, »wurden die geis - ger in Béziers insgesamt etwa tigen Grundlagen für tausend 20000 Katharer, Katholiken Jahre Unterdrückung durch eine und Juden in wenigen Stunden. religiöse Macht gelegt«. Béziers war nur der Anfang. Simon de Montfort erwies sich Die letzte Festung als effizienter Anführer, erst ein Es kann nur einen geben. Dieser Jahrzehnt später tötete ihn ein Grundgedanke kann monotheis- Stein aus einem Katapult. »So tische Religionen intolerant und also starb der, der den Schrecken gefährlich werden lassen. Wo es des Krieges vom Mittelmeer bis nur einen Gott geben darf, sind an die Nordsee gesät hat, durch Andersgläubige fast zwangsläufig einen einzigen Stein«, schrieb Ungläubige. So schafft der Glau- der Chronist Wilhelm von Puy- be immer den Gegensatz: die und laurens, selbst Katholik. wir. Und aus dem Gegensatz wird Der Vatikan ließ sich vom Tod oft Hass: die oder wir. seines Handlangers, der so viele Dieser Hass lässt sich ausnut- Christen auf dem Gewissen hat- zen: Im 11. Jahrhundert war der te, nicht beirren. Die Häresie Vatikan in Not, seine geistliche sollte um jeden Preis ausgerottet Autorität schwand nach Jahren werden. Es wurde ein langer
von Nepotismus, Gier und Un- IMAGES / MAURITIUS PHOTONONSTOP Krieg. Am Ende hatte sich der zucht. Katharer-Zuflucht Montségur: »Tötet sie alle« Kern der Katharer in die letzte Papst Urban II. kam auf eine Festung zurückgezogen, die grausam-geniale Idee, auch um nahezu uneinnehmbare Burg von alldem unchristlichen Treiben abzu- Ihre Religion unterschied sich in einem Montségur, hoch oben auf einem Berg am lenken. Nachdem Glaubensbrüder aus By- Punkt besonders von den Dogmen der ka- Rand der Pyrenäen. Den ganzen Sommer zanz um Hilfe gebeten hatten, rief er am tholischen Kirche: Sie glaubten an Gott im über im Jahr 1243 belagerten die Kreuz- 27. November 1095 die Ritter der Chris- Himmel – aber die Erde mit all ihren ritter Montségur. Erst am 16. März 1244 tenheit zum ersten Kreuzzug auf: Sie soll- Übeln, Sünden, mit Not und Kriegen, Gier gaben die letzten Katharer auf. Aber sie ten Jerusalem von den Muslimen befreien. und Krankheiten habe nicht Gott erschaf- weigerten sich, ihrem Glauben abzuschwö- Ein Angriffskrieg, doch das störte den fen, sondern Satan. Das Problem dabei: ren. Die rund 200 Prediger und Predige- Herrn im Vatikan nicht: »Mögen jene, die Damit galt den Katharern auch der Vati- rinnen stiegen lieber auf einen Scheiter- gegen Brüder und Verwandte kämpften, kan als eine Kreation Satans. haufen am Fuße des Berges. nunmehr mit gutem Recht gegen Barba- 1207 forderte Papst Innozenz III. den Verteidiger der Kirche argumentieren, ren streiten.« Es wurde der erste »heilige französischen König auf, die Katharer Päpste, Kardinäle und ihre Untertanen Krieg«, und er sollte die weltliche Macht niederzumachen, damit »die Anhänger seien immer nur Menschen ihrer Zeit ge- der Päpste zementieren. der verruchten Häresie unter dem Zwang wesen. Wer sie nach moralischen Maß- Im folgenden Jahr setzten sich wohl der königlichen Gewalt und unter den Lei- stäben der Neuzeit verurteile, denke 50000 Männer in Marsch; schon auf dem den des Krieges ihren wahren Glauben ahistorisch. Das stimmt vielleicht, aller- langen Weg plünderten und mordeten sie. wiederfinden«. Wenig später, nach dem dings baut der Vatikan seine Macht auf Im Juli 1099 eroberten sie Jerusalem und Mord an einem päpstlichen Abgesandten, dem Anspruch auf, der Papst sei der Stell-
13 Titel
Weltmacht Vatikan Ansicht der Città del Vaticano Der Vatikan ist mit weniger als einem halben Quadratkilometer Fläche und rund 1000 Ein- wohnern der kleinste und sonderbarste Staat der Welt. Die Staatsform ist absolutistisch. Das Territorium ist der Rest eines weit größeren Kirchenstaats, der jedoch ab 1870 nach der Einigung Italiens dem Königreich einverleibt worden war. Vatikanische Gärten 1929 schloss Mussolini die sogenannten Lateranverträge mit dem Heiligen Stuhl. Darin sicherte der Diktator den Päpsten die Herrschaft über das ummauerte Areal auf dem einstigen »Ager Vaticanus« am Westufer des Tibers zu. Kloster Mater Ecclesiae Wohnung von Benedikt XVI.
Hubschrauber- landeplatz
Sendeanlagen Radio Vatikan Norden Verwaltungsgebäude
Bahnhof vertreter Christi. Eben kein normaler Mensch. Nach welchen Maßstäben also kann Palazzo della Canonica man das Handeln der Päpste, ihre Verge- hen bewerten? Auf jeden Fall doch nach ihren eigenen. Nach dem also, was Jesus laut Bibel gesagt haben soll: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Oder nach den sieben Todsünden. Oder einfach nach den Zehn Geboten, von denen eines lautet: »Du sollst nicht töten.« Die Hunde des Herrn Gästehaus Santa Marta Campo Santo Teutonico Wer mehr wissen will über die Vergangen- Hier wohnt Papst Franziskus Deutscher Friedhof mit dem Grab des Hitler-Verehrers Alois Hudal heit des Vatikan, und zwar aus Sicht des Vatikan, der muss im Palazzo della Cano- nica über der Sakristei des Petersdoms hinauf in den vierten Stock fahren und bei che ist nicht der Papst.« Selbst beim Blick einem Teleskop die Gestirne studiert. Da- Kardinal Walter Brandmüller klingeln. auf die historisch finstersten Zeiten des Va- bei sah er, dass der Jupiter Monde hat, die Der Historiker und Theologe aus Ansbach, tikan dürften die Gläubigen nicht an der sich um den Planeten drehen. Seine Er- mittlerweile 89, war mehr als ein Jahr- Doktrin zweifeln. Was zähle, sei der Inhalt, kenntnisse stützen die These, dass sich das zehnt lang Vorsitzender des Päpstlichen nicht das Gefäß: »Auch in einem ungespül- Universum nicht um ein Zentrum dreht. Komitees für Geschichtswissenschaft. Er ten Glas kann guter Wein sein.« Das war Häresie. lebt in einer großzügigen Gelehrtenwoh- Und natürlich gab es immer wieder Ka- Einige Jahre zuvor hatte die Inquisition nung mit Blick über Rom. tholiken, die Gutes taten, Bürger oder Hei- noch den Astronomen Giordano Bruno auf Brandmüller lässt keinen Zweifel daran, lige, ohne die der Kirche die moralische den Scheiterhaufen geschickt, weil er be- dass Kritik an den Taten der Päpste auf Kraft gefehlt hätte, so groß zu werden – hauptet hatte, das Weltall müsse unendlich Jahrtausende gesehen bedeutungslos sei. Männer wie Franz von Assisi oder Maximi- sein. Galilei wurde vor ein Tribunal der In- Er hat ein Schreiben konservativer Kir- lian Kolbe, der sich im KZ opferte. Und auch quisition gestellt, er musste abschwören chenmänner an Franziskus mitunterzeich- manche Sünden der Kirche wiegen nicht so und bekam lebenslangen Hausarrest, aber net, in dem sie sich gegen die teilweise Zu- schwer, wie es auf den ersten Blick scheint. immerhin ermordete der Vatikan ihn nicht. lassung wiederverheirateter Geschiedener Brandmüller ist Experte für Konzilien- Die Inquisition, gegründet im Jahr 1231 zur Kommunion wenden, also gegen eine geschichte, hat aber in »Der Fall Galilei von Papst Gregor IX., war gewissermaßen Franziskus-Reform. Brandmüller wird und andere Irrtümer« auch das kompli- die Folterkammer der Päpste. 700 Jahre nicht müde, davor zu warnen, dass ein Ab- zierte Verhältnis zwischen Macht, Glaube lang verfolgten die Schergen der Kirche rücken von der reinen Lehre zur Spaltung und Wissenschaft seziert. Den Umgang Abweichler von der katholischen Lehre in der Kirche führen könne. mit Galileo Galilei zum Beispiel für die ganz Europa. Grauenhaft effizient ar - Trotzdem wirkt er entspannt. Die Rolle Borniertheit der Kirche zu erheben, das beiteten vor allem die Dominikanermön- des Papstes dürfe nicht überschätzt wer- hält einer wie er für verfehlt. che, vom Volk als »Domini Canes« gefürch- den, sagt der Kardinal: »Päpste kommen, Galilei, einer der angesehensten Wis- tet, als »Hunde des Herrn«. Tausende Päpste gehen, es bleibt die Kirche. Die Kir- senschaftler Europas, hatte ab 1609 mit von Menschen wurden auf Streckbänken
14 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Eingang zu den Vatikanischen Museen
Museen Redaktion des »Osservatore Petersdom (erbaut Vatikanisches Romano« 1506 bis 1626). Unter Geheimarchiv dem Papstaltar liegt das mutmaßliche Petrusgrab.
Sixtinische Kapelle Tagungsort des Konklaves Hauptpostamt Papstpalast
Institut für die Religiösen Werke Die Vatikanbank betrieb zahlreiche skandalöse Geldgeschäfte.
St.-Anna-Tor
Kaserne der Informations- Schweizergarde zentrum für Touristen Petersplatz Der mittig aufgestellte Obelisk stand zur Zeit Kaiser Neros in einer Arena, in der zahlreiche Christen umgebracht wurden.
die »Bastion des Establishments«. Das Audienzhalle Sitz der Glaubenskongregation Wohl der Kirche sei den Päps ten »immer des Papstes für (Nachfolgeorganisation der vorrangiger als der Mensch«. 6000 Besucher Inquisition) Schon der Jesuitenschüler Giovanni Botero (1544 bis 1617) hatte geschrieben: »Unter allen Gesetzen gibt es nicht ein ein- zerrissen, verbrannt oder mit glühenden Dagegen haben sich immer wieder ziges, das den Fürsten gewogener ist als Zangen gequält und hatten alles Mögliche Christen auch innerhalb der katholischen das christliche, denn es unterwirft ihnen gestanden. Kirche gestellt. Die meisten wurden ver- nicht nur die Körper und Vermögen der Nicht alle Schuld an diesem Grauen folgt und vernichtet. Der bekannteste ist Untertanen, sondern auch die Seelen.« liegt beim Vatikan, auch Könige und der Mönch Martin Luther, sein Hass auf Viele Päpste sahen sich sogar als den Fürsten missbrauchten die Inquisition Macht und Glorie des Vatikan (»Die teuf - weltlichen Herrschern übergeordnete In- zur Einschüchterung. Aber ohne den Se- lische Päpsterei ist das letzte Unglück auf stanz. Nachdem Christoph Kolumbus für gen aus Rom hätten die Folterknechte Erden«) führte zur Spaltung der Kirche. die spanische Krone Amerika entdeckt hat- wohl nicht so viele Menschen umbringen Seitdem die heilige Inquisition niemanden te und auch portugiesische Kapitäne im- können. mehr zu Tode foltern darf, werden Kritiker mer weiter in unbekannte Gegenden vor- stattdessen kaltgestellt und ausgestoßen. stießen, stritten sich die beiden Seefahrer- Heilige Rassisten Dabei haben es nur wenige Katholiken nationen um die Aufteilung der Welt. Neben Diktatur und Intoleranz gibt es gewagt, den Vatikan so hart anzugreifen Zu der Zeit herrschte im Vatikan Ro- einen dritten Grund für den historischen wie der Wiener Theologieprofessor Hu- drigo Borgia unter dem Namen Alexan - Erfolg, aber auch für die Verbrechen des bertus Mynarek. 1972 schrieb er in einem der VI. Seinen Zeitgenossen galt er als Vatikan: die unheilvolle Vermischung von offenen Brief an Papst Paul VI. von der Monster. Giftmorde, Erpressung, Vatikan - weltlicher Macht und Religion, Herr- »Sünde der Machtlust«. Der Vatikan sei orgien mit 50 Huren auf einmal, Inzest – schaftsprinzip der Päpste von Anfang an. der »Hort und Garant des Bestehenden«, unter ihm soll es alles gegeben haben. Sein
15 zungsweise zehn Millionen Menschen wurden in Afrika eingefangen wie Vieh, in Ketten gelegt und übers Meer geschickt. Viele starben schon bei der Überfahrt. Über 150 Jahre hinweg passierte all das mit dem Segen des Vatikan. Noch 1866 ließ Papst Pius IX. erklären: »Die Sklavenhaltung widerspricht nicht natürlichem und göttlichem Recht.« Erst 1965 verdammte das Zweite Vatikanische Konzil die Sklaverei endgültig. Und 2015 entschuldigte sich Franziskus in Bolivien für die »schweren Sünden« der Kirche und vor allem die Qualen der Indios in Latein- amerika. Auf der Rattenlinie Nur wenige Schritte vom Palazzo della Ca- nonica und Kardinal Brandmüller entfernt geht es hinein in ein von hohen Mauern umstandenes Juwel des Vatikanstaats – den Campo Santo Teutonico. Auf dem Friedhof der Deutschen und Flamen, zu dem eine Kirche und ein Priesterseminar gehören, sind an diesem Sonntag vor Pfingsten viele Menschen unterwegs: El- tern und ihre Kinder rüsten sich draußen zur Erstkommunion, drinnen vor dem Al- tar der Kirche predigt der diensthabende Priester das Gebot der Liebe. Zypressen wachsen an den Gräbern deutscher Pilger, die in Rom gestorben sind. Zwischen ihnen liegt der österreichische Bischof Alois Hudal, unter anderem Rek- tor des deutschen Priesterkollegs in Rom. Ein Mann, der für die vielleicht schwerste Schuld in der Geschichte des Vatikan steht: für die Arrangements zweier Päpste – Pius XI. und Pius XII. – mit den Faschis- ten. Für den Erhalt der Macht schwieg der Vatikan lange zur Vernichtung der Juden. Hudal träumte von einer Einheitsfront zwischen Nationalsozialisten und katholi- scher Kirche im Kampf gegen den »Ost- bolschewismus«. Eines seiner Bücher wid- mete er dem »Führer der deutschen Erhe- bung und Siegfried deutscher Hoffnung und Größe« – Adolf Hitler. VATICAN / REUTERS VATICAN Vor zwei Jahren erschien in Deutsch- Papst Johannes Paul II. 2001: Absolutistische Monarchie land eine Studie des US-Historikers David Kertzer. Jahrelang hatte er Akten aus dem natürlich illegitimer Sohn Cesare wurde Indios starben allein in Lateinamerika an päpstlichen Geheimarchiv studieren kön- mit 17 zum Kardinal ernannt. Krankheiten und durch Zwangsarbeit. nen, die 2006 freigegeben worden waren. Von Macht verstand Alexander viel. Manche Kirchenmänner hielten selbst Pius XI. und Mussolini, so Kertzer, »hiel- Und er sah in den Eroberungen der See- Sklaven, hatte doch schon Thomas von ten nichts von Demokratie und Parlamen- fahrer die Chance, sein Reich noch zu ver- Aquin (auch er trotzdem ein sogenannter tarismus«. Mussolini berichtete, der Papst größern. Also entwarf der Papst im Streit Heiliger) die Sklaverei gerechtfertigt. Und habe ihm gesagt: »Ich sehe in dem Kom- der Könige einen Kompromiss: Im Vertrag mehrere Päpste bestätigten dieses Recht. plex der faschistischen Lehren, die die von Tordesillas 1494 wurde eine vertikale Es gab aber ein praktisches Problem: Prinzipien von Ordnung, Autorität und Linie gezogen durch das, was damals von Die Indios im neu entdeckten Amerika Disziplin befürworten, nichts, was den ka- der Erde bekannt war. Alle neuen Länder hielten die Strapazen unter europäischer tholischen Lehren zuwiderläuft.« westlich davon sollten künftig Spanien ge- Knute nicht durch, sie starben viel zu Der »Duce« stärkte im Gegenzug den hören, alle Länder im Osten Portugal. schnell. Der Priester Bartolomé de Las Einfluss der Päpste: Das Kreuz hing in Ita- Die Konquistadoren unterwarfen ein Casas, Fürsprecher der Indios, empfahl, liens Klassenzimmern, Mussolinis erste Volk nach dem anderen und zwangen die Sklaven aus Afrika zu holen. Die Schwar- Regierung kniete 1922 beim Amtsantritt Eingeborenen, in Plantagen und Silber- zen seien robuster – und so begann der nieder. 1929 schlossen Faschisten und Va- minen zu schuften bis zum Tod. Millionen transatlantische Sklavenhandel. Schät- tikan die Lateranverträge, die dem Papst
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auch die weltliche Macht über den Vati- Wende. In seiner Weihnachtsansprache er hinderte ihn auch nicht daran. Hudal kanstaat garantierten. 1942 erwähnte er »Hunderttausende Men- schrieb noch in seinen Memoiren, er sei Vier Jahre später unterzeichnete ein schen«, die »zum Teil nur wegen ihrer Na- stolz darauf, den Nazis geholfen zu Vertreter des Papstes dann einen Vertrag tionalität oder Rasse dem schnellen oder haben. mit Hitler-Deutschland. Das Reichskon- langsamen Tod ausgeliefert« seien. Als Immerhin hat Johannes Paul II. im Jahr kordat stärkte den »Führer«, und die Kir- 1943 die SS bis an die Mauern des Vatikan 2000 als erster Papst eine Synagoge betre- che konnte ihr Vermögen und ihre Macht vorrückte, gewährte er 7000 Juden in ten – und sich für all das entschuldigt, was bewahren, etwa ihre Bekenntnisschulen Klöstern und im Vatikan Zuflucht. die Kirche den Juden angetan hat, für Ver- in Deutschland. Doch längst nicht alle im kirchlichen folgung und Hass. Später, viel zu spät, bereute der Papst. Apparat wollten diese Wende mitmachen: Die drei Spuren Am 21. März 1937 verbreiteten die deut- Als das »Dritte Reich« zusammenbrach, schen Kirchen seine Enzyklika »Mit bren- versuchten viele der Massenmörder, sich Das also ist das historische Erbe, das Papst nender Sorge«. Die Nazis würden sich ge- abzusetzen, so wie Ratten ein sinkendes Franziskus nun verwaltet. Und es wiegt gen die »gottgeschaffene und gottbefoh- Schiff verlassen. Es entstand, was Geheim- schwer, bis heute. Selbst ein entschlossener lene Ordnung« stellen, sie hielten sich dienstler die »Rattenlinie« nannten. Reformer wie Franziskus werde gebremst nicht an das Konkordat. Auch Mussolinis Über Herbergen und katholische Klös- von den »Gespenstern der Vergangen- neue Rassengesetze gegen die Juden gin- ter flohen die Nazis Richtung Süden. Und heit«, urteilt Bestsellerautor Gianluigi gen Pius XI. 1938 dann zu weit, die Pries- der wichtigste Organisator der Rattenlinie Nuzzi. Seine auf vertrauliche Dokumente ter sollten sie von den Kanzeln aus kri- war Bischof Alois Hudal in Rom, dessen gestützten Sachbücher handeln von dunk- tisieren. Doch da war er schon schwer Gebeine heute in Ehren auf dem Campo len Umtrieben im Kirchenstaat: von haar- krank, das wussten seine Kardinäle. Nach Santo ruhen. sträubenden Finanztransaktionen und Kertzers Recherchen spielten sie auf Zeit Zu den »Ratten« gehörte Adolf Eich- schwarzen Konten und von sexuellem und verschleppten den Entwurf einer mann, Organisator des Holocaust. Und Missbrauch von Messdienern. Enzyklika. Nuzzi ist eher klein, kahlköpfig, 48 Jah- Dem Tod nahe, wollte Pius XI. wenigs- re alt, und er hält den Heiligen Stuhl in tens noch eine Rede vor seinen Bischöfen Atem als eine Art Großinquisitor gegen halten. Aber am Tag davor starb er. neuzeitliche Verbrechen im Vatikan. Er Die Macht in Rom übernahm Eugenio folge, so der Autor, immer drei Fährten: Pacelli, jener Kardinalstaatssekretär, der Geld, Blut und Sex. den Vertrag mit Hitler-Deutschland ausge- Seit Nuzzi vor zehn Jahren Zugang er- handelt hatte. Er nannte sich Pius XII. und hielt zum in die Schweiz geschmuggelten sorgte dafür, dass Manuskripte der unge- Geheimarchiv von Renato Dardozzi, dem haltenen Rede seines Vorgängers ver- Ex-Kanzler der Päpstlichen Akademie der schwanden. Wissenschaften, spinnt er seinen Faden Pius XII. unterstützte den ultrarechten weiter. Und versucht zu beweisen, dass Putschisten General Francisco Franco im die Skandale aus den Zeiten von Papst Spanischen Bürgerkrieg. Als Franco die re- Paul VI. um 1970 bis in die Jetztzeit unter publikanischen Truppen geschlagen hatte, Franziskus reichen. als seine Kämpfer in Madrid einmarschier- Was Nuzzi über die Jahre aus Tausen- ten, beglückwünschte Pius via Radio die den Dokumenten filterte, liest sich wie ein »Söhne des katholischen Spanien« zum Krimi: Die Bankiers des Papstes koope- Sieg über die »Proselyten des Atheismus« rierten mit der Mafia; der Vatikan unter- – die Demokraten. Danach sah der Papst hielt geheime Schließfächer. Es ging um zu, wie der Holocaust begann. Milliardenbetrug, Schmiergelder und mys- Gesandte der britischen und der ameri- teriöse Morde. kanischen Regierung beknieten ihn, er Im Morgengrauen des 18. Juni 1982 bau- möge gegen Hitler Stellung beziehen. melte eine Leiche von der Londoner Black- Doch der Papst schwieg. friars Bridge, den Kopf in einer Schlinge, Sicher, er sorgte sich um den Erhalt des Misshandelter Sklave 1836 die Anzugtaschen voller Backsteine. Es Kirchenstaats. Aber war er auch ein Anti- Mit dem Segen des Papstes war Roberto Calvi, Direktor der Mailän- semit, wie einst so viele Katholiken? In der Bank Ambrosiano, die kurz zuvor den Jahrhunderten zuvor waren Juden in zahlungsunfähig geworden war – maßgeb- der christlichen Welt als »Jesus-Mörder« Auschwitz-Arzt Josef Mengele, der Zehn- lich mitverschuldet von Erzbischof Paul verfolgt und umgebracht worden. Juden- tausende Juden in die Gaskammern schick- Casimir Marcinkus, dem Chef des Instituts hass gehörte zur katholischen Gedanken- te. Und Franz Stangl, Kommandant des für die Religiösen Werke (IOR): der Bank welt wie übrigens auch zur evangelischen. Konzentrationslagers Treblinka. Und Klaus des Vatikan. In Marcinkus’ Auftrag sollen »Im Laufe der Zeit bin ich zu der Überzeu- Barbie, Gestapo-Chef von Lyon. Und Alois über Briefkastenfirmen Waffengeschäfte gung gelangt, dass während des Zweiten Brunner, Eichmanns rechte Hand. abgewickelt und Drogengelder gewaschen Weltkriegs Papst Pius XII. und die über- Die Kirche versorgte sie mit neuen Iden- worden sein. wältigende Mehrheit der europäischen Kir- titäten und Beglaubigungsschreiben. Damit Und all das im Namen des Heiligen chenführer die Beseitigung der Juden als bekamen sie in der Regel vom Roten Kreuz Vaters? ebenso nützlich ansahen wie die Vernich- Reisepapiere unter falschem Namen. Und Papst Paul VI., bei dem Marcinkus, Spitz- tung des Bolschewismus«, so schrieb der dann gingen sie an Bord der Schiffe nach name »Gorilla«, einst als Leibwächter be- US-Historiker Richard Rubenstein. Chile, Brasilien oder Argentinien. gonnen hatte, ehe er Finanzchef wurde, Doch dann trat Amerika in den Krieg Papst Pius XII. hatte Hudal nicht den schien an den Skandalen unter der Regie ein, in Stalingrad wurde Hitlers 6. Armee Auftrag gegeben, die Massenmörder vor seines Schützlings wenig Anstoß zu neh- eingekesselt – und Pius XII. vollzog eine den Galgen der Alliierten zu retten. Aber men. Unter Mithilfe von Calvi und dem
17 später mit Rattengift ermordeten Mafia - Und jetzt ist da Kardinal George Pell. les mit Chatprotokollen, SMS und »dick finanzier Michele Sindona verstrickten sich Der Australier war bis vor Kurzem als pics«, Intimfotos von Männern, vor from- die Männer des Vatikan tief ins organisierte Superwirtschaftsminister nominell die men Hintergründen belegen. Der Mann Verbrechen. Ein von den italienischen Be- Nummer drei im Vatikan, er muss sich nun prangert nicht die Homosexualität der Kir- hörden ausgestellter Haftbefehl gegen den wegen des Vorwurfs des sexuellen Miss- chenleute an, sondern ihre Verlogenheit. Papstvertrauten Marcinkus blieb folgenlos, brauchs von Kindern verantworten. Pell Die Skandale belasten Papst Franziskus, weil der Vatikan sich weigerte, den Bischof bestreitet die Vorwürfe. Aber es gibt noch auch wenn die Schuld meist in den Ponti- auszuliefern. mehr Missbrauchsfälle in aller Welt, zu de- fikaten vor seiner Zeit zu suchen ist. Aber Was diese Verbrechen mit heute, mit nen der Vatikan lange schwieg. der Papst wittert bei vielen der Enthül- der Ära Franziskus zu tun haben? Viel, so Ein polnischer Erzbischof soll sich in lungen »Verrat«, weil ihm vor allem die der Aufdecker Nuzzi. Die Mitwisser von der Dominikanischen Republik an Kin- Finanz skandale schaden. Er sieht, dass damals seien weiter im Hin- seine Reformen durch den tergrund tätig. Intrigen laufen Widerstand der Konservati- beispielsweise gegen den ven stocken. Und dass zu- französischen IOR-Wächter gleich eine Rückkehr zu den und Franziskus-Vertrauten üblen Zuständen der Vergan- Kardinal Jean-Louis Tauran. genheit droht. Ein 2017 aufgetauchtes rät- Bei seiner vergangenen selhaftes Papier erwähnt ihn Weihnachtsansprache vor als Empfänger detaillierter Würdenträgern waren unter Kostenaufstellungen, die mit den Zuhörern nicht wenige, der Verschleppung und spä- die das Pontifikat des Argen- teren »Verlegung in den Vati- tiniers kritisch sehen. Über kanstaat« von Emanuela Or- »um sich greifende Ver- landi zu tun haben sollen, wirrung« lästern sie, und: samt »Erledigung abschlie- Der Papst schwäche die Dok- ßender Schritte«. Die 15-jäh- trin und stärke seine Fans rige Emanuela, Tochter eines außerhalb der Kirche. Dieners von Johannes Paul »Die Agenda dieses Paps - II., war am 22. Juni 1983 spur- tes deckt sich mit jener der los verschwunden. Kirchenfeinde«, sagt einer Die Spekulationen da - derjenigen im Vatikan, die rüber, ob sie als Sexobjekt im den Pontifex der Häresie be- Vatikan benutzt oder ermor- zichtigen. det worden war und dann Der Papst ein Ketzer? einbetoniert in einem Küs- Beson ders kritische Geister tenvorort endete, dauern bis sehen sogar das Risiko, dass heute an. Emanuelas Bruder »die katholische Kirche zer- Pietro, der weiter nach dem stört« werde, wenn Franzis- Verbleib seiner Schwester kus versuche, »jedermanns forscht, erhielt von Papst Liebling« zu sein, wie es Kar- Franzikus die Antwort: »Sie dinal Gerhard Ludwig Müller ist im Himmel.« nennt, der vom Papst gefeu- Nur: Warum legt der Vati- erte Vorsitzende der Glau- kan keine Akten offen? benskongregation – so heißt 2011, noch unter Benedikt die heilige Inquisition heute. XVI., war eine andere Affäre Papst Benedikt XVI. war, als um den Kammerdiener Paolo er noch Ratzinger hieß, lange Gabriele ans Licht gekom- deren Chef. men. Der Mann hatte Briefe Dem Altpapst selbst ist zu und Akten vom Schreibtisch ROLAND FISCHER dieser Frage nichts zu entlo- des Pontifex kopiert und Fensterbild im Petersdom: Retter der Judenmörder cken. Schon gar nicht, dass er aus dem Vatikan geschleust: die Theologie seines Nachfol- »Vatileaks I«. Geheime Kon- gers freudig begrüße. ten, gehalten von Strohmännern der orga- dern vergangen haben. Chilenische Opfer Franziskus weiß, worauf er sich einge- nisierten Kriminalität, sollen entdeckt wor- beklagten sich im April bei Franziskus lassen hat: Den Vatikan ändern zu wollen, den sein. Es ging auch um Korruption und über hochrangige Kleriker. Erst hatte der sagte er vor Kurzem, sei so, als versuchte Günstlingswirtschaft. Papst die Beschuldigten noch verteidigt, man, »die ägyptische Sphinx mit einer Dann folgte »Vatileaks II«, die Affäre später entschuldigte er sich »als Papst und Zahnbürste zu putzen«. um einen spanischen Prälaten und eine im Namen der Weltkirche«. Clemens Höges, Walter Mayr PR-Spezialistin aus der Finanzkommis- Und im Februar hat zudem ein männ- sion. Sie hatten vertrauliche Dokumente licher Prostituierter ein 1200-Seiten-Dossier Video an die Öffentlichkeit geschmuggelt. Beide über Umwege an den Heiligen Stuhl ge- Als eine Leiche auf dem wurden vor Gericht dafür verurteilt, dass schickt. Darin schildert er nicht nur, wie er Papstthron saß sie Misswirtschaft in der Kurie und verein- sogar hochrangigen Geistlichen zu Diens - spiegel.de/sp212018vatikan zelt auch das Luxusleben von Kardinälen ten war und dass diese sich auch sonst an oder in der App DER SPIEGEL öffentlich gemacht hatten. geheimen Plätzen betätigten – er kann vie-
18 DER SPIEGEL Nr. 21 / 19. 5. 2018 Titel
das Material sichten, Szenen auswählen und zusammenschneiden. O Wunder: Auf Priester des Zelluloids den Bildern von Vatikan-TV macht Fran- ziskus immer eine gute Figur. Kino Wim Wenders’ neuer Dokumentarfilm Bei einem normalen Dokumentarfilm wäre der Einsatz von so viel PR-Material über Papst Franziskus ist ein Meisterstück der PR-Kunst. problematisch. Doch Wenders erklärt die- se Methode einfach zum Konzept: »Ich mache keine Filme, um etwas zu kritisie- itte Mai, einen Tag nach der Pre- Franziskus war noch nicht einmal ein Jahr ren. Das können andere auch viel besser.« M miere des neuen Kinofilms über im Amt, lud Viganò den Regisseur nach Den Vorwurf, er habe sich vom Vatikan Papst Franziskus, bekam der Rom ein. Warum Wenders? »Er hat diesen instrumentalisieren lassen, weist er zurück: SPIEGEL eine kurze Nachricht aus dem maßvollen, poetischen und innovativen »Ich bin komplett Herr dieses Films ge- Vatikan. Ein Emoji. Monsignore Dario Blick«, so Viganò. Der PR-Mann ist stu- wesen. Der Vatikan hat nur den Anstoß Edoardo Viganò, bis vor Kurzem Präfekt dierter Theologe, aber er hat auch rund gegeben, sich in die Produktion aber nicht der Kommunikationsabteilung des Vatikan ein Dutzend Bücher übers Kino verfasst, eingemischt«, sagt Wenders. und noch immer einer der engsten Mitar- Werke wie »Der Priester des Zelluloids«. PR-Mann Viganò formuliert es so: »Ich beiter von Franziskus, schickte per iPhone Viganò kann wortreich schwärmen von habe alle Phasen des Projekts an der Seite das Symbol , Daumen rauf, ein Finger- Wenders’ früheren Dokumentationen wie des Regisseurs begleitet, von der Entwick- zeig Richtung Himmel. Wohin auch sonst? »Buena Vista Social Club« oder »Pina« lung der Erzählidee über die Produktion, Von Kommunikation verstehen sie et- und von dessen wohl berühmtestem Spiel- über den Schnitt bis hin zur Kopie des was im Vatikan, schon immer. Ein Papst, film, »Der Himmel über Berlin«, Bruno Films« für das Festival von Cannes. Das Er- der sogar vor Mordanschlägen nicht zu- Ganz als Engel auf der Siegessäule. gebnis, lobt Viganò, sei »eine aufmerksame rückschreckte, ließ im Jahr 1612 seinen Über das Konzept der Papst-Dokumen- Regiearbeit, die sich selbst zurücknimmt«. Namen in riesigen Lettern in die Fassade tation wurden sich Viganò und Wenders »Papst Franziskus – Ein Mann seines des Petersdoms meißeln, »Paul V. Borghese, schnell einig. Die Aufrufe des Papstes zum Wortes« beginnt mit den Worten von Pontifex maximus«, eine Bot- Wim Wenders. Mit ergriffener schaft der Macht in Marmor, bis Stimme klagt der Regisseur aus heute. 2018 lässt der aktuelle dem Off über den Zustand der Amtsinhaber seine Botschaft als Welt, »Katastrophen ziehen über Kinofilm verbreiten, mit freund- uns hin«, die Kamera blickt dabei licher Unterstützung eines be- wie ein Gott vom Himmel. »Wie rühmten deutschen Regisseurs: sollen wir leben, heute, in Frieden, Wim Wenders’ Dokumentation miteinander und in Eintracht mit »Papst Franziskus – Ein Mann sei- unserer Erde?«, fragt Wenders. nes Wortes« soll Millionen Zu- Langsam reißen die Wolken auf schauer in aller Welt erreichen, und geben den Blick frei auf Christen, Atheisten, Neugierige. das Kloster von Assisi. In der Ba- Wenders wurde katholisch ge- silika ist der heilige Franziskus tauft, als Jugendlicher wollte er begraben, der Namenspatron des Priester werden. »Aber dann kam Papstes. der Rock’n’Roll«, sagt der Regis- / REX / EPA-EFE FRANCK ROBICHON Wenders kommt im Film immer seur, Jahrgang 1945; später ent- Regisseur Wenders wieder auf Franz von Assisi zurück. deckte er für sich den Sozialismus, »Das ist ein armer Film« Weil in diesem Fall nicht einmal den Existenzialismus, die Psycho- das Archiv des Vatikan mit Film- analyse, den Buddhismus, »alles, was man Verzicht setzte der Regisseur in die Praxis aufnahmen dienen konnte – der Mann so macht«. Schließlich sei er »in einem gro- um. »Das ist ein armer Film«, rein budget- starb 1226 –, hat Wenders einige Szenen ßen Bogen zurückgekehrt zum Glauben mäßig, sagt Wenders. »Mit einem Papst, aus dessen Leben mit Schauspielern nach- meiner Kindheit«. Heute ist der Regisseur der eine arme Kirche für die Armen will, gestellt, gedreht in Schwarz-Weiß mit einer evangelisch, ein Protestant mit einem darf man keinen reichen Film machen.« alten Kamera mit Handkurbel, wie bei Faible für Franziskus. 2,5 Millionen Euro habe man bei priva- einem Stummfilm. Am Tag nach Christi Himmelfahrt wur- ten Geldgebern eingesammelt, darunter Ansonsten zeigt die Dokumentation de Wenders’ Papst-Film beim Katholiken- eine Schweizer Kulturstiftung. Eine Million nur den Papst. Die Inszenierung der Inter- tag in Münster uraufgeführt, am Sonntag davon spendeten die Produzenten. Genau- views, die direkte Ansprache des Zuschau- vor Pfingsten folgte die Gala-Premiere er: Das Geld »ging auf ein Konto, über das ers, verstärkt sein natürliches Charisma. beim Festival von Cannes. Am 14. Juni der Papst verfügen kann, für Zwecke, die »Franziskus’ Starqualität«, sagt Wenders, bringt das Hollywoodstudio Universal die er für richtig hält«, sagt Wenders. Der Film »ist sein Zugang zu Menschen, seine un- Dokumentation in die deutschen Kinos. Es selbst habe 1,5 Millionen Euro gekostet, un- mittelbare, freundliche Fähigkeit, sich auf ist kein Film über den Papst, sondern einer gefähr so viel wie ein Fernseh-»Tatort«. jeden einzulassen.« mit ihm. Im Zentrum stehen vier lange Zu wenig, um den Papst auf Reisen mit Auch auf den Regisseur. Am Ende des Interviews, die Wenders mit Franziskus ge- einem eigenen Team zu begleiten. Doch Films hat der Papst sogar ein Kompliment führt hat. Der Papst blickt dabei direkt in praktischerweise werden die Auftritte des für Wenders versteckt. »Ein Künstler«, die Kamera; es wirkt, als redete er jedem Papstes, seine Reden und Reisen, ohnehin sagt Franziskus, »ist ein Apostel der Schön- Zuschauer persönlich ins Gewissen. von Kameraleuten des Centro Televisivo heit, der uns anderen hilft zu leben.« Die Idee zum Film stammt nicht von Vaticano gefilmt. Viganò sorgte dafür, dass Zusammengefasst: Wenders, sondern von Dario Viganò, dem Wenders Zugang zum Archiv des Vatikan- Martin Wolf PR-Strategen des Papstes. Ende 2013, senders bekam. Der Regisseur musste nur
19 Deutschland
»Wann kriegt die Union jetzt endlich auf die Fresse?« ‣S.34
Mietwohnensemble in Berlin-Wilmersdorf PAUL LANGROCK PAUL
Immobilienmarkt Arme Mieter
Vor allem junge Erwachsene treffen die steigenden Ausgaben für Wohnen hart.