Plenarprotokoll 19/108

Deutscher

Stenografischer Bericht

108. Sitzung

Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 25: te an der „United Nations Interim­ Force in Lebanon“ (UNIFIL) – Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/9956, 19/10722. 13400 A Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß deutschen Beteiligung an der interna- § 96 der Geschäftsordnung tionalen Sicherheitspräsenz in Kosovo Drucksache 19/10723. 13400 A (KFOR) Dr. (SPD). 13400 B Drucksachen 19/10421, 19/11182. 13391 B Berengar Elsner von Gronow (AfD). 13404 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Jürgen Hardt (CDU/CSU). 13405 B Drucksache 19/11183 . 13391 B Christian Sauter (FDP). 13406 A Dr. (SPD). 13391 B Matthias Höhn (DIE LINKE). 13406 D Armin-Paulus Hampel (AfD). 13392 C Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . 13393 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 13407 B Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (CDU/CSU) . 13408 A (FDP). 13394 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 13395 C Namentliche Abstimmung . 13408 D

Manuel Sarrazin Ergebnis . 13411 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 13396 B (CDU/CSU). 13397 B Tagesordnungspunkt 27: (SPD). 13398 A a) Antrag der Abgeordneten Reinhard (CDU/CSU). 13398 D ­Houben, Bettina Stark-Watzinger, ­, weiterer Abgeordneter und der Namentliche Abstimmung . 13399 D Fraktion der FDP: Gründerrepublik Deutschland – Zukunftsfonds für eine neue Gründerzeit Ergebnis . 13401 C Drucksache 19/11055. 13409 A b) Antrag der Abgeordneten Mario Tagesordnungspunkt 26: ­Brandenburg (Südpfalz), , , weiterer Abgeordneter und – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- der Fraktion der FDP: Gründerrepublik wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Deutschland – Gründungen durch Zu- Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- kunftstechnologien erleichtern ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- Drucksache 19/11053. 13409 A II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 c) Antrag der Abgeordneten Kerstin ­Andreae, habilitierung von ehemaligen Heimkin- , Dr. , wei- dern in der DDR terer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/8983. 13426 D ­BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grün- dungskultur fördern – Damit jede gute Christian Lange, Idee eine Chance hat Parl. Staatssekretär BMJV . 13427 A Drucksache 19/11150 . 13409 B Roman Johannes Reusch (AfD). 13428 A Bettina Stark-Watzinger (FDP). 13409 B (CDU/CSU) . 13428 C Astrid Grotelüschen (CDU/CSU). 13410 A Dr . Jürgen Martens (FDP). 13429 C Enrico Komning (AfD). 13414 B (DIE LINKE). 13430 D (SPD). 13415 C (DIE LINKE) . 13416 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 13431 D Dr. Danyal Bayaz Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). 13432 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 13417 C (AfD). 13433 B (CDU/CSU). 13419 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (AfD). 13420 C (CDU/CSU). 13434 C (SPD). 13421 B (SPD). 13435 B (FDP). 13422 D (CDU/CSU). 13436 A Hansjörg Durz (CDU/CSU). 13423 D (CDU/CSU). 13437 A Dr. Jens Zimmermann (SPD). 13425 A Tagesordnungspunkt 29: Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Julia ­Verlinden, , Christian Kühn a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der rung eingebrachten Entwurfs eines Sechs- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ten Gesetzes zur Verbesserung rehabi- Ausbau der Solarenergie beschleunigen, litierungsrechtlicher Vorschriften für dezentrale Bürgerenergie und Mieter- Opfer der politischen Verfolgung in der strom unterstützen ehemaligen DDR Drucksache 19/9698. 13438 A Drucksache 19/10817. 13426 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und geordneten , Dr. ­Manuela SPD: Aufarbeitung Zwangsadoption in Rottmann, Lisa Badum, weiteren Abge- der SBZ/DDR 1945 – 1989 ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/11091. 13426 C DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- c) Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, nes Gesetzes zur Änderung des Grund­ , , weiterer gesetzes (Artikel 20a, 74, 106, 143h – Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Stärkung des Klimaschutzes) NIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Ende der Drucksachen 19/4522, 19/11158. 13438 A Aufarbeitung – Rehabilitierung von Op- c) Zweite und dritte Beratung des von den fern der SED-Diktatur schnellstmöglich Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena entfristen Baerbock, Lisa Badum, weiteren Abge- Drucksache 19/8981. 13426 C ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ d) Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Katja Keul, Annalena Baerbock, weiterer eines Ersten Gesetzes zur Beendigung Abgeordneter und der Fraktion BÜND- des Betriebs von Kohlekraftwerken NIS 90/DIE GRÜNEN: Verbesserung der zur Stromerzeugung (Kohlekraftwerk-­ sozialen Lage anerkannter politisch Ver- Sofortmaßnahme-Gesetz) folgter durch Novellierung der SED-Un- Drucksachen 19/9920, 19/11174. 13438 B rechtsbereinigungsgesetze d) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/8982. 13426 D Ausschusses für Wirtschaft und Energie e) Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, zu dem Antrag der Abgeordneten ­Karsten Katja Dörner, Katja Keul, weiterer Abge- ­Hilse, Dr. , Dr. Rainer ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Kraft, weiterer Abgeordneter und der Frak- DIE GRÜNEN: Vereinfachung der Re- tion der AfD: Aussetzung des Ausstiegs Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 III

aus der Kohleverstromung bis alternati- der Kohlekommission – Jetzt Ein- ve Energien grundlastfähig sind und je- stieg in den Kohleausstieg derzeit bedarfsgerecht eingespeist wer- Drucksachen 19/7720, 19/7696, 19/7733, den können 19/10761 Buchstaben a, b und d. 13439 A Drucksachen 19/9963, 19/11174. 13438 B j) Beschlussempfehlung und Bericht des e) Erste Beratung des von den Abgeordne- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und ten , , Nicole nukleare Sicherheit zu dem Antrag der Ab- ­Bauer, weiteren Abgeordneten und der geordneten Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs , weiterer Abgeord- eines Gesetzes zur Wiedereinführung neter und der Fraktion der FDP: Markt- der Länderöffnungsklausel zur Vorgabe wirtschaftlicher und effizienter Klima- von Mindestabständen zwischen Wind­ schutz – Mit weniger Geld mehr Klima energieanlagen und zulässigen Nutzun- schützen gen Drucksachen 19/6286, 19/11178. 13439 A Drucksache 19/11094. 13438 B l) Beschlussempfehlung und Bericht des f) Antrag der Abgeordneten Lorenz Gösta Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Beutin, , , und nukleare Sicherheit zu dem Antrag weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Abgeordneten Lisa Badum, Dr. Julia DIE LINKE: Klimanotstand anerken- ­Verlinden, , weiterer Abge- nen – Klimaschutz-Sofortmaßnahmen ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ verabschieden, Strukturwandel sozial DIE GRÜNEN: Die Europäische Union gerecht umsetzen zur Klimaschutz-Union machen Drucksachen 19/9953, 19/11188. 13439 B Drucksache 19/10290. 13438 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ g) Antrag der Abgeordneten Annalena DIE GRÜNEN). 13439 B ­Baerbock, Lisa Badum, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Andreas G. Lämmel (CDU/CSU). 13440 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klima­ bilanz in Gesetzesfolgenabschätzung Steffen Kotré (AfD) . 13441 C

aufnehmen und CO2-Bremse einführen Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD)...... 13442 C Drucksache 19/11153 . 13438 C Dr. Lukas Köhler (FDP). 13443 C h) Antrag der Abgeordneten Dr. ­Bettina Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE). 13444 C ­Hoffmann, , Gerhard ­Zickenheiner, weiterer Abgeordneter Dr. (CDU/CSU). 13445 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ­GRÜNEN: Die Agenda 2030 als Maßstab Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ des Regierungshandelns ernst nehmen DIE GRÜNEN). 13446 A und die Transformation unserer Welt (AfD). 13447 B entschlossen vorantreiben Drucksache 19/11149 . 13438 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . 13448 B i) Beschlussempfehlung und Bericht des (SPD). 13449 B Ausschusses für Wirtschaft und Energie Dr. (FDP) . 13450 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Kotré, , Enrico (BÜNDNIS 90/ Komning, weiterer Abgeordneter und DIE GRÜNEN). 13450 D der Fraktion der AfD: Deindustriali- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). 13451 C sierung Deutschlands stoppen – Aus- stieg aus dem Kohleausstieg (SPD). 13452 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Dr . Martin Neumann, Michael Theurer, DIE GRÜNEN). 13453 C Reinhard Houben, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Kohle­ Timon Gremmels (SPD). 13453 D ausstieg mit Verantwortung und Karsten Möring (CDU/CSU) . 13454 B Weitsicht – Sicher, bezahlbar und eu- ropäisch (SPD). 13455 C – zu dem Antrag der Abgeordneten ­Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Namentliche Abstimmungen...... 13456 B, 13456 C Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nach den Empfehlungen Ergebnisse...... 13461 C, 13464 A IV Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Tagesordnungspunkt 32: Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). a) Erste Beratung des von der Bundesregie- 13478 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (CDU/CSU). 13479 B zes zur Stärkung des Wohngeldes (Wohn- geldstärkungsgesetz – ­WoGStärkG) (SPD). 13480 B Drucksache 19/10816. 13457 D b) Antrag der Abgeordneten , Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz Gösta Beutin, Tagesordnungspunkt 33: weiterer Abgeordneter und der Fraktion Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und DIE LINKE: Wohngeld ausweiten und SPD: Frauen im Widerstand gegen den die Belastung durch Wohnkosten be- Nationalsozialismus würdigen grenzen Drucksache 19/11092. 13481 B Drucksache 19/10752. 13458 A (CDU/CSU). 13481 B Dr. (AfD). 13482 A in Verbindung mit (SPD). 13483 A Zusatztagesordnungspunkt 20: (FDP). 13484 B Antrag der Abgeordneten Daniel Föst, Pascal (DIE LINKE). 13485 A Kober, Frank Sitta, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bezahlbare Mieten (BÜNDNIS 90/ ­sichern – Zielgerichtet unterstützen – Libe- DIE GRÜNEN). 13485 C rales Bürgergeld einführen Drucksache 19/11107. 13458 A (CDU/CSU) . 13486 C , Parl. Staatssekretär BMI. 13458 B Tagesordnungspunkt 34: Udo Theodor Hemmelgarn (AfD)...... 13459 A a) Antrag der Abgeordneten , (SPD). 13460 B , , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Daniel Föst (FDP). 13467 B ­LINKE: Freiwillige Feuerwehren im (DIE LINKE). 13468 C Ländlichen Raum unterstützen und för- dern Christian Kühn (Tübingen) Drucksache 19/10288. 13487 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 13469 B b) Antrag der Abgeordneten Britta Karsten Möring (CDU/CSU) . 13470 B ­Haßelmann, , , (SPD). 13471 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gleich- (CDU/CSU) . 13471 D wertige Lebensverhältnisse überall – Gutes Leben und schnell unterwegs in Stadt, Land und Netz Tagesordnungspunkt 31: Drucksache 19/10639. 13487 C Erste Beratung des von den Abgeordneten c) Antrag der Abgeordneten Markus ­Tressel, Tino Chrupalla, , Jürgen Braun, Britta Haßelmann, Harald Ebner, wei- weiteren Abgeordneten und der Fraktion der terer Abgeordneter und der Fraktion AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ­BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Pakt für zur Änderung des Gesetzes zur Änderung lebenswerte Regionen schließen der Handwerksordnung – Wiedereinfüh- Drucksache 19/10640. 13487 D rung der Meisterpflicht Drucksache 19/11120. 13472 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat zu Tino Chrupalla (AfD). 13473 A dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Astrid Grotelüschen (CDU/CSU). 13474 A Bluhm, Dr. , Dr. ­Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der (FDP). 13475 B Fraktion DIE LINKE: Gleichwertige ­Lebensverhältnisse und Chancengleich- Sabine Poschmann (SPD). 13476 B heit für Ländliche Räume herstellen (DIE LINKE) . 13477 A Drucksachen 19/3164, 19/7768. 13487 D Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 V

in Verbindung mit über die Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundes- regierung: Fortsetzung der deutschen Beteili- Zusatztagesordnungspunkt 21: gung an der internationalen Sicherheitspräsenz Antrag der Abgeordneten , in Kosovo (KFOR) , Grigorios Aggelidis, weite- (Tagesordnungspunkt 25). 13499 D rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zukunft der Feuerwehren modern und at- traktiv gestalten Anlage 3 Drucksache 19/11108. 13488 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE). 13488 A Johann Saathoff (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeord- (CDU/CSU). 13488 D neten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, (AfD). 13489 D Lisa Badum, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- (SPD). 13490 D gebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Beendigung des Betriebs von Kohlekraftwer- Benjamin Strasser (FDP) . 13492 A ken zur Stromerzeugung (Kohlekraftwerk-­ Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ Sofortmaßnahme-Gesetz) DIE GRÜNEN). 13493 A (Tagesordnungspunkt 29 c). 13500 B (CDU/CSU). 13493 D Bernhard Daldrup (SPD). 13495 A Anlage 4 (CDU/CSU). 13496 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (FDP) zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeord- Nächste Sitzung . 13497 C neten Lorenz Gösta Beutin, Ralph Lenkert, Hubertus Zdebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Klimanotstand an- Anlage 1 erkennen – Klimaschutz-Sofortmaßnahmen Entschuldigte Abgeordnete. 13499 A verabschieden, Strukturwandel sozial gerecht umsetzen (Tagesordnungspunkt 29 f). 13500 C Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Anlage 5 ten (BÜNDNIS 90/DIE Amtliche Mitteilungen. 13500 D ­GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung

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108. Sitzung

Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: deutung für die Bundesrepublik Deutschland. Es steht für Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte eine neue Ära in der deutschen Sicherheitspolitik, eine nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ära, die bis heute andauert. Denn dort, im Kosovo, wur- de die Bundeswehr zum ersten Mal mit einem robusten Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich mitzutei- Mandat eingesetzt. In einfacher Sprache formuliert be- len, dass sich der Ältestenrat gestern darauf verständigt deutet das: Im Kosovo war die Bundeswehr zum ersten hat, wie üblich während der Haushaltsberatungen in Mal im Krieg. So haben wir das damals, vor inzwischen der nächsten Sitzungswoche – das ist ab dem 10. Sep- über 20 Jahren, in leidenschaftlichen politischen und tember – keine Befragung der Bundesregierung, keine auch gesellschaftlichen Debatten empfunden, und so war Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durch- es auch. zuführen. Als Präsenztage sind die Tage von Montag, dem 9. September 2019, bis einschließlich Freitag, dem Im Kosovo hat die Bundeswehr gekämpft und gelit- 13. September 2019, festgelegt worden. Ich nehme an, ten. Soldaten der Bundeswehr haben dort getötet und ihr (B) Sie sind damit einverstanden. – Das ist offensichtlich der Leben verloren. Viele sind an Körper und Seele verwun- (D) Fall. Dann verfahren wir so. det von dort zurückgekehrt. Sie haben das getan, weil dieses Haus es so wollte, weil der Deutsche Bundestag Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 25 auf: die Risiken des Einsatzes immer wieder in Kauf genom- – Beratung der Beschlussempfehlung und des men hat, um die damit verbundenen politischen Ziele zu Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- erreichen. schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Ich will heute nicht von der Fürsorgepflicht sprechen, Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der die der Bundestag sich mit jedem Mandat immer wieder internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo neu auferlegt. Ich will mich auch nicht hinter wohlfeilem (KFOR) Dank verstecken, den wir den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schulden. Ich danke ihnen für ihren Ein- Drucksachen 19/10421, 19/11182 satz, für ihren Mut, für ihre Loyalität und natürlich für – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) ihre Beharrlichkeit! gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Drucksache 19/11183 und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- mentlich abstimmen. Ich danke ihnen natürlich und gerne. Aber darum geht es heute nicht – jedenfalls nicht nur. Es geht vielmehr um Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die 20. Verlängerung dieses Mandats. Allein schon diese die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch dazu große Zahl zwingt uns, auf die Fragen zu antworten: War gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. es das wert? Durften wir das? Welchen Sinn hat es, nach Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem 20 Jahren noch weiterzumachen? Liebe Kolleginnen und Kollegen Dr. Fritz Felgentreu, SPD. Kollegen, ich bin überzeugt: Der Bundestag durfte nicht nur, er musste, und es war richtig, und es hat weiterhin (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sinn. Denn nach dem Ende des Kosovokrieges 1999 la- der CDU/CSU) gen nicht nur große Teile des Landes in Trümmern. Das gesellschaftliche Klima war vergiftet und von einer un- Dr. Fritz Felgentreu (SPD): mittelbaren Gewaltbereitschaft geprägt. In dieser Situa- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Koso- tion übernahm die NATO, gestützt auf die UN-Resoluti- vo ist ein Land von besonderer, von symbolischer Be- on 1244, in Form des KFOR-Mandats die Verantwortung 13392 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Fritz Felgentreu (A) für Sicherheit und Ordnung. Niemand sonst konnte sie Armin-Paulus Hampel (AfD): (C) gewährleisten. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Es folgten schwere Jahre. Der Beitrag der Bundeswehr ren! Liebe Besucher und Gäste im Deutschen Bundes- erreichte zeitweilig Brigadestärke. Aber immer waren die tag und Zuschauer zu Hause an den Bildschirmen! Herr Anstrengungen von der Überzeugung getragen, dass der Felgentreu, ich habe den Eindruck, wir reden über ein Frieden und der Schutz der Menschenrechte in unserer spanisches Urlaubsgebiet. Die alten Kulturstätten, die unmittelbaren Nachbarschaft notwendig und der Mühe Klöster auf dem Balkan und im Kosovo: Ja, das alles gibt wert sind. Wenn ich von Menschenrechten spreche, den- es. ke ich ausdrücklich nicht nur an die der Kosovaren, son- dern auch an die der serbischen Minderheit, für die die ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bloße Existenz eines unabhängigen Staates Kosovo bis NEN]: Sie sind wohl urlaubsreif!) heute einen Verlust von Heimat und Identität bedeutet. Aber dann fragen Sie sich mal, wer gerade eine Reihe Wenn wir uns das Kosovo heute ansehen, sehen wir von, ich glaube, über 200 Klöstern im Kosovo zerstört ein Land, in dem noch längst nicht alles in Ordnung hat. Das waren Kosovo-Albaner, und die haben nicht die ist. Eine Schweiz des Balkans wird dort auf absehbare touristischen Vorstellungen, die Sie hier äußern. Zeit nicht entstehen. Aber das Töten hat aufgehört. Die Menschen können in Sicherheit ihre Zukunft planen. Der (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Manuel Hass hat sich teils zu einer Feindseligkeit abgeschwächt, Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) teils ist er ganz geschwunden. Die Lage hat sich gewan- Meine Damen und Herren, es begann mit einer Lüge. delt. Selbst die serbische Minderheit, die in der Region Es gibt eine Produktion des öffentlich-rechtlichen Fern- um Prizren lebt, hat mit dem endgültigen Abzug der Bun- sehens, die derzeit mehrfach ausgestrahlt wird, die genau deswehr im vergangenen Jahr keine Befürchtungen um das wiedergibt, was in den 90er-Jahren im Kosovo an ihre Sicherheit verbunden. Die Zukunftsperspektiven des völkerrechtswidrigen Aktivitäten durchgeführt wurde. Es Kosovo hängen heute nicht mehr an der NATO, sondern war nicht nur ein Bruch des Völkerrechts, nein, wir ha- an der Europäischen Union, und das ist ein riesiger Fort- ben sogar, willentlich und wissentlich, gegen die UN-Re- schritt. solution 1244 verstoßen, die ausdrücklich die territoriale Mit dem neuen Mandat, meine Damen und Herren, Integrität Serbiens anerkannt hat. bekennen wir uns zu unserer Verantwortung für dieses kleine geplagte Land auf dem Balkan, und wir freuen uns (Peter Beyer [CDU/CSU]: Und es war rich- tig, die Menschen zu schützen!) (B) auch darüber, dass wir nur noch 70 Soldaten brauchen, (D) um gemeinsam mit unseren Verbündeten Sicherheit und Und Sie haben genau das Gegenteil gemacht: Sie haben Ordnung zu gewährleisten. sich gegen die UN und gegen das Völkerrecht gestellt. Das Kosovo beweist: Fortschritt ist möglich. Der Das ist die Wahrheit. KFOR-Einsatz war die Grundlage für den Fortschritt. Und das Kosovo zeigt auch: Nachhaltigkeit beim Aufbau (Beifall bei der AfD) einer friedlichen Zukunft in Demokratie, Wohlstand und Herausgekommen ist ein sogenannter Failed State, Rechtsstaatlichkeit erwächst nicht aus dem Einsatz von ein Verbrecherstaat, der von Kriminellen regiert wird. Militär. Die Arbeit ist längst noch nicht getan. Wirklich Drogenhandel, Menschenhandel, Waffengeschäfte, am Ziel sind wir erst, wenn wir Serbien und Montene- Geldwäscherei in jedem Sinne: Das lesen Sie in jeder gro, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien, Alba- internationalen Agentur. Bis hinauf in die höchsten Re- nien und natürlich das Kosovo guten Gewissens in die gierungsspitzen ist die kosovarische Regierung von Kri- Europäische Union integrieren können. Bis dahin ist es minellen durchsetzt, und der Präsident, der dort oben an noch ein weiter Weg. Aber der Blick auf die gemeisterte der Spitze steht, Herr Thaci, stand ja schon vor einem Wegstrecke zeigt: Nichts ist unmöglich. Am Ende dieses Gericht und sollte angeklagt werden. Aber sämtliche Weges steht ein befriedeter Balkan. Zeugen in diesem Prozess sind umgebracht worden. Ich Meine Damen und Herren, ein friedliches Europa habe keinen Aufschrei im Deutschen Bundestag darüber kann es für uns nur geben, wenn der Balkan, diese ural- gehört, meine Damen und Herren. te, wunderschöne, stolze, freiheitsliebende Kulturregion, endlich mit sich selbst in Frieden lebt. Bitte stimmen Sie Kosten in Höhe von 3,4 Milliarden Euro, 130 000 Mann dem 21. KFOR-Mandat zu. über 20 Jahre im Einsatz. 27 Soldaten haben im Kosovo ihr Leben verloren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der FDP) (Zuruf des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) – Ja, nicht durch Kampfhandlungen, Herr Felgentreu – Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: das stimmt –, sondern durch andere Umstände: Unfäl- Nächster Redner ist der Kollege Armin-Paulus le etc. Darunter waren übrigens viele Selbstmorde, ne- Hampel, AfD. benbei bemerkt. – Was haben wir erreicht? Das, was ich soeben geschildert habe und was die internationale Me- (Beifall bei der AfD) dienlandschaft Tag für Tag wiedergibt. Wir jedoch ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13393

Armin-Paulus Hampel (A) schließen unsere Augen und träumen von einem neuen diesen Einsatz! Er hat Deutschland weder Ruhm noch (C) Mallorca auf dem Balkan. Ehre noch Anerkennung gebracht. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Ihre Träume Danke, meine Damen und Herren. möchte ich haben!) (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, dieser Einsatz ist nicht die Knochen eines einzigen deutschen Soldaten wert. Wir unterstützen keine kriminellen Regierungen. Wir unter- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: stützen keinen Mafiastaat. Wir haben uns 20 Jahre auf Nächster Redner ist der Kollege Dr. , dem Balkan versündigt. Das ist die Wahrheit, Herr Kol- CDU/CSU. lege. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Putin, Herr Hampel? – Peter Beyer [CDU/ Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): CSU]: Haben Sie Ihre nächste Reise auf die Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Krim schon geplant? Heuchler!) Kollegen! Was wir gerade wieder bei der Rede von ei- nem Kollegen der AfD-Fraktion erlebt haben, Ich hatte unlängst die Möglichkeit, ein langes Ge- spräch mit dem serbischen Außenminister zu führen, ( [AfD]: War die Wahrheit, der sich bitter beklagt hat, dass das Normalisierungsab- die reine Wahrheit!) kommen von den westlichen Staaten gefördert, von den Kosovaren rund und glattweg abgelehnt wird. Es gibt die ja regelmäßig der von Russland völkerrechtswidrig keine Entwicklung bei diesem Abkommen, obwohl – die annektierten Krim Besuche abstattet, Frau Bundeskanzlerin hat es ja vorgestern hier bestätigt – (Peter Beyer [CDU/CSU]: Das ist die Wahr- die Serben die Vereinbarungen in ganz vielen Punkten heit! – Dr. [AfD]: Was hat eingehalten haben. das damit zu tun? – [AfD]: Die Kosovaren machen genau das Gegenteil. Sie be- Zum Thema!) hindern alles, was zu einer Verständigung, zu einer Ver- ist nicht nur Blindheit gegenüber den Maßstäben des söhnung nötig ist. Unlängst hat man serbische Produk- Völkerrechts, die wir, Deutschland, verteidigen, sondern te mit einem Zoll von 100 Prozent belegt. Das ist kein diskreditiert insbesondere den Einsatz unserer Soldatin- Versöhnungsprozess, das ist ein Spaltungsprozess. Und nen und Soldaten, die diese Aufgabe seit 20 Jahren ver- (B) ich stelle mir vor, in der Europäischen Union würde mal (D) richten, die Blutvergießen verhindert haben und dafür einer auf die Idee kommen – sagen wir: die Holländer –, gesorgt haben, dass ein schrecklicher Bürgerkrieg ein- 100 Prozent Einfuhrzoll auf deutsche Waren zu erheben. gedämmt werden konnte, aber – wie nirgendwo auf der Dann wäre hier im Deutschen Bundestag aber die Hölle Welt – natürlich keine Verantwortung dafür übernehmen los und in Europa sowieso. Dort lassen wir alles durchge- können, dass nicht auch weiter kriminelle Machenschaf- hen. Warum? Ich habe es gesagt: Weil wir auf dem Bal- ten stattfinden, in einem Ausmaß, das nicht akzeptabel kan seit 20 Jahren eine kriminelle Bande unterstützen. ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das können wir hier (Beifall bei der AfD) nicht stehen lassen. Und damit Sie mal wissen, wovon ich rede, zitiere ich (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der mit Genehmigung des Herr Präsidenten Carla del Ponte, FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- die in ihrem Buch über die Vergehen im Kosovo Schreck- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. liches berichtet. Sie sagt, dort habe es ein sogenanntes [AfD]: Blödsinn! – Weitere Zurufe von der gelbes Haus gegeben, in dem Organe von Gefangenen AfD) entnommen wurden. Man habe sie in eine Baracke ge- sperrt, bis man sie schließlich aller ihrer Organe entledigt Deutschland zeigt mit diesem 20 Jahre dauernden hat. Die Gefangenen hätten, als sie von ihrem Schicksal Einsatz im Kosovo, dass es bereit ist, international Ver- erfahren haben, ihre Peiniger angefleht, sie zu töten. Das antwortung zu übernehmen. Ja, dazu haben wir uns ver- muss man sich mal vorstellen. All das lassen wir gesche- pflichtet. Ja, auf der Münchner Sicherheitskonferenz hen und sagen: Die Bundeswehr wird dort schon mit an- vor fast sechs Jahren haben der Bundespräsident, der deren Partnern für Frieden und Stabilität sorgen. Außenminister und die Verteidigungsministerin gesagt: Wir nehmen internationale Verantwortung wahr. Ja, dazu Wir haben den Frieden nicht erreicht, wir haben die ist es notwendig, dass wir den Verteidigungshaushalt Stabilität nicht erreicht. Wir haben die Menschen einem weiter erhöhen. Das 2-Prozent-Ziel ist für uns verbind- grausamen Schicksal ausgesetzt. Jetzt wäre es Zeit, das lich. – Aber Deutschland kann auch selbstbewusst darauf zu korrigieren. Finden wir zu der Entscheidung, die vie- hinweisen, dass wir diesen längsten Einsatz, der von der le internationale Vorschläge nahelegen. Das Kosovo ist NATO geführt wird, zuverlässig begleiten, dass wir da nicht lebensfähig und wird über kurz oder lang Albani- sind, wenn Deutschland gefordert ist, um dafür zu sor- en zugeschlagen werden. Geben wir die Regionen, die gen, dass das Völkerrecht Geltung hat, hauptsächlich von Serben bewohnt werden, an Serbien, damit die Menschen dort unter ihren eigenen Landsleu- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das sind Ver- ten in Frieden leben können. Beenden wir schleunigst brecher!) 13394 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Johann David Wadephul (A) dass wir da sind, wenn es um Menschenleben geht, und ten zu entscheiden haben. Ich glaube, mindestens im Fall (C) dass wir für Sicherheit und Ordnung in dieser kritischen von Nordmazedonien ist klar: Es wird positiv ausgehen. Region sorgen. Wir zeigen: Wir sind sicherheitspolitisch erwachsen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das heißt: Deutschland steht zu seiner Verantwortung Das können wir selbstbewusst sagen. im westlichen Balkan. Das ist ein Teil Europas. Wir neh- men unsere Verantwortung wahr, aber wir nehmen auch (Beifall bei der CDU/CSU) die Politikerinnen und Politiker dort, in der Region, in die Verantwortung: Bekennt euch zu Europa! Lebt unsere Es zeigt auch, dass wir in der Lage sind, dies auch mit Werte! Dann seid ihr herzlich willkommen. einer Parlamentsbeteiligung zu realisieren. Die deutsche Parlamentsbeteiligung ist mancher internationalen Kritik Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ausgesetzt, und wir sagen allen internationalen Partnern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- immer wieder: Es ist gut, es ist richtig, und es ist nicht ordneten der SPD) irgendein Relikt des Kalten Krieges, dass das deutsche Parlament daran beteiligt ist. – Dass wir hier im Deut- schen Bundestag seit 20 Jahren verlässliche Mehrheiten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: für diesen schwierigen Einsatz haben, zeigt, dass parla- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie mentarische Verantwortung für unsere Soldatinnen und Strack-Zimmermann, FDP. Soldaten nicht bloß Inhalt irgendwelcher Sonntagsreden ist, sondern dass diese Verantwortung wahrgenommen (Beifall bei der FDP) und gelebt wird und eine parlamentarische Beteiligung richtig ist. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): und dieser Einsatz und unser heutiger Beschluss zeigen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat: dass wir dem gewachsen sind. Es ist 20 Jahre her, dass die Einheiten der Bundeswehr die Grenzen zum Kosovo überschritten. Ja, es ist unver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- gessen, und es wurde heiß diskutiert. Sie hatten das Ziel, wie bei Abgeordneten der FDP) gemeinsam mit verbündeten Truppenkontingenten den Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müs- Abzug der serbischen Polizei und der jugoslawischen sen in der Tat Verantwortung für das Kosovo und den Armee sicherzustellen. In der Spitze – das muss man westlichen Balkan wahrnehmen, aber auch die Staaten sich vorstellen – waren, alle Verbündeten zusammenge- dort auffordern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. nommen, insgesamt 50 000 Soldaten beteiligt. Noch ein- Da ist in der Tat viel zu tun. Wenn von Großalbanien die mal zur Erinnerung: Das basierte auf der Grundlage der (B) Rede ist, ist das eine wirkliche Gefahr für den Frieden UN-Resolution 1244; es war keine Luftnummer. (D) dort, die insbesondere auch der kosovarische Präsident Das Ende der Kampfhandlungen zwischen der NATO Thaci schürt. Das ist nicht akzeptabel. Wenn es Ideen und der Bundesrepublik Jugoslawien war bereits kurz gibt, wieder Grenzlinien anhand von ethnischen Bevöl- zuvor festgeschrieben worden, und das Abkommen ver- kerungsgruppen neu zu ziehen, dann ist das eine elemen- pflichtete die KFOR-Truppen und auch die UCK, die tare Gefahr für Frieden und Sicherheit in dieser Region. albanische Befreiungsarmee zu entwaffnen. Diese hatte Wir müssen allen Menschen dort sagen: Ja, ihr gehört ihrerseits bereits während des Bürgerkriegs grauenvolle zu Europa. Wir wollen euch in dieses Europa integrie- Verbrechen an der serbisch-kosovarischen Minderheit ren. – Das wird ein langer Weg sein – Fritz Felgentreu hat verübt. es gesagt –, aber das Europa des 21. Jahrhunderts ist ein Damit richtete sich der Einsatz der Bundeswehr von Europa, in dem wir die Rechte ethnischer Minderheiten Beginn an nicht eindimensional gegen irgendeine Grup- nicht mehr durch Grenzziehung wahren, sondern durch pe. Durch das KFOR-Mandat war aus dem Kriegseinsatz kluge Minderheitenpolitik. Das wird in Südtirol gelebt; ein Friedenseinsatz geworden, der der Gewalt ein Ende das wird auch in Deutschland gelebt. Ich habe in meinem machen sollte. Wahlkreis eine dänische Minderheit. Und auch wenn die Grenzziehung zu Dänemark 100 Jahre her ist – glauben Herr Hampel von der AfD, Sie waren doch bei der Sie nicht, dass es nicht auch dort noch Ressentiments ARD. gibt. Die gibt es natürlich in sehr viel größerem Umfang (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) auch in der Balkanregion. – Dann schauen Sie sich mal die Filme, die damals dort Das heißt, dieses Europa der Zukunft muss ein Eu- gedreht wurden, an! Die Albaner haben gejubelt, als die ropa des integrativen Ansatzes sein, in dem ethnische KFOR-Einheiten kamen, und auch die Serben feierten Unterschiede eine immer kleinere Rolle spielen. Davon das Ende dieses Krieges. Die Menschen waren den Krieg können wir erzählen, um diese Idee in diese Region zu leid. Sie waren des Krieges müde, und sie waren das bringen. Wenn wir diese Verantwortung weiter wahrneh- Elend leid. Sie waren dankbar, dass die Truppen gekom- men und die Politikerinnen und Politiker dort, in dieser men sind. Region, weiter in die Verantwortung nehmen, dann ist es in der Tat möglich, diesen Kernbestandteil Europas auch (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der in die Europäische Union zu integrieren. SPD) Wir werden voraussichtlich im Herbst hier über die Es war ein Krieg, meine Damen und Herren, der Tau- Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit weiteren Staa- sende Opfer forderte, weit über 1 Million Menschen in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13395

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) die Flucht trieb – die Auswirkungen haben wir auch in Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): (C) der Bundesrepublik erlebt – und in dessen Folge noch Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr heute viele Tausend Menschen als vermisst gelten. Der Präsident! Im Gegensatz zu meinen Vorrednern – al- Einsatz der NATO hatte Erfolg und hat diesen Bürger- lesamt – habe ich kurz nach dem Krieg zwei Jahre im krieg beendet. Das zeigt sich jetzt natürlich auch in der Kosovo gearbeitet, habe also Einblicke bekommen, die Senkung der Personalobergrenze der Bundeswehr: Um- viele von Ihnen nicht haben. Insofern, glaube ich, kann fasste das Mandat zu Spitzenzeiten bis zu 8 500 Solda- ich von einer hohen Authentizität meiner Beobachtungen ten, so liegt die Zahl heute bei 400. Es sind – das wurde sprechen. gerade gesagt – noch 68 Soldaten vor Ort. Ja, vor 20 Jahren begann das NATO-Bombardement Ja, es ist richtig, an dieser Stelle noch einmal all den gegen Jugoslawien, danach die Besetzung durch die Soldatinnen und Soldaten Danke zu sagen, die in diesen ­NATO-Truppen im KFOR-Format. Es gab eine Resolu- zwanzig Jahren diesen Weg, der wahrlich eine Heraus- tion des Sicherheitsrates, die Resolution 1244. Es ist ein forderung war, gegangen sind. Die FDP dankt von Her- Kunststück, dass der Angreifer, der Akteur, der angreift, zen dafür. sich dann als Friedenshüter mit einer Sicherheitsratsreso- lution ins Nest setzen und ein Gebiet besetzen kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört auch: Zuvor gab es die sogenannten Rambouillet-Verhand- Wenn im Kosovo heute auch Frieden herrscht, friedlich lungen, die ja bekannterweise gescheitert sind. Die- ist die Situation jedoch nicht. Der ethnische Konflikt se Verhandlungen waren aber keine Verhandlungen, wird von verschiedenen Akteuren leider immer wieder sondern sie waren der Versuch eines Diktats führender befeuert. Es spielt eben immer noch eine Rolle, wer Al- ­NATO-Staaten. Jugoslawien sollte im Ergebnis auf einen baner, wer Serbe, wer Roma ist. Inzwischen sind es vor Teil seines Staatsgebietes, das Kosovo, verzichten, der allem die Minderheiten der Serben und der Roma, die Rest Jugoslawiens sollte sich für NATO-Truppenbewe- geschützt werden müssen. Serbische Kulturgüter drohen gungen öffnen. Dieses Diktat hat Jugoslawien bekannter- ohne dauernde Bewachung zerstört zu werden. Wieder- weise abgelehnt. holt kam es zu pogromartigen Ausschreitungen durch die Das Resultat war ein 77 Tage lang währender Krieg Albaner . Wiederum kommt es aber auch in Gebieten der gegen Jugoslawien. Begründet wurde dieser Angriffs- serbischen Mehrheit zu Unruhen und zu Angriffen auf krieg mit einer Militärintervention aufgrund eines Geno- UN-Angehörige und KFOR-Soldaten. Ich selbst konn- zids an den Albanern. Einen solchen hatte es aber nicht (B) te vor wenigen Wochen auf der Sicherheitskonferenz in gegeben. Daher wurde dann von einem drohenden Ge- (D) Bratislava während eines Panels live erleben, wie sich nozid gesprochen; Stichwort: Hufeisenplan von Schar- die Präsidenten Serbiens und des Kosovos, Vucic und ping. Das wahre Motiv dieser NATO-Aggression war Thaci, auf offener Bühne wahrlich undiplomatisch ver- also nicht der Schutz der Menschenrechte, zumindest bal angegangen sind. nicht der Menschenrechte der Serben, wenn wir schon von Menschenrechten sprechen, sondern es ging darum, Aber auch die wirtschaftliche Situation der Region Jugoslawien in die Knie zu zwingen, wie es bereits Au- und besonders die Situation der jungen Generation, die ßenminister Kinkel im Jahre 1992 geäußert hatte. Es ging nach Perspektiven sucht, sind schwierig. Hier muss noch darum, Jugoslawien in die Knie zu zwingen und Serbien Unterstützung gewährt werden. Bisher herrscht hier ein den NATO-Interessen unterzuordnen. Klima der Instabilität, und Instabilität bedeutet einen Nährboden für organisierte Kriminalität und auch für is- Nach 77 Tagen NATO-Bomben gegen Jugoslawien, ge- lamistischen Fundamentalismus. gen militärische und vor allem zivile Ziele, ist Jugoslawien in die Knie gezwungen worden. Der damalige NATO-Pres- Meine Damen und Herren, die KFOR-Mission hat ih- sesprecher Jamie Shea prahlte – Originalton –: Die NATO ren Auftrag erfüllt, die öffentliche Sicherheit und Ord- bombt Jugoslawien in die Steinzeit zurück. – Ja, Schu- nung herzustellen, die Entmilitarisierung im Kosovo zu len, Krankenhäuser, Brücken, Eisenbahnen, Kraftwerke, gewährleisten. Der KFOR-Einsatz ist weiterhin sinnvoll Denkmäler, Fernsehsender, Industrieanlagen wurden zer- und wichtig in der Region. Die Menschen dort, gerade stört. Sehr geehrte Damen und Herren, das war eine wahre die jungen Leute, sehen ihre Zukunft mehrheitlich, auch Meisterleistung der westlichen Wertegemeinschaft. Nach wenn es ein langer Weg ist, in Europa und in der NATO. dem Einmarsch der NATO in das Kosovo mussten über Die FDP wird diesem Mandat zustimmen. 220 000 Menschen fliehen – Nichtalbaner, Serben, Roma etc. –, die bis heute nicht zurückkehren konnten. Sie muss- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten fliehen oder wurden vertrieben unter den Augen und der CDU/CSU und der SPD) mit Duldung der NATO. Die Unterstützung für die albanischen Separatisten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: geht bis heute weiter. Das Kosovo ist ein Hotspot für Isla- Nächster Redner ist der Kollege Dr. , mismus und organisierte Kriminalität. Die Unabhängig- Die Linke. keitserklärung der albanischen Separatisten im Jahr 2008 wurde von den NATO-Kräften im Kosovo geradezu mili- (Beifall bei der LINKEN) tärisch abgesichert. Die diplomatische Anerkennung des 13396 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Alexander S. Neu (A) Kosovo durch Serbien – hier ist der Druck auf Serbien bereitschaft. Friedliche Nachbarschaft sieht anders aus. (C) erheblich – wird zu einer faktischen Voraussetzung für Weitere Eskalationen sind nicht auszuschließen. die EU-Beitrittsverhandlungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sehr geehrte Damen und Herren, sowohl die UN-Si- Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) cherheitsratsresolution 1244 als auch die UN-Charta sind Vor diesem Hintergrund ist KFOR nach wie vor ein für die NATO-Staaten ganz offensichtlich reine Makula- elementarer Schutz- und Stabilitätsfaktor. Darüber sind tur, wenn es um den Balkanraum geht. sich die breite Mehrheit der Bevölkerung einschließlich Wer über die Annexion der Krim spricht und Respekt der serbischen Minderheit sowie Regierung und Parla- vor dem Völkerrecht einfordert, aber die eigene Mittä- ment einig. Für uns Grüne sind der Frieden in der Region terschaft an der Zerschlagung Jugoslawiens und an der und die Stabilität ein übergeordnetes Ziel. Deshalb wer- Zerlegung des Völkerrechts verschweigt, der offenbart den wir der Verlängerung des Mandats zustimmen. sein instrumentelles Verhältnis zum Völkerrecht. Ein Problem, das sich für unsere Fraktion aber ergibt, (Beifall bei der LINKEN und der AfD) ist die bereits begonnene Umwandlung der bisherigen KSF in militärische Streitkräfte. Durch ein Gesetzespa- Machtpolitik statt völkerrechtstreuer Friedenspolitik ist ket im letzten Dezember soll die KSF nun auch für die die Leitlinie westlicher Politik. Landesverteidigung zuständig und militärisch ausge- rüstet werden. Um das klar zu sagen: Die KSF-Geset- Und noch ein Hinweis. Ich finde es wirklich unsäg- ze können nicht als einseitiger Akt Kosovos betrachtet lich, dass Kritik an diesem Einsatz immer auch mit Kri- werden, vielmehr sind sie die Antwort auf die aggressive tik an der Bundeswehr gleichgesetzt wird. Nein, es geht Droh- und Eskalationsrhetorik der serbischen Regierung. nicht um die Soldatinnen und Soldaten, die dort ihren Regelmäßig drohen Präsident oder Ministerpräsidentin Dienst verrichten, sondern es geht um die politischen mit dem Einmarsch serbischer Truppen und unterneh- Entscheider, die die Soldatinnen und Soldaten dort hin- men alles, um den Norden des Landes zu destabilisieren. schicken und für ihre machtpolitischen Zwecke instru- Vertreterinnen und Vertreter der serbischen Minderheit mentalisieren. werden nicht selten als Marionetten für eine Obstrukti- Vielen Dank. onspolitik instrumentalisiert. Kosovo-Serben, die sich kritisch gegenüber der serbischen Regierung äußern, (Beifall bei der LINKEN und der AfD – Peter werden regelmäßig eingeschüchtert und bedroht. Der für Beyer [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas seine Kritik an der serbischen Kosovo-Politik bekannte Neues!) Politiker Oliver Ivanovic wurde 2018 ermordet. (B) (D) Der Aufbau einer kosovarischen Armee ist dennoch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: völkerrechtlich, aber auch sicherheitspolitisch brisant, Ich erteile das Wort dem Kollegen Manuel Sarrazin, weil sich die bestehenden Spannungen zwischen Serbien Bündnis 90/Die Grünen. und dem Kosovo weiter verschärfen könnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir hätten uns gewünscht, dass die Weiterentwicklung Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der KSF in einem Verfahren erfolgt wäre, das den in der Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kol- kosovarischen Verfassung vorgesehenen Weg eingehal- legen! Für viele von uns ist der Krieg im Kosovo an- ten hätte, nämlich mit einer doppelten Zweidrittelmehr- scheinend in weite Ferne gerückt, für die Menschen vor heit – im Gesamtparlament und unter den Minderheits- Ort ist er aber nach wie vor sehr präsent. Auch 20 Jahre vertreterinnen und -vertretern. Wir hätten uns gewünscht, sind nicht ausreichend, um Traumata und den Verlust dass die Minderheitenrechte in dieser Frage besonders von Freunden, von geliebten Menschen zu verarbeiten. sensibel behandelt werden. Die Argumentation, dass die Ich bin froh, dass Kosovo trotz alledem heute im Alltag KSF erst nach zehn Jahren in Kosovo Armed Forces um- friedlich und sicher ist. benannt wird, halten wir politisch nicht für überzeugend. Die Beteiligung der NATO an der Beratung zur Ausbil- Nichtsdestotrotz sind sich alle Expertinnen und Ex- dung der KSF ist für meine Fraktion deswegen auch kri- perten einig: Dieser Frieden ist keineswegs garantiert. tikwürdig, wobei wir wissen, dass die Beratung der KSF Im Gegenteil: Seit November erleben wir eine neue Es- unabhängig von KFOR im sogenannten NALT läuft. kalationsspirale zwischen Serbien und Kosovo. Serbien blockierte mit Hilfe Russlands die Aufnahme Kosovos Meine Fraktion steht zur Unabhängigkeit des Kosovo. in Interpol. Daraufhin erhob die kosovarische Regie- Aber wir möchten betonen, dass sich aus der Anerken- rung Strafzölle in Höhe von 100 Prozent auf serbische nung des Kosovo nicht automatisch die Legitimation für Einfuhrprodukte. Die Gespräche zwischen beiden Re- den Aufbau eigener Streitkräfte ergibt. gierungen zur Normalisierung ihrer Beziehungen liegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seitdem auf Eis. Konfrontation statt Annäherung lautet seitdem die Devise. Erst Ende Mai 2019 kam es im Nor- Einer der zentralen Gründe, dem KFOR-Mandat zuzu- den Kosovos während eines Polizeieinsatzes gegen die stimmen, ist, dass die Sicherheitsratsresolution 1244 organisierte Kriminalität zu einem Schusswechsel. An- vorsieht, dass die Landesverteidigung nicht durch eigene schließend versetzte Serbien seine Streitkräfte in Alarm- Streitkräfte, sondern durch die in diesem Rahmen man- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13397

Manuel Sarrazin (A) datierten Kräfte erfolgt. Nichtsdestotrotz stellt sich hier Ausland wohnen und dort ihren Lebensunterhalt verdie- (C) natürlich die Frage, wer nach einem vollständigen Abzug nen, sich aber weiterhin als Kosovaren und Kosovo-zu- der internationalen Truppen die Sicherheit der Menschen gehörig fühlen und es auch sind. im Ernstfall verteidigen wird. Auch darüber sollten wir rechtzeitig nachdenken. Wenn Sie einmal die genannten Grenzübergänge pas- sieren oder mit dem Flugzeug von Berlin aus nach Pristi- Sie alle wissen, dass wir ein Problem mit der Dis- na fliegen, sich dort also als ganz normale Besucher be- krepanz zwischen der tatsächlichen Truppenstärke im wegen, sollten Sie es nicht versäumen, Kosovaren nach Kosovo und der deutlich höheren Obergrenze haben. ihrem Sicherheitsempfinden zu befragen. Viele Kosova- Wer diese Region kennt, weiß, dass die dort stationierte Truppe als Symbol gerade vor dem Hintergrund der ak- ren sprechen übrigens Deutsch. Viele wurden abgescho- tuellen Spannungen zwischen Serbien und Kosovo und ben, nachdem sie um Asyl nachgesucht haben. Nicht al- der nachvollziehbaren Angst vieler Menschen richtig und les ist ideal. Wenn Sie jedenfalls die Kosovaren befragen, wichtig ist. Trotzdem ist auch hier klar, dass ein solches werden Sie einhellig die Antwort erhalten, dass man sich Auseinanderklaffen von Wirklichkeit und Mandatierung sicher fühlt, dass man sich als Bürger eines selbststän- irgendwann aufgelöst werden muss. digen Kosovo fühlt. Wenig später wird man Ihnen dann sagen: Dank an KFOR. – Herr Staatssekretär Silberhorn Ich komme zum Schluss. KFOR ist für den Frieden in hat bereits den Abschlussappell in Prizren erwähnt. Die der Region noch unerlässlich. Frieden auf dem Balkan Menschen wissen sehr wohl, wem sie das Gefühl der Si- wird es aber dauerhaft nur dann geben, wenn uns die In- cherheit zu verdanken haben. tegration der Länder in die Europäische Union gelingt. Deswegen müssen wir im Herbst unbedingt die Beitritts- Jetzt noch 70 Soldaten im Kosovo – das wurde bereits verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien eröff- vom Vorredner angesprochen –, eine Mandatsobergrenze nen sowie die Visafreiheit für das Kosovo durchsetzen. von bis zu 400, wie passt das zusammen? Das ist schlicht- Vielen Dank. weg ein Rückfallszenario; denn insgesamt 28 Nationen haben Kräfte in der Republik Kosovo stationiert. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind also „nur“ ein Teil davon. Die NATO hält für den Fall einer unerwarteten Lageverschärfung Reservekräfte Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: aus Italien, Ungarn und Großbritannien bereit. Diese sind Eckhard Gnodtke, CDU/CSU, ist der nächste Redner. festgelegt. Im Rahmen eines sogenannten Force Genera- tion Process könnte dann auch das deutsche Kontingent (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) entsprechend erhöht werden. (B) (D) Eckhard Gnodtke (CDU/CSU): Zusammengefasst: Das KFOR-Mandat hat sich von Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen einem friedenschaffenden zu einem friedensbewah- und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer jetzt im renden Mandat gewandelt. Die vergleichsweise hohe Sommer von Serbien aus in die Republik Kosovo einrei- Mandatsobergrenze soll all den Kräften, die glauben, sen will, muss Geduld mitbringen. Schon sehr früh stau- die Erfolge im Kosovo infrage stellen zu können, eine en sich an Grenzübergängen wie Merdare, Medevce und Mahnung sein. Man könnte die KFOR-Kontingente sehr Mutivoda die Fahrzeuge, weil Einreisende an der Grenze schnell wieder aufstocken und den Menschen im Kosovo eine Zwangshaftpflichtversicherung abschließen müs- helfen, ihre Sicherheit wiederzuerlangen. sen. Die Menschen, überwiegend Kosovaren aus dem europäischen Ausland, nehmen dies jedoch geduldig auf Abschließend möchte ich den Soldaten danken, die sich; denn sie haben schon darauf gewartet, wie in jedem in der Republik Kosovo tätig sind, aber auch denjeni- Jahr bei ihren Familien sein zu können und alles das zu gen, die im Auftrag der Bundesregierung den Menschen tun, was man im Kosovo in wenigen Wochen erledigen weiterhin bei der Bewältigung ihres Alltags helfen, zum kann, zum Beispiel zu heiraten, sich zu Familienfeiern Beispiel den GIZ-Mitarbeitern oder den Mitarbeitern von und -festen zusammenzufinden oder aber – ganz profan – DIMAK. Ich habe mir selbst im letzten Jahr ein Projekt die Reparatur des Autos durchführen zu lassen. Endlich angeschaut, das zurückgekehrten Kosovaren dabei hilft, sind sie – darauf will ich hinaus – in ihrem Land, mit dem Arbeit und Ausbildung zu finden. Diese beiden Organi- sie sich identifizieren, bei ihren Angehörigen, von denen sationen mögen stellvertretend für die anderen stehen. dann der Abschied auch wieder schwerfällt, eine völlig Sie alle machen – genauso wie die Bundeswehr – einen andere Situation als noch vor 20 Jahren; die Vorredner großartigen Job. Sie setzen sich ein für die Menschen im haben darauf hingewiesen. Damals gab es 1,4 Millionen Kosovo. Sie setzen rechtsfreien Räumen in Europa Gren- Menschen, die vertrieben wurden und flüchteten. Der zen. Das ist in unser aller gemeinsamem Interesse. größte Teil der damals 1,8 Millionen Kosovo-Albaner war obdachlos. Es war damals überhaupt nicht daran zu Ich bitte Sie, der Verlängerung des KFOR-Mandates denken, dass Kosovo einmal eine Heimstatt für Kosova- zuzustimmen. ren werden könnte: zum einen für diejenigen, die wei- terhin im Kosovo wohnhaft sind und sich oftmals – Herr Vielen Dank. Dr. Felgentreu hat gesagt, dass es nicht die Schweiz des Balkan ist – eine bessere Arbeit zur Bewältigung ihres (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- Alltags wünschen; zum anderen für diejenigen, die im wie bei Abgeordneten der SPD) 13398 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: den Weg in die EU ebnen. Jede Hinhaltetaktik oder Zwei- (C) Josip Juratovic, SPD, hat als Nächster das Wort. deutigkeit von europäischer Seite in diesem Zusammen- hang arbeitet den Feinden der Demokratie in die Hände. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Deswegen müssen die Spielchen jetzt aufhören. Seit Damen und Herren! Herr Hampel und Herr Neu, der 15 Jahren sprechen wir mit den Ländern des Westbal­ Unterschied zwischen Ihnen und dem Rest des Hauses kans über EU-Perspektiven. Jetzt müssen endlich Taten besteht darin, dass man permanent erlebt, dass Sie sich folgen. Manchmal denke ich, dass es zu viele noch nicht an die Seite der Täter stellen und nicht an die Seite der begriffen haben. Es droht Krieg auf dem Balkan. Wir Opfer. Das sehe ich sehr problematisch. müssen bewusst und vor allem verantwortungsbewusst handeln, um ein erneutes Blutvergießen im Herzen Euro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten pas zu verhindern. Wir brauchen Haltung und Mut, wenn der CDU/CSU) wir die Zukunft Europas und damit auch unsere eigene Es gibt Opfer ethnischer Säuberungen. Sie wissen genau, Zukunft sichern wollen. Auf dem Westbalkan und insbe- was damals nicht nur im Kosovo, sondern auf dem ge- sondere im Kosovo steht auch die Glaubwürdigkeit des samten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens stattgefun- demokratischen Europas auf dem Spiel. den hat. Deutschland kommt im EU-Beitrittsprozess im Üb- Ich war zuletzt vor 14 Tagen im Kosovo und konnte rigen eine Schlüsselrolle zu. Sie können sich nicht vor- wieder mit eigenen Augen sehen, was nationale Egois- stellen, was für eine verheerende Signalwirkung es hätte, men und Separatismen anrichten können. An die Adresse wenn die Deutschen den Menschen, ganz gleich in wel- der AfD gerichtet: Das Resultat des Slogans „Wir zuerst chem Teil des Westbalkans, den Rücken zudrehen soll- in Europa“ und von Separatismen, die Sie bestärken, ten oder auch nur diesen Eindruck entstehen ließen. Das sieht man ganz genau auf dem Westbalkan. Genau solche würde einen immensen Verlust an Vertrauen in die EU, Strukturen haben dazu geführt, dass dort diese Katastro- aber auch in die eigene Zukunft bedeuten. Genauso we- phe stattfand. nig dürfen wir – das geht leider auch an die Adresse der Union – in der Region parteistrategische Interessen ver- Im Kosovo findet heute keine bewaffnete Auseinan- folgen, wie es Teile der Union in Albanien tun. Wir müs- dersetzung statt, und doch ist der Frieden dort, wie man sen regionalpolitisch handeln im Sinne der Menschen vor fast täglich den Zeitungen entnehmen kann, sehr brüchig, Ort und im Sinne der Demokratie. (B) nicht zuletzt weil Nationalisten und Kriegsprofiteure (D) aller Art das Land in Geiselhaft halten und immer wie- Denn eines ist klar: Funktionierende demokratische Insti- der für Konflikte mit den Nachbarn sorgen rein um des tutionen verhindern Kriege. Um diese Institutionen und Machterhalts willen, mit dem traurigen Ergebnis, dass die Kosovaren zu schützen, dazu braucht es den Schutz viele Menschen das Land verlassen in der Hoffnung, wo- der KFOR. An dieser Stelle möchte ich den Soldatinnen anders eine bessere Zukunft zu finden. Auf der anderen und Soldaten der KFOR auch meinen ausdrücklichen Seite kämpfen täglich viele Menschen für ein besseres Dank aussprechen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu Kosovo, ein europäisches Kosovo im Vertrauen auf unser diesem Mandat. Versprechen, dass ihr Land eine EU-Perspektive hat. Wir Danke schön. sehen also vor uns ein zerrissenes Land im Herzen Eu- ropas, dessen Schicksal uns nicht gleichgültig sein kann (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- und nicht gleichgültig sein darf. wie bei Abgeordneten der FDP) Die gefährdeten demokratischen Kräfte im Kosovo

brauchen unsere Unterstützung und unsere Solidarität. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollege Peter Beyer, CDU/CSU. der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir glaubwürdig für ein Europa der demokrati- schen Werte stehen wollen, dann müssen wir diese Un- Peter Beyer (CDU/CSU): terstützung leisten. Dafür haben wir zwei Hebel. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Erstens. Wir setzen die deutsche Beteiligung am ren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Stabil, aber KFOR-Einsatz fort. Der KFOR-Einsatz dient nicht nur nach wie vor fragil“, häufig haben wir das in den Debat- der Sicherheit und Stabilität in der Region. Er ist nicht ten der vergangenen Jahre gehört, wenn wir über die Re- nur Garant für den Frieden vor Ort, sondern er schützt gion des westlichen Balkans und insbesondere über das eben auch die demokratischen Kräfte, also die Menschen, Verhältnis vom Kosovo zu Serbien hier im Hohen Hause die im Kosovo mühsam für unsere Werte kämpfen. Sie zu gesprochen haben. Es trifft ja auch zu, dass die Situation schützen, ist eine zentrale Aufgabe. Dort gibt es keinen „stabil, aber fragil“ ist. Raum für Zweideutigkeiten. Nun gehen wir doch noch mal zwanzig Jahre zurück. Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt. Wir müs- Im Jahre 1999, zu Beginn des KFOR-Einsatzes, wie sah sen dem Kosovo und der Region Westbalkan glaubhaft denn die Lage damals aus? Die Soldaten – über 50 000, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13399

Peter Beyer (A) davon bis zu 6 000 Angehörige der Bundeswehr – ha- Wahr ist, dass KFOR alleine selbstverständlich keine (C) ben ein Land vorgefunden, das kriegszerrüttet und kompletten Lösungen schaffen kann. Die Staaten sind kriegszerstört war. Es gab dort Hunderttausende, ja über selbst gefordert, vertrauensbildende Maßnahmen zu 850 000 Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Das war schaffen. Serbien und Kosovo müssen die festgefahre- eine ganz andere Situation, als wir sie heute vorfinden. nen Dialoge wieder aufnehmen und selbst Schritte des Fortschrittes gehen. Nur dann ist auch unsere Unterstüt- Ich bin in den letzten zehn Jahren mehrfach, jedes zungsleistung, nicht nur durch KFOR, sondern auch po- Jahr, im westlichen Balkan unterwegs gewesen und litischer Natur, erfolgreich. Aber die Schritte müssen die konnte mich bei diesen Reisen selbst davon überzeugen, Staaten und Akteure dort selbst gehen. dass die Situation heute eine andere, eine immer noch nicht perfekte, aber eine qualitativ deutlich bessere ist, Wahr ist auch: Die fünf Mitgliedstaaten der Europäi- als sie es noch vor zwanzig, zehn oder fünf Jahren ge- schen Union, die das Kosovo immer noch nicht anerken- wesen ist. Das ist zu einem ganz entscheidenden Teil den nen, rufe ich an dieser Stelle wie in jeder meiner Reden KFOR-Soldatinnen und -Soldaten zu verdanken. An die- dazu auf, dies jetzt endlich nachzuholen. ser Stelle spreche ich ausdrücklich den Angehörigen der (Beifall des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Bundeswehr, die in den letzten Jahren dort ihren Dienst verrichtet haben und das auch heute noch tun, meinen Denn es ist im Interesse der Europäischen Union, dort und unseren Dank aus. nicht dritten Akteuren Tür und Tor zu öffnen und deren Einfluss zu stärken. Das kann nicht im Sinne unserer eu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- ropäischen Stabilitäts- und Friedensinteressen sein. wie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Meine Damen und Herren, wegen dieser qualitativen In diesem Sinne schließe ich, Herr Präsident. Es gibt Verbesserung in der Region ist es auch richtig, dass wir kein Datum für das Ende des KFOR-Einsatzes. Aber ei- jetzt die Obergrenze von 800 auf 400 halbieren; denn das nes weiß ich ganz genau: Eine Normalisierung, ein Ab- schafft Freiräume, auch für positive Entwicklungen. Es kommen, das rechtlich bindend ist und das Verhältnis wurde bereits erwähnt, dass das durch die Bundeswehr von Serbien zum Kosovo abschließend regelt, ist Voraus- betriebene Feldlager in Prizren im Herbst letzten Jahres setzung für einen Abzug der KFOR-Soldaten. geräumt und an Kosovo übergeben werden konnte. Hier sollen neue Zukunftsperspektiven entstehen in einem (Beifall des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Technologie- und Innovationspark. Das muss aber noch schneller gehen, um den Menschen die Zukunftschan- Das geschieht hoffentlich bald; aber es wird noch eine Zeit lang dauern. (B) cen auch rasch anbieten zu können, und das muss mit (D) weniger Bürokratie einhergehen. Dafür werbe ich, meine Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Ich sage aber auch: Stopp einer übereilten, weiteren, wie bei Abgeordneten der FDP) zu krassen Reduzierung der Obergrenze. Denn nicht al- les entwickelt sich zum Positiven; wir haben das in der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: heutigen Debatte schon mehrfach gehört. Gerade in den Damit schließe ich die Aussprache. letzten Wochen und Monaten konnten wir im Norden des Kosovo, der mehrheitlich von Serben bewohnt ist, wieder Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss­ Polizeieinsätze beobachten, die sich gegen organisierte empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Kriminalität gerichtet haben. Es sind ethnische Spannun- trag der Bundesregierung zur Forstsetzung der deutschen gen im Land vorhanden. Hier stabilisiert und unterstützt Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in KFOR nach wie vor. Diese Entwicklungen, wie sie auch Kosovo. heute noch dort zu finden sind, zeigen ja, dass KFOR und Mir liegt eine schriftliche Erklärung zur Abstim- damit auch die Bundeswehrsoldaten immer noch vor Ort mung nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1) gebraucht werden. Deshalb ist es erforderlich, dass wir heute dieses Mandat verlängern. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf der Drucksache 19/11182, den Antrag der Bun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und desregierung auf der Drucksache 19/10421 anzunehmen. der SPD) Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na- Keine Lösung, meine Damen und Herren, sind Fantas- mentlich ab. Ich bitte, die Plätze an den Urnen zu beset- tereien von Großmachtstreben, von ethnischen Staaten, zen. – Ist das überall der Fall? – Das ist der Fall. Dann von einem Groß-Albanien oder einem Landtausch. Es eröffne ich die namentliche Abstimmung über die Be- ist klar, dass das keine Lösungen, sondern im Gegenteil schlussempfehlung. neue Probleme schaffen würde; da brodelt es. Meine Da- men und Herren, ich warne bei der Umsetzung solcher Ist noch ein Mitglied im Haus, das an der Abstimmung Fantastereien vor neuen Bürgerkriegen im westlichen teilnehmen wollte und seine Stimme nicht abgegeben Balkan, direkt bei uns vor der Haustüre. Das können wir hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schlie- nicht zulassen. ße ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 1) Anlage 2 13400 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das hätte zwangsläufig Auswirkungen auf den Libanon und (C) Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge- könnte auch den Konflikt zwischen der Hisbollah und geben.1) Israel wieder anheizen. Nicht nur, aber auch aus diesem Grund – weil es eben auch immer um die Sicherheit Is- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: raels geht – ist eine weitere Eskalation, ein Konflikt zwi- – Beratung der Beschlussempfehlung und des schen den USA und dem Iran, abzuwenden. Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Deshalb war es gut und richtig, dass der UN-Sicher- schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung heitsrat in seiner Sitzung am vergangenen Montag alle Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Akteure zu maximaler Zurückhaltung und zu Maßnah- scher Streitkräfte an der „United Nations In- men und Aktionen, die Eskalation und Spannungen min- terim Force in Lebanon“ (UNIFIL) dern, und dazu aufgefordert hat, Meinungsverschieden- heiten auf friedliche Weise und durch Dialog zu klären. Drucksachen 19/9956, 19/10722 Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) die Bundesregierung und insbesondere Außenminister gemäß § 96 der Geschäftsordnung , der in enger Abstimmung mit unseren euro- päischen Partnern die Region bereist hat, um das europä- Drucksache 19/10723 ische Interesse an einer friedlichen Lösung zu untermau- Wir werden auch über diese Beschlussempfehlung ern, unsere volle Unterstützung. später namentlich abstimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, dass für Bereits heute wirken sich die Konflikte auch auf die Aussprache 27 Minuten vorgesehen sind. – Soweit die Arbeit von UNIFIL aus. Die Entdeckung mehrerer ich etwas höre, höre ich jedenfalls keinen Widerspruch. Tunnel im Dezember 2018, die Richtung Israel gebaut Dann ist das beschlossen. wurden und die die sogenannte Blue Line unterwandern Ich bitte Sie, jetzt Platz zu nehmen oder den Saal zu sollten, zeigt das allgegenwärtige hohe Konfliktpotenzial verlassen und die notwendige Ordnung herzustellen, da- auf. Die Hisbollah und andere Milizen verfügen nach wie mit wir mit der Aussprache beginnen können. Das gilt vor über beträchtliche Waffenbestände. Deshalb halte ich für alle. für meine Fraktion fest: Wir sind zutiefst besorgt über das aggressive Verhalten der Hisbollah in der Region. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ( [AfD]: Aber Sie wollen Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen Sie einmal sie hier nicht verbieten!) (B) die Kollegen, die nicht zuhören, darauf aufmerksam, (D) dass der Präsident sie bittet, Platz zu nehmen. Unsere Position ist klar: Eine militärische Rolle für die Hisbollah, sei es im Libanon oder in anderen Regionen, Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort kann es nicht geben. Das machen wir gegenüber allen dem Kollegen Dr. Nils Schmid, SPD. libanesischen Gesprächspartnern auch unmissverständ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lich klar; denn Deutschland und die EU haben größtes Interesse daran, den Libanon in einem äußerst unruhigen Dr. Nils Schmid (SPD): regionalen Umfeld stabil zu halten. Terroristische Akti- vitäten sowie Waffenschmuggel durch Syrien in von der Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Hisbollah kontrollierten Gebieten gefährden diese Stabi- Herren! UN-Generalsekretär Guterres hat in seinem Be- lität ebenso wie das Engagement der Hisbollah an der richt an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vom Seite des Regimes im Syrien-Krieg seit 2013. Übrigens 14. März 2019 die Lage im Libanon zwar als grundsätz- setzt sich die Hisbollah damit auch über die in der Erklä- lich ruhig beschrieben, gleichzeitig aber auch auf die rung von Baabda aus dem Jahr 2012 von allen libanesi- Risiken im Zusammenhang mit der UN-Mission hinge- schen Parteien getragene Politik der Dissoziierung, also wiesen. Weder gibt es bislang einen dauerhaften Waffen- der Abstandnehmung vom Syrien-Konflikt, hinweg. stillstand noch eine Entwaffnung nichtstaatlicher bewaff- neter Gruppen, und das Waffenembargo konnte bislang Die Mission selber läuft seit 2006. Die deutsche Ma- auch nicht konsequent durchgesetzt werden. rine unterstützt den Flottenverband unter UN-Führung, Vordergründig erscheint diese Mission, über deren die sogenannte Maritime Task Force, MTF. Neben der Fortsetzung wir heute beraten und in deren Rahmen seeseitigen Sicherung des Waffenstillstands und der regelmäßig der Luft- und Küstenraum des Libanon pa- Überwachung des Waffenembargos in ihrem Einsatzge- trouilliert und überwacht wird, als ein Routineeinsatz. biet soll die MTF Ausbildungshilfe für die libanesische Es wäre aber gefährlich, wenn wir uns zu sehr an die- Marine leisten mit dem Ziel, diese zu befähigen, die se vermeintliche Routine gewöhnen. Denn das regiona- Souveränität in ihren Hoheitsgewässern selbstständig zu le Umfeld des Libanon ist nach wie vor hochexplosiv sichern. Seit Beginn der Operation vor nunmehr 13 Jah- und durch die jüngste Zunahme von Spannungen zwi- ren wurden rund 81 000 Schiffe überprüft und mehr als schen den USA und Iran keinesfalls sicherer geworden. 13 000 davon zur weiteren Inspektion an die libanesi- Ein militärischer Konflikt zwischen den USA und Iran schen Behörden gemeldet. Ziel der Mission ist und bleibt es, die Marinekapa- 1) Ergebnis Seite 13401 C zitäten der libanesischen Streitkräfte zu stärken, um Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13401

Dr. Nils Schmid (A) langfristig die Sicherung des Küstenraums an die liba- Entwicklung machen dem Land zu schaffen. Deshalb ist (C) nesische Marine zu übergeben. Diese Übergangsstrategie weiterhin internationale Unterstützung erforderlich. wird auch von den UN und von Generalsekretär Guterres (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des unterstützt. Deshalb steht die Unterstützung der libane- Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]) sischen Marine zur eigenständigen und eigenverantwort- lichen Sicherung der Seegrenzen inzwischen im Vor- Ich komme zum Schluss. Die UNIFIL-Mission ist ge- rade angesichts der schwierigen Gesamtlage unverzicht- dergrund des deutschen Einsatzes. Im Ausschuss wurde bar. Sie trägt dazu bei, Spannungen abzubauen und die berichtet, dass die Ausbildungsbemühungen Früchte Souveränität des Libanon zu sichern. Deshalb bitte ich tragen, hohe Anerkennung finden und dass inzwischen Sie um Unterstützung für diesen wichtigen Einsatz. auch sichergestellt ist, dass die einmal ausgebildeten Herzlichen Dank. Kräfte dann auch tatsächlich von der Marine und nicht an anderer Stelle im Libanon von den Streitkräften ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gesetzt werden. Die aktuelle deutsche Beteiligung liegt der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ bei 110 Soldaten; maximal können rund 300 Soldatinnen DIE GRÜNEN) und Soldaten eingesetzt werden. So sollten wir es auch jetzt wieder beschließen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe Die politische Stabilität des Libanon steht enormen ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er- Herausforderungen gegenüber. Gut ist, dass politische mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Stabilität gewährleistet ist durch die Fortsetzung der von die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses Premierminister Saad al-Hariri geführten Einheitsregie- zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheits- rung, die die wichtigsten politischen Parteien vereint. präsenz in Kosovo“ bekannt: abgegebene Stimmenkar- Allerdings ist Stabilität nur mit wirtschaftlichem Wohler- ten 645. Mit Ja haben gestimmt 493, mit Nein haben ge- gehen im Libanon denkbar. Insbesondere die zunehmen- stimmt 146, 6 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung de Staatsverschuldung und die schwache wirtschaftliche ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr . Dr. (B) (D) Abgegebene Stimmen: 645; davon Alexander Hoffmann ja: 493 Dr. Eckhard Gnodtke nein: 146 Michael Brand (Fulda) Ursula Groden-Kranich enthalten: 6 Dr. Hermann Gröhe Hans-Jürgen Irmer Klaus-Dieter Gröhler Ja Michael Grosse-Brömer Heike Brehmer Astrid Grotelüschen CDU/CSU Markus Grübel Dr. Dr. Manfred Grund Torbjörn Kartes Norbert Maria Altenkamp Monika Grütters Dr. Stefan Kaufmann Fritz Güntzler Marie-Luise Dött Michael Kießling Hansjörg Durz Dorothee Bär Florian Hahn Dr . Thomas Bareiß Jürgen Hardt Hermann Färber Jens Koeppen Mark Hauptmann Dr. Carsten Körber (Börde) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Alexander Krauß Dr. (Chemnitz) Dr . André Berghegger Mark Helfrich Dr. Günter Krings Melanie Bernstein Dr. Hans-Peter Friedrich Rüdiger Kruse (Hof) Michael Kuffer Peter Beyer Dr. Roy Kühne Ingo Gädechens Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers 13402 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Andreas G. Lämmel Angelika Glöckner (C) Alois Rainer (Kleinsaara) Timon Gremmels Ulrich Lange Dr. Michael Groß Dr. Dr. Johann David Wadephul Marco Wanderwitz Dr. Johannes Röring (Peine) Dr. Andreas Lenz Dr. Norbert Röttgen Albert H. Weiler Dr. (Hamburg) Erwin Rüddel Dr . Dr. Barbara Hendricks Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Gabriele Hiller-Ohm Anita Schäfer (Saalstadt) Marian Wendt Nikolas Löbel Dr . Wolfgang Schäuble Dr. Eva Högl Annette Widmann-Mauz Dr. Jan-Marco Luczak Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Elisabeth Winkelmeier- Dr. Becker Christian Schmidt (Fürth) Johannes Kahrs Dr . Thomas de Maizière Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Nadine Schön Dr . Dr. Gabriele Katzmarek Dr. Klaus-Peter Schulze Hans-Georg von der Marwitz SPD (Altötting) Dr. Bärbel Kofler Ingrid Arndt-Brauer Dr. (B) Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Dr. (D) Michelbach Dr. Dr. Björn Simon Christian Lange (Backnang) Dr. Karsten Möring Dr. Sören Bartol Burkhard Lischka Elisabeth Motschmann Dr . Bärbel Bas Kirsten Lühmann Dr. Gerd Müller (Heidelberg) Heiko Maas Axel Müller Sepp Müller Dr. Karl-Heinz Brunner Carsten Müller Katrin Budde (Braunschweig) (Rostock) Dr. Stefan Müller (Erlangen) Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Dr. Petra Nicolaisen Dr. Klaus Mindrup Dr. Dr . Georg Nüßlein Falko Mohrs Florian Oßner Dr . Siemtje Möller Michael Stübgen Bettina Müller Dr . Detlef Müller (Chemnitz) Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Michelle Müntefering Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Dr. Rolf Mützenich Dr. Dr. Dr . Ulli Nissen Dr. Christoph Ploß Sigmar Gabriel Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr . Volker Ullrich Aydan Özoğuz Arnold Vaatz Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13403

(A) Christine Aschenberg- Frank Sitta Dr. (C) Sabine Poschmann Dugnus Omid Nouripour Bettina Stark-Watzinger (Minden) Dr. Dr. Marie-Agnes Strack- Cem Özdemir (Rhein-Neckar) Zimmermann Benjamin Strasser Tabea Rößner (Südpfalz) Katja Suding (Augsburg) Dr. Sönke Rix Linda Teuteberg Dr. Karlheinz Busen Michael Theurer Manuel Sarrazin Carl-Julius Cronenberg Dr. Stephan Thomae Bijan Djir-Sarai René Röspel Manfred Todtenhausen Dr. Christian Dürr Dr. Dr . Stefan Schmidt Hartmut Ebbing Michael Roth (Heringen) Dr . Kordula Schulz-Asche Dr. Susann Rüthrich Dr . Wolfgang Strengmann- Daniel Föst Kuhn Bernd Rützel Johannes Vogel (Olpe) Johann Saathoff Markus Tressel Dr. Jürgen Trittin Marianne Schieder BÜNDNIS 90/ Dr . DIE GRÜNEN Dr. Nils Schmid Dr. Manuel Höferlin Fraktionslos (Aachen) Dr. Christoph Hoffmann Lisa Badum (Wetzlar) Reinhard Houben Dr. Danyal Bayaz (Erfurt) Dr. Nein Dr . AfD Dr. Manja Schüle Dr. Ekin Deligöz (B) Thomas L. Kemmerich Dr. Bernd Baumann (D) Katharina Dröge Marc Bernhard Harald Ebner (Spandau) Dr. Lukas Köhler Peter Boehringer Rita Schwarzelühr-Sutter Marcus Bühl Katrin Göring-Eckardt Alexander Graf Lambsdorff Matthias Büttner Erhard Grundl Tino Chrupalla Anja Hajduk Martina Stamm-Fibich Britta Haßelmann Sonja Amalie Steffen Dr. Bettina Hoffmann (Heilbronn) Berengar Elsner von Gronow Dr. Kirsten Kappert-Gonther Dr. Uwe Kekeritz Markus Töns Dr . Jürgen Martens Katja Keul Dietmar Friedhoff Carsten Träger Sven-Christian Kindler Dr . Alexander Müller Maria Klein-Schmeink Marja-Liisa Völlers Roman Müller-Böhm Frank Müller-Rosentritt Oliver Krischer Dr. Götz Frömming Dirk Vöpel Dr. Martin Neumann Stephan Kühn (Dresden) Dr. Alexander Gauland (Lausitz) Christian Kühn (Tübingen) Gülistan Yüksel Renate Künast Franziska Gminder Markus Kurth Dr. Sven Lehmann Kay Gottschalk Dr. Jens Zimmermann Dr . h. c. Armin-Paulus Hampel Christian Sauter Dr . FDP Frank Schäffler Dr. Dr. Grigorios Aggelidis Dr . Claudia Müller Matthias Seestern-Pauly Dr. Ingrid Nestle 13404 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Udo Theodor Hemmelgarn Roman Johannes Reusch Dr. (C) Ulrike Schielke-Ziesing Nicole Gohlke Helin Dr. Dr. Dr . André Hahn Friedrich Straetmanns Karsten Hilse Heike Hänsel Dr . Kirsten Tackmann Matthias Höhn Dr. Detlev Spangenberg Leif-Erik Holm Dr. René Springer Kerstin Kassner Dr . Beatrix von Storch Dr . Andreas Wagner Dr . Enrico Komning Dr . Katrin Werner Jörn König Hubertus Zdebel Dr. Rainer Kraft Dr . Christian Wirth Caren Lay Rüdiger Lucassen Sabine Zimmermann Ralph Lenkert (Zwickau) Dr. DIE LINKE BÜNDNIS 90/ Dr . Birgit Malsack- Dr. Gesine Lötzsch DIE GRÜNEN Winkemann Gökay Akbulut Thomas Lutze Canan Bayram Sylvia Kotting-Uhl Dr. Volker Münz Lorenz Gösta Beutin Cornelia Möhring Sebastian Münzenmaier Matthias W. Birkwald Enthalten Heidrun Bluhm-Förster Norbert Müller (Potsdam) BÜNDNIS 90/ Jan Ralf Nolte Zaklin Nastic DIE GRÜNEN Dr . Alexander S. Neu Monika Lazar Birke Bull-Bischoff Petra Pau (B) Beate Müller-Gemmeke (D) Jörg Cezanne Sören Pellmann Tobias Matthias Peterka Corinna Rüffer Paul Viktor Podolay Dr. Tobias Pflüger Jürgen Pohl Anke Domscheit-Berg Fraktionslos Klaus Ernst Marco Bülow Martin Erwin Renner Eva-Maria Schreiber

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt hat als nächster Redner das Wort der Kollege haften Friedens zwischen Libanon und Israel oder auch Berengar Elsner von Gronow, AfD. nur umfänglicher Erfüllung der weiteren Mandatszie- (Beifall bei der AfD) le. Nach über 40 Jahren Einsatzdauer bestätigte diese schlechten Aussichten auch im März der Generalsekre- tär der Vereinten Nationen. Berengar Elsner von Gronow (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Legt man also Maßstäbe an diesen Einsatz an wie die UN-Mission UNIFIL läuft bekanntermaßen seit 1978. Forderung nach einer klaren Strategie mit Zielvorstel- 2006 wurde sie um die maritime Komponente erweitert, in der wir uns besonders engagieren. Liest und hört man lung, das Erreichen von Meilensteinen, die Messbarkeit die offiziellen Aussagen von Regierung und militäri- der Erfolge, eine klare Exit-Strategie, die Risiko-Nutzen- scher Führung, ist es ein toller und höchst erfolgreicher und auch die Kosten-Nutzen-Rechnung, kommt man zu Einsatz; wir haben das ja gerade gehört. Fragt man im dem Ergebnis, dass unser Engagement dort nicht sehr Detail nach, sieht es allerdings schon nicht mehr ganz so rosig aus. Und fragt man in der Truppe, sind die Ant- sinnvoll ist. Angesichts der Unzulänglichkeiten des Man- worten häufig eher „enttäuscht“– ob der Sinnhaftigkeit dats und der vielfältigen Widerstände in der Region ist zu des Einsatzes, der Aussicht auf Erfolg im Sinne dauer- erwarten, dass dieser Einsatz noch bis zum Sankt-Nim- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13405

Berengar Elsner von Gronow (A) merleins-Tag fortgeführt werden könnte, ohne nachhalti- UNIFIL leistet gemeinsam mit anderen noch viel mehr, (C) gen Erfolg zu zeitigen. auch an Land. Es wird patrouilliert. Es wird erfolgreich gegen illegale Tunnelgrabungen vorgegangen, durch die (Beifall bei der AfD) möglicherweise Terroristen oder Waffen nach Israel ein- Speziell unsere eingangs stets sehr engagierten Sol- geschmuggelt werden können. Es wird der libanesischen daten schilderten mir ihr Bedauern über den mangel- Regierung dabei geholfen, die Sicherheit in ihrem Lande haften Erfolg bei der Umsetzung unserer Ausbildungs- stärker aus eigener Kraft sicherstellen zu können. Inso- unterstützung durch die libanesischen Kräfte, etwa bei fern ist das ein erfolgreicher Einsatz. Bei allen Schwä- der Nutzung, der Instandhaltung oder dem Einsatz der chen, die wir in der Region natürlich sehen, glaube ich, von Deutschland zur Verfügung gestellten Mittel. Aber dass der seit einigen Jahren vorherrschende Zustand ei- auch häufig wechselnde Ansprechpartner, mangelhafte ner ist, der wesentlich darauf zurückgeht, dass sich die Kooperation und ungenügende oder sogar fragwürdige Völkergemeinschaft dort in diesem Sinne engagiert. Nutzung der durch UNIFIL-Kräfte gelieferten Informa- Der Libanon selbst ist besonderen Herausforderungen tionen seien hinderlich. Hinzu kommen weitere Aspek- ausgesetzt. Im Libanon leben nicht nur viele Hundert- te wie die politischen und finanziellen Verstrickungen tausend palästinensische Flüchtlinge, sondern eben auch von Streitkräften und Offiziellen mit der Hisbollah und viele Flüchtlinge aus Syrien – viele, weil sie durch Terror dem dahinterstehenden Iran, die ungeklärten Fragen um und Gewalt aus ihren Dörfern vertrieben worden sind, Grenzverläufe mit Israel, die möglichen Auseinanderset- aber eben auch, weil möglicherweise der Familienvater zungen um Rohstoffe in der Region, eine drohende wei- schon längere Zeit im Libanon arbeitet, zum Beispiel in tere Verschärfung der Sicherheitslage in der Region über der Hotellerie, der seine Familie angesichts der Situati- Israel und Libanon hinaus bis hin zu Kriegshandlungen on in Syrien in den Libanon geholt hat, für die vielleicht und vielem mehr. eine Chance besteht, dass sie eines Tages relativ unpro­ Vor dem Hintergrund der hohen Belastungen unserer blematisch in ihren Heimatort zurückkehren kann. Streitkräfte, der drohenden Risiken für unsere Soldaten, Ich hatte die Gelegenheit, die Bundeskanzlerin in den der enormen Kosten für Deutschland und der mangeln- Libanon zu begleiten, auch bei dem Besuch einer Schule, den Erfolgsaussicht erscheint uns eine weitere Verwen- wo sich die beachtliche Leistung des Bildungssystems im dung unserer Soldaten vor Ort, um außenpolitisches Libanon zeigt. Die Schulen im Libanon werden in der Re- Engagement zu demonstrieren, nicht nur nicht sinnvoll, gel zweischichtig betrieben. Am Nachmittag werden die sondern auch nicht vertretbar. Kinder der Flüchtlinge von Lehrern beschult, die in be- (Beifall bei der AfD) sonderer Weise gefordert sind und dafür ein extra Zubrot bekommen. Die Bundeskanzlerin hat mit den Kindern, (B) Dafür sind uns unsere Soldaten und das Geld des deut- aber eben auch mit den Eltern dieser Kinder gesprochen (D) schen Steuerzahlers zu schade. Daher werden wir einer und hat sich gemeinsam mit uns ein Bild von der Situati- Verlängerung des Mandates nicht zustimmen können. on gemacht. Sie hat dort die Anerkennung zum Ausdruck Danke. gebracht, die wir gegenüber den libanesischen Behörden, dem libanesischen Schulsystem, der libanesischen Verwal- (Beifall bei der AfD) tung angesichts der enormen Leistung, die für Flüchtlinge in der Region erbracht wird, aufbringen sollten. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/ des Abg. Dr. Nils Schmid [SPD]) CSU. Der Libanon hat durch die Bildung einer neuen Re- (Beifall bei der CDU/CSU) gierung ein Stück weit an Stabilität gewonnen. Das ist auch eine Chance für die wirtschaftliche Entwicklung des Jürgen Hardt (CDU/CSU): Landes. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! meines Erachtens der zentrale Schlüssel dafür, dass die Der UN-Einsatz im Libanon, UNIFIL, ist ein wichtiger, verschiedenen Religionen und Ethnien in diesem Land ein unverzichtbarer Beitrag zur Stabilität in der Region. friedlich miteinander auskommen können; denn wenn Deutschland ist dort seit vielen Jahren vor allem an der Wohlstand einzieht, wo Armut und Verteilungskampf herr- maritimen Komponente beteiligt, gegenwärtig mit der schen, dann steigt auch der innere Friede in diesem Lande. Korvette „Ludwigshafen am Rhein“. Bis zu 300 Soldaten An dieser Regierung ist allerdings eine Organisation können in diesem Einsatz deutschlandseitig eingesetzt beteiligt, die klar und offensiv, auch aktiv, gegen Israel werden. Die Bundesregierung bittet um die Verlängerung vorgeht: die terroristische Hisbollah. Wir sollten uns im des Mandats in geringfügig veränderter, angepasster Deutschen Bundestag in den nächsten Wochen und Mo- Form. Die CDU/CSU-Fraktion möchte diesem Wunsch naten auf den Stand bringen, wie die Rolle der Hisbollah gerne entsprechen und wird dem Mandat heute hier zu- in der Region – nicht nur im Libanon, sondern in der ge- stimmen. samten Region – zu bewerten ist, welche Unterstützung (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. die Hisbollah für ihre terroristischen Aktivitäten durch Dr. Nils Schmid [SPD]) den Iran erfährt Bei UNIFIL leisten wir Stabsarbeit und beteiligen (Beatrix von Storch [AfD]: Wir haben doch uns, vor allem in dieser maritimen Komponente. Aber den legalen Arm in Deutschland!) 13406 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Jürgen Hardt (A) und wie wir das möglicherweise durch die Erhöhung rung, Überwachung, seegestützte Luftraumüberwachung (C) des internationalen Drucks abstellen können. Ich glaube, und Flugkoordination im Südlibanon decken wir ein um- dass es notwendig ist, dass wir uns der Frage „Welche fangreiches Spektrum ab. Rolle spielt die Hisbollah?“ stärker widmen. Auch die Ausbildung von libanesischen Streitkräften Zum Schluss möchte ich noch auf eine wichtige und der Küstenwache ist ein wesentlicher, immer wich- Funktion von UNIFIL eingehen. UNIFIL ist de facto die tiger werdender Beitrag innerhalb des Mandats. Demo- einzige Plattform, auf der israelische und libanesische kratisch legitimierte staatliche Institutionen im Libanon Behörden in Alltagsfragen der Sicherheit der Region zu stärken, so auch die Streitkräfte, liegt in unserem Inte- zusammenarbeiten, einen direkten Kontakt haben und resse, auch im Hinblick auf die Flüchtlingssituation. Der gemeinsame Lösungen anstreben. Allein das ist ein enor- deutsche Beitrag zur Verhinderung von Waffenschmug- mer Nutzen dieses Einsatzes. Deswegen werden wir ihm gel auf dem Seeweg ist eben ein Baustein im vernetzten zustimmen. Ansatz. UNIFIL kann nicht isoliert betrachtet werden. Ich möchte an dieser Stelle selbstverständlich auch Hiermit kommen wir zur Kritik, zu den Mängeln den Soldatinnen und Soldaten, die dort im Einsatz sind, des Mandats – wir haben das bereits in der ersten Le- herzlich danken. Ich wünsche ihnen, dass sie einen un- sung deutlich gemacht –: Wie ist die Strategie, wenn es fall- und gefahrfreien Einsatz haben und alle wohlbehal- zu Konflikt und Eskalation in der Region kommt? Was ten nach Hause kommen. bedeutet das für die Sicherheit unserer Soldaten? Auch die Hochrüstung der Hisbollah auf dem Landweg hat Herzlichen Dank. UNIFIL bisher nicht verhindert. Das kann so nicht hin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- genommen werden. ordneten der SPD) (Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Aber auch die Perspektive des Einsatzes ist zu definie- Christian Sauter, FDP, hat als Nächster das Wort. ren. Wie wird dieser weiterentwickelt? Der UN-Gene- ralsekretär hat dies bereits im März 2019 für UNIFIL (Beifall bei der FDP) gefordert. Vergessen werden darf nicht die hohe Einsatz- belastung der Deutschen Marine, vor allem der Soldaten; Christian Sauter (FDP): aktuell gibt es zu wenige seegehende Einheiten. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- (Beifall bei der FDP) men und Herren! UNIFIL ist eine der ältesten Missionen (B) der UN. Seit nunmehr über zehn Jahren ist Deutschland Fazit: Das UNIFIL-Mandat ist in Abwägung dennoch (D) am Einsatz beteiligt. Die letzten Wochen haben gezeigt, ein wichtiger Beitrag für mehr Sicherheit und Stabilität welche Dynamik das Eskalationspotenzial in der Region in der Region. Seine Bedeutung wird gegebenenfalls in hat. Die Auseinandersetzung der USA mit dem Iran ist den nächsten Monaten zunehmen; damit müssen wir uns ein weiterer Treiber. dringend beschäftigen. Wir werden der Verlängerung zu- stimmen. Letztes Jahr standen wir ebenfalls vor der Verlän- gerung des Mandats, vor dem Hintergrund der Hisbol- Vielen Dank. lah-Wahlerfolge im Libanon. Und heute? Die Lage in (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Region ist gewiss nicht sicherer geworden. Dazu der CDU/CSU) trägt auch die weitere Hochrüstung der terroristischen Hisbollah bei. Kleine Fortschritte aber, auch an der Blue Line, sind zu erkennen. UNIFIL ist wichtig, um die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Stabilität und Souveränität Libanons zu schützen und Jetzt hat das Wort der Kollege Matthias Höhn, Die damit auch die Sicherheit Israels. Beide Staaten, beide Linke. Konfliktparteien wollen diesen Einsatz. Dies ist außerge- (Beifall bei der LINKEN) wöhnlich. Dieser Verantwortung sollten wir uns stellen.

(Beifall bei der FDP) Matthias Höhn (DIE LINKE): Unsere aktuell 110 Soldaten, die auf der Korvette in Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Naqoura und Limassol im Einsatz sind, leisten einen Herren! Eine Vorbemerkung will ich machen: Das hochprofessionellen, glaubwürdigen und wichtigen Bei- ­UNIFIL-Mandat ist völkerrechtlich in Ordnung und un- trag. Hierfür gilt unser Dank. bedenklich. Ich sage das mit Absicht zu Beginn, weil das ja leider nicht auf alle Mandate zutrifft, die wir hier im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Haus miteinander besprechen. ten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Marcus Faber [FDP]: Ihrer Meinung GRÜNEN]) nach!) Wir sind mit unserer modernen Korvette vor Ort – seit Zweiter Punkt. Es ist schon darauf hingewiesen wor- dem 1. Juni mit der „Ludwigshafen am Rhein“ und ih- den, wie lange dieses Mandat bereits läuft, mit der Vor- ren Aufklärungssystemen – im internationalen maritimen gängermission, die auch schon UNIFIL hieß, nämlich Einsatzverband von UNIFIL. Mit den Aufgaben Aufklä- über 40 Jahre. Das erste I in UNIFIL steht für „Interim“. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13407

Matthias Höhn (A) Nicht nur wegen dieser Namensgebung, also einer vor- wacht den Waffenstillstand und verhindert, dass zumin- (C) übergehenden Lösung, eines vorübergehenden Mandats, dest seeseitig Waffen neu ins Land kommen. finde ich, dass es nach 40 Jahren doch an der Zeit wäre, Es ist aus meiner Sicht in der bisherigen Debatte un- nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für die Ver- terbetont, wie wichtig es ist, dass UNIFIL dazu beiträgt, einten Nationen insgesamt, einmal über die Methode zu dass die Streitkräfte Libanons ausgebildet werden; denn diskutieren und zu fragen, ob wir auf dem richtigen Weg diese Streitkräfte sind eine der ganz wenigen Institutio- sind, diesen Konflikt zu lösen, wenn wir das Mandat im- nen im Land, die überkonfessionell großes Vertrauen in mer noch verlängern müssen. der Bevölkerung genießen. Die Tatsache, dass die hof- (Beifall bei der LINKEN) fentlich bald stattfindenden historischen direkten Ge- spräche zwischen Libanon und Israel im Hinblick auf die Dritter Punkt – auch das hat schon eine Rolle ge- Fragen der maritimen Grenzziehung und der Aufteilung spielt –, Stichwort „Waffenschmuggel“; Herr Sauter hat der Gasfelder Tamar und Leviathan an einem Standort eben von Hochrüstung angesprochen. Auch hier müssen von UNIFIL stattfinden werden, nämlich in Naqoura, wir doch zur Kenntnis nehmen: Das Mandat ist nicht in zeigt auch, dass UNIFIL als Plattform für ein Gespräch, der Lage, die Hochrüstung in der Region, auch mit Blick das nicht selbstverständlich ist, sehr wertvoll ist. Deshalb auf die Hisbollah, zu unterbinden. Es verfehlt also eines werden wir diesem Mandat zustimmen. der genannten Ziele und ist schon deswegen kritisch zu hinterfragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vierter Punkt. Der Iran ist angesprochen worden. Herr Allerdings ist die Situation in Libanon sehr fragil. Des- Schmid und andere haben darauf hingewiesen, dass eine halb lohnt es sich, auch einen Blick darauf zu werfen. Es Eskalation in und um den Iran natürlich eine unmittel- gibt für Libanon drei große Gefährdungssituationen. Das bare Auswirkung auf die Situation im Libanon und auf eine ist die Hisbollah und die hochaggressive Politik; der die Hisbollah haben könnte oder haben wird. Wir alle Kollege Schmid hat darauf zu Recht hingewiesen. Die wissen, an welchem Punkt der Iran und die Vereinigten Hisbollah bricht täglich die alten Friedensverträge des Staaten in der letzten Woche waren, und wir wissen, dass Libanons. Wenn sich der Krieg in Syrien so weiterent- wir in der Tat von einer unmittelbaren Kriegsgefahr spre- wickelt, muss man befürchten, dass die Hisbollah in der chen. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann reicht Form nicht mehr von Assad gebraucht wird und sie mit es natürlich nicht, hier zu sagen, dass das so ist. Dann großer Kraft und weit mehr Potenzial und Feuerkraft mit erwarte ich von der Bundesregierung und den Koaliti- ihren Streitkräften nach Libanon zurückkommen wird. onsfraktionen auch, dass sie einmal sagen, welche Aus- Das würde die Balance der Macht in Libanon massiv ge- wirkungen das auf dieses Mandat hat. Wir können doch fährden. (B) nicht eine unmittelbare Kriegsgefahr diagnostizieren und Zweitens steht der Libanon wegen der syrischen (D) dann sagen: Wir schicken die Soldaten aber unverändert Flüchtlinge vor Ort weiterhin unglaublich unter Druck. in diese Region. – Das ist inakzeptabel, liebe Kollegin- Wir kennen die Situation. Viele von uns haben Dörfer in nen und Kollegen. Libanon besucht, wo der Schulunterricht mittlerweile in (Beifall bei der LINKEN) drei bis vier Schichten stattfinden muss, damit die Kinder unterrichtet werden können, im Übrigen in zwei Spra- Letzter Punkt. Die Bundesregierung plant, für dieses chen: einmal in Französisch für die libanesischen Kinder Mandat in den nächsten zwölf Monaten Mittel in Höhe und dann zwei- bis dreimal in Arabisch für die syrischen von 30 Millionen Euro bereitzustellen. Es gibt sehr viel Kinder. Das führt zu Friktionen. Das führt dazu, dass die zu tun in dieser Region, auch im Libanon. Ich finde, die- libanesische Politik jetzt zunehmend Druck macht. Da se 30 Millionen Euro wären in Versöhnung und Diploma- braucht dieses Land weit mehr Unterstützung von Euro- tie besser angelegt als in diesem Militäreinsatz. pa, als das bisher der Fall ist. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Was auch dringend erwähnt werden muss, ist das Da- moklesschwert des sogenannten Nahostfriedensplans der Administration Donald Trumps. Dieser Plan beinhaltet, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dass die Flüchtlinge, die 1948 folgende aus Palästina Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nach Libanon gekommen sind, jetzt alle den libanesi- nächste Redner. schen Pass bekommen sollen. Das würde die bisherigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Friedensbemühungen massiv stören. Das würde vor al- lem die soziale Balance in Libanon massiv durchein- anderbringen. Das ist eine Entscheidung, die Libanon Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): treffen kann, aber nicht von Washington aufgezwungen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! UNIFIL bekommen darf. ist nicht selbstverständlich. Wir haben in einer hochbri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) santen Region eine VN-Mission, die von beiden Kon- fliktparteien so gewollt war und weiterhin akzeptiert ist. Es ist also notwendig, dass unsere Bundesregierung Ich finde, das ist ein Wert für sich. UNIFIL hat damals Libanon erstens hilft und endlich aufhört, humanitä- massiv dazu beigetragen, dass der Krieg zwischen der re Hilfe zu leisten, sondern diese in Entwicklungszu- Hisbollah und Israel beendet worden ist. UNIFIL über- sammenarbeit überführt – die Infrastruktur in Libanon 13408 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Omid Nouripour (A) fehlt –, und zweitens vielleicht auch einmal ein kritisches Frieden, Ordnung und Sicherheit direkt vor unserer eu- (C) Wort zum sogenannten Deal des Jahrhunderts findet, der ropäischen Haustür zu leisten? nicht nur für die Zweistaatenlösung so etwas wie ein Sarg­nagel sein kann, sondern für viele andere Länder in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der der Region massive Konflikte beinhaltet. SPD und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu fallen Ihnen keine Antworten ein. Das hat gerade die Debatte in der ersten Lesung gezeigt, in der es dem Kollegen Bystron gelungen ist, kein einziges Wort zum Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: UNIFIL-Einsatz zu sagen. Sie sind Antworten schuldig Vorläufig letzter Redner in dieser Debatte ist der Kol- geblieben, auch heute. lege Florian Hahn, CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist verantwortungslos gegenüber unseren Verbün- Florian Hahn (CDU/CSU): deten und gegenüber unseren Soldaten, die unsere Auf- merksamkeit und unsere Unterstützung verdient haben. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Operation UNIFIL hat einen wichtigen Leider kann man weder von der AfD noch von den Anteil daran, dass der Libanon noch nicht im Chaos Linken verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspo- versunken ist. UNIFIL setzt ein Zeichen in Krieg, Zer- litik erwarten. AfD und Linke stehen sich in nichts nach. störung, Not und Elend – all das hat den Nahen Osten Sie betreiben populistische Politik auf Kosten einer ver- zum Pulverfass gemacht. Die Mission macht Hoffnung, lässlichen Außenpolitik Deutschlands. Das dürfen wir weil sie zeigt, wie durch nachhaltige, praktische Zusam- nicht zulassen. menarbeit über Jahre und Jahrzehnte Kompetenzen und Sicherheit aufgebaut werden können. Abschließend möchte ich unseren Soldaten und Solda- tinnen danken, die nicht nur bei UNIFIL einen wichtigen UNIFIL dient der Begleitung der Waffenruhe zwi- Dienst im Interesse unseres Landes leisten. Was unsere schen Libanon und Israel, unterstützt die libanesische Soldaten in den Auslandseinsätzen und in der Heimat Regierung bei der Grenzsicherung und hilft beim Kampf für unsere Sicherheit leisten, verdient Respekt und große gegen den Waffenschmuggel. Wir wollen, dass der Liba- Anerkennung. non den Schutz seiner Grenzen eines Tages selbst über- nehmen und damit staatliche Hoheit durchsetzen kann. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Bundes- Dazu ist der UNIFIL-Einsatz notwendig. wehrmandat im Libanon. (B) Wir müssen die Fähigkeiten der libanesischen Marine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) ausbauen, damit sie die Küste selbstständig überwachen ordneten der SPD) kann. Der deutsche Beitrag dient daher im Schwerpunkt dem Ausbau der Fähigkeiten der libanesischen Marine. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das wollen wir so beibehalten. Damit schließe ich die Aussprache. Der Einsatz ist auch deshalb wichtig, weil er den dau- erhaften Waffenstillstand zwischen Israel und dem Li- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussem- banon zu erhalten hilft. Am allerwichtigsten ist: Sowohl pfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Israel als auch der Libanon wollen, dass diese VN-Mis- der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung sion fortgesetzt wird. Ich frage Sie, meine Damen und bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Na- Herren von der AfD und auch von der Partei Die Linke: tions Interim Force in Lebanon“. Der Ausschuss emp- Wie können wir uns da guten Gewissens aus der Missi- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa- on zurückziehen? Wir würden damit die Menschen im che 19/10722, den Antrag der Bundesregierung auf der Libanon im Stich lassen, und wir würden damit unseren Drucksache 19/9956 anzunehmen. Wir stimmen über die Verbündeten Israel im Stich lassen. Das ist keine Option Beschlussempfehlung namentlich ab. Sind alle Plätze an für mich. Aber Ihr gespaltenes Verhältnis zu Israel ist ja den Urnen mit Schriftführerinnen und Schriftführern be- bekannt. setzt? – Das ist jetzt offenbar der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Die Linke sympathisiert offen mit der BDS-Bewe- gung, die Israel schaden möchte. Die Linke möchte die Darf ich fragen, ob noch ein Kollege seine Stimmkarte Bundeswehr am liebsten sowieso abschaffen. Im Übri- abgeben möchte? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. gen – vorhin wurden die 30 Millionen Euro erwähnt, die Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung der Einsatz kostet – hat unser ziviler Einsatz, der Einsatz 1) im Bereich der humanitären Hilfe und der Entwicklungs- wird später bekannt gegeben. zusammenarbeit, allein seit 2012 1,4 Milliarden Euro Ich bitte, die nötige Ordnung im Plenarsaal herzustel- gekostet. Das ist auch ein Einsatz, der sich gelohnt hat. len, damit wir mit der Beratung der nächsten Tagesord- (Beifall bei der CDU/CSU) nungspunkte beginnen können. Die AfD möchte diesen „sinnlosen“ Militäreinsatz Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 c auf: beenden. Ich frage Sie: Was ist daran sinnlos, Israel zu unterstützen? Was ist daran sinnlos, einen Beitrag zu 1) Ergebnis Seite 13411 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13409

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhard pital, an Menschen, die in ihr vielversprechendes Unter- (C) Houben, Bettina Stark-Watzinger, Michael nehmen investieren. Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Beifall bei der FDP) der FDP Die Gründerin steht vor einer schwierigen Entschei- Gründerrepublik Deutschland – Zukunfts- dung. Bleibt sie in Deutschland, geht sie das Risiko ein, fonds für eine neue Gründerzeit dass ihr Unternehmen langsamer wächst und die anderen Drucksache 19/11055 an ihr vorbeiziehen, oder sie holt sich internationale In- vestoren an Bord, oder sie geht gleich direkt ins Ausland, Überweisungsvorschlag: ins Silicon Valley, nach Hongkong oder nach Israel. Cir- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) ca 10 Milliarden Euro Wagniskapital fehlen uns hierzu- Finanzausschuss (f) Federführung strittig lande im Vergleich zu den führenden Gründernationen. Machen wir uns nichts vor: Zu viele Zukunftschancen b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario wandern ab. Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Nicola (Beifall bei der FDP) Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Was uns fehlt, sind nachwachsende Wachstumssterne, die das Potenzial haben, globale Zugkraft zu entwickeln, Gründerrepublik Deutschland – Gründungen neue Technologien zu entwickeln und damit auch Chan- durch Zukunftstechnologien erleichtern cen zu schaffen. Führende Technologienation wird man Drucksache 19/11053 nicht, indem man per planwirtschaftlichem Dekret, wie Herr Altmaier das möchte, Unternehmen unter Arten- Überweisungsvorschlag: schutz stellt. Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-­ schätzung (f) Brömer [CDU/CSU]: Moment, wir machen Ausschuss für Inneres und Heimat keine Planwirtschaft! Planwirtschaft waren Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur die anderen!) Ausschuss Digitale Agenda Federführung strittig Führende Technologienation wird man, indem man agi- len Unternehmen die Chance zum Wachstum gibt. Die c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin staatlichen Besitzgarantien unterliegen immer dem er- Andreae, Anja Hajduk, Dr. Danyal Bayaz, wei- gebnisoffenen Wettbewerb. (B) (D) terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Noch etwas. Im Silicon Valley sind Pensionsfonds die NIS 90/DIE GRÜNEN größten Wagniskapitalgeber. Der Staat steht auf Rang Gründungskultur fördern – Damit jede gute fünf. In Deutschland ist es genau umgekehrt; das müssen Idee eine Chance hat wir ändern. Drucksache 19/11150 (Beifall bei der FDP) Wir müssen mehr privates Kapital mobilisieren, das be- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) reit ist, Chance und Risiko zu tragen. Der deutsche Rent- Finanzausschuss ner sorgt sich vor dem Hintergrund der niedrigen Zinsen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- um die Altersvorsorge. Der Rentner in den USA profitiert schätzung von den Investitionen in Wagniskapital, übrigens auch in Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für deutsche Unternehmen. Wir schaffen es derzeit nicht, die die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- breite Mittelschicht an unseren Erfolgsgeschichten im nen Widerspruch. Lande zu beteiligen. Die Ursache für die Dürre hat Gründe, nämlich die Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort regulatorischen Hürden, um Wagniskapital zu zeichnen, der Kollegin Bettina Stark-Watzinger, FDP. und schlichtweg die fehlende Erfahrung unserer instituti- (Beifall bei der FDP) onellen Anleger. Hier kommt der Zukunftsfonds ins Spiel. Dänemark hat es uns vorgemacht. Es hat eine Brücke ge- baut, um diese Kluft zu überwinden: Ein Dachfonds – es Bettina Stark-Watzinger (FDP): ist ein Fonds, der in mehrere Venturecapital-Fonds inves- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und tiert – bietet zwei Wege: den direkten Einstieg und die Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ver- Expertise. Durch das Zeichnen einer Anleihe gibt es ein setzen wir uns doch einmal für eine Minute in die Situa- Netz mit doppeltem Boden, wodurch den Investoren der tion in einer jungen Gründerin. Sie hat die ersten Kunden Weg geebnet wird. Schaffen wir einen solchen Zukunfts- für ihr Produkt gefunden, die Nachfrage wächst rasant, fonds für Deutschland! aber damit auch die Herausforderungen: mehr Personal, (Beifall bei der FDP) mehr Technik; neue Zukunftsmärkte sind zu erschlie- ßen. – Hier stößt sie an ihre Grenzen. Ein Problem: In Die Basis haben wir mit der KfW Capital GmbH. Sie Deutschland fehlt es schlicht an genügend privatem Ka- trägt durch eine hohe Diversifizierung des Zukunftsfonds 13410 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Bettina Stark-Watzinger (A) ein relativ geringes Risiko, partizipiert aber an den Ren- Mut und Kreativität den Schritt in die Selbstständigkeit (C) diten des Zukunftsfonds. Mit diesen größeren Summen, wagen. Auf diesem Weg werden wir als Union weiterhin neudeutsch: mit diesen großen Tickets, können wir den gut und umfassend begleiten. jungen Unternehmen in der Wachstumsphase mehr Kapi- tal zur Verfügung stellen. Wir schaffen moderne Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU) plätze, und wir können mit höheren Renditen auch in der Über welche Weichenstellungen bzw. Rahmenbedin- Altersvorsorge davon profitieren. gungen reden wir? Die Antworten sind sehr vielschich- (Beifall bei der FDP) tig; ich schaffe es in den sieben Minuten meiner Rede- zeit nicht, auf alle einzugehen. Deshalb konzentriere ich Ziel kluger Politik muss es sein, dass Ideen in unse- mich auf zwei Punkte: erstens auf die Finanzierung bzw. rem Land wieder wachsen: die neue Krebstherapie, der die Rahmenbedingungen für Start-ups generell sowie die Stoff, der Mikroplastik unnötig macht, oder der Einsatz Verbesserung von Unternehmen in der Wachstumspha- von künstlicher Intelligenz, der uns den Alltag erleich- se – diese Aspekte sind ja auch von Ihnen angesprochen tert. Schaffen wir den Zukunftsfonds, damit meine jun- worden – und zweitens darauf, dass wir mehr Gründun- ge Gründerin nicht ausgebremst wird. Wir haben kluge gen nur dann erreichen, wenn wir das sogenannte Mind- Menschen. Sie sind im Augenblick trotz der herrschen- set erreichen und offene Denkweisen fördern. den Politik erfolgreich. Helfen wir ihnen durch gute Po- litik, noch erfolgreicher zu werden. Die Zukunft gehört Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Aus- denen, die etwas tun. gangssituation von Start-ups ist bekannt. Nach der Grün- dung und den ersten Jahren kommt es vor allen Dingen Vielen Dank. in der Wachstumsphase nochmals zu einem erhöhten Ka- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten pitalbedarf, den es zu decken gilt. Generell ist es aber des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) so – auch das hat die Kollegin der FDP gerade angespro- chen –, dass die Investitionen in deutsche Start-ups mit einer Summe von 4,59 Milliarden Euro in 2018 um ein Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Zehnfaches unter dem Invest in den Vereinigten Staaten Astrid Grotelüschen, CDU/CSU, ist die nächste Red- lag. Das heißt, wir brauchen hier eine Verbesserung. Um nerin. dies zu erreichen, muss es staatliche Anreize zur Beglei- (Beifall bei der CDU/CSU) tung geben und zudem – das ist natürlich sehr wichtig – die Generierung von mehr privatem Kapital. Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Eine zentrale Rolle spielt dabei die KfW. Hier haben (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen wir in den letzten Jahren gute Instrumente installiert und (D) und Kollegen! Liebe Zuhörer! Mit den vorliegenden An- auch weiterentwickelt, und wir gehen auch mit der Aus- trägen rund um das Gründungsgeschehen debattieren wir gründung der KfW Capital bewusst neue Wege, um ge- ein für die Union zentrales Themenfeld, weil Unterneh- nau diese Ziele zu erreichen. So soll sich bis 2020 das mensgründungen die Grundlage bilden bzw. die notwen- bisherige Investitionsvolumen im Venturecapital-Fonds digen Impulse setzen, um mit Innovationskraft und Leis- und Venture-Debt-Fonds jährlich auf 200 Millionen Euro tungsstärke unsere Wirtschaft zukunftsfest zu machen, verdoppeln. Allein seit ihrem operativen Start im Okto- gute Rahmenbedingungen für Arbeits- und Ausbildungs- ber 2018 konnte die KfW Capital sechs Beteiligungen an plätze zur Verfügung zu stellen und damit Wohlstand zu Venturecapital-Fonds mit einem Volumen von 88,4 Mil- schaffen. Genau das ist unser Ziel; dafür arbeiten wir. lionen Euro eingehen. Ich habe das in der vergangenen Legislaturperiode als Unterausschussvorsitzende beglei- (Beifall der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU]) tet. Ich glaube, dass uns mit dieser Ausgründung ein sehr Wenn wir uns den Gründerstandort Deutschland an- guter Schritt nach vorne gelungen ist, den wir nutzen schauen, dann müssen wir leider feststellen, dass die sollten und auf dem wir auch aufbauen sollten. Zahl derer, die sich für die Selbstständigkeit entscheiden, (Beifall bei der CDU/CSU) im letzten Jahrzehnt gesunken ist, sich jedoch in diesem Jahr stabilisiert hat. Ich hoffe, dass dies ein erstes Si- Natürlich gibt es viele Programme. Ich kann sie in mei- gnal ist; denn generell müssen wir natürlich eine positive ner Redezeit nicht alle im Detail vorstellen. Sie können Kehrtwende erreichen. sowohl in der Gründungsphase als auch in der Startpha- se relativ einfach genutzt werden. Für die Wachstums­ Vorab: In der Diskussion um die wichtigsten Wei- phase stehen mit dem KfW-Unternehmerkredit oder der chenstellungen ist mir eine Aussage besonders wichtig; ERP-Innovationsfinanzierung größere Summen zur Ver- deshalb möchte ich sie an dieser Stelle ansprechen. Uns fügung. Hinzu kommt der Dachfonds, der sich mit durch- als Union geht es um die Gleichwertigkeit: auf der ei- schnittlich 20 Millionen Euro an Wagniskapitalfonds be- nen Seite Start-ups, die wachstumsorientiert am Markt teiligt und dessen Mittel wir in der letzten Wahlperiode noch nicht etabliert sind und mit geringem Startkapital um 1 Milliarde Euro auf 2,7 Milliarden Euro massiv auf- gegründet wurden, auf der anderen Seite Unternehmen, gestockt haben. die auf eine lange Tradition zurückschauen, oft auch in Familienhand sind und die sich seit vielen Jahren oder Dass wir größere Tickets finanzieren wollen, ist ein gar Jahrzehnten erfolgreich am Markt behaupten. Ob wichtiges Thema. Es gibt Gespräche mit der Versiche- Neugründer oder Nachfolger oder vielleicht eine Kom- rungswirtschaft. Die Planungen hierfür sind in die Ziel- bination von beidem: Wir brauchen Menschen, die mit gerade eingebogen. Ich denke, dass wir mit der genann- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13411

Astrid Grotelüschen (A) ten Expertise hier ein Modell finden, das neben dem jetzt fach mehr unterstützen und deren wertvolle Potenziale (C) oft zitierten dänischen Modell dann als deutsches Modell nutzen. Das macht in meinem Landkreis seit Langem die hoffentlich auch Erfolg haben wird. Wirtschaftsförderung – das seit 25 Jahren sehr sichtbar – mit der ExistenzgründungsAgentur für Frauen, und das Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme finde ich sehr gut. zum zweiten Punkt, dem besagten Mindset. Digitaler Wandel, sowohl im Lebensalltag als auch in der Arbeits- Ich möchte zum Schluss kommen. Wir haben, denke welt, muss offen und auch aktiv mitgestaltet und ange- ich, viele Perspektiven und viele Chancen, dieses neue, nommen werden. Das kann nur gelingen, wenn uns ein digitalere Denken mit der mittelständischen Mentalität, „Umparken im Kopf“ gelingt – man gestatte mir, dass ich die ja eher auf Bestand, Stabilität und Erhalt program- diesen Werbespruch nutze –, wenn wir unsere Denkwei- miert ist, zu fusionieren. Ich bin fest davon überzeugt, sen und auch unsere Mentalität neu aufstellen, wenn wir meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn wir dies gesamtgesellschaftlich Gründungen, Selbstständigkeit, gemeinsam angehen, dann wird es uns nicht nur gelin- die schnelle Umsetzung von Ideen, das Scheitern und gen, für mehr Gründungen zu sorgen, mehr für Unterneh- auch das Wiederaufstehen viel mehr mitdenken, wenn men in der Wachstumsphase zu erreichen, sondern auch, es selbstverständlich wird, das im Zusammenhang mit mit diesen Impulsen die deutsche Wirtschaft insgesamt in wirtschaftlichem Handeln zu sehen. Hier müssen wir viel eine neue Wachstumsphase zu führen. früher ansetzen, zum Beispiel, indem wir schon in der Vielen herzlichen Dank. Schulzeit Interesse wecken, damit wirtschaftliches Den- ken und auch Gründerkultur aufkeimen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Es gibt viele schöne Beispiele, auch bei mir im Wahl- kreis: junge Unternehmen – ich habe letzte Woche das Unternehmen Ascora besucht –, die genau diese Netz- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: werke suchen und nutzen, die eine Seniorberatung, Real- Jetzt gebe ich das von Schriftführerinnen und Schrift- labore oder auch das TGO an der Uni Oldenburg nutzen, führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- damit sich Freiräume entwickeln können. Ich freue mich mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen zudem, dass die Gründerplattform des BMWi bereits Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fort- sehr erfolgreich angelaufen ist. Ich finde, die ist wirklich setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- klasse. Sie wird gerade noch einmal aktualisiert. Hier te an der „United Nations Interim Force in Lebanon“ be- können wir tatsächlich punkten. Besonders wichtig ist kannt: abgegebene Stimmen 643. Mit Ja haben gestimmt mir natürlich, dass wir auch Gruppen mobilisieren, zum 490, mit Nein haben gestimmt 149, Enthaltungen 4. Die (B) Beispiel weniger Aktive wie Frauen. Die müssen wir ein- Beschlussempfehlung ist damit angenommen. (D)

Endgültiges Ergebnis Melanie Bernstein Axel E. Fischer (Karlsruhe- Jürgen Hardt Land) Abgegebene Stimmen: 643; Christoph Bernstiel Matthias Hauer Dr. Maria Flachsbarth davon Peter Beyer Mark Hauptmann Marc Biadacz Thorsten Frei Dr. Matthias Heider ja: 490 Steffen Bilger Dr. Hans-Peter Friedrich Thomas Heilmann nein: 149 Peter Bleser (Hof) Frank Heinrich (Chemnitz) enthalten: 4 Norbert Brackmann Michael Frieser Mark Helfrich Dr. Reinhard Brandl Ingo Gädechens Rudolf Henke Ja Michael Brand (Fulda) Dr . Thomas Gebhart Michael Hennrich Alois Gerig CDU/CSU Dr. Helge Braun Marc Henrichmann Silvia Breher Eberhard Gienger Ansgar Heveling Dr. Michael von Abercron Sebastian Brehm Eckhard Gnodtke Dr. Heribert Hirte Stephan Albani Heike Brehmer Ursula Groden-Kranich Christian Hirte Norbert Maria Altenkamp Ralph Brinkhaus Hermann Gröhe Alexander Hoffmann Philipp Amthor Dr. Carsten Brodesser Klaus-Dieter Gröhler Karl Holmeier Artur Auernhammer Gitta Connemann Michael Grosse-Brömer Erich Irlstorfer Peter Aumer Astrid Damerow Astrid Grotelüschen Hans-Jürgen Irmer Dorothee Bär Alexander Dobrindt Markus Grübel Thomas Jarzombek Thomas Bareiß Michael Donth Manfred Grund Andreas Jung Norbert Barthle Marie-Luise Dött Oliver Grundmann Ingmar Jung Maik Beermann Hansjörg Durz Monika Grütters Alois Karl Manfred Behrens (Börde) Thomas Erndl Fritz Güntzler Veronika Bellmann Hermann Färber Olav Gutting Torbjörn Kartes Sybille Benning Uwe Feiler Christian Haase Volker Kauder Dr . André Berghegger Enak Ferlemann Florian Hahn Dr. Stefan Kaufmann 13412 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Ronja Kemmer Dr . Georg Nüßlein Stephan Stracke Esther Dilcher (C) Roderich Kiesewetter Wilfried Oellers Max Straubinger Sabine Dittmar Michael Kießling Florian Oßner Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Dr . Georg Kippels Josef Oster Michael Stübgen Saskia Esken Volkmar Klein Henning Otte Dr . Peter Tauber Yasmin Fahimi Jens Koeppen Sylvia Pantel Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Markus Koob Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Dr. Edgar Franke Alexander Krauß Stephan Pilsinger Dr . Dietlind Tiemann Ulrich Freese Gunther Krichbaum Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Dagmar Freitag Dr. Günter Krings Eckhard Pols Markus Uhl Sigmar Gabriel Rüdiger Kruse Thomas Rachel Dr . Volker Ullrich Michael Gerdes Michael Kuffer Kerstin Radomski Arnold Vaatz Martin Gerster Dr. Roy Kühne Alexander Radwan Oswin Veith Angelika Glöckner Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alois Rainer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Timon Gremmels Andreas G. Lämmel Dr. Peter Ramsauer Christoph de Vries Michael Groß Katharina Landgraf Eckhardt Rehberg Kees de Vries Metin Hakverdi Ulrich Lange Lothar Riebsamen Dr. Johann David Wadephul Dirk Heidenblut Dr. Silke Launert Josef Rief Marco Wanderwitz Hubertus Heil (Peine) Jens Lehmann Johannes Röring Nina Warken Gabriela Heinrich Paul Lehrieder Dr. Norbert Röttgen Wolfgang Hellmich Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff Albert H. Weiler Dr. Barbara Hendricks Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Gustav Herzog Dr. Ursula von der Leyen Albert Rupprecht Dr . Anja Weisgerber Gabriele Hiller-Ohm Antje Lezius Stefan Sauer Peter Weiß (Emmendingen) Thomas Hitschler Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Eva Högl Andrea Lindholz Ingo Wellenreuther Dr . Wolfgang Schäuble Frank Junge Dr. Carsten Linnemann Marian Wendt Andreas Scheuer Josip Juratovic Patricia Lips Kai Whittaker Jana Schimke Thomas Jurk (B) Nikolas Löbel Annette Widmann-Mauz (D) Tankred Schipanski Oliver Kaczmarek Bernhard Loos Klaus-Peter Willsch Dr. Claudia Schmidtke Johannes Kahrs Dr. Jan-Marco Luczak Elisabeth Winkelmeier- Daniela Ludwig Christian Schmidt (Fürth) Becker Elisabeth Kaiser Karin Maag Patrick Schnieder Oliver Wittke Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Yvonne Magwas Nadine Schön Emmi Zeulner Felix Schreiner Cansel Kiziltepe Dr . Thomas de Maizière Paul Ziemiak Dr. Klaus-Peter Schulze Arno Klare Gisela Manderla Dr. Matthias Zimmer Dr . Astrid Mannes Uwe Schummer Lars Klingbeil Torsten Schweiger Dr. Bärbel Kofler Matern von Marschall SPD Hans-Georg von der Marwitz Detlef Seif Daniela Kolbe Niels Annen Andreas Mattfeldt Johannes Selle Anette Kramme Ingrid Arndt-Brauer Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Christine Lambrecht Heike Baehrens Dr. Michael Meister Dr. Patrick Sensburg Christian Lange (Backnang) Ulrike Bahr Jan Metzler Thomas Silberhorn Dr. Karl Lauterbach Nezahat Baradari Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Björn Simon Helge Lindh Michelbach Tino Sorge Dr. Katarina Barley Burkhard Lischka Dr. Mathias Middelberg Katrin Staffler Doris Barnett Kirsten Lühmann Dietrich Monstadt Frank Steffel Dr. Matthias Bartke Caren Marks Karsten Möring Dr . Wolfgang Stefinger Sören Bartol Katja Mast Elisabeth Motschmann Albert Stegemann Bärbel Bas Christoph Matschie Axel Müller Andreas Steier Leni Breymaier Hilde Mattheis Sepp Müller Sebastian Steineke Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Matthias Miersch Carsten Müller Johannes Steiniger Katrin Budde Klaus Mindrup (Braunschweig) Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci Susanne Mittag Stefan Müller (Erlangen) Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Falko Mohrs Petra Nicolaisen Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Claudia Moll Michaela Noll Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Siemtje Möller Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13413

(A) Bettina Müller Gülistan Yüksel Bernd Reuther Markus Kurth (C) Detlef Müller (Chemnitz) Dagmar Ziegler Dr. Stefan Ruppert Sven Lehmann Michelle Müntefering Stefan Zierke Dr . h. c. Thomas Sattelberger Steffi Lemke Dr. Rolf Mützenich Dr. Jens Zimmermann Christian Sauter Dr . Tobias Lindner Dietmar Nietan Frank Schäffler Dr. Irene Mihalic Ulli Nissen FDP Dr . Wieland Schinnenburg Claudia Müller Josephine Ortleb Grigorios Aggelidis Matthias Seestern-Pauly Beate Müller-Gemmeke Mahmut Özdemir (Duisburg) Renata Alt Frank Sitta Dr. Ingrid Nestle Aydan Özoğuz Christine Aschenberg- Judith Skudelny Dr. Konstantin von Notz Christian Petry Dugnus Bettina Stark-Watzinger Omid Nouripour Detlev Pilger Nicole Bauer Dr. Marie-Agnes Strack- Friedrich Ostendorff Sabine Poschmann Zimmermann Cem Özdemir Florian Post Dr. Jens Brandenburg Benjamin Strasser Filiz Polat Achim Post (Minden) (Rhein-Neckar) Katja Suding Tabea Rößner Florian Pronold Mario Brandenburg Linda Teuteberg Claudia Roth (Augsburg) Martin Rabanus (Südpfalz) Michael Theurer Dr. Manuela Rottmann Andreas Rimkus Dr. Marco Buschmann Stephan Thomae Manuel Sarrazin Sönke Rix Karlheinz Busen Manfred Todtenhausen Ulle Schauws Dennis Rohde Bijan Djir-Sarai Dr . Florian Toncar Dr. Frithjof Schmidt Dr. Martin Rosemann Christian Dürr Dr . Andrew Ullmann Stefan Schmidt René Röspel Hartmut Ebbing Gerald Ullrich Kordula Schulz-Asche Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Marcus Faber Johannes Vogel (Olpe) Dr . Wolfgang Strengmann- Michael Roth (Heringen) Daniel Föst Nicole Westig Kuhn Susann Rüthrich Otto Fricke Katharina Willkomm Margit Stumpp Bernd Rützel Markus Herbrand Markus Tressel Johann Saathoff Torsten Herbst BÜNDNIS 90/ Jürgen Trittin Dr. Nina Scheer Katja Hessel DIE GRÜNEN Dr . Julia Verlinden Marianne Schieder Dr. Gero Clemens Hocker Luise Amtsberg Daniela Wagner (B) Dr. Nils Schmid Manuel Höferlin (D) Kerstin Andreae Gerhard Zickenheiner Uwe Schmidt Dr. Christoph Hoffmann Lisa Badum Ulla Schmidt (Aachen) Reinhard Houben Dr. Danyal Bayaz Fraktionslos Dagmar Schmidt (Wetzlar) Ulla Ihnen Dr. Franziska Brantner Uwe Kamann Carsten Schneider (Erfurt) Olaf In der Beek Agnieszka Brugger Johannes Schraps Gyde Jensen Dr . Anna Christmann Michael Schrodi Dr. Christian Jung Nein Ekin Deligöz Dr. Manja Schüle Thomas L. Kemmerich Harald Ebner AfD Ursula Schulte Karsten Klein Matthias Gastel Dr. Bernd Baumann Martin Schulz Daniela Kluckert Kai Gehring Marc Bernhard Swen Schulz (Spandau) Dr. Lukas Köhler Stefan Gelbhaar Andreas Bleck Stefan Schwartze Wolfgang Kubicki Katrin Göring-Eckardt Andreas Schwarz Konstantin Kuhle Peter Boehringer Erhard Grundl Rita Schwarzelühr-Sutter Alexander Graf Lambsdorff Stephan Brandner Anja Hajduk Rainer Spiering Ulrich Lechte Jürgen Braun Britta Haßelmann Svenja Stadler Christian Lindner Marcus Bühl Dr. Bettina Hoffmann Martina Stamm-Fibich Michael Georg Link Matthias Büttner Sonja Amalie Steffen (Heilbronn) Ottmar von Holtz Mathias Stein Oliver Luksic Dr. Kirsten Kappert-Gonther Tino Chrupalla Kerstin Tack Till Mansmann Uwe Kekeritz Joana Cotar Dr . Jürgen Martens Katja Keul Siegbert Droese Michael Thews Christoph Meyer Sven-Christian Kindler Thomas Ehrhorn Markus Töns Alexander Müller Maria Klein-Schmeink Berengar Elsner von Gronow Carsten Träger Roman Müller-Böhm Sylvia Kotting-Uhl Dr. Michael Espendiller Ute Vogt Frank Müller-Rosentritt Oliver Krischer Peter Felser Marja-Liisa Völlers Dr. Martin Neumann Stephan Kühn (Dresden) Dietmar Friedhoff Dirk Vöpel (Lausitz) Christian Kühn (Tübingen) Dr . Anton Friesen Bernd Westphal Hagen Reinhold Renate Künast Markus Frohnmaier 13414 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Dr. Götz Frömming Ulrich Oehme Fabio De Masi Tobias Pflüger (C) Dr. Alexander Gauland Gerold Otten Dr. Diether Dehm Ingrid Remmers Albrecht Glaser Frank Pasemann Anke Domscheit-Berg Martina Renner Franziska Gminder Tobias Matthias Peterka Klaus Ernst Bernd Riexinger Wilhelm von Gottberg Paul Viktor Podolay Susanne Ferschl Eva-Maria Schreiber Kay Gottschalk Jürgen Pohl Brigitte Freihold Dr. Petra Sitte Armin-Paulus Hampel Stephan Protschka Sylvia Gabelmann Helin Evrim Sommer Mariana Iris Harder-Kühnel Martin Reichardt Nicole Gohlke Kersten Steinke Verena Hartmann Martin Erwin Renner Dr. Gregor Gysi Friedrich Straetmanns Dr. Roland Hartwig Roman Johannes Reusch Dr . André Hahn Dr . Kirsten Tackmann Jochen Haug Ulrike Schielke-Ziesing Heike Hänsel Jessica Tatti Martin Hebner Dr. Robby Schlund Matthias Höhn Alexander Ulrich Udo Theodor Hemmelgarn Uwe Schulz Andrej Hunko Kathrin Vogler Lars Herrmann Thomas Seitz Ulla Jelpke Dr . Sahra Wagenknecht Martin Hess Martin Sichert Kerstin Kassner Andreas Wagner Karsten Hilse Detlev Spangenberg Dr . Achim Kessler Harald Weinberg Martin Hohmann Dr. Dirk Spaniel Katja Kipping Katrin Werner Dr. Bruno Hollnagel René Springer Jan Korte Hubertus Zdebel Leif-Erik Holm Beatrix von Storch Jutta Krellmann Pia Zimmermann Dr . Alice Weidel Caren Lay Sabine Zimmermann (Zwickau) Fabian Jacobi Dr . Harald Weyel Sabine Leidig Jens Kestner Wolfgang Wiehle Ralph Lenkert BÜNDNIS 90/ Stefan Keuter Dr . Christian Wirth Michael Leutert DIE GRÜNEN Enrico Komning Uwe Witt Stefan Liebich Jörn König Dr. Gesine Lötzsch Canan Bayram Dr. Rainer Kraft DIE LINKE Thomas Lutze Monika Lazar Rüdiger Lucassen Doris Achelwilm Pascal Meiser (B) Frank Magnitz Gökay Akbulut Amira Mohamed Ali Enthalten (D) Dr. Lothar Maier Simone Barrientos Cornelia Möhring BÜNDNIS 90/ Dr. Dietmar Bartsch Niema Movassat Jens Maier DIE GRÜNEN Dr . Birgit Malsack- Lorenz Gösta Beutin Norbert Müller (Potsdam) Winkemann Matthias W. Birkwald Zaklin Nastic Lisa Paus Corinna Miazga Heidrun Bluhm-Förster Dr . Alexander S. Neu Corinna Rüffer Andreas Mrosek Michel Brandt Volker Münz Christine Buchholz Petra Pau Fraktionslos Sebastian Münzenmaier Birke Bull-Bischoff Sören Pellmann Marco Bülow Jan Ralf Nolte Jörg Cezanne Victor Perli Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Damit setzen wir die Aussprache fort. Das Wort hat Rahmenbedingungen setzen. Aber ich wäre ein schlech- der Kollege Enrico Komning, AfD. ter AfD-Abgeordneter, wenn ich nicht ein wenig Wasser in den Wein der Zukunftsgläubigkeit gießen würde. Der (Beifall bei der AfD) Ansatz, Verwaltung zu straffen und zu entbürokratisie- ren, ist natürlich richtig. Digitale Verwaltung ja, aber Enrico Komning (AfD): das darf nicht dazu führen, dass sich der Staat aus der Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Fläche zurückzieht. Ein zu einseitiger Fokus der Politik ren Kollegen! Liebe Kollegen von der FDP, mit zwei auf Start-ups und Zukunftstechnologien schwächt die Anträgen stellen Sie uns heute Ihre Vorstellungen dar, klassischen Bereiche der mittelständischen Wirtschaft. wie man eine Gründeroffensive entfachen könnte, um Wenn über eine neue Gründerinitiative gesprochen wird, des besorgniserregenden Rückgangs der Unternehmens- dürfen wir Handwerk, Maschinenbau und verarbeitendes gründungen Herr zu werden. Ich bin da ganz bei Ihnen: Gewerbe nicht aus den Augen verlieren. Auch hier brau- Deutschland braucht einen Innovationssprung. Wir brau- chen wir mehr Unternehmensgründer. chen mehr junge, dynamische, unkonventionelle Start- ups in Deutschland, und dafür müssen wir die richtigen (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13415

Enrico Komning (A) Wir brauchen ein Nebeneinander zwischen technolo- Der grüne Antrag atmet viel irrationale Klima- und (C) gienorientierten Start-ups und klassischem Mittelstand. Migrationsreligion. Er ist daher kaum diskussionswür- Der klassische Mittelstand – in seiner großen Mehrheit dig. Familienbetriebe; Frau Grotelüschen hat gerade da- (Dr. Danyal Bayaz [BÜNDNIS 90/DIE rauf hingewiesen – ist in seiner jeweiligen Heimatre- GRÜNEN]: Auf Deutsch erklärt! Alles auf gion verankert und pflegt langjährige Beziehungen zu Deutsch! – Gegenruf des Abg. Falko Mohrs Kunden und auch zu den eigenen Mitarbeitern. Er ist [SPD]: Versteht er trotzdem nicht!) sozusagen das Fundament von Wirtschaft und Gesell- schaft. Den größten Teil der Ausbildungsplätze, näm- Vielen Dank. lich 80 Prozent, stellen die mittelständischen Betriebe (Beifall bei der AfD) zur Verfügung – Fachkräfteausbildung, von der auch Start-ups profitieren. Das entbindet den Staat natür- lich nicht davon, Rahmenbedingungen zu bieten, die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Sabine Poschmann, SPD, ist die nächste Rednerin. Zukunftstechnologien in Deutschland attraktiv machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Daher ist gar nicht so sehr die Digitalisierung der Ver- der CDU/CSU – Falko Mohrs [SPD]: Versteht waltung die Antwort, sondern schlicht analoge Entbüro- wenigstens was vom Thema!) kratisierung. Weg mit Berichtspflichten und Auskunfts- auflagen! Sabine Poschmann (SPD): In Ihrem zweiten Antrag fordern Sie die Gründung Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und eines sogenannten Zukunftsfonds, der als Dachfonds Kollegen! Gründerinnen und Gründer – das wissen wir öffentliches und privates Risikokapital bündeln soll. alle – wirken für die Volkswirtschaft wie eine Frischzel- Das Wichtigste für Start-ups in der Gründungs- und lenkur. Sie sind Treiber, die Wachstum, Wettbewerb und vor allem auch in der Wachstumsphase ist der Zugang Innovation ankurbeln. Auch ihr Beschäftigungseffekt ist nicht zu unterschätzen. Der KfW-Gründungsmoni- zu ausreichend Kapital; meine beiden Vorrednerinnen tor 2019 hält fest, dass Neugründer im vergangenen Jahr haben darauf hingewiesen. Wir brauchen mehr Betei- umgerechnet 219 000 Stellen geschaffen haben. Richtig ligungskapital. Die KfW stellt mit der KfW Capital ist aber auch: Bei der Gründungstätigkeit ist noch viel Beteiligungskapital von 200 Millionen Euro für Risi- Luft nach oben. Auch wenn sich der Rückgang etwas ab- kokapitalfonds zur Verfügung. Öffentliches Beteili- schwächt, so sind doch die Zahlen für Deutschland zu gungskapital aktiviert auch immer privates Kapital, und gering. In Zeiten von Fachkräftemangel und niedriger (B) davon gibt es in unserer Nullzinszeit doch genügend. Arbeitslosigkeit ist es teilweise natürlich auch nachvoll- (D) Insoweit glaube ich hier: Viel hilft auch viel. Eine Kapi- ziehbar. Ein gut bezahlter Job ist häufig die interessantere talaufstockung bei der KfW Capital ist daher dringend Option für junge Menschen. Auch die Alterung unserer notwendig. Gesellschaft spielt beim Rückgang eine Rolle; das sollte man nicht verkennen. Wer sich beruflich selbstständig (Beifall bei der AfD) macht, ist in der Regel zwischen 25 und 45 Jahre alt, und genau diese Altersgruppe, wissen wir, schmilzt. Ob es darüber hinaus tatsächlich eines speziellen Dach- fonds bedarf, möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Was Gründer nach wie vor als ein größeres Hemmnis ausmachen, sind aber Bürokratieberge und hohe Hür- Ein Letztes noch, liebe FDP: Ich schätze es sehr, dass den bei der Finanzierung. Wie oft, liebe Kolleginnen auch in Ihrer Fraktion viele die furchtbare und sprachver- und Kollegen, haben wir uns in der Vergangenheit ge- gewaltigende Gendersprache ablehnen. schworen, kleine und mittelständische Unternehmen von unnötigem Papier- und Verwaltungskram zu entlasten. (Falko Mohrs [SPD]: Oh Gott!) Man kann das schon gar nicht mehr hören. Aber wie Sie sehen: Der Fortschritt ist in diesem Fall eine Schnecke. Aber auch das Denglisch ist wahrlich kein Beitrag zu un- Es wird allerhöchste Zeit – schade, dass Herr Altmaier serer Sprachkultur. nicht da ist –, endlich das versprochene Bürokratieabbau- gesetz III auf den Weg zu bringen. Darauf warten wir hier (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Pfui!) dringend. Sprechen wir dann doch lieber von „Machern“ statt „En- (Beifall bei der SPD) ablern“ oder von „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ statt Die Unternehmer erwarten konkrete Vorschläge, die An- „First Mover Advantage“. trags- und Genehmigungsverfahren auf ein erträgliches Maß zu senken. Dafür gibt es zahlreiche Stellschrauben (Beifall bei der AfD – Dr. Jens Zimmermann bis hin zu einheitlichen Verfahren, damit der Papierkram [SPD]: Mehr fällt der AfD zu dem Thema eventuell ganz entfällt. nicht ein! Das ist schon peinlich!) Ein anderes Thema – wir haben es heute schon ange- Insofern lehnen wir auch vehement die Einführung von sprochen – ist die Finanzierung von Start-ups. Wenn es Englisch als zweiter Verwaltungssprache ab. Gerne dis- darum geht, einem jungen Unternehmen bei der Grün- kutieren wir Ihre Anträge im Ausschuss. dung auf die Beine zu helfen, sind wir in der Regel ganz 13416 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Sabine Poschmann (A) gut aufgestellt. Woran es hapert, ist die Anschlussfinan- Die FDP fordert, dass die – Zitat – „hohen Vermö- (C) zierung in der Wachstumsphase. Wir haben auch schon gensbestände stärker als bisher in renditestarke Anlage- etwas getan dafür, so ist es ja nicht. Mit der Gründung möglichkeiten investiert werden“. Die Linke hingegen der KfW-Tochter Capital in der letzten Wahlperiode und fordert, dass hohe Vermögensbestände erst einmal or- dem neuen Fonds für technologieorientierte Unterneh- dentlich besteuert werden. Vagabundierendes Kapital men haben wir weitere Instrumente geschaffen, um mehr gäbe es nämlich gar nicht, hätten wir eine ordentliche Wagniskapital zu aktivieren. Vermögen- sowie Reichensteuer. Ein Zukunftsfonds – oder Digitalfonds, wie wir ihn im (Beifall bei der LINKEN – Bettina Stark-­ Koalitionsvertrag genannt haben – ist eine weitere Opti- Watzinger [FDP]: Dann haben wir überhaupt on. Der staatliche Dachfonds würde es für Anleger wie keine Gründer mehr!) Versicherungen oder Pensionskassen attraktiver machen, Mit dem Besitz von großen Vermögen weitere Vermö- in Start-ups zu investieren. Das brächte natürlich weite- gen anzuhäufen, ist auch moralisch höchst zweifelhaft. res Kapital auf den Markt, das wir dringend bräuchten. Ehrlich arbeitende Menschen unserer Gesellschaft arbei- Die SPD-Fraktion hat dazu schon konkrete Ideen, und ten in der Regel 40 oder 45 Jahre, sicherlich wird das Wirtschaftsministerium auch bald ein Konzept vorlegen. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, beteili- gen wir sie doch mal am Wohlstand!) Mir ist es wichtig, meine Damen und Herren, wenn wir über Start-ups reden, dass wir auch diejenigen im und viele von ihnen müssen dann als Rentnerinnen und Blick haben, die sich mit sozialen Innovationen beschäf- Rentner noch aufstocken. Das ist nicht gerecht. tigen. Sozialunternehmer – ich werde nicht müde, das zu (Beifall bei der LINKEN) sagen – lösen mit ihren Geschäftsideen gesellschaftliche Probleme und verdienen damit gleichzeitig Geld. Hier Die FDP fordert weiter, dass die verbliebenen Anteile schlummert ein riesiges Potenzial für Deutschland. Bei des Bundes bei Post, Telekom und anderen verscherbelt allen weiteren Planungen, ob zu Finanzierungsinstru- werden. menten oder zu Verbesserungen der Rahmenbedingun- gen, müssen wir diese Unternehmensgruppe konsequen- (Dr . Florian Toncar [FDP]: Nein, verkauft!) ter mitdenken. Die Linke ist gegen solche Privatisierungen, weil sie nachher der Gesellschaft teuer zu stehen kommen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Die Förderung solcher Unternehmen steht im Koalitions- (B) vertrag. Trotzdem führen sie leider immer noch ein Ni- Ein Blick auf den Bereich der Post und hier gerade bei (D) schendasein. Daraus sollten wir sie schleunigst befreien. den Paketdienstleistern reicht aus, um festzustellen: In der Regel wird alles teurer, unzuverlässiger und aus Sicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Arbeitnehmer extrem grenzwertig. Das geht so nicht Deshalb arbeitet die Koalition auch an einem Antrag. weiter. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Bei einem Verkauf hat man bekanntlich nur einmal einen Erlös. Einen Einfluss auf Entscheidungen dieser priva- tisierten Unternehmen hat die Gesellschaft dann nicht Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mehr. Und es kann teuer werden, wenn Monopolisten Thomas Lutze, Die Linke, hat als nächster Redner das unsere Gesellschaft erpressen. Wort. Im zweiten Antrag versucht es die FDP mit Zu- (Beifall bei der LINKEN) kunftstechnologien. Sie fordert eine steuerliche For- schungsförderung. Aber ein Gießkannenprinzip ist kein sinnvolles Mittel, um Forschung und Entwicklung zu (DIE LINKE): Thomas Lutze fördern. Soweit wir wissen, gibt es keine Belege dafür, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass eine steuerliche Forschungsförderung tatsächlich Die FDP beantragt heute „Zukunftsfonds für eine neue zu einer Verbesserung von Forschung und Entwicklung Gründerzeit“. So weit, so gut. Auch wir meinen, dass im Unternehmenssektor führt. Dies bestätigt auch das neue technische Lösungen in vielen Bereichen gefunden Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das meines werden müssen. Allerdings unterscheiden sich die Posi- Erachtens nicht im Verdacht steht, der Linken besonders tionen der Freien Demokraten und der demokratischen nahe zu sein. Sozialisten bei dieser Frage erheblich, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: neten der AfD – Reinhard Houben [FDP]: Das Herr Kollege Lutze, der Kollege Schinnenburg möch- ist auch gut so!) te gern eine Zwischenfrage stellen. wenn es darum geht, wie Geldflüsse organisiert werden können, damit sie den notwendigen Investitionen zugu- Thomas Lutze (DIE LINKE): tekommen. Gern nach meiner Rede. Nein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13417

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: diskutieren und nach Möglichkeit dazu auch Expertinnen (C) Nein, keine Zwischenfrage. und Experten einzuladen. Vielen Dank und ein herzliches Glückauf! (DIE LINKE): Thomas Lutze (Beifall bei der LINKEN) Nächstes Thema. In einem zugegebenermaßen weitreichenden Forderungskatalog soll die öffentliche Verwaltung digitalisiert werden. Die Blockchain-Tech- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nologie, also das Ausschalten von bisherigen Mittel- Dr. Danyal Bayaz, Bündnis 90/Die Grünen, ist der dienstleistern, ist ein neuer technischer Trend. Das kann nächste Redner. ein gutes Vorhaben sein, aber es hängt davon ab, wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es im Detail umgesetzt wird. Wichtig ist, dass alle Da- tenschutzaspekte und die technische Implementierung unter die Lupe genommen werden. Das Ziel ist weniger Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verwaltungsaufwand, mehr Sicherheit und vor allem Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wa- Vertrauen für alle Beteiligten, weil niemand die soge- rum reden wir heute überhaupt über Start-ups und Grün- nannte Blockchain-Technologie manipulieren können der? Das ist ja kein Selbstzweck, sondern es geht um den soll. Erfolg unserer Wirtschaft von morgen. Das Problem ist, wenn man sich einmal unsere Industrie anschaut: Die Es reicht daher nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen Automobilindustrie hadert, deutsche Banken sind ange- der FDP, mit technischen Begriffen wie „Blockchain“ schlagen, die Deutschland AG, wie wir sie einmal kann- einen modernen Anschein erwecken zu wollen. Alle Be- ten, gibt es nicht mehr. Viele Mittelständler leiden unter teiligten müssen diese komplexen Vorgänge verstehen den globalen Handelskonflikten, und die Modernisierung können. Nur so entsteht Vertrauen, und nur so entsteht unserer Industrie, gerade die digitale und die ökologische die Bereitschaft, solche Technologien zu verwenden. Modernisierung, kommt nicht wirklich voran, übrigens (Beifall bei der LINKEN) auch, weil die Regierung nicht für klare Rahmenbedin- gungen sorgt. Nächstes Thema. In der Verwaltung sollen bestimmte Vorgänge automatisiert werden. Wir sagen: Maschinelles Und da kommen natürlich Start-ups in Spiel; denn sie Lernen, wie Sie es anregen, sollte aber nur dann einge- sind Innovationsmotor für die Zukunftsfähigkeit unse- setzt werden, wenn die Vorgänge nachvollziehbar, trans- rer Wirtschaft. Viele Start-ups bringen uns digital nach parent und damit auch kontrollier- und handhabbar sind. vorne, viele Start-ups bringen uns mit der ökologischen Modernisierung nach vorne. Das ist doch der Mittelstand (B) Algorithmen, also digitale Programme, können nur eine (D) informierte Unterstützung für Verwaltungsmitarbeitende von morgen, den wir brauchen. Da geht es um Wert- sein, wenn sie verstehen, wie die Ergebnisse und Vor- schöpfung, da geht es um Arbeitsplätze, da geht es um schläge des Algorithmus zustande kommen. Ansonsten Innovationen. Genau deswegen sollten wir die Gründer- laufen wir Gefahr, mit intransparenten Vorgängen kon- kultur in diesem Land auch stärken, meine Damen und frontiert zu werden. Das, liebe Kolleginnen und Kolle- Herren. gen, widerspricht der Idee einer demokratischen Verwal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tung. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der LINKEN) CDU/CSU) Die FDP schlägt einen nationalen Dachfonds vor, Nächster Punkt. eGovernment und die damit verbun- der auch in Wagniskapital investiert. Das ist im Prinzip dene Möglichkeit von Open Data kann ein großartiger okay, aber so, wie Sie es vorschlagen, werden nur sehr Gewinn für die Gesellschaft sein. Allerdings muss bei bestimmte Anlegergruppen davon profitieren. Der Staat einer vollständigen Digitalisierung der Verwaltung be- soll dabei Zinsen garantieren und Verluste abdecken. Ich achtet werden, dass es immer Menschen geben wird, finde, an dieser Stelle machen Sie es sich zu einfach. die keinen Internetzugang haben. Und manche wollen vielleicht gar nicht online sein, oder ihnen fehlt die not- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wendige Kompetenz, um von zu Hause aus ihre Verwal- tungsangelegenheiten regeln zu können. Aus unserer Die Grundidee eines nationalen Fonds ist richtig. Aber Sicht muss der Staat für diese Bürgerinnen und Bür- lassen Sie uns schauen, wie wir ihn als Bürgerfonds aus- ger in den Rathäusern Ansprechpartnerinnen und An- gestalten können, zum Beispiel als Fonds für die Alters- sprechpartner bereitstellen, die sämtliche Verwaltungs- vorsorge. So bekommen auch viele andere die Möglich- akte digital in die Wege leiten können. Wie so etwas keit, niedrigschwellig in einen professionell gemanagten aussehen kann, macht zum Beispiel Estland vor, das mit Fonds zu investieren, der in Aktien, in Anleihen, aber einem solchen Modell sehr gute Erfahrungen macht und eben auch in Wagniskapital investiert. Wenn wir das es damit zu einer 99‑prozentigen digitalen Verwaltung beispielsweise als öffentlich-rechtliches Fondsmodell geschafft hat. anbieten mit niedrigen Vertriebskosten, dann vermeiden wir viele Kosten, und dann machen wir es so wie bei- Last, but not least. Unsere Verantwortung, meine Da- spielsweise die Schweden. Daran können sich natürlich, men und Herren, ist es, eine digitale Spaltung der Ge- Frau Stark-Watzinger, auch viele private Investoren be- sellschaft nicht weiter zu vertiefen. Deshalb sind wir gut teiligen, um die Investitionssumme zu hebeln. Ich fin- beraten, diese Aspekte im Ausschuss ergebnisoffen zu de, davon haben wirklich alle etwas. Grundsätzlich gilt: 13418 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Danyal Bayaz (A) Wer die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft und die Widersprüchlichkeit bewusst sein, meine Damen und (C) Akzeptanz von Start-ups stärken möchte, der sollte ganz Herren. gezielt Bürgerinnen und Bürger an den Gewinnen betei- ligen. Ich glaube, das wäre die richtige Antwort, meine (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Damen und Herren. DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU, der SPD und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LINKEN) Jetzt stelle ich mir die Frage: Wie steht die Regierung Aber Sie haben mich auf einen guten Punkt gebracht: dazu? Ich habe noch mal in den Koalitionsvertrag ge- schaut. Da steht: Wer über Gründer spricht, der muss auch über Frauen sprechen, und zwar ganz gezielt. Wir sollten nicht nur Wir wollen, dass Ideen aus Deutschland auch mit über eine Gründerkultur sprechen, sondern auch über Kapital aus Deutschland finanziert werden … eine Gründerinnenkultur;

Ich fände es übrigens besser, wenn da „Europa“ stehen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN würde; denn Start-ups können mit chinesischen und ame- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und rikanischen Dynamiken nur dann konkurrieren, wenn sie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) von Anfang an den gesamteuropäischen Markt in den Blick nehmen. denn es gibt viele tolle Frauen da draußen, die Ideen für neue Geschäfte haben. Frauen gründen anders. Frauen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gründen vor allem für Frauen. sowie bei Abgeordneten der FDP) An dieser Stelle müssen wir uns ehrlich eingestehen, (Beatrix von Storch [AfD]: Es gibt auch Di- dass auch Europa insgesamt diesbezüglich zu langsam verse!) ist und zu wenig zu bieten hat. Ich gebe Ihnen ein Bei- spiel: Vor ein paar Wochen hat ein großes Berliner Start- Wenn man mal ganz ehrlich ist, muss man sagen – das up aus der Tourismusbranche, GetYourGuide, 400 Mil- ist eine rein volkswirtschaftliche Betrachtung –: Wir lionen Dollar Kapital eingesammelt. Das Geld kommt reden hier über die halbe Volkswirtschaft der Bundesre- aus Asien, von japanischen Investoren. Dieses Start-up publik Deutschland, Frau Storch. Das Problem ist: Die hat sich in Europa noch nicht mal umgeschaut, weil es bekommen kein Kapital von Investoren, und die Frau- dieses Angebot gar nicht gibt. Viele Konkurrenten ho- enquote unter Gründern ist noch schlechter als die in len sich das Kapital aus den USA. Es ist doch klar: Den der Politik. (B) Unternehmen ist erst mal völlig egal, ob das Geld aus (D) Israel, aus dem Silicon Valley oder aus Asien kommt. (Beatrix von Storch [AfD]: Intersexuell gibt Aber uns sollte schon sehr bewusst sein, dass mit dem es auch noch!) Einstieg von chinesischen oder amerikanischen Inves- Es gibt welche, die das besser machen wollen. Letzte toren Geschäftsmodelle, Innovationen, Arbeitsplätze, Woche gab es eine Erfolgsmeldung: Der Billion Dollar aber auch Gewinne sozusagen dem europäischen Ein- Fund, ein großer Fonds, der ganz explizit auf weibliche fluss entzogen werden. Start-ups setzt, hat 1 Milliarde Kapital eingesammelt. Ich finde übrigens – das sage ich in Richtung Wirt- Das Geld kommt aus der ganzen Welt, viel auch aus Eu- schaftsministerium –, das wäre eine kluge Strategie für ropa, nur aus Deutschland kommt leider kein Investor. eine Industriepolitik. Statt die Old Economy und die Da frage ich mich: Haben wir denn keine Gründerinnen Großen zu schützen, sollte man nach vorne schauen. Ge- hier? Dabei geht es doch nicht nur um eine Frage der nau darum sollten wir uns kümmern, meine Damen und Gerechtigkeit, sondern es geht doch auch um die Frage, Herren. ob wir die Potenziale in unserer Volkswirtschaft wirklich völlig ausschöpfen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord- Jetzt will ich noch einen Satz zu dem Kollegen von neten der CDU/CSU) der AfD sagen: Wer in harmlosen Anträgen von der FDP und den Grünen Anglizismen, Klimaterror, Gendergaga Lassen Sie uns das ändern! Lassen Sie es uns bei- und Migrationsfantasien findet und anderen Ideologie spielsweise wie Irland machen! Irland hat einen Start- vorwirft, der hat, glaube ich, die ideologischste Brille up-Fonds for Female Entrepreneurs gegründet. Achtung: von allen auf. – Das muss ich Ihnen mal klar sagen. Anglizismus! Ich übersetze das gerne: einen Start-up- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fonds für weibliche Gründerinnen. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) (Beatrix von Storch [AfD]: „Weibliche Grün- derinnen“!) Vielleicht noch ein Satz zur englischen Sprache in der Verwaltung: Wer Deutsch als einzige Sprache in Ich finde, da sollten wir auch ansetzen und Förderrichtli- der Verwaltung möchte, aber gleichzeitig über soziale nien ganz gezielt für Frauen auf den Weg bringen. Auch Medien russische Share Pics rausgibt, sollte sich der das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13419

Dr. Danyal Bayaz (A) Start-ups in Deutschland und in Europa, meine Damen bracht. Sie hat von einer Gründerin gesprochen – es ist (C) und Herren. immer gut, wenn wir auch weibliche Gründer in diesem Land haben; das sollten wir fördern –, die kein Kapital, Danke schön. kein Geld findet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beatrix von Storch [AfD]: Was hat das mit sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ihrem Geschlecht zu tun?) der SPD) Schönes Beispiel! Leider haben Sie die aktuellen An- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sprüche in unserem Land nicht zutreffend beschrieben. Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Red- Wie sieht aktuell die Lage aus? Ich will Sie mitnehmen ner hat das Wort der Kollege Mark Hauptmann, CDU/ auf eine Reise entlang der Wertschöpfungskette vom An- CSU-Fraktion. fang, von der Gründung, bis zum Exit: (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Ihre junge Gründerin Kapital braucht, dann be- kommt sie heute schon eine Unterstützung seitens des Bundeswirtschaftsministeriums über ein Programm, das Mark Hauptmann (CDU/CSU): sich „EXIST“ nennt. Drei Viertel der EXIST-Gründersti- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kol- pendien und 80 Prozent der EXIST-Forschungstransfer- leginnen und Kollegen! Liebe Gründerinnen und Grün- projekte führen zu einer Unternehmensgründung, und die der in diesem Land! Es eint uns, dass wir hier in dieser Unternehmen sind nach drei Jahren auch noch am Markt. Debatte überlegen, wie wir in Zukunft ein innovations- freudiges, ein wachstumsorientiertes Land sein können, Dann kommt die Stufe zwei. Was ist Stufe zwei? das auf die Gründerinnen und Gründer setzt, genauso ­Friends, Fools and Family. Das sind diejenigen, die zual- wie das vor über 100 Jahren erfolgreich geschehen ist. lererst in eine Idee investieren. Es waren Personen wie Gottlieb Daimler, Werner von Dritte Finanzierungsstufe: Wagniskapital durch Busi- Siemens, Carl Benz, die damals, vor über 100 Jahren, als ness Angels. Auch hier greift das Bundeswirtschaftsmi- Gründer den Wohlstand von heute generierten. Wir müs- nisterium helfend unter die Arme, sen in unserer heutigen Zeit eben auch schauen, dass wir die Start-ups und die Gründerinnen und Gründer unserer (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wir brau- Zeit zu großen Unternehmen, zu international agierenden chen Fonds! Business Angels ist zu klein!) Akteuren von morgen machen. indem es einen Wagniskapitalzuschuss von 20 Prozent Von daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt. Für Ihren Fall, für Ihre Gründerin, heißt das ganz (B) ist es nicht richtig, wenn der Kollege von der AfD davon konkret: Wenn es einen Wagniskapitalgeber gibt, der (D) spricht, dass wir keine Fokussierung alleine auf die Start- 100 000 Euro investiert, schenkt ihr das Bundeswirt- up-Szene vornehmen sollten, zulasten des Handwerks schaftsministerium 20 000 Euro als Zuschuss. oder der Industrie. Nein, wir brauchen beides. Wir brau- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Die brau- chen auch Gründungen aus dem Handwerk. chen Millionen!) (Enrico Komning [AfD]: Habe ich doch ge- Wir kommen zum Bereich Nummer vier. Jetzt braucht sagt!) die Gründerin Wagniskapital von einem Venturecapi- Das Handwerk erfindet sich gerade neu. Wir brauchen tal-Fonds. Die Situation, die Sie hier beschrieben haben, die Verbindung zwischen klassischer Industrie und Platt- bestand vor zehn Jahren, vielleicht auch noch vor fünf formökonomie. Jahren, aber besteht nicht mehr im Jahr 2019. Wir sind in der Seed-Finanzierung und der Finanzierung der Se- (Beifall des Abg. Michael Theurer [FDP]) ries A und der Series B, also der ersten und zweiten Stu- Das ist das, was wir im 21. Jahrhundert brauchen. fe, finanziell gut ausgestattet. Und die Erfolgsgeschichte des Bundeswirtschaftsministeriums geht weiter; denn an Herr Lutze von den Linken, Sie haben von vagabun- jedem Venturecapital-Fonds, der hier in Berlin seine Er- dierendem Kapital gesprochen. Zurück in die Vergangen- folge feiert, ist der Staat mit 40 Prozent beteiligt, heit – das war Ihre Rede. Wahrscheinlich orientieren Sie sich an den Volkswirtschaften Venezuelas, Kubas und (Beifall der Abg. Astrid Grotelüschen [CDU/ Nordkoreas. Danach klang zumindest Ihr Wortbeitrag CSU]) hier. zu 20 Prozent über die KfW und zu 20 Prozent über den (Thomas Lutze [DIE LINKE]: Einfach mal European Investment Fund. Die sichern als starke Part- zuhören! Zuhören!) ner des Staates in privaten Venturecapital-Unternehmun- gen den benötigten Kapitaltransfer. Sie sehen also: Der Ich glaube, Sie haben die Start-up-Szene in Deutschland, Staat ist immer wieder einer der ganz wichtigen Partner. insbesondere die Start-up-Szene in Berlin, die große Chancen bietet und sich gerade anschickt, Start-up-Platz (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wir wollen Nummer eins in Europa zu werden und damit an London ja privates Kapital! Nicht staatliches!) vorbeizuziehen, noch nicht ganz verstanden. Jetzt komme ich zum entscheidenden Punkt Nummer Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kollegin fünf. Das ist die dritte Stufe des Wagniskapitals. Das Stark-Watzinger hat am Anfang ein schönes Beispiel ge- sind Modelle zur Finanzierung von 10 Millionen Euro 13420 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Mark Hauptmann (A) aufwärts. Ich nehme mal an, Ihre Gründerin braucht bei KfW Capital über das ERP-Sondervermögen noch ein- (C) ihrer Gründung nicht gleich am ersten Tag 10 Millionen. mal 200 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt. Außerdem helfen wir vielen Gründerinnen und Gründern (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Habe ich auch über Coparion und eine Fülle von anderen Maßnah- nicht gesagt! Wachstumsphase!) men. In dieser Wachstumsphase – 10 Millionen aufwärts – ha- Wir haben erkannt, dass es nicht mehr an der Erstfi- ben wir – das stimmt – noch ein Defizit beim Kapital. nanzierung mangelt, sondern an der Wachstumsfinanzie- (Michael Theurer [FDP]: Sagen wir doch! – rung. Diese Erkenntnis ist nicht nur vorhanden, sondern Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das ist unser die Lösung ist auch auf einem guten Weg. Thema heute!) Jetzt geht es darum: Wie akquirieren wir dieses Kapital, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: um dieses Defizit auszugleichen? Hierzu gibt es eine Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. ganze Reihe von Vorschlägen des Bundeswirtschaftsmi- nisters . Es gibt eine ganze Reihe von Vor- Mark Hauptmann (CDU/CSU): schlägen, wie wir auf die Family Offices in Deutschland, Von daher: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. auf die Pensionskassen in Deutschland, auf internationale Kapitalgeber zugehen können, um sie zu animieren, nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- etwa in KMUs zu investieren, die das Know-how abzie- ordneten der SPD) hen und das Geschäft nach China verlagern, sondern wir wollen sie animieren, in die Venturecapital-Szene insge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: samt zu investieren; denn damit findet ein Risikosplitting Vielen Dank, Herr Kollege Hauptmann. – Als nächste statt, und wir können über eine Hebelfunktion, über un- Rednerin hat das Wort die Kollegin Franziska Gminder, sere staatliche Komponente, viel mehr Firmen helfen, als AfD-Fraktion. das bisher bekannt ist. (Beifall bei der AfD) Sie alle wissen, dass wir das dänische Dachfondsmo- dell in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. Franziska Gminder (AfD): (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Dann kön- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie be- nen Sie ja zustimmen!) reits erwähnt, liegen hier zwei Anträge der FDP für die Das eint diese Koalition. Wir wollen das dänische Mo- Gründerrepublik Deutschland vor. Außerdem haben (B) dell voranbringen. Was ist das dänische Modell? Das dä- die Grünen kürzlich einen Antrag mit dem Titel „Grün- (D) nische Modell besagt: Wir nehmen größere Tickets vor dungskultur fördern ...“ vorgelegt. Letzterer ist für mich allem von den Pensionskassen, von Allianz oder Mün- wieder einmal von etwas zu vielen linken ideologischen chener Rück, die durchaus 50 Millionen als Einzelticket Wunschvorstellungen getrübt, sodass wir ihn ablehnen zur Verfügung stellen können, aber nicht der alleinige müssen. starke Investor sein wollen. Mit diesen Tickets verbin- Die FDP-Aufforderung an die Bundesregierung, eine den wir eine Risikoabsicherung, und wir verknüpfen neue Gründerkultur und attraktivere Rahmenbedingun- Venturecapital­ und Private Equity. Die Dänen machen gen für Start-ups zu schaffen, findet unsere volle Zustim- das im Verhältnis 80 : 20. Man kann hier über das Ver- mung. Deutschland hat eine lange Tradition von Erfin- hältnis 70 : 30 und auch über die Absicherung des Staates dern und Gründern: von Gutenbergs Druckerpresse über durch Ausfallbürgschaften und Garantien sprechen. das Automobil, den Zeppelin, die Zündkerze, den Dübel, Hier sind wir mittendrin statt nur dabei. Wir wollen Konrad Zuses erstem Computer und Henkels Waschmit- nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern vor tel bis hin zum Diesel, der nicht zu vergessen ist, auch allem auch der Tüftler und Macher sein, wenn er so verunglimpft wird. Die Reihe der Erfindun- gen ließe sich beliebig fortsetzen. (Michael Theurer [FDP]: Stimmen Sie des- halb unseren Anträgen zu!) Leider ist die Anzahl der Gründungen in Deutschland seit Jahren rückläufig, und laut KfW-Gründungsmoni- und wir wollen diejenigen animieren, die hier vorange- tor 2017 hat sie einen neuen Tiefstand erreicht. Das muss hen und uns und unserer Gesellschaft mit guten Ideen sich ändern. Welche Lösungen gibt es dafür? weiterhelfen. Zunächst muss der Zugang zu Kapital erleichtert Hier gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten: über werden. Das wurde schon von meinen Vorrednern sehr den Ausbau der Beteiligungsfinanzierung der KfW – Be- ausgiebig behandelt. Dieser Auffassung bin ich auch. schluss von 2017 –, Wenn 17 deutsche Venturecapital-Gesellschaften ledig- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wir haben lich 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, während 2019!) in den USA 257 Venturecapital-Fonds Unternehmen finanzieren, sind wir sehr im Hintertreffen. Auch in über die Tech-Growth-Fund-Initiative der Bundesregie- Deutschland sollten vermehrt institutionelle Investoren, rung und über den Venture-Debt-Markt, wofür die KfW wie zum Beispiel Versicherungen, Pensionskassen etc., bis 2022 noch 250 Millionen Euro mit einer 95‑prozenti- in Venturecapital-Fonds­ investieren, wie mein Vorredner gen Absicherung bereitstellt. Daneben werden durch die bereits erwähnt hat. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13421

Franziska Gminder (A) Im Zeitalter der EZB-Nullzinspolitik könnte privates beitsplatzgeber und das Rückgrat unserer Wirtschaft von (C) Investment in Crowdfunding zur Unternehmensgrün- morgen. dung eine Alternative zum Sparbuch und zu klassischen Aktienfonds sein. Allerdings müssen die Ausfallrisiken Und: Wir haben es gehört: Deutschland muss mehr für die Verbraucher bedacht werden. Hier braucht es be- investieren. In Relation zur Wirtschaftsleistung inves- sondere Regeln und eine besonders strenge Aufsicht der tieren zum Beispiel die USA viereinhalbmal so viel wie BaFin – Stichwort „Anlegerschutz“. Eine rein formale Deutschland in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ih- Prospektprüfung reicht da nicht aus. rer Wirtschaft. Auch die attraktive Ausstattung des Steuerrechts hat Aber: Es ist auch nicht alles schlecht; denn der deut- eine herausragende Bedeutung für Start-ups. Das gilt so- sche Markt ist für Venturecapital hochinteressant. Die wohl auf der Ebene der Investoren – wie durch die Ein- Geschäftsmodelle vieler Tech-Start-ups werden hoch be- führung von steuerlich begünstigenden Reinvestitions- wertet und finden Investoren. Wir haben es gehört: Das klauseln – als auch auf der Ebene von Start-ups selbst. gilt insbesondere in der ersten Phase. Wenn wir auf die Eine Erweiterung der Nutzbarkeit von Verlustvorträgen Finanzierungsrunden von Venturecapital in Deutschland bei einem Anteilseignerwechsel könnte bisher bestehen- schauen, dann sehen wir: Wir sind das einzige europäi- de Investitionshemmnisse minimieren. Denkbar wäre sche Land, das mit zwei Städten in den Top Ten vertreten auch die Gewährung von Sonderabschreibungsmög- ist. Insofern sehen Sie: Wir haben zwar Luft nach oben, lichkeiten, die es Investoren in Venturecapital erlauben aber es ist auch nicht alles schlecht. würden, ihre Investitionen linear über fünf Jahre abzu- schreiben. Der Kollege Hauptmann hat vieles von dem, was wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, er- Was ganz besonders wichtig ist und meiner Ansicht wähnt. Ich will das an dieser Stelle unterstreichen und nach hier noch etwas vernachlässigt wurde, ist das muss das nicht wiederholen. Thema Bildung. Die Schulfächer Wirtschaft und In- formatik sollten noch stärker Eingang in die Lehrpläne Ich habe mir den FDP-Antrag angeguckt, liebe Kol- der Schulen finden, um frühzeitig die Neugier und das leginnen und Kollegen. Es ist immer die gleiche Schall- Bewusstsein für wirtschaftliche Zusammenhänge und platte; Sie drehen vielleicht mal die Seite um, aber im zukunftsweisende Technologien zu wecken. Besonders Grunde fordern Sie immer das Gleiche: Die Post muss die Fächer Mathematik, Naturwissenschaften, Deutsch privatisiert werden. Die Bahn muss privatisiert werden. bzw. Englisch müssten gestärkt werden. Die Defizite von Dafür muss die KfW die Anteile verkaufen. Schulabgängern in diesen Fächern werden ja oft genug Ich habe mich gefragt: Warum wollen Sie das dies- (B) beklagt. Es nützt nichts, wie jüngst in Bremen gesche- (D) hen, die Prüfungsaufgaben zu vereinfachen, um bessere mal? Wenn man ein bisschen in die Historie guckt, dann Abiturnoten zu verteilen. sieht man, dass Sie in Ihrem Wahlprogramm zum Bei- spiel geschrieben haben, dass Sie mit den Erlösen aus (Beifall bei der AfD) dem Verkauf, aus der Privatisierung den Ausbau des Glasfasernetzes bezahlen wollen. An den Hochschulen sollte der Mut zum Gründen durch Studienangebote für den Bereich Entrepreneurship 2008 haben Sie auch schon mal die Privatisierung ge- gefördert werden. Hochschulen sollten den Studierenden fordert. Das haben Sie dann vergessen, als Sie selber mal den direkten Kontakt zu Start-ups und Gründungsmento- den Wirtschaftsminister stellten. Insofern sind Sie wahr- ren erleichtern und studentische Ausgründungen fördern. scheinlich wirklich die Ankündigungspartei. Wagnis darf nicht bestraft, sondern muss gefördert wer- den. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sie regieren seit sechs Jahren!) Dazu ist ein Umdenken nötig. In Europa geht Sicher- heit immer noch vor Kreativität. Unternehmertum sollte An dieser Stelle haben Sie tatsächlich wieder mal eine auch nach einem gescheiterten Versuch möglich sein und neue Idee, was Sie mit den Privatisierungserlösen ma- nicht mit zehn Jahren Zwangsabstinenz bestraft werden. chen wollen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Sie wollten damals unter Ihrem Wirtschaftsminister (Beifall bei der AfD) Rösler die Anteile an der Post verkaufen. Damals waren sie übrigens halb so viel wert wie heute. Sie erzählen im- mer, dass der Staat ein schlechter Unternehmer sei. Wis- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sen Sie was? Ich sage Ihnen: Die FDP ist ein schlechter Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Unternehmer für dieses Land, meine Damen und Herren. Kollege Falko Mohrs, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Tino Chrupalla [AfD]: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Da haben Sie recht!) der CDU/CSU) Ich sage Ihnen aber auch: Ihre Privatisierungsfantasi- en werden Sie mit uns auf keinen Fall durchsetzen. Falko Mohrs (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Herren! Ganz klar: Die Gründer von heute sind die Ar- Lutze [DIE LINKE]) 13422 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Falko Mohrs (A) Wir als SPD stehen dafür, dass die öffentliche Daseins- wirklich sämtliche – europäischen Förderprogramme (C) vorsorge auch in die öffentliche Hand gehört, und dafür streichen, die den Start-ups zugutekommen. Erklären werden wir kämpfen. Darauf können Sie sich verlassen. Sie mal, wie Sie damit eigentlich eine Gründerrepublik in Deutschland voranbringen wollen, liebe Kolleginnen (Beifall bei der SPD – Bettina Stark-­Watzinger und Kollegen! [FDP]: Wegen Ihnen dürfen die Preise für die Briefe weiter steigen!) (Beifall bei der SPD) – Hören Sie noch kurz zu; dann können Sie noch ein biss- Wir sagen ganz klar – das ist auch in unserem Koa- chen für Ihren Antrag mitnehmen. litionsvertrag angelegt –: Wir wollen das Thema Mitar- Sie tun als FDP immer so, als ob Sie global in der beiterbeteiligung voranbringen; das ist gerade für Start- Wirtschaft unterwegs sind. In Ihrem Antrag fordern Sie ups wichtig. Wir wollen das Insolvenzrecht nachbessern, dagegen nur, dass in deutsche Unternehmen, in deutsche damit Start-up-Unternehmer dort eine geringere Gefahr Start-ups, investiert wird. Für mich bedeutet eine kluge haben, und wir wollen einen Zukunftsfonds etablieren. Wirtschaftspolitik in einem globalen Umfeld, dass man Wir haben gute Ideen. Das dänische Modell enthält übri- im deutschen Interesse eben auch in die Unternehmen gens gute Beispiele; wir haben mit den Kolleginnen und investiert, die ein gutes Know-how im europäischen Um- Kollegen des dänischen Fonds gesprochen. feld haben und gutes Know-how weltweit nach vorne (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ich auch!) bringen. – Dann wissen Sie aber bestimmt auch, dass dieser dä- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Dann ken- nische Fonds eben nicht mit dem Europarecht konform nen Sie das dänische Modell nicht!) geht. Auch das ist gute deutsche Wirtschaftspolitik. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das haben (Beifall bei der SPD – Michael Theurer [FDP]: sie uns aber anders gesagt!) Da sind wir mal gespannt, was die Sozialde- Deswegen müssen wir in Deutschland unsere eigene mokraten in Dänemark machen!) Antwort auf die Frage finden, – Die Bundestagsfraktion der Grünen hat, finde ich, mit ihrem Antrag auf jeden Fall ein Fleißbienchen verdient. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Denn Sie haben eine ganze Menge in Ihren Antrag rein- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. geschrieben und haben darin so ein bisschen die eierle- gende Wollmilchsau gefordert, was als Oppositionspartei (SPD): (B) natürlich auch opportun ist. Wie gesagt: Das Fleißbien- Falko Mohrs (D) chen bekommen Sie von mir. Aber Sie müssen vielleicht – womit wir die Finanzierung von Start-ups, womit einmal ihre Zahlen – gleich im zweiten Satz – aktualisie- wir die Finanzierung der Zukunft unseres Landes voran- ren. Das sind nämlich alte Studien, die Sie anführen. Das bringen können. Diese werden wir vorlegen. geht vielleicht noch ein bisschen aktueller. Dass Sie dann In dem Sinne: Herzlichen Dank. auch noch fordern, für inländische Risikokapitalgeber eine Steuerbefreiung einzuführen, wundert mich dann (Beifall bei der SPD) doch schon sehr, meine Damen und Herren. Frau Gminder, dass die AfD eine Partei von gestern Vizepräsident Wolfgang Kubicki: oder von vor 80 Jahren ist, das ist mir nicht verborgen Vielen Dank, Herr Kollege Mohrs. – Und nun kommt geblieben. Reinhard Houben, FDP-Fraktion. (Tino Chrupalla [AfD]: Sechs Jahre! – Beatrix (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Mark von Storch [AfD]: Wir sind sechs Jahre alt!) Hauptmann [CDU/CSU] – Zuruf von der FDP: Endlich mal was Vernünftiges!) – Aber die Ideologie von vor 80 Jahren ist leider hängen geblieben, Frau von Storch. Reinhard Houben (FDP): (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, LINKEN) dass möglichst wenige Gründer diese Debatte verfolgen. Sie nutzen aber hier auch in Ihrer Rede alte Zahlen des (Beifall bei der FDP – Falko Mohrs [SPD]: KfW-Monitors, um damit Ihre Thesen zu untermauern; Nur die nächsten Minuten!) das ist nun wirklich veraltet. Vielleicht sagen Sie Ihrem Textbausteinredenschreiber, er soll beim nächsten Mal Denn eine Willkommenskultur für Gründer war die bis- besser recherchieren. herige Debatte nun wahrhaftig nicht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas (Beifall bei der FDP) Lutze [DIE LINKE]) Frau Grotelüschen, Sie hatten für das Thema sieben Wo ich gerade bei Ihnen bin: Sie fordern ja immer, Minuten Zeit – genauso viel wie die Kollegin Stark-­ alles solle besser werden. Lesen Sie sich einmal Ihre Watzinger und ich –, und dann sagen Sie in Ihrem Vor- eigenen Anträge, zum Beispiel einen Antrag aus dem trag: Ja, darauf möchte ich nicht eingehen. Das möchte Mai 2019, durch! Da wollen Sie mal eben sämtliche – ich nicht vertiefen. Dazu kann ich nichts sagen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13423

Reinhard Houben (A) Frau Poschmann, ich frage mich: Sind Sie Opposition, Herr Mohrs, ja, ich weiß, dass Sie nicht möchten, dass (C) oder sind Sie Regierung? Sie attestieren zu viel Büro- die Postanteile von der KfW verkauft werden; gleiches kratie. Sie attestieren Probleme bei der Finanzierung. Wo gilt für die Anteile an Telekom und 50Hertz. sind denn die Lösungen dieser Regierung in den Fragen, die wir heute hier ansprechen wollen? Wo sind die Lö- (Falko Mohrs [SPD]: Ist doch gut so, dass wir sungen? es nicht wollen!) Aber, Herr Mohrs, wir sind die einzige Fraktion, die in (Beifall bei der FDP – Astrid Grotelüschen dieser Diskussion einen ganz konkreten und seriösen [CDU/CSU]: Dann haben Sie nicht zuge- Finanzierungsvorschlag für einen solchen Fonds formu- hört! – Zuruf der Abg. Sabine Poschmann liert. [SPD]) (Beifall bei der FDP – Falko Mohrs [SPD]: Herr Lutze, wir versuchen, großen Kapitalsammel- Das macht ihn doch nicht besser, Herr stellen wie Pensionsfonds oder Versicherungen die Mög- Houben!) lichkeit zu geben, in Venture-Kapital reinzugehen. Da ist nicht das große Geld, sondern da sind die Versicherten, Alle anderen Fraktionen und die Regierung sind bisher die im Monat vielleicht 50 oder 100 Euro in ihre Lebens- eine Antwort schuldig geblieben, woher sie das Geld versicherung einzahlen und bisher keine Möglichkeit ge- nehmen wollen, um einen entsprechenden Fonds nach habt haben, am Erfolg unserer Wirtschaft teilzunehmen. dänischem Vorbild zu gestalten. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Wir können (Beifall bei der FDP) Geld nur einmal ausgeben!) Das dann mit pseudosozialistischen Bemerkungen abzu- Deswegen bin ich froh, dass wir heute darüber disku- arbeiten, finde ich schwierig. tiert haben, und ich höre schnell auf; denn der Präsident blinkt. (Thomas Lutze [DIE LINKE]: Einfach mal den eigenen Antrag lesen!) Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) Herr Bayaz, ich glaube, wir sind uns in manchen Fra- gen sehr einig. Ich fand nur einfach schade, dass, wenn man den heute von Ihnen vorliegenden Antrag liest, auf- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fällt: Er ist ungefähr identisch mit dem Antrag, den Sie Herr Kollege Houben, ich weise darauf hin: Nicht ich (B) vor zwei Jahren eingebracht haben. blinke, (D) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Falko Mohrs [SPD]: Wäre aber witzig!) NEN]: Das ist doch nicht schlecht!) sondern die Signallampe vorne am Rednerpult. Aber ich Eine Entwicklung in dem Thema haben Sie ja selbst dar- könnte auch blinken. gestellt. Es wäre dann aber auch schön gewesen, wenn (Heiterkeit) das im Antrag zu sehen gewesen wäre. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Hansjörg (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Durz, CDU/CSU-Fraktion.

Herr Hauptmann, es ist ja legitim, dass Sie die Regie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung verteidigen. Aber Sie sind ja nicht erst seit gestern in dieser Regierung. Sie hatten doch Möglichkeiten ge- Hansjörg Durz (CDU/CSU): nug, entsprechende Dinge voranzubringen. Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Es ist ja eint die Überzeugung, dass wir mehr Unternehmensgrün- auch viel passiert!) dungen brauchen und Gründungen stärken wollen. Wir verfolgen dieses Ziel gemeinsam, weil uns bewusst ist, Warum liegen denn die Dinge nicht vor, die in Ihrem dass Start-ups Wachstum und Wohlstand von morgen Koalitionsvertrag stehen? Warum können wir bis heute schaffen. Die Fähigkeiten, die Gründer mitbringen müs- nicht darüber diskutieren? Warum müssen FDP und im sen – Fleiß, Wissen, Kreativität, Mut und vieles mehr –, Anhang die Grünen Anträge einbringen, damit wir über- helfen auch in der Politik. Wenn man sich die Anträge haupt über das Thema sprechen können? ansieht, merkt man allerdings, dass diese Fähigkeiten an (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ der einen Stelle mehr, an der anderen weniger ausgeprägt DIE GRÜNEN) sind. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Oje!) Der Minister persönlich scheint daran ja nicht so interes- siert zu sein. Nachdem eine unternehmerische Idee geboren wur- de, sich ein Team gefunden hat und nun endlich loslegen (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt aber mal möchte, stehen Gründer zunächst – bei uns vor allem – zum Antrag!) vor zwei Herausforderungen: Kapital und Bürokratie. 13424 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Hansjörg Durz (A) Von dem einen gibt es in Deutschland etwas zu wenig, an den genannten Unternehmen durchaus sinnvoll sein (C) von dem anderen in der Tat etwas zu viel. können. Wäre die FDP also ein Start-up, so würde der Investor Nachbesserungen bei der Finanzierung fördern. Beginnen wir mit dem lieben Geld. Investitionen in Die Grünen hingegen würden beim Businessplan-Wett- deutsche Start-ups sind in den letzten Jahren – das ge- bewerb nicht bestehen können; denn für alle ihre Ideen hört auch dazu – stetig angestiegen. Für die Startphase fehlt der Nachweis der Finanzierung komplett. Sie for- steht eine ganze Reihe von Finanzierungshilfen zur Ver- dern 25 000 Euro Gründerkapital für jeden sowie zahl- fügung; das ist mehrfach in dieser Debatte angesprochen reiche Fonds, Förderungen und Freibeträge – alles ohne worden. Ich möchte noch mal EXIST nennen, mit dem Finanzierungskonzept. der Bund Existenzgründungen aus der Wissenschaft för- dert. Im Jahr 2019 stehen hierfür übrigens 78 Millionen Doch selbst wenn man diesen Punkt außer Acht lässt, Euro zur Verfügung, mehr als das Doppelte im Vergleich so sind einige Ideen in den Anträgen von Widersprüchen zum vergangenen Jahr. Weitere Beispiele sind der High- geprägt. Sie schreiben zum Beispiel von der Gründungs- Tech Gründerfonds oder das INVEST-Programm – alles kultur des Scheiterns – ja. Es ist sogar von einer „Grün- absolute Erfolgsprogramme. dungskultur der zweiten, dritten und vierten Chance“ die Rede – gut. Doch staatliches Gründungskapital gibt es (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!) nach Ihrem Modell nur ein einziges Mal im Leben. Übrigens hat das Wirtschaftsministerium seine För- deraktivitäten ganz aktuell auch auf nichttechnische In- Dass wir bürokratische Erleichterungen für Start-ups novationen ausgedehnt, etwas, was auch in dem einen brauchen, ist unstrittig. Das steht auch im Koalitionsver- oder anderen Antrag als Forderung enthalten ist. Diese trag. Darin ist die Einrichtung von One-Stop-Shops vor- ist bereits erfüllt. Die frühen Phasen sind insgesamt also gesehen, durch die Gründungen und deren Umsetzung sehr gut ausgestattet. schnell und unkompliziert ermöglicht werden. Wichtig ist auch die schnellstmögliche Umsetzung der Rege- (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!) lung im Onlinezugangsgesetz, wonach die Anmeldung eines Unternehmens auf digitalem Weg, also möglichst Anders sieht es in der Wachstumsphase aus. Fehlendes schnell, erfolgen kann. Kapital zur Finanzierung von Hightech-Wachstumsun- ternehmen ist tatsächlich eine der zentralen Schwächen Bürokratieabbau und die Bereitstellung von mehr des deutschen Innovationssystems. Um hier entgegenzu- Gründungskapital sind zwei essenzielle Maßnahmen, wirken und um technologieorientierten Wachstumsunter- um Gründungen zu ermöglichen und in Deutschland eine nehmen einen besseren Zugang zu Kapital durch finanz- bessere Gründerkultur zu etablieren. Um bestmögliche starke Fonds zu ermöglichen, wurde zunächst die KfW Ökosysteme zu entwickeln, ist aber weit mehr nötig. (B) Capital ins Leben gerufen; auch die ist mehrfach in der Hierzu hat die Unionsfraktion in dieser Woche ein ent- (D) Debatte angesprochen und zu Recht sehr positiv erwähnt sprechendes Start-up-Papier verabschiedet, das feder- worden. führend vom Kollegen Marc Biadacz erarbeitet wurde. Darin sind eine ganze Reihe von Ideen aufgeführt. Zum Das ist aber in der Tat noch nicht genug. In Deutschland Beispiel müssen wir Daten besser nutzbar machen. Mit ist der Venture-Debt-Markt, der das Bindeglied zwischen dem Open-Data-Gesetz haben wir in der letzten Wahlpe- dem Wagniskapitalmarkt und dem klassischen Kapital- riode einen Schritt gemacht; in dieser Wahlperiode wer- markt darstellt, noch sehr schwach entwickelt. Deshalb den wir den zweiten Schritt gehen. haben wir uns im Koalitionsvertrag auf einen Dachfonds geeinigt, der darauf abzielt, diesen in Deutschland noch Wir brauchen auch mehr Talente. Ein Ansatz, der uns schwach entwickelten Markt gemeinsam mit der Indus- verhelfen will, an diese zu kommen, ist der DigitalPakt trie zu entwickeln. Genau hierauf zielt auch die Idee der Schule; aber auch das Fachkräftezuwanderungsgesetz FDP ab, einen Dachfonds nach dem Vorbild Dänemarks wird dabei helfen. Wir brauchen eine bessere Vernetzung zu etablieren. Das ist übrigens ein Vorschlag, der nicht von Gründern und Mittelstand. Die Digital Hub Initia- ganz neu ist und schon seit einigen Jahren auch hier de- tive sei hier genannt, die wir weiter ausbauen werden. battiert wird. Wir müssen Gründerinnen und Gründern und dem Un- Allerdings ist beim dänischen Modell wesentlicher ternehmertun insgesamt in unserer Gesellschaft mehr Risikoträger der Staat, und deswegen haben wir auch im Wertschätzung entgegenbringen; denn die mutigen und Koalitionsvertrag nicht explizit „dänisches Modell“ ge- kreativen Gründer von heute schaffen Wachstum und schrieben, sondern nur: Dachfonds, der analog dem däni- Wohlstand für morgen. schen Modell umgesetzt werden soll. – Wie die Ausfall- Vielen Dank. haftung genau ausgestaltet werden kann und ob es auch im Sinne der FDP ist, wenn das Risiko hauptsächlich der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Staat trägt, darüber müssen wir im Ausschuss diskutie- ordneten der SPD) ren. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, machen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir!) Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort der Kollege Immerhin haben Sie in Ihrem Antrag ganz dem Ide- Dr. Jens Zimmermann, SPD-Fraktion. al eines Gründers folgend die Finanzierung mit bedacht. Es gilt auch zu bedenken, dass staatliche Beteiligungen (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13425

(A) Dr. Jens Zimmermann (SPD): ternehmerin, Frau Kollegin, wäre heute wahrscheinlich, (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dass ein amerikanischer, israelischer, chinesischer In- ren! Ja, wir brauchen in Deutschland nachhaltige und so- vestor sie unterstützen würde. Sie hätte aber erfolgreich ziale Innovationen. Wir brauchen auch Unternehmerin- in Deutschland gegründet. Das ist ein Punkt, auf den in nen und Unternehmer, die diese umsetzen. Wir haben dieser Debatte hingewiesen werden muss, meine Damen diese Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutsch- und Herren. land auch. Ich glaube, das ist in dieser Debatte schon (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Bettina deutlich geworden. Ja, ich glaube auch, es ist in unser Stark-Watzinger [FDP]) aller Interesse, dass wir es ihnen so leicht wie möglich machen, dass wir in Deutschland eine Kultur schaffen, Das ist auch ein Punkt, an dem wir Interesse haben. die Innovationen und Gründungen ermöglicht und be- Wir haben nämlich zwei Probleme: Auf der einen Sei- günstigt. Wenn man hier in Berlin oder auch bei uns in te liegen uns institutionelle deutsche Investoren in den Frankfurt, Frau Kollegin, unterwegs ist, dann kann man Ohren, dass sie Investitionsmöglichkeiten brauchen, aber an allen Ecken und Enden spüren, dass das in Deutsch- auf der anderen Seite sitzen sie auf dem vielen Geld. In land stattfindet. Das hat auch was mit unserer offenen einem Pensionsfonds, liebe Kolleginnen und Kollegen Gesellschaft zu tun. Das hat auch was mit der Kultur in von den Grünen, sind die Gelder der Bürgerinnen und Deutschland zu tun. Das will ich am Anfang noch einmal Bürger natürlich schon beisammen. Und wir haben heu- unterstreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. te eigentlich schon die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür, dass solche institutionellen Investoren auch in die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Start-up- und Wagniskapitalfinanzierung gehen. ten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Es gibt ganz viele große Unternehmen und auch sehr NIS 90/DIE GRÜNEN]) viele große deutsche Unternehmen, die immer mal wieder kritisch mit dieser Bundesregierung ins Gericht gehen. Wir haben bei der Finanzierung – darüber reden wir ja Das ist auch manchmal in Ordnung. Ich will aber an die- heute – durchaus positive Entwicklungen zu verzeichnen. ser Stelle auch sagen: Ich schaue mir die 30 DAX-Kon- Wir vergleichen uns natürlich international. Das ist unser zerne an, ich schaue mir sehr viele große deutsche Mittel- Anspruch in Deutschland und in Europa. Darin liegt eine ständler an. Und da wir alle wissen, wie wichtig es ist, zu große Dynamik. Deswegen müssen wir darauf achten, investieren, erwarte ich an der Stelle auch, dass da nicht dass wir nicht abgehängt werden. Aber ich möchte auch immer nur der Ruf nach dem Staat kommt. darauf hinweisen: Wir haben in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Johannes (B) auch gute Erfolge zeigen. Wir hatten ja in dieser Woche Steiniger [CDU/CSU] und Dr. Danyal Bayaz (D) im Finanzausschuss eine Anhörung zu diesem Thema. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Da ist beispielsweise die KfW mit ihrem KfW-Capi- tal-Ansatz mehrfach erwähnt worden. Der Kollege war Wir machen das, was nötig ist. Wir wollen das ermög- auch derjenige, der am häufigsten befragt wurde. Wir lichen. Aber die deutsche Wirtschaft – das will ich an die- haben da schon sehr wertvolle Erfahrungen gesammelt, ser Stelle sagen; denn es wurde in der Debatte noch nicht erwähnt – muss auch ein eigenes großes Interesse daran (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Jetzt kann es haben, dass Innovationen gefördert werden. weitergehen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des um – das haben die Kolleginnen und Kollegen der Ko- Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]) alitionsfraktionen in der Debatte schon gesagt – weiter- zugehen und das, was wir im Koalitionsvertrag verein- Wir als Koalition und als Bundesregierung werden das, bart haben, nämlich unseren Dachfonds, auf den Weg zu was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, weiter bringen. Das werden wir auch tun, liebe Kolleginnen und entschieden vorantreiben. Deswegen haben wir, glau- Kollegen. be ich, auch heute schon eine gute Gründerrepublik Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herzlichen Dank. Das ist aber auch ein Punkt, an dem man in dieser De- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten batte genau differenzieren muss, was eigentlich das Pro- der CDU/CSU) blem ist. Ist es das Problem, dass erfolgreiche Start-ups in Deutschland am Ende gar keine Finanzierung bekom- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: men? Oder ist es das Problem, woher die Finanzierung Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmermann. – Damit kommt? Das sind zwei unterschiedliche Punkte. Das eine schließe ich die Aussprache. bedeutet nämlich, dass, wenn ausländische Investoren deutsche und europäische Start-ups mit Kapital ausstat- Tagesordnungspunkt 27 a. Interfraktionell wird Über- ten, die Gefahr besteht, dass Know-how-Abfluss statt- weisung der Vorlage auf Drucksache 19/11055 an die in findet oder sie ihren Unternehmenssitz verlagern. Das der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- wollen wir nicht. Daran müssen wir arbeiten. Es ist aber gen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen doch ein Unterschied dazu, dass man sagt: Sie können der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung gar nicht gründen. – Das Ende der Geschichte Ihrer Un- beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion 13426 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) der FDP wünscht Federführung beim Finanzausschuss. Überweisungsvorschlag: (C) Ich ahne, wie das ausgehen wird. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien der Fraktion der FDP – Federführung beim Finanzaus- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO schuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei- sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ sich? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die CSU und SPD Stimmen der Fraktionen der FDP und von Bündnis 90/ Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Aufarbeitung Zwangsadoption in der SBZ/ Hauses abgelehnt. DDR 1945 – 1989 Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Drucksache 19/11091 Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstimmen. Lazar, Katja Keul, Annalena Baerbock, weiterer Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist die- DIE GRÜNEN ser Überweisungsvorschlag mit dem gleichen Stimmen- verhältnis angenommen. Kein Ende der Aufarbeitung – Rehabilitie- rung von Opfern der SED-Diktatur schnellst- Tagesordnungspunkt 27 b. Interfraktionell wird Über- möglich entfristen weisung der Vorlage auf Drucksache 19/11053 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Drucksache 19/8981 gen. Die Federführung ist ebenfalls strittig. Die Fraktio- Überweisungsvorschlag: nen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Ausschuss für Inneres und Heimat der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Bil- Ausschuss für Kultur und Medien dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Haushaltsausschuss Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika FDP – Federführung beim Ausschuss für Bildung, For- Lazar, Katja Keul, Annalena Baerbock, weiterer schung und Technikfolgenabschätzung – abstimmen; Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ wenn die Kolleginnen und Kollegen vielleicht so lange DIE GRÜNEN (B) noch bleiben würden. Verbesserung der sozialen Lage anerkannter (D) (Falko Mohrs [SPD]: Dann gibt es keine politisch Verfolgter durch Novellierung der Stimmen dafür!) SED-Unrechtsbereinigungsgesetze Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer Drucksache 19/8982 stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist Überweisungsvorschlag: dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Ausschuss für Inneres und Heimat Linken mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Kultur und Medien abgelehnt. Haushaltsausschuss Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung Lazar, Katja Dörner, Katja Keul, weiterer Ab- beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstimmen. geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer GRÜNEN stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist die- ser Überweisungsvorschlag mit dem gleichen Stimmen- Vereinfachung der Rehabilitierung von ehe- verhältnis angenommen. maligen Heimkindern in der DDR Tagesordnungspunkt 27 c. Die Vorlage auf Druck- Drucksache 19/8983 sache 19/11150 soll an die in der Tagesordnung aufge- Überweisungsvorschlag: führten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Ausschuss für Inneres und Heimat Überweisung so beschlossen. Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 e auf: Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Vorschriften für Opfer der politischen Verfol- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gung in der ehemaligen DDR Nachdem die Kolleginnen und Kollegen jetzt Platz Drucksache 19/10817 genommen haben, eröffne ich die Aussprache und erteile Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13427

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) als erstem Redner Herrn Parlamentarischem Staatssekre- schicksals liefern. Auskunftspersonen können sie kaum (C) tär Christian Lange das Wort. benennen, ehemals zuständige Stellen werden ihnen nicht bekannt sein. Zudem wird ihnen auch oft der Grund ihrer Unterbringung schon allein wegen ihres damaligen Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Alters nicht mitgeteilt worden sein. Die Zusammenhänge ihrer Heimeinweisung waren für sie also kaum oder gar Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und nicht zu verstehen. Ohne ausreichende Erinnerung kön- Kollegen! Wir blicken in diesem Jahr auf das 30-jährige nen sie aber auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch Jubiläum der Friedlichen Revolution in der DDR zurück. machen, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben Dies ist nicht nur Anlass, der Friedlichen Revolution zu und dadurch den Sachverhalt glaubhaft zu machen. gedenken und die gelungene Wiedervereinigung zu lo- ben, es ist auch Anlass, der Opfer des SED-Unrechtre- Der Gesetzentwurf schafft deshalb eine Regelung zur gimes zu gedenken. Sie haben unter diesem Regime ge- erleichterten gerichtlichen Sachverhaltsermittlung. Die litten. Sie haben aber auch dazu beigetragen, das geteilte Gerichte können künftig bereits dann die Zielrichtung Deutschland in Freiheit zu einen. Ihnen gebührt unser einer Heimunterbringung als politische Verfolgung oder aller Anerkennung. sonst zu sachfremden Zwecken für festgestellt erachten, wenn dies nach erfolgter Sachverhaltsaufklärung nur (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der wahrscheinlich ist. Schwierigkeiten der Sachverhaltsauf- FDP sowie bei Abgeordneten der AfD, der klärung im Hinblick auf die Zielrichtung der Heimunter- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE bringung sollen – anders als bisher – nicht stets zulasten GRÜNEN) der Betroffenen gehen. Da die Schwierigkeiten bei der Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzent- Sachverhaltsaufklärung alle DDR-Heimkinder in glei- wurf der Bundesregierung setzt die Koalitionsvereinba- chem Maße betreffen, soll die Regelung zur erleichterten rung um und enthält unter anderem Verbesserungen für Sachverhaltsermittlung zudem allen zugutekommen und ehemalige DDR-Heimkinder. Wir heben zunächst sämt- nicht nur den DDR-Heimkindern, deren Eltern in Haft liche Antragsfristen auf, die in den Rehabilitierungsge- waren. setzen für Anträge auf Rehabilitierung und für die Gel- Der Gesetzentwurf belässt es aber nicht bei einer sol- tendmachung von Leistungsansprüchen vorgesehen sind. chen Regelung der erleichterten Sachverhaltsermittlung. Bei Erlass dieser Fristen war die Erwartung, dass die Er schafft vielmehr darüber hinaus zusätzlich einen neu- Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung inner- en Anspruch auf Unterstützungsleistungen. Dieser neue halb eines bestimmten Zeitraums abgeschlossen und die Anspruch steht Betroffenen zu, die als Kinder oder Ju- juristische Aufarbeitung des SED-Systemunrechts been- (B) gendliche zwar in ein DDR-Heim eingewiesen wurden, (D) det sein würde. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. aber deren Einweisung nicht in rechtsstaatswidriger Es besteht vielmehr weiter Bedarf an der Möglichkeit Weise erfolgte und die deshalb bislang nicht rehabilitiert zur Antragstellung. Zahlreiche Betroffene beschäftigen werden. Dies betrifft zum Beispiel Kinder und Jugend- sich – möglicherweise aufgrund verfolgungsbeding- liche, bei denen zwischen der Unterbringung und einer ter Traumatisierung oder Verdrängung der eigenen Ge- etwa gegen die Eltern gerichteten Verfolgungsmaßnahme schichte – erst im Rentenalter mit einer möglichen Re- nur ein ursächlicher zeitlicher Zusammenhang besteht, habilitierung. Betroffenen, die erst spät den Mut finden, etwa weil sie während der Inhaftierung ihrer Eltern nicht sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen, soll nicht bei Verwandten untergebracht werden konnten. Diese die Möglichkeit genommen werden, doch noch eine Re- DDR-Heimkinder erhalten erstmals soziale Ausgleichs- habilitierung durchzusetzen. leistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungs- Über die Entfristung der Rehabilitierungsgesetze hi- gesetz. Dies gilt unabhängig davon, ob ihre strafrechtli- naus werden mit dem Gesetzentwurf zudem Regelungen che Rehabilitierung vor oder nach Inkrafttreten der neuen eingeführt, mit denen die rechtlichen Grundlagen für Regelungen abgelehnt wurde oder wird. DDR-Heimkinder verbessert werden. Diese Regelungen Meine Damen und Herren, es handelt sich um einen sind: Zum einen wird die strafrechtliche Rehabilitierung Gesetzentwurf, der viele Schicksale betrifft. Ich mei- von DDR-Heimkindern erleichtert. Zum Zweiten wird ne, wir haben Ihnen einen ausgewogenen Lösungsvor- ein neuer zusätzlicher Anspruch auf Unterstützungsleis- schlag zur Verbesserung der rechtlichen Grundlagen für tungen für eine bestimmte Gruppe von DDR-Heimkin- DDR-Heimkinder unterbreitet. Ich bitte deshalb um Un- dern nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz terstützung. eingeführt. Herzlichen Dank. Wir haben mit den Regierungen der ostdeutschen Bundesländer sowie mit dem Land Berlin intensiv über (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Möglichkeiten beraten, die rechtlichen Grundlagen für wie bei Abgeordneten der LINKEN) DDR-Heimkinder zu verbessern. Es stellte sich heraus, dass es vorrangig spezifische Probleme der Sachverhalts- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: aufklärung sind, die eine strafrechtliche Rehabilitierung Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächster Red- von DDR-Heimkindern erschweren. Personen, die als ner hat der Kollege , AfD-Fraktion, das Kinder oder Jugendliche in einem Heim untergebracht Wort. wurden, können aus eigener Erfahrung kaum Anhalts- punkte für die gerichtliche Aufklärung ihres Verfolgungs- (Beifall bei der AfD) 13428 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Roman Johannes Reusch (AfD): Arnold Vaatz (CDU/CSU): (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vor- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und liegende Gesetzentwurf enthält Licht und Schatten. Die Herren! Staatlich verursachtes Unrecht lässt sich niemals Entfristung versteht sich von selbst – Haken dahinter. Gut gänzlich heilen. Der Staat Bundesrepublik Deutschland gemacht ist auch die Regelung für die nur mittelbar be- kann einem ehemaligen Gefangenen, der in einem Ar- troffenen Heimkinder. Ich persönlich finde, dies ist auch beitslager gewesen ist, nicht die nächtlichen Albträume rechtstechnisch durchaus pfiffig gemacht. Sie kommt nur nehmen, von denen er jetzt noch immer aufwacht. Aber 20 Jahre zu spät; denn das Problem der mittelbar Betrof- was wir tun können, ist: Wir können versuchen, ihm so fenen existiert schon lange. Nun kann man es endlich als viel wie möglich an Heilung zu verschaffen. Das ist, gelöst betrachten. glaube ich, ein selbstverständlicher Anspruch, den ein Ein Problem sehen wir allerdings in der mit dem Ge- Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland an sich setzentwurf eingeführten erheblichen Ungleichbehand- stellen muss. Deshalb haben wir schon lange eine Reihe lung zweier Opfergruppen. Bei den strafrechtlich Verur- von Rehabilitierungsgesetzen beschlossen. Jetzt sind wir teilten muss selbstverständlich weiterhin der Nachweis bei der sechsten Novelle derselben. geführt werden, muss weiterhin vom Gericht die Fest- Ich sage Ihnen, aber insbesondere den Kollegen, die stellung getroffen werden, dass sie rechtsstaatswidrig schon länger hier sind: Wir hätten uns eine Menge Debat- verfolgt waren. Bei Heimkindern soll davon abgesehen ten und Arbeit und Mühe ersparen können, wenn wir auf werden können, da soll das Gericht also so ein bisschen diese leidige Befristung von Anfang an verzichtet hätten. nach Gefühl und Wellenschlag urteilen können, wenn man den Sachverhalt nicht weiter aufklären kann. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der ein gewaltiges Problem; denn hier werden ja auch Steu- FDP sowie bei Abgeordneten der AfD, der ergelder an Antragsteller ausgeschüttet, ohne dass wir LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE feststellen können, ob der Anspruch auch berechtigt ist. GRÜNEN) Die erheblichen Nachweisschwierigkeiten für den gel- tend gemachten Grund haben strafrechtlich Verurteilte Denn es ist unangemessen, diese Geschädigten immer- genauso. fort durch Fristen unter Druck zu setzen. Leider sind wir immer wieder den Bedenkenträgern gefolgt. Dieses Mal Mangelnde Erinnerungsmöglichkeiten – ich habe haben wir die Entfristung endlich geschafft. Vielen Dank dieses Feld über mehrere Jahre bearbeitet –: Sie wür- auch an die Kollegen aus der SPD, dass wir diesen Punkt den staunen, wie viele Antragsteller, die strafrechtlich im Koalitionsvertrag stehen haben und jetzt nun endlich verurteilt wurden, es nicht mehr auf die Reihe kriegen, erledigen können. Wunderbar! – Dies zum Ersten. (B) sich zu erinnern, wann sie zu wie vielen Jahren von wel- (D) chem Gericht eigentlich verurteilt wurden und weshalb. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Um das nachher aufzuklären, müssen sich die Gerichte Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) sozusagen einen Wolf ermitteln. Es kommt halt immer wieder vor, dass es, wenn wir keinen Regelfall haben, Was wollen wir jetzt machen? Der Staatssekretär hat nicht feststellbar ist. Dann muss der Anspruch abgewie- die Dinge schon sehr ausführlich geschildert; ich kann sen werden. Das ist so. mir eine Menge von dem, was ich eigentlich sagen woll- te, sparen. Es ist meines Erachtens wichtig, dass wir die Bei der Unterbringung von DDR-Heimkindern war es Verantwortung des Gesetzgebers wahrnehmen und den üblicherweise so, dass ein Beschluss des zuständigen Ju- Betroffenen die Rehabilitierung erleichtern. gendhilfeausschusses vorlag. Wenn dieser nicht auffind- bar ist, dann wird es in der Tat schwierig. Aber das ist halt Meine Damen und Herren, in der Zeit zwischen 1949 so im Leben. Wenn man seinen Anspruch nicht beweisen und 1989 kamen schätzungsweise 300 000 unter 18-Jäh- kann, dann sagt der Zivilrichter auch nicht: Du bist ein rige in DDR-Kinderheime oder Jugendwerkhöfe. Es gibt netter Kerl, für mich klingt das alles irgendwie überzeu- viele Berichte über körperliche und psychische Gewalt- gend, dann sprechen wir dir den Anspruch mal zu. anwendungen sowie auch über sexuelle Übergriffe, die von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung Also, ich bin gespannt, was die Sachverständigen zu sexuellen Kindesmissbrauchs dokumentiert wurden. Wie diesem Entwurf sagen werden, möchte aber die Kollegen Sie sich sicherlich erinnern, ist damals mit den Heim- aus dem Rechtsausschuss, die der GroKo angehören, bit- kindern eine neue Dimension des DDR-Unrechts in das ten, noch einmal in sich zu gehen und genau zu prüfen, öffentliche Bewusstsein gerückt worden, und zwar erst ob dieser Punkt der Stein der Weisen ist. Wir sehen uns in dem Moment, als auch die Zustände in den Kinderhei- im Ausschuss. men im Westen medienrelevant wurden. Erst zu diesem Vielen Dank. Zeitpunkt ist es möglich gewesen, das besondere Leiden der Kinder in den DDR-Heimen zum Gegenstand der öf- (Beifall bei der AfD) fentlichen Debatte zu machen. Was heißt denn das? Das heißt, dass wir damit rechnen müssen, dass im Laufe der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Jahre immer wieder neue Nuancen und im Zusammen- Als nächster Redner hat für die CDU/CSU-Fraktion hang damit auch neue Lebenssituationen, die eine erneu- der Kollege Arnold Vaatz das Wort. te Befassung mit diesem Thema erforderlich machen, in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Demzufol- (Beifall bei der CDU/CSU) ge ist es notwendig, dass wir ständig unsere Rehabilitie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13429

Arnold Vaatz (A) rungspraxis überprüfen, inwieweit sie den gegenwärti- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) gen, den entstandenen Realitäten noch entspricht. Herr Kollege, wenn ich Sie auffordere, zum Schluss Vor diesem Hintergrund sage ich: Wir haben meines zu kommen, dann kommen Sie bitte zum Schluss. Erachtens mit diesem Gesetz die Problematik noch nicht vollständig erfasst. Zum Beispiel nimmt die Zahl der Arnold Vaatz (CDU/CSU): öffentlich bekanntgewordenen Fälle verfolgter Schüler Selbstverständlich, Herr Präsident. zu. Das sind diejenigen, die aus irgendwelchen – vor- nehmlich aus politischen – Gründen an ihrer Ausbildung gehindert wurden, also daran gehindert wurden, ihren Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Lebensweg so zu gestalten, wie es ihre Begabung ermög- Sehr schön. licht hätte. Diesen Leuten haben wir in der Vergangenheit Hilfe zuteilwerden lassen. Man hat hauptsächlich noch Arnold Vaatz (CDU/CSU): so viel wie möglich für ihre Ausbildung nach der Zeit Wie gesagt, wir werden die Adoptionen noch ein- der DDR getan. Aber das greift dann nicht mehr, wenn mal – – die Betroffenen, wie mittlerweile fast alle, entweder nahe am Rentenalter oder schon im Rentenalter sind. Da kann (Beifall bei der CDU/CSU) man mit Ausbildung nichts mehr machen. Dann geht es um die entgangenen Rentenansprüche. Darüber müssen

wir reden. Ich hoffe, dass es im Rahmen unserer parla- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mentarischen Befassung mit diesem Gesetzentwurf mög- Ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen. lich ist, auch das zur Sprache zu bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Red- Dann will ich noch kurz auf unseren Antrag eingehen. ner spricht zu uns der Kollege Dr. Jürgen Martens, Sie müssen sich vorstellen: Eine junge Frau in der DDR FDP-Fraktion. bekommt ein Kind. Das Kind kommt zur Welt. Kurze (Beifall bei der FDP) Zeit später kommt der Arzt und sagt: Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Kind tot ist. – Dann verweigert man dieser jungen Frau, das Kind zu sehen. Was geht Dr. Jürgen Martens (FDP): dann im Kopf dieser Frau vor? Es ist doch ganz klar, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- sie sofort den Grundverdacht hat, dass das Kind gar nicht ren! Ein Staat, der mit seinen Mitteln Unrecht verübt, tot ist, sondern ausgetauscht wurde. Solchen Fragen müs- kann viel mehr Schaden anrichten, als ein Rechtsstaat (B) sen wir mit den Möglichkeiten, die wir haben, auf den mit seinen Mitteln jemals wieder aufarbeiten kann. Das (D) Grund gehen. gilt auch für das in der SBZ und dann später unter der Herrschaft der SED in der DDR geschehene Unrecht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kollege Vaatz hat es gerade ausgeführt: Auch mehr als ordneten der FDP und der LINKEN) 30 Jahre nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch Über den Ausgang lässt sich noch nichts sagen. Aber wir der SED-Diktatur kommen immer noch neue Aspekte müssen das tun. des staatlich organisierten, verübten und verheimlichten Unrechts in das öffentliche Bewusstsein. Die Entfristung der Rehabilitierungsgesetze ist von daher zwingend er- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: forderlich und auch moralisch geboten. Solange es Opfer Kommen Sie zum Schluss, bitte. gibt, die unter dem damaligen Unrecht noch leiden und keinen Antrag gestellt haben, kann es auch keinen büro- Arnold Vaatz (CDU/CSU): kratischen Schlussstrich etwa in Form von Antragsfristen Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. oder Ähnlichem geben. Wir streben zudem mit dem Antrag an, eine Gendaten- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bank aufzubauen, in die sowohl Betroffene, die meinen, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE dass ihnen ihr Kind entzogen wurde, als auch Betroffene, GRÜNEN) die glauben, Opfer einer solchen Zwangsadoption ge- Die Zahl der Anträge ist zwar gesunken, aber nicht auf worden zu sein, ihre Daten einstellen können, – null gegangen; denn die Opfer brauchen oft sehr lange, bis sie den Weg finden, um über das erlittene Unrecht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und die Traumata zu sprechen. Herr Kollege, bitte! Die jetzt vorgelegten Regelungen schaffen in einigen Bereichen notwendige Ansprüche und Verfahrenserleich- Arnold Vaatz (CDU/CSU): terungen. Das gilt für Leistungsansprüche bei der Heim­ – und zwar unter strikter Wahrung des Datenschutzes unterbringung solcher Personen, bei denen etwa die El- und auf Basis reiner Freiwilligkeit. tern oder die unmittelbar Fürsorgeberechtigten dann im Rahmen politischer Verfolgung inhaftiert wurden, oder Wir verwahren uns natürlich strikt dagegen – das muss für die Vermutungsregelung, dass eine Heimunterbrin- ich zum Schluss sagen –, alle Adoptionen in der DDR un- gung als rechtswidrige Maßnahme zu werten sein soll, ter Generalverdacht zu stellen. Viele waren rechtmäßig. wenn sie im Zusammenhang mit politisch motivierter 13430 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Jürgen Martens (A) Verfolgung, also mit rechtsstaatswidrigem Handeln der sondern ganz offen zur Schau gestellte Exekution des (C) DDR, steht. totalen Machtanspruchs der SED über ihr Land und sei- ne Menschen, meine Damen und Herren. Da wurde kein Anders als der Vertreter der AfD bin ich nicht bereit, Widerspruch geduldet. Dieser Machtanspruch war um- mich hierhinzustellen, mit den Schultern zu zucken und fassend. Zu seiner Durchsetzung schreckte die SED vor zu sagen: Wenn Urkunden nicht mehr da sind, hast du kaum etwas zurück; Herr Vaatz hat das erwähnt. Neben eben Pech gehabt! – Meine Damen und Herren, eine sol- der konkreten Verfolgung durch die Strafjustiz setzte che Haltung wäre zynisch. das MfS etwa mit umfassender Bespitzelung und Zer- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten setzungsmaßnahmen auf die Bekämpfung sogenannter der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Gegner. Da ging es um das organisierte Misslingen von NISSES 90/DIE GRÜNEN) Lebensentwürfen, meine Damen und Herren, das Nicht- gewähren von Ausbildungsgängen, die Vernichtung be- Es ist nämlich erkennbar unredlich, den Antragstellern – ruflicher Karrieren oder die Zerstörung von Ehen etwa sie waren damals kleine Kinder oder Neugeborene – die mit dem in die Jackentasche des Ehemanns geschmug- Beweislast für die Umstände ihrer Adoption oder Heim­ gelten Zettel mit weiblicher Handschrift: „Das war eine unterbringung aufzubürden. Es geht schließlich um die wunderbare Nacht, vielleicht bald mehr! – Gruß, Anja.“ Darlegung interner Abläufe innerhalb einer staatlichen Verwaltung, die dem Opfer damals nicht bekannt gege- Die Opfer leiden heute noch darunter, und wir sind ben wurden, die ihm nicht bekannt werden sollten, die verpflichtet, ihr Leiden anzuerkennen und zu versuchen, verheimlicht worden sind. Manchmal wurden sogar die wo es geht, die Folgen zu mildern. Der Rechtsstaat müht betreffenden Akten von der Verwaltung in der Nachwen- sich, die Folgen zu mildern; wiedergutmachen kann er dezeit vernichtet. Dann den Betroffenen zu sagen: „Du das nicht. Der Schaden ist schnell angerichtet; ihn aufzu- musst den Nachweis über die Umstände deiner Heimun- arbeiten, dauert allerdings viel, viel länger. terbringung führen“, ist zynisch. Das ist, Herr Reusch, unanständig. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der LIN- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-

geordneten der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Martens. – Als nächster Neben den Leistungen des Staates und dem Handeln Redner hat das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns, des Gesetzgebers haben die Betroffenen vor allen Dingen Fraktion Die Linke. aber auch Anspruch auf die Anerkennung ihres Leidens, (B) auf Hinwendung und das unmissverständliche Einordnen (Beifall bei der LINKEN) (D) des Geschehens als Unrecht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Britta Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Zur Beratung stehen heute zwei Ge- Genau das passiert oft nicht, etwa wenn die Phrase ver- setzentwürfe der Bundesregierung zum Thema „Aufar- breitet wird, auch in der DDR sei niemand grundlos in- beitung von staatlichem Unrecht in der DDR“, daneben haftiert worden. Das ist natürlich Blödsinn, es sei denn, weitere Anträge hierzu von der Fraktion Bündnis 90/Die man erkennt politische Verfolgung und Willkür als Grund Grünen. einer Inhaftierung an. Oder wenn aus interessierten Krei- sen behauptet wird, auch die DDR sei eine Art Rechts- Vorab gesagt: Meine Fraktion Die Linke wird diese staat gewesen. Nein, das war sie nicht. Vorhaben positiv-konstruktiv begleiten; denn es geht auch uns darum, den Geschädigten weiterhin die Möglichkeit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zu erhalten, ihre Ansprüche geltend zu machen. Bereits der CDU/CSU) im Jahr 2014 stellte meine Fraktion beispielsweise fest, Die Bindung an das Gesetz, eine unabhängige Justiz, ein- dass eine Befristung der Antragstellung im Hinblick auf klagbare Grundrechte oder auch nur das Vorhandensein die Anerkennung des Schicksals der Betroffenen in der von Verwaltungsgerichten – all diese Prinzipien sind nie- SED-Diktatur der DDR nicht aufrechtzuerhalten ist. Und mals verwirklicht oder anerkannt worden, meine Damen auch heute gilt: Viele Betroffene brauchen mehr Zeit, um und Herren. Genau solche Äußerungen wie die eben er- die für sie negativen und zum Teil auch traumatischen wähnten verhöhnen die Opfer des damaligen Unrechts. Erfahrungen verarbeiten zu können. In meiner Tätigkeit als Richter am Sozialgericht im Bereich des Opferent- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schädigungsrechts habe ich gelernt, wie wichtig es ist, der CDU/CSU) den Opfern zuzuhören, und welch wichtige psychologi- Es wird ganz schlimm, wenn man sich das Zitat vor Au- sche Funktion das erfüllt. gen führt: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat Im Laufe der weiteren Beratungen scheint es mir au- auch nichts zu befürchten. – Wollen Sie das etwa jeman- ßerdem sinnvoll, dass wir uns auch darüber austauschen, dem erzählen, der zwangsadoptiert wurde? Unsäglich so was wir für in der DDR zu Unrecht benachteiligte Men- etwas! schen über den Kreis der hier vorgesehenen Antrags- Heimunterbringung war in vielen Fällen Teil politi- stellerinnen und Antragssteller hinaus tun können, bei- scher Verfolgung. Das war kein bedauerlicher Exzess, spielsweise Menschen, die aufgrund der politischen oder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13431

Friedrich Straetmanns (A) religiösen Einstellung ihrer Eltern in ihrer Berufswahlf- Unser gemeinsames Interesse muss es als Lehre hier- (C) reiheit eingeschränkt wurden. aus sein, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu stärken, nicht diese zu unterminieren. Hier muss ich gerade Ihnen Weiterhin werden wir noch darüber sprechen müssen, aus der Regierungskoalition jetzt doch etwas zumuten: was Ihren Vorlagen aus unserer Sicht leider fehlt. Die Man stärkt Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht, in- Zwangsausgesiedelten an der innerdeutschen Grenze sind dem man verfassungswidrige Vorhaben beschließt, wie hierfür ein Beispiel. Wir reden hier über Menschen, die Sie es beim Staatsbürgerschaftsrecht als Gefälligkeit für oftmals für ihr Leben gezeichnet sind. Zur Erinnerung: Innenminister Seehofer diese Woche getan haben, schon Im Rahmen der Sicherung der innerdeutschen Grenze gar nicht, indem man sie, wie Sie es getan haben, in kür- veranlasste die DDR-Führung die Vertreibung von ihr zester Zeit hier durchpeitscht. als politisch unzuverlässig eingestuften Bürgerinnen und Bürgern aus den Grenzregionen. Diese Menschen muss- Unter dem Gebrüll von rechtsaußen hier im Haus und ten über Nacht ihre Wohnungen räumen und wurden in den Drohungen und Gewalttaten draußen in den Städten andere Regionen der DDR verbracht. Bis heute sind vie- und Dörfern, in denen wir leben, lassen Sie sich treiben le dieser Menschen Stigmatisierungen ausgesetzt, unter wie in den Neunzigern. Die Richtung, in die das geht, die anderem deswegen, weil sie durch die Verwaltung mit führt an einen Ort, der mit Rechtsstaatlichkeit und Demo- unsäglichen Bezeichnungen wie „Volksschädlinge“ ver- kratie wenig zu tun hat; das muss Ihnen klar sein. Es hilft sehen wurden. Ein solches Vokabular war damals unan- Ihnen nicht gegen das Gebrüll hier. Jede Gemeinheit, die gebracht, und das ist es auch heute. Sie im Bereich Asyl und Migration beschlossen haben, hat die Ansprüche dieser Demokratiefeinde nur weiter (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der nach oben geschraubt. Halten sie hier besser inne! SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Auf Initiative der Länder Berlin, Brandenburg und Die weitere Beratung wird zeigen, ob wir nicht doch Thüringen wurde die Bundesregierung im Oktober 2018 gemeinsam in der Lage sind, die DDR so aufzuarbeiten, aufgefordert, hier zu prüfen, inwieweit dem spezifischen dass wir den Betroffenen gerecht werden und in Verant- Rehabilitierungsbedürfnis dieser Menschen Rechnung wortung für die Zukunft nachhaltige Regelungen finden. getragen werden kann – und dabei geht es nicht nur um Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich, hier vor- Geld. Hierzu findet sich in den von Ihnen vorgelegten liegend, bereits konstruktiv eingebracht, und auch Ihr Entwürfen leider nichts. Meine Damen und Herren von Vorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union der Regierungskoalition und der Bundesregierung, ha- und SPD, ist im Großen und Ganzen ein Schritt in die ben Sie noch vor, in dieser Sache etwas zu unternehmen? richtige Richtung. (B) Wenn nicht, dann sollten Sie das auch vor den anstehen- (D) den Landtagswahlen ehrlicherweise aussprechen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Neben der rein rechtlichen Rehabilitierung sind aus (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion weitere Martin Patzelt [CDU/CSU]) Maßnahmen erforderlich, um die Lebensumstände der Betroffenen zu verbessern. Denn: Diese sind ebenso von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den oft widrigen Umständen in den mittlerweile uner- Vielen Dank, Herr Kollege Straetmanns. – Als nächste träglich infrastrukturarmen Regionen in den neuen Bun- Rednerin hat das Wort die Kollegin Monika Lazar, Bünd- desländern betroffen, und ganz allgemein ist eine histori- nis 90/Die Grünen. sche und kulturelle Aufarbeitung der DDR-Zeit wie auch der Erfahrungen während und nach der Wende eine He- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rausforderung für uns, vor der wir uns nicht wegducken dürfen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Herbst feiern wir 30 Jahre Friedliche Revolution. Schade ist in diesem Zusammenhang, dass Sie bisher Viele Menschen haben sich in der DDR zum Beispiel in unserem Vorschlag eines Treuhand-Untersuchungsaus- Oppositionsgruppen engagiert. Nicht allen davon geht es schusses nicht nähertreten wollen; denn auch dieses Ge- heute gut. Deshalb müssen wir uns fragen: Tun wir wirk- baren wirkt bis heute nicht zuletzt auf die Psyche und das lich genug, damit das Unrecht der Diktatur anerkannt, Selbstbild der Betroffenen. wiedergutgemacht und man zumindest teilweise dafür Meine Damen und Herren, zur Aufarbeitung dieser entschädigt wird? Diktatur gehört auch der Blick auf die Zukunft und unse- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) re Verantwortung hier in der Gegenwart. Das Recht der DDR – es ist angesprochen worden – gewährte den Bür- Verschiedene Opfergruppen weisen seit Jahren da- gerinnen und Bürgern keinen verlässlichen Rechtsschutz rauf hin, dass es Gerechtigkeitslücken bei den Rehabi- gegen staatliches Handeln ihnen gegenüber. Dies führte litierungsgesetzen gibt. Wir als Bündnis 90/Die Grünen dazu, dass die Nützlichkeitserwägungen der SED-Regie- sehen uns in der Tradition der DDR-Bürgerrechtsbewe- rung die Stellung des Einzelnen so überwogen, dass die gung. Ich selber komme aus Leipzig, war als junge Frau DDR in dieser Hinsicht keinen rechtsstaatlichen Kriteri- vor 30 Jahren als eine von vielen aktiv bei der Friedli- en genügte. chen Revolution mit dabei und bin jetzt als Abgeordnete 13432 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Monika Lazar (A) mit dem Schicksal von Menschen konfrontiert, denen digung muss zudem eine wirkliche Wiedergutmachung (C) Unrecht zugefügt wurde. sein. Wird die gesetzliche Rente oder die des Ehepartners auf die Leistung angerechnet, verkommt die Rehabilitie- Auch unsere Fraktion hat sich Gedanken gemacht, an rung zu einem Almosen wegen sozialer Bedürftigkeit. welchen Stellen wir auf Bundesebene noch nachsteuern Aber es geht ja um den Ausgleich erlittenen Unrechts, müssen. Wir greifen daher mit unseren Anträgen drei Ini- und das sollte Sinn und Ziel von Rehabilitierung sein. tiativen aus dem Bundesrat auf und empfehlen der Bun- desregierung, diese Vorschläge zu prüfen und in das ak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tuelle Gesetzgebungsverfahren einzubeziehen. Des Weiteren fordern wir eine Dynamisierung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ausgleichszahlungen. Gut ist, dass mit dem Gesetzent- wurf die Situation der ehemaligen Heimkinder in der Es geht konkret um die Entfristung der Rehabilitie- DDR verbessert wird. Das ist bitter nötig und war aller- rungsgesetze, die Verbesserung der Rechtsstellung der höchste Zeit. Ich hoffe, dass in der anstehenden Anhö- anerkannt politisch Verfolgten und um die DDR-Heim- rung geklärt wird, ob die vorliegenden Vorschläge aus- kinder . Alle diese Anliegen wurden im Bundesrat insbe- reichend sind oder ob sie vielleicht noch praktikabler und sondere von den durch Bündnis 90/Die Grünen mitre- niedrigschwelliger sein müssen. gierten Ländern initiiert, vorangetrieben und schließlich einstimmig verabschiedet. Der nun vorliegende Gesetz- Zum Schluss möchte ich noch auf den Antrag der Ko- entwurf sieht zwar die zwingend notwendige Entfristung alition zu den Zwangsadoptionen in der DDR eingehen. vor und bringt auch einige Verbesserungen in Bezug auf Nachdem die Betroffenen und ihr Verein seit vielen Jah- die DDR-Heimkinder mit sich, die wir ausdrücklich be- ren – bisher erfolglos – auf ihr Schicksal aufmerksam grüßen und unterstützen; andere Anliegen werden jedoch gemacht haben, ist seit dem letzten Jahr endlich etwas leider nicht berücksichtigt. ins Rollen geraten. Mit dem Einreichen der Petition, der Anhörung vor einem Jahr und dem Versprechen, dass Die Rehabilitierung von Menschen, denen Unrecht sich alle Fraktionen hier im Bundestag ernsthaft mit der geschehen ist, darf aber nicht an Fristen scheitern. Des- Problematik befassen wollen, ist auf Bundesebene und halb ist es gut, dass dieses Thema jetzt spät, aber immer- in den ostdeutschen Bundesländern einiges angeschoben hin nicht zu spät endlich angegangen wird, und deshalb worden. Deshalb unterstützen wir den vorliegenden An- begrüßen wir die Entfristung wirklich ausdrücklich. trag und werden ihm auch zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In den vergangenen Jahren hat sich allerdings gezeigt, (B) dass zahlreiche Opfergruppen oder Einzelschicksale Lassen Sie uns fraktionsübergreifend im 30. Jahr der (D) nicht oder nur unzureichend bei den Rehabilitierungsge- Friedlichen Revolution die Gerechtigkeitslücken mutig setzen Berücksichtigung gefunden haben. Es wird aber angehen. So zeigen wir den Bürgerrechtlerinnen und höchste Zeit, dass dies geschieht; die Gesetze müssen an Bürgerrechtlern, dass wir ihr Anliegen ernst nehmen und die reellen Verhältnisse angepasst und weiterentwickelt ihre Leistungen würdigen. werden. Deshalb muss die Situation von den anderen Vielen Dank. Opfergruppen wirklich noch dringend verbessert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Beispielhaft möchte ich hier auf die verfolgten Schü- SPD und der LINKEN und des Abg. Dr. Jürgen lerinnen und Schüler hinweisen, die der Kollege Vaatz Martens [FDP]) schon angesprochen hat. Diesen wurde aus politischen Gründen der Zugang zu Schulbildung und/oder zum Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Hochschulstudium verwehrt. Man versuchte nach 1990 Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der zwar, die rechtsstaatswidrige Benachteiligung durch ei- Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. nen besseren Zugang zum Studium, durch Umschulung oder Weiterbildung auszugleichen. Es hat sich allerdings (Beifall bei der SPD) gezeigt, dass all diese Maßnahmen nicht ausreichen und eben viel zu spät für die Betroffenen gekommen sind; Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): denn das geringe Einkommen führt eben zu einem gerin- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und gen Rentenniveau. Viele der betroffenen Personen sind Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf jetzt eben schon im Rentenalter und in einer finanziell den Rängen, die uns heute zuhören! Wer von uns kennt prekären Situation und haben keinen Anspruch auf Ent- aus unterschiedlichen Filmen nicht die Geschichte, bei schädigung. Ich finde, das muss sich ändern. der ein Mädchen oder ein junger Mann bei seiner Hoch- zeit erfährt, dass er oder sie ein adoptiertes Kind ist, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit in eine schwere Identitätskrise driftet, weil er oder sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und sie nicht weiß, woher er oder sie kommt, ob er oder sie in des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP]) die Familie, die ihn oder sie bisher liebevoll großgezogen In unseren Anträgen werden weitere Gesetzeslücken hat, die ihm oder ihr Geborgenheit gegeben hat, wirklich benannt, die unseres Erachtens in der nächsten Zeit zwin- hineingehört oder nicht, ob die leibliche Mutter und der gend behoben werden müssen. Eine finanzielle Entschä- leibliche Vater der Hort gewesen wären, in dem er oder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13433

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) sie gegebenenfalls ein anderes Leben hätte leben können. bisher nur marginal ausgeglichen wurden. Elternlose (C) Diese Menschen verstehen wir, und wir wissen, dass die- Kinder ohne eigene Erinnerung sind vielleicht nur durch se Filme meistens ein Happy End haben, ein Happy End, Erzählungen Erwachsener, eventuell alte Dokumente bei dem die Mutter oder der Vater gefunden wird und die und andere Belege in der Lage, ihr Schicksal zu erfahren neue und die alte Familie gegebenenfalls zueinanderfin- und zu reagieren. Im Gegensatz zu meinem Vorredner den. vertrete ich die Auffassung, dass ein Richter allerdings auch einen gewissen Ermittlungsgrundsatz in diesem Be- Stellen Sie sich aber vor, man lebt in der Gewissheit, reich hat, um die Wahrheit herauszufinden. dass man adoptiert wurde, ohne zu wissen, ob die leib- lichen Eltern einen freiwillig zur Adoption freigegeben Jede Maßnahme, die geeignet ist, Leid zu mildern haben, ob durch die Adoption, durch eine Zwangsmaß- und Opfer anzuerkennen, entspricht der demokratischen nahme des Staates aufgrund von Ideologie und politi- Staatsform. Daraus folgt, dass die im Gesetzentwurf der schen Vorgaben die Liebe, die die Eltern eigentlich geben Bundesregierung vorgesehene Entfristung die einzig wollten, entzogen wurde. richtige Lösung ist, während der Vorschlag des Bundes- Weil dies so ist und weil diese dramatischen Ereignis- rates, eine Verlängerung der Antragstellung um zehn Jah- se für die Menschen, die eine solche Adoption durchlebt re zu beschließen, wieder nur zu einer neuen Diskussion haben, aufgeklärt und erforscht werden müssen und weil führen würde. vor allen Dingen Gerechtigkeit geschaffen werden muss, Ich möchte hier auf die Anträge der Grünen eingehen. haben wir uns auf einen Prüfauftrag an die Bundesregie- In dem Antrag auf Drucksache 19/8982 stehen sehr viele rung nicht nur verständigt, sondern diesen heute auch als interessante Dinge, die ich selbst auch eingebracht hätte. Antrag eingebracht. Allerdings kommt es mir so vor, als hätten Sie ein biss- Es ist ein Auftrag, diesen Teil der Geschichte der ehe- chen aus der Drucksache 316/18 des Bundesrates abge- maligen Sowjetischen Besatzungszone und der DDR kupfert. Vielleicht hätten Sie darauf hinweisen können; aufzuarbeiten und den Menschen durch Datenbanken, das ist nämlich fast identisch. durch Vermittlungsstellen und durch niedrigschwellige (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Angebote ihre Identität, ihr persönliches Leben zurück- NEN]: Haben Sie meiner Rede zugehört?) zugeben, ohne dabei Datenschutz zu verletzen und die Tatsache abzuerkennen, dass die Eltern, die Familie, in Sie fordern zum Beispiel, auf eine Minderung der Aus- der sie aufgewachsen sind, eine feste und treue Bindung gleichszahlungen an Opfer bei Bezug einer Rente zu ver- zu ihren Kindern hatten. zichten. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Es wäre zu überlegen, meine Damen und Herren, ob nicht gene- (B) Wir hoffen – und dies können wir nur gemeinsam (D) mit den adoptierten Kindern und den Eltern, denen ihre rell alle Entschädigungszahlungen aus Gründen der poli- Kinder entzogen wurden –, durch die Öffnung der Akten tischen Verfolgung ohne Anrechnung anderer Einkünfte und durch die Aufhebung der Vernichtungsfristen letzt- ausgereicht werden sollten. Ich denke hier zum Beispiel endlich auch ein transparentes Verfahren zu ermöglichen. an die Haftentschädigung nach § 17a Strafrechtliches Re- Unrecht können wir nicht mehr beseitigen; aber die Fol- habilitierungsgesetz in Höhe von 300 Euro pro Monat. gen des Unrechts können wir mildern. Das wollen wir Diese Summe wird nicht gewährt, wenn das Einkommen hiermit tun und versuchen, Gerechtigkeit zu schaffen. bei über 1 272 Euro pro Monat liegt, mit Ausnahme von Renten. Das, finde ich, ist nicht in Ordnung. Alle Opfer Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. der DDR-Willkür sind potenzielle Nägel zum Grab der DDR gewesen. Jedes Unrecht durch die DDR entstand (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aus Opposition gegen das Regime, und jedes Opfer hat der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) somit unmittelbar oder mittelbar zum Sturz des Regimes beigetragen. Dem muss auch entsprechend Würdigung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: erteilt werden. Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Detlev Spangenberg, AfD-Frakti- (Beifall bei der AfD) on. Wir reichen Geld an Hunderttausende Fremde aus, die (Beifall bei der AfD) meist keinen Anspruch darauf haben, anstatt die Men- schen zu ehren, die zum Sturz des SED-Regimes beige- tragen haben. Detlev Spangenberg (AfD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie for- Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch dern, dass auch politische Häftlinge in der DDR mit einer Verfolgter durch die Novellierung des SED-Unrechtsbe- Haftzeit von unter sechs Monaten Ausgleichszahlungen reinigungsgesetzes ist das Thema. Der vorliegende Ge- erhalten. Das wäre natürlich eine Anerkennung, steht setzentwurf ist uneingeschränkt zu begrüßen. Es handelt aber in keinem Verhältnis dazu, dass politisch Verfolg- sich hier um die Aufarbeitung von Maßnahmen einer lin- te mit jahrelangen Haftzeiten mit denen gleichgestellt ken Diktatur der Partei der ehemaligen DDR, der SED. würden, die zu einer Haftstrafe von unter sechs Mona- Wenn dieses Thema angesprochen wird, muss logischer- ten verurteilt wurden. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist weise auf viele Facetten der politischen und ideologi- schon jetzt kaum nachvollziehbar, dass ein Mensch mit schen Repressalien eingegangen werden, deren Folgen jahrelanger Haftzeit, zum Beispiel zehn Jahre, genauso 13434 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Detlev Spangenberg (A) entschädigt wird wie jemand, der sechs Monate in Haft Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): (C) gesessen hat. Auch das ist nicht nachvollziehbar. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Forderung nach einer Dynamisierung der Zah- Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Auf- lungen nach § 8 Berufliches Rehabilitierungsgesetz und arbeitung des SED-Unrechts noch nicht abgeschlossen. § 17a Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz, also eine Wir haben weiterhin hohe Antragszahlen; für 2017 liegen Art Informationsausgleich zu schaffen, kann man unein- die Zahlen vor. Insgesamt haben über 3 000 Menschen geschränkt zustimmen. ihre Anträge erst jetzt gestellt, Menschen, die früher in der DDR inhaftiert worden waren, die beruflich ausge- Sie fordern weiterhin, meine Damen und Herren von bremst worden waren, die in vielerlei Hinsicht benach- der Grünenfraktion, eine Angleichung der Entschädi- teiligt worden sind, und das, weil sie zu ihrer politischen gungen der Opfer beruflicher Benachteiligung an die für Haltung gestanden haben oder weil sie ihre Wünsche, diejenigen, die Haftstrafen verbüßen mussten. Bei allem ihre Träume – in einem Rechtsstaat zu leben, in Freiheit Respekt für dieses Problem – das wurde schon angespro- zu leben, in einem demokratischen Staat zu leben – nicht chen –: Die Tatsache, dass jemand eine begrenzte Zeit aufgeben wollen. Sie sind dafür ein hohes persönliches beruflich benachteiligt wurde, sich umorientieren muss- Risiko eingegangen und haben das alles hingenommen. te, mit einer Haftzeit unter härtesten Haftbedingungen, Um diese Menschen geht es, wenn wir hier heute über teils mit monatelanger Einzelhaft in den Gefängnissen SED-Unrecht sprechen. der DDR, zu vergleichen, ist nicht zu vermitteln. Ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) spreche hierbei als ehemaliger Häftling aus eigener Er- fahrung. Die Regelung zur Rehabilitierung war zunächst auf zwei Jahre begrenzt. Man dachte, es wird dann schnell (Beifall bei der AfD) Rechtssicherheit hergestellt werden. Aber das ging kom- Im Zusammenhang mit Entschädigungen sehen wir plett an der Realität vorbei. Denn es ist so, dass die Men- auch die Notwendigkeit – das wurde eben richtigerweise schen Zeit brauchen, dass sie sich manchmal selber noch angesprochen –, die Opfer der sogenannten „Aktion Un- nicht dieser schmerzhaften Vergangenheit stellen kön- geziefer“ zu berücksichtigen. Meine Damen und Herren, nen, sondern erst jetzt die Kraft dazu aufbringen. Dann allein der Name „Ungeziefer“ ist ein menschenverachten- können wir nicht sagen: „Das ist jetzt zu spät“, dann kann der Begriff, um bei Nacht und Nebel die Menschen aus man sich nicht auf eine Frist berufen. Deshalb sind wir ihren Häusern zu reißen, sie mit Hab und Gut und Kin- jetzt konsequent und heben diese Frist komplett auf. Das dern auf die Lkws zu werfen, sie irgendwohin zu bringen, hatten wir im Koalitionsvertrag schon vereinbart und set- bevor die Häuser dann teilweise abgerissen wurden. Es zen das jetzt um. (B) ist unglaublich, dass so etwas passieren kann. Todesfälle (Beifall bei der CDU/CSU) (D) sind dabei belegt; bei der -Unterlagen-Behörde kann man das einsehen. Der Gesetzentwurf sieht einige Verbesserungen für die Heimkinder vor. Wir haben Verbesserungen in der Die SED hat mit Hass und Hetze und Haft politisch Beweislage: eine Umkehr der Beweislast, weil man den andersdenkende Bürger bedacht, meine Damen und Her- Kindern, die damals selber nicht wussten, weshalb sie ren. Ich kann Ihnen eines nicht ersparen: Was wir gestern im Heim sind, nicht die Last auferlegen kann, zu bewei- hier im Zusammenhang mit dem Mord am Regierungs- sen, dass sie nicht nur aus allgemeinen pädagogischen präsidenten Lübcke im Plenum hören mussten, war un- Gründen, sondern aus politischen Gründen ins Heim ge- geheuerlich. kommen sind. In solchen Fällen muss es reichen, dass (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich das Gericht auf Plausibilität und Glaubwürdigkeit NEN]: Ja, von der AfD!) berufen und beschränken kann und daran anknüpfend entschädigen und rehabilitieren kann. Eine demokratisch gewählte Partei, die AfD – fest ste- hend auf dem Boden des Grundgesetzes –, nicht nur mit Für uns als Union gehört in dieses Paket auch ein diesem Verbrechen in Verbindung zu bringen, sondern Zweitantragsrecht für diejenigen, die unter der alten sie dafür auch verantwortlich zu machen, unterscheidet Rechtslage und wegen der strengen Beweisführung die- sich nicht von den Methoden der SED, andere Leute zu sen Beweis nicht erbringen konnten, aber jetzt mit den diffamieren. Beweiserleichterungen einen Anspruch begründen und durchsetzen könnten. Es wäre zynisch, denen zu sagen: (Beifall bei der AfD) Jetzt seid ihr zu spät dran. – Dabei können wir nicht ste- hen bleiben; auch das muss noch in dieses Gesetz hinein. Das sage ich in aller Deutlichkeit. Das ist unsere Überzeugung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Außerdem sieht das Gesetz schon jetzt vor, dass es Unterstützungsleistungen für diejenigen geben soll, de- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ren Eltern aus politischen Gründen inhaftiert worden Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin sind, weshalb die Kinder ins Heim gebracht wurden. Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. Auch da ist die Rechtslage noch nicht befriedigend. Das Gesetz sieht Unterstützungsleistungen vor. Aber, (Beifall bei der CDU/CSU) ich glaube, auch da sollten wir konsequent einen Schritt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13435

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) weitergehen. Es muss eine Form der Anerkennung dieses Gesetze brauchen, hat noch eine sehr junge Geschichte; (C) Unrechts geben, die über die materielle Hilfe hinausgeht. die Opfer leben noch. In diesem Sinne sind die Regelungen für Heimkinder, Es gibt ganz selbstverständlich bei traumatischen Er- auch wenn sie in dem Gesetzentwurf der Regierung schon lebnissen Opfer, die länger brauchen, um sich diesen zu- sehr positiv angelegt sind, aus unserer Sicht noch nicht rückliegenden Ereignissen, traumatischen Situationen in perfekt. Wir wollen hier im parlamentarischen Verfahren ihrem Leben zu stellen. Und es gibt natürlich auch Kin- noch zu Verbesserungen kommen. Wir wollen eine prak- der, die wissen wollen, warum ihr Leben so verlaufen ist, tikable und eine großzügige Lösung für die Heimkinder. wie es verlaufen ist, warum ihre Eltern so waren, wie sie waren, warum ihre Eltern vielleicht nicht über ihre Er- Wir müssen uns um ein weiteres dunkles Kapitel der lebnisse geredet haben, sich dem erst Jahrzehnte später Geschichte der SBZ und der DDR kümmern. Es geht um stellen und das mit ihren Kindern besprechen und aufar- die Zwangsadoptionen. Auch hier wurde Eltern und Kin- beiten. Auch das Leben der Kinder ist davon betroffen, dern schlimmstes denkbares Unrecht zugemutet: Kinder selbst wenn sie nicht zwangsadoptiert wurden, sondern und Eltern wurden getrennt, und sie wurden im Unklaren in den Familien weitergelebt haben. Die Kinder stellen gelassen, Kinder wurden für tot erklärt. Es waren keine heute Fragen und wollen wissen, was passiert ist. Außer- Einzelfälle; das wissen wir aus der Studie, die dazu be- dem gibt es dann auch noch die Kinder, die erst aufklären reits jetzt eingeholt worden ist. müssen, woher sie überhaupt kommen. Auch das braucht Hier brauchen wir mehr Forschung. Wir brauchen seine Zeit, braucht Mut. Deshalb ist es richtig, dass es eine Struktur, die zur Aufklärung dieser Sachverhalte diese Entfristung gibt. beitragen kann und vor allem Kinder und Eltern wieder Im Ziel sind wir uns einig. Ich glaube, alle, die heute zusammenbringen kann. Deshalb brauchen wir eine Ver- vorgetragen haben, sind sich einig, dass wir Vereinfa- mittlungsstelle mit dem Internetportal, wo diese Anga- chungen, Verbesserungen und nicht bloß die Entfristung ben eingetragen werden können. Und wir brauchen nach wollen. Der Gesetzentwurf macht Vorschläge, wie dies unserer Überzeugung ganz klar eine DNA-Datenbank; passieren soll. Es gibt dazu eine Stellungnahme der Uni- denn das ist letztendlich der Beweis, der erbracht werden on der Opferverbände, die auf Gefahren in der jetzigen muss und kann, um nachzuweisen, dass hier eine Abstam- Formulierung, die im Gesetzentwurf steht, hinweist. mung, eine leibliche Verwandtschaft besteht. Natürlich werden Datenschutzanforderungen zu beachten sein; das Obwohl wir alle unter Zeitdruck gestanden haben – ist ganz klar. Aber im Mittelpunkt muss stehen, dass die das Gesetz musste heute eingebracht werden, und es Betroffenen freiwillig ihre DNA einbringen, weil sie sel- muss zügig beraten werden –, ist genug Zeit da, um die ber ein ureigenes Interesse daran haben, endlich Licht in inhaltlichen Positionen abzuwägen, sich darüber auszu- (B) diese Vergangenheit zu bringen und endlich Aufklärung tauschen, mögliche Veränderungen im Gesetzentwurf (D) dieser existenziellen Fragen ihres Lebens zu bekommen. vorzunehmen, wenn wir gemeinsam bessere Formulie- rungen finden. Das werden wir in den Beratungen tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber der Gesetzentwurf musste heute eingebracht wer- Aus diesem Grund stimmen wir heute zusätzlich über den. Deshalb liegt vor uns im Beratungsverfahren ziem- unseren Antrag ab. Wir wollen, dass auch das noch in lich viel Arbeit, weil all die Punkte, die Sie eingebracht das Gesetz kommt. Denn wir wollen mit diesem Gesetz haben, besprochen und berücksichtigt werden müssen. ausdrücklich anerkennen, dass diese Menschen trotz al- Dass das Ziel klar ist – wir wollen wirklich, dass es dies- ler Risiken Mut bewiesen haben. Wir wollen ihnen dafür mal passt und nicht hinterher wieder nicht funktioniert –, danken, dass sie damit einen ganz wesentlichen Beitrag ist, glaube ich, eine gute Ausgangsposition. Wir werden dazu geleistet haben, dass unser Land wiedervereinigt all das miteinander abwägen und am Ende die beste Lö- werden konnte. sung finden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Thema Heimkinder will ich noch sagen: Da es schwer nachgewiesen werden kann, da es manchmal auch an Erinnerung fehlt, aber trotzdem ein eigenständi- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ger Anspruch besteht, es einer eigenständigen Rehabili- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist tierung bedarf, wollen wir, glaube ich, unisono, dass sie Katrin Budde, SPD-Fraktion. auch einen eigenständigen Anspruch haben, selbst reha- (Beifall bei der SPD) bilitiert zu werden. Dass in der Familie nicht mit unter- schiedlichem Maß – dass die Eltern rehabilitiert werden Katrin Budde (SPD): und die Kinder nicht – gemessen werden kann, ist eines der großen Ziele, und das müssen wir auch erreichen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass der Gesetzentwurf da ist, dass die Entfristung erfol- Alles, was angesprochen worden ist, dass es mögli- gen wird. Wir wollen, dass es die strafrechtliche, berufs- cherweise eine Benachteiligung der Betroffenen gibt, rechtliche und verwaltungsrechtliche Entfristung gibt deren Akten erhalten geblieben sind, und dass das Zweit- und dass es Verbesserungen und Vereinfachungen mit antragsrecht noch fehlt, müssen wir uns genau anschau- diesem Gesetzentwurf gibt. Denn der Teil der deutschen en. Dazu gehört auch die Frage: Schreiben wir Rehabi- Geschichte, der die Ursache dafür ist, dass wir solche litierungsgründe rein oder nicht, oder lassen wir es ganz 13436 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Katrin Budde (A) offen, so wie es das Ministerium vorschlägt, um nichts heilen und ein Zusammenwachsen von Ost und West auf (C) auszuschließen? Dass auch das Fehlen von Opfergrup- Dauer gelingen. pen und die überfällige Dynamisierung der Leistung an- gesprochen werden müssen, darüber sind wir uns, glaube Gerade für die Opfer bleibt von zentraler Bedeutung, ich, ebenfalls einig. Das werden spannende und konzen- dass der Zugang zu den Akten auf der Grundlage des trierte Beratungen. Ich gehe davon aus, dass wir eine Stasi-Unterlagen-Gesetzes voll erhalten bleibt. Und es gute Lösung finden. wird künftig noch mehr darum gehen, den Blick über die Stasiakten hinaus zu richten; denn die DDR war nach ih- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rem eigenen Verständnis und nach ihrer Verfassung eine der CDU/CSU) Ein-Parteien-Diktatur. Sie war gekennzeichnet durch den angemaßten Vormachtsanspruch einer Partei und damit der Durchdringung und Deformierung sämtlicher Le- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bensbereiche. Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Funktionsmechanismen und Folgen der SED-Diktatur in Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion. all ihren Facetten wachzuhalten und weiter zu schärfen, (Beifall bei der CDU/CSU) wird die zentrale Aufgabe des Bundesbeauftragten blei- ben. Meine Fraktion wird ihn dabei voll unterstützen.

Manfred Grund (CDU/CSU): Zur Aufarbeitung und Erinnerung gehören Wahrheit Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zu- und Wahrhaftigkeit. Gestern haben wir hier über die hörer auf den Tribünen und auch vor den Fernsehappa- Einsetzung eines Treuhand-Untersuchungsausschusses, raten! Wir begehen in diesem Jahr den 30. Jahrestag der eines weiteren Ausschusses zu diesem Thema, beraten. Friedlichen Revolution in der damaligen DDR. Diese Weil Kollege Straetmanns von der Linken dies heute friedliche Befreiung von der SED-Diktatur verdanken wiederholt hat: Der Ruf nach einem weiteren Untersu- wir dem Mut und der Entschlossenheit Hunderttausender chungsausschuss ist der Versuch einer frechen Täter-Op- DDR-Bürger. Doch war deren Widerständigkeit sehr oft fer-Umkehr. Es ist der Versuch, die Verantwortung für mit Verfolgung, Entrechtung und Vernichtung ihrer Exis- den Staatsbankrott der DDR-Wirtschaft, für die fehlende tenz verbunden. Wettbewerbsfähigkeit der Ostbetriebe nach dem Mauer- fall zu verschleiern; denn die wahren Ursachen für den Die SED-Diktatur war ja nicht nur Mangelwirtschaft, rasanten Niedergang der ehemaligen DDR-Betriebe und Gleichschaltung oder Verkürzen von Lebensperspek- die daraus resultierende hohe Arbeitslosigkeit nach der tiven. Es war ein totalitäres System, welches für Men- Wende waren Resultate des Staatsbankrotts der DDR. (B) schen, die sich kritisch äußerten oder ihrem als unerträg- (D) lich empfundenen Land nur den Rücken kehren wollten, Wenn jetzt die Treuhandanstalt zum Schuldigen er- mit politischer Haft und der Zerstörung ihrer Familien klärt werden soll, dann geht es Ihnen in Wahrheit um eine verbunden war. Leidtragende waren nicht nur Erwach- geschichtsklitternde Verschleierung von Verantwortlich- sene, sondern auch Kinder und Jugendliche, die ihren keiten. Es ist ein besonders plumper Versuch von Ross- Eltern aus politischen Gründen entzogen und in men- täuscherei. schenunwürdigen Heimen untergebracht wurden, wo sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erniedrigung, Gewalt und Gehirnwäsche erfuhren. Ihr Schicksal liegt uns am Herzen und ruft uns dazu auf, ih- Denn, meine Damen und Herren, die „größte“ DDR aller nen Anerkennung ihres Leides und so weit wie möglich Zeiten ist nicht von der Bundeswehr erobert worden, son- Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. dern die Menschen haben sich von ihr befreit. Sie haben die Mauer von Ost nach West umgestoßen. Und das war Mit der Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vor- auch der einzige Weg ins Freie. schriften werden wir die Rechtsstellung der Opfer des SED-Regimes erheblich stärken. Das ist ein notwendiger Den Opfern der SED-Herrschaft gehört unsere Soli- Akt politischer Hygiene in unserem Land. Wir verbinden darität, nicht den Tätern. 30 Jahre nach dem Mauerfall damit ein klares Signal der Anerkennung erlittenen Un- empfinden die allermeisten Menschen in Ostdeutschland rechts, und wir bekennen uns zur gesamtdeutschen Ver- die wiedergewonnene Einheit als einen Glücksfall, einen antwortung gegenüber den in der DDR Verfolgten. Glücksfall für sich, ihre Familien und für ganz Deutsch- land. Sie sehen sich als Gewinner und nicht als Opfer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Einheit. Sie brauchen keine Neiddebatten und wol- An die Menschen in Ostdeutschland richten wir damit len auch keine Ost-West-Spaltung ausgerechnet durch die Botschaft, dass wir ihre Lebensleistung würdigen, diejenigen, die für die politische Verfolgung in der DDR zu der auch das mutige Bekenntnis zur eigenen Mei- und dafür verantwortlich sind, dass wir nach 1990 mit nung gehörte. Wenn es um die Rehabilitation politisch so gewaltigen, auch wirtschaftlichen Herausforderungen Verfolgter geht, dann kann es keinen Schlussstrich unter zu kämpfen hatten. Diese Menschen erwarten Gerechtig- das DDR-Unrecht geben. Erinnerung, Aufarbeitung und keit. Und wir können mit diesen rehabilitierungsrechtli- Wiedergutmachung sind untrennbar miteinander verbun- chen Vorschriften heute ein wenig dazu beitragen. den. Dies sind wir den Opfern der SED-Diktatur und dies Vielen Dank, Herr Präsident. sind wir auch uns selbst schuldig. Nur so können wir uns gemeinsam der Bedeutung fundamentaler Freiheitsrech- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- te erfolgreich vergewissern, und nur so können Wunden ordneten der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13437

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: litierungsgesetze entfristen, damit die Opfer auch nach (C) Vielen Dank, Herr Grund. – Letzte Rednerin zu diesem dem 31. Dezember 2019 ihre Ansprüche geltend machen Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Heike Brehmer, können. Damit helfen wir insbesondere den Geschädig- CDU/CSU-Fraktion. ten, die erst spät den Weg zu einem Rehabilitationsver- fahren beschreiten. Der Bundesverband der Vereinigung (Beifall bei der CDU/CSU) der Opfer des Stalinismus e. V. betreut Opfer, Angehöri- ge und Hinterbliebene. Heike Brehmer (CDU/CSU): Häufig – das haben wir heute auch schon gehört – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wenden sich Opfer an den Verband, die erst mit dem Ren- Kollegen! Mehrere Redner haben es schon gesagt: Wir teneintritt beginnen, ihre Biografie aufzuarbeiten. Opfer begehen in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum des wie diese können in Zukunft nur rehabilitiert werden, Mauerfalls. Hätte es diesen Tag nicht gegeben, würde ich wenn es dafür keine Befristung gibt. Deshalb war es uns heute hier nicht stehen und zu Ihnen sprechen können. wichtig, mit dem Gesetzentwurf die Lebenswirklichkeit Als Abgeordnete vertrete ich den Wahlkreis Harz, der der Betroffenen abzubilden. Das ist praxisnah, und dafür sich genau an der ehemaligen deutsch-deutschen Gren- haben wir uns starkgemacht. ze befindet. Zahlreiche Männer und Frauen kamen zwi- Meine Damen und Herren, die Menschen, die den Mut schen 1949 und 1989 an den Westgrenzen der DDR ums hatten, sich gegen die Unterdrückung des SED-Staats Leben. Die Grenze zwischen dem heutigen Sachsen-An- aufzulehnen, haben den Weg für den Fall der Mauer mit- halt und Niedersachsen war dabei einer der Schwerpunk- bereitet. Der Anspruch einer friedlichen Demokratie ist te für Fluchtversuche. Doch auch fernab der Mauer hat es, diese Menschen weiterhin zu unterstützen. Dafür ste- das SED-Regime in 40 Jahren Diktatur viele Schicksale hen wir als Union. gefordert. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei meiner Arbeit im Wahlkreis treffe ich immer wie- der Menschen, die bis heute unter der politischen Verfol- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befassen uns gung in der ehemaligen DDR leiden. Diese Menschen ha- in diesem Haus seit vielen Jahren mit der Aufarbeitung ben für ihren Mut einen hohen Preis bezahlt. Sie wurden des SED-Unrechts. In den vergangenen Jahrzehnten sind bespitzelt, inhaftiert, körperlich und seelisch misshandelt dazu viele Vorhaben auf den Weg gebracht worden. Das und systematisch schikaniert bis hin zur kompletten Zer- war und ist eine Gemeinschaftsleistung der Menschen störung der Persönlichkeit. Die Staatssicherheit nannte aus Ost und West. Leider wird es nie möglich sein, ein das „politisch-operative Zersetzung“. Gebrochene Bio- derartiges 40-jähriges Unrecht vollständig wiedergutzu- grafien und auseinandergerissene Familien waren die machen. Wir können das Geschehene nicht ungeschehen (B) Folge. Kinder, deren Eltern der SED ein Dorn im Auge machen, doch wir können uns für die Anerkennung und (D) waren, wurden in Heime gesteckt und zwangsadoptiert­ . Gerechtigkeit für die Opfer der DDR-Diktatur einsetzen. Diese Schicksale wiegen schwer. Sie haben das Leben Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir genau dieser Menschen für immer verändert und wirken bis diese Opfer stärken. heute nach. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ein heute 75-jähriger Bürger aus meinem Wahlkreis (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. sucht mich schon seit vielen Jahren in meinen Sprech- Bärbel Bas [SPD]) stunden auf. Er behauptet, zu DDR-Zeiten intensiv mit Psychopharmaka behandelt worden zu sein. Diese be- wusste Falschbehandlung fand mit dem Ziel statt, ihn Vizepräsident Wolfgang Kubicki: persönlich zu „zersetzen“. Infolgedessen verlor er seinen Vielen Dank, Frau Kollegin Brehmer. – Damit schlie- Job. Seiner Frau wurde vonseiten der Staatssicherheit na- ße ich die Aussprache. hegelegt, sich von ihm scheiden zu lassen. Tagesordnungspunkte 28 a sowie 28 c bis 28 e. In- Meine Damen und Herren, dieser Mann hat alles ver- terfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den loren. Er kämpft vor seiner Exfrau und seinen Kindern Drucksachen 19/10817, 19/8981, 19/8982 und 19/8983 seit Jahren für seine Glaubwürdigkeit. Seine Akte ist bis an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüs- heute unauffindbar. Schicksale wie diese zeigen: Rund se vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ist die Aufarbeitung sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so des SED-Unrechts längst nicht abgeschlossen. Mit den beschlossen. Rehabilitierungsgesetzen wurde zwar ein umfangreiches Tagesordnungspunkt 28 b. Wir kommen zur Abstim- System von Ausgleichsmaßnahmen entwickelt; aber das mung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und geschehene Unrecht müssen wir auch in Zukunft aufar- SPD auf Drucksache 19/11091 mit dem Titel „Aufarbei- beiten. Einen Schlussstrich darf es auf keinen Fall geben. tung Zwangsadoption in der SBZ/DDR 1945 – 1989“. Dafür setzen wir uns als Union mit Nachdruck ein. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei der CDU/CSU) Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag bei Enthaltung der Fraktion der FDP mit den Stimmen der übrigen Mit- Der vorliegende Gesetzentwurf setzt ein Anliegen glieder des Hauses angenommen. um, für das sich die Opferverbände seit vielen Jahren engagieren. Es ist ein Anliegen, dass wir auch im Koa- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 j und litionsvertrag verankert haben. Wir wollen die Rehabi- 29 l auf: 13438 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Julia Überweisungsvorschlag: (C) Verlinden, Lisa Badum, Christian Kühn (Tübin- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- munen (f) gen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschuss für Wirtschaft und Energie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausbau der Solarenergie beschleunigen, de- zentrale Bürgerenergie und Mieterstrom un- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz terstützen Gösta Beutin, Ralph Lenkert, Hubertus Zdebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksache 19/9698 LINKE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Klimanotstand anerkennen – Klimaschutz-So- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit fortmaßnahmen verabschieden, Struktur- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- wandel sozial gerecht umsetzen munen Drucksache 19/10290 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Oliver Krischer, Dr. Manuela Rottmann, g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Lisa Badum, weiteren Abgeordneten und der Baerbock, Lisa Badum, Oliver Krischer, weiterer Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- DIE GRÜNEN rung des Grundgesetzes (Artikel 20a, 74, 106, Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung 143h – Stärkung des Klimaschutzes) aufnehmen und CO2-Bremse einführen Drucksache 19/4522 Drucksache 19/11153 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Überweisungsvorschlag: ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Drucksache 19/11158 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Lisa h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Badum, weiteren Abgeordneten und der Frakti- Dr. Bettina Hoffmann, Uwe Kekeritz, Gerhard on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Zickenheiner, weiterer Abgeordneter und der Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Beendigung Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) (D) des Betriebs von Kohlekraftwerken zur Strom- Die Agenda 2030 als Maßstab des Regierungs- erzeugung (Kohlekraftwerk-Sofortmaßnah- handelns ernst nehmen und die Transformati- me-Gesetz) on unserer Welt entschlossen vorantreiben Drucksache 19/9920 Drucksache 19/11149 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Überweisungsvorschlag: ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Drucksache 19/11174 Auswärtiger Ausschuss d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- Ausschuss für Arbeit und Soziales geordneten Karsten Hilse, Dr. Heiko Wildberg, Ausschuss für Gesundheit Dr. Rainer Kraft, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Fraktion der AfD lung Aussetzung des Ausstiegs aus der Kohlever- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss stromung bis alternative Energien grundlast- fähig sind und jederzeit bedarfsgerecht einge- i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- speist werden können richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gie (9. Ausschuss) Drucksachen 19/9963, 19/11174 – zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Kot- e) Erste Beratung des von den Abgeordneten ré, Tino Chrupalla, Enrico Komning, weiterer Karlheinz Busen, Frank Sitta, Nicole Bauer, wei- Abgeordneter und der Fraktion der AfD teren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wie- Deindustrialisierung Deutschlands stop- dereinführung der Länderöffnungsklausel pen – Ausstieg aus dem Kohleausstieg zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martin Windenergieanlagen und zulässigen Nutzun- Neumann, Michael Theurer, Reinhard gen Houben, weiterer Abgeordneter und der Frak- Drucksache 19/11094 tion der FDP Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13439

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Kohleausstieg mit Verantwortung und Besonders fatal ist, dass Mitglieder der Union bei (C) Weitsicht – Sicher, bezahlbar und europä- ihrer Blockade auch nicht vor Argumentationen zurück- isch schrecken, die wir in ihrer Unterkomplexität sonst nur von der AfD kennen. Der CO -Ausstoß Deutschlands sei – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver 2 mit einem Anteil von 2,3 Prozent an der globalen Emissi- Krischer, Annalena Baerbock, Lisa Badum, on vernachlässigbar. Haben Sie, die Sie hier im Bundes- weiterer Abgeordneter und der Fraktion tag Verantwortung tragen, denn wirklich nicht begriffen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass man so nicht rechnen kann, dass eine gerechte Mes- Nach den Empfehlungen der Kohlekom- sung von CO2-Emissionen pro Kopf erfolgen muss? mission – Jetzt Einstieg in den Kohleaus- stieg (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Reichardt [AfD]: Messungen sind Drucksachen 19/7720, 19/7696, 19/7733, exakt, aber nicht gerecht!) 19/10761 Buchstabe a, b und d Und da liegt Deutschland mit seinen 9,6 Tonnen im Jahr j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- weit über dem weltweiten Durchschnitt von 4,8 Tonnen richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und sehr weit über dem global verträglichen Pro-Kopf- und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) zu dem Ausstoß von 2 Tonnen. Die stärkste Wirtschaftskraft der Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, EU und viertstärkste weltweit drückt sich vor ihrer Ver- Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Abge- antwortung. Was für ein verheerendes Beispiel für die ordneter und der Fraktion der FDP Aufgabe Klimaschutz. Marktwirtschaftlicher und effizienter Klima- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schutz – Mit weniger Geld mehr Klima schüt- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zen Verstecken Sie sich jetzt nicht hinter Trump, dessen Drucksachen 19/6286, 19/11178 Totalverweigerung unbenommen viel schlimmer ist. l) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Trump, Putin, Erdogan, die den Klimaschutz mit Füßen richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz treten – übrigens immer gern gemeinsam mit Menschen- und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) zu dem rechten –, können doch für uns nicht Anlass sein, selbst Antrag der Abgeordneten Lisa Badum, Dr. Julia im Klimaschutz nachzulassen, ganz im Gegenteil. Für Verlinden, Dr. Ingrid Nestle, weiterer Abgeord- uns muss das doch heißen: Jetzt erst recht! neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) NEN und bei der LINKEN) (D) Die Europäische Union zur Klimaschutz-Uni- Deutschland muss bei der Energiewende wieder Fahrt on machen aufnehmen. Wir brauchen den Kohleausstieg und die Drucksachen 19/9953, 19/11188 CO2-Bepreisung. Wir müssen der Agenda 2030 endlich gerecht werden und in der Europäischen Union wieder Es handelt sich um die Beratung mehrerer Vorlagen zum Treiber statt zum Bremser werden. zur Klimapolitik. Über den Entwurf eines Kohlekraft- werk-Sofortmaßnahme-Gesetzes der Fraktion Bünd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nis 90/Die Grünen sowie über den Antrag der Fraktion und bei der LINKEN) Die Linke zum Thema Klimanotstand werden wir später namentlich abstimmen. Wir Grüne wollen den Klimaschutz im Grundgesetz, wir wollen aber auch den Atomausstieg im Grundgesetz. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Mir war immer klar, dass Sie von der Union, sobald Sie die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- endlich die Notwendigkeit des Kohleausstiegs begreifen, nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. den Atomausstieg infrage stellen. Sie können sich ein Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- Energiesystem ohne große zentrale Betonklötze in der nerin der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Landschaft einfach nicht vorstellen. Grünen, das Wort. (Karsten Hilse [AfD]: Doch! 30 Stück ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nau!) – Mit Ihnen rede ich gerade nicht. – Genau das ist aber Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Zukunft: dezentral, risikoarm, billig, erneuerbar. Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bremser beim Klimaschutz sitzen auf der rechten Sei- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) te des Parlaments. Zu Beginn dieser Legislatur habe ich hier die Umweltministerin gefragt, wer denn wohl ihre Wer 100 Prozent Erneuerbare will, der verabschiedet Partner beim Klimaschutz in der Regierung seien, ob sie sich besser heute als morgen von Grundlast produzie- sich da auf den Verkehrsminister, den Wirtschaftsminis- renden Großkraftwerken. Partnerschaften zwischen dem ter und auf die Landwirtschaftsministerin verlassen kön- alten und dem neuen Energiesystem funktionieren nicht. ne. Im Gegensatz zu mir war sie damals noch sehr opti- Das können wir heute schon in Schleswig-Holstein se- mistisch. Heute weiß sie es vermutlich besser. hen. Und die Wahl zwischen Pest und Cholera muss bei 13440 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Sylvia Kotting-Uhl (A) der Energieversorgung niemand treffen. Es gibt den risi- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): (C) kolosen Weg dazwischen. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Risikolo- ren! Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt eine Vielzahl sen Weg?) an Anträgen vor, 11 an der Zahl und dann noch 3 Unter- punkte. Zur Feier des Tages habe ich meine beste Öko- – Den risikolosen Weg dazwischen. krawatte umgebunden, damit Sie sehen können: Wir mei- nen es ernst mit dem Thema Klimaschutz. Sie haben von der von Ihnen eingesetzten Kommissi- on zum Kohleausstieg klare Empfehlungen bekommen. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- Die reichen zwar noch nicht für das Erreichen der Klima- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schutzziele, trotzdem unterstützen wir Grüne Sie dabei, – Sachte, sachte. wenn Sie diese Empfehlungen umsetzen. Wir brauchen den Einstieg in den Kohleausstieg, und wir brauchen ihn Meine Damen und Herren, ich konzentriere mich in schnell. meinen Ausführungen auf das Thema „Ausstieg aus der Kohleverstromung“. Darum geht es in einem Teil der An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) träge, die Sie gestellt haben. Die letzte Debatte zu diesem Bayern hat ja selten recht. Thema hatten wir am 9. Mai – das ist noch nicht lange her –, und in dieser Debatte hatte ich Ihnen schon den (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE geplanten Ablauf erklärt. Seit dem 9. Mai hat die Bun- GRÜNEN]: Die CSU!) desregierung die Eckpunkte zum Strukturwandelgesetz Söders Lichtblick bei der Kohle sollte schon wegen Sel- verabschiedet. Die Gespräche mit den Energieversorgern tenheitswert beachtet werden. über eine einvernehmliche Lösung für den Ausstieg sind begonnen worden. (Klaus Mindrup [SPD]: Ein bisschen schizo- phren!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das stimmt nicht! – Jürgen Trittin Wir legen Ihnen heute einen Antrag und einen Ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lügen!) setzentwurf für leichte erste Schritte vor. Es ist wirklich leichter, als Sie denken. Ich meine, was wollen Sie denn – Langsam! – Nach der Sommerpause wird Ihnen der noch? In allen Umfragen wollen Mehrheiten Klima- Gesetzentwurf zum Strukturwandel in den Kohleregio- schutz und Kohleausstieg. nen auf dem Tisch liegen. (Karsten Hilse [AfD]: Das stimmt nicht!) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: Da bin ich gespannt!) (D) Das wird sich unter dem Eindruck, dass Starkwetterer- eignisse und Hitzewellen eher die Regel als die Ausnah- Das ist genau die Abfolge, die wir hier immer beschrie- me werden, nicht ändern. Junge Menschen – die Wäh- ben haben. Deswegen brauchen wir den Aktionismus, lerinnen der nächsten Jahrzehnte – fordern Woche für den Sie verbreiten, nicht. Woche, dass Sie endlich handeln, und Sie zögern und Dass die Aufgabe, den Ausstieg aus der Kohleverstro- zaudern und vertagen sich aus falsch verstandenem Pro- mung zu organisieren, groß ist, das ist gar keine Frage. tektionismus. Aber dass Sie sagen, Frau Kollegin, es gebe einen risi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kolosen Weg, Ich sage Ihnen: Holen Sie den roten Anorak wieder (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE aus der Mottenkiste. Nehmen Sie die Aufgabe, der sich GRÜNEN]: Ja! – Katharina Dröge [BÜND- die selbst ernannte Klimakanzlerin Merkel 2007 gestellt NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) hat, wieder an – zum Wohl nachfolgender Generationen, das ist eine Verkleisterung der Realität. Das stimmt ein- der jetzigen Generation, der Wirtschaft, die auch in Zu- fach nicht. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist riesig und kunft noch marktfähig sein will, und der Regionen, die beinhaltet ein großes Risiko für uns alle. heute noch von der Kohle abhängen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Wolfgang Kubicki: GRÜNEN]: Das Risiko ist, dass Sie versagen Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. bei der Aufgabe! So wie in den letzten zehn Jahren!) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun wird uns immer erzählt, wie fortschrittlich andere Handeln Sie! Regieren Sie endlich! Länder beim Kohleausstieg seien. Ich will Ihnen mal die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zahlen aus den Ausstiegsbeschlüssen nennen. In Portu- gal hat man beschlossen, bis 2020 die aus Kohle gewon- nene Energie um 2 Gigawatt zu reduzieren, in Frankreich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bis 2020 um 3 Gigawatt, Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben auch viel weniger als (Beifall bei der CDU/CSU) wir!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13441

Andreas G. Lämmel (A) in Italien bis 2025 um 9 Gigawatt, in Österreich bis 2025 wir dann reden müssen. Ihr Gesetzentwurf ist unnötig. (C) um 0,6 Gigawatt, in Irland bis 2025 um 1 Gigawatt, in Deshalb werden wir ihn ablehnen. Großbritannien um 15 Gigawatt, Vielen Dank. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vergleichen große Äpfel mit (Beifall bei der CDU/CSU) kleinen Birnen!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: in Holland um 5 Gigawatt, in Finnland um 2 Gigawatt und in Schweden um 0,1 Gigawatt. Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. – Liebe Kolle- ginnen und Kollegen, auch wenn ich weiß, dass das ein (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE emotional sehr bewegendes Thema ist, möchte ich darauf GRÜNEN]: Ihnen ist schon aufgefallen, dass hinweisen, dass sich Ihre persönliche CO2-Exposition bei Finnland und Deutschland unterschiedlich Aufregung deutlich erhöht. sind!) (Heiterkeit und Beifall) Wir haben in der Kommission beschlossen, bis 2038 den Kohleanteil um 42,6 Gigawatt zu reduzieren, also um Deshalb bitte ich schlicht und ergreifend, dass man das mehr als das Doppelte wie in ganz Europa zusammen. vielleicht etwas gelassener zur Kenntnis nimmt. Da können Sie doch nicht behaupten: Das ist risikolos. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Steffen Wenn Sie dann noch bis 2020 den Anteil des Nuklear- Kotré, AfD-Fraktion. stroms um 11 Gigawatt reduzieren wollen, dann müssen Sie sich klarmachen, dass es insgesamt über 50 Gigawatt (Beifall bei der AfD) sind, die wir ersetzen müssen. Das wäre doch nicht risi- kolos. Das ist doch Unfug, was Sie hier erzählen. Steffen Kotré (AfD): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen AfD und der FDP) und Herren! Herr Lämmel, ich habe meine Krawatte jetzt nicht auf Öko geprüft; aber ich halte das auch nicht für Meine Damen und Herren, nun kommen Sie mit ei- so notwendig. nem Gesetzentwurf „Kohlekraftwerk-Sofortmaßnah- me-Gesetz“. Das klingt ja wunderbar. Aber wissen Sie „Klimanotstand“: Wir haben keinen Klimanotstand. was, Sie führen die Wählerinnen und Wähler hinter die Das Klima wird sich so oder so weiterbewegen; es wird Fichte. Das ist ja lächerlich, was in Ihrem Gesetzentwurf so oder so weiter existieren. Wir haben eher einen Not- (B) steht. Sie wollen, dass nächstes Jahr im Juni die Bun- stand an gesundem Menschenverstand. (D) desregierung einen Plan vorlegt, wie bis Ende 2022 die (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE im Kommissionsbericht festgelegten Zahlen erreicht LINKE]: Da sind Sie ja Experte!) werden. Das ist einfach deswegen lächerlich, weil wir im Herbst das Kohleausstiegsgesetz vorlegen werden. Da Das vielleicht mal vorweggenommen. brauchen wir nicht erst bis zum 30. Juni nächsten Jahres zu warten, um einen Plan vorzulegen. Wissen Sie, wir Kommen wir mal zum Kohleausstieg. Dass der Koh- sind ein bisschen schneller als Sie. Man muss ganz klar leausstieg volkswirtschaftlich schädlich ist, haben wir sagen: Der Schutz des Klimas und der Kohleausstieg schon gesagt. Dass die halbe Welt über uns lacht, weil sind bei uns einfach in besseren Händen. wir aus der Kohle aussteigen, sei hier an dieser Stel- le noch mal erwähnt. Aber interessant ist doch die Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schichte, wie wir dazu gekommen sind. Vor zwei Jahren hat niemand aus der CDU/CSU überhaupt daran gedacht, Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir einen planmäßi- aus der Kohle auszusteigen. Noch vor fünf Monaten hat gen Ausstieg, und wir wollen kein Chaos verursachen. der bayerische Ministerpräsident Söder gesagt: Um Got- Wir wollen, dass wir den Kohleausstieg möglichst im tes willen, 2038 aus der Kohle auszusteigen, das ist zu Einvernehmen mit den Unternehmen begleiten, weil wir risikoreich; da wäre unsere Energieversorgung gefähr- nämlich Eigentumsrechte zu beachten haben. Wir sind ja det. – Natürlich hat er das zu Recht gesagt. Und plötz- nicht mehr im Sozialismus, was Sie sich vielleicht wün- lich ist alles anders. Sind jetzt etwa neue Erkenntnisse schen. Ich möchte dahin nicht wieder zurück. Bei uns gekommen? Das ist natürlich nicht der Fall. geht es zunächst darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen, und dann kann man die Kohlekraftwerke abschalten. Das (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE haben wir den Kohleregionen versprochen, und dazu ste- GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen hat er was hen wir auch. gelernt!) Hinzu kommen die Haltepunkte; das ist, glaube ich, Wir sehen hier eine Politik, die eher ihre eigenen In- entscheidend. Frau Kotting-Uhl, das haben Sie ganz ver- teressen opfert, als hier ehrlich zu argumentieren. Wenn schwiegen. Im Jahre 2022/23 werden wir Bilanz ziehen, Herrn Ministerpräsident Söder jetzt die „Greta-Manie“ und dann wird man sehen, auf welchem Weg wir wirk- befallen hat, dann empfehle ich ihm einfach mal bei lich sind. Eine Gutachterin hat bei der Anhörung klar Harry Potter anzuklopfen. Der hat so einen Zauberstab. gesagt: Das bedeutet, dass das Beschlossene unter einen Der macht dann aus volatilem Windstrom stabile Leis- Korrekturvorbehalt gestellt wird. – Und darüber werden tungen, und der macht dann auch, dass in der Nacht die 13442 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Steffen Kotré (A) Sonne scheint. Das ist aber eben nur Harry Potter, und die Steffen Kotré (AfD): (C) Realität sieht anders aus. Nein, wir brauchen keinen religiösen Eifer; wir brau- chen keine Politalchemisten. Was wir brauchen, sind (Beifall bei der AfD) Ingenieure und Techniker. Was wir brauchen, ist Kohle. Wenn wir den Wendehals Ministerpräsident Söder be- Was wir brauchen, ist eine gesicherte Energieversorgung. trachten, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wa- (Beifall bei der AfD) rum der Beruf des Politikers bei den Menschen hier nicht so angesehen ist; schließlich hat er so schnell seine Über- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zeugung über Bord geworfen. Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der (Beifall bei der AfD) Kollege Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion. Aber das nur am Rande. (Beifall bei der SPD)

Ich komme zurück zum Thema. Stand 2022 geht bei Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): uns das Licht aus. Die Übertragungsnetzbetreiber haben Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ganz klar aufgezeigt: 2022 fehlen uns 5,5 Gigawatt an ge- Kollegen! „Regelungen zum Klimaschutz ins Grundge- sicherter Leistung. Mit anderen Worten: Spätestens 2022 setz“ – leere Worte der grünen Kolleginnen und Kol- haben wir unsere gesicherte Stromversorgung geschred- legen. Der Klimaschutz ist bereits überall: in unserem dert. Mittlerweile gibt es Verbände, auch der energiein- gesellschaftlichen, in unserem politischen Handeln, in tensiven Industrie, die das bestätigen. So sagen etwa die der Verfassung sowieso und in der Lebenswirklichkeit bayerischen Chemieverbände ganz klar: Aufgrund der der Menschen erst recht. Im Ruhrgebiet bezeugen dies Energiewende und der hohen Strompreise gibt es schon unsere stillgelegten Zechentürme – Denkmäler unseres seit 2000 eine Deindustrialisierung in Deutschland. – Die Wohlstands. Der letzte Brocken deutscher Steinkohle Investitionen sind geringer als die Abschreibungen in die in Bottrop war ein Moment, der alle Anwesenden um entsprechenden Anlagen. Natürlich investieren die Un- Fassung ringen ließ. Dennoch: Wir stehen zum Kohle- ternehmen, aber nicht mehr in Deutschland, sondern im ausstieg. Wir haben nämlich nicht herumgesessen und Ausland, und das ist ganz schlecht für unseren Standort an einer Grundgesetzänderung herumgebastelt. Wir ha- Deutschland. ben dafür gesorgt, dass Rahmenbedingungen geschaffen (Beifall bei der AfD) werden, um den Kindern und den Enkeln der Kumpel vernünftige Arbeitsplätze bieten zu können, weil wir als Sozialdemokraten weiter für Strukturhilfen in diesem (B) Wenn Wacker Chemie aufgrund der Energiewende (D) überlegt, seinen Produktionsstandort in den USA auszu- Land streiten. bauen und die Produktion vollständig dorthin zu verla- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gern, dann zeigt das: Ein Unternehmen kann die Energie- wende nicht deutlicher kritisieren. Selbst Gewerkschafter Dennoch: Die Belegschaften der Stahlindustrie – Sie melden sich zu Wort. Ein Bezirksleiter der IG Metall haben den Stahl gerade selber angesprochen – haben die NRW hat schon gesagt: Im Falle des Ausfalls von An- besten und zukunftsfähigsten Industriewerke Europas lagen einer Aluminiumhütte werden diese Anlagen nicht geschaffen. Sie haben Abfallprodukte verstromt. Sie ha- mehr in Deutschland gebaut. ben den so gewonnenen Strom auch noch zusätzlich zur Wärmegewinnung genutzt, angereizt durch die Politik, (Klaus Mindrup [SPD]: Die Gewerkschafter angereizt durch ein Erneuerbare-Energien-Gesetz und stehen morgen auf der Straße und demonstrie- auch durch knallharte sozialdemokratische Energiepoli- ren für die Energiewende, Herr Kollege!) tik. Deutlicher kann man die Versorgungsunsicherheit hier in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland nicht kennzeichnen. Das Grundgesetz mit Artikel 20a enthält im Übrigen Vielleicht noch ein Aspekt zu dem Irrsinn der ganzen bereits eine solche Norm zum Klimaschutz. Sachverstän- dige haben in der Anhörung Ihrem Gesetzentwurf, liebe Sache. Zum Beispiel ist der CO2-Fußabdruck von Flüs- siggas aus Katar größer als der der Braunkohle. Darüber Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ein demo- redet aber kein Mensch. Der Fußabdruck des Flüssigga- kratietheoretisches Problem bei der Abwägung mit Ver- ses aus den USA beträgt 80 Prozent des Fußabdrucks der fassungsgrundsätzen attestiert. Ich übersetze das mal für Braunkohle. Was nämlich immer wieder unter den Tisch Sie: Selbst der Gerechte wird ungerecht, wenn er selbst- gekehrt wird, ist die Versorgungskette, die nämlich eben- gerecht wird. – Immer noch ratlose Gesichter. Ich werde deutlicher: Wer erst den Hambacher Forst in Regierungs- falls einen CO2-Ausstoß hat; aber darüber redet hier kein Mensch. Daran kann man die ganze Ideologie des Kohle- verantwortung zur Abholzung freigibt, um sich dann ausstiegs ganz kurz beleuchten. scheinheilig-dreist an die Spitze der Bewegung dagegen zu setzen, der sollte zur Aufrichtigkeit ermahnt werden. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. privat Diesel fährt, dienstlich ein Hybridfahrzeug mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13443

Mahmut Özdemir (Duisburg) (A) entsprechender Technik bewegt, das sich kein Normal- Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): (C) verdiener leisten kann, dann sollte er wiederum an seine Bevor ich dann allerdings vom Präsidenten weiterhin Glaubwürdigkeit erinnert werden. Solche Dinge, so eine ermahnt werde, sage ich: Wer Verantwortung trägt, tut Politik und so eine Verfassung können sich diejenigen, das Mögliche. Wer keine Verantwortung tragen kann – – die den Biomarkt mit dem Porsche ansteuern, leisten, aber nicht der pendelnde Familienvater mit seinem Diesel, der (Beifall bei der SPD – Das Mikrofon wird gerade von der Automobilindustrie verladen worden ist. abgeschaltet) Für diejenigen haben wir Politik gemacht. Denjenigen haben wir den Klagerechtsbehelf an die Hand gegeben, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der ihnen den Kampf David gegen Goliath ermöglicht. Herr Kollege, ich habe Sie nicht nur ermahnt, sondern Ihnen gerade das Wort entzogen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner LINKE]: Sie haben gar nichts beim Diesel- spricht zu uns der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Frak- skandal gemacht!) tion. (Beifall bei der FDP) Sie fordern eine Grundgesetzregelung als Selbst- zweck. Das ist Unsinn. Ich erkläre es Ihnen anhand eines Dr. Lukas Köhler (FDP): Beispiels aus meinem Wahlkreis in Duisburg. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Damen und Herren! Der Finanzminister hat in dieser GRÜNEN]: Bevor Sie uns irgendwas zum Woche den Haushalt für 2020 vorgelegt. Als Serviceop- Klimaschutz erklären wollen, lesen Sie erst position, die heute schon an morgen denkt, wollen wir mal!) zeigen, wie wir in Zukunft ein Haushaltsrisiko über meh- rere Milliarden verhindern können. Das Beste daran ist, Weil Ihnen die Ansätze zur Förderung von Innovation dass wir gleichzeitig die wichtigste und beste Maßnahme und Forschung fehlen, erzähle ich Ihnen, dass wir in für den Klimaschutz umsetzen. Duisburg leichtesten Stahl für energieeffiziente Fahrzeu- Aber zunächst mal zum Problem. Die Klimapolitik in ge und Windräder bauen. Weil Ihnen die Ansätze zur För- Europa ist im Moment zweigeteilt. Es gibt auf der einen derung der Vielfalt umweltschonender Antriebe fehlen, Seite den Emissionshandel, kurz ETS, mit einem jährlich erzähle ich Ihnen, dass wir in Duisburg die Heimat der sinkenden Limit für CO2-Emissionen in der Industrie (B) Brennstoffzellentechnik sind. Wir haben die schnellsten und der Energiewirtschaft. Das funktioniert wunderbar. (D) und die besten Ladesäulen, die Vorzeigeladesäulen für Das Limit wird jedes Jahr eingehalten, die Emissionen E-Autos gebaut, und wir haben sogar im Duisburger Ha- sinken, wie die Politik das vorherbestimmt hat. Die Ziele fen Energieladesäulen bereitgestellt, damit die Schiffs- werden erreicht, und die Verursacher des CO2 müssen für motoren nicht permanent laufen. Das ist sozialdemokra- ihre Emissionen bezahlen. tische Umweltpolitik. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen der CDU/CSU) des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE Auf der anderen Seite haben wir den sogenannten GRÜNEN]) Non-ETS-Bereich. Das sind vor allem die Emissionen aus dem Verkehrssektor, der Landwirtschaft und dem Gebäudesektor. Für den Non-ETS-Bereich gibt es, wie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Name schon sagt, keinen Emissionshandel, also auch Herr Kollege, Sie müssen leider zum Schluss kom- kein CO2-Limit. Damit kann jeder CO2 ausstoßen, so- men. viel er will und ohne dass er dafür bezahlen muss. Ziele gibt es für die einzelnen Mitglieder der EU, zum Bei- spiel Deutschland. Die Non-ETS-Ziele sind zwar deut- Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): lich niedriger als die Emissionshandelsziele, sie werden Meine Redezeit ist zu Ende. aber auch nicht erreicht, und wenn ein Land seine Ziele nicht erreicht, muss es ein anderes Land suchen, das das (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE schafft und von diesem Emissionsberechtigungen kau- GRÜNEN]: Gott sei Dank!) fen. Es entsteht also eine Art zweiter Emissionshandel mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier nicht die Ich hätte Ihnen noch ganz viel über sozialen Wohnungs- Verursacher zur Kasse gebeten werden, sondern die Steu- bau erzählen können und darüber, dass wir es sind, die erzahlerinnen und Steuerzahler. für die Menschen bezahlbaren Wohnraum, klimafreund- Das ist aus zwei Gründen problematisch: Auf der ei- lichen Wohnraum schaffen. nen Seite schafft es keine Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien, keine Anreize für Fort- schritt. Es fehlt der Kostendruck. Auf der anderen Sei- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: te ist es auch noch total ungerecht; denn jeder Mensch, Herr Kollege Özdemir, bitte. der sich bewusst klimafreundlich verhalten möchte, wird 13444 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Lukas Köhler (A) hier genauso zur Kasse gebeten wie jeder, dem das völlig Vizepräsidentin Petra Pau: (C) egal ist. Ich glaube, dass das genau der falsche Weg ist. Das Wort hat der Kollege Lorenz Gösta Beutin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Wie teuer das für Deutschland wird, kann im Moment niemand so genau sagen. Das Öko-Institut hat ausgerech- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): net, dass wir bis 2030 voraussichtlich 30 Milliarden Euro Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zahlen müssen. Agora Energiewende hat ausgerechnet, Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Bundes- tagsfraktion Die Linke bringt heute den Antrag ein, den (Klaus Mindrup [SPD]: Die haben das vom Klimanotstand in Deutschland anzuerkennen und gleich- Öko-Institut ausrechnen lassen!) zeitig endlich ein Klimaschutzgesetz vorzulegen, das ge- dass wir ein Haushaltsrisiko von bis zu 60 Milliarden eignet ist, den Beitrag Deutschlands an der Erfüllung des Euro haben. 60 Milliarden Euro, meine Damen und Her- Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Genau das ist es, ren! Das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen. was wir jetzt brauchen. Das ist viel Geld für sehr wenig Klimaschutz. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, das klingt blöd. Ist es Das ist nicht irgendwie illusorisch oder sonst irgend- auch! Während andere über Probleme reden, haben wir was. Vielmehr haben wir mittlerweile die Situation, dass als Freie Demokraten aber natürlich auch eine Lösung fast 700 Städte weltweit den Klimanotstand ausgerufen mitgebracht. haben. (Karsten Möring [CDU/CSU]: Das hilft auch (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE viel!) GRÜNEN]: Gut, dass wir euch haben!) Wir haben die Situation, dass Kanada, Großbritannien Einzelne EU-Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, und Irland den Klimanotstand ausgerufen haben. Gestern Emissionen aus dem Non-ETS-Bereich in den Emissi- ist Frankreich dazugekommen. Das sind doch keine Pil- onshandel einzuführen. Wir können also als Bundestag lepallestaaten. beschließen, dass in Deutschland auch die Hersteller von (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Kraft- und Heizstoffen am europäischen Emissionshan- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – del teilnehmen. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Was ist (B) (Beifall bei der FDP – Johann Saathoff denn das?) (D) [SPD]: Jaja! Das löst alles!) Gerade in diesem Augenblick umzingelt Fridays for Future den Deutschen Bundestag. Die jungen Leute sa- Das bewirkt dann Folgendes: In dem Maß, in dem das gen uns: Wir mahnen euch. Wir mahnen euch seit dem Volumen des Emissionshandels größer wird, sinken un- November des letzten Jahres. Ihr müsst was tun. – Aber sere Verpflichtungen im Non-ETS-Bereich. Das ist im wir haben hier im Deutschen Bundestag nicht beschlos- EU-Recht ausdrücklich so vorgesehen. Damit sinken sen, was tatsächlich notwendig ist. Sie warten immer aber natürlich auch die Kosten für Bürgerinnen und Bür- noch auf die notwendigen Gesetze. Das müssen wir än- ger, und es zahlt derjenige, der CO2 verursacht, und nicht dern. mehr die Allgemeinheit. Das muss doch das Ziel sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der FDP) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, Union und Meine Damen und Herren, jetzt kommt noch das Bes- FDP, geben Sie sich einen Ruck. Stimmen Sie unserem te: Wir sparen nicht nur Geld, sondern wir sorgen auch Antrag zu, den Klimanotstand anzuerkennen. Das ist gar dafür, dass endlich für alle Emissionen ein CO -Limit gilt 2 nicht so schwer. und damit auch das Ziel, 2050 klimaneutral zu werden, zielgerichtet erreicht werden kann. Das ist vernünftige, (Beifall bei der LINKEN – Dr. Lukas Köhler das ist zielgerichtete Klimapolitik und nichts anderes. [FDP]: Notstandsgesetze gab es schon mal!)

(Beifall bei der FDP) Ich will Ihnen das einmal vor Augen führen. Wir hatten in dieser Woche Karen Raymond von Fridays Im Ergebnis geben wir also sehr viel weniger Geld für for Future Indien hier zu Gast. Sie hat uns mit eigenen sehr viel mehr Klimaschutz aus. Das sollte nicht nur dem Worten berichtet, wie es in Indien aussieht: dass es über Finanzminister gefallen. Das sollte jedem in diesem Haus 1 000 Hitzetote gibt, dass es eine beispiellose Hitzewelle gefallen, der sich für vernünftigen Klimaschutz einsetzen gibt, dass die Menschen in Indien mittlerweile um Wasser will, meine Damen und Herren. Das muss der Weg sein. kämpfen. Dort gibt es in den Städten Kämpfe um Wasser. Das ist zumindest der Weg der Freien Demokraten. Stellen Sie sich das einmal vor. Wenn Sie das nicht be- rührt, denken Sie doch einmal darüber nach, dass das gar Herzlichen Dank. nicht so weit weg ist. Wir hatten im letzten Jahr in Berlin 500 Hitzetote, im Sommer 2018. Mittlerweile – ich weiß (Beifall bei der FDP) nicht, wer den Brandgeruch schon einmal gerochen hat – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13445

Lorenz Gösta Beutin (A) brennen die Wälder in Brandenburg wieder. Gestern gab Hier schließen wir uns Herrn Söder an. Herr Söder (C) es die Nachricht, dass die Wasservorräte in der Lausitz sagt es nicht, weil er klug ist, sondern weil er ein Oppor- noch für zwei Monate reichen. Das muss man sich mal tunist ist. auf der Zunge zergehen lassen: für zwei Monate, also bis September 2019, wenn es nicht mal ordentlich reg- (Beifall bei der LINKEN) net. Das ist deshalb eine problematische Situation, weil Herr Söder spürt die Klimabewegung im Rücken. Er auch wir, die Bürgerinnen und Bürger hier in Berlin, von spürt doch den Atem von Extinction Rebellion, von Fri- der Wasserversorgung in der Lausitz abhängig sind. Es days for Future oder von Ende Gelände, den wir in der geht um die Spree. Das heißt: Die Klimakrise und der letzten Woche erlebt haben. Das merkt er doch alles, des- Klimanotstand sind nicht irgendetwas, was weit weg ist, halb sagt er es. Deswegen sagen wir: Der Kohleausstieg sondern das ist etwas, was uns direkt vor Ort betrifft. 2038 ist viel zu spät. Deswegen müssen wir jetzt handeln. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle wer- den wir uns enthalten. Wir zweifeln nicht daran, dass ihr Es zeichnet sich ja ab, dass es da gar keine Entspan- wirklich Klimaschutz machen wollt, nur zu diesem ei- nung geben wird. Dieser Sommer ist nur ein Vorge- nen Punkt werden wir uns enthalten, weil wir sagen: Wir schmack auf das, was uns auch hier in Deutschland in der verstehen das taktische Moment, die Bundesregierung an Landwirtschaft, in der Handelspolitik, im Gesundheits- dieser Stelle vorzuführen. Wir sagen aber, weil wir bei wesen erreichen wird. Alle Voraussagen der Klimawis- der Kohlekommission nicht eingebunden waren, weil wir senschaftler werden nicht nur erfüllt, sondern sie werden die Ergebnisse nicht weit genug finden: Wir werden als übererfüllt. Es kommt tatsächlich schlimmer beim Mee- Opposition sagen, was notwendig ist, und fordern, was resspiegelanstieg, bei der Erderwärmung oder beim Ab- notwendig ist. schmelzen des Eises, als wir uns das vorstellen können. Das heißt, wir haben wenig Zeit zum Handeln. Was tut (Beifall bei der LINKEN) in dieser Situation die deutsche Bundesregierung? Sie Das ist aus unserer Sicht in diesem Punkt die Anerken- bekommt den Kohleausstieg nicht richtig auf die Kette. nung des Klimanotstands. Wir sagen: Wir müssen end- Sie bekommt die Verkehrswende überhaupt nicht auf die lich den Mut aufbringen, uns mit den Profiteuren dieser Kette. Und die Energiewende, wie sieht es da aus? Wir Klimakrise anzulegen. Wir Linke sagen: Wir wollen die haben tatsächlich Probleme beim Zubau der Windener- Menschen und das Klima retten, nicht die Aktienkurse gieanlagen, beim Zubau im Bereich der erneuerbaren und nicht den Kapitalismus. (B) Energien. Das müsste doch eigentlich kommen, wenn (D) wir tatsächlich die Energiewende machen wollen, wenn Vielen Dank. wir Klimaschutz machen wollen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Dann wird uns immer wieder erzählt: Ja, ihr habt ja Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege gute Vorschläge, aber die Union hat doch Wirtschafts- Dr. Andreas Lenz das Wort. kompetenz. – Entspricht es denn Wirtschaftskompetenz, eine Situation zu haben, in der wir in der Solarbranche (Beifall bei der CDU/CSU) 80 000 Arbeitsplätze verloren haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir in der wir in der Windenergiebranche weiterhin Arbeits- sprechen über eine Vielzahl von Anträgen: Anträge zur plätze verlieren? Warum gehen denn die Kolleginnen Kohle, zur Energiewende allgemein. Der Klimaschutz und Kollegen der IG Metall morgen auf die Straße? Sie insgesamt ist Thema, aber auch der Klimanotstand soll gehen morgen deshalb auf die Straße, weil ihre Arbeits- beantragt werden, und sogar das Grundgesetz soll heute plätze beispielsweise in der Automobilindustrie und in geändert werden. den Zulieferbetrieben bedroht sind. Zunächst einmal möchte ich betonen, dass wir beim (Karsten Hilse [AfD]: Wegen euch Deppen!) Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommen. Über In den nächsten zehn Jahren sind Hunderttausende Ar- 40 Prozent der Nettostromerzeugung erfolgt mittlerwei- beitsplätze bedroht, weil diese Bundesregierung keine le durch die Erneuerbaren. Im ersten Halbjahr 2019 lag gute Klimapolitik macht, der Anteil des Stroms aus Sonne, Wind, Biomasse und anderen regenerativen Quellen sogar bei 44 Prozent des (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Strombedarfs. Und wir haben die Erneuerbaren wett- NIS 90/DIE GRÜNEN) bewerbsfähig gemacht: durch Wettbewerb, durch Aus- schreibungen. Das waren wir, und es waren eben nicht weil sie keine gute Industriepolitik macht und weil sie Sie. keine gute Wirtschaftspolitik macht. Deshalb müssen wir jetzt handeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 13446 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Andreas Lenz (A) Ebenso gilt es, zu betonen, dass der Ausstoß von Treib- scharf zu stellen, damit es funktioniert, auch im Sinne der (C) hausgasemissionen allein im letzten Jahr um 4,5 Prozent Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Da brauchen Sie zurückging – und das bei steigender Wirtschaftsleistung. sich wirklich keine Gedanken zu machen. Das schaffen Das sind alles Erfolge, meine sehr geehrten Damen und wir in der Koalition auch alleine. Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜND- Vizepräsidentin Petra Pau: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Ihre Ant- Kollege Lenz, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- wort?) kung des Kollegen Trittin? Dass wir aber auf dem Weg zu einer vollständigen De- karbonisierung unserer Gesellschaft, einer vollständigen Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Klimaneutralität, wie immer man das auch nennen will, Ja. noch erhebliche Anstrengungen leisten müssen, ist auch unstrittig. Was aber auch richtig ist: Diese Anstrengun- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen sollten möglichst global, wenn das nicht möglich ist, dann auf europäischer Ebene unternommen werden. Herr Kollege Lenz, Sie haben ja die Zahl zitiert: Jetzt gibt es nicht das eine Instrument, das die Lösung 44 Prozent Strom aus Erneuerbaren. Ohne Zweifel ist ist. Ich habe mit Interesse die Vorschläge der Grünen, die das ein großer Erfolg. Ich erinnere mich auch noch ganz heute in der Presse standen, gelesen. Wenn Sie glauben, gut daran, wer für dieses Gesetz, das die Grundlage dafür dass Sie mit einer Bepreisung von 40 Euro pro Tonne war, gestimmt hat und wer nicht. CO2 das Problem lösen werden, dann liegen Sie einfach Ich wollte Sie in diesem Zusammenhang aber eigent- falsch. Das ist unter Umständen für die Industrie zu viel. lich etwas anderes fragen. Ist Ihnen bekannt – diese Zah- Das ist unter Umständen ein Preis, der bei der Mobilität len wurden immerhin vom VDEW genannt –, was der überhaupt keine Lenkungswirkung entfalten wird. Ihre Geschäftsführer vom VDEW bei der Vorstellung gesagt Vorschläge führen uns nicht weiter. hat? (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Bundesverband Es ist im Gegenteil so, dass wir viele Instrumente der Energie- und Wasserwirtschaft! – Karsten brauchen. Wir müssen unterschiedliche Technologien Hilse [AfD]: Er kennt nicht mal den Namen anreizen. Wir müssen mit Blick auf eine weitere Ein- des Verbandes!) sparung von Energie Energieeffizienzen steigern und so (B) Herr Kapferer – ich glaube, er ist Mitglied der FDP –, den Ausstoß von CO2 weiter reduzieren. Wir wollen hier (D) ein guter Mann, hat ausdrücklich betont, dass, wenn das möglichst viele Innovationen, wir wollen möglichst we- Ausbautempo der Bundesregierung, was die erneuerba- nige zusätzliche Belastungen, wir wollen nicht Lust am ren Energien angeht, so bleibt, wir im Jahre 2030 nicht Gängeln und an Verboten, sondern wir wollen Lust an bei den anvisierten 65 Prozent landen, sondern lediglich Zukunft und Innovation. bei 54 Prozent. Er hat die Bundesregierung ausdrücklich Wir brauchen eine Abgaben- und Gebührenreform. aufgefordert, die Ausbaubremsen bei den erneuerbaren Diese muss stärker auf CO -Gesichtspunkten basieren Energien endlich zu lockern und dafür zu sorgen, dass 2 und auch sektorübergreifend erfolgen. Wir müssen und die eigenen Ziele an dieser Stelle eingehalten werden. wir werden die Erneuerbaren noch stärker in die Bereiche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wärme und Mobilität bringen. Wir müssen das Richtige Karsten Hilse [AfD]: Reine Lobbyinteressen auch richtig machen, damit es nicht zu sozialen Verwer- sind das!) fungen kommt. Es bringt uns nichts – auch dem Klima, auch dem globalen Klima überhaupt nichts –, wenn wir Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): durch falsche Reformen in Deutschland unsere Industri- en abschaffen, wenn wir den Stahl aus China importie- Lieber Herr Trittin, zunächst einmal: Wenn man sich ren und damit ein Drittel mehr CO2 ausgestoßen wird, die Genese des EEG anschaut, dann, glaube ich, war es wenn wir die Landwirtschaft abschaffen und gleichzeitig nicht so falsch, an Ihren Vorschlägen damals zu zweifeln. individuelle Mobilität einschränken und es so zu sozialen Wenn ich mir noch vor Augen halte, dass Sie es waren, Verwerfungen kommt. Das hilft insgesamt nicht weiter. der sagte: Es kostet jeden Bürger circa ein Eis. – Das ist in der Form nicht eingetreten. Deswegen ist es notwen- (Beifall bei der CDU/CSU – Lorenz Gösta dig, das EEG entsprechend zu erneuern. Beutin [DIE LINKE]: Wer will denn die Land- wirtschaft abschaffen?) Zum zweiten Punkt. Es ist nicht der VDEW, sondern der BDEW, dessen Vorsitzender der Herr Kapferer ist. – Genügend Leute im Parlament wollen das. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Dass wir fähig sind, das Ziel zu erreichen, haben wir AfD) mit dem EDL gezeigt, mit dem Energiedienstleistungsge- setz, zusammen in der Koalition. Wir setzen auf Energie- Es ist klar, dass wir die Ziele des Koalitionsvertrages, effizienz, wir setzen auf KWK. Wir werden beim Mieter- nämlich bis 2030 65 Prozent des Strombedarfs durch Er- strom etwas machen. neuerbare zu decken, umsetzen werden. Wir sind gerade dabei, jetzt auch die entsprechenden Jahresscheiben so (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13447

Dr. Andreas Lenz (A) Für Power-to‑X haben wir den Rahmen gesetzt, damit es Deine Möhren sind nicht wichtiger als unser Klima. (C) tragfähig und in die Zukunft gerichtet ist. Wir haben die Sorry. Schwarzlauge wieder ins Geschäft gebracht. Also: Die Koalition arbeitet auch an Lösungen, und wir erzielen (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Das auch Lösungen. waren keine Möhrenfelder!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das war die abgehobene Antwort des Abgeordneten NEN]: Schwarzlauge! Dann ist die Welt ja Kössler der grünen Umweltzerstörungspartei im Abge- gerettet!) ordnetenhaus Berlin in einem Chat, als sich ein Bauer zu Recht darüber beschwerte, dass Ökoterroristen seine Wir werden im Rahmen des Kohleausstiegs die Ver- Möhren zertrampelten. sorgungssicherheit ganz besonders im Blick behalten. Natürlich brauchen wir hier als Ersatz Gaskraftwerke; (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Er hat das ist überhaupt keine Frage. Dass der bayerische Mi- gelogen!) nisterpräsident Söder auch bei Ihnen von SPD und AfD so ernst genommen wird, entspricht natürlich auch dem Sein Klima schützt Herr Kössler übrigens intensiv, indem Selbstverständnis Bayerns und ist unser Anspruch. er dazu, ähnlich wie Frau Neubauer von „No Education Friday“ durch die ganze Welt reist und somit ein Vielfa- (Karsten Hilse [AfD]: Herrn Söder können ches dessen, was andere Menschen an CO verbrauchen, wir nicht ernst nehmen! – Zuruf der Abg. Lisa 2 verbraucht, obwohl CO2 nach Ansicht der schon länger Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) hier Herumsitzenden quasi Teufelszeug ist. Das, was die- – Seien Sie doch froh, dass es Optimisten gibt, gerade bei ser grüne Heuchler da absondert, den Aufgaben, die uns bevorstehen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zurufe (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Also wollen Sie vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) jetzt doch bis 2030 aussteigen, oder was?) entspricht genau der eigenen moralischen Überhöhung, Die Eckpunkte des Strukturstärkungsgesetzes liegen die Sozialisten und Kommunisten, wie wir sie in der grü- vor. Noch in diesem Jahr werden wir den energiewirt- nen Umweltzerstörungspartei finden, seit Jahrzehnten schaftlichen Pfad beschreiben. Es wird eben nicht in wie eine Monstranz vor sich hertragen. einer Lotterie ermittelt, welches Kraftwerk zuerst vom Netz geht. Wir haben immer versprochen, dass wir uns (Beifall bei der AfD) zuerst um die Menschen kümmern, durch ein Struktur- Getrieben von dieser grünen Klimasekte fordern alle (B) stärkungsgesetz. Wir lassen die Menschen nicht allein. (D) Wir schaffen Perspektiven. Wir wollen aktivieren und Altparteien den schnellen Kohleausstieg und damit, einen nicht langfristig alimentieren. wichtigen Schritt zur Dekarbonisierung, eigentlich De- industrialisierung, Deutschlands zu machen. Sie nehmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dafür billigend in Kauf, dass dadurch Zigtausend wert- Unsere Antwort ist also ein Konzept für eine nachhal- schöpfende Arbeitsplätze vernichtet, unsere Umwelt und tige Entwicklung. Wir wollen den Klimaschutz genauso Lebensräume für Wildtiere zerstört und Menschen mas- wie die Agenda 2030, die globalen Nachhaltigkeitsziele, siv in ihrer Lebensqualität eingeschränkt werden. Und umsetzen, und zwar in Deutschland – natürlich haben warum? Weil es wieder einmal falschen Weltuntergangs- wir eine Verantwortung –, aber auch international durch propheten gelungen ist, unter Mithilfe links-grün ver- internationale partnerschaftliche Hilfe. Deutschland ist drehter Leitmedien die Menschen in unserem Land in Pa- keine Insel. Wir brauchen Konzepte, die übertragbar sind nik zu versetzen, ihnen jeden Tag einzureden, dass sie für und auch übertragen werden. Wir wollen natürlich auch den kommenden Weltuntergang verantwortlich seien und unserer globalen Verantwortung gerecht werden; denn deshalb jubelnd den modernen Ablass, also EEG-Umla- da ist der Hebel oft viel größer. Wir brauchen außerdem ge und zukünftig auch eine Steuer auf die Atemluft, be- Lust auf Zukunft, wir brauchen Lust auf Innovation und zahlen dürfen. Die Kohlekumpel, die Beschäftigten in Technik. Nur so können wir die immensen Aufgaben der der chemischen, der Auto- und der Schwerindustrie sol- Zukunft lösen. len zudem ihrem zukünftigen Arbeitsplatzverlust freudig entgegensehen: Ihr bekommt bald Hartz IV, aber hey, ihr In dem Sinne herzlichen Dank. rettet die Welt; ihr habt zwar die Erderwärmung nur um 0,000653 Grad Celsius verringert, aber genau die haben (Beifall bei der CDU/CSU) die Welt gerettet.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Marianne Schieder [SPD]: Wollen Sie noch Für die AfD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Karsten mehr Unsinn erzählen?) Hilse das Wort. Das bringt ja dann verarmten Familien zumindest ein gu- (Beifall bei der AfD) tes Gefühl. (Beifall bei der AfD) Karsten Hilse (AfD): Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bewiesen wird dieser nahende Weltuntergang in schö- Landsleute! Ich beginne mit einem Zitat: ner Regelmäßigkeit, auch heute, mit warmen Sommern. 13448 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Karsten Hilse (A) Davon gab es in den letzten 1 500 Jahren, gut dokumen- nach Ihrer Rechnung auf eine Erderwärmung von plus (C) tiert, Dutzende. 5 Grad Celsius kommen, und das wäre verheerend. Wenn Sie Ihre eigenen Zahlen mal ernst nehmen würden, müss- (Marianne Schieder [SPD]: Da können Sie te bei Ihnen der Angstschweiß ausbrechen. sich dran erinnern, oder?) Wir hatten einen besonders warmen Tag, weil die Luft- Sie kommen aus Sachsen. Sie kennen vielleicht den strömung warme Luft aus Zentralafrika zu uns brachte. Dürremonitor des UfZ. Dort können Sie sich angucken, Gleichzeitig hatten wir aber einen ungewöhnlich kalten was gerade stattfindet: Die heißesten drei Jahre seit Auf- Mai. In Toronto hat es zum Sommerbeginn geschneit. zeichnungsbeginn waren die letzten drei Jahre. Die hei- ßesten zehn Jahre seit Wetteraufzeichnungsbeginn lagen (Ulli Nissen [SPD]: Die Erde ist eine Scheibe! alle nach 2000. Wenn Sie das ignorieren, dann kann man Genau! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das nur sagen: Sie verhalten sich wie ein Vogel Strauß, Kopf zeigt doch den Klimawandel!) in den Sand, und hoffen, dass alles gut geht. Das macht deutlich, was der sogenannte Weltklimarat, (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem den die Weltuntergangspropheten gern zitieren, selbst BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ganz klar sagt. Er sagt:

In der Klimaforschung und -modellierung müssen Karsten Hilse (AfD): wir erkennen, dass wir es mit einem gekoppelten nichtlinearen chaotischen System zu tun haben, und Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Erst einmal eine dass daher eine langfristige Vorhersage zukünftiger Klarstellung: Wir ignorieren natürlich nicht, dass sich Klimazustände nicht möglich ist. das Klima verändert. (Beifall bei der AfD) (Zurufe von der SPD: Ah!) Lesen Sie den IPCC-Bericht. Es gibt also weder eine wis- Das wissen wir genauso gut wie Sie. Das haben wir nie senschaftliche Grundlage für den Kohleausstieg, noch gesagt. Wir haben einfach nur gesagt, dass der Mensch bewirkt er irgendetwas, außer man glaubt daran, dass der mit seinen CO2-Emissionen das Klima aus unserer Sicht Mensch mit seinen CO2-Emissionen Klimaschwankun- und aus Sicht vieler unabhängiger Wissenschaftler gen maßgeblich beeinflusst. (Ulli Nissen [SPD]: „Unabhängig“, ja klar!) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das sagen 99 Prozent der Wissenschaftler! – Zuruf der nicht maßgeblich beeinflusst. (B) Abg. Ulli Nissen [SPD] – Weitere Zurufe von (D) der SPD) Die Zahl haben wir natürlich genau errechnet mit dem Equilibrium-Climate-Sensitivity-Wert des IPCC und un- Dann bringt es 0,000284 Grad Celsius weniger Erder- ter den schlimmsten Annahmen. Wir haben auch berech- wärmung. – Schreien Sie doch nicht so hier! Haben Sie net – sehr viele Wissenschaftler sind sich nicht darüber keine Manieren, oder was? Manometer! einig –, wie viel von dem emittierten CO2 überhaupt in (Beifall bei der AfD – Lachen beim BÜND- der Atmosphäre verbleibt; die Annahmen gehen von 12 NIS 90/DIE GRÜNEN – Sylvia Kotting-Uhl bis 50 Prozent. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schreien doch rum!) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Dr. Köhler gelernt!) Den Verlust von circa 25 000 Arbeitsplätzen – – Wir haben auch den schlechtesten Equilibrium-Clima- (Glocke der Präsidentin) te-Sensitivity-Wert von 3,2 genommen, obwohl das IPCC selber weiß, dass dieser Wert total überhöht ist. Wir Vizepräsidentin Petra Pau: haben also die schlechtesten Annahmen genommen, und Herr Hilse, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung dann kommt dieser aberwitzig geringe Wert heraus. des Abgeordneten Lenkert? Außerdem ist es natürlich so: Wenn Sie innerhalb ei- nes Jahres Deutschland komplett dekarbonisieren, also Karsten Hilse (AfD): alle Anlagen stilllegen, dann werden diese Anlagen na- Aber natürlich. Aber na klar, immer beantworte ich türlich nie wieder CO2 emittieren. Deswegen stimmt die- eine Zwischenfrage. ser Wert einfach. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Ralph Lenkert (DIE LINKE): GRÜNEN]: Wow! Das ist ja noch besser als Herr Hilse, Sie verkünden ja jetzt seit Jahren diese Dr. Köhler!) Zahl. Die Zahl ist in einem Punkt richtig. Das ist näm- lich der Anteil, den Deutschland in einem Jahr an der Herr Rahmstorf, eine Ihrer Leuchtfiguren, hat diesen Erwärmung hat, nur Deutschland. Wenn also alle sich Wert selber bestätigt, indem er ihn einfach mal 80 ge- wie Deutschland verhalten würden, müssten Sie die Jah- nommen hat. Er hat gesagt: Wenn wir bis 2100 nichts resmenge in etwa mit 100 multiplizieren. Wenn man das tun – wenn man davon ausgeht, dass die Hypothese Ganze auf 100 Jahre hochrechnete, würde man selbst stimmt –, dann erwärmen wir mit unseren CO2-Emissi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13449

Karsten Hilse (A) onen die Erde um 0,05 Grad. Das Problem ist natürlich, Woche ein deutliches Bekenntnis dafür hinbekommen (C) dass uns niemand anders folgt. haben. Der Minister hat sich schriftlich dazu erklärt, dass wir Mieterstrom, den Quartiersansatz und eine höhere (Beifall bei der AfD – Johann Saathoff Vergütung bekommen. [SPD]: Junge! Junge!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Wir thematisieren in unserem Antrag unter anderem, Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie dass der Kohleausstieg unter anderem Energiearmut und tief seid ihr eigentlich gesunken?) Versorgungsunsicherheit bringt. Deswegen fordert die AfD in ihrem Antrag völlig technikoffen die Aussetzung Und wir haben einen Antrag zur Wiedereinführung der des Kohleausstiegs so lange, bis wenigstens 40 Gigawatt sogenannten Länderöffnungsklausel seitens der FDP; der an gesicherter Leistung zur Verfügung stehen. Markt wird es dann schon regeln. Es ist schon spannend, Zum Schluss ein Zitat von Herrn Rahmstorf – ich zi- was heute, an einem Friday – im Sinne von Fridays for tiere –: Future – hier im Hohen Haus behandelt wird. Man muss wissen: Dieser Antrag bedeutet eine massive Begrenzung Wir verlieren die Kontrolle über das Klimasystem. der Windenergie. Das ist energiepolitisch falsch, indus- triepolitisch falsch und auch marktwirtschaftlich falsch. Zitat Ende. Hat jemand, der glaubt, das Klimasystem mit all seinen Komponenten – Atmosphäre, Bewölkungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- grad, Meeresströmung, Sonnenaktivitäten, kosmische KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Strahlung, Erdbahnparameter und viele andere noch zu NEN) erforschende Wirkfaktoren – kontrollieren zu können, vielleicht die Kontrolle über sein eigenes Leben verlo- Jemand aus der FDP darf mir vielleicht einmal erklären, ren? warum es aus Ihrer Sicht richtig und wichtig ist, dass es in Hessen einen anderen Abstand gibt als in Bayern oder (Beifall bei der AfD) in Niedersachsen. Ich kann nicht erkennen, warum die Die CDU-Genossen kann ich nur auffordern, sich von Menschen dort näher oder weiter weg von Windenergie- solchen Menschen, die scheinbar die Kontrolle verloren anlagen wohnen müssen. haben, nicht kontrollieren oder beeinflussen zu lassen. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Weil die Menschen Sie werden sonst irgendwann, wie ich es schon erwähnt eingebunden werden müssen! Sie müssen die habe, die Kofferträger der Grünen werden. Menschen vor Ort mitnehmen! Das nennt man Vielen Dank. Subsidiarität! Dafür ist die SPD doch auch!) (B) (Beifall bei der AfD) Die Vielzahl und die Bandbreite der Anträge zeigen, (D) was für ein umfassendes Thema die Umsetzung der Kli- maziele ist. Eines ist klar: Eine Maßnahme allein wird Vizepräsidentin Petra Pau: niemals ausreichen, wir brauchen einen breiten Mix an Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die Maßnahmen, an Instrumenten, in allen Sektoren; die SPD-Fraktion. Sektoren Gebäude, Mobilität, Industrie, Landwirtschaft (Beifall bei der SPD) und Energiewirtschaft brauchen endlich konkrete Ziele, um die Erreichung der Klimaziele tatsächlich planen zu können. Genau deshalb hat die SPD das Klimakabinett Johann Saathoff (SPD): initiiert, das im Sommer wieder tagen wird. Dort, im Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Klimakabinett, sollen die Maßnahmen zusammengeführt und Kollegen! Dree Saken bruukt man to allen, wat man werden, die wir brauchen. deiht: Kracht, Künn und Will! Man braucht also Kraft, Verstand und Wille zur Umsetzung. Aktuell überschlagen sich ja gerade viele mit ihren Vorschlägen zum Klimaschutz. Für die SPD-Fraktion (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des kann ich sagen: Ja, wir wollen und wir brauchen eine Be- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) preisung von CO2; das steht außer Frage. Bei dem einen fehlt es eben an Verstand, bei dem anderen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des an Willen und bei dem anderen an Kraft. Das gilt natür- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lich auch für die Klimapolitik. Irritiert war ich dann allerdings von dem aktuellen Vor- Dieser Top 29 besteht aus elf Unterpunkten, einige stoß des bayerischen Ministerpräsidenten, der heute ja sind mehr getrieben vom Willen als vom Verstand. Es schon ausreichend Erwähnung gefunden hat. Er schlägt gibt elf verschiedene Unterpunkte zum Kohleausstieg. den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 vor. Ei- Der eine sagt: Er muss schneller durchgeführt werden. – nige sprechen dabei sogar von einem Söder-Signal. Ab- Ich kann die Ungeduld an der Stelle durchaus verstehen; gesehen davon, wie die Unionskollegen dazu stehen und aber das ist eben auch eine Frage der Gründlichkeit, die sich dazu verhalten werden – ich würde da aus meiner an den Tag gelegt werden muss. Die anderen sagen: Er eigenen Erfahrung jetzt nicht weiter berichten wollen –: muss gar nicht durchgeführt werden. – Wir haben einen Ein Bundesland ohne Braunkohle kann natürlich leicht Antrag zur Beschleunigung des Ausbaus der Solarener- den Ausstieg fordern. gie im Bereich Mieterstrom, was wir als SPD-Fraktion sehr begrüßen. Wir sind froh darüber, dass wir in dieser (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 13450 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Johann Saathoff (A) Das ist nicht konstruktiv und schon gar kein Signal. Meine Damen und Herren, deshalb ist jeder Zubau al- (C) Schön wäre es, wenn die Regierung in Bayern die Not- ternativer, also wetterabhängiger Energien, immer davon wendigkeit des Kampfes gegen die Erdüberhitzung end- abhängig: Wie haben wir Leitungen, wie haben wir Spei- lich einmal erkennt und nicht selber im Weg steht beim cher? Alles das, was nicht transportiert wird, was nicht Netzausbau – wie wir es jahrelang erlebt haben –, gespeichert werden kann, erhöht die Kosten. Wir sagen aus diesem Grund: Innovationsausschreibungen, die Öff- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nung des Spektrums umweltfreundlicher Technologien, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das ist ein Weg, den wir an der Stelle brauchen, um tat- nicht im Weg steht beim Ausbau der erneuerbaren Ener- sächlich klarzukommen. gien, insbesondere bei der Windenergie. Herr Söder, wenn Sie sich Gedanken um Ihr Image machen: Helfen Jetzt noch einmal etwas zur Problematik der Versor- Sie mit, die Probleme zu lösen, statt selbst eines zu sein! gungssicherheit und der Bezahlbarkeit. Es werden immer irgendwelche Mengen dargestellt, soundsoviel Prozent (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Windenergie usw. Das mag ja alles richtig sein, mathe- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) matisch; aber was uns fehlt, ist die Rundumversorgung, 8 760 Stunden. Und wenn die Sonne nicht scheint und Wenn Sie für Ihr Ego unbedingt ein Signal brauchen, der Wind nicht weht, dann haben wir eben keine vola- dann schenke ich Ihnen eines aus Ostfriesland: Die Ab- tile Energie. Ich glaube schon, dass dieser Aspekt ganz schaffung der windenergieverhindernden Abstandsregeln wichtig ist. in Bayern, das wäre ein echtes Söder-Signal. Der versprochene Bericht der Bundesregierung zur Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Versorgungssicherheit – ich hatte das im Ausschuss an- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gemahnt – ist längst überfällig, liegt immer noch nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vor. Es ist gesagt worden, dass er in circa 14 Tagen vor- liegen wird. Ich bin gespannt, was in diesem Bericht ste- hen wird. Machen wir es doch mal ernsthaft: Wir können Vizepräsidentin Petra Pau: ja abschalten. Aber ich möchte wissen: Wie ist die Strom- Das Wort hat Dr. Martin Neumann für die FDP-Frak- versorgung, wie ist die Energieversorgung in Deutsch- tion. land gesichert? Das kann man über Stresstests klären; das kann man alles machen. Ich möchte wissen: „Gehen wir (Beifall bei der FDP) ein Risiko ein? Wie groß ist das Risiko?“, damit wir die Volkswirtschaft und auch unsere Verbraucher nicht ins (B) Dr. Martin Neumann (FDP): Leere führen. (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was uns hier vorgelegt wurde – also die (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Initiativen, die Gegenstand dieser Debatte sind –, liest Ein letzter Satz dazu. Wir brauchen eine stärkere Auf- sich wie eine Gebrauchsanweisung, wie Energiewende merksamkeit für die Menschen, die direkt und indirekt eben nicht funktioniert. betroffen sind, um damit natürlich auch Akzeptanz zu er- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) reichen. Ich empfehle Ihnen daher dringend die Lektüre unseres aktuellen Antrags „Kohleausstieg mit Verantwor- Die CO2-Emmissionen steigen bzw. bleiben konstant, tung und Weitsicht – Sicher, bezahlbar und europäisch“. obwohl sehr viel Geld ausgegeben wird: 180 Milliar- den Euro hat die Gesellschaft dafür bisher ausgegeben. Vielen Dank. Wenn wir in Europa Schweden und Frankreich als so- genannte Klimavorreiter bezeichnen, müssen wir uns, (Beifall bei der FDP) Deutschland, als Strompreisvorreiter bezeichnen. Das ist schlecht. Warum? Weil wir für effektiven Klimaschutz

tatsächlich auch günstigen und preiswerten Strom brau- Vizepräsidentin Petra Pau: chen. Der Kollege Gerhard Zickenheiner ist seit Januar die- ses Jahres Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich er- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) teile ihm das Wort zu seiner ersten Rede hier im Hohen Ich komme noch einmal zurück auf den – aus meiner Hause. Sicht – Kardinalfehler dieser Energiewende. Wenn man Energiewende nicht als Gesamtprozess versteht und ma- (Beifall) nagt, dann bekommt man das Chaos, das wir jetzt haben. Wir haben beispielsweise Daten festgelegt für den Aus- Gerhard Zickenheiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stieg aus der Kernenergie, für den Ausstieg aus der Kohle NEN): usw . Aber wo ist das Datum für die Fertigstellung von Leitungen, für die Fertigstellung oder Bereitstellung von Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Speichern? Das funktioniert in der Summe nicht. Kollegen! Es bleiben elf Jahre, um die Agenda 2030 um- zusetzen. Damit soll unser Leben ein ganzes Stück nach- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der haltiger werden, also fairer, ökologischer, sozialer und AfD) klimafreundlich. Sie auf der Regierungsbank haben sich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13451

Gerhard Zickenheiner (A) das im Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben: die Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): (C) Agenda 2030 als Maßstab des Regierungshandelns. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Na Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, ja, machen wir doch!) bevor ich auf einige Redner eingehe, noch einmal daran erinnern, dass es eine Kommission „Wachstum, Struktur- Klappt aber nicht. Bei fast der Hälfte der Kriterien ist die wandel und Beschäftigung“ gegeben hat. Diese Kommis- Umsetzung nicht zielführend; das ergab eine Auswertung sion hat ein Papier auf den Tisch gelegt, das von einem der bisherigen Ergebnisse. Das ist doch ein Armutszeug- breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Das nis! ist unsere Arbeitsgrundlage, und das lassen wir uns nicht zerstören, indem hier von dem einen oder anderen völ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lig neue Termine festgesetzt werden. Im Übrigen: Nach Aber Sie machen genauso weiter: ein unsäglicher vor- meiner Auffassung müsste das auch für den bayerischen letzter Platz innerhalb der EU bei der Umsetzung der Kli- Ministerpräsidenten gelten. maziele. Klimaschutzgesetz? Fehlanzeige! Kohlegesetz? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Fehlanzeige! Autogipfel? Wiederholt ohne Ergebnis. der SPD) Und der EU-Rechnungshof beschreibt Ihr EU-Agrar- programm als klimaschädlich, zielverfehlend und nicht Liebe Frau Vorsitzende des Umweltausschusses, Frau kosteneffizient. Kotting-Uhl, es gibt neben dem Klimaschutz noch viele (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: andere Facetten des Umweltschutzes, und eine Facette ist Hört! Hört!) das Thema Wasser. Das passt dann auch gleich zu dem, was der Kollege von den Linken gesagt hat: Sie haben Wir fordern in unserem Antrag zur Agenda 2030 ver- heute Ihr Klimasofortprogramm auf den Tisch gelegt. Ich bindliche Umsetzungspläne, einen Zeitplan, eine Wei- finde darin keinen einzigen Satz dazu, wie Sie die Was- terentwicklung der Maßnahmen der bisherigen Strategie serprobleme, die durch den vorzeitigen Ausstieg aus der und eine Klarstellung der Finanzierung der Umsetzung. Kohleförderung entstehen werden, lösen wollen. Keinen Satz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir füllen Ihre leergebliebenen Versprechungen durch diesen Antrag mit Inhalten; dann klappt es mit der Agen- Sie sprechen den Wassernotstand, den wir wahrschein- da 2030. lich in diesem Sommer im Spreewald und darüber hinaus (B) haben werden, an, weil es gestern in der Zeitung stand. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mittlerweile werden 60 bis 70 Prozent des Wassers, das Draußen steht am heutigen Freitag wieder, wie kürz- hier in Berlin in der Spree vorbeikommt, vom Tagebau lich übrigens auch in den Pfingstferien, diese standhafte eingespeist, weil es gehobenes Grundwasser ist. Sie dür- junge Generation, die Sie am liebsten ruhiggestellt in der fen also nicht glauben, dass wir mit der Schließung der Schule sehen würden. Tagebaue das Wasserproblem gelöst haben. Das Problem haben wir dadurch mitnichten gelöst, und deshalb muss (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zuruf man das Schritt für Schritt machen. von der AfD: Wer lernt, bekommt auch einen Abschluss – nicht so wie Ihre halbe Fraktion!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP – Lorenz Gösta Beutin [DIE Was tun Sie denen an durch Ihr Nichthandeln! Die jun- LINKE]: Also weiter Kohle fördern wegen gen Menschen kämpfen um ihre Überlebenschancen in des Wassers?) der Welt von morgen, – Sie können nicht nach 150 Jahren Braunkohlebergbau (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- in der Lausitz den Hebel umlegen und sofort aufhören. SES 90/DIE GRÜNEN) Dafür braucht man einen längeren Zeitraum. Nehmen Sie die hier und jetzt durch Politikversagen zerstört wird, an- das mal zur Kenntnis! statt dass man sie durch eine konsequente Klima- und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Umwelt- und eine darauf abgestimmte Sozialpolitik in der FDP) eine gesicherte Zukunft führt. Handeln Sie endlich! Fol- gen Sie unserem Antrag! Sie haben den Auftrag dazu. Dann habe ich mehrmals das Thema Gipsversorgung angesprochen. Davon lese ich im Klimasofortprogramm (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE der Grünen auch nichts. Wo kommen denn die 6 Milli- GRÜNEN) onen Tonnen, die 60 Prozent des deutschen Gipsbedar- fes, her? Daraus können immerhin 140 Quadratkilometer Vizepräsidentin Petra Pau: Gipskartonplatten hergestellt werden. Die brauchen wir, Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze für wenn wir beim Thema Bauen vorankommen wollen. Ich die CDU/CSU-Fraktion. habe gerade gehört, dass der Bundesrat der Sonder-AfA zugestimmt hat, damit der Mietwohnungsbau wieder vo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rankommen kann. All diese Dinge finden keine Berück- 13452 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) sichtigung, und wir sollten da wirklich mit Augenmaß Vizepräsidentin Petra Pau: (C) rangehen. Das Wort hat der Kollege Timon Gremmels für die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Am 28. September 2018 haben wir hier einen Antrag der FDP-Fraktion debattiert, in dem gefordert wurde: Keine Windräder in den Wald. – Ich habe damals ge- Timon Gremmels (SPD): sagt, wir sollten uns doch mal ehrlich fragen, wie viele Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Windräder wir noch terrestrisch aufstellen können. Das Herren! Eine kleine koalitionsinterne Fortbildung, Herr Umweltbundesamt hat eine Studie auf den Tisch gelegt, Kollege Schulze: Die Bürgerinitiativen für den Wind- und dort steht drin: Wenn wir die 1 000-Meter-Abstände kraftausbau heißen Bürgerenergiegenossenschaften und aufgrund des Emissionsschutzes der Anwohner umsetzen sind in der Summe deutlich mehr. Das nur am Rande. wollen, können wir maximal noch Windkraftanlagen für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 10 bis 15 Gigawatt terrestrisch anlegen. DIE GRÜNEN) Es gibt zurzeit 1 100 Bürgerinitiativen gegen Wind- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben kraft. Die meisten gibt es in den Ländern, wo die Grünen hier heute einen ganzen Strauß an Anträgen und Gesetz- an prominenter Stelle mitregieren, entwürfen zu aktuellen energie- und klimapolitischen (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der Fragen. Insbesondere die Grünen treten dabei hervor und FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) stellen Forderungen. Wir sollten aber doch mal dahin schauen, wo die Grünen Verantwortung tragen und was nämlich in Hessen, in Baden-Württemberg und in Schles- da in Sachen Energiewende passiert. wig-Holstein. Was mich bei Sonntagsreden, in Talkrun- den oder hier stört: Sie fordern mehr Klimaschutz ein; (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ aber ich habe noch nicht eine einzige Bürgerinitiative vor CSU]) Ort gesehen, die sich für den Ausbau von Windkraft im Ein Beispiel ist Schleswig-Holstein. Die letzte Amts- ländlichen Raum einsetzt. handlung von Robert Habeck war die Erhöhung des Min- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und destabstands von Windkraftanlagen zu Wohnsiedlungen der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem von 800 auf 1 000 Meter. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Ich habe auch noch keine Bürgerinitiative mit Ihrer Un- GRÜNEN]: Hört! Hört!) (B) (D) terstützung erlebt, die sich für den Ausbau der Leitungen Übrigens ist auch das Moratorium für Windenergie bis nach Süddeutschland einsetzt. Nein, dagegen wird auch 2020 verlängert worden, auch unter grüner Mitverant- noch vorgegangen. wortung. Das führt dazu, dass der Windkraftausbau an Land in Schleswig-Holstein fast zum Erliegen gekom- (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der men ist. FDP) Nächstes Beispiel ist Baden-Württemberg; auch da Das sind die Grundvoraussetzungen, die wir brauchen: regieren die Grünen mit. Die vorhergehende grün-rote Leitungsausbau und eine entsprechende Sicherung unse- Landesregierung wollte bis 2020 den Anteil der Wind- rer Energieversorgung. kraft mehr als verzehnfachen. Bei Grün-Schwarz steht Bevor ich dann gleich ermahnt werde, weil meine Zeit im Koalitionsvertrag nur noch, die Windenergie wei- vorbei ist: ter auszubauen. Das Ergebnis: Nach 123 Anlagen im Jahr 2017 waren es 2018 gerade mal 35 Windräder in (Gerhard Zickenheiner [BÜNDNIS 90/DIE Baden-Württemberg, die neu gebaut worden sind. Der GRÜNEN]: Die ist vorbei!) Grund war auch hier – das sage ich ganz ehrlich – die Wer glaubt, dass wir mit der Photovoltaik die Wind- Erhöhung des Mindestabstands von 700 auf 1 000 Meter, energie ersetzen können, den möchte ich daran erinnern, und das dort, wo die Grünen mitregieren, meine sehr ver- dass wir uns das Ziel gesetzt haben, nur noch 30 Hek- ehrten Damen und Herren. tar Fläche pro Tag zu brauchen. Wenn wir jetzt 90 Giga- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – watt Solarleistung aufbauen wollen, dann benötigen wir Zuruf der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜND- nach den Ausschreibungsergebnissen 2015/2016 in etwa NIS 90/DIE GRÜNEN]) 150 000 Hektar Land, wenn wir sie terrestrisch bringen. – Ja, Frau Kotting-Uhl, getroffene Hunde bellen laut. Sie ( [FDP]: Das muss man sich können sich ja zu einer Kurzintervention melden, wenn mal vorstellen!) Sie sachlich etwas beizutragen haben. Das entspricht 15 Jahren des gesamten Flächenbedar- Ich möchte Ihnen das letzte Beispiel aus meinem ei- fes, den wir uns vorgenommen haben. genen Bundesland, aus Hessen, wo ich sieben Jahre Mit- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. glied des Landtags war, nennen. Letzte Woche, Regio- nalplan in Südhessen, Ausbau der Windvorrangflächen: (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der Statt der 2 Prozent, die der Landesgesetzgeber, die Tarek FDP) Al-Wazir als Wirtschaftsminister, als Energieminister Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13453

Timon Gremmels (A) vorgibt, hat die einzige grüne Regierungspräsidentin, – Ja. Dieser Aufruf gilt für alle Fraktionen. (C) Frau Lindscheid, in Südhessen gerade mal 1,4 Prozent Ich erteile zu einer Kurzintervention der Kollegin Windvorrangfläche ausgewiesen. Das ist die Bilanz dort, Kotting-Uhl das Wort. wo Grüne regieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch das müssen Sie an dieser Stelle ertragen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will uns alle auch der CDU/CSU und der FDP) nicht lange aufhalten; es ist Freitagnachmittag. Sie sehen: In der Opposition kann man immer gute (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Forderungen stellen; wenn man regiert, muss man Ver- SPD und der FDP) antwortung übernehmen und auch Kompromisse schlie- ßen. Das will ich den Grünen ja gar nicht vorhalten. Ich werde die drei Minuten nicht ausschöpfen. Lassen Sie mich zum Schluss sagen, was wir als Sozi- Ich finde, Kollege Gremmels, bei aller Auseinander- aldemokraten in Regierungsverantwortung machen: setzung in der Sache, die ich auch gern hart führe, müs- Erstens. Das Klimaschutzgesetz wird noch in dieser sen wir redlich bleiben. Wahlperiode kommen. Ende dieses Jahres kommt das (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das sagen die Grü- Klimaschutzgesetz. nen! Das sagen die Richtigen!) Zweitens. Der Kohleausstieg kommt, und zwar nicht Dass Baden-Württemberg nicht mit seinem Fortschrei- erst bis 2038. Die ersten zwölf GW Kohlekraft gehen bis ben der Windkraft so zurechtkommt, wie es geplant war, zum Jahre 2022 vom Netz. Das ist mehr, als Jamaika je ist ein Fakt; das ist richtig. Ich sage auch ganz klar, dass erreicht hätte, meine sehr verehrten Damen und Herren. wir auch wissen, dass es mit der SPD als Partner wahr- (Beifall bei der SPD) scheinlich einfacher gewesen wäre, da weiterzufahren, als mit der Union, mit der wir jetzt in Baden-Württem- Drittens, das ist mein letzter Punkt. Der Anteil der er- berg regieren. neuerbaren Energien wird bis zum Jahre 2030 65 Pro- zent betragen; auch das ist deutlich mehr, als Sie damals (Beifall bei Abgeordneten der SPD) unter Jamaika erreicht und vereinbart haben. Aber: Der Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, Sie sehen: Wir machen konkrete Arbeit für Klima- hat nun nichts mit dem Koalitionspartner in Baden-Würt- schutz. temberg zu tun, sondern ausschließlich mit der Politik der Bundesregierung. (B) (D) Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege, setzen Sie bitte den Punkt. Dass wir in Baden-Württemberg die Ausschreibungen nicht gewinnen können, liegt daran, dass die Ausschrei- Timon Gremmels (SPD): bungen erstens erst in der letzten Novelle ins EEG ein- Mit uns geht es voran. bezogen worden sind, und es liegt zweitens daran, dass diese Bundesregierung sich geweigert hat, ein Quoten- Ich danke Ihnen. modell zu akzeptieren. Baden-Württemberg hat sich (Beifall bei der SPD) massiv dafür eingesetzt, dass es so eine Quote gibt. Sie haben das abgelehnt. Sie haben das nicht eingeführt. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass das nicht an der Bevor wir jetzt in der Debatte fortfahren, bitte ich baden-württembergischen Landespolitik liegt, zuallererst einmal die Kolleginnen und Kollegen, die (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Natürlich!) an unterschiedlichen Stellen des Saales stehen, Platz zu nehmen. Wir haben noch einiges in dieser Debatte zu be- sondern ausschließlich an der Bundespolitik. Da bitte ich wältigen. Sie, redlich zu bleiben. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: So schlimm wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – es nicht!) Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es betrübt mich, dass offensichtlich die Gespräche NEN]: Der Minister hieß Sigmar Gabriel!) so interessant und intensiv sind, dass das nicht durch- dringt. – Ich bitte darum, dass auch bei den Grünen die Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegen Platz nehmen. Sie haben das Wort zur Erwiderung. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Jede Mi- nute zählt!) Timon Gremmels (SPD): Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben sich jetzt ein Auch die Kollegen der Linken haben noch genügend Beispiel herausgepickt. Ich habe deutlich gesagt: Eines freie Stühle. der Hauptargumente ist, dass Sie die Abstandsreglung (Marianne Schieder [SPD]: Und die AfD hier verändert und den Mindestabstand erhöht haben, und rechts!) zwar in Baden-Württemberg, wo Sie Verantwortung tra- 13454 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Timon Gremmels (A) gen. Das hat Ihnen kein Bundesgesetzgeber vorgeschrie- beitragen, uns dazu verpflichtet, etwas zu tun. Warum (C) ben. Es lag in Ihrer eigenen Verantwortung. Das haben akzeptieren Sie nicht, dass wir in diesem Bereich etwas Sie als Grüne mitgetragen; tun müssen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- (Andreas Bleck [AfD]: Es geht um die Ver- wie bei Abgeordneten der FDP) hältnismäßigkeit!) dann stehen Sie bitte auch dazu. Das war der erste Punkt. Da geht es nicht um 0,000x Prozent, sondern es geht da- rum, dass Maßnahmen nur etwas erreichen können, wenn Zweitens. Mein Beispiel aus Hessen: In der Planungs- sie grenzüberschreitend, international, global ergriffen region, in der wir eine grüne Regierungspräsidentin werden. Dazu muss jeder sein Scherflein beitragen. haben – die einzige in Hessen –, werden am wenigsten Windvorrangflächen ausgewiesen. Auch dafür ist nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Bund verantwortlich. Auch dafür sind die Grünen Wenn jeder nach dem Motto „An unserem Wesen selbst verantwortlich – in Südhessen mit einem grünen kann die Welt sowieso nicht genesen; deswegen können Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. wir ganz ungeniert leben“ handelt, kommen wir zu kei- nem Ergebnis. Das ist das Problem, mit dem Sie nicht zu- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- rechtkommen: Sie sitzen auf der „Titanic“ und glauben, wie bei Abgeordneten der FDP) das Schiff ist sicher. Das ist aber nicht der Fall. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung, und erzählen Sie uns (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- nicht immer, was wir alles noch besser machen müssen! wie bei Abgeordneten der FDP) Wir haben viel zu tun. Wir haben es nicht immer leicht Der Regierung und uns Koalitionsfraktionen wird oft mit unserem Koalitionspartner. Das geht Ihnen ja sicher- vorgeworfen, wir täten nicht genug. Vor allen Dingen lich in Hessen und Baden-Württemberg auch so. Aber die Grünen machen das ja ganz besonders intensiv, aber reden Sie Ihre eigene Verantwortung, die Sie als Grüne auch von außen kommt diese Kritik. Ich darf mal daran in Regierungen haben, nicht klein. erinnern, dass wir in den vergangenen Jahren eine Treib- hausgasminderung in erheblichem Umfang erreicht ha- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ben, dass wir in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang umgesteuert haben. Wir haben bei den erneuer- Vizepräsidentin Petra Pau: baren Energien insgesamt so viel Kapazität geschaffen, Das Wort hat der Kollege Karsten Möring für die dass wir den Wegfall der Kernenergie durch Erneuerbare ersetzen können. Das hat anderthalb Jahrzehnte gedauert, (B) CDU/CSU-Fraktion. (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Marianne Schieder [SPD]: Vor allen Dingen wollten Sie es gar nicht haben!)

Karsten Möring (CDU/CSU): und wir werden die nächsten anderthalb Jahrzehnte nut- zen, den Bereich der fossilen Energieerzeugung, der Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Kohle, durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Das geht Gremmels, ich wusste gar nicht, dass Sie mich mit dem nicht von heute auf morgen, und das ist der Punkt. Satz: „Wir haben es nicht immer leicht mit unserem Ko- alitionspartner“, zitiert haben. Das war eigentlich eine Aussage von mir. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Möring, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- (Johann Saathoff [SPD]: Aber er hat recht kung des Abgeordneten Hilse? und Sie nicht! – Heiterkeit bei der SPD) – Aber es ist ja immer schön, wenn zwei Leute recht ha- Karsten Möring (CDU/CSU): ben können. Das hat sowieso keinen Sinn. Das tut er ja an anderer Stelle. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verbindet die Koalition im- Kollege Gremmels und auch Kollege Schulze haben merhin noch!) ja auf ein paar Punkte hingewiesen und gesagt, dass es begrenzende Faktoren gibt und dass wir die Probleme, Jetzt einmal ein paar ernste Bemerkungen, vielleicht die in diesem Zusammenhang entstehen, als gestaltende zunächst zu Herrn Hilse: Wenn Sie, Herr Hilse, sagen: politische Kraft lösen müssen. Lösen heißt nicht, Forde- „Wir akzeptieren, dass es den Klimawandel gibt, und wir rungen aufzustellen, sondern Lösungen anzubieten. akzeptieren auch, dass er sehr problematische Folgen hat“, dann ist doch die Frage, was das für eine Konse- Es geht darum, dass wir beim Ausbau der Erneuerba- quenz haben muss. Die Konsequenz kann doch nur sein, ren eben nicht nur auf den Ausbau schauen dürfen, son- dass das, was wir als menschengemachten Einfluss zu- dern auch dafür sorgen müssen, dass dieser Strom ge- sätzlich zur natürlichen Entwicklung – wie groß dieser nutzt werden kann. Das muss im Gleichschritt passieren. ist, darüber können wir streiten – Wer dazu beitragen kann, der soll dazu beitragen. Das ist in dem einen Fall der eine und im anderen Fall der ande- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist aber ent- re. Es gibt Bürgerinitiativen. Die eine Regierung macht scheidend!) mehr, die andere macht weniger. Das will ich jetzt gar Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13455

Karsten Möring (A) nicht vertiefen; die Einzelheiten haben wir eben intensiv dieser Debatte. Das Wort hat der Kollege Klaus Mindrup (C) diskutiert. Schönen Dank dafür, dass das auf den Tisch für die SPD-Fraktion. gekommen ist. (Beifall bei der SPD) Für uns ist Klimapolitik ein Teil der Nachhaltigkeits- politik, und Nachhaltigkeitspolitik ist global und nicht Klaus Mindrup (SPD): nur national. Deshalb muss Klimapolitik auch dafür sor- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gen, dass wir unsere Industrie und die Arbeitsplätze, die Kollegen! Leider gilt nach dieser Debatte der Satz, den daran hängen, erhalten können. ich hier schon mehrfach geäußert habe, immer noch: Je- der hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand Das heißt natürlich nicht, dass sie statisch erhalten hat ein Recht auf eigene Fakten. werden müssen – das ist ein Entwicklungsprozess; das ändert sich auch –; das will ich damit gar nicht sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber der entscheidende Punkt ist: Wenn wir unsere des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aluminiumindustrie wegen zu hoher Strompreise oder Die Fakten sind eindeutig: Wir müssen handeln. Aber fehlender Strommengen kaputtmachen, dann wird Alu- die Fakten sind auch rechtlich eindeutig. Viele haben ja minium woanders produziert. Ob das dann für das Kli- ein Bekenntnis zur Europäischen Union abgegeben, und ma besser ist oder nicht – dahinter mache ich ein großes die Europäische Union hat klare Regeln zum Klima- Fragezeichen. schutz. Und wenn die FDP jetzt den Emissionshandel auf (Beifall bei der CDU/CSU) andere Sektoren ausweiten will, dann ist das nichts ande- res als ein Programm zur Deindustrialisierung Deutsch- Deshalb berücksichtigt unsere Klimapolitik diese lands. Faktoren insgesamt. Wir brauchen einen Strukturwan- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des del; dieser braucht Zeit. Wir müssen Arbeitsplätze sich Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]) verändern lassen. Wir müssen Industrie sich entwickeln lassen. Das muss unter einen Hut; das ist der entschei- Das bringt dem Klimaschutz überhaupt nichts. Es wird dende Punkt und die Kunst, mit der wir uns beschäftigen nur dazu führen, dass Industrieunternehmen aus Deutsch- müssen. land abziehen. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das ist Ihre Mei- Wenn es jetzt darum geht, den Kohlekompromiss nung! Das sind keine Fakten!) umzusetzen, um bei der Defossilisierung der Energie- versorgung voranzukommen, dann kann ich nur jeden – Auch wenn Sie es mir nicht glauben: Das sind die Äu- (B) auffordern, dabei entscheidend mitzuwirken. 2038 ist ßerungen der energieintensiven Industrien. Das sind die (D) ein letzter Termin. Wenn es uns gelingt, das Ziel vorher Äußerungen des BDI und der Betriebsräte, weil das Sys- zu erreichen, ist es umso besser. Aber so zu tun, dass tem so ist. Sie wollen gleichzeitig den Links- und den bis 2038 einfach alles so weiterläuft, ist ja falsch. Es ist Rechtsverkehr in Europa einführen. Das funktioniert darauf hingewiesen worden, dass wir in Kürze mit den nicht. ersten Abschaltungen anfangen werden, bis 2030 min- destens 60 Prozent erreichen wollen und diesen Prozess (Beifall bei der SPD) insgesamt begleiten und nachsteuern wollen. Wir haben klare Regeln bis 2030 vereinbart. Was sinn- voll ist, ist, mit der Industrie darüber nachzudenken, wie Das alles ist notwendig, und das machen wir. Deswe- wir gemeinsam zu einer klimaneutralen Industrie kom- gen können wir sagen: Wir brauchen eine Zusammen- men, die auch über das Jahr 2030, 2040 oder 2050 hinaus schau der klimapolitischen Maßnahmen, die wir, um das eine Perspektive hat. Wir müssen das mit den Kollegin- Ziel zu erreichen, umsetzen müssen, aber auch um Kol- nen und Kollegen gemeinsam tun, anstatt hier so einen lateralschäden zu vermeiden. Nonsens zu machen.

Ich will zum Thema CO2-Bepreisung gar nichts sagen. (Beifall bei der SPD) Das ist ein Instrument, das wir sicher brauchen werden; Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regeln der EU aber die Lenkungswirkung muss gesichert sein, und das sind auch in anderen Bereichen gut. schaffen wir nicht durch einfache Preiserhöhungen. Egal ob wir das über Steuern oder CO2-Abgaben machen, es (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Nein!) muss intelligent gelöst werden, und das ist noch kompli- Schauen Sie sich, wenn Sie über die Ferien mal Zeit ha- ziert genug. ben, das von uns, der SPD, vorgelegte gute Papier für Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. einen sozialen Klimaschutz an. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Darin steht klar, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben wollen. Wir wollen, dass die Re- geln der EU für die erneuerbaren Energien endlich ange- Vizepräsidentin Petra Pau: wandt werden. Millionen Menschen in Deutschland wol- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um die not- len, dass die bürokratischen Regeln für die dezentralen wendige Aufmerksamkeit auch für den letzten Redner in Energien, die dezentrale Photovoltaik, für die Kraft-Wär- 13456 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Klaus Mindrup (A) me-Kopplung, erleichtert werden. Ich kann nur wieder- Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf (C) holen: Das sind die Baake-Hürden, die hier aufgebaut Drucksache 19/9920. worden sind. Diese müssen verschwinden. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir in der Fol- (Beifall bei der SPD) ge noch eine namentliche Abstimmung sowie zahlreiche Wir, die SPD, sind keine Ausstiegspartei; wir sind weitere Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt eine Einstiegspartei. Die Zukunft liegt in den erneuerba- haben. ren Energien, weil sie berechenbar sind, was die Kosten Es würde uns sehr helfen, wenn diejenigen, die schon angeht. abgestimmt haben, den Bereich um die Urnen herum (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Mit dem EEG? Das freimachen könnten, um den Kolleginnen und Kollegen, ist staatliche Gesetzgebung!) die noch nicht abgestimmt haben, zu ermöglichen, dies jetzt zu tun. – Ist noch ein Mitglied des Hauses anwe- – Für die, die da zurufen: Die EEG-Umlage sinkt. Wir send, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist haben für die Welt die Entwicklungskosten getragen und nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die wissen jetzt, dass die Erneuerbaren günstig sind. Gucken Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung Sie sich doch die aktuellen Ausschreibungsergebnisse an, zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstim- anstatt hier so einen Nonsens zu machen. mung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) (Zuruf des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP]) Tagesordnungspunkt 29 f. Abstimmung über den An- Geben Sie den Menschen Mut, Mut, für eine Welt trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/10290 einzutreten, die ökologisch, aber auch sozial und fair ist. mit dem Titel „Klimanotstand anerkennen – Klima- Ich werde gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen schutz-Sofortmaßnahmen verabschieden, Strukturwan- nicht nur von der IG Metall, sondern auch von den ande- del sozial gerecht umsetzen“. Wir stimmen nun über den ren Gewerkschaften morgen auf der Straße stehen und Antrag auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich für eine faire und soziale Transformation kämpfen. ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Of- (Beifall bei der SPD) fensichtlich sind alle Schriftführerinnen und Schriftfüh- Die SPD ist an der Seite der Kolleginnen und Kollegen; rer an ihrem Platz. Ich eröffne die zweite namentliche denn hier geht es um gute Arbeit, um gute und faire Löh- Abstimmung, und zwar über den Antrag der Fraktion Die ne. Dafür muss man gemeinsam streiten. Ich lade unse- Linke auf Drucksache 19/10290. ren Koalitionspartner ein, gemeinsam mit den Gewerk- Für alle, die aus welchen Gründen auch immer erst schaften und der Privatwirtschaft hier voranzuschreiten. (B) jetzt zur Abstimmung kommen: Wir sind in der zweiten (D) Dann werden wir erfolgreich sein. namentlichen Abstimmung, und zwar über den Antrag Danke schön. der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/10290. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir nach dieser nament- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lichen Abstimmung noch zahlreiche Abstimmungen hier der CDU/CSU) im Plenum haben und dass es dem Präsidium leichter fällt, zweifelsfrei die Abstimmungsergebnisse festzu- Vizepräsidentin Petra Pau: stellen, wenn Sie Ihre Plätze einnehmen. So können wir Ich schließe die Aussprache. dann Ihr Abstimmungsverhalten feststellen. Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der FDP, die zunächst zu den beiden namentlichen Abstimmungen. daran gehindert waren, ihre Stimme so abzugeben, wie sie das eigentlich vorhatten, sich jetzt zügig die entspre- Tagesordnungspunkt 29 c. Hierzu liegt mir eine Er- chende Abstimmungskarte zu besorgen und an der Ab- klärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Diese stimmung teilzunehmen. nehmen wir entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die die Ab- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- stimmung schon absolviert haben, Platz zu nehmen, da- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Beendi- mit wir dann die folgenden Abstimmungen entsprechend gung des Betriebs von Kohlekraftwerken zur Strom- durchführen können und zweifelsfrei die Abstimmungs- erzeugung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie ergebnisse feststellen können. Dieser Aufruf gilt jetzt empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung wieder ausnahmslos für alle Fraktionen. auf Drucksache 19/11174, den Gesetzentwurf der Frakti- on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/9920 ab- Ich stelle die Frage: Gibt es ein Mitglied des Hauses, zulehnen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf welches seine Stimme noch nicht abgeben konnte? Dann Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament- bitte ich, das jetzt zügig zu tun. – Ich hoffe, dass alle lich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Abstimmung die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – teilnehmen wollten, den Weg in den Saal gefunden und Nach meinem Überblick haben alle Schriftführerinnen abgestimmt haben. Ich schließe die Abstimmung und und Schriftführer ihre Plätze eingenommen. Ich eröffne bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der die erste namentliche Abstimmung, und zwar über den Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung

1) Anlage 3 2) Ergebnis Seite 13461 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13457

Vizepräsidentin Petra Pau (A) wird Ihnen später bekannt gegeben.1) – Ich bitte Sie, die bar und europäisch“. Wer stimmt für diese Beschluss- (C) Plätze wieder einzunehmen. empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 29 a, der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der 29 e, 29 g und 29 h. Interfraktionell wird die Über- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/9698, FDP-Fraktion bei Enthaltung der AfD-Fraktion ange- 19/11094, 19/11153 und 19/11149 an die in der Tages- nommen. ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- die Überweisungen so beschlossen. be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An- trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- Tagesordnungspunkt 29 b. Wir kommen zur Abstim- che 19/7733 mit dem Titel „Nach den Empfehlungen der mung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kohlekommission – Jetzt Einstieg in den Kohleausstieg“. eingebrachten Entwurf mit dem Titel „Gesetz zur Ände- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt rung des Grundgesetzes (Artikel 20a, 74, 106, 143h – dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung­ Stärkung des Klimaschutzes)“. Der Ausschuss für Inne- ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der res und Heimat empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen auf Drucksache 19/11158, den Gesetzentwurf der Frak- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4522 Fraktion Die Linke angenommen. abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Tagesordnungspunkt 29 j. Abstimmung über die Be- Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- stimmt dagegen? – Das sind die CDU/CSU-Fraktion, die schutz und nukleare Sicherheit zu dem Antrag der Frak- SPD-Fraktion, die FDP-Fraktion und die AfD-Fraktion. tion der FDP mit dem Titel „Marktwirtschaftlicher und Wer enthält sich? – Kein Abgeordneter. Der Gesetzent- effizienter Klimaschutz – Mit weniger Geld mehr Klima wurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt schützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. empfehlung auf Drucksache 19/11178, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/6286 abzulehnen. Tagesordnungspunkt 29 d. Abstimmung über die Be- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss­ Energie zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Ti- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- tel „Aussetzung des Ausstiegs aus der Kohleverstromung, nen, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/ bis alternative Energien grundlastfähig sind und jederzeit Die Grünen und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen (B) bedarfsgerecht eingespeist werden können“. Der Aus- (D) der FDP-Fraktion ohne Enthaltungen angenommen. schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussem- pfehlung auf Drucksache 19/11174, den Antrag der Frak- Tagesordnungspunkt 29 l. Abstimmung über die Be- tion der AfD auf Drucksache 19/9963 abzulehnen. Wer schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Na- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt turschutz und nukleare Sicherheit zu dem Antrag der dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschluss- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Europäische Union zur Klimaschutz-Union machen“. nen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der lung auf Drucksache 19/11188, den Antrag der Frak- AfD-Fraktion angenommen. tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/9953 abzulehnen. – Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Tagesordnungspunkt 29 i. Abstimmung über die Be- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- Energie auf Drucksache 19/10761. Der Ausschuss emp- onsfraktionen, der AfD-Fraktion und der FDP-Fraktion fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Ablehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf und der Fraktion Die Linke angenommen. Drucksache 19/7720 mit dem Titel „Deindustrialisie- rung Deutschlands stoppen – Ausstieg aus dem Kohle- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b sowie ausstieg“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – den Zusatzpunkt 20 auf: Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko- 32 a) Erste Beratung des von der Bundesregie- alitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen zes zur Stärkung des Wohngeldes (Wohn- die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. geldstärkungsgesetz – WoGStärkG) Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 29 i. Unter Drucksache 19/10816 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Überweisungsvorschlag: Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und FDP auf Drucksache 19/7696 mit dem Titel „Kohleaus- Kommunen (f) stieg mit Verantwortung und Weitsicht – Sicher, bezahl- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der 1) Ergebnis Seite 13464 B GO 13458 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bezahlbares Mieten und Wohnen ist eine der großen (C) Caren Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz sozialen Fragen unserer Zeit. Das ist uns allen hier im Gösta Beutin, weiterer Abgeordneter und Hause, glaube ich, bewusst. Das, was wir heute mitei- der Fraktion DIE LINKE nander diskutieren, ist eine der Antworten der Bundes- regierung, des Bundesbauministeriums auf diese große Wohngeld ausweiten und die Belastung soziale Frage. durch Wohnkosten begrenzen Was tun wir? Was ist unser Vorschlag? Was ist der Be- Drucksache 19/10752 schluss des Bundeskabinetts? Wir beschließen eine gro- Überweisungsvorschlag: ße Novelle zum Wohngeld, schon wieder eine; die letzte Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und war erst 2016. Sprich: Seit Langem wurde das Wohngeld Kommunen (f) nicht so schnell angepasst. Zum anderen dynamisieren Ausschuss für Arbeit und Soziales wir künftig das Wohngeld. Das eigentlich Neue, der gro- Haushaltsausschuss ße Wurf ist, dass künftig alle zwei Jahre eine automa- ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel tische Dynamisierung stattfindet. Es gibt immer wieder Föst, , Frank Sitta, weiterer Abge- das Phänomen, dass nicht wenige aus dem Wohngeldbe- ordneter und der Fraktion der FDP zug rausfallen, wenn die Mieten auf Einkommensniveau steigen. Künftig wird es diesen Wechsel zwischen Wohn- Bezahlbare Mieten sichern – Zielgerichtet un- geld und anderen Sozialleistungen nicht mehr in diesem terstützen – Liberales Bürgergeld einführen Maße geben. Drucksache 19/11107 Wir werden die Reichweite des Wohngeldes deutlich Überweisungsvorschlag: erhöhen. Wir rechnen mit 660 000 Empfängerhaushalten Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- ab dem 1. Januar 2020; aktuell sind es 480 000. Sprich: munen (f) Fast 200 000 Haushalte mehr kommen in den Genuss des Ausschuss für Arbeit und Soziales Wohngeldes. Auch das Leistungsniveau wird sich deut- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für lich erhöhen. Ohne Reform liegt das durchschnittliche die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- monatliche Wohngeld derzeit bei 145 Euro für Zweiper- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. sonenhaushalte. Wir erhöhen dies um rund 30 Prozent auf künftig durchschnittlich 190 Euro. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla- mentarische Staatssekretär Marco Wanderwitz. Daneben werden die Mietstufen für die Kommunen und Kreise erhöht. Es wird eine neue Mietstufe VII oben- (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- drauf gepackt, um die höheren Mieten vor allem in den (D) ordneten der SPD) angespannten Wohnungsmärkten in Zukunft besonders zu berücksichtigen. Und – auch das ist ein wichtiger Punkt – wir erhöhen den Einkommensfreibetrag für Men- Marco Wanderwitz, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern, für Bau und Heimat: schen mit Schwerbehinderung auf künftig 1 800 Euro pro Jahr. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Thema Wohngeld spreche, möchte ich Bund und Länder stocken damit die Mittel für das für die, die die Meldung vielleicht noch nicht über den Wohngeld, welches wir uns ja hälftig teilen, deutlich auf. Ticker haben gehen sehen, aus dem Bundesrat berichten. In 2020 stehen dann insgesamt 1,2 Milliarden Euro zur Das von der Mehrheit des Deutschen Bundestages schon Verfügung. Die Dynamisierung – ich habe es schon ange- vor einigen Monaten beschlossene Gesetz, mit dem wir sprochen – ist ein großer Teil unserer Antwort in Sachen eine Sonderabschreibungsmöglichkeit für den freifinan- bezahlbares Wohnen. zierten Mietwohnungsbau eingeführt haben, ist heute Neben dem Baukindergeld, der gerade schon ange- endlich auch im Bundesrat beschlossen worden. sprochenen beschlossenen Sonderabschreibung für Miet- (Beifall bei der CDU/CSU – Karsten Möring wohnungsbau und der Städtebauförderung auf Rekord- [CDU/CSU]: Endlich!) niveau, die wir mit den Ländern und Kommunen gerade für 2020 neu justieren, bringen wir heute mit der Wohn- An solchen Tagen ist man geneigt, zu sagen: Gott sei geldreform eine weitere Schlüsselmaßnahme der ge- Dank ist es da; reden wir nicht mehr über das Verfah- meinsamen Wohnraumoffensive von Bund, Ländern und ren. – Das will ich auch weitestgehend tun. Ich bin dank- Gemeinden auf den Weg ins Parlament. Ich freue mich bar, dass unser Instrumentenkasten für den Wohnungsbau auf das weitere parlamentarische Verfahren und hoffe bei nun auch dieses wichtige Element umfasst. Gleichwohl diesem Verfahren auf die Unterstützung der Mehrheit des waren es verlorene Monate. Insofern hoffe ich, dass vie- Deutschen Bundestages und der allermeisten Länder. le, die in diesen Bereich investieren wollen, um Miet- wohnungen zu schaffen, sehr kleinteilig und mit einer Ich möchte an dieser Stelle noch sagen, dass eine wei- Mietbindung für zehn Jahre, jetzt schnell investieren. tere Maßnahme, die wir im Köcher haben und an der wir seit vielen Monaten intensiv arbeiten, nämlich die Beant- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ wortung der Frage, wie wir das Nadelöhr Bauland aus- DIE GRÜNEN]: 300 Millionen Euro sind weiten können, auf der Zielgeraden ist. In der nächsten verbrannt! – Daniel Föst [FDP]: Recht hat der Woche wird die Abschlusssitzung der Baulandkommis- Kollege Kühn!) sion, die ich leiten darf, stattfinden. Ich bin sehr optimis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13459

Marco Wanderwitz (A) tisch, dass wir im Schulterschluss von Bund, Ländern pflichtet ist, eine Politik, die sich folgende Ziele setzt: (C) und Kommunen und in nicht zu ferner Zeit im Bundes- erstens eine Erhöhung des Angebots, tag, unter anderem im Rahmen einer großen Baugesetz- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Was ganz buchnovelle, die wir vorbereiten, zu guten Ergebnissen Neues!) kommen werden. Ich hoffe auch dabei auf Ihre Unter- stützung. zweitens eine Reduktion der Nachfrage und drittens eine Unterstützung sozial Benachteiligter. Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Zum Ersten: die Erhöhung des Angebots. Wir fordern schon seit Langem die Abschaffung der von Ihnen instal- lierten Wohnraumbremse. Die Privatinvestoren dürfen

Vizepräsidentin Petra Pau: nicht weiter abgeschreckt werden, sondern müssen wie- Das Wort hat der Abgeordnete für der ermuntert werden, auch in bezahlbaren Wohnraum die AfD-Fraktion. zu investieren: durch die Deckelung der Grunderwerb- (Beifall bei der AfD) steuer auf maximal 3,5 Prozent, durch die Erhöhung der linearen Abschreibung auf 3 Prozent per annum, durch das Aussetzen der unsinnigen und viel zu teuren Ener- Udo Theodor Hemmelgarn (AfD): gieeinsparverordnung und durch eine Abschaffung der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Grundsteuer. nen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tri- (Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!) bünen! Die Bundesregierung hat nun nach mehr als drei Jahren einen Gesetzentwurf zum Wohngeld vorgelegt, Zum Zweiten: die Reduktion der Nachfrage. Wir er- auf den es von uns als größter Oppositionspartei folgen- leben einen Run auf Wohnungen in unseren Großstäd- de Antwort gibt: Zu spät, zu wenig, aber besser als gar ten, dem diese in keiner Weise gewachsen sind. Deshalb nichts. Wir werden zähneknirschend zustimmen. müssen die unter- und überirdische Infrastruktur, die me- dizinische Versorgung und die sonstige Nahversorgung (Beifall bei der AfD) in den ländlichen und kleinstädtischen Regionen gestärkt Die Wohnungsnot in diesem Land ist kein Naturge- werden, damit die Landflucht gestoppt wird und der setz, sondern das Ergebnis der katastrophalen Politik der ländliche Raum die Großstädte wirksam entlasten kann. vergangenen Jahre. Wir werden nicht zulassen, dass die (Beifall bei der AfD) (B) Bundesregierung ihr Totalversagen in der Wohnungskri- (D) se mit einer selbstgefälligen Propagandashow überdeckt, Vor allem aber müssen wir uns klarmachen, dass die rund für die der Bundestag die Bühne bieten soll. 2 Millionen Flüchtlinge, die seit 2013 in dieses Land ge- kommen sind, nach und nach auf den Wohnungsmarkt (Marianne Schieder [SPD]: Wenn einer Propa- drängen, und da vor allem in die Großstädte. Deshalb: gandashows macht, dann sind Sie das doch!) Schluss mit diesem Willkommensklamauk! Schluss mit Die Wohnungsnot hat dramatische Züge angenom- der Unterstützung von Schleppern! Schluss mit dem Im- men: Der Wohnungsneubau kommt überhaupt nicht port von Sofortrentnern! nach, die Mieten steigen ins Uferlose. Opfer sind, wie so (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tübin- oft, die sozial Schwachen. Aber auch der früher so robus- gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist te Mittelstand kommt immer mehr in Probleme und fin- kein Thema zu schäbig, um zu hetzen! Kein det sich mittlerweile immer öfter in Stadtrandsiedlungen Thema!) wieder. Dort konkurriert er um Wohnraum mit vielen hier Zuwandernden und ist dabei nicht selten unterlegen; de- Es ist unsere vornehmste Aufgabe, Menschen in Not zu ren Lebensunterhalt darf er aber vielfach mitfinanzieren. helfen – aber bitte vor Ort und nicht als Import in unser Das ist die Realität im Deutschland des Jahres 2019, und Land. Man kann die Probleme des Wohnungsmarktes daran wird sich auch durch die Reform des Wohngeldes nicht lösen, wenn man weiterhin jedes Jahr eine mittel- nichts verändern. große Stadt zuwandern lässt. (Beifall bei der AfD) Zum Dritten: die Unterstützung sozial Benachteilig- ter . Die Mieten in unseren Städten werden immer uner- Die Situation auf dem Wohnungsmarkt erfordert drin- schwinglicher. Eine Marktwirtschaft, die sich „soziale gend ein entschlossenes und zielführendes Einschreiten Marktwirtschaft“ nennt, muss in solchen Fällen unter- des Staates. Wir meinen damit nicht die sozialistische stützend eingreifen. Die Erhöhung des Wohngeldes und Wohnbaupolitik, von der im Hause einige fantasieren; die die Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten Ergebnisse können Sie heute noch in den neuen Ländern sind prinzipiell der richtige Weg. Wohngeld ist im Grun- bewundern. Das wollen wir nicht. Auch der Weg über de die soziale Voraussetzung einer liberalen Wohnungs- den sozialen Wohnungsneubau führt nur zu mäßigen Er- politik. gebnissen. Dort weitere Milliarden hineinzustecken, ist (Beifall bei der AfD) unsinnig. Der bürokratische Aufwand ist unverhältnis- mäßig hoch. Wir meinen eine Wohnungsbaupolitik, die Die letzte Wohngelderhöhung gab es 2016. Seitdem ist den Grundsätzen unserer sozialen Marktwirtschaft ver- auf dem Wohnungsmarkt viel geschehen. Bei den ra- 13460 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Udo Theodor Hemmelgarn (A) schen Veränderungen im Bereich des Mietwohnens kann Dafür danke ich ganz herzlich all denjenigen, die daran (C) man doch nicht mit einer Wohngelderhöhung nach vier mitgearbeitet haben. Danke schön! Jahren kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Die Bundesregierung erscheint alles in allem als ein CDU/CSU) politischer Minderleister, der es endlich mal geschafft Unser Ziel ist klar: Mehr bezahlbarer Wohnraum muss hat, eine richtige Maßnahme zu ergreifen. Dafür will er her. Dafür brauchen wir ein Zusammenspiel aus mehr natürlich ordentlich gefeiert werden. Um es klar zu sa- Investitionen, sozialem Wohnungsbau und zielgenauen gen: Das, was die Bundesregierung hier mit der Wohn- Änderungen im Mietrecht und in der Sozialpolitik. Das geldreform abgeliefert hat, ist das Mindeste dessen, was Wohngeld erfüllt eine entscheidende sozialpolitische die Bürger erwarten können – mehr nicht. Es ist nur recht Funktion, die wir durch den heute vorgelegten Gesetz- und billig, dass der Staat den Menschen hilft, die Woh- entwurf stärken. nungsnot zu bewältigen, die durch desaströse Fehlent- scheidungen und Versäumnisse der letzten Merkel-Re- Mit dem Wohngeldstärkungsgesetz werden ab dem gierung verursacht wurde. Aufgabe der Politik muss in 1. Januar 2020 mehr Haushalte mehr Wohngeld erhalten. jedem Falle sein, mit dafür zu sorgen, dass Wohngeld Im Durchschnitt erhöht sich das Wohngeld um etwa 30 Pro- erst gar nicht notwendig wird und dass die Bürgerinnen zent. Mit dieser Information habe ich am Wochenende eine und Bürger die Mieten von ihrem Einkommen bezahlen junge Frau aus Frankfurt, die dringend auf das Wohngeld können. Hier sind alle Parteien im Bundestag gefordert. angewiesen ist, glücklich gemacht. Es freut einen im Au- genblick insbesondere als SPD-Politiker, auch glückliche Abschließend wiederhole ich eine Forderung, die ich Gesichter bei den Wählerinnen und Wählern zu sehen. an dieser Stelle bereits mehrfach erhoben habe. Frau Bundeskanzlerin Merkel, gehen Sie einen ersten Schritt (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karsten zur Bewältigung der Wohnungsnot: Nehmen Sie den Möring [CDU/CSU]: Sei Ihnen gegönnt!) Migrationsdruck von diesem Land, und sichern Sie un- Vom Wohngeld profitieren 660 000 Menschen in unse- sere deutschen Grenzen! rem Land. Darunter sind rund 180 000 Haushalte, die dann erstmals oder wieder Wohngeld erhalten. Ein Zweiperso- Vielen Dank. nenhaushalt bekam bisher – ohne Reform – durchschnitt- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: lich 145 Euro pro Monat. Mit unserer Reform sind es jetzt Immer das Gleiche!) etwa 190 Euro Wohngeld – eine deutliche Steigerung. Erstmals wird das Wohngeld dynamisiert. Dafür ha- ben wir uns von der SPD auch intensiv eingesetzt. (B) Vizepräsidentin Petra Pau: (D) Das Wort hat die Kollegin Ulli Nissen für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) SPD-Fraktion. Das Wohngeld wird jetzt regelmäßig alle zwei Jahre an die eingetretene Miet- und Einkommensentwicklung an- (Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübin- gepasst. Das ist ein echter sozialpolitischer Fortschritt. gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frank- Damit sichern wir die mit der Wohngeldreform im furt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Jahr 2020 erreichte Entlastungswirkung des Wohngeldes auch für die kommenden Jahre. Weniger Haushalte wer- Ulli Nissen (SPD): den dadurch zwischen Wohngeld und Arbeitslosengeld II sowie Sozialhilfe hin- und herwechseln. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass wir heute einen wichtigen Baustein Des Weiteren werden die Höchstbeträge, bis zu de- für bezahlbares Wohnen auf den Weg bringen. In meinem nen die Miete bezuschusst werden kann, jetzt regional Frankfurter Wahlkreis gestaffelt angehoben. Durch die Einführung einer neuen Mietenstufe VII können höhere Mieten in angespannten (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Wohnungsmärkten berücksichtigt werden. Mietenstu- der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE fe VII erhalten nun 38 Kreise und Gemeinden mit einer GRÜNEN) Abweichung des Mietniveaus von etwa 35 Prozent und höher gegenüber dem Bundesdurchschnitt. Bisher lie- ist das das Thema Nummer eins. Bezahlbares Wohnen ist gen – ganz zufällig – von 38 Gemeinden mit Mietstu- eine wichtige Forderung der Nachhaltigkeitsziele 2030, fe VII 33 in Bayern. In Hessen gibt es nur eine Kom- der SDGs, denen wir uns verpflichtet haben, liebe Kolle- mune; aber das ist nicht mein Frankfurter Wahlkreis. Auf ginnen und Kollegen. diese Einstufungen werden wir sicherlich im Rahmen der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weiteren Beratungen eingehen. Der Gesetzentwurf sieht außerdem die Erhöhung des Im Februar haben wir im Ausschuss für Bau, Wohnen, seit 1990 nicht mehr angepassten Einkommensfreibetra- Stadtentwicklung und Kommunen beschlossen, dass wir ges für Menschen mit einer Schwerbehinderung von 1 500 die Wohngeldreform noch vor der sitzungsfreien Zeit im auf 1 800 Euro jährlich vor. Das war dringend erforderlich. Sommer in das Parlament einbringen wollen. Mit der heutigen Einbringung des Entwurfs eines Wohngeldstär- Ich freue mich, dass nun die weiteren Beratungen zum kungsgesetzes haben wir eine Punktlandung hingelegt. Gesetzentwurf beginnen. Die SPD-Bundestagsfraktion Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13461

Ulli Nissen (A) wird sich für eine Klimakomponente beim Wohngeld Vizepräsidentin Petra Pau: (C) einsetzen. Damit soll der Zugang zu Wohnungen mit hö- Kollege Föst, ich bitte Sie noch um einen Moment herem energetischem Standard für einkommensschwä- chere Haushalte unterstützt werden. Geduld. Wir wollen auch das Problem der nordfriesischen In- Zuallererst, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihre seln angehen. Diese erhalten stets die niedrigste Mieten- weiteren Lebensplanungen am heutigen Tag: Ich bin da- stufe, weil sie einem Kreis auf dem Festland zugeordnet rüber informiert worden, dass der Präsident im Anschluss werden. an diese Plenarsitzung, also circa 17 Uhr, eine Sondersit- (Beifall der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/ zung des Ältestenrates einberufen hat. Das ist für dieje- DIE GRÜNEN]) nigen, die es betrifft, damit sie ihren Tag entsprechend Das bildet aber nicht das tatsächliche Mietenniveau auf weiter planen können. Wie immer treffen wir uns im den Inseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Lan- Raum 2 N 014. geoog, Spiekeroog und Wangerooge ab. Dann kommen wir zu den von den Schriftführerin- Wir planen im September eine öffentliche Anhörung nen und Schriftführern ermittelten Ergebnissen der na- zu dem Gesetzentwurf. Das Gesetz soll zum 1. Januar mentlichen Abstimmungen. 2020 in Kraft treten. Das wird ein guter Tag für etwa 660 000 Haushalte. Zuerst das Ergebnis der Abstimmung über den Ge- Ich möchte mich bei meinem Praktikanten Silvan setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Spohr bedanken, der hier auf der Tribüne sitzt. Er hat Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Beendigung des mich in den letzten Wochen toll unterstützt. Betriebs von Kohlekraftwerken zur Stromerzeugung Ich wünsche Ihnen und uns allen eine wunderbare sit- (Kohlekraftwerk-Sofortmaßnahme-Gesetz): abgege- zungsfreie Sommerzeit! bene Stimmkarten 601. Mit Ja haben 62 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 479 Abgeordnete, 60 Abgeordnete Ich danke Ihnen. haben sich enthalten. Der Gesetzentwurf ist damit ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung der CDU/CSU) eine weitere Beratung.

(B) Endgültiges Ergebnis Erhard Grundl Filiz Polat Norbert Maria Altenkamp (D) Abgegebene Stimmen: 601; Anja Hajduk Tabea Rößner Philipp Amthor davon Britta Haßelmann Claudia Roth (Augsburg) Artur Auernhammer Dr. Bettina Hoffmann Peter Aumer ja: 62 Dr. Manuela Rottmann Dr . Anton Hofreiter Dorothee Bär nein: 479 Corinna Rüffer Ottmar von Holtz Thomas Bareiß enthalten: 60 Manuel Sarrazin Dr. Kirsten Kappert-Gonther Ulle Schauws Norbert Barthle Katja Keul Dr. Frithjof Schmidt Maik Beermann Ja Maria Klein-Schmeink Stefan Schmidt Manfred Behrens (Börde) BÜNDNIS 90/ Sylvia Kotting-Uhl Kordula Schulz-Asche Veronika Bellmann DIE GRÜNEN Oliver Krischer Dr . Wolfgang Strengmann- Sybille Benning Stephan Kühn (Dresden) Kuhn Dr . André Berghegger Luise Amtsberg Christian Kühn (Tübingen) Margit Stumpp Melanie Bernstein Kerstin Andreae Renate Künast Markus Tressel Christoph Bernstiel Lisa Badum Markus Kurth Jürgen Trittin Peter Beyer Annalena Baerbock Monika Lazar Dr . Julia Verlinden Marc Biadacz Dr. Danyal Bayaz Sven Lehmann Daniela Wagner Steffen Bilger Canan Bayram Steffi Lemke Gerhard Zickenheiner Peter Bleser Dr. Franziska Brantner Dr . Tobias Lindner Norbert Brackmann Agnieszka Brugger Dr. Irene Mihalic Dr. Reinhard Brandl Fraktionslos Dr . Anna Christmann Claudia Müller Michael Brand (Fulda) Ekin Deligöz Beate Müller-Gemmeke Marco Bülow Silvia Breher Katharina Dröge Dr. Ingrid Nestle Heike Brehmer Harald Ebner Dr. Konstantin von Notz Nein Ralph Brinkhaus Matthias Gastel Omid Nouripour Dr. Carsten Brodesser CDU/CSU Kai Gehring Friedrich Ostendorff Gitta Connemann Stefan Gelbhaar Cem Özdemir Dr. Michael von Abercron Astrid Damerow Katrin Göring-Eckardt Lisa Paus Stephan Albani Alexander Dobrindt 13462 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Michael Donth Markus Koob Alois Rainer Christoph de Vries (C) Marie-Luise Dött Carsten Körber Dr. Peter Ramsauer Kees de Vries Hansjörg Durz Gunther Krichbaum Eckhardt Rehberg Dr. Johann David Wadephul Thomas Erndl Dr. Günter Krings Lothar Riebsamen Marco Wanderwitz Hermann Färber Rüdiger Kruse Josef Rief Nina Warken Uwe Feiler Michael Kuffer Johannes Röring Kai Wegner Enak Ferlemann Dr. Roy Kühne Dr. Norbert Röttgen Albert H. Weiler Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Stefan Rouenhoff Marcus Weinberg (Hamburg) Land) Andreas G. Lämmel Erwin Rüddel Dr . Anja Weisgerber Dr. Maria Flachsbarth Dr. Silke Launert Albert Rupprecht Peter Weiß (Emmendingen) Thorsten Frei Jens Lehmann Stefan Sauer Ingo Wellenreuther Dr. Hans-Peter Friedrich Paul Lehrieder Anita Schäfer (Saalstadt) Marian Wendt (Hof) Dr. Katja Leikert Dr . Wolfgang Schäuble Kai Whittaker Michael Frieser Dr. Andreas Lenz Andreas Scheuer Annette Widmann-Mauz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Ursula von der Leyen Jana Schimke Klaus-Peter Willsch Ingo Gädechens Antje Lezius Tankred Schipanski Elisabeth Winkelmeier- Dr . Thomas Gebhart Andrea Lindholz Dr. Claudia Schmidtke Becker Alois Gerig Dr. Carsten Linnemann Christian Schmidt (Fürth) Emmi Zeulner Eckhard Gnodtke Patricia Lips Patrick Schnieder Paul Ziemiak Ursula Groden-Kranich Nikolas Löbel Nadine Schön Dr. Matthias Zimmer Hermann Gröhe Bernhard Loos Felix Schreiner Klaus-Dieter Gröhler Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze SPD Astrid Grotelüschen Daniela Ludwig Uwe Schummer Niels Annen Markus Grübel Karin Maag Torsten Schweiger Ingrid Arndt-Brauer Manfred Grund Gisela Manderla Detlef Seif Heike Baehrens Oliver Grundmann Dr . Astrid Mannes Johannes Selle Ulrike Bahr Fritz Güntzler Matern von Marschall Reinhold Sendker Nezahat Baradari Olav Gutting Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg Doris Barnett (B) Christian Haase Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn (D) Dr. Matthias Bartke Florian Hahn Dr. Michael Meister Björn Simon Sören Bartol Jürgen Hardt Jan Metzler Tino Sorge Bärbel Bas Matthias Hauer Dr. Mathias Middelberg Katrin Staffler Lothar Binding (Heidelberg) Mark Hauptmann Dietrich Monstadt Dr . Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Dr. Matthias Heider Karsten Möring Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner Thomas Heilmann Marlene Mortler Andreas Steier Katrin Budde Frank Heinrich (Chemnitz) Elisabeth Motschmann Sebastian Steineke Mark Helfrich Axel Müller Johannes Steiniger Dr. Lars Castellucci Rudolf Henke Sepp Müller Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Michael Hennrich Carsten Müller Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Marc Henrichmann (Braunschweig) Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Dr. Heribert Hirte Stefan Müller (Erlangen) Stephan Stracke Esther Dilcher Christian Hirte Petra Nicolaisen Max Straubinger Sabine Dittmar Alexander Hoffmann Michaela Noll Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Erich Irlstorfer Dr . Georg Nüßlein Michael Stübgen Saskia Esken Thomas Jarzombek Wilfried Oellers Dr . Peter Tauber Yasmin Fahimi Andreas Jung Florian Oßner Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Ingmar Jung Josef Oster Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Alois Karl Henning Otte Alexander Throm Dr. Edgar Franke Torbjörn Kartes Sylvia Pantel Dr . Dietlind Tiemann Ulrich Freese Dr. Stefan Kaufmann Martin Patzelt Antje Tillmann Michael Gerdes Ronja Kemmer Dr. Joachim Pfeiffer Markus Uhl Martin Gerster Roderich Kiesewetter Dr. Christoph Ploß Dr . Volker Ullrich Angelika Glöckner Michael Kießling Eckhard Pols Arnold Vaatz Timon Gremmels Dr . Georg Kippels Thomas Rachel Oswin Veith Volkmar Klein Kerstin Radomski Michael Groß Jens Koeppen Alexander Radwan Volkmar Vogel (Kleinsaara) Bettina Hagedorn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13463

(A) Metin Hakverdi Dr. Ernst Dieter Rossmann Markus Frohnmaier René Springer (C) Dirk Heidenblut Bernd Rützel Dr. Götz Frömming Beatrix von Storch Hubertus Heil (Peine) Johann Saathoff Dr. Alexander Gauland Dr . Alice Weidel Gabriela Heinrich Dr. Nina Scheer Albrecht Glaser Dr . Harald Weyel Gustav Herzog Marianne Schieder Franziska Gminder Wolfgang Wiehle Gabriele Hiller-Ohm Udo Schiefner Wilhelm von Gottberg Dr . Christian Wirth Thomas Hitschler Dr. Nils Schmid Kay Gottschalk Uwe Witt Dr. Eva Högl Uwe Schmidt Mariana Iris Harder-Kühnel Frank Junge Dagmar Schmidt (Wetzlar) Verena Hartmann FDP Josip Juratovic Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Roland Hartwig Grigorios Aggelidis Thomas Jurk Johannes Schraps Jochen Haug Renata Alt Oliver Kaczmarek Michael Schrodi Martin Hebner Christine Aschenberg- Johannes Kahrs Dr. Manja Schüle Udo Theodor Hemmelgarn Dugnus Elisabeth Kaiser Ursula Schulte Waldemar Herdt Nicole Bauer Ralf Kapschack Swen Schulz (Spandau) Lars Herrmann Jens Beeck Gabriele Katzmarek Stefan Schwartze Martin Hess Dr. Jens Brandenburg Cansel Kiziltepe Andreas Schwarz Karsten Hilse (Rhein-Neckar) Arno Klare Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hohmann Dr. Marco Buschmann Daniela Kolbe Rainer Spiering Dr. Bruno Hollnagel Karlheinz Busen Elvan Korkmaz Svenja Stadler Leif-Erik Holm Carl-Julius Cronenberg Anette Kramme Martina Stamm-Fibich Johannes Huber Britta Katharina Dassler Christine Lambrecht Mathias Stein Fabian Jacobi Bijan Djir-Sarai Christian Lange (Backnang) Kerstin Tack Stefan Keuter Hartmut Ebbing Dr. Karl Lauterbach Michael Thews Enrico Komning Dr. Marcus Faber Burkhard Lischka Markus Töns Jörn König Daniel Föst Kirsten Lühmann Carsten Träger Steffen Kotré Otto Fricke Heiko Maas Ute Vogt Dr. Rainer Kraft Thomas Hacker Caren Marks Marja-Liisa Völlers Rüdiger Lucassen Markus Herbrand (B) Katja Mast Dirk Vöpel Frank Magnitz Torsten Herbst (D) Christoph Matschie Bernd Westphal Dr. Lothar Maier Katja Hessel Hilde Mattheis Gülistan Yüksel Jens Maier Dr. Gero Clemens Hocker Klaus Mindrup Dagmar Ziegler Dr . Birgit Malsack- Manuel Höferlin Susanne Mittag Winkemann Stefan Zierke Dr. Christoph Hoffmann Falko Mohrs Corinna Miazga Dr. Jens Zimmermann Reinhard Houben Claudia Moll Andreas Mrosek Ulla Ihnen Siemtje Möller Hansjörg Müller AfD Olaf In der Beek Bettina Müller Volker Münz Dr. Christian Jung Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Bernd Baumann Sebastian Münzenmaier Thomas L. Kemmerich Michelle Müntefering Marc Bernhard Christoph Neumann Daniela Kluckert Dr. Rolf Mützenich Andreas Bleck Jan Ralf Nolte Dr. Lukas Köhler Dietmar Nietan Peter Boehringer Ulrich Oehme Carina Konrad Ulli Nissen Stephan Brandner Gerold Otten Konstantin Kuhle Josephine Ortleb Jürgen Braun Frank Pasemann Alexander Graf Lambsdorff Mahmut Özdemir (Duisburg) Marcus Bühl Tobias Matthias Peterka Christian Lindner Christian Petry Matthias Büttner Paul Viktor Podolay Oliver Luksic Detlev Pilger Petr Bystron Jürgen Pohl Till Mansmann Sabine Poschmann Tino Chrupalla Stephan Protschka Dr . Jürgen Martens Achim Post (Minden) Joana Cotar Martin Reichardt Christoph Meyer Florian Pronold Dr. Roman Johannes Reusch Alexander Müller Dr. Siegbert Droese Ulrike Schielke-Ziesing Frank Müller-Rosentritt Martin Rabanus Thomas Ehrhorn Dr. Robby Schlund Dr. Martin Neumann Andreas Rimkus Berengar Elsner von Gronow Uwe Schulz (Lausitz) Sönke Rix Dr. Michael Espendiller Thomas Seitz Hagen Reinhold Dennis Rohde Peter Felser Martin Sichert Bernd Reuther Dr. Martin Rosemann Dietmar Friedhoff Detlev Spangenberg Dr. Stefan Ruppert René Röspel Dr . Anton Friesen Dr. Dirk Spaniel Christian Sauter 13464 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Frank Schäffler Enthalten Brigitte Freihold Norbert Müller (Potsdam) (C) Dr. Wieland Schinnenburg Sylvia Gabelmann Dr. Alexander S. Neu CDU/CSU Matthias Seestern-Pauly Nicole Gohlke Thomas Nord Frank Sitta Hans-Georg von der Marwitz Dr. André Hahn Petra Pau Heike Hänsel Victor Perli Judith Skudelny Matthias Höhn Tobias Pflüger Bettina Stark-Watzinger DIE LINKE Ulla Jelpke Ingrid Remmers Dr. Marie-Agnes Strack- Doris Achelwilm Kerstin Kassner Martina Renner Zimmermann Gökay Akbulut Dr. Achim Kessler Bernd Riexinger Benjamin Strasser Simone Barrientos Katja Kipping Eva-Maria Schreiber Dr. Dietmar Bartsch Katja Suding Jan Korte Dr. Petra Sitte Linda Teuteberg Lorenz Gösta Beutin Jutta Krellmann Helin Evrim Sommer Michael Theurer Matthias W. Birkwald Caren Lay Friedrich Straetmanns Stephan Thomae Heidrun Bluhm-Förster Sabine Leidig Dr. Kirsten Tackmann Manfred Todtenhausen Michel Brandt Ralph Lenkert Jessica Tatti Christine Buchholz Dr. Andrew Ullmann Stefan Liebich Kathrin Vogler Birke Bull-Bischoff Gerald Ullrich Dr. Gesine Lötzsch Dr. Sahra Wagenknecht Jörg Cezanne Thomas Lutze Andreas Wagner Dr. Diether Dehm Pascal Meiser Harald Weinberg Fraktionslos Anke Domscheit-Berg Amira Mohamed Ali Katrin Werner Uwe Kamann Klaus Ernst Cornelia Möhring Hubertus Zdebel Mario Mieruch Susanne Ferschl Niema Movassat Pia Zimmermann

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Die zweite namentliche Abstimmung befasste sich 138 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 466 Abgeord- (B) mit dem Antrag der Fraktion Die Linke – „Klimanot- nete, es gab keine Enthaltungen. Der Antrag ist damit (D) stand anerkennen, Klimaschutz-Sofortmaßnahmen abgelehnt.1) verabschieden, Strukturwandel sozial gerecht umset- zen“ –: abgegebene Stimmkarten 604. Mit Ja haben 1) Anlage 4

Endgültiges Ergebnis Frank Schäffler Klaus Ernst Cornelia Möhring Abgegebene Stimmen: 601; Dr. Wieland Schinnenburg Susanne Ferschl Niema Movassat davon Matthias Seestern-Pauly Brigitte Freihold Norbert Müller (Potsdam) ja: 138 Linda Teuteberg Sylvia Gabelmann Dr. Alexander S. Neu nein: 463 Michael Theurer Nicole Gohlke Thomas Nord enthalten: 0 Stephan Thomae Dr. André Hahn Petra Pau Manfred Todtenhausen Heike Hänsel Victor Perli Ja Matthias Höhn Tobias Pflüger DIE LINKE Ulla Jelpke Ingrid Remmers FDP Kerstin Kassner Doris Achelwilm Martina Renner Dr. Achim Kessler Christine Aschenberg- Gökay Akbulut Bernd Riexinger Dugnus Simone Barrientos Katja Kipping Eva-Maria Schreiber Markus Herbrand Dr. Dietmar Bartsch Jan Korte Dr. Petra Sitte Katja Hessel Lorenz Gösta Beutin Jutta Krellmann Helin Evrim Sommer Manuel Höferlin Matthias W. Birkwald Caren Lay Friedrich Straetmanns Dr. Christoph Hoffmann Heidrun Bluhm-Förster Sabine Leidig Reinhard Houben Michel Brandt Ralph Lenkert Dr. Kirsten Tackmann Ulla Ihnen Christine Buchholz Stefan Liebich Jessica Tatti Thomas L. Kemmerich Birke Bull-Bischoff Dr. Gesine Lötzsch Kathrin Vogler Christian Lindner Jörg Cezanne Thomas Lutze Andreas Wagner Christoph Meyer Dr. Diether Dehm Pascal Meiser Harald Weinberg Alexander Müller Anke Domscheit-Berg Amira Mohamed Ali Katrin Werner Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13465

(A) Hubertus Zdebel Ulle Schauws Enak Ferlemann Dr. Roy Kühne (C) Pia Zimmermann Dr. Frithjof Schmidt Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Stefan Schmidt Land) Andreas G. Lämmel BÜNDNIS 90/ Kordula Schulz-Asche Dr. Maria Flachsbarth Katharina Landgraf DIE GRÜNEN Dr . Wolfgang Strengmann- Thorsten Frei Dr. Silke Launert Dr. Hans-Peter Friedrich Luise Amtsberg Kuhn Jens Lehmann (Hof) Kerstin Andreae Margit Stumpp Paul Lehrieder Michael Frieser Lisa Badum Markus Tressel Dr. Katja Leikert Hans-Joachim Fuchtel Annalena Baerbock Jürgen Trittin Dr. Andreas Lenz Ingo Gädechens Dr. Danyal Bayaz Dr . Julia Verlinden Dr. Ursula von der Leyen Dr . Thomas Gebhart Canan Bayram Daniela Wagner Antje Lezius Alois Gerig Dr. Franziska Brantner Gerhard Zickenheiner Andrea Lindholz Eckhard Gnodtke Agnieszka Brugger Dr. Carsten Linnemann Ursula Groden-Kranich Patricia Lips Dr . Anna Christmann Fraktionslos Hermann Gröhe Nikolas Löbel Ekin Deligöz Marco Bülow Klaus-Dieter Gröhler Bernhard Loos Katharina Dröge Astrid Grotelüschen Dr. Jan-Marco Luczak Harald Ebner Nein Markus Grübel Daniela Ludwig Matthias Gastel Manfred Grund Karin Maag Kai Gehring CDU/CSU Oliver Grundmann Gisela Manderla Stefan Gelbhaar Dr. Michael von Abercron Fritz Güntzler Dr . Astrid Mannes Katrin Göring-Eckardt Stephan Albani Olav Gutting Matern von Marschall Erhard Grundl Norbert Maria Altenkamp Christian Haase Hans-Georg von der Marwitz Anja Hajduk Philipp Amthor Florian Hahn Andreas Mattfeldt Britta Haßelmann Artur Auernhammer Jürgen Hardt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Bettina Hoffmann Peter Aumer Matthias Hauer Dr. Michael Meister Dr . Anton Hofreiter Dorothee Bär Mark Hauptmann Jan Metzler Ottmar von Holtz Thomas Bareiß Dr. Matthias Heider Dr. Mathias Middelberg Dr. Kirsten Kappert-Gonther Norbert Barthle (B) Thomas Heilmann Dietrich Monstadt (D) Katja Keul Maik Beermann Frank Heinrich (Chemnitz) Karsten Möring Maria Klein-Schmeink Manfred Behrens (Börde) Mark Helfrich Marlene Mortler Sylvia Kotting-Uhl Veronika Bellmann Rudolf Henke Elisabeth Motschmann Oliver Krischer Sybille Benning Michael Hennrich Axel Müller Stephan Kühn (Dresden) Dr . André Berghegger Marc Henrichmann Sepp Müller Christian Kühn (Tübingen) Melanie Bernstein Dr. Heribert Hirte Carsten Müller Renate Künast Christoph Bernstiel Christian Hirte (Braunschweig) Markus Kurth Peter Beyer Alexander Hoffmann Stefan Müller (Erlangen) Monika Lazar Marc Biadacz Erich Irlstorfer Petra Nicolaisen Sven Lehmann Steffen Bilger Thomas Jarzombek Michaela Noll Steffi Lemke Peter Bleser Andreas Jung Dr . Georg Nüßlein Dr . Tobias Lindner Norbert Brackmann Ingmar Jung Wilfried Oellers Dr. Irene Mihalic Dr. Reinhard Brandl Alois Karl Florian Oßner Claudia Müller Michael Brand (Fulda) Torbjörn Kartes Josef Oster Beate Müller-Gemmeke Silvia Breher Dr. Stefan Kaufmann Henning Otte Dr. Ingrid Nestle Heike Brehmer Ronja Kemmer Sylvia Pantel Dr. Konstantin von Notz Ralph Brinkhaus Roderich Kiesewetter Martin Patzelt Omid Nouripour Dr. Carsten Brodesser Michael Kießling Dr. Joachim Pfeiffer Friedrich Ostendorff Gitta Connemann Dr . Georg Kippels Dr. Christoph Ploß Cem Özdemir Astrid Damerow Volkmar Klein Eckhard Pols Lisa Paus Alexander Dobrindt Jens Koeppen Thomas Rachel Filiz Polat Michael Donth Markus Koob Kerstin Radomski Tabea Rößner Marie-Luise Dött Carsten Körber Alexander Radwan Claudia Roth (Augsburg) Hansjörg Durz Gunther Krichbaum Alois Rainer Dr. Manuela Rottmann Thomas Erndl Dr. Günter Krings Dr. Peter Ramsauer Corinna Rüffer Hermann Färber Rüdiger Kruse Eckhardt Rehberg Manuel Sarrazin Uwe Feiler Michael Kuffer Lothar Riebsamen 13466 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Josef Rief Nina Warken Gustav Herzog Marianne Schieder (C) Johannes Röring Kai Wegner Gabriele Hiller-Ohm Udo Schiefner Dr. Norbert Röttgen Albert H. Weiler Thomas Hitschler Dr. Nils Schmid Stefan Rouenhoff Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Eva Högl Uwe Schmidt Erwin Rüddel Dr . Anja Weisgerber Frank Junge Dagmar Schmidt (Wetzlar) Albert Rupprecht Peter Weiß (Emmendingen) Josip Juratovic Carsten Schneider (Erfurt) Stefan Sauer Ingo Wellenreuther Thomas Jurk Johannes Schraps Anita Schäfer (Saalstadt) Marian Wendt Oliver Kaczmarek Michael Schrodi Dr . Wolfgang Schäuble Kai Whittaker Johannes Kahrs Dr. Manja Schüle Andreas Scheuer Annette Widmann-Mauz Elisabeth Kaiser Ursula Schulte Jana Schimke Klaus-Peter Willsch Ralf Kapschack Swen Schulz (Spandau) Tankred Schipanski Elisabeth Winkelmeier- Gabriele Katzmarek Stefan Schwartze Dr. Claudia Schmidtke Becker Cansel Kiziltepe Andreas Schwarz Christian Schmidt (Fürth) Emmi Zeulner Arno Klare Rita Schwarzelühr-Sutter Patrick Schnieder Paul Ziemiak Daniela Kolbe Rainer Spiering Nadine Schön Dr. Matthias Zimmer Elvan Korkmaz Svenja Stadler Felix Schreiner Anette Kramme Martina Stamm-Fibich Dr. Klaus-Peter Schulze SPD Christine Lambrecht Mathias Stein Uwe Schummer Christian Lange (Backnang) Niels Annen Kerstin Tack Torsten Schweiger Dr. Karl Lauterbach Ingrid Arndt-Brauer Michael Thews Detlef Seif Burkhard Lischka Heike Baehrens Markus Töns Johannes Selle Kirsten Lühmann Ulrike Bahr Carsten Träger Reinhold Sendker Heiko Maas Nezahat Baradari Ute Vogt Dr. Patrick Sensburg Caren Marks Doris Barnett Marja-Liisa Völlers Thomas Silberhorn Katja Mast Dr. Matthias Bartke Dirk Vöpel Björn Simon Christoph Matschie Sören Bartol Bernd Westphal Tino Sorge Hilde Mattheis Bärbel Bas Gülistan Yüksel Katrin Staffler Klaus Mindrup Lothar Binding (Heidelberg) Dagmar Ziegler (B) Dr . Wolfgang Stefinger Susanne Mittag (D) Leni Breymaier Stefan Zierke Albert Stegemann Falko Mohrs Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Jens Zimmermann Andreas Steier Claudia Moll Sebastian Steineke Katrin Budde Siemtje Möller AfD Johannes Steiniger Dr. Lars Castellucci Bettina Müller Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Bernd Baumann Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Michelle Müntefering Marc Bernhard Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Dr. Rolf Mützenich Andreas Bleck Stephan Stracke Esther Dilcher Dietmar Nietan Peter Boehringer Max Straubinger Sabine Dittmar Ulli Nissen Stephan Brandner Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Josephine Ortleb Jürgen Braun Michael Stübgen Saskia Esken Mahmut Özdemir (Duisburg) Marcus Bühl Dr . Peter Tauber Yasmin Fahimi Christian Petry Matthias Büttner Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Detlev Pilger Petr Bystron Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Sabine Poschmann Tino Chrupalla Alexander Throm Dr. Edgar Franke Achim Post (Minden) Joana Cotar Dr . Dietlind Tiemann Ulrich Freese Florian Pronold Dr. Gottfried Curio Antje Tillmann Michael Gerdes Dr. Sascha Raabe Siegbert Droese Markus Uhl Martin Gerster Martin Rabanus Thomas Ehrhorn Dr . Volker Ullrich Angelika Glöckner Andreas Rimkus Berengar Elsner von Gronow Arnold Vaatz Timon Gremmels Sönke Rix Dr. Michael Espendiller Oswin Veith Kerstin Griese Dennis Rohde Peter Felser Kerstin Vieregge Michael Groß Dr. Martin Rosemann Dietmar Friedhoff Volkmar Vogel (Kleinsaara) Bettina Hagedorn René Röspel Dr . Anton Friesen Christoph de Vries Metin Hakverdi Dr. Ernst Dieter Rossmann Markus Frohnmaier Kees de Vries Dirk Heidenblut Bernd Rützel Dr. Götz Frömming Dr. Johann David Wadephul Hubertus Heil (Peine) Johann Saathoff Dr. Alexander Gauland Marco Wanderwitz Gabriela Heinrich Dr. Nina Scheer Albrecht Glaser Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13467

(A) Franziska Gminder Dr . Birgit Malsack- Dr . Harald Weyel Dr. Lukas Köhler (C) Wilhelm von Gottberg Winkemann Wolfgang Wiehle Carina Konrad Kay Gottschalk Corinna Miazga Dr . Christian Wirth Konstantin Kuhle Mariana Iris Harder-Kühnel Andreas Mrosek Uwe Witt Alexander Graf Lambsdorff Verena Hartmann Hansjörg Müller Oliver Luksic Dr. Roland Hartwig Volker Münz FDP Till Mansmann Sebastian Münzenmaier Jochen Haug Grigorios Aggelidis Dr . Jürgen Martens Christoph Neumann Martin Hebner Renata Alt Frank Müller-Rosentritt Jan Ralf Nolte Udo Theodor Hemmelgarn Dr. Martin Neumann Ulrich Oehme Nicole Bauer Waldemar Herdt (Lausitz) Gerold Otten Jens Beeck Lars Herrmann Hagen Reinhold Frank Pasemann Dr. Jens Brandenburg Martin Hess (Rhein-Neckar) Bernd Reuther Tobias Matthias Peterka Karsten Hilse Dr. Marco Buschmann Dr. Stefan Ruppert Paul Viktor Podolay Martin Hohmann Christian Sauter Jürgen Pohl Karlheinz Busen Dr. Bruno Hollnagel Frank Sitta Stephan Protschka Carl-Julius Cronenberg Leif-Erik Holm Judith Skudelny Martin Reichardt Britta Katharina Dassler Bettina Stark-Watzinger Johannes Huber Roman Johannes Reusch Bijan Djir-Sarai Dr. Marie-Agnes Strack- Fabian Jacobi Ulrike Schielke-Ziesing Hartmut Ebbing Zimmermann Stefan Keuter Dr. Robby Schlund Dr. Marcus Faber Benjamin Strasser Enrico Komning Uwe Schulz Daniel Föst Katja Suding Jörn König Thomas Seitz Otto Fricke Dr . Andrew Ullmann Steffen Kotré Martin Sichert Thomas Hacker Gerald Ullrich Dr. Rainer Kraft Detlev Spangenberg Torsten Herbst Rüdiger Lucassen Dr. Dirk Spaniel Dr. Gero Clemens Hocker Fraktionslos Frank Magnitz René Springer Olaf In der Beek Dr. Lothar Maier Beatrix von Storch Dr. Christian Jung Uwe Kamann Jens Maier Dr . Alice Weidel Daniela Kluckert Mario Mieruch

(B) Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der (D) entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Wir fahren nun fort in der Debatte zum Wohngeldstär- selbstgesteckten Wohnungsbauziele. Dabei wäre eine kungsgesetz. Das Wort hat der Kollege Daniel Föst für Bauoffensive mehr als dringend notwendig. die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Es fehlen nach 469 Tagen im Amt immer noch Milli- onen Wohnungen in Deutschland. Deswegen steigen die Daniel Föst (FDP): Mieten und die Preise. Wohnen wird aber erst wieder für Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen alle bezahlbar, wenn wir mehr bauen, wenn wir schneller und Kollegen! Seit exakt 469 Tagen ist Horst Seehofer bauen, wenn wir günstiger bauen. Das muss oberste Pri- Bundesbauminister. 469 Tage! Ich erwähne das deshalb, orität haben. Alles andere ist Globulipolitik. weil wir heute das erste federführende Gesetz aus dem Bauministerium zum bezahlbaren Wohnraum beraten. (Beifall bei der FDP) Das erste Gesetz – nach 469 Tagen! Es tut mir leid, aber das ist sehr spät, eigentlich ist es schon viel zu spät. Es Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Woh- wird der Brisanz und der Entwicklung auf dem Mietwoh- nungen, die wir brauchen, nicht bis morgen gebaut sind. nungsmarkt nicht gerecht. Deswegen müssen wir die Menschen, die sich die Mieten nicht leisten können, unterstützen. Ich sage ganz bewusst, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die Menschen; denn wir als FDP wollen das Geld nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in Beton gießen, wie alle anderen Parteien. Das Wohn- geld ist grundsätzlich eine gute Idee, weil es treffsicher Den Menschen in unserem Land steht bei den Wohn- denjenigen hilft, die wirklich Hilfe brauchen, weil es den kosten das Wasser bis zum Hals. Die Mieten gehen hoch. Menschen hilft, in ihren Wohnungen, ihren angestamm- Auch die Kosten fürs Eigenheim steigen munter weiter, ten Vierteln zu verbleiben, statt sie in Sozialsiedlungen trotz allem Baukindergeld, aller Strohfeuer, AfA und des an den Stadtrand zu treiben. ganzen Regulierungswahns. Wir kommen nicht voran. Obendrein verfehlt die Bundesregierung auch noch ihre (Beifall bei der FDP) 13468 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Daniel Föst (A) Mit dieser Reform nach 469 Tagen gehen Sie in die Nicole Gohlke (DIE LINKE): (C) richtige Richtung. Aber das Wohngeld hat noch viele Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Probleme. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir Die Mietenexplosion in unseren Städten ist mittlerweile anfangen, darüber zu beraten. Aber es ist auch mehr als an einem Punkt angekommen, wo quasi jede erstrittene überfällig. Seit Jahren drängen wir Freie Demokraten auf Lohnerhöhung von den steigenden Mieten aufgefressen ein höheres und ein stärkeres Wohngeld und – was noch wird. In den 20 Städten mit dem stärksten Mietenanstieg viel wichtiger ist – auf eine automatische Anpassung des sind die Mieten fast doppelt so schnell gestiegen wie der Wohngelds; denn das Wohngeld ist momentan viel zu Bundesdurchschnitt der Einkommen. Kein Wunder, dass starr . Wer eine kleine Gehaltserhöhung bekommt, über- es für Geringverdienende und auch für Durchschnitts- schreitet schnell die Berechtigungsgrenze für Wohngeld, verdienende in den Großstädten und in den Metropolen hat aber am Ende weniger übrig. Das ist ein Riesenkons- kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt. truktionsfehler, und das ist leistungsfeindlich. (Beifall des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) Kolleginnen und Kollegen, das muss uns Angst ma- chen. Diese Entwicklung macht unsere Stadtgesellschaf- Deswegen bin ich wirklich froh, dass es die automatische ten kaputt; sie spaltet unsere Gesellschaft. Es macht Erhöhung auf unseren Druck hin in die Wohngeldreform Perspektiven von Menschen zunichte, und es kann im geschafft hat. schlimmsten Falle ganze Existenzen zerstören. Deshalb (Beifall bei der FDP – Christian Kühn [Tübin- sagt Die Linke: Die Spekulation mit Wohnraum muss gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war endlich beendet werden! Die Löhne müssen rauf, und es nicht nur die FDP!) braucht einen bundesweiten Mietendeckel! – Nein, werter Kollege Kühn. Ich gestehe den Grünen zu, (Beifall bei der LINKEN) dass auch ihr erkannt habt, wie wichtig eine automatische Anpassung ist. Aber euch gelingt nicht immer, so etwas Die aktuelle Wohnungsnot ist nicht vom Himmel ge- zu erkennen. fallen, sondern sie wurde durch den Niedergang des sozi- alen Wohnungsbaus regelrecht heraufbeschworen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was nach wie vor ein großes Problem beim Wohngeld (Daniel Föst [FDP]: Insbesondere in Innen- ist, ist der bürokratische Wahnsinn. Insbesondere bei städten!) denen, die sich am unteren Ende des Wohngelds bewe- gen, wo der Übergang zu den anderen Sozialleistungen Wohnungen im öffentlichen Besitz wurden privatisiert, fließend ist, kommt es regelmäßig zum Transferleis- der Bund hat sich aus der Finanzierung herausgezogen. (B) (D) tungs-Hopping. Plötzlich muss man sich alle zwei Jahre So hat sich der Bestand sozial gebundener Wohnungen mit immer neuen Formularen herumschlagen, obwohl zwischen 2002 und 2017 von 2,5 Millionen auf 1,2 Mil- sich eigentlich an der Lebenssituation nichts geändert lionen halbiert. Er hat sich halbiert! Der Rückgang wird hat, was ja schon schlimm genug ist. weitergehen, weil der Bund auch heute nicht genügend investiert. Das größte Problem ist doch, dass hier einfach Genau dieses Transferleistungs-Hopping und diese viel zu wenig passiert. bürokratische Belastung der Menschen wollen wir Freie Demokraten ändern. Deswegen sagen wir: Wir müssen (Beifall bei der LINKEN) alle staatlichen Transferleistungen zu einem liberalen Bürgergeld zusammenfassen; Dieser selbst produzierte und selbst verschuldete Mangel an günstigem Wohnraum hat gleichzeitig zu (Beifall bei der FDP) einer regelrechten Kostenexplosion bei der sogenannte denn gerade das liberale Bürgergeld ist unbürokratisch, Subjektförderung geführt, also bei der finanziellen Un- es ist leistungsfreundlich, und es ermöglicht allen, die terstützung einkommensarmer Menschen bei den Wohn- Hilfe brauchen, ein selbstbestimmtes Leben. Deswegen kosten. Heute müssen Bund, Länder und Kommunen würde es das Leben der Menschen wirklich erleichtern. rund 1,1 Milliarden Euro jährlich dafür ausgegeben. Das ist eine unglaubliche Zahl. Eines ist klar: Solange es die Ich bitte Sie um Unterstützung für den grundsätzli- Große Koalition nicht schafft, für ausreichend bezahlba- chen Umbau unseres sozialen Transfersystems hin zu ei- re Wohnungen zu sorgen, sind Bund und Länder in der nem liberalen Bürgergeld, damit wir die Menschen genau Pflicht, das Wohngeld so zu gestalten, dass auch Men- da unterstützen, wo sie Hilfe brauchen. schen mit geringem Einkommen eine reelle Chance auf Vielen Dank. dem Wohnungsmarkt haben. (Beifall bei der FDP – Hagen Reinhold [FDP]: (Beifall bei der LINKEN) Einfach machen! Einfach umsetzen! – Ulli Nissen [SPD]: Typisch FDP!) Die von der Bundesregierung geplante Anpassung des Wohngeldes ist noch viel zu passiv und zu gering. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wohngeld muss erhöht, muss ausgeweitet und muss jährlich angepasst werden. Es muss sich aus den real zu Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Frak- zahlenden Wohnkosten ableiten, muss also auch die Hei- tion Die Linke. zungs- und Warmwasserkosten einbeziehen. Der Kreis (Beifall bei der LINKEN) der Anspruchsberechtigten muss ausgeweitet werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13469

Nicole Gohlke (A) Wir sagen: Wer Anrecht auf eine Sozialwohnung hat, soll Wohnkosten derjenigen 20 Prozent, die in unserem Land (C) auch Wohngeld erhalten können. die geringsten Einkommen haben, massiv gestiegen und explodiert. Der Immobilienboom der letzten zehn Jahre (Beifall bei der LINKEN) macht die Reichen in diesem Land reicher und die Ar- Und: Kein Wohngeldhaushalt soll mehr als die zumutba- men ärmer, wegen der Mietenexplosion. Im Augenblick ren 30 Prozent des Einkommens für die Bruttowarmmie- spaltet sich dieses Land genau an dieser Vermögens- und te ausgeben müssen. Verteilungsfrage. Die Mietenexplosion ist der Spaltpilz dieser Gesellschaft. Ich kann nicht verstehen, dass diese Aber eines ist doch offensichtlich: Die Probleme auf Bundesregierung nicht handelt. dem Wohnungsmarkt, die heute die Erhöhung des Wohn- geldes so ungeheuer dringend machen, lassen sich auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesem Wege jedoch gar nicht ursächlich beheben. Die sowie bei Abgeordneten der FDP) Erhöhung des Wohngeldes ist ja nur eine Kompensation Sie tun so, als ob Sie die Dinge einfach so weiter- von zu wenig bezahlbarem Wohnraum. Volkswirtschaft- schreiben können. Das reicht einfach nicht aus. Das ist lich sinnvoll und nachhaltig wäre es ja genau anders he- auch bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf für ein rum, nämlich dafür zu sorgen, dass Löhne, Gehälter und Wohngeldgesetz der Fall. Wenn man sich diese Studie auch Transferleistungen schlichtweg zum Leben ausrei- anschaut, dann hofft man, dieser Gesetzentwurf könnte chen, weil nämlich genug sozial geförderter und bezahl- eine Antwort auf die Probleme sein. Aber das ist er nicht. barer Wohnraum vorhanden ist und weil die Mieten nicht Dieses Wohngeldgesetz, das prophezeie ich Ihnen, wird mehr steigen. Das wäre doch eigentlich der richtige Weg, genauso verpuffen wie die Wohngeldnovelle 2015, weil Kolleginnen und Kollegen. Sie die Grundfehler der alten Novelle wiederholen, außer (Beifall bei der LINKEN) einem, und darauf möchte ich jetzt eingehen. Statt also am Ende auch noch die steigenden Mieten Die Dynamisierung ist gut. Sie als Große Koalition der großen Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, tun jetzt so, als ob Sie das erfunden und das Problem jetzt Vonovia oder Patrizia zu bezuschussen, sollte die Regie- erkannt und gelöst haben; aber das ist nicht der Fall. Bei rung lieber einmal damit beginnen, wirklich und nach- der Wohngeldnovelle 2015 haben die Sozial- und Wohl- haltig in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Die fahrtsverbände gesagt: Das muss sich ändern. – Die Mie- Linke fordert: Jährlich 10 Milliarden Euro für ein öffent- terinitiativen haben gesagt: Das muss sich ändern. – Wir liches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild. Wir in der Opposition haben gesagt: Das muss sich ändern. – brauchen einen Neustart im sozialen Wohnungsbau. Es ist aber an der alten Großen Koalition gescheitert. (Klaus Mindrup [SPD]: Wir lernen dazu, Herr (B) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege!) (D) Kollegin Gohlke, ich habe die Uhr angehalten. Die Dass Sie es jetzt reingeschrieben haben, kommt leider Frage war, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kolle- vier Jahre zu spät. gen Mindrup zulassen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nicole Gohlke (DIE LINKE): sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulli Nissen [SPD]: Wir hätten es gern schon vorher ge- Das war jetzt mein letzter Satz, deswegen nicht mehr. macht!) Vielen Dank. Ihre Berechnungsmethode ist angesichts dessen, was (Beifall bei der LINKEN – Klaus Mindrup auf den Wohnungsmärkten passiert, überhaupt nicht [SPD]: Dann eine Kurzintervention! – Gegen- ausreichend. Sie nehmen den Durchschnitt aller Wohn- ruf des Abg. Daniel Föst [FDP]: Ach komm! geldhaushalte und errechnen daraus die neuen Wohn- Du hast doch heute schon geredet!) geldstufen. Sie müssten die Durchschnittsmieten in den Städten nehmen und daraus die neuen Wohngeldstufen errechnen, Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Chris Kühn für die Fraktion (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen. dann hätten Sie einen größeren Bezieherkreis, und dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wäre es wirklich eine Antwort auf die Mietenexplosion. Dass Sie angesichts von Fridays for Future und der Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Proteste von Mieterinnen und Mietern auf den Straßen GRÜNEN): in Berlin und in vielen anderen Städten in Deutschland Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und nicht in der Lage sind, hier eine Klimakomponente ein- Kollegen! Letzte Woche hat die Universität Bonn eine zuführen, zeigt doch, dass Sie es nicht hinbekommen, Studie vorgelegt, die sich mit den Auswirkungen des Im- Klimaschutz und Wohnen miteinander zu verbinden und mobilienbooms in Deutschland beschäftigt. Diese Studie diese beiden Großthemen miteinander zu verzahnen. hat, finde ich, sehr krasse Zahlen gezeigt: Die Vermö- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen der 10 Prozent reichsten Deutschen sind aufgrund dieses Immobilienbooms um 1,5 Billionen Euro gestie- Sie haben in dieser Wahlperiode einige Schritte für eine gen – das ist eine krasse Zahl –, demgegenüber sind die Klimakomponente auf den Weg gebracht. Das Bauminis- 13470 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Christian Kühn (Tübingen) (A) terium hat ja bereits Gutachten auf den Weg gebracht, der Erhöhung des Betrages gemacht haben, ist eine deut- (C) ein Planspiel gemacht. Ich verstehe nicht, warum Sie das liche Verbesserung gegenüber der bisherigen Situation. nicht einfach umsetzen. Dazu gehört auch die Dynamisierung, das heißt die An- passung alle zwei Jahre. Unterstellt, dass sie im Bestand (Ulli Nissen [SPD]: Es gilt das Struck’sche mieten, bedeutet das für den Großteil der Wohngeldemp- Gesetz! Auch hier!) fänger tatsächlich eine deutliche Verbesserung. Die Miet- Ich verstehe es beim besten Willen nicht, und Fridays steigerungen sind im Wesentlichen, abgesehen von den for Future und die Menschen da draußen verstehen auch regionalen Hotspots, im Bereich der Neuvermietung. So nicht, dass Sie auch hier beim Klimaschutz versagen. profitiert von dieser Wohngelderhöhung in der Tat eine große Zahl von Mietern, deren Situation sich auch als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bestandsmieter verbessert. Jetzt zur Reichweite, Herr Wanderwitz. Wissen Sie, Ich bin der Kollegin Connemann sehr dankbar, dass wie viele Wohngeldempfängerinnen und Wohngeldemp- sie uns auf das besondere Problem der Inseln hingewie- fänger es 2010 in Deutschland gab? 1 Million. Jetzt sa- sen hat. Meine Kollegin Nissen hat es vorhin schon an- gen Sie: Wir erhöhen die Reichweite massiv auf 60 000. gesprochen: Wir haben uns nur sehr kurz abgestimmt und Seit 2010 haben wir in den Städten eine Mietenexplosi- verabredet, dass wir hierfür im Beratungsprozess eine on. Das zeigt doch: Dieser Empfängerkreis ist mitnichten Regelung finden werden, die die Sondersituation auf die- einer, der die sozialen Probleme beim Wohnen löst. Des- sen Inseln berücksichtigt. Der Bundesrat hätte gerne eine wegen brauchen wir eine andere Berechnungsmethode. Länderöffnungsklausel. Die sehen wir kritisch; aber wir Deswegen ist es Augenwischerei, was Sie heute hier zur wollen die Gemeinden, wo die Bewohner keine ernsthaf- Reichweite dieser Novelle gesagt haben. te Alternative zum Ausweichen haben, wenn Mieten zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hoch sind, wie das bei den Inseln ohne Festlandanbin- dung der Fall ist, in einer Sonderregelung berücksichti- Sie kochen das Wohngeld weiter auf Sparflamme. gen. Das halten wir für unbedingt notwendig. Wenn Sie damit weitermachen und das das Einzige bleibt, was Sie in Richtung soziale Gerechtigkeit beim (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wohnen tun, dann ist das erbärmlich, dann ist das kei- ordneten der SPD) ne Absicherung des Grundrechtes auf Wohnen. Dagegen werden wir hier im Parlament die Stimme erheben. Auf die anderen Fragen ist schon hingewiesen wor- den. Die Mietstufe VII ist eine Reaktion auf die verän- Danke schön. derte Struktur unserer Miethöhen. Die Erhöhung und die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ausweitung der Reichweite erlauben ein flexibles Re- (B) agieren auf die Situation. (D)

Vizepräsidentin Petra Pau: Zum Antrag der FDP möchte ich nur eines sagen: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Wir wissen, dass viele Wohngeldberechtigte gar kein Karsten Möring das Wort. Wohngeld beantragen. „Die Zeit“ hat neulich eine Un- tersuchung gemacht und versucht, zu analysieren, wel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. che Gründe dafür vorliegen, und hat als einen Grund Ulli Nissen [SPD]) genannt, dass viele Menschen meinen, Wohngeld habe ir- gendetwas mit Hartz IV zu tun. Wohngeld ist eine völlig Karsten Möring (CDU/CSU): andere Kategorie. Wenn wir aber wissen, dass zu weni- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ge das in Anspruch nehmen, obwohl sie berechtigt sind, Als Erstes auch von meiner Seite einen Dank an den dann muss es unser gemeinsames Interesse sein, dieses Bundesrat, dass er es endlich geschafft, die Sonder-AfA Instrument stärker einzusetzen und bekannt zu machen. zu verabschieden. Das ist zwar heute nicht unser Thema; Wir können nicht einfach nur die PS erhöhen, wir aber wir können jetzt einmal feststellen, dass wir bei der müssen sie auch auf die Straße bringen, um mit diesem Wohnungsfrage auf mehrere Säulen setzen. Wir haben Bild zu arbeiten. Das muss unsere gemeinsame Anstren- den sozialen Wohnungsbau mit erheblichen Mitteln aus- gung sein, auf kommunaler Ebene, die es weitgehend gestattet, die wir vom Bund in die Länder bringen, die umsetzt, aber auch von uns, indem wir die Menschen da- Länder geben noch etwas dazu. Wir haben die Förderung rauf aufmerksam machen. im bezahlbaren Mietwohnungsbau ein Stück vorange- bracht. Heute reden wir über die individuelle Komponen- (Hagen Reinhold [FDP]: Also liberales Bür- te, nämlich über das Wohngeld. gergeld! Wunderbar! Dann bekomme ich das ja automatisch!) Ich will die Zahlen, die der Kollege Wanderwitz und meine Kollegin Nissen vorhin im Detail schon ausgebrei- – Ich habe noch nie von liberalem Geld gehört, Herr Kol- tet haben, gar nicht wiederholen, sondern auf den Kern lege. – Also, wir werden das machen. des Problems (Ulli Nissen [SPD]: Ist das Schwarzgeld?) (Daniel Föst [FDP]: Politikversagen!) Letzter Satz dazu. Wenn die Länder bei dieser Erhö- kommen und sagen: Das Wohngeld ist eine flexible Mög- hung vom Bund gerne einen höheren Anteil haben wol- lichkeit, auf die Situation am Wohnungsmarkt zu reagie- len, dann sage ich: Die Länderhaushalte sind genauso ren. Das, was wir mit der Erhöhung der Reichweite und gut wie der Bundeshaushalt in der Lage, diese Mehr- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13471

Karsten Möring (A) kosten zu tragen. Was sie dort mitfinanzieren, ist dann tere Menschen, die ein langes, hartes Arbeitsleben hinter (C) im SGB-Bereich in den Kommunen nicht notwendig. sich haben und mit einer Rente auskommen müssen, die Deswegen bleibt es bei der paritätischen Finanzierung in ihnen nach Abzug der Miete zu wenig für ein gutes Le- diesem Gesetz. ben übrig lässt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und In Zahlen bedeutet das: Von der nun auf den Weg ge- der SPD) brachten Wohngeldreform profitieren 660 000 Haushal- te – das ist schon eine Menge –; knapp 200 000 Haus- Vizepräsidentin Petra Pau: halte werden durch die Reform neu oder wieder einen Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die Anspruch auf Wohngeld erhalten. Rund 20 000 Wohn- SPD-Fraktion. geldhaushalte würden ohne Reform Ende 2020 auf die Grundsicherung für Arbeitslose, also auf Leistungen des (Beifall bei der SPD) SGB II, angewiesen sein. Weitere 5 000 Haushalte kom- men raus aus der Sozialhilfe, also aus dem SGB XII, und Bernhard Daldrup (SPD): erhalten Wohngeld. Hinter diesen Zahlen stehen Zehn- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tausende Menschen. Insofern ist die Novelle auch eine Erlauben Sie mir zunächst, zu sagen: Herr Hemmelgarn, bedeutende Sozialreform dieser Wahlperiode. wer so postet wie Sie, der sollte nicht von selbstgefälliger Mit der jetzt erstmals festgelegten Dynamisierung des Selbstdarstellung reden. Halten Sie sich einfach zurück! Wohngeldes passen wir das Wohngeld automatisch alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- zwei Jahre an die Miet- und Einkommensentwicklung ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE an. Nun kann man sagen: Das muss jährlich passieren. – GRÜNEN) Wenn wir uns für eine jährliche Anpassung entschieden hätten, hätten Sie wahrscheinlich eine halbjährliche An- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wohngipfel passung vorgeschlagen. Das ist ein merkwürdiger Wett- fand im September des letzten Jahres statt. Wir haben bewerb. Chris Kühn, dass Bündnis 90/Die Grünen die insgesamt 30 ganz unterschiedliche Maßnahmen für Dynamisierung erfunden haben: Darauf ist vorher noch den Wohnungsbau, die Sicherung der Bezahlbarkeit des niemand gekommen? Das ist eine neue Erkenntnis für Wohnens, die Senkung der Baukosten sowie zur Fach- mich. Aber manchmal nimmt man etwas für sich in An- kräftesicherung beschlossen. Zusammen mit dem Wohn- spruch. Das ist irgendwie auch beeindruckend. Jeden- geldstärkungsgesetz, das der Staatssekretär zu Beginn falls nehmen wir Zehntausenden Menschen, die Angst der Debatte vorgestellt hat, zeigen die Maßnahmen: Die haben, zwischen den Systemen hin- und hergeschoben Große Koalition liefert im Bereich des Wohnens. Sie lie- zu werden – es ist richtig, was der Herr Föst da gesagt (B) fert konkrete Ergebnisse. hat –, diese Angst. Wir beenden den Drehtüreffekt. Wir (D) (Lachen bei der FDP) stärken damit Menschen mit niedrigen Einkommen auf dem Wohnungsmarkt den Rücken. Das wollen wir auch. – Ja, das ist garantiert so, Herr Föst. – Dazu gehören vie- le Maßnahmen der Objektförderung, beispielsweise der (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Emmi soziale Wohnungsbau, aber eben auch die sogenannte Zeulner [CDU/CSU]) Subjektförderung, also die konkrete Unterstützung von Das war eine zentrale Forderung der SPD. Mieterinnen und Mietern. Das ist für uns kein Gegensatz, sondern das sind korrespondierende Maßnahmen. Das Wohngeld trägt die Handschrift der SPD. Wir wissen, dass viele Menschen dringend auf mehr Wohn- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der geld angewiesen sind. Wir wollen sie nicht länger warten CDU/CSU) lassen. Die Reform des Wohngeldes ist deshalb nötig. Sie Es freut mich, dass es echte Fortschritte gibt. Wir ha- rückt jetzt in greifbare Nähe. Lassen Sie uns gemeinsam ben die Erhöhung des Wohngeldes beim Wohngipfel ver- dafür sorgen, dass sie möglichst schnell wirksam wird! sprochen, und wir halten unser Wort. Das soziale Netz Herzlichen Dank. hält. Mit der Umsetzung der Wohngeldnovelle sorgen wir dafür, dass mehr Menschen mehr Wohngeld bekom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men. Auf die Zahlen ist im Einzelnen schon hingewie- der CDU/CSU) sen worden. Zuerst ist das Wohngeld seinerzeit von Frau Dr. Hendricks als zuständiger Ministerin angepasst wor- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: den. Seit dieser Zeit sind die Mieten in vielen Regionen Ich bedanke mich für die Rede und erteile als voraus- deutlich gestiegen. Es ist also höchste Zeit, das Wohn- sichtlich letzter Rednerin in dieser Debatte der Kollegin geld anzupassen; denn mehr Wohngeld bedeutet auch Emmi Zeulner das Wort. mehr soziale Sicherheit für die betroffenen Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Wir reden oft über Bürgerinnen und Bürger, die trotz Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Arbeit zu wenig verdienen, um sich eine gute Wohnung Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute erstmalig das leisten zu können oder von jenen, die aus ihrem gewohn- Wohngeldstärkungsgesetz beraten; denn dieses Gesetz ten Umfeld möglicherweise vertrieben werden, über äl- wird für viele Haushalte in Deutschland positive Auswir- 13472 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Emmi Zeulner (A) kungen haben. Mit dem Wohngeldstärkungsgesetz wird Neben diesen grundlegenden Regelungen möchte ich (C) zum 1. Januar 2020 das Wohngeld angepasst, verbessert gerne noch einen weiteren Punkt hervorheben. So wer- und erhöht. Hiermit wird eine weitere Maßnahme vom den für verschiedene Gruppen Beträge, die nicht mit Wohngipfel 2018 umgesetzt – der Baukasten, den wir zu dem Wohngeld verrechnet werden, erhöht oder sogar neu Beginn der Legislatur erstmalig gemeinsam mit den Län- eingeführt. Der Einkommensfreibetrag für Menschen dern und Kommunen vereinbart haben. Denn in den ver- mit einer Schwerbehinderung wird beispielsweise von gangenen Jahren sind die Mieten und Verbraucherpreise 1 500 Euro auf 1 800 Euro jährlich angehoben. Hier gab deutlich gestiegen, und deswegen ist eine Anpassung des es seit 1990 keine Anpassung mehr. Deswegen war das Wohngeldes dringend geboten, um die Bezahlbarkeit des dringend geboten. Auch für pflegebedürftige Menschen, Wohnens für einkommensschwache Haushalte auch in die den Unterhalt, den sie von ihren Angehörigen erhal- Zukunft zu sichern. Dabei muss klar das langfristige Ziel ten, für eine Pflegeperson verwenden, gibt es nun einen sein, dass wir ausreichend Wohnungen im bezahlbaren höheren Einkommensfreibetrag, nämlich von 6 540 Segment haben. Auch daran arbeiten wir. Euro jährlich. Hiermit reagieren wir auf die Kosten- steigerungen im Pflegebereich. Erstmalig werden auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Geldleistungen insbesondere von gemeinnützigen Orga- der SPD) nisationen, zum Beispiel von Stiftungen, aber auch von Von unserer Reform werden also 660 000 Haushalte natürlichen Personen berücksichtigt. Es gibt nun einen profitieren, da die Wohngeldleistungen im Durchschnitt Einkommensfreibetrag von 480 Euro jährlich. Hiermit um 30 Prozent erhöht werden. So wird zum Beispiel ein setzen wir ein klares Zeichen, dass wir bürgerschaftli- Zweipersonenhaushalt – die Kolleginnen haben es an- ches Engagement gerade für Geringverdiener ausdrück- gesprochen –, der ohne Reform im Jahr 2020 145 Euro lich unterstützen. erhalten hätte, nun mit Reform voraussichtlich 190 Euro Ich freue mich auf eine gute Diskussion in den nächs- erhalten. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich ten Monaten und hoffe auf gute Beratungen, um das Ge- bei unserem Bundesbauminister Horst Seehofer und setz mit dem nötigen parlamentarischen Schliff zu ver- den zuständigen Referenten im Ministerium bedanken, sehen. die hier einen guten Gesetzentwurf vorgelegt haben und auch unserem Wunsch, uns den Entwurf für das Wohn- Vielen herzlichen Dank. geldstärkungsgesetz im ersten Halbjahr 2019 vorzulegen, nachgekommen sind. Genau das hatten wir als CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- CSU und SPD in unserem Entschließungsantrag Anfang ordneten der SPD) des Jahres gefordert. Wir haben unser Versprechen also gehalten. (B) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit schließe ich die Aussprache. Mit dem Wohngeld, das zur Subjektförderung gehört, Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen bei der eine Person gefördert wird, haben wir ein sehr auf den Drucksachen 19/10816, 19/10752 und 19/11107 zielgerichtetes Instrument, das es einkommensschwa- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- chen Haushalten ermöglicht, ihre Wohnkosten selbst zu geschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann sind tragen. Gerade diese zielgenaue Unterstützung bedürfti- die Überweisungen so beschlossen. ger Haushalte halte ich für sinnvoll, da es hier nicht wie zum Beispiel bei einem allgemeinen Mietendeckel zu Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Mitnahmeeffekten kommt und in der Konsequenz we- niger gebaut wird. Gemeinsam mit dem sozialen Woh- Erste Beratung des von den Abgeordneten Tino nungsbau, der Bestandteil der Objektförderung ist – es Chrupalla, Marc Bernhard, Jürgen Braun, wei- wird hier der Bau des Gebäudes gefördert –, haben wir teren Abgeordneten und der Fraktion der AfD einen guten Zweiklang gefunden, um den Menschen be- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- zahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Ich freue mich, derung des Gesetzes zur Änderung der Hand- dass wir nach der Erhöhung der Mittel für den sozialen werksordnung – Wiedereinführung der Meis- Wohnungsbau nun konsequenterweise auch das Wohn- terpflicht geld weiter verbessern. Drucksache 19/11120

Blickt man in den Gesetzentwurf, stellt man fest, dass Überweisungsvorschlag: für uns vier Punkte wesentlich sind. Erstens. Wir heben Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) die Mietobergrenzen an. Zweitens. Die Parameter der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wohngeldformel werden an die heutige Zeit angepasst. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Drittens. Es wird eine neue Mietstufe VII für Ballungsge- schätzung biete mit einem besonders hohen Mietniveau eingeführt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Und viertens wird das Wohngeld dynamisiert; sprich: die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Mangels Wi- Alle zwei Jahre erfolgt eine automatische Anpassung. derspruch ist auch das so beschlossen. Durch diese Maßnahmen erreichen wir mehr Haushalte und reagieren auch auf den Megatrend der Urbanisie- Ich bitte diejenigen, die nicht an dieser wichtigen Be- rung, zum Beispiel im Raum München, damit Menschen ratung teilnehmen wollen, Platz zu nehmen und die Ge- in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben können. spräche einzustellen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13473

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kulturgut ist, dann lassen Sie uns doch wenigstens die- (C) Kollegen Tino Chrupalla, AfD. ses.

(Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Martin Rabanus [SPD]: Oh Mann! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Mir kommen gleich die Tränen!) Tino Chrupalla (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Die Anhörung im Ausschuss am vergangenen Mitt- Liebe Handwerker! Ich freue mich, dass wir uns heute woch fand übrigens auf Anregung der AfD statt; das soll wieder über das Handwerk unterhalten. Der Gesetzent- hier nicht unerwähnt bleiben. Die Kollegen der anderen wurf der AfD sieht vor, die Meisterpflicht für sämtliche Parteien sind ja inzwischen auch sehr eifrig dabei, sich Gewerke wieder einzuführen und die Handwerksnovelle zum Handwerk zu bekennen. Das ist eine interessante von 2004 rückgängig zu machen. Wir haben es am Mitt- Entwicklung, wenn man bedenkt, dass das Handwerk im woch bei der Expertenanhörung im Ausschuss gehört: Jahreswirtschaftsbericht 2018 mit keiner einzigen Silbe Die Abschaffung der Zulassungspflicht war der Bruch erwähnt wurde. Wie groß das Interesse des Wirtschafts- mit einer bewährten Tradition. ministers am Handwerk ist, sieht man: Herr Minister Altmaier glänzt heute wieder mal durch Abwesenheit. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Herr Schwannecke vom ZDH sprach sogar davon, dass 15 Jahre lang haben Sie die Nöte der Handwerker hier ein Band zerschnitten wurde, und zwar ein Band, ignoriert, und jetzt tun Sie so, als wären Sie schon immer das sicherstellte, dass Wissen über Jahrhunderte bewahrt die Fürsprecher des Handwerks im Bundestag gewesen. und weitergegeben wurde, dass Meister sich verpflichtet Das ist wirklich lächerlich. Die Rückkehr zur Meister- fühlten, junge Gesellen aus der nächsten Generation aus- pflicht wurde uns in den letzten Jahren immer als unre- zubilden, ein Band, das Garant war für Qualität, Leistung alistisch verkauft. Es wurde der Anschein erweckt, die und Reproduktion. EU-Gesetzgebung stehe im Weg; es sei irgendwie euro- (Beifall bei der AfD) pafeindlich, ein eigenes Ausbildungssystem zu haben. Das wurde am Mittwoch aber entschieden widerlegt. Dieses Band wurde zerschnitten, wie der Experte sehr Die Botschaft des Experten war eindeutig: Verfassungs- richtig sagte. Wir haben auch gehört, dass es infolgedes- und europarechtlich ist die Wiedereinführung überhaupt sen zu massiven Verwerfungen im Handwerk kam. kein Problem. Qualitätssicherung und Verbraucherschutz (B) Das sehen viele Handwerker im Übrigen genauso. An- gelten in der EU-Gesetzgebung als legitimer öffentli- (D) fang Juni gab es eine Anhörung der Wirtschaftsvertreter cher Zweck. Jetzt haben wir es also schwarz auf weiß in im Wirtschaftsministerium. Da wurde bestätigt, dass es diesem Gutachten von Professor Dr. Burgi von der Lud- massive Fehlentwicklungen gab. Von 32 Gewerken, die wig-Maximilians-Universität München. Er hat außerdem dort anwesend waren, unterstützten 29 die Forderung betont, dass es vom juristischen Standpunkt her relativ nach der Wiedereinführung der Meisterpflicht. Sie be- unkompliziert ist, diese Gesetzesänderung vorzunehmen. gründeten das mit Qualitätssicherung, Fachkräftesiche- (Gabriele Katzmarek [SPD]: Jeder liest im- rung, Ausbildungssicherung und Verbraucherschutz – mer das raus, was er will!) und Kulturgutschutz. Das hören Sie natürlich nicht so gerne; angeblich haben wir ja keine eigene Kultur jen- Auf die Anträge der anderen Fraktionen gehe ich seits unserer Sprache. In jedem anderen Land würde man jetzt gar nicht länger ein. Sie können sich ja denken, sich mit so einer Aussage bis ans Lebensende für alle öf- was ich von dem Antrag der Grünen halte. Die Grünen fentlichen Ämter disqualifizieren. wollen – Zitat – „zusätzliche wirtschaftliche Chancen bei der Energiewende für das Handwerk“ schaffen. Ich (Beifall bei der AfD) frage mich echt, was das bedeuten soll: eine neue Verpa- ckungsverordnung oder eine neue Gewerbeabfallverord- Aber in der BRD ist es anders. Da haben Sie ja Glück nung? Es ist doch aber gerade das EEG, das ausgerechnet gehabt, Frau Özoğuz. das Handwerk zusätzlich belastet – (Ulli Nissen [SPD]: Er kann das immer noch (Beifall bei der AfD) nicht aussprechen!) im Gegensatz zur Großindustrie, die von diesen Auflagen Es ist aber meiner Ansicht nach ein wichtiger Punkt, der weitgehend befreit ist, und dafür sind Sie mitverantwort- in diesen Debatten viel zu selten berücksichtigt wird, lich. dass das Handwerk sehr eng mit unseren kulturellen Wer- ten verwoben ist. Ich fordere Sie deshalb auf, unseren Gesetzentwurf so bald wie möglich umzusetzen und diesen gravierenden Wo wir gerade bei Kultur und Sprache sind: Lassen Traditionsbruch rückgängig zu machen. Die Anhörung Sie uns doch wenigstens unsere Begriffe, die sich seit am Mittwoch hat es jedenfalls bestätigt: Es gibt keinen Jahrhunderten etabliert haben! Warum soll der Meister vernünftigen Grund, damit noch länger zu warten. jetzt in „Bachelor professional“ umbenannt werden? Wenn doch – angeblich – unsere Sprache unser einziges (Beifall bei der AfD) 13474 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Tino Chrupalla (A) Zum Schluss. Ich bin dafür, dass wir an nachfolgen- wirtschaftlichen und sozialen Logik, sondern ist auch (C) de Generationen echte Werte weitergeben und nicht nur rechtlich nicht in Ordnung. Grenzwerte. Wir von der CDU/CSU-Fraktion hingegen fordern Vielen Dank. getreu dem Rechtsstaatsprinzip einen klaren Bestands- schutz für Gründer, die die letzten Jahre in Gewerken der (Beifall bei der AfD) Anlage B1 ihren Beruf ausüben, auch nach Einführung der Meisterpflicht. Ich denke, es wird Sie daher insge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: samt nicht verwundern, wenn wir Ihren Gesetzentwurf Astrid Grotelüschen, CDU/CSU, ist die nächste Red- ablehnen werden. nerin. Nun zum Eigentlichen, liebe Kollegen. Seit unserem (Beifall bei der CDU/CSU) Parteibeschluss 2016 – auch da möchte ich, dass Sie die Ohren spitzen; auch schon davor haben wir über dieses Thema diskutiert und haben Beschlüsse gefasst – for- (CDU/CSU): Astrid Grotelüschen dern wir als CDU eine Wiedereinführung des Meisters – Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen grundgesetz- und europarechtskonform. In dem Span- und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir nungsfeld, in dem wir uns befinden – das Thema „freie debattieren heute einen Gesetzentwurf, der in seiner, ich Berufswahl und Berufsausübung in Deutschland“ zum nenne es mal, nett formuliert, Ahnungslosigkeit dem zu- Beispiel –, haben wir im April in dieser Koalition ein um- gehörigen Thema in keinster Weise gerecht wird; denn fassendes Verfahren in Gang gesetzt, nicht weil Sie das bei der Wiedereinführung der Meisterpflicht gilt es, wie beantragt haben, sondern weil wir wussten, dass wir eine bei guter handwerklicher Arbeit üblich, sich an den Kun- intensive Diskussion brauchen, und vor allen Dingen, denwünschen zu orientieren, vom Ende her zu denken, weil wir einen transparenten Austausch ermöglichen wol- das richtige Werkzeug auszuwählen und in der Umset- len. Seit Mai war es den betroffenen Gewerken deshalb zung große Sorgfalt und alles verfügbare Fachwissen möglich, schriftlich Stellung zu nehmen; im Juni war es anzuwenden. auch mündlich möglich. Als Abgeordnete – ich denke, da Die Kollegen von der AfD machen es sich mit ihrem geht es Ihnen allen nicht anders, liebe Kolleginnen und Gesetzentwurf da etwas einfach, und sie machen es vor Kollegen – erreichen mich fast täglich Zuschriften von allen Dingen etwas grobmotorischer: Sie stülpen allen Kammern, Verbänden, von einzelnen Unternehmern, die ihre Vorstellungen auf, blenden Machbarkeit komplett sich in der einen oder auch anderen Form gegen die Wie- aus, nehmen den Vorschlaghammer und hauen ohne gro- dereinführung oder für die Wiedereinführung des Meis- terbriefes aussprechen. Allen Interessierten gilt daher der (B) ßes Nachdenken drauf. Das jedoch wird der Vielfalt im (D) Handwerk nicht gerecht. Wären Sie bei der Anhörung im Hinweis: Die Frist für schriftliche Stellungnahmen läuft Wirtschaftsministerium Anfang Juni aufmerksam oder noch. Beteiligen Sie sich bei Interesse. Dazu braucht man überhaupt dabei gewesen – ich habe niemanden von nur auf die Seiten des Ministeriums zu schauen. Ihnen dort getroffen –, wüssten Sie, dass es unter den Nun, als vorerst letzten Zwischenschritt, haben wir 53 eingeladenen Gewerken einige gibt, die der Wieder- am Mittwoch dieser Woche Wissenschaftler und Vertre- einführung skeptisch gegenüberstehen ter der Sozialpartner im Wirtschaftsausschuss angehört. (Tino Chrupalla [AfD]: Drei!) Im Mittelpunkt standen dabei die Rahmenbedingungen, die erfüllt werden sollen, um den Meister für einige Ge- und die sich auch nicht, wie Sie es schreiben, im Kern werke rechtskonform – ich sagte es bereits – wieder ein- destabilisiert und in ihrem Fortbestand gefährdet sehen. zuführen. Ich denke, das fällt unter das Stichwort „Kun- Das gilt es anzuerkennen und in die Überlegungen in die- denwünsche“. In den kommenden Wochen und Monaten ser Debatte mit einzubeziehen. wird das Wirtschaftsministerium dann die eingegange- Darüber hinaus – ich sagte es schon – sehen Sie vie- nen Stellungnahmen und die Strukturdaten auswerten les wirklich viel zu einfach. Das zeigt zum Beispiel Ihre und konkrete Vorschläge vorlegen. Forderung, dass sich Altgesellen, die sich nach 2004 in „Warum tun wir das alles?“, wird sich mancher fra- ihrem Beruf selbstständig gemacht haben, innerhalb von gen. Meister, Handwerk, ist das nicht alles von gestern? zwei Jahren einen Meistertitel erarbeiten sollen. Im Gegenteil, meine Damen und Herren: Es gibt zwei Wege, eine Karriere zu starten. Der eine ist der akade- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Irre!) mische Weg, der andere ist der berufliche Weg mit einer Nur zum Verständnis: Eine Meisterausbildung dauert erstklassigen dualen Ausbildung. in Vollzeit ein bis zwei Jahre. Für Menschen, die einen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Betrieb führen, Mitarbeiter beschäftigen, ihre Familie Manfred Todtenhausen [FDP]) ernähren sollen, wäre eine berufsbegleitende Aufstiegs- fortbildung mit drei bis vier Jahren zum Beispiel realisti- Dessen Aushängeschild ist der Meister, die Meisterin. scher. Sie wollen also diejenigen, die sich in den letzten Mit der Wiedereinführung wollen wir insbesondere – 15 Jahren nach geltendem Recht selbstständig gemacht das ist auch gesellschaftspolitisch ganz wichtig – jungen haben, bestrafen. Sie meinen ganz lapidar, dass die finan- Menschen ein Signal geben: Du machst, wenn du dich für ziellen Aufwendungen für Ihre Zwangsmaßnahme durch diese Berufsausbildung entschieden hast, am Ende nicht die selbstständigen Handwerksgesellen finanziert wer- etwa eine Tätigkeit, die jeder machen kann, sondern du den sollen. Das widerspricht nicht nur jeglicher markt- hast einen Mehrwert. Mach deinen Meister, dann kannst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13475

Astrid Grotelüschen (A) du dich selber entfalten. Du kannst ein Unternehmen füh- ben, mal einen herausragenden Gesetzentwurf zu schrei- (C) ren, du kannst Mitarbeiter anstellen, und du kannst wie- ben. derum ausbilden. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir wollen dazu beitragen, dass das Handwerk wieder NEN]: Das ist dem Praktikanten gegenüber stärker aus sich selber heraus wächst. Wir wollen den sin- unfair! Der arme Praktikant!) kenden Zahlen an Meisterprüfungen in den liberalisierten Gewerken entgegentreten; denn wenn weniger Menschen – Ich komme gleich dazu. – Der hat drei Tage darüber eine Meisterprüfung ablegen, können auch weniger Men- geschwitzt und hat dann einfach Ihren alten Antrag mit schen ausgebildet werden. Weniger Meister und Gesellen „kopieren und einfügen“ in diesen Gesetzentwurf ge- bedeutet aber auch, dass weniger Menschen die traditi- packt. Dabei wurden wieder dieselben Fehler gemacht onsreiche Handwerkskultur weitertragen. Damit ginge wie beim letzten Mal. Lassen Sie sich doch endlich mal uns allen auch ein Stück weit Identität verloren. Auch den Unterschied zwischen Handwerkskammer und IHK dieser Aspekt kann für junge, aufstrebende Nachwuchs- erklären! In Ihrer Begründung bringen Sie schon wieder kräfte ein Ansporn sein, nämlich Teil dieser exzellenten alles durcheinander. Das kann man auch an Ihren inhalt- Gruppe zu werden. lichen Forderungen erkennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit unserem In der letzten Sitzungswoche – wir haben das schon transparenten und, wie ich finde, sehr offenen Prozess gehört – gab es im Wirtschaftsministerium eine zwei- werden die Stärken des Handwerks in den Fokus gerückt. tägige Anhörung zur Meisterpflicht. Alle Gewerke, die Wir treten Fehlentwicklungen entgegen. Wir erhöhen die die Meisterpflicht zurückhaben wollten oder auch nicht, Widerstandskraft der Betriebe am Markt und schaffen so konnten ihre Argumente vorbringen. Jeder Abgeordne- Arbeitsplatzsicherheit und erhöhen damit den Verbrau- te, den das Thema interessierte, konnte dort teilnehmen. cherschutz. Ein letzter, aber für uns trotzdem nicht weni- Woher ich das weiß? Das kann ich Ihnen genau sagen: ger wichtiger Punkt ist, dass wir mit einem fachlich und Ich habe wirklich zwei Tage bei der Anhörung verbracht. in der wirtschaftlichen Breite gut aufgestellten Handwerk Ich habe mir Argumente pro und kontra angehört, habe in der Lage sind, die reichen Kulturschätze – hören Sie viele Gespräche geführt. Außer mir waren gerade mal genauer zu! –, die wir unserer jahrhundertealten Hand- die Kollegin Poschmann und die Kollegin Grotelüschen werkstradition verdanken, adäquat zu erhalten – mal ganz wenigstens zeitweise da. Sie haben sich einen Eindruck abgesehen davon, dass das Handwerk an sich schon ein verschafft. Aber wer war nicht da? Die Abgeordneten der erhaltenswertes Kulturgut ist, das früher und auch heute AfD. noch Tradition mit Innovation verband bzw. verbindet (B) und damit eine tragende Säule unseres Mittelstandes ist, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) der unsere Unterstützung mehr als verdient hat. der CDU/CSU – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Herzlichen Dank. Hört! Hört!)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jetzt spiegeln Sie wieder Ihr Interesse vor, etwas für ordneten der SPD und der FDP) das Handwerk tun zu müssen. Wenn Sie bei der Anhö- rung gewesen wären, wüssten Sie, dass nicht alle Gewer- ke – Sie sprechen von drei Gewerken – wieder zur Meis- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: terpflicht zurückwollen. Sie wollen hier dem Handwerk Manfred Todtenhausen, FDP, ist der nächste Redner. etwas aufzwingen, was am Ende zur Zerschlagung von gut funktionierenden Unternehmen führt – zulasten der (Beifall bei der FDP – Dr. Stefan Ruppert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn Sie bei der An- [FDP]: Jetzt kommt der Höhepunkt der De- hörung gewesen wären, wüssten Sie auch, dass nicht für batte!) alle Gewerke, die gerne zur Meisterpflicht zurückwollen, eine ausreichende rechtliche Begründung vorhanden ist. Sie wollen hier also bewusst falsche Hoffnungen we- Manfred Todtenhausen (FDP): cken, von denen Sie ganz genau wissen müssten, dass Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kol- Sie sie enttäuschen müssen. legen von der AfD, was haben Sie sich denn da geleis- tet? Ich bin erstaunt über diesen Gesetzentwurf. Er ist an Das sollte spätestens auch am Mittwoch bei der An- Ahnungslosigkeit, an Unwissenheit kaum zu überbieten. hörung im Wirtschaftsausschuss verstanden worden sein. Die Gleichgültigkeit, mit der Sie dieses Papier gemacht Ich war auch dort und hatte einen völlig anderen Ein- haben, zeigt deutlich, wie wenig wahres Interesse die druck als Sie. AfD am Handwerk hat. (Zustimmung der Abg. Gabriele Katzmarek (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [SPD] – Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU und der SPD) GRÜNEN]: Wir alle!)

Einfach mal was raushauen, irgendwas wird schon hän- Da sah das eigentlich ganz anders aus. Da gab es nur gen bleiben: So kennen wir Sie. Ich habe das Gefühl: Da begrenzten Zuspruch. Wie wir seit Dezember wissen, haben Sie einem jungen Praktikanten die Chance gege- würden Ihre Anträge dem Meisterwesen eher schaden als 13476 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Manfred Todtenhausen (A) nützen. Daher werden wir Sie auf keinen Fall unterstüt- Die Diskussionen der vergangenen Wochen und Mo- (C) zen bei Ihrem Kampf gegen das Handwerk. nate haben zweierlei gezeigt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Erstens. Bei der Rückkehr des Meisterbriefs – das ten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. richtet sich vor allem an die AfD – stehen wir kurz vor der Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zielgeraden. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, haben NEN] – Zuruf von der AfD: So ein Schwach- wir genauestens geprüft, welchen Weg wir dafür gehen sinn!) müssen. Die Rückkehr zur Meisterpflicht in einigen Ge- werken muss EU- und verfassungskonform ausgestaltet Mit Ihnen geht es nicht in eine moderne Zukunft, sondern sein. Die Koalitionsarbeitsgruppe hatte dazu mehrere zurück in die Vergangenheit. Sie wollen eine Handwerks- Gespräche: mit den Handwerkern, mit den Gewerkschaf- ordnung wie Adenauer 1953. ten, mit der Wissenschaft. Vor drei Wochen gab es die Meine sehr geehrten Damen und Herren, die ande- zweitägige Anhörung im Wirtschaftsministerium. Alle ren Fraktionen hier im Haus, die sich wirklich für das betroffenen Gewerke konnten ihre Gründe darlegen, wa- Handwerk interessieren, müssen jetzt gemeinsam daran rum sie sich für oder gegen die Wiedereinführung aus- arbeiten, das Handwerk zu stärken. Wir als Freie Demo- sprechen. kraten sind froh, dass nach der Aufforderung durch den In den Sommerferien wird der Gesetzentwurf erarbeitet, Bundesrat jetzt ein wenig Fahrt in die Debatte um das im Herbst wollen wir das Verfahren abschließen. So viel Thema reinkommt. Die Daten zur Wiedereinführung der lässt sich jetzt schon sagen: Die bereits bestehenden und Meisterpflicht sind erhoben, die Argumente sind ausge- zulassungsfreien Betriebe erhalten natürlich Bestands- tauscht. Wir erwarten vom Bundeswirtschaftsminister schutz. Sie sehen, meine Damen und Herren von der jetzt zügig eine Vorlage, bei welchen Gewerken eine AfD, Ihr Gesetzentwurf ist überflüssig. Rückkehr zur Meisterpflicht infrage kommt. Wir müssen aber auch eine Stärkung des Hand- Die zweite Erkenntnis, die wir bei den Gesprächen werks im europäischen Kontext vornehmen. Darum, gewonnen haben: Der Meisterbrief ist längst nicht die Herr Altmaier – er ist nicht da; aber sein Staatssekretär einzige Baustelle. Es gibt deutlich mehr. Ja, wir werden ist da –: Nutzen Sie die Chance! Werben Sie in Euro- das Meister-BAföG ausbauen, die Gebühren für bestan- pa für das Meisterwesen, das das deutsche Handwerk so dene Meisterprüfungen erlassen und eine Mindestausbil- erfolgreich gemacht hat! Wir brauchen gut ausgebildete dungsvergütung einführen. Das alles soll 2019 kommen. Fach- und Führungskräfte – ich höre jetzt auf; ich sehe, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Uhr ist abgelaufen –, und wir müssen Aufstiegschan- (B) cen ermöglichen. Dazu gehört ganz besonders auch der Wir setzen damit neue Anreize für eine Meisterausbil- (D) Meister. Der Gesetzentwurf der AfD ist hier absolut nicht dung, kurbeln die Zahl der Betriebsgründungen an und zielführend. sorgen so für mehr Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Vielen Dank. Aber all das können nur flankierende Maßnahmen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sein. Eines der drängendsten Probleme ist der Fach- der SPD) kräftebedarf. Und der ist mittel- und langfristig nur zu decken, wenn sich das Handwerk als attraktiver Arbeit- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: geber mit guten Verdienstmöglichkeiten präsentiert. Des- Sabine Poschmann, SPD, hat als Nächste das Wort. halb müssen wir alles daransetzen, die Tarifbindung im Handwerk wieder zu stärken; denn Tarifverträge stehen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für gute Arbeitsbedingungen und gute Löhne. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Sabine Poschmann (SPD): Wir brauchen wieder mehr junge Menschen, die in Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Handwerksberufen eine Perspektive für die Zukunft se- Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne und – Sie hen und die sich nach ihrer Ausbildung nicht in die Indus- mögen es mir verzeihen – liebe Freunde aus meiner trie oder in andere, besser bezahlte Branchen verabschie- Heimatstadt Dortmund! Über das Handwerk wird breit den. Ich sehe vor allen Dingen die Handwerksverbände diskutiert. Die Medien sind voll mit Berichten über gut und die Innungen in der Pflicht. Das soll noch einmal ein laufende Geschäfte, aber eben auch über fehlende Fach- Aufruf sein. Sie sind die öffentlich-rechtlichen Institutio- kräfte und lange Wartezeiten für Verbraucher. Hier im nen, die mit den Gewerkschaften eigentlich Tarifverträge Bundestag – wir haben es gerade schon gehört – hatten für ihre Mitglieder aushandeln sollen. Leider tun sie es wir erst im Dezember letzten Jahres eine Plenardebat- immer weniger. Da werden wir in Zukunft ansetzen müs- te und am Mittwoch dieser Woche eine Anhörung zum sen, und wenn es nicht freiwillig geht, müssen wir den Meisterbrief. Ich finde, diese Aufmerksamkeit haben die Druck erhöhen. mehr als 5,5 Millionen Menschen, die bundesweit im Handwerk arbeiten, auch verdient. Fachkräftesicherung, Digitalisierung, Stärkung der Tarifbindung – die Themen stapeln sich. Daher sollte der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Branchendialog im Handwerk vom Wirtschaftsministe- der CDU/CSU) rium fortgeführt werden – mit verbindlichen Vereinba- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. 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Sabine Poschmann (A) rungen. Placebos und schöne Worte helfen uns an dieser nach dem Motto: Wir sind die Hilfe, wir sind sozusagen (C) Stelle nicht weiter. diejenigen, die das Handwerk retten. – Die bekommen das auch ohne euch gut hin; das ist jedenfalls mein Ein- Herzlichen Dank. druck. Ich sage auch, wo das eigentliche Problem ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber eine Bemerkung kann ich mir auch nicht ver- der CDU/CSU) kneifen. Ich weiß nicht, ob euch aufgefallen ist, dass 18 000 Geflüchtete in Deutschland im Handwerk arbei- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ten. 18 000 Geflüchtete! Die wollt ihr doch am liebsten Klaus Ernst, Die Linke, ist der nächste Redner. wieder loswerden. Das nützt den Meistern überhaupt (Beifall bei der LINKEN) nichts, das nützt dem Handwerk überhaupt nichts. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ge- Klaus Ernst (DIE LINKE): nau!) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Wir brauchen die vielmehr, damit das Handwerk über- ren! 15 Jahre nachdem diese Novelle beschlossen wur- haupt noch vernünftig die Arbeitsplätze besetzen und de – von Rot-Grün im Übrigen –, muss auch ich sagen: ausbilden kann. Ein Meisterstück war es jedenfalls nicht. (Beifall bei der LINKEN, der SPD, der FDP (Beifall bei der LINKEN) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Wäre es nämlich eines gewesen, müssten wir uns jetzt bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht darüber unterhalten. Manchmal kommt es mir ein bisschen so vor, ihr (Zuruf von der CDU/CSU: Da hat der Klaus schmeißt mit dem Hintern um, was ihr vorher mit der Ernst recht!) Hand aufgebaut habt. Die Tatsache, dass für bestimmte Gewerke keine Mich freut es übrigens, dass das Handwerk in die- Meisterpflicht zur Ausübung des Berufes mehr notwen- ser Weise ausbildet. Wo ist das eigentliche Problem im dig ist, ist insgesamt eine negative Sache. Deswegen Handwerk? Es geht nicht nur um die Frage, ob eine müssen wir darüber reden, dass wir das ändern. Ich habe Ausbildung stattfindet, ob Meisterprüfungen stattfin- den Eindruck, das wird auch passieren. Wir hatten in der den. Die eigentliche Frage ist: Wie sind die Bedingun- Folge nämlich sinkende Ausbildungszahlen. Wir hatten gen im Handwerk? Da haben wir Riesenprobleme. Wir eine sinkende Zahl von Meisterprüfungen. Wir haben haben dort immer weniger – das sage ich auch bewusst (B) insgesamt eine Dequalifizierung im Handwerk. All das der FDP –, die noch in Tarifverträgen sind. Das bedeutet, (D) ist richtig. Wir haben eine Strukturveränderung hin zu wir haben dort ein Lohnniveau, sodass sich ein Auszubil- prekär aufgestellten Kleinstbetrieben. All das war Folge dender berechtigterweise überlegt: Fange ich in diesem dieser Reform, also weiß Gott kein großer Wurf. Inzwi- Beruf eine Ausbildung an, wenn ich hinterher sehr wenig schen besteht aber Einigkeit, dass man das ändern will. verdiene? Wie sind die Arbeitszeiten? Wie sind die Be- Ich habe Frau Poschmann durchaus richtig verstanden. dingungen? Gibt es Mitbestimmung? Auch die Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat diese (Zurufe von der AfD) Richtung deutlich gemacht. Das alles sind doch Fragen, die bei Weitem wichtiger Warum kommt also die AfD jetzt mit einem Gesetz- sind, wenn wir über die Zukunft des Handwerks reden, entwurf? Er ist übrigens auch kein Meisterstück, nicht als über Dinge zu reden, die sowieso wieder kommen einmal ein Gesellenstück. und die wir in vielen Bereichen wiederherstellen werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wenn das so ist, dann müssen wir darüber reden: Wie neten der SPD und der FDP – Zurufe von der bekommen wir es hin, dass wir wieder Tarifverträge im AfD) Handwerk haben, Denn wenn man schon einen solchen Gesetzentwurf (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- vorlegt, muss man sich zumindest ein paar Gedanken neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE machen, was mit denen ist, die jetzt zum Beispiel ihren GRÜNEN) Beruf unter veränderten Bedingungen ausüben. Dazu ist dass wir wieder Bedingungen bekommen, dass die Men- euch weiß Gott nichts eingefallen. Euer Antrag zeigt so- schen freudig einen Beruf im Handwerk ausüben wollen? mit, dass ein bisschen Qualifikation schon erforderlich Das wollen sie zurzeit nämlich nicht. Darum haben wir ist. die Probleme. (Tino Chrupalla [AfD]: Wo ist euer Antrag?) Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Das gilt auch für die Ausbildung, aber das gilt vor allen Wir müssen darüber nachdenken, wie wir es hinbekom- Dingen für eure Anträge. men, dass die Innungen mehr Tarifverträge abschließen. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir es schaf- (Beifall der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE fen, dass wir mehr Allgemeinverbindlichkeit für Tarif- LINKE]) verträge erhalten. Dann haben die Handwerker aufgrund Meine Damen und Herren, das eigentliche Problem dessen, dass sie sich gegenseitig nicht mit den Löhnen ist: Ihr wollt euch jetzt bei den Handwerkern anbiedern, runterkonkurrieren können oder nicht mit den Arbeits- 13478 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Klaus Ernst (A) zeiten hochkonkurrieren, tatsächlich auch wieder gleiche Gute Ausbildung und gute Aufstiegschancen steigern (C) Voraussetzungen und können Arbeitsbedingungen bie- die Attraktivität des Handwerks für Auszubildende und ten, die die Menschen dazu veranlassen, zu sagen: Ja, das Fachkräfte spürbar. Hier einige ganz konkrete Beispiele Handwerk ist ein Beruf mit Zukunft. Da gehe ich hin, da und Vorschläge. habe ich eine bestimmte Entwicklung vor mir. Die Weiterbildung zur Meisterin, aber auch zur Fach- Das gilt natürlich auch für die Anerkennung der Meis- und Betriebswirtin sollte möglichst kostenfrei sein. terprüfung als entsprechende Voraussetzung für ein Stu- (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kap- dium. Das ist mindestens so wichtig wie die anderen Din- pert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ge, die Sie in Ihrem Antrag schreiben. Weil Sie dies in NEN]) Ihrem Antrag gänzlich vergessen haben, werden wir ihm auch nicht zustimmen. Wir reden davon, dass Bildung vom Kindergarten bis zur Universität kostenfrei sein soll. Wenn wir die duale Ich hoffe, dass die Koalition und vor allen Dingen die Ausbildung und Weiterbildung im betrieblichen Bereich FDP darüber nachdenkt, ob vernünftige Tarifverträge stärken wollen, dann müssen wir an dieser Stelle auch nicht gerade für das Handwerk sinnvoll sind. diese Bereiche betrachten. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen eine praxisnahe Berufs- und Studienori- entierung an allen Schultypen. Klischeefrei und gleich- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: berechtigt muss über Studium, Beruf und duale Ausbil- Claudia Müller, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächs- dung in den Schulen informiert und gesprochen werden. te Rednerin. Ein weiteres Problem ist die Abwanderung der Fach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kräfte aus dem Handwerk. Noch heute verlassen zwei Drittel aller im Handwerk Ausgebildeten diesen Bereich und gehen in die Industrie. Was wir brauchen – Herr Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ernst sprach das Thema an –, sind bessere Löhne. Wir Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten brauchen eine höhere Tarifbindung. Auch die Entsende­ Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Während sich richtlinie muss entsprechend umgesetzt werden, damit die AfD noch im Ausschuss damit rühmte, das Thema regional- und branchenspezifische Tarifverträge nicht Meisterpflicht auf die Tagesordnung zu setzen, zeigen Sie unterlaufen werden können. (B) heute mit Ihrem Gesetzentwurf, wie viel Respekt Sie vor (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieser Tagesordnung und dem Parlament haben. Denn ei- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nen Tag vor der Expertenanhörung im Ausschuss haben Sie einen Gesetzentwurf eingebracht. So viel also zum Die Wiedereinführung der Meisterpflicht führt nicht Thema, wie sehr Sie Sachverständigenmeinungen schät- automatisch zu einer gesteigerten Ausbildungsneigung, zen. Sie hatten immerhin einen eingeladen. Ich meine: und die Fachkräfte, die leider schon abgewandert sind, Ihr Antrag ist auch schwach, nicht zielführend und – das werden wir nicht zurückgewinnen können – oder nur wurde schon gesagt – ein Schlag ins Gesicht der Unter- sehr schwer. Die Ursachen sind übrigens von Gewerk nehmerinnen und Unternehmer, die in den letzten Jahren zu Gewerk unterschiedlich. Die Entwicklung begann gewirtschaftet haben. Deswegen lohnt es sich eigentlich nicht erst 2004, sondern die Ausbildungszahlen began- überhaupt nicht, darüber weiter zu reden. nen schon viel früher zu sinken. Das ist von Branche zu Branche wirklich unterschiedlich. Deswegen wird man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Thema mit der Rasenmähermethode – eine Lösung, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der und das ist es dann – nicht gerecht. FDP und der Abg. Sabine Poschmann [SPD] und Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Ich will mich stattdessen eher den Fragen widmen, die Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]) das Handwerk wirklich umtreibt und für die es keine ein- fachen Lösungen gibt. Ja, wir müssen das Handwerk und Die Meisterpflicht wird auch gerne als die Lösung auch den Meisterbrief stärken. Dafür brauchen wir ver- präsentiert, um die Anzahl der Solo-Selbstständigen besserte Rahmenbedingungen und vor allen Dingen die einzudämmen. Ich will erst einmal sagen: Solo-selbst- Förderung von qualitativ hochwertiger Aus- und Weiter- ständig zu sein, ist per se nichts Schlechtes. Schlecht ist bildung. Diese Bildung muss wirklich allen zugänglich Scheinselbstständigkeit. Aber grundsätzlich allen So- sein, und gleichzeitig muss sie durchlässig im Hinblick lo-Selbstständigen zu unterstellen, dass sie in dieser Fal- auf andere Bildungsebenen sein. Ich meine übrigens: le stecken, wird den Menschen, die in diesen Bereichen nicht nur von der betrieblichen zu einer möglichen aka- arbeiten, nicht gerecht. Außerdem bleiben diejenigen, demischen Ausbildung, sondern auch umgekehrt. Dazu die jetzt solo-selbstständig sind, das ja auch. Wir wollen brauchen insbesondere kleine Unternehmen und kleine einen Bestandsschutz; da sind wir uns ja einig. Um die Handwerksbetriebe unsere Unterstützung. Situation dieser Gruppe zu verbessern, insbesondere die Situation der niedrigverdienenden Solo-Selbstständigen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) brauchen wir für sie eine verbesserte Möglichkeit, in die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13479

Claudia Müller (A) Sozialversicherungssysteme reinzukommen. Die Beiträ- triebe verlassen, haben gesagt: Okay, was der Altmeister (C) ge für sie sollten nicht so hoch sein, damit das für sie er- kann, das kann ich schon lange; ich mache mich selbst- schwinglicher ist. Das ist doch die Frage, um die es geht. ständig, ohne Meisterpflicht. – In den Betrieben gemäß Anlage B ging die Zahl der Ausbildungsstellen massiv (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zurück. Es gab einen spürbaren Qualitätsverlust, einen Das ist übrigens auch ein Beitrag zur Schaffung eines Le- spürbaren Vertrauensverlust. Viele neue Betriebe sind vel Playing Fields im Handwerk. entstanden, aber die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse ist nahezu gleich geblieben. Die Zahl der Solo-Selbst- Außerdem haben wir noch das schwelende Problem ständigen hat sich massiv erhöht. Und die Insolvenzen der Abgrenzung zwischen den verschiedenen Bereichen, dieser Betriebe haben nicht lange auf sich warten lassen. zwischen Industriebereichen und Handwerksbereichen, zwischen meisterpflichtig und nicht meisterpflichtig. Ein Jetzt kann man fragen: War diese Fehlentwicklung Beispiel: Ob Sie Cupcakes oder Crêpes herstellen, macht vorherzusehen? Das ist reine Spekulation. Wir müssen einen Unterschied; für die Cupcakes brauchen Sie einen vielmehr schauen: Wie gehen wir mit der Fehlentwick- Meisterbrief, für Crêpes brauchen Sie den nicht. Wir ha- lung um? Wie kann man dem entgegentreten? Ich bin ben häufig das Problem, dass Branchen und Tätigkeiten dafür, ebenso wie meine Kollegin Astrid Grotelüschen, ganz dicht beieinander sind. Dieses Problem werden wir dass wir eher die Spitzzange auspacken als den Vor- auch mit der Meisterpflicht nicht lösen. schlaghammer; denn wir müssen mit Augenmaß und er- gebnisorientiert vorgehen, ohne Aktionismus. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Das Thema ist kompliziert, und es gibt viele Nebenwirkungen. Wir Wir wollen auch keine Rückvermeisterung, Herr müssen die Ausbildung, wir müssen das Handwerk und Kollege Chrupalla. Sie haben ja gesagt, Sie wollen eine wir müssen den Meisterbrief stärken. Aber dazu braucht Meisterpflicht bei allen Gewerken. Das steht ja auch in es mehr als eine Meisterpflicht. Wir brauchen die kos- Ihrem Antrag. tenlose Ausbildung, wir brauchen eine bessere Unter- (Tino Chrupalla [AfD]: Genau!) stützung, und wir brauchen mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem. Ihr Antrag ist wirklich relativ einfach gestrickt; denn Sie haben in Ihrem Antrag nur die ganzen Gewerke aufge- Vielen Dank. führt und gesagt: Die müssen in die Meisterpflicht zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rück. – Sie wissen aber selbst – vielleicht wissen Sie es sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) auch nicht; dann ich kann es Ihnen ja sagen –, dass Sie damit eine große Verunsicherung in die Branche brin- gen. Warum? Weil eine bestimmte Anzahl von Betrieben (B) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (D) nicht rückvermeistert werden will; ich nenne einfach mal Jens Koeppen, CDU/CSU, ist der nächste Redner. eine Zahl – das ist noch nicht scharf –: zwischen 25 und (Beifall bei der CDU/CSU) 30 Prozent der Betriebe. Möglicherweise – das müsste man noch genau analysieren – will die gleiche Prozent- zahl an Betrieben rückvermeistert werden. Was machen (CDU/CSU): Jens Koeppen Sie denn jetzt mit den Betrieben, die das nicht wollen? Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Sie bekommen ja auch entsprechende Post. Wollen Sie Kollegen! Im Jahre 2003, als die Handwerksnovelle auf- denen einfach sagen, dass sie zurück müssen? Es gibt gelegt wurde, war ich selbstständiger Unternehmer und doch so etwas wie einen Bestandsschutz. Das muss ver- Handwerksmeister – ich bin immer noch Handwerks- fassungskonform sein, das muss auch europarechtskon- meister, aber damals war ich noch aktiv –, und ich war form sein. dagegen. (Tino Chrupalla [AfD]: Das geht aber! Das Allerdings – das muss man sagen – war die Situation haben Sie gesehen!) damals eine vollkommen andere. Das muss man auch ge- bührend würdigen. Die Situation des Handwerks und die By the way: Der Meister kann immer gemacht werden, Situation der Wirtschaft hat sich seit 2003, seit der Hand- auch freiwillig, auch bei Betrieben, die keine Gefahren- werksnovelle, grundlegend geändert. Damals hatten wir geneigtheit haben. eine Arbeitslosenquote von 11 Prozent, fast 5 Millionen Da die Gemengelage so heterogen ist, können Sie Menschen. Das Angebot an Ausbildungswilligen und an nicht einfach sagen: Es müssen alle wieder rein. – Da- qualifizierten Gesellen war überdimensional groß. Heute mit schaffen Sie nicht nur Verunsicherung, sondern es haben wir – Stand Mai 2019 – eine Arbeitslosenquote von besteht auch die Gefahr, dass Sie neben denjenigen, die unter 5 Prozent; das entspricht ungefähr 2,2 bis 2,3 Milli- wieder reinkommen können und reinkommen dürfen, am onen Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf einem Ende auch einige außen vor lassen, weil das gesamte Ge- Tiefstand. Im Jahresdurchschnitt liegt sie bei 7,4 Prozent. bilde einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand- In der EU sind es immerhin 12 Prozent. Die Abschaffung hält. Das müssen Sie einfach mit beachten. der Meisterpflicht für 23 Berufe war daher – möglicher- weise – verständlich. Das war gut gemeint, hat aber die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erwartungen nicht erfüllt. Was ist stattdessen zu tun? Wir brauchen eine euro- Was ist stattdessen passiert? Eine Fehlentwicklung in parechtlich und verfassungsrechtlich saubere Vorgehens- vielen Bereichen. Gute Gesellen haben die Meisterbe- weise. Wir müssen den Bestandsschutz akzeptieren. Die 13480 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Jens Koeppen (A) ganzen Emotionen, die auch in den Briefen der Hand- „Wie sieht es auf dem Handwerkermarkt aus?“ umgehen. (C) werksbetriebe zum Ausdruck kommen – sowohl derje- Denn letztendlich geht es ja darum, dass wir, die wir die nigen, die in der Meisterpflicht bleiben wollen, als auch Leistungen der Handwerker in Anspruch nehmen, gewiss derjenigen, die aus der Meisterpflicht heraus wollen –, sein wollen, dass es erstens noch Handwerker gibt, wenn müssen berücksichtigt werden. Wir brauchen deswegen wir sie brauchen, und zweitens diese Handwerker auch eine Qualitätsoffensive. Wir brauchen Transparenz. Die eine gute Leistung vollbringen, dass also nicht die Was- Anhörungen im Ministerium haben gezeigt, dass klar ge- serleitung übermorgen schon wieder runterfällt oder der fragt werden sollte: Was bewegt euch? Warum wollt ihr Putz von den Wänden fällt. Genau deshalb ist es wichtig, in die Anlage A? Warum wollt ihr in der Anlage B1 blei- darüber zu reden. ben? – Wir brauchen eindeutige Kriterien; dazu gehört natürlich die immer wieder zitierte Gefahrengeneigtheit. Nun ist auch bei meinen Vorrednern sehr schnell deut- Was ist für den Endkunden wichtig? Wir brauchen Ver- lich geworden, worum es denn eigentlich geht. Eigent- trauensschutz, Gewährleistung, Bestandsfestigkeit. Wir lich geht es darum, dass wir einen Fachkräftemangel und brauchen vor allen Dingen, was mir sehr wichtig ist, die einen Auszubildendenmangel im Handwerksbereich ha- Stärkung der dualen Ausbildung. Ich bin fest davon über- ben sowie Arbeitsbedingungen, die zum Teil unerträglich zeugt, dass wir die duale Ausbildung nur stärken können, sind. Da gilt es, ranzugehen. Jetzt könnte man ja wirklich wenn ein Meistertitel eine aktive Rolle spielt. Das hat die auf die Idee kommen: Wir machen eine Meisterpflicht Zeit seit 2003 bewiesen. für alle; dann ist das Problem gelöst. – Das ist schön und eine tolle Überschrift. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Erst mal: Den Meister kann jeder Geselle machen, ob des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP]) es eine Meisterpflicht gibt oder nicht. Der Meistertitel ist aus meiner Sicht das Qualitätssie- (Beifall des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU]) gel schlechthin. Wir brauchen da gar nicht über irgend- welche Zertifikate nachzudenken. Der Meister an sich ist Das sollte man als ersten Punkt im Auge behalten. das Zertifikat für Qualität, für Ausbildung, für Bestän- digkeit, für lange Beständigkeit am Markt. Meisterbetrie- Zweitens. Sie von der AfD und der Rest des Hauses – be sind meist Familienunternehmen. Deswegen brauchen wahrscheinlich waren wir auf verschiedenen Anhörun- wir uns über Qualitätssiegel keine Gedanken zu machen. gen – haben ja am Mittwoch die ganzen Sachverständigen zu dem Thema gehört: Wäre die Einführung der Meister- Die Anhörung im Wirtschaftsausschuss am Mittwoch pflicht in allen Gewerken richtig und gut? Sie haben an- hat das alles bestätigt. Nahezu alle Sachverständigen ha- scheinend die Antwort schon vorher gefunden; denn Ihr ben sich für die begründete Rückführung, nicht die all- Gesetzentwurf lag schon längst vor. Wie witzig finde ich (B) gemeine Rückführung, in die Anlage A ausgesprochen. das denn eigentlich? Sie beantragen eine Anhörung und (D) Lassen Sie uns deswegen im Herbst ein starkes Signal sagen: „Wir müssen uns sachkundig machen“, schicken an das deutsche Handwerk senden und sagen: Wir haben aber dienstags schon die Antwort, bevor am Mittwoch euch angehört; wir wissen, worum es euch geht. – Denn das Handwerk, die Gewerkschaften und die Sachverstän- eines ist klar: Ohne das Handwerk ist alles nichts. digen sagen können, was deren Einschätzung ist. Vielen Dank. (Heiterkeit bei der SPD – Tino Chrupalla [AfD]: Was wir alles wissen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Poschmann [SPD]) Da kann man den Eindruck haben, Sie haben sich damit nicht beschäftigt oder es interessiert Sie vielleicht auch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gar nicht, Gabriele Katzmarek, SPD, ist die voraussichtlich letz- (Martin Rabanus [SPD]: Oder beides!) te Rednerin in dieser Debatte. sondern Sie wollten nur einen solchen Antrag einbringen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Gabriele Katzmarek (SPD): NISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über den Handwerkermarkt. Ich verkürze das jetzt ein Stück und will den Men- Wir reden über Handwerker. Wir reden über wichtige schen darstellen, warum alle anderen hier im Hause sa- Gewerke in unserem Land. Wir reden immerhin – Frau gen: Das Problem lässt sich so nicht lösen. – Es lässt sich Poschmann hat es gesagt – über die Arbeitsplätze von so nicht lösen, weil es zum Beispiel auch darum geht, 5,5 Millionen Menschen. Da ist es nur gut und richtig, anständige Löhne und eine gute Bezahlung zu haben, dass wir uns die nötige Zeit nehmen, um uns sachlich und und darum, Auszubildende gut auszubilden. Nein, Sie inhaltlich ausgereift mit der Frage zu beschäftigen: Wie haben in Ihrem Gesetzentwurf einfach etwas runterge- sind die Probleme, die es dort gibt, zu lösen? schrieben und glauben – das macht die Krux deutlich –, dass wir dann, wenn wir den Beruf des Böttchers, des Es steht außer Frage: Das tun wir, und nicht nur das. Korbmachers, des Strickers, des Webers, des Kürschners, Sie auf den Tribünen, wir, die wir hier unten sitzen, und des Wachsziehers und ähnliche Berufe mit einer Meister- die Menschen, die uns jetzt zuhören, haben ein sehr gro- pflicht belegen, das Problem im Handwerk gelöst haben. ßes Interesse daran, dass wir anständig mit der Frage Das ist Humbug und macht deutlich, dass Sie nicht ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13481

Gabriele Katzmarek (A) standen haben, dass man sich mit dieser Frage ernsthaft Oder sagen Ihnen die Namen Elisabeth Abegg, Helene (C) beschäftigen muss. Jacobs, Louise Schroeder, Liselotte Herrmann oder die Bremerin Anna Stiegler etwas? Vermutlich nicht. Das Mir geht es nicht darum, den Kürschner schlechtzure- möchten wir mit unserem Antrag für die Zukunft ändern. den. Nein, das ist ein ehrbarer Beruf. Aber, meine Her- ren von der AfD, meine Dame von der AfD, nehmen Sie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, doch zur Kenntnis: In diesem Hause wird inhaltlich gear- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE beitet, wird sachlich gearbeitet. Das sollten Sie vielleicht GRÜNEN) einmal ein Stück üben, Nicht nur die Frauen der Männer des 20. Juli waren (Widerspruch des Abg. Tino Chrupalla aktiv beteiligt, sondern auch Frauen aus dem Wider- [AfD]) standsnetzwerk „Rote Kapelle“, Sozialdemokratinnen, anstatt uns hier immer nur mit drei, vier oder fünf Seiten Sozialistinnen und Kommunistinnen. Andere Frauen seltsamen Papiers zu beschäftigen. handelten aus christlicher Überzeugung. Sie gehörten zur Bekennenden Kirche. Wir erwähnen sie in unserem (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Helin Antrag ganz bewusst stellvertretend für alle; denn wer Evrim Sommer [DIE LINKE]) gegen das menschenverachtende Naziregime Widerstand geleistet hat, der verdient unseren Respekt und große An- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: erkennung. Damit schließe ich die Aussprache. (Beifall im ganzen Hause) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Diese Frauen haben konspirative Treffen organisiert, auf der Drucksache 19/11120 an die in der Tagesordnung illegale Flugblätter hergestellt und verteilt. Sie waren aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu Mitwisserinnen und verschwiegene Beraterinnen. Sie anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann versteckten gefährdete Personen, unter anderem Jakob ist die Überweisung so beschlossen. Kaiser. Sie fertigten Entwürfe und Reinschriften von Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Umsturzbefehlen an. Über Jahre hinweg haben sie ihre Männer im Bewusstsein der Gefahren um den Kampf Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ ermutigt. Sie haben den Widerstandskämpfern Halt und CSU und SPD Kraft auf dem schweren Weg in den Tod gegeben und Frauen im Widerstand gegen den Nationalso- dabei ihr eigenes Leben riskiert. Sie mussten ihre Kin- zialismus würdigen der belügen, um sie zu schützen. Bei der lebensnotwen- (B) digen Verheimlichung ihres Doppellebens waren sie auf (D) Drucksache 19/11092 das Äußerste gefordert; denn Mitwisserschaft war schon Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für todeswürdig. die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Nicht nur die Männer wurden von der Gestapo ver- hört, sondern auch viele Frauen. Sie mussten den Ein- Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort druck erwecken, als würden sie kooperieren. Sie durften der Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU. nicht unbedarft wirken, damit sie nicht von der Gestapo (Beifall bei der CDU/CSU) als völlig bedeutungslos eingestuft wurden. Sie mussten tröpfchenweise Informationen preisgeben, um das Inte- resse an ihnen aufrechtzuerhalten. Nur so konnten sie Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): verhindern, als unbrauchbare Informantinnen verhaftet Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie oder hingerichtet zu werden. Diesem Druck haben sie werden ignoriert, verdrängt und vergessen, die Frauen im standgehalten. Was für eine Leistung! Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Am 20. Juli jährt sich das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler zum (Beifall im ganzen Hause) 75. Mal. Wir gedenken aus diesem Anlass der Wider- Der Preis, den sie zu zahlen hatten, war hoch. Viele standskämpfer um Claus Graf von Stauffenberg wie zum Frauen wurden zum Tode verurteilt, manche von Plötzen- Beispiel Werner von Haeften, Ludwig Beck, Henning see direkt in die Charité gebracht und als – es fällt einem von Tresckow und viele andere. In einer gewissenlosen schwer, das zu sagen – „medizinischer Werkstoff“ für die und menschenverachtenden Diktatur planten sie das At- Wissenschaft verarbeitet. Andere verloren ihre Ehemän- tentat, planten sie eine politische Ordnung nach Hitler. ner. Sie kamen in Gefängnisse und Konzentrationslager. Sie riskierten ihr Leben, sie verloren ihr Leben, und sie Ihre Kinder wurden in Heime gebracht, ihrer Identität be- sind in die Geschichte eingegangen – völlig zu Recht. raubt und umerzogen. In der Nachkriegszeit mussten sie Doch der deutsche Widerstand bestand eben nicht nur sich als Frauen von Volksverrätern beschimpfen lassen. aus Männern, deren Namen wir kennen. Er bestand auch Sie bekamen keinerlei finanzielle Unterstützung, ihre aus vielen Frauen. Ihre Namen, ihr Wirken sind weithin Kinder wurden geächtet und isoliert. Sie mussten tragen, unbekannt. Genau das ist ungerecht. was untragbar war. Diese Frauen waren couragiert und hatten großen Mut. Dafür gebühren ihnen heute unsere (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, Anerkennung und unser Dank. der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall im ganzen Hause) 13482 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Elisabeth Motschmann (A) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Darüber Aber ich habe eine Vermutung. Sie schreiben in Ihrem (C) hinaus verdanken wir diesen Frauen zahlreiche Augen- Antrag: zeugenberichte, Briefe und Dokumente, die uns helfen, die Erinnerung lebendig zu halten und aus der Geschich- Das Gedenken an den Widerstand gegen den Nati- te zu lernen. Ja, wir können von diesen Frauen lernen. Es onalsozialismus musste mühsam durchgesetzt wer- ist völlig unverständlich, dass sie nach 75 Jahren noch den. Vieles wurde dabei ignoriert, verdrängt, ver- immer ein Schattendasein in der Geschichtsschreibung gessen. führen. Sie gehören wirklich zu den vergessenen Heldin- Vielleicht wollen Sie ja weiterhin ignorieren und verges- nen unserer Geschichte. sen machen, dass es sich bei den Männern und Frauen des Das ist der Sinn unseres Antrags: Wir wollen die- 20. Juli eben um einen dezidiert konservativen, einen pa- se Zeit niemals vergessen. Wir wollen diese dunkelste triotischen Widerstand gegen das Naziregime gehandelt Geschichte nicht vergessen. Aber zu dieser Erinnerung hat. Und da kommt das Frauen- oder eben Genderthema gehört, dass eben Männer und Frauen im Widerstand ge- natürlich gerade recht, kämpft haben. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und Vielen Dank. der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD, um von dieser unbequemen Tatsache abzulenken, die die der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- simple Kampf-gegen-rechts-Ideologie, die wir gestern NEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) weder zu Genuss hatten, völlig zunichtemacht. (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Schämen Sie sich eigentlich nicht? – Weitere Dr. Marc Jongen, AfD, ist der nächste Redner. Zuruf von der SPD: Unsäglich!) (Beifall bei der AfD) Gegen Ende Ihres Antrags schlägt diese Genderideo- logie dann auch ganz explizit durch. Da kommen Sie auf Dr. Marc Jongen (AfD): die dominanten Geschlechtervorstellungen des National- Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Wie ich an die- sozialismus zu sprechen, sem Pult schon mehrfach für die AfD-Fraktion sagte: Wir (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen an die positiven, die identitätsstiftenden Seiten NEN]: Schmutzige Hetzerei ist das, was Sie unserer Geschichte erinnern. Deshalb hat die Regie- hier betreiben!) (B) rungskoalition recht: Die Frauen im Widerstand gegen (D) den Nationalsozialismus sind zu würdigen. um im Satz darauf eine kritische Reflexion der „damals wirkmächtigen Kategorien ‚Weiblichkeit’ und ‚Männ- (Beifall bei der AfD) lichkeit’“ zu fordern. Beides schreiben Sie in Anfüh- Das Pflichtbewusstsein, die Opferbereitschaft und rungszeichen. Meine Damen und Herren, hier wird die Vaterlandsliebe der Widerstandskämpfer des 20. Juli versucht, die natürliche Geschlechterpolarität in die Na- 1944 ziecke zu schieben. Das ist Genderideologie pur, und das geht diametral gegen das Selbstverständnis der Frauen (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. LINKEN) (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- gehören ohne Zweifel zu den lichtvollsten und mensch- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hetzerei ist Ihre lich edelsten Kapiteln unserer Geschichte, auch wenn aus Rede!) finsterer Zeit stammend. Und ja, die Frauen der mutigen Männer rund um Graf von Stauffenberg spielten eine Zum Schluss wird es dann ganz absurd. Da schreiben sehr wichtige Rolle. Sie waren ihren Männern emotio- Sie, Gender als historische Kategorie zeige, dass existie- nale Stütze, halfen in der Organisation des Widerstands, rende Geschlechterzuschreibungen „dekonstruiert wer- waren in manchen Fällen auch an dessen inhaltlicher den“ müssten Konzeption beteiligt. Sie litten mit ihren Männern, wur- den in Sippenhaft genommen; etliche bezahlten mit dem (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Leben. NEN]: Wenn Sie sich schämen könnten, wä- ren Sie knallrot!) Aber gerade diese Frauen agierten doch nicht losge- löst von ihren Männern. Darum verstehe ich es nicht, und dass Frauen als Akteurinnen zwischen 1933 und Frau Kollegin Motschmann, warum die Koalition es ab- 1944 anerkannt werden müssten, „ohne dabei auf ihre gelehnt hat, an dieser Stelle hier heute den AfD-Antrag Rolle als ‚Frauen’ reduziert zu werden“. Ja, Sie müssen zum Jahrestag des 20. Juli mitzudiskutieren, in dem wir sich schon entscheiden, werte Kollegen. Entweder wir fordern, einen Gedenkort am Flugplatz Rangsdorf einzu- sprechen hier von Frauen mit allem, was dazugehört, richten, 75 Jahre, nachdem Stauffenberg von dort seinen oder wir dekonstruieren die Geschlechter. Dann können Umsturzversuch gegen Hitler gestartet hat. wir uns aber nicht mehr allein auf die Frauen kaprizieren. (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder (Zuruf von der SPD: Das ist ein Angriff auf [SPD]: Was hat das mit dem Thema zu tun?) dieses Haus!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13483

Dr. Marc Jongen (A) Aber die Logik ist nicht die Stärke der Genderideo- werden. Aber die Frauen als reines Anhängsel der Män- (C) logen. Ihre Stärke ist das Täuschen und das Vernebeln. ner zu bezeichnen, ist doch eine Unverschämtheit Streichen Sie bitte diese Stellen heraus; (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, (Ulli Nissen [SPD]: Sie würden wir hier ger- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ne herausstreichen!) GRÜNEN) wir stimmen dann gerne zu. So reicht es leider nur zu und zeugt von einer Geisteshaltung, von der ich dachte, einer Enthaltung, trotz guter Ansätze, Frau Motschmann. dass man nicht einmal an einem bayerischen Stammtisch Danke schön. sich so etwas zu sagen traut. Nicht einmal mein Vater würde sich das heute zu sagen trauen. Er lebt nicht mehr; (Beifall bei der AfD) aber er hätte es sich nicht zu sagen getraut, auch wenn er schon über 80 wäre. Aber jetzt sagt man das im Deut- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schen Bundestag. Das ist unglaublich und ungeheuerlich. Marianne Schieder, SPD, ist die nächste Rednerin. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, (Beifall bei der SPD) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ CSU]: Sie haben es ihm beigebracht!) Marianne Schieder (SPD): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- Ich wiederhole den mutigen Satz aus dem Antrag. Da legen! Es wurde schon darauf hingewiesen: Es ist nicht heißt es nämlich: mehr lange hin bis zum 20. Juli, dem Tag, an dem wir Es ist Zeit für eine Perspektive, die inklusiv, diffe- an das Attentat auf Adolf Hitler vor 75 Jahren erinnern. renziert, feministisch und genderkritisch mit dem Gedenk- und Jahrestage laden uns ein, innezuhalten und Themenkomplex Frauen im Widerstand umgeht. den Blick auf die Vergangenheit zu richten, um aus die- ser Vergangenheit für die Gegenwart und für die Zukunft Denn es waren Frauen – ich sage es noch mal – aus unter- zu lernen. Dieses Ereignis ist zweifelsohne ein Symbol schiedlichen gesellschaftlichen Schichten, die sich dem dafür, dass es in Deutschland nicht nur Anhänger des Na- nationalsozialistischen Terror widersetzt haben, die un- tionalsozialismus gab, sondern auch einen sehr mutigen ter Einsatz ihres Lebens Verfolgten geholfen haben, die Widerstand. aber gleichzeitig politisch aktiv waren, die die Rolle von Männern eingenommen haben, die verhaftet worden sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten oder in Konzentrationslager verbracht wurden und die der LINKEN) (B) Faschismus und Kriegstreiberei angeprangert haben. (D) Diesen mutigen Widerstand in seiner weltanschaulichen Alle kennen Sophie Scholl. Aber über Sophie Scholl Breite und sozialen Vielfalt gab es überall, in allen ge- hinaus gibt es noch eine Reihe von Frauen. sellschaftlichen Schichten und unter allen weltanschau- lichen Positionen. (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Viele!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben versucht, von all denen, von denen wir sie wussten, die Namen im Antrag zu nennen. Meine Re- Diesen Widerstand wollen wir würdigen. dezeit reicht nicht aus, all diese Namen zu wiederholen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Aber ich bitte Sie herzlich, auch wenn Sie Anträge sonst Motschmann [CDU/CSU]) nur überfliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lesen Sie diesen Antrag wirklich Zeile für Zeile! Denn auf Wir wollen heute – darüber freue ich mich wirklich – vier Seiten wird das Engagement von vielen Frauen be- ganz besonders darstellen, dass es eben nicht nur Männer schrieben, von denen wir wissen. Aber wir wollen ja mit waren, die diesen Widerstand getragen haben, sondern diesem Antrag dafür sorgen, dass auch noch die anderen dass er auch ganz maßgeblich von Frauen gestützt wur- genannt werden können und auch deren Leistung ans Ta- de. Leider kam und kommt diese Tatsache oft zu kurz, geslicht gebracht wird. wenn sie überhaupt Berücksichtigung fand oder heute noch findet. Denn obwohl man eigentlich wusste, dass (Beifall bei der SPD, der FDP und dem es Frauen gab, die im Widerstand aktiv waren und darin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- oft auch eine zentrale Rolle einnahmen, und man gleich geordneten der CDU/CSU und der LINKEN) nach dem Zweiten Weltkrieg Literatur dazu hatte, hat die Wir wollen die Gedenkstätte Deutscher Widerstand Forschung erst in den 80er-Jahren das Thema „Die Rolle mit der Erforschung des Widerstands der Frauen im Na- der Frauen im Widerstand“ überhaupt thematisiert. tionalsozialismus beauftragen. Die Ergebnisse sollen in Lange Zeit – so ist es vielleicht in vielen Bereichen einer Ausstellung aufgearbeitet und auch digital gezeigt heute noch – war die Erforschung des Widerstands getra- werden, um sie für eine breite Öffentlichkeit und auch gen von Männern, mit dem Blick von Männern auf Män- die Wissenschaft zugänglich und nutzbar zu machen. Wir ner natürlich. Die weibliche Seite wurde marginalisiert. wollen aber auch, dass die pädagogische Arbeit, die Ge- Widerstandshandlungen, Widerstandsmotivationen und denkstättenarbeit in den ehemaligen Frauenkonzentrati- -konsequenzen von und für Frauen wurden dabei aus- onslagern wie Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück geblendet. Selbstverständlich kann der Widerstand von gefördert und weitergetragen wird. Zum 80. Jahrestag Frauen nicht losgelöst von dem der Männer betrachtet des Attentats auf Adolf Hitler soll es Sonderbriefmarken 13484 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Marianne Schieder (A) geben, die den Beitrag von Frauen am Widerstand auf- wir eigentlich einen sehr breiten Konsens haben, wie ich (C) zeigen sollen. merke. Ich würde mir wünschen, dass wir das vielleicht (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) fortsetzen können. Noch eine ganze Reihe von weiteren Maßnahmen wollen (Beifall bei der FDP, der SPD und der LIN- wir ergreifen, um diesen wirklich mutigen Widerstand KEN) von Frauen aufzuzeigen und die Schicksale von Frauen und ihre Arbeit deutlich zu machen. Erika von Tresckow und Ehrengard Gräfin von der Schulenburg fertigten gemeinsam Entwürfe und Rein- Ich will mit dem Zitat einer Frau enden, die ebenfalls im Antrag genannt wird, und zwar Gertrud Luckner, die schriften der „Walküre“-Befehle. Libertas Schulze-­ als Christin über die Caritas verschiedene Hilfsaktionen Boysen, Erika von Brockdorff und Mildred Harnack plante und durchführte. Sie mahnt uns: engagierten sich zusammen – zusammen! – mit ihren Männern im Berliner Widerstandsnetzwerk der Roten Geschichte ist doch eigentlich die Lehrmeisterin. Kapelle. Sophie Scholl, die zentrale Figur der Weißen Können wir nicht gerade aus dieser Geschichte sehr Rose, war bei ihrer Hinrichtung, am 22. Februar 1943, viel lernen? Vergessen darf man nicht, das ist nicht gerade einmal 21 Jahre alt. Es wird höchste Zeit, dass all möglich, dann käme es vielleicht wieder vor. diese Widerständlerinnen, die ihr Leben für eine bessere Wir wollen die Grausamkeiten und die Gräueltaten der und gerechtere Zukunft ihres Landes bewusst riskiert und Nationalsozialisten nicht vergessen. Wir wollen die Orte teilweise auch verloren haben, endlich in einem Atem- des Erinnerns und der Aufarbeitung stärken. zug – und zwar gleichberechtigt – mit ihren männlichen Und ich sage noch einmal: Es ist an der Zeit, hier Mitstreitern genannt werden. die Rolle der Frauen hervorzuheben. Insgesamt, glaube (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ ich, können wir auch an den Reden, die heute in diesem Haus – ich komme noch einmal darauf zurück – gehal- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ten werden, erkennen, dass wir alles daransetzen müssen, CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) dass dieses Thema nicht untergeht und in seiner Breite Wir haben schon von meinen Vorrednern viele Namen und Vielfalt immer wieder auf die Tagesordnung kommt, auch wenn es manchen in diesem Haus nicht passt. gehört. Es fehlen aber auch noch viele Namen. Ich als Berliner, der jahrelang im Bezirk Schöneberg politisch Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. aktiv war, möchte Ihnen gerne Liane Berkowitz vorstel- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, len, die in der Nähe des Viktoria-Luise-Platzes gewohnt (B) (D) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE hat und für die dort auch eine Gedenktafel steht. GRÜNEN) Liane Berkowitz war Mitglied der Roten Kapelle und hat am 17. Mai 1942 mit 18 Jahren Protestzettel auf

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dem Ku’damm geklebt. Sie wurde im September 1942 Hartmut Ebbing, FDP, ist der nächste Redner. verhaftet und im Januar 1943 vom Reichskriegsge- (Beifall bei der FDP) richt zusammen mit ihrem Verlobten Friedrich Rehmer zum Tode verurteilt. Ein Gnadengesuch aufgrund ihrer Hartmut Ebbing (FDP): Schwangerschaft wurde von Hitler persönlich abge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und lehnt. Im April 1943 brachte sie im Frauengefängnis die Kollegen! Liebe Gäste oben auf der Tribüne! Ich muss gemeinsame Tochter Irene zur Welt. Friedrich Rehmer mich wirklich bemühen, meinen Redetext nicht umzu- wurde bereits am 13. Mai 1943, hingerichtet. Liane wandeln; denn das, was ich vorhin gehört habe, erschüt- Berkowitz wurde am 5. August 1943 hingerichtet. Ihre tert mich wirklich ein bisschen. Tochter starb halbjährig im Oktober 1943. Die Umstän- de des Todes sind nicht ganz genau geklärt. Es wird Die Rolle der Frauen im Widerstand gegen den Na- angenommen, dass die Tochter Opfer der NS-Kranken- tionalsozialismus wurde oft und teilweise auch bewusst mordaktion war. unterschätzt, sodass sich in der breiten Öffentlichkeit das Bild eines überwiegend männlichen Widerstandes ver- Kritik üben dürfen, das Recht, anders zu denken, festigt hat. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute sind Pfeiler unserer Demokratie und in unserer Verfas- aufgrund Ihrer Initiative, Elisabeth Motschmann, fast sung in Artikel 5 zum Glück sehr festgeschrieben. Vor 75 Jahre nach dem gescheiterten Attentat, diesem Thema endlich die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die ihm dem Hintergrund des – wie wir hier auch heute wieder zusteht. merken – wieder aufflammenden Rechtsextremismus in Deutschland ist die Erinnerung an den Widerstand gegen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, den Nationalsozialismus höchst aktuell. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Natürlich können wir hier im Parlament streiten, aber es gibt meines Erachtens Themen in unserer Demokra- Kollege, denken Sie daran, dass Ihre Redezeit schon tie, über die sich nicht streiten lässt, sondern bei denen seit einiger Zeit überschritten ist. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13485

(A) Hartmut Ebbing (FDP): die SPD an Willy Brandt. Wir entschieden uns für Clara (C) Ja. – Jede demokratische Partei müsste diesem Antrag Zetkin. Ironie der Geschichte: Vor dem Reichstagsgebäu- zustimmen. Wir Liberalen tun das jedenfalls mit voller de durfte Clara Zetkin seit 1995 nicht mehr sein, nun ist Überzeugung. sie seit 2005 hier drinnen im Haus. Vielen Dank. Ich möchte zusammenfassen: Wenn wir diesen Antrag beschließen und vor allen Dingen wenn die von Ihnen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden, setzen und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des wir diesen aufrechten Demokratinnen und Demokraten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht nur ein Denkmal, ich glaube, wir leisten einen Bei- trag für heutige so notwendige Auseinandersetzungen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und empfehlen auch den nachwachsenden Generationen Danke sehr. – Petra Pau, Die Linke, ist die nächste Vorbilder, bei denen es sich lohnt, ihnen nachzueifern. Rednerin. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der (Beifall bei der LINKEN) SPD, der FDP, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Petra Pau (DIE LINKE): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! CDU/CSU und SPD beantragen, den Erhard Grundl, Bündnis 90/Die Grünen, hat als nächs- Widerstand von Frauen gegen den Nationalsozialismus ter Redner das Wort. in seiner weltanschaulichen Breite und sozialen Vielfalt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) besser zu würdigen. Dazu schlagen sie sehr konkrete Maßnahmen vor. Die Fraktion Die Linke stimmt diesem Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Antrag ohne Wenn und Aber zu. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Beifall bei der der LINKEN, der CDU/CSU, ren! Die Würdigung von Frauen im Widerstand gegen der SPD, der FDP, und dem BÜNDNIS 90/ den Nationalsozialismus ist längst überfällig. Schade ist DIE GRÜNEN) eigentlich nur, dass Sie, liebe Kolleginnen der Union und der SPD, die Gelegenheit nicht genutzt haben, alle de- Ausdrücklich danke ich all jenen, die den Antrag mit mokratischen Kräfte im Deutschen Bundestag in einem viel historischer Sachkenntnis formuliert haben, und ich interfraktionellen Antrag zusammenzuführen. Das wäre empfehle allen Bürgerinnen und Bürgern, ob hier auf der eine noch stärkere Botschaft gewesen. (B) Tribüne oder daheim vor dem Fernseher oder anderswo, (D) diesen Antrag komplett zu lesen. Ich registriere mit Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nugtuung, dass beide Unionsparteien den Antrag tragen. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Die Kollegin Motschmann hat das hier dankenswerter- der SPD) weise auch in der ganzen Breite dargestellt, einschließ- Es gab viele Formen, dem Rad in die Speichen zu lich der Auseinandersetzungen, von denen ich ahne, dass fallen, wie es Dietrich Bonhoeffer nannte. Kritik am sie geführt werden mussten. Deswegen möchte ich Ihnen Regime, öffentliche Verweigerung oder ziviler Unge- eine Episode erzählen. horsam, ab 1934 genügte das, um nach dem Heimtücke- Sie begann 1995. Der Umzug des Bundestages vom gesetz unerbittlich verfolgt zu werden. Widerstand aber Rhein an die Spree war längst beschlossen. Da schlug zielte ab auf wirksame Abwehr, Begrenzung, Eindäm- plötzlich hier in Berlin eine Order aus Bonn ein. Gefor- mung der NS-Herrschaft. Er basierte auf dem Bewusst- dert wurde, die Straße, die auf das Reichstagsgebäude sein, dass ein kriegstreiberischer Unrechtsstaat, der die und künftig auf den Bundestag zuläuft, umzubenennen. eigene Bevölkerung mordet, keinen Anspruch auf Loya- Sie hieß damals Clara-Zetkin-Straße. Clara Zetkin war lität hat. Frauenrechtlerin, Alterspräsidentin des Reichstages und Zur bitteren Wahrheit gehört es, dass dieser Wider- Antifaschistin; aber sie war auch Kommunistin. Gegen stand auch im Nachkriegsdeutschland lange nicht als die Umbenennung gab es Widerstand, unter anderem heldenhaft, sondern als Verrat galt. Widerstand, so ur- aus der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und bei der teilte das Bundesverfassungsgericht noch 1961, sei nur PDS. Ich habe noch ein Foto. Auf ihm halten Renate diejenige Handlung, die Aussicht auf Erfolg hatte, also Künast, seinerzeit Fraktionsvorsitzende der Grünen im zum Sturz des Regimes führen konnte – ein Urteil, das Berliner Abgeordnetenhaus, und ich, damals Landesvor- später revidiert wurde. Denn wie die Historikerin Frauke sitzende meiner Partei, das Clara-Zetkin-Straßenschild Geyken schreibt: fest. Wie Sie wissen: vergebens. Seither heißt die Stra- ße Dorotheenstraße, benannt nach Dorothea, Kurfürstin Damit wären genau genommen nur die Militärs als von Brandenburg, geborene Prinzessin von Holstein- Widerstandskämpfer anzuerkennen … Sonderburg-­Glücksburg. Es ging voran. Frauen, die in der NS-Gesellschaftsordnung nicht in Sit- Übrigens: Zehn Jahre später wurde Die Linke in den zungen des Generalstabs im Führerhauptquartier Bom- Bundestag gewählt, und so stellte sich die Frage, nach ben platzieren konnten, wären davon ausgenommen. wem sie wohl ihren Fraktionssaal benennen würde. Sie Aber Frauen leisteten Widerstand. Sie druckten und ver- wissen: CDU und CSU erinnern an Konrad Adenauer, teilten Flugblätter, sammelten Geld, organisierten Flucht, 13486 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Erhard Grundl (A) versteckten Verfolgte. Ihr Anteil am Rettungswiderstand und von dort aus die Widerständler bis in die 60er-Jahre (C) während der Shoah ist außergewöhnlich hoch. hinein zu diffamieren. Zu mehr sind Sie nicht fähig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der FDP und der LINKEN) bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der FDP) Und Frauen haben den Begriff „Widerstand“ über den politischen Widerstand und den bewaffneten Kampf hi- naus um seine humanitäre Dimension erweitert. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist Die Erforschung des Widerstands gegen den Nati- die Kollegin Melanie Bernstein, CDU/CSU. onalsozialismus ist männlich besetzt. Frauen wurden (Beifall bei der CDU/CSU) zu ihrer Rolle im Widerstand nicht in Zeitzeugeninter- views befragt, sie haben keine biografischen Notizen hinterlassen, haben ihre konspirative Tätigkeit auch vor Melanie Bernstein (CDU/CSU): Familie und Verwandten geheim gehalten, um diese zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor schützen. In der Folge fehlt die weibliche Erzählpers- einiger Zeit habe ich ein sehr beeindruckendes Buch ge- pektive über den Widerstand der Frauen fast vollstän- lesen: „Meines Vaters Land“. Darin beschreibt die – lei- dig. Unsere Fraktion stimmt Ihrem Antrag zu, weil das der in diesem Monat verstorbene – Journalistin Wibke Thema und das Signal, das von ihm ausgeht, außeror- Bruhns ihre späte Suche nach dem Vater, der in Plötzen- dentlich wichtig sind. see gehenkt wurde, als sie selbst gerade sechs Jahre alt war. Major Hans Georg Klamroth wurde als Mitwisser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, des 20. Juli vom sogenannten Volksgerichtshof der Nazis bei der CDU/CSU, der SPD und der LIN- zum Tode verurteilt. KEN) Die Tochter, im Nachkriegsdeutschland aufgewach- Meine Damen und Herren, Widerstand war im Na- sen, hat von der tragischen Geschichte ihrer Familie tionalsozialismus die Ausnahme. Auch widerständige kaum etwas gewusst. Niemand sprach mit ihr darüber. Frauen waren, gemessen an der Gesamtbevölkerung, da- Die Mutter gehörte, so Bruhns, zur schweigenden Ge- bei eine fast verschwindende Minderheit. Was hat diese neration: Frauen dennoch befähigt, diese Ausnahme zu sein? Es Wenn ich sie später mal vorsichtig auf den Vater an- war die Fähigkeit, in scheinbar aussichtslosen Situatio- (B) gesprochen habe, fing sie an zu weinen, also habe (D) nen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und Gleichge- ich es gelassen. sinnte zu finden, so wie die Weiße Rose, die Rote Kapelle oder der Kreisauer Kreis. Ich bin überzeugt: Es ist wich- Bis sie im Jahr 1979 eine Fernsehdokumentation über tig, Vorbilder für den Widerstand gegen ein Unrechtsre- den 20. Juli sah und plötzlich ihren Vater erblickte, der, gime zu haben. wie sie schreibt, „kerzengerade, elend – in einem zu gro- ßen Anzug vor dem Volksgerichtshof steht und stumm (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Gekeife Roland Freislers über sich ergehen lässt“. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das jahrzehntelange Schweigen hat vor allem damit Ich scheue mich nicht, zum wiederholten Male die Na- zu tun, dass für die Frauen der Hingerichteten mit dem men Sophie Scholl, Margarete Mrosek oder Cato Bontjes Tod der Männer das Leiden keineswegs vorüber war. Für van Beek zu nennen, so wie es all die anderen widerstän- Familie Klamroths Vermögen, von den Nazis enteignet, digen Frauen sein könnten, deren Namen wir heute noch gab es in der Bundesrepublik keinerlei Entschädigung. nicht kennen. Nach dem Krieg war die Familie in großer finanzieller Not und lebte teils von Spenden des Hilfswerkes 20. Juli. Ein Wort zu rechtsaußen in diesem Haus. Sie haben Viele Angehörige der Verschwörer wurden in den Nach- nicht das Recht, sich als Nachfolger irgendwelcher Wi- kriegsjahren von einem Teil der Bevölkerung als Verräter derständler zu gerieren. stigmatisiert. Nach jahrelangem Kampf mit den Behör- den wurde Else Klamroth erst 1957 eine kleine Entschä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN digung für die Verurteilung und Hinrichtung ihres Man- sowie bei Abgeordneten der SPD und der nes zugesprochen. LINKEN – Dr. Marc Jongen [AfD]: Sie am allerwenigsten!) Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es sehr an- schaulich demonstriert, wie viele Jahre, eigentlich ihr Sie sind die legitime Nachfolgepartei von Leuten wie ganzes Leben, die Frauen und Kinder der Verschwörer Manfred Roeder, die erst als Generalhenker aufgetreten leiden mussten, leider oftmals unter Mitwirkung deut- sind, um nach dem Krieg in die Schatulle der Spießbür- scher Behörden, und auch, weil Wibke Bruhns – selbst gerlichkeit zurückzukriechen eine der ersten politischen Journalistinnen der Bundes- republik – wirklich ein großes, ein ganz wertvolles Buch (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- geschrieben hat. Natürlich sollten wir in gleichem Maße SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – der Frauen gedenken, deren Töchter keine Bestseller Dr. Marc Jongen [AfD]: Schämen Sie sich!) geschrieben haben, deren Geschichten nicht so bekannt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13487

Melanie Bernstein (A) und aufgearbeitet sind, etwa das der Arbeiterfrau, die Katrin Werner, weiterer Abgeordneter und (C) den Wahnsinn der Nazis nicht mitmachen wollte und der der Fraktion DIE LINKE Hans Fallada in seinem Roman „Jeder stirbt für sich al- lein“ ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt hat. Hier müs- Freiwillige Feuerwehren im Ländlichen sen und wollen wir forschen, aufklären und bewahren. Raum unterstützen und fördern Deshalb diskutieren wir heute diesen Antrag. Drucksache 19/10288 Es geht mir auch darum, die Lebensleistung dieser Überweisungsvorschlag: Frauen nach dem Krieg zu würdigen; denn in der Zeit der Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Not blieb oftmals keine Zeit für Gefühle und persönliche Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Aufarbeitung. Wibke Bruhns schreibt über ihre Mutter: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Doch bei all dem hast du es dir niemals erlaubt, et- was anderes an den Tag zu legen als eiserne Selbst- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten beherrschung. Du konntest dein Entsetzen über die- Britta Haßelmann, Markus Tressel, Harald sen Tod nie herausschreien. Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die- sen Frauen jetzt endlich eine Stimme geben, eine Stim- Gleichwertige Lebensverhältnisse über- me, die uns erinnert, uns mahnt, die Fehler unserer Vor- all – Gutes Leben und schnell unterwegs fahren nicht zu wiederholen, in Stadt, Land und Netz (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Drucksache 19/10639 der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Überweisungsvorschlag: GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und eine Stimme, die den Opfern das Gedenken in Würde Kommunen (f) und Gerechtigkeit zuteilwerden lässt, das sie verdienen Ausschuss für Wirtschaft und Energie und das wir ihnen schuldig sind. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Vielen Dank. Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der abschätzung LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Entwicklung (B) Ausschuss für Kultur und Medien (D) Federführung strittig

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Damit schließe ich die Aussprache. Markus Tressel, Britta Haßelmann, Harald Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frak- CSU und der SPD auf Drucksache 19/11092 mit dem Ti- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tel „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialis- Pakt für lebenswerte Regionen schließen mus würdigen“. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktion Drucksache 19/10640 Bündnis 90/Die Grünen wünscht Überweisung an den Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien. Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Nach ständiger Übung stimmen wir zuerst über den Kommunen (f) Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Wer stimmt für die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nen beantragte Überweisung? – Das sind Bündnis 90/ Ausschuss für Gesundheit Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Das Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur sind die Koalitionsfraktionen und Die Linke. Wer enthält Federführung strittig sich? – Dann ist der Überweisungsantrag abgelehnt. d) Beratung der Beschlussempfehlung und Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktionen der des Berichts des Ausschusses für Inneres CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 19/11092 in der und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag Sache ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt der Abgeordneten Heidrun Bluhm-Förster, dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag bei Dr . Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Enthaltung der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE angenommen. LINKE Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 d Gleichwertige Lebensverhältnisse und sowie Zusatzpunkt 21 auf: Chancengleichheit für Ländliche Räume herstellen 34. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm-Förster, Kerstin Kassner, Drucksachen 19/3164, 19/7768 13488 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) ZP 21 Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicht nur die ländlichen Räume sind im Hintertreffen. (C) Benjamin Strasser, Stephan Thomae, Grigorios Wohlstand und Armut sind weiterhin extrem ungleich vor Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- allem zwischen West und Ost verteilt. Es ist offenkun- tion der FDP dig, dass der radikale Umbruch in Ostdeutschland nach 1990 zu extremen Verwerfungen – von der Eigentums- Zukunft der Feuerwehren modern und at- struktur bis zur politischen Meinungsbildung – geführt traktiv gestalten hat. Wer hier nicht sieht, dass ein Großteil der Gründe Drucksache 19/11108 für das Erstarken des Rechtspopulismus im Fehlen einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive und in geringeren Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat basisdemokratischen Möglichkeiten, Einfluss auf Ent- scheidungen zu nehmen, liegt, hat die Zeichen der Zeit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nicht erkannt oder will sie vielleicht auch nicht erkennen. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Fraktion Die Linke legt gleichzeitig einen An- trag vor, der die freiwilligen Feuerwehren im ländlichen Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Raum unterstützen und fördern soll. Das mag einigen von Kollegin Heidrun Bluhm-Förster, Die Linke. Ihnen vielleicht kleinteilig vorkommen. Wenn man sich (Beifall bei der LINKEN) aber vor Augen führt, dass die freiwilligen Feuerwehren nicht nur für den Katastrophenschutz von immenser Be- deutung sind, sondern in Dörfern und Gemeinden zudem Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE): das soziale und kulturelle Gemeinschaftsleben oftmals Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen inzwischen als einzige funktionierende Institution prä- und Kollegen! 30 Jahre Mauerfall, hochqualifizierte gen, dann dürfte einem der Stellenwert für die dortige ostdeutsche Leute, die motiviert waren und große Hoff- nungen hatten, und trotzdem ist es sämtlichen Bundesre- Lebensqualität klar sein. Hier fordern wir für die frei- gierungen seither nicht gelungen, im Land gleichwertige willigen Feuerwehren die Rückkehr zu entsprechenden Lebensverhältnisse herzustellen. Welch ein Armutszeug- technisch-logistischen Standards der Brandbekämpfung, nis! Dabei schreibt Artikel 72 Absatz 2 Grundgesetz vor, eine regelmäßige Anpassung der sozialen Absicherung dass der Bund zur Herstellung gleichwertiger Lebensver- ihrer Mitglieder sowie die verbesserte Würdigung und hältnisse in vielen Bereichen dafür das Gesetzgebungs- Anerkennung dieses bürgerschaftlichen Engagements recht hat. Warum wird dieses Recht nicht viel stärker von von besonderer Bedeutung, und zwar über eine Kofi- uns im Parlament genutzt? Weil wir nicht daran glauben? nanzierung aus Bundesmitteln in Höhe von 75 Millionen Weil es vielleicht zu teuer ist? Weil die bisherige Poli- Euro jährlich, die zu verstetigen sind. (B) tik sonst in schlechtem Licht steht? Was auch immer die (D) Ausrede für uns sein mag: Damit setzen wir die Zukunft Dieser Antrag soll nur ein Beispiel dafür sein, wie von Generationen aufs Spiel. Das kann nicht so bleiben. groß die Vielzahl der Herausforderungen im ländlichen Raum ist, deren Bewältigung von uns erwartet wird. (Beifall bei der LINKEN) Wenn selbst die Friedrich-Ebert-Stiftung in der genann- Das gilt zum einen für die ländlichen Räume in weiten ten Studie zu dem Fazit kommt, dass es darum geht, eine Teilen Deutschlands und zum anderen vor allem für Ost- neue Politik zu formulieren, die endlich entschlossen deutschland. Die Fraktion Die Linke geht hier mit einem die Ungleichheit bekämpft, dann spricht sie einerseits Antrag in die Offensive, der darauf abzielt, das Grundge- nur das aus, was Die Linke mittlerweile seit Jahrzehnten setzgebot ernst zu nehmen. Wir fordern, die öffentliche sagt, und andererseits hat sie damit einfach nur Recht. Daseinsvorsorge endlich für alle Menschen vergleichbar (Beifall bei der LINKEN) sicherzustellen. In diesem Sinne können wir den Anträgen der Frakti- (Beifall bei der LINKEN) on Bündnis 90/Die Grünen zustimmen. Das betrifft neue Formen der ländlichen Wirtschaft, die Versorgung mit einer leistungsfähigen digitalen Infra- Ich danke für die Aufmerksamkeit. struktur, wertschöpfungsschaffende Strukturen, Kul- (Beifall bei der LINKEN) tur- und Bildungseinrichtungen, den Ausbau eines leis- tungsfähigen und barrierefreien ÖPNV zum Nulltarif und vieles andere mehr. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Petra Nicolaisen, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. Wir alle wissen, dass sich regierungsamtliche Ratlo- sigkeit immer daran bemerkbar macht, wenn die angebli- (Beifall bei der CDU/CSU) che Lösung von Problemen die Bildung von Arbeitsgrup- pen oder Kommissionen ist. So ist es auch hier. Anstatt (CDU/CSU): volle Konzentration, Finanzmittel und Perspektiven in Petra Nicolaisen die ländlichen Räume zu investieren, wird weiterhin Zeit Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es verplempert, um dann lediglich festzuhalten, was sowie- freut mich, dass die vorliegenden Anträge, über die wir so schon jeder weiß. In materieller, aber auch in ideeller nun debattieren, einen konstruktiven Beitrag zur Schaf- Hinsicht gibt es, wie die Studie „Ungleiches Deutsch- fung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und land“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammenfasste, ge- Land leisten möchten und dass darin tatsächlich Vor- rade mehrere Deutschlands, nämlich in Bezug auf deut- schläge unterbreitet werden, die ich grundsätzlich unter- lich voneinander abweichende Entwicklungswege. stützen kann. Forderungen wie etwa die nach einer Er- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13489

Petra Nicolaisen (A) weiterung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der desverfassungsgericht in seinem Urteil von 2005 hierzu (C) Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ finde ich genau- nochmals genauer festgelegt hat – ich zitiere –: so richtig und wichtig wie die nach Stärkung des Ehren- amtes und des bürgerschaftlichen Engagements. Beides Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnis- sind tragende Säulen unseres Gemeinwesens. se ist eine bundesgesetzliche Regelung erst dann erforderlich, wenn sich die Lebensverhältnisse in (Beifall bei der CDU/CSU) den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Der Aussage im Antrag der Grünen und von Ihnen, Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine sehr geehrte Frau Kollegin Bluhm-Förster, dass bisher derartige Entwicklung konkret abzeichnet. nichts Konkretes zur Herstellung gleichwertiger Lebens- verhältnisse unternommen wurde, muss ich jedoch ve- Ja, Deutschland hat unterschiedliche Lebens- und hement widersprechen. Eine komplette Aufzählung aller Rahmenbedingungen, sodass die Lebensverhältnisse Maßnahmen, die wir bereits ergriffen haben, um gute in unserem Land alles andere als gleich sind. Aber das Lebensbedingungen in Stadt und Land zu gewährleisten, müssen sie auch nicht sein. Denn: So unterschiedlich die würde den Rahmen so kurz vor der Sommerpause aller- Menschen und Lebenskonzepte sind, so unterschiedlich dings sprengen. sind auch Bedürfnisse und Vorstellungen davon, was gute Lebensbedingungen ausmacht. Deshalb bin ich der (Benjamin Strasser [FDP]: Was hat denn das Auffassung, dass die Vielfalt erhalten bleiben muss und Heimatministerium gemacht? Wo ist der Hei- unsere Maßnahmen zur Schaffung gleichwertiger Le- matminister?) bensverhältnisse dezentrale Lösungsansätze verfolgen und dazu beitragen sollten, die kommunale Selbstver- Ich werde das daher kurz anhand von drei Beispielen er- waltung zu stärken. läutern. In diesem Sinne wollen wir als CDU/CSU-Bundes- Zunächst wurde, wie im Koalitionsvertrag verein- tagsfraktion den Menschen kein Lebenskonzept vor- bart, im Herbst letzten Jahres die Regierungskommissi- schreiben. Im Gegenteil: Wir wollen ihnen Chancen on „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt. Da- eröffnen. Dafür setzen wir uns bei der Schaffung guter, rin erarbeitet die Bundesregierung gemeinsam mit den gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land ein. Bundesländern und den kommunalen Spitzenverbänden Ich freue mich auf eine konstruktive Debatte nach der Empfehlungen zur Verbesserung der Herstellung gleich- Sommerpause. wertiger Lebensverhältnisse in wichtigen Bereichen wie der Daseinsvorsorge, der technischen Infrastruktur oder Herzlichen Dank. (B) der Förderpolitik. Sobald der Endbericht mit prioritären (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Handlungsempfehlungen vorliegt, werden auch wir als Parlamentarier Umsetzungsbeschlüsse fassen können. Das ist das erste Beispiel. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dietmar Friedhoff, AfD, ist der nächste Redner. Zweitens. Ein weiteres Beispiel sind die existierenden Förderprogramme des Bundes, die dem ländlichen Raum (Beifall bei der AfD) zugutekommen oder dazu beitragen, die Städte lebens- werter zu machen. Nennen möchte ich hier das Bundes- Dietmar Friedhoff (AfD): programm Ländliche Entwicklung mit 70 Millionen Euro Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und im Bundeshaushalt 2019 sowie die Städtebauförderung, Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Zum Ab- für die in diesem Jahr insgesamt 790 Millionen Euro zur schluss noch zwei Themen: ländliche Räume und frei- Verfügung stehen. willige Feuerwehren stärken, ausbauen und zukunftso- Drittens. Darüber hinaus haben wir Ende letzten Jah- rientiert entwickeln und aufstellen. Ich persönlich lebe res das Grundgesetz dahin gehend geändert, dass der auf dem Land. Als Stadtkind geboren, steht für mich fest: Bund in den Bereichen Bildung und sozialer Wohnungs- Städte mögen Impuls sein, Städte mögen Lifestyle sein; bau – eigentlich Länderaufgaben – finanzielle Unterstüt- das Land hingegen ist Besinnung, Gemeinschaft und zung leisten kann. Wurzel – auch und gerade im 21. Jahrhundert. Für mich sind das durchaus nennenswerte Schritte, die (Beifall bei der AfD) wir hier unternommen haben, um unseren Bürgerinnen Eines ist das Land in jedem Fall nicht: Es ist nicht der und Bürgern gute Lebensbedingungen in Stadt und Land Rand der Stadt; es ist nicht die Fläche, die man für die zu ermöglichen. Städte mit Windrädern, Solarflächen, Monokulturen und Biogasanlagen vollstopfen kann. Das Land ist das Tor, In Anbetracht der erheblichen Unterschiede, die in den das Tor zur Gemeinschaft, zur Tradition und Natur, und regionalen Einkommens- und Beschäftigungsmöglich- genau das gilt es zu wahren. keiten, bei der Sicherung der Mobilität und beim Zugang zu Angeboten der Grundversorgung und Daseinsvor- Was braucht es nun, dass das Land nicht abgehängt sorge vorhanden sind, hört unsere Arbeit hier aber nicht wird, nicht gegenüber Städten verliert, dass es zukunfts- auf. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist orientiert aufgestellt ist, ohne seine Identität als Land zu vielmehr eine Daueraufgabe der Politik. Dabei dürfen verlieren? Es wird Sie wundern: Dazu bedarf es A, F und wir jedoch nicht unberücksichtigt lassen, dass das Bun- D. 13490 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Dietmar Friedhoff (A) A wie Arbeit, Ausbildung und Arzt. Meint: Arbeits- terstützen, geschweige denn fördern. Das hat erheblichen (C) plätze in der Nähe, aber auch moderne Ansätze von Ar- Einfluss auf die Sicherheit der Menschen vor Ort. Werte beiten in der Zukunft; regionale Marken stärken, Home- Arbeitgeber, erkennen Sie den Dienst wieder mit dem office und Kreativdörfer; Gedankenschmieden auf dem Respekt an, der ihm gebührt, und schaffen Sie dafür auch Land in einem kreativen Umfeld. Es meint erreichbare wieder mehr Freiräume. Ausbildungsplätze, Kitas und Schulen – und den Arzt. Geht der Arzt, geht das Dorf. (Beifall bei der AfD) Dazu bedarf es F: F wie Familie, Fahrzeug und Feuer- Es braucht auch Ideen vonseiten der Politik für diesen wehr. Meint: Wohnen und Zusammenleben der Zukunft; Dienst an der Gemeinschaft, um den Kameradinnen und Jung und Alt gemeinsam als soziales Gefüge; „generati- Kameraden Vorteile zu bieten. Wie wäre es mit Renten- onsübergreifend“ ist eine der Antworten auf das Heran- punkten? Leistung für die Gemeinschaft darf eben keine wachsen, Leben und Altwerden in der Zukunft. „Fahr- Einbahnstraße sein. Und wir müssen wieder eins: mehr zeug“ meint Mobilität, funktionierenden Nahverkehr, Menschen für diesen Dienst gewinnen. Die Einführung freies Autofahren für die nötige und maximale Flexibi- eines Jahres für den Staat aller Menschen in diesem Land lität. wäre mal ein Ansatz. (Benjamin Strasser [FDP]: Schöne Phrasen!) (Beifall bei der AfD) Und F meint Feuerwehren, die für Sicherheit stehen. Da die Menschen in Deutschland auch mobiler und Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehren werden ge- flexibler geworden sind und auch mehr arbeitsbedingt braucht, und zwar raumnah und zeitnah. umziehen, bedarf es vielleicht auch eines bundesweiten Und es braucht D wie Dorfgemeinschaft Ausbildungsstandards. Wichtig ist vor allen Dingen eins: der Schutz der Rettungskräfte. Behinderung und Gewalt (Bernhard Daldrup [SPD]: Demokratie!) gegen Rettungskräfte muss hart bestraft werden. für ein soziales und festigendes Miteinander. Das macht Werte Kolleginnen und Kollegen, sollte der immer der Schützenverein, die Theatergruppe, die Feuerwehr, wieder zitierte Klimawandel in Deutschland zu mehr aber eben auch die Dorfkneipe. D wie Dorfladen als Ein- Bränden, zu mehr Stürmen und zu mehr Hochwasser füh- kaufsmöglichkeit in der Nähe, die Nahversorgung. Und ren, müssen wir jetzt sofort in Feuerwehren, Rettungs- zu all dem braucht es Digitalisierung. dienste und das THW investieren, massiv und schnell. (Martin Hebner [AfD]: Ja!) Ein Warten darf es nicht geben. Nicht mehr Nachdenken, sondern Vordenken und Handeln. Das ist und wird eine Das ist definitiv eines der Kernthemen für die Entwick- der großen nationalen Aufgaben sein – die Uhren laufen. (B) lung der ländlichen Räume, aber eben auch der Feuer- (D) wehr. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Resttag, und kommen Sie alle ge- Kommen wir zur Feuerwehr. In Deutschland dienen sund nach Hause! circa 1 Million Frauen und Männer bei der freiwilligen Feuerwehr und über 250 000 junge Menschen in den Ju- Danke schön. gendfeuerwehren. (Beifall bei der AfD sowie des Abg. Manfred (Beifall bei der AfD) Grund [CDU/CSU]) Sie leisten tagtäglich Einsatz für uns alle, einen Einsatz, der unter dem Motto steht: „Gott zur Ehr, dem nächs- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ten zur Wehr“. Das ist Verpflichtung und Wahlspruch der Elisabeth Kaiser, SPD, ist die nächste Rednerin. Frauen und Männer der Feuerwehren, wenn es gilt, des nächsten Leib und Leben, Haus und Hof selbst unter Ein- (Beifall bei der SPD) satz des eigenen Lebens zu schützen. Respekt und Dank an dieser Stelle. Elisabeth Kaiser (SPD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Aber genau deswegen ist es Verpflichtung und Auf- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir von gabe, diesen Frauen und Männern jede Unterstützung, gleichwertigen Lebensverhältnissen reden, dann stellen die beste Ausbildung und das beste Material zur Verfü- wir uns Fragen wie: Wo kann ich gut leben? Wo kann gung zu stellen; das bedeutet nämlich Fürsorgepflicht. ich gut wohnen? Wo gibt es Ärzte? Wo gibt es eine gute Die Herausforderungen der Feuerwehren sind breit. Zu Kinderbetreuung? Wo gibt es gute Schulen? Wo gibt es viele Einsätze, zu alte Fahrzeuge, zu alte Gerätehäuser, Mobilfunk, Internet? Kann ich mich auf den öffentlichen Nachwuchsmangel, schlechte und fehlende Kommunika- Nahverkehr verlassen? Und gibt es Möglichkeiten, dass tionsmöglichkeiten und Mangel an Ausbildung, auch und ich mich auch ehrenamtlich einbringen kann? gerade im Bereich der Digitalisierung. Dazu braucht es Bei all diesen Dingen sind Landkreise, Städte und wieder mehr Respekt vor der Aufgabe. Dörfer gefragt. Sie sind zuständig für die Sicherung der Derzeit ist in einigen Gebieten die Einsatzbereitschaft Daseinsvorsorge. Aber häufig fehlt ihnen leider auch das der Feuerwehren in Gefahr. Zu viele Mitglieder arbeiten Geld, um ihre Aufgaben zu meistern oder zu investieren. auswärts und haben Arbeitgeber, die den Dienst nicht un- Deshalb kämpfen wir in der SPD-Fraktion dafür, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13491

Elisabeth Kaiser (A) sich der Bund noch stärker engagiert, um den Kommu- Mecklenburg-Vorpommern – das ist für Herrn Bartsch, (C) nen einen größeren Handlungsspielraum zu eröffnen. der jetzt nicht mehr da ist, vielleicht interessant, weil es in seinem Bundesland ist – ein Bildungs- und Bürgerzen- (Beifall bei der SPD) trum in Schwerin, in Heringsdorf eine Sport- und Mehr- Wenn ich als Thüringerin über gleichwertige Lebens- zweckhalle sowie zahlreiche Sport-, Freizeit- und Natur- verhältnisse spreche, dann spreche ich natürlich auch bäder in der ganzen Republik. Liebe Fraktion Die Linke, über den Osten, jetzt gar nicht mal, um eine Abgrenzung Sie können uns hier nicht vorwerfen, der Bund wäre sich zum Westen der Republik zu machen; denn auch dort seiner Verantwortung nicht bewusst. gibt es Strukturschwäche, auch dort gibt es notleidenden Kommunen. Aber im Osten fehlt es in der breiten Flä- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) che an gut bezahlten Jobs, an Karrieremöglichkeiten und All diese Maßnahmen sorgen dafür, den Kommunen auch an jungen Leuten. Die Wirtschaftskraft im Osten einen Gestaltungsrahmen für eine verlässliche Daseins- ist – trotz der guten Entwicklung – immer noch signifi- vorsorge zu geben. Natürlich: Wir können immer noch kant unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Und auch mehr tun. Aber im Kern geht es auf jeden Fall darum, das wirkt sich auf die Wirtschaftskraft der Kommunen die Voraussetzungen für eine gute Entwicklung in den aus. Kommunen zu schaffen. Dazu gehört natürlich auch das Deshalb ist es wichtig, dass wir – erstens – wirt- Ehrenamt. Das Ehrenamt bereichert das Angebot der Da- schaftliches Wachstum und Innovationspotenzial in den seinsvorsorge und stärkt ganz besonders den Zusammen- strukturschwachen Regionen stärken. Die Kommission halt in den Gemeinden und Städten. Deswegen wollen „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ wird einen Vor- wir das weiterhin unterstützen, insbesondere auch die schlag unterbreiten, wie ein gesamtdeutsches Fördersys- Feuerwehr, na klar. Denn die Kameradinnen und Kame- tem aussehen könnte, um eben strukturschwache Regio- raden setzen ihre Gesundheit und ihr Leben dafür ein, die nen ab 2020 zu unterstützen. Gesundheit und das Leben anderer zu schützen und zu retten. Das kann nicht hoch genug wertgeschätzt werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wichtig ist – zweitens – auch, dass wir die Städtebau- der CDU/CSU) förderung so anpassen, dass insbesondere strukturschwa- In der Tat haben freiwillige Feuerwehren vor Ort weit- che Kommunen davon profitieren können und eben auch aus mehr Aufgaben als nur die Brandbekämpfung. Des- die ostdeutschen Länder. wegen müssen sie gut ausgestattet bleiben, damit sie ihre Aufgaben auch gut erfüllen können. Deswegen haben (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es (D) ist ja nicht so, als hätten wir in dieser Legislatur noch gar wir im Haushalt Mittel für Fahrzeuge eingestellt, die vor nichts für die Kommunen getan. Das Gegenteil ist der Ort ankommen. Fall, und das wissen Sie auch. Die SPD hat zum Beispiel maßgeblich dafür gesorgt, dass der Bund die Länder bei (Benjamin Strasser [FDP]: Man muss sie halt den Kosten für die Kinderbetreuung in den Kitas unter- mal liefern!) stützt und genauso die Kommunen bei den Kosten der – Das passiert jetzt. 20 Fahrzeuge werden überbracht; das Unterkunft entlastet. wurde uns versichert. Die anderen 336 Fahrzeuge kom- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der men noch. CDU/CSU) Klar ist aber auch: Die freiwilligen Feuerwehren leis- Wir werden auch die Grundsteuer neu gestalten, um ten vor Ort noch viel mehr. Ohne sie würde kein Dorffest dadurch im nächsten Jahr 14 Milliarden Euro an Einnah- funktionieren, kein Maibaumsetzen. All das wäre nicht men für die Kommunen zu sichern. Ich könnte jetzt noch möglich ohne den Einsatz der Kameradinnen und Kame- ganz, ganz viel aufzählen, muss aber an dieser Stelle raden. Sie gehören einfach zum Gemeinschaftsleben in noch etwas klarstellen: Wir haben in der Koalition die der Kommune. Mittel für das Förderprogramm für kommunale Einrich- tungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur von (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der 100 auf 300 Millionen Euro aufgestockt. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Und heute Morgen höre ich dann, der Bund stelle zu we- nig Geld für Schwimmbäder ein. Bitte? Wir unterstützen Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon seit einiger Zeit Kommunen gerade mit diesem Programm dabei, in Ein- überschritten. Kommen Sie bitte zum Ende. richtungen mit sozialer und integrativer Wirkung zu in- vestieren. Natürlich gehören dazu auch Schwimmbäder, Elisabeth Kaiser (SPD): aber eben auch andere Begegnungsstätten in den Kom- munen. Gut, ich komme zum Schluss. – Wir wollen die Feuer- wehren auch weiterhin unterstützen. Ich danke an dieser Gefördert wurden in den letzten Jahren zum Beispiel Stelle den Kameradinnen und Kameraden, aber auch all das Freizeitforum in Marzahn, die Begegnungsstätte im denjenigen, die sich vor Ort engagieren, auch beim THW Gründerhaus in Greiz, ein Jugendklub in Meerane und in und in den Kommunen. 13492 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Elisabeth Kaiser (A) Ihnen allen wünsche ich jetzt eine schöne Sommer- 22 000 Feuerwehren, und 95 Prozent dieser Menschen (C) pause mit guten Begegnungen vor Ort in Ihren Wahlkrei- machen das ehrenamtlich. sen! (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. Für diese Ehrenamtlichen wird es immer schwieriger, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ihren Dienst neben Ausbildung, Beruf und Familie zu der CDU/CSU) leisten. Auch der demografische Wandel trifft die Feuer- wehren gerade beim Thema Nachwuchsförderung hart. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Da müssen wir uns als Parlament doch die Frage stel- Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Benjamin len: Wo können wir helfen? Aber wenn wir Katastro­ Strasser, FDP. phenschutzpolitiker das thematisieren, dann kommt von den Regierungsfraktionen, vor allem von der Union, im- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Bernhard mer der Fingerzeig auf die Länder: Wir sind nicht zu- Daldrup [SPD]) ständig. – Ja, wir sind als Bund nur zuständig im Bereich der ergänzenden Katastrophenhilfe. Aber mich würde Benjamin Strasser (FDP): schon freuen, wenn man die Zusagen, die der Minister den Feuerwehren gegeben hat, von Bundesseite wenigs- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und tens einhalten würde. Da sieht es sehr trostlos aus. Sie Kollegen! Wir beraten heute über Anträge der Linken, haben 510 Fahrzeuge für die Feuerwehren versprochen, der Grünen und von uns Freien Demokraten. Eigentlich die im Bereich des Brandschutzes fehlen. Geschehen ist hätte die Bundesregierung schon längst eigene Initiati- bis heute nichts. Noch immer warten die Bundesländer ven vorlegen können und müssen; aber in der sehr üppig auf 336 Löschgruppenfahrzeuge und 94 Schlauchwagen. besetzten Heimatabteilung des Bundesinnenministers So lässt man den ländlichen Raum, die Feuerwehr und Seehofer herrschen Stillschweigen und Tatenlosigkeit. das Ehrenamt im Stich. Das verwundert auch nicht groß: Der Heimatminister hat es offensichtlich nicht für nötig empfunden, bei dieser (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Debatte heute anwesend zu sein; der AfD) (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Er hat seinen Deswegen haben wir Freie Demokraten Ihnen heute besten Mann geschickt!) einen Antrag vorgelegt. Helfen Sie mit, Strategien zu entwickeln und Projekte zu unterstützen, die sich der der Staatssekretär ist mit einiger Verzögerung eingetrof- Nachwuchsförderung im Bereich der Feuerwehren wid- (B) (D) fen. Das ist wohl symptomatisch für die Arbeitsweise im men. Helfen Sie mit, Forschungsvorhaben zu entwickeln, Heimatministerium. Ich habe Herrn Seehofer mal ge- wie die ehrenamtliche Tätigkeit bei den Feuerwehren für fragt, welche konkreten Gesetze und Förderprogramme Frauen und Migranten attraktiver gestaltet werden kann; denn durch das Heimatministerium entschieden worden denn gerade diese Gruppen sind bei der Feuerwehr un- sind. Wenn man dann vom Minister persönlich die Ant- terrepräsentiert. wort bekommt: „Herr Strasser, es gab keine Gesetze im Heimatministerium, und es wird auch keine geben“, dann (Beifall bei Abgeordneten der FDP) symbolisiert das die Tatenlosigkeit dieses Ministers. Unterstützen Sie Initiativen der Feuerwehren, die sich (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Martin gegen die zunehmenden Fälle von Gewalt gegen Ein- Hebner [AfD]) satzkräfte richten. Und sorgen Sie vor allem dafür, dass die zugesagten Fahrzeuge jetzt endlich zur Auslieferung Herausgekommen ist die Kommission „Gleichwertige kommen und die Feuerwehren vor Ort nicht auf den Lebensverhältnisse“. Aber auch bei dieser Kommission Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet werden. hat man den Eindruck: Außer Namensschilder auf den Tisch stellen und Getränke kühlen dürfen die Mitarbei- (Beifall bei der FDP) terinnen und Mitarbeiter des Heimatministeriums nicht Einen ersten wichtigen Schritt zur Stärkung des Eh- viel. In 15 Monaten seit der Regierungsbildung ist au- renamts in den Feuerwehren unserer Republik könnten ßer der Einsetzung dieser Kommission nichts passiert im Sie schon heute gehen. Wir sind Serviceopposition: Wir Bereich der Heimatpolitik. Dabei gäbe es doch Themen haben Ihnen diesen Schritt vorgelegt, Sie müssen nur zu- zur Stärkung der Heimat und der ländlichen Räume in stimmen. Deutschland. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den ländlichen Vielen herzlichen Dank. Raum stark machen will, der muss mehr für das Ehren- amt tun; (Beifall bei der FDP) (Dietmar Friedhoff [AfD]: Aha!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: denn der gesellschaftliche Zusammenhalt wird gerade Markus Tressel, Bündnis 90/Die Grünen, ist der durch ehrenamtliches Engagement getragen. Ein wesent- nächste Redner. licher Bestandteil sind dabei die Feuerwehren in unserem Land: 1,3 Millionen Menschen engagieren sich in über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13493

(A) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bedeutet ja nicht, dass alle Infrastrukturen in gleichem Entwicklung ist klar – das brauchen wir an dieser Stelle Maße überall vorhanden sein müssen. Es bedeutet aber – nicht mehr ausdrücklich zu erwähnen –: Die Lebenswel- und das ist auch wichtig –, besseren Zugang und damit ten vieler Menschen driften immer weiter auseinander. gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, nicht von Auf der einen Seite haben wir boomende Städte – das oben nach unten, sondern so, dass den Menschen vor Ort erleben wir hier in Berlin –, wo es immer mehr Men- das Mitmischen, das Mitmachen ermöglicht wird. Was schen hinzieht und die mit den Folgen zu kämpfen haben. wir brauchen, ist echte Chancengleichheit, unabhängig Auf der anderen Seite haben wir Regionen, aus denen die von Herkunft und Wohnort, liebe Kolleginnen und Kol- Menschen verschwinden und in denen mit ganz anderen legen. Problemen umgegangen werden muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mancherorts hat sich in den vergangenen Jahren das Wir brauchen neben Förderung von wirtschaftlicher Gefühl eingestellt, mit diesen Problemen nicht gehört Entwicklung auch gute Rahmenbedingungen, damit und wahrgenommen zu werden. Das hat auch Auswir- Menschen sich in ihren Regionen zu Hause fühlen kön- kungen auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft; nen, egal ob in Stadt oder Land, ob in Ost oder West. das haben wir in den vergangenen Monaten und Jahren Deswegen müssen wir auch über eine Versorgungsgaran- sehr deutlich gesehen. Da erwarten die Menschen, die in tie reden, wenigstens in den relevantesten Bereichen wie diesen Regionen leben, mit Recht endlich auch Antwor- Medizin, Mobilität und Digitalisierung. Dazu gehören ten der Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jahre- auch die Feuerwehren, die Rettungsdienste und insbe- lang hat dieses Thema nicht die Aufmerksamkeit bekom- sondere das THW, auf das wir von der Bundesebene aus men, die es gebraucht hätte. ja unmittelbaren Einfluss haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fehlen bis heute die Instrumente, um diesen Da ist der Druck am größten. Das ist im Übrigen auch Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Die Instrumente, die eine Frage der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der wir haben, passen oft nicht auf die Problemlagen, die wir Regionen. Wenn Sie sich angucken, wo sich die Indus- in unseren ländlichen Regionen haben. triearbeitsplätze in diesem Land befinden, dann stellen Sie fest: Die befinden sich mehr im ländlichen Raum als Wir haben aber nicht nur ein Problem in den klassi- in den städtischen Regionen. schen ländlichen Räumen, sondern auch ein ernstzu- Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ (B) nehmendes Problem mit strukturschwachen Regionen. weckt zwar große Hoffnungen, unter anderem mit der (D) Das können auch altindustrielle Regionen sein, wie zum Ankündigung eines gesamtdeutschen Fördersystems – Beispiel das Saarland. Frau Bluhm-Förster, die gibt es das haben wir eben noch mal gehört –, aber es reicht in Ost- und in Westdeutschland; das muss man an dieser nicht aus, hier und da an ein paar Stellschrauben zu dre- Stelle auch klar sagen. hen. Was wir brauchen, ist ein Neustart in der Förderpoli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tik, in der Förderlandschaft. Wir brauchen eine zukunfts- gewandte Strukturpolitik. Ein erster Schritt – und davon Es geht um Städte und Gemeinden, in denen die Men- sind wir überzeugt – muss die Einführung einer neuen schen keine Perspektiven mehr für sich sehen, weder Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“ ökonomisch noch sozial, und wo nach und nach weg- sein, die wir in unseren Anträgen vorschlagen. bricht, was es für ein gutes Leben braucht. Das muss man Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können die klar sehen und daher konsequent handeln. Bundesregierung nur dazu aufrufen: Versuchen Sie, hier Der Schutz der Daseinsvorsorge in all ihren Facetten nicht im Klein-Klein stehen zu bleiben. Wir müssen an ist der Schlüssel für die Entwicklung dieser Regionen. die Grundlagen ran. Dazu besteht jetzt die große Chance, Nur wenn der Bund es schafft, gemeinsam mit den Län- weil wir die Debatte eröffnet haben. Unser Beitrag liegt dern und Kommunen die Regionen lebenswert zu ma- hier und heute vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich chen und zu erhalten, dann können wir auch das Ziel der kann nur das Gleiche anbieten wie der Kollege Strasser: Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse erreichen. Greifen Sie zu! Da stecken sehr viele gute Ideen drin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der „Süddeutschen Zeitung“ wurde diese Woche ein Pakt für die Regionen gefordert. So ein Pakt liegt Ihnen heute mit unserem Antrag vor. Unser Pakt für le- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: benswerte Regionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Michael Kuffer, CDU/CSU, ist der nächste Redner. gibt den Menschen vor Ort die Mittel und Möglichkeiten (Beifall bei der CDU/CSU) an die Hand, die sie brauchen, um ihr Lebensumfeld zu gestalten. Das umfasst nicht nur finanzielle Mittel, son- dern auch bessere Strukturen zum Fördermittelabruf. Das Michael Kuffer (CDU/CSU): heißt, wir müssen nicht nur Geld geben, sondern auch Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Im Strukturen schaffen. Jahr 2016 mussten die Feuerwehren in Deutschland rund 13494 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Michael Kuffer (A) 3 800 000-mal zu Einsätzen ausrücken. Mittlerweile sind und gesund nach Hause bringen müssen, dann wissen (C) es rund 4 Millionen Einsätze, die die Feuerwehren jedes Sie, was ich meine. Jahr in Deutschland zu bewältigen haben. (Beifall des Abg. Martin Hebner [AfD]) Etwa ein Drittel der Einsätze werden von den freiwil- Mit alledem sind die Feuerwehrleute nicht nur Leis- ligen Feuerwehren im ganzen Land geleistet. Ich glaube, tungsträger, sondern auch Vorbilder: für Mut, für Ver- dass ich mir an der Stelle anmaßen kann, für das gesamte antwortung, für Leistungs- und Opferbereitschaft, für Haus zu sprechen, wenn ich einfach einmal ein herzli- Hilfsbereitschaft, für Kameradschaft. All diese tollen ches Vergelt’s Gott – vielen Dank – für diese Leistung, Menschen tragen nicht nur das Abzeichen ihrer Wehr am für diese Arbeit an 24 Stunden am Tag, 7 Tagen die Wo- Arm, sie tragen vor allem auch das Herz am richtigen che und 365 Tagen im Jahr sage. Fleck, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD) AfD) Ein letztes Wort zu Ihnen, liebe Kollegen von der FDP. Und zwar – das will ich an dieser Stelle hinzufügen – ist Diese Menschen sind vor allem Macher. Mit Geschwur- es ein Dankeschön an die Helferinnen und Helfer, an die bel können die nur relativ wenig anfangen. Feuerwehrleute, aber auch an die Familien, die die Be- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Mit Nichts- lastungen, die mit solchen Ehrenämtern verbunden sind, tun auch nicht! – Benjamin Strasser [FDP]: mittragen. Wo ist denn der Minister, dem die Heimat so wichtig ist? Der ist schon daheim in Bayern! Deshalb haben wir als Bundesgesetzgeber, der wir für Das müssen Sie den Leuten vor Ort auch mal die Tätigkeit der Feuerwehren im Rahmen des Zivilschut- sagen!) zes verantwortlich sind, unsere Unterstützung in dieser Legislaturperiode gerne noch einmal erheblich ausge- Deshalb muss ich Ihnen sagen: Mit so einem lieblosen baut. So haben wir etwa im Bereich des erweiterten Kata- Antrag, wie Sie ihn vorgelegt haben, können wir das strophenschutzes durch ein Sofortprogramm 100 Millio- Problem hier nicht lösen. Sie ergehen sich in Allgemein- nen Euro on top für die Beschaffung von Fahrzeugen bei plätzen wie die „Zukunft der Feuerwehren modern und der freiwilligen Feuerwehr bereitgestellt. Herr Kollege attraktiv gestalten“, die Ausstattung verbessern. Strasser, Sie kennen die Auslieferungshistorie. Sie haben verschwiegen, dass es Zertifizierungsprobleme gegeben (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ist das falsch?) (B) hat, für die wir als Gesetzgeber nun mal nichts können. (D) Dass das Problem der Fahrzeuge mittlerweile gelöst, Das wird dann noch allgemeiner: Vorkehrungen treffen, dass sie ausgeliefert werden, haben Sie leider verschwie- Strategien entwickeln. – Ihr Antrag enthält keinen einzi- gen. Wir verbessern mit diesen Mitteln ganz konkret die gen konkreten Vorschlag. Sie könnten einen machen, und Ausstattungssituation der Feuerwehren vor Ort. Ich füge darüber könnten wir diskutieren. Sie könnten auch mal hinzu: Das ist auch ein wichtiger Beitrag für die Motiva- dafür sorgen, dass Ihre Reihen ordentlich besetzt sind, tion der Helferinnen und Helfer und für die Nachwuchs- wenn Sie einen eigenen Antrag einbringen. gewinnung. (Benjamin Strasser [FDP]: Der Antrag ist Ich denke, es gibt wenige Bereiche, in denen sich schon im Verfahren! Den wollen Sie auch ab- die Unterstützung des Bundes so sehr auszahlt wie im lehnen, weil es Ihnen nicht passt, dass wir Ihre Bevölkerungsschutz und insbesondere im Bereich der Versäumnisse enthüllen!) Feuerwehren. Aber die eigentlichen Leistungen der Feu- Von uns ist der Fraktionsvorsitzende da; es ist 17 Uhr. erwehren lassen sich nicht materiell ausdrücken. Das Herausragende, liebe Kolleginnen und Kollegen, am (Beifall des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) Feuerwehrdienst ist nämlich die enorme persönliche Leistungs- und Opferbereitschaft, die die Feuerwehrleute Bei Ihnen ist gerade noch eine Handvoll Abgeordnete da. jeden Tag an den Tag legen. (Zurufe von der FDP) Diese Männer und mittlerweile auch Frauen sind in Ich glaube, dass Sie die tollen Leute bei der Feuerwehr ihrer alltäglichen Arbeit in diesem Ehrenamt mit Situa- draußen beleidigen, die es ganz konkret brauchen wür- tionen konfrontiert, die sich die allermeisten Menschen den, – nicht einmal vorstellen können. Sie müssen auf der einen Seite mit Gefahren umgehen, die eigene Gefährdung – Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: manchmal auch die Lebensgefahr – in Kauf nehmen, um Herr Kollege. auf der anderen Seite Leben retten zu können. Sie müs- sen vieles können, vieles lernen und das Gelernte immer wieder üben – alles davon in der Freizeit. Sie müssen ein Michael Kuffer (CDU/CSU): ganz hohes Maß an Verantwortung tragen. Wenn Sie ein- – dass man über die Verbesserungen diskutiert, dort, mal Kräfte, die Ihnen anvertraut worden sind, unter zum wo es nötig ist, statt sich in solchen Allgemeinplätzen zu Teil extremsten Bedingungen in einen Gefahren- oder ergehen. Ich bitte Sie wirklich: Werden Sie da konkreter, Schadensraum haben hineinführen, wieder herausführen und werden Sie etwas konstruktiver als bei diesem An- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13495

Michael Kuffer (A) trag und auch bei den letzten Anträgen im Bereich Bevöl- Und räumliche Ungleichheit hat Folgen: Wo nichts los (C) kerungsschutz. So können wir das nicht greifen. ist, ziehen die Menschen weg. Damit werden die Schwä- chen einer Region noch weiter verstärkt. Ein Teufels- Danke schön. kreis. Die Raumordnungsberichte in Deutschland stellen (Beifall bei der CDU/CSU) seit Jahren sehr differenziert diese sehr ungleichen Le- benschancen dar. Herr Wanderwitz weiß, dass man dazu Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: keinen extra Atlas braucht. Bernhard Daldrup, SPD, ist der nächste Redner. Ich verweise auf den entsprechenden Antrag der Ko- alitionsfraktionen. Wir, also die SPD, setzen uns nach- (Beifall bei der SPD) drücklich für eine gute Zukunft der ländlichen Regionen ein, ohne uns an dem Spiel „Stadt gegen Land“ zu betei- Bernhard Daldrup (SPD): ligen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute vorliegenden Anträge zum gesellschaftlichen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zusammenhalt, zu gleichwertigen Lebensverhältnissen Aber das trifft ja in Wirklichkeit nicht den Kern. Was folgen – im Kern jedenfalls – alle einer Erkenntnis der bedeuten eigentlich „gleichwertige Lebensbedingun- Großen Koalition. Im Titel des Koalitionsvertrages heißt gen“? Was ist gemeint? Sicher nicht, dass alles überall es nämlich: „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. gleich sein soll; das ist eben schon gesagt worden. Es (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das demons- geht um die räumliche Seite des Sozialstaatsgebotes, will triert die SPD jeden Tag!) heißen: Es geht um Chancengleichheit, es geht um Teil- nahme und Teilhabe an der Gesellschaft, ja, es geht sogar Deshalb gibt es die Kommission „Gleichwertige Le- um gleiche Freiheit. Dazu kann im Einzelfall sogar ein bensverhältnisse“. Das ist für uns insgesamt ein verfas- Demokratiefördergesetz beitragen, wo dies offenkundig sungsrechtlicher Auftrag. Und ich glaube, das ist auch nötig ist. gut so. In dieser Kommission sind alle Ressorts der Bun- Die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingun- desregierung – das ist eben schon gesagt worden –, aber gen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und auch alle Länder sowie die kommunalen Spitzenverbän- Kollegen, ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, auch der de vertreten. Die Kommission wird zu ganz vielen Hand- Länder. Daran müssen beispielsweise auch diejenigen lungsfeldern praktische Vorschläge machen, übrigens denken, die wie die Grünen in elf Ländern an der Re- auch im Bereich der Engagementförderung, um hier den gierung beteiligt sind und sich über das ÖPNV-Angebot Antrag der FDP zu erwähnen, also auch bezogen auf die beschweren. Auch die haben eine eigene Verantwortung. (B) Feuerwehren. (D) Ich kann nicht auf alle Aspekte eingehen. Lassen Sie Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich dem Dank mich deshalb vier zentrale Aufgaben benennen, wenn wir von Herrn Kuffer an die Feuerwehrleute anschließen. ernsthaft über gleichwertige Lebensbedingungen reden. Wir haben in der Vergangenheit gerade im Bereich des THW und für die Feuerwehren sehr viel getan und im- Erstens. Wir müssen uns um die Altschulden der mense Mittel zur Verfügung gestellt. Das will ich an die- Kommunen kümmern. ser Stelle doch mal erwähnen. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Bei einigen von ihnen ist es so weit, dass sie am Abgrund Grund [CDU/CSU]) stehen und bei der nächsten Zinswende in eine dramati- Das ist übrigens nicht nur in technische Ausrüstung, son- sche Situation kommen. dern beispielsweise auch in Nachwuchsförderung geflos- Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass das Konne- sen, was dazugehört. Dazu könnte man jetzt noch viel xitätsprinzip auch auf der Bundesebene gilt. Das heißt – mehr sagen. mit anderen Worten –, dass die Sozialausgaben der Kom- Weil wir wissen, dass wir trotz einer guten wirtschaft- munen begrenzt werden müssen, sonst wird das nicht lichen Situation, trotz guter wirtschaftlicher Indikatoren, funktionieren. trotz guter sozialer Indikatoren nicht überall in Deutsch- Drittens. Wir brauchen Wachstumsimpulse; denn nur land gleichwertige Lebensverhältnisse haben, haben wir wenn es Wachstum gibt, entstehen in diesen Regionen uns in der Großen Koalition dieser Aufgabe gestellt. Arbeitsplätze. Hier hat die Strukturwandelkommission Räumliche Ungleichheit kann sehr unterschiedlich gute Arbeit geleistet. erfahren werden, beispielsweise im fehlenden Arbeits- Viertens. Es muss endlich mal Schluss mit dem Ver- platzangebot, im fehlenden Glasfasernetz, in der Ge- schiebebahnhof sein. Wenn die Steuereinnahmen der sundheitsversorgung, bei den Wohnungskosten, beim Länder wachsen, ist der Ruf der Kommunen allein nach unzureichenden Kitaangebot oder den dazugehörigen dem Bund nicht hinreichend. Wenn die Länder im Rah- Gebühren. Räumliche Ungleichheit gibt es in vielen Tei- men der Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbezie- len Deutschlands, nicht etwa nur im ländlichen Raum, hungen um 9,5 Milliarden Euro bessergestellt werden, sondern beispielsweise auch im ehemals strukturstarken dann müssen die Kommunen daran beteiligt werden. Ruhrgebiet. Sie ist auch kein allgemeines Ost-West-The- ma. Weit über 2 000 Kommunen in Deutschland befin- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sepp den sich mittlerweile in der Haushaltssicherung. Müller [CDU/CSU]) 13496 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

Bernhard Daldrup (A) Dann muss auch die Grundfinanzierung der Städte und gleichgewichte schafft – wie soll ich einen Kameraden, (C) Gemeinden durch die Länder, die dafür zuständig sind, der 300 Einsätze im Jahr fährt, gleichstellen mit einem verbessert werden. Kameraden, der zwei Einsätze fährt? –, ist ein konkre- ter Entschädigungsbetrag, glaube ich, der richtige Weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Aber wir müssen noch mehr tun. Als Bund können wir CDU/CSU) über das Technische Hilfswerk entsprechende Großscha- Das alles sind Aufgaben zur Schaffung gleichwertiger denslagen besser bekämpfen. Lebensbedingungen, und an denen müssen wir uns ge- Und wir alle können ganz konkret zwei Sachen tun: meinsam beteiligen. Ich freue mich auch auf die Aus- einandersetzung und wünsche Ihnen einen schönen Zum einen lassen Sie uns das Modellprojekt des Tech- Sommer. nischen Hilfswerks unterstützen, Feuerlöschflugzeuge in Danke. Deutschland zu stationieren. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Manfred (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Grund [CDU/CSU] und Dr. Petra Sitte [DIE ordneten der SPD und der AfD) LINKE]) An 50 Seen und Flüssen in Deutschland ist das mög- lich. Präsident Broemme hat dazu erste Vorerkundungen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: durchgeführt. Wir wollen bald mit einem ersten Mo- Danke schön. – Voraussichtlich letzter Redner nicht dellprojekt ans Werk gehen. Dazu brauchen wir weitere nur in dieser Debatte, sondern heute ist der Kollege Brandschutzeinheiten. Es braucht feststehende Einhei- Marian Wendt, CDU/CSU. ten, die wie in den USA bei Großschadenslagen die Feu- erwehren vor Ort entsprechend unterstützten. Dabei geht (Beifall bei der CDU/CSU) es nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Mitei- nander der blauen, weißen und roten Einsatzkräfte. (CDU/CSU): Marian Wendt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Schäuble! SPD, der AfD und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen! BerlinBrennt! Was sich martialisch anhört, ist eine Kampagne der Feuer- Das sind ganz konkrete Dinge und Probleme, an deren wehren, die uns alle aufrütteln soll. Die Belastungen der Lösung wir Hand in Hand mit der kommunalen Ebene haupt- und ehrenamtlichen Wehren durch fehlendes Per- und der Länder- und Bundesebene arbeiten. Wir können sonal und unzureichende Ausstattung sind aktuell enorm. die freiwilligen Feuerwehren in den Kommunen dadurch (B) Unweit von Berlin, im südlichen Brandenburg, kämpfen entlasten und ihre Einsatzbereitschaft wiederherstellen, (D) gerade ehrenamtliche freiwillige Feuerwehren aus Sach- damit sie sich ihren originären Aufgaben der Gefahren- sen und Brandenburg gemeinsam mit dem THW gegen abwehr stellen können. Waldbrände. In Brandenburgs roter Zone kämpfen sie Meine Damen und Herren, der zweite Punkt. Sie müs- alle gemeinsam gegen einen Feind, der uns sicherlich in sen heute nicht beantworten, ob Sie das unterstützen; aber den nächsten Tagen und Wochen leider noch öfter begeg- es ist ein Angebot. Wir reden ja immer davon, es sei zu nen wird. unkonkret, was hier geschieht, zu viel Blabla und nur für Die Herausforderungen für unsere freiwilligen Feuer- den Papierkorb. Sie können ganz konkret helfen. Deshalb wehren sind enorm; denn wer im Wald über längere Tage lautet mein Angebot als Präsident der THW-Bundesver- das Feuer bekämpft, kann vor Ort nicht zum Verkehrs- einigung an Sie: Werden Sie selber aktiv. Im nächsten unfall oder zum Wohnungsbrand gerufen werden. Dies Frühjahr können Sie sich zum Helfer des THWs ausbil- führt zum Problem der Einsatzbereitschaft. Hier müssen den lassen: Eine Woche Grundausbildung in Dresden – wir uns über diese neue Herausforderung, die auch mit das Angebot wird Sie bald erreichen –, und nach dem den veränderten klimatischen Bedingungen zu tun hat, Abschluss können Sie dann in Ihrem THW-Ortsverband Gedanken machen. Die Belastung der freiwilligen Feu- mithelfen, mit in Einsätze fahren und dadurch die Ein- erwehren ist bereits heute sehr stark angestiegen. Dies satzbereitschaft erhöhen und die Sicherheit in unserem hängt zum einen mit den neuen technischen Herausfor- Land stärken. derungen, den immer weiter gestiegenen erforderlichen Sachkenntnissen seitens der Feuerwehr und den verän- Mit diesem Angebot, das ich Ihnen mit in die Som- derten Rahmenbedingungen zusammen. merpause gebe, bedanke ich mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen Kameradinnen und Ein kleines Beispiel aus meinem Wahlkreis in Kameraden einen guten und sicheren Sommer. Kommen Nordsachsen. Oschatz hat 14 000 Einwohner. Letztes Sie alle gesund zurück. Gut Wehr! Jahr gab es 338 Einsätze: quasi an jedem Tag ein Einsatz für eine freiwillige Feuerwehr. Die Gemeinde tut alles, Vielen Dank. um immer wieder genug Ehrenamtliche auf die Fahrzeu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ge zu bekommen. Aktuell wurde die Pauschale für jeden ordneten der SPD und der AfD) Feuerwehrmann, der zum Einsatz kommt, auf 12 Euro pro Einsatz und Kamerad festgelegt. Dies ist ein richti- ger Weg, den ich auch unterstütze; denn anders als eine Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Feuerwehrrente oder Ähnliches, die immer wieder Un- Damit schließe ich die Aussprache. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2019 13497

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Tagesordnungspunkt 34 a und Zusatzpunkt 21. In- Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der (C) terfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Feder- Drucksachen 19/10288 und 19/11108 an die in der Ta- führung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwick- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie lung und Kommunen. Wer stimmt dafür? – Grüne und sind damit einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. AfD. Wer stimmt dagegen? – Die anderen Fraktionen. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 34 b. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 19/10639 an die in Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- gen, aber die Federführung ist strittig. Die Fraktionen der führung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Aus- stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dieser Über- schuss für Inneres und Heimat, die Fraktion Bündnis 90/ weisungsvorschlag ist wiederum mit den umgekehrten Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Stimmverhältnissen angenommen. Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34 d. Abstim- vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses Federführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadt- für Inneres und Heimat zu dem Antrag der Fraktion Die entwicklung und Kommunen. Wer stimmt für diesen Linke mit dem Titel „Gleichwertige Lebensverhältnisse Überweisungsvorschlag? – Grüne, FDP, AfD. Wer und Chancengleichheit für Ländliche Räume herstellen“. stimmt dagegen? – CDU/CSU, SPD, Linke. Wer enthält Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung sich? – Logischerweise niemand. Dann ist der Überwei- auf Drucksache 19/7768, den Antrag der Fraktion Die sungsvorschlag abgelehnt. Linke auf Drucksache 19/3164 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- gen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussem- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, das heißt pfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD, Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. FDP gegen die Stimmen der Linken und Bündnis 90/Die Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Nicht über- Grünen angenommen. raschend ist dieser Überweisungsvorschlag mit genau den umgekehrten Mehrheiten angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34 c. Inter- fraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksa- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- che 19/10640 an die in der Tagesordnung aufgeführten (B) tages auf Dienstag, den 10. September 2019, 10 Uhr, ein (D) Ausschüsse vorgeschlagen. Auch hier ist die Federfüh- und wünsche Ihnen und uns allen eine gute, friedliche rung strittig. CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- Sommerzeit. Alles Gute! rung beim Ausschuss für Inneres und Heimat, die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung Die Sitzung ist geschlossen. beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. (Schluss: 17.18 Uhr) 13498 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) (C)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 13499

(A) (C)

Anlagen zum Stenografischen Bericht

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bause, Margarete BÜNDNIS 90/ Schneider, Jörg AfD DIE GRÜNEN Schulz, Jimmy FDP Beer, Nicola FDP Schuster (Weil am Rhein), Armin CDU/CSU Burkert, Martin SPD Solms, Dr. Hermann Otto FDP Dağdelen, Sevim DIE LINKE Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Weber, Gabi SPD Gehrke, Dr. Axel AfD Weeser, Sandra FDP Grötsch, Uli SPD Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU Hartmann, Sebastian SPD (B) Wiese, Dirk SPD (D) Heil, Mechthild CDU/CSU Wiesmann, Bettina Margarethe CDU/CSU Held, Marcus SPD Wildberg, Dr. Heiko AfD Helling-Plahr, Katrin FDP *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Heßenkemper, Dr. Heiko AfD

Höchst, Nicole AfD Anlage 2 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO DIE GRÜNEN der Abgeordneten Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung Klinge, Dr. Marcel FDP über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Knoerig, Axel CDU/CSU Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der inter- nationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo (KFOR) Kober, Pascal FDP (Tagesordnungspunkt 25) Kulitz, Alexander FDP Heute stimme ich gegen die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Merkel, Dr. Angela CDU/CSU Kosovo. Das KFOR-Mandat umfasst die Überwachung der Entwicklung von professionellen und multi-ethni- schen Sicherheitsstrukturen. Aufklärung und Beratung Nahles, Andrea SPD stellen den deutschen Schwerpunkt der KFOR Koso- vo-Force-Arbeit dar. Begrüßenswert in der Entwicklung Petry, Dr. Frauke* fraktionslos ist einzig, dass sich der Umfang der deutschen Beteili- gung am KFOR-Einsatz deutlich verringert hat. Ryglewski, Sarah SPD Demgegenüber stehen aber Entwicklungen und Um- strukturierungen innerhalb der kosovarischen Sicher- 13500 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) heitsbehörden und/oder Streitkräfte, die im wahrsten Ich befürworte die Intention der Fraktion Bündnis 90/ (C) Sinne des Wortes Sprengstoff für die Region bedeuten Die Grünen eines schnellen Ausstiegs aus der Kohlever- können. stromung in Deutschland und einer Umsetzung des Er- gebnisses der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Die Streitkräfte des Kosovo waren bisher keine offi- Beschäftigung“. Die Kommission „Wachstum, Struk- zielle Armee. Die Kosovo Security Force, KSF, umfasst turwandel und Beschäftigung“ hat für einen Ausstieg bisher 2 500 Mann, die waren nur leicht bewaffnet und aus der Kohleverstromung in Deutschland eine Lösung nur für Katastrophenfälle vorgesehen. Das Parlament in erarbeitet, die bei dem Großteil der Beteiligten Zustim- Pristina hat allerdings im Dezember beschlossen, dass mung gefunden hat. Dieses Ergebnis stellt einen guten die KSF in eine quasi reguläre Armee umgewandelt wer- Kompromiss zwischen dem Klimaschutz, den Interessen den soll. Zwar wurde aktiv auf das Wort „Armee“ ver- der Beschäftigten, den Unternehmen und den betroffenen zichtet und nur von „professional, armed and authorized Regionen dar. Die Bundesregierung erarbeitet gerade die military forces“ gesprochen – aber es wurde ein deutli- notwendigen gesetzlichen Regelungen, die noch in 2019 ches Mandat für Landesverteidigung und militärische verabschiedet werden sollen. Einsätze ausgesprochen. Damit einhergehend sind Ränge eingeführt, wie sie nur von regulären Armeen bekannt Die Grünen argumentieren in ihrem Gesetzentwurf, sind, Uniformen vorgesehen und militärische Weisungs- dass die Bundesregierung noch keine Maßnahmen zur strukturen implementiert. Umsetzung des Kommissionsberichts ergriffen habe. Das Gegenteil ist der Fall. Das Bundeswirtschaftsminis- Diese Armee – denn von nichts anderem kann man terium konsultiert die Kraftwerksbetreiber und bereitet hier sprechen – wird massiv die Spannungen zwischen alle notwendigen Regelungen vor, sodass ich von einer Serbien und Kosovo verschärfen. Unmittelbar nach dem Eins-zu-eins-Umsetzung des Kommissionsberichts aus- Parlamentsbeschluss in Pristina kam es zu scharfer Ab- gehe. lehnung von serbischer Seite und heftigen Protesten. Würde dieses Gesetz heute beschlossen, würde der Dass die Bundeswehr nun auch an der Ausbildung und laufende Prozess zur Umsetzung des Kommissionsbe- Beratung dieser umgestellten Kosovo Security Force, richts konterkariert werden. Deshalb lehne ich diesen KSF, wie es in der Beschlussempfehlung von CDU/CSU Gesetzentwurf ab. und SPD vorgesehen ist, beteiligt sein soll, macht die Bundesrepublik Deutschland eindeutig zu einem nicht Anlage 4 neutralen Konfliktpartner und wird nur weitere Spannun- Erklärung nach § 31 GO gen in die Region tragen. Demokratischer Aufbau, Ver- (B) mittlung zwischen den Konfliktparteien und militärische der Abgeordneten Linda Teuteberg (FDP) zu (D) Demobilisierung wären das Gebot der Stunde – doch dies der namentlichen Abstimmung über den Antrag wird durch die neuesten Entwicklungen und die Unter- der Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Ralph stützung der Bundeswehr ausgehebelt. ­Lenkert, Hubertus Zdebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Klimanotstand an- Auch die Art und Weise, wie diese Armee eingeführt erkennen – Klimaschutz-Sofortmaßnahmen verab- wurde, ist an sich schon ein Skandal. Durch die Vermei- schieden, Strukturwandel sozial gerecht umsetzen dung des Begriffs „Armee“ war eine völkerrechtliche (Tagesordnungspunkt 29 f) Zustimmung umgangen worden, eine vorgesehene not- wendige Zustimmung von serbischer Seite wurde somit Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum umgangen. Auch dieses rechtswidrige Vorgehen würde lautet Nein. im Nachhinein durch das KFOR-Mandat zementiert und Anlage 5 führt eben nicht dazu, dass die Bundesrepublik Deutsch- land und die Bundeswehr vor Ort als neutraler Akteur Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung wahrgenommen werden, die an einer echten und fairen Problemlösung mitarbeiten. Der Bundesrat hat in seiner 978. Sitzung am 7. Juni 2019 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- Aus all den genannten Gründen werde ich der Man- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 datsverlängerung nicht zustimmen des Grundgesetzes nicht zu stellen: Anlage 3 – Gesetz zur weiteren Ausführung der EU-Prospekt- verordnung und zur Änderung von Finanzmarkt- Erklärung nach § 31 GO gesetzen des Abgeordneten Johann Saathoff (SPD) zu der – Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und namentlichen Abstimmung über den von den Ab- anderer Gesetze geordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung Lisa Badum, weiteren Abgeordneten und der Frak- gefasst: tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Beendigung des Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Kon- Betriebs von Kohlekraftwerken zur Stromerzeu- sistenz der Formulierung des ergänzten § 107a Absatz 1 gung (Kohlekraftwerk-Sofortmaßnahme-Gesetz) Satz 2 StGB-neu mit dem Ziel einer späteren Änderung (Tagesordnungspunkt 29 c) des Gesetzes zu folgenden Punkten zu prüfen: Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 13501

(A) a) Nach Artikel 6 des Gesetzes wird § 107a Absatz 1 engangwechsel und Studienabbrüche vermieden wer- (C) StGB um folgenden Satz 2 ergänzt: „Unbefugt wählt den. Das BAföG sollte damit Entwicklungen in der auch, wer im Rahmen zulässiger Assistenz entgegen Hochschullandschaft nachzeichnen und für alle Mo- der Wahlentscheidung des Wahlberechtigten oder delle der Studienorientierung, die hochschulrechtlich ohne eine geäußerte Wahlentscheidung des Wahlbe- zulässig sind, geöffnet werden. rechtigten eine Stimme abgibt.“ Durch diese Formu- e) Der Bundesrat befürwortet eine kontinuierliche, an lierung ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie jemand der Entwicklung der Einkommen und Preise ausge- gegen (oder ohne) die Wahlentscheidung des Wahlbe- richtete, automatisierte Anpassung von Freibeträgen, rechtigten eine Stimme abgeben und dabei gleichzeitig Bedarfssätzen und Sozialpauschalen. innerhalb des in § 14 Absatz 5 BWahlG-neu und in § 6 Absatz 4a EuWG-neu definierten Rahmens „zulässi- – Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormün- ger Assistenz“ handeln kann. dervergütung b) Durch die Einführung des Tatbestandsmerkmals der – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) „Assistenz“ in die Strafnorm des § 107a Absatz 1 2017/1371 des Europäischen Parlaments und des Satz 2 StGB-neu anstatt der Verwendung des Tatbe- Rates vom 5. Juli 2017 über die strafrechtliche Be- standsmerkmals der „Hilfeleistung“ aus § 14 Absatz 5 kämpfung von gegen die finanziellen Interessen der BWahlG-neu und § 6 Absatz 4a EuWG-neu stellt sich Union gerichtetem Betrug die Frage, ob damit ein anderer Bedeutungsgehalt ver- bunden sein soll und worin gegebenenfalls der Unter- – Gesetz zur Stärkung der Rechte von Betroffenen schied besteht. bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentzie- hungen – Sechsundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des – Gesetz zur Änderung des Fahrlehrergesetzes Bundesausbildungsförderungsgesetzes (26. BAföG­ ÄndG) – Gesetz zur Erteilung der Zustimmung nach § 8 des Integrationsverantwortungsgesetzes zum Vor- Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung schlag der Europäischen Kommission für eine gefasst: Verordnung des Rates über Maßnahmen betref- a) Der Bundesrat begrüßt die Zielsetzung des 26. BAföG­ fend die Ausführung und die Finanzierung des ÄndG auch künftig Chancengerechtigkeit in der Gesamthaushaltsplans der Union im Jahr 2019 im Bildung zu sichern und Verschuldensängste junger Zusammenhang mit dem Austritt des Vereinigten Menschen abzubauen. Das Gesetz ist geeignet, dem Königreiches aus der Union (Brexit EU-Haushalt (B) Rückgang der Gefördertenzahlen in den vergangenen Durchführungs- und Finanzierungsgesetz – Bre- (D) Jahren entgegenzuwirken. Insbesondere wird begrüßt, xitHHG) dass der Deutsche Bundestag der Empfehlung des – Gesetz zu dem Zusatzprotokoll vom 22. Oktober Bundesrates gefolgt ist, die Pflege naher Angehöriger 2015 zum Übereinkommen des Europarats vom und die Pflege und Erziehung von Kindern bis zu vier- 16. Mai 2005 zur Verhütung des Terrorismus zehn Jahren als Grund für eine Verlängerung der För- derungshöchstdauer zu berücksichtigen. – Gesetz zu den Verträgen vom 5. Oktober 2004, 12. August 2008, 11. Oktober 2012 und 6. Oktober b) Der Bundesrat hält es für notwendig, den Kreis der 2016 des Weltpostvereins Anspruchsberechtigten dauerhaft und sinnvoll zu er- weitern. Alle Menschen müssen die Chance haben, Die Fraktion der FDP hat mitgeteilt, dass sie den sich bestmöglich zu qualifizieren. Dem großen und Gesetzentwurf zur Sicherung der Gewaltenteilung bei vielfältigen Angebot an Ausbildungs- und Weiter- internationalen Entscheidungsprozessen auf Drucksa- bildungsmöglichkeiten sollten entsprechende Förde- che 19/6399 zurückzieht. rungsinstrumente zur Ausbildungsfinanzierung gegen- Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie überstehen. gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von c) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, das einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen BAföG bei einer zukünftigen Novellierung weiterzu- absehen: entwickeln und dabei verschiedene Lebensentwürfe Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- und Lebenssituationen junger Menschen zu berück- schäftsordnung sichtigen. Hierzu gehört unter anderem die Öffnung des BAföG für Teilzeitstudiengänge und schulische – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Teilzeitausbildungen, um die Vereinbarkeit von Aus- Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß bildung und Familie zu verbessern. Auch eine Anhe- § 56a der Geschäftsordnung bung der Altersgrenzen würde individuellen Bildungs- Technikfolgenabschätzung (TA) biographien noch stärker Rechnung tragen. Online-Bürgerbeteiligung an der Parlamentsarbeit d) Der Bundesrat spricht sich dafür aus, das BAföG künf- tig für alle hochschulrechtlich zugelassenen Modelle Drucksache 18/13689 eines Orientierungsstudiums zu öffnen. Diese können Haushaltsausschuss den Studierenden dabei helfen, den für sie passenden Studiengang zu finden und dazu beitragen, dass Studi- – Unterrichtung durch die Bundesregierung 13502 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019

(A) Haushaltsführung 2017 Ausschuss für Wirtschaft und Energie (C) Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Ver- Drucksache 19/10072 Nr. A.10 Ratsdokument 8182/19 pflichtungsermächtigungen im ersten Vierteljahr Drucksache 19/10072 Nr. A.12 des Haushaltsjahres 2017 Ratsdokument 8461/19 Drucksache 19/10072 Nr. A.13 Drucksachen 18/12920, 19/1409 Nr. 4 Ratsdokument 8462/19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/10784 Nr. A.10 Ratsdokument 9281/19 Haushaltsführung 2017

Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Ver- Ausschuss für Arbeit und Soziales pflichtungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr Drucksache 19/10072 Nr. A.14 des Haushaltsjahres 2017 Ratsdokument 8025/19 Drucksachen 18/13664, 19/1409 Nr. 15 Drucksache 19/10072 Nr. A.15 Ratsdokument 8294/19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/10329 Nr. A.5 Ratsdokument 8678/19 Haushaltsführung 2017

Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Ver- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare pflichtungsermächtigungen im dritten Vierteljahr Sicherheit des Haushaltsjahres 2017 Drucksache 19/10072 Nr. A.20 Drucksachen 19/381, 19/491 Nr. 1.18 Ratsdokument 7809/19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Haushaltsführung 2017 Entwicklung Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Ver- Drucksache 19/6225 Nr. A.4 Ratsdokument 13838/18 pflichtungsermächtigungen im vierten Vierteljahr Drucksache 19/6225 Nr. A.5 des Haushaltsjahres 2017 Ratsdokument 13846/18 Drucksache 19/6225 Nr. A.6 Drucksachen 19/1735, 19/1917 Nr. 1 Ratsdokument 13849/18 (B) Ausschuss für Kultur und Medien (D) – Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für die Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali- Union gen Deutschen Demokratischen Republik Drucksache 19/910 Nr. A.123 Ratsdokument 12307/17 14. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Drucksache 19/910 Nr. A.131 die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ratsdokument 15263/17 ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Drucksache 19/910 Nr. A.132 für die Jahre 2017 und 2018 Ratsdokument 15264/17 Drucksache 19/1252 Nr. A.11 Drucksachen 19/8200, 19/9079 Nr. 1 Ratsdokument 11006/17 Drucksache 19/1780 Nr. C.2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ratsdokument 5623/17 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Drucksache 19/1780 Nr. C.3 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Ratsdokument 5705/17 Beratung abgesehen hat. Drucksache 19/4344 Nr. A.46 Ratsdokument 11043/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.39 Ratsdokument 14443/18 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/7158 Nr. A.40 Drucksache 19/1252 Nr. C.12 Ratsdokument 14444/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.41 Ratsdokument 6687/17 Ratsdokument 14445/18 Drucksache 19/1252 Nr. C.19 Drucksache 19/7158 Nr. A.42 Ratsdokument 12566/13 Ratsdokument 15092/18 Drucksache 19/1252 Nr. C.22 Drucksache 19/7158 Nr. A.43 Ratsdokument 15782/16 Ratsdokument 15304/18 Drucksache 19/1252 Nr. C.23 Drucksache 19/7505 Nr. A.34 Ratsdokument 15816/16 Ratsdokument 15844/18 Drucksache 19/6537 Nr. A.2 Drucksache 19/9106 Nr. A.12 ERH 30/2018 Ratsdokument 6701/19 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 108 Sitzung Berlin, Freitag, den 28 Juni 2019 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333