Friedo Lampe: auf „vulkanischem Grund“. Erzählen im Stil des Magischen Realismus während des Dritten Reichs

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br.

vorgelegt von

Annette Hoffmann aus Freiburg Erstgutachter: Prof. Dr. Günter Schnitzler Zweitgutachter: Prof. Dr. Carl Pietzcker

Vorsitzender des Promotionsausschusses des Gemeinsamen Ausschusses der Philosophischen Fakultäten I-IV: Prof. Dr. Ulrich Rebstock

Datum der Disputation: 7. Januar 2002 Inhalt

Einleitung 1. Der Magische Realismus im ästhetischen und 13 historischen Kontext der zwanziger Jahre 1.1. Nachexpressionismus 13 1.1.1. Friedo Lampe, Krise. Briefe zweier Dichter 13 1.1.2. Ein neuer Naturalismus?? 16 1.1.3. Die Magie der Wirklichkeit 20 1.2. Begriffsbestimmung des Magischen Realismus 23 und seine inhaltliche Bestimmung 1.3. Rezeption 31

2. Friedo Lampe: ein exemplarischer Lebenslauf 36 im Dritten Reich 2.1. 1899-1930: Jugend und Studium 36 2.2. 1930-1945: Ausbildung und Berufsleben 40 2.2.1. Friedo Lampe als Volksbibliothekar in Stettin 40 2.2.2. Die Machtergreifung und die Gleichschaltung 41 der Volksbüchereien 2.2.3. Das Verbot von Am Rande der Nacht 50 2.2.4. Friedo Lampe beim Rowohltverlag 57 2.2.5. Die Situation von Autoren und Verlagen im 59 Nationalsozialismus 2.3. Ambivalente Lebenswirklichkeit im Dritten Reich: 65 Idylle auf „vulkanischem Grund“

3. Überlegungen zur Gattung der Idylle 73 3.1. Die Idylle als biographisches Muster 73 3.2. Die Idylle zwischen Ideal und Wirklichkeit 74 3.3. Transformation der Idylle 84

4. Konfigurationen und Deformationen des 88 Idyllischen im Werk Friedo Lampes 4.1. Am Rande der Nacht: eine nächtliche Idylle 88 4.1.1. Innere und äußere Natur 89 4.1.2. Die Idylle als Ort des gesellschaftlichen Rückzugs 95 4.1.3. Die Idylle als Spiegel von Kulturkritik 103 4.1.4. Am Rande der Nacht und der Orpheusmythos 114 4.1.4.1. Idyllischer Todesraum 114 4.1.4.2. , Am Rande der Nacht 120 4.1.4.3. , Manche freilich 124 4.1.4.4. Vereinigung mit der Nacht 126

4.2. Die bedrohte Idylle: Septembergewitter 138 4.2.1. Die Ambivalenz des Idyllischen 139 4.2.1.1. Die idyllische Zeit als Stagnation 140 4.2.1.2. Der idyllische Raum als Todesbereich 144 4.2.2. Das Gewitter als polyvalentes Motiv 148 4.2.2.1. Die Deutung des Gewitters in der Tradition 148 der Idylle 4.2.2.2. Das Gewitter als dionysischer Rausch 152 4.2.2.2.1. Der Krieg als dionysisches Prinzip 153 4.2.2.2.2. Dionysische Kunst 160 4.2.2.2.3. Ekphrastische Beschreibungen als Verbildlichungen 163 des Dionysischen 4.2.3. Die Bedeutung der Visualität für Septembergewitter 165 4.2.3.1. Die Erfindung des Freiluftballons und seine Be- 166 deutung für den Panoramaroman 4.2.3.2. Filmisches Erzählprinzip bei Friedo Lampe 173 4.2.3.3. Das filmische Erzählen im Kontext des 179 Gesamtkunstwerk

4.3. Arabeske Idylle: Von Tür zu Tür 186 4.3.1. „Capriccios, Arabesken, Erzählungen, kleine wunder- 187 liche Gebilde“ 4.3.1.1. Subjektive Wahrnehmung und Täuschung 194 4.3.1.2. Musikalisches Formprinzip 197 4.3.1.3. Bildbeschreibungen 199 4.3.2. Synthese des Heterogenen 208

4.4. Magisches Erzählen und kalligraphisches Schreiben 215

Schlußwort 225

Bibliographie Friedo Lampe 229 Literaturverzeichnis 233 Einleitung In Peter Härtlings Vergessene Bücher1 aufgenommen worden zu sein, bedeutete für viele Autoren, daß sich damit ihr literarisches Schicksal nun endgültig besiegeln würde. Der Beitrag über Friedo Lampe findet sich dort zwischen den Essays über Peter Gan und Werner Krauss. Man sollte sich jedoch davon nicht täuschen lassen, denn die Tat- sache, daß Lampe sowohl von einer interessierten Leserschaft als auch von der germa- nistischen Forschung lange übersehen wurde, ist eng mit der verspäteten Rezeption der Literatur verbunden, die während des Dritten Reichs entstanden war. Peter Härtling schätzt die Prosa des 1899 geborenen Bremers, die ausgerechnet aus den Jahren der Diktatur hervorgegangen war, aufgrund ihrer Frische höher ein als die Wolf- gang Borcherts. In Lampes beiden Romanen und den Erzählungen, aus denen das schmale Œuvre besteht, erkennt Härtling die Atmosphäre der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wieder, in denen sich die spätere politische Entwicklung bereits ankündigt. Mir kommen die Erzählungen vor wie Nachrichten von Verschollenen […]. Dieses Kleinbürgertum, dessen Boshaftigkeit, ja Bösartigkeit nicht unter- schlagen wird, gibt es nicht mehr. Seine verschrobene Würde, seine beengte Tüchtigkeit und sein betulicher, echohafter Comment sind entschwunden. Der Hintergrund, vor dem es sich bewegte, war malerisch wie anachronis- tisch. Es muckte nicht auf, es fraß in sich hinein, und seine Ruhe wurde be- drohlich.2 Als Friedo Lampe sich 1939 bei dem Verleger Eugen Claassen für den Lyriker Paul Appel einsetzte, mag er bei der Charakterisierung von Appels Werk nicht zuletzt an sein eigenes gedacht haben. Das Schöne an ihm ist, daß seine Dichtung von den ganz einfachen positi- ven Dingen handelt. Liebe, Natur, Frömmigkeit, Ehe, Kinder, aber dabei ist er nicht eng oder philiströs, sondern man spürt, daß ein Mensch dahin- tersteht, der um die dunklen Dinge weiß und sehr gefährdet ist.3 Auch Lampe kannte diese Seiten des Lebens. Gleich sein erster Roman Am Rande der Nacht, mit dem er sein literarisches Debüt feiern wollte, wurde 1933 von den National- sozialisten verboten und auf die Schwarze Liste für Volksbüchereien gesetzt. Zwar konnte er seinen zweiten Roman Septembergewitter ungehindert veröffentlichen, doch blieb der Erfolg aus und sein Erzählungsband Von Tür zu Tür verbrannte 1943 kurz vor der Publikation im großen Bombenangriff auf Leipzig und erschien erst im Jahr 1946,

1 Peter Härtling, Friedo Lampe, in: Ders., Vergessene Bücher. Hinweise und Beispiele, Karlsruhe 1983, S. 170-76. 2 Ebd., S. 171. 3 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 23.10.1939, in: Eugen Classen, In Büchern denken. Briefwechsel mit Autoren und Übersetzern, ausgewählt und hrsg. von Hilde Claassen, 1970, S. 270. 1 nachdem er im Frühjahr 1945 aufgrund der politischen Lage nicht ausgeliefert worden war. Die Publikation erlebte Lampe nicht mehr. Er starb am 2. Mai 1945 in den Kriegswirren um die Eroberung , ein russischer Soldat erschoss ihn aufgrund einer Verwechslung. Friedo Lampes Werk ist durch starke Dichotomien geprägt, die sich auf Erzählhaltung und Motivwahl erstrecken. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob sich die Werkstruktur der gebrochenen Idyllen Friedo Lampes im Sinne des Magischen Realis- mus als Ausdruck eines Zeitstils begreifen lassen. Dabei werde ich mich im folgenden auf die idealtypische Definition des Magischen Realismus beziehen, wie sie Michael Scheffel in seiner Dissertation4 entwickelt und in späteren Veröffentlichungen präzisiert hat.5 Michael Scheffel hatte in seiner 1990 er- schienen Begriffsgeschichte des Magischen Realismus dessen historischen Standort in der Diskussion der zwanziger Jahre über einen neuen Realismus bestimmt und ihn an- hand dieses Quellenmaterials inhaltlich veranschaulicht. In einem knapp gehaltenen Überblick über die nichtfaschistische Literatur des Dritten Reichs bestätigt sich für Scheffel die Deutung des Magischen Realismus als Zeitstil, dessen historischer Schwer- punkt die Spanne der zwanziger bis fünfziger Jahren umfaßt. Scheffel beschreibt die Werke des Magischen Realismus als im Ansatz realistisch, von homogener, in sich ge- schlossener Erzählform, wodurch sie sich vom Surrealismus unterscheiden und im Ge- gensatz zur phantastischen Literatur als stabil, insofern daß sie nicht durch den Einbruch des Irrationalen irritiert werden.6 Das im inneren Gegensatz zum Realismus zu stehen scheinende Magische erklärt Scheffel zum einen als Vorhandensein eines Rätsels und zum anderen als die geheim- nisvolle Verbindung von Gegensätzen, die den Werken des Magischen Realismus ihre charakteristische Atmosphäre verleiht. Erzielt wird diese Unbestimmtheit des Gesche- hens durch vage räumliche und zeitliche Angaben, eine Überformung des Erzählten durch Motive des Morbiden und eine Dämonisierung alltäglicher Gegenstände, die auf

4 Michael Scheffel, Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Be- stimmung, Tübingen 1990. 5 Michael Scheffel, Von der Sachlichkeit und ihren Folgen. Geistesgeschichtliche Anmerkungen zur Ge- nese eines „magischen Realismus“ in den zwanziger und dreißiger Jahren, in: Rudolf Wacker und seine Zeitgenossen. Ausstellungskatalog, Kunsthaus Bregenz, Bregenz 1993, S. 50-55; Ders., Die poetische Ordnung einer heillosen Welt. Magischer Realismus und das „gespaltene Bewußtsein“ der dreißiger und vierziger Jahre, in: Formaler Mythos. Beiträge zu einer Theorie ästhetischer Formen, hrsg. von Matías Martínez, Paderborn 1996, S. 163-180; Ders., Magischer Realismus, in: Reallexi- kon der Deutschen Literaturwissenschaft, hrsg. von Harald Fricke, Band 2, 2000, S. 526/27. 6 Michael Scheffel (1990), S. 111. 2 der Figurenebene durch eine überdeutliche Wahrnehmung begleitet wird und der Be- hauptung eines geheimen Sinns auf Erzählerebene entspricht.7 Wenn Scheffel bereits in seiner Dissertation auf einen Zusammenhang von Stil und den Zeitumständen, in denen die Werke entstanden sind, hinweist8, so gewichtet er dies in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1996 stärker und wird dabei von Hans Dieter Schä- fer unterstützt, der die Interpretation des Magischen Realismus als möglichen Zeitstil der nichtfaschistischen Literatur des Dritten Reichs bestätigt.9 Im Hinblick auf die For- schungen Schäfers über die Literatur des Dritten Reiches, in der ein Großteil der Werke des Magischen Realismus entstanden ist, stellt Scheffel fest: Historisch gesehen, scheint mir das paradoxe Nebeneinander von Verein- zelung und postulierter Ganzheit des Heterogenen, das diese Spätform von Realismus auszeichnet, das ästhetische Dokument eines „gespaltenen Be- wußtseins“ zu sein, wie es Hans Dieter Schäfer in seiner materialreichen so- zialgeschichtlichen Studie „über die Lebenswirklichkeit in Deutschland 1933-1945“ als zeittypisch beschreibt.10 Auch in dem Sammelband von Lois Parkinson Zamora und Wendy B. Faris11 wird der Magische Realismus nicht als isoliertes ästhetisches Phänomen betrachtet, sondern in den historischen und sozialen Kontext eingebunden. Das Magische wird im erweiterten Untersuchungsrahmen der lateinamerikanischen und postkolonialen Literatur als Stil kenntlich, der verschiedene Identitäten zur Aussöhnung bringt. Diesem Ansatz, Zeitge- schichte und Ästhetik miteinander in Bezug zu setzen, möchte ich nachgehen und am Werk Friedo Lampes verifizieren, da eine genaue Studie über das Verhältnis von Magi- schem Realismus und Drittem Reich auch nach der Dissertation von Doris Kirchner12 immer noch aussteht. Zwar hatte Doris Kirchner in ihrer 1993 erschienenen Dissertation bereits die Werke von Vertretern der „jungen Generation“ unter dem Aspekt des Magi- schen Realismus untersucht, doch läßt sie die begriffliche Präzision vermissen, die Scheffels Arbeit auszeichnet, die ihr zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Doktor- arbeit nach ihren Angaben noch nicht zur Verfügung stand. Diese Forschungslücke soll

7 Ebd. 8 „Es ist wohl auch kein Zufall, daß gerade in einer Zeit der ‚grenzenlosen Unordnung‘ (Ebermayer) von der Welt des Gewohnten auf eine Weise erzählt wird, daß diese plötzlich als fremd, vom Hauch des Morbiden durchweht und trotzdem auf einen ‚hohen Sinn‘ bezogen erscheint und somit auf seltsame Weise zwischen den Polen von Ordnung und Unordnung oszilliert.“ Ebd., S. 112. 9 Hans Dieter Schäfer, Kultur als Simulation. Das Dritte Reich und die Postmoderne, in: Literatur in der Diktatur. Schreiben im Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus, hrsg. von Günther Rüther, Pa- derborn 1997, S. 227. 10 Michael Scheffel (1996), S. 171. 11 Magical Realism. Theory, History, Community, hrsg. von Lois Parkinson Zamora, Wendy B. Faris, Durham 1995. 12 Doris Kirchner, Doppelbödige Wirklichkeit. Magischer Realismus und nicht-faschistische Literatur, Tübingen 1993. 3 diese Arbeit schließen. Eigentliche Materialgrundlage sind dabei die Romane und Er- zählungen Lampes13, die ich in chronologischer Reihenfolge behandeln werde und seine Briefe.14 Von besonderem Interesse für die Fragestellung dieser Untersuchung wird die Darstel- lung des Idyllischen bei Friedo Lampe sein, das er in Form von Versatzstücken der Gattung der Idylle und motivischen oder strukturellen Anleihen aus diesem Kontext in seine Texte einfügt. Um die Beziehung zwischen Gattung und dem Werk Lampes zu klären, werde ich intertextuell vorgehen, wobei ich den Begriff nicht im Sinne Julia Kristevas15, sondern eng auslegen will, wie es Peter Stocker16, aber auch Ulrich Broich und Manfred Pfister17 vorschlagen. Wesentlich wird die Bedeutung18 der Prätexte sein, zu denen im Fall Lampes auch konkrete Zitate, Motive aus dem Bereich der bildenden Kunst und der Musik gehören.19 Wie Ulrich Broich und Manfred Pfister gehe ich davon aus, daß sich die intertextuellen Bezüge auf einen vom Autor vorgesehenen Kommuni- kationsprozeß zwischen ihm, dem Text und dem Rezipient stützen.20 Dadurch soll gezeigt werden, daß Lampe bewußt bukolische Zitate aus der Gattung der Idylle mit der modernen Lebenswirklichkeit verbindet, um deren Ambivalenz aufzuwei-

13 Lampes ersten Roman Am Rande der Nacht werde ich nach der neuen Ausgabe von Johannes Graf zitieren. Friedo Lampe, Am Rande der Nacht, Göttingen 1999, abgekürzt: A.R.d.N., den zweiten Roman Septembergewitter (abgekürzt Sg.) in der von Jürgen Dierking besorgten Fassung, Friedo Lampe, Septembergewitter, Göttingen 2001. Da die Erzählungen Von Tür zu Tür (abgekürzt V.T.z.T.) und der Nachlaß (abgekürzt N.) bislang noch nicht anders erhältlich sind, werde ich auf die Gesamtausgabe zurückgreifen. Friedo Lampe, Das Gesamtwerk, mit einem Nachwort von Jür- gen Dierking und Johann-Günther König, Reinbek bei Hamburg 1986. 14 Gedruckt liegen zum einen der Briefwechsel Lampes mit seinen Freunden und zum anderen der mit seinem Verleger Eugen Claassen vor. Friedo Lampe, Briefe, in: Neue deutsche Hefte. Beiträge zur europäischen Gegenwart 3, 1956/57, S. 108-22; Eugen Claassen (1970), S. 270-81. Der Nachlaß von Friedo Lampe befindet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach (A: Lampe). Desweiteren gibt es eine Akte über Lampe im Bundesarchiv Berlin, Abteilung Drittes Reich, ehemals Document Center, die aus Lampes Korrespondenz mit der Reichsschrifttumskammer und dem Briefwechsel mit Wolfgang Herrmann über das Verbot seines ersten Romans besteht. Friedo Lampes Orthogra- phie wurde beibehalten. 15 Kritik an Kristevas globalem Intertextualitätskonzept übt so unter anderem Henning Tegtmeyer. Vgl. Henning Tegtmeyer, Der Begriff der Intertextualität und seine Fassungen – Eine Kritik der Inter- textualitätskonzepte Julia Kristevas und Susanne Holthuis‘, in: Textbeziehungen. Linguistische und literaturwissenschaftliche Beiträge zur Intertextualität, hrsg. von Josef Klein, Ulla Fix, Tübingen 1997, S. 56. 16 Peter Stocker, Theorie der intertextuellen Lektüre. Modelle und Fallstudien, Paderborn 1998, S. 27. 17 Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, hrsg. von Ulrich Broich, Manfred Pfister, Tübingen 1985, S. 15. 18 Peter Stocker (1998), S. 13. 19 Zur Transformation literarischer Gattungen bemerken Broich und Pfister: „Eng verbunden mit diesem Aspekt, […] ist ein Medienwechsel, der nicht von einem Text ausgeht, der im gleichen Sinne sprachlich fixiert und geformt ist wie Shakespeares Dramen, sondern der einen Text im Sinne eines Motivs, eines Stoffes oder eines Mythos darstellt.“ Intertextualität (1985), S. 193. 20 Intertextualität (1985), S. 31. 4 sen. Das Idyllische gründet im Werk Lampes auf einer Gefährdung, so wie er seinen Alltag während des Krieges als Idylle auf „vulkanischem Grund“21 bezeichnet hat.

Galten im Dritten Reich Lampes gebrochene Idyllen aus dem kleinstädtischen Alltag als unerwünscht, so erinnerten sie in der Nachkriegszeit und während des Wiederaufbaus zu sehr an diese Jahre, so daß die Neuausgabe von 1955 nur geringe Aufmerksamkeit erregte.22 Dennoch fällt auf, daß viele bedeutende Autoren der fünfziger und sechziger Jahre ihn als literarisches Vorbild ansahen. Wolfgang Koeppen pries Lampes Werk in diesem Sinne als „ein Lehrbuch für junge Schriftsteller“.23 Die ersten Arbeiten und Artikel, die nach Lampes überraschendem Tod publiziert wur- den, stehen unter dem Vorzeichen der späten Rezeption des Werkes, insofern sie die ausgebliebene Würdigung im Feuilleton während des Dritten Reichs nachholen.24 Es sind Nachrufe, die kurz das Werk vorstellen, die mysteriösen Todesumstände aufklären und sehr persönlich vom Verlust eines Freundes erzählen. Selbst die im Wintersemester 1959/60 an der Universität Gent angenommene Dissertation von Helga de Pauw25 ist noch ganz dieser biographischen Annäherung verpflichtet. So läßt ihre Einführung in Leben und Werk Lampes, die sie in die drei Abschnitte Lebensbericht, Werk und stilisti- sche Untersuchung gliedert, wissenschaftliche Distanz vermissen, führt aber viele Ein- zelheiten aus Lampes Leben an, die das Verständnis seiner Texte erleichtern. Da sie jedoch nur als Typoskript und in sehr nachlässigem Deutsch vorliegt, regte diese erste Monographie zu keiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Autor an. Auch Eugène Badoux‘ Biographie Friedo Lampe. Une psychobiographie26 aus dem Jahr 1986 verliert sich im Detail. Zwar rekonstruiert er minutiös die Lebensumstände und das persönliche Umfeld Friedo Lampes, doch fehlt ihm oft der Blick für eine angemes- sene Gewichtung der einzelnen Begebenheiten und bewertet Nebensächlichkeiten zu hoch. Badoux behandelt Lampes Texte ganz aus der biographischen Perspektive und versäumt es, diese mit dem historischen Kontext zu verbinden.

21 Friedo Lampe an Anneliese Voigt, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 121. 22 Ilse Molzahn, Dunkle Sarabande. In memoriam Friedo Lampe, in: Neue deutsche Hefte 2, 1955/56, S. 681-90. Wolfgang Koeppen, Friedo Lampe und Felix Hartlaub, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 11, 1957, S. 500-3. 23 Wolfgang Koeppen (1957), S. 501. 24 Kurt Kusenberg, Epitaph für Friedo Lampe, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 6, 1950, S. 420-26. Joachim Maass, Friedo Lampe, in: Die neue Rundschau 56/57, 1945/46, S. 492- 96. 25 Helga de Pauw, Friedo Lampe. Einführung in Leben und Werk, unveröffentl. Diss. Gent 1959/60. 26 Eugène Badoux, Friedo Lampe. Une psychobiographie, Lausanne 1986. 5 Bereits die 1960/61 erschienene Untersuchung von Lionel Thomas27 ist mehr an litera- turwissenschaftlichen Fragestellungen interessiert und bietet auch heute noch eine erste Einführung in Thematik und Motive von Lampes Werk. Tiefer in Werk- und Motiv- struktur dringt der Aufsatz von Brigitte Weidmann28 ein, die eine Nähe zur Literatur der Jahrhundertwende erkennt und die charakteristische Atmosphäre seiner Texte durch Gegensätze bedingt sieht. Kundig geschrieben ist auch das Nachwort von Jürgen Dier- king und Hans-Günther König in der Werkausgabe von 198629 und ihr Beitrag über Friedo Lampe, der 1996 in den Horen erschienen ist.30 Neben der Arbeit von Helga de Pauw sind noch die Dissertation Jochen Liebigs über Stil und Technik bei Friedo Lampe31 und drei Magisterarbeiten entstanden.32 So hat Franziska Noltenius sich mit der Bedeutung des Magischen Realismus für Lampes Werk beschäftigt und Monika Schuldt die Romane Lampes mit den frühen Filmen Helmut Käutners verglichen. Außer der Arbeit von Johannes Graf, deren wesentliche Erkenntnisse in seinem Nachwort zur Neuausgabe von Am Rande der Nacht nachzule- sen sind, haben sich dadurch keine neuen Impulse für die Beschäftigung mit diesem Autor ergeben. Johannes Graf konnte so in seiner fundierten Studie über Am Rande der Nacht sowohl die Rezeption lebensphilosophischer Autoren wie Ludwig Klages als auch ausgesprochen moderne avantgardistische Formenexperimente nachweisen, unter denen vor allem die filmische Erzählweise hervorzuheben ist. Auch Eckehard Czucka untersucht in seinem Aufsatz Tatsachen-Bilder. Literatur zwischen 1930 und 194033 den Einfluß des Films auf Friedo Lampe. Vor allem die Neuauflage von Friedo Lampes Werk durch den Wallstein-Verlag könnte zu einer literarischen Renaissance des Autors führen. Bereits die von Johannes Graf

27 Lionel Thomas, Friedo Lampe and his work – an introduction, in: German life and letters 14, 1960-61, S. 194-203. 28 Brigitte Weidmann, Erinnerung an Friedo Lampe. Exemplarische Motive in seinem Werk, in: Neue Rundschau 3, 1978, S. 452-56. 29 Jürgen Dierking, Johann-Günther König, Nachwort, in: Friedo Lampe, Das Gesamtwerk, mit einem Nachwort von Jürgen Dierking und Johann-Günther König, Reinbek bei Hamburg 1986, S. 351-89. 30 Jürgen Dierking, Johann-Günther König, „In großer Zeit ganz klein“, in: Die Horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik 181, 1996, S. 135-48. 31 Jochen Liebig, Stil und Technik in den Erzählungen Friedo Lampes, unveröffentl. Diss. o.O. o.J. 32 Johannes Graf, Friedo Lampes Erzählung „Am Rande der Nacht“. Konservative Philosophie und a- vantgardistische Form, unveröffentl. Magisterarbeit Berlin 1989/90. Franziska Noltenius, Magischer Realismus. Untersuchungen zu zwei Romanen Friedo Lampes, unveröffentl. Magisterarbeit Müns- ter 1995. Monika Schuldt, Untersuchungen zur ästhetischen Opposition im „Dritten Reich“. Die Romane Friedo Lampes und die frühen Filme Helmut Käutners, unveröffentl. Magisterarbeit Mainz 1996. 33 Eckehard Czucka, Tatsachen-Bilder. Literatur zwischen 1930 und 1940. Zum Beispiel Friedo Lampe und Wilhelm Lehmann, in: Helmut Arntzen, Ursprung der Gegenwart. Zur Bewußtseinsgeschichte der Dreißiger Jahre in Deutschland, Weinheim 1995, S. 419-86. 6 besorgte Ausgabe von Am Rande der Nacht hat im Feuilleton Aufmerksamkeit erregt und wurde sehr positiv besprochen.34 Erstmals hat die Publikation, die 1999 anläßlich Lampes 100. Geburtstag erschienen ist, die Streichungen von Johannes Pfeiffer zurück- genommen. Auch der von Jürgen Dierking herausgegebene zweite Roman September- gewitter beruht auf der Originalausgabe. Die marginale wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk Lampes ist durch- aus charakteristisch für die Haltung der Germanistik gegenüber der Literatur, die wäh- rend des Dritten Reichs entstanden ist. Als besonders lähmend hat sich dabei die Tren- nung in und Literatur des Dritten Reichs erwiesen. Denn letztere wurde oftmals auf ausgesprochene Propagandaschriften beschränkt, was, wie Uwe-Karsten Ketelsen betont, eine differenzierte Sicht auf diese Jahre verhinderte.35 Wie virulent die Beziehung zwischen Literatur und Politik geblieben ist, hat sich insbesondere nach der Wiedervereinigung gezeigt. Tatsächlich konnten durch die Freigabe bislang gesperrter Archivalien und durch wiedergefundene Quellen biographische Lücken bei Autoren geschlossen werden, die für sich nach dem Krieg die vielbeschworene „Stunde Null“ in Anspruch genommen hatten, wodurch manch Lebenslauf erheblich korrigiert werden mußte. Doch muß die Äußerung Durs Grünbeins anläßlich des Konflikts zwischen Wolf Biermann und Sascha Anderson, daß „die feine Trenunnungslinie zwischen Machtop- portunismus und Kunstautonomie“ herauszufinden „nur eine der Hausaufgaben des ar- tistischen Eigensinns, in jeder Gesellschaft, in unendlichen Zwangslagen“36 ist, auch für die Autoren gelten, die während des Dritten Reichs geschrieben haben. Wie emotional die Debatte um Autoren und deren Werke immer noch geführt wird, die sich möglicherweise nicht hinreichend von den Nationalsozialisten distanziert haben, hat der Fall Günter Eichs37 demonstriert. Zwar war bekannt gewesen, daß Eich seine ersten Gedichte in der von Martin Raschke herausgegebenen Zeitschrift Die Kolonne veröffentlicht hatte, doch über die Zusammenarbeit der beiden Schriftsteller beim

34 Stellvertretend seien folgende Artikel genannt: Joachim Kalka, Ratten und Schwäne. Umlauerte Rän- der. Friedo Lampe in neuer und alter Gestalt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 6, 8.1.2000; Det- lev Crumbach, Es wird dunkel in , Berliner Zeitung 15./16.1.2000; Thomas Schaefer, Der wunderliche Magier. Zum 100. Geburtstag von Friedo Lampe – eine neue Chance, in: Der Tages- spiegel 4.12.1999. 35 Uwe-Karsten Ketelsen, Literatur und Drittes Reich, Greifswald 1994, S. 241. 36 Durs Grünbein, Im Namen der Füchse. Gibt es eine neue literarische Zensur?, in: Machtspiele. Literatur und Staatssicherheit im Fokus Prenzlauer Berg, hrsg. von Peter Böthig, Klaus Michael, Leipzig 1993, S. 327. 37 Die Debatte um Eich, die vor allem im Feuilleton stattfand, dokumentiert Axel Vieregg, der sie mit seiner Eichbiographie ausgelöst hatte. Axel Vieregg, Der eigenen Fehlbarkeit begegnet. Günter Eichs Realitäten 1933-1945, Eggingen 1993 und „Unsere Sünden sind Maulwürfe“. Die Günter- Eich-Debatte, German Monitor 36, hrsg. von Axel Vieregg, Amsterdam 1996. 7 Reichsfunk gab es nur wenige gesicherte Auskünfte Eichs.38 Als man 1993 das ver- schollen geglaubte englandfeindliche Hörspiel Rebellion in der Goldstadt fand, wurde deutlich, wie groß Eichs Zugeständnisse gegenüber der Ideologie der Nationalsozialis- ten waren. Obwohl Eich anders als Raschke nie Anhänger des deutschen Faschismus wurde und er die Produktion von Rundfunkarbeiten immer als reinen Broterwerb ange- sehen hatte39, bleibt Eichs Haltung doch ambivalent. Denn sie zeigt, daß die Machter- greifung Hitlers mit all ihren Auswirkungen von einer tendenziell unpolitischen Gruppe junger Schriftsteller nicht als Einschnitt erlebt wurde. „‘Wir wußten ja nicht, was wird‘“ und „‘Wir lebten in einem Dunkel‘“40, so veranschaulicht der Schriftsteller Hans Paeschke diesen Verlust von moralischer Orientierung. Die Diskussion um Eichs Verwicklungen mit dem Dritten Reich kann als Neuauflage der nach Kriegsende geführten Auseinandersetzung um die Literatur der „Inneren E- migration“ gesehen werden. Der Streit um die Autoren, die trotz politischer Distanz zum Dritten Reich in Deutschland veröffentlichten, entbrannte zum einen an der selbst- gerechten Haltung Frank Thiess‘41, der den ins Exil gegangenen Schriftstellern vorge- worfen hatte, den bequemeren Weg gegangen zu sein und zum anderen an der rigorosen Ablehnung der unter dem Nationalsozialismus entstandenen Werke durch . Im Oktober 1945 hatte Mann die Aufforderung von Molos nach Deutschland zurückzukehren, polemisch mit der radikalen Verurteilung der Literatur der „Inneren Emigration“ beantwortet: Es mag Aberglauben sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden. Es war nicht erlaubt, es war unmöglich, „Kultur“ zu machen in Deutschland, während

38 Holger A. Pausch, Marianne Herzog, Vergessene Texte, Schrift und Sprache. Betrachtungen zur Gün- ter-Eich-Kontroverse, in: Wirkendes Wort 45, 1995, S. 137. Raschke und Eich hatten über siebzig Sendungen des Deutschen Kalenders. Monatsbilder vom Königswusterhäuser Landboten gemein- sam produziert. Axel Vieregg, „Mein Raum und meine Zeit“, in: Ders. (1996), S. 7. 39Hans Dieter Schäfer (1997), S. 228/29. 40 Hans Dieter Schäfer (1981), S. 53. 41 „Auch ich bin oft gefragt worden, warum ich nicht emigriert sei, und konnte immer nur dasselbe ant- worten: Falls es mir gelänge, diese schauerliche Epoche (über deren Dauer wir uns freilich alle ge- täuscht hatten) lebendig zu überstehen, würde ich dadurch derart viel für meine geistige und menschliche Entwicklung gewonnen haben, daß ich reicher an Wissen und Erleben daraus hervor- ginge, als wenn ich aus den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie zu- schaute. Es ist nun einmal zweierlei, ob ich den Brand meines Hauses selbst erlebe oder ihn in der Wochenschau sehe, ob ich selber hungere oder vom Hunger in den Zeitungen lese, ob ich den Bom- benhagel auf deutsche Städte lebend überstehe oder mir davon berichten lasse, ob ich den beispiel- losen Absturz eines verirrten Volkes unmittelbar an hundert Einzelfällen feststellen oder nur als historische Tatsache registrieren kann.“ Frank Thiess, Die Innere Emigration, in: Johann F. G. Grosser, Die grosse Kontroverse. Ein Briefwechsel um Deutschland, Hamburg 1963, S. 24. 8 rings um einen herum das geschah, wovon wir wissen: es hieße die Ver- kommenheit beschönigen, das Verbrechen schmücken.42 Manns rigorose Haltung mag damit zusammenhängen, daß er sich selbst erst nach län- gerem Zögern 1933 für das Exil entschied und mit einem Verbleiben in Deutschland liebäugelte. Dabei findet sich der Begriff der „Inneren Emigration“ in Manns Tagebü- chern43, wodurch er und nicht Frank Thiess als Schöpfer dieses Terminus gelten kann. Auch stand Mann zu diesem Zeitpunkt unter dem Eindruck der Tötungsmaschinerie des Dritten Reichs, deren wahre Ausmaße erst 1945 enthüllt wurden, so daß er die Inan- spruchnahme eines rein gebliebenen Reichs der Kunst innerhalb des Faschismus als Affront ansehen mußte. Anders als Thomas Mann stellten sich viele Autoren trotz Diktatur und schwierigen Lebensumständen nicht die Frage, ob sie auswandern sollten, sondern blieben in Deutschland und arrangierten sich mit den veränderten politischen Verhältnissen. Be- reits für die Zeit kurz nach der Machtergreifung lassen sich Wendungen wie „Emigran- tentum“44 oder „aristokratische Form der Emigrierung“45 belegen, die wie „Innere Emig- ration“ den Rückzug ins Private und die Kunst vieler nichtfaschistischer Autoren wäh- rend des Nationalsozialismus46 beschreiben. Wie Friedo Lampe setzten viele Schrift- steller der als groß und historisch bedeutend erlebten Gegenwart eine bescheidene, i- dyllische Existenz am Rande der Gesellschaft entgegen. Daß diese Haltung jedoch problematisch war, zeigt sich in der Aussage Alfred Anderschs, der die vermeintliche Kunstautonomie zur totalen Inversion im totalen Staat erklärte.47 Stellungnahmen wie diese bekräftigen Ralf Schnells Charakterisierung der „Inneren Emigration“ als „Kons- tellation der Ambivalenzen, der Widersprüche, der Hoffnungen und Verstrickungen“.48

42 Thomas Mann, Warum ich nicht zurückkehre!, in: Johann F. G. Grosser (1963), S. 31. 43 Peter Michelsen, Wohin ich gehöre. Thomas Mann und „innere Emigration“, in: Frankfurter Allgemei- ne Zeitung 127, 2.6.1995, S. 38. Neuere Forschung auch siehe: Volker Wehdeking, Zwischen Exil und „vorgeschobenem Posten“ der Kulturnation. Thomas Mann als Projektionsfigur für die im Land gebliebenen Nichtfaschisten, in: Literatur in der Diktatur (1997), S. 145-62. 44 Jochen Klepper, Unter dem Schatten Deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1933-1942, hrsg. von Hildegard Klepper, Stuttgart 1956, S. 103. 45 , Ausgewählte Briefe, Wiesbaden 1957, S. 62. 46 „Rückzug auf Innerlichkeit und Irrationalismus als adäquate Verhaltensformen und Denkweise eines Eskapismus, der sich in unterschiedlicher Weise zu verwirklichen und zugleich zu legitimieren ver- sucht – diese Entwicklung kennzeichnet die Emigration nach Innen als ein Arrangement mit der po- litischen Realität, für welches das Element der Distanz zum Faschismus konstitutiv ist.“ Ralf Schnell, Literarische Innere Emigration. 1933-1945, Stuttgart 1976, S. 53. 47 Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Ein Bericht, Frankfurt 1952, S. 48. 48 Ralf Schnell, Dichtung in finsteren Zeiten. Deutsche Literatur und der Faschismus, Reinbek bei Ham- burg 1998, S. 134. 9 Obwohl die nationalsozialistische Überwachung und Lenkung des Literaturbetriebs, die Jan-Pieter Barbian in seinem Standardwerk äußerst präzise dokumentiert49, längst nicht so umfassend war, wie man es in der Nachkriegszeit gerne glauben wollte, haben sich die Atmosphäre der Diktatur, die Verbotslisten und Bücherverbrennungen doch prägend auf die Literatur ausgewirkt. Uniformität und fehlende Lebenswirklichkeit sind das Er- gebnis einer verinnerlichten Zensur50, so daß die Werke der dreißiger und vierziger Jah- re nicht aus diesem historischen Kontext isoliert werden können.51 Denn: […] einen Autor wie Jünger von seinem kulturellen wie politischen Kontext befreien zu wollen, bedeutet nichts weniger, als seinen Texten, die Polyva- lenz und – nicht allein, aber auch – ihre literarische Brisanz zu nehmen, heißt mithin nicht zuletzt, der Literatur generell ihre Wirkmächtigkeit und Integration ins wirkliche Leben abzustreiten.52 Eben diese Entstehungsbedingungen scheint der Begriff der „Inneren Emigration“ zu leugnen, indem er eine Kontinuität von Vor- und Nachkriegszeit schafft, die das Dritte Reich gewissermaßen übergeht53 und die betreffenden zwölf Jahre deutscher Geschichte auslöscht. So gesehen, wirkt der Terminus als nachträgliches Konstrukt und Ergebnis eines Verdrängungsmechanismus, weshalb ich diesen Begriff vermeiden möchte. Neben den grundlegenden Arbeiten von Uwe-Karsten Ketelsen und Horst Denkler hat Hans Dieter Schäfer mit seinen Forschungen über die deutsche Kultur und Lebenswirk- lichkeit des Faschismus der Germanistik neue Impulse gegeben. Auf der Quellenbasis von Zeitungen, Briefen, Tagebüchern und Illustrierten ist Schäfer zu dem Ergebnis ge- kommen, daß das Dritte Reich durch den Gegensatz von nationalsozialistischer Ideolo- gie und Praxis gekennzeichnet war54, den er plastisch mit einem „gespaltenen Bewußt- sein“ vergleicht. So zeigen seine Studien, daß der Alltag im Dritten Reich nicht voll- kommen von der Politik überlagert und daß bis in die Kriegsjahre eine populäre Kultur bewahrt wurde. Dieser persönliche Freiraum innerhalb der Diktatur selbst steht unter der Ambivalenz, zum einen das Resultat der Ämterkonkurrenz im Dritten Reich gewe-

49 Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, München 1995. 50 Horst Denkler hat so in seinem Vortrag betont, daß das Moment der Angst in Texten, die während des Dritten Reichs entstanden sind, ungleich größer ist als während des Vormärz als auch die öffentliche Meinung unterdrückt wurde. Horst Denkler, Katz und Maus. Schreibstrategien im „Dritten Reich“, unveröffentl. Vortrag, gehalten auf dem Symposium zum 100. Geburtstag von Friedo Lampe am 4.12.1999 in Bremen. 51 Uwe-Karsten Ketelsen (1994), S. 66. 52 Christiane Caemmerer, Walter Delabar, Dichtung im Dritten Reich? Eine Einleitung, in: Dichtung im Dritten Reich. Zur Literatur in Deutschland 1933-1945, hrsg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar, Opladen 1996, S. 9. 53 Uwe-Karsten Ketelsen, Zur Literatur der Inneren Emigration, unveröffentl. Vortrag gehalten auf dem Symposium zum 100. Geburtstag von Friedo Lampe am 4.12.1999 in Bremen. 54 Hans Dieter Schäfer (1981), S. 114. 10 sen zu sein, die eine totalitäre Kontrolle verhinderte und zum anderen eine von den Na- tionalsozialisten bewußt gewährte Nische gewesen zu sein, mit der diese wiederum ihre Herrschaft absicherten. Ohne Zweifel wollte der Führerstaat die mit einer lebendigen Kultur ver- bundene individuelle Freiheit unnachsichtig zerstören, gleichzeitig mußte er eine politikfreie Sphäre fördern, um die Mehrheit der Bevölkerung auf Dau- er an sich zu binden. Durch diese schwer voneinander abzugrenzenden Ziele ergaben sich für eine Reihe junger, zumeist noch unbekannter Schriftsteller Publikationsmöglichkeiten, obgleich ihre Auffassungen von den ästheti- schen Normen des Nationalsozialismus z.T. erheblich abwichen.55 Sowohl Ketelsen56 als auch Schäfer betonen, wie wenig eigenständig die Literatur des Dritten Reichs war und heben die charakteristische Verbindung moderner und traditio- neller Elemente hervor. Es spricht vieles dafür, daß der Nationalsozialismus die traditionalistischen Tendenzen der deutschen Literatur verstärkt, das Weiterleben der demokra- tisch engagierten Traditionen unterbrochen und den Aufstieg der Modernen Klassik verzögert hat, doch eine radikale Veränderung der Epoche ist von ihm nicht ausgegangen, zu sehr ist er selbst ein Produkt der Krise und weist in seiner Kunstauffassung mit den antithetischsten Richtungen auf einheitli- che Grundlagen.57 Schäfers Arbeiten haben eine nuancenreichere Betrachtungsweise des Dritten Reichs und der in dieser Zeit entstandenen Literatur ermöglicht. Indem er sie als „Allegorie eines Lebensgefühls“58 versteht, befreit er sie aus einer moralischen Lesart59, die den Autor als Repräsentanten eines anderen, besseren Deutschlands instrumentalisiert60, wie es der Begriff der „Inneren Emigration“ nahelegt. Die Literatur hat in ihrer Gespaltenheit an der Bewußtseinslähmung der vom Nationalsozialismus geführten Epoche Anteil, die nur noch „Ideologie oder militärische Explosionen als Ausweg“ kannte. Es handelt sich zumeist

55 Ebd., S. 7. 56 Uwe-Karsten Ketelsen (1994), S. 65. 57 Hans Dieter Schäfer, Zur Periodisierung der deutschen Literatur seit 1939, in: Ders. (1981), S. 62. 58 Hans Dieter Schäfer (1981), S. 29. 59 „Die Frage nach der Wertung läßt sich nur vom Einzelfall her beantworten. Die Tatsache, daß viele Nachkriegsschriftsteller im Hitler-Staat veröffentlichten, sollte nicht mehr moralisch verunglimpft werden.“ Hans Dieter Schäfer (1981), S. 53. Vgl. Die frühere Forschung: „[…] daß ein anderer Teil, um einen Rest und Schein von Integrität zu wahren, sich in die Innerlichkeit zurückgezogen hat. Es geschah dies, wohlgemerkt zu einer Zeit, in der die Literatur nur Aufschrei und Kritik sein konnte. Auch einen Rückzug dieser Art anzutreten, muß man prädisponiert sein; am leichtesten fiel es jenen Autoren, die im bürgerlichen Traditionalismus befangen waren.“ Ernst Loewy, Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation – mit einem Vorwort von Hans-Jochen Gamm, Frankfurt 1966, S. 28. Einen Rückschritt in der Forschung bedeutet in diesem Sinne die Arbeiten Friedrich Denks, zumal es sich bei ihm verfolgen läßt, zu welch undifferenzier- ten Äußerungen ein subjektiver Standpunkt führen kann. Vgl. „Widerstandsliteratur war vor allem die christliche Literatur. Denn die christliche Botschaft war noch eines der sicheren Bollwerke ge- gen die Versuchungen und Zumutungen der Diktatur.“ Friedrich Denk, Die Zensur der Nachgebo- renen. Zur regimekritischen Literatur im Dritten Reich, Weinheim 1995, S. 256. 60 Uwe-Karsten Ketelsen (1994), S. 57. 11 um Versuche, zurückgezogen sich selbst vor der Versklavung durch die ob- jektive Welt der Technik oder vor der Unterwerfung unter Parteiordnungen zu retten.61 Diese inneren Brüche der Literatur des Dritten Reichs sind mittlerweile auch von ande- rer Seite bestätigt worden. Helmut Arntzen hat so in seiner Bewußtseinsgeschichte der dreißiger Jahre diesen Dualismus als Nebeneinander modifiziert, in dem alle Differen- zen nivelliert sind.62 Arntzen erklärt dieses Amalgam mit dem Bedürfnis der Bevölke- rung nach Normalität, für das auch die Literatur dieser Zeit steht.63 Dabei plädiert er wie Georg Bollenbeck64 dafür, die dreißiger Jahre aus der alleinigen Verklammerung des Nationalsozialismus zu lösen und sie in einen größeren Zeitkontext zu setzen.

61 Hans Dieter Schäfer (1981), S. 53/54. 62 Helmut Arntzen, Nebeneinander. Film, Literatur, Denken und Sprache der Dreißiger Jahre, in: Ders. (1995), S. 9. 63 Ebd., S. 85/86. 64 Georg Bollenbeck, Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moder- ne 1880-1945, Frankfurt 1999. Auch Martin Lindner betont in seiner Arbeit über das Zeitgefühl neusachlicher Romane die Kontinuität mit Tendenzen der Jahrhundertwende und der folgenden Jah- re. Martin Lindner, Leben in der Krise. Zeitromane der Neuen Sachlichkeit und die intellektuelle Mentalität der klassischen Moderne. Mit einer exemplarischen Analyse des Romanwerks von Ar- nolt Bronnen, Ernst Glaeser, und Ernst Erich Noth, Stuttgart 1994. 12 1. Der Magische Realismus im ästhetischen und historischen Kontext der zwanziger Jahre

1.1. Nachexpressionismus Betrachtet man die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, so scheinen diese durch eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bestimmt. Die Entwicklung des Wilhelminischen Zeitalters hin zu einer modernen Industriegesellschaft vollzog sich in Schüben und wur- de von vielen Zeitgenossen der Weimarer Republik als Krise erlebt.65 Politische Kon- flikte, die technisierte urbane Welt und das Trauma des Weltkrieges lösten ein Gefühl der Desorientierung aus, das sich auf die Kunst als Verlust eines vorherrschenden Stiles auswirkte.

1.1.1. Friedo Lampe, Krise. Briefe zweier Dichter Im Prosatext Krise. Briefe zweier Dichter66 greift Lampe in die Auseinandersetzung um eine literarisch adäquate Darstellung der Wirklichkeit ein. Obwohl dieser fiktive Brief- wechsel vermutlich in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges entstanden ist67, be- zieht er sich auf eine Diskussion, die noch vor der Jahrhundertwende einsetzte und durch die Neue Sachlichkeit in den zwanziger und dreißiger Jahren neue Aktualität ge- wann. So zeigt der Brief Ernsts an seinen Dichterfreund Albert deutliche Parallelen zum sogenannten Lord-Chandos-Brief Hugo von Hofmannsthals auf, der als Muster dieses

65 „Aber die Einstellungen zur Modernisierung lassen sich nicht so einfach in die Kategorien: hie ‚Fort- schritt‘ und hie ‚Reaktion‘ einteilen, schon weil die Modernisierungsprozesse selber sich wider- sprüchlich auswirkten. Es sei daher festgehalten, daß die Auseinandersetzung um die Moderne ei- nerseits an Schärfe zunahm, andererseits an Eindeutigkeit verlor, eben weil die Modernisierung in der Zwischenkriegszeit krisenhaft verlief.“ Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisen- jahre der klassischen Moderne, Frankfurt 1987, S. 23. 66 Friedo Lampe, Krise. Briefe zweier Dichter, in: Die Horen. Zeitschrift für Literatur und Kunst 181, 1996, S. 149-51. 67 Das Manuskript ist zusammen mit dem fragmentarischen Gedicht Neros Tod überliefert, das auf das brennende Berlin Bezug nimmt. Während des Krieges weist Lampe etwa in einem Brief an Annelie- se Voigt am 24.11.1944 auf die Bedeutung Hofmannsthals für sein Schaffen hin, der auch für die ästhetischen Positionen wie sie in Die Krise vertreten werden, maßgeblich ist. Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 121. Für die Datierung um 1942/43 spricht auch, daß der Prosatext von der Debatte um den zeitgenössischen Roman, bzw. um ein zeitgemäßes Erzählen beeinflußt ist, die bis zu die- sem Zeitpunkt in den literarischen Zeitschriften geführt wurde. 13 poetologischen Disputs gelten kann.68 Ernst formuliert hier seinen Anspruch, gegenüber der Zeit eine angemessene Haltung zu finden und diese auch literarisch umzusetzen. Anstelle von anachronistischen dichterischen Formen drängt er gegenüber seinem Freund auf einen Realismus, der in einer möglichst unstilisierten Weise, die zeitgenössi- sche Wirklichkeit abzubilden vermag. Leitbild dafür ist weniger der realistische Roman eines , sondern Arno Holz‘ Theorien zum Naturalismus69, die mit dem Abklingen des Expressionismus Mitte der zwanziger Jahre erneut rezipiert wurden. Schluß mit aller Romantik, über Bord mit allen Traditionen und Schablo- nen, mit all dem ererbten Plunder, ich will von neuem anfangen, mit mir an- fangen. Meine eigene Wirklichkeit will ich darstellen, mag sie auch noch so bescheiden, häßlich und fragwürdig sein, und in den einfachsten Worten will ich schreiben wie ich spreche und fühle, und wenn ich schlecht spreche und fühle, nun, so muß ich eben schlecht schreiben. Wie recht hatte Arno Holz mit seiner Berserkerwut gegen alles Überkommene und seinem radi- kalen Entschluß zur eigenen Form – „Kunst ist Natur“ sagte er, ja, dahin müssen wir wieder kommen, wie wenig haben wir bis jetzt seine Lehre be- herzigt.70 Was Ernst hier programmatisch fordert, erweist sich als Synthese avantgardistischer und konservativer Tendenzen. Zwar spricht er sich gegen die konventionelle Psychologie des Romans des 19. Jahrhunderts und für die offene Form eines James Joyce71 aus, doch begründet er dies im Sinne der Lebensphilosophie und der Literatur der Jahrhundert- wende72, indem er deren Entstehung aus dem dionysischen Rausch betont. Bei aller Mo- dernität des Ansatzes wird der literarische Text damit als originäre Schöpfung überhöht.

68 „Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich, ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen und dabei jene Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zu bedienen pflegen. Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte ‚Geist‘, ‚Seele‘ oder ‚Körper‘ nur auszusprechen.“ Hugo von Hofmannsthal, Ein Brief, in: Ders., Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Band 31, Erfundene Gespräche und Briefe, hrsg. von Ellen Ritter, Frankfurt 1991, S. 148. Vgl. „Ich werde vorläufig keine Gedichte mehr schreiben, nur Prosa, vielleicht, daß später einmal aus der Prosa ganz schlicht und selbstverständlich ein neuer Vers sich mir heraushebt, dann ist es gut, ich kann warten, Erzählungen will ich schreiben, aber auch hier will ich mich bemühen, die alten ausgelatschten Wege zu meiden, denn die herkömmlichen Formen der Erzählung und des Romans fassen nicht mehr unser Weltgefühl, sie vergewaltigen und vereinfachen es, wir können nicht mehr eine geschlossene Handlung darstellen, die hier beginnt und dort aufhört, geradlinig, in kunstgerechtem Aufbau, wo alles sich sinnvoll zusammenfügt, so übersichtlich und geordnet ist die Welt nicht mehr für uns.“ Friedo Lampe (1996), S. 150. 69 „Oder noch weiter, wenn ich für Kunstwerk vollends ‚Kunst‘ und für Stück Natur ‚Natur‘ selbst setze: Kunst = Natur – x.“ Arno Holz, Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze, Berlin 1891, S. 112. 70 Friedo Lampe (1996), S. 149/50. 71 Ebd., S. 150. 72 „Für uns beginnt nichts und hört nichts auf, jede einzelne Handlung ist nur Welle in einem gewaltigen Lebensstrom, der unaufhörlich fließt, […].Wir können nicht mehr die Geschichte eines einzelnen Menschen schreiben, herausgerissen aus dem Zusammenhang, so wichtig ist uns der Einzelne nicht mehr, wir sehen ihn verwoben in einem großen Lebensgewebe, mit tausend Fasern verbunden mit anderen Schicksalen, andern Leben, […].“ Ebd. Lampe greift hier charakteristische Bilder der Lite- ratur der Jahrhundertwende wie die Welle, den Lebensstrom und das Lebensgewebe auf. 14 Albert sieht diese von Ernst als rein persönlich empfundene Schreibhemmung zurecht im Kontext einer allgemeinen gesellschaftlichen Krise. So legitimiert Ernst das Schrei- ben durch den dionysischen Rausch und setzt diesen an die Stelle einer authentisch er- lebten Wirklichkeit. Der neue Naturalismus ist somit doppelt legitimiert, durch die Be- zugnahme auf den zeitgenössischen Alltag und den Mythos des dionysischen Dichters.73 Auch Ernsts Freund Albert teilt das Ringen um einen neuen Erzählstil, der sich den An- forderungen der Zeit stellt, distanziert sich aber von der reinen Wiedergabe von Fakti- zität. Indem er ebenfalls auf Holz Bezug nimmt, erinnert er Ernst daran, daß Literatur nicht mit der Natur identisch ist, sondern vielmehr deren bewußte Gestaltung bedeutet.74 Albert sieht die zeitgenössische Literatur verpflichtet, eine Synthese zwischen der Ob- jektivität der Welt und der Subjektivität des Schreibenden zu schaffen. Unsere eigentliche Aufgabe scheint mir heute darin zu bestehen, den Punkt innerhalb der Dichtung zu finden, wo sich Wirklichkeit und Poesie berühren und zu einer Einheit werden, wo wir ganz wahr, ganz echt, ganz ehrlich sind und doch zugleich dichterisch und voll innerer Form – ohne abzugleiten in das von dir mit Recht gerügte Schöngetue, aber auch nicht in einen banalen Naturalismus; keine Reportage, aber auch keine Flucht in irgendeine Ro- mantik.75 Beide teilen die Ansicht, daß der Roman Dokumentation und Deutung des modernen „Weltgefühl[s]“76 sein sollte und eben nicht dessen reportageartige Abbildung. Lampes Prosaskizze der vierziger Jahre spiegelt die Diskussion um einen neuen Realismus die- ser Zeit wider, die bis zum Bestehen der liberalen Literaturzeitschriften im Feuilleton geführt wurde. Das geistige Klima der Diktatur hatte die Klärung der Realismusfrage und der Zeitgenossenschaft von Literatur unmöglich gemacht.

73 Wie prägend der Einfluß der Jahrhundertwende und vor allem der Nietzsches war, zeigt sich im folgen- den: „Wir haben vergessen, daß das etwas sehr Merkwürdiges ist, etwas ganz und gar Außerge- wöhnliches; daß das einen Zustand voraussetzt, den nur ganz wenige zu erleben fähig sind: Rausch, Trunkenheit, Außersichsein, die Verse müssen aus uns herausbrechen mit elementarer Gewalt, ‚es‘ muß aus uns heraussingen, und wir sind nur die Instrumente, auf denen kosmische Gewalten spie- len.“ Ebd., S. 149. 74 „Wenn Kunst nichts weiter wäre als Natur, ja warum hätten wir sie dann nötig? Dann wäre sie ja nichts als eine Wiederholung, ein matter Abklatsch, ein Spiegelbild. Aber das ist sie eben Gott sei Dank nicht, denn Kunst ist immer Auswahl, Stilisierung, Ausdruck eines menschlichen Temperamentes, Sinngebung und Ordnung nach geistigen Gesetzen.“ Ebd., S. 151. Vgl. „Die Kunst hat die Tendenz, wider die Natur zu sein. Sie wird sie nach Massgabe ihrer jedweiligen Reproduktionsbedingungen und deren Handhabung.“ Arno Holz (1891), S. 117. 75 Friedo Lampe (1996), S. 151. 76 Ebd., S. 150. 15 1.1.2. Ein neuer Naturalismus ?? Mitte der zwanziger Jahre wurde von Künstlern und Intellektuellen ein Einschnitt in- nerhalb der Ästhetik der Malerei und der Literatur konstatiert, für den die von Paul Westheim77 1922 im Kunstblatt initiierte Umfrage Gibt es einen neuen Naturalismus??78 exemplarisch steht. Daß bereits zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Ermüdung des Expressionismus79 festgestellt wurde, belegen die Antworten. Der Expressionismus war tot - der Nachexpressionismus lebte. Anhand der eingesandten Beiträge der Kritiker und Künstler aus der Malerei, der Lite- ratur und dem Film werden im folgenden die charakteristischen Züge des neuen Stils skizziert. Dieser Überblick bleibt ausdrücklich nicht auf die Literatur beschränkt, da der wechselseitige Austausch zwischen den Künsten für die Moderne kennzeichnend ist. Bereits der Expressionismus ist keine Bewegung, die sich auf die Literatur oder die bil- dende Kunst begrenzen ließe, sondern lebt von der gegenseitigen Beeinflussung. Mehr noch als zuvor, ist die moderne Kunst auf die Öffentlichkeit bezogen. Die Diskussion um einen authentischen Ausdruck der Wirklichkeit in der Malerei oder der Literatur wird im Feuilleton geführt, wobei auch die veränderte Funktion der Kunst innerhalb der Industriegesellschaft thematisiert wird. Schon Anfang der zwanziger Jahre ist der Still- stand des Expressionismus ein vielzitierter Allgemeinplatz.80 Döblin etwa läßt sich um 1920 von der klaren Formensprache des Architekten Adolf Loos und des Kunstgewer- bes anregen und überträgt die dort eingelöste Sachlichkeit auf die literarische Ästhetik.81 Sowohl in der Kunst als auch in der Literatur sucht man nach einem Ausdruck für die veränderte Wirklichkeit. Die Auslegung des Nachexpressionismus als Gegenbewegung zum Expressionismus bedingt, daß diese Bezeichnung zum Auffangbecken der unterschiedlichsten Richtun- gen wird. Zwangsläufig mußte den Zeitgenossen wie etwa dem Kunsthistoriker Alfred

77 Zur Bedeutung des Kunstblattes und seines Herausgebers siehe: Lutz Windhöfel, Paul Westheim und das Kunstblatt. Eine Zeitschrift und ihr Herausgeber in der Weimarer Republik, Köln 1995. 78 Ein neuer Naturalismus ?? Eine Rundfrage des Kunstblatts, in: Das Kunstblatt 6, 1922, S. 369-414. 79 Einige Jahre später formulierte Utitz das Ende des Expressionismus: „Das ist die eine Wurzel des neu aufziehenden Realismus. Man hat sich an den Grenzen des ‚Möglichen‘ wund gerieben, jetzt will man innerhalb der Grenzen sich bescheiden und errichtet sehr nachdrücklich ihre Schranken zur Warnung vor Gefahren, denen man eben erlegen oder noch glücklich entronnen. Es scheint, als habe alles irgendwie Expressionistische eine verheerende Katastrophe getroffen, deren Nutznießer der totgesagte Naturalismus ist, fester denn je auf seinem Throne sitzend, unangreifbarer und siegessi- cherer. Ein toller Fastnachtsspuk ist vorübergerauscht, nun herrscht Aschermittwoch.“ Emil Utitz, Die Überwindung des Expressionismus. Charakterologische Studien zur Kultur der Gegenwart, Stuttgart 1927, S. 3. 80 Michael Scheffel (1990), S. 70. 81 Sabina Becker, Neue Sachlichkeit, Band 1, Die Ästhetik der neusachlichen Literatur (1920-1933), Köln 2000, S. 74. 16 Neumeyer die nachexpressionistische Kunst heterogen und ohne stilbildendes Zentrum82 erscheinen. In Analogie zu diesen verschiedenen Strömungen existieren außer dem Terminus Nachexpressionismus noch weitere Benennungen, die von Neuer Sachlich- keit83, Supra-Naturalismus, neuem, transzendentem, magischem84 oder idealem bis hin zu geistigem Realismus reichen.85 Diese Ratlosigkeit ist vor allem dadurch zu erklären, daß in der Malerei Künstler wie Kanoldt, Schrimpf mit Grosz und Dix zusammengefaßt wurden, die sich derart voneinander unterscheiden, daß das Trennende hier das Gemein- same aufwiegt. Auffällig an diesen meist binären Begriffskonstruktionen ist die Synthe- se einer inneren Spannung, die dem Terminus Neue Sachlichkeit fehlt. Dennoch hat sich die Bezeichnung Gustav Friedrich Hartlaubs durchgesetzt, der unter diesem Titel 1925 in Mannheim eine Ausstellung nachexpressionistischer Kunst zeigte. Auch Hart- laub negiert die Gegensätze der Epoche nicht, sondern unterscheidet innerhalb der Neu- en Sachlichkeit zwischen einem linken und rechten Flügel: Der eine konservativ bis zum Klassizismus, im Zeitlosen Wurzel fassend, will nach so viel Verstiegenheit und Chaos das Gesunde, Körperlich- Plastische in reiner Zeichnung nach der Natur, vielleicht noch mit Übertrei- bung des Erdhaften, Rundgewachsenen wieder heiligen. Michelangelo, Ingres, Genelli, selbst die Nazarener sollen Kronzeugen sein. Der andere linke Flügel, grell, zeitgenössisch, weit weniger kunstgläubig, eher aus Ver- neinung der Kunst geboren, sucht mit primitiver Feststellungs-, nervöser Selbstentblösungssucht Aufdeckung des Chaos, wahres Gesicht unserer Zeit.86 Sowohl in der Literatur als auch in der Malerei wird dieser neue Realismus als Reaktion auf den Expressionismus und nicht in Abhängigkeit eines Naturalismus in der Nachfol-

82 „Mit dem Schlagwort ‚Neue Sachlichkeit‘, unter dem seit einiger Zeit die Kunst des Nachexpressio- nismus verstanden wird, kann vorerst nur eine vorhandene oder angenommene Verwandtschaft der Gesinnung bezeichnet werden und nicht mehr.“ Alfred Neumeyer, Zur Raumpsychologie der „Neu- en Sachlichkeit“, in: Zeitschrift für bildende Kunst 61, 1927/28, S. 66/67. 83 Die Stilbezeichnung der Neuen Sachlichkeit ist eng mit Gustav Friedrich Hartlaub, dem Direktor der Mannheimer Kunsthalle, verbunden, der unter diesem Titel 1925 eine Ausstellung nachexpressio- nistischer Malerei zeigte. Sergiusz Michalski, Neue Sachlichkeit. Malerei, Graphik und Photogra- phie in Deutschland 1919-1933, Köln 1994, S. 18/19. „Man sollte die ‚Neue Sachlichkeit‘ deshalb als eine typische Ausprägung der Weimarer Kultur, als eine der spezifischen Bewußtseinsformen festhalten, nicht jedoch sie zur Epochensignatur schlechthin machen.“ Theo Buck, Zur Literatur der Weimarer Republik, in: Tendenzen der deutschen Literatur zwischen 1918 und 1945. Weimarer Re- publik. Drittes Reich. Exil, hrsg. von Ders., Dietrich Steinbach, Stuttgart 1985, S. 21. 84 Franz Roh, Nach-Expressionismus. Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Male- rei, Leipzig 1925. 85 Michael Scheffel (1993), S. 51. 86 Gustav Friedrich Hartlaub, in: Das Kunstblatt 6, 1922, S. 390. 17 ge eines Zola oder Hauptmann gesehen.87 Die Darstellung des Stofflichen und die ob- jektive Wiedergabe des Faktischen88 des neuen Zeitstils werden ausdrücklich als Abset- zung zum Expressionismus wahrgenommen. In der Malerei führt die Rückkehr zur Ge- genständlichkeit, sieht man von den veristischen Gesellschaftsbildern eines Georg Scholz oder Otto Dix ab, zu einer Wiederbelebung des Stillebens89 und des Land- schaftsbildes. Wie Sabina Becker dokumentiert, galt die Neue Sachlichkeit innerhalb der Literatur als objektive Darstellungsform, deren nüchterner Stil auch durch die Des- illusionierung infolge des Ersten Weltkrieges bedingt war.90 Eingelöst werden die poe- tologischen Forderungen nach einer antiidealistischen Materialästhetik, die einen indi- vidualistischen Psychologismus ausschließt91 insbesondere im Berichtstil, der sich je- doch nicht auf die reine Faktizität beschränkt.92 ironisiert diesen neuen

87 Edwin Redslob, der Direktor der staatlichen Kunstsammlung Württembergs und bis 1933 Reichs- kunstwart war, schreibt so in der Umfrage: „Der Naturalismus des 19. Jahrhunderts war Abbild. Er war nicht Darstellung des Objekts, sondern Darstellung einer Beobachtung. So unpersönlich er sich geben mochte: seinem inneren Wesen nach war er durchaus subjektiv. Der Naturalismus aber, der auf der Grundlage der künstlerischen Entwicklung des letzten halben Menschenalters entstand, ist nicht Abbild, sondern Schöpfung. Der Künstler unserer Zeit will nicht, daß es ein Ding so oftmal gibt, als Menschen es ansehen: er glaubt die eine allumfassende Welt, er will zu ihr nicht um eines Einzelnen, sondern um Aller willen – daher auch seine Symbolik, sein Wille zur Form, seine innere Frömmigkeit, daher aber auch die neue Ehrfurcht vor der Wirklichkeit.“ Edwin Redslob, in: Das Kunstblatt 6, 1922, S. 375. 88 „Summarisch ließe sich etwa feststellen, daß die neusachliche Literatur vom Interesse am Stofflichen geprägt ist: Zeitlichkeit und Faktizität beherrschen Inhalt und Form, Sachverstand und handwerkli- ches Können sind ihre Voraussetzungen, Nützlichkeit und Erkenntnisvermittlung ihr Ziel.“ Klaus Petersen, „Neue Sachlichkeit“: Stilbegriff, Epochenbezeichnung oder Gruppenphänomen, in: Deut- sche Vierteljahresschrift 56, 1982, S. 469. Vgl. „Der Zug zum Authentischen war bei Konservativen wie Fortschrittlichen allgemein. Das empirisch gesammelte Wissen erschien als das Verläßlichste, da es auf subjektive Deutung nicht angewiesen war und dem neuerwachten Wirklichkeitskult und Wirklichkeitsbezug entgegenkam.“ Hans Dieter Schäfer, Naturdichtung und Neue Sachlichkeit, in: Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik, hrsg. von Wolfgang Rothe, Stuttgart 1974, S. 359. 89 Klaus Schröder, Neue Sachlichkeit. Österreich 1918-1938, Wien 1995, S. 47; Kristina Heide, Form und Ikonographie des Stillebens in der Neuen Sachlichkeit, Weimar 1998, S. 10. 90 Sabina Becker (2000), S. 146. Becker entwickelt auf einer breitangelegten Basis theoretischer und poetologischer Texte von Autoren und Kritikern der Neuen Sachlichkeit eine klare Begrifflichkeit für die Beschreibung dieser Stilrichtung und schafft damit eine Grundlage für das Verständnis neu- sachlicher Literatur, womit sie die Defizite von Helmuth Lethens Forschungen beseitigt. Daß sie selbst aber ihre Thesen nicht an der Literatur überprüft, ist ein Mangel der Arbeit. Zwar vermeidet sie so den Zirkelschluß: Texte als neusachliche Literatur zu bezeichnen, die man interpretierend erst dazu erklärt, so umgeht sie aber auch die zwangsläufigen Widersprüche, die mit der Konfrontation von Theorie und Literatur aufkommen. 91 „Die neusachliche Ästhetik ist in vielen ihrer Aspekte auf einen konsequenten Antiindividualismus hin angelegt: Sowohl die Präferenz für den Reportage- und Berichtsstil als auch die Maxime der Funk- tionalisierung von Literatur sind ihrer Tendenz nach antiindividualistisch.“ Ebd., S. 250. 92 „Man nützt den Dokumentarismus als ein ästhetisches Mittel zur Objektivierung eines subjektiven Stils und zur Entfiktionalisierung literarischen Schreibens; zu keinem Zeitpunkt plädiert man indes für eine Literatur, die auf jegliche fabulierende Elemente und subjektive Momente zugunsten der Zu- sammenstellung von Dokumentarmaterial verzichtet; […] .“ Ebd., S. 204/05. 18 Dichtertypus als „Mischung von einem Piloten, einem Marxisten und einem Reporter“.93 Tatsächlich ist hier die Literatur nicht so weit von der Malerei entfernt, die Becker aus methodischen Gründen zwar ausklammert, deren Einfluß sie jedoch nicht übersieht.94 Sowohl die Bilder Dix‘ und Grosz‘ als auch die Romane von Erich Kästner und und die frühen Dramen Bertolt Brechts95 werden zum Signum der modernen In- dustriegesellschaft. Sachlichkeit charakterisiert, wie darlegt, die „geistige Situation der Zeit“: Die innere Haltung in dieser technischen Welt hat man Sachlichkeit ge- nannt. Man will nicht Redensarten, sondern Wissen, nicht Gefühle, sondern Objektivität, kein Geheimnis wirkender Mächte, sondern klare Feststellung des Faktischen. In der Mitteilung verlangt man den Ausdruck knapp, plas- tisch, ohne Sentiment. Aneinandergereihte gute Bemerkungen, die wie Stoff einer vergangenen Bildung wirken, gelten nicht. Man verwirft Umständ- lichkeit der Worte und fordert Konstruktion des Gedankens, will nicht Ge- rede, sondern Schlichtheit. Alles, was ist, rückt in die Nähe der Beherrsch- barkeit und richtigen Einrichtung. Die Selbstverständlichkeit des Techni- schen macht die Gewandheit im Umgang mit allen Dingen: die Leichtigkeit der Mitteilung normalisiert das Wissen. Hygiene und Komfort schematisie- ren das körperliche und erotische Dasein. Im Verhalten des Alltags drängt sich das Regelhafte vor. Der Anspruch, etwas zu tun, wie es alle machen, nicht aufzufallen, bringt einen alles aufsaugenden Typismus zur Herrschaft, der auf neuer Ebene dem der primitivsten Zeiten vergleichbar ist.96 Auch Béla Balázs erkennt in der Neuen Sachlichkeit die Konsolidierung des bestehen- den Gesellschaftssystems, das er, und hier stimmte der Marxist mit dem Lebensphiloso- phen Georg Simmel97 überein, durch kapitalistische Sachbeziehungen beherrscht sieht, die nach und nach alle persönlichen Bindungen ersetzen würden.98 Der Stil wird für den ungarischen Intellektuellen gleichbedeutend mit einer fehlgeleiteten Moderne: einem Amerikanismus, der durch eine Mechanisierung und Rationalisierung charakterisiert

93 Joseph Roth, Lob der Dummheit, in: Ders., Werke, Band 3, Das journalistische Werk 1929-39, hrsg. und mit einem Nachwort von Klaus Westermann, Köln 1991, S. 96. 94 „Berücksichtigt man alle diese Faktoren, so darf weniger von einer Übernahme ästhetischer Prämissen, Stiltendenzen und Begrifflichkeiten aus der bildenden Kunst in die Literatur als von einem wechsel- seitigen Austausch zwischen den Künsten gesprochen werden, zumindest für die Anfangsjahre der Weimarer Republik.“ Sabina Becker (2000), S. 44. 95 Brecht selbst äußert sich kritisch zur Neuen Sachlichkeit. , Neue Sachlichkeit, in: Ders., Werke, Band 21, Schriften 1, hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller, Berlin 1992, S. 355. 96 Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin 1979, S. 43. 97 Georg Simmel, Die Großstädte und das Geistesleben, in: Ders., Brücke und Tür. Essays des Philoso- phen zur Geschichte, Religion, Kunst und Gesellschaft, hrsg. von Michael Landmann, Stuttgart 1957, S. 232. 98 „Denn es mag eine grausame historische Tatsache sein, daß die großkapitalistischen Rationalisierung des Lebensbetriebes aus den meisten Menschen Maschinentiere gemacht hat, die, selber zur Sache geworden, nur noch Sachen wahrzunehmen imstande sind und mit keiner menschlichen Nachdenk- lichkeit, mit keinem menschlichen Gefühl mehr auf die Dinge der Wirklichkeit reagieren.“ Béla Balázs, Sachlichkeit und Sozialismus, in: Die Weltbühne 24, 18.12.1928, S. 916. 19 ist.99 Balázs übersieht hierbei, daß auch die neusachliche Darstellung die persönliche Sicht des Künstlers reflektiert. Die gezeigte Realität ist immer Interpretation und häufig läßt eine leicht verzerrte Perspektive oder die unnatürlich wirkende Atmosphäre das Wiedergegebene fragwürdig werden. Zeitgenossen haben diese Mehrdeutigkeit der Wirklichkeit in den Werken der nachexpressionistischen Kunst als „magisch“ zu um- schreiben versucht.

1.1.3. Die Magie der Wirklichkeit Die Rückbesinnung auf den Gegenstand in der Kunst der zwanziger und dreißiger Jahre ist ebenfalls im Hinblick auf die Auflösung der Form im Expressionismus geschehen, eine Entwicklung, die auch als Demokratisierung der Kunst100 verstanden wurde. Der schweizerische Schriftsteller und Philosoph Max Picard fordert in der Umfrage West- heims, das Objekt wieder in seiner Ganzheit darzustellen. Darauf kommt es an: Das Objekt wieder in seiner Totalität zu sehen. [_ ] Weil das Objekt in seiner Totalität gesehen wurde: mit seiner Dämonie, sei- ner magischen Kraft und noch vielem, was ich nicht weiß, was alles aber einmal zum Objekt gehört hat, genau so zum Objekt gehört hat und gehört, wie seine Farbe und Form, - weil dies alles gesehen wurde, wurde es auch so dargestellt, genau so. Das Objekt stelle sich von selber so dar; die Dämo- nie, die magische Kraft des Objektes gaben ihm dieses Aussehen.101 Derart überhöht wird der Gegenstand zum Symbol einer transzendenten Ordnung, in der die Verunsicherung durch die Moderne aufgehoben scheint. Paradoxerweise verbindet sich diese magische Vorstellung des Objekts in der Kunst der Neuen Sachlichkeit mit der Photographie. Kunst und Photographie stehen im ersten

99 „Sie ist das Bild der taylorisierten Welt aus dem Lebensgefühl des Trustkapitals entstanden. Es ist die Ästhetik des laufenden Bandes. Es ist die letzte Etappe jener ‚Verdinglichung‘, die Karl Marx als den größten Fluch des bürgerlichen Kapitalismus bezeichnet hat.“ Ebd., S. 917. 100 „Gemessen an einer ästhetisch-utopischen Programmatik mag man die Neue Sachlichkeit als Zeichen einer resignativen Erschöpfung oder modischen Anpassung an den Zeitgeist bewerten. Zugleich a- ber enthält ihr nüchterner Gestus Möglichkeiten einer demokratischen Gebrauchskunst, die sich mit aufklärerischem Anspruch den Tatsachen stellt. Davon zeugen Autoren wie Egon Erwin Kisch, , Erich Kästner und Hans Fallada oder Maler wie Otto Dix, Georg Scholz und Karl Hub- buch.“ Georg Bollenbeck (1999), S. 227. 101 Max Picard, in: Das Kunstblatt 6, 1922, S. 377. 20 Drittel des 20. Jahrhunderts in einem engen Wechselverhältnis102 und die Forderung nach einem neuen Naturalismus resultiert auch aus den technischen Möglichkeiten die- ses Mediums.103 Die Photographie erfüllt nicht nur die rein naive Freude an der gegen- ständlichen Wirklichkeit, sondern erlaubt auch die Erstarrung der Dinge im Standbild, wie es für viele Werke der Neuen Sachlichkeit charakteristisch ist. Wolfgang Petry spricht 1929 in einem Aufsatz über die Zusammenhänge zwischen neuem Realismus und Photographie104 von einem pathetischen Unterbrechen eines Vorganges105 und sieht die Restituierung des Bildes als Reaktion auf die großstädtische Wahrnehmung, in der sich die einzelnen Eindrücke in einer Art Reizüberflutung verlieren.106 Die Photographie ordnet sich damit dem heutigen Weltbild entscheidend ein. Sie bindet den Menschen dieses Zeitalters, und mit den besonderen technischen Mitteln dieses Zeitalters, auf höchst eigentümliche Weise an die Dinge, die ihm im Wirbel der unaufhörlichen Bewegung zu entschwinden drohten. Sie unterstützt damit eine natürliche, tieferhin metaphysische Kraft des Menschen: das Sehen.107 In der Photographie offenbart sich der ambivalente Charakter der Technik. Ausgerech- net dieses technische Medium nähert sich vermeintlich unvoreingenommen der Wirk- lichkeit, die durch die Modernisierung der Gesellschaft und ihre Technizität bereits ab- handen gekommen schien. In seiner Besprechung von Alfred Renger-Patzschs Photo-

102 Zum Wechselverhältnis von Malerei und Photographie siehe: Andreas Fluck, „Magischer Realismus“ in der Malerei des 20. Jahrhunderts, Frankfurt 1992, S. 169. Vgl. „Körper und Gesicht – wie unter einer hypnotischen Wirkung des Objektivs – sind in Erstarrung gefallen. Das Eigentümliche dieser Erstarrung, d.h. ihrer Unbewegtheit in der Zeit, ist jedoch, daß ein bestimmter Moment in der Zeit zum Gefrieren gebracht wird, wodurch das Zeitmoment gewissermaßen auf Flaschen gezogen er- scheint. Da unserem seelischen Bewußtsein jedoch Ahnungen von absoluter Ruhe im absolut Be- wegten gegeben sind, kann ein solcher Anblick in uns Empfindungen des Grauens auslösen, wo ei- ne obere Bewußtseinsschicht nur mit Lächeln reagiert.“ Alfred Neumeyer (1927/28), S. 69. 103 Ingeborg Güssow, Die neusachliche Photographie, in: Kunst und Technik in den 20er Jahren. Neue Sachlichkeit und Gegenständlicher Konstruktivismus. Ausstellungskatalog, Städtische Galerie im Lenbachhaus München, hrsg. von Helmut Friedel, München 1980, S. 94. 104 Wolfgang Petry, Bindung an die Dinge, in: Das Kunstblatt 13, 1929, S. 246-50. 105 Ebd. S. 246. 106 Über die charakteristische Wahrnehmung in der Großstadt siehe Simmel: „Es gibt vielleicht keine seelische Erscheinung, die so unbedingt der Großstadt vorbehalten wäre, wie die Blasiertheit. Sie ist zunächst die Folge jener rasch wechselnden und in ihren Gegensätzen eng zusammengedrängten Nervenreize, aus denen uns auch die Steigerung der großstädtischen Intellektualität hervorzugehen schien; weshalb denn auch dumme und von vornherein geistig unlebendige Menschen nicht gerade blasiert zu sein pflegen. Wie ein maßloses Genußleben blasiert macht, weil es die Nerven so lange zu ihren stärksten Reaktionen aufregt, bis sie schließlich überhaupt keine Reaktion mehr hergeben – so zwingen ihnen auch harmlosere Eindrücke durch die Raschheit und Gegensätzlichkeit ihres Wechsels so gewaltsame Antworten ab, reißen sie so brutal hin und her, daß sie ihre letzte Kraftre- serve hergeben und, in dem gleichen Milieu verbleibend, keine Zeit haben, eine neue zu sammeln.“ Georg Simmel (1957), S. 232. 107 Wolfgang Petry (1929), S. 246. 21 buch Die Welt ist schön108 sieht Thomas Mann in dieser Isolierung des Objektes einen genuin künstlerischen Akt und stellt eine Beseelung der Technik durch die Kunst fest.109 Das Einzelne, Objektive, aus dem Gewoge der Erscheinungswelt erschaut, isoliert, erhoben, verschärft, bedeutsam gemacht, beseelt, - was hat, möchte ich wissen, die Kunst, der Künstler je anderes getan?110 Renger-Patzschs Industriebilder111 sind trotz ihrer perfekten Erfassung der Oberflächen und Strukturen alles andere als rein sachlich. Durch die radikale Fokussierung von De- tails wirken die Photographien stilisiert, zumal in den Aufnahmen jedes menschliche Leben durch Fabrikanlagen oder Industrieprodukte ersetzt ist. In Bildern wie Schuh- leisten112 von 1926 wird dem Gegenstand durch die maschinelle Reproduktion seine besondere Bedeutung genommen, wie sie etwa ein Kunstgegenstand hat, gleichzeitig wird er aber durch die Vervielfältigung der Form ins Unheimliche gewendet. Die Dinge erscheinen hier als magisch, weil sie über sich selbst hinaus auf etwas Ominöses ver- weisen. Eine ähnliche Magie verleiht Carl Grossberg seinen Maschinenbildern, in denen er mittels konsequenter Isolierung eine Deutung ins Symbolische anstrebt. Neben diesen Photographien hat Grossberg eine Reihe von Bildern geschaffen, die mit diesen korres- pondieren. In seinem 1928 entstandenen Traumbild: Dampfkessel mit Fledermaus do- miniert ein aufgebockter, funktionsloser Dampfkessel den perspektivisch verzerrten Raum. Die beiden Fledermäuse, die nach der Emblematik auf die Nacht und damit auf die Melancholie verweisen, eröffnen eine dämonische Sichtweise auf die Technik.113 Im Traumbild offenbaren sich die Zweifel an Technikgläubigkeit und Fortschritt und lassen die technische Realität als Alptraum erscheinen. Das, was Emil Utitz 1929 als Triumph der Maschine bezeichnet hat114, ist hier ohne den Fortschrittsoptimismus der Futuristen dargestellt und wird als Atmosphäre der Kälte spürbar115, hinter der sich eine unbe-

108 Alfred Renger-Patzsch, Die Welt ist schön. 100 photographische Aufnahmen, hrsg. und eingeleitet von Carl Georg Heise, München 1928. 109 Thomas Mann, „Die Welt ist schön“, in: Ders., Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze 2, Frankfurt 1974, S. 902. 110 Ebd., S. 904. 111 Winderhitzer im Hochofen Herrenwyk, in: Alfred Renger-Patzsch (1928), S. 76. 112 Musterzimmer im Fagus-Werk Benscheidt in Alfeld. Schuhleisten und Stanzmesser-Fabrik, in: Ebd., S. 50. 113 Beate Reese, Melancholie in der Malerei der Neuen Sachlichkeit, Frankfurt 1998, S. 173/74. 114 Emil Utitz, Über die geistigen Grundlagen der jüngsten Kunstbewegung, in: Schriften aus dem Eu- ckenkreis 32, 1929, S. 12. 115 Zum Lebensgefühl der Kälte: Helmut Lethen, Neue Sachlichkeit 1924 – 1932. Studien zur Literatur des „Weissen Sozialismus“, Stuttgart 1970; Ders., Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwi- schen den Kriegen, Frankfurt 1994; Gabriella Hima, Dunkle Archive der Seele in hellen Gebärden des Körpers. Die Anthropologie der neusachlichen Prosa, Frankfurt 1999. 22 stimmte Bedrohung verbirgt. Das spezifisch Magische, so wurde an diesen Beispielen deutlich, besteht in einer Dar- stellungsweise, die zwar realistisch ist, doch das Abgebildete verrätselt und dadurch auf eine weitere Wirklichkeitsebene verweist. Aufgrund dessen erscheint der Begriff der Neuen Sachlichkeit, unter dem diese Kunst auch subsumiert wurde, problematisch, da er einseitig die Faktizität betont. Aus diesem Ungenügen heraus hat bereits 1922 der Kunstkritiker Camill Hoffmann die russischen Volksszenen Werner Spies‘, die von Marc Chagall und dem Primitivismus Henri Rousseaus beeinflußt sind, als „Magie der Realität“116 beschrieben und damit beide Elemente miteinander verbunden. Spies er- reicht diese Wirkung, indem er wie andere nachexpressionistische Künstler auch, nicht zentralperspektivisch malt, sondern Vorder- und Hintergrund wie zum Beispiel in Das Karusell gleich behandelt. Die Drehung des Karussells wird zum Kompositionsprinzip, das die Simultaneität anstelle einer klaren Raum- und Zeitordnung setzt. Vielfach wird dieses magische Wirklichkeitsverständnis als Chiffre für die eigene histo- rische Situation aufgefaßt. Im Vergleich zu Gustav Friedrich Hartlaub hat der Kunsthistoriker Franz Roh die hete- rogenen Elemente der nachexpressionistischen Kunst stärker hervorgehoben, die er mit dem Stilbegriff des Magischen Realismus theoretisch begründet. Zwar ist eine Über- nahme der Rohschen Kategorien für die Literatur methodisch problematisch, worauf Sabina Becker ausdrücklich im Hinblick auf die Neue Sachlichkeit hingewiesen hat117, dennoch kann hier nicht auf eine nähere Darstellung der Konzeption des Magischen Realismus Rohs verzichtet werden. Denn gerade Rohs Arbeit über die nachexpressio- nistische Kunst und deren Rezeption zeigt die enge Verbindung zwischen Malerei und Literatur in der Diskussion um eine neue Ästhetik, weshalb sich im folgenden die Beg- riffsgeschichte des Magischen Realismus anschließen wird.

1.2. Begriffsgeschichte des Magischen Realismus und seine inhaltliche Be- stimmung Auch wenn Franz Roh die Bezeichnung Magischer Realismus in die Forschung einge- führt hat, muß seine Bedeutung als Namensgeber doch relativiert werden. Die Verbin- dung von Realismus und Magie ist ein Zeitphänomen und findet sich bereits in der all- gemeinen Kunstdiskussion Anfang der zwanziger Jahre. Wie Michael Scheffel in seiner

116 Camill Hoffmann, Ein junger Maler. Walter Spies, in: Das Kunstblatt 6, 1922, S. 350. 117 Sabina Becker (2000), S. 15. 23 Dissertation über den Magischen Realismus belegt, ist sie darüber hinaus eine europäi- sche Erscheinung. 1927 prägt Massimo Bontempelli in der ein Jahr davor in Rom ge- gründeten Literaturzeitschrift 900 die Bezeichnung „réalisme magique“ für die kom- mende moderne Literatur118, mit der er bewußt an die Malerei des Quattrocento anknüp- fen wollte.119 Rohs Magischer Realismus ist einerseits im Kontext der zeitgenössischen Diskussion über die nachexpressionistische Kunst entstanden und wurde andererseits von dem Germanisten Fritz Strich beeinflußt.120 Strich, bei dem Lampe in München studiert hat- te121, bezeichnet 1922 in seiner Arbeit über die deutsche Klassik und Romantik Schiller als „magischen Realisten“ und setzt ihn damit von dem „magischen Idealisten“ ab. Vergleicht man nun aber ihr [Goethes und Schillers, A.H.] Werk, so löst sich doch der Gegensatz in eine höhere Einheit auf. Denn dem wollenden Geist sprach ja Schiller nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Möglich- keit zu, das Ideal des zeitlosen Gesetzes zu verwirklichen, zur Realität zu machen, und dieses tat seine Dichtung. Man könnte sie magischen Realis- mus nennen.122 Strich kann sich hierfür auf Novalis selbst berufen, der in seinen Fragmenten das Ge- gensatzpaar des „magischen Idealisten“ und des „magischen Realisten“ aufstellt.123 Strich folgt Novalis Begrifflichkeit und überträgt dessen Nomenklatur auf die Dichtung der Klassik und Romantik. Novalis, der sich selbst in der Weiterentwicklung der Philo- sophie Fichtes als „magischen Idealisten“ bezeichnet hat124, ist für Strich der Vertreter dieser romantischen Dichtungskonzeption, die sich in der Bewegung auf das Unendli- che verwirklicht. Die romantische Dichtung eines Novalis findet keine Begrenzung und Erfüllung, weil sie auf das Ideal ausgerichtet ist, das sich nie vollendet. Der Dichter, der in sich die Schöpferkraft der Natur trägt, verwandelt die Welt fortschreitend in Poesie,

118 Michael Scheffel (1990), S. 16. 119 Ebd., S. 8. 120 Ebd., S. 360. 121 Fritz Strich, der von 1882 bis 1963 lebte, lehrte von 1915 an der Universität München, wo Lampe studierte. Lampe bedankt sich in seiner Dissertation bei seinem ehemaligen Lehrer. Zur Biographie Strichs siehe Deutsche Biographische Enzyklopädie, hrsg. von Walter Killy, Rudolf Vierhaus, Band 9, München 1998, S. 586. 122 Fritz Strich, Deutsche Klassik und Romantik. Oder Vollendung und Unendlichkeit. Ein Vergleich, München 1922, S. 9/10. 123 Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Band 3, Das philosophische Werk 2, hrsg. von Richard Samuel, Darmstadt 1968, S. 385. 124 Ebd., S. 315. 24 so daß die Welt Traum wird und der Traum zur Welt.125 Im Gegensatz zum „magischen Idealismus“ ist der Bezug zum Objekt beim „magischen Realismus“ der Klassik maß- geblich. In Goethes oder Schillers Werk spiegelt sich die Transzendenz in der objekti- ven Gestaltung der Wirklichkeit. Strich sieht innerhalb der klassischen Dichtung das Ideal in der Vorstellung vom schönen Menschen oder in der erhabenen Tat verwirk- licht.126 Während die romantische Dichtung ein offenes Konzept ist, das sich immer nur in Bewegung auf das sich zu vollendende Ideal befindet, versteht Strich die klassische Dichtung eines Goethes und Schillers als relativ geschlossenes System. Anders als in der Romantik bleibt die eigentliche Textebene stabil, zwar verweist sie auf eine symbo- lische Deutung, doch beansprucht auch die mimetisch erzählte Wirklichkeit für sich Realitätsanspruch. Im darauffolgenden Jahr ist der Begriff des Magischen Realismus in einem Aufsatz des Kunsthistorikers Franz Roh über den Maler Karl Haider zu lesen. Da Roh zur gleichen Zeit wie Strich in München lebte, ist es wahrscheinlich, daß dieser Strich und seine Ar- beiten kannte. In dem 1923 in der Kunstzeitschrift Der Cicerone erschienenen Artikel Zur Interpretation Karl Haiders. Eine Bemerkung auch zum Nachexpressionismus127 versucht Roh, exemplarisch an Haider die Kunst zu beschreiben, die in der Folge des Expressionismus entstanden ist. Anders als Strich verbalisiert er mit der Bezeichnung Magischer Realismus jedoch das signifikante Zeitgefühl der Kunst der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Roh verwendet den Terminus äquivalent mit nachexpressionistischer Kunst.128 Während die Bezeichnung Nachexpressionismus die Kontinuität zum Expressionismus betont, die wie Roh vage formuliert in einer Übernahme gewisser „metaphysischer Bezüge“ be- steht, verweist die Wendung des Magischen Realismus auf die ausdrückliche Gegen- ständlichkeit dieser Stilrichtung.129 An Haiders Landschaftsdarstellungen entwickelt Roh die Charakteristiken der neuen Malrichtung. Roh konstatiert für diese nachexpressionistische Kunst, die er als europäi- sche Bewegung sieht, eine Abkehr von der Abstraktion und der offenen Form des Ex- pressionismus. Statt dessen beobachtet er eine Neigung zur Gegenständlichkeit, die sich

125 Fritz Strich, Die zweite Generation der Goethezeit, in: Aufriß der deutschen Literaturgeschichte nach neueren Gesichtspunkten, hrsg. von Hermann August Korff, Walter Linden, Leipzig 1930, S. 157/58. 126 Fritz Strich (1922), S. 95; S. 105. 127 Franz Roh, Zur Interpretation Karl Haiders. Eine Bemerkung auch zum Nachexpressionismus, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler 15, 1923, S. 598-602. 128 Ebd., S. 601. 129 Ebd. 25 im Genre des Stillebens, in Interieurdarstellungen, aber auch im Landschaftsbild aus- drückt. In Haiders Leutstettener Vorfrühlingslandschaft wird das fehlende menschliche Leben durch eine Personifikation der Natur ersetzt. Die Natur wird mit einer Vitalität ausgestattet, die ihr die Technizität der Moderne genommen hatte. Unter weithin hallender Wolkenbahn (tragfähiger und doch atmosphärischer Lichtebene des Himmels) liegt „nächtliches“ Land, vertraut und dennoch wie ein riesiges Getier in fremdem, luftentleertem Raum. Seltsame, igelarti- ge Waldballungen scheinen seitlich und von hinten angekrochen, drohend still und breit gelagert auf den zarten Wiesenflächen. Von vorne rechts greift ähnliches, machtvolles und dabei poröses Kugelsegment entgegen, als weitere Dunkelballung. Zwischen den Massen schwingt und schweigt Wie- senfläche, eben fähig, jene Last zu halten. Kein Mensch und kein Getier regt sich, nur Erde wellt und dehnt sich in die Weite.130 Das spezifisch Magische dieses neuen Realismus besteht für Roh in der Synthese von Gegensätzen. Durch das Fehlen einer Zentralperspektive entsteht in den Bildern ein Raum, in dem sich Vorder- und Hintergrund ineinander verschränken. Die charakteristi- sche Verschmelzung dieser beiden Perspektiven im Magischen Realismus vergleicht Roh mit dem gleichzeitigen Blick durch ein Fernrohr und ein Mikroskop.131 Diese Me- taphorisierung der optischen Geräte steht im Kontext der Wirklichkeitsveränderung durch die Naturwissenschaft und dem allgemeinen Werteverlust in der Moderne. Bereits im Hugo von Hofmannsthals Ein Brief wird der Blick durch das Mikroskop auf die ei- gene vertraute Haut zum Bild für die Entfremdung von der Wirklichkeit.132 Die Kon- zentration auf den mikroskopisch vergrößerten Ausschnitt ist als Verlust der Transzen- denz zu deuten, insofern das Detail nicht mehr in einen größeren Zusammenhang einge- ordnet wird. Auch Alfred Neumeyer sieht in der Verknüpfung von Nah- und Fernsicht eine Störung im Verhältnis zur Wirklichkeit zugrunde liegen.133 Nach Rohs Interpretati- on schafft Haider, indem er das Nahe und das Ferne gleichwertig behandelt, eine magi-

130 Ebd. 131 Ebd. 132 „So wie ich einmal in einem Vergrößerungsglas ein Stück von der Haut meines kleinen Fingers gese- hen hatte, das einem Blachfeld mit Furchen und Höhlen glich, so ging es mir nun mit den Menschen und ihren Handlungen. Es gelang mir nicht mehr, sie mit dem vereinfachenden Blick der Gewohn- heit zu erfassen. Es zerfiel mit alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen.“ Hugo von Hofmannsthal (1991), S. 49. 133 „Wenn heute dem einzelnen Gegenstand, dem ein ähnlicher Drang wie im Zeitalter um 1800 – 1830 sich entgegensehnt, seine Beziehungspunkte im Raume nicht gefunden werden können oder wenn sie bewußt gestört werden, so hat offenbar der Glaube an die Realität dieser gegenständlichen Welt selber eine Erschütterung erfahren. Die paradoxe Situation ist eingetreten, daß die Malerei einem Gegenstandskult sich hingibt, ohne eine Wirklichkeit, ein Bewußtsein von Wirklichkeit zu besit- zen.“ Alfred Neumeyer (1927/28), S. 72. 26 sche Wiederherstellung von Totalität auf der Ebene der Kunst.134 Das Einzelne kann, aus dem Gesamtgefüge isoliert, zum Sinnbild einer höheren Ordnung werden. Vergleicht man nun Rohs Verständnis des Magischen Realismus mit Strichs Deutung der deutschen Klassik, so fällt auf, daß die Verflechtung von Mikro- und Makrokosmos bei Roh keinesfalls harmonisch ist, sondern daß diese eine ominöse Bedrohung aus- strahlt. Roh führt diese irritierende Wirkung auf die Statik und den irrationalen Raumeindruck der Bilder zurück. Haiders Werk bildet für Roh demnach keine heile Idylle ab, vielmehr integriert es die Erfahrungen der Moderne durch die Präsenz des Todes. Roh hat die Neigung zur Idylle, die sich in den archaischen Hirtenlandschaften Carlo Menses135 und Georg Schrimpfs und in den häufig dargestellten Interieurs ausdrückt, als Sehnsucht seiner Zeit nach Geborgenheit und Ordnung gedeutet. Diese „Schwundstufen des Idyllischen“136 rekonstruieren etwas, das längst verloren ist. Mansarden, Hinterhöfe und Dachböden werden so zum Sinnbild einer ambivalent erfahrenen Innerlichkeit, die zwar Schutz bietet, aber auch den Rückzug vor der Gesellschaft und damit die eigene Vereinsamung und Isolation signalisiert. In seiner 1925 erschienenen Arbeit Nachexpressionismus, in der er die Beschreibung der Malerei des Magischen Realismus in Absetzung vom Expressionismus systemati-

134 „Tatsächlich also scheint der Begriff ‚magischer Realismus‘ bei Roh ursprünglich eine Form der rea- listischen Darstellung zu meinen, in der eine besondere Sicht der Welt zum Ausdruck kommt. Von dem in der Rolle eines ‚Zauberers‘ gesehenen Künstler soll hier im Prinzip Gegensätzliches ‚ma- gisch‘ zu einer neuen - ‚Makro- und Mikrokosmos‘ - umfassenden Totalität zusammengebunden sein.“ Michael Scheffel (1990), S. 8. 135 „Indem er seinen Landschaften Fischer, Badende, Liegende, Frauen, die Wasserkrüge tragen, Hirten, die ruhend bei ihren wenigen Ziegen oder Kühen verharren, und Alte, die sich die Zeit mit ‚dolce far niente‘ vertreiben, staffageartig einfügt, beschreibt er das Leben, vor allem das Süditaliens – vielmehr als ein einfaches, anachronistisches, gemächlich sich vollziehendes Dasein und als ein friedvolles, bukolisches Idyll.“ Hans-Jürgen Buderer, Neue Sachlichkeit. Bilder auf der Suche nach der Wirklichkeit. Figurative Malerei der zwanziger Jahre, München 1994, S. 106. 136 Christoph Vögele, Kastenraum und Flucht. Panorama und Kulisse. Zur Raumpsychologie der Neuen Sachlichkeit, in: Neue Sachlichkeit. Magischer Realismus, hrsg. von Jutta Hülsewig-Johnen, Biele- feld 1990, S. 40. 27 siert137, charakterisiert Roh den Raumeindruck als Synthese eines Nach- und Nebenein- anders, die Simultaneität erzeugt.138 Roh zieht in seinem Werk, das den Untertitel „Ma- gischer Realismus“ trägt, unter anderem Altdorfer als Vorbild für die zeitgenössische Verbindung von Abstraktion und Detailrealismus heran. Altdorfer verknüpft in Die Ale- xanderschlacht die Unendlichkeit mit dem Kleinen139, eine Verfahrensweise, die sich Friedo Lampe zum Muster nimmt für seine gleichnamige Erzählung nach dem Gemälde Altdorfers. Auch in dieser späteren Arbeit verwendet Roh die Stilbeschreibung syn- onym mit nachexpressionistischer Kunst und bestimmt „magisch“ als Darstellungsweise durch die das Geheimnis nicht in die Welt eingeht, „sondern sich hinter ihr zurück- hält“.140 Auch 1925 betont er die Erstarrung der Wirklichkeit im Gegensatz zur Dyna- mik des Expressionismus und deutet diese als Kristallisation des Lebens, in der sich dessen eigentliche Gesetzmäßigkeit zeige. Dieses Wunder scheinbarer Dauer innerhalb alles dämonischen Flusses, dies Rätsel alles Ruhenden innerhalb alles Werdens und Wiederfließens will der Nachexpressionismus anstauen und herausheben.141

137 Ebd., S. 101. Im Anhang gibt Roh eine tabellarische Gegenüberstellung von Expressionismus und Nachexpressionismus: Expressionismus Nachexpressionismus Ekstatische Gegenstände Nüchterne Gegenstände Viel religiöse Vorwürfe Sehr wenig religiöse Vorwürfe Objekt unterdrückend Objekt verdeutlichend Rhythmisierend Darstellend Erregend Vertiefend Ausschweifend Eher streng, puristisch Dynamisch Statisch Laut Still Summarisch Durchführend Vordergründig (Nahbild) Vorder- und hintergründig (Nahbild und Fernbild) Nach vorn treibend Auch zurückfliehend Großformig Großformig und vielspältig Monumental Miniaturartig Warm Kühl, bis kalt Dicke Farbsubstanz Dünne Farbschicht Aufrauhend Glättend, vertrieben Wie unbehauenes Gestein Wie blank gemachtes Metall Arbeitsprozeß (Faktur) spüren lassend Arbeitsprozeß austilgend (reine Objektivation) Expressive Deformierung der Objekte harmonische Reinigung der Gegenstände Diagonalreich (in Schrägen), oft spitzwinklig Eher rechtwinklig, dem Rahmen parallel Gegen die Bildränder arbeitend In ihnen festsitzend Urtümlich Kultiviert Ebd., S. 119/20. 138 Ebd., S. 4. 139 Ebd., S. 57. 140 Ebd., o.S. Neumeyer versteht den Rohschen Magiebegriff folgendermaßen: „Wenn von Magie in der Wirkung dieser Bilder - und Magie ist ja notwendig eine wirkende Kraft - geredet werden darf, wenn der Dinglichkeit dieser gemalten Gegenstände eine Haut von Überdinglichkeit sich an- schmiegt, so ist es dieses parodistisch oder religiös gemeinte Erstarrtsein des zeitlich bedingten im Flusse der Zeit.“ Alfred Neumeyer (1927/28), S. 69. 141 Franz Roh (1925), S. 33. 28 An Kanoldts Stilleben mit Krügen und roter Teedose von 1922, das Roh als Beispiel für den Magischen Realismus anführt, lassen sich einige der Eigenschaften dieses Malstils verdeutlichen. Auf einer fast trapezförmigen braunen Tischplatte sind verschiedene Ge- genstände keilförmig angeordnet, die zu dem perspektivisch verzogenen Tisch eine Spannung entstehen lassen.142 Die Wiedergabe der Dinge ist kühl distanzierend. Statisch wirkend und sachlich scharf sind in Kanoldts Bild ein heller Tonkrug mit Henkeln, so- wie zwei Pflanzen, eine weiße Kaffeetasse, eine Pfeffermühle und ein Salzstreuer völlig unverbunden neben einem Pfirsich, einer Flasche mit einer dunklen Flüssigkeit, zwei Vasen und einer leeren offenen Schachtel dargestellt. Die konstruktive Ordnung der Dinge stellt jedoch keinen Sinnzusammenhang her. Trotz der mimetischen Darstellung der Gegenstände entspricht das Werk Kanoldts nicht dem traditionellen Begriff des Re- alismus, sondern veranschaulicht vielmehr auf magische Weise die Innensicht der Din- ge.143 In Verbindung mit dem bedrückend dunkel wirkenden Raum, den starken Schlag- schatten und der polyperspektivischen Darstellung erscheinen die Gegenstände isoliert und bedrohlich. Die fast klinisch kalte Ausstrahlung der Bilder des Magischen Realis- mus wird von Zeitgenossen mit dem Entzug jeglichen atmosphärischen Elements und mit einer hermetischen Abgeschlossenheit beschrieben. Roh gibt diesen charakteristi- schen Eindruck in seinem Aufsatz über Haider mit dem Begriff des luftleeren Raumes wieder144, eine Ansicht, die sich auch in der Literatur findet, etwa in Erich Kästners Fa- bian.145 Der Raum scheint einem Bewußtseinszustand zwischen Wachen und Träumen zu entsprechen. Der Kontrast zwischen einer hyperrealistischen Gegendstandsdarstellung und eines irre- al wirkenden Raumes läßt eine Mehrdeutigkeit entstehen, die Fritz Strich bereits für die Literatur der deutschen Klassik konstatiert hatte, die sich dort aber in einem harmoni- schen Gleichgewicht befand. Abstraktion und mimetische Beschreibung verbinden sich im Magischen Realismus jedoch auf eine irritierende Weise, die die herkömmliche Wirklichkeitsauffassung erschüttert. Die objektivierende Wiedergabe der Dinge läßt sie

142 Klaus Schröder spricht angesichts des Stillebens von einem labilen Bildgefüge. Klaus Schröder (1995), S. 47. 143 Franz Roh (1925), S. 37. Neumeyer interpretiert die magische Sicht der Dinge als Form des Surrealis- mus, als „Konservierung des Zeitmoments“. Alfred Neumeyer (1927/28), S. 69. 144 Franz Roh (1923), S. 601. 145 Fabian träumt von zwei Welten, die voneinander mit einer Glasplatte getrennt sind. Die Traumsequenz in diesem neusachlichen Roman zeigt auch, daß der Übergang zwischen Magischem Realismus und Neuer Sachlichkeit oft fließend ist. Erich Kästner, Fabian. Die Geschichte eines Moralisten, in: Ders., Werke, Romane 1, hrsg. von Beate Pinkerweil, München 1998, S. 125. 29 in ihrer Vereinzelung zu Zeichen einer ominösen Bedrohung werden.146 Anders als im Expressionismus geht die Verunsicherung des Betrachters nicht von einer Deformierung oder Destruktion der Gegenstände aus, sondern durch eine sich einer einheitlichen Per- spektive entziehenden Sachschärfe, die über das Dargestellte hinausweist.147 Die Beun- ruhigung, die sich im Magischen Realismus atmosphärisch ausdrückt, deutet Franz Roh als die existenzielle Bedrohung durch den Tod. Ein feindlicher Haupteinwand pflegt sich gegen die Verhärtung der Zeich- nung, das „penetrante“ Durchführen zu werfen. Dieser Einwand verkennt, daß man die Existenz betonend aus der Leere heraus empfinden kann, die fest durchgeformte Gestalt aus allem vagen Flusse sozusagen als gnädig he- rauskrystallisiert. Hier ist vielleicht die letzte Grenze, das absolute Nichts, der absolute Tod im Hintergrund, aus dem das Etwas so energisch und be- tont herausgewölbt wird.148 Aus Rohs Untersuchung über den Magischen Realismus läßt sich eine Wirklichkeits- darstellung ableiten, deren realistischer Ansatz mit magischen Elementen verbunden ist. Für Roh löst sich dieses Magische in einer gebrochenen Faktizität ein, wie sie sich in den irreal wirkenden Räumen, der überdeutlichen Wiedergabe der Dinge und einer Bil- dersprache des Morbiden ausdrückt. Er selbst verstand den Stil des Magischen Realis- mus, in dem die Sehnsucht nach einer Dokumentation des modernen Lebens im Sinne der Neuen Sachlichkeit durch metaphysische Züge überhöht wurde, als Zeitphänomen. Die Schwierigkeiten, klar Neue Sachlichkeit und Magischen Realismus voneinander zu unterscheiden, ergeben sich nach Horst Denkler aus einer nachträglichen Wiedereinfüh- rung der Metaphysik des Expressionismus, die sich nun mit neusachlichen Tendenzen verbindet.149 Denkler erkennt in dieser Rückkehr zur Magie eine Kapitulation vor den gescheiterten Utopien der Vorkriegsjahre. So gesehen, kann der Magische Realismus als Fluchtbewegung der Künstler vor der sozialen Wirklichkeit der späten zwanziger

146 „Die geforderte Konzentration auf das Detail droht nämlich einerseits seine Bindung an Raum und Zeit zu verwischen und verfälscht es leicht zum unwirklich oder übernatürlich scheinenden Ding; […]“ Horst Denkler, Sache und Stil. Die Theorie der „neuen Sachlichkeit“ und ihre Auswirkungen auf Kunst und Dichtung, in: Wirkendes Wort 18, 1968, S. 171. 147 „Die ‚Sachen‘, die Dinge und Ereignisse der alltäglichen Welt, gewinnen vor dem geschilderten ideo- logischen Hintergrund eine besondere Bedeutung. Daß sie ‚das Wirkliche vorstellen‘ und eigentlich nur ‚Zeichen‘ eines ‚höheren‘ Sinns, nur ein ‚Gleichnis des Ganzen‘ (Raschke) sind, gehört in die- sem Kontext ebenso zum allgemeinen Credo wie die von Franz Roh bei der Beschreibung des Hai- derschen Bildes herausgestellte ‚Verschränkung (...) von Mikro- und Makrokosmos‘.“ Michael Scheffel (1990), S. 79. 148 Franz Roh (1925), S. 30. 149 Horst Denkler, Die Literaturtheorie der zwanziger Jahre: Zum Selbstverständnis des literarischen Nachexpressionismus in Deutschland. Ein Vortrag, in: Monatshefte 59, 1967, S. 314. 30 und frühen dreißiger Jahre verstanden werden150, deren Distanz zur Gesellschaft sich mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft noch verschärft.

1.3. Rezeption Als Deutungsangebot bleibt der Magische Realismus nicht auf die Kunstgeschichte be- schränkt, sondern wurde auch von Autoren und Literaturwissenschaftlern aufgegriffen. In der Literatur der zwanziger und frühen dreißiger Jahre läßt sich die Tendenz feststel- len, daß der Verlust des traditionellen Ordnungsgefüges sich nicht nur in einer rein sachlichen Darstellungsweise auswirkt, in der die Abwesenheit sinnstiftender Elemente gewissermaßen dokumentiert wird, sondern auch in einer Überhöhung ins Transzen- dente.151 Exemplarisch hierfür kann der Kreis um die Zeitschrift Die Kolonne genannt werden, deren Auseinandersetzung um den Magischen Realismus nach ihrem Erlöschen bei der von Victor Otto Stomps herausgegebenen Zeitung Der weiße Rabe fortgesetzt wurde. Neusachliche Elemente, wie die mimetische Darstellung oder der Einbezug der technischen Welt, verschmelzen in den dort veröffentlichten Beiträgen mit der Tradition der Klassik und Romantik zu einer Literatur, die unter dem Einfluß der Lebensphiloso- phie und der Literatur der Jahrhundertwende steht.152 In intensiver Auseinandersetzung mit den Positionen der Neuen Sachlichkeit wie sie der Redakteur der Frankfurter Zei- tung Bernhard Diebold 1932 in der Kolonne formuliert153, verortet der Lyrikpreisträger der Kolonne Günter Eich die neue Naturlyrik jenseits der Gesellschaft. Anders als Die- bold, der eine Aufnahme der Zeittendenzen in die Dichtung fordert, lehnt Eich genau

150 Ebd., S. 315. 151 „Die Untersuchung zahlreicher Gruppenzeitschriften der späten zwanziger Jahre wie ‚Jüngste Dich- tung‘, ‚Forum der Jugend‘, ‚Signal‘, ‚Fischzug‘, ‚Strom‘ und ‚Kolonne‘ zeigt, daß bald das kritisch- analytische Denken zurückgedrängt wurde und die Auseinandersetzung mit dem Industriestaat in grundsätzlich metaphysische Fragestellungen einmündete.“ Hans Dieter Schäfer, Horst Langes Ta- gebücher 1939 – 1945, in: Horst Lange, Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg, mit einem Le- bensbild Horst Langes von Oda Schäfer, hrsg. und kommentiert von Hans Dieter Schäfer, Mainz 1979, S. 295. 152 Vgl. „Sie [die Worte, A.H.] erzeugen, richtig ausgesprochen, im Dichtenden und in dem gleich- gestimmten Leser einen rauschartigen Zustand des Verbundenseins mit dem Urgrund aller Wesen, eingehüllt in einen dumpfen sinnlichen Geruch.“ Martin Raschke, Zu den Gedichten Peter Huchels, in: Die Kolonne. Zeitschrift für Dichtung 1, 1932, S. 4. Diese Textstellen erinnern an Hofmanns- thals frühe Lyrik etwa Weltgeheimnis oder Ballade des äußeren Lebens, in: Hugo von Hofmansthal, Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Gedichte I, hrsg. von Eugene Weber, Frankfurt 1984, S. 42; S. 44. 153 „Nicht mehr die Idylle!, sondern Kulisse zur sausenden Fahrt. Denn selbst das Land hat sich verstäd- tert. Die Bogenlampe ist dem Menschen gegenwärtiger als der ewige Mond, der ihm auf dunkler Straße einst das einzige Licht war.“ Bernhard Diebold, An die jungen Lyriker, in: Die Kolonne. Zeitschrift für Dichtung 1, 1932, o.S. 31 dies ab, da sich ihm die Gegenwart in einer unüberschaubaren Pluralität entzieht.154 Dichtung ist für ihn radikale Besinnung auf das eigene Ich155, das in sich die Entwick- lung der Zeit verinnerlicht hat. Wenn Friedo Lampe in seinem Text Die Krise fordert, daß Literatur nicht zur bloßen Reportage werden dürfe156, bezieht er sich auf Positionen wie sie in Die Kolonne ver- treten wurden, an der die Freunde Lampes Oda Schäfer und Wilhelm Emanuel Süskind mitgearbeitet hatten. Allein der Angst, den Anschluß an eine Wirklichkeit zu verlieren, die aus sich einer gelobten Zukunft zuzustreben scheint, ist das Entstehen einer Sachlichkeit zuzuschreiben, die den Dichter zum Reporter erniedrigte und die Umgebung des proletarischen Menschen als Gefühlszustand des moder- nen Dichters propagiert. [_ ] Wer nur einmal in der Zeitlupe sich entfalten- de Blumen sehen durfte, wird hinfort unterlassen, Wunder und Sachlichkeit deutlich gegeneinander abzugrenzen. So kann auch im Bereich der Dichtung ein Wille zur Sachlichkeit nur dann Berechtigung erlangen, wenn er nicht von Unvermögen, sondern durch die Furcht bedingt wurde, mit allzuviel Worten das Wunderbare zu verdecken. Denn zum Verzicht auf jegliche Metaphysik führt nun, daß die Ordnung des sichtbaren Wunders genug er- scheint.157 Martin Raschkes Bekenntnis zu einer Literatur, die die Trennung zwischen Wunder und Sachlichkeit aufhebt, entspricht Rohs Verständnis des Magischen Realismus, insofern die dargestellte Wirklichkeit durch die Andeutung eines Geheimnisses oder den Bezug auf den Mythos auf eine metaphysische Ebene verweist.158 Die Rückkehr zu Gegen- ständlichkeit und mimetischer Darstellung in Malerei und Dichtung entspricht der reg- ressiven Sehnsucht nach Ordnung infolge der chaotischen Jahre der Weimarer Repu- blik.159

154 „Was ist das Wesentliche einer Zeit? Doch wohl nicht ihre äußeren Erscheinungsformen ‚Flugzeug und Dynamo‘, sondern die Veränderung, die der Mensch durch sie erfährt. Wer von uns aber weiß schon heute, wohin wir uns verändern; wer erkennt schon heute, in welchen Gedanken, in welche Dinge sich unsere Zeit am deutlichsten ausdrückt?“ Günter Eich, Bemerkungen über Lyrik. Eine Antwort an Berhard Diebold, in: Die Kolonne. Zeitschrift für Dichtung 1, 1932, S. 3. 155 Ebd., S. 3. 156 Friedo Lampe (1996), S. 151. 157 Hinweis auf Martin Raschke. Eine Auswahl der Schriften, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Dieter Hoffmann, 1963, S. 10/11. Die Zeitschrift Die Kolonne wurde von Raschke 1929 mitgegründet und existierte bis 1932, wichtige Vertreter der Naturlyrik wie Peter Huchel und Günter Eich arbeiteten an ihr mit. 158 Doris Kirchner (1993), S. 33. 159 „Martin Raschke bezeichnete sich 1940 rückblickend als einen ‚Ordnungssüchtigen‘, den sozialen, geistigen und psychologischen Raum der Republik empfand er 1932 in der ‚Literarischen Welt‘ als ein einziges ‚Trümmerfeld‘. Die einen betonten – idealistischer – in dem ‚Chaos gestürzter Werte‘ die ‚neue Ordnung‘ bzw. den Aufbau, andere bekannten sich zum ‚Kulturpessimismus‘ und propa- gierten einen radikalen Rückzug auf den ‚inneren Weg‘, denn ‚wir sind Einzelne‘ (Ernst Kreuder).“ Hans Dieter Schäfer (1981), S. 294. 32 Sinnbildlich für den antizivilisatorischen Impuls sind die häufig auftretenden Gattungs- elemente der Idylle zu sehen. Die Ambivalenz des Motivs als Glück in der Beschrän- kung, die zur Zeit der Weimarer Republik bereits angelegt war, bildet sich in den drei- ßiger Jahren zu den konträren Verhaltensmustern von gesellschaftlichem Rückzug und Verklärung der deutschen Erde aus, die nun politisch aufgeladen sind. Nicht ohne Grund schätzten viele Nationalsozialisten Künstler des rechten Flügels der Neuen Sachlichkeit160, denn Maler wie Schrimpf oder Kanoldt stellten nicht nur kultur- konservative Werte dar, sie vertraten diese auch. Insbesondere für die Künstler, die sich nicht mit der Republik identifiziert hatten, war das Jahr 1933 kein politischer Einschnitt, vielmehr bedeutete es für manche einen erheblichen Karrieresprung.161 Die neusachliche Literatur wurde von den Nationalsozialisten hingegen als Asphaltliteratur abgelehnt.162 Die Autonomie der Kunst jedoch, wie sie bereits während der zwanziger Jahre formu- liert wurde, entwickelte sich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zu einem von der Politik unbelasteten, rein ästhetischen (Flucht-)Raum163 und zu einer mehrdeutigen, camouflierenden Erzählweise. Die Haltung der „Inneren Emigration“ ist demnach keine originäre Reaktion auf den Nationalsozialismus, sondern die folgerichtige Fortsetzung jener Skepsis, mit der konservative Intellektuelle Phänomenen der modernen Gesell- schaft begegneten164, was den Begriff noch zweifelhafter erscheinen läßt. So ist diese distanzierte Einstellung zum Staat schon in den zwanziger Jahren ausgeprägt, die jedoch

160 Olaf Peters, Neue Sachlichkeit und Nationalsozialismus. Affirmation und Kritik 1931 – 1947, Berlin 1998, S. 48/49. Teilweise wurde dieser konservative Flügel von den Nationalsozialisten akzeptiert. Georg Schrimpf konnte so während des Dritten Reichs ausstellen und verkaufte auch an Rudolf Heß. Von 1933-38 war er Professor an der Staatlichen Kunstschule in Berlin-Schöneberg. Franz Radziwill, der Parteimitglied war, lehrte bis 1938 an der Düsseldorfer Akademie. Auch Carl Gross- bergs Bilder waren anerkannt. Vgl. Irene Guenther, Magic Realism, New Objectivity, and the Arts during the Weimar Republic, in: Magical Realism (1995), S. 54. 161 „Die originellen Züge dieser Richtung stammten aus der italienischen ‚arte metafisica‘ oder aus Nach- bargebieten des Konstruktivismus, der teilweise auf das Gegenständliche angewendet wurde. So- bald diese Grundlagen versanken, ergab sich aber jener banale Realismus, der dann im Dritten Reich florierte.“ Franz Roh, Geschichte der deutschen Kunst von 1900 bis zur Gegenwart, München 1958, S. 113. 162 Sabina Becker (2000), S. 359. Allerdings macht es sich die Autorin zu leicht, wenn sie die von Heinz Kindermann konstatierten „idealistischen“ Züge allein als Inanspruchnahme der Neuen Sachlichkeit durch nationalkonservative bzw. nazistische Kräfte interpretiert. Ebd., S. 344/45. Denn der Nachex- pressionismus umfaßt sowohl die Neue Sachlichkeit als auch den Magischen Realismus und die i- dealistischere Stilrichtung des Magischen Realismus bedeutet keine grundsätzliche Affinität zum Nationalsozialismus, sondern kann ebenso eine Form des mehrdeutigen Schreibens sein. 163 Lindner sieht die „Innere Emigration“ bereits als Verhaltensmuster der bürgerlichen Intellektuellen während der Weimarer Republik angelegt. „Das [Der unbekannte Mensch in der Krise, A.H.] ist nichts anderes als die Position der Inneren Emigration von Anfang an, nur scheinbar ein konkreter, auf den Nationalsozialismus bezogener Begriff, in Wahrheit eine existenzielle Metapher für die Stellung des bürgerlichen Intellektuellen gegenüber Technik und Massengesellschaft.“ Martin Lindner (1994), S. 186. 164 Vgl. Beate Reese (1998), S. 197. 33 durch die konsequente Vereinzelung des Individuums durch die Nationalsozialisten noch forciert wurde. Trotz aller Vagheiten wurde Franz Rohs Terminus Magischer Realismus zu einer Stil- bezeichnung. Roh selbst stand ihm distanziert gegenüber und schrieb im Vorwort zu seiner Untersuchung über den Nachexpressionismus, daß er diesen Untertitel erst nach Beendigung der Arbeit zugefügt habe.165 Bereits 1927 wurde seine Untersuchung auszugsweise in der von Ortega y Gasset he- rausgegebenen Revista de Occidente abgedruckt und daraufhin von den argentinischen Intellektuellen intensiv diskutiert.166 Rohs Studie über den Nachexpressionismus wurde ausdrücklich als Arbeit über eine Darstellungsweise, die Realismus mit Phantastik ver- bindet167, rezipiert. Anders als in Europa bedeutet der „realismo mágico“ in der latein- amerikanischen Literatur eine Form des Realismus, die die Magie als Teil der Wirklich- keit in die Darstellung integriert und wird nicht wie der Magische Realismus als Zeitstil verstanden, der in Abhängigkeit von ästhetischen und sozialen Entwicklungen eine mehrdeutige Erzählweise hervorgebracht hat. Relevant ist diese Auffassung des Begrif- fes für meine Arbeit aufgrund der vielen inhaltlichen Veränderungen gegenüber seiner ursprünglichen Bedeutung und des völlig anderen gesellschaftlichen Bezugssystems nicht.168 In Deutschland hat der Terminus Rohs gegenüber der Hartlaubschen Bezeichnung Neue Sachlichkeit eine untergeordnete Rolle gespielt. Jedoch haben sich insbesondere die Autoren der um 1900 geborenen Generation wie Horst Lange, Ernst Jünger169 und Frie- do Lampe unter Bezugnahme auf die Malerei auf diesen Stil berufen. In der Literatur- kritik der dreißiger und vierziger Jahre ist er ein Begriff, der zwar nicht häufig auftritt, aber doch bekannt ist und etwa auf , Jean Cocteau oder Gilbert Keith Chesterton170 angewandt wurde. Daß der Magische Realismus als Stilbezeichnung noch bis weit in die Zeit des Nationalsozialismus gebräuchlich ist, zeigt das Nachwort Friedo

165 Franz Roh (1925), o. S. In seiner späteren Arbeit über die deutsche Kunst von 1900 bis zur Gegenwart vermeidet er den Begriff Magischen Realismus ganz, verweist jedoch darauf, daß er Hartlaubs Ter- minus nicht anwandte, „um anzudeuten, daß es sich nicht noch einmal um den neutraleren Realis- mus eines Courbet oder Leibl handelte.“ Franz Roh (1958), S. 113. 166 Michael Scheffel (1990), S. 41. 167 Ebd., S. 42. 168 Vgl. Scott Simpkins, Sources of Magic Realism. Supplements to Realism in Contemporary Latin American Literature, in: Magical Realism (1995), S. 145-59. 169 Michael Scheffel (1990), S. 126/27. Zu Jüngers Auffassung des Magischen Realismus siehe Kapitel 4.4. 170 Michael Scheffel (1990), S. 41. 34 Lampes zu den Erzählungen Goethes Der Prokurator und Der ertrunkene Knabe, die er für die Deutsche Reihe des Diederichs Verlag herausgegeben hat.171 „Der ertrunkene Knabe“ ist ein bezeichnendes Stück des letzten Goethe in seinem Zusammen von scharfer Gegenständlichkeit und geheimnisvoller Abstraktheit, in dem seltsam Zeremoniellen seines Vortrags, in der körnigen Gedrungenheit und Kraft der Syntax und des stark hervortretenden einzel- nen Wortes. Hier ist etwas in hoher Vollendung erreicht, was wir heute als „magischen Realismus“ bezeichnen würden. Die Welt in einen Geheimnis- zustand gehoben.172 Paradoxerweise wurde dieser Stilbegriff der zwanziger Jahre nach dem Zweiten Welt- krieg just von Autoren aufgegriffen, die auf einen dezidierten Neuanfang nach dem deutschen Faschismus Wert legten.173 Wolfdieterich Schnurre rühmt sich 1977 in einem Interview, diesen Begriff erstmals geprägt zu haben und begründet das Aufkommen des Magischen Realismus zu diesem Zeitpunkt durch die Verunsicherung der Wirklichkeit in der Nachkriegszeit.174 Gegenüber den zwanziger Jahren hat sich der Begriff in den Nachkriegsjahren zu einer Psychologisierung hin verschoben. Leonard Forster beschreibt den Magischen Realis- mus als Adaption und Deutung der Mythologie, als Ergründung der Traumwelt und als Erfassung und Darstellung der äußeren Welt im Lichte des Unbewußten.175 Ausgerech- net mit dem Erzählstil des Magischen Realismus - dessen Herkunft nicht reflektiert wurde - sollte ein Neuanfang markiert werden, der sich eben dadurch als Kontinuität zu literarischen Tendenzen der zwanziger Jahre charakterisieren läßt.

171 Johann Wolfgang von Goethe, Der Prokurator. Erzählungen, Deutsche Reihe 143, Jena 1944. 172 Friedo Lampe, Nachwort, in: Ebd., S. 63. 173 Michael Scheffel (1990), S. 28/29. 174 Peter Sandmeyer, Schreiben nach 1945. Ein Interview mit Wolfdietrich Schnurre, in: Literaturmagazin 7. Nachkriegsliteratur, Hamburg 1977, S. 196/97. 175 Leonard Forster, Über den „Magischen Realismus“ in der heutigen deutschen Dichtung, in: Neophi- lologus 34, 1949, S. 87. 35 2. Friedo Lampe: ein exemplarischer Lebenslauf im Dritten Reich Friedo Lampes Lebenslauf ist exemplarisch für eine ganze Generation: Im Kaiserreich aufgewachsen, absolvierte er seine Ausbildung in der Weimarer Republik und war als Erwachsener mit der Diktatur der Nationalsozialisten konfrontiert. Wie bei vielen ande- ren konservativen Intellektuellen stand sein Leben unter dem Paradoxon, in einer zu- tiefst politischen Zeit von Grund auf unpolitisch sein zu wollen. Durch seine verschie- denen Tätigkeiten im Kulturbereich geriet Lampe jedoch immer wieder in Berührung mit den nationalsozialistischen Machthabern, was seine Biographie zu einem Stück deutscher Geschichte macht. Da über die konkreten Lebensumstände Lampes nur weni- ges bekannt sein dürfte und sich an seinem Leben die enge Verknüpfung von politischer und persönlicher Geschichte im Dritten Reich veranschaulichen läßt, wird der sich hier anschließende biographisch-historische Teil in einer gewissen Ausführlichkeit behan- delt werden. Daß die Zeit von 1933 bis etwa 1942 seine literarisch produktive Phase war, ist ein Zufall, jedoch ein folgenschwerer, denn die Jahre des Nationalsozialismus bestimmten das Werk.

2.1. 1899-1930: Jugend und Studium Friedo Lampe wurde als zweiter Sohn von Friedrich und Anna Lampe am 4. Dezember 1899 in eine bürgerliche Kultur hineingeboren. 1903 gründete sein Vater in Bremen mit seinem Kompagnon Wilhelm Schierenbeck eine Rückversicherungsgesellschaft, die der Familie einen hohen Lebensstandard bot. Seinem Sohn Moritz Friedrich, genannt Frie- do, sicherte das väterliche Vermögen seine Existenz, so daß er zeit seines Lebens nicht auf eigene Arbeit angewiesen war.176 Friedo Lampe verlebte eine glückliche und behü- tete Kindheit, die Familie bezog am Osterdeich an der Weser ein modernes und großzü- giges Haus und nahm am gesellschaftlichen Leben Bremens teil. Im Alter von fünf Jahren erkrankte er an Knochentuberkulose und wurde infolgedessen über einen Zeit- raum von drei Jahren in einer Klinik auf Norderney behandelt. Als er 1907 nach Bre- men zurückkehrte, war er zwar geheilt, behielt jedoch eine leichte Lähmung des Beines zurück. Bereits in seiner Jugend war Friedo Lampe ein leidenschaftlicher Leser, der nicht nur

176 Vgl. Friedo Lampe 1899 – 1945. Leben und Werk eines bremischen Schriftstellers. Ausstellungskata- log, hrsg. von Elisabeth Emter, Johannes Graf, Bremen 1995, S. 38. 36 den Kanon des Bildungsbürgertums verinnerlicht hatte, sondern schon mit 18 Jahren Hofmannsthal und Kafka wahrnahm.177 Begleitet wurde diese intensive Lektüre von eigenen literarischen Versuchen178, die er vor allem Walter Hegeler vorlas, mit dem ihn eine schwärmerische, homoerotische Freundschaft verband.179 Anders als für viele sei- ner Altersgenossen war der Erste Weltkrieg für Friedo Lampe kein schockartig erlebter Einschnitt. Aufgrund seiner Gehbehinderung wurde er erst 1917 zum Heimdienst einbe- rufen, den er in Bremen in der Küchenverwaltung ableistete. Nach dem Krieg holte er seinen Schulabschluß nach und begann, obwohl sein Vater, der hanseatische Kaufmann, es lieber gesehen hätte, wenn sein Sohn Friedo zusammen mit seinem Bruder Georg in die Versicherungsgesellschaft eingetreten wäre180, Germanistik und Kunstgeschichte zu studieren. Gemeinsam mit Hegeler zog er 1920 nach Heidelberg, wo er bei Friedrich Gundolf Li- teraturgeschichte und bei Ludwig Curtius Kunstgeschichte hörte. In den wenigen Brie- fen, die er an seine Freunde schrieb, berichtete Lampe von seinem Universitätsleben und seinen Lehrern, die zu den bedeutendsten seiner Zeit gehörten.181 Obwohl die großzügige finanzielle Unterstützung seiner Eltern ihm eine unbeschwerte Studentenzeit bescherte, wirken Friedo Lampes Briefe bedrückt. In seinem Studium kam er nicht recht voran und es gelang ihm nicht, einen größeren Freundeskreis zu ge- winnen. Mag es an seiner Schwermut, seiner latenten Homosexualität182 oder an seiner Einsamkeit gelegen haben, im Sommer 1921 befand er sich in einer Krise. An Walter Hegeler, der Heidelberg bereits verlassen hatte, schrieb er im Juni: […] es ist nun eben so, Gundolf mag von dem ewigen Menschen so viel re- den wie er will. Ich liebe Stifter und Mozart und die griechische Plastik, a- ber meine Seele geht doch in dem Rhythmus der Brüder Karamasoff, da mag ich nun sagen, was ich will. Immer auf und ab. [...] Wir können an kei- nen einzigen grossen Menschen glauben wie George, das ist uns versagt, wir haben keine Propheten, keine Religion, kein geschlossenes Rund über uns zu dem wir beten können, immer alles in Zweifel ziehen, nie sich endgültig

177 Eugène Badoux (1986), S. 30. 178 „Ich habe in den letzten Tagen versucht, meinen Roman zu beginnen; alle Versuche misglückten; ich wollte eine Novelle, eine Komödie schreiben, ich brachte nichts zustande.“ Friedo Lampe an Erich Maschke am 25.7.1917, unveröffentl. Brief, DLA. 179 Vgl. Friedo Lampe an Walter Hegeler am 31.7.1918, DLA und Eugène Badoux (1986), S. 43-47. 180 Helga de Pauw (1959/60), S. 9. 181 „Curtius ist glänzend, ich gehe jetzt auch so oft ich kann zu seinem Kolleg, hab Jaspers Kolleg ganz fahren lassen. Curtius Springlebendigkeit und Lebenslust tut mir so gut. In seinem Seminar lernt man viel. Jetzt begreift man erst, was es heisst ein Kunstwerk zu betrachten und zu verstehen.“ Friedo Lampe an Walter Hegeler im Juni 1921, unveröffentl. Brief, DLA. Bei Karl Jaspers hört er in Heidelberg über Nietzsche, in Freiburg studiert er bei . In München besucht er eine Vorlesung über Rembrandt bei Heinrich Wölfflin. 182 Badoux berichtet, daß Lampe sich gegenüber seinem Freund Pfeiffer erst 1931 zu seiner Homosexua- lität bekannte. Eugène Badoux (1986), S. 116. 37 verkörpern, nie ganz in einer Sache drin stehen oder ganz in ihr ausharren können, immer von Lug und Schwindel umgeben sein, nie ein ganz reines Gefühl, eine ganze Wahrheit besitzen, ob das nicht noch lange unser Fluch bleiben wird? […] Es kommt ja gar nicht drauf an, was andere von mir den- ken mögen, oh wenn ich das doch erst mal ganz und gar in meinem Blut wüsste: Du bist da, sieh, dass Du zu deiner Wahrheit kommst.183 Trotz aller Altklugheit ist dieser Brief Lampes ein eindrücklicher Hinweis, wie sehr er seine persönlichen Erfahrungen durch Literatur vermittelt erlebte. Lampe war gewöhnt, sich durch Literatur zu definieren und identifizierte sich völlig mit den lebensfernen Ästheten der Jahrhundertwendeliteratur. Wie Hofmannsthals „Claudio“, Rilkes „Malte“ und von Andrians „Erwin“ führte auch er ein behütetes Leben, das er jedoch als sinnlos empfand.184 Die Krise der Moderne, die auch im Verlust einer einheitlichen Weltsicht und in der Zersplitterung der Wahrheiten bestand, erfuhr Lampe nicht politisch, sondern verinner- licht und ästhetisch. Dieses Wahrnehmungsmuster der Zeitgeschichte wird sich bis in den Zweiten Weltkrieg fortsetzen. Berichte von bürgerkriegsähnlichen Zuständen oder Wirtschaftskrisen wird man auch in den späteren Briefen vergebens suchen. In Mün- chen, wo er sein Studium weiterführte, beschwerte er sich bei Walter Hegeler über sei- nen Freund Johannes Pfeiffer, der ihn mit Nachrichten aus Politik und Wirtschaft der Weimarer Republik konfrontierte.185 Viel lieber ging er in München mit Pfeiffer durch die Pinakothek, die Glyptothek und die Schack-Galerie und begann, die deutsche Lite- ratur systematisch zu lesen.186 Gemäß der Tradition des deutschen Bildungsbürgertums hielt sich Friedo Lampe von der Politik fern. Sein Desinteresse gegenüber Zeitfragen zeigt sich auch darin, daß er trotz aller Aufgeschlossenheit gegenüber der modernen Literatur, die konservative Literatur der Jahrhundertwende der Avantgarde und dem

183 Friedo Lampe an Walter Hegeler am 4.6.1921, unveröffentl. Brief, DLA. 184 Ebd. 185 „Mit Dir zusammen hab ich überhaupt freudiger, ruhiger und stiller gelebt als mit Pfeiffer, er regt mich den ganzen Tag auf, durch seine Grübeleien, seine Betrachtungen über unsere Zeit, über Politik und Wirtschaft. Er liest den ganzen Tag in der Zeitung und kommt dann immer gleich mit den neuesten entsetzlichen Wirtschafts- und Politiknachrichten an, von denen ich so wenig verstehe.“ Friedo Lampe an Walter Hegeler Ende November 1921, Friedo Lampe-Gesellschaft Bremen. 186 Eugène Badoux (1986), S. 104. 38 Expressionismus vorzog.187 Nach einer durch Krankheit bedingten Unterbrechung setzte Lampe sein Studium in Freiburg fort, das er dort mit seiner Doktorarbeit abschloß. Nur mühsam fand er über- haupt ein Thema. Die anfängliche Überlegung über die deutschen Idylliker des 18. Jahrhunderts oder über Heinse188 zu promovieren, gab er zugunsten einer Arbeit über den Anakreontiker Friedrich Goeckingk auf. Das Schreiben ging nur langsam voran. In dieser Zeit mied er Bremen189, um nicht den Vorwürfen seiner Familie ausgesetzt zu sein, machte sich Sorgen um seine Zukunft und sehnte sich doch nach dem „wirklichen Leben“ jenseits der Universität.190 1928 beendete er seine Dissertation191, die für ihn ein Zugeständnis an die Erwartungen seines Vaters bedeutet hatte. Im gleichen Jahr kehrte er aus Mangel an Alternativen nach Bremen zurück und begann, auf die Initiative seines Vaters hin ein Volontariat bei Schünemanns Monatsheften. Obwohl er dort bis zu deren Einstellung 1929 infolge der Weltwirtschaftskrise blieb, trat er mit nur wenigen Arti- keln in Erscheinung.192 Nichtsdestotrotz bezeichnete er seine Arbeit dort rückblickend als „Fronarbeit“.193 Den Bemühungen des Blattes, für das so bekannte Autoren wie Karl Otten, Thomas Mann, Max Dautheney und László Moholy-Nagy schrieben, einen grös-

187 „Gerade in Beziehung auf all diese Dinge ist mir Hofmannsthals letztes Stück ‚Der Schwierige‘ aus- serordentlich wichtig geworden, wie ja überhaupt Hofmannsthals ganzes Schaffen sehr beziehungs- reich für mich gewesen ist und noch immer ist, trotz Gundolf. Ich habe den Weg von ihm zu George eben noch nicht zu Ende durchmachen können, ich fühle Hofmannsthals Worte noch immer sehr stark in mir wirken. Hat denn ein Dichter unserer Tage unsere gefährlichsten Leiden, unsere traurige Wehmut schöner gesagt als er?“ Friedo Lampe an Walter Hegeler im Juni 1921, unveröffentl. Brief, DLA. Lampe berichtet auch von einer Hausarbeit über Hofmannsthals Elektra. Friedo Lampe an A- da Heinemeyer am 6.12.1921, unveröffentl. Brief, DLA. Vgl. „Bei den Expressionisten ist die Welt an sich nichts, für kein Wesen und kein Ding wissen sie das Mass und den Wert, den es im Ganzen hat.“ Friedo Lampe an Walter Hegeler am 18.7.1921, unveröffentl. Brief, DLA. 188 „Das Jagen nach einem Doktorthema hat mich ganz konfus gemacht. Ich habe entsetzlich viele Bücher in der letzten Zeit durchgewälzt, aber der richtige Gegenstand ist noch nicht gefunden. Wenn ich diese Arbeit doch nicht zu machen brauchte. Die ganze Sache kommt mir so albern unnütz vor. Ich habe mir jetzt folgendes Thema überlegt. Die deutsche Idylle im 18. Jahrhundert in ihren Hauptver- tretern: Brockes, Haller, Kleist, Gessner, Maler Müller, Voss, Hölty, Claudius. – Montag will ich noch mal mit Witkop, der einem überhaupt keinen Rat giebt und scheinbar wegen Mangel an Kenntnis und Einfällen auch nicht geben kann – sprechen. Will er das Thema nicht, dann bleibts bei Heinse.“ Friedo Lampe an Walter Hegeler am 13.12.1924, unveröffentl. Brief, DLA. 189 Eugène Badoux (1986), S. 109. 190 Ebd., S. 108. 191 Friedrich Lampe, Goeckingks Lieder zweier Liebender. Phil. Diss., Freiburg 1928. 192 Friedo Lampe, Kriegstagebücher, in: Schünnemanns Monatshefte 2, 1929, S. 270-72; Ders., Selbstdar- stellungen, in: Schünnemanns Monatshefte 2, 1929, S. 272-73; Ders., Erich M. Simon. Der Maler der guten alten Zeit, in: Schünnemanns Monatshefte 3, 1929, S. 288-97; Ders., Ausländische Roma- ne, in: Schünnemanns Monatshefte 4, 1929, S. 346/47. 193 Friedo Lampe an Walter Hegeler am 14.12.1929, unveröffentl. Brief, DLA. 39 seren Leserkreis zu erreichen, stand Lampe distanziert gegenüber.194 In dieser Periode knüpfte er Freundschaften mit Alma Rogge und Waldemar Augustiny195, die ebenfalls dort arbeiteten. In Bremen verfaßte Lampe seinen ersten literarischen Text Am dunklen Fluß Mitte 1931, der das problematische Verhältnis zweier Brüder thematisiert. Die Erzählung, die Lampe selbst nicht veröffentlichte, vielleicht weil er sie für zu autobio- graphisch hielt, wurde erst nach seinem Tod publiziert.196

2.2. 1930-1945: Ausbildung und Berufsleben

2.2.1. Friedo Lampe als Volksbibliothekar in Stettin Mit 30 Jahren hat sich Friedo Lampe bei Erwin Ackerknecht um ein Volontariat an der Stettiner Stadtbücherei beworben. Ackerknecht gehörte neben Walter Hofmann zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Volksbüchereibewegung. 1880 in Baiersbronn ge- boren, besuchte Ackerknecht das Seminar in Blaubeuren und später das Stift in Tübin- gen. Nach seinem Studium der Philosophie, Geschichte und Theologie, das er 1902 mit seiner Dissertation abschloss, wurde er drei Jahre später Bibliothekar an der Stadtbüche- rei Stettin, zu deren Leiter er bereits 1907 aufstieg.197 Anders als Hofmann, der seit 1913 die Leipziger Bücherhalle führte, sah Ackerknecht die Erneuerung der Kultur in der Bildung des Individuums begründet. An die Ausbildungsstätte angegliedert waren in Stettin das erste kommunale Kino Deutschlands und öffentliche Vortragsreihen, in der unter anderem Lampe Joseph Conrads Lord Jim vorstellte.198 Charakteristisch für das Selbstverständnis der Volksbibliothekare als Bildner einer nati- onalen Kultur199 war die einheitliche Ablehnung der Freihandbücherei, da sie die Bera- tung durch den Bibliothekar einschränkte. Das tendenziell kulturkonservative Biblio- thekswesen verstand sich als Abwehr der modernen Massenkultur im Sinne der Lebens- philosophie. So war Hofmann durch die Jugendbewegung geprägt und Ackerknecht

194 „Diese Unternehmungen, mit denen Schünemann seinen Wirkungskreis über Bremen hinaus erweitern will, sind bis jetzt noch ziemlich langweilig, geistlos, charakter- und niveaulos, aber es kann ja sein, das sie sich noch bessern.“ Friedo Lampe an Walter Hegeler am 27.11.1928, unveröffentl. Brief, DLA. 195 Eugène Badoux (1986), S. 112. 196 Friedo Lampe, Am dunklen Fluß, in: Akzente 16, 1969, S. 170-92. 197 Peter Vodosek, Annäherung an Ackerknecht, in: Der Nachlaß Erwin Ackerknecht. Ein Verzeichnis bearbeitet von Fritz Leopold, Marbach 1995, S. 17. Nach dem Krieg leitete Ackerknecht von 1946- 54 die Schillergesellschaft und gründet 1955 das Literaturarchiv in Marbach. 198 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 14.2.1932, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 108. 199 Engelbrecht Boese, Das öffentliche Bibliothekswesen im Dritten Reich, Bad Honnef 1987, S. 233. 40 bemühte sich, die Philosophie von Ludwig Klages zu verbreiten, mit dem er selbst in regem Austausch stand.200 Die Spaltung des öffentlichen Bibliothekswesens in die Stet- tiner und Leipziger Schule zeigt die Ratlosigkeit völkisch-nationaler Kreise201 gegenüber der Mo- dernisierungskrise, die sich allein auf eine antimoderne Haltung einigen konnten.

2.2.2. Die Machtergreifung und die Gleichschaltung der Volksbüchereien Während die Volksbüchereien durch diese Uneinigkeit, veraltete Bestände und erhebli- che Etatkürzungen vor 1933 nur ein Randgebiet der Kulturpolitik darstellten, änderte sich dies mit der Machtergreifung Hitlers schlagartig. Die Nationalsozialisten begriffen die Bedeutung des Büchereiwesens für ihre propagandistischen Zwecke und verfolgten eine konsequente Eingliederung der Büchereien, die bislang der kommunalen Selbst- verwaltung unterstanden hatten, in den nationalsozialistischen Staat. An der Gleich- schaltung der Volksbüchereien zeigt sich die extreme Personalisierung der nationalsozi- alistischen Politik, die von persönlichen Machtkämpfen, der Profilierung einzelner und der Rivalität miteinander konkurrierender Ämter geprägt war. Sowohl die staatlichen Lenkungsämter: die Abteilung VIII im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und die Reichsschrifttumskammer als auch die parteiamtlichen Instanzen: das Amt Schrifttumspflege unter der Leitung Rosenbergs und die Parteiprüfungsstelle stritten um die Kompetenz im Bereich der Literaturpolitik. Erfaßt wurde das öffentliche Bibliothekswesen in zweifacher Hinsicht. Die staatliche Kontrolle wirkte sich zum einen inhaltlich auf die Buchbestände aus, die einer Sichtung nach nationalsozialistischen Maßstäben unterzogen wurden und zum anderen personell durch den Aufstieg nationalsozialistischer Bibliothekare innerhalb der Ämterhierarchie. Der Umbau des deutschen Volksbüchereiwesens vollzog sich „im Geiste zielbewußter nationalsozialistischer Gesinnung“ und fügte sich verhältnismäßig widerstandslos in

200 In einem Brief an Lampe erwähnt Ackerknecht eine Zusammenarbeit mit Klages. Erwin Ackerknecht an Friedo Lampe am 9.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 201 „Auf der anderen Seite teilte er in erheblichem Umfang die Vorurteile des national gesinnten Bil- dungsbürgertums seiner Generation. Zeitweise stand er Eugen Diederichs, und dem Kreis um ‚Die Tat‘ nahe, die heute zu denjenigen gerechnet werden, die völkische Gedanken insofern verbreiteten, als sie diese in gewissem Sinn ‚respektabel‘ machten. […] Für sie alle spielte, zumindest unter volksbildnerischen Aspekten, keine Rolle, was heute als wegweisend für die Literatur des 20. Jahr- hunderts betrachtet wird. Ausnahmen bestätigten die Regel. Ganz gewiß spielen bei ihm auch die philosophischen Grundlagen seines anti-rationalistischen und anti-aufklärerischen Denkens eine Rolle, über dem Nietzsche und Klages als Leitsterne leuchteten.“ Peter Vodosek (1995), S. 28. 41 den neu entstandenen nationalsozialistischen Staat ein.202 Wie Jan-Pieter Barbian in sei- ner minutiös recherchierten Dissertation über die Literaturpolitik im Dritten Reich nachweisen konnte, ging diese Umorientierung der Volksbibliothekare weitgehend rei- bungslos vonstatten, da sie von diesen selbst übernommen wurde und keineswegs von außen oktroyiert war.203 Bedingt mag diese große Anzahl an Nationalsozialisten unter den Volksbibliothekaren durch den Prestigemangel und die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen während der Weimarer Republik gewesen sein204, als die Volksbib- liotheken unter Etatkürzungen litten und es nicht gelang, diese entscheidend zu moder- nisieren. Die nationalsozialistischen Bibliothekare sahen nun ihre Aufstiegsmöglich- keiten und beteiligten sich aktiv an der Umgestaltung. Die Schaffung einer einheitlichen berufsständischen Organisation und die angestrebte Eingliederung in die Arbeitsfront wurden so auch nicht als Verlust eines Pluralismus, sondern als Stärkung der Bibliothe- kare empfunden. Am Ende des Jahres 1933 wurde der „Verband Deutscher Volksbib- liothekare“, in den alle Bibliothekare eintreten mußten, nicht wie anfangs vorgesehen, in die Arbeitsfront, sondern stattdessen in die im September gegründete Reichsschrift- tumskammer205 eingegliedert. Aufgehoben wurde die Spaltung der Volksbibliothekare durch die Einrichtung der „Deutschen Zentralstelle für volkstümliches Büchereiwesen“ unter dem Vorsitz von Fritz Heiligenstaedt und der Berliner Geschäftsstelle, geleitet von Wolfgang Herrmann, der eng mit der Geschäftsstelle des Verbandes verbunden war. Den nach einem Erlaß vom 12.7.1933 gegründeten „Beratenden Ausschuß für das volkstümliche Büchereiwesen“ führte mit Wilhelm Schuster ein Schüler Ackerknechts an. Schuster kündigte in der von Ackerknecht herausgegebenen Zeitschrift Bücherei und Bildungspflege deren Zusammenlegung mit Hofmanns Hefte für Büchereiwesen zur Die Bücherei. Zeitschrift für deutsche Schrifttumspflege an: Die neue Zeitschrift, die diese Blätter und zugleich die „Hefte für Büche- reiwesen“ unter anderem Namen fortsetzt, tritt in den Dienst des National- sozialismus und seines neuen deutschen Staates. Sie ist damit nicht mehr die Zeitschrift einer Idee, wie sie von Einzelnen gehegt und getragen werden

202 Wilhelm Schuster, Zum Umbau des deutschen Volksbüchereiwesens, in: Bücherei und Bildungspflege 13, 1933, S. 169. 203 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 839. 204 „Den schockartig persönlichen und beruflichen Erfahrungen der Anfangszeit standen Zukunftserwar- tungen eines Berufstandes gegenüber, dessen bislang in einem abgelegenen Winkel des gemeindli- chen Lebens verwiesene Kulturarbeit sich nunmehr dem Zentrum staatlicher Betreuung und Einflußnahme anzunähern versprach.“ Engelbrecht Boese (1987), S. 65. 205 Mit der Gründung der Reichsschrifttumskammer begann die Kulturpolitik der Nationalsozialisten in eine koordiniertere Phase einzutreten. Volker Dahm, Anfänge und Ideologie der Reichskulturkam- mer, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 34, 1986, S. 57. 42 kann. Sie wird Werkzeug des nationalsozialistischen Volkes zu seiner Selbstverwirklichung. Der eine, der sie führt, handelt im Auftrag dieses Volkes und seines Kultur- und Staatswillens. Er ist nicht Schöpfer dieses i- deellen Willens, sondern er tritt in seinen Dienst. Er führt nur solange er den Auftrag hat. Er kann morgen abberufen und an anderer Stelle eingesetzt o- der bei Seite gestellt werden.206 Zu den in diesem Sinne Abberufenen gehörte Erwin Ackerknecht. Als Friedo Lampe bereits in Hamburg unter Schuster an der Öffentlichen Bücherhalle arbeitete, wo er sich auf Anraten Ackerknechts hin 1932 beworben hatte, war dieser den Repressionen der neuen Machthaber ausgesetzt. 1934 deutete er gegenüber Friedo Lampe an, daß alle an ihn gerichteten Briefe von „obrigkeitlicher Seite kontrolliert“ werden207 und verwies ihn noch im Jahr 1936 stattdessen auf das persönliche Gespräch.208 Auch wenn sich Ackerknecht in der Auseinandersetzung mit Johannes Beers program- matischer Forderung nach der Ausrichtung des öffentlichen Bibliothekswesens auf ei- nen starken Staat209 Ende Februar 1933 vorsichtig von dem Nationalsozialismus distan- zierte210, ist seine Einstellung zum Dritten Reich ambivalent geblieben. 1933 beschwerte er sich gegenüber Lampe, hinter die Kulissen verbannt worden zu sein, da er „scheinbar nicht mehr in diese Zeit passe“.211 Ein eindringliches Zeichen der Zeit setzten die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 in den deutschen Universitätsstädten. Dieser nationalsozialistischen Säuberungsaktion vorangegangen waren bereits partielle Sichtungen der Buchbestände durch die örtlichen Polizeibehörden, die durch die „Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“ vom 4.

206 Wilhelm Schuster, Zum Abschied, in: Bücherei und Bildungspflege 13, 1933, S. 330. 207 Erwin Ackerknecht an Friedo Lampe am 9.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 208 „Denn heute ist man ja mehr als je auf den mündlichen Meinungsaustausch angewiesen, wenn man freundschaftliche Beziehungen auf breiter geistiger Grundlage pflegen will.“ Erwin Ackerknecht an Friedo Lampe am 23.4.1936, unveröffentl. Brief, DLA. 209 In Ackerknechts Mitteilungen Bücherei und Bildungspflege verkündet Johannes Beer, der Direktor der Städtischen Volksbüchereien in Frankfurt: „Wir müssen den Staat wollen, der echte Autorität hat, wir müssen als Volksbildner dieses oberste Ziel klar herausstellen, dann haben wir das Bildungs- ziel.“ Johannes Beer, Autorität und Volksbildung, in: Bücherei und Bildungspflege 13, 1933, S. 25. 210 „Die B.u.B. [Bücherei und Bildungspflege, A.H.] hat es nie als ihre Aufgabe angesehen, politisch Stellung zu nehmen, […] vielmehr hat sie alle Kollegen und Kolleginnen, die die Eigengesetzlich- keit der Bildungspflege zu respektieren bereit waren, zu Worte kommen lassen […]. Wenn dabei die nationalsozialistische Problematik bisher wenig erörtert wurde, so lag es daran, daß ihr literari- scher Niederschlag bis vor kurzem wenig umfangreich war. Und es liegt wiederum im Wesen des letzten Entwicklungsabschnittes unseres literarischen und politischen Lebens, daß wir für die Erör- terung dieser Problem- und Literaturgebiete neuerdings mehr Raum zur Verfügung stellen.“ Erwin Ackerknecht, Rede und Antwort, in: Bücherei und Bildungspflege 13, 1933, S. 115. 211 Erwin Ackerknecht an Friedo Lampe am 8.5.1933, unveröffentl. Brief, DLA. Vgl. die Einschätzung Ackerknechts von Boese: „Ackerknecht war durch den Erfolg der gegen ihn gerichteten Kampagne der Versuchung enthoben worden, eine stärker hervorgehobene Rolle im Dritten Reich zu spielen, doch das beruhte nicht auf einer von einem ideologischen Standpunkt aus nachvollziehbaren Ab- grenzung.“ Engelbrecht Boese (1987), S. 62. 43 Februar 1933 eine nahezu unbeschränkte Vollmacht besaßen sowie durch eigens einge- setzte städtische Kommissare wie in Köln und Leipzig oder auch wie in Heidelberg und Duisburg durch Verfügung der Stadtparlamente.212 Diese ersten Übergriffe der National- sozialisten gegen die freie Meinungsäußerung in der Literatur waren nicht zentral orga- nisiert, sondern unterschieden sich von Stadt zu Stadt. Im März wurden so zum Beispiel in der Volksbücherei München - Schwabing marxistisch-sozialistische Schriften und die Literatur der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts wie Schnitzlers Reigen oder Texte von Döblin, Kerr oder Feuchtwanger aussortiert.213 Die jüdische Abstammung eines Autors führte ab 1940 zwangsweise zu einer Indizierung.214 Zentral organisiert wurden diese Zensurmaßnahmen erstmals in der „Aktion wider den undeutschen Geist“ der „Deutschen Studentenschaft“. Im Rahmen der Gründung des „Hauptamtes für Presse und Propaganda“ der „Deutschen Studentenschaft“ wurde für den Zeitraum vom 12. April bis 10. Mai eine großflächig organisierte Gesamtaktion angekündigt, die sich erst am 8. April als öffentliche Verbrennung „jüdisch zersetzen- den“ Schrifttums konkretisierte.215 Da die „Deutsche Studentenschaft“ nicht an der Neuordnung der Bibliotheken beteiligt war, beschränkte sie die Sammlung „undeutschen Schrifttums“ auf private Bestände und Leihbibliotheken, die sie in manchen Fällen gemeinsam mit der örtlichen Polizei- behörde durchsuchte. Angeleitet wurde sie vom „Ausschuß zur Neuordnung der Berli- ner Stadt- und Volksbüchereien“, der sie mit den „Schwarzen Listen“ versorgte. Am 27. April wurde dieser unter anderem von Wolfgang Herrmann erstellte Index auszuson- dernder Literatur an die Einzelstudentenschaften verschickt. Bereits im April hatte der Ausschuß begonnen jene „Schwarze Liste. Schöne Literatur“ zu erstellen, auf der auch Lampe stehen, und die die „Asphaltliteratur“ der Weimarer Republik ausmerzen sollte. Barbian spricht in diesem Zusammenhang von einer „Generalabrechnung mit der deut-

212 Ebd., S. 226. 213 Ebd. 214 Volker Dahm, Die nationalsozialistische Schrifttumspolitik nach dem 10. Mai 1933, in: 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen, hrsg. von Ulrich Walberer, Frankfurt 1983, S. 65. 215 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 129. 44 schen Literatur der Moderne“.216 Durch die öffentliche Bücherverbrennung am 10. Mai wurde die „Schwarze Liste“, die anfangs nur für den Berliner Raum, später dann für Preußen gültig war, in ganz Deutschland verbreitet. Wie sehr das Vorgehen der „Deut- schen Studentenschaft“ durch den Aktionismus einzelner bestimmt wurde217, lassen nicht nur die häufig bibliographisch falschen Angaben der „Schwarzen Liste“ erkennen, sondern auch die Versuche der jeweiligen Ämter, die Kontrolle über die Säuberungen zurückzugewinnen, nicht zuletzt da die Aktion im Ausland Beunruhigung ausgelöst hatte. Wilhelm Schuster, der ab Juni den „Reichsausschuß für die Anfertigung der Schwarzen Listen“ leitete, bemerkte zu diesen: Selbstverständlich sind daneben auch bereits eine ganze Anzahl wichtiger Fragen in Arbeit, die sich mit der inneren Neuordnung befassen. Am be- kanntesten sind davon die „Schwarzen Listen“ für die Reinigungsaktionen geworden. Hierzu ist zu bemerken, daß die ersten Berliner Listen nur eine Vorarbeit ohne amtliche Bestätigung darstellten. Ihr schnelles Erscheinen wird manchen Kollegen in den ersten Monaten nach der Machtübernahme eine wichtige und willkommene Hilfe gewesen sein. Sie werden ersetzt durch seitens der Reichsleitung des Kampfbundes im Auftrage des Propa- gandaministeriums bearbeitete Listen, die demnächst die amtliche Bestäti- gung erhalten dürften.218 Auch dem Reichsausschuß gelang aber nicht die erwünschte einheitliche Indizierung, da er sich wohl in Konkurrenzkämpfen aufgerieben hat. Ab 1936 veröffentlichte die Reichsschrifttumskammer die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, die ständig aktualisiert wurde.219 Bis dahin erstellte die Kammer nur Gutachten.220 Mög- lich war auch weiterhin der informelle Weg über regionale Partei- und Gestapodienst- stellen oder über persönliche Denunziation. Die Buchverbote der Gestapo und des Pro- pagandaministeriums wurden über die Reichsstelle des Erziehungsministeriums an die

216 Ebd., S. 138. Als zersetzend angesehen wurde jene Literatur, die den Marxismus, Sozialismus oder das liberal-demokratische Gesellschaftsmodell der Weimarer Republik verbreitete oder Werte wie Indi- vidualität und eine europäisch-kosmopolitische Orientierung vermittelte, außerdem sexualpädagogi- sche, darwinistische, monistische und psychoanalytische Literatur. Engelbrecht Boese (1987), S. 227. „Diese Bücherverbrennungen bedeuteten selbstverständlich nicht eine Barbarei, nicht ein Zer- stören geistiger Werte, sondern sie waren lediglich der Protest gegen ein völlig materialistisches Zeitalter, dessen geistige Bedürfnisse auf ein Niveau herabgesunken waren, gegen das der schärfste Kampf angesagt werden mußte. Diese Bücherverbrennungen waren symbolisch zu verstehen. Sie bedeuteten: Wir wollen jetzt alles das aus dem Geistesleben ausmerzen, was dem deutschen Geist schädlich ist.“ Fritz Prinzhorn, Die Aufgabe der Bibliotheken im nationalsozialistischen Deutsch- land, Leipzig 1934, S. 6. 217 In der neueren Forschung wird im allgemeinen der nichtstaatliche Charakter der „Aktion wider den undeutschen Geist“ betont. Siehe Jan-Pieter Barbian (1995), S. 139; Engelbrecht Boese (1987), S. 223. 218 Wilhelm Schuster, Zum Umbau des deutschen Büchereiwesens, in: Bücherei und Bildungspflege 13, 1933, S. 170. 219 Engelbrecht Boese (1987), S. 229. 220 Volker Dahm (1983), S. 58. 45 betreffenden Bibliotheken weitergegeben.221 Nach den Bücherverbrennungen boykot- tierte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der sich schnell auf die neuen poli- tischen Verhältnisse eingestellt hatte, die indizierten Schriften.222 Von diesen politischen Geschehnissen scheinbar unbelastet erschien im Juli 1933 der Studienführer der Hamburger Öffentlichen Bücherhalle Vier Jahrhunderte deutschen Bürgertums223, der von Friedo Lampe noch in Stettin erstellt wurde. Um den eigentli- chen Anachronismus dieses Bücherverzeichnis wissend, sieht sich die Verwaltung der Öffentlichen Bücherhalle gezwungen im Vorwort zu vermerken: Das Verzeichnis ist im vorigen Sommer hergestellt. Inzwischen haben sich gewaltige Veränderungen vollzogen und auch das Bürgertum, das Bürgerli- che, ist damit in ein neues Licht gerückt. Man fühlt das Historischwerden dieser Lebensform und -haltung und erkennt die Umrisse einer neuen stän- dischen Gliederung. In solchem Augenblick ist es vielleicht gut, sich auf das Vergangene zu besinnen und die Kräfte zu erkennen, die auch uns geformt haben.224 Lampe bietet in diesen Literaturempfehlungen einen panoramatischen Überblick über die Literatur vom 15. bis zum frühen 20. Jahrhundert, wobei er es auch nicht unterläßt auf den Beitrag „jüdischen Wesens in den Bereich deutscher Kultur“ durch die Familie Mendelssohn hinzuweisen.225 Doch auch in Hamburg brannten die Bücher und niemand konnte übersehen, daß am 15. Mai die Studenten etwa 1.000 Bücher aus Leihbibliotheken und Schulbüchereien ver- nichteten. Am 30. desselben Monats wiederholte sich die Aktion unter der Schirmherr- schaft der Hitlerjugend und dem Bund deutscher Mädchen.226 Friedo Lampe arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Jahr in Hamburg. Ab 1935 war er Leiter der Zweig- stelle Mönckebergstraße und damit für alle Neuanschaffungen in der gleichgeschalteten

221 Engelbrecht Boese (1987), S. 230. 222 Dietrich Aigner, Die Indizierung „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ im Dritten Reich, Frankfurt 1971, S. 946. 223 Friedo Lampe, Vier Jahrhunderte deutschen Bürgertums. Der Wandel bürgerlicher Lebensform von der Reformation bis zum Weltkriege. Studienführer 2. Ein Bücherverzeichnis, Hamburger Öffentli- che Bücherhallen 1933, DLA. 224 Ebd., o.S. 225 Im Vergleich zum nationalsozialistischen Antisemitismus erscheint die Bemerkung zur Familie Men- delssohn-Bartholdy sehr zurückhaltend. „[…] in seinen Enkelkindern, in der glänzend begabten Fanny und ihrem Bruder Felix Mendelsohn-Bartholdy [!], dem Lieblingskomponisten der Bieder- meierzeit und Romantik, kommt es dann zu einer merkwürdigen Mischung fremden Herkommens mit gepflegter deutscher Bürgerlichkeit. Die Salons der Mendelsohn und anderer durch Geist oder Geld ausgezeichneter Berliner Juden bildeten in dem verfeinerten Ton ihrer Geselligkeit die vorge- schobenen Posten, von denen aus das Judentum daran ging, eine widerstrebende Gesellschaft zu e- robern.“ Ebd., S. 13. 226 An dieser zweiten Bücherverbrennung beteiligten sich etwa 2.000 Hitlerjungen und 300 Mädchen aus dem BDM. Matthias Gretzschel, Anne Buhrfeind, Hamburgs Bücherhallen. Eine Jahrhundertge- schichte, Hamburg 1999, S. 63. 46 Bücherhalle mitverantwortlich und nahm somit die Veränderungen im Bibliothekswe- sen sehr genau wahr. Gegenüber dem NS-Funktionär Wolfgang Herrmann äußert Lam- pe Mitte 1933 sein Bedauern, daß die Jüdin Hedda Gwarzc ihre Stelle verlieren sollte.227 Wenn die Bibliothekarin Lilli Volbehr im Rückblick betont, daß das fortschrittliche System der Freihandausleihe wie es in Hamburg praktiziert wurde, die Pflicht der Bib- liothekare lockerte, nationalsozialistische Literatur zu empfehlen228, so ist der Umstand, daß die Menschen keine Blut- und Bodenromane lesen wollten229, nicht unbedingt ein Hinweis auf die liberal gehandhabte Kontrolle. Vielmehr ist dies charakteristisch für den Alltag im Nationalsozialismus, in dem Herrschaft auch durch die Wahrung einer marginalen Privatsphäre gesichert wurde. Insofern Lili Volbehr auf den persönlichen Spielraum bei der Auslegung der Anordnungen hinweist, decken sich ihre Aussagen mit denen von Gertrud Seydelmann, die sich in ihrer Autobiographie an eine gemeinsame Sitzung mit Friedo Lampe erinnert, in der über die Anschaffung Thomas Wolfes Schau heimwärts, Engel verhandelt wurde. Nach Angaben Barbians stand Wolfe bereits 1933 auf den kursierenden Indizierungslisten230, dennoch konnte Rowohlt, zu dem Wolfe bis 1935 einen engen persönlichen Kontakt pflegte231, sein Werk verlegen.232

227 „Unter Vorbehalt, aber sie wird doch wohl nicht bleiben können als Jüdin, trotzdem ihr Vater im Feld war und ihr Bruder gefallen ist. Sehr hart. Tut mir leid.“ Friedo Lampe an Wolfgang Herrmann am 30.12.1933, unveröffentl. Brief, Berlin Bundesarchiv, Abteilung Drittes Reich, ehemals Document Center. Da Lampe im gleichen Brief das Erscheinen seines Romans Am Rande der Nacht im Okto- ber erwähnt, kann diese Datierung, die wahrscheinlich von der Reichsschrifttumskammer vorge- nommen wurde, nicht stimmen. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß Lampe diesen Brief vor Oktober schrieb. 228 Lilli Volbehr, Geschichte der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen, in: Hamburger Öffentliche Bü- cherhallen 1899-1949. Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen, Hamburg 1949, S. 49. Ähnlich auch: Volksbücherei und Nationalsozialismus. Materialien zur Theorie und Politik des öffentlichen Büchereiwesens in Deutschland 1933-45, hrsg. von Friedrich Andrae, Wiesbaden 1970, S. 22. 229 „Beschlagnahme und Vernichtung von vielen Tausenden wertvoller Bücher und die damit verbundene Zerstörung sorgfältig aufgebauter Abteilungen, Einstellen von Schriften mit dem ‚Ideengut‘ der Nationalsozialisten, Ausweisung der jüdischen Leser. Wenn auch die Anordnungen im Großen und Ganzen befolgt werden mußten, so gelang es doch, die Bücherhalle davor zu bewahren, daß sie zum nationalsozialistischen Propagandainstitut wurde. Die Auswahl der Neuanschaffungen erfolgte sorg- fältiger denn je, bewußt wurde die Einstellung von groben Fälschungen und Verzerrungen auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Literatur, von kitschigen propagandistischen Partei-Romanen für Er- wachsene und Kinder vermieden. […] Bei den Lesern der Schönen Literatur war die Reaktion schon sehr bald ablehnend, die Bitte nach einem ‚schönen Roman‘ verband sich in der Regel mit der Ein- schränkung: ‚aber keinen Blut- und Bodenroman.‘ Die beratenden Bibliothekare waren in der gelo- ckerten Freihandausgabe dem Zwang, zu ‚fördernde‘ Werke ausleihen zu müssen, viel weniger stark ausgesetzt als es an der Thekenbücherei der Fall sein mußte. Und sie machten davon Gebrauch.“ Lilli Volbehr (1949), S. 49. 230 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 561. 231 Der Lektor Paul Mayer berichtet von einem Besuch Wolfes in Berlin. Paul Mayer, Ernst Rowohlt. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1968, S. 124. 232 In einem Prospekt des Verlages von 1936 ist Thomas Wolfe, Schau himmelwärts Engel (1932) und Von Zeit und Strom (1936) aufgeführt. Kurt Wolff. Ernst Rowohlt, bearbeitet von Friedrich Pfäfflin, Marbacher Magazin 43, 1987, S. 121. 47 Unvergessen ist mir die Diskussion um Thomas Wolfes Schau heimwärts, Engel. Dr. Lampe war damals noch Lektor. Niemand kannte den jungen a- merikanischen Autor, der […] noch einmal ein Fenster in eine Freiheit auf- riss, die wir nach der Bücherverbrennung und der Provinzialisierung der deutschen Literatur schon nicht mehr kannte. In Deutschland herrschte ein spießbürgerlich braves, Sex und Eros tabusierendes Schreiben. […] Und da kam jemand und bekannte sich zum Rausch, zum Suff, zum Sex, zur Liebe und kannte alle Höhen und Qualen eines aus voller Kraft gelebten Lebens. Da war ein junger Mann, der sich zu animalischer Sinnlichkeit, zu seinem Körper und ebenso zu seinem Intellekt und zu einer hohen Sensibilität be- kannte. Das war große Literatur. Ich war hingerissen und schrieb in diesem Sinne meine Besprechung. Lampe strahlte, und das Kollegium der alten Damen bis auf L.V. meuterte. Sie wollten das Buch ablehnen oder wenn nicht, dann nur im Giftschrank dulden. Aber Lampe setzte sich durch.233 Angesichts der Tatsache, daß die Bücherhalle mit Wilhelm Schuster einen überzeugten Nationalsozialisten zum Direktor hatte, der sich rühmte, schon 1931 die Literatur der „Neuen Rechten“ angeschafft zu haben234, wirken diese Erinnerungen jedoch geschönt. Wilhelm Schuster wurde 1913 mit einer germanistischen Arbeit promoviert und hatte danach die Laufbahn als Bibliothekar eingeschlagen. Seine Ausbildung durchlief er in Stettin bei Erwin Ackerknecht und 1922 wurde er Leiter des „Verbandes deutscher Volksbibliothekare in Polen“. Sechs Jahre später war er Vorsitzender des „Verbandes Deutscher Volksbibliothekare“. Schusters Parteieintritt im April 1933235 ist wohl im Zusammenhang mit seinem Bestreben zu sehen, das Bibliothekswesen

233 Gertrud Seydelmann, Gefährdete Balance. Ein Leben in Hamburg 1936-1945, Hamburg 1996, S. 35/36. 234 „Keine zwei Monate nach der ‚Machtergreifung‘ stellte der seit 1931 amtierende Bücherhallen- Direktor Wilhelm Schuster die von nun an geltenden Grundsätze für die Bücherauswahl vor. Stolz verwies er darauf, daß schon seit 1931 in verstärktem Maße die Literatur der ‚Neuen Rechten‘ ange- schafft worden sei. Noch bevor es überhaupt offizielle Aussonderungslisten gab, wurde auf dersel- ben Leitersitzung schon eine Liste mit Titeln in Kraft gesetzt, die aus dem Bestand entfernt werden sollten.“ Matthias Gretzschel (1999), S. 67. 235 Andreas Kettel, Volksbibliothekare und Nationalsozialismus. Zum Verhalten führender Berufsvertre- ter während der nationalsozialistischen Machtübernahme, Köln 1981, S. 65. 48 Aktiv mitzugestalten236, gegenüber Hofmann hat er sich vom Nationalsozialismus di s- tanziert.237 Auch wenn er mit dem Verbleib der Volksbüchereien im Zuständigkeitsbe- reich des Kulturministeriums einen Teilerfolg erzielte, ließen sich genuin bibliothekari- sche Interessen nicht mit dem Nationalsozialismus verbinden. Denn so Schuster anläß- lich der Jahresversammlung des BDV: Wir sprechen von der deutschen Volksbücherei nicht nur als einem Amt und einer Institution, sondern als einer Bewegung. Als solche wird sie ein Teil der großen Erziehungsbewegung aus nationalsozialistischem Geiste und zum Nationalsozialismus sein, oder sie wird nichts sein.238 Obwohl die propagandistische Wirkung von Rundfunk und Film ungleich höher war als die des Buches, waren die Volksbibliotheken alles andere als ein ideologiefreier Raum.239 Die Kontrolle des Büchereiwesens war viel rigider als gegenüber dem Buch- handel. Wie überall wurde in Hamburg am „Tag der Arbeit“ das Bibliotheksgebäude mit frischem Birkengrün geschmückt und in den Schaukästen Parteiliteratur, Blut- und Bodenromane ausgelegt.240 An diesem nationalsozialistischen Kurs änderte auch der Personalwechsel nichts, der sich nach dem Weggang Schusters an die Berliner Stadt- bibliothek 1934 vollzog. Sein Nachfolger Albert Krebs vollendete die Gleichschaltung der Hamburger Bücherhallen nach den „Grundsätzen und Erfordernissen der national- sozialistischen Weltanschauung“241 und führte so Ende des Jahres 1937 für alle Mitar- beiter der Bücherhallen den „deutschen Gruß“ ein.242 Ungeachtet seiner pronationalsozi- alistischen Haltung hat sich Krebs jedoch für seine jüdischen Mitarbeiterinnen engagiert und diesen so lange wie möglich ihre Arbeit gesichert und ihnen später eine Flucht aus

236 „Wie kaum ein anderer vermochte er es, Gehalt und Anspruch der nationalsozialistischen Ideologie zu adaptieren und, wie noch zu sehen sein wird, propagandistisch nach außen zu vertreten; und doch gleichzeitig auch die unter der Oberfläche liegenden Spannungen und Widersprüche zu nutzen.“ Engelbrecht Boese (1987), S. 63. Vgl. „Was wir zur Hilfe von außen, vor allem von den verant- wortlichen staatlichen Stellen erbitten, ist Verständnis für die Schwierigkeit unserer Aufgabe und Vertrauen in die Redlichkeit unseres Willens. Haben wir dies erlangt, so werden wir auch davor ge- schützt sein, daß uns vorschneller Übereifer von draußen und aus den eigenen Reihen mit billigen Patentlösungen mutwillig zerschlägt, was wir in treuer und mühsamer Arbeit aufgebaut haben, nicht zuletzt das Vertrauen des Volkes.“ Wilhelm Schuster, Erklärung und Aufruf des Verbandes Deut- scher Volksbibliothekare, in: Bücherei und Bildungspflege 13, 1933, S. 98. 237 Engelbrecht Boese (1987), S. 26. 238 Wilhelm Schuster, Bücherei und Nationalsozialismus. Ansprache zur Jahresversammlung des BDV, September 1933, in: Die Bücherei. Zeitschrift für deutsche Schrifttumspflege 1, 1934, S. 3. 239 „[…] entscheidend bleibt vielmehr, daß durch Schusters Wirken – vor allem in der ersten Gleich- schaltungsphase – die Volksbücherei zu dem gemacht wurde, was sie während der gesamten NS- Zeit darstellte – ein Rädchen in der Propaganda-Maschinerie des Nationalsozialismus.“ Andreas Kettel (1981), S. 83. 240 Matthias Gretzschel (1999), S. 68/69. 241 Ebd., S. 72. 242 Ebd., S. 74. 49 Deutschland ermöglicht. Bereits im darauf folgenden Jahr wurden die jüdischen Leser von der Ausleihe ausgeschlossen.243 Bei den ländlichen Bibliotheken mag die Säuberungsaktion244 - Boese ermittelt, daß der Anteil der aus politischen Gründen ausgesonderten Literatur dort nur bei 0,1 Prozent lag245 - gleichbedeutend mit einer Modernisierung der Bestände gewesen sein.246 Für die größeren Bibliotheken wie Hamburg trifft die charakteristische Verbindung des NS- Staates von totalitärer Herrschaft und einem Modernisierungsschub der Gesellschaft nicht zu. Die Hamburger Bücherhallen hatten anders als die Büchereien auf dem Land bereits die moderne Literatur angeschafft und somit sind die Zahlen der verbotenen Bü- cher hier ungleich höher. Abgesehen von den Beständen, die zu Anfang vernichtet oder zur Zentrale der Gestapo gebracht worden sind, wurden mindestens 4.000 Bände aus- sortiert247 und in Lagerräumen versteckt, aus denen man sie nach Kriegsende wieder hervorholte.248

2.2.3. Das Verbot von Am Rande der Nacht Friedo Lampe setzte in Hamburg, so als ob sich die Zeiten nicht geändert hätten, das Leben eines großbürgerlichen Intellektuellen fort.249 Allerdings war er am 1. Mai 1933 zusammen mit seinem Bruder Mitglied der Bremer NSDAP geworden.250 Über die Gründe läßt sich nur spekulieren, da er sich dazu in seinen Briefen nicht äußert und er

243 Ebd. 244 Bei den Säuberungsaktionen wurde so auch Trivial- und Kitschliteratur ausgesondert. Engelbrecht Boese (1987), S. 235/36. 245 Ebd., S. 223. 246 „Der politische Auftrag, der die Bibliotheken zu einer systematischen Durchsicht ihrer Bestände zwang, machte so beides, politische und bibliothekarische Säuberung, zu einem ineinanderfließen- den Vorgang. Von der praktischen Evidenz eines bibliothekstechnischen identischen Aktes ausge- hend, um den es sich bei der Makulatur äußerlich verbrauchter, inhaltlich veralteter und politisch anstößiger Literatur handelte, die auch in den Abschreibungslisten ungeschieden nebeneinander stand, fand ein stetiger Vermischungsprozeß statt, politische und fachliche Bestrebungen verbanden und durchdrangen sich und stärkten sich gegenseitig, allmählich wurden die Säuberungen, was sie am Anfang nicht waren, zu einer Angelegenheit der Bibliothekarinnen und Bibliothekare selbst, und so wurde auch das einschneidend Neue, das sie mit sich brachten, in eine ihre moralische Anstößig- keit einebnende Kontinuität des Fachlichen eingebettet, die den Blick auf die rigorose Grundsätz- lichkeit, mit der die Nationalsozialisten die Freiheit der Literatur in Frage stellten, erschwert.“ Ebd., S. 236. 247 Boese bezieht diese undatierte Meldung auf das Jahr 1944. Ebd., S. 232/33. 248 Gertrud Seydelmann (1996), S. 67. 249 Ebd., S. 30. 250 Lampe hatte die Mitgliedsnummer 3030274. Bundesarchiv Berlin. Abteilung Drittes Reich, ehemals Document Center. Bei seinen Bekannten galt Lampe als unpolitisch. Seine Parteimitgliedschaft war anders als die seines Bruders, vielen Freunden Lampes nicht bekannt. Badoux vermutet in diesem Zusammenhang, daß sie auf Drängen des Vaters und des Bruders geschah und, daß Lampe sie bei seinem Umzug nach Berlin auf sich beruhen ließ. Eugène Badoux (1986), S. 257. 50 sich zu keinem Zeitpunkt als Anhänger der Nationalsozialisten ausweist. Möglicherwei- se befürchtete die Familie, da der Bruder in Bremen die Versicherungsgesellschaft des Vaters weiterführte, finanzielle Nachteile zu erleiden. Der Parteieintritt ist insofern cha- rakteristisch für Friedo Lampes Verhalten unter der Diktatur der Nationalsozialisten, daß er sich oberflächlich an die neuen politischen Verhältnisse anpaßte, soweit wie möglich eine Berührung mit den offiziellen Stellen vermied und sich mehr und mehr in sein Privatleben zurückzog. Daß die Literatur ihm eine Art geistige Heimat bot, läßt sich exemplarisch an seinem Almanach Lebendiges 18. Jahrhundert zeigen, in dem er durch Texte der Anakreontik, des Rokoko und des die Atmosphäre dieser Zeit aufleben läßt251 und sie gleichzeitig mit seiner eigenen vergleicht und auf sie bezieht. […] und die Worte Niebuhrs bei Claudius Tode, in denen er von dem Dichter und der vergangenen Zeit, die er vertreten hat, Abschied nimmt, wir haben sie nicht ohne Absicht an das Ende gesetzt, denn sie sprechen auch noch unser Gefühl in bezug auf dieses 18. Jahrhundert und auf die ganze versunkene Claudius-Welt aus: „Unser Beruf ist ein stürmischer und das Zeitalter der Dichter ist für uns vorüber. Es scheint, als ob die Vorsehung im Deutschen heftigere Leidenschaftlichkeit entwickeln will, und eben dadurch größere Kraft; daraus aber entstehen auch bittere und heftige Gefühle und friedliche sind uns schwerlich mehr beschieden!“ Wenn wir uns den Dich- tern und Schriftstellern dieses Almanaches zuwenden, so ist es für uns eine kurze Einkehr in eine Welt der Klarheit, Stille, der spielenden Heiterkeit, Ruhe und Andacht, die wir mit einer gewissen Wehmut genießen-252

In Hamburg war Friedo Lampe regelmäßig Gast bei dem jüdischen Psychiater Lothar Luft und seiner Frau Marie Renée, in deren Salon sich die Literaten Joachim und Wal- demar Maaß, Wilhelm Emanuel Süskind, Martin Beheim-Schwarzbach, sowie der Ma- ler Virgil Popp und der Musiker Ewald Lengstoff trafen. Die Verbindung hatte sein Freund Wolf Hermann hergestellt.253 Der Bremer Buchhändler Hermann vermittelte ihm auch die Bekanntschaft seines späteren Verlegers und Arbeitgebers Ernst Rowohlt, der ebenfalls aus Bremen stammte. Das Ehepaar Luft verstand sich als geistiger Mittelpunkt dieses Kreises und unterstützte minder bemittelte Künstler auch finanziell. Bereits im

251 „Das Wesen dieses Grundtons in Worte zu fassen, ist schwer: es ist der Ton geistiger Klarheit und Helligkeit, der Ton einer aufgeklärten, vernunftbestimmten Zeit, die aber dann doch auch einer zar- ten spirituellen Empfindsamkeit fähig ist – es ist der klare gläserne Flötenklang Mozartscher und Gluckscher Musik, ein heiter-ernster Klang, in dem Trieb und Geist zur Harmonie gekommen sind, es ist manchmal ein wie aus arkadischen elysischen Gefilden herkommendes paradiesisches Wehen – das ist der reinste, schönste Ton, dessen diese Zeit fähig war.“ Lebendiges 18. Jahrhundert. Ein Almanach für Bücherfreunde, hrsg. von Friedo Lampe, Berlin 1933, S. 70. 252 Ebd., S. 71/72. 253 Helga de Pauw (1959/60), S. 35/36. 51 Sommer 1933 löste sich die Gruppe jedoch aufgrund der politischen Situation auf. Lufts emigrierten 1938 in die USA, wohin ihnen Joachim Maass ein Jahr später folgte.254 So- lange die Gruppe noch bestand, sprach man über Kunst und Literatur und stellte dem Kreis seine Texte vor. Schon in Stettin hatte Lampe mit einem Roman begonnen, den er jetzt in Hamburg auch Joachim Maass vorlas.255 Seinem Freund Pfeiffer kündigt er Am Rande der Nacht an: Es soll ein kleines Buch werden. Eine ziemlich wunderliche Sache. Wenige Stunden, so abends zwischen 8 und 12 in einer Hafenkneipe, ich denke da- bei an das Bremer Viertel, in dem ich meine Jugend verbracht habe. Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hofmannsthalschen Motto: „Viele Geschicke fühle ich neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein.“ Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch.256 Das Personal dieses Romans umfaßt etwa vierzig Personen, um die sich verschiedene Episoden ranken und reicht von abenteuerlustigen Kindern und einsamen alten Männern bis hin zu den Artisten eines Varietés. Eine eigentliche Fabel weist der Roman nicht auf, vielmehr verbinden sich die alltäglich wirkenden Geschichten um den Tod eines alten Mannes, spielende Kinder und den Werdegang einer Prostituierten zu einer dich- ten Atmosphäre, die durch die alles erfüllende Musik und die Stimmung der Nacht zu- sammengehalten wird. Wie Brigitte Weidmann betont, kennzeichnet die Nacht nicht allein eine Tageszeit, sondern auch die Schwellensituation von Alter, Krankheit und Tod.257 Insbesondere das montageartige Verknüpfen der einzelnen Erzählstränge brachte ihm bei den Lektoren des Rowohltverlags hohes Lob ein, die diese Technik an den Ameri- kaner Dos Passos erinnerte.258 Aufgrund des weitgehenden Verzichts auf eine stringent erzählte Handlung sah Paul Mayer jedoch einen kommerziellen Mißerfolg des Romans voraus.259 Dennoch wurde der Roman angenommen und der Verlag meldete sein Er- scheinen im Börsenblatt des deutschen Buchhandels für den Winter 1933. Ein merkwürdiger Roman. Roman? Ein Strömen von Bildern und Szenen, viele Gestalten: Kinder, alte und junge Menschen, Männer und Frauen, Bür-

254 Dieter Sevin, Joachim Maass. Exil ohne Ende, in: Colloquia Germanica. Internationale Zeitschrift für germanische Sprach- und Literaturwissenschaft 14, 1981, S. 6. 255 „Neulich habe ich die Sache auch - und das wird H. interessieren – Willi Maaß vorgelesen. Er war sehr begeistert, sagte, das sei eine ‚hundeschöne Dichtung‘ und will sich später bei Fischer dafür ver- wenden.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 24.6.1932, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 109. 256 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 14.2.1932, in: Ebd., S. 108. 257 Brigitte Weidmann (1978), S. 453. 258 Ernst von Salomon bescheinigt Am Rande der Nacht „literarisch hat das Buch hohen Rang.“ Drei Verlagsgutachten zu Friedo Lampes Roman Am Rande der Nacht, DLA. 259 Ebd. 52 ger, Artisten, Studenten und Seeleute. Es geschehen Dinge, wie der Tag sie bringt, häßliche und rührende, aufregende und leise. Sie geschehen vor dem Hintergrunde und in der Atmosphäre einer schweren Sommernacht in der Hafenstadt einer norddeutschen Großstadt. Ein schwermütiges, schönes Buch, verwandt den unzeitlichen Dichtungen Hofmannsthals, Eduard Key- serlings und Hermann Bangs.260 Mit diesen Worten warb der Verlag noch Ende Oktober für sein neues Buch, im De- zember war Am Rande der Nacht bereits verboten.261 Nach den Angaben Lampes war aus Bremen eine Anzeige erfolgt, die zum Verbot des Romans für Preußen durch die Berliner Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchti- ger Bilder und Schriften führte.262 Lampe bewertete das Vorgehen der Dienststelle, wie sein Freund Pfeiffer auch, als Affront gegen den Verlag.263 Johannes Pfeiffer wandte sich in dieser Situation hilfesuchend an den Schriftsteller Karl Benno von Mechow, von dem er ein befürwortendes Gutachten über den Roman erhoffte. Kurz nach dem Verbot des Romans schreibt er an von Mechow und schildert diesem die Lage Lampes, dessen Roman in der Auslieferungsstelle des Verlages Rowohlt von der Gestapo beschlag- nahmt wurde. Pfeiffer interpretiert diese Maßnahme der Reichsstelle zur Förderung deutschen Schrifttums durch Hans Hagemeyer und Erich Langenbucher als Teil der Kampagne gegen den Rowohlt-Verlag und gleichzeitig als Exempel, das man an einem jungen Autor statuieren wollte, „der zu schreiben gewagt hat, - wie wenn sich in Deutschland seit dem Frühjahr rein gar nichts ereignet hätte“.264 Friedo Lampe geriet damit in die paradoxe Situation, daß er als Volksbibliothekar die Hamburger Bücherhalle von unerwünschten Autoren säubern sollte, zu denen er nun selbst gehörte. Wohl nicht ganz zu Unrecht befürchtete er, seine Stelle in Hamburg zu verlieren. Seinem Freund Pfeiffer teilt er am 10. Dezember 1933 seine Sorgen mit. Hab‘ viel Kummer wegen meines Romans und bin oft ganz bedrückt. In Bremen peinliche Gespräche und Nichtverstehen. Allgemeines Kopfschüt- teln... Sch.[uster, A.H.] peinlich berührt, teilte mir gestern mit, daß man in Berlin beabsichtige (Hagemeier, gemeint ist Hans Hagemeyer, A.H.), den

260 Vorankündigung des Rowohltverlags, in: Börsenblatt des deutschen Buchhandels Nr. 250, 26.10.1933, S. 4924. 261 Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, bearbeitet und hrsg. von der Reichsschrift- tumskammer, Stand Oktober 1935, S. 71. 262 Friedo Lampe an Erwin Ackerknecht am 6.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 263 Ebd. Bestätigt wird dies durch den Bericht Wolfgang Herrmanns: „Aber es ist Ihnen sicherlich be- kannt, dass bei Eröffnung der Buchmesse in Berlin, einer der Redner gerade auf Ihr Buch hingewie- sen hat mit der Erklärung, dass solche Bücher im Dritten Reich nicht geduldet werden können. Die Erklärung des betreffenden Redners – es war Herr Bischoff vom Brunnenverlag – richtet sich aller- dings offenbar weniger gegen den Verfasser als den Verleger des Buches Am Rande der Nacht.“ Wolfgang Herrmann an Friedo Lampe am 13.12.1933, unveröffentl. Brief, Bundesarchiv Berlin, Abteilung Drittes Reich, ehemals Document Center. 264 Johannes Pfeiffer an Karl B. von Mechow am 21.12.1933, zitiert nach Johannes Graf (1999), S. 172. 53 Roman auf die schwarze Liste für Volksbüchereien zu setzen. Vielleicht verliere ich noch meine Stellung. Eine Beschlagnahme scheint auch nicht ganz ausgeschlossen. Was soll ich dann machen?265 Auch wenn Lampe selbst Bedenken wegen anstößiger Stellen266 hatte - im Roman wer- den offen Homosexualität und sado-masochistische Beziehungen thematisiert - kam diese Indizierung für ihn doch überraschend. Obwohl er in den Bücherhallen die natio- nalsozialistische Kulturpolitik kennengelernt hatte, war er sich der Bedeutung dieses politischen Umschwungs nicht bewußt. Gegenüber Ackerknecht beschwerte sich Lam- pe, daß er „rücksichtslos und ahnungslos in einen Topf mit übelster pornographischer Schmutzliteratur“ geworfen werde.267 Verboten wurde der Roman tatsächlich auf der Grundlage des „Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschrif- ten“ wegen seiner deutlichen Darstellung von Sexualität, die auch den Geschlechtsver- kehr einer Deutschen mit einem Schwarzen einschloß. Obzwar die Nationalsozialisten mit diesem Gesetz an die Indizierungspraxis der Wei- marer Republik anknüpften, ist eine Kontinuität hier nur oberflächlich gegeben. Wäh- rend bis zur Machtergreifung von der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften ledig- lich 188 Bücher verboten wurden268, waren bis zum 6. Dezember 1933 1.000 Verbote von insgesamt 21 amtlichen Stellen ausgesprochen worden.269 Die kritische Öffentlich- keit der Weimarer Republik hatte eine rigorose Handhabung der Indizierung verhindert, die auch durch den §66 der Gotteslästerung und den Hochverratsparagraphen 81, 82, 85 und 86 StGB in Verbindung mit §7, Absatz 4 des „Gesetzes zum Schutz der Republik“ möglich war. Ein Verbot unzüchtiger Schriften war auch durch §184 StGB zu erreichen, unter den zum Beispiel der Reigen von fiel.270 Friedo Lampes Roman erschien gerade in der ausgesprochen aggressiven Anfangsphase der nationalsozialisti- schen Kulturpolitik, von der ein Verlag wie Rowohlt besonders betroffen war. Es über- rascht aber doch und kann nur als ein Zeichen für Lampes politische Naivität gedeutet werden, daß sich Lampe hilfesuchend ausgerechnet an den einflußreichen NS- Funktionär Wolfgang Herrmann wandte, den er wohl durch seinen Vorgesetzten Wil- helm Schuster kennengelernt hatte. Bereits vor der geplanten Auslieferung des Romans

265 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 10.12.1933, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 109/10. 266 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 24.6.1933, in: Ebd., S. 109. 267 Friedo Lampe an Erwin Ackerknecht am 6.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 268 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 49. 269 Volker Dahm (1983), S. 57. 270 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 50. 54 bemüht sich Lampe um den freundschaftlichen Schutz Herrmanns.271 Schuster selbst distanzierte sich zu diesem Zeitpunkt von Lampe.272 Lampe ging sogar soweit gegen- über Herrmann, der die „Schwarze Liste. Schöne Literatur“ zusammengestellt hatte, einen biographischen Hintergrund des Romans einzuräumen, womit er seine eigene Homosexualität andeutet. In dem Brief vom 11. Dezember 1933 stellt er seinen Roman als subjektiven Ausdruck seiner Gefühle und Gedanken dar, denen er sich stellen müs- se, um diese vielleicht einmal zu überwinden.273 Im Frühjahr 1934 resümierte er: Ich habe einfach das geschrieben, was ich sah, ohne mich um das Außen und um die Zeit zu kümmern, und so soll es ja auch sein, - aber nun stossen sich manche Menschen an stofflichen Einzelheiten und Krankheiten in dem Buch, weil sie nicht sehen, dass hier eine kleine Welt mit eigenen Gesetzen ist, in der eben alles so sein muss wie es ist und in der jede Einzelheit ihren Sinn, ihre zeichenhafte Bedeutung hat. Dass lässt sich wohl künstlerischen Menschen klar machen, aber nicht solchen Lesern, die nur das grob Stoffli- che sehen und nicht vom Gesamtton hören, vom sinnvollen Zusammenhang fühlen.274 Selbst wenn Herrmann bereit gewesen wäre, sich für Lampe persönlich einzusetzen, war seine Stellung innerhalb der Partei doch so gefährdet, daß er sich dies nicht hätte leisten können. Nach seinem eigenmächtigen Einschreiten bei der „Säuberung“ der Buchbestände war der Skandal bekannt geworden, daß Herrmann, der seit Ende des Jahres 1931 Parteimitglied war, Hitlers Mein Kampf in dem „Auswahlverzeichnis für Volksbüchereien“ von 1933 heftig kritisiert hatte. Nichtsdestotrotz wurde er Abtei- lungsleiter in der „Zentralstelle für das deutsche Bibliothekswesen“ und 1934 Direktor

271 „Er kommt im Oktober in dem von Herrn Hagemeier so hart und ungerecht angegriffenen Rowohlt- Verlag heraus. Die Annahme habe ich E.v.S. [Ernst von Salomon, A.H.] zu verdanken. Kein politi- scher Roman, wie Sie sich denken können, sondern etwas Dichterisches. Ein Buch, das ganz aus meiner inneren Entwicklung herausgewachsen ist und das sicherlich nicht in die neue Zeit passt. Ich bin gespannt, wie es wirkt und hab auch etwas Angst. Sie sollen ein Exemplar haben, und bitte seien Sie etwas freundlich und schützen es, wenn es sein muss.“ Friedo Lampe an Wolfgang Herrmann am 30.12.1933, unveröffentl. Brief, Bundesarchiv Berlin, Abteilung Drittes Reich, ehemals Docu- ment Center. Es handelt sich hier erneut um den falsch datierten Brief. 272 „Schuster dagegen benimmt sich abscheulich. Will auch nicht für mich bürgen beim Reichsverband.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 10.12.1933, unveröffentl. Brief, DLA. 273 „Ich habe den Roman doch wahrlich nicht für Volksbüchereien geschrieben, ich habe ihn überhaupt nicht im Hinblick auf das Aussen geschrieben, sondern allein, weil mich die Bilder, Gestalten und Stimmungen bedrängen. Und bedenkt man denn gar nicht, dass es im Augenblick mutiger ist sich zu dieser Welt zu bekennen als – na ja. Das Wichtigste scheint mir: seine eigene Lebenswirklichkeit so echt und unverfälscht zur Darstellung zu bringen wie möglich. Und das habe ich versucht. Man muß sich dieser eigenen seelischen Wirklichkeit stellen – nur so kann man sie vielleicht überwinden.“ Friedo Lampe an Wolfgang Herrmann am 11.12.1933, unveröffentl. Brief, Bundesarchiv Berlin, Abteilung Drittes Reich, ehemals Document Center. 274 Friedo Lampe an Erwin Ackerknecht am 6.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 55 der Stadtbibliothek Königsberg, nahm aber an der weiteren „Säuberung“ der Volksbib- liotheken nicht mehr teil.275.Im Dezember 1933 antwortet er Lampe: Also, Lampowitsch, wenn Sie nach Berlin kommen, dann ist alles gut und dann denke ich nicht an die scheusslichen grünen Rattenaugen und an die Eiterpickel auf dem Rücken und die übrigen Delikatessen, die Sie beschrei- ben […] und dann besprechen wir gemeinsam den Plan Ihres nächsten Ro- mans, der ein deftiges SA-Buch abgeben wird.276 Trotz Lampes Bemühungen, das Verbot rückgängig zu machen, blieb die Indizierung bestehen und nicht ohne bittere Ironie vermerkte er in einem ihm verbliebenen Exemp- lar die Widmung: Mein Kind, bei der Geburt so gesund und rot, / Aber nach vier Wochen, da war es tot. / Es liebte die Lüfte mild, frei und weich, / Es konnte nicht atmen im Dritten Reich. / Aber wir haben Geduld und wollen mal sehn, / Vielleicht wird es noch einmal auferstehn. Der Beschlagnahmte.277 Um seinen Roman zu verteidigen, verwies Lampe wiederholt auf die „zeichenhaften Bedeutung“ der Textoberfläche278 und rückte Am Rande der Nacht damit in die Nähe des Magischen Realismus. Der Skandal um seinen ersten Roman Am Rande der Nacht verunsicherte Lampe zu- tiefst. Zusätzliche Brisanz erfuhr das Verbot, dadurch, daß Lampe in Hamburg begon- nen hatte, seine Homosexualität offener zu leben. Seine Kollegin Seydelmann berichtet in ihrer Autobiographie, daß Lampe zu dieser Zeit, eine Beziehung mit einem jungen Mann hatte279, bei dem es sich wohl um den jungen Maler Peter Voss handelte, mit dem er auch später in Berlin zusammenwohnte. Freunde erinnerten sich auch an gemeinsame Besuche in St. Pauli und noch 1944 sprach Lampe von seiner Sehnsucht nach der Reep- erbahn.280 Homosexualität konnte auf der Grundlage des §175 StGB strafrechtlich seit 1871 ver- folgt werden.281 Zwar hatte sich Magnus Hirschfeld 1895 für die Zurücknahme dieses

275 Der am 14.3.1904 geborene Wolfgang Herrmann ging nach seinem Studium 1919 an die Volksbiblio- thek Breslau, wo er Büchereipolitik im nationalsozialistischen Sinne durchsetzen wollte. Bereits im Dezember 1931 trat er in die NSDAP ein, schon als Jugendlicher hatte er sich im Deutschvölki- schen Jugendbund engagiert. 1935 ging er nach Königsberg, wo er Direktor der Stadtbibliothek wurde. Zwei Jahre später wurde er aus der Partei ausgeschlossen. 1944 ist er gefallen. Jan-Pieter Barbian (1995), S. 142-44. 276 Wolfgang Herrmann an Friedo Lampe am 13.12.1933, unveröffentl. Brief, Bundesarchiv Berlin, Ab- teilung Drittes Reich, ehemals Document Center. 277 Friedo Lampe an Annelise Hermann zu Weihnachten 1933, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 110. 278 Friedo Lampe an Erwin Ackerknecht am 6.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 279 Gertrud Seydelmann (1996), S. 31. 280 Friedo Lampe an Anneliese Hermann am 1.6.1944, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 119. 281 Günter Grau, Verfolgung, „Umerziehung“ oder „Ausmerzung“ homosexueller Männer 1933 bis 1945. Folgen des rassehygienischen Konzepts der Reproduktionssicherung, in: Homosexualität in der NS- Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung, hrsg. von Ders., Frankfurt 1993, S. 29. 56 Paragraphens engagiert, seine Petition wurde jedoch abgelehnt.282 In den zwanziger Jah- ren liberalisierte sich das Klima vor allem in den Großstädten für die gleichgeschlecht- liche Liebe zunehmend. Mit der Machtergreifung 1933 verschärfte sich die Situation gravierend für Homosexuelle, in denen die Nazis eine Gefahr für das Volkswachstum sahen. Homosexuelle wurden mit Polizei- und Terrormaßnahmen bedroht, die bis hin zur Deportation ins Konzentrationslager reichen konnte283, in denen sie durch einen rosa Winkel gekennzeichnet waren. Auch bei der Verfolgung der Homosexuellen herrschte im Dritten Reich relative Willkür und die Verurteilung nach §175 StGB bedeutete nicht zwangsläufig Lagerhaft284, schaffte aber für alle Homosexuelle eine Situation der stän- digen Gefährdung. Der Schriftsteller Erich Ebermayer, der sich für eine Liberalisierung des §175 StGB eingesetzt hatte und selbst homosexuell war, stand aufgrund dessen un- ter der permanenten Kontrolle von Gestapo und SD.285 Lampe selbst bekam von der Verfolgung der Homosexuellen eine Ahnung, als er 1943 von einem Strichjungen er- presst wurde. Die Affäre blieb jedoch durch das Eingreifen eines erfahrenen Anwaltes ohne weitere Konsequenzen.286

2.2.4. Friedo Lampe beim Rowohltverlag 1937 ging Friedo Lampe nach Berlin, wo Ernst Rowohlt ihm, nach dem durch die Nürnberger Gesetze bedingten Ausscheiden von Franz Hessel und Paul Mayer, eine Stelle als Lektor anbot. Lampe nahm die Chance wahr, die nationalsozialistische Volks- bibliothek hinter sich zu lassen und zog nach Grünheide in die Nähe Ernst Rowohlts, der ihn sehr schätzte.287 Gegenüber seinem Freund Pfeiffer äußert Lampe sich über seine neue Arbeitsstelle: Ich habe noch immer das Gefühl, daß ich mit dieser Änderung das Rechte getan habe, trotz der drohenden Unsicherheit. Denn der Verlag ist wieder einmal sehr gefährdet. Aber wenn er pleite gehen sollte, so habe ich doch wenigstens auf diese Weise eine mir völlig angemessene Wohnung bekom-

282 Richard Plant, Rosa Winkel. Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen, Frankfurt 1991, S. 35/36. 283 Günter Grau (1993), S. 32-34. 284 Ebd., S. 327. 285 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 391/92. 286 Jürgen Dierking, Johann-Günther König (1996), S. 144. 287 „Man kann nicht einfach so einen Lektor ‚engagieren‘, sondern das ist eine ungeheure Vertrauenssa- che und bedarf sehr langer Überlegungen. Ich erinnere nur an das Verhältnis von Paulchen Mayer und Friedo Lampe zu mir oder z.B. an das Verhältnis des alten Fischer zu Moritz Heimann und Os- kar Loerke. Paulchen Mayer und Friedo Lampe kannte ich lange, lange Zeit, bevor ich sie zu mei- nen Lektoren gemacht habe, persönlich auf das Genaueste und nur das ist die Voraussetzung zu ei- ner vernünftigen Zusammenarbeit nach dieser Richtung hin.“ Paul Mayer (1968), S. 154. 57 men, aus der man mich nicht so bald wieder vertreibt. Wunderbar idyllisch, einsam und praktisch...288 Den Nationalsozialisten war der Verlag ein Dorn im Auge. Die Hälfte seiner Autoren, darunter Lampe, waren seit 1933 verboten289, was Rowohlt große Verluste einbrachte, die den Verlag in seinem Bestand bedrohten.290 Gegenüber den Nationalsozialisten ver- folgte Rowohlt die Strategie einer äußerlichen Anpassung. Zu Beginn des Dritten Reichs verlegte er nationalsozialistische Titel wie Woher kommt das Hakenkreuz? von Wilhelm Scheuermann, für das er im Börsenblatt des deutschen Buchhandels offensiv mit dem Zusatz „Massenabsatz winkt“ warb.291 Als die Repressalien gegen seinen Ver- lag sich verstärkten, trat er 1937 der Partei bei.292 Rowohlts Zugeständnisse an die Zeit stießen jedoch bei den verantwortlichen Ämtern auf entschiedenes Mißtrauen, schließ- lich war der Verlag nicht nur durch die Literatur der Moderne bekannt geworden, son- dern hatte auch vor 1933 konsequent antinationalsozialistische Literatur wie Konrad Heidens Geschichte des Nationalsozialismus293 veröffentlicht. In dem als „geheim!“ eingestuften „Leitheft Verlagswesen“ findet sich zum Rowohltverlag folgende Ein- schätzung: Als paradox muss es … bezeichnet werden, wenn ein Verlag wie Rowohlt, früher ein rein kulturbolschewistisches Unternehmen, Bücher über den Kampf der NSDAP herausgab, obwohl noch die alte Literatenclique bei ihm zu Hause war. Durch die bald fühlbare Arbeit des Propagandaministeriums und später der parteiamtlichen Prüfungsstelle zum Schutze des NS- Schrifttums wurde dieser Entwicklung ein Ende gesetzt.294

288 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 26.6.1937, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 110. 289 Rowohlt Almanach 1908-1962, hrsg. von Maria Hintermeier, Fritz Raddatz, Reinbek bei Hamburg 1962, S. 31. 290 Barbian beschreibt die Situation des Verlages folgendermaßen: „Immerhin wurden aber Verleger wie Ernst Rowohlt und Gustav Kiepenheuer, deren Produktion aus republikanischer Zeit gleich zu Be- ginn des ‚Dritten Reichs‘ nahezu vollständig verboten worden waren, in die RSK aufgenommen. Doch war sowohl Kiepenheuers als auch Rowohlts verlegerischer Aktionsradius stark einge- schränkt. Nicht allein aufgrund der politischen Pressionen staatlicher oder parteiamtlicher Schrift- tumsstellen und des Mißtrauens, das den beiden ehemals exponierten Verlagen der literarischen Moderne von dem nun mehrheitlich völkisch-nationalen Buchhandel entgegengebracht wurde. Bei- de Verleger hatten vor allem auch enorme wirtschaftliche Probleme, die unmittelbar mit der Aus- schaltung ihrer bisherigen Bestseller zusammenhingen.“ Jan-Pieter Barbian (1995), S. 514. 291 Börsenblatt des deutschen Buchhandels 75, 29.3.1933, S. 1618. 292 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 515. 293 Konrad Heiden war SPD-Mitglied und schrieb 1932 aus genauer Kenntnis der Bewegung eine Ge- schichte der nationalsozialistischen Idee. Kurt Wolff. Ernst Rowohlt (1987), S. 126. Vgl. „Rowohlt die kommende Gefahr ahnend, brachte grimmigaggressive Anti-Nazibücher: Oehme und Caro: ‚Kommt das Dritte Reich?‘; Konrad Heiden: ‚Geschichte des Nationalsozialismus‘; Weigand von Wittenberg: ‚Adolf Hitler – Wilhelm III.‘. Er hatte den Film ‚Im Westen nichts Neues‘, dessen Ab- setzung die Nazis erzwungen hatten, als Buch in 200 Kupfertiefdruckbildern und immer weiter den von den Nazis am wildesten gehaßten Tucholsky veröffentlicht.“ Rowohlt Almanach 1908-1962 (1962), S. 31. 294 Zitiert nach: Kurt Wolff. Ernst Rowohlt (1987), S. 130. 58 Soweit es ging, widersetzte sich Rowohlt der Partei und verlegte noch 1937 die zwei Jahre zuvor aus der Reichsschriftumskammer ausgeschlossene Autorin Mascha Kalé- ko.295 Im folgenden Jahr nutzten die Nationalsozialisten die Aufdeckung des Skandals, daß sich hinter der von Rowohlt verlegten Stifterbiographie Urban Roedls der jüdische Autor Bruno Adler verbarg und schlossen Rowohlt aus dem Berufsverband aus.296 Mit dem Ende des Jahres 1938 ging der renommierte Verlag in den EHER-Konzern über und wurde von Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt noch kurzzeitig geleitet.297 Friedo Lampe blieb nach eigenen Angaben noch bis September 1939 beim Verlag298, arbeitete zu die- sem Zeitpunkt aber schon bei Goverts.

2.2.5. Die Situation von Autoren und Verlagen im Nationalsozialismus Trotz der Anstellung im Rowohlt-Verlag, für den Lampe unter anderem Hans Fallada lektorierte, kam er noch zum Schreiben und konnte 1937 seinen zweiten Roman Sep- tembergewitter fertigstellen.299 Wie Am Rande der Nacht ist auch Septembergewitter ein Episodenroman, der jedoch stärker durch den Rahmen der Ballonfahrt von Pencock, seiner Tochter und einem Freund zusammengehalten wird. Die drei fassen aus dem Ballon das Treiben einer norddeutschen Kleinstadt ins Auge, das ihnen von oben friedlich und idyllisch er- scheint, tatsächlich aber, wie der Perspektivwechsel vom Ballon zur Stadt hinein zeigt, bedroht und konfliktreich ist. Man leidet unter dem Verlust geliebter Menschen und findet doch nicht zum Leben zurück. Ein junges Mädchen wird von ihrem ersten Ge- liebten verlassen, ein Mord soll aufgeklärt werden, ein Junge wird von einer Bande ak- zeptiert und ein Dichter erzählt seiner Schwester die Geschichte von Odysseus und Nausikaa. Die einzelnen Erzählstränge sind mit der Entwicklung des Gewitters verbun- den, das schwül über der Stadt lastet. Im Laufe dieses Unwetters verdichten sich die einzelnen Geschichten und werden am Ende parallel zur Entladung des Gewitters in Blitz und Donner aufgelöst. Zumindest in Ansätzen wird mit dem erfrischenden Regen auch eine Erneuerung und Klärung des Lebens in der Stadt geschaffen.

295 Ebd. 296 Paul Mayer (1968), S. 126. 297 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 515. 298 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 27.9.1939, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 111. 299 „H. hat Dir wohl erzählt, wieviel ich zu tun habe. Alle freie Zeit habe ich für meinen Roman ausge- nutzt, und da hat man dann keine Lust mehr zu langem Briefeschreiben. Der Roman ist nun fertig, und ich bin augenblicklich damit beschäftigt, ihn im Verlag jemandem in die Maschine zu diktie- ren.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 12.9.1937, in: Ebd. 59 Obwohl Lampes erster Roman als „unerwünscht“ eingestuft wurde, konnte Lampe in die Reichsschrifttumskammer eintreten, deren Mitgliedschaft für alle Schriftsteller ver- bindlich war, und auch die Veröffentlichung seines zweiten Buches ging problemlos vonstatten. Friedo Lampe konnte daher trotz des Verbotes seines ersten Romans mehre- re seiner Erzählungen in der Zeitschrift Das Reich publizieren.300 Das Reich galt als das Repräsentationsorgan nach innen und außen. So schrieben nicht nur die begabtesten Journalisten der Zeit für die Zeitung301, sondern auch hatte eine eigene Kolumne. Ähnlich willkürlich verfuhren die offiziellen Stellen gegenüber Erich Kästner, dessen Werke seit 1935 auf der „Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ stan- den und dessen Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer weder 1933 noch 1939 stattgegeben wurde. Für das Drehbuch des Ufa-Filmes Münchhausen bekam Kästner dann eine Sondergenehmigung, die jedoch nicht verhinderte, daß er nur wenige Monate später völliges Berufsverbot erhielt.302 Auch die Behandlung von Kasimir Edschmid und Alfred Andersch läßt keine klare Linie erkennen. So wurde der KPD- Jugendfunktionär Andersch 1933 ins KZ Dachau deportiert und bekam trotz seiner „po- litischen Unzuverlässigkeit“ 1943 einen „Befreiungsschein“ für seine schriftstelleri- schen Arbeiten ausgestellt und Edschmid konnte seinen Lebensunterhalt durch das Ver- fassen von Reisebüchern verdienen, obwohl die Stapostelle Darmstadt ideologische Bedenken äußerte.303 Angesichts der inkonsequenten Politik des Dritten Reiches gegen- über den Schriftstellern konstatiert Barbian: Die angeführten Beispiele vermitteln ein diffuses Bild von der Handhabung der Instrumente der Berufszulassung gegenüber den aus politischen oder ästhetischen Gründen abgelehnten Schriftstellern. Bei ihnen wurde - in deutlichem Gegensatz zu den „nicht-arischen“ Schriftstellern, die ab 1934/35 systematisch und ohne Unterschiede aus der RSK herausgedrängt wurden, - in jedem Fall einzeln entschieden.304

300 Friedo Lampe, Die Alexanderschlacht, in: Das Reich 2, 52, 1941; Friedo Lampe, Am Leuchtturm, in: Das Reich 2, 15, 1941; Friedo Lampe, Raub der Europa, in: Das Reich 2, 43, 1941. 301 „Die besten Federn des deutschen Journalismus lieferten die politischen Aufsätze, Kriegsberichte, Kulturbetrachtungen, Feuilletons und Wirtschaftsartikel. Die Liste der Mitarbeiter des Reiches liest sich wie ein Gotha des deutschen Journalismus und der Literatur der dreißiger, vierziger, fünfziger und auch noch der sechziger Jahre.“ Norbert Frei, Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, München 1989, S. 110. 302 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 375/76. 303 Ebd., S. 379. 304 Ebd., S. 385. 60 Gerade diese völlig unvorhersehbare Handhabung von Indizierung und Berufsverbot schuf eine Atmosphäre der Selbstzensur, die wirkungsvoller war als jedes rigide Durch- greifen. Die Verlage Goverts und Henssel, bei denen Lampe als Lektor arbeitete, bestanden bis Kriegsende. Bis zu seinem Ausscheiden 1940 betreute Lampe beim Goverts Verlag die etwa gleichaltrigen Autoren Horst Lange und Inge Molzahn, mit denen er auch befreun- det war. Dadurch, daß die Verlage ihre Halbjahresplanungen seit 1940 durch die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums bewilligen lassen mußten und unter dem Zwang standen für jeden einzelnen Titel gesondert Papier bei der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels zu beantragen, die im Auftrag des Propagandaministeriums agierte, standen die verbliebenen Verlage unter ständiger Kontrolle.305 Der umständliche Weg über die verschiedenen Instanzen brachte es mit sich, daß von der Annahme des Manuskripts bis zum endgültigen Erscheinen anderthalb Jahre vergehen konnten.306 Es war also nicht ungewöhnlich, daß die Verhandlungen zwischen Lampe und seinem Verleger Eugen Claassen über seine Erzählungen Von Tür zu Tür im Februar 1943 be- gannen und sich bis zum Ende des Jahres hinzogen. Viele Verlage versuchten durch die Produktion billiger Volksausgaben ihre Existenz zu sichern. Dem Henssel Verlag gelang es auf diese Weise als „kriegswichtig“ eingestuft zu werden und vor der Stillegung bewahrt zu bleiben.307 Insbesondere an der Deutschen Reihe des Diederichs Verlag wird deutlich, daß dies nicht ohne Zugeständnisse der Verlage an den nationalsozialistischen Staat ging. Stolz konnte der Verlag kurz nach der Machtergreifung im Börsenblatt des deutschen Buchhandels verkünden: Die Entwicklung der Zeit hat der planenden Vorausschau Eugen Diederichs in unerhörtem Maße recht gegeben. Besinnung auf die deutsche Volkheit, Volkwerdung durch Mythos und Geschichte, Bindung an Blut und Boden – was der Verlag unter dieser Losung an Büchern herausstellte, war für eine kommende Zeit gedacht, für ein Volk, das im inneren Sinn seiner Ge- schichte sein eigenes Schicksal erkennt, das bereit ist, die Stimmung seiner Ahnen zu hören und daraus Kraft und Richtung zur Vollendung seiner eige- nen Aufgabe zu schöpfen.308

305 Ebd., S. 554/55. 306 Ebd., S. 558. 307 Friedo Lampe an Georg Lampe am 27.9.1944, unveröffentl. Brief, DLA. 308 Börsenblatt des deutschen Buchhandels 70, 23.3.1933, S. 1483. 61 In diesem Sinne gründete der Verlag die Deutsche Reihe, in der während der Herrschaft der Nationalsozialisten 152 Bände herausgegeben wurden.309 Die ersten Titel waren Paul de Lagardes Bekenntnis zu Deutschland, Edwin Erich Dwingers Zug durch Sibi- rien und Agnes Miegels Die Fahrt der sieben Ordensbrüder zu finden.310 Die billigen Drucke waren ein kommerzieller Erfolg nicht zuletzt, weil die Deutsche Reihe als Feld- postausgabe konzipiert war. Über dreißig Verlage beteiligten sich an diesem Geschäft und belieferten auch die „Heimatfront“ mit den Feldpostbüchern. Bis 1944 erschienen über 70 Millionen Exemplare.311 Wie der Münchner Lesebogen, die Insel-Bücherei und Die kleine Bücherei warb auch der Diederichs Verlag mit dem praktischen Format und dem geringen Gewicht der Ausgaben, die eine Versendung der Bücher ins Feld möglich machten.312 Diederichs konnte hier bereits auf die Erfahrungen zurückgreifen, die man im Ersten Weltkrieg mit Feldpostbüchern und Kriegsliederheften gemacht hatte.313 Der Verlag, um den sich vor dem Ersten Weltkrieg volkspädagogische und lebensreformeri- sche Gruppen geschart hatten, bildete bereits um 1930 ein völkisch-nationales Profil aus. Zwar war man nicht unbedingt auf der Linie der NSDAP, doch verhielt man sich gegenüber der Partei defensiv und beschränkte das Verlagsprogramm selbständig.314 Während 123 Bücher des Suhrkamp Verlags als „unerwünscht“ eingestuft wurden, war dies nur bei neun aus dem Programm des Eugen Diederichs Verlag der Fall.315

309 Florian Achthaler, Die Verlagsentwicklung nach dem Tod von Eugen Diederichs. 1930-96, in: Ver- sammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag – Aufbruch ins Jahrhundert der Ex- treme, hrsg. von Gangolf Hübinger, München 1996, S. 99. 310 Börsenblatt des deutschen Buchhandels 216, 16.9.1933, S. 3906/7. 311 Dietrich Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik. Ein Beitrag zur Publizistik im Dritten Reich, Bonn 1960, S. 358. Hans-Eugen Bühler schätzt die Auflage der Deutschen Reihe bei einer jeweiligen Stärke von 20.000 Stück auf 670.000, die des EHER-Verlags belief sich zum Vergleich auf 4.000.000 und die des Reclam Verlags auf 1.200.000. Hans Eugen Bühler, Klaus Kirbach, Die Wehrmachtsausgaben deutscher Verlage von 1939-1945. Teil 1: Feldpostausgaben zwischen 1939 und 1945 und die Sonderaktion Feldpost 1942, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Band 50, 1998, S. 251-94. 312 Klassiker in finsteren Zeiten. 1933-1945. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller- Nationalmuseum Marbach am Neckar, hrsg. von Bernhard Zeller, Band 2, Marbach 1983, S. 314. 313 Klaus Dietze, Eugen Diederichs als Zeitschriftenverleger, Würzburg 1940, S. 25. 314 Florian Achthaler (1996), S. 97. 315 Ebd., S. 106. Ulf Diederichs bestreitet zwar diese Zahl und hält eine wesentlich höhere für realistisch, muß aber die weitgehende Anpassung an das Dritte Reich zugeben. „Man stand dem neuen Staat nicht eben ablehnend gegenüber, entzog sich seiner Dynamik nicht, anerkannte einen bestimmten Gestaltungswillen und rechnete sich selbst, bei Wahrung eines eigenen verlegerischen Standpunk- tes, neue und durchaus vielversprechende Chancen aus.“ Ulf Diederichs, Hinter den Nullpunkt ge- blickt. Die erste Verlegerzeit von Niels und Peter Diederichs, in: Romantik, Revolution und Re- form. Der Eugen Diederichs Verlag im Epochenkontext 1900-1949, hrsg. von Justus H. Ulbricht, Meike G. Werner, Göttingen 1999, S. 299. 62 Für die deutsche Reihe gab Lampe vom 18. bis 20. Jahrhundert316 heraus. In den Jahren 1943 und 1944 erschienen insgesamt zehn Titel, die Lampe jeweils mit ei- nem kurzen Nachwort versah, das über seine eigene Ansicht von Dichtung Aufschluß gibt. Die Novellen, die Friedo Lampe für den Diederichs Verlag zusammenstellte, wi- chen durchaus nicht von den offiziellen Vorgaben für die Feldpostbücher ab. Nur fünf Prozent der verlegten Titel sollten ausgesprochen ideologische Texte sein, ansonsten bemühte man sich, den Wünschen der Soldaten nach Unterhaltung und anspruchsvolle- rer Literatur nachzukommen.317 Friedo Lampe, der Peter Diederichs während des Studi- ums in Freiburg kennengelernt hatte318, war häufiger Gast in Jena.319 Lampe trat während des Dritten Reichs nicht nur als Herausgeber hervor, 1940 veröf- fentlichte er eine Anthologie der deutscher Antikenrezeption320, sondern auch als Lite- raturkritiker. In der Illustrierten Koralle verfaßte er 1941 regelmäßig Buchbesprechun- gen.321 Bis auf die Erzählungen, die erst postum gesammelt erschienen, entstanden in dieser Zeit keine größeren Werke mehr. Vorab veröffentlicht wurden die Kurzgeschichten in dem Zeitraum von 1941 bis 1943 nicht nur in Das Reich, sondern auch in der Kölni- schen Zeitung322 und der Frankfurter Zeitung323, die für ihren verhältnismäßig unange-

316 Friedo Lampe gab für die Deutsche Reihe folgende Titel heraus: , Der arme Spiel- mann. Erzählung, Deutsche Reihe 122, Jena 1943; Wilhelm Hauff, Phantasien im Bremer Ratskel- ler, Deutsche Reihe 124, Jena 1943; Joseph von Eichendorff, Eine Meerfahrt, Deutsche Reihe 126, Jena 1943; Marie von Ebner-Eschenbach, Die Freiherrn von Gemperlein, Deutsche Reihe 128, Jena 1943; Karl Postl, Das Blockhaus am Red River. Erzählung, Deutsche Reihe 131, Jena 1943; Uli Braeker, Des Geißhirten erste Liebe, Deutsche Reihe 133, Jena 1943; , Der Zweikampf, Deutsche Reihe 140, Jena 1944; , Wunder im Alltag. Erzählung, Deutsche Reihe 142, Jena 1944; Johann von Goethe, Der Prokurator. Erzählungen, Deutsche Reihe 143, Jena 1944; , Die Wassernot in Emmental, Deutsche Reihe 144, Jena 1944. 317 Jan-Pieter Barbian (1995), S. 719/20. 318 Friedo Lampe an Walter Hegeler am 11.5.1927, unveröfentlichter Brief, DLA. 319 Friedo Lampe an Georg Lampe am 31.8.1942, unveröffentl. Brief, DLA. 320 Das Land der Griechen. Antike Stücke deutscher Dichter, hrsg. von Friedo Lampe, Berlin 1940. 321 „Ich mache jetzt Buchbesprechungen für die ‚Koralle‘. Mit einem Schriftleiter der Koralle Dr. Kusen- berg habe ich mich angefreundet. Die Buchbesprechungen umfassen nicht mehr als drei Sätze. Da- für kriegt man 15 RM. Ganz mein Fall...“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 19.4.1940, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 112. 322 Von Friedo Lampe sind in der Kölnischen Zeitung folgende Erzählungen erschienen: Die Poesie, in: Kölnische Zeitung 619, 1941; Zu Straßburg auf der Schanz. Eine Phantasie über Rembrandts Kas- seler Landschaft, in: Kölnische Zeitung 32, 1942; Nach hundert Jahren, in: Kölnische Zeitung 162, 1942; Eduard. Eine kleine Formenfibel, in: Kölnische Zeitung 248, 1942; Das magische Kabinett, in: Kölnische Zeitung 574, 576, 578, 580, 1942; Der schwere Kahn, in: Kölnische Zeitung 45, 1943; Geh mal zu Tante Gertrud, in: Kölnische Zeitung 359, 1943. Klaus-Dieter Oelze, Das Feuil- leton der Kölnischen Zeitung im Dritten Reich, Frankfurt 1990, S. 489. 323 Friedo Lampe, Spanische Suite, in: Frankfurter Zeitung 298, 15.6.1942; Ders., Die Jagd. Eine Rubens- phantasie, in: Frankfurter Zeitung 441/42, 30.8.1942. Lampes Freund der Schriftleiter der Koralle Kurt Kusenberg erinnert sich zwar daran, daß die Spanische Suite nicht gedruckt werden konnte, da die Mutter in der Erzählung eine Kreolin sei, dennoch konnte sie in der Frankfurter Zeitung veröf- fentlicht werden. Kurt Kusenberg (1950), S. 424/25. 63 paßten Feuilleton bekannt waren.324 Sowohl die Frankfurter Zeitung als auch die Kölni- sche Zeitung unterstanden nicht der regionalen Behörde, sondern direkt dem Propagan- daministerium, wodurch diese Zeitungen nicht der Vorzensur unterlagen.325 Dies machte ein durchaus anspruchsvolles Niveau der Texte möglich, was sogar eine gewisse Mo- dernität miteinschloß.326 Ob dieser bescheidene Pluralismus der Meinungen im Hinblick auf die Reputation Deutschlands im Ausland aus Propagandagründen geduldet wurde oder ob sich hier die charakteristische Inkonsequenz des Dritten Reichs zeigt, ist nur schwer zu entscheiden.327 Insbesondere die Konkurrenz zwischen Goebbels und Rosen- berg prägte den parteiinternen Machtkampf in der Kulturpolitik328, so daß die Kontrolle der Publikationen nicht dermaßen total war, wie dies unmittelbar nach Kriegsende be- hauptet wurde. Während des Krieges stagnierte Lampes schriftstellerische Produktion. Sonst geht’s mir ganz gut, den Kummer abgerechnet, daß ich nichts arbeite. Ich weiß nicht, aus welchem Grund es nicht geht: aus Faulheit, innerer Ge- hemmtheit, aus dem Gefühl der Sinnlosigkeit und Richtungslosigkeit oder wegen des Druckes der Zeit.329 Der Verzicht auf das Schreiben war für viele Schriftsteller in dieser Zeit gleichbedeu- tend mit dem Verlust des Lebens überhaupt. Lampe nannte 1941 seine regressive Flucht ins Private ein „Gespensterdasein“330 und Erich Kästner, über den die Nationalsozialis- ten Berufsverbot verhängt hatten, bezeichnete sich selbst als „lebenden Leichnam“.331

324 Eine sehr differenzierte Einschätzung der Kölnischen Zeitung leistet Klaus-Dieter Oelze: „Deshalb kann man das Feuilleton der ‚Kölnischen Zeitung‘ keinesfalls generell als Widerstandsblatt einord- nen, sondern kann nur in Einzelfällen den Widerstand nachweisen, wobei natürlich auch viele Auto- ren der sogenannten Inneren Emigration zu Worte kamen.“ Klaus-Dieter Oelze (1990), S. 69. 325 Ebd., S. 62. 326 „Von Bedeutung für die Kontinuität der Moderne waren vor allem die Feuilletons des Berliner Tage- blatts, der Frankfurter Zeitung, der Kölnischen Zeitung und der Deutschen Allgemeinen Zeitung. Publikationsmöglichkeiten fanden sich lange Zeit in den Magazinen Die Dame, Die Neue Linie und Koralle, aber auch in Organen, die der völkisch-nationalen Propaganda aufgeschlossener gegenü- berstanden wie der Wochenzeitung Das Reich und der Zeitschrift Das innere Reich […].“ Hans Dieter Schäfer (1981), S. 9. 327 Klaus-Dieter Oelze (1990), S. 61. 328 Uwe-Karsten Ketelsen, Kulturpolitik im 3. Reich und Ansätze zu ihrer Interpretation, in: Text und Kontext 8, 1980, S. 217. 329 Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 7.7.1941, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 112. 330 Ebd. 331 Erich Kästner, Vorwort, in: Ders., Bei Durchsicht meiner Bücher... Eine Auswahl aus vier Versbän- den, Stuttgart 1946, o.S. 64 2.3. Ambivalente Lebenswirklichkeit im Dritten Reich: Idyllen auf „vulkani- schem Grund“ Friedo Lampe zog sich während des Krieges in den privaten Raum der Kunst und der Literatur zurück. In seiner Wohnung schuf er sich einen autonomen Bereich „ziviler Freiheit und Einsamkeit“332, wo er jenseits der Politik ungestört lesen und arbeiten konnte. Bereits kurz nach der Ausbombung seiner Berliner Wohnung im November 1943 begann er von neuem, eine Bibliothek aufzubauen. Angesichts der bedrohlichen Lage und der intellektuellen Isolation wurde Lampe jedoch immer depressiver und litt unter Schreibhemmung.333 Peter V. ist nun wieder dabei, auch ein jüngerer Bruder, es ist gräßlich, und ich muß immer an ihn denken, es geht da in Rußland ja so mörderisch her, wie soll der Gute das nur aushalten. Ich habe seit dem Beginn der Kämpfe keine Nachricht von ihm. Habe solche Angst. […] Man gehört eben zum alten Eisen und führt nur noch ein Gespensterdasein. […] Ich habe in diesen Tagen einen Schriftsteller für mich entdeckt, seit langem mal wieder einen Schriftsteller, der für mich eine neue Welt bedeutet: Marcel Proust war frü- her für mich nur ein berühmter Name, und ich glaubte, ich könnte nichts mit ihm anfangen. Großartig, ein ganz zartes, höchst kunstvolles episches Ge- webe, äußerste Delikatesse der Darstellung, äußerste Wahrhaftigkeit und Echtheit. Wunderbare Beobachtung und Psychologie.334 Daß Lampe sich angesichts der Zerstörung seiner bürgerlichen Welt zum Chronisten des Niederganges der französischen Bourgeoisie hingezogen fühlte, kommt nicht von ungefähr, denn in diesem Zustand der Desorientierung und des Vakuums wurde Lampe die Literatur zum geistigen Fluchtraum, der die Aussprache und den Zusammenhalt mit anderen Oppositionellen ersetzte. Dieser Rückzug aus dem öffentlichen Leben ins Private ist typisch für die Autoren, die um die Jahrhundertwende geboren wurden und die Hans Dieter Schäfer in Anlehnung an Zeitgenossen der dreißiger Jahre335 als „junge Generation“ bezeichnet hat. Schäfer sieht die Werke von Horst Lange, Peter Huchel, Friedo Lampe und Eugen Gottlob Winkler durch das Bewußtsein, eine Krise zu erleben, geprägt, die sich in Zukunftsangst

332 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 28.3.1945, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 122. 333 „Dichten kann ich nicht. Das Leben ist zu freudlos und ungemütlich, verändert sich auch zu rapide. Das Alte geht nicht mehr, das Neue ist noch nicht zu fassen. Inter armes musae silent, oder wie es heißt.“ Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 1.6.1944, in: Ebd., S. 119. 334 Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 7.7.1941, in: Ebd., S. 112/13. 335 Hubert Orlowski, „Geboren neunzehnhunderttraurig“. Generationsbewußtsein und Innere Emigration, in: Literatur der „Inneren Emigration“ aus Österreich, hrsg. von Johann Holzner, Karl Müller, Wien 1998, S. 105. Joachim Maaß sprach in einem 1932 in der Tat erschienenen Aufsatz im Hinblick auf die Lyrik von der „jüngsten Generation“. Joachim Maaß, Junge deutsche Literatur. Versuch einer zusammenfassenden Darstellung, in: Sabina Becker, Neue Sachlichkeit, Band 2, Quellen und Do- kumente, Köln 2000, S. 45. 65 ausdrückt336 und die Flucht in die reine Ästhetik bedingt. Auch wenn Schäfer mittler- weile den ausgesprochenen Gruppencharakter dieser Autoren zurückgenommen hat und sie stärker als bisher durch die Kunst der Weimarer Republik beeinflußt sieht337, ist sei- ne Charakterisierung als tendenziell eher klassizistisch, melancholisch und irrational338 immer noch zutreffend. Viele dieser Autoren kehren zu traditionellen Stoffen und den kleinen Formen wie der Allegorie oder der Parabel zurück, dennoch kann vorausgesetzt werden, daß sie die modernen internationalen Autoren und die Existenzphilosophie kannten.339 Diese rückwärtsgewandte Formensprache ist aber grundsätzlich kein aus- schließliches Phänomen der Zeit des Nationalsozialismus, sondern setzt bereits Mitte der zwanziger Jahre in der Neuen Sachlichkeit und im Magischen Realismus ein. Nach dem anfänglichen harten Vorgehen gegen die „Asphaltliteratur“ findet sich noch bis in die vierziger Jahre das für die Modernisierungskrise typische Stilkonglomerat.340 Mit Kriegsbeginn wurde jedoch wieder schärfer gegen die moderne Literatur vorgegan- gen. Auch dem „Amt Schrifttumspflege“ fielen Autoren wie Hans Fallada, Walter von Molo, Frank Thiess und Ernst Wiechert als Gruppe auf und es hielt gegenüber diesem „geistige[n] und literarische[n] Zwischenreich“341 Mißtrauen für angebracht. Im Jahres- bericht des Hauptlektorats „Schöngeistiges Schrifttum“ für 1940 bemängelten Hans Hagemeyer und seine Mitarbeiter das kraftlose Vorgehen der nationalsozialistischen Literaturkritik gegenüber dieser Gruppierung.342 Diese „Zwischenreichsautoren“ gehör- ten der Generation der um 1900 Geborenen an, die im Ersten Weltkrieg häufig nicht

336 Am Rande der Nacht. Moderne Klassiker im Dritten Reich. Ein Lesebuch, hrsg. von Hans Dieter Schäfer, Frankfurt 1984, S. 9/10. 337 Vgl. „Erst allmählich wird deutlich, daß sich 1929/30 ein Epocheneinschnitt vollzog und daß sich in Deutschland zwischen 1930 und 1940 eine qualitativ beachtliche Literatur herausbildete, die er- staunlich einheitliche Züge trägt.“ Hans Dieter Schäfer, Die nichtfaschistische Literatur der „jungen Generation“ im nationalsozialistischen Deutschland, in: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen - Traditionen - Wirkungen, hrsg. von Horst Denkler, Karl Prümm, Stuttgart 1976, S. 459. „So […] war doch der Ansatz aus zwei Gründen fehlerhaft: Er konstruierte eine ‚junge Generation‘, die es so nicht gegeben hatte und arbeitete mit Epochen- und Stilbegriffen einer bürgerlichen Kul- tur, der in Wahrheit der Boden unter den Füßen weggebrochen war. Nicht ausreichend reflektiert wurde, daß die meisten Werke von Rang Autoren wie Eugen Gottlieb Winkler, Felix Hartlaub und Friedo Lampe geschrieben hatten, die das Dritte Reich nicht überlebten, andere wie Horst Lange fanden nach dem Zweiten Weltkrieg kaum noch zur alten Ausdruckskraft zurück.“ Hans Dieter Schäfer (1997), S. 227. 338 Hans Dieter Schäfer (1981), S. 62. 339 Die Rezeption der Existenzphilosohie wird belegt mit Johannes Pfeiffers Arbeit Über den Umgang mit der Dichtung, die der enge Freund Lampes 1936 geschrieben hatte. Hans Dieter Schäfer (1976), S. 463. 340 Hans Dieter Schäfer dokumentiert dies in seinen Arbeiten zur Kulturgeschichte des Dritten Reichs, etwa wenn er die Gleichzeitigkeit der Berichte René Hockes über die moderne Kunst in Paris, die er in der Kölnischen Zeitung veröffentlichen konnte mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ in Mün- chen 1937 betont. Ebd., S. 465. 341 Zitiert nach Jan-Pieter Barbian (1995), S. 289. 342 Ebd. 66 mitgekämpft hatten.343 Die Krisen der Weimarer Republik, die Wirtschaftsprobleme und die Massenarbeitslosigkeit erlebte diese Generation als junge Erwachsene und so über- rascht es nicht, daß gerade diese Jahrgänge gegenüber dem Nationalsozialismus beson- ders anfällig waren. Der Nationalsozialismus und seine Ideologie bedeuteten für viele einen Ausweg aus der Identitätskrise344 oder verschärften diese wie im Fall der „Zwi- schenreichsautoren“ durch Unterdrückung und intellektuelle Isolation. Angeregt durch Barbians Studien besteht in der Forschung der Ansatz, „Zwischenreichsautoren“ zum Epochenbegriff zu machen. Anders als die links gerichteten Intellektuellen wie Bertolt Brecht oder waren diese Autoren politisch standortlos und hatten sich zu keinem Zeitpunkt mit der Weimarer Republik identifiziert. So waren sie nicht politisiert genug, Dichtung als Mittel im aktiven Widerstand gegen den Faschismus einzusetzen, sondern entwarfen in ihren Werken Gegenwelten zum Hitlerdeutschland, die in sich die Brüche der Zeit aufweisen.345 Nicht die politische Situation stand für diese Schriftsteller zur Diskussion, sondern vielmehr die Möglichkeit, in dieser Zeit menschlich zu leben.346 In seinen Memoiren erinnerte sich Axel Eggebrecht an ein Zusammentreffen mit Lampe bei Rowohlt: In einem Gespräch unter vier Augen, das mich gerade deshalb beeinflußte, weil seine Arbeiten mir nicht sonderlich lagen, analysierte er in vergnügli- chem Ton sich selber. Ich sähe da offenbar gewisse Züge, die ich mit völki- schen Idealen in Verbindung brächte, treudeutsche Innerlichkeit und der- gleichen. Da sei ich auf dem Holzwege. Er wehre sich auf seine Weise ge- gen die Barbarei, die sich als Neugeburt ausgebe. Er versuche gerade das zu retten, was die dröhnenden Barden totschlügen: Die Differenzierung, das Individuum, gebrochene Charaktere. Von da an nahm ich ihn ernst, wenn ich auch seine stille Opposition für wirkungslos hielt.347

343 Peukert bezeichnet die um 1900 Geborenen als „überflüssige Generation“. Detlev J. K. Peukert (1987), S. 26. 344 „Es ist kaum ein Zufall, daß am Anfang der zwanziger Jahre, sowohl im fiktionalen Schrifttum der Weimarer Republik als auch in der Kontroverse um den Generationsbegriff und das Generations- selbstverständnis die thematisierten Orientierungsfragen im Kontext einer Identitätskrise und –suche unterzubringen sind.“ Hubert Orlowski (1998), S. 107. 345 „Die Qualität der Künstler besteht darin, daß sie – anders als die konfessionelle Erbauung der Inneren Emigration – mit ihrem Rückzug auf Maß und Form die Voraussetzung ihrer Depression nicht an eine glatte Harmonie verrieten und unverändert versuchten, abstrakte Tendenzen in die Darstellung einzumischen.“ Am Rande der Nacht (1984), S. 13. 346 „Da von der ‚jungen Generation‘ jede Weltverbesserungsidee verurteilt wurde, stellte sich nur für wenige nach der Machtergreifung Hitlers die Frage des aktiven Widerstands bzw. des Exils.“ Hans Dieter Schäfer (1976), S. 460. „Insofern steht auch der scheinbar zirkelschließende Satz, daß Dich- tung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus Gegnerschaft gegen ihn bedeutete, sofern sie nur Dichtung war, in einem historischen Zusammenhang, der es auch den Autoren unter den Diktaturen des 20. Jahrhunderts immer wieder nahelegt, den Rückzug auf sich selbst auch unter Zwängen noch als eine freie Entscheidung zu sich selbst zu empfinden.“ Eberhard Lämmert, Beherrschte Literatur. Vom Elend des Schreibens unter Diktaturen, in: Literatur in der Diktatur (1997), S. 20/21. 347 Axel Eggebrecht, Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 297. 67 Politik und Dichtung schienen Lampe nicht miteinander vereinbar. Bereits während der Weimarer Republik an gesellschaftlichen und politischen Fragen desinteressiert, ändert auch die Herrschaft der Nationalsozialisten nichts an dieser Haltung. Vielmehr bemühte sich Lampe nach dem Verbot seines ersten Romans und anderer Schwierigkeiten mit den Machthabern, sich äußerlich angepaßt zu verhalten und nicht aufzufallen. In seinen Briefen ging er nur selten auf den Stand des Krieges oder das Leben in der Diktatur ein. Deutlicher wurde Lampe angesichts der dezidiert prodeutschen Stellungsnahme Knut Hamsuns, den Lampe als Dichter bewunderte, dessen politisches Engagement er jedoch verurteilte. Ich lese augenblicklich mit dem größten Vergnügen wieder einmal eins von Hamsuns Spät-Büchern: „Nach Jahr und Tag“. Was für eine wunderbare Art zu erzählen: so überlegen, ganz von oben herab ein Blick auf dies verrückte Menschengewimmel, scharf und skeptisch, Gut und Böse alles durcheinan- der, mit einer tiefen Freude an der Fülle des Lebens und an den seltsamen Verwebungen der Schicksale. Doppelt ärgerlich wird man dann, wenn man in der Zeitung von Hamsuns Worten lesen muß, die gegen England auf einer Wiener Journalistentagung in seiner Gegenwart verlesen worden sind. Wie kann sich ein Dichter in diese groben politischen Kämpfe hineinbegeben. Und gerade Hamsun, der in seinen Büchern so gerecht ist und weiß, wie un- heilbar verworren alle Lebensverhältnisse sind. Da verfällt er nun in die gröbste propagandistische Schwarzweißmalerei...348 Wie sehr sein rein ästhetisches Verständnis der Literatur Selbstschutz war, zeigen die Briefe an seine Freunde, aus denen unverhohlen Todesangst spricht.349 Die Aussichten des Krieges und die davon abhängige politische Situation Deutschlands in Europa be- urteilte Lampe jenseits jeglichen Nationalwahns pessimistisch.350 Bereits 1942 sprach er von einer „Gesamtkatastrophe“, in die alle hineintreiben würden.351 Die Kunst und die Kultur wurde für Friedo Lampe zum einzigen verbindlich bleibenden Bezugspunkt innerhalb der Zerstörung, die erst über den Bezug zur Literatur deutbar wird. Obwohl Lampe das brennende Berlin mit drastischem Naturalismus beschrieb,

348 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 25.6.1943, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 116/17. 349 Eugène Badoux (1986), S. 127. Interessant ist auch in diesem Zusammenhang die Widmung, die Lam- pe Anneliese Hermann Weihnachten 1937 in eine Ausgabe von Septembergewitter geschrieben hatte, in der er ausdrücklich seine Angst, abgeholt zu werden, darstellt. „Ja, ich will noch immer le- ben, / Selbst im Dritten Reich / Ja, ich gehe nur zitternd / Der Sipo, ist er an meiner Türe? / Aber meine geheimsten Freuden / Ich kann sie nicht wagen / Ich bin ganz blaß und voll Unruhe. / Wenn man mich noch mehr erblassen läßt, / Beschütze mich, Josephine. /Ja, ich will noch immer leben.“ Ebd., S. 142. 350 „Wie sehr hat sich die Welt, hat man sich selber seitdem verändert. Es wird mir ganz wehmütig dabei. Mit Grauen sehe ich in die Zukunft. Was ist das für ein Wahnsinn! Wer wird von uns diesen Zu- sammenbruch überstehen?“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 26.9.1942, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 115. 351 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 29.1.1942, in: Ebd., S. 113. 68 vermittelte er das historische Geschehen in einer durch Bilder und literarische Muster überformten Sprache. Lampe analysierte nicht die nationalsozialistische Herrschaft, sondern metaphorisierte das Geschehen. Die Zerstörung der Leipziger Deutschen Bü- cherei verglich er mit der Vernichtung der Bibliothek des antiken Alexandrias352 und wenn er anfänglich den bevorstehenden Zusammenbruch des Dritten Reichs mit einem aufziehenden Gewitter beschrieben hat353, so trug die Darstellung des zerstörten Berlins nun deutlich apokalyptische Züge. Was hat bei dieser Brutalität alles Zartere, Menschliche noch für eine Be- deutung? Das Bild dieser brennenden Straßen werde ich nie vergessen. Am Bahnhof Westend lag mitten auf dem Pflaster im Flammenschein ein abge- stürzter amerikanischer Flieger, ohne Kopf, das Blut auf das Pflaster ge- spritzt – wie sinnlos. Da liegt er nun nachts tot in Berlin, ist durch die Luft aus Amerika gekommen, aus irgendeiner kleinen Stadt, weiß selber nicht, warum er das getan hat, die Einsamkeit, Verlassenheit, furchtbar. Das Gan- ze so symbolisch. Man sieht die alte Welt aufbrennen. Die Menschen haben selbst das Feuer heraufbeschworen, um sich zu verbrennen und zu vernich- ten. Sie haben Recht und Freiheit nicht mehr zu schätzen gewußt, nun müs- sen sie es durch diese bitteren Erfahrungen wieder lernen...354 Die Dämonisierung der Diktatur in der Dualität von beschaulichem Alltag und Krieg resultierte bei Lampe aus seinem ahistorischen Denken. Gegenüber Anneliese Voigt begründete er sein Verbleiben in Berlin kurz vor der Kapitulation damit, daß ihn die Vernichtung der Stadt interessiere355, die an die Zerstörung Sodom und Gomorras erin- nern läßt. Auch hier dient der biblische Vergleich einer Einordnung des Geschehens und erscheint dadurch erträglicher. Die konkreten Ereignisse werden zeitlich und räumlich vom Erlebenden entfernt und in einen übergeordneten Kontext gesetzt. In der Endphase des Krieges wurde der von Spengler beschworene Untergang des Abendlandes für Lampe zur bitteren Realität.356 Was ist das für eine Zeit! Ich versuche immer mehr, diese Zeit und die furchtbaren Ereignisse als einen Läuterungsprozeß aufzufassen. Wir sollen von allem Abschied nehmen, an nichts Irdisches mehr gebunden sein, sollen so ins Leben sehen, als wenn wir schon gestorben wären. Wir sollten lernen,

352 „Mein Novellenband, der gerade in Leipzig halb gedruckt war, wird nun wohl nicht fertiggestellt in nächster Zeit, ich befürchte, daß die Druckerei, die das Buch setzte, auch kaputtgegangen ist beim letzten Angriff. Das ganze Verlagsviertel ist ja zerstört, die Universität, die Deutsche Bücherei, alles aufgebrannt. Das gab es schon einmal Alexandria...“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 10.12.1943, in: Ebd., S. 117. 353 „Peter V. war vier Wochen auf Urlaub, jetzt muß er wieder weg, und er geht schweren Herzens zu seiner Truppe nach Hildesheim zurück. Immer düsterer ziehen sich die Wolken der Zeit zusam- men.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 26.6.1943, in: Ebd., S. 114. 354 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 10.12.1943, in: Ebd., S. 117. 355 Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 1.6.1944, in: Ebd., S. 119. 356 Vgl. Annette Schmollinger, „Intra muros et extra“. Deutsche Literatur im Exil und in der inneren E- migration. Ein exemplarischer Vergleich, Heidelberg 1999, S. 45. 69 die Lebens- und Todesangst zu überwinden. Hoffnung auf ein sinnvolles glückliches Leben ist wohl sehr gering. Ganz Deutschland ist ja ein Trüm- merhaufen. Der Anschluß an die Vergangenheit ist zerstört. Das ist alles nicht wiedergutzumachen. Nein, in dieser Richtung dürfen wir nicht mehr denken. Wir müssen in einer andern Richtung zu denken lernen, aber das ist sehr schmerzlich und schwer, besonders für Sinnenmenschen wie mich. Ganz am Ende winkt da eine Freiheit und Heiterkeit, ein Losgelöstsein von allem Irdischen und eine Einsicht in die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, die frühere Zeiten nur in seltenen ähnlichen Momenten er- lebt haben...357 Bereits Mitte der dreißiger Jahre läßt sich die Tendenz feststellen, daß Lampe sein eige- nes Leben mit den Stereotypen der Gattung der Idylle stilisiert hat. Sein behagliches Leben in Grünheide bei Rowohlt, das aufgrund des Vorgehens der Nationalsozialisten gegenüber dem Verlag so ruhig nicht gewesen sein konnte, schildert er gegenüber sei- nem Freund Pfeiffer als idyllisch358, Mitte der vierziger Jahre wird diese Idylle jedoch durch die Kriegserfahrungen gebrochen.359 […] aber die rechte Stimmung wollte nicht aufkommen, zu dunkel steht die Zukunft vor einem, so daß man nicht frei atmen kann. Auf was für einem Grund stehen heute solche Idyllen! Sie haben wohl immer darauf gestanden, wir haben es nur nicht so gemerkt. Jetzt enthüllt sich das wahre Antlitz der Wirklichkeit. Ein schreckliches und kaum zu ertragendes Gesicht – man kann verrückt darüber werden.360 Das literarische Modell wird zum Deutungsmuster für den eigenen Rückzug in die In- nerlichkeit. Lampe bezeichnete sein Leben im Faschismus als eine Idylle auf „vulkani- schem Grund“, womit er die charakteristische Mischung von Banalität und apokalypti- schem Weltuntergang treffend umschreibt. Die Ruhe und Einsamkeit im Hause ist herrlich. […] Blick in den Kiefern- garten. Große Stille. Eine Idylle, allerdings auf vulkanischem Grund, und deshalb besonders reizvoll. Man fühlt natürlich dauernd im Untergrund, daß das alles plötzlich weg sein kann, Stube, Haus, Bücher – hui weg, wie vom Winde weggeblasen, wie ein Traum verflogen.361 Lampe bezog sich mit dieser Metapher auf das Motiv von der Bedrohung der Idylle durch ein Unwetter, modifiziert dieses jedoch dahingehend, daß die eigentliche Gefähr- dung nicht von außen kommt, sondern die Grundlage der Idylle selbst bildet. Die Idylle und ihre Zerstörung scheinen untrennbar miteinander verbunden.

357 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 28.3.1945, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 122. 358 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 26.6.1937, in: Ebd., S. 110. 359 „Mein Leben ist weiterhin hin und hergerissen zwischen Kleinmachnower Sommeridyll und hartem Frontleben.“ Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 1.6.1944, in: Ebd., S. 119. 360 Friedo Lampe an Wolf Hermann am 4.11.1944, in: Ebd., S. 120. 361 Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 24.11.1944, in: Ebd., S. 121. 70 Die vielfache Vermittlung und Brechung seines Lebens mit der Literatur zeigt sich nicht allein in der Deutung durch eine Gattung, sondern auch darin, daß das Bild der Idylle auf „vulkanischem Grund“ selbst wohl eine Aneignung aus Eichendorffs Eine Meer- fahrt ist, die er für die Deutsche Reihe 1943 herausgegeben hatte.362 Denn einer der Protagonisten der Novelle, der Student Antonio, beschreibt die Insel, auf der die Spanier gelandet sind, als Paradies, das auf „unheimlichem vulkanischen Boden“ stehe.363 In der historischen Situation des Zweiten Weltkriegs wurde Lampe die Dichtung zum Erklärungsmuster und Trost. Lampes Identifikation mit der Literatur ging soweit, daß er Freunden aus Goethes Idylle Herrmann und Dorothea während des Bombenalarms vorlas364, die ihm seine eigene Lage literarisch versinnbildlichte. Das Bild der Idylle auf vulkanischem Grund ist bei Lampe gleichermaßen Wirklichkeitswahrnehmung und Zeitdeutung. Das Erfahren zweier diametral verschiedener Realitäten, die miteinander nicht verbun- den werden können, prägte das Lebensgefühl vieler Autoren dieser Zeit, das Lampe in dem paradoxen Bild der Idylle auf „vulkanischem Grund“ zusammenfaßte. Andere wie Koeppen betonten den Eindruck der Verunsicherung und des Schwankens365 oder nah- men ihr Leben als absurd und surreal wahr.366 In der historischen Situation der Diktatur wird diese ins Irrationale dämonisiert und nicht rational analysiert. Wolfdietrich Schnur- re nannte sein Leben im Faschismus erst 1977 mit zeitlichem Abstand „eine gesteuer- te[n] Schizophrenie“.367

362 Joseph von Eichendorff, Eine Meerfahrt. Deutsche Reihe 126, Jena 1943. 363 „Der Student Antonio aber saß doch noch höher zwischen den Blättern einer Palme, wo er mit den jungen Augen weit über Land und Meer sehen konnte. Es war ihm fast wehmütig zumute, als er in der stillen Morgenzeit unten Hähne krähen hörte und einzelne Rauchsäulen aufsteigen sah. Aber die Hähne krähten nicht in den Dörfern, sondern wild im Walde, und der Rauch stieg aus fernen Kra- tern, zur Warnung, daß sie auf unheimlichem vulkanischen Boden [Hervorhebung A.H.] standen.“ Joseph von Eichendorff, Eine Meerfahrt, in: Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichen- dorff, Historisch-kritische Ausgabe, Band 5,1, Erzählungen, Teil 1, hrsg. von Karl Konrad Polheim, Tübingen 1998, S. 217. 364 Eugène Badoux (1986), S. 262. 365 „Der Titel Die Mauer schwankt deutet auf diesen Bewußtseinszustand des Autors und vieler seiner Generationsgefährten, mitten in einer geschichtlichen Krise auf unsicherem Grund zu stehen. Das ‚Schwankende‘ und ‚Unsichere‘ ist die eigentliche Sinnschicht, auf die das allegorische Erzählen der nichtnationalsozialistischen Autoren schließlich hinausläuft, und das Koeppen wie eine Bot- schaft in seinem Buch formulierte: ‚Wußte man irgendetwas? Man wußte nichts. Ein jeder Schritt war ein Schritt in das Dunkel hinein. Abstürzen konnte man in jeder Sekunde, und wenn man das Gute wollte, war man noch mehr in Gefahr, das Unrechte zu tun.‘“ Hans Dieter Schäfer (1981), S. 28/29. 366 „Was blieb, war die Deutung des eigenen Daseins im Lichte von Absurdität und Surrealität, unter dem Neigungswinkel von Kunstwirklichkeiten, da die Realität der Kriegswirren den marginalisierten Subjekten eine individuelle Sinngebung nicht länger erlaubte.“ Ralf Schnell (1998), S. 163. 367 Peter Sandmeyer (1977), S. 195. 71 Die Tendenz, das Leben im Dritten Reich mit Begriffen zu charakterisieren, die auf einer starken Polarität aufgebaut sind, hat sich auch in der Forschung fortgesetzt. Schä- fer hat in seiner Kulturgeschichte der dreißiger und vierziger Jahre den Begriff des „ge- spaltenen Bewußtseins“368 geprägt und macht eine Bewußtseinslähmung für die ausge- prägte Heterogenität sowohl der Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit als auch der Werkstruktur literarischer Texte verantwortlich.369 Helmut Arntzen variiert Schäfers These zu einem gleichzeitigen Nebeneinander von Alltäglichkeit und permanentem Ausnahmezustand wie er es in der Situation der Massenarbeitslosigkeit, des Terrors und des Krieges repräsentiert sieht.370 Wie Schäfer auch, versteht er die Zeit des Nationalso- zialismus nicht allein als politisches Jahrzehnt, sondern bezieht die Alltagskultur und die verschiedenen Künste371 in seine Interpretation mit ein. Gudrun Brockhaus begreift die Faszination unaufgelöster Widersprüche, die den Zeitgenossen suggerierte, sich nicht für eine Wirklichkeit entscheiden zu müssen, als Verbindung von „Schauder und Idylle“.372 Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, die so weit nicht voneinander entfernt sind, die Betonung der Brüchigkeit dieser Zeit373, die sich aus der Interpretation des Dritten Reichs als Zuspitzung der Modernisierungskrise ergibt.374

368 Hans Dieter Schäfer (1981). 369 Hans Dieter Schäfer (1997), S. 233. 370 Helmut Arntzen (1995), S. 7. 371 Ebd., S. 3. 372 Gudrun Brockhaus, Schauder und Idylle. Faschismus als Erlebnisangebot, München 1997, S. 44. 373 Schnell spricht auch von einer „Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen“. Ralf Schnell (1998), S. 77. 374 Siehe Detlev J. K. Peukert (1987); Zygmunt Baumann, Dialektik der Ordnung, Die Moderne und der Holocaust, Hamburg 1992. Vgl. „Uns mag heute das Nebeneinander von Lure und Saxophon, von Thingspiel und Revuefilm, Eintopfessen und Coca-Cola, von Hakenkreuz und Mickey Mouse als ‚gespaltenes Bewußtsein‘ (H. D. Schäfer) erscheinen. Dieses Nebeneinander entsteht mit jener Dy- namisierung der Massenkünste aus dem Geist der Kompensation und konsumistischen Integration. Es ist ein Produkt neuartiger diktatorischer Herrschaftstechniken, die mit dem Geschmack ‚der breiten Masse‘ rechnen und eines weiterlaufenden industriekapitalistischen Marktkalküls, das sich an Erfolg und nicht am ‚Volkstum‘ orientiert.“ Georg Bollenbeck (1999), S. 336. 72 3. Überlegungen zur Gattung der Idylle

3.1. Die Idylle als biographisches Muster bei Lampe Wie im vorigen Kapitel dargelegt, ist Biographisches bei Lampe eng mit Literarischem verbunden. Ohne mich mit dieser Beobachtung für eine biographische Deutung seines Werkes aussprechen zu wollen, fällt auf, daß er häufig in Briefen eigene Erfahrungen mit Gelesenem überformt, wobei das Muster der Idylle eine herausragende Bedeutung einnimmt. Bereits als Jugendlicher schrieb er an seinen Freund Walter Hegeler, daß allein dessen Anwesenheit am Ferienort fehle, um die Idylle zu runden.375 Das kleine, abgeschiedene Glück, unbelastet von äußeren Einflüssen wurde Mitte der dreißiger Jah- re für Lampe zum Zufluchtsort376, der eindeutig mit der Wirklichkeit des Faschismus und später des Krieges konstrastiert wird. Im Juni 1944 berichtete er seiner Freundin Anneliese Voigt von seinen Lebensumständen: „Mein Leben ist weiterhin hin und her gerissen zwischen Kleinmachnower Sommeridyll und hartem Frontleben“.377 Diese per- sönliche Haltung, die Lampe in einem bürgerlichen Lebensstil kultivierte, deckte sich auch mit seinen literarischen Vorlieben. So ist nicht nur sein Promotionsvorhaben über die Idylliker des 18. Jahrhunderts in diesem Zusammenhang zu sehen, auch seine bei- den Anthologien reihen sich hier ein. Sowohl der in der Serie Rot und Schwarz 1933 erschienene Almanach für Bücherfreunde. Lebendiges 18. Jahrhundert als auch Das Land der Griechen. Antike Stücke deutscher Dichter aus dem Jahr 1940 umfassen Texte der klassischen deutschen Idyllenliteratur wie Salomon Geßners Erythia und Maler Müllers Der Satyr Mopsus.378 Im Nachwort beschreibt Lampe diese Dichtung: Das Wesen dieses Grundtons in Worten zu fassen, ist schwer: es ist der Ton geistiger Klarheit und Helligkeit, der Ton einer aufgeklärten, vernunft- bestimmten Zeit, die aber dann doch auch einer zarten spirituellen Empfind- samkeit fähig ist – es ist der klare gläserne Flötenklang Mozartscher und Gluckscher Musik, ein heiter-ernster Klang, in dem Trieb und Geist zur Harmonie gekommen sind, es ist manchmal ein wie aus arkadischen, elysi-

375 „Wärst Du hier, dann rundete sich die Idylle.“ Friedo Lampe an Walter Hegeler am 1.7.1918, unveröf- fentl. Brief, DLA. 376 Über seine neue Wohnung bei Rowohlt in Grünheide schreibt er seinem Freund Pfeiffer: „Wunderbar idyllisch, einsam und praktisch ... vorm Fenster der See mit dem jenseitigen bewaldeten Ufer. Ru- derboot gleich vorm Haus. Der See ungeheuer beruhigend, still, ernst. Vor meinem Fenster fahren die weißen Vergnügungsmotorschiffe vorüber. Hinterm Haus gleich endloser Tannenwald. Meine Möbel, Bücher, Klavier passen fabelhaft in die Wohnung. Ich kann es immer noch nicht glauben, daß ich es jetzt so schön habe.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 26.6.1937, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 110. 377 Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 1.6.1944, in: Ebd., S. 119. 378 Das Land der Griechen (1940), S. 19-21, Lebendiges 18. Jahrhundert (1933), S. 14/15; Das Land der Griechen (1940), S. 26-35. 73 schen Gefilden herkommendes paradiesisches Wehen – das ist der reinste, schönste Ton, dessen diese Zeit fähig war. Und wir glauben ihn zu verneh- men in den Gedichten von Salis und Hölty, in Vossens klargestimmtem A- bendlied, in Wielands Oberon-Stanzen und in Jakobis Liebeslied, in Schil- lers klangvoller, breit hinströmender Elegie. Wir glauben ihn auch zu ver- nehmen aus der Prosa jener Zeit, aus Geßners hauchzarter Idylle und aus Mösers heiterer-geselliger Plauderei.379 Daß die Idylle als Gattung und Lebensform ambivalent war, mußte Lampe an sich selbst erfahren. So war sie als Fluchtort vor der Gesellschaft ständig bedroht, erhielt aber dadurch erst eigentlich ihre Kontur. Wie bei vielen nichtfaschistischen Autoren ist auch Lampes Werk von idyllisch- eskapistischen Zügen geprägt.380 Anders als in der nationalsozialistischen Blut- und Bo- dendichtung erscheint die Idylle, die häufig mit der Kindheit verbunden ist, als regressi- ver Ort, der häufig dem Tod geweiht ist. Gegenüber der Idylle des 18. Jahrhunderts hat somit eine entscheidende Umdeutung stattgefunden. Um zu zeigen, wie Lampe die Gattung der Idylle als Prätext einsetzt und funktionalisiert, wird sich im folgenden ein Überblick über die Idylle anschließen, in dem die charakteristischen Strukturen und Motive vorgestellt werden, die für die eigentliche Interpretation der Werke Lampes von Belang sind.

3.2. Die Idylle zwischen Ideal und Wirklichkeit In der Einleitung zur Ausgabe von 1756 richtet Salomon Geßner, der Mitte des 18. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Idyllendichtern gehörte, an den Leser folgende Worte: Diese Idyllen sind die Früchte einiger meiner vergnügtesten Stunden; denn es ist eine der angenehmsten Verfassungen, in die uns die Einbildungs-Kraft und ein stilles Gemüth setzen können, wenn wir uns mittels derselben aus unsern Sitten weg, in ein goldnes Weltalter setzen. Alle Gemählde von stil- ler Ruhe und sanftem ungestöhrtem Glük, müssen Leuten von edler Denkart gefallen; und um so mehr gefallen uns Scenen die der Dichter aus der un- verdorbenen Natur herholt, weil sie oft mit unsern seligsten Stunden, die wir gelebt, Ähnlichkeit zu haben scheinen.381

379 Lebendiges 18. Jahrhundert (1933), S. 70. 380 „Bei vielen jungen nichtnationalsozialistischen Schriftstellern der Zeit (etwa M. L. Kaschnitz in ihrem Märchen ‚Der alte Garten‘, 1940-41) war die unbewußte Zeitflucht in Themen der Kindheitsidylle oder einem romantisch-biedermeierlichen Garten, begleitet von einer existenziell gefärbten, oft ver- zweifelten Natursehnsucht.“ Volker Wehdeking, Aus dem Dritten Reich ins Reich der Dichter. Die noch nicht verleugnete Idylle beim jungen Arno Schmidt, in: Arno Schmidt. Text und Kritik 20, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, 1986, S. 43. 381 Salomon Geßner, An den Leser, in: Ders., Idyllen. Kritische Ausgabe, hrsg. von E. Theodor Voss, Stuttgart 1988, S. 15. 74 Wenn Geßner seine Idyllen als poetische Wiedergeburt des Goldenen Zeitalters feierte, stimmte er mit vielen Zeitgenossen überein, die die Gattung in direkter Nachfolge der griechischen Dichtung sahen. Ihre Thematik und ihre Motive bezieht die Idylle aus der Antike. Aus dieser Tradition erklären sich die idealisierte Landschaft und das Personal: Hirten, Hirtinnen und die niederen mythologischen Figuren. Der Topos382 des locus amoenus, der den Raum der Eklogen bildet, findet sich in seiner typischen Ausbildung bereits bei Theokrit. Bei die- sem wird der Lustort als schattiger, umgrenzter Platz, der von Quellen bewässert wird oder als Grotte beschrieben. Der locus amoenus ist ein fruchtbarer Ort, der die Men- schen und ihre Sinne erfreut. Er ist Ort des Müßiggangs, der Liebe, aber auch der Kunst. Die musizierenden Hirten sind dabei Teil der Natur. So wie die Vögel zum Liebreiz des Ortes beitragen, singen die Hirten von der schönen Natur383 und der Liebe. Die meisten Motive der Idylle gehen auf diesen antiken Topos des locus amoenus zurück. So läßt sich die geschlossene Form der Idylle, meist durch einen Kreis versinnbildlicht, aus der Abgeschirmtheit des locus amoenus von der Außenwelt ableiten. Die gleiche Tendenz zeigen einzelne Motive: Lauben und Brunnen, typische Elemente der Idylle, sind Um- formungen von natürlichen Grotten und Quellen, wie sie aus dem Lustort bekannt sind. Im Laufe der Gattungsgeschichte genügt das Erwähnen einzelner Versatzstücke aus diesem Bedeutungszusammenhang, um den Topos des locus amoenus zu konstruie- ren.384

382 Topoi sind relativ feste Sprach- oder Motivkomplexe, die auf Konvention beruhen und tradiert wer- den. Vgl. Lothar Bornscheuer, Zehn Thesen zur Ambivalenz der Rhetorik und zum Spannungsgefü- ge des Topos-Begriffs, in: Rhetorik. Kritische Positionen zum Stand der Forschung, hrsg. von Hein- rich F. Plett, München 1977, S. 209; Vgl. Lothar Bornscheuer, Topik. Zur Struktur der gesellschaft- lichen Einbildungskraft, Frankfurt 1976, S. 241. Bornscheuer stellt in seiner Arbeit fest, daß der To- pos innerhalb eines Textes verschiedene poetische Funktionen übernehmen kann. Der locus amoe- nus kann so auch Allegorie der Sinne sein, da er Tastsinn, Geschmack, Gehör, Seh- und Geruchs- sinn gleichermaßen anspricht. 383 „Die Hirten rühmen einander zum Singen besonders geeignete Plätze; so entsteht das Schema des locus amoenus: Gras, kühle Quelle, schattige Bäume. Verschiedene Baumarten, Vogelgesang, das Zirpen der Zikaden, das Gurren der Tauben, das Bienengesumm variieren die Anmut solcher Orte.“ Renate Böschenstein-Schäfer, Die Idyllen Theokrits, in: Europäische Bukolik und Georgik, hrsg. von Klaus Garber, Darmstadt 1976, S. 9/10. 384 „Solche Signale [topologische Zitate, A.H.] sind in der Reihe dieser Räume auffällig häufig; sie haben einerseits wohl die Funktion, in einer literarischen Situation, in der die Schauplätze der Idylle grundsätzlich freigegeben sind, deren immer etwas vage Strukturmerkmale – Isolation, Geborgen- heit, Ruhe, Kleinräumigkeit – zu unterstützen; andererseits wird offenbar noch darauf gerechnet, daß sie bei den Lesern die von der Tradition überlieferten affektiven Konnotationen auslösen.“ Re- nate Böschenstein-Schäfer, Idyllischer Todesraum und agrarische Utopie: zwei Gestaltungsformen des Idyllischen in der erzählenden Literatur des 19. Jahrhunderts, in: Idylle und Modernisierung in der europäischen Literatur des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Hans Ulrich Seeber, Paul Gerhard Klussmann, Bonn 1986, S. 25. 75 Die antiken Vorbilder beschränken sich jedoch keineswegs auf das Lob des Landlebens. In ihren Gedichten wird ebenso das Stadtleben in derb-komischer Weise thematisiert. Auch das antithetische Verhältnis von Land- und Stadtleben ist kein Spezifikum der Moderne, sondern findet sich schon bei Vergil und Horaz angelegt. Das Landleben wird auch in der Antike nicht als reiner Naturzustand erfahren, sondern als Gegenbild zum städtischen Leben und ist eine durch Literatur vermittelte Utopie. Rezipiert wurde in der Renaissance jedoch vor allem die arkadische Hirtenwelt als Ver- körperung einer einfachen und unschuldigen Lebensweise, die im 18. Jahrhundert als Gegenentwurf zu einem moralisch verderbenden Leben am Hof aufgegriffen wurde. Arkadien und das Goldene Zeitalter stehen stellvertretend für diese Ansichten. Bereits bei Vergil wird Arkadien, die karge Gegend der Peloponnes, zu einem Gegenstand der Dichtung und in eine fruchtbare Landschaft umgeformt. Arkadien als paradiesartiges Ideal eines selbstgenügsamen Lebens verschmilzt bei Vergil mit der Vorstellung vom Goldenen Zeitalter, in dem Götter, Menschen und Tiere friedlich zusammenleben kön- nen. In Geßners Prosatext Der Wunsch reflektiert der Erzähler angesichts des Landlebens, in das er sich zurückzieht, über die ästhetischen Prämissen der Gattung. Anhand der Ge- genüberstellung zweier Gartenkonzeptionen vermittelt der Erzähler poetologische Hal- tungen. Er wägt so den englischen Landschaftspark und den höfischen französischen Garten gegeneinander ab und befindet für sich: Hinten am Hause sey mein geraumer Garten, wo einfältige Kunst, den an- genehmen Phantasien der Natur mit gehorsamer Hülfe beysteht, nicht auf- rührisch sie zum dienstbaren Stoff sich macht, in groteske Bilder sie zu schaffen.385 Demnach soll Natur so wenig wie möglich geformt und nicht als reiner Stoff miß- braucht werden. Der nach diesen Maßgaben gestaltete Garten ist eine Idylle mit schatti- gen Plätzen, umrankten Quellen, Lauben und einem Bienenhäuschen. Der französische Garten hingegen mit seinen gestutzten Hecken, Labyrinthen und kunstvollen Wegen wird als geschmacklos verachtet, da er sich zu grotesken Bildern formt. Beide Garten- formen versinnbildlichen nicht nur bestimmte Herrschaftsformen - der englische das republikanische System und der französische den Absolutismus -, sondern stellen auch zwei unterschiedliche Dichtungskonzeptionen dar. Denn verläßt man den Weg der an- genehmen Phantasien der Natur, wird die Einbildungskraft also ausgelassener und wil- der, entstehen literarische Phantasien und Capriccios, die durch die groteske Manier

385 Salomon Geßner (1988), S. 66/67. 76 zum diametralen Gegenbild der Idylle werden.386 Charakteristisch für Geßners Idyllen ist eine Idealisierung, die der Ästhetik der „harmonischen Unordnung“387 der Natur ver- pflichtet ist. Die friedvolle Beschaulichkeit der Idylle beruht demnach auch auf der in- haltlichen und formalen Vermeidung alles Heftigen und Übertriebenen. In den Idyllen des 18. Jahrhunderts ist die äußere harmonische Natur immer auch Sinnbild der inneren Tugend. Diese genrehafte Stilisierung388 haftet auch den Geßnerschen Zeichnungen an. Bedingt durch den additiven Aufbau389 der Idylle und die Rezeption als „kleines Bildchen“, was fälschlicherweise von dem griechischen „eidylion“ abgeleitet wurde390, hat sich für die Gattung eine enge Verbindung zur Illustration und zur Malerei ergeben. Diese Nähe zeigt sich auch in der häufigen Bebilderung der Idyllen in Vignetten, die die strukturelle Geschlossenheit der literarischen Gattung variieren. Geßners Idyllen streben nach Bild- haftigkeit und behandeln ihren Gegenstand auf malerische Weise.391 Seine Landschafts- bilder kommentiert Geßner in diesem Sinne: Meine Absicht war dabei nicht klein; der Landschaft wollt' ich den Charak- ter der wahren Natur geben, den Figuren die edle Simplizität des Al- terthums. Die größte Idee vom Schönen, die sich der Künstler denken kann.392 Die Antike ist gleichbedeutend mit dem Schönheitsideal des unverfälschten Naturzu- standes, der auch moralisch zu verstehen ist. Die Schlichtheit der Idylle ist eine bewußte Bescheidung auf die archaische Lebenswelt der Hirten, deren Geschlossenheit weder von innen noch von außen durchbrochen wird. Charakteristisch ist hier die Verbindung idealistischer und realistischer Elemente, die Geßners Idyllen ein hohes Maß an Mus-

386 „Aber fern sey meine Hütte von dem Landhaus, das Dorantes bewohnt, ununterbrochen in Gesell- schaft zu seyn. [_ ] die Natur ist ihm nur schön, weil niedliche Bissen für ihn in der Luft fliegen, o- der den Hain durchirren, oder in der Flut schwimmen. […] Tumult und Unsinn und rasender Wiz begleiten die Gesellschaft zur Tafel, und ein ohnmächtiger Rausch endet die tobende Scene.“ Ebd., S. 67/68. 387 Ebd., S. 68. 388 Eberhard Seybold, Das Genrebild in der deutschen Literatur. Vom Sturm und Drang bis zum Realis- mus, Stuttgart 1967, S. 14. 389 „Diese landschaftlichen Einzelrequisiten, die als Grotte oder Eichenhain dem Menschen eine Wohn- hütte bieten, werden unmerklich vom pars pro toto zum Ganzen selbst verabsolutiert, sie lenken den Blick für den dahinterliegenden Raum auf den gerahmten Teilraum ab. Das geschieht zum einen dadurch, daß der Dichter in einem additiven Verfahren die Einzeleindrücke so aneinanderfügt, daß der Leser sie mit der harmonischen Ordnung der gesamten Natur fiktional in eins setzt.“ Heidemarie Kesselmann, Die Idyllen Salomon Gessners im Beziehungsfeld von Ästhetik und Geschichte im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Gattungsgeschichte der Idylle, Kronberg 1976, S. 31. 390 Renate Böschenstein, Idylle, Stuttgart 1977, S. 2-4. 391 Petra Maisack, Arkadien, Genese und Typologie einer idyllischen Wunschwelt, Frankfurt, 1981, S. 13. 392 Bruno Weber, „Panisches Idyll“ oder „der glückliche Maler der Natur“, in: Salomon Gessner, hrsg. von Martin Bircher, Ders., Zürich 1982, S. 31. 77 terhaftigkeit und zugleich an Wirklichkeitsnähe geben.393 Idealtypische Versatzstücke verklären die eigene Gegenwart394: Der Landschaft wird der Anschein von Natur gege- ben und das Idyllenpersonal zu antiken Figuren kostümiert. Natur ist in der Idylle des 18. Jahrhunderts eine nach pittoresken Aspekten geschaffene (Park)Landschaft. Für Geßner als Autor und für den Leser bedeutet die Landlebendichtung eine begrenzte Rückkehr ins Goldene Zeitalter. Das ländliche Paradies ist Gegenbild zur Stadt.395 Vor allem am Naturbegriff, mit dem die Gattung eng verknüpft ist, wird die Absetzung von der höfischen Kultur festgemacht, wodurch die Idylle verhalten Zivilisations- und Ge- sellschaftskritik äußert. Geßners Absicht ist es nicht, soziale Unterdrückung anzupran- gern, sondern der höfischen, französisch beeinflußten Gesellschaft und Dichtung eine bürgerlich moralische Literatur entgegenzusetzen. Die Natur und der Mensch, der mit ihr in Einklang lebt, sind gut. Sie erfüllt die elementaren Bedürfnisse der Menschen, so daß eine Gemeinschaft des Ausgleichs entstehen kann, der Streitigkeiten und Neid fremd sind. Wenn Geßners Idyllenpersonal gegenüber weniger Begüterten mildtätig handelt oder die Götter um Herdenreichtum für den Nachbarn bittet396, ist dies als Einlö- sung des Rousseauschen Tugendbegriffs zu verstehen, der anders als Begabungen oder Vermögen eine gerechte Gesellschaftsordnung garantiert.397 Der locus amoenus wandelt sich vom „verschwiegenen Liebes- zu einem ‚heiligen‘ Tugendort“ .398

393 „So kommt es denn, daß die Gessnerschen Idyllen einen so hohen Abstraktionswert in der Beschrei- bung sozialer Beziehungen aufweisen, ein wiederkehrendes Muster von verweisungskräftigen Zei- chen - die Hütte, der Hain, der Schlummer der Liebenden, der Gesang als Stimme des Einverständ- nisses u.a. -; das so gearbeitet ist, daß durch dieses Muster historisch Wahrscheinliches aufscheinen kann, weil der Leser mühelos in diesen Zeichen Grundbedürfnisse zu artikulieren vermag.“ Gotthardt Frühsorge, „Nachgenuß der Schöpfung“. Über die Wahrheit des Gesellschaftsentwurfs Geßnerscher Idyllendichtung, in: Maler und Dichter der Idylle. Salomon Geßner 1730-1788, hrsg. von Martin Bircher, Wolfenbüttel 1982, S. 79. 394 „Die allerdings nicht durchgängig vorhandene Repräsentation einzelner Naturelemente durch antike Götter, Faune und Nymphen verweist zeichenhaft auf die von der Wirklichkeit des Alltags abge- setzte besondere ästhetische Zuständlichkeit dieser Welt.“ Heidemarie Kesselmann (1976), S. 24. 395 „Diese Dichtungs-Art bekömmt daher einen besondern Vortheil, wenn man die Scenen in ein entfern- tes Weltalter setzt; sie erhalten dadurch einen höhern Grad der Wahrscheinlichkeit, weil sie für uns- re Zeiten nicht passen, wo der Landmann mit saurer Arbeit unterthänig seinem Fürsten und den Städten den Überfluß liefern muß, und Unterdrükung und Armuth ihn ungesittet und schlau und niederträchtig gemacht haben.“ Salomon Geßner (1988), S. 15/16. Vgl. „Das absichtliche Verwei- gern der Gegenwart als Hintergrund der Idyllen ist eine (wenn auch nicht effektvoll und laut formu- lierte) politisch-sozial begründete Entscheidung.“ Bertold Burk, Elemente idyllischen Lebens. Stu- dien zu Salomon Geßner und Jean Jacques Rousseau, Frankfurt 1981, S. 36. 396 Salomon Geßner, Das hölzerne Bein. Eine Schweitzer Idylle, in: Ders. (1988), S. 132-36; Amyntas, in: Ebd., S. 31. 397 Jean Jacques Rousseau, Über die Wissenschaften und die Künste, in: Ders., Kulturkritische und politi- sche Schriften in zwei Bänden, hrsg. von Martin Fontius, Band 1, Berlin 1989, S. 75/76. Geßner kannte vermutlich den Aufsatz Rousseaus, mit dem dieser den Wettbewerb der Dijoner Akademie gewann, Rousseau hingegen schätzte die Idyllen Geßners, die Einfluß auf dessen Romane nahmen. 398 Idyllen der Deutschen, hrsg. von Helmut Schneider, Frankfurt 1978, S. 389. 78 Insbesondere das harmonische Weltmodell war es, das Kritiker der Idyllen Geßners wie Hegel zu Spott veranlaßte. Unschuldig leben heißt hier aber nur: von nichts wissen als von Essen und Trinken, und zwar von sehr einfachen Speisen und Getränken, zum Exem- pel von Ziegenmilch, Schafmilch und zur Not höchstens von Kuhmilch, von Kräutern, Wurzeln, Eicheln, Obst, Käse aus Milch – Brot, glaube ich, ist schon nicht mehr recht idyllisch –, doch muß Fleisch schon eher erlaubt sein, denn ganz werden die idyllischen Schäfer und Schäferinnen ihr Vieh doch nicht den Göttern haben opfern wollen. Ihre Beschäftigung nun besteht darin, diesem lieben Vieh mit dem treuen Hunde den ganzen lieben Tag aufzupassen, für Speise und Trank zu sorgen und nebenher mit so vieler Sentimentalität als möglich solche Empfindungen zu hegen und zu pflegen, welche diesen Zustand der Ruhe und Zufriedenheit nicht stören, d.h. in ihrer Art fromm und zahm zu sein, auf der Schalmei, der Rohrpfeife usf. zu bla- sen oder sich etwas vorzusingen und vernehmlich in größter Zartheit und Unschuld liebzuhaben.399 Andere wie gingen gnädiger mit der Gattung um. In der Vorschule der Ästhe- tik charakterisiert dieser die Idylle als Freudenspiel, deren Harmonie durch das Aus- schließen von Leid, der Historie und dem Staat begründet ist.400 Für Jean Paul ist die Idylle die Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung401: die kleine überschaubare Welt, die für sich in Anspruch nimmt, Totalität zu sein. Begrenzt man die Gattung nicht auf eine idealisierte Hirtenwelt, sondern faßt die Idylle wie Moses Mendelssohn als „sinnlichste[n] Ausdruck der höchst verschönerten Leiden- schaften und Empfindungen solcher Menschen, die in kleinen Gesellschaften zusam- menleben“402 auf, läßt sich diese auch auf das Bürgertum des 18. Jahrhunderts beziehen. Exemplarisch für diesen neuen Typus403 können Voß‘ Werke gelten, auf die Goethes Charakterisierung der Idyllen Tischbeins zutreffen: Alle kunstreichen idyllischen Darstellungen erwerben sich die größte Kunst, weil menschlich-natürliche, ewig wiederkehrende, erfreuliche Lebenszu-

399 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Band 3, in: Ders., Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bänden, Band 14, Stuttgart 1954, S. 393/94. 400 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, in: Ders., Werke. Kritisch-historische Ausgabe, Abteilung 1, Band 11, Weimar 1935, S. 241. 401 „Wenigstens eine kleine epische Gattung haben wir, nämlich die Idylle. Diese ist nämlich epische Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung. [_ ] Die Beschränkung in der Idylle kann sich bald auf die der Güter, bald der Einsichten, bald des Standes, bald aller zugleich beziehen. Da man sie a- ber durch eine Verwechslung mehr auf Hirten-Leben bezog: so setzte man sie durch eine zweite gar in das goldne Zeitalter der Menschheit, als ob dieses Alter nur in einer nie rückenden Wiege und nicht ebensogut in einem fliegenden Phaetons-Wagen sich bewegen konnte.“ Ebd. 402 Moses Mendelssohn, 86. Brief, die neueste Literatur betreffend, in: Ders., Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, Band 5, Rezensionsartikel, Stuttgart 1991, S. 143. 403 „Der Idyllenheld indes ist nicht länger der Mensch geschichtlicher Frühe, sondern eine poetische Fik- tivgestalt, die Züge des ‚Landmanns‘ und des Städters idealisierend in sich vereint.“ Hans-Dieter Fronz, Verfehlte und erfüllte Natur. Variationen über ein Thema im Werk Heinrich von Kleists, Würzburg 2000, S. 170. 79 stände einfach-wahrhaft vorgetragen werden, freilich abgesondert von allem Lästigen, Unreinen, Widerwärtigen, worein wir sie auf Erden gehüllt sehn.404 Daß die empfindsame Idylle nun in der bürgerlichen Welt selbst verwirklicht wird, drückt das veränderte Selbstverständnis dieser Schicht aus, die gleichzeitig Träger die- ser Literatur ist. Der bürgerliche Alltag wird in Voß‘ Idylle Luise über detaillierte Be- schreibungen von Interieur und Gebrauchsgegenständen einbezogen. Der Erzähler in- strumentalisiert die Alltagskultur, vor allem das Essen, um die bürgerliche Lebenswelt von der des Adels abzuheben.405 War denn der Reisbrei / Angebrannt? und der Wein auf dem Reisbrei nüch- tern und kahnig? / Waren nicht jung die Erbsen und frisch, und wie Zucker die Wurzeln? / Und was fehlte dem Schinken, der Gänsebrust und dem He- ring? / Was dem gebratenen Lamm, und dem kühlenden röthlichgesprengten / Kopfsalat? War der Essig nicht scharf, und balsamisch das Nußöl? / Nicht weinsauer die Kirsche Dernat, nicht süß die Morelle? / Nicht die Butter wie Kern, nicht zart die rothen Radieschen? / Was? und das kräftige Brot, so lo- cker und weiß!406 Die Mahlzeit ist nicht allein sinnliches Vergnügen, sondern drückt auch das neue Selbstbewußtsein des Bürgertums aus. Menge und Qualität der aufgetischten Speisen stehen keineswegs der adligen Tafel nach; die bürgerlichen Gerichte sind lediglich mit weniger Aufwand zubereitet. Die tugendhafte Maßhaltung beim Essen läßt sich den- noch mit dem Kauf von Delikatessen wie holländischem Käse und spanischen Erdbee- ren verbinden, die den erreichten Wohlstand widerspiegeln. Das idyllische Motiv der einfachen Hirtenkost gerät hier in Widerspruch zum eigenen gesellschaftlichen Auf- stieg. Dennoch bleibt die französische Küche und das „Gezier der Höflinge“ als negati- ve Orientierung bestehen, denn „Gut sein ist besser, denn vornehm“.407 Obwohl die Eß- kultur des Bürgertums der des Adels nacheifert, ist sie doch moralisch besser, da der bürgerliche Wohlstand im Gegensatz zu dem des Adels auf eine gottgefällige Lebens- weise zurückzuführen ist. Dieser historische Prozeß der Ablösung des Adels durch das Bürgertum wird jedoch nicht als solcher dargestellt, sondern als ahistorischer Zustand. Idyllenmotive und die Versform des Hexameters sind Ausdruck einer statischen Welt-

404 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Tischbeins Idyllen, hrsg. von Herbert Wolfgang Keiser, Mün- chen 1970, S. 12. 405 „Nur Baurenkost war es freilich, Und kein gräflicher Schmaus; […]“ Johann Heinrich Voß, Luise, in: Ders., Ausgewählte Werke, hrsg. von Adrian Hummel, Göttingen 1996, 1. Idylle, V. 64/65. 406 Ebd, 1. Idylle, V. 80-88. 407 Ebd. 1. Idylle, V. 70. 80 sicht, die gerade durch ihre Zeitlosigkeit allgemeine Gültigkeit für sich beansprucht.408 Dieser raumzeitliche Stillstand, der die Idylle kennzeichnet, ist als literarische Abwehr gegen eine sich verändernde Gesellschaft zu sehen409 und transportiert die Selbstdeutung des Bürgertums als legitimen Erben der archaischen, patriarchalischen Strukturen. So ist der Schrank, in dem Luises Mutter die Aussteuer ihrer Tochter aufbewahrt mit idylli- schen Szenen des Alten Testaments geschmückt. Mittels des Interieurs wird hier ein Kontinuum von biblischer Welt und der eigenen Zeit geschaffen, das als gott- und na- turgewollt legitimiert wird. Jezo nahm aus dem Schranke die alte verständige Hausfrau / Feinere Laken und Bühren, […] und trat vor die eichene Lade /, Die, von den Ahnen ge- erbt, mit alterthümlichem Schnizwerk / Prangete, groß und geräumig: am Schloß war Jakob gebildet, / Seine Rahel umarmend, die Schäferin; neben dem Brunnen / stand ein Lamm auf dem Stein, und es drängte sich trinkend die Heerde.410 Leidenschaften oder gesellschaftliche Unterschiede stellen das Gleichgewicht dieser kleinen Welt niemals in Frage. Der arkadische Traum von Freiheit - auch der erotischen - und Gleichheit verwirklicht sich innerhalb der aufgeklärten bürgerlichen Gesell- schaft.411 Voß übernimmt idyllische Motive und Topoi wie den locus amoenus und setzt diese in die bürgerliche Alltagswelt. Typische Motive der Hirtenidylle wie das einfache Essen oder die musizierenden Hirten werden so aus ihrem eigentlichen Kontext herausge- nommen und in eine mimetisch dargestellte Welt des 18. Jahrhunderts integriert. Inner- halb dieser Welt werden diese Topoi zur Metapher für ein einfaches, naturgemäßes Le- ben. Zum einen lösen sich damit die Motive aus dem traditionellen idyllischen Kontext, zum anderen wird die Gattung über den Bereich der Hirtenwelt hinaus erweitert. Topoi und Motive konstituieren die Idylle nun durch ihre literarische Herkunft innerhalb einer

408 „Die homerischen Herkunftsbezeichnungen für die Gegenstände, die der Autor gelegentlich - zum Beispiel ‚Trank der Levant‘ für Kaffee - ebenso übernimmt wie die für den griechischen Epiker ty- pischen Farb- und Materialqualifikationen, konstituieren eine ‚epische Welt‘ des Sichtbaren und Greifbaren, die von fern wenigstens an den altbekannten und ausgeschrittenen Kosmos von Illias und Odyssee erinnern soll.“ Helmut Schneider, Bürgerliche Idylle. Studien zu einer literarischen Gattung des 18. Jahrhunderts am Beispiel von Johann Heinrich Voss, Phil. Diss., Bonn 1975, S. 109. 409 Rolf Wedewer, Einleitung. Von der Anschaulichkeit zur Wirklichkeit, in: Die Idylle. Eine Bildform im Wandel. Zwischen Hoffnung und Wirklichkeit. 1750-1930, hrsg. von Ders., Jens Christian Jensen, Köln 1986, S. 23. 410 Johannes Heinrich Voß (1996), 3. Idyll, V. 853-63. 411 Ebd., 1. Idylle, V. 440/41. Ein komplexeres Gesellschaftsbild findet sich in den sozialkritischen Idyl- len Voß‘. 81 weniger idealisierten Wirklichkeit. Der ehemals rein additive Aufbau der Idyllen wird nun mit einer bestimmten Weltdeutung verbunden.412 begrüßte diese Öffnung der Gattung gegenüber der neuen Zeit durch Voß, dessen Luise er besonders schätzte. Seine Auseinandersetzung mit der Idylle er- folgt im Rahmen der Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung. Aus der Gegenüberstellung von antiker und moderner Literatur entwickelt er seine Vorstellung von der naiven und sentimentalischen Dichtung. Während die Antike für ihn gleichbedeutend mit der Einheit von Mensch und Natur ist, sieht er die Moderne durch deren Trennung gekennzeichnet, wie sie für die sentimenta- lische Dichtung charakteristisch ist. Diese verlorene Einheit kann nach Schiller nur über das Bewußtsein wieder erreicht werden.413 Schiller behandelt die Idylle nicht im Rahmen einer starren normativen Gattungspoetik, sondern begreift sie als Empfindungsweise. Das erlaubt ihm, sie in das dynamische System der naiven und sentimentalischen Dichtung einzubinden. Im Vergleich zu tradi- tionellen Gattungspoetiken sind hier nicht formale Kriterien bestimmend, sondern die innere Haltung gegenüber dem Dargestellten. Innerhalb der sentimentalischen Dichtung unterscheidet er zwischen der satirischen und der elegischen Empfindungsweise. Die satirische wird über die Entfernung von der Natur und dem Widerspruch der Wirklich- keit mit dem Ideal bestimmt. Bei der elegischen Empfindungsweise überwiegen in der Darstellung die Natur und das Ideal. Elegie als Schilderung des verlorenen Zustands und Idylle als verwirklichter Zustand des Ideals bilden die Unterklassen des Elegischen. Die Idylle ist die dichterische Form des menschlichen Urzustands. Die poetische Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschheit ist der allgemeine Begriff dieser Dichtungsart. Weil diese Unschuld und dieses Glück mit den künstlichen Verhältnissen der größeren Sozietät und mit ei- nem gewissen Grad von Ausbildung und Verfeinerung unverträglich schie- nen, so haben die Dichter den Schauplatz der Idylle aus dem Gedränge des bürgerlichen Lebens heraus in den einfachen Hirtenstand verlegt und der- selben ihre Stelle vor dem Anfange der Kultur in dem kindlichen Alter der Menschheit angewiesen.414

412 „Solange die Schäferdichtung ein zugleich ethisches, soziales und ästhetisches Ideal darstellte, mußte die Einflechtung realer Details die Einheit des Kunstwerks sprengen; sobald das Ideal sich auf den für die Aufklärung vordringlichen ethischen Bereich beschränkte, konnte das Triviale seine komi- sche Wirkung verlieren und in das Ideal integriert werden.“ Burghard Dedner, Wege zum „Realis- mus“ in der aufklärerischen Darstellung, in: Wirkendes Wort 18, 1968, S. 305. 413 „Ist der Mensch in den Stand der Kultur getreten, und hat die Kunst ihre Hand an ihn gelegt, so ist jene sinnliche Harmonie in ihm aufgehoben, und er kann nur noch als moralische Einheit, d.h. als nach Einheit strebend, sich äußern.“ Friedrich Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung, in: Schillers Werke. Nationalausgabe, Band 20, Philosophische Schriften, Teil 1, Weimar 1962, S. 437. 414 Ebd., S. 467. 82 Nach Schiller darf die Idylle nicht Ersatz für eine weniger ideale Wirklichkeit und wie die rückwärtsgewandten arkadischen Idyllen nur empfindsam sein, sondern muß den modernen Leser auch intellektuell fordern.415 Er relativiert Arkadien in diesem Sinne zu einer Erinnerung an den verlorenen Einheitszustand416, und befreit die Idylle so von ih- ren stereotypischen antiken Zügen. Seine Kritik trifft genau das Paradoxon der Gattung, da§ in der Idylle ein utopisches Ziel in der Vergangenheit verwirklicht ist und dadurch um seine eigentliche Wirkungskraft gebracht wird. Er [der Moderne griechischen Geistes, A. H.] mache sich die Aufgabe einer Idylle, welche jene Hirtenunschuld auch in Subjekten der Kultur und unter allen Bedingungen des rüstigsten, feurigsten Lebens, der ausgebreitetsten Denkens, der raffinirtesten Kunst, des höchsten gesellschaftlichen Verfeine- rung ausführt, welche mit einem Wort, den Menschen, der nun einmal nicht mehr nach Arkadien zurück kann, bis nach Elysium führt.417 Schiller fordert anstelle dieser regressiven eine progressive Utopie und damit eine Ori- entierung der Gattung an dem noch zu verwirklichenden Ideal. Die Idylle kann daher zum positiven Gegenbild zur eigenen Zeit werden, die als zerris- sen und entfremdet erfahren wird. Die Gattung und ihre rege Rezeption drückt die Sehnsucht nach einer Wiederherstellung dieses Naturzustands aus. Schillers Kategori- sierung der Idylle als Empfindungsweise und nicht als literarische Form ist so eine kon- sequente Folge der Ausrichtung auf das Ideal, die charakteristisch für alle ästhetischen Schriften Schillers ist. Anders als in der Romantik, deren Progressive Universalpoesie ins Grenzenlose gerichtet ist, fa§t Schiller Dichtung nicht selbstreferentiell, sondern moralisch auf. Er unterscheidet hier zwischen einem echten und einem unechten senti- mentalischen Dichtungstrieb418, der über die Grenze der Natur hinausgeht. Hier steht Schiller Geßner, den er sonst heftig kritisiert, näher als den Romantikern, für die die Phantasie zum bestimmenden Kriterium der Dichtung wird. Schillers Definition der Idylle als elegische Empfindungsweise ist eng mit dem Ende der normativen Gattungs- poetiken verbunden. Während des Sturm und Drang und der Romantik lösen sich die

415 „Sie stellen unglücklicherweise das Ziel hinter uns, dem sie uns entgegenführen sollten, und können uns daher bloß das traurige Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der Hoffnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen Natur ih- ren Zweck ausführen, so haben sie, höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist, und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt.“ Ebd., S. 469. 416 Ebd., S. 468. 417 Ebd., S. 472. 418 „Aber der Weg von der Erfahrung zum Ideal ist so weit, und dazwischen liegt die Phantasie mit ihrer zügellosen Willkür?“ Friedrich Schiller (1962), S. 485; Vgl. das „wilde Spiel der Imagination“ Ebd., S. 485. „[…] nach meinem Sprachgebrauch ist eben das romantisch, was uns einen sentimen- talen Stoff in einer phantastischen Form darstellt.“ Friedrich Schlegel, Der Brief über den Roman, in: Ders., Kritische Ausgabe. Band 2. Charakteristiken und Kritiken 1 (1796-1801), hrsg. und ein- geleitet von Hans Eichner, München 1967, S. 333. 83 festen Gattungsgrenzen auf, was zu einer Vermischung der literarischen Formen führt, eine Tendenz, die sich auch auf den Roman auswirkt, so wie er bei Goethe, vor allem aber bei Novalis und Friedrich Schlegel als romantischer, d.h. als absoluter Roman ver- wirklicht wird.

3.3. Transformation der Idylle Das, was sich bei Schiller bereits ankündigt, wird sich in der Folgezeit in der Um- wandlung der Idylle zum Idyllischen fortsetzen. Die räumliche und zeitliche Geschlos- senheit, die Ausgrenzung jeglicher gesellschaftlicher und historischer Dimension, läßt die Gattung im Realismus unzeitgemäß erscheinen. Während es Goethe 1797 in Her- mann und Dorothea noch gelungen war, die der Idylle widerstrebende Veränderung zu integrieren, markieren Autoren wie oder einen End- punkt der Gattung. Bereits bei Goethe wird die Voßsche Idylle ironisiert, deren be- schränkter Weltentwurf vom Protagonisten Hermann als lächerlich erfahren wird.419 Der Erzähler kritisiert den rein pittoresk verstandenen Begriff der Idylle, der sich zur modi- schen Erscheinung der bürgerlichen Wohn- und Gartenkultur verflacht. In ihrer Veräu- ßerung wird die Idylle zum bloßen Kitsch. Wie der Erzähler von Hermann und Doro- thea aber die kleine in sich abgeschlossene Dorfgemeinschaft durch den vor dem Re- volutionsheer fliehenden Flüchtlingsstrom aufschreckt, so öffnet er die Idylle durch diese lineare Bewegung der Geschichtlichkeit. Neben der für die Idylle so typischen, Kontinuität schaffenden Wiederholung, wird der krisenhafte Umbruch der Revolution als historische Konstante verankert. Im archaisch verklärenden Vergleich der fliehenden Menschen mit dem israelitischen Volk420, verbinden sich epische und idyllische Mo- mente. Sowohl die allgemeingültigen Kräfte der Liebe als auch die der Revolution und ihrer Werte werden in der Figur der Dorothea vereinigt und dadurch ins Gleichgewicht gebracht. Die Idylle konstituiert sich bei Goethe im Spannungsfeld von Privatem und Geschichtlichem neu.

419 „Vieles hab‘ ich fürwahr von meinen Gespielen geduldet, / Wenn sie mit Tücke mir oft den guten Willen vergalten; / Oftmals hab ich an ihnen nicht Wurf noch Streiche gerochen: Aber spotteten sie mir den Vater aus, wenn er sonntags / Aus der Kirche kam mit würdig bedächtigem Schritte, / Lachten sie über das Band der Mütze, die Blumen des Schlafrocks, / Den er so stattlich trug und der erst heute verschenkt ward: […]“ Hermann und Dorothea, in: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hrsg. von Erich Trunz, Band 2, Hamburg 1978, 4. Gesang, V. 164-68. 420 Ebd., 5. Gesang, V. 225-37. 84 Die Übernahme ganzer idyllischer Motivkomplexe in Hermann und Dorothea, etwa in der Begegnung der beiden Liebenden am Brunnen421, deutet auf die Umwandlung der Idylle in ein Motiv- und Formensystem hin, das innerhalb anderer Gattungen als Ver- satzstück des Idyllischen fungiert.422 Die Idylle entwickelt sich in ein: Wunschbild von einem in sich ruhenden, ungefährdeten Dasein, das in ein- gestandener Selbstbeschränkung sich von den Sensationen der sozialen und politischen Veränderung fernhält und dabei den Mythos von herrschaftsfrei- en Zuständen bewahrt.423 In Wilhelm Raabes 1898 entstandener Erzählung Hastenbeck ist das Idyllische endgül- tig literarisierte Sehnsucht nach Glück und nach einem von der Außenwelt ungestörten Privatbereich. Raabe bezieht die Gattungstradition sowohl durch Topoi als auch durch die Nennung der konkreten Werke - der Idyllen Geßners und von Cobers Der aufrichti- ge Kabinettprediger - mit ein. Der intertextuelle Bezug charakterisiert hier nicht wie häufig bei Raabe eine Figur, sondern nimmt innerhalb der Erzählung die Bedeutung ein, Repräsentation von Glück zu sein. Als Hauptmann Uttenberger Geßners Idyllen, die er auf dem Schlachtfeld Hastenbeck gefunden hatte, gemeinsam mit der Pflegetochter der Pfarrleute Imeke liest, wird diese literarische Welt für die Figuren von Raabes Roman relevant. So erkennt der Haupt- mann in Immeke eine Verkörperung dieser Idyllenwelt und in ihr wird über das Werk der Wunsch nach einem besseren Leben geweckt. Durch die Lektüre findet eine Aus- einandersetzung der Protagonisten mit ihrer Wirklichkeit statt, die der idyllischen Uto- pie Geßners derart entgegengesetzt ist: […] als liege Arkadia rund um euch - in unserer Zeit: die Erde rot von Blut, der Himmel rot von Feuer, der Kriegsdonner rundum im Morgen, Abend, Mittag und Mitternacht!424 Die Liebesgeschichte von Immeke und Pold, deren Lebensglück beinahe durch die Wir- ren des Siebenjährigen Krieges vereitelt worden wäre, wird im Verlauf der Erzählung

421 Der Ort, an dem sich Hermann und Dorothea treffen, setzt sich aus den klassischen Elementen des locus amoenus zusammen: „Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet, / Die Jahr- hunderte schon an dieser Stelle gewurzelt, / War mit Rasen bedeckt ein weiter grünender Anger / Vor dem Dorfe, den Bauern und nahen Städtern ein Lustort. / Flachgegraben befand sich unter den Bäumen ein Brunnen. / Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich steinerne Bänke, / Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig hervorquoll, Reinlich, / mit niedriger Mauer gefaßt, zu schöpfen bequemlich. / Hermann aber beschloß, in diesem Schatten die Pferde / Mit dem Wagen zu halten.“ Ebd., 5. Gesang, V. 151-60. Die Szene steht auch in Analogie zum Zusammentreffen der biblischen Figuren Rahel und Jakob, bzw. Rebecca und Isaak. 422 Cordula Kahrmann, Idyll im Roman Theodor Fontanes, München 1973, S. 8. 423 Jens Tismar, Gestörte Idyllen. Eine Studie zur Problematik der idyllischen Wunschvorstellung am Beispiel von Jean Paul, , und , München 1973, S. 7. 424 Wilhelm Raabe, Hastenbeck, in: Ders., Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe, Band 20, Göttin- gen 1968, S. 169. 85 mit der Geßnerschen Idylle von Daphnis und Chloe verknüpft. Vorerst scheint die Idylle nur im Spiegel der Literatur und im Zitat gebildet werden zu können. So gesehen wird sie als eine der idealisierten Gattungen zum Sinnbild für Literatur und deren Verhältnis zur Historie.425 Damit wird jedoch die dargestellte zeitgenössische Wirklichkeit am i- dyllischen Ideal der unangefochtenen Einheit von Mensch und Natur, aber auch von Gesellschaft und Geschichte gemessen. In ihrer Gattungsgeschichte der Idylle sieht Re- nate Böschenstein-Schäfer die topologischen Zitate um 1900 auch als Metaphern für Kunstideale und genuin poetische Weltentwürfe.426 Die konkreten Zeitumstände des Siebenjährigen Krieges, die Geßner bewußt als Hinter- grund seiner Idyllen ausklammert, dienen in der Erzählung Raabes zur Konturierung der Erzählung. Literatur wird hier als Utopie charakterisiert.427 Die konsequente Gegenüber- stellung von Idylle und Antiidylle ist bei Raabe im Zusammenhang mit seinen eigenen historischen Erfahrungen zu sehen. Während Geßners Werk zu dem Zeitpunkt entstand, als das Bürgertum sich gerade als eigene Klasse herausbildete, kennzeichnen Raabes Erzählungen das Ende der bürgerlichen Epoche.428 Durch die Brechung des Idyllischen mit dem Historischen vermittelt Raabe eine geschichtlich reflektierte Lesart und Rezep- tion der Idylle, zeigt aber auch ihr Ende als eigenständige Gattung an. Die grundsätzli- che Gefährdung des idyllischen Daseins wird innerhalb der Erzählung dadurch offen- kundig, daß dieses nicht vom Liebespaar selbst gegründet wird, sondern durch die Au- ßenseiterfigur der „Wackerhanschen“. Die Autonomie der Idylle gegenüber der Au- ßenwelt ist damit fragwürdig geworden. Wenn der Erzähler am Ende eine bürgerliche Familienidylle beschreibt, die sich über die einfachen Dinge wie den Wechsel der Jahreszeiten und das Verhältnis von Mutter und Kind konstituiert, folgt er konsequent den Gattungsbestimmungen der Idylle: Waren sie nicht alle noch vorhanden zu ihrer richtigen Zeit, die Früchte auf dem Feld, die Blumen im Garten, an den Rainen und auf den Wiesen, die

425 „Literatur wird so gleichsam zu einer Arche, die die inneren Werte einer Daseinsform bewahrt, die Raabe als Gegengewicht gegen den Materialismus und die Lebenslüge seiner Zeit bewahrt wissen wollte.“ Karl-Jürgen Ringel, Die zitierte Idylle. Arkadische Sehnsucht und soziale Kritik in Hasten- beck, in: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 22, 1981, S. 242. 426 Renate Böschenstein-Schäfer (1977), S. 39/40. 427 „Dabei erweist sich in der Geschichte der neueren Literatur die Idylle als ein äußerst geeignetes Mittel, Zweifel an der herrschenden Kultur zu artikulieren, die diese Kultur deshalb noch nicht überschrei- ten müssen, weil der angelegte Maßstab ein stilisiertes Ideal - oft sogar mehr noch ein idealisierter Stil ist. [_ ] so findet auch das Bürgertum des 19. Jahrhunderts im Idyll eine Gattung, die Skepsis gegenüber der eigenen Klasse zu artikulieren vermochte.“ Uwe Heldt, Isolation und Identität. Die Bedeutung des Idyllischen in der Epik Wilhelm Raabes, Frankfurt 1979, S. 11. 428 „Salomon Geßners Idyllen erscheinen zu einer Zeit, da das Bürgertum gerade beginnt, eine kulturell eigenständige und politische Rolle zu übernehmen. Wilhelm Raabes Hastenbeck erscheint am Aus- gang dieses bürgerlichen Zeitalters.“ Karl-Jürgen Ringel (1981), S. 228. 86 Vögel in der Luft und im Gezweig, jeder nach seiner Art, bei Tage und bei Nacht? Und gar die alte Weser dort hinter der Gartenmauer!429 Mit der Wiederherstellung der natürlichen Ordnung nach der „Zeit Gewitterdonner“ greift er das charakteristische Motiv der Bedrohung des Glücks durch ein Unwetter in der idyllischen Dichtung auf und deutet es historisch als Krieg.430 Die geschichtlichen Ereignisse stellen die Idylle nicht eigentlich in Frage, lassen aber deren Realisierung unter den gegebenen historischen Bedingungen fragwürdig werden.431 Eine besondere Gestaltung des Idyllischen im 19. Jahrhundert hat Renate Böschenstein- Schäfer untersucht, die sie „idyllischen Todesraum“ genannt hat.432 Insbesondere an Romanen des Realismus wie bei Raabe und Fontane ist ihr eine Überzeichnung von Gattungsbestimmungen der Geschlossenheit oder der Ruhe aufgefallen, die dadurch den Charakter einer Abkehr vom Leben oder sogar einer Vorwegnahme des Todes einneh- men. Diese idyllischen Todesräume sind also sowohl durch eine Betonung der Morbi- dität als auch durch topologische Zitate der idyllischen Gattung bestimmt. Bö- schenstein-Schäfer interpretiert diese ambivalenten Idyllen als Ausdruck einer Zeit, in der auf den Privatraum von außen Druck ausgeübt wird. Auch Lampes gebrochene I- dyllen stehen in dieser Tradition, deren Regressivität und Lebensabgewandtheit als Re- aktion auf die Isolation, aber auch als Negation der Blut- und Bodendichtung verstanden werden können. Selbst in diesen Modifizierungen der Moderne ist die Idylle Ideal und Ausdruck der Sehnsucht nach Glück, um so mehr je weniger idyllisch die Wirklichkeit ist.433

429 Wilhelm Raabe (1968), S. 195. 430 Ebd., S. 90. 431 „Das Idyll fragt nach der Möglichkeit menschlichen Glücks: Raabes Prosa beantwortet die Frage in ihren Negativbildern des isoliert idyllischen Daseins.“ Uwe Heldt (1979), S. 19. 432 Renate Böschenstein-Schäfer (1986), S. 25-29. 433 „Gerade die städtische und großstädtisch geprägte, unüberschaubare Industriegesellschaft und der fortdauernde Prozeß der Verstädterung und Industrialisierung ließen die Sehnsucht nach einem ru- higen und geruhsamen Leben aufkommen, die Sehnsucht nach dem Idyll und der Geborgenheit.“ Klaus Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim 1970, S. 83. 87 4. Konfigurationen und Deformationen des Idyllischen im Werk Friedo Lampes

4.1. Am Rande der Nacht: eine nächtliche Idylle Der erste Roman Lampes Am Rande der Nacht, der 1933 veröffentlicht und kurz darauf verboten wurde, konzentriert sich auf die wenigen Stunden zwischen Dämmerung und Nacht in einer norddeutschen Hafenstadt. Raum und Zeit geben damit einen engen Rahmen für die lockere Verknüpfung der Alltagsgeschichten vor. Etwa vierzig Personen sind in dieser Nacht unterwegs. Darunter befinden sich streunen- de Kinder, zwei Studenten auf der Reise nach Rotterdam, junge Ehefrauen, aber auch entschiedene „Nachtgestalten“ wie eine Prostituierte, ein Kapitän mit sodomitischen und sado-masochistischen Neigungen und ein alternder homosexueller Ringer, der sich im Rausch an seinem Gegner vergreift. Getrieben werden sie von ihrer Sehnsucht nach Liebe, fernen Ländern und einem anderen Leben - Wünsche, die jedoch meist unerfüllt bleiben. Montageartig reiht sich in Am Rande der Nacht ein unerfülltes Leben an das andere, viele der Protagonisten geraten in dieser Nacht an ihre sozialen und individuel- len Grenzen. Der Zollinspektor kann dem Jungen Addi, der von seinem Vater zur Hyp- nosenummer gezwungen wird, nicht helfen und Peter versagt in der Liebesnacht mit der jungen Prostituierten. Resignation und Melancholie machen sich breit. Die episodenhaften Erzählungen dieser einzelnen Schicksale sind lose durch die Hand- lungsorte des Romans der Wallanlage, dem Hafen und dem Varieté Astoria miteinander verbunden. Verknüpft sind diese simultan montierten Erzählstränge auch durch die At- mosphäre des Romans, die von der Nacht und der Musik bestimmt wird. Die Verände- rung der Umgebung durch die Dämmerung schafft dabei eine unheimliche Stimmung. Die Nacht umfaßt auch die ausdrücklich dunklen Seiten: den Tod, hemmungslose Ge- walt, aber auch die Einsamkeit. Zur Ruhe kommen die Protagonisten in der Musik, die sich als Flötenspiel und im Ge- sang des hypnotisierten Addi über den ganzen Romanraum ausbreitet. Das Astoria, in dem Addi seine Kunststücke vorführt, ist einer der Orte des Romans, an dem über die Bedeutung der Gesellschaft und der Kunst reflektiert wird. Gegengewichte zur schein- haften Welt des Varietés bilden die idyllischen Strukturen und Elemente, die wie die Hinterhöfe und Gärten eine beruhigende Behaglichkeit ausstrahlen. Motivzitate aus der Gattung wie Brunnen oder Lauben, das Thema der Freundschaft und die Robinsonade, die Herr Hennicke seinen Söhnen erzählt, schaffen eine Spannung zwischen nächtlicher und idyllischer Welt.

88 4.1.1. Innere und äußere Nacht In Am Rande der Nacht ist die Darstellung der Stadt unweigerlich mit derjenigen der Nacht verbunden. Die Stadt vereint in sich die Ambivalenz der Nacht von Vergnügen und Gefahr.434 Nachts brechen die Menschen aus ihrem Alltag aus und spielen mit ande- ren Rollen- und Verhaltensmuster. Das fast großstädtische Vergnügungslokal Astoria ist so Sinnbild für die nächtliche Seite der Stadt, die in individueller und sozialer Unterdrü- ckung besteht. Mit dem Motiv der Nacht ist aber auch eine gegenüber dem Tag veränderte Auffassung von Wirklichkeit verbunden. Zu Beginn der Moderne wurde immer wieder vor allem die visuelle Reizüberflutung in den Großstädten betont.435 Die spezifische Wahrneh- mung in der Nacht, die zwangsläufig im Zurücktreten des Sehens bestehen muß, stellt gerade die Möglichkeit dieser rationalen Perzeption in Frage. Licht und Dunkelheit, bzw. Tag und Nacht bilden in Am Rande der Nacht einen Dua- lismus. Die Nacht ist dabei nicht nur die Zeit des Schlafes und des Traumes, sondern umfaßt auch die dunklen Stunden des Lebens. Der Tag, dem aufgrund der Lichtmeta- phorik der Aufklärung die Vernunft und der Verstand zugeordnet werden kann, wird von der Dämmerung verdrängt und ist nur durch die Robinsonade, die Hennicke seinen Kindern erzählt und die Lampen präsent, denn ansonsten dominiert die Dunkelheit. In Lampes erstem Roman sind die künstliche Beleuchtung und das gesteigerte Lebenstem- po durch die öffentlichen Verkehrsmittel das Ergebnis eines Modernisierungs- und Ver- städterungsprozesses.436 Ausdrücklich werden jedoch die Straßenlaternen als Vertrei- bung der Nacht, aber auch von Einsamkeit und Tod verstanden. Und die Stadt versuchte sie ein wenig zu verdrängen: mit Laternen und Bo- genlampen, mit Musik und Gespräch – aber die Nacht war mächtiger. Alles füllte sie, umfaßte sie und führte es in immer tiefere Schwärze. Sie war der weiche, strömende, volle Grund, auf dem alles ruhte, in den alles zurück- sank, sie löste die Glieder und machte müde und satt.437

434 Joachim Schlör, Nachts in der großen Stadt. Paris, Berlin, London 1840-1930, München 1991, S. 14. 435 „Menschen in der Stadt sind Augenwesen, die sich durch eine Menge von wahrnehmbaren Einzelhei- ten bewegen, diese überfordern die menschliche Auffassungsgabe völlig. Die Einzelheiten sind ab- gegrenzt, pointiert und stehen in keiner kontinuierlichen Relation mit anderen. Wahrnehmung unter diesen Bedingungen ist eine konstruierende Tätigkeit, die sich rigorosen Selektionsbeschränkungen unterwerfen muß.“ Susanne Hauser, Der Blick auf die Stadt. Semiotische Untersuchungen zur lite- rarischen Wahrnehmung bis 1910, Berlin 1990, S. 18. 436 „Jetzt brannten die Lampen schon, und auch die Elektrische – Linie eins fuhr gerade vorüber und hielt unter der Eisenbahnbrücke – war erleuchtet.“ A.R.d.N., S. 9. „Ein weiterer Aspekt, in dem urbane Erfahrung sich manifestiert, ist die neue Zeiterfahrung. Sie ist in erster Linie durch die Elektrifizie- rung und Mechanisierung der Städte bedingt und hat eine völlig neue Art der Wahrnehmung zur Folge.“ Sabina Becker, Urbanität und Moderne. Studien zur Großstadtwahrnehmung in der deut- schen Literatur 1900-1930, St. Ingbert 1993, S. 38. 437 A.R.d.N., S. 42. 89 Die Nacht wird als ursprünglicher Trieb gedeutet, der mit Aggression und Sexualität verbunden ist, aber auch die gesellschaftliche Isolation und die Ängste des Individuums enthüllt.438 Als ausschließlicher Zeitraum des Romans bildet sie einen polaren Gegen- satz zu den idyllischen Momenten in Am Rande der Nacht, zumal die Idylle an den Tag gebunden ist.439 In vielen Schöpfungsmythen ist die Nacht der ursprüngliche Zustand der Welt. In anti- ken Erzählungen von der Erschaffung der Welt entstehen erst aus der Verbindung von der Nacht Nyx und dem Sitz der Finsternis Erebos der Tag und der Äther. Dabei ist sie so mächtig, daß sie als Mutter des Schönen und des Schrecklichen440 selbst von Jupiter gefürchtet wird. Lampes Darstellung der Nacht weckt Assoziationen an Schlaf, Traum und Tod, die im antiken Mythos eng miteinander verbunden sind. Asmus Jakob Carstens hat so in Karl Philipp Moritz‘ Götterlehre441 die griechische Vorstellung der Frau Nacht dargestellt, die mit ihrem Mantel ihre beiden kleinen Söhne Schlaf und Tod, die sich an ihren Kör- per geschmiegt haben, beschützt. Die gemeinsame Abstammung von Tod und Schlaf, die durch ihre Attribute - die nach unten zeigende erloschene Fackel und die Mohnkap- seln - voneinander zu unterscheiden sind, lassen die Deutung des Schlafs als Vorweg- nahme des Todes und des Todes als ewigen Schlaf zu. Aufgrund dieser Nähe zum Tod wird die Nacht häufig als eigentliche Zeit der Melancholie und des Nachdenkens über die Sterblichkeit des Menschen verstanden. Grundlegend für die Auffassung der Nacht ist ihr ambivalenter Charakter, der sich in ihren schöpferischen und zerstörerischen Eigenschaften zeigt. Im Mythos verdichtet sich demnach die elementare Erfahrung, daß sie für den Menschen gleichermaßen Ge- borgenheit als auch Bedrohung bedeuten kann. Letztendlich bleibt die Nacht jedoch

438 Stephanie Rosenthal, Großstadtnächte grell geschminkt, in: Die Nacht. Ausstellungskatalog, Haus der Kunst München, hrsg. von Erika Billeter, Bern 1998, S. 136; S. 146. 439 Bis auf Geßners Die Nacht von 1753 ist die Zeit der Idylle der helle Tag. Salomon Geßner (1988), S. 5-11. 440 Elisabeth Bronfen, Nächtliche Begegnungen anderer Art, in: Die Nacht (1998), S. 145. 441 Moritz bezieht sich hier nach Gerhard Kaiser auf den 14. Gesang der Illias und die Theogonie Hesiods. Gerhard Kaiser, Mutter Nacht – Mutter Natur. Anläßlich einer Bildkomposition von Arnim Jakob Carstens, in: Ders., Bilder lesen. Studien zur Literatur und bildender Kunst, München 1981, S. 11. 90 unausdeutbar. In Analogie zu ihrer Eigenschaft als Urstoff der Welt ist sie auch die Zeit, in der der Künstler schöpferisch wird. Damit wird nicht nur eine Verwandtschaft zwi- schen dem alogischen Traum und dem Kunstwerk hergestellt442, sondern auch darauf hingewiesen, daß mit der Nacht die Einbindung des Künstlers in die Gemeinschaft weg- fällt und ihn so frei macht, seine gesellschaftliche Stellung zu überdenken. Die Kunst ist somit eine Wiederholung der Urschöpfung, die aus der Dunkelheit hervorgeht und mit dem Traum und dem Unbewußten verbunden ist. Anders als der Tag wird die Nacht als dunkler, aber homogener Raum wahrgenommen oder ist durch eine Innenwelt ersetzt, die oft grotesk wirkt. Aufgrund der fehlenden schützenden Grenzen ist die Nacht eine von Ängsten besetzte Zeitspanne, in der das Dämonische einbricht, wie die vielen nächtlichen Gespenster und Gestalten zeigen. Mit der öffentlichen Beleuchtung der modernen Stadt verändert sich das Erleben der Nacht. Das Bogenlicht, das durch die Entladung von Kohleelektroden entsteht, galt um 1880 als modernste Beleuchtungsform und wurde vor allem an öffentlichen Orten ein- gesetzt. Die künstliche Beleuchtung der Stadt ist damit eine Kindheitserfahrung Lam- pes. Bereits von Zeitgenossen wurden die Straßenlaternen als Triumph der Technik über die Natur angesehen, da das elektrische Licht, anders als etwa das Gaslicht, dem Son- nenlicht vergleichbar ist.443 Im Gegensatz zu traditionellen Lichtquellen wie Kerzen oder Petroleumlampen verbreitet die öffentliche Beleuchtung keine intime Atmosphäre, sondern schafft vielmehr Kälte und Distanz. Der Einbruch der Nacht bedeutet nun nicht mehr das Ende aller Tagesgeschäfte und der Rückzug ins Häusliche. Mit der Erhellung der Nacht behält der Sehsinn seine dominante Rolle auch während dieser Stunden bei. In Am Rande der Nacht charakterisiert das Licht die Dinge. Wie in expressionistischen Filmen inszeniert es die Gegenstände, betont und deutet sie. Das Licht wird aber auch in seiner Instrumentalisierung als Kaufreiz dargestellt. Die beleuchteten Schaufenster sol- len selbst nachts flanierende Städter auf die Auslagen der Geschäfte aufmerksam ma-

442 „Die Brücke zwischen den Traumphantasien und der Kunstproduktion wird weniger durch gemeinsa- me Bildmotive und Metaphern geschlagen, als durch die Struktur der symbolischen Logik, die als Sinnstifterin in den Träumen und den Bildern der Kunst eine unverzichtbare Alternative zum lo- gisch kausalen Denken darstellt.“ Hubert Gaßner, „Der Mond ist aufgegangen“... Malen im Dunkel – Malen des Dunkels, in: Die Nacht (1998), S. 16. 443 Wolfgang Schivelbusch, Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert, München 1983, S. 58. 91 chen.444 Sogar auf die im Roman beschriebene Prostitution läßt sich diese Beobachtung ausweiten. Denn die Mädchen stehen unter den Straßenlaternen und preisen ihren Kör- per unmißverständlich als Ware an. Viele wurden jetzt in der Nacht erst richtig lebendig. Die Frauen gingen auf die Hafenstraße und blickten umher. Sie knipsten mit den Augen und riefen. Unter der Laterne standen sie und bei der bunten Anschlagsäule. Die große Bogenlampe strahlte lila und weiß.445 Durch das besonders grelle Licht der Bogenlampen werden die menschlichen Bezie- hungen in der Stadt als kalt und allein von Geld bestimmt charakterisiert. Auch die Be- gegnung des jungen Mannes und der Prostituierten, erscheint in diesem harten Licht zum Scheitern verurteilt. Diesem ausgesprochen kühlen Licht werden traditionelle Beleuchtungskörper wie die Petroleumlampe gegenübergestellt, die in der Hennickeschen Laube idyllische Gebor- genheit verbreitet.446 In Am Rande der Nacht betonen die Lichtquellen wie in der Neuen Sachlichkeit die Gegenständlichkeit, wobei das moderne Stadtleben durch das grelle Licht der Bogenlampen als versachlichend, anonym und inhuman beschrieben wird. Ein weiteres auffallendes Phänomen sind die Reflexe der Züge auf dem Wasser der Wallanlage. Sowohl auf der Ebene des Lesers als auch der der Protagonisten schaffen diese Lichtsignale eine zeitliche Orientierung innerhalb des Erzählflusses. So kann der Leser an diesen erkennen, welche Episoden gleichzeitig geschehen. Für die Figur des alten Mannes hingegen ist das Vorbeifahren des Zuges Zeichen aufzubrechen. An die Stelle natürlicher Phänomene, die das Vergehen der Zeit sichtbar machen, sind hier technische getreten. Die Uhr und damit eine mechanische Zeitauffassung bestimmt ganz den Lebensablauf der Menschen und disziplinieren ihn im Sinne der Industrialisierung. Er sah die Lichter der Bahn durchs schwarze Wasser fliegen, über die Schwäne, die Büsche und Bäume liefen sie dahin. Er riß sich zusammen. Es wurde höchste Zeit, daß er zu Bett ging. Sonst war er morgen früh im Dienst nicht zu gebrauchen.447

444 A.R.d.N., S. 21. Vgl. „Das erleuchtete Schaufenster als Bühne, die Straße als der dazugehörige Thea- tersaal, und die Passanten als Publikum, damit wären wir wieder am Schauplatz des großstädtischen Nachtlebens angelangt. Tatsächlich erschien die nächtliche Geschäfts- und Vergnügungsstraße, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausbildete, der Boulevard, wie ein Innenraum im Freien.“ Wolfgang Schivelbusch (1983), S. 143. 445 A.R.d.N., S. 43. 446 „Da war etwas, was sie tröstete und beruhigte, ein friedliches Bild. Dort saß nämlich am Ende des Gartens in der von großen Blättern umrankten Laube Herr Hennicke, der Geographielehrer, mit sei- nen zwei Söhnen. Eine Petroleumlampe stand mitten auf dem Tisch und verbreitete einen warmen, gelben Schein.“ Ebd., S. 30. 447 Ebd., S. 143. 92 Diese gezielte Lichtführung enthüllt das Leben in der modernen Stadt als Kommerziali- sierung der menschlichen Beziehungen und der Zeit. Das künstliche Licht steht im Dienste einer Technisierung der Wirklichkeit, die sich in einer Verplanung des Lebens ausdrückt. Dadurch, daß aber keine vollkommene Beleuchtung der Stadt gelingt, bleibt die Dunkelheit und die Nacht die bestimmende Kraft im Roman. Mit der einsetzenden Dämmerung verlieren die Dinge ihre klaren Konturen und ver- schwimmen in der Dunkelheit, so daß sie nicht mehr eindeutig erkannt werden können. Die Kinder, die an der Wallanlage auf das abendliche Erscheinen der Ratten warten, sehen sich bereits um ihr Abenteuer gebracht, da die Dunkelheit zu optischen Täu- schungen führt. „Sie kommen gleich, du sollst sehen“, sagte Erich, aber seine Stimme klang wenig zuversichtlich. „Es muß nur noch etwas dunkler werden.“ „Ja, so dunkel, daß man gar nichts mehr sehen kann, und dann sagst du: da sind sie, und dann ist es irgendeine Baumwurzel. Das kennen wir. Zu albern. Dicke- tuerei.“448 Vor allem die Mädchen empfinden das Warten als bedrohlich. An die Ratten, die sich immer nur im Dunkeln zeigen, knüpfen sich irrationale Ängste.449 Die Kinder werden von der Wallanlage durch das Ungefestigte - den Übergang von sicherem Grund zum Wasser - und den dort lebenden Ratten, Kröten, Fischen und Würmern gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Diese Ambivalenz ist sexueller Natur. Luise ist durch das Gesehene, das sie in phallischen Formen und gleitenden, bzw. zuckenden Bewegungen wahrnimmt, unbewußt erregt, wobei sie dies sofort moralisierend mit Schmutz in Ver- bindung bringt. Weicher warmer Schlamm. Kröten. Rosa Würmer. Etwas weiter gleiten kleine Fische durch die goldbraune Flüssigkeit. Luise kratzte vor Erregung an ihrem nackten Knie, trotzdem es gar nicht juckte. Sie hockte, die Arme um die Beine geschlungen. Die Schuhe waren schon wieder schmutzig, auch die Strümpfe, auch der Rock hinten? Sie hatte mal gesessen -450 Sexualität und ungehemmte Gewalt sind ein Teil der Nacht. Gesellschaftliche und mo- ralische Grenzen werden durchbrochen, Frauen betrügen wahllos ihre Ehemänner, Männer haben Verhältnisse miteinander und Schwächere werden gequält. Auch familiä- re Beziehungen sind nicht durch Liebe und Zuneigung definiert, sondern durch Aus-

448 Ebd., S. 5. 449 „Denn eigentlich mochten sie Ratten doch gar nicht. Scheußliche Tiere. Fast die widerlichsten Tiere, die es gab. Vor allem die glatten, haarlosen Schwänze. I gitt – i gitt. Und gingen sie nicht auf Men- schen los? Wer hatte doch neulich erzählt, daß sie in die Schlafzimmer kamen und den Menschen – brr – nicht dran denken.“ Ebd., S. 6. Diese Ängste werden im Roman durch den Zeitungsartikel über die Rattenplage in New York und den Beschwerdebrief des Anlagewärters ironisiert, Ebd., S. 51-55. 450 Ebd., S. 6. 93 übung von Macht. Sexualität ist im Roman durch Aggression bestimmt, die meisten dargestellten Beziehungen sind asymmetrische Gewaltverhältnisse.451 Auffällig ist das breite Spektrum der Sexualität, das Lampe darstellt: Homosexualität findet sich hier neben Prostitution, Sodomie und sado-masochistischen Neigungen. Vor allem die offe- ne Darstellung von Homosexualität führte zu dem Verbot des Romans452, tatsächlich ist die ursprüngliche Fassung von 1933 um einiges deutlicher als die bereinigte aus den fünfziger Jahren.453 So hat Johannes Pfeiffer alle deutlichen Hinweise auf Homosexua- lität aus dem Roman gestrichen und vor allem den Kampf zwischen Alvaroz und Dieckmann zensiert, in dessen Verlauf der Ringer Dieckmann zunehmend die Kontrolle über sich verliert. Aus Wut und Enttäuschung darüber, daß Alvaroz ihn abgewiesen hat, vergreift sich Dieckmann während des Kampfes sexuell an seinem attraktiven Konkur- renten.454 Nach der Veranstaltung, als er durch die Hintertür das Lokal verlassen muß, sieht er sich selbst im schwarzen Wasser der Wallanlage. „Ach, das sitzt ja so tief in einem drin“, sagte Hein und blickte auf die trübe schwarze Flut, „das ist ja im ganzen Körper drin, was soll man da machen. Ich bin ein Schwein und weiter nichts.“ Jonny schnob verlegen und verär- gert auf. „Ich glaub fast, du tust dich. Mensch, nimm dich doch zusammen.“ „Ich bin ja so gemein“, sagte Hein, „ich bin ein Dreck und weiter nichts.“455 Die einsetzende Dunkelheit schwärzt die Wasseroberfläche, so daß sie blind wird und nur noch die Nacht widerspiegelt. Die Wirklichkeit erscheint verschlossen, nur auf sich selbst bezogen und damit nicht deutbar. Das reale Spiegelbild Dieckmanns wird durch das gesättigte schwarze Wasser als Sinnbild seines Inneren ersetzt, das ihm seine eigene

451 „‚Er will mich quälen. Es macht ihm Spaß, mich zu quälen. Immer ist er hinter mir her. Er hat mich ruiniert.‘ ‚Aber warum denn? Warum denn bloß?‘ Bauer lächelte trübe und verlegen: ‚Ja, ist ne ko- mische Art von Liebe, das kann man schon sagen. Aber sehen Sie, wenn einer immer allein auf dem Meer herumfährt und keine Frauen mitnehmen darf, dann muß er ja verdreht werden und dann ver- fällt er eben auf so was.‘ ” Ebd., S. 69. 452 Lampe beklagt sich bei Erwin Ackerknecht in Verkennung der politischen Lage, daß sein Roman unter den § 7 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes vom 4.2.1933 falle. Friedo Lampe an Erwin Ackerknecht am 6.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 453 Eine synoptische Darstellung der beiden Fassungen von Am Rande der Nacht leistet Johannes Graf in seiner Magisterarbeit. Johannes Graf (1989/90), Anhang. Die Ausgabe von Johannes Graf aus dem Jahr 1999 revidiert die Streichungen, die Lampes Freund Johannes Pfeiffer für die Ausgabe von 1955 vorgenommen hatte. Pfeiffer hatte damals vorwiegend die Beschreibungen sexueller Handlun- gen, vor allem die Ringkampfsszene zensiert, so Johannes Graf in seinem Nachwort. Nach den An- gaben Pfeiffers entsprachen seine Streichungen Friedo Lampes eigenen Wünschen, doch erscheint es wahrscheinlicher, daß Pfeiffer die Freizügigkeiten von Am Rande der Nacht dem prüden Klima der fünfziger Jahre anpassen wollte. Johannes Graf, Nachwort, in: A.R.d.N., S. 168/69. 454 „Die Ringenden legten tastend und klatschend die Hand auf den Körper des anderen, um einen festen Angriffspunkt zu finden, sie glitten wieder ab, näherten sich von neuem, umstrichen, umkreisten einander wie zwei lautlose Panther. Es war ein stilles Spiel der Glieder, ein noch nicht Zusammen- kommenkönnen, ein kurzes Umschlingen, Sichaneinanderschmiegen, Sichabstoßen. Aber eine jede Berührung der Körper machte sie erregter, stachelte sie auf, drängte sie mehr zusammen, erzeugte durch Reibung elektrische Ströme.“ Ebd., S. 125. 455 Ebd., S. 157. 94 Nacht entgegenhält.456 Der unkontrollierte Ausbruch der Leidenschaft wird von ihm selbst als seine dunkle Seite verstanden, die er zwar verurteilt, aber nicht beherrschen kann.457 In Am Rande der Nacht wird Leidenschaft und Sexualität als elementare Kraft darge- stellt, durch die die Protagonisten die Kontrolle über ihre Handlungen verlieren und damit ihre Lebensperspektive vernichten.

4.1.2. Die Idylle als Ort des gesellschaftlichen Rückzugs Nachdem Luise von dem Abenteuer mit den Ratten, die nachts in den Wallanlage er- scheinen, nach Hause zurückgekehrt ist, schaut sie durch das Fenster auf die Hinter- hausgärten. Sie lehnte ihren Kopf in die Hand und träumte dabei in den Garten hinunter. Die Töne zogen eine ruhige, stetige Bahn, der weiche Abendwind rauschte ein wenig in den Bäumen der Gärten und trug die vollen Gras-, Blumen- und Blattgerüche heran. Die Gärten lagen dunkelgrün und undeutlich da, Baummassen, Büsche, schwarze Planken, weichumrandete Rasenstücke, Turnrecke für Kinder.458 Der rein visuelle Zugang zum Raum ist distanzierend. In Luises träumerischem Schauen drückt sich jedoch gleichermaßen ihre Einsamkeit als auch das Bedürfnis aus, diese Trennung zu überwinden. Diese Fensterblicke, wie man sie auch aus Porträts der Ro- mantik oder den neusachlichen Stilleben kennt, sind Chiffren der Sehnsucht nach einem anderen Leben und Entgrenzung.459 Während sie aufgrund der Dunkelheit nur die Kon- turen der Gegenstände sehen kann, nimmt sie die Gerüche aus den Gärten, die Geräu- sche und die Musik deutlich wahr. Durch die verschiedenen Gerüche und die Musik, die zu ihr dringen, erlebt sie den Raum nicht mehr visuell distanziert, sondern auch mit den anderen Sinnen. Mit dem Sehsinn kann das Außen hier nur als ins Licht tretende Frag-

456 „Auch die unkontrollierten Aggressionen der dunklen Triebe und die Gewalttaten, die das Licht scheuen, gehören den formauflösenden und zerstörerischen Kräften der Nacht an.“ Hubertus Gaßner (1998), S. 27. Das schwarze Wasser kann auch im Sinne der mittelalterlichen Säftelehre die Galle und damit die Melancholie repräsentieren. 457 „Dieckmann ist seines Verhaltens nicht mehr mächtig. Er erscheint als fremdgesteuert. Seine Reaktion ist rational nicht zu rechtfertigen. Er zerstört nicht nur den schönen Schein der Gestalt von Alvaroz, dessen wohlgeformter Körper zerschunden und blaugeschlagen am Boden liegt, sondern auch seine eigene Existenz, seinen guten Ruf als Ringer.“ Johannes Graf (1989/90), S. 77. 458 A.R.d.N., S. 29. 459 „Das in vielen neusachlichen Stilleben verwendete Motiv des Fensters, das einen Ausblick auf Stadt oder Landschaft andeutet, erfüllt daher häufig die Funktion der kontrapunktischen Projektion von Wünschen nach Befreiung von Zwang und Isolation. Strenggenommen gehören diese Stilleben zu den Interieurs, deren Variante des Fensterbildes der deutschen Romantik sie fortsetzen und mit neu- em Inhalt füllen.“ Sybille Ebert-Schifferer, Die Geschichte des Stillebens, München 1998, S. 352/53. 95 mente wahrgenommen werden460, mittels des Gehörs und des Geruchssinns wird die Nacht aber als allumfassender Raum erfahren. Die Begrenzung der visuellen Wahrneh- mung bedeutet gleichzeitig ein Zurückgehen der rationalen Erfassung der Wirklichkeit. Getragen von der Flötenmusik beginnt Luise zu träumen und erlebt so den Raum jen- seits aller Gegenständlichkeit als Einheit von Dunkelheit, Musik und den verschiedenen Gerüchen. Mit dem Verlust der visuellen Orientierung ist eine Wahrnehmung der Um- gebung als alles ausfüllende Dunkelheit verbunden, so daß die Nacht als Körper erlebt wird. Die diffusen Ängste, die die Episode mit den Ratten in den Wallanlagen geweckt hat, manifestieren sich in Luises Alptraum, in dem die Ratten die Schwäne töten. Die Nacht wird so zum Raum, in dem sich das Unbewußte offenbart.461 In ihrem Alptraum ist der Sehsinn als Möglichkeit der Orientierung ausgeschaltet, Wasser und Luft bilden eine homogene Schwärze, die ein beklemmendes Raumgefühl auslöst.462 Insbesondere durch die Wassermetapher wird das Gefühl einer existenziellen Bedrohung des Men- schen dargestellt.463 Diese schwarze Masse, von der sich allein die Schwäne weiß leuchtend abheben, wird von ihr als Widerstand erfahren. [_ ] und das Wasser war ganz schwarz, dick und schwer, man konnte gar nicht etwas hineinsehen. Nirgends war ein Licht, und die Luft war schwül und legte sich um die Schwäne und das Häuschen und auf das Wasser, und alles war eine dicke, schwarze, volle Dunkelheit, und man hatte das Gefühl, daß man nur schwer durch diese Luft durchkam, und daß sie weich und rau- chig einen durchfloß und umdrängte und hinderte beim Vorwärtsgehen, Vorwärtsgleiten.464 Die Ratten können dem dunklen Bereich, der Nacht zugeordnet werden, während die Schwäne, bei denen das auffällig weiß leuchtende Gefieder hervorgehoben wird, dem Hellen und Lichten angehören. In dem Zeitungsartikel über die Rattenplage in New York, den der Anlagenwärter liest, werden die Ratten als Plage der modernen Großstadt beschrieben und mit Alkoholismus, Kriminalität und Wirtschaftskrisen verglichen. Wie diese untergraben die Ratten die Fundamente der Stadt, so daß deren Einstürzen zu er- warten ist. Die Ratten versinnbildlichen eine unbestimmte Gefahr, die von der Groß-

460 „Der Stallknecht ging mit einer Lampe über den Hof, leuchtete hierhin und dorthin, ging in den Stall, und für Augenblicke trat ein fahler Heuhaufen, eine Bretterwand mit Pferdegeschirr, ein breiter glänzender Pferderumpf hervor.“ A.R.d.N., S. 30. 461 Hannes Leopoldseder, Groteske Welt. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Nachtstücks in der Romantik, Bonn 1973, S. 43. 462 Johannes Graf (1989/90), S. 149. 463 Sabine Kurpiers, „Wellenschlag des Daseins“ und „Strudel der Angst“: Wassermetaphern in Moderne und Antimoderne, in: Banalität mit Stil. Zur Widersprüchlichkeit der Literaturproduktion im Natio- nalsozialismus, hrsg. von Walter Delabar, Horst Denkler, Erhard Schütz, Bern 1999, S. 126. 464 A.R.d.N., S. 113. 96 stadt selbst ausgeht, der eine babylonische Vernichtung droht.465 Durch die Perspektive des Anlagewärters wird diese Meldung jedoch als Skandalgeschichte ironisiert. In Lampes Gedicht Schwanentod wiederholt sich eine ähnliche Konstellation. Auch hier wird ein Schwan getötet, allerdings fällt er in diesem Gedicht einem Jäger zum Opfer. Für Lampes Arbeitsweise ist es keineswegs ungewöhnlich, daß ein Stoff in mehreren Varianten dargestellt wird. So ist die kurze Erzählung Das dunkle Boot 1936 zuerst als Ballade erschienen. Die Dualität von Ratten und Schwänen ist im Gedicht in die von Jäger und Schwan um- gewandelt. Stärker noch als im Roman wird im Gedicht hervorgehoben, daß Schwan und Jäger unterschiedlichen Prinzipien angehören. So wird in den beiden Rahmenstro- phen die Atmosphäre der Nacht wiedergegeben, die durch Wein und Gesang rausch- hafte Züge annimmt und dadurch in den dionysischen Bereich gerückt wird. Der helle Schein des Gefieders des Schwans und seine Zugehörigkeit zum Bereich des Traumes und des Mythos466 - der Schwan ist das heilige Tier Apollons467 - lassen in ihm eine Ver- körperung des Apollinischen im Sinne Nietzsches sehen.468 Daß Lampe hier auf den bedeutenden Philosophen zurückgreift, erscheint nicht nur wahrscheinlich, weil Nietz- sche die Literatur der Jahrhundertwende entscheidend beeinflußt hat, der sich Lampe verpflichtet fühlte, sondern auch, da Lampe bei Karl Jaspers ein Seminar über diesen belegt hatte.469 Das Töten des Schwanes ist deshalb nicht nur als Vernichtung des Schö- nen durch das Häßliche in Anlehnung an das Erschießen der Reiher des Ibikus durch die Pygmäen in Faust II zu deuten470, sondern muß auch im Zusammenhang des Wider- streits zwischen dionysischem und apollinischem Prinzip gesehen werden. Wie tot und still liegt das Moor, / Mond bricht aus grauem Gewölk / Und spiegelt sich im schlammigen Morast / In dem die dicken umgestürzten Ei- chenstämme / Modern und phosphorisch glimmen. / Da wacht der Schwan auf aus dem Traum, / Sanft erschimmernd im Mondenschein, / Und reckt sich hoch, schlägt weit und königlich mit den Flügeln, / Streckt den Hals und schreit gell auf zum Mond, / hebt sich auf aus dem Schlamm in das bleiche Licht, / Hebt sich auf aus dem schweren Morast und schwebt,

465 Hans Dieter Schäfer (1976), S. 472. 466 In der Erzählung Der Raub der Europa wird der Wagen Amphitrites von sechs Schwänen gezogen, V.T.z.T., S. 287. 467 Karl Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Band 2, Die Heroen-Geschichten, München 1966, S. 129. 468 Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, in: Nietzsche Werke. Kriti- sche Gesamtausgabe, hrsg. von Giorgio Colli, Mazzino Montinari, Abteilung 3, Band 1, Berlin 1972, S. 26. 469 Eugène Badoux (1986), S. 93. 470 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, in: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, hrsg. von Erich Trunz, Band 3, München 1976, V. 7660. 97 schwebt / Mit ruhigen starken Flügelschlägen über das Schilf, / Über die ur- alten Wälder / Höher und höher auf zum lichtgesättigten Gewölk-471 Im Gegensatz zum Schwan bleibt der Mensch auf das Element der Erde beschränkt. Das Irdische, das wie häufig bei Lampe als diffuser Zwischenbereich, als Übergang von Er- de in Wasser dargestellt wird, beginnt bereits zu verfallen. Selbst das phosphorisierende Licht ist aus dem Verwesungsprozeß hervorgegangen. Das Schöne wird vernichtet und in das Moor hineingezogen. Indem die Anfangsstrophe nun mit der Zeile „Es ist Mond, Moor und Tod“ abgeschlossen und ans Ende des Gedichtes gestellt wird472, erscheint der Tod als Teil der Nacht und des Dionysischen integriert. Auch in Luises Alptraum in Am Rande der Nacht können die Schwäne durch das hell leuchtende Gefieder und ihre Zuordnung zum Traum als Verkörperung des Apollini- schen gedeutet werden. Anders als in Schwanentod klingt im Roman neben der Tötung des Schönen durch das Niedere auch Luises Hilflosigkeit gegenüber dem Tod der Schwäne an, die sich im Verlust ihrer Stimme und ihrer Hände ausdrückt. Luise macht hier die Erfahrung des Ausgestoßenseins, die sich darin äußert, daß sich ihr die Umge- bung entzieht. Erst als sie ihre abwehrende Haltung aufgibt, widerstrebt ihr der Raum nicht mehr473 und sie wird Zeugin des Überfalls der Ratten auf die schlafenden Schwä- ne. Luise war dabei, sie mußte dabei sein und konnte nichts tun, sie glitt hin und her, aber sie hatte keine Hände zum Helfen, alles geschah, und sie mußte es mit ansehen und wollte schreien, machte den Mund auf, aber da sank sie unter in das Wasser, das blutige Wasser, hinuntergezogen, gurgelnd - Und da, da konnte sie plötzlich, plötzlich schreien, gurgelnd, das blutige dicke Wasser in der Kehle: „Die Schwäne! Die Schwäne! Die Ratten!“474 Das Wasser, das eigentliche Element des Lebens, wird durch das Blut der Schwäne zum Element des Todes. Mit dem Eintauchen in das blutrote Wasser erlebt sie den Tod der Schwäne an sich selbst, indem sie sich aber dieser Erfahrung öffnet, gewinnt sie ihre Kraft zurück und kann das an den Schwänen begangene Unrecht zumindest artikulieren. Aus dem Kontrollverlust des Untertauchens wird eine Art Wiedergeburt. Das Wasser ist hier gleichzeitig Todes- und Lebensfluß, dessen Vitalität auf Luise übergeht. Das per-

471 N., S. 348. 472 „Es ist die dicke schwere Nacht, / Es ist ein Bündel schwarzblauer Trauben, / Es ist das Summen einer dunklen Sarabande, / Es ist Wein, es ist Gesang, / Es ist das dumpfe Rauschen des Bluts. / Es ist Mond, Moor und Tod.“ Ebd., S. 349. 473 „Aber man mußte doch über den Graben, wenn man alles sehen wollte. Ich will ja gar nichts sehen, dachte Luise, das will ich ja nicht sehen, was da passiert, aber dann zog es sie, und sie glitt hin, schwebte übers Wasser, […]“ A.R.d.N., S. 113. 474 Ebd., S. 115. 98 sönliche Erlebnis wird im Traum ins Mythische verallgemeinert. Die Nacht ist somit die Zeit, in der persönliche Ängste in innere Bilder umgesetzt werden. Zwar entspricht Luises Entgrenzung gegenüber dem Außen der idyllischen Raumauf- fassung475, doch ist das Verhältnis von Mensch und Natur dort harmonisch, während Luises ihre Umgebung als bedrohlich erfährt. Dennoch erfüllt sich in der Hingabe an die Nacht ihre Sehnsucht nach Leben. Der Einbruch des Dämonischen, wie er durch die Ratten versinnbildlicht wird, zeigt jedoch, daß dieser Traumzustand ambivalent ist. Ei- nerseits ist er durch die Aufgabe des Körperlichen und Materiellen eine willkommene Realitätsflucht, andererseits scheint er aber auch ein dem Tod verwandtes Erlebnis zu sein. Dann versank wieder alles in weiche, wogende, fließende Nacht - und Luise schwebte wieder mit den Tönen dahin - auf silbernen Bahnen. Da schreckte sie plötzlich auf. Sie sah wieder die Ratten. Die kleinen, bösen Augen, scharf und nadelspitz, und eine graue Lippe hob sich widerlich und zeigte leise zischend das grausame Gebiß.476 Als sich Luise angesichts der sie umhüllenden Dunkelheit an das bedrohliche Erlebnis mit den Ratten in den Wallanlagen erinnert, wendet sie sich, um sich zu beruhigen, dem Nachbargarten zu. Luise hatte plötzlich Angst vor der Nacht, vor dem Alleinsein. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, nach einem geschlossenen Zimmer, nach Gemüt- lichkeit, und da blickte sie schnell in den Nachbargarten. Da war etwas, was sie tröstete und beruhigte, ein friedliches Bild. Dort saß nämlich am Ende des Garten in der von großen Blättern umrankten Laube, Herr Hennicke, der Geographielehrer, mit seinen zwei Söhnen. Eine Petroleumlampe stand mitten auf dem Tisch und verbreitete einen warmen, gelben Schein.477 Auf die dämonische Vereinigung mit der Nacht folgt die Bescheidung auf das kleine stille Glück. Der sich ihr bietende Anblick ihres Nachbarn Hennicke, der mit seinen Kindern in der Laube sitzt, läßt sie die bedrohlichen Bilder vergessen. Die Familienszene, die im Text ausdrücklich als „friedliches Bild“ angekündigt ist, ent- spricht den wesentlichen Eigenschaften der Idylle. Nicht nur der ausgesprochene Bild- charakter - die Gattung Idylle wurde lange als kleines Bildchen verstanden -478, sondern auch die heimelige Atmosphäre tragen idyllische Züge. Das kleine Genrestück bürgerli- cher Behaglichkeit vermittelt für die außenstehende Luise Gefühle wie Wärme und Ge-

475 Daß Luise ihre Umgebung ausdrücklich sinnlich erfährt, entspricht der Tradition der Idylle, die auch als Allegorie der Sinne gedeutet wird. Paul Tymgate Piekler, Allegories of Paradise: Rhetoric and Archetype, in: Lynette Hunter, Towards a Definition of Topos. Approaches to Analogical Reason- ing, London 1991, S. 10. 476 A.R.d.N., S. 30. 477 Ebd. 478 Renate Böschenstein-Schäfer (1977), S. 2. 99 borgenheit. Das Betrachten dieser Familienszene erfüllt ihre Sehnsucht nach Liebe, ei- nem geschlossenen Raum und Gemütlichkeit.479 Die Vegetation bildet hier den idylli- schen Raum aus, der sich in der Laube konzentriert und einen Gegenpol zum entfrem- deten Ort der Stadt bildet.480 Die Laube selbst ist nicht nur ein in Idyllen häufig auftre- tendes Motiv, sondern entspricht durch ihre geschlossene und bergende Form auch den wesentlichen Merkmalen der Gattung. Das häufige Vorkommen von Lauben in den I- dyllen des 18. Jahrhunderts ist mit dem damaligen Verständnis dieser Gartenbauten zu begründen. Zu dieser Zeit werden sie als Nachahmung schützender Blätterdächer oder Grotten angesehen, in denen man den Urtypus der menschlichen Wohnung zu entde- cken glaubte. Vielfach wird die Laube in direkter Entwicklungslinie zur Vitruvschen Urhütte gesetzt.481 In diesem Sinne ist sie auch in die Idyllenliteratur eingegangen, Ma- ler Müller stellt sie so als erste Behausung von Adam und Eva im Paradies dar.482 In der Laube kristallisiert sich ein pantheistisches Naturverständnis, das den Menschen in Einklang mit der Natur sieht. Diese ist hier nicht Feindin des Menschen, die ihn mit ihren Kräften bedroht, sondern beschützende Mutter. Vor allem Grotten sind heilige Orte, die unter dem Schutz einer bestimmten Gottheit stehen.483 Die Laube ist ein Ort des Privaten, schon im Mittelalter ist sie Ort der Liebenden. In ihrer Form veranschau- licht sich der Grundgedanke des Gartens als Rückzugsort von gesellschaftlichen Zwän- gen484, so daß die Laube zur Chiffre eines natürlichen und unentfremdeten Lebens wird. Die Gattung der Idylle übernimmt ihre häufig exponierte Lage auf Anhöhen oder gar Inseln485, die sie als Tempel der Natur und einer empfindsamen Innerlichkeit werden lassen. Die Laube ist in Am Rande der Nacht ein Ort der Familie und Freundschaft. Das warme Licht und die vertraute Atmosphäre schaffen einen diametralen Gegensatz zur Anony-

479 „Diese Figurationen spiegeln die Versuche des Menschen sich einzugrenzen und damit abzugrenzen vom Chaotischen, Halt zu finden, heimisch zu werden im Bebauten, Eingeräumten und Parzellier- ten.“ Hermann Glaser, Kleinstadt-Ideologie. Zwischen Furchenglück und Sphärenflug, Freiburg 1969, S. 17. 480 Klaus Schröder (1995), S. 35. 481 Adrian von Buttlar, Der Landschaftsgarten. Gartenkunst des Klassizismus und der Romantik, Köln 1989, S. 119. Anne-Marie Lecoq, Der Garten der Weisheit des Bernard Pasilly, in: Die Gartenkunst des Abendlandes. Von der Renaissance bis zur Gegenwart, hrsg. von Monique Mosser, Georges Teyssot, Stuttgart 1993, S. 72/73. 482 Friedrich Müller, Adams erstes Erwachen und erste seelige Nächte, in: Ders., genannt Maler Müller, Idyllen, hrsg. von Peter Erich Neuser, Stuttgart 1977, S. 163, S. 177. 483 „[…] denn wo lachet man froher als im grünen Schatten der Lauben? Amor besucht ihn oft den fröhli- chen Bacchus, im kühlen Schatten der Lauben, auch die Musen besuchen ihn, denn er liebet Gesän- ge.“ Salomon Geßner, Der Frühling, in: Ders., (1988), S. 61. 484 Bernhard Blume, Die Kahnfahrt. Ein Beitrag zur Motivgeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Euphorion 51, 1957, S. 358. 485 Der Wunsch, in: Salomon Geßner (1988), S. 67. 100 mität und Unsicherheit der nächtlichen Stadt. Dadurch kann sie und mit ihr das Private zur Rückzugsmöglichkeit von der durch soziale Grenzen bestimmten Gesellschaft wer- den. Sie ist der Ort, an dem sich das Individuum restituieren kann.486 Die beiden Freunde blickten sich lächelnd an. Herrn Bergs Flöte klang her- ein, und der Zollinspektor streckte sich und stützte sich breit und behäbig auf die Bank, seine Uniform klaffte auseinander und zeigte ein schneewei- ßes Hemd, seine goldenen Achselstücke blitzten auf. „Hier darf man doch mal Mensch sein.“487 Dieser abschließende Ausspruch des Inspektors greift das Zitat aus Goethes Osterspa- ziergang aus Faust I „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“488 auf. Eindrücklich beschreibt Faust die Ablösung des Winters durch den Frühling, der als Befreiung von Eis und Kälte, aber auch von der Bedrückung der kleinen Häuser und Städte dargestellt ist. Das „Mensch-Sein“ definiert sich bei Goethe in einem Wiedererwachen der krea- türlichen Kräfte, die durch die Verbindung zum Osterfest ins Metaphysische überhöht werden. So kann der Frühling als universelle Erneuerung des Lebens verstanden wer- den, in die der Mensch eingeschlossen ist. Jeder sonnt sich heut so gern. / Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden, / Aus niedriger Häuser dumpfer Gemä- chern, / Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, / Aus dem Druck von Gie- beln und Dächern, / Aus der Straße quetschender Enge, / Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht / Sind sie alle ans Licht gebracht.489 Auch wenn die Protagonisten in Am Rande der Nacht wie in Faust I in der Natur sich als Menschen fühlen, ist der Freiheitsbegriff bei Lampe wesentlich restriktiver aufge- faßt. Denn Lampes Figuren erleben eigentlich nur in der selbstauferlegten Beschrän- kung, im Rückzug auf das Private, ihre Individualität. Erst die äußere Begrenzung der Laube und die der geschützten Innerlichkeit gewährt die innere Freiheit des Menschen, die die Gesellschaft verweigert. Die geschlossene Form, die in Goethes Faust I als be- lastende Enge der Wohnungen erlebt wird, ist in Lampes Roman Voraussetzung für ein humanes Leben, das nun nicht mehr in der freien Natur der Felder und Wiesen, sondern in einer Schwundstufe des Natürlichen innerhalb der Stadt erlebt wird. Diese Interpre- tation bestätigt die Tendenz der Literatur und Malerei der späten zwanziger und dreißi-

486 Jens Tismar beschreibt die Idylle als „Wunschbild von einem in sich ruhenden, ungefährdeten Dasein, das in eingestandender Selbstbeschränkung sich von den Sensationen der sozialen und politischen Veränderungen fernhält und dabei den Mythos von herrschaftsfreien Zuständen bewahrt.“ Jens Tismar (1973), S. 7. 487 A.R.d.N., S. 34. 488 Johann Wolfgang von Goethe (1976), V. 940. 489 Ebd., V. 920-28. 101 ger Jahre, Räume zu entwerfen, die Ausdruck einer Vereinsamung und Isolation sind.490 In seiner maßgeblichen Arbeit über den Magischen Realismus hatte Franz Roh diese mit einer existenziellen Beschränkung in Verbindung gebracht, die durchaus auf gesell- schaftliche Verhältnisse verweist.491 Dieser intertextuelle Bezug macht deutlich, wie das Leben in der kleinen norddeutschen Hafenstadt von sozialen Gesetzen und Verhaltensregeln reglementiert ist. So erscheinen die Protagonisten ganz von ihrem Beruf beherrscht zu sein, der ihnen keinen Freiraum für eigene Entscheidungen und Lebensentwürfe läßt. Die Atmosphäre dieser Stadt ist durch den sozialen Druck bestimmt, der jedoch von den Protagonisten akzeptiert wird. „Sie müßten doch wissen, daß es da gewisse Grenzen gibt, gewisse Ver- pflichtungen – Krömke, das ist man nun mal seinem Stand, seiner Uniform schuldig.“ Melancholisch sah Krömke auf die grüne Jacke, auf die goldenen Knöpfe und blitzenden Epauletten des Inspektors. „Überall Schranken“, sagte er leise „und wozu?“ „Man kann sich ja gar nicht genug in acht neh- men“ , sagte der Inspektor. „Feinde, die böse Nachrede – ja, wenn alle Men- schen so wären wie Sie, Krömke.“492 Die Darstellung der Laubenidylle ist ambivalent, insofern sie sich als Beschränkung erweist und gleichzeitig als Ort der Geborgenheit fungiert. Wie in vielen Darstellungen der Neuen Sachlichkeit wird auch in Am Rande der Nacht die Idylle damit ad absurdum geführt.493 Herr Hennicke der sein Fernweh mit Reiseberichten und täglichen Hafenbe- suchen befriedigt, wo er dem Treiben der Matrosen und den Abfahrten der Schiffe nachsieht, wird so ausgesprochen naiv und weltfremd beschrieben. Die Sehnsucht nach anderen Ländern, nach Abenteuern und einem ganz anderen Leben wird nicht umge- setzt, sondern in der Fiktion und in melancholischen Träumereien sublimiert. Der Aus- bruch aus der beengenden, aber sicheren Idylle findet nicht statt. Charakteristisch für die meisten Protagonisten der Romane Lampes sind eine Art Lebenshemmung und eine Bescheidung auf einen engen Lebenskreis. Unmittelbarkeit wird durch die Kunst, vor allem Literatur und Musik ersetzt. Herr Hennicke unterbrach sein Lesen und sann einen Augenblick vor sich hin: „Heute um halb zwölf fährt die Adelaide“, sagte er leise. Die Söhne nickten, und Herr Hennicke blickte der davonfahrenden Adelaide für eine kurze Weile nach. Leicht und zart umwehten ihn die Töne von Bergs Flöte, sie wurden ihm zu silbernen Wasserspuren. Dann las er weiter.494

490 Angesichts von Georg Schrimpfs Gemälde Mutter und Kind aus dem Jahr 1919 bemerkt Christoph Vögele: „Das verwendete Bild der Isolation bezieht sich gleichwohl auf wirkliche, gesellschaftliche Isolation.“ Christoph Vögele (1990), S. 28. 491 Franz Roh (1925), S. 87. 492 A.R.d.N., S. 137/38. 493 Christoph Vögele (1990), S. 40. 494 A.R.d.N., S. 31. 102 Anstatt selbst zu verreisen, träumt Hennicke sich auf den „Wasserspuren“ der Musik fort.495 Lampe stellt auf der Grundlage der idyllischen Tradition dar, wie die Protagonisten ihre Sehnsüchte stillen und Beunruhigendes verdrängen. Das Idyllische wird psychologisch als Rückzugsort von einer bedrohlichen Wirklichkeit beschrieben und damit zur „restaurativen Utopie“.496 Die Flucht in die Innerlichkeit geschieht dabei aus einem zi- vilisationskritischen und kulturpessimistischen Impuls. Der intertextuelle Bezug schafft hierbei die Kontur für die gesellschaftliche Veränderung, die die Wirklichkeit des Ro- mans bestimmt.

4.1.3. Die Idylle als Spiegel von Kulturkritik Die kurze Robinsonade, die Hennicke seinen beiden Söhnen vorliest, erzählt die Ge- schichte eines Europäers, der mit einem Eingeborenen auf einer einsamen Südseeinsel lebt. „Als wir zum zweiten Mal zum Strande kamen, hatte die Küste ein ganz an- deres Gesicht. Diese Landschaft, das merkten wir, enthüllt sich nicht im Sturm - graue Regentage, dickgeballte Wolken, Nebel, das gehört in den Norden, sie enthüllt sich nur bei strahlendem Wetter. Das Meer lag ganz glatt und hellblau durchsichtig da. Nur in ganz zarten Wellen kräuselte sich das Wasser am Strande, und man konnte durch die kristallklare Flut die kleinen rosa Muscheln, die Krebse und die wunderbar leichten Schleierge- bilde der dahinfließenden Quallen sehen.“497 Die Inselwelt wirkt heiter und gelassen. Die Natur und das Wasser sind durch Transpa- renz gekennzeichnet, das Meer ist so klar, daß man auf seinen Grund sehen und die Tie- re beobachten kann. Alles Heftige und Beunruhigende scheint hier vermieden, die dar- gestellten Bewegungen sind sanft und ruhig, die Muscheln und Quallen zart und zer- brechlich. Sie sind ganz eins mit ihrer Umgebung, anders als die meisten Lebewesen existieren sie nur in einem Element und sind völlig an dieses angepaßt. In dieser einge- fügten Robinsonade birgt die Natur keine Bedrohung für den Menschen, vielmehr stellt sie das verlorene Paradies dar, dessen Bewohner sich ihre Unschuld bewahrt haben.498

495 „Herr Hennicke liebte die fernen Länder, die Reisen, die Abenteuer, das Meer, die Schiffe, aber er war nie über seine Heimatstadt hinausgekommen. Aus Sehnsucht war er Geographielehrer geworden. Da er nicht reisen konnte, las er die Bücher und reiste in Gedanken. Das gefiel ihm auch eigentlich viel besser. Da ging alles viel reibungsloser vonstatten.“ Ebd. 496 Jens Tismar (1973), S. 8. 497 A.R.d.N., S. 32. 498 „[…] immer ist Inseldasein eine höhere, reinere Lebensform, die man besitzt oder nach der man sich sehnt, und die auf jeden Fall einen Glauben voraussetzt.“ Bernhard Blume, Die Insel als Symbol in der deutschen Literatur, in: Monatshefte 41, 1949, S. 244. 103 Mein Freund Majo, der jetzt schon ganz zutraulich war und mir mit seinem weißen Gebiß bezaubernd entgegenlachte, schwang seinen Speer und traf mit unglaublicher Sicherheit, die vorbeistreichenden Riesenfische. Sein brauner, glänzender Körper war von fast griechischer Schönheit.499 Majo der junge Eingeborene wird in Harmonie mit der Natur dargestellt. Er ist die Ver- körperung des edlen Wilden, der fast animalische Züge trägt. In seiner Welt bewegt er sich mit der Sicherheit eines Tieres und kennt auch gegenüber dem Fremden kein Mißtrauen. Die Südseeinsel repräsentiert die Welt, wie sie vor der Vertreibung aus dem Paradies war. So ist der junge Eingeborene Majo frei von den Zivilisationskrankheiten des modernen Menschen. Von der Natur unentfremdet ist er ohne Arg. Wie eingebun- den er in die Harmonie der Natur ist, zeigt sich auch darin, daß er sich mit dem schiff- brüchigen Europäer durch eine ausdrucksstarke Zeichensprache unterhält. Da es in die- ser Welt keine Täuschungen gibt, ist die Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem unmißverständlich. Das Paradies kennt keine Sprachkrise. In der Hafenstadt des Ro- mans hingegen verändert die Dämmerung die vertraute Umgebung so, daß ihre Kontu- ren nicht mehr klar erkannt werden können und ein nichtdifferenzierbarer Raum ent- steht. Die nächtliche Welt verschließt sich dem rein optischen Zugang. Mit den sich verdunkelnden Wasseroberflächen wird die erzählte Wirklichkeit selbst undurchdring- lich. Für die Wahrnehmung der Protagonisten bedeutet dies, daß das Wasser nur noch die Dunkelheit reflektiert und nicht mehr Medium von Welt- und Selbsterkenntnis sein kann.500 Die Entfremdung der Außenwelt ist jedoch nicht allein auf das Vordringen der Nacht zurückzuführen, sondern ist auch durch die Disharmonie von Mensch und Natur begründet. Vielen Protagonisten wie dem jungen Mann Peter entzieht sich die Außen- welt. Er geht immer denselben Weg. Jeden Tag. Durch die Straßen über den Wall und zum Fluß. Und dann steht er an der Brücke, sieht unter sich das Wasser hinströmen, rot im Abendschein, schwarz in der Nacht, es rauscht an den Pfeilern und raunt ihm Unverständliches zu.501 Anders als in der idyllischen Naturauffassung ist diese Einheit in Am Rande der Nacht aufgebrochen. Während die Schönheit der Schöpfung in der Landlebendichtung immer auch sinnlich erfahrbar ist, etwa als Wohlklang, der Ausdruck der göttlichen Harmonie

499 A.R.d.N., S. 32. 500 „Die Sonne war ja schon weg, und schwarz lag jetzt das Wasser vom Stadtgraben da, man konnte gar nicht mehr tief hineinsehen, und eben hatte es doch noch so goldig braun geleuchtet. Dunst stieg lei- se aus dem Wasser und blieb dicht darüber liegen. Die Bäume der Anlagen traten schon zu schwe- ren dunklen Gruppen zusammen, und weich und mahnend hob die Mühle auf dem Hügel die brau- nen Flügel in den warmen, blauen, rauchigen Himmel.“ Ebd., S. 8. 501 Ebd., S. 14. 104 ist502, so verweigert sich diese im Roman dem Menschen. Peter nimmt die Sprache der Natur als bloßes Geräusch wahr, als ein Rauschen und Raunen, dem er keine Bedeutung zuzuordnen vermag. Indem die Natur zum referenzlosen Zeichen wird, entsteht eine ominöse Stimmung, die für den Magischen Realismus charakteristisch ist.503 Dadurch, daß der Mensch durch die Bebauung seiner Städte die vitale Lebenskraft der Natur ein- gedämmt504 und ihren Rhythmus durch die nächtliche Beleuchtung zerstört hat, ist der Dialog abgebrochen und der Mensch bleibt von den Geheimnissen der Natur ausge- schlossen. Im Vergleich zur im Roman geschilderten Wirklichkeit ist das Leben in der Robinsona- de frei und unbeschwert von gesellschaftlichen Grenzen. Durch die Möglichkeit des Neubeginns hat die Robinsonade einen ausgesprochen utopischen Charakter und gehört damit in das Umfeld der Idylle.505 So spiegelt die abgeschiedene Lage die charakteristi- sche Geschlossenheit der Gattung wider. Im Vergleich zur Landlebendichtung ist die Distanz zur Gesellschaft jedoch noch konsequenter, denn alternative Gesellschaftsent- würfe können hier durchgespielt werden, ohne mit einer bestehenden Staatsordnung in Konflikt zu geraten. Im edlen Wilden, der unter dem Einfluß des Rousseauismus zu einem bedeutenden Motiv in der Literatur des 18. Jahrhunderts wurde, ist die Abkehr von der Gesellschaft in den Naturzustand personifiziert. Während die europäische Ge- sellschaft als intrigant und verdorben charakterisiert wurde, verwirklicht sich im Insel- leben ein vorzivilisatorischer Zustand, der auf der Grundlage der mütterlichen Natur, die freigebig Sonne und Wärme spendet506, basierte. In der Robinsonade wird ein Ideal dargestellt, das der erzählten Welt in Am Rande der Nacht entgegengesetzt ist und diese im Vergleich mit der idyllisch-patriachalischen Welt als Entfremdung vom Paradies erscheinen läßt. Indem die Inselgeschichte als fik- tional zu erkennen ist, erscheint die Literatur als Fluchtraum, der erst ein menschliches Leben ermöglicht. So bricht Hennicke auch sofort sein Vorlesen ab, als sein Freund Krömke die Laube betritt, der diese Lektüre als „Ammenmärchen“ bezeichnen würde.507

502 Alfred Anger, Landschaftsstil des Rokoko, in: Euphorion 51, 1957, S. 156. 503 Nach Michael Scheffel weist auch Horst Langes Erzählung Der Sohn der Hauptmannswitwe Zeichen auf, denen jede Referenz zu fehlen scheint. Michael Scheffel (1990), S. 91. 504 „Der Fluß rauschte an der Stadt vorbei, unter den Brücken weg, und die Pfeiler standen ihm entgegen und stauten seine Wasser.“ A.R.d.N., S. 103. 505 Jürgen Schläger, Die Robinsonade als frühbürgerliche „Eutopia“, in: Utopieforschung. Interdisziplinä- re Studien zur neuzeitlichen Utopie, Band 2, hrsg. von Wilhelm Voßkamp, Stuttgart 1982, S. 296; Renate Böschenstein-Schäfer (1977), S. 57. 506 Klaus H. Börner, Auf der Suche nach dem irdischen Paradies. Zur Ikonographie der geographischen Utopie, Frankfurt 1984, S. 33. 507 A.R.d.N., S. 33. 105 Indem das paradiesische Leben der Robinsonade mit ihrer gesellschaftlichen Pervertie- rung in der modernen Gesellschaft kontrastiert wird, erscheint die Inselgeschichte als Ideal, an dem die Romanwelt gemessen wird. Der Harmonie zwischen Mensch und Natur ist ein von der Natur entfremdetes Leben entgegengesetzt, in dem sich die Sehn- sucht nach dem Paradies nur noch in dessen Vermarktung als Exotik ausdrückt. In der Hafenstadt des Romans ist die Ferne durch die Handelswaren und die Matrosen aus den unterschiedlichen Ländern präsent. Der Hafen selbst wird zum sehnsuchtsbela- denen Ort, der die Möglichkeit einer Flucht aus der Enge der Kleinstadt bietet. Reise- souvenirs oder die Werbung der Geschäfte, die die weite Welt repräsentieren, werden zu Surrogaten des Paradieses. Dabei wird der Reiz, den das Exotische auslöst, nur in der Vermittlung durch Briefmarken508, die fremdländisch wirkende Dekoration der Schau- fenster oder im Traum befriedigt. […] sie sahen sich die Auslagen der Zigarrengeschäfte, die Riesenzigarren, dunkel wie Schokolade, die Tabakblätter, Pfeifen, buntbemalte Gipsindianer an, die kleinen Tropenlandschaften auf der Innenseite der zurückgeschlage- nen Zigarrenkästen. Während Hans träumerisch in das Anschauen eines Bildchens versank, das eine Tabakernte in glühenden Farben malte, dreht sich Erich plötzlich um.509 Das Paradies wird zu Reklamezwecken vermarktet, es wird zum Abziehbild der Sehn- sucht. Für die Kapitänswitwen ist es die melancholische Erinnerung an ein besseres Dasein. Muscheln und Papageien, Andenken an ihre früheren Reisen in exotische Län- der sind in der norddeutschen Umgebung nur noch traurige Reminiszenz an ein buntes und aufregenderes Leben. Diese Reisesouvenirs sind Zeichen der Vertreibung aus dem Paradies und charakterisieren ihre gegenwärtige Existenz als Entfremdung. […] dazu rauschte ein kleiner Brunnen, der umbuscht bis zur Schale, inmit- ten eines winzigen, dunkelgrünen Rasenstückes stand. Hier ist es still, hier ist es tot. Sie leben überhaupt nicht mehr. Ihre Kinder sind fort, ihre Männer liegen vielleicht auf dem Grunde des Meeres - sie aber sind im Hafen. Sie haben ihren Papagei, den sie sich damals mitgebracht haben, als sie noch mit ihren Männern fuhren. Sie haben kleine Muscheln und Korallenstücke auf ihrer Kommode - sie dämmern so hin.510 Während in der Robinsonade lebendige Tiere dargestellt werden, sind die Muscheln der alten Frauen längst tot. Bedenkt man, daß die begehrten Sammlerstücke Schnecken und Muscheln in die niederländischen Vanitasstilleben des 17. Jahrhunderts Eingang gefun-

508 „‚Ein rauchender Vulkan und eine Eingeborenhütte ist darauf‘, sagte er. ‚Hm, findest du es nicht ehr- lich getauscht, wenn ich dir für die Jamaica eine Borneo gebe? Ich meine doch.‘ “Ebd., S. 117. 509 Ebd., S. 21. 510 Ebd., S. 15. 106 den haben511, lassen sich die Erinnerungsstücke der Witwen als Symbole der Vergäng- lichkeit deuten. Die toten Gehäuse der Muscheln und Schnecken korrespondieren mit dem einsamen Dahinsterben der alten Frauen. Die Muscheln und Korallen bilden eine Art Stilleben, das zum Sinnbild der Sterblichkeit wird. Diese sehr bildhafte Szene ent- spricht nicht nur der Neigung der Idylle zum Genrehaften, sondern auch der Tendenz der Neuen Sachlichkeit zur Gegenständlichkeit, die sich vor allem im Aufleben des Stillebens ausdrückt.512 Bei aller Verschiedenheit der Sujets ist diesen die Isolierung und Erstarrung gemeinsam, die als Sinnbild für die Vereinsamung des modernen Menschen erkannt wurden.513 Diese Anwesenheit des Todes hinter den Dingen hat Franz Roh in seinem Aufsatz über Karl Haider als eines der Charakteristika der nachexpressionisti- schen Kunst dargestellt.514 In Am Rande der Nacht wird mittels des Bildzitates und dessen ikonographischen Hin- tergrundes die gattungsmäßige Ruhe und Beschaulichkeit der Idylle als Abwesenheit des Lebens und Vorwegnahme des Todes gedeutet. Indem idyllische Versatzstücke wie der Brunnen derart statisch dargestellt werden, entsteht aus der Idylle eine nature morte. Die Strukturen und Motive der Idylle werden dabei tatsächlich, wie Lampe gegenüber seinem Stettiner Lehrer Ackerknecht betonte, zeichenhaft eingesetzt.515 Das Astoria ist einer der Orte des Romans, an dem die Erzählfäden zusammenlaufen. Auch das Varieté, dessen Bühnenraum als muschelförmig516 beschrieben wird, kann auf die Robinsonade bezogen werden. Während das Motiv der Muschel im Zusammenhang mit den alten Frauen noch als realer, wenn auch als toter Gegenstand dargestellt wird, ist es hier nur noch auf die äußere Struktur reduziert.

511 Neben prächtigen Blumen oder Naschwerk sind Muscheln und Schnecken u.a. bei Ambrosius Bo- schaert und Balthasar von der Ast dargestellt. Sybille Ebert-Schifferer (1998), S. 94; S. 98. In dem programmatischen Stilleben Jan von Kessels, Ecclesia umgeben mit Symbolen der Vergänglichkeit finden sich auch Muscheln. Claus Grimm, Die niederländischen und deutschen Meister, Zürich 1988, Abb. 13. Muscheln sind neben einem Totenschädel und umgestürzten Pokalen in dem Vani- tasstilleben von Harmen Steenwijck Symbole der Eitelkeit des irdischen Lebens. Ebd., S. 116. 512 „Die geforderte Konzentration auf das Detail droht nämlich einerseits seine Bindung an Raum und Zeit zu verwischen und verfälscht es leicht zum unwirklich oder übernatürlich scheinenden Ding; […]“ Horst Denkler (1968), S. 171. 513 „Das scheinbar Vertraute erstarrt wie in einem Vakuum der Stille, in der die Objekte zu symbolhaften Zeichen gerinnen.“ Sybille Ebert-Schifferer (1998), S. 354. 514 Franz Roh (1923), S. 602. 515 Zur Rechtfertigung seines verbotenen Romans schreibt Lampe: „[…] aber nun stossen sich manche Menschen an stofflichen Einzelheiten und Krankheiten in dem Buch, weil sie nicht sehen, daß hier eine kleine Welt mit eigenen Gesetzen ist, in der eben alles so sein muss wie es ist und in der jede Einzelheit ihren Sinn, ihre zeichenhafte Bedeutung hat.“ Friedo Lampe an Erwin Ackerknecht am 6.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. 516 „Ganz verloren stand der kleine Junge mit dem weißen Matrosenanzug in der großen erleuchteten Bühnenmuschel, dirigiert von den Blicken des Vaters, der seitwärts wartete mit verschränkten Ar- men.“ Ebd., S. 92. 107 Als sie durch den Torbogen gingen, quoll ihnen schon eine gedämpfte, süße, sich in langsamem Takt bewegende Tanzmusik entgegen, und als sie in den Garten traten, sahen sie auf dem muschelartig gewölbten Bühnenraum ein Tänzerpaar. Das waren Nita und Fred. Nitas silbernes Schuppenkleid glit- zerte.517 Die immer abstrakter werdenden Formen und die Verselbständigung des äußeren Scheins in den Dekorationen518 bezeichnen den Grad der Entfremdung vom paradiesi- schen Ursprung. Die Natur wird im Ornament entkörperlicht.519 Das Varieté, das typisch für die Großstadt und den nächtlichen Amüsierbetrieb ist520, stellt, wie Sportveranstaltungen auch, ein beliebtes Sujet der Neuen Sachlichkeit dar. In Am Rande der Nacht zeigen sich hier deutlich die Auswirkungen der Moderne und mit ihr der Geldwirtschaft auf den Menschen, gleichzeitig ist es aber auch ein ausgespro- chen unbürgerlicher Ort, der dem Alltag entgegensetzt ist.521 Von innen gesehen erweist sich das bei der Bevölkerung beliebte Vergnügungslokal als ein kommerziell geführter Betrieb. Bereits die Präsenz des Publikums verlangt von den Akteuren ständige Selbst- kontrolle.522 Arbeit bedeutet hier Selbstdisziplinierung durch Öffentlichkeit. Der Direk- tor selbst entspricht dabei dem klassischen Klischee des Kapitalisten, der seine Ange- stellten ausbeutet und Kinder zu Arbeiten anhält, für die sie noch zu jung sind.523 Einmal am Abend kam er nur, nun war also der wichtigste Moment da. Er war feist und aufgequollen, mit einem glänzenden Scheitel bis zum Nacken. Sein öliger Blick ruhte mit träumerischer Traurigkeit auf dem jungen Rin- ger, und einmal hob er sogar die Hände und deutete ein mattes Klatschen an. Dann lag seine kurzfingrige, ringgeschmückte Hand wieder gespreizt auf seinem fetten Schenkel.524 Die finanzielle Abhängigkeit der Varietékünstler unterbindet die Entfaltung ihrer Indi- vidualität. Impliziert die kreisförmige Bühne bereits Enge und Beschränkung, deutet dieses Bild auf die Künstler bezogen den Zwang zur Wiederholung an. Um das Publi- kum zu unterhalten, wird jeden Abend das gleiche Programm und die gleichen bekann- ten Lieder gespielt.

517 Ebd., S. 75. 518 Die Mühle der Wallanlage wird so als „Theaterdekoration“ bezeichnet, Ebd., S. 16. 519 Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse, in: Ders., Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt 1963, S. 59. 520 Joachim Schlör (1991), S. 12. 521 „Die Nacht als das dunkle Gegenstück zum hellen, bürgerlichen Alltag und mehr noch: die Nacht wird zum Metier von Prostitution, Varieté, Tanz und Jazzkapellen – alles Mittel der körperlichen und geistigen Berauschung, des Vergnügens, die taghelle Wirklichkeit für eine kurze Zeit vergessen las- sen.“ Doris Kirchner (1993), S. 112. 522 „Eine Klingel ertönte, und der Conférencier ging in trüben Gedanken über die Holztreppe in den Büh- nenraum, um die beiden anzukündigen. Als er die Tür öffnete und ins Licht trat, straffte sich seine Figur, sein Gesicht, er lächelte verheißungsvoll und rieb sich die Hände.“ A.R.d.N., S. 87. 523 A.R.d.N., S. 130/31. 524 Ebd., S. 124. 108 Der Kapellmeister drehte sich um und trat zurück, wie ein Wetterhausmänn- chen. Also weiter. Immer weiter. Heute abend, morgen, übermorgen. Eines Tages werde ich mich plötzlich kotzen, dachte der Kapellmeister.525 Idyllische Strukturen und Motive wie die grünumwachsene Laube526, in der die Musiker sitzen und die von der Gattungstradition mit positiven Gefühlswerten wie Geborgenheit und Sicherheit konnotiert sind, werden in Am Rande der Nacht zur Folie, gegen die sich die gesellschaftliche Wirklichkeit abhebt. Dabei wird das Idyllische ganz im Sinne zeit- genössischer Zivilisationskritiker wie Karl Jaspers und José Ortega y Gasset zum Ge- genbild eines durch Industrie und Vermassung bestimmten Sozialgefüges.527 So findet innerhalb des Romans eine Umdeutung von der inneren Geschlossenheit der Idylle hin zu Beengung und Zwang statt, dem die Protagonisten ausgeliefert sind. Die Verselb- ständigung der Form geht so weit, daß die Laube sich zum Wetterhäuschen wandelt, in dem der Kapellmeister sich wie eine kleine mechanische Figur dreht. Diese Automate ist nicht nur eine Anleihe bei den künstlichen Menschen der Romantik528, sondern be- schreibt auch die Versachlichung von Menschen und Beziehungen in der modernen Massengesellschaft.529 Nita und Fred, die beiden Tänzer des Astorias, entsprechen dieser Mechanisierung des Körperlichen. So läßt die aufgezwungene Synchronizität ihrer Be- wegungen, die im Gegensatz zu den eigentlichen Gefühlen der beiden steht, weder Le- bensfreude noch Erotik aufkommen. Statt dessen bewegen sich die beiden in einem System festgelegter Bewegungen und Gesten. Fred trat hinter Nita und faßte sie bei den Händen. Ihre Körper standen hin- tereinander und machten haargenau dasselbe, hoben die Beine, beugten sich seitwärts, beugten sich vor und zurück.530

525 Ebd., S. 80. 526 Ebd., S. 43. 527 Vgl. José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1989, S. 52. 528 Seit dem 18. Jahrhundert werden Automaten bzw. Marionetten negativ als am Faden geführte Men- schen gedeutet. Pia Müller-Tamm, Katharina Sykora, Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne, in: Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne. Ausstellungskatalog, Kunst- sammlung Nordrhein-Westfalen, hrsg. von Pia Müller-Tamm, Katharina Sykora, Köln 1999, S. 71. 529 Georg Simmel (1957), S. 229. Das Auftreten von künstlichen Menschen und Automaten in der Kunst der zwanziger und dreißiger Jahre interpretieren Müller-Tamm und Sykora als Phänomen einer ge- sellschaftlichen Krise. Pia Müller-Tamm, Katharina Sykora, Vorwort, in: Puppen, Körper, Auto- maten (1999), S. 21. Insbesondere in der Neuen Sachlichkeit ist dieses Motiv häufig zu finden. Christoph Vögele (1990), S. 30. Béla Balázs verbindet die moderne Wirtschaft und die Massenpro- duktion mit einer Enthumanisierung des Menschen. „Denn es mag eine grausame historische Tatsa- che sein, daß die großkapitalistischen Rationalisierungen des Lebensbetriebes aus den meisten Men- schen Maschinentiere gemacht hat, die selber zur Sache geworden, nur noch Sachen wahrzunehmen imstande sind und mit keiner menschlichen Nachdenklichkeit, mit keinem menschlichen Gefühl mehr auf Dinge der Wirklichkeit reagieren.“ Béla Balázs (1928), S. 916. 530 A.R.d.N., S. 76. 109 In Analogie zur muschelartigen Bühne kann das silberne Schuppenkleid Nitas531 als abstrakte Reminiszenz an die Fische der Robinsonade gesehen werden. Das Astoria erscheint dadurch als Kunstraum und als Negation des Idyllischen. Wie bei Lampe durch die Uniformität der Bewegungen angedeutet, wird die Entindivi- dualisierung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts im Tanz zum ästhetischen Konzept. Die Wirkung größerer Tanzgruppen wie den Tillergirls beruht ganz auf der Unterord- nung des Einzelnen in die Formation. Dabei liegt die ambivalente Faszination, die diese tanzenden Automaten ausüben532, in der Eliminierung des Menschlichen durch das Ma- schinelle begründet533, die viele Zeitgenossen an das Militär erinnerte. Fred Hilden- brandt schrieb so 1928 im Scheinwerfer über den Tanz im Varieté: Jedoch sind sie im selben Augenblick sehr schön anzusehen, wenn sie ein- exerziert sind bis ins Letzte, und wenn sie etwas mehr unternehmen als im- mer nur die Beine werfen, wenn das dann zwanzig oder dreißig gutgewach- sene Mädchen wie ein einziges tanzen und marschieren aus einem Guß, ruck und zuck, militärisch, so ist das ein ebenso schöner Anblick wie der Anblick eines Bataillons gut marschierender Soldaten, ein Spielzeuganblick, wie Zinnsoldaten oder wirkliche.534 Siegfried Kracauer sah in den Tillergirls, obwohl englischer Herkunft, eine Verkörpe- rung der „amerikanischen Zerstreuungsfabrik“, da die einzelne Tänzerin in der Masse ihre Individualität verliert und zum bloßen Dekor stilisiert wird.535 Als Ornament wer- den sie zur Leerformel ohne jegliche symbolische Bedeutung. Diese Ästhetik und ihre suggestive Wirkung wurden später von den Nationalsozialisten für ihre Massenveran- staltungen zunutze gemacht. Auch die Wahrnehmung des Menschlichen durch das Mechanische, deren Ursprünge wohl in der Technikbegeisterung des Futurismus und der Neuen Sachlichkeit liegen, ist bereits, wie Victor Klemperer in seiner Abhandlung LTI nachweist, ein charakteristi- scher Zug der Sprache des Dritten Reiches.536 An Wörtern, die wie „aufziehen“ ur- sprünglich in den Bereich der Mechanik gehörten, dokumentiert er einen positiven Be-

531 Ebd., S. 58. 532 „Die Kommentare der Zeitgenossen, die versuchten, die Wirkung des Girltanzes zu beschreiben, zeichneten sich besonders durch technisches Vokabular aus. Die technische Durchdringung sämtli- cher Lebensbereiche im Zuge der zweiten industriellen Revolution schien im synchronisierten Tanz der Mädchen aufs prägnanteste widergespiegelt.“ Wolfgang Jansen, Glanzrevuen der zwanziger Jahre, Berlin 1987, S. 121. 533 Helmut Lethen (1970), S. 44. 534 Fred Hildenbrandt, Der Tanz im Varieté, im Kabarett und in der Revue, in: Der Scheinwerfer. Ein Forum der Neuen Sachlichkeit, Nachdruck vom 11./12.3.1928, hrsg. von Erhard Schütz, Jochen Vogt, Essen 1986, S. 271. 535 Siegfried Kracauer (1963), S. 50. 536 Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen, Leipzig 1996, S. 54. 110 deutungswandel und damit eine ebensolche Bewertung des Maschinellen, die der inhu- manen Gesellschaft des Dritten Reichs entspricht. Auch der Junge Addi wird unter der Hypnose, in die sein Vater ihn versetzt, damit er die Zuschauer mit seinen Kunststücken unterhält, zum Automatenmenschen. Diese Va- ter-Sohn-Beziehung ist ein ausgesprochen asymmetrisches Machtverhältnis, das auf der Gewalt des Vaters über das Kind beruht. Denn während Addi die Nummer seine letzten Kräfte kostet, scheint der Vater seine ganze Energie aus der Schwäche des Kindes zu ziehen. Durch Addis Körper ging ein Ruck, und wieder setzte er sich mit geschlos- senen Augen, in schlafgebundenem Zustand, mit steifen Schritten in Bewe- gung. Ging von der Bühne herunter in den Garten auf die große Buche zu, auf die der Vater wies. Sie stand nicht weit von der Bühne, etwas seitwärts, aber sichtbar für alle Leute im Garten. „Hinauf, hinauf, hinauf“, rief der Vater in singendem Ton. Addi trat auf die Wurzel, und ruck, ruck, ruck, starr und maschinenmäßig, mit unbegreiflicher Schnelligkeit und Sicherheit kletterte er am Stamm hoch-537 Der Hypnotiseur degradiert den Sohn im Astoria zu seinem Geschöpf und macht ihn zur Maschine. Dabei nützt er das niedliche Aussehen des Kindes für seine Nummer aus und instrumentalisiert es zum Gelderwerb. Statt Liebe und Zuneigung erfährt Addi militäri- schen Drill und rücksichtslose Ausbeutung. Der Junge bezahlt mit dem Verlust seiner Gesundheit und seiner Jugend. Er selbst bleibt jedoch ganz in seiner Rolle als Opfer gefangen, so mißbraucht er nicht nur seinen Hund als Ersatz für fehlende menschliche Wärme, sondern gibt die erfahrene Gewalt an diesen weiter. Das Aquarium des Fisch- geschäftes, in das er schaut, als sein Vater ihn auf seinem verzweifelten Fluchtversuch stellt, ist somit Chiffre seiner eigenen Befindlichkeit. Verschwindend klein stand Addi neben seinem Vater und guckte mit hoff- nungslosem, müdem Blick in das Schaufenster von Meyers Fischgeschäft, vor dem sie gerade standen. Der Laden war dunkel, aber im Schaufenster war ein Fischbassin, das war von unten her erleuchtet, trübe glomm das grüne Wasser auf, von der Seite stieß blasenwerfend ein frischer Strahl hin- ein, und ein paar dicke Fische standen still im Wasser und schliefen, ein paar andere schwammen aber noch unruhig hin und her, warfen ihre fetten, silbergeschuppten Leiber herum und glotzten blöde auf die Straße, auf Ad- di.538 Denn das Bild der im Bassin schwimmenden und zum Verzehr bestimmten Fische ent- spricht der ausweglosen Lage des Jungen. Wie die Fische ist er in einer Situation gefan- gen, aus der er sich nicht befreien kann und an der er zugrunde gehen wird. Auch bei

537 A.R.d.N., S. 101. 538 Ebd., S. 146/47. 111 dieser Passage kann die Robinsonade als Bezugsstelle herangezogen werden. Während die Fische sich in der Robinsonade frei bewegen können, sind sie in der gesellschaftli- chen Realität in einem Bassin gefangen. Im Vergleich zur fiktiven Inselgeschichte er- scheint der Junge fremdbestimmt und zum Maschinenwesen deformiert. Erneut dient die eingeschobene Robinsonade als Kontrast für eine vom Ideal abgewichene Gesell- schaft. Zeichenhaft verweisen die Verhältnisse des Astorias auf eine Wirklichkeit, die durch eine mechanistische Auffassung des Menschen geprägt ist, so wie sie infolge des Ersten Weltkrieges formuliert wurde. Gerade in der Zwischenkriegszeit finden sich Darstellungen charismatischer Führerfiguren, die wie bei Lampe dämonische und sa- distische Züge tragen. Auch in der Erzählung Thomas Manns Mario und der Zauberer, die 1930 entstanden ist, steht im Mittelpunkt der Hypnotiseur Cipolla, an dem Mann Massenhysterie und faschistische Machtinszenierungen thematisiert.539 Siegfried Kra- cauer geht dabei so weit, in diesen dämonischen Führergestalten eine Präfiguration Hitlers zu sehen, wie er in seiner Studie zu Robert Wienes Film Das Cabinet des Dr. Caligari aus dem Jahr 1919 ausführt.540 Sicherlich lassen sich diese Phänomene jedoch als Reaktion auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der Militärisierung der Bevölkerung deuten. Innerhalb des Kriegsapparates wird der Mensch zum determinier- ten Automaten, so daß der Fortschrittsoptimismus hinter der Angst vor einer Verselb- ständigung der Technik zurücktritt. Gleichzeitig wird diese Entwicklung der Gesell- schaft derart dämonisiert, daß deren politische Dimension negiert wird, da der Zustand der Hypnose die Menschen zu willenlosen Werkzeugen macht und sie damit der Schuld enthebt. Der Krieg als historisches Ereignis wird zur vorübergehenden Bewußtseinsstö- rung entpolitisiert. Diese Hybridformen der menschlichen Maschinen sind häufig als Ausdruck einer dä- monischen Weltsicht gedeutet worden. Wolfgang Kayser sieht in diesen Repräsentatio- nen des Grotesken so ein ausgesprochenes Charakteristikum der Moderne.541 In seiner Darstellung bezieht er sich vorwiegend auf die unheimliche Seite des Grotesken542, wie sie sich in den romantischen Motiven der Automatenmenschen, aber auch der Nachttie-

539 Friedrike Eigler, Die ästhetische Inszenierung von Macht. Thomas Manns Novelle, Mario und der Zauberer, in: Heinrich Mann-Jahrbuch 2, 1984, S. 181. 540 Siegfried Kracauer, Von Caligari bis Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Frankfurt 1995, S. 79. 541 Carl Pietzcker, Das Groteske, in: Das Groteske in der Dichtung, hrsg. von Otto F. Best, Darmstadt 1980, S. 93. 542 Hier setzt die Kritik an Kayser an, wie sie u.a. von Bachtin vertreten wird, der den Kayserschen Beg- riff der Groteske als Verengung auf die moderne Groteske versteht. Michail M. Bachtin, Wolfgang Kaysers Theorie des Grotesken, in: Ders., Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkul- tur, Frankfurt 1969, S. 26. 112 re manifestiert und die in der Moderne als Sinnbild der Desorientierung und des Werte- verlusts wieder aufgegriffen werden.543 Nicht nur die künstlichen Menschen, sondern auch die Veränderung der Außenwelt durch die Dunkelheit in Am Rande der Nacht läßt sich im Kontext der Groteske deuten. So nimmt die vertraute Umgebung in der Nacht bedrohliche Züge an. Mit Fortschreiten der Dämmerung erinnern die Flügel der Mühle mehr und mehr an eine monströse Fle- dermaus.544 Formal erscheint dieser Vergleich insofern grotesk, da er zwei einander fremde Bereiche - den tierischen und maschinellen - miteinander verbindet. Inhaltlich ergibt sich durch diese Verwandlung der Außenwelt eine Nähe zum Nachtstück.545 Die Verbindung der Fledermaus546 zu Nacht und Melancholie macht die Präsenz der un- heimlichen Nacht deutlich, die verunsichernd über dem Romangeschehen liegt. In der Umbildung der Mühle zur monströsen Fledermaus entsteht eine ausgesprochene Anti- idylle. Insbesondere die Statik der Szenerie trägt zur Unheimlichkeit des Ortes bei. Die Verbindung von Groteske und Nacht läßt die dargestellte Wirklichkeit des Romans als doppelbödig und bedrohlich erscheinen, wodurch sich eine Nähe zum Magischen Rea- lismus ergibt.547 Die Nacht, bzw. deren gespenstische Beleuchtung bringt eine andere, magische Realität hervor548, die tagsüber nicht sichtbar ist. So zeigt die nächtliche At- mosphäre das zweite Gesicht der Dinge, hinter dem sich eine existenzielle Bedrohung verbirgt. Sie trat zum Garderobenständer, der im Flur stand und in dem ein Spiegel war, und durch das Flurfenster fiel das helle Mondlicht in den Spiegel, und

543 „Das mit dem Lächeln vermischte Grauen hat seinen Grund eben in der Erfahrung, daß unsere ver- traute und scheinbar in fester Ordnung ruhende Welt sich unter dem Einbruch abgründiger Mächte verfremdet, aus den Fugen und Formen gerät und sich in ihren Ordnungen auflöst.“ Wolfgang Kay- ser, Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung, Oldenburg 1961, S. 38. 544 „Dunkel ragte die Mühle mit ihren Fledermausflügeln aus den Baummassen in das graue Mondlicht.“ A.R.d.N., S. 74. 545 Das Nachtstück bildet innerhalb der Kunst ein eigenständiges Genre, das Figuren oder Landschaften in nächtlicher Beleuchtung darstellt. Bereits im 15. Jahrhundert lassen sich Beispiel finden, die das Heilsgeschehen nachts schildern. Später sind diese Nachtabbildungen thematisch relativ frei und umfassen so Katastrophen wie Brände und Vulkanausbrüche, Verbrechen und Liebesabenteuer, a- ber auch Nachtstücke im Sinne des Makabren und Grotesken. Vgl. Nachtstück, in: Lexikon der Kunst. Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industriegestaltung, Kunsttheorie, Band 5, Leipzig 1993, S. 81/82. 546 gilt im Volksglauben als dämonisches Tier, das mit Hexen in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus ist sie auch Vorbote des Todes. Vgl. Fledermaus, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hrsg. von E. Hoffmann-Krayer, Band 2, Berlin 1929/30, Sp. 1579-98. In Francisco de Goyas Capriccio Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer findet sich die Fleder- maus neben der Eule, dem Luchs und der Katze als Tier der Nacht und der Melancholie. Stefanie Heraeus, Zur künstlerischen Eroberung des Traums im 19. Jahrhundert. Von der äußeren zur inne- ren Natur, in: Die Nacht (1998), S. 110. 547 Olaf Peters (1998), S. 26. 548 „Mit ‚magisch‘ im Gegensatz zu mystisch sollte angedeutet sein, daß das Geheimnis nicht in die dar- gestellte Welt eingeht, sondern sich hinter ihr zurückhält.“ Franz Roh (1925), o.S. 113 sie betrachtete ihr bleiches, abgemagertes Gesicht, aus dem die Nase immer schärfer hervortrat, und sah in den Augen dies dunkle gespenstische Dro- hen, und das Mondlicht fiel auf die große runde Rubinbrosche, die sie am Halse trug auf dem schwarzen Kragen mit der Spitzenrüsche, und die Rubi- nen glühten blutigdunkel im Mondenschein.549 Wie in dieser Passage aus Septembergewitter wird das Licht in den Werken Lampes so eingesetzt, daß es Gegenstände oder bestimmte Eigenschaften betont, die dadurch zum Symbol werden. Hier treten die blassen und abgemergelten Züge der alten Frau hervor, die einen baldigen Tod erahnen lassen. Die Rubinbrosche wird aufgrund ihrer Farbe zum zeichenhaften Verweis auf Schmerz, Krankheit und Tod. Die Nacht erzeugt in Lampes Romanen eine gespenstische Atmosphäre. Sie ist Vorbo- tin des Todes und wird mit diesem weitgehend identifiziert. Trotz aller Versuche, die Nacht und damit den Tod durch das künstliche Licht zu verdrängen, setzt sich immer wieder die Dunkelheit durch. Von Zeit zu Zeit blickte Frau Mahler ängstlich zu der halbgeöffneten Tür, die in die Totenkammer führte. Durch die schmale Öffnung drang etwas un- heimliche Schwärze in das gemütliche Zimmer.550

4.1.4. Am Rande der Nacht und der Orpheusmythos

4.1.4.1. Idyllischer Todesraum Eine weitere Erscheinungsform des Idyllischen in Am Rande der Nacht ist die Mühle in den Wallanlagen, die mitten in der Stadt liegt. Diese und die anderen charakteristischen Orte des Hafens und des Astorias zeigen, wie eng sich Lampe in der Beschreibung der Stadt an das Bremen seiner Kindheit anlehnt. Sowohl räumlich als auch zeitlich umkrei-

549 Sg., S. 113. 550 A.R.d.N., S. 114. 114 sen die beiden Romane Lampes die Gegend, in der er aufgewachsen ist551, wobei er in Septembergewitter auf Anraten seines Freundes Johannes Pfeiffer die konkreten Gebäu- de- und Straßennamen gestrichen hat.552 Für Lampe selbst sind die Mühlen untrennbar mit der norddeutschen Landschaft verbunden, die er in der Ballade Das dunkle Boot beschreibt: Im purpurnen Norden das Land. / Auf den Wiesen das braune Vieh / Mit den schwappenden Eutern, / und die Mühlen und das Moor / und die schwarzen Segeln der Torfboote, / sanft gebläht.553 Durch die Ruhe und Beschaulichkeit, die diese ländliche Szenerie ausstrahlt, wird die Mühle zum Träger des Idyllischen. Selbst innerhalb der Stadt verkörpert sie noch die positiven Gefühlswerte der Idylle. Die Bäume der Anlagen traten schon zu schweren dunklen Gruppen zu- sammen, und weich und mahnend hob die Mühle auf dem Hügel die brau- nen Flügel in den warmen, blauen, rauchigen Himmel. Von der Hafenstraße her glommen schon die kleinen Flämmchen in den Laternen.554 In der Stadt ist die mittlerweile stillgelegte Mühle Sinnbild einer dörflichen Vergangen- heit und damit „Signum einer heilen, überschaubaren und geordneten Welt“.555 Obwohl die Wind- und Wassermühlen im Vergleich zur einfachen Handmühle bereits den Be- ginn der Industrialisierung ankündigen, werden sie in der Literatur des 19. Jahrhunderts zum Relikt einer überschaubaren und heilen Weltordnung.556 In Raabes Pfisters Mühle ist diese zum idyllischen Refugium stilisiert, das durch die Abwässer der benachbarten Fabrikanlage bedroht wird, obgleich die Mühle selbst nicht mehr die eigentliche Le- bensgrundlage des alten Müllers ist, sondern deren Vermarktung als Ausflugslokal. So legt die Umweltverschmutzung einerseits den Mahlbetrieb lahm und verhindert anderer- seits das Kommen der Gäste, die sich durch den Gestank belästigt fühlen. Am Ende von

551 „Es soll ein kleines Buch werden. Eine ziemlich wunderliche Sache. Wenige Stunden, so abends zwi- schen 8 und 12 in einer Hafengegend, ich denke dabei an das Bremer Viertel, in dem ich meine Ju- gend verbracht habe.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 14.2.1933, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 108. De Pauw dokumentiert in ihrer Dissertation minutiös die Bremer Örtlichkeiten. Helga de Pauw (1959/60), S. 85-87. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die ehemalige Befesti- gungsanlage in einen öffentlichen Park umgewandelt, der mit seinen Wasserläufen und Grünanla- gen die Altstadt umschließt und, in dem heute noch die letzte von den zwölf Mühlen Bremens steht. Hans-Christoph Hoffmann, Bremen, Bremerhafen und das nördliche Niedersachsen, Köln 1996, S. 100. 552 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 24.10.1937, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 111. 553 Friedo Lampe, Das dunkle Boot, Hamburg 1936, o.S. Die Ballade wurde von Lampe später für den Erzählungsband Von Tür zu Tür in Prosa umgearbeitet. 554 A.R.d.N., S. 8. 555 Günter Bayerl, Herrn Pfisters und anderer Leute Mühlen. Das Verhältnis von Menschen, Technik und Umwelt im Spiegel eines literarischen Topos, in: Technik in der Literatur. Ein Forschungsbericht und zwölf Aufsätze, hrsg. von Harro Segeberg, Frankfurt 1987, S. 51. 556 „Der Topos schlechthin für diese vorindustrielle Idylle wurde, seit man die Fabrik als feindlich emp- fand, die Mühle.“ Ebd., S. 72 115 Raabes Erzählung werden zwar die Fabrikbetreiber am unkontrollierten Ablassen des verschmutzten Wassers in den Dorfbach gehindert, doch kann die Mühle nicht mehr gerettet werden, da ihre Zeit um ist und einer modernen Industrieanlage weichen wird. Die Lage der Mühle in Am Rande der Nacht ist letztlich auch das Ergebnis eines Indust- rialisierungsprozesses, in dessen Verlauf sie überflüssig und von der wachsenden Stadt eingeholt wurde. Dadurch, daß sie nur mehr Wohnung des alten Anlagewärters ist und nicht mehr zum Mahlen genützt wird, mutet sie wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit an, dessen groteskes Aussehen zudem unheimlich wirkt. Das Ländliche und Idylli- sche wird in dieser veränderten Umgebung zur bloßen Illusion, die mit Theaterkulissen verglichen557 und dadurch zum Kitsch degradiert wird. Im Roman ist sie dadurch glei- chermaßen Symbol für eine vergangene Idylle und für die Veränderungen der Moderne, die dadurch als Verlust von Traditionen und Werten charakterisiert ist. An die stillstehende Mühle knüpfen sich volkstümliche Vorstellungen, die vor allem durch ihre abgeschiedene Lage begründet sind. Im Märchen bzw. der Volksdichtung ist die fernab vom Dorf liegende Mühle ein unheimlicher Ort558 und der Müller häufig mit dunkelen Mächten im Bunde. So hat sich auch die Ansicht überliefert, daß die Mühle mit verbotener, bzw. käuflicher Liebe, Betrug und Zauberei in Zusammenhang steht.559 Insbesondere der eigentliche Mahlprozess wird jedoch mit Leben und Tod verbunden und auch als Gleichnis des Heilsgeschehens gedeutet.560 Das sich drehende Mühlrad ist daher Sinnbild von Dauer, steht es still oder ist es gar zerbrochen, spielt es auf das Ende eines Lebens oder zumindest einer Liebesbeziehung an.561 Friedo Lampe bezieht sich in seiner Darstellung der Mühle in Am Rande der Nacht auf diesen Motivkontext, der im 19. Jahrhundert in eine Synthese von Idylle und Todesreich

557 „In den Ecken standen Geräte, Kugeln, Kästen, Trapeze, an den Wänden lehnten ein paar Kulissen: eine Rheinlandschaft mit Stolzenfels, Palastzimmer, orientalische Säulenhalle.“ A.R.d.N., S. 82. „‘Die [Kulissen] können Regen vertragen. Sind ja schon ganz verregnet. Sehen Sie doch mal genau zu, haben ja lauter abgewaschene Stellen und Streifen. Aber so aus der Entfernung machen sie sich wohl noch immer ganz gut. Man muß eben nie allzu genau hinsehen, dann geht's schon.‘“ Ebd., S. 83. 558 So gibt es im Märchen z.B. den Topos des bösen Müllers, der mit der schwarzen Magie in Verbindung steht. Otfried Preußlers Märchen Krabat geht auf einen Stoff aus dem sorbischen Raum zurück. Günter Bayerl (1987), S. 63. 559 Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Gesammelt von Arnim und . Kriti- sche Ausgabe, Band 2, Stuttgart 1987, S. 331-334; S. 369/70. 560 Günter Bayerl (1987), S. 56. 561 In Eichendorffs Gedicht Das zerbrochene Ringlein empfindet das lyrische Ich nach dem Treuebruch seiner Geliebten das sich weiter drehende Mühlrad als paradox und will diesem quälenden Fortgang des Lebens seinen eigenen Tod entgegensetzen, der auch das Rad zum Stehen bringen soll. Joseph von Eichendorff, Das zerbrochene Ringlein, in: Ders., Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. Historisch-Kritische Ausgabe, Gedichte, Teil 1, Text, hrsg. von Harry Fröhlich, Ursula Regener, Stuttgart 1993, 371/72. 116 überführt wird.562 Die Ambivalenz der Mühle ergibt sich in Lampes Roman auch we- sentlich durch ihren Standort, der durch die dunklen Wasserläufe, die schlammigen Ufer und ihrem Getier als Zwischenbereich von Leben und Tod charakterisiert ist. Bereits in Lampes erster Erzählung Am dunklen Fluß findet sich die Verbindung von Wasser und Tod. Der Konflikt der Brüder Karl und Georg, den dieses Werk Lampes behandelt, entzündet sich an der grundsätzlichen Entscheidung, nach dem Tod des Va- ters in der Heimatstadt zu bleiben oder in den USA, einen Neuanfang zu wagen. Wäh- rend Karl sich nach dem Tod des Vaters dazu entschließt, nach Amerika auszuwandern, verharrt Georg zuhause in persönlicher Stagnation. Dem Bild von einer durch das fauli- ge Wasser verseuchten Stadt, setzt der Erzähler die Überfahrt über das offene Meer ent- gegen, die Karl sich mit harmlosen Flirts vertreibt.563 Dieser Gegensatz von Ausfahrt und stehenden Gewässern ist eine Konstellation, die auch die späteren Texte Lampes prägen. Anders als in den folgenden Arbeiten ist das Gesellschaftsbild in Am dunklen Fluß kon- kret durch die wirtschaftlichen Probleme der Weimarer Republik bestimmt, die sich auf die Verfassung der Protagonisten auswirken. So macht die Arbeitslosigkeit aus den jun- gen Männern wieder Kinder, die sich die Zeit durch Ballspielen im Garten vertreiben. Diese regressive Atmosphäre beschreibt der Erzähler durch eine Verfallsmetaphorik, die auf dem Motiv des Wassers beruht. Georg dagegen – war er nicht auf derselben Stelle stehengeblieben, hatte er sich überhaupt fortbewegt und wohin? Da waren noch zu beiden Seiten die schwarzen vermorschten Planken, jetzt noch wackliger als damals, und hin- ten schloß noch immer das alte verrostete Gitter den Garten ab und ließ die Aussicht auf den kleinen Fluß frei, an dessen jenseitigem Ufer die feuchten, sumpfigen Anlagen begannen, in denen am Sonntag die Dienstmädchen mit ihren Schätzen spazierengehen. Träge floß das trübe, modrige Wasser wie ehemals und immer an dem Garten und an all den Nachbarsgärten vorüber, es war schmutzig von den Abwässern der Häuser und Fabriken und noch schwärzer durch die Bäume, die es beschatteten.564 Der schlickige Fluß, in den auch noch die Abwässer der Stadt eingeleitet werden, ver- weist auf den Zustand einer Gesellschaft, die von innen verfault. Der phlegmatische Georg ist dabei sowohl Opfer des wirtschaftlichen Niedergangs der Weimarer Republik als auch eine Verkörperung dieses Zerfalls. Bereits in dieser frühen Erzählung Lampes

562 Weitere Beispiele für die Literatur des 19. Jahrhunderts finden sich bei Renate Böschenstein-Schäfer (1986), S. 25-29. 563 „Wie leicht und froh habe ich mich auf der Reise, noch gestern, gefühlt. Das Schiff fuhr sicher und unbeirrbar dahin, die weite Wasserfläche schimmerte glatt und hell, Karl lag im Liegestuhl, sah blinzelnd in die Lichtfülle und aalte sich.“ N., S. 323. 564 Ebd., S. 319/20. 117 wird der Zusammenhang von Nacht und Tod in der Naturmetaphorik bildlich umge- setzt. Morsche Kähne und der sumpfige Übergang zwischen Ufer und Wasser signali- sieren Verfall und Verwesung, wodurch dieser Fluß an den antiken Styx erinnert. An- ders als in der nationalsozialistischen Literatur, die mittels der Wassermetaphorik die Zugehörigkeit zu einem Volksganzen demonstriert565, bringt Lampe damit Einsamkeit und Tod zum Ausdruck. Gleichzeitig ist der Ort durch die Abwesenheit des Menschlichen und als eine Welt der reinen Kreatürlichkeit charakterisiert, die durch elementare Lebensgesetze bestimmt ist. Selbst das Technische ist hier animalisch dargestellt, so hupen die Autos wie verstörte Tiere.566 Und er fühlte den Fluß, Georgs Fluß, war schon der Fluß, der modrige, schwarze, strömte träge dahin durch die Nacht zwischen lehmigen Ufern, unter Bäumen weg, die ihre Zweige ins Wasser tunkten, an sumpfigen Wie- sen, Mooren und Wäldern vorbei... Kähne schwarzgeteert und vermorscht, lagen halb versoffen und öde im Schilf. Kröten saßen auf Baumstümpfen und glotzten zum Mond auf, Ratten und Ottern huschten am Uferrand hin, sprangen klatschend ins Wasser, verbissen sich in ihre Beute, und es roch nach fauligen Fischen.567 Die Metaphorisierungen der Gesellschaftskrise in den Naturbeschreibungen verdichten die Atmosphäre der Erzählung und implizieren damit auch eine Entpolitisierung der gesellschaftlichen Mißstände ins Naturmagische, das sich einer rationalen Analyse ent- zieht. In Am Rande der Nacht verknüpft Lampe das morbide Mühlenidyll mit der Wasserme- taphorik.568 So kann der Anlagenwärter, der die Mühle bewohnt und mit seinem Kahn die Wasserläufe kontrolliert, eindeutig als Verkörperung Charons und der Fluß als Styx identifiziert werden. Ein Kahn und ein Mann, der ihn in ruhigen Schlägen und leis plätschernd dahinruderte. Ein schwarzer, geteerter, breiter Kahn. Die Dollen quietsch- ten. Der Mann hatte einen großen spitzzulaufenden Strohhut auf.569

565 Sabine Kurpiers (1999), S. 117. 566 „Der schwüle feuchte Dunstatem der schwarzen Erde, des modrigen Flußwassers, der sumpfigen An- lagen schwoll zu ihm herauf, und einmal schrie kurz und kläglich eine Autohupe auf, wie ein dump- fes Tier, das vor der Nacht Angst hat.“ N., S. 339. 567 Ebd., S. 339/40. 568 In Zu Straßburg auf der Schanz findet sich so das Motiv der Mühle mit dem Todesfluß verknüpft und in Das dunkle Boot wird ebenfalls der Styx aufgegriffen. 569 A.R.d.N., S. 16. Das Charonsmotiv findet sich auch in der Erzählung Das dunkle Boot, V.T.z.T., S. 202 und Zu Straßburg auf der Schanz: „Da sieht er sich lösen aus sanfter Schwärze den schwarzen Kahn mit dem dunklen Segel und an dem Steuer der stille Mann. Voll mit Torf ist er geladen, und leise gluckert die Welle am Bug. Und dann legt er an am Rande des Teiches, und der stille Mann winkt, und der Lehrer steigt ein.“ V.T.z.T., S. 202. „[…] und Adrian saß allein am Steuer, und vor ihm unter der grauen Persenning stand der Sarg mit dem jungen Mädchen.“ Ebd., S. 198. 118 Der alte Mann wird als vereinsamter Sonderling beschrieben, der nach dem Tod seiner Frau den Kontakt zu seiner Tochter, die als Prostituierte arbeitet, abgebrochen hat. Der Aspekt des Leblosen, der durch die stillstehende Mühle angedeutet ist, wird durch die Figur des Wärters, die ganz der Verlassenheit und dem Tod verfallen ist, noch hervor- gehoben.570 Das Motiv der Kahnfahrt, das in der idyllischen Dichtung des 18. Jahrhun- derts als geselliges Natur- und Freundschaftserlebnis gedeutet wurde571, steht hier im Kontext der Überfahrt in das Totenreich. Der Park, wie er in Am Rande der Nacht mit seinen anspielungsreichen Todesmetaphern beschrieben wird, erinnert dabei an Land- schaftsgärten wie die „Elysischen Gefilde“, die der Landschaftsarchitekt Kent als Kom- plex von Todesfluß und Insel der Seligen verwirklicht hatte.572 Mythische Unterweltsvorstellungen und die morbide Landschaft werden in Am Rande der Nacht zur Kulisse einer Gesellschaft, die dem Tode geweiht zu sein scheint.573 Durch die Überzeichnung topologischer Zitate der Idyllentradition und einer ausgespro- chenen Verfallsmetaphorik entstehen in Lampes Roman solche idyllischen Todesräume, wie sie Renate Böschenstein-Schäfer für die Literatur des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf gesellschaftlichen Wandel festgestellt hat.574 Die inhärente Selbstzerstörung dieser idyllischen Todesräume kann dabei auch Metapher für die gesellschaftliche Position der Autoren und Intellektuellen sein, die sich bereits während der Weimarer Republik aus dem öffentlichen Leben ins Private zurückgezogen hatte und die das Dritte Reich als Krise erlebten. Die intertextuellen Bezüge aus der Literatur der Jahrhundertwende, die sich durch den Romantitel und das Motto Hofmannsthals ergeben, bestätigen und erweitern diesen Kontext durch den Orpheusmythos. Denn sowohl Rainer Maria Rilkes Gedicht Am Rande der Nacht als auch Hugo von Hofmannsthals Manche freilich greift die traditio- nelle Vorstellung des Dichters in der Nachfolge des Orpheus auf.

570 „An der Wand hingen ausgestopfte Vögel, bunt schillernde Enten, ein Schwan. Seine Lieblinge, die gestorben waren. Die Vögel, die lebendigen und die toten, waren das einzige, was ihm geblieben war. Seine Frau war tot, und seine Tochter hatte er aus dem Haus geworfen.“ A.R.d.N., S. 46. 571 Bernhard Blume (1957), S. 355. 572 Adrian von Buttlar (1989), S. 38. 573 Doris Kirchner (1993), S. 112. 574 Renate Böschenstein-Schäfer (1986), S. 25. 119 4.1.4.2. Rainer Maria Rilke, Am Rande der Nacht Lampe verweist mit dem Titel seines Romans Am Rande der Nacht auf das gleichnami- ge Gedicht Rilkes, das 1900 erschienen ist.575 In diesem Gedicht durchwacht das lyri- sche Ich die Nacht und reflektiert über sich und seine Beziehung zur Welt. Seine Exis- tenz als Dichter wird in der Vereinzelung „am Rande der Nacht“ begriffen. Meine Stube und diese Weite, / wach über nachtendem Land,- / ist Eines. Ich bin eine Saite, / über rauschende breite / Resonanzen gespannt.576 Die Dunkelheit läßt die trennenden Grenzen zwischen Ich und Welt schwinden, Innen und Außen verschmelzen zu einer Einheit, die sich zum alles umfassenden Raum aus- weitet. Das lyrische Ich ist in diese Entgrenzung dahingehend eingeschlossen, daß es zur Saite wird, die den Raum fühlend als Resonanz erlebt. Der Körper selbst wird hier zum Ton, der die Atmosphäre des Raumes ausdrückt. In Anlehnung an den Orpheus- mythos, der Ende des 19. Jahrhunderts wieder verstärkt aufgegriffen wurde577, ist der Dichter als Musiker beschrieben. Orpheus, Sohn des Oiagros und der Muse Kalliope, gilt als erster Sänger und Dichter überhaupt. Nach Nietzsche verkörpert Orpheus damit die archaische Verbindung von Musiker und Dichter.578 Orpheus war dafür bekannt, daß er mit seinem Gesang die Na- tur und alle Menschen bezaubern konnte. Auch die Götter ließen sich, als Orpheus um seine Frau Eurydike trauerte, die auf ihrer Flucht vor Aristaios an einem Schlangenbiß starb, von seinen Klängen erweichen und gewährten ihm Einlaß in den Hades, aus dem er Eurydike befreien wollte. Als sich Orpheus nach seiner Gattin umdrehte und damit gegen das Verbot sie zu sehen, verstieß, verlor er Eurydike ein zweites Mal - nun end- gültig - an den Tod. Aus Enttäuschung hielt sich Orpheus daraufhin von den Frauen fern und gab seine Erlebnisse in der Unterwelt nur an junge Männer weiter. Rasende Bac-

575 Johannes Graf zeigt in diesem Zusammenhang, daß Lampe damit seine Leser auf eine bestimmte Re- zeptionshaltung einstimmte. Johannes Graf (1989/90), S. 41. Vgl. Rosemarie Gläser, Das Motto im Lichte der Intertextualität – Zur Texttheorie der Hypertextualität, in: Textbeziehungen (1997), S. 261. 576 Rainer Maria Rilke, Am Rande der Nacht, in: Rilke Werke. Kommentierte Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Gedichte 1895-1910, hrsg. von Manfred Engel, Ulrich Füllborn, Frankfurt 1996, S. 283. 577 „Mythisierungstendenzen, die der Dichtung und dem Dichter einen besonderen Rang zuweisen, sind bereits in Klassik und Romantik angelegt. Sie tauchen bei Wagner und Nietzsche wieder auf, nach- dem der politisch-soziale Mythos der Liberalen und Sozialisten durch den Bismarckschen Macht- staat neutralisiert bzw. niedergehalten worden war. Aber die Wirklichkeit des Bismarck-Staates mit seinem Auseinanderfallen von Kultur und Politik, bei gleichzeitigem Verfall beider, führt bei den auf Staatserneuerung durch Kulturerneuerung zielenden Kritikern zur Idee des Mythos als wiederer- rungener Heimat des Volkes, der geschichtlichen Gemeinschaft, die sich durch die Kunst auf ihre Gründung im mythischen Ursprung zurückbesinnt.“ Hans Schumacher, Mythisierende Tendenzen in der Literatur 1918-1933, in: Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik, hrsg. von Wolfgang Rothe, Stuttgart 1974, S. 283. Beispiele in: Mythos Orpheus. Texte von Vergil bis Ingeborg Bach- mann, hrsg. von Wolfgang Storch, Leipzig 1997. 578 Friedrich Nietzsche (1972), S. 39. 120 chantinnen zerrissen ihn aus Eifersucht; sein Haupt soll, so erzählt man sich, singend in Lesbos angeschwemmt worden sein. Der Orpheusmythos, der die Macht von Musik und Dichtung über den Tod und die Nacht beinhaltet, ist einer der bekanntesten antiken Stoffe. Einerseits eröffnet der My- thos die Rezeption, in Orpheus eine Präfiguration Christus zu sehen579 und andererseits ihn als Archetypus des Künstlers darzustellen. Im Orpheusmythos ist der Dichter als Sänger gedeutet, der in mystischer Entrückung die Harmonie der Schöpfung preist. Dichtung wird damit nicht als akademische Diszip- lin geschildert, sondern als rauschhafte Anteilnahme an den Geheimnissen des Lebens, die den Dichter in eine priesterhafte Vereinzelung führen. Der orphische Sänger ist der, der die Paradoxie von Leben und Tod in sich vereint, er ist der Sänger des Dunklen, der mit seiner Dichtung Licht bringt. Auch im Gedicht Rilkes ist die Erfahrung der Nacht irrational. Der Dichter erscheint hier als Saite, der die Dinge, die als Instrumente ohne eigenen Klang beschrieben wer- den580, zum Tönen bringt. Erst durch die Dichtung, die ausdrücklich musikalisch und nicht sprachlich-rational aufgefaßt wird, werden die Dinge begriffen, die in „murren- dem Dunkel“ verharren. Ohne den Dichter bleibt die Welt ungedeutet und damit uner- löst. Die Befreiung der Dinge besteht in ihrer Ausrichtung zum Licht, das vom Ton ausgehend zu den Gegenständen in die dunklen Abgründe fällt. Der Gesang des Dich- ters überträgt die metaphysische Ordnung auf das „irrende“ Dasein der Dinge. Wie im orphischen Mythos ist der Gesang geprägt durch die Erfahrung der Nacht, die auch im- mer eine Begegnung mit dem Tod ist. So bezeichnet die Lage „am Rande der Nacht“ auch im Gedicht Rilkes die Todesnähe des Dichters. Der Erlösungsprozeß der Dingwelt geht ausdrücklich von der Erfahrung der Nacht aus, die als Gegensatz zum Licht, als Schlaf, Traum und Tod begriffen wird. Die Dichtung kann als umgekehrte, nächtliche Aufklärung verstanden werden, insofern der Ton durch die Erfahrung der Dunkelheit zum Lichtbringer wird. Indem der Dichter die harmonische Weltordnung wiederher- stellt, entreißt er die Welt der Nacht und damit dem Ungeformten, dem Chaos, letztlich dem Tode. Das Dichten wird demnach nicht als rationale Versprachlichung der Dinge verstanden, sondern als Verklärung der Welt in der Musik. In der Paradoxie vom „tan-

579 So u.a. Pedro Calderón de la Barca, Der göttliche Orpheus, in: Mythos Orpheus (1997), S. 90-137. 580 „Die Dinge sind Geigenleiber, / von murrendem Dunkel voll; / drin träumt das Weinen der Weiber, / drin rührt sich im Schlafe der Groll / ganzer Geschlechter... / Ich soll silbern erzittern: dann wird / Alles unter mir leben, / und was in den Dingen irrt, / wird nach dem Lichte streben, / das von mei- nem tanzenden Tone, / um welches der Himmel wellt, / durch schmale, schmachtende Spalten / in die alten / Abgründe ohne / Ende fällt...“ Rainer Maria Rilke (1996), S. 283. 121 zenden Tone“, mit dem das lyrische Ich seinen Gesang umschreibt, wird nicht nur durch die Synästhesien die zu den anderen Künsten offene Ausrichtung der Dichtung sichtbar, sondern auch eine grundsätzliche Nähe zum Dionysoskult, der in rauschhaften Festen mit Tanz und Gesang gefeiert wurde. Bereits im antiken Mythos ist eine innere Ver- wandtschaft zwischen Dionysos und Orpheus angelegt581, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wieder aufgenommen wird.582 Wie Dionysos wurde auch Orpheus von rasenden Bacchantinnen zerrissen583, doch wirkte sein Gesang, anders als die dionysi- sche Musik, besänftigend auf die Menschen. Die Verbundenheit zwischen Orpheus und Dionysos greift auch Nietzsche in seiner Abhandlung Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik auf, indem er das Dio- nysische als musikalisches Kunstprinzip deutet584, worauf sich Rilke in seinem Gedicht bezieht. Nietzsche setzt dem modernen entfremdeten Menschen die Erneuerung der Kunst aus dem Mythos entgegen.585 Dabei geht er von einer Unterscheidung zwischen dem Dionysischen und Apollinischen aus, die in der modernen Kunst zur Synthese ge- bracht werden sollen. Unter dem Apollinischen versteht Nietzsche den Bereich des Traumes und der bildenden Kräfte der Phantasie.586 Während das Apollinische unter Beibehaltung der Individuation zu einer Erlösung des Ichs im Schein führt, offenbart sich das Dionysische im Rausch, in dem sich das Ich auflöst. Das dionysische Prinzip stellt die ursprüngliche Einheit mit der Natur dar. Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwi- schen Mensch und Mensch wieder zusammen: auch die entfremdete, feind- liche oder unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen.587 In der Kunst soll diese Einheit in der Synthese des apollinischen und dionysischen Prin- zips wiederhergestellt werden. Eine vorläufige Verbindung beider Elemente und damit eine Erneuerung der Kultur sieht Nietzsche in der Oper Wagners als Wiedergeburt der

581 „Verschiedene antike Autoren überliefern, daß die orphischen Schriften den dionysischen Kult und die Glaubensvorstellungen der eleusinischen Mysterien beeinflußt haben.“ Hannelore Semmelrath, Der Orpheus-Mythos in der Kunst der italienischen Renaissance. Eine Studie zur Interpretationsge- schichte und zur Ikonographie, Phil. Diss., Köln 1994, S. 5. 582 In der Literatur der Weimarer Republik findet sich häufig die Tendenz, daß Autoren das Historische gestalten oder auf den Mythos zurückgreifen. Hans Schumacher (1974), S. 287. 583 Karl Kerényi (1966), S. 224. Vgl. auch Manuela Speiser, Orpheusdarstellungen im Kontext poetischer Programme, Innsbruck 1992, S. 13-19. 584 Zur näheren Unterscheidung vgl. Barbara von Reibnitz, Ein Kommentar zu Friedrich Nietzsche „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik.“ Kap. 1-12, Stuttgart 1992, S. 61. 585 Manuela Speiser (1992), S. 85. 586 „Apollo, als der Gott aller bildnerischen Kräfte, ist zugleich der wahrsagende Gott. Er, der seiner Wurzel nach der ‚Scheinende‘, die Lichtgottheit ist, beherrscht auch den schönen Schein der inneren Phantasie-Welt.“ Friedrich Nietzsche (1972), S. 23. 587 Ebd , S. 25. 122 griechischen Tragödie erreicht, in der durch die Verbindung von Chor und Szenen dio- nysische Erkenntnisse apollinisch versinnlicht werden.588 Die apollinischen und dionysischen Grundtriebe Traum und Rausch werden als ge- schichtslose, zeitlos gültige Werte verstanden, die durch den Mythos ihre Legitimation erfahren. Im Mythos wird alles Gesellschaftliche aufgehoben und in eine kultische Ge- meinschaft überführt. Das Apollinische und Dionysische sind ausschließlich als ästheti- sche Prinzipien zu verstehen589, was das Primat der Kunst in Nietzsches Entwurf von 1871 zeigt. Der Mythos dient ihm dabei als Folie für eine bessere Gegenwart, gewährt er doch Authentizität und Freiraum von den aktuellen historischen und gesellschaftli- chen Problemen der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges, in der Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik entstanden ist.590 Nietzsches Vorwurf, daß die zeitgenössische Kunst aus einer regressiven Sehnsucht nach der Idylle hervorgegangen ist591, den er aus der Entwicklung des Rezitativs ableitet, läßt sich durchaus auch auf seine eigene Schrift übertragen. Seine Vorstellung von einer Aufhebung der Entfremdung des modernen Menschen ist eigentlich idyllischer Natur. Indem jedoch diese auf dem dionysischen Prinzip beruht, entsteht weniger ein anakre- ontisches Schäferspiel als eine satyrische Idylle. Für die Literatur der Jahrhundertwende ist die Opposition zwischen Apollinischem und Dionysischem maßgeblich geworden. In Rilkes Am Rande der Nacht wird die Synthese zwischen Welt und Ich durch die Verklärung des Dionysischem in das Apollinische592 im Gedicht selbst geleistet. Dabei wird die Entstehung des Kunstwerks aufgezeigt und als Zeugungsakt ausgelegt. Die Bedeutung von Dichtung liegt darin, daß sich im Ge- dicht die Erschaffung des Lichts aus der Finsternis als schöpferischer Vorgang wieder- holt.

588 Ebd., S. 59. 589 „Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich hier unter dem Schauern des Rau- sches.“ Ebd., S. 26. 590 „Der dionysische Mythos, in dem die Welt als Spiel von sich ewig verwandelnden, schaffenden und vernichtenden Kräften, also als ästhetisches Problem erscheint, schenkt dem an der Geschichte, d.h. dem Unwesentlichen, Abgeleiteten, Abstrakten leidenden Menschen Erlösung.“ Hans Schumacher (1974), S. 283. 591 Friedrich Nietzsche (1972), S. 118. 592 „Er [der Lyriker, A.H.] ist zuerst, als dionysischer Künstler, gänzlich mit dem Ur-Einen, seinem Schmerz und Widerspruch, eins geworden und producirt das Abbild dieses Ur-Einen als Musik, wenn anders diese mit Recht eine Wiederholung der Welt und ein zweiter Abguss derselben ge- nannt worden ist; jetzt aber wird diese Musik ihm wieder wie in einem gleichnissartigen Traumbil- de, unter der apollinischen Traumeinwirkung sichtbar.“ Ebd., S. 29/30. 123 4.1.4.3. Hugo von Hofmannsthal, Manche freilich Das Motto, das dem Roman Am Rande der Nacht voransteht, entstammt der Schlußstrophe des Gedichts Manche freilich593 von Hugo von Hofmannsthal. Auch in diesem 1895 entstandenen lyrischen Werk des jungen Hofmannsthals wird über die Aufgabe und Bedeutung des Dichters reflektiert. Das Gedicht baut auf der Gegenüber- stellung von zwei verschiedenen Welten auf, die in der letzten Strophe, im Dichter zur Synthese geführt werden. Veranschaulicht werden diese beiden Bereiche durch die Schiffsmetapher, die eine strenge Trennung von Deck und Schiffsrumpf impliziert. Der oberen Welt kann eindeutig der Geist, der unteren der Körper zugeordnet werden. Das Leben derer, die unten leben, ist ganz durch körperliche, schwere Arbeit bestimmt und erscheint unerlöst und dem Tod verfallen.594 Das Schiff ist in dem Gedicht Hofmannsthals keinesfalls als Metapher für den Staat zu sehen, sondern veranschaulicht lediglich die privilegierte Stellung derer, die die Welt deuten. Die Trennung dieser beiden Sphären wird dabei als gegeben akzeptiert. Zu- sammengeführt werden die obere und untere Welt im Dichter, der fühlend Anteil an der unteren sowie an der Vergangenheit nimmt. Das lyrische Ich wird zum Grenzgänger zwischen den Bereichen. Ganz vergessener Völker Müdigkeiten / Kann ich nicht abtun von meinen Lidern, / Noch weghalten von der erschrockenen Seele / Stummes Nieder- fallen ferner Sterne. Das angestrebte Soziale, die Vereinigung beider Lebensformen595, vollzieht sich beim jungen Hofmannsthal in der Sprache. Die Welt ist lediglich Stoff der Dichtung. Im Sin- ne dieser rein ästhetischen Sicht werden die unterschiedlichen „Geschicke“ mit einem Gewebe verglichen, das durch die Kräfte des Lebens jedoch in Unordnung geraten ist. Das Bild des Gewebes setzt nicht nur Ordnung überhaupt voraus, sondern beschreibt auch die eigentliche Struktur des Lebens als Text. Zurückgegriffen wird hier auf die alttestamentliche Vorstellung, daß die Schöpfung aus Gottes Wort hervorgegangen ist. In der Dichtung stellt sich damit auch die Ordnung der Welt wieder her. Viele Geschicke weben neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein, / Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens / Schlanke Flamme oder schmale Leier.

593 Hugo von Hofmannsthal (1984), S. 54. Im folgenden beziehe ich mich auf diese Angabe. 594 „Manche freilich müssen drunten sterben, / Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen, / Andre woh- nen bei dem Steuer droben, / Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.“ Hugo von Hofmanns- thal, Manche freilich, in: Ders. (1984), S. 54. 595 „Doch ein Schatten fällt von jenen Leben / In die anderen Leben hinüber, / Und die leichten sind an die schweren / Wie an Luft und Erde gebunden:“ Ebd. 124 Die Welt erscheint hier als Labyrinth, das durch den Dichter entwirrt und wieder sinn- voll zusammengefügt wird. Die Zerstückelung des Dionysos, die auch Orpheus wider- fährt und die letztlich eine Metapher für den Zustand der Welt ist, wird in der Dichtung überwunden. Dichtung vereint damit wieder die bruchstückhafte Welt. Die Umsetzung des Daseins in Kunst wird, wie bei Rilke, als Erlösung der Welt vom Chaos begriffen, wodurch dem Dichter eine priesterliche Stellung zukommt. Der Dich- ter ist auch beim jungen Hofmannsthal derjenige, der wie Orpheus die Harmonie der Welt wiederherstellt. In der Schlußstrophe von Manche freilich wird das Dichterbild Hofmannsthals präzisiert. Das lyrische Ich nimmt für sich in Anspruch, über die traditi- onelle Dichtervorstellung vom reinen Geistesmenschen und orphischen Sänger hinaus- zugehen, indem er fühlend Anteil an der anderen Welt nimmt. Hofmannsthal beruft sich hier auf die Auseinandersetzung Nietzsches um den apollinischen und dionysischen Dichter, wodurch der rein ästhetische Charakter dieser Dichterkonzeption betont wird. Lampe greift genau die Zeilen, die diese Auffassung des Dichterischen beschreiben, als Motto seines Romans heraus. Es soll ein kleines Buch werden. Eine ziemlich wunderliche Sache. Wenige Stunden, so abends zwischen 8 und 12 in einer Hafengegend, ich denke da- bei an das Bremer Viertel, in dem ich meine Jugend verbracht habe. Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hofmannsthalschen Motto „Viele Geschicke weben neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein.“ Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch.596 In Am Rande der Nacht nimmt Friedo Lampe die Prätexte durch die Darstellung der Mühle als Unterwelt und die Bedeutung der Musik auf. Das Totenreich verwirklicht sich in der oberirdischen Realität des Romans selbst597, das durch die beiden Protago- nisten Berg und Addi mit dem Orpheusmythos verbunden ist. Sowohl der Flöte spielen- de Berg als auch der singende Addi gehören beide der Nacht an, was sich in ihrer Musik ausdrückt. Wie Orpheus auch versetzen die beiden mit ihrer Musik die Menschen in einen Traumzustand, der die verlorene Harmonie für einen Augenblick wiederherstellt.

596 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 14.2.1932, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 108. 597 In Yvan Golls Der neue Orpheus wird die alltägliche Welt als Hades dargestellt, die dadurch als Ent- fremdung charakterisiert ist. Yvan Goll, Der neue Orpheus und Der Styx in: Ders., Frühe Gedichte 1906-1930, hrsg. und kommentiert von Barbara Glauert-Hesse, Berlin 1996, S. 247-50, S. 139. 125 4.1.4.4. Vereinigung mit der Nacht Innerhalb der episodenhaften Struktur des Romans nimmt die Musik eine Schlüssel- stellung ein. Das Flötenspiel Bergs und der Gesang des unter Hypnose stehenden Addi verknüpfen die bedeutenden Themen des Romans miteinander. Der Junge Addi und Berg sind orphische Künstler, die mit der Nacht und dem Tod vertraut sind. Berg wird als ausgezehrter Mann beschrieben, den seine Vermieterin für todkrank hält598 und Addi ist von den ständigen Aufführungen derart geschwächt, daß sein baldiger Tod wahr- scheinlich ist. Die Musik ist wie im orphischen Mythos an die Erfahrung der Nacht und des Todes gebunden. Während Berg auswendig spielt, singt Addi nur unter Hypnose. Der traumähnliche Zustand ist der Nacht verwandt, innere und äußere Nacht sind hier miteinander identisch.599 Die Nacht, wie sie in Lampes erstem Roman dargestellt ist, entspricht der mythischen Nyx, die Urstoff der Schöpfung, aber auch das absolute Nichts ist. In Am Rande der Nacht kann sie als elementare Kraft, die wie Eros den Ur- grund des Lebens bildet, charakterisiert werden. Die Nacht verkörpert die vitale Erneue- rung des Lebens, die sich im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, aber auch im Blut- kreislauf des Menschen ausdrückt, durch den er an dieser kosmischen Lebenskraft An- teil hat. Diese Vorstellung von der Zeit als Kreislauf und Wiederholung relativiert die moderne Vorstellung von einer quantifizierbaren Zeit, wie sie für die Industriegesell- schaft bestimmend ist. Die Protagonisten des Romans kehren zur natürlichen Zeiteinheit des Pulsschlags zurück. Wie in Manche freilich ist Leben auch in Am Rande der Nacht als elementare Kraft und Bewegung verstanden, dessen Einheit durch gesellschaftliche Einflüsse partikularisiert wird. Die Zeit bewegte sich in allem, bewegte alle und alles, und alle bewegten sich in ihr, sie trieb in Wasser und Bäumen und Wind, im Blut und im Po- chen der Herzen, sie trieb und sie strömte und drängte, sie drängte aus dem Dunkel und ins Dunkel zurück, anfang- und endelos. Der Tag war ver- strömt, die Nacht war heraufgekommen, irgendeine, eine von unzähligen, und sie würde nie so wiederkommen. Wie sie jetzt das Leben fügte, so wür- de es nie sich wieder fügen, und wer sie nicht lebte, in Traum und Wachen, wer sie versäumte, der hatte sie für immer versäumt, und sein Leben war um weniges, um unmerklich weniges ärmer. Ein Tag war vergangen und eine Nacht war heraufgekommen, irgendeine, wichtig-unwichtig, eine volle, warme Septembernacht – ganz war sie jetzt da.600

598 A.R.d.N., S. 157. Vgl. Johannes Graf (1989/90), S. 90. 599 „Und er sang aus der Dunkelheit seines kleinen Leibes heraus in die Dunkelheit der Nacht-“ Ebd., S. 105. „Sein Blick war über die Gärten, über die Häuser weg ins Freie, in die Nacht gerichtet.“ Ebd., S. 27. 600 Ebd., S. 41/42. 126 Die Musik leitet die Begegnung mit der Nacht ein, die belebt dargestellt wird. Indem sie mit den Adjektiven „voll“ und „warm“ beschrieben wird, erscheint sie als Personifikati- on des Lebens selbst. Die Nacht ist die kosmische Zeit, sie ist ewiger Kreislauf, aber auch Zufall und Schicksal zugleich. Auch wenn sie durch Industrialisierung und Ver- städterung aus dem Bewußtsein der Menschen gelöscht werden sollte, wird sie mitsamt ihrer irrationalen und dämonischen Seite durch die Musik wieder zurückgeholt. Jenseits einer Vergesellschaftlichung der Menschen bleibt sie die eigentliche Lebenskraft. Die Erfahrung der Nacht wird in Musik verwandelt, die gleichermaßen Ausdruck von Lebens- als auch Todessehnsucht ist. Mit dieser Auffassung von Musik greift Lampe das Gedicht Rilkes Am Rande der Nacht auf, das dem Roman seinen Namen gab. Addi und Berg sind orphische Dichter im Sinne Rilkes, die die Welt in sich aufnehmen und aus der Erfahrung der Nacht schöpferisch werden. Ihre Musik entwickelt sich in der Einsamkeit, beide scheinen vertrauter mit dem Tod als mit dem Leben zu sein. Die Mu- sik ist im Sinne Nietzsches gesteigertes Leben601, dessen rauschhafte Züge den Tod vorwegnehmen. In der Kunst wird auch für die anderen Protagonisten die Essenz des Lebens fühlbar, die sich gleichzeitig einer Deutung durch die Sprache entzieht. Leben und Tod bleiben in der Musik ein irrationales Geheimnis. Klar und stetig, in ruhigen Intervallen schwebten die kühlen, silberglänzen- den Töne über die Gärten und vermischten sich mit der Abendluft, zerran- nen in ihr. Aber wer hörte diese Töne, wer vernahm sie innen, wer war fä- hig, diese strenge Botschaft, diese klare Klage zu begreifen? Der Sterbende vernahm sie nicht, konnte sie nicht mehr vernehmen, er war schon in einen allzu tiefen Schlaf versunken, sonst wäre er vielleicht derjenige gewesen, der diese Töne am besten begriffen hätte – und die anderen Leute vernah- men sie noch viel weniger.602 In Form von Noten und Instrumenten gehört die Musik zum festen Motivkanon der Va- nitasdarstellungen und ist so ambivalentes Sinnbild für Vergänglichkeit und Lebens- freude. Angesichts des Todes ruft sie zum unmittelbaren Genuß des Augenblicks auf und verkörpert gleichzeitig die Flüchtigkeit des Lebens. Das Flötenspiel Bergs, dem der alte vereinsamte Mann zuhört, veranschaulicht für die- sen die Zeit, die sich in seiner subjektiven Wahrnehmung endlos hinzieht. Der spielte ja immer dasselbe. Die Uhr unter der Glasvitrine, ein goldner Schmied mit einem Hammer, schlug mit hellem zitternden Schlag die Stun- de. Mein Gott, noch so früh. Wie langsam kroch die Zeit dahin! Ja, die Zeit

601 „Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich hier unter dem Schauer des Rau- sches.“ Friedrich Nietzsche (1972), S. 30. 602 A.R.d.N., S. 29. 127 ging dahin, für den einen zu langsam und für den andern zu schnell. Und doch ging sie weder schnell noch langsam, sondern in gleichmäßigem, un- erbittlichem, pausenlosem Schritt, streng und gesetzhaft wie das Flötenspiel des Herrn Berg, das über die Gärten dahinklang, steigend, fallend, unauf- hörlich, in ehernem Gleichmaß.603 Der Erzählerkommentar relativiert die Zeit jedoch als objektive Gesetzmäßigkeit. Mit dieser fast montageartigen Verbindung von Musik und Uhr wird das Flötenspiel mit der chronologisch fortlaufenden Zeit in eins gesetzt. Die Zeit wird durch die Musik zur Vergänglichkeit. Gleichzeitig durchbricht diese lineare Bewegung die kontrastierende stillebenartige Bildstruktur des Romans und die Simultaneität suggerierende Montage.604 Durch die Musik wird die Linearität des Textes zugunsten eines Erlebens ausgeweitet, das gleichzeitig Augenblick und Fortschreiten der Zeit ist. Die Präferenz der Musik ge- genüber der Sprache steht im Kontext der Sprachkritik der Jahrhundertwende, wie sie etwa Hugo von Hofmannsthal in seinem sogenannten Lord Chandos Brief formuliert hat605, in dessen Tradition sich Lampe durch die Übernahme des Mottos setzt und auf den er später in seinem Prosatext Die Krise hinweist. Wie an der Robinsonade und der Gegenüberstellung mit der eigentlichen Romanwirklichkeit gezeigt werden konnte, be- deutet Sprache eine Entfernung vom Paradies und ein entfremdetes Verhältnis zur Na- tur. Während die Sprache als Beschränkung auf den Intellekt verstanden wird, ist die Musik unmittelbarer und emotionaler. Die Verwirklichung dieses traumartigen ent- rückten Zustandes in der Musik greift dabei das idyllische Topos der musizierenden Hirten des locus amoenus auf und deutet diesen Wachtraum als eigentlich arkadischen Urzustand. In Am Rande der Nacht wirkt sich die Bewußtmachung der grundsätzlichen Vergäng- lichkeit nicht moralisierend auf das Geschehen im Roman aus. Die Musik wird vielmehr zum Träger einer elegischen, schwermütigen Stimmung, die auf der Sterblichkeit der Menschen, aber auch der Schönheit des Lebens beruht.606 Infolge der Nietzscherezeption verdichtet sich während der Jahrhundertwende der Zu- sammenhang von Musik, Melancholie und Vergänglichkeit in der Gestalt des dionysi-

603 Ebd., S. 41. 604 „Die Musik steht in Am Rande der Nacht einerseits als Bild für eine irrationale Wirkung der Kunst, andererseits auch als Metapher für den Erzählvorgang. In den assoziativen Überblicksdarstellungen über die Stadt etwa werden die verschiedenen Schauplätze der Handlung durch die Musik verbun- den.“ Johannes Graf (1989/90), S. 94. 605 Hugo von Hofmannsthal (1991), S. 54. 606 Raymond Klibansky, Erwin Panofsky, Fritz Saxl, Saturn und Melancholie. Studie zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt 1990, S. 95. 128 schen Todes, wie er etwa im Werk des jungen Hofmannsthal gestaltet ist.607 In seinem lyrischen Drama Der Tor und der Tod begegnet der jugendliche Ästhet dem Tod, der von sich sagt: Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe! / Aus der Dionysos, der Venus Sippe, / Ein großer Gott der Seele steht vor dir.608 Der Tod ist in der Literatur der Jahrhundertwende häufig ambivalent aufgefaßt und er- scheint auch als rauschhafte Ekstase, die eindeutig erotische Züge trägt. So gesehen erfüllt er die Sehnsucht nach Leben, die dieses selbst nicht gestillt hatte. Deutlich er- kennbar ist hier der Einfluß Hofmannsthals auf das Werk Lampes. All die schönen Worte, das alles vergeht, dass wir nicht verstehen, dass un- ser Leben nur noch eine Betäubung ist, hinter der die Angst vor Tod und Vergänglichkeit ist, all die Verse über das seltsame unheimliche Dahinrau- schen des Daseins, welches man nicht erkannt, nicht erlebt, nicht ernst ge- nug genommen hat, all die Ermahnungen, das Leben und den Augenblick zu geniessen, die einer so furchtbaren Angst entsprungen, geht uns das nicht alles furchtbar an? Die Not Claudios, die Abschiedsstunden der Alkestis, die Lebenslust des sterbenden Tizians, Elektras Jammer, die unheimliche Trau- rigkeit der Gedichte? Ist das nicht alles sehr wichtig für uns, die wir das Le- ben nicht begreifen, und alle so viel von Claudios Leiden in uns haben.609 In Am Rande der Nacht werden die Protagonisten durch die Musik wie durch den orphi- schen Gesang in einen entrückten Zustand versetzt, in dem das kontemplative Schauen einen Moment lang die Alltagssorgen verdrängt. Auffällig ist die Darstellung der Musik in Synästhesien, in denen die verschiedenen Sinne miteinander verbunden werden. Die Töne zogen eine ruhige stetige Bahn, der weiche Abendwind rauschte ein wenig in den Bäumen der Gärten und trug die vollen Gras-, Blumen- und Blattgerüche heran. Die Gärten lagen dunkelgrün und undeutlich da […]. Dann versank wieder alles in weiche, wogende, fließende Nacht – und Luise schwebte wieder mit den Tönen dahin – auf silbernen Bahnen.610 Der Klang wird in eine Farbwahrnehmung umgesetzt, die mit bestimmten Gefühlswer- ten verbunden ist, so werden das Flötenspiel und der Gesang Addis ausdrücklich silbern genannt. Zum einen kann diese Klangfarbe als Referenz auf das Gedicht Rilkes gedeutet werden, in dem der Ton des lyrischen Ichs mit der gleichen Farbe bezeichnet wird, wo-

607 „Doch es war nicht Nacht. / Mit silbergrauem Duft des dunklen Tals / Verschwammen meine däm- mernden Gedanken, / Und still versank ich in dem webenden / Durchsicht‘gen Meere und verließ das Leben. […] Das Ganze / War angefüllt mit einem / Schwellen schwermütiger Musik - Und die- ses wußt ich, / Obgleich ich‘s nicht begreife, doch ich wußt es: / Das ist der Tod. Der ist Musik ge- worden, / Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend, / Verwandt der tiefsten Schwermut.“ Hugo von Hofmannsthal, Erlebnis, in: Ders., (1984), S. 31. 608 Hugo von Hofmannsthal, Der Tor und der Tod, in: Ders., Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Band 3, Dramen 1, hrsg. von Götz Eberhard Hübner, Klaus Gerhard Pott, Christoph Michel, Frankfurt 1982, S. 70. 609 Friedo Lampe an Walter Hegeler im Juni 1921, unveröffentl. Brief, DLA. 610 A.R.d.N., S. 29/30. 129 durch der Bezug auf den Orpheusmythos611 in Am Rande der Nacht bestätigt wird. Ver- gleicht man dieses silbern mit dem leidenschaftlichen Orgelspiel des Mörders Metzler in Septembergewitter, das als golden beschrieben wird612, kann zum anderen dieses sil- bern als Ausdruck einer ätherischen Kühle aufgefaßt werden. Während Metzler eher dem dionysischen Künstler entspricht, sind Berg und Addi demnach dem apollinischen zuzuordnen. Der apollinische Schein des Tones geht als Glänzen auf die Zuhörer ü- ber.613 Einen Augenblick war es ganz still, und dann hob eine dünne Kinderstimme zu singen an, erst schwankend und ungewiß, ein flackerndes Flämmchen, dann immer klarer ansteigend, hell und durchdringend, silbern-reine Ton- kreise ziehend, in den Garten in den vollen Nachthimmel hinein. Und die Leute da unten schwiegen und lauschten, mit nach oben gekehrten Gesich- tern, befremdet, tonbeglänzt und erheitert, sahen in die Baumkrone in den Nachthimmel, sahen klingend die grausilberne, ein wenig verbeulte Mond- scheibe durch Wolken rollen, sahen angeleuchtete, aufgeleuchtete Wolken in schweren, warmen Wind dahinsegeln, fühlten die laue Strömung der Nachtluft, die Kühlung des Gesanges, die Stille des Augenblicks.614 Die synästhetische Wahrnehmung der Musik im Roman, die die rationale Raumwahr- nehmung sprengt, ist durch lebensphilosophische Positionen beeinflußt, wie sie vor al- lem von Ludwig Klages in seinem 1921 erschienen Werk Vom kosmogonischen Eros vertreten wurden. Lampe wurde wahrscheinlich durch die Vermittlung seines Stettiner Lehrers Ackerknecht auf Klages aufmerksam. Erwin Ackerknecht, der die Ausbildung zum Volksbibliothekar in Stettin durch begleitende Seminare und Vorträge ergänzte, trug entscheidend zur Verbreitung des Philosophen bei.615 Klages führt die sinnliche Erscheinung der Welt auf das Wirken des Eros zurück. So sähe in der Tat das Leben aus, wäre es nichts als Streben, Trachten, Wünschen, Not des Getriebenwerdens und Pein des Wollens und nicht

611 In der Arbeit von Manuela Speiser läßt sich mit Georg Trakls Passion ein weiteres Beispiel finden, in dem der Gesang des Orpheus als silbern bezeichnet wird. Manuela Speiser (1992), S. 105. 612 „Vom Fluß tönte das Gehämmer aus der Werft – da begann die Orgel in der Kirche leise zu summen und zu klagen, golden-warme Töne, süß und feierlich, schwammen über die Gräber hin.“ Sg., S. 16. 613 „In diesem Zustand des Träumens sind die Zuschauer fähig, die dionysische Wirkung des Gesanges im apollinischen Bild des kleinen Jungen zu erleben.“ Johannes Graf (1989/90), S. 79. 614 A.R.d.N., S. 102. 615 Auf diesen biographischen Zusammenhang hat Johannes Graf hingewiesen. Johannes Graf (1989/90), S. 55. Ackerknecht hat vor allem in Stettin Einführungen in das Werk Klages gegeben und es ist sehr wahrscheinlich, daß Lampe durch ihn zu Klages gekommen ist. Ludwig Klages. Gesammelte Aufsätze und Vorträge zu seinem Werk, hrsg. von Hans Kasdorff, Bonn 1984, S. 225. Johannes Pfeiffer, einer seiner besten Freunde, hat außerdem eine Arbeit über Klages verfaßt. Ludwig Klages (1984), S. 233. Ackerknecht spricht in einem Brief von einer Zusammenarbeit mit Klages. Erwin Ackerknecht an Friedo Lampe am 9.1.1934, unveröffentl. Brief, DLA. „Für sie alle spielte, zumin- dest unter volksbildnerischen Aspekten, keine Rolle, was heute als wegweisend für die Literatur des 20. Jahrhunderts betrachtet wurde. Ganz gewiß spielen bei ihm auch die philosophischen Grundla- gen seines anti-rationalistischen und anti-aufklärerischen Denkens eine Rolle, über dem Nietzsche und Klages als Leitsterne leuchteten.“ Der Nachlaß Erwin Ackerknecht (1995), S. 28. 130 vielmehr der unausdenkliche Reichtum der Farben, Klänge, Düfte, in die uns verwandelt das Wunder des Eros. Im Rausch, der solches Wunder voll- bringt, löst und durchdringt den Seelenträger die wesensbildende Seele der Welt.616 In der traumhaften Innenschau strömt der Einzelne in die Elemente und erlebt dabei die Kraft des Eros. Laut Klages ist die einseitige Betonung des Intellekts und mit ihr des Visuellen für die Entfremdung verantwortlich. Diese dualistische Auffassung von Le- ben und Geist der Moderne löst sich im dionysischen Rausch auf.617 Wie in der Roman- tik vollzieht sich die Erfahrung der Welt über die Sinne, durch die der Mensch auch mit dem Kosmos verbunden ist.618 In der passiven Haltung des Traumes verwirklicht sich das ursprüngliche Sein. Die Präferenz der sinnlichen Empfindung gegenüber dem In- tellekt entspricht der idyllischen Auffassung, daß die Natur die Sinne des Menschen erfreuen soll. Im Unterschied zur Idylle wird die kosmische Harmonie jedoch im Rausch erreicht, der Zeit und Raum außer Kraft setzt. In Am Rande der Nacht verändert sich der Raum durch die Musik. Das Flötenspiel breitet sich in der ganzen Stadt aus und verbindet alle Episoden und Orte miteinander. Der Romanraum wird durch die grenzüberschreitende Musik aufgebrochen und in eine dynamische Bewegung gesetzt, die auch auf die Protagonisten übergreift. Durch dieses emotionale Erleben der Musik entfernen sich die Romanfiguren von einer rein verstan- desmäßigen Wahrnehmung der Wirklichkeit und öffnen sich einer erweiterten Erfah- rung der Welt. Die Musik ermöglicht eine sinnliche Begegnung mit dem Raum. Inner- halb des fortlaufend erzählten Textes verdichtet sich die Zeit durch die Musik zum Au- genblick. Mittels der Musik wird hier ein mystischer Raum geschaffen, der die linearen Eigenschaften der Musik mit den simultanen des Bildes verknüpft. Auf den „silbernen Bahnen“ der Musik entgleiten die Zuhörenden dem Alltag und wer- den in einen traumartigen Zustand versetzt. Die silberne Farbe verweist zusätzlich auf die Eigenschaften, die die Töne mit dem Wasser gemeinsam haben. So wird die Tonfol- ge als eine Wasserspur beschrieben, die in Analogie zu diesem Element in einen Zu- stand führen, der grenzenlos ist.

616 Ludwig Klages, Vom kosmogonischen Eros, in: Ders., Sämtliche Werke. Band 3. Philosophie, Bonn 1974, S. 386. 617 „Statt nun zu sagen, die Einzelseele löse sich in der Ekstase, können wir auch sagen, sie befreie sich oder werde befreit von gewissen Schranken und Fesseln der sonst ihr gewohnten Haltung.“ Ebd., S. 389. 618 Vgl. Die Bedeutung der Synästhesien bei E.T.A. Hoffmann. Otokar Fischer, E.T.A. Hoffmanns Dop- pelempfindungen, in: E.T.A. Hoffmann, hrsg. von Helmut Prang, Darmstadt 1976, S. 28-56. 131 Die Liquidität des Wassers steht für eine Verschmelzung von Ich und Raum, in der In- nen- und Außenwelt miteinander identisch werden. Auf dem Höhepunkt dieses Trance- zustandes im Astoria füllt das Wasser den ganzen Raum aus, in dem sich die Protago- nisten wie Schwimmer frei und gelöst bewegen. Durch das Wasser sind sie von allen Hemmungen und Belastungen frei. Das Eintauchen der Protagonisten ins Wasser wird als Vereinigung beschrieben, die der Entfremdung wie sie im Roman etwa durch die Automatenmenschen dargestellt wird, entgegengesetzt ist. In diesem traumartigen Zu- stand zeichnet sich die Möglichkeit einer anderen Existenz ab, in der alle Widerstände überwunden werden können und ein Leben in völligem Einssein mit sich selbst möglich scheint. Das Wasser bildet einen Kontrast zur gesellschaftlichen und moralischen Be- schränkung und steht auch für eine erotische Befreiung. Wie Lampe hier die Wasser- metaphorik einsetzt erinnert an Vertreter der Moderne, bei denen der Fluß des Wassers wie bei James Joyce oder die Welle wie bei Virginia Woolf zum Sinnbild einer Erzähl- struktur wird, die keiner Stringenz, sondern dem Bewußtseinszustand ihrer Protagonis- ten folgt.619 Das Element des Wassers wird zur Analogie des Traumes oder einer ihm verwandten Verfassung.620 Dieser Auflösungsprozeß, der eng mit der nächtlichen Wahr- nehmung verbunden ist, wird als eine Aufhebung des rein intellektuellen Zugangs und damit als Beseitigung der Entfremdung der Menschen von ihrer eigentlichen Existenz dargestellt. So ist das Aufgehen im Element des Wassers auch mit dem unmittelbaren Lebensgenuß identisch. Anton fühlt sich so durch einen der Zuschauer, der ihn zum „carpe diem“ auffordert, an einen arkadischen Flußgott621 erinnert, der ganz mit seiner Umgebung eins ist. Wie in der Robinsonade ist dieser Wasserraum Sinnbild eines un- entfremdeten, idyllischen Lebens. Und er tat einen langen Zug aus seinem Bierglas, lehnte sich wieder zurück, tauchte wieder unter in die träge, trübe, träumerische Flut, trieb langsam da- hin im breiten, dumpfen Gewässer. Anton fühlte: ein Flußgott, breitmaulig aufsteigend, gurgelnd, das schlickige Wasser fließt von ihm ab, er sinkt wieder zurück.622

619 Sabine Kurpiers (1999), S. 134. 620 „Die Sprache, der Traum, die Imagination sind nicht autonom menschliche Produktionsmedien, in welche der stumme Stoff durch bedeutungsverleihende Akte erst kulturelle Signifikanz erhält. Son- dern es scheint vielmehr so, daß die Funktionsweisen von Sprache, Traum und Imagination selbst in Analogie zum Wasser begriffen werden können.“ Hartmut Böhme, Eros und Tod im Wasser – „Bändigen und Entlassen der Elemente“. Das Wasser bei Goethe, in: Kulturgeschichte des Wassers, hrsg. von Ders., Frankfurt 1988, S. 11/12. 621 Raymond Klibansky, Erwin Panofsky, Fritz Saxl (1990), Abb. 55-57. Darstellungen von Flußgöttern in der Haltung des Saturns. Die antiken Flußgötter sind häufig Personifikationen von Fruchtbarkeit und Vergänglichkeit zugleich. 622 A.R.d.N., S. 79. 132 Die auflösende Eigenschaft des Wassers symbolisiert einen Entgrenzungszustand, der als erotische Vereinigung, aber auch als pantheistisches Aufgehen im Tod gedeutet werden kann.623 Insbesondere während der Jahrhundertwende wird dieses Element zum Raum für eroti- sche Wasserwesen und sexuelle Begegnungen, ein Thema, das in der Malerei vor allem Gustav Klimt und Arnold Böcklin aufgegriffen haben.624 Bei Lampe verbindet sich die Todesvorstellung mit einer Naturmetaphorik. Vor allem schwarzes Wasser, wie die ver- schiedenen Styxdarstellungen zeigen, steht im Werk Lampes für den Tod.625 In der Er- zählung Die kaledonische Eberjagd wird das sich trübende Bewußtsein des sterbenden Meleagers mit einer dunklen Flut verglichen, so daß man von einem Motiv- und Sinn- zusammenhang zwischen Tod, Wasser, Schlaf und Nacht ausgehen kann. Das Wasser vereinigt die entgegengesetzte Pole des Lebens in einer Synthese. Von dieser Ambivalenz des Wassers ist auch die Vereinigung mit der Nacht geprägt. Die Begegnung mit der Nacht wird zum Liebesakt, der gleichzeitig eine Todeserfahrung ist.626 Leichter und ruhiger, wie im Schlafe, atmeten nun die Menschen, die Glie- der lösten sich, und sie fühlten wie eine weiche, leibliche Berührung die Nacht an sich herankommen. Langsam und schwer wuchs sie nun ihrer tiefsten Ruhe und Stille, ihren dunkelsten Stunden entgegen.627 Ausgesprochen todeserotische und bedrohliche Züge nimmt die Berührung mit der Nacht in der Erzählung Am dunklen Fluß an. So löst sich Georg ganz in der Nacht auf und verführt Karl zu einer inzestuösen Vereinigung mit der Nacht und dem Wasser.628

623 „In den meisten Schöpfungsmythen gehen vom Wasser entscheidende Impulse aus. Diese Vorstellun- gen wirken in die vorsokratische Philosophie ein, als Thales von Milet im Wasser den Ursprung al- ler Dinge erkannte. Nicht die Formlosigkeit, sondern gerade die Formbarkeit prädestinieren das Wasser zur zentralen Kraft im Schöpfungsgeschehen.“ Wasser und Wein. Zwei Dinge des Lebens. Aus der Sicht der Kunst von der Antike bis heute. Ausstellungskatalog, Kunsthalle Krems, hrsg. von Werner Hofmann, Wien 1995, S. 19. 624 Hartmut Böhme (1988), S. 257-59. 625 „Und da steigt schon in ihm die dunkle Flut, das schläfernde Nachtgewässer, steigt durch die Glieder bis in den Kopf und füllt ihm die Augen mit Schwärze.“ V.T.z.T., S. 280/81. 626 Diese Ambivalenz des Zustandes des Außer-sich-seins wird bereits im Alptraum der Luise von den Ratten deutlich. Zur Verbindung von Eros und Tod. Vgl. Iris Klein, Vom kosmogonischen zum völkischen Eros. Eine sozialgeschichtliche Analyse bürgerlich-liberaler Kunstkritik in der Zeit von 1917-36, München 1991, S. 128. 627 A.R.d.N., S. 103. 628 „Ja, Georg war mit dieser Nacht im Bunde, er war diese Nacht selber, sein breites, volles, schweres Wesen war darin aufgelöst und eingegangen, weich und dunkel legte es sich um ihn, legte es sich an ihn, drückte ihm die Brust zusammen, drang ihm in den Mund, in den Leib und wand ihn aus sich selber heraus, zog ihn fort, mit nach draußen in dies weiche, schwere, schwüle Gewoge von Düns- ten und Schatten und Klängen und milchigem Mondlicht, zog ihn fort, und er strömte dahin, lang- sam, schwerflüssig, und er fühlte den Fluß, Georgs Fluß, […]“ N., S. 339. 133 In Am Rande der Nacht wird der mystische Zustand, in den die Protagonisten geraten, als Erlösung begriffen. Der eigentliche Verlust der Individualität wird nicht als Selbst- aufgabe gesehen, sondern als Rückkehr von einer entfremdeten Gesellschaft zum har- monischen Urzustand. Das völlige Umschlossensein durch das Wasser vermittelt den Eindruck von Schutz und Ganzheit, wie es ungeborene Kinder im Mutterleib erfahren.629 Durch diese Nähe zum embryonalen Stadium wird der eskapistische Zug dieses Traum- zustandes deutlich. Die eigentliche Selbstfindung der Protagonisten verwirklicht sich in der Auflösung der gesellschaftlichen und individuellen Identität. Er streckte sich, er sog genießerisch die Luft in sich ein, er fühlte sich in ei- nem dickflüssigen Luftreich schwimmen und sich sanft darin auflösen, er döste so hin über die herabgerutschte Brille weg, er dämmerte ein wenig ein. […] Er sah die Lichter der Bahn durchs schwarze Wasser fliegen, über die Schwäne, die Büsche und Bäume liefen sie dahin. Er riß sich zusammen. Es wurde höchste Zeit, daß er zu Bett ging. Sonst war er morgen früh im Dienst nicht zu gebrauchen. Er stand auf und schritt gemessenen Schritts von dannen.630 Der traumartige Zustand, in dem die Individualität zugunsten einer Verschmelzung mit der Außenwelt aufgehoben wird, steht in diametralem Gegensatz zu dem vergesell- schaftlichten Ich, das die Zwänge der Gesellschaft am eigenen Körper spürt. Dieser Entgrenzungszustand wird als eigentliche Befreiung von Lebenshemmungen verstan- den. In der Nacht wird das Leben als reine Bewegung und Kraft erlebt. Der intensiv erfahrene Augenblick unterbricht die mechanisch verrinnende Zeit und trägt die Essenz des Lebens in sich. Auf der Grundlage des Mythos der Nacht und des Orpheusmythos wird in Am Rande der Nacht eine Totalitätserfahrung dargestellt, wie sie typisch für die von der Lebens- philosophie beeinflußte Literatur ist. Bereits bei Nietzsche entspringt die dionysische Vereinigung mit der Welt der Sehnsucht nach einer Wiederherstellung des Ursprungs. Nietzsche greift die idyllische Vorstellung von einer zeitlosen Harmonie mit der Natur auf, sprengt aber durch die Entindividuation den idyllischen Rahmen. Der enge Raum der Idylle wird zum Kosmos ausgeweitet.

629 „[…] daß der Zauber der Fische darin bestehe, daß sie nicht zwei Elementen angehören, sondern ganz in einem ruhn. Er sah sie wieder vor sich, wie er sie oft im tiefen Wasserspiegel gesehen, und sie bewegten sich nicht so wie er selber über einem Boden hin, an dessen Grenze gegen ein leeres Zweites […]; sie bewegten sich in dem, wovon sie bewegt wurden, wie es der Mensch nur im Traum erlebt oder vielleicht in dem sehnsüchtigen Verlangen, die schützende Zärtlichkeit des Mut- terleibs wiederzufinden, woran zu glauben damals gerade Mode zu werden anfing.“ , Der Mann ohne Eigenschaften, Band 1, Gesammelte Werke in Einzelbänden, hrsg. von Adolf Frisé, Hamburg 1978, S. 611/12. 630 A.R.d.N., S. 143. 134 Das gleichzeitige Auftreten von neusachlichen Elementen und einer avantgardistischen Erzähltechnik in Am Rande der Nacht mit diesen magischen Einheitserfahrungen kann als Reflex auf eine unbewältigte ästhetische Krise infolge gesellschaftlicher Verände- rungen verstanden werden, so wie Horst Denkler den Magischen Realismus überhaupt als nachträgliche Wiedereinführung metaphysischer Züge in eine sachlich-nüchterne Darstellungsweise infolge einer Kapitulation vor den gescheiterten Utopien der Vor- kriegsjahre deutet.631 Diese Totalitätserfahrungen wirken bis in die dreißiger Jahre. Dabei greifen nicht nur konservative Autoren auf pantheistische Naturvorstellungen und die Romantik zurück, um ihre erweiterte Wirklichkeitserfahrung zu gestalten, sondern auch solche, die wie Lampe über ausgesprochen moderne Erzählmittel verfügen. Der kulturpessimistische Impetus der Lebensphilosophie drückt sich darin aus, daß Gesellschaft als Erstarrung der vitalen Kraft des Lebens verstanden wird. Die Dialektik von Leben und Form wird in der mystischen Vereinigung mit dem Leben selbst und im ekstatischen Rausch über- wunden.632 In dieser Verinnerlichung der Trennung von Individuum und Gesellschaft gestaltet sich eine eigentlich soziale Krise.633 So reagieren diese dualistischen Weltan- schauungen, wie sie etwa Klages vertritt, auf die moderne Massengesellschaft und den Kapitalismus mit einer extremen Verinnerlichung dieser Problematik. In diesen Wachträumen oder rauschhaften Zuständen gestaltet sich die soziale Randlage der In- tellektuellen und Künstler als Befreiung von der Gesellschaft, zu der die Distanz wäh- rend des Dritten Reichs noch zunimmt.634 Der Verlust von Handlungsspielräumen wird durch einen Rückzug in das durch den Mythos überhöhte seelische Erleben ersetzt. Die Linearität der Geschichte wird durch den Kreislauf eines kosmischen Denkens außer Kraft gesetzt.635

631 Horst Denkler (1967), S. 314. Ganz ähnlich äußert sich Michael Scheffel über das Oszillieren zwi- schen Chaos und Ordnung in Texten von Autoren der jungen Generation. „Vor diesem Hintergrund [dem schnellen Nacheinander ganz verschiedener Staats- und Gesellschaftsformen, A.H.] ist es nur allzu verständlich, daß eine Gruppe von Autoren aus dieser Generation auf den Glauben an eine ‚hohe Ordnung‘ nicht verzichten und sich in ihrem Werk dem ‚Verlust einer das Gesamte umfas- senden Schau‘ (Lange) dann doch nicht verweigern kann.“ Michael Scheffel (1990), S. 112. 632 Martin Lindner (1994), S. 6. 633 Frank Trommler, Verfall Weimars oder Verfall der Kultur? Zum Krisengefühl der Intelligenz um 1920, in: Weimars Ende. Prognosen und Diagnosen in der deutschen Literatur und politischen Pub- lizistik 1930-33, hrsg. von Thomas Koebner, Frankfurt 1982, S. 47. 634 „Damit ist die neusachliche Konzeption der ‚freischwebenden Intelligenz‘ als einer Elite mit relativ konkret geschichtlichem Auftrag fließend in die Innere Emmigration übergegangen, die die exis- tenzphilosophisch geprägten ‚Geistigen‘ spätestens nach 1933 wählten.“ Martin Lindner (1994), S. 179. 635 Hans Schumacher (1974), S. 283. 135 Diese mystische Vereinigung mit dem überindividuellen Leben ist in Am Rande der Nacht jedoch auf den Augenblick beschränkt und hält nicht an. Der Inspektor kann dem Jungen Addi nicht helfen, der Steward wird trotz der Quälereien des Kapitäns zu diesem zurückkehren und der Kranke stirbt noch in der gleichen Nacht. Die Begrenzung des Glücks auf einen kurzen Moment relativiert die Bedeutung der Kunst und des Künstlers. Der Künstler vermag es nicht mehr dauerhaft, die Harmonie der Welt wiederherzustel- len. In Am Rande der Nacht schafft der Künstler nur eine kurzfristige Erlösung von den Problemen des Alltags, die meisten der Episoden enden unglücklich. Ästhetisch umgesetzt wird dieser Sinnverlust der Kunst in der montageartigen Reihung der Episoden, die dem Hofmannsthalschen Motto entspricht. Während das Gedicht Hofmannsthals einer konventionellen konservativen Form folgt, ist die Umsetzung Lampes jedoch avantgardistisch in der Erzähltechnik. Durch den Verzicht auf eine stringente Handlung und durch die Orientierung am neuen Medium des Films steht er im Kontext der Moderne und ihrer ästhetischen Verarbeitung der veränderten Wirklich- keit.636 Die Form des Montageromans kann als adäquate formale Darstellung einer Welt verstanden werden, die als Labyrinth erfahren wird. Die Zersplitterung der Wirklichkeit entspricht dem Verlust eines Erzählfadens und der episodischen Struktur des Romans. Hofmannsthal war für Lampe ein Dichter, bei dem er seine eigene Verunsicherung an- gesichts der krisenhaften Umbrüche Anfang des 20. Jahrhunderts wiederfand. Gerade in Beziehung auf all diese Dinge ist mir Hofmannsthals letztes Stück „Der Schwierige“ ausserordentlich wichtig geworden, wie ja überhaupt Hofmannsthals ganzes Schaffen sehr beziehungsreich für mich gewesen ist und noch ist, trotz Gundolf. Ich habe den Weg von ihm zu George eben noch nicht zu Ende durchmachen können, ich fühle Hofmannsthals Worte noch immer sehr stark in mir wirken. Hat denn auch ein Dichter unserer Ta- ge unsere gefährlichsten Leiden, unsere traurigste Wehmut schöner gesagt als er?637 Lampe greift in Am Rande der Nacht auf ausdrücklich idyllische Motive und Strukturen zurück und verwandelt diese durch Überzeichnung in Todesräume oder läßt sie mit der gesellschaftlichen Realität des Romans korrespondieren, dabei entspricht die Verknüp- fung mit dem Orpheusmythos sowie die morbiden Motivik der bedrohlichen Atmosphä- re des Magischen Realismus. In der Synthese von Eros und Tod in der Musik verbindet

636 „Wir können an keinen einzigen grossen Menschen glauben wie George, das ist uns versagt, wir haben keine Propheten, keine Religion, kein geschlossenes Rund mehr über uns zu dem wir beten können, immer alles in Zweifel ziehen, nie sich endgültig verkörpern, nie ganz in einer Sache drin stecken oder ganz in ihr ausharren können, immer von Lug und Schwindel umgeben sein, nie ein ganz rei- nes einfaches Gefühl, eine ganze Wahrheit besitzen, ob das nicht doch noch für lange unser Fluch bleiben wird?“ Friedo Lampe an Walter Hegeler am 4.6.1921, unveröffentl. Brief, DLA. 637 Friedo Lampe an Walter Hegeler im Juni 1921, unveröffentl. Brief, DLA. 136 Lampe die Idylle mit der Dämonie der Nacht. Die Idylle ist in seinem ersten Roman von der Nacht und der Moderne begrenzt und in diese eingebettet.

137 4.2. Die bedrohte Idylle: Septembergewitter Wie Am Rande der Nacht ist auch Septembergewitter ein Episodenroman, der jedoch durch die Rahmenerzählung der gemeinsamen Ballonfahrt von Mary mit ihrem Vater und dessen Freund Hamstead eine geschlossenere Form erhält. Der erste Eindruck des Lesers von der Stadt, in der sich die kommenden Geschichten ereignen werden, ist mit dem von Marys identisch, die aus der Vogelperspektive die Gegend überschaut: Und Mary sah die Stadt liegen: klein zwischen Wiesen am braunen Fluß, Brücken und den Hafen, die dicken dunkelgrünen Baummassen des alten Walls und das sanftgrünspanig leuchtende Kirchturmdach und das schwarze Schiff im Dock und den weißen Vergnügungsdampfer, der unter den Brü- cken durchfuhr, mit zurückgelegtem Schornstein, und in die Wiesen hinaus, und am Fluß den Kirchhof mit den winzigen Kreuzen und Grabsteinen – und Wiesen, Wiesen ringsherum mit kleinen Kanälen und Flüssen und dar- auf schwarze Kähne mit braunem Segel und alles so still und unbewegt im Nachmittagslicht. Kühl war es hier oben und klar, eine leichte Luft, und Ma- ry sagte: „Wie friedlich liegt das da, wie muß man da idyllisch wohnen.“ A- ber Mr. Pencock sagte: „Das sieht wohl nur von oben so aus.“638 Marys Charakterisierung leitet sich vordergründig von der Atmosphäre und der Ruhe ab, die die Stadt ausstrahlt. Diese Eigenschaften werden innerhalb der Binnenerzählung in der bürgerlichen Lebenskultur und dem behaglichen Leben der Einwohner aufgegrif- fen, das idyllische Züge trägt.639 Strukturell entspricht die Beschränkung der Erzählung auf diesen Spätsommertag der norddeutschen Kleinstadt der räumlichen und zeitlichen Geschlossenheit der Idylle. Die Relativierung von Marys idyllischer Darstellung der unter ihnen liegenden Kleinstadt verdeutlicht sich im Mikrokosmos miteinander verwo- bener Erzählstränge als bedrohte Idylle. Doris Kirchners Beschreibung von Am Rande der Nacht als einer Durchschnittswelt, über der eine Gefahr liegt, unter der die Men- schen leiden640, ist auch auf Lampes 1937 entstandenen Roman zu beziehen und ver- dichtet sich hier im Bild des Septembergewitters. Raum und Zeit von Septembergewitter sind nur vage bestimmbar. Nach dem Verbot von Lampes erstem Roman schien es angebracht, konkrete Angaben zu vermeiden, und so ging Lampe auch auf den Rat seines Freundes Pfeiffer ein, die Bremer Straßennamen

638 Sg., S. 5/6. 639 „Es ist die Zeit, wo es schön ist, am Nachtmittag im Bürgerpark vor dem Schweizerhaus zu sitzen und seinen Kaffee zu trinken und auf den Viktoria-See zu blicken und auf die Wiesen und Bäume und auf die grünbemoosten Figuren, Najaden und Tritonen, die am Ufer stehen. Wöhlbiers Militärka- pelle spielt zackige Märsche und Walzer und Operettenpotpourris, die Musiker haben blaue Uni- formen und am Kragen goldene Litzen, und die Trompeten funkeln in der Sonne.“ Ebd., S. 9. 640 Doris Kirchner (1993), S. 105. 138 und Gebäude nicht zu nennen.641 In der zweiten Auflage sind zudem alle englischen Familiennamen und Orte der Erstausgabe durch dänische ersetzt worden.642 Das schien dem Lektorat angesichts des Krieges gegen England zweckmäßiger. Der Hinweis auf die deutsche Kolonie Kamerun643 und die Erwähnung von Droschken lassen den Schluß zu, daß der Roman seiner Entstehung vordatiert ist und vor dem Ersten Weltkrieg spielt. Wie in Lustgarten 23.30 Uhr abends644 befreit Lampe durch die zeitliche Verschiebung des Geschehens den Erzählraum vom politischen Hintergrund des Jahres 1937. In der Prosaskizze hatte Lampe den Berliner Lustgarten vor dem Umbau durch die National- sozialisten dargestellt und diesen somit in der Dichtung ignoriert.645

4.2.1. Die Ambivalenz des Idyllischen Der Roman Septembergewitter umfaßt die Ereignisse der wenigen Stunden, in denen sich ein Gewitter zusammenbraut und sich über der Stadt entlädt. Die Episoden, die sich um die knapp vierzig Personen ranken, werden in Parallelmontage miteinander ver- knüpft, so daß der Eindruck von Gleichzeitigkeit entsteht. Die einzelnen Stränge sind dabei atmosphärisch an das Gewitter gebunden, das dem Roman als Spannungskurve dient. Während sich in der Schwüle des aufkommenden Gewitters die Konflikte zuspit- zen, wird, als der erfrischende Regen über der Stadt niedergeht, der Mord an Marie Ol- fers gelöst, Martin Hollmann in die Bande aufgenommen und der Dichter Runge been- det seine Erzählung von Leda und dem Schwan. Dem Roman fehlt eine eigentlich strin- gent erzählte Geschichte, statt dessen sind die verschiedenen Begebenheiten zum einen an das Gewitter gekoppelt und zum anderen an die Orte des Romans: den Friedhof, die Wallanlage und den Werder. Hier treffen die Protagonisten aufeinander. So lebt nicht

641 „Die Bremer Namen in dem Roman habe ich nun auf Dein Anraten hin noch alle verändert, so unan- genehm das war, denn diese Namen bedeuteten für mich sehr viel.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 24.10.1937, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 111. 642 Nach Eckehard Czucka geschahen diese Veränderungen im Rahmen der Überarbeitung der Erzählun- gen, die mit Septembergewitter zusammen unter dem Titel Von Tür zu Tür erscheinen sollten. Die Druckvorlagen sind jedoch 1943 verbrannt. In der Erstausgabe flogen Pencock und seine Tochter Mary mit Hamstead in die Wellington Street nach Dover und nicht nach Fanö. Der Autor weist an dieser Stelle auch darauf hin, daß Lampe sich wahrscheinlich mit diesem Ort auf den Roman Gün- ther Weisenborns Das Mädchen von Fanö aus dem Jahr 1935 bezieht, der 1940 verfilmt wurde. E- ckehard Czucka (1995), S. 427. 643 Sg., S. 39. 644 Friedo Lampe, Lustgarten 23.30 abends, in: Friedo Lampe (1986), S. 342/43. 645 Hans Dieter Schäfer hat in seinem Vortrag Lampe als Bohèmien darauf hingewiesen, daß Lampe hier den 1935 erfolgten Umbau der alten Wache zu einem Kriegerdenkmal negiert und statt dessen den Klassizismus Schinkels und Schlüters beschreibt. Hans Dieter Schäfer, Lampe als Bohèmien, unve- röffentl. Vortrag gehalten auf den Symposium zum 100. Geburtstag von Friedo Lampe am 4.12.1999 in Bremen. 139 nur der alte Friedhofswärter mit seinen drei Enkeltöchtern auf dem Kirchhof St. Ägi- dien, sondern dort begegnet auch der Dichter Runge dem Organisten Metzler, der seine einstige Geliebte umgebracht hat. Septembergewitter ist größtenteils ein Roman mit jugendlichen Protagonisten, der aber nicht vordergründig für diese Altersgruppe geschrieben ist. Die Kinder, die sich in Ban- den organisieren, proben nicht nur eine Lebensform jenseits des etablierten Bürgertums, sondern sie sind es auch, die handelnd auftreten und den Mord lösen. Doch selbst die Welt der Jugendlichen erscheint als unideal, so zerstört regelmäßig im Herbst der „Dra- chen-Emil“ die Papierdrachen, die die Kinder auf dem Werder steigen lassen. Eigentli- ches Vorbild der Jungenbande um Dickie ist Leutnant Charisius, der Verlobte der er- mordeten Marie Olfers, der jedoch nach dem Tod seiner Geliebten keine Lebensmög- lichkeit mehr für sich in Deutschland sieht und beschließt, sich in die damalige Kolonie Kamerun versetzen zu lassen. Septembergewitter ist wie Am Rande der Nacht durch einen melancholischen Grundton geprägt. Viele der Protagonisten sind, wie Frau Hollmann, die nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr in den Alltag zurückfindet, von einer Lebenshemmung geprägt. Kleinstadtenge, die krisenhaft aufgeladene Situation der Zeit und problematische Le- benslagen bestimmen die Menschen und bestätigen Pencocks Relativierung der Idylle.

4.2.1.1. Die idyllische Zeit als Stagnation Septembergewitter beschränkt sich wie Am Rande der Nacht auch auf eine kurze Zeit- spanne, so daß eine zufällige Impression von dieser norddeutschen Kleinstadt entsteht. Aufgrund der Betonung des Augenblicks tritt das Moment der Entwicklung gegenüber Zustandsbeschreibungen zurück, die häufig durch ihren additiven Aufbau an Stilleben erinnern. Mit Schilderungen des Sichtbaren wird die Atmosphäre der Wohnungen wie- dergegeben. Die muffigen, verhangenen, golddämmernden guten Stuben mit den roten Plüschmöbeln, die Setten dicke Milch, kühl, rahmgelb auf der Fensterbank, die Brummer auf Schinken und Wurst in der Speisekammer, der Duft der Äpfel unten im Keller auf den hölzernen Borten. Das Klaviergeklimper aus dem offenen Fenster auf die stille, tote, sonnige Straße und die Blumen auf den Gräbern des St.-Ägidien-Friedhofs, die schlaff die Köpfe hängen lassen, und die großen Schmetterlinge streichen müde darüber hin.646

646 Sg., S. 7/8. 140 Die Bildhaftigkeit der statisch dargestellten Gegenstände wird durch die syndetische und asyndetische Aneinanderreihung der einzelnen Elemente betont. Solche Interieur- oder Genrebilder stehen in der Tradition der Idylle.647 Bereits Voß charakterisierte auf diese Weise das Bürgertum des 18. Jahrhunderts. Wäh- rend in Voß‘ Idyllen jedoch mittels der Wohn- und Lebenskultur der soziale Status der bürgerlichen Gesellschaft in Korrelation zum Adel bestimmt wurde, sind in September- gewitter die Beschreibungen für den inneren Zustand dieser Schicht bezeichnend. Kon- tinuität wird dabei neben den anschaulichen Darstellungen auch durch Wiederholungen erzeugt. Die Ereignisse dieses Septembertages sind durchaus exemplarisch. Sie weisen ein zeitliches Kontinuum auf, das auch durch den Mordfall nicht ernsthaft beeinträchtigt wird. Wenn die Kapelle aufhört, wird es für einen Augenblick still, und man hört das gemütliche Geplauder der Leute an den Tischen, über den Bäumen weg fliegt ein großer schwarzer Vogel ins sanfte Blau, und von ferne tutet die Eisenbahn. Da kann es wohl sein, daß man plötzlich an diesen schrecklichen Mord denken muß, der da vor zwei Tagen im Bürgerpark bei der Borken- hütte an einem jungen Mädchen, einer Lehrerin, namens Marie Olfers […] verübt worden war. Der Täter war bis jetzt noch nicht gefunden. So was konnte einem schon die gute Stimmung verderben, man wollte auf einmal nach Hause gehen. […] Aber dann begann wieder Wöhlbiers Militärkapelle mit dem Potpourri aus der „Lustigen Witwe“, und man vergaß allmählich diese unheimliche Geschichte.648 Gemäß der idyllischen Tradition appellieren die eingefügten Genrebilder an die Sinne. Farbadjektive, die meist dunkle Töne bezeichnen, und schwere weiche Materialien herr- schen in Septembergewitter vor. Wenn der Erzähler fette Fliegen, die auf Lebensmitteln sitzen, und verwelkende Blumen aufzählt, erinnert dies an Vanitasstilleben.649 Anders als in der Idylle, die vom Topos des locus amoenus bestimmt wird, sind die sinnlichen Eindrücke hier von düsterer Natur, die der beschriebenen bürgerlichen Welt Muffigkeit verleiht. Der Alltag dieser Stadt ist durch den zeitlichen Stillstand und gleichzeitig durch den Verfall gekennzeichnet. Das Verderben der Lebensmittel durch Ungeziefer und Fäulnis geht dabei über den schnelleren Zersetzungsprozess, wie er für die Gewit- terstimmung charakteristisch ist, hinaus. Das Kompositum „Septembergewitter“, das mit Herbst konnotiert ist, weist auf die Vergänglichkeit hin, der alles unterworfen ist. Daß der September den Übergang zwischen Sommer und Herbst kennzeichnet und

647 Hans-Dieter Fronz (2000), S. 214. 648 Sg., S. 9/10. 649 Das Bild der von Fliegen befallenen Früchte ruft einen Eindruck hervor, wie er auch von niederländi- schen Stilleben vermittelt wird. Vgl. Sybille Ebert-Schifferer (1998), S. 169. 141 durch die Ambivalenz von üppiger Reife und beginnendem Verfall geprägt ist, scheint für den ganzen Roman bedeutsam. Mittels einer fast photographisch genauen Erfassung der Gegenständlichkeit wird der Eindruck eines Geheimnisses erzeugt, das sich hinter den Dingen verbirgt.650 Bereits im Hinblick auf Am Rande der Nacht hatte Friedo Lam- pe auf die zeichenhafte Bedeutung der Einzelheiten für die Gesamtaussage seines Ro- mans hingewiesen. In diesem Sinne kann auch die morbide Atmosphäre von Septem- bergewitter, die als Grenzbereich zwischen Leben und Tod erscheint, als Charakteristi- kum von Werken nichtnationalsozialistischer Autoren gesehen werden.651 Durch das sich ankündigende Gewitter ist die Leblosigkeit, wie sie die stillen, sonnigen Straßen und die staubigen Wohnstuben vermitteln, von einer Spannung belastet, die gerade durch das Fehlen jeglichen Lebens in dieser Stadt bedrohlich wirkt.652 Die schwelende Luft dieses Septembertages ist nicht nur ein Vorbote des Gewitters, sondern kennzeichnet auch die hermetische Abgeschlossenheit der Stadt als spätzeitlich und überreif. Das Idyllische wird hier zu einer stagnierenden Beschaulichkeit umgedeutet, die die angestaute Aggression kaum mehr zurückzuhalten vermag. So macht die Stadt auf Leutnant Charisius und Dickie den Eindruck angespannter Stille. „Diese Stadt hier, ich halte das nicht mehr aus. Nun sieh doch nur, wie das da liegt, so dumpf brütend, so muffig, und nichts passiert, und das schleicht so hin – diese Stille -, nichts für einen Soldaten.“ Dickie sah auf, sah über den eisengrauen Fluß zur Stadt. Da liegt sie still, mit angehaltenem Atem, die Bäume dick und bewegungslos, die dunkelgrünen Zypressen des Ägi- dienfriedhofs am Fluß drohend in den weißlich glimmenden Himmel ge- reckt, und ein Dampfer, stumpf und schwarz und menschenleer, drängte schwer und schwarzqualmend vorüber, und hohl klang das Gehämmer aus der Werft und das Wagengerassel von der fernen Brücke. Und auf einmal, da ertönte ein dumpfes Grollen, ein Donnergrollen von weit her.653 Auch das Lebendige scheint erstarrt zu sein. Der Fluß wirkt, indem er mit dunklen Farbtönen beschrieben und mit Eisen verglichen wird, metallisch erhärtet. In Dickies Wahrnehmung der gewitterlichen Stimmung der Stadt dominieren Maschinen und To- dessymbole wie die Zypressen. Die Statik dieser Darstellung ist durchaus repräsentativ für die Prosa dieser Zeit654 und erinnert an die nachexpressionistische Malerei, deren betonte Gegenständlichkeit von Alfred Neumeyer als „gefrorene Wirklichkeit“ be-

650 Michael Scheffel (1993), S. 53. 651 Michael Scheffel (1990), S. 102. 652 Michael Scheffel (1996), S. 167. 653 Sg., S. 40. 654 Vgl. „[…] und das gefrorene Blut wie Korallenäste auf der blauen Haut; […].“ Horst Lange, Die Leuchtkugeln. Vier Erzählungen, Köln 1982, S. 37. 142 schrieben wurde.655 Die so wiedergegebene Realität erscheint dadurch bedrohlich und dem Menschen entfremdet.656 Aus dieser Sicht wird das Gewitter zur Möglichkeit, den reglosen Zustand der Stadt zu überwinden und nach der Zerstörung des Bestehenden neu anzufangen. In seiner frühen Erzählung Am dunklen Fluß ist dieser Gesellschaftsbezug noch deutli- cher als in Septembergewitter. So vermitteln die Interieurdarstellungen die Lähmung des Bürgertums während der Weimarer Republik. Auf den in die USA ausgewanderten Bruder Karl wirkt das Leben seiner Familie wie unter einer Glasglocke konserviert. […] immer wenn er in der Fremde an seine Familie denken mußte, sah er sie in diesem Raum. Das Nußbaum-Vertiko mit den Verzierungen und dem säulengetragenen Aufbau, die alte Uhr unter der Glasvitrine, die chinesische Vase auf dem hohen Ständer, angefüllt mit künstlichen farblos-trockenen Blumen, die hochgerafften Samtvorhänge an der Flügeltür, der bunte, auf- geschlagene Fächer an der Wand – alles wie früher, und blaß und grünlich- tot floß das Lampenlicht darüber hin. Riecht’s hier nicht ein wenig nach Be- erdigung, nach Sarg, Blumen und Moder-657 Das Mobiliar mit dem Weltoffenheit symbolisierenden Fächer und der chinesischen Vase steht dabei sinnbildlich für das alte dekadente Europa vor dem Ersten Weltkrieg, während die modern eingerichtete Farm658 Karls das junge, zukunftsorientierte Amerika verkörpert. Die zyklische Auffassung von Zeit wird in Septembergewitter als Stagnation umgedeu- tet. So ist auch die Weitergabe des Lebens von einer Generation zur nächsten, die im Bild der drei Lebensalter veranschaulicht wird659, unterbrochen. Der Kreislauf des Le- bens ist im Roman durch verfehlte Liebesbeziehungen und durch den Tod des Partners gestört. So lebt Frau Hollmann nur für die Trauer um ihren verstorbenen Mann, den Enkelinnen des Friedhofwärters sind die Eltern gestorben, und Dora bleibt, nachdem Alberto sie verlassen hat nur die regressiv-melancholische Idylle in der Laube mit ihrem Großvater.

655 Alfred Neumeyer (1927/28), S. 69. Auch Roh betont diesen Aspekt. Vgl. „Dieses Wunder scheinbarer Dauer innerhalb alles dämonischen Flusses, dies Rätsel alles Ruhenden innerhalb alles Werdens und Wiederfließens will der Nachexpressionismus anstauern und herausheben.“ Franz Roh (1925), S. 37. 656 Michael Scheffel (1996), S. 169. 657 N., S. 327. 658 „[…] wie er auf seiner Farm wohnte, das war doch eine andere Sache: sein helles klares Zimmer, ein schlichter Tisch, ein paar gerade Stühle und Bänke, zwei große Fenster mit weißen durchsichtigen Mullgardinen und mit dem Blick auf seine Maisfelder – der Wind des offenen Landes immer durch das Zimmer streichend. Ja, er mußte ihnen mal einen kleinen Begriff davon geben, wie er da drüben lebte, was es noch alles außerhalb ihres engen Gesichtswinkels gab.“ Ebd. 659 Auf dem Friedhof treffen sich die drei Generationen: der Großvater, Frau Hollmann und die Enkelkin- der des Friedhofwärters. 143 Der Großvater und Dora saßen nun still in der dicht umwachsenen Laube beim Schein der Petroleumlampe, sie aßen nicht mehr, sie blickten über die Gräber hin. Rötlich und sanft stand der Mond hinter den Baumkronen, und sein Licht floß nieder in den Friedhof, und die Kreuze und basaltenen Steine und weißen geborstenen Säulen und das Gitterwerk um die Gräber schim- merten auf. […] Und dann schwiegen sie wieder lange. Trübe zog der Dunst über die Gräber, rötlich glühte der Mond, kühl hauchte es aus der Erde, und die Blumen dufteten so süß und sehnsuchtsvoll. Da tutete auf einmal dumpf vom Hafen her ein Dampfer.660 Das geschlossene Zeitsystem der Idylle, das Sicherheit und Geborgenheit suggeriert, wird in Septembergewitter als Lähmung verstanden, die den Tod vorweg zu nehmen scheint.

4.2.1.2. Der idyllische Raum als Todesbereich „Ruhe, Schlaf und Traum“661 bestimmen die Lebensabgewandtheit der Idylle in Septem- bergewitter. Die janusköpfige Verbundenheit von Leben und Tod, auf die im Roman auch der Drachen der Kinder mit seinem weinenden und lachenden Gesicht hinweist, zeigt sich am ausgeprägtesten in der Darstellung des Friedhofs. Dabei kann der Friedhof als Idylle in nuce gelten, so löst er durch die ihn umgebende Mauer die strukturelle Ge- schlossenheit der Gattung und durch die Beschränkung auf nur wenige Protagonisten, die sich dort treffen, die kleine Gemeinschaft der Idylle ein.662 Über seine eigentliche Funktion hinaus ist er Wohnort, Garten und für das junge Liebespaar Alberto und Dora Treffpunkt für ihr Rendezvous. Sommerblumen, Schmetterlinge und die Bienen des Großvaters evozieren die Vorstellung eines arkadischen Glücks, in dem die Natur für die Menschen sorgt. Großvaters Bienen – da hinten in der Ecke an der Mauer standen drei Körbe – summten über den schlaffen Spätsommerblumen, die üppig auf den Grä- bern wuchsen, und die großen Schmetterlinge setzten sich müde auf die Kreuze […].663 Schon in der Antike sind die Bienen und insbesondere der Honig konstituierendes To- pos für den locus amoenus als Ausdruck eines einfachen genügsamen Landlebens.664

660 Sg., S. 91/92. 661 Ebd., S. 123. 662 Ebd., S. 12/13. 663 Ebd., S. 15/16. 664 Vgl. Vergil, Landleben. Vergil-Viten, hrsg. von Johannes und Maria Götte, Karl Bayer, Würzburg 1970, S. 25; S. 39. Theokrit, Thyrsis, in: Ders., Gedichte, hrsg. von F.P. Fritz, Tübingen 1970, S. 146/47. Das Motiv wurde später von Idyllikern wie Geßner aufgenommen. Salomon Geßner, Lycas und Milon, in: Ders. (1988), S. 29/30. 144 Die vegetabile Üppigkeit des Friedhofs beruht jedoch ganz auf dem Verwesungsprozeß, wodurch die Idylle einen morbiden Zug erhält. In der Erzählung Das dunkle Boot wird der Nektar der Blumen, die auf den Gräbern wachsen, ausdrücklich als „Todesseim“ bezeichnet.665 Obwohl die Koinzidenz von Tod und Idylle deren Gattungsbestimmungen widerspricht, ist diese Verbindung bereits in den Anfängen der Landlebendichtung weit verbreitet.666 Geßner übernimmt den Topos des Grabes in anmutiger Gegend von der antiken Hirten- dichtung.667 In seiner Idylle Daphnis und Mycon668 gestaltet er das Grab eines einfachen, guten Menschen und das eines grausamen Feldherren einmal als locus amoenus und das andere Mal als locus terribilis669, um auf das gottgefällige Leben des einen und auf das verfehlte des anderen hinzuweisen. Diese allegorische Deutung trägt bereits bei Geßner pantheistische Züge. Die wehmütige Melancholie, mit der im 18. Jahrhundert der Tod dargestellt wird, geht nicht zuletzt auf Poussins Gemälde Et in Arcadia ego zurück, von dem zwei Fassungen existieren. Das frühere Gemälde von 1630670 mit seinem dramati- schen Aufbau ist noch ganz der mittelalterlichen memento-mori-Tradition verpflich- tet671, die jedoch mit der barocken Todesauffassung verschmilzt. Selbst in Arkadien, dem Sinnbild des unbeschwerten Lebens ist die Macht des Todes ungebrochen. Im Ver- gleich dazu wirkt die zweite Fassung672 ruhiger und gemäßigter. Im Bildzentrum sind vier Hirten dargestellt, die sich mit der Entzifferung der Inschrift „Et in Arcadia ego“ befassen. Panofsky macht zwischen den beiden Gemälden einen Bedeutungswandel von der dramatischen Begegnung mit dem Tod hin zu dem elegischen Erinnern673 an einen Verstorbenen fest.

665 V.T.z.T., S. 199. 666 Paul Gerhard Klussmann, Ursprung und dichterisches Modell der Idylle, in: Die Idylle (1986), S. 48. 667 Theokrit (1970), S. 57; S. 11. Das Sterben des Thyrsis aus Liebessehnsucht, in: Vergil (1970), S. 17. 668 Salomon Geßner, Daphnis und Mycon, in: Ders. (1988), S. 116-18. 669 Beschreibung dieses Topos vgl. Klaus Garber, Der locus amoenus und der locus terribilis. Bild und Funktion der Natur in der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts, Köln 1974, S. 226. 670 Nicolas Poussin. 1594-1665. Ausstellungskatalog, Musée Condé, hrsg. von Pierre Rosenberg, Louis- Antoine Prat, Paris 1994, S. 143. 671 Panofsky führt Poussins erste Darstellung auf ein früheres Gemälde Francesco Barbieris (genannt Guercino) zurück, das ebenfalls Et in Arcadia ego benannt ist und das die schauerlichen Momente der mittelalterlichen Memento-mori-Tradition jedoch stärker betont. Erwin Panofsky, Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen, in: Ders., Sinn und Bedeutung in der bildenden Kunst, Köln 1978, S. 361. 672 Nicolas Poussin 1594-1665 (1994), S. 283. 673 Während die Hirten in der ersten Fassung nicht zu individuellen Reaktionen auf den Tod finden, ver- anschaulichen die Figuren der zweiten Fassung ein sukzessives Verarbeiten, das von der ersten Ü- berraschung bis hin zur wehmütigen Trauer reicht. Vgl. Erwin Panofsky (1978), S. 364. 145 In der Gartenarchitektur verwirklichte sich die Verbindung von Idylle und Tod in real begehbaren Kunsträumen.674 Vom empfindsamen Naturideal Brockes‘, Hallers, Geßners und Klopstocks beeinflußt675, ließ man in den englischen Landschaftsparks Staffage- bauten errichten, die den Besucher an die eigene Sterblichkeit und die Unendlichkeit der Natur erinnern sollten. An ausgewählten Aussichtspunkten erschlossen sich dem Blick des Spaziergängers pittoreske Erlebnis- und Gefühlsräume, die durch künstliche oder authentische Gräber besondere Akzente erhielten.676 Lampes Darstellung des Friedhofs als idyllischer Garten ist in diesem Bildkontext zu sehen. Die Idylle in Lampes Roman ist durch die Todesmetaphorik überformt. Auch die Natur bekommt durch das Gewitter und die üppig wuchernden Pflanzen einen bedrohli- chen Zug. Anders als im locus amoenus wächst in Septembergewitter alles derartig zü- gellos, daß ein Treibhausklima entsteht, in dem alles Lebende zu ersticken scheint. Wie das Gewitter ist auch die Atmosphäre selbst Indikator und Auslöser dieser Krisis. Die Laube, die von den Pflanzen gebildet wird, ist nun nicht mehr gemäß ihrer idylli- schen Bedeutung Ort der Freundschaft und Liebe, vielmehr ein geschlossener klaustro- phobischer Raum. Anders noch als in Am Rande der Nacht ist sie kein Rückzugsort des Privaten aus der normbestimmten Gesellschaft, sondern ein Relikt ehemals idyllischen Lebens, das nun ins Gefährdende umgedeutet wird. So verdichten sich die Gewitter- stimmung und die wuchernde Vegetation im Bild der beengenden Laube. Schwüler Spätsommernachmittag der alten Stadt, üppig blühend, windstill und schwer, und schwelend auf seinem Grunde. Immer dichter wachsen die Gärten zusammen, immer höher wuchert das Gras, immer dumpfer wird die Luft im Laubendunkel.677 Im Roman wird der Eindruck einer belastenden Gewitterstimmung durch lyrische Mittel erzielt. Mit der dreimaligen Wiederholung des Zeitadverbs „immer“ wird der Eindruck einer den Menschen zerstörenden Natur erreicht, die alles zu verschlingen droht. In mo- tivischer Engführung findet sich die Verbindung von idyllischer Szenerie und Tod in der Erzählung Vor hundert Jahren. Dort stößt der Prinz auf die Rosenhecke Dornrö-

674 „Natur im Landschaftsgarten war vielmehr in Dichtung, Malerei und Geschichte gespiegelte Natur, deren verständige Wahrnehmung beim Betrachter ein geschultes ästhetisches Empfinden und eine umfassende fast elitäre Bildung voraussetzte.“ Adrian von Buttlar, Der Landschaftsgarten. Garten- kunst des Klassizismus und der Romantik, Köln 1989, S. 14. 675 Ebd., S. 132. 676 Adrian von Buttlar, Das Grab im Garten. Zur naturreligiösen Deutung eines arkadischen Gartenmo- tivs, in: „Landschaft“ und Landschaften im 18. Jahrhundert. Tagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. 20.-23.11.1991, hrsg. von Heinke Wunderlich, Heidelberg 1995, S. 82. 677 Sg., S. 7. 146 schens, in der die Skelette seiner Vorgänger hängen.678 In Septembergewitter wird diese Ambivalenz der Idylle mit der Dekadenzstimmung der Jahre zwischen 1900 und 1914 verbunden. Die Abgeschlossenheit des Friedhofs, der durch seine Mauern an den hortus conclusus, den marianischen Garten, erinnert, kann auch als Raummetapher für die Zeit verstanden werden.679 Bereits Franz Roh hatte in seiner Arbeit über den Magischen Realismus die Umdeutung des Motivs vom Bereich der Seligen hin zur gesellschaftlichen Situation erkannt. Hier muß man festhalten, daß die idyllische Art, soviel Nachteile sie im tä- tigen Leben haben mag, in der Kunst an Gefahr verliert, weil es die Malerei ja nicht wörtlich meint, wenn sie z.B. die Zufriedenheit in kümmerlichen Vorstadtgärtchen malt. Soweit sie alle Naturobjekte nur als Sinnbild eines letzten Gehaltes überhaupt nimmt, versteht sie unter jenem mageren Gärt- chen nichts anderes als die ewige Begrenztheit, ja Geferchtheit unseres Da- seins überhaupt, ob wir hier nun an die Zäune denken, die uns durch Geburt und Tod bestimmt sind, oder an die kleine Spanne Zeit in der gemessen an der Unendlichkeit – unser armer Garten Erde Leben tragen wird auf seiner soviel andauernden Bahn im Weltall.680 Die Überzeichnung idyllischer Topoi zu ihrer Negation, die Roh hier für die nachex- pressionistische Kunst feststellt, prägt auch die Romane Lampes. Wie bereits für Am Rande der Nacht gezeigt werden konnte, werden auch in Septembergewitter durch die Modifizierung bukolischer Zitate Räume geschaffen, die morbide wirken. Das verhält- nismäßig häufige Auftreten solch geschlossener Orte in der Malerei und Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre legt nahe, die Interpretation Rohs als existenzielle Be- grenzung auch auf die politische Situation und die Zeit zu beziehen und sie, wie Renate Böschenstein-Schäfer es für die Literatur des 19. Jahrhunderts vorgeschlagen hat, als metaphorische Deutung der gesellschaftliche Wirklichkeit zu sehen. In den abgeschlos- senen, oft ineinander verschachtelten Hinterhöfen oder Gärten schlägt sich das durch die Massengesellschaft evozierte klaustrophobische Gefühl der Weimarer Republik nie- der.681 Verbindet man diese Tendenz mit dem eigentlichen Entstehungsjahr des Romans 1937, so können diese hermetisch abgeschlossenen Bereiche als Ausdruck einer geisti-

678 „[…] - der sanfte blaue Himmel spannte sich über der Hecke, und die Hecke stieg hoch wie eine mächtige Kirchenwand, von allen vier Seiten stieg sie in die Höhe, ein Rosenheckenhaus, nichts von dem Schloß war zu sehen, und die Heckenwände blühten in schwerem, üppigem Laube, Bienen, umsummten sie, Schmetterlinge umschwangen sie, und Rosen, Rosen prangten aus dem Laube, gel- be, weiße, rosa und schwarz-rote, Hunderte, Tausende prangten und dufteten wild und scharf. Und als der Prinz näher herantrat, sah er in dem dornigen Gezweige, zwischen Rosen und Blättern, wei- ße Knochengerippe hängen, Arme, Finger winken, starrende Schädel grinsen.“ N., S. 309. 679 Christoph Vögele (1990), S. 28. 680 Franz Roh (1925), S. 87. 681 Christoph Vögele (1990), S. 29. 147 gen Isolation und als ambivalenter Rückzug in die eigene Innerlichkeit während des Dritten Reichs gedeutet werden. Die ad absurdum geführte Idylle erhält ihre Perspekti- vierung durch das Zeitgeschehen und wird in ihrer Negation zur alltäglichen Wirklich- keit.682

4.2.2. Das Gewitter als polyvalentes Motiv Das Motiv des Gewitters ist nicht nur namensgebend für den Roman, sondern bestimmt auch den Spannungsbogen der Handlungen. Die einzelnen Erzählstränge folgen der Deutung des Gewittermotivs im Sinne der Idylle, deren Spektrum von der Bedrohung des kleinen, überschaubaren Glücks bis hin zur dessen Erneuerung reicht. So wie die Atmosphäre nach der Entladung des Gewitters von der drückenden Hitze befreit ist, werden in Analogie dazu die meisten Geschichten abgeschlossen. Am Ende des Ro- mans kommt es somit zur Enthüllung Metzlers als Mörder der Marie Olfers, zur Auf- nahme Martin Hollmanns in die Bande und seine Mutter nimmt sich vor, nicht mehr der Vergangenheit nachzutrauern.683 Dieses idyllische Deutungsmuster wird innerhalb des Romans variiert. Je nach Bezugsfigur verändert sich die inhaltliche Bestimmung des Motivs, so daß dieses innerhalb des Romans mehrdeutig wird.

4.2.2.1. Die Deutung des Gewitters in der Tradition der Idylle In seiner 1756 veröffentlichten Idylle Damon. Daphne beschreibt Geßner das Heraus- treten eines Liebespaares aus einer Grotte, in der es vor dem Gewitter Schutz gesucht hatte. Geßner beginnt seine Erzählung erst mit dem überstandenen Gewitter. So sind der schwarze Himmel, der krachende Donner und die sich durch die Wolken schlängelnden Blitze684, vor denen das Paar in die schützende Höhle geflüchtet war, nicht Thema der eigentlichen Idylle, sondern werden erst im Rückblick geschildert. Das Gewitter an sich widerspricht der stillen sanften Natur, die den Menschen nährt und nicht gefährdet. Innerhalb der Idylle bezeichnet es den Einbruch des Erhabenen in das

682 Eckehard Czucka (1995), S. 446. 683 Sg., S. 72. 684 „Es ist vorübergegangen, Daphne! das schwarze Gewitter, die schrökende Stimme des Donners schweigt; Zittre nicht, Daphne! die Blitze schlängeln sich nicht mehr durchs schwarze Gewölk; laß uns die Höle verlassen; die Schafe, die sich ängstlich unter diesem Laubdach gesammelt, schütteln den Regen von der triefenden Wolle, und zerstreuen sich wieder auf der erfrischten Weide; […].“ Salomon Geßner, Damon. Daphne, in: Ders. (1988), S. 32. 148 Pittoreske, weshalb es Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik noch für einen unge- eigneten idyllischen Topos hält: Stellt nun die Idylle das Vollglück in der Beschränkung dar: so folgt zwei- erlei. Erstlich kann die Leidenschaft, in sofern sie heiße Wetterwolken hin- ter sich hat, sich nicht mit ihren Donnern in diesen stillen Himmel mischen; nur einige laue Regenwölkchen sind ihr vergönnt, vor und hinter welchen man schon den breiten hellen Sonnenschein auf den Hügeln und Auen sieht.685 Nach dem Gewitter steht das Geßnersche Hirtenpaar einer erneuerten Natur gegenüber. Tatsächlich hat das Gewitter in der Idylle nicht die Funktion zu zerstören, vielmehr werden dadurch die Luft, Fauna und Flora erfrischt und die Idylle durch die Gefahr konturiert. Die Wiederauferstehung der Welt in geläuterter Schönheit wird durch das Bild des Regenbogens besiegelt. Wie hell schimmert das Blau des Himmels durch das zerrißne Gewölk! Sie fliehen, die Wolken; wie sie ihren Schatten in der Sonne-beglänzten Gegend zerstreun! sieh Damon, dort liegt der Hügel mit seinen Hütten und Herden im Schatten, itzt flieht der Schatten, und läßt ihn im Sonnen-Glanz; sieh wie er durchs Thal hin über die blumichten Wiesen läuft. Wie schimmert dort, Daphne! rief Damon, wie schimmert dort der Bogen der Iris von einem glänzenden Hügel zum andern ausgespannt; am Rüken das graue Gewölk verkündigt die freundliche Göttin von ihrem Bogen der Gegend die Ruhe, und lächelt durchs unbeschädigte Thal hin.686 In Geßners Damon. Daphne spiegelt sich im Mikrokosmos der Natur das große Wunder der Verschonung vom Unwetter.687 Die Natur wird zum Abbild der Empfindungen der Hirten. Während die Welt bei Geßner noch vage pantheistisch aufgefaßt ist, wird sie in Klop- stocks Die Frühlingsfeier ins Christliche gedeutet. Klopstock übernimmt in der nach Geßner entstandenen Ode die Grundsituation des die Gemeinschaft bedrohenden Ge- witters, legt dieses alttestamentlich jedoch als Gegenwart Gottes aus und preist diesen anläßlich der vorübergegangenen Gefahr: Aber nicht unsre Hütt! / Unser Vater gebot / Seinem Verderber / Vor unsrer Hütte vorüberzugehn! / Ach, schon rauscht, schon rauscht / Himmel, und Erde vom gnädigen Regen! / Nun ist, wie dürstete sie! die Erd‘ erquickt, / Und der Himmel der Segensfüll‘ entlastet! / Siehe, nun kommt Jehova nicht

685 Jean Paul (1935), S. 243. 686 Salomon Geßner (1988), S. 32. 687 „O wie reißt das Entzüken mich hin! wenn ich vom hohen Hügel die weitausgebreitete Gegend über- sehe, oder, wenn ich ins Gras hingestrekt, die manigfaltigen Blumen und Kräuter betrachte und ihre kleine Bewohner; oder wenn ich in nächtlichen Stunden, bey gestirntem Himmel, den Wechsel der Jahrszeiten, oder den Wachsthum der unzählbaren Gewächse - - “ Ebd., S. 33. 149 mehr im Wetter, / In stillem, sanftem Säuseln / Kommt Jehova, / Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens!688 Auch bei Klopstock entsprechen Makro- und Mikrokosmos einander, anders als Geßner jedoch spart er das Gewitter nicht als gegenwärtiges Geschehen aus, sondern zitiert im Gewitter den strafenden Gott, der über die Menschen ein richtendes Unwetter schickt und dieses dann aber selbst abwendet. Gott nimmt in der Stille, in Blitz und Donner und im Wind eine sinnlich erfahrbare Gestalt an. Das Gewitter ist im Alten Testament Zei- chen für Gottes Anwesenheit und Stärke und leitet die Zerstörung in der Apokalypse ein.689 Sowohl im jüdisch-christlichen Glauben als auch in der antiken Mythologie ist das Gewitter dem Göttlichen zugeordnet.690 So ist das Blitzbündel Attribut Zeus‘, das er wie den Donner auch von den Kyklopen zur Vernichtung seiner Feinde übertragen be- kam.691 Nach einer Variante des Dionysos-Mythos zeugte Zeus den Gott des Rausches in Gestalt eines Blitzes. Zeus rettete Dionysos aus dem verbrannten Körper Semeles und barg ihn in seinem Schenkel bis zu dessen endgültiger Geburt.692 Die zerstörerische Kraft des Gewitters, die einer alltäglichen Erfahrung entsprach, wird im jüdisch-christlichen Glauben durch den Bund Gottes mit den Menschen abgemildert. Während das Gewitter den rächenden Gott versinnbildlicht, verweist der Regenbogen auf den beschützenden Gott, der Noah gerettet hat. Bei Geßner wie auch bei Klopstock ist dieses Gottesverständnis Grundlage für die idyllische Deutung des Gewitters, inso- fern es in eine Erneuerung und Verklärung der Natur übergeht. Die Idylle gewinnt dabei Kontur durch die elementare Kraft der Naturgewalten und die Möglichkeit ihrer Zerstö- rung. In dieser Form wird das Motiv in der Gattung rezipiert und erhält neben der religiösen Bedeutung auch eine politische. So ist das Gewitter in Goethes Hermann und Dorothea das Sinnbild der Französischen Revolution, die das Gemeinwesen ebenso bedroht, wie das Unwetter die kommende Ernte.693 Indem Goethe den achten Gesang von Hermann und Dorothea der Muse Melpomene zueignet, rückt er das Gewitter und damit die Re-

688 Friedrich Gottlieb Klopstock, Die Frühlingsfeier, in: Ders., Ausgewählte Werke, Darmstadt 1964, S. 92. 689 Engelhard Weigl, Entzauberung der Natur durch Wissenschaft – dargestellt am Beispiel der Erfindung des Blitzableiters, in: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 22, 1987, S. 9/10. Auf dem Berg Sinai kündigt sich Gott Moses in einem Gewitter an. AT, 2. Moses 19, 16. David erscheint er in Blitz und Donner. AT, Psalm 18, 12-16; NT, Offenbarung 4, 5. 690 Heinz-Dieter Kittsteiner, Wissen und Geschichte. Studie zur Entstehung des moralischen Bewußtseins, Heidelberg 1990, S. 28. 691 Karl Kerényi, Die Mythologie der Griechen. Band 1. Die Götter- und Menschengeschichten, München 1966, S. 25. 692 Ebd., S. 202. 693 Johann Wolfgang von Goethe (1978), 8. Gesang, V. 1-6. 150 volution in den Bereich der Tragödie. Während in der Idylle Goethes das Unwetter und die politischen Unruhen das Glück der beiden nicht zerstören, sondern vielmehr durch Dorothea versöhnend integriert werden, ist es spätestens im Vormärz zum Feuersturm geworden, in dem die alte Welt untergeht.694 In Joseph von Eichendorffs Novelle Das Schloß Dürande läßt der Jäger des Grafen Re- nald das Schloß und mit diesem die Adelsherrschaft im Rachegericht verbrennen.695 Im Unterschied zur Idylle stellt sich hier kein Behagen mehr ein, das Gewitter überstanden zu haben, da die Gesellschaft nicht unversehrt daraus hervorgeht. Daneben ist das Bild der aus dem Unwetter konsolidiert hervorgegangenen Idylle aber bis hinein in den Vormärz zu finden und wird zum dialektischen Verhältnis von vor- und nachrevolutio- närem Zustand umgedeutet.696 Das Gewitter als Metapher für Krieg und Revolution ist in der Idylle immer nur als Kontrast eingesetzt, als eigenständiges Thema durchbricht es die Grundlagen der Gattung. Innerhalb der Idylle kann allerdings unidyllisch laute Mu- sik als gezähmte Variante auf dieses verweisen. In Voß‘ Luise wird das Hochzeitsständ- chen für das Brautpaar mit Blitz und Donner verglichen, die wie die Musik auch als Sprache der Natur gedeutet werden und somit göttlichen Ursprungs sind.697 In Septembergewitter führt das Gewitter nicht nur zu einer Erneuerung der Natur, son- dern auch durch die Aufklärung des Mordes zu einer Wiederherstellung der gesell- schaftlichen und moralischen Ordnung.698 Wie in Geßners Idylle Damon. Daphne auch, erscheint die Welt in Septembergewitter nach dem Unwetter verklärt und harmonisch. Vorbei war das Gewitter, […]. Frisch war die Luft und roch nach Blättern und Gras und Blumen, leise stieg aus den Gärten, aus dem Rasen, aus dem

694 „Der Ball war noch nicht beendigt, aber der junge Graf Dürande hatte dort so viel Wunderbares gehört von den feurigen Zeichen einer Revolution, vom heimlichen Aufblitzen kampffertiger Geschwader, Jakobiner, Volksfreunde und Royalisten, daß ihm das Herz schwoll im nahenden Gewitterwinde.“ Joseph von Eichendorff, Das Schloß Dürande, in: Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Ei- chendorff (1998), S. 297. 695 „Dort in dem Turme liegt das Pulver, hieß es auf einmal, und voll Entsetzen stiebte Alles über den Schloßberg auseinander. Da tat es gleich darauf einen furchtbaren Blitz, und donnernd stürzte das Schloß hinter ihnen zusammen. Dann wurde Alles still: wie eine Opferflamme, schlank, mild und prächtig stieg das Feuer zum gestirnten Himmel auf, die Gründe und Wälder ringsum erleuchtend – den Renald sah man nimmer wieder.“ Ebd., S. 326/27. Vgl. Hans-Wolf Jäger, Politische Metaphorik im Jakobinismus und im Vormärz, Stuttgart 1971, S. 71-73. 696 „Idyllische Gegend und gewittriges Chaos: mit diesen Bildern stellt selbst ein Schriftstück wie die diplomatische Note die nachrevolutionäre Republik der noch unrevolutionären Umgebung gegen- über.“ Ebd., S. 32. 697 „Als nun hell im Gesange der Gläser Gekling‘ an einander / Klingelte; plötzlich erscholl mit schmet- terndem Hall vor dem Fenster / Geig‘ und Horn und Trompete, durchtönt von dem polternden Brummbaß./ Ungestüm und betäubend: als kracht‘ einschlagender Donner / Aus dem Gewölk, als braust‘ ein Orkan in zersplitterte Tannen.“ Johann Heinrich Voß (1996), 3. Idylle, V. 678-82. 698 „[…] und über den dunklen Räumen stieg rot und groß und vollgesogen mit dem Blut der Erde die Mondkugel auf.“ Sg., S. 83. 151 Wallgraben Nebeldunst und umschleierte Schwäne, Büsche, Bäume, milde schwamm das erste Laternenlicht in der feuchten Atmosphäre […].699 Dennoch leitet das Ende des Gewitters in keine heile Idylle über. Durch die Andeutung der Krankheit der Großmutter Hollmann und Doras Verlust des Geliebten wirkt sie be- droht. Dadurch zeigt sich die Relativierung der Idylle und ihre grundsätzliche Ambiva- lenz, wie sie in der Rahmenerzählung behauptet wurde.

4.2.2.2. Das Gewitter als dionysischer Rausch Sowohl atmosphärisch als auch individuell auf der Ebene der Figuren bedeutet das Ge- witter eine Befreiung von Stagnation und belastender Lähmung.700 Im Kontrast zum Alltag wird das Unwetter durch seinen Feuercharakter als elementare Energie und Be- wegung beschrieben, durch die der natürliche Fluß des Lebens wiederhergestellt wird. Über die mythische Deutung des Blitzes als Präsenz des Göttlichen und insbesondere die Zeugung des Gottes des Rausches im Gewitter läßt sich eine Verbindung zu Nietz- sches Auffassung des Dionysischen ziehen. Die Verfassung, in die das Unwetter die Protagonisten versetzt, gleicht insofern der Schilderung des Dionysischen durch Nietz- sche701, als sich auch bei Lampe das Individuelle in der Ekstase auflöst und in eine höhe- re Einheit mit der Natur hinübergeführt wird. So erfahren die Protagonisten des Romans das Unwetter als unmittelbares sinnliches Erlebnis, das auch als orgiastisches Aufgehen in der Natur verstanden werden kann. Schwül war es gewesen und dumpf und still in der Stadt, und traurig war das Leben geflossen, aber nun rauschte und knatterte das Gewitter, und es war ein Lachen und Schreien und Jubeln ausgebrochen in den Lüften und ein Pauken- und Beckenschlagen, und Trude Olfers stand auf dem Balkon mit fliegendem Haar und sang und fühlte die große Vermischung, und der Schwan in dem Graben unter ihr auf dem wogenden dunklen Wasser hob sich weit aus der Flut und schlug mit den Flügeln und reckte den Hals und schrie.702 Wenn Lampe hier das Gewitter mit Pauken und Becken vergleicht und somit als Him- melsmusik beschreibt, deutet er das traditionelle idyllische Motiv ins Dionysische um. In der Auflösung der lähmenden Spannung im Gewitter wird die Einheit zwischen

699 Ebd., S. 77. 700 „Und der Regen rauschte stramm und stark, und die Büsche und Bäume erfrischten sich, und die Erde dampfte gekühlt, und der Donner rollte weicher und ferner.“ Ebd., S. 72. 701 Friedrich Nietzsche (1972), S. 25. 702 Sg., S. 70/71. 152 Mensch und Natur und dem Leben wiederhergestellt, die sich in einer ungetrübten Le- bensfreude äußert.703

4.2.2.2.1. Der Krieg als dionysisches Prinzip Die Verbindung zwischen Gewitter und Krieg stellt sich in Septembergewitter durch eine klangliche Analogie her. In der schwülen Atmosphäre des Spätsommertags nimmt das „Geknatter“ des Manövers bereits das spätere Gewitter vorweg, das mit dem glei- chen Wortlaut wiedergegeben wird.704 Die Gewehrsalven der auf dem Werder exerzie- renden Soldaten und das Gewitter verweisen wechselseitig aufeinander. Die innere Verwandtschaft zwischen Gewitter und Krieg, die hier nur angedeutet wird, konkreti- siert sich im Wunsch Charisius‘, daß ein Krieg die Stadt aus ihrer Lethargie befreien möge. Und da auf einmal, da ertönte ein dumpfes Grollen, ein Donnerrollen von weit her. „Ja, ein Gewitter müßte losbrechen“, sagte Leutnant Charisius, „Blitze müßten flammen und die Häuser in Brand stecken, diese muffigen alten Häuser, ein Krieg müßte ausbrechen, wild und schrecklich und reini- gend und mit seinem Eisenbesen all diesen vermotteten Plunder wegfegen, daß das Leben wieder frisch würde und bewegt und gesund.“705 Durch die Identifikation des Gewitters und des Krieges mit dem aktiven Prinzip ergibt sich ein klarer Dualismus zum passiven der Schwüle und zur gesellschaftlichen Stagna- tion. Aus der Perspektive des Soldaten Charisius ist der Krieg zwar „wild und schrecklich“, aber vor allem ein notwendiger Übergang zu einem erhofften Neuanfang, der im Ge- gensatz zur Morbidität der Stadt als „frisch“, „bewegt und gesund“ charakterisiert wird. Die Verbindung zum Gewitter und dem Feuer rücken ihn in die Nähe von Apokalypse und eschatologischen Heilserwartungen. Charisius‘ Vorstellung vom Krieg umfaßt demnach nicht die vollständige Vernichtung, sondern ist vielmehr als Befreiung von der Lähmung zu verstehen, aus der die Gesellschaft verjüngt hervorgehen soll. Charisius‘ Apokalypse ist eine Erlösungsvision. Seine eigentliche Legitimation und positive Be-

703 „Und die Jungens in Timmermanns Badeanstalt, Dickie Brent und seine Peliden, die sprangen kopf- über hoch vom Sprungbrett, und die Wellen tanzten und schäumten, und sie prusteten und kreisch- ten und reckten die Arme, und Martin Hollmann saß still am Strande im Regen, blaß und müde, verbleut und zerkratzt, aber glücklich: er gehörte zur Bande.“ Ebd., S. 71. 704 „Und die Soldaten exerzieren auf dem Werder, man hört die Kommandos schallen über Wiese und Fluß und wohl auch das Geknatter [Hervorhebung A.H.] der Gewehre, […].“ Ebd., S. 8. „Schwül war es gewesen und dumpf und still in der Stadt, und traurig war das Leben geflossen, aber nun rauschte und knatterte das Gewitter, und es war ein Lachen und Schreien und Jubeln ausgebrochen in den Lüften und ein Pauken- und Beckenschlagen,“ Ebd., S. 70. 705 Ebd., S. 40. 153 wertung erhält der Krieg gerade durch diese verändernde Kraft. In einem Leben, das den Tod vorwegnimmt und in dem alles erstarrt zu sein scheint, wird der Krieg zum vitalistischen Prinzip. Ebenso ambivalent wie Charisius‘ Auffassung des Krieges ist sein Entschluß, sich in die deutsche Kolonie Kamerun versetzen zu lassen. Kamerun ist für ihn Sinnbild für das vermißte rauschhafte Leben. Afrika ist Abenteuer, Urwald und unentfremdete Natur. Die exotische Ferne suggeriert eine intensive Grenzerfahrung des Lebens, die eigentlich der Tod ist. Der Krieg, zu dem es im Roman nicht kommt, wird für Charisius in Kamerun stattfinden. Der Erzähler scheint mit der Figurenperspektive Leutnant Charisius‘ weitgehend Vor- stellungen von einer Erneuerung des Gemeinwesens durch das Soldatische und den Krieg zu zitieren, wie sie für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg charakteristisch waren. Die Metapher des Gewitters für den Krieg ist alt und geht wohl auf den Untergang im Feuer der Apokalypse zurück, wodurch das Motiv die dialektische Struktur von Zerstö- rung und Erneuerung erhält. Bereits im 16. Jahrhundert wird das Kriegsprinzip durch das Unwetter dargestellt und insbesondere revolutionäre Umwälzungen sind durch Blitz und Donner umschrieben worden.706 Vor allem im Kontext des Ersten Weltkrieges fin- det die Metapher wieder Verwendung.707 In Analogie zur Vernichtungsmaschinerie des modernen Krieges hat Ernst Jünger sein Tagebuch des Ersten Weltkriegs In Stahlge- wittern benannt. Jünger schildert in seinem Kriegsbericht die Euphorie einer Jugend, die sich im Krieg erstmals lebendig fühlt und hier ihre prägenden Erfahrungen macht. Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten Körper zusam- mengeschmolzen. Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blu- men waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche.708 Das pathetische Erleben einer rauschhaften Verschmelzung zu einem Körper, das Jün- ger hier als charakteristische Kriegserfahrung hervorhebt, kann exemplarisch für eine ganze Generation von Kriegsteilnehmern gelten. Auch wenn die anfängliche Begeiste-

706 „Bereits 1546 zeigt eine Medaille des Florentiner Giovanni delle Bande Nere einen sich aus einer Wolke entladenden Blitz zur Charakterisierung des Kriegsprinzips.“ Roland Schmeuner, Die Pasto- rale Beethovens, das Gewitter und der Blitzableiter, Kassel 1998, S. 215. 707 „Zerstörung durch Feuer ist seit der Offenbarung Johannes, in der das Feuer vom Himmel fällt, ein typisches Bild der Apokalypse, doch weitet es sich in Deutschland in neuer Zeit zum ‚Weltbrand‘ oder ‚Weltenbrandt‘ aus, sehr wahrscheinlich unter dem Einfluß der nordgermanischen Mythen von den ‚Ragnarök‘, die seit der Romantik nicht zuletzt durch Wagners Götterdämmerung popularisiert wurden.“ Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, S. 268/69. 708 Ernst Jünger, In Stahlgewittern, in: Ders., Sämtliche Werke, Abteilung 1, Tagebücher, Band 1, Stutt- gart 1978, S. 11. 154 rung Jüngers angesichts des tatsächlichen Krieges gedämpft wird, stellt er doch die Ge- genüberstellung mit dem Feind als dionysischen Rausch709 dar, der in innerem Gegen- satz zu seiner sachlich-distanzierten Sprache zu stehen scheint. Das einzelne Gefecht ist durch dieses ekstatische Außersichsein und das Gefühl, die eigene Individualität zu- gunsten der Einheit mit der kämpfenden Gemeinschaft einzulösen, bestimmt.710 Obwohl Jünger nicht an der Richtigkeit des Krieges zweifelt und dessen Notwendigkeit durch die Naturmetaphorik argumentativ stützt, fühlt er sich beim Anblick der Zerstörungen an ein „apokalyptisches Bild“711 erinnert. Der vielzitierte Untergang des Abendlandes, der durch Oswald Spenglers populärwissenschaftliche gleichnamige Abhandlung ver- breitet wurde, hat insbesondere die frühexpressionistische Lyrik beeinflußt. In Kurt Pinthus‘ Anthologie Menschheitsdämmerung ist der Titel in diesem Sinne programma- tisch zu lesen. Pinthus leitet die von ihm veröffentlichten Texte mit dem Passus ein: Alle Gedichte dieses Buches entquellen der Klage um die Menschheit, der Sehnsucht nach der Menschheit. Der Mensch schlechthin, nicht seine pri- vaten Angelegenheiten und Gefühle, sondern die Menschheit, ist das ei- gentlich unendliche Thema. Diese Dichter fühlten zeitig, wie der Mensch in der Dämmerung versank..., sank in die Nacht des Untergangs..., um wieder aufzutauchen in die sich klärende Dämmerung neuen Tags.712 Diese Untergangsvisionen, die Ausdruck einer krisenhaft erlebten Zeit713 sind, finden sich vor allem in den Werken Johannes R. Bechers und in Jakob van Hoddis‘ Gedicht Weltenende wieder, das nicht grundlos zu Beginn von Pinthus‘ Menschheitsdämmerung steht.714 Gegenüber der Faszination für Tod und Untergang in der Dichtung der Jahr- hundertwende wirken die apokalyptischen Vorstellungen der Lyrik des Frühexpressio- nismus durch den heftigen Sprachduktus und die Verknüpfung mit dem Motiv des Krieges konkreter und eindringlicher.

709 Ebd., S. 103. Vgl. Hans-Georg Meier, Romane der Konservativen Revolution in der Nachfolge von Nietzsche und Spengler (1918-1941), Frankfurt 1983, S. 114. 710 Ernst Jünger (1978), S. 261. 711 Ebd. 712 Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus, hrsg. von Kurt Pinthus, Reinbek bei Hamburg 1959, S. 25. 713 „Das Krisenbewußtsein, das seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts um sich griff, begünstigte apoka- lyptische Erfahrungsauslegungen. Der Erste Weltkrieg machte die Krise manifest; er wurde als ra- dikaler, ‚dramatischer‘ Einbruch in alle Kontinuitäten erlebt und legte apokalyptische Deutungen besonders nahe. Die expressionistischen Verkündigungsdramen, die während des Krieges und un- mittelbar danach entstanden, brachten die apokalyptisch ausgelegte Krisenerfahrung und die drama- tisch empfundene Zeiterfahrung in Inhalt und Form in vollkommener Koinzidenz.“ Klaus Vondung (1988), S. 310. 714 Etwa bei Johannes R. Becher, Verfall, in: Menschheitsdämmerung (1959), S. 40-42; Johannes R. Be- cher, Eroica, in: Ebd., S. 265-67; Jakob van Hoddis, Weltenende, in: Ebd.., S. 39. 155 Auch andere Intellektuelle und Künstler, wie Ludwig Meidner, sahen in dem sich an- kündigenden Ersten Weltkrieg die kommende Apokalypse.715 Die Kriegsbegeisterung resultiert aus der Atmosphäre der gesellschaftlichen Stagnation, die als leidvoll erlebt wird. Der eigentliche Feind ist demnach nicht der Nachbarstaat, sondern die Dekadenz im Inneren, so wie es auch in Lampes Septembergewitter thematisiert wird. Diese apo- kalyptischen Vorstellungen sind, so betont Klaus Vondung, häufig Ausdruck einer Verlusterfahrung, die durch die gänzliche Auslöschung der Gemeinschaft nivelliert wird.716 Selbst als Franz Marc bereits an der Front war, hielt er am utopischen Charakter dieser Endzeitvision fest und bezeichnete den Krieg als ein reinigendes und notwendi- ges Gewitter.717 Die Welt (aber) will rein werden, sie will den Krieg. Welcher Europäer möchte heute den Krieg ungeschehen wissen? […] Das Volk hat Instinkt. Es weiß, daß der Krieg es reinigen wird. Um Reinigung wird der Krieg geführt und das kranke Blut vergossen. […] Laßt uns Soldaten bleiben, auch nach dem Kriege. […] Dieser Großkrieg ist ein europäischer Bürgerkrieg, ein Krieg gegen den inneren, unsichtbaren Feind des europäischen Geistes.718 Diese pessimistische Sicht Europas ist ganz der Philosophie Nietzsches verpflichtet.719 In seiner Schrift Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft hatte Nietzsche Europa als spätzeitliche Verfallskultur charakterisiert, die nur willens- schwache Menschen hervorgebracht hatte. Die Krankheit des Willens ist ungleichmässig in der Masse über Europa verbreitet: sie zeigt sich dort am grössten und vielfältigsten, wo die Cultur schon am längsten heimisch ist, sie verschwindet in dem Maasse, als „der

715 „Ich malte Tag und Nacht meine Bedrängnisse mir vom Leib, jüngste Gerichte, Weltuntergänge und Totenschädelgehänge, denn in jenen Tagen warf zähnefletschend das große Weltgewitter schon sei- ne grellgelben Schatten auf meine winselnde Pinselhand.“ In: Angela Jurkat, Apokalypse – Endzeit- stimmung in Kunst und Literatur des Expressionismus, Alfter 1993, S. 133. 716 Klaus Vondung (1988), S. 181. 717 „Wenn sie dennoch diesen Krieg bejubelten, dann vor allem, weil sie sich ihn als ein allumfassendes apokalyptisches Geschehen vorstellten, das nicht nur eine neue, verklärte Welt herbeiführen, son- dern auch auf die am Krieg beteiligten Menschen eine erlösende Wirkung ausüben sollte. Aber auch Motive wie Befreiung von alltäglichen Zwängen, vitalistischer Auf- und Ausbruchsdrang, Abenteu- erlust, Suche nach enervierenden Erlebnisquellen und Grenzerfahrungen als Steigerung der Le- bensintensität, Verherrlichung des Stirb- und Werde-Gedankens führten zur Rechtfertigung des Krieges mit der anfänglichen Tendenz, seine menschenverachtende, brutale Dimension zu verdrän- gen.“ Angela Jurkat (1993), S. 138. 718 Ebd., S. 136. 719 „Der ‚abgründige Antagonismus zwischen Kultur und Zivilisation‘ – mit Nietzsche zu sprechen – bewirkte, daß Schriftsteller den Krieg apokalyptisch herbeiwünschten, als Untergang der Zivilisati- on, als Untergang der Bürger, nicht aber als Untergang der Kultur oder ihrer selbst. Man wünschte eine Reinigung, ein Gericht, in dem die Gerechten überleben sollten; […]“ Marianne Kesting, Warten auf das Ende. Apokalypse und Endzeit in der Moderne, in: Poesie der Apokalypse, hrsg. von Gerhard R. Kaiser, Würzburg 1991, S. 172/73. 156 Barbar“ noch – oder wieder – unter dem schlotterichten Gewande von westländischer Bildung sein Recht geltend macht.720 In dieser Abhandlung entwickelt Nietzsche auch den Gedanken der Heroisierung des Krieges als Veredelung des Menschen. Nietzsche verbindet das Martialische mit dem Dionysischen, aus dem sich die Kultur heraus verjüngen solle.721 Deutlich tritt hier die zyklische Struktur von Erneuerung und Zerstörung im Denken Nietzsches hervor, die sich aus einem ausgeprägten Dualismus ergibt. Der Krieg wird nicht als Vernichtung des Lebens begriffen, sondern als Ausbruch vitaler Kräfte, die in der bürgerlichen Ge- sellschaft erstarrt waren. Das Archaische des Krieges wird zum kosmischen Prinzip erhoben, dem gegenüber das alltäglich erfahrene Leben aufgrund seiner inneren Be- deutungslosigkeit als Entfremdung vom Menschsein und vom heroischen Dasein er- scheinen muß.722 In der Ekstase des Blutrausches, wie sie bei Ernst Jünger beschrieben wird, erfüllt sich die Sehnsucht nach Totalität. Die Erfahrung der Transzendenz er- scheint deswegen so radikal, weil sie in die Nähe der Gewalt und des Krieges gerückt wird. Die Nationalsozialisten und ihre Blut- und Bodenideologie knüpften an dieses Gedan- kengut an, und man muß wohl die Verherrlichung des Krieges durch Charisius in Zu- sammenhang mit der Militarisierung der Gesellschaft sehen, wie sie im Dritten Reich vorangetrieben wurde. So weist die Jugendbande Züge des Nationalsozialismus auf. Soldatisches Eliteverständnis, die militärisch straffe Organisation, sowie der

720 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, in: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Giorgio Colli, Mazzino Montinari, Abteilung 6, Band 2, Berlin 1968, S. 143. 721 „Wirkt aber der Gegensatz und Krieg in einer solchen Natur wie ein Lebensreiz und -kitzel mehr - , und ist andererseits zu ihren mächtigen und unversöhnlichen Trieben auch die eigentliche Meister- schaft und Feinheit im Kriegführen mit sich, also Selbst-Beherrschung, Selbst-Überlistung hinzu- vererbt und angezüchtet: so entstehen jene zauberhaften Unfassbaren und Unausdenklichen, jene zum Siege und zur Verführung vorherbestimmten Räthselmenschen, deren schönster Ausdruck Al- cibiades und Caesar […], unter Künstlern vielleicht Lionardo da Vinci ist.“ Ebd., S. 123. 722 „Im dionysischen Rausch wird die Identität mit der Totalität und damit der Augenblick der Erfüllung und Vollendung der menschlichen Existenz erlebt. Mit dem Tod in der Kulmination transzendiert der Mensch seine Individuation und vollzieht in letzter Konsequenz die Vereinigung mit dem Sein.“ Hans-Georg Meier (1983), S. 114. 157 Körperkult723, den die Jungen betreiben, erinnern an Ideale des Dritten Reichs. Dennoch wird die Clique, die sich die Peliden nennt724, nicht verherrlicht. Vielmehr ironisiert der Erzähler die Rituale als kindliche Nachahmungen von Verhaltensmustern der Erwach- senen und kommentiert ihren strengen Rigorismus durch andere Figuren als inhuman.725 Erst die für den Nachdruck 1943/44 konzipierte Version läßt eine derartige politische Deutung zu. In der Erstausgabe von 1937 wird nicht nur das Heer mit merklicher Dis- tanz dargestellt726, sondern der Erzähler verweist auch ausdrücklich auf die englische Herkunft des Bandenführers727, wodurch der kosmopolitische Aspekt über den nationa- len gehoben wird. Somit wird die aufgezeigte Ambivalenz erst für die zweite Fassung von Septembergewitter relevant und kann als Folge der Schreibsituation im Dritten Reich gewertet werden. Lampe selbst stand dem Krieg sehr distanziert gegenüber, so wie überhaupt das Ver- hältnis zum Krieg 1939 wesentlich zwiespältiger als 1914 war und als die berüchtigte Rede Goebbels 1943 im Berliner Sportpalast suggerieren mochte.728 Der Krieg trat erst durch die Teilnahme von Peter Voss am Rußlandfeldzug729 und die Bombardierung Berlins in Lampes Bewußtsein. Euphorisch hat sich Lampe nie zum Krieg geäußert, vielmehr befürchtete er schon 1942 den totalen Zusammenbruch Deutschlands.730 Auch wenn uns dies heute unangemessen erscheinen mag, hielt Lampe jedoch selbst während des Krieges an seiner apolitischen Einstellung fest, die er bereits während der

723 „‘Also du willst rein in die Bande‘, fragte Dickie. Er saß mit gekreuzten Beinen da, ließ Sand durch die knochigen braunen Finger rinnen, und Martin blickte auf Dieckies harten, runden kurzgeschore- nen Schädel. Die Leute von der Bande saßen um ihn und starrten wortlos auf Martin. ‚Wie kommst du drauf?‘ ‚Ich möchte eben gern rein.‘ ‚Ja, das möchte wohl mancher. Brauchen aber Eliteleute. Siehst nicht nach einem Helden aus.‘“ Sg., S. 30. „Dickie Brent saß im Sande, und um ihn im Kreis saß seine Bande. Dickie, braungebrannt, breitschultrig, mit Eisenmuskeln und den runden harten Kopf kurzgeschoren wie ein Sträfling und die Augen scharfblau.“ Ebd., S. 26. 724 Horst Denkler betont, daß die Nationalsozialisten nicht nur die Germanen, sondern auch die Griechen heroisierten und für ihre Ideologie mißbrauchten. Horst Denkler, Hellas als Spiegel deutscher Ge- genwart in der Literatur des „Dritten Reichs“, in: Banalität mit Stil (1999), S. 12. 725 Sg., S. 32. 726 So verweist Jürgen Dierking in seinem Nachwort zu Septembergewitter darauf hin, daß Lampe das Grölen der Soldaten, mit dem sie ein Marschlied anstimmen zu einem Schmettern verändert hat. Jürgen Dierking (2001), S. 134. 727 „Dickie Brent saß im Sande, und um ihn im Kreis saß seine Bande, Dickie, der Engländer, in London erzogen, weit herumgekommen, Erbe von Brent & Co., Tabakexport, erst seit zwei Jahren in der Stadt und schon unumschränkter Herrscher der ‚Peliden‘.“ Sg, S. 26. 728 Ludolf Herbst, Das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Die Entfesselung der Gewalt: Ras- sismus und Krieg, Frankfurt 1996, S. 255. 729 Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 7.7.1941, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 112. 730 Bereits vor der Niederlage bei Stalingrad äußert sich Lampe sehr pessimistisch über die Lage. „Wie sehr hat sich die Welt, hat man sich selber seitdem verändert. Es wird mir ganz wehmütig dabei. Mit Grauen sehe ich in die Zukunft. Was ist das für ein Wahnsinn! Wer wird von uns diesen Zusam- menbruch überstehen?“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 26.9.1942, in: Ebd., S. 115. 158 Zeit der Weimarer Republik eingenommen hatte.731 Wie sich angesichts seines Kom- mentars zu Knut Hamsuns Verhalten gegenüber den Nationalsozialisten zeigt, bedeutete dies aber auch eine stille Opposition. Was für eine wunderbare Art zu erzählen: so überlegen, ganz von oben her- ab ein Blick auf dies verrückte Menschengewimmel, scharf und skeptisch, Gut und Böse alles durcheinander, mit einer tiefen Freude an der Fülle des Lebens und an den seltsamen Verwebungen der Schicksale. Doppelt ärger- lich wird man dann, wenn man in der Zeitung von Hamsuns Worten lesen muß, die gegen England auf einer Wiener Journalistentagung in seiner Ge- genwart verlesen worden sind. Wie kann sich ein Dichter in diese groben politischen Kämpfe hineinbegeben. Und gerade Hamsun, der in seinen Bü- chern so gerecht ist und weiß, wie unheilbar verworren alle Lebensverhält- nisse sind. Da verfällt er nun in die gröbste propagandistische Schwarz- weißmalerei.732 Wie viele andere nichtnationalsozialistische Autoren nahm Lampe den Faschismus in endzeitlichen Bildern wahr.733 Friedrich Reck beschreibt so den sich abzeichnenden Krieg als „Weltgewitter“734 und spricht von der Diktatur als „Weltuntergang“735 und „a- pokalyptische[n] Schrecken“.736 Auch Friedo Lampe stellt die brennende Reichshaupt- stadt in Bildern des Untergangs dar. Am Bahnhof Westend lag mitten auf dem Pflaster im Flammenschein ein abgestürzter amerikanischer Flieger, ohne Kopf, das Blut auf das Pflaster gespritzt – wie sinnlos. Da liegt er nun nachts tot in Berlin, ist durch die Luft aus Amerika gekommen, aus irgendeiner kleinen Stadt, weiß selber nicht, warum er das getan hat, die Einsamkeit, Verlassenheit, furchtbar. Das Ganze so symbolisch. Man sieht die alte Welt aufbrennen. Die Menschen haben selbst das Feuer heraufbeschworen, um sich zu verbrennen und zu vernichten. Sie haben Recht und Freiheit nicht mehr zu schätzen gewußt, nun müssen sie es durch diese bitteren Erfahrungen wieder lernen.737

731 „Damit ist die neusachliche Konzeption der ‚freischwebenden Intelligenz‘ als einer Elite mit relativ konkretem geschichtlichen Auftrag fließend in die Innere Emigration übergegangen, die die existenzphilosophisch geprägten ‚Geistigen‘ spätestens ab 1933 wählten.“ Martin Lindner (1994), S. 179. 732 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 25.6.1943, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 116/17. 733 „Rückzug auf Innerlichkeit und Irrationalismus als adäquate Verhaltensformen und Denkweisen eines Eskapismus, der sich in unterschiedlicher Weise zu verwirklichen und zugleich zu legitimieren ver- sucht – diese Entwicklung kennzeichnet die Emigration nach Innen als ein Arrangement mit der po- litischen Realität, für welches das Element der Distanz zum Faschismus konstitutiv ist.“ Ralf Schnell (1976), S. 53. 734 Friedrich Reck, Tagebuch eines Verzweifelten, mit einem biographischen Essay von Christine Zeile, Frankfurt 1994, S. 93. Vgl. Reinhold Grimm, Im Dickicht der Inneren Emigration, in: Die deutsche Literatur im Dritten Reich (1976), S. 418. 735 Friedrich Reck (1994), S. 52. Vgl. „Den von Spengler prophezeiten Niedergang sahen die Intellektu- ellen im Heraufzug des Nationalsozialismus verkörpert, der aller humanistischen Werte spottete, die das Abendland im Laufe seiner Geschichte erzwungen hatte.“ Annette Schmollinger (1999), S. 45. 736 Friedrich Reck (1994), S. 172. 737 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 10.12.1943, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 117. 159 Dieser Bericht über den Luftkrieg ist insofern charakteristisch für Lampe, daß die politi- sche Lage nicht klar analysiert wird, sondern vielmehr – wie bei vielen anderen tenden- ziell unpolitischen Schriftstellern – ins Metaphorische entrückt wird, wodurch diese wie das Unwetter in Septembergewitter unabwendbar erscheint. Aufgrund der Zerstörung humaner Werte, hielt Lampe jedoch einen Neuanfang nach dem Krieg auf den Prämis- sen der Vorkriegsgesellschaft für unmöglich.738

4.2.2.2.2. Dionysische Kunst Die Deutung des Gewitters als Kriegsprinzip ist jedoch nicht die einzige, die dieses Motiv im Kontext des Dionysischen zuläßt. Denn bezieht man es auf die Figur des Dichters Runge wird es zum Sinnbild für die Entstehung von Kunst aus dem dionysi- schen Rausch heraus. So erlebt Runge, der vom Gewitter in der Wallanlage überrascht wird, dieses in seiner ganzen Dynamik und Intensität. Es war ein dumpfes Rumoren und Gären hier unten am Wallgraben, ein schweres Kühlen des Windes in Büschen und Bäumen, ein Aufrauschen und wirres Schütteln der Blättermassen, und dann wieder hohle, lauernde Stille und fahles Schwefellicht und totes stumpfes Wasser, und ein Wogen von graugrünen Schatten in Bäumen und Büschen […]. Und wieder ein schwü- les Ziehen des Windes und soviel Erwartung und unheimliches Kreisen, und in alles hinein der flatternde Blitzschein und das dunkle Pauken des Don- ners. Und Christian Runge fühlte in sich aufsteigen ein schwellendes Fluten und Drängen.739 Mittels der syndetischen Reihung der einzelnen Vorstufen des Unwetters wird eine Spannung erzeugt, die auf den Höhepunkt der eigentlichen Entladung angelegt ist und sich auf Runge als Betrachter dieses Naturschauspiels überträgt. Runge erfährt in dem Unwetter eine Vermischung der Elemente, die sich ihm in dem Bild des Mädchens mit dem Schwan offenbart und die er später zur mythologischen Erzählung von Leda und dem Schwan umdichtet. Er gerät dabei in einen Zustand, der ihn die Außenwelt ganz vergessen läßt. Und da, da sah er auf dem dunklen Wallgraben einen großen, dämmrigweiß schimmernden Schwan, der mit den mächtigen Flügeln schlug und flatterte und dicht übers Wasser hinflog und schrie. Und oben aus der Mühle trat ein

738 „Was ist das für eine Zeit! Ich versuche immer mehr, diese Zeit und die furchtbaren Ereignisse als einen Läuterungsprozess aufzufassen. Wir sollen von allem Abschied nehmen, an nichts Irdisches mehr gebunden sein, sollen so ins Leben sehen, als wenn wird schon gestorben wären. Wir sollen lernen, die Lebens- und Todesangst zu überwinden. Hoffnung auf ein sinnvolles glückliches Leben ist wohl sehr gering. Ganz Deutschland ist ja ein Trümmerhaufen. Der Anschluß an die Vergangen- heit ist zerstört. Das ist alles nicht wiedergutzumachen.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 28.3.1945, in: Ebd., S. 122. 739 Sg., S. 63/64. 160 Mädchen mit braunem Haar und weißer Bluse und braunem Rock, ein rundliches, derbes, weiches Mädchen, und sie ging den Hügel runter auf dem Rasen, angezogen wohl von dem schrillen Schreien des Schwans und mit großen runden Augen warm auf ihn blickend, ging zum Rande des Gra- bens, wo etwas Schilf stand, und beugte sich runter, und der Schwan schwamm hastig heran und legte seinen Kopf und Hals in ihren Schoß, drängte sich weich in ihren Schoß, und sie strich ihm sanft über das Gefie- der, schloß die Augen-.740 Aufgrund der Parallelisierung der Vereinigung von Schwan und Mädchen und dem Gewitter, kann dieses als rauschhafte Verbindung der Elemente ausgelegt werden. Der Schwan als Tier Apollos bezieht nicht nur die Gegenwart des Göttlichen mit ein, sondern auch den Begriff Nietzsches vom Apollinischen. Die Kontrastierung vom Ge- witter und der zärtlichen Liebesszene zwischen dem Schwan und der jungen Frau kann demnach auch als Gegensatz von dionysischem und apollinischem Prinzip gesehen werden. Aufgrund des bildhaften Charakters dieser Szene kann die Vereinigung von Schwan und Mädchen als apollinische, das heißt als bildliche Umsetzung des dionysi- schen Gewitters gedeutet werden. Indem Lampe den grundsätzlich musikalischen Cha- rakter des Gewitters betont741 und die Episode von Schwan und Mädchen ausdrücklich als „Szene“ und „Bild“742 bezeichnet, erweist er sich als Adept Nietzsches. In seiner einflußreichen Abhandlung Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Mu- sik setzt Nietzsche das Apollinische als Bereich des Traumes und der bildnerischen Umsetzung des Rauschzustandes dem Dionysischen gegenüber. Anders als der dionysi- sche erfährt der apollinische Künstler die Einheit des Seins im Schein. Über den atti- schen Lyriker, der zugleich Dichter und Musiker ist, schreibt Nietzsche: Er ist zuerst, als dionysischer Künstler gänzlich mit dem Ur-Einen, seinem Schmerz und Widerspruch, eins geworden und producirt das Abbild dieses Ur-Einen als Musik, wenn anders diese mit Recht eine Wiederholung der Welt und ein zweiter Abguss derselben genannt worden ist; jetzt aber wird diese Musik ihm wieder, wie in einem gleichnissartigen Traumbilde, unter der apollinischen Traumeinwirkung sichtbar. Jener bild- und begrifflose Widerschein des Urschmerzes in der Musik, mit seiner Erlösung im Schei- ne, erzeugt jetzt eine zweite Spiegelung, als einzelnes Gleichniss oder Ex- empel. Seine Subjectivität hat der Künstler bereits in dem dionysischen Pro- zess aufgegeben: das Bild, das ihm jetzt seine Einheit mit dem Herzen der

740 Ebd., S. 64. 741 „Und wieder ein schwüles Ziehen des Windes und soviel Erwartung und unheimliches Kreisen, und in alles hinein der flatternde Blitzschein und das dunkle Pauken des Donners.“ Ebd., S. 64. Vgl. „Schwül war es gewesen und dumpf und still in der Stadt, und traurig war das Leben geflossen, aber nun rauschte und knatterte das Gewitter, und es war ein Lachen und Schreien und Jubeln ausgebro- chen in den Lüften und ein Pauken- und Beckenschlagen, […]“ Ebd., S. 70. 742 „Und Christian Runge war stehengeblieben und guckte auf das Mädchen und den Schwan und auf das Weiche und Schöne der Szene, dies Schmiegen und Kosen und Aneinanderdrängen in all dem gä- renden Aufruhr. Und er versank tief in dem Bilde, […]“ Ebd., S. 65. 161 Welt zeigt, ist eine Traumscene, die jenen Urwiderspruch und Urschmerz, sammt der Urlust des Scheins versinnlicht.743 Lampe stellt an der Figur Runges den Entstehungsprozeß von Dichtung dar: Zu Hause angekommen, verfaßt Runge in „fieberhafter Hast“744 eine Bearbeitung des Ledastoffes, zu der ihn das Gewitter und die kleine Szene inspiriert hat. Wie in Die Krise betont Lampe auch in Septembergewitter den dionysischen Ursprung der Dichtung, der sich im Schreibprozeß fortsetzt.745 Aus der Begegnung am Wall entsteht die mythologische Er- zählung vom Werben Zeus‘ um Leda, der eines Tages als Schwan verwandelt zu ihr kommt und mit ihr die Zwillinge Kastor und Pollux zeugt. Durch die Verknüpfung des Gesehenen mit dem Mythos entrückt dieses ins Zeitlose. Aufgrund der Entgrenzung und Vermischung der Elemente wird das Gewitter zum Gleichnis für den Geschlechtsakt, der durch die Verbindung zum mythischen Bereich zu einer Art Urzeugung wird.746 In der Entfesselung der Naturkräfte im Gewitter wie- derholt sich die Schöpfung der Welt, die sich als rauschhaftes Außersichsein auf den Künstler überträgt und dessen Inspirationsquelle ist. Das Gewitter wird zur Metapher des Dionysischen, durch das der Dichter an der göttlichen Schöpfungskraft teilhat und die Welt im apollinischen Schein der Kunst erneuert. Lampe greift hier die idyllische Metaphorik der Erneuerung der Natur durch das Gewitter auf und deutet dieses im Sin- ne von Nietzsches Produktionsästhetik um. Wie Hofmannsthal und andere Schriftsteller der Jahrhundertwende verknüpft auch Lampe diese Positionen mit der traditionellen Auffassung des Dichters als Wiederhersteller der göttlichen Ordnung.

743 Friedrich Nietzsche (1972), S. 39/40. 744 Sg., S. 74. 745 „Rausch, Trunkenheit, Außersichsein, die Verse müssen aus uns herausbrechen mit elementarer Ge- walt, ‚es‘ muß aus uns heraussingen, und wir sind nur die Instrumente, auf denen kosmische Ge- walten spielen.“ Friedo Lampe, Die Krise (1996), S. 149. Vgl. „Bei mir geht ja alles sehr im Unbe- wußten, Vegetativen vor sich, mit dem Willen und Verstand ist nichts bei mir zu machen. Ich gehö- re zu den Rauschhaft-Mänadischen wie Hofmannsthal. Die sind schrecklich abhängig von Stim- mung, freudiger Lebensatmosphäre, Lebensüberfluß – es muß in ihnen hochsteigen, das Rauschge- wässer – muß an zu strömen fangen, nur in diesem Zustand kann ich schreiben. Und ‚es‘ will nicht kommen.“ Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 24.11.1944, in Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 121. 746 „Und dann kam ein Abend, gewitterdunkel und stürmisch, mit fahlem Licht und fliegenden Schatten, und einem Wühlen in den Bäumen, ein Seufzen und Verlechzen, und Wolken, hindrängenden, und drohendem Himmel, blauschwarz und grau, und alles ein Kreisen und Ineinanderfluten, und einen Augenblick Stille, einen Augenblick Atemanhalten, aber dann brach es erst los, klatschwarmer Re- gen, und der Wind stieß mein Fenster auf, ich sank hin auf die Knie, und da kam er, großflügelig rauschend über die Baumwipfel, grauweiß erschimmernd, von Blitzen umflammt: der Schwan, der Schwan-“ Sg., S. 75/76. 162 4.2.2.2.3. Ekphrastische Beschreibungen als Verbildlichungen des Dionysi- schen Lampe gestaltet die Begegnung zwischen Leda und dem Schwan ausgesprochen bild- haft, womit er sich auf die Tradition der Ekphrasis in der Idylle bezieht. Innerhalb die- ser Gattung ermöglichen die integrierten Bildbeschreibungen ein mehrdimensionales Erzählen und kommen gleichzeitig dem additiven Aufbau der Idylle entgegen. Die für Lampe charakteristische Verbindung von Gattungsmerkmalen der Idylle mit der Nietz- sche verpflichteten Auffassung des Dionysischen und des Apollinischen, läßt sich auch bei diesen bildhaften Elementen feststellen. Da Lampe in der Prosasammlung Von Tür zu Tür aus der Beschreibung von konkreten Gemälden eigenständige Erzählungen entwickelte747, ist zu vermuten, daß er auch bei dem in der Kunst so häufig bearbeiteten Stoff auf ein Vorbild aus der Malerei zurück- gegriffen hat. Die eigentliche Vereinigung von Leda und dem Schwan erinnert in der Anordnung an Correggios Leda mit dem Schwan748, wobei der Maler die Chronologie der Erzählung in einem Simultanbild einlöst, indem er die Ankunft des Schwans, die Vereinigung und den Abschied gleichzeitig darstellt. Aufgrund der zahlreichen Fassun- gen dieses Stoffes und eines fehlenden Hinweis von seiten Lampes ist eine eindeutige Zuordnung jedoch nicht möglich. Die Geschichte von Odysseus bei Nausikaa, die der Dichter Runge anstelle der von Le- da und dem Schwan seiner Schwester erzählt, kann hingegen als Bildbeschreibung von Rubens‘ Odysseus auf der Phäakeninsel749 gedeutet werden, da Aufbau und Erzähl- struktur von Text und Bild durchaus miteinander vergleichbar sind. Wie Homer im sechsten Gesang der Odyssee berichtet, überrascht Odysseus, nachdem er an die Küste der Phäaken gespült wurde, die Königstochter Nausikaa mit ihren Mäg- den beim Wäsche waschen am Wasser, wohin sie sich auf eine Weissagung Athenes begeben hatte. Nausikaa verliebt sich in Odysseus, nimmt ihn mit in die Stadt, um ihn vor den König zu führen. In seinem Gemälde, das zwischen 1630 und 1634 entstanden ist, gestaltet Rubens den Moment, in dem Odysseus nur mit einem Ölbaumzweig seine Blöße verdeckend, vor

747 Siehe 4.3.1.3. 748 David Ekserdjian, Correggio, New Haven 1997, S. 289. 749 Otto von Simson, Peter Paul Rubens (1577-1640). Humanist, Maler und Diplomat, Mainz 1996, S. 397. 163 die Frauen tritt, um diese um Hilfe zu bitten.750 Während die Mägde überrascht und ver- ängstigt reagieren, bleibt Nausikaa ihm zugewandt. Ihre ruhige Haltung deutet bereits ihren Entschluß an, ihn zu unterstützen. Die Determiniertheit des menschlichen Han- delns bringt Rubens dadurch zur Anschauung, daß er gleichzeitig mit der Begegnung von Odysseus und Nausikaa im linken Vordergrund des Bildes den Götterrat darstellt, wie er gerade über Odysseus‘ Schicksal entscheidet. Rubens‘ Odysseus auf der Phäake- ninsel ist gedämpft in der Farbgebung. Aus der Dämmerung, die über die heroische Landschaft sinkt, heben sich allein die hellen Körper, die roten Gewänder der Frauen und die hellen Wolkenränder hervor. Einzelne Gebäude werden vom letzten Sonnen- licht bestrahlt. Diese Abendstimmung bildet auch die Atmosphäre der in Septembergewitter eingefüg- ten Bildbeschreibung: Die Sonne ging auf der anderen Seite der Insel unter, man konnte sie nicht mehr sehen, die waldige Bucht begann sich schon mit brauner Dämmerung zu füllen, da sagte Nausikaa: „Jetzt kann ich nicht mehr“, und sie hörten auf mit dem Ball zu spielen, und setzten sich auf einen kleinen Grashügel und schauten über den Strand, wo die Wäsche ausgebreitet lag, und zum Meer. Es war sehr schön, zu sehen, wie das Blau des Meeres immer dunkler und dunkler wurde, und sie schwiegen eine lange Zeit, müde und zufrieden, und genossen die Stille und hörten das Rauschen vom Strande.751 Gegenüber der Bildvorlage, die hier erstmals identifiziert werden konnte, verändert Lampe nur wenig. Anders als Rubens, der das Zusammentreffen von Nausikaa und O- dysseus gemäß der Prädispositionen der Malerei simultan wiedergibt, löst Lampe die Darstellung in die Chronologie der Erzählung auf und ergänzt sie um zusätzliche dra- matische Elemente. Das Abenteuer des Odysseus wird zum Genrebild mit heiteren i- dyllischen Zügen. Die sprachliche Umsetzung bewirkt, daß die Entwicklung der Er- zählung stärker gewichtet wird, was vor allem in der von Lampe beigefügten Figur der Strandnymphe Aleppa deutlich wird, die versucht, Nausikaa vor einer Enttäuschung zu bewahren, womit deren späterer Selbstmord angedeutet wird. Innerhalb des Romans können diese Bildbeschreibungen als apollinische Verbildli- chungen des Dionysischen verstanden werden.

750 Vgl. „Da geschah es plötzlich, daß sich dicht hinter ihnen der Ölbaumbusch raschelnd bewegte, und eine Gestalt trat hervor, die Mädchen schrien hell auf, ein nackter Mann, er hielt sich einen Öl- baumzweig vor den Leib und war ganz schlammbedeckt.“ Sg., S. 104. 751 Ebd., S. 103. 164 4.2.3. Die Bedeutung der Visualität für Septembergewitter Die eingeschriebenen Bildbetrachtungen verweisen auf den für den Roman bedeutenden Komplex der Visualität. Damit verbindet sich in Septembergewitter die grundsätzliche Relevanz der Sinne für die Idylle mit der zunehmenden Betonung des Sichtbaren in der Moderne.752 Indem Lampe mit der Figur Gyldenlövs in der überarbeiteten Fassung einen der Namen aus Rainer Maria Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge753 zitiert754, betont er nachträglich die Bedeutung der visuellen Wahrnehmung für Septem- bergewitter. Exemplarisch dafür steht Rilkes Roman, in dem der Protagonist Malte Lau- rids Brigge in Paris das Sehen neu lernen will. Gleichzeitig ergibt sich der hohe Stel- lenwert der Visualität für Septembergewitter durch die Verknüpfung mit dem Motiv der Ballonfahrt, das innerhalb der Rahmenerzählung die Perspektivierung eines Panoramas schafft und innerhalb der Binnengeschichte in eine Form des filmischen Erzählens ü- bergeht. Indem Lampe das anachronistisch wirkende Motiv des Freiluftballons über- nimmt, umgeht er die problematisch gewordene Wirklichkeit des Jahres 1937 zugunsten einer Vorkriegszeit, die durch die weitgehende Abwesenheit von Technik und durch einen verklärten idyllischen Zug geprägt war755, der durch die Literarizität dieses Motivs verbürgt ist.756 Gleichzeitig betont Lampe mit dieser Perspektive den visuellen Aspekt des Romans. Dabei beeinflußt wurde Lampe wahrscheinlich von Manfred Hausmann, der in seiner Erzählung Abel mit der Mundharmonika 1932 ebenfalls den Topos des Fesselballons aufgreift757 und eine Luftfahrt beschreibt, die durch ein Gewitter auf abenteuerliche Weise gefährdet wird. Anders als Hausmann bezieht Lampe jedoch die Ballonfahrt als eigenständige, emanzipatorische Perspektive mit ein.

752 „Die bürgerlich-realistische Literatur des 19. Jahrhunderts ist geprägt von einer Hypertrophie des Sichtbaren, die allerdings erst im 20. Jahrhundert ihre adäquate Medien Kino und Fernsehen be- kommen wird.“ Joachim Paech, Literatur und Film, Stuttgart 1988, S. 61. 753 Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, in: Rilke Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden, Band 3, Prosa und Dramen, hrsg. von August Stahl, Frankfurt 1996, S. 534. 754 Eckehard Czucka (1995), S. 428. 755 „‘Ballonfahrt‘ ist von Jean Paul bis Robert Walser ein Symbol idyllischen Darüberhinausschwebens: alles Irdische und Allzu-Menschliche verliert seine Schwere, und in glücklicher Entrücktheit wird die Welt zum Spielzeug- und Spielparadies.“ Hermann Glaser (1969), S. 33. 756 Eckehard Czucka sieht das Motiv der Ballonfahrt als Form der Intertextualität an. Eckehard Czucka (1995), S. 434. 757 Ebd., S. 427. 165 4.2.3.1. Die Erfindung des Freiluftballons und seine Bedeutung für den Pano- ramaroman Die Entdeckung des Sauerstoffs durch Joseph Priestley hatte es vorbereitet: Am 5. Juli 1783 starteten die Brüder Joseph und Etienne Montgolfier einen Heißluftballon bei An- nonay. Er erreichte eine Flughöhe von 2000 Metern, und die Fahrt dauerte zehn Minu- ten.758 Nur wenig später ließ Jacques Alexandre César Charles gemeinsam mit den Me- chanikern Jean und Nicolas Robert, durch die Académie Royale des Sciences wissen- schaftlich unterstützt, die erste Charlière auf dem Marsfeld bei Paris steigen. Anders als die Montgolfière wurde die Charlière mit Gas betrieben. Gegenüber der mit erwärmter Luft betriebenen Konstruktion der Montgolfiers, hatte sie den Vorteil, in der Luft nicht neu beheizt werden zu müssen, um das Zusammenziehen der Oberfläche bei der Fahrt zu verhindern. Durch die Möglichkeit der Drucksenkung und des Abwerfens von Bal- last war die Erfindung von Charles leichter zu lenken als der Heißluftballon der Mont- golfiers. Der Triumph der ersten bemannten Ballonfahrt kam jedoch den Brüdern Montgolfière zu. Obgleich die Besatzung, die sich aus einem Schaf, einem Hahn und einer Ente zusammensetzte, von den Zeitgenossen verspottet wurde759, erregte der acht- minütige Flug am 19.9.1783 der „Martial“ großes Aufsehen in Paris. Bereits die ersten Flugversuche wurden spektakulär inszeniert. In der Folge waren Ballonfahrten bei höfi- schen Festakten und volkstümlichen Veranstaltungen760 ein wichtiger Bestandteil des Programms, und fanden als eigenständige Thematik vor allem in die Gelegenheitsdich- tung Eingang. In Paris wurde das Ereignis zum Tagesgespräch. Der deutsche Korres- pondent Melchior Grimm berichtete: Nie hat eine Seifenblase Kinder so ernsthaft beschäftigt wie der „aerostati- sche Ballon“ der Herren Montgolfier Stadt und Hof seit vier Wochen; in al- len unseren Zirkeln, bei allen unseren Soupers, an den Toilettentischchen unserer hübschen Damen wie in unseren akademischen Schulen spricht man nur noch von Experimenten, atmosphärischer Luft, entzündbarem Gas, flie- genden Wagen und Reisen durch die Lüfte. Würde man alle diese Projekte, Hirngespinste und Überspanntheiten sammeln, die die neue Entdeckung hervorgerufen hat, so ergäbe das ein Buch, toller als von Cyrano de Berge-

758 Alfred Eckert, Zur Geschichte der Ballonfahrt, in: Leichter als Luft. Zur Geschichte der Ballonfahrt. Ausstellungskatalog, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, hrsg. von Bernard Korzus, Gisela Noehles, Münster 1978, S. 17. 759 Ebd., S. 23. Vgl. auch: Johann August Weppen, Die Ente, der Hammel und der Hahn in Montgolfiers Luftschiffe. Eine Fabel, in: Eckhard Schinkel, „Süßer Traum der Poeten“: der Freiballon. Zu den Möglichkeiten und Grenzen der Motivuntersuchung, Frankfurt 1985, S. 139. 760 Blanchard trat Ende des 18. Jahrhunderts mit seinem Ballon im Prater auf. „Diese Lokalität hat inso- fern Symbolwert, als sich der Ballonflug schon am Ende des 18. Jahrhunderts und vollends nach der Jahrhundertwende zu einem beliebten öffentlichen Spektakel – freilich mit nachlassendem Sensati- onswert entwickelte.“ Reisen im Luftmeer. Ein Lesebuch zur Geschichte der Ballonfahrt von 1783 (und früher) bis zur Gegenwart, hrsg. von Karl Riha, München 1983, S. 351. 166 rac. Ich habe unsere Kaffeehauspolitiker mit wahrhaft patriotischem Schmerz schon die Steigerung der Ausgaben errechnen sehen, den der un- umgängliche Aufbau einer Luftflotte zweifellos mit sich brächte. Ich habe andere schon bei dem glücklichen Gedanken lächeln sehen, dafür ein recht einträgliches Amt für einen Minister einzurichten, der sich voller Ungeduld, kein anderes zu erhalten, damit vielleicht begnügen würde.761 Am 21.11.1783 gelang Jean-François Pilâtre de Rosier und François Laurent Marquis d’Arlandes die erste bemannte Fahrt bei La Muette, die dreiundzwanzig Minuten dau- erte. Nur wenig später, am 1. Dezember folgte Charles‘ Flug mit dem Gasballon bei Nesle. Die Charlière war es auch, die letztendlich technisch die Montgolfière überflü- gelte, da diese wegen ihrer Konstruktionsfehler nicht weiterentwickelt wurde.762 Spä- testens die Ärmelkanalüberquerung Jean Pierre Blanchards am 7.1.1785 machte deut- lich, daß der Fesselballon ein ernstzunehmendes Fluggerät war und daß der Mensch sich den uralten Traum des Fliegens erfüllt hatte. Die Erfindung des Ballons beschloß den Mythos von Ikarus mit einem glücklichen Ende und wurde mit einer Mischung aus Fortschrittsgläubigkeit und Besorgnis wahrgenommen. In den Maximen und Reflexio- nen schreibt Goethe rückblickend: Wer die Entdeckung der Luftballone miterlebt hat, wird ein Zeugnis geben, welche Weltbewegung daraus entstand, welcher Anteil die Luftschiffer be- gleitete, welche Sehnsucht in soviel tausend Gemütern hervordrang, an sol- chen längst vorausgesetzten, vorausgesagten, immer geglaubten und immer unglaublichen, gefahrvollen Wanderungen teilzunehmen, wie frisch und umständlich jeder einzelne glückliche Versuch die Zeitungen füllte, zu Ta- gesheften und Kupfern Anlaß gab, welchen zarten Anteil man an den un- glücklichen Opfern solcher Versuche genommen. Dies ist unmöglich selbst in der Erinnerung wiederherzustellen, so wenig, als wie lebhaft man sich für einen vor dreißig Jahren ausgebrochenen, höchst bedeutenden Krieg interes- sierte.763 Die Luftfahrt galt als eine technische Revolution, der man auch Auswirkungen auf die Gesellschaft zutraute. Denn wer die Schwerkraft überwinden konnte, würde auch eines Tages soziale Beschränkungen hinter sich lassen. Die Entgrenzung des Horizontes wur- de als Vorbote einer politischen Befreiung wahrgenommen. Hundert Jahre nach dem ersten Ballonflug der Montgolfièrs verband Victor Hugo mit dem Fesselballon eine Demokratisierung der Gesellschaft.764 Nicht zuletzt aufgrund des neuen Forschertypus, der diese technische Entwicklung möglich gemacht hatte, knüpfte man an die Luftfahrt

761 Melchior Grimm, Paris zündet die Lichter an. Literarische Korrespondenz, hrsg. von Kurt Schnelle, München 1977, S. 438. 762 Alfred Eckert (1978), S. 35. 763 Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, in: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, hrsg. von Erich Trunz, Band 12, München 1978, S. 391. 764 Stephan Oettermann, Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Frankfurt 1980, S. 15. 167 die Emanzipation des bürgerlichen Individuums.765 Wieland charakterisiert so den ersten bemannten Flug Charles‘ als Chiffre des menschlichen Fortschritts. Herr Charles, der sich in seinem aërostatischen Wagen über 1500 Klafter hoch erhoben, und nach einer zweystündigen Luftreise, neun Stunden von dem Orte, wo er eingestiegen war, sich wieder herab liess, ist ein sehr ernst- hafter Gegenstand für das ganze Menschengeschlecht. Und da dieser Erfolg nicht das Werk eines geglückten Zufalls, sondern scharfsinnig beobachteter, verbundener und genau berechneter Naturwirkungen war: so kann man wohl ohne Vergrösserung behaupten, dass der menschliche Verstand seit Jahrtau- senden nichts erfunden und zu Stande gebracht habe, das von dieser Erfin- dung nicht verdunkelt würde. Man kann sich nun die weiteren Erfolge und die künftige Vervollkommnung derselben mit einer Art von Gewissheit vor- aus versprechen. Die Wunder, die uns der um so viel erleichterte Fortschritt von einer Entdeckung zur anderen erwarten heisst, sind ebenso unabsehbar, als die Vortheile, die sich davon über die künftigen Jahrhunderte ausbreiten werden.766 Nicht alle waren jedoch so optimistisch. In der Novelle Der Condor verknüpft Adalbert Stifter die Ballonfahrt mit der Gleichberechtigungsbewegung der Frau.767 Um ihre Un- abhängigkeit zu beweisen, begleitet Cornelia zwei Wissenschaftler auf ihrem Ballon- flug, fühlt sich aber letztendlich dem Unternehmen nicht gewachsen, so daß dieses ih- retwegen verfrüht abgebrochen werden muß. Der vertraute Anblick von Himmel und Erde verfremdet sich für Cornelia in dieser Höhe zum apokalyptischen Alptraum.768 Als Folge der hybriden Fahrt verliert sie die Liebe des Malers Gustav und verfehlt damit ihre eigentliche weibliche Bestimmung. Obwohl bereits 1785 die erste

765 Ebd., S. 15. 766 , Die Aëronautin, in: Ders., Sämtliche Werke, Band 10, Hamburg 1984, S. 44/45. 767 „Aber, wie sie hier schiffte, war in ihr nicht mehr zu erkennen jene kühne Cornelia, die gleich ihrer altrömischen Namensschwester erhaben sein wollte über ihr Geschlecht und gleich den heldenmüti- gen Söhnen derselben, den Versuch wagen, ob man nicht die Bande der Unterdrückten sprengen möge, und die an sich wenigstens ein Beispiel aufstellen wollte, daß auch ein Weib sich frei erklä- ren könne von den willkürlichen Grenzen, die der harte Mann seit Jahrtausenden um sie gezogen hatte – frei, ohne doch an Tugend und Weiblichkeit etwas zu verlieren.“ Adalbert Stifter, Der Con- dor, in: Ders., Erzählungen in der Urfassung, Darmstadt 1963, S. 10/11. 768 „Der erste Blick Cornelias war wieder auf die Erde - es war nicht mehr das wohlbekannte Vaterhaus: in einem fremden, goldenen Rauche lodernd, taumelte sie gleichsam zurück, an ihrer äußersten Stir- ne das Mittelmeer wie ein schmales gleißendes Goldband tragend, überschwimmend in unbekannte phantastische Massen. Erschrocken wandte die Jungfrau ihr Auge zurück, als hätte sie ein Ungeheu- er erblickt, - aber siehe, auch um das Schiff walleten weithin weiße, dünne, sich dehnende und re- gende Leichentücher - von der Erde gesehen Silberschäfchen des Himmels - zu diesem Himmel nun floh ihr Blick - aber das Himmelsgewölbe, die schöne blaue Glocke unserer Erde, war ein ganz schwarzer Abgrund geworden, ohne Maß und Grenze in die Tiefe gehend - das Labsal, das wir so gedankenlos genießen, war hier oben ganz verschwunden, die Fülle und Flut des Lichtes auf der schönen Erde.“ Ebd., S. 14. 168 Frau in einen Fesselballon stieg769 und viele dem Beispiel von Mrs. Sage folgten770, kommentiert einer der Wissenschaftler in der Erzählung Stifters von 1840 Cornelias Zusammenbruch mit dem Urteil „das Weib erträgt den Himmel nicht“.771 Die formale Ähnlichkeit eines Fesselballons mit einer Seifenblase machte die Luftfahrt in den Augen vieler Zeitgenossen zum hybriden Spiel, zum Vanitassymbol.772 Anma- ßender noch als die technische Möglichkeit des Fliegens erschien den Skeptikern die gottgleiche Sicht auf die Erde. Die Entwicklung der Technik geht hier mit der Ge- schichte der Wahrnehmung, der Entdeckung des Panoramas einher. Nach dem Ballon- aufstieg am 13. und 14. Dezember 1783 schildert Charles seine Eindrücke: Nichts wird jemals in meinem Leben, der frohen Empfindung gleich kom- men, die mich erfüllte, da ich mich über die Erde erhub; es war kein Ver- gnügen, es war wirkliches Glück. Den fürchterlichen Qualen des Hasses und der Verläumdung entflohen, fühlte ich, daß ich alle meine Feinde beschäm- te, indem ich mich über sie alle erhub. Auf dieses moralische Gefühl folgte bald in mir eine andere noch weit lebhaftere Empfindung; es war das von uns noch nie gesehene majestätische Gemälde der ganzen Natur, das in sei- ner ganzen Unendlichkeit vor uns lag; unter uns die Menge von mehr als drey mal hundert tausend Zuschauern, die sich uns wie eine Wiese darbot; über uns der gewölbte lachende Himmel, dem auch nicht ein einziges Ge- wölke das geringste seiner ganzen Schönheit genommen hatte; und in der Ferne der entzückendste Anblick.773 Die bürgerliche Emanzipation wurde in enge Verbindung mit der Panoramaperspektive gebracht, wie sie nun in unerwarteten Ausmaßen der Fesselballon bot. In dieser Höhe erschien alles Irdische weit entfernt und machte aus dem Erdentreiben einen ästheti- schen Anblick, zu dem man eine distanzierte Haltung einnehmen konnte. Der Aussicht, die sich den Luftpionieren bot, sprachen viele die Bedeutung eines säkularisierten Schöpferblicks zu. In dem 1801 im komischen Anhang des Titans erschienenen Reisebericht Des Luft- schiffers Giannozzo Seebuch von Jean Paul ist die Panoramaperspektive als göttlich, als

769 Leichter als Luft (1978), S. 72. 770 Die bekanntesten waren Madame Blanchard, Madame Garnerin und ihre Nichte Elise, die Engländerin Graham und Wilhelmine Reichardt. Vgl. Ebd., S. 107. 771 Adalbert Stifter (1963), S. 15. 772 Karoline von Günderode charakterisiert die Luftfahrt in dem Gedicht Der Luftschiffer von 1803 als hybride Anmaßung: „Aber ach! es zieht mich hernieder / Nebel überschleiert meinen Blick, / Und der Erde Gränzen seh ich wieder, / Wolken treiben mich zu ihr zurük. / Wehe! das Gesez der Schwere / Es behauptet neu sein Recht, / Keiner darf sich ihm entziehen / Von dem irdischen Ge- schlecht“ Karoline von Günderode, Der Luftschiffer, in: Dies., Sämtliche Werke und ausgewählte Studien, Historisch-Kritische Ausgabe, hrsg. von Walter Morgenthaler, Band 1, Texte, Basel 1990, S. 490. 773 Jacques Alexandre César Charles, Zum Ballon-Aufstieg am 13./14. Dezember 1783, in: Reisen im Luftmeer (1983), S. 50. 169 Annäherung an die Sonne und damit an die Wahrheit774 charakterisiert, die mit einer Entfernung von der Erde und den menschlichen Verwirrungen verbunden ist. Das ab- solutistische Zeitalter, in dem der Monarch die irdische Sonne symbolisch repräsentiert hatte, war zu Ende. Die Ballonfahrt als Perspektive und Fortbewegung bestimmt die ganze Erzählung Jean Pauls, die anstelle von Kapiteln in Fahrten unterteilt ist. Was sich unter Giannozzo ausbreitet, präsentiert sich ihm als schlechtes Welttheater, als Addition von Kriegen, politischen Konflikten und den Eitelkeiten seiner Zeitgenossen. Nur in der Luft erlebt sich der Außenseiter und Künstler Giannozzo als souveränes Individuum, das in Abhängigkeit von der Natur seine Freiheit genießt. Goethe deutet die Ballonfahrt letztendlich als Erzählhaltung und als Chiffre für die Dichtung selbst.775 Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, daß sie, als ein weltliches Evan- gelium, durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen, uns von den irdi- schen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen, und läßt die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt dalie- gen.776 Bereits der Luftpionier Charles beschrieb die unter ihm liegende Erde als „majestäti- sches Gemälde der ganzen Natur“777, und so gehorcht es einer inneren Logik, daß das Panorama nur wenige Jahre nach der Erfindung des Fesselballons entstand. Am 17.6.1787 ließ Robert Baker sich das Panorama patentieren.778 Das große zylindrische Gemälde mit dem Rundumblick von 360°, für das er eigens ein Gebäude entwickelt hatte, ermöglichte nun jedem nach der Bezahlung eines Eintrittgeldes, die Erfahrung der Ballonfahrer nachzuerleben.779 Abgebildet wurden auf dem „Bild ohne Grenzen“780 so- wohl Städteansichten als auch historische Ereignisse wie Schlachten oder Naturkatast- rophen. Auf die Entwicklungslinie vom Freiluftballon zum Panorama deuten auch die vielen Nachahmungen von Luftfahrten hin. Im Jahr 1900 hatte so Grimoin-Samsons für

774 „‚Aber ich strecke meine Arme (an meinem innern Menschen und neuen Adam hängen beide) Dank- betend gegen dich aus, göttliche Sonne, und danke dir, daß ich dir näher bin und ferner von den Menschen, sowohl von den Sachsen als von allen andern!‘“ Jean Paul, Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch. Almanach für Matrosen wie sie sein sollten, in: Ders., Sämtliche Werke. Historisch- kritische Ausgabe, Abteilung 1, Band 8, Weimar 1933, S. 425. „Mein Auge wurde naß, da es sich auf zwei getrennte, einander von Bergen verdeckte Menschen richten konnte, beide schmachtend und träumend, er die heilige Zukunft in Süden suchend und sie ihre in Norden; indes für mich wie für einen Gott alles nur Gegenwart war.“ Ebd., S. 463. 775 Wolfgang Hädecke, Poeten und Maschinen. Deutsche Dichter als Zeugen der Industrialisierung, Wien 1993, S. 83. 776 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit. Dritter Teil, 13. Band, in: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, hrsg. von Erich Trunz, Band 9, München 1978, S. 580. 777 Jacques Alexandre César Charles (1983), S. 50. 778 Stephan Oettermann (1980), S. 7. 779 Stephan Oettermann, Das Panorama – Ein Massenmedium, in: Sehsucht. Über die Veränderung der visuellen Wahrnehmung, hrsg. von Uta Brandes, Göttingen 1995, S. 74. 780 Das Kunstwort „Panorama“ bedeutet soviel wie Alles-Schau bzw. Alles-Sehen. Ebd., S. 79. 170 die Weltausstellung in Paris die Plattform seines Cosmoramas als Passagiergondel ges- taltet.781 Der Besucher des Panoramas sollte den Eindruck haben, er bestiege einen Bal- lon. Wenn sich bereits in der Schaffung panoramtischer Ausblicksorte der Anspruch auf Beherrschung der Welt ausdrückt, ist dieser im neuen Medium durch die Reproduktion vergangener Ereignisse oder bekannter Städteansichten noch stärker hervorgehoben. Die perfekte Illusion durch Technik und Kunst782 formuliert einen ästhetischen An- spruch auf Weltauslegung und deren Inbesitznahme. Diese Intention wurde von der Literatur Mitte des 19. Jahrhunderts im Panoramaroman übernommen.783 Die großen Zeitromane von Eugène Sue und Karl Ferdinand Gutzkow versuchten aus einer Art Überschau, die Gesellschaft so zu beschreiben wie sie sich ihnen darbot. In seinem Werk Die Ritter vom Geiste von 1850/51, das Gutzkow im Vorwort programmatisch Roman des Nebeneinander nennt, wird die additive Struktur durch die simultane Erzählweise erreicht. Sowohl das Fehlen eines eigentlichen Helden als auch die Gleichwertigkeit der Erzählstränge unterbinden, daß eine stringent erzählte Geschichte entstehen kann. Gutzkows Ziel war es, mit dem Panoramaroman einen ge- sellschaftlichen Querschnitt zu schaffen und damit den Bildungs- und Entwicklungsro- man abzulösen, der sich mit Goethe und in dessen Nachfolge ausgebildet hatte. Da- durch, daß sich im Roman das Bild der Welt aus einzelnen Segmenten zusammensetzt, steht sein ehrgeiziges Projekt eines solchen Zeitpanoramas bereits im Kontext der Mo- derne und ihres gesellschaftlichen Auflösungsprozesses.784 Gutzkow gibt jedoch die Einheit des Ganzen nicht preis, sondern stellt sie auf der Ebene des Erzählers wieder her. Der neue Roman ist der Roman des Nebeneinanders. Da liegt die ganze Welt! Da ist die Zeit ein ausgespanntes Tuch! […] Kein Abschnitt des Le- bens mehr; der ganze runde, volle Kreis liegt vor uns; der Dichter baut eine Welt und stellt seine Beleuchtung der der Wirklichkeit gegenüber. Er sieht aus der Perspektive des in den Lüften schwebenden Adlers herab. Da ist ein

781 Stephan Oettermann (1980), S. 69. 782 Heinz Buddemeier, Panorama, Diorama, Photographie. Entstehung und Wirkung neuer Medien im 19. Jahrhundert, Konstanz 1970, S. 17. 783 Achim Ricken sieht im panoramatischen Blick den Ursprung des Romans des 19. Jahrhunderts. Achim Ricken, Panorama und Panoramaroman. Parallelen zwischen der Panorama-Malerei und der Lite- ratur im 19. Jahrhundert, dargestellt an Eugène Sues Geheimnissen von Paris und Karl Gutzkows Ritter vom Geist, Frankfurt 1991, S. 2. 784 Nach Waltraud Maierhofer kann der Roman als Versuch gelten, „[…] in einer sich säkularisierenden Wirklichkeit, die in isolierte Einzelheiten zu zerfallen droht‘, mit Mitteln der Ästhetik ‚ein ein- heitsstiftendes Ganzes‘ darzustellen.“ Waltraud Maierhofer, ‚Wilhelms Meisters Wanderjahre‘ und der Roman des Nebeneinander, Bielefeld 1990, S. 47. 171 endloser Teppich ausgebreitet, eine Weltanschauung, neu eigentümlich, lei- der polemisch.785 Das Bild des Teppichs als Chiffre für den Panoramaroman greift Lampe in seiner poe- tologischen Schrift Die Krise auf.786 Wir können nicht mehr die Geschichte eines einzelnen Menschen schreiben, herausgerissen aus dem Zusammenhang, so wichtig ist uns der einzelne nicht mehr, wir sehen ihn verwoben in einem großen Lebensgewebe, mit tausend Fasern verbunden mit anderen Schicksalen, anderen Leben, wir se- hen nicht mehr den isolierten Einzelnen, sondern Menschengruppen, große Räume, zusammenfassende Panoramen.787 Der neue Roman, wie ihn die fiktive Figur Ernst hier propagiert, soll im Rückgriff auf die literarische Tradition des 19. Jahrhunderts entwickelt werden und neue Impulse durch den Film erhalten, der Anfang des 20. Jahrhunderts als technische Weiterent- wicklung des Panoramas gesehen wurde.788 Carlo Mierendorff beschreibt das Kino in Analogie zum Panorama als Pan-optikum, das im Vergleich zu anderen Medien größere Teile der Bevölkerung erreiche: Der Mensch, der sich bloß fragmentarisch spürt, hat den Drang, des Daseins Anfang und Ende in seine Hand zusammenzubiegen, auf dem Nabel der Er- de zu stehen. Aber in einer Zeit, die alle in Beziehung setzt mit allen, konnte das starre Bild nicht mehr genügen. Wechsel und Fülle mußten herbei. Da mußten die Leinwände lebendig werden, damit der Mensch, jener durch den höchsten Grunde der Unbewußtheit bedrängteste, der von unten her auf die Welt blickend nur den kleinsten Ausschnitt von ihr erfaßt, der ohne Über- blick und ohne Hinflug über die Landkarten ist, seiner bewußt werde, sich begreife und abgebildet sehe. So wurde das Kino. Und da im untersten Mensch, dem Abgesperrtesten von allen, dem Prolet, dieser Drang am ge- waltigsten ist, wurde das Kino sein. Das Kino ist sein Pan-optikum.789 Lampe übernimmt durch das Zitat des Topos der Ballonfahrt nicht eigentlich den Pano- ramaroman, sondern konfrontiert dessen harmonisierende Sicht vielmehr mit den Wi- dersprüchen der erzählten Wirklichkeit. Insofern relativiert er damit den Anspruch des Roman des Nebeneinanders auf einen authentischen Überblick aus der Distanz durch die ambivalente Darstellung in Septembergewitter. Dabei bedeutet nicht nur das Auf- zeigen der inhärenten Brüche dieser Realität eine Modernisierung, vielmehr erneuert er

785 Karl Ferdinand Gutzkow, Die Ritter vom Geist. Roman in neun Büchern, Frankfurt 1998, S. 9/10. 786 Auch Jochen Liebig hat in seiner Dissertation auf die Verbindung zwischen Lampe und Gutzkow hingewiesen. Jochen Liebig (o.J.), S. 58/59. 787 Friedo Lampe, Die Krise (1996), S. 150. Diese poetologische Absage an den Romanhelden deckt sich auch mit einer Passage aus einem Brief von 1921: „Wir können an keinen einzigen grossen Men- schen glauben wie George, das ist uns versagt, wir haben keine Propheten, keine Religion, kein ge- schlossenes Rund über uns zu dem wir beten können, […]. Friedo Lampe an Walter Hegeler am 4.6.1921, unveröffentl. Brief, DLA. 788 Dolf Sternberger, Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert, Frankfurt 1981, S. 59. 789 Carlo Mierendorff, Hätte ich das Kino, in: Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929, hrsg. von Anton Kaes, Tübingen 1978, S. 139. 172 den Panoramaroman auch dadurch, daß er ihn um ein filmisches Erzählen erweitert, das, wie Carlo Mierendorff betont, die folgerichtige Erweiterung einer visuellen Annäherung an die Wirklichkeit in der Moderne ist.

4.2.3.2. Filmisches Erzählprinzip bei Lampe Schon Am Rande der Nacht wurde im Kontext des Films rezipiert. Anders als die Lek- toren des Rowohltverlages, Ernst von Salomon und Paul Maier, die Lampes erste Ver- öffentlichung lobend in die Nähe von John Dos Passos‘ Manhattan Transfer rückten790, erschien Peter Suhrkamp der zweite Roman Lampes als zu filmisch und lehnte ihn aus diesem Grund ab, wie Lampe seinem Freund Johannes Pfeiffer schrieb.791 Tatsächlich tragen Lampes Montageromane Züge, die an die Episodenfilme seiner Zeit wie etwa Walter Ruttmanns Berlin. Sinfonie der Großstadt aus dem Jahr 1927 erinnern. Lampe selbst betont den Einfluß des Films bei seinem Erstlingswerk Am Rande der Nacht. Ge- genüber seinem Freund Pfeiffer erläutert er das Motto des Romans, die Zeilen aus dem Gedicht Hofmannsthals, als spezifisch filmische Form der Darstellung. Die Analogie zwischen Film und Literatur ergibt sich für Lampe durch die Verknüpfung mehrerer Erzählfäden. Lauter kleine filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hofmannsthalschen Motto: „Viele Geschicke fühle ich neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein“. Alles leicht und flie- ßend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch.792 In Hofmannsthals Manche freilich spricht sich das lyrische Ich für eine schicksalshafte Abhängigkeit verschiedener Lebensformen aus, die erst zusammen ein Ganzes ergeben. Bedenkt man, daß Lampe hier den Vers verfälscht - anstelle von „fühlen“ heißt es bei Hofmannsthal „weben“793 - erscheint die Textur der Dichtung im Original noch stärker hervorgehoben. An anderer Stelle bezieht sich Lampe jedoch auf die Metapher des Stof- fes bzw. des Teppichs im Hinblick auf den literarischen Text und dessen panoramati- schen Überblick. In Anlehnung an zitiert Lampe in Die Krise den „Tep- pich des Lebens“ als Gleichnis für die Ganzheit allen Seins.794 George hatte den Teppich

790 Paul Maier spricht von „einem sehr bewegten Scenenablauf mit Parallelismus der Vorgänge.“ Ver- lagsgutachten, DLA. 791 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 24.10.1937, unveröffentl. Brief, DLA. 792 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 14.2.1932, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 108. 793 „Viele Geschicke weben neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein, / Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens / Schlanke Flamme oder schmale Leier.“ Hugo von Hofmannsthal, Manche freilich, in: Ders. (1984), S. 54. 794 Friedo Lampe, Die Krise (1996), S. 150. 173 als Symbol einer kosmischen Einheit von Mensch und Tier aufgefaßt, in der alle Unter- schiede aufgehoben und in einer Synthese vereint sind.795 Mit diesem Bild greift Lampe ein weitverbreitetes Motiv der Literatur der Jahrhundertwende auf796, was auf seine Ab- hängigkeit von dieser Strömung auch in bezug auf seine avantgardistische Technik hin- weist.797 Der Vergleich mit dem Teppich, auf den Lampe auch hinsichtlich des Panoramaromans zurückgreift, beschreibt jedoch auch eine Textstruktur, wie sie für die moderne Literatur überhaupt bestimmend wurde. Robert Musil hat so den Roman ebenfalls als flächig cha- rakterisiert, er spricht jedoch nicht von einer geordneten, stimmigen, sondern von einer verworrenen Ebene.798 Obgleich Musils Romanpoetologie wesentlich komplexer und in sich brüchiger wirkt als die Lampes, sind beiden Entwürfen jedoch der offene Charakter des Textes und der Verzicht auf psychologische sowie kausale Motivation gemeinsam. Auch Béla Bálazs hat in Der sichtbare Mensch, der ersten ästhetischen Theorie des Stummfilms, die bildhafte Flächigkeit des Filmes gegenüber der Literatur hervorgeho- ben und in Konsequenz dazu, die Bedeutung des Sichtbaren als Zeichenträger herausgestellt.799 Da es auf der zweidimensionalen Bildfläche des Films kein „Dahinter“ und keine „verborgene“ Bedeutung geben kann, versucht eben der Film jenen

795 „Hier schlingen menschen mit gewächsen tieren / Sich fremd zum bund umrahmt von seidner franze / Und blaue sicheln weisse sterne zieren / Und queren sie in dem erstarrten tanze.“ Stefan George, Der Teppich, in: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel, in: Ders., Sämtliche Werke in 18 Bänden, Band 5, Stuttgart 1984, S. 36. 796 In der Lyrik Else Lasker-Schülers findet sich der Teppich als Bild für die unverbrüchliche Verbindung zweier Liebenden. „Deine Seele, die die meine liebet / Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet / Strahl in Strahl, verliebte Farben, / Sterne, die sich himmelang umwarben.“ Else Lasker-Schüler, Ein alter Tibetteppich, in: Dies., Werke und Briefe. Kritische Ausgabe, Band 1, 1, Frankfurt 1996, S. 130. 797 „Diese Impressionen werden zusammengeführt im Zitat des jungen Hofmannsthal. So scheint sich mit dem Film ein poetisches Programm der Jahrhundertwende zu erfüllen.“ Johannes Graf (1989/90), S. 26. 798 „[…] daß das Gesetz dieses Lebens, nach dem man sich, überlastet und von Einfalt träumend, sehnt, kein anderes sei als das der erzählerischen Ordnung! Jener einfachen Ordnung, die darin besteht, daß man sagen kann: ‚Als das geschehen war, hat sich jenes ereignet! Es ist die einfache Reihenfol- ge, die Abbildung der überwältigenden Mannigfaltigkeit des Lebens in einer eindimensionalen, wie ein Mathematiker sagen würde, was uns beruhigt; die Aufreihung alles dessen, was in Raum und Zeit geschehen ist, auf einen Faden, eben jenen berühmten ‚Faden der Erzählung‘, aus dem nun also auch der Lebensfaden besteht. […] Und Ulrich bemerkte nun, daß ihm das primitiv Epische abhan- den gekommen sei, woran das private Leben noch festhält, obgleich öffentlich alles schon unerzäh- lerisch geworden ist und nicht einem ‚Faden‘ mehr folgt, sondern sich in einer unendlich verwobe- nen Fläche ausbreitet.“ Robert Musil (1978), S. 650. 799 „Eigentlich spreche ich schon die ganze Zeit darüber, daß die Dinge im Film eine symbolische Be- deutung haben. Man könnte einfach ‚Bedeutung‘ sagen. Denn ‚symbolisch‘ heißt ja soviel wie Be- deutung haben, über seinen eigenen Sinn noch einen weiteren meinen. Das Entscheidende dabei für den Film ist, daß alle Dinge, ohne Ausnahme, notwendigerweise symbolisch sind.“ Béla Bálazs, Der sichtbare Mensch oder Die Kultur des Films, in: Ders., Schriften zum Film, Band 1, Der sicht- bare Mensch, Kritiken und Aufsätze 1922-1936, hrsg. von Helmut H. Diederichs, Wolfgang Gersch, Magda Nagy, München 1982, S. 103. 174 doppelten Boden der Tiefe, der in der Literatur als ein Hintereinander er- scheint, in ein Nebeneinander aufzulösen.800 Bálazs setzt den Film in den Kontext der Rationalitätskritik der Jahrhundertwende und sieht in seiner visuellen Ausdruckskunst eine Möglichkeit, die Sprachkrise der Moderne zu überwinden und die begriffliche Kultur hinter sich zu lassen: Es ist die schmerzliche Sehnsucht des Menschen einer verintellektualisier- ten und abstrakt gewordenen Kultur nach dem Erleben konkreter, unmittel- barer Wirklichkeit, die nicht erst durch das Sieb der Begriffe und Worte filt- riert wird.801 Anstelle einer stringent entwickelten Geschichte läßt Lampe in seiner Schrift Die Krise den Dichter Ernst sich für ein Netz von Bildern und Motiven aussprechen, die den Text in Analogie zum Film strukturieren: Wir erzählen viel zu umständlich und ergehen uns ermüdend in breiten Na- turschilderungen, Seelenanalysen, Erläuterungen und endlosen Dialogen - alles nicht mehr nötig. Wir müssen weglassen, überflüssige Übergänge he- rausschneiden, die wesentlichen Momente herausheben - unsere Kombinati- onsfähigkeit, unser Erfassungsvermögen ist so gesteigert und verfeinert, un- ser Sinn durch den Film so geübt im schnellen Verbinden und Erraten blitz- artig aufleuchtender Zusammenhänge, daß schon die knappsten Andeutun- gen genügen.802 In Septembergewitter verwirklicht Lampe dieses Konzept durch aufeinander verweisen- de Namen oder Motive und mittels der Technik der Montage. Die simultane oder pa- rallele Verbindung von Motiven und Szenen bewirkt, daß die Ereignisse sich im glei- chen Augenblick zu ereignen scheinen, miteinander in Korrespondenz treten und sich so gegenseitig erhellen. Gleichzeitig erhält der Roman durch diesen Schnitt seinen Rhyth- mus, der einen der Musik verwandten Aufbau erkennen läßt. Das Verhältnis von Film und Literatur wurde in den zwanziger Jahren ganz in der Dis- kussion um eine Erweiterung der Darstellungsformen der modernen Kunst gesehen. In diesem Sinne beantwortete George Grosz die eingangs zitierte Umfrage Paul West- heims nach einem neuen Naturalismus mit dem Medium des Films, dem alle „dynami- sche, simultane und futuristische Möglichkeit“803 offenstehe. Der Film versprach auch den intellektuellen, häufig als starr empfundenen Zugang zur Welt durch seine Sinn- lichkeit zu ergänzen. Daß die filmische Montage als Wahrnehmungsmuster Anfang des

800 Ebd., S. 62. Vgl. Knut Hickethier, Filmgeschichte zwischen Kunst- und Mediengeschichte. Zur Ein- leitung, in: Filmgeschichte schreiben. Ansätze, Entwürfe und Methoden. Dokumentation der Ta- gung der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft 1988, hrsg. von Ders., Berlin 1989, S. 11; Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild, Frankfurt 1989, S. 14. 801 Ebd., S. 135. 802 Friedo Lampe, Die Krise (1996), S. 150. 803 George Grosz, in: Ein neuer Naturalismus?? (1922), S. 382/83. 175 20. Jahrhunderts mit der Erfahrung der Moderne, insbesondere mit der Großstadt gleichgesetzt wurde, läßt sich an Alfred Döblins 1929 erschienenen Roman Berlin Ale- xanderplatz belegen.804 Bereits Georg Simmel hatte die Atmosphäre der modernen Met- ropolen durch die Vielfalt ihrer Sinnesreize beschrieben.805 Der Fragmentierung in ein- zelne Eindrücke, wie sie Döblin vornimmt, entspricht formal die Auflösung eines ein- heitlichen geschlossenen Erzählzusammenhangs.806 Franz Biberkopf, der Protagonist aus Berlin Alexanderplatz, erlebt die Stadt nicht aktiv, sondern passiv als Durchgangs- medium von Zeichen, die Biberkopf unverständlich bleiben. Der Wagen machte eine Biegung, Bäume, Häuser traten dazwischen. Leb- hafte Straßen tauchten auf, die Seestraße, Leute stiegen ein und aus. In ihm schrie es entsetzt: Achtung, Achtung, es geht los. Seine Nasenspitze vereis- te, über seine Backe schwirrte es. „Zwölf Uhr Mittagszeitung“, „B.Z.“, „Die neuste Illustrirte“, „Die Funkstunde neu“ „Noch jemand zugestiegen?“ Die Schupos haben jetzt blaue Uniformen. Er stieg unbeachtet wieder aus dem Wagen, war unter Menschen. Was war denn? Nichts. Haltung, ausgehun- gertes Schwein, reiß dich zusammen, kriegst meine Faust zu riechen. Ge- wimmel, welch Gewimmel. Wie sich das bewegte. Mein Brägen hat wohl kein Schmalz mehr, der ist wohl ganz ausgetrocknet. Was war das alles. Schuhgeschäfte, Hutgeschäfte, Glühlampen, Destillen. Die Menschen müs- sen doch Schuhe haben, wenn sie so viel herumlaufen, wir hatten ja auch ei- ne Schusterei, wollen das mal festhalten.807 Nach seiner langjährigen Haft ist Berlin für Biberkopf ein Schock. Die Geschwindigkeit der Bahn, die Reklameschilder der Zeitungen und die Auslagen der Geschäfte sind sinnliche Phänomene, die auf ihn zusammenhanglos wirken. Die unverbundene Rei-

804 Manfred Smuda, Die Wahrnehmung der Großstadt als ästhetisches Problem des Erzählens. Narrativität im Futurismus und im modernen Roman, in: Die Großstadt als „Text“, hrsg. von Manfred Smuda, München 1992, S. 133. 805 „Der Mensch ist ein Unterschiedswesen, d.h., sein Bewußtsein wird durch den Unterschied des augen- blicklichen Eindrucks gegen den vorhergehenden angeregt; beharrende Eindrücke, Geringfügigkeit ihrer Differenzen, gewohnte Regelmäßigkeit ihres Ablaufs und ihrer Gegensätze verbrauchen sozu- sagen weniger Bewußtsein, als die rasche Zusammendrängung wechselnder Bilder, der schroffe Ab- stand innerhalb dessen, was man mit einem Blick umfaßt, die Unerwartetheit sich aufdrängender Impressionen. Indem die Großstadt gerade diese psychologischen Bedingungen schafft - mit jedem Gang über die Straße, mit dem Tempo und den Mannigfaltigkeiten des wirtschaftlichen, berufli- chen, gesellschaftlichen Lebens-, stiftet sie schon in den sinnlichen Fundamenten des Seelenlebens, in dem Bewußtseinsquantum, das sie uns wegen unserer Organisation als Unterschiedswesen abfor- dert, einen tiefen Gegensatz gegen die Kleinstadt und das Landleben, mit dem langsameren, ge- wohnteren, gleichmäßiger fließenden Rhythmus ihres sinnlich-geistigen Lebensbildes.“ Georg Simmel (1957), S. 228. 806 Wolfgang Rothe, Metaphysischer Realismus. Literarische Außenseiter zwischen Links und Rechts, in: Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik (1974), S. 270. 807 Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, Die Geschichte vom Franz Biberkopf, in: Ders., Ausgewählte Werke in Einzelbänden, hrsg. von Walter Muschg, Freiburg 1961, S. 13/14. 176 hung unterstützt diesen Eindruck und gibt seine Wahrnehmung und seine Desorientheit als inneren Monolog wider.808 Wenn Lampe sich nun genau wie Döblin der als modern angesehenen Parallelmontage bedient, bedeutet dies, daß auch er sich der Wirklichkeit der eigenen Zeit annähern und diese gerade in ihrer Vielfalt darstellen will. Im Vergleich zu Döblin erzielt Lampe je- doch einen gänzlich anderen Effekt. Denn im Gegensatz zu Berlin Alexanderplatz ent- steht, wenn Lampe auf eine syntaktische Unterordnung und eine kausale Motivation verzichtet, ein lyrisches Stimmungsbild, das nicht in sich brüchig, sondern homogen wirkt. Obwohl auch in Septembergewitter dem Erzähler immer wieder neue Einzelhei- ten auffallen und er keine eindeutige Perspektive einnimmt, schafft er eine Synthese aus den verschiedenen Impressionen: Stille. Der Großvater stand wieder in dem Grab und schaufelte, man hörte, wie die Schaufel hin und wieder an einen Stein stieß. Frau Hollmann saß still brütend auf der Bank, und Dora murmelte noch immer ihren Text vor sich hin, dort am offenen Fenster. Großvaters Bienen – da hinten in der E- cke an der Mauer standen drei Körbe – summten über den schlaffen Spät- sommerblumen, die üppig auf den Gräbern wuchsen, und die großen Schmetterlinge setzten sich müde auf die Kreuze, vom Fluß her tönte hohl das Gehämmer aus der Werft – da begann die Orgel in der Kirche leise zu summen und zu klagen, goldenwarme Töne, süß und feierlich, schwammen über die Gräber hin.809 Wie in der traditionellen Idylle beruht der harmonische Eindruck vordergründig auf der verschmelzenden Eigenschaft der Musik, die in Septembergewitter den konkreten Ort immer weiter öffnet und zu einem Klangraum synthetisiert. Die Töne, die mit dem auf- lösenden Charakter des Wassers und durch Synästhesien810 beschrieben werden, schaf- fen wie in Am Rande der Nacht eine Einheit, gleich dem Traumzustand, in den das Mädchen durch das Orgelspiel versetzt wird. Die Musik erregt eine assoziative Bilder- flut, die die Außenwelt verdrängt. Immer mächtiger schwoll die Orgelmusik an, dunkel flutend, wühlend und dumpf rumorend, aufklagend und süß ziehend – und Meta legte die Arme auf die vordere Bank und den Kopf darauf und träumte so hin, schwamm mit in diesem dunklen Strom von Tönen, wurde mitgezogen in dies rote düstere Meer der Klage, tauchte unter in das schwarze dicke Gewoge, wie

808 „Die Darstellung der „Flüchtigkeit der Moderne“ und der Polyphonie der Großstadt gelingt, neben den Veränderungen im Gattungsbereich, durch die Demontage traditioneller syntaktischer Strukturen, vor allem der sukzessiven und kausalen Verknüpfung.“ Sabina Becker (1993), S. 67; Jürgen Peter- sen, Der deutsche Roman der Moderne. Grundlagen – Typologie – Entwicklung, Stuttgart 1991, S. 300. 809 Sg., S. 15/16. 810 „[…] – da begann die Orgel in der Kirche leise zu summen und zu klagen, goldenwarme Töne, süß und feierlich, schwammen über die Gräber hin.“ Ebd., S. 16. [Hervorhebungen A.H.] 177 der Schwan untertaucht und überschwemmt wird von den drohenden Wel- len, wenn das Gewitter die Fluten des Sees aufwühlt.811 Daß diese Homogenität nicht vorherrschend bleibt, ist durch den grundsätzlich dualisti- schen Charakter der Montage begründet, wodurch in der für Septembergewitter spezifi- schen Art Gegensätze miteinander verbunden werden können. So wie Marys Erklärung, daß es sich in dieser Stadt idyllisch leben ließe, als Ergebnis einer bestimmten Perspek- tive erkannt und durch eine andere Sichtweise relativiert wird812, erscheint keine der Erzählhaltungen im Roman dominant. Vielmehr vermischen sich auktoriale und perso- nale Perspektive miteinander, woraus eine Distanzierung vom Romangeschehen resul- tiert, die durch den unvermittelten Wechsel zwischen den einzelnen Episoden noch un- terstrichen wird.813 Der Raumeindruck ist das Ergebnis dieser Multiperspektivik. Er er- scheint derart verschachtelt814, daß er mit einem rationalen Realitätsbegriff nicht zu ver- einbaren ist. Der Großvater war nun bald mit seinem Grab fertig, einen großen runden Sandhügel hatte er rausgeschaufelt, und nun stampfte er den Boden im Gra- be fest und klopfte die Seitenwände hart. Und er wußte nicht, daß er schon seit längerem beobachtet wurde. Da schaute ein rundes blasses Gesicht mit kleinen schwarzen Augen durch das staubige Sakristeifenster. Herr Metzler stand da, bewegungslos, die Hände auf dem Rücken gefaltet, und schaute auf das neugeschaufelte Grab. Und neben ihm am Haken auf der kalkigen Wand hing sein steifer schwarzer Hut. Und dann bewegte sich Herr Metzler brütend langsam hin und her, und dann griff er auf einmal zu seinem schwarzen steifen Hut und dreht sich um und verließ die Kirche. Da sah Do- ra, wie die beiden Rodanis zur Kirchhofspforte hereinkamen […].815 In diesem Passus wird deutlich, daß das Romangeschehen nicht aus der Sicht einer be- stimmten Figur zu verstehen ist, sondern sich aus den verschiedenen Perspektiven zu- sammensetzt. Die Sprunghaftigkeit, mit der hier der „point of view“ des Großvaters zugunsten dessen von Metzler aufgegeben wird und dann wieder in den Doras übergeht, erzeugt einen stereometrischen Raum, der mit jenen vergleichbar ist, die Alfred Neu- meyer 1927 als Charakteristikum der Malerei der Neuen Sachlichkeit beschrieben hatte.

811 Ebd., S. 18. 812 „Kühl war es hier oben und klar, eine leichte Luft, und Mary sagte: ‚Wie friedlich liegt das da, wie muß man da idyllisch wohnen.‘ Aber Mr. Pencock sagte: ‚Das sieht wohl nur von oben so aus.‘ Ja, es sah wohl nur von oben so aus. Denn da unten war es gar nicht kühl, sondern es war ein schwüler Spätsommernachmittag, windstill und schwelend.“ Ebd., 6. Vgl. Eckehard Czucka (1995), S. 427. 813 „Diente die Montagetechnik einerseits dazu, einen Bilderstrom zu produzieren, so kann andererseits in einem zweiten Teil gezeigt werden, daß der Erzähler damit die Distanz zwischen sich und dem Er- zählten aufheben möchte. Der Erzähler oszilliert zwischen einem neutral erscheinenden, distanzier- ten Beobachter und einer kurzzeitigen Verschmelzung mit dem Standpunkt der Figuren.“ Johannes Graf (1989/90), S. 30. 814 Jochen Liebig (o.J.), S. 27. 815 Sg., S. 34. 178 Neumeyer hatte den Verlust der Zentralperspektive mit dem gleichzeitigen Sehen durch ein Mikroskop und ein Opernglas veranschaulicht.816 Roh, auf dessen Arbeit über den Magischen Realismus Neumeyer Bezug nimmt, hatte das Nebeneinander der unter- schiedlichen Perspektiven als eines der Kennzeichen der nachexpressionistischen Kunst thematisiert und die so entstandenen Räume als konstruiert, intellektuell und schemen- haft bezeichnet.817 Also jene Verschränkung des Riesigen und Winzigen, des Makro- und Mik- rokosmos. Somit auch räumlich jenes „Neue“: magische Begegnung der Vordergründigkeit der Hauptgeländekeile mit dem Phänomen der Ferne als Kleinform, wieder im Sinne jenes magisch Simultanen.818 Lampe erzielt eine vergleichbare Wirkung innerhalb seiner Romane durch den vom Film beeinflußten Perspektivenwechsel. Nicht nur die Bilder und Motive erscheinen in Septembergewitter als polyvalent819, auch der Text selbst wirkt durch das Divergieren zwischen mehreren Fokussen multiperspektivisch, das im Sinne des Magischen Realis- mus als Obsoletwerden eines objektiven Realitätsbegriffes gedeutet werden kann.820

4.2.3.3. Das filmische Erzählen im Kontext des Gesamtkunstwerks Das Filmische ist in Lampes Romanen als Wahrnehmungsmuster zu verstehen, das die Isolierung der stillebenartigen Szenen, wie sie das Fernrohr der Ballonfahrer produziert, in einen Bilderstrom einbettet. Lampes filmorientierte Schreibweise821 beinhaltet nicht die Übertragung von Techniken des Films auf die Literatur, sondern greift vielmehr auf Konventionen der Perzeption, etwa der Bildhaftigkeit des Traumes und der Erinner- ung822, zurück. Darüber hinaus ist sie auch nachhaltig bedingt durch die Veränderung von Sehgewohnheiten823, wie sie sich in der Überwindung der Zentralperspektive etwa durch die Kubisten und in der fragmentierten Wirklichkeit der dadaistischen Collagen

816 Alfred Neumeyer (1927/28), S. 71. In seinem Aufsatz über Haider hatte Franz Roh dieses Phänomen mit einem Blick durch ein Fernrohr und Mikroskop verglichen. Franz Roh (1923), S. 602. 817 Franz Roh (1925), S. 53. 818 Franz Roh (1923), S. 601. 819 Joachim Paech (1988), 34. So auch Jürgen Petersen (1991), S. 331. 820 „Mit dem ewig wandernden Standpunkt ihrer Kamera machen es Film und moderner Roman fühlbar, daß es keine abstrakt-objektiven Wahrheiten mehr gibt.“ Jochen Liebig (o.J.), S. 27. 821 Jürgen Dierking (1986), S. 360. Gegen eine solche Deutung wendet sich Eckehard Czucka in seinem Aufsatz. Eckehard Czucka (1995), S. 425. 822 Zu James Joyces Ulysses bemerkt Joachim Paech: „Das traumähnliche Fließen des Bewußtseinsstroms verbindet nämlich eine Erfahrung der Realität mit der spezifischen Rezeptionsweise im Kino, so daß ihre literarische Wiedergabe als ‚filmische Schreibweise‘ eben die Mimesis dieser doppelten Erfahrung ist.“ Joachim Paech (1988), S. 141. 823 Gabriele Juitz, Gottfried Schlemmer, Zur Geschichtlichkeit des Blicks, in: Sprung im Spiegel. Filmi- sches Wahrnehmen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, hrsg. von Christa Blümlinger, Wien 1990, S. 19/20. 179 ausdrückt. Dabei wird der Film in Lampes Werk zur Chiffre einer umfassenden Synthe- se, die über die Verbindung textinhärenter Gegensätze hinaus auch die verschiedenen Künste zusammenfügt. Durch die Zitate aus dem Bereich der Malerei und Musik wird der Roman in die Tradi- tion des Gesamtkunstwerks des 19. Jahrhunderts gerückt. Insbesondere durch die ange- deutete Möglichkeit, daß die Ballonfahrer im Gewitter den Tod hätten finden können, greift Lampe am Ende des Romans erneut die Überlegungen Nietzsches zum modernen Kunstwerk auf, wie dieser sie infolge der Beschäftigung mit Richard Wagners Werk entwickelt hatte. Wagners Intention, in der Oper eine Einheit der Künste zu schaffen824, ist nicht neu, sondern geht vielmehr auf romantische Vorstellungen zurück, die ihn beeinflußt haben. Selbst innerhalb der Musik konnte er dabei auf frühere Ansätze zu- rückkommen, wie sie in der französischen Opernästhetik, der Florentiner Camerata und bei Christoph Willibald Gluck vorzufinden sind.825 Gemäß Wagner sollten die Differen- zierungen der Moderne im gemeinsamen, quasi religiös inszenierten, Kunstgenuß einer sich als Einheit erlebenden Volksgemeinschaft aufgehoben werden.826 Die Reformver- suche Wagners sind als Reaktion auf den Partikularisierungsprozeß der Moderne zu verstehen. In seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft rezipiert er frühsozialistisches Gedankengut wie die Entfremdung des Menschen in der Industriegesellschaft.827 Nietzsche bezieht sich in seiner Abhandlung Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik im Zusammenhang mit der Erneuerung der Kunst in der Musik ausdrücklich auf Wagners Tristan und Isolde. So erläutert er: Der tragische Mythus ist nur zu verstehen als eine Verbildlichung dionysi- scher Weisheit durch apollinische Kunstmittel; er führt die Welt der Er- scheinung an die Grenzen, wo sie sich selbst verneint und wieder in den

824 „Deutlich wird die gemeinsame Vorstellung, daß nicht ein Nebeneinander von Dichtung und Musik, sondern nur die gegenseitige Durchdringung der Künste bis hin zur Aufgabe ihrer Autonomie zu- gunsten einer höheren Einheit die Oper auszeichnen.“ Sven Friedrich, Das auratische Kunstwerk. Zur Ästhetik von Richard Wagners Musiktheater-Utopie, Tübingen 1996, S. 58. 825 Udo Bermbach, Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard Wagners politisch-ästhetische Utopie, Frankfurt 1994, S. 226. 826 „Totalitätsanspruch meint dementsprechend die Idee einer Gesellschaft, die durch ästhetische Erfah- rung umfassend, und das heißt: in allen Lebensbereichen interpretierend wie handelnd angeleitet wird, meint die Idee einer Gemeinschaft, in der Einheit anstelle von Zersplitterung, Moralität und Sittlichkeit statt Sittenlosigkeit und Dekadenz, Aussöhnung von Mensch, Natur und Gesellschaft statt arbeitsteiliger Verwertung der vorgefundenen natürlichen Reichtümer, Harmonie zwischen In- dividuum und Gemeinschaft herrschen, eine Gesellschaft, die die strukturbildenden Prozesse der Moderne, sofern diese als degenerativ erfahren und erlebt werden, auf einem neuen Niveau gleich- sam überwinden möchte.“ Ebd., S. 270. Insbesondere in einem nationalistisch aufgefaßten Volks- begriff unterscheidet sich der späte Wagner von den Romantikern. Vgl. Detelf Kremer, Ästhetische Konzepte der „Mythopoetik“ um 1800, in: Gesamtkunstwerk. Zwischen Synästhesie und Mythos, hrsg. von Hans Günther, Bielefeld 1994, S. 11. 827 Sven Friedrich (1996), S. 186/87. 180 Schooss der wahren und einzigen Realität zurückzuflüchten sucht; wo sie dann, mit Isolden, ihren metaphysischen Schwanengesang also anzustim- men scheint: In des Wonnenmeeres / wogendem Schwall, / in der Duft- Wellen / tönendem Schall, / in des Weltathems / wehendem All - / ertrinken – versinken - / unbewusst – höchste Lust!828 Nietzsche führt hier das orgiastische Aufgehen Isoldes als Veranschaulichung für das Untergehen der apollinischen Welt der Erscheinungen im dionysischen Rausch an. Im apokalyptischen Verlöschen der Bilder, so Nietzsche, erneuert sich die Kunst. Lampe, der in Septembergewitter mehrmals Operntitel und Lieder zitiert, läßt eben diese von Nietzsche im Hinblick auf das Gesamtkunstwerk angeführte Stelle aus Tristan und Isol- de im Schluß der Rahmenerzählung anklingen.829 Angesichts des nur knapp entronnenen Todes unterhalten sich Mary und ihr Vater über das überstandene Unwetter: „Papa, nun kommen wir doch noch zurück in die Wellington Street. Hättest du das geglaubt?“ „Nein, mein Kind. Aber weißt du, - das andere, - das wä- re vielleicht auch ganz schön gewesen.“ „Was meinst du?“ „Nun, so im Gewittersturm zu vergehen, zu verlöschen, hinzusinken ins Meer, ins All.“830 Vor allem durch die Motive Meer und All und das Verb „sinken“ ergeben sich hier be- ziehungsreiche Analogien, auch wenn Lampe das Pathos der Überhöhung privaten Un- glücks ins Kosmische ironisiert.831 So unterstreicht dieser Kontext die Bedeutung der Synthese der Künste für Septembergewitter. Verknüpft man die integrierten Bildbe- schreibungen und die Zitate aus dem Bereich der Musik mit Nietzsches Ästhetik, so erscheinen diese als Versuch in der Literatur, ein Gesamtkunstwerk zu verwirklichen. Gestützt wird diese Deutung durch die Erzählung Laterna magica. In diesem postum veröffentlichten Text wird das konventionelle Kino dem experimentellen Film gegen- übergestellt, der als Synthese von bewegten Bildern und Musik charakterisiert ist und mit dem Verschwinden des Regisseurs im Freiluftballon im All endet. Für Albert, der mit dem Schreiben von Drehbüchern sein Geld verdient, erfüllt das von Kinowa ge- schaffene Werk seine Vorstellungen vom Film, so hatte er der Crew, für die er arbeitet vorgeworfen: […] ihr kommt ja von der Bühne nicht los, vom Theater, laßt doch einmal den Wind frei durch die offene Natur brausen, damit er all euren Kulissen- kram wegfegt. Nicht mehr diese niedlichen, geradlinigen, dünnen Handlun-

828 Friedrich Nietzsche (1972), S. 137. 829 Helmut Arntzen (1995), S. 128. 830 Sg., S. 124. 831 So wird das Pathos durch die Beschäftigung mit ganz alltäglichen Dingen zurückgenommen. Vgl. „‘Nun, so im Gewittersturm zu vergehen, zu verlöschen, hinzusinken ins Meer, ins All.‘ ‚Na, Papa, ich weiß doch nicht – übrigens bin ich heilfroh, daß ich mir zwei Mäntel mitgenommen habe.‘“ Ebd., S. 124. 181 gen. Symphonien in Bildern müßte man komponieren, Träume, Phantasien, schwelgerische Bild-Bacchanale!832 Eben diese Symphonien in Bildern, diese Bild-Bacchanale erlebt der Protagonist Albert kurz nach diesem Disput mit seinen Kollegen bei der Premiere des Films von Kinowa. Lampe übernimmt in dieser Erzählung, die nicht nur durch den Titel833, sondern auch durch den Namen des Regisseurs auf die Entstehungsgeschichte des Films anspielt, Motivik und Erzählstruktur aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der goldene Topf834. Die von Albert geforderte Auflösung von Raum und Zeit835 löst Kinowas Film ein. So be- steht Kinowas Werk aus einer Fülle von Bildern, die sich nicht stringent entwickeln, sondern vorbereitet durch den Tanz der Gäste, selbst zu kreisen scheinen. Die Jazzkapelle verwehte, der Samtvorhang schloß sich langsam hinter ih- nen, auf der Leinwand erschienen feurige Kreise und Sterne und drehende Räder wie bei einem Feuerwerk, und die Kreise und schwingenden Linien und Figuren umtanzten einander, schmolzen zusammen und entfalteten sich in flammenden Blüten im Takt einer glockenklaren Sphärenmusik, die aus der Leinwand tönte, und dann dämmerten auf einmal Bilder auf aus den Flammenornamenten – Bilder vom Meer, von steilen Gebirgen, von Wäl- dern, wogenden Kornfeldern und fernen Städten, von der Südsee und vom Nordkap - 836 Nachdem in den ersten Sequenzen in „weichen Überblendungen“837 verschiedene Orte und deren Bewohner in einer Montage miteinander verbunden worden sind838, wird in den folgenden Bildern die Zeit aufgehoben, so daß historische Ereignisse in einer rein assoziativen Reihenfolge miteinander verknüpft werden.839 Indem der avantgardistische Film vergangene Ereignisse vergegenwärtigt, deutet Lampe diesen als modernes Archiv

832 N., S. 294. 833 Wie in Septembergewitter mit dem Freiluftballon, so bezieht sich Lampe mit der Laterna magica, einem Vorläufer des Dia- und Filmprojektors, auf eine frühe technische Entwicklungsstufe. 834 So kann Alberts Erlebnis rational als Rausch interpretiert werden. Seine grundsätzliche Begeisterung für den Film und die Liebesgeschichte mit der Tochter Kinowas sind der Fabel von Dem goldenen Topf nachempfunden. 835 „Was ist das Wesen des Films? Was kann nur er allein? Raum und Zeit überwinden! Uns aus diesem entsetzlichen Kasten von Raum und Zeit befreien, uns wenigstens für Augenblicke das Gefühl un- beschwerten Schwebens, eines freien unbegrenzten Götterdaseins geben. Film, das sollte etwas Mystisches, Kosmisches sein-“ N., S. 294. 836 Ebd., S. 298. 837 Ebd., S. 299. 838 „[…] die Lappen zogen mit ihren Renntierherden [!] durch die weiten Schneefelder – Kamele schau- kelten mit ihren Beduinenreitern den Palmenwipfeln einer Oase zu – in Deutschland am Rhein kel- terten die Winzer auf den Rebhügeln den Wein – holländische Jungen liefen Schlittschuh auf dem Zuidersee - “ Ebd., S. 298. 839 „Cäsar zog im Triumph in Rom ein, hoch auf dem Siegeswagen, in langem Zuge hinter ihm die gefan- genen Gallier – tragische Klänge, eine klagende Syrer-Flöte: Cleopatra winkt der Sklavin, die ihr einen Korb reicht, eine Schlange windet sich heraus, sie hält sie an die Brust und stirbt an ihrem Biß – ein gläsernes Menuett: die Hofgesellschaft spielt im Park von Versailles , Marmorfaune grinsen aus den Taxushecken, Ludwig XIV. sitzt auf der Terrasse und trinkt Schokolade-“ Ebd., S. 300. 182 der Bilder, das durch die Möglichkeit der Reproduzierung und Simultaneität neue My- then hervorbringen kann. Der neue Film stellt sich als reine Gegenwart all dessen dar, was sich jemals auf der Erde ereignet hat. Die Vorstellung schließt, indem Kinowa, der als romantischer Geist des Kinos und als Magier beschrieben wird, in einem Ballon die Erde hinter sich läßt und sich mit dem Universum vereint. Wände fallen, Schranken schwinden, / Welten wollen sich verbinden. / Le- ben ist ja nur ein Traum, / was einst schwer war, fühlst du kaum, / und am End‘ bleibt nur zurück / Weltmusik und Schauens Glück. / Feuer drehen sich um Feuer, / wagt das letzte Abenteuer / und erblickt nach Götter Art / eine große Gegenwart! / Überall sind wir zu Haus, / Erde, deine Macht ist aus, / fliegen blitzschnell hin und her, / Erde macht uns nicht mehr schwer. / Näh und Ferne, Meer und Land, / alles ist uns nun bekannt. / Aufwärts nun mit meinem Ball / steige ich ins große All. / Räume weichen, Schranken schwinden, / Welten wollen sich verbinden!840 In Laterna magica verwirklicht Lampe somit das Ende, das er in Septembergewitter nur angedeutet hatte: die dionysische Verschmelzung von Zeit und Raum. So geht die Ver- knüpfung von bewegtem Bild und Musik in die Auslöschung in der rauschhaften Verei- nigung mit dem Universum über, die wie der Traumzustand in Am Rande der Nacht auch als Aufhebung der Entfremdung verstanden werden kann. Septembergewitter the- matisiert nicht nur die Veränderungen von visuellen Wahrnehmungen, die die Ent- wicklung des Films gefördert haben oder die dieser ausgelöst hat, sondern macht auch dessen Synthesemöglichkeit für die Literatur fruchtbar. Aufgrund seiner Eigenschaft, Erzählstrukturen – Bilder und später auch Worte – mit der körperlichen Präsenz der Schauspieler und der Musik zu verbinden, schien der Film insbesondere für experimentelle Künstler als konsequente Einlösung des Gesamtkunst- werks. Bereits Sergei Eisenstein841 erkannte hier die eigentlichen Entwicklungschancen des Films. Außer László Moholy-Nagy und El Lissitzky versuchte auch Hermann Häf- ker um 1910, den Film in diesem Sinne weiterzuentwickeln. Als Häfker gar den Film zur „Kinetographie“ erhob, rückte für ihn vor allem die Verbindung von bewegtem Bild, Untertitel und Musik in das Zentrum seiner Arbeiten.842 So schuf er mit seinen Vorstellungen, die aus Dokumentationen aus dem Bereich der Geographie und Ethnolo- gie, Vorträgen und Musikeinspielungen, sowie naturalistischen Geräuschen bestanden, ein Gesamtkunstwerk, das alle Sinne ansprechen sollte. Für einen späteren Zeitpunkt

840 Ebd., S. 303. 841 Bernd Uhlenbruch, Film als Gesamtkunstwerk, in: Gesamtkunstwerk (1994), S. 195. 842 Angela Merte, Totalkunst. Intermediale Entwürfe für eine Ästhetisierung der Lebenswelt, Bielefeld 1998, S. 129. 183 sah er auch vor, Gerüche einzusetzen.843 Zwar ist es unwahrscheinlich, daß Friedo Lam- pe Häfkers filmische Experimente kannte, doch erinnert die Kurzgeschichte Laterna magica vor allem durch die Betonung des antirationalen Zugangs an Häfners Schau- spiele der Erde.

Indem Lampe die Anleihen aus der Idylle immer wieder mit der erzählten Wirklichkeit konfrontiert, schränkt er den absoluten Glücksanspruch der Gattung ein. Septemberge- witter wird dadurch als gefährdete Idylle charakterisiert, auf die sich, mehr noch als auf Am Rande der Nacht, Lampes Beschreibung der Idylle auf „vulkanischem Grund“ be- ziehen läßt, mit der er sein Leben während des Dritten Reichs bezeichnete. Anders als sein erster Roman, dessen idyllische Schilderungen vorwiegend durch eine Todesmeta- phorik überformt sind, geht die Bedrohung der Idylle aus ihr selbst hervor. Die unter- gründige Beunruhigung des Lebens durch das Gewitter kann als Ausdruck einer Krise, wie sie auch die nationalsozialistische Diktatur darstellte, gedeutet werden. Gegenüber Am Rande der Nacht erscheint der Verweis auf die anderen Künste durch Zitate aus der bildenden Kunst und der Musik noch forcierter. Auf der Grundlage der idyllischen Tradition eines die Sinne ansprechenden Erzählens, bricht Lampe durch die Integration von Bildbeschreibungen und Zitaten aus musikalischen Werken die Strin- genz der Textstruktur auf und öffnete diese gegenüber der Malerei und der Musik. Die- se Versuche sind im Kontext des neuen Mediums des Films zu beurteilen, das vielfach als zeitgemäße Variante des Gesamtkunstwerks angesehen wurde. Diese Selbstreferenz wird sich aufgrund der politisch belasteten Wirklichkeit, die nicht dargestellt werden konnte, ohne mit den Behörden in Konflikt zu geraten, in den späteren Erzählungen Lampes fortsetzen. Auch innerhalb des Romans synthetisiert Lampe Gegensätze. So erscheint die beschrie- bene Wirklichkeit durch Perspektivbrüche und die Mehrdeutigkeit des zentralen Motiv des Gewitters beunruhigend und verunsichernd. Dieses Realitätsverständnis, das mit einer Zeitabgewandtheit einhergeht, die sich in der völligen Auslassung konkreter poli- tischer und gesellschaftlicher Verhältnisse äußert, verweist auf den Magischen Realis- mus. So erscheint die Verbindung von Gegensätzen, die Lampe in einer sehr ambiva- lenten Totalität miteinander verschmilzt, Ausdruck eines Lebensgefühls zu sein, dessen Ursprung in den zwanziger Jahren liegt, das sich aber angesichts der nationalsozialisti- schen Diktatur noch verschärft hatte. Auf Schäfers Deutung des Dritten Reichs als „ge-

843 Angela Merte (1998), S. 129. 184 spaltenen Bewußtseins“ berufend, verortet Michael Scheffel den Magischen Realismus als ästhetische Form dieser Lebenswirklichkeit.844

844 „Historisch gesehen, scheint mir das paradoxe Nebeneinander von Vereinzelung und postulierter Ganzheit des Heterogenen, das diese Spätform des Realismus auszeichnet, das ästhetische Doku- ment eines ‚gespaltenen Bewußtseins‘ zu sein […].“ Michael Scheffel (1996), S. 179. 185 4.3. Arabeske Idyllen: Von Tür zu Tür Während des Krieges beschränkte sich das literarische Schaffen Lampes auf die Erzäh- lungen, die Eugen Claassen unter dem Titel Von Tür zu Tür beim Goverts-Verlag he- rausgeben wollte. Lampe hat nicht nur diese zehn Kurzgeschichten, sondern auch zwei weitere vorab veröffentlichen können, die in Das Reich, aber auch bei den für ihren ei- genständigen Kulturteil geschätzten Frankfurter Zeitung und Kölnischen Zeitung er- schienen.845 Dies brachte ihm zumindest etwas von dem literarischen Prestige ein, das bislang, insbesondere aufgrund des Verbots von Am Rande der Nacht, ausgeblieben war.846 Die Kürze der Erzählungen prädestinierte sie für den Abdruck in Zeitungen, und es scheint mehr als wahrscheinlich, daß Lampe sie eigens für diesen Markt geschrieben hat.847 Die kleine Form kam ihm nicht nur entgegen, weil Lampe während des Krieges etwa um das Jahr 1941 unter einer Schreibhemmung litt848 und ihm damit die Konzent- ration für einen längeren Roman fehlte, sondern auch aufgrund der Schwierigkeiten, die mit den Druck- und Papiergenehmigungen zusammenhingen. Doch selbst nach der An- nahme des Manuskripts durch den Goverts-Verlag, der als „kriegswichtiger“ Betrieb weiter Bücher produzieren konnte, zog sich die Drucklegung hin.849 Die ersten beraten- den Gespräche zwischen Lampe und Claassen begannen Anfang des Jahres 1943 und obwohl der Verlag Von Tür zu Tür im Frühjahr 1943 in die offizielle Halbjahresplanung der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums aufgenommen hatte850, war Mitte 1943 immer noch kein Papier für den Erzählungsband genehmigt worden. Als im Bom- benangriff auf Leipzig im Dezember 1943 auch die Druckerei zerstört wurde, die das Buch setzen sollte, schreibt Lampe an Anneliese Voigt:

845 Eine genaue Auflistung siehe 2.2.5. 846 „Sonntag stand in der Frankfurter Zeitung meine ‚Jagd‘ (Kaledonische Eberjagd). Die Kölnische Zei- tung hat auch meine Detektivgeschichte ‚Das magische Kabinett‘ angenommen.“ Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 31.8.1942, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 114. Vgl. „Dass ‚Das Reich‘ meine Geschichte genommen hat, hat mich sehr gefreut, sie haben sie leider etwas gekürzt.“ Friedo Lampe an Annelise Hermann am 27.10.1940, unveröffentl. Brief, DLA. 847 „Zwei Proben meiner Zeitungsarbeit lege ich Dir bei. Die ‚Spanische Suite‘ enthält ein paar Druck- fehler, die Du wohl leicht entdecken wirst. ‚Eduard‘ ist vielleicht zu leicht und harmlos. Aber es hat mir Spaß gemacht.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 26.6.1942, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 114. 848 „Sonst geht’s mir ganz gut, den Kummer abgerechnet, daß ich nichts arbeite. Ich weiß nicht, aus wel- chem Grund es nicht geht: aus Faulheit, innerer Gehemmtheit, aus dem Gefühl der Sinnlosigkeit und Richtungslosigkeit oder wegen des Druckes der Zeit.“ Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 7.7.1941, in: Ebd., S. 112. 849 „Goverts bleiben bestehen und wollen meinen Erzählungsband herausbringen, haben aber noch immer keine Papiergenehmigung.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 25.6.1943, in: Ebd., S. 116. 850 Eugen Claassen an Friedo Lampe am 26.3.1943, in: Ebd., S. 273/74. 186 Meine Novellensammlung, die in den Fahnen bereits ausgedruckt war, ist tatsächlich in Leipzig zerstört. Ich habe eben immer Pech mit meinen Bü- chern.851 Lampes sollte mit seiner Vorhersage recht behalten. Obwohl Eugen Claassen sich inten- siv um die Veröffentlichung der Erzählungen Von Tür zu Tür bemühte852 und den unge- duldigen Autor um Geduld mahnte, geriet sein Werk, das für Mitte des Jahres 1945 an- gekündigt war, wieder zwischen die politischen Ereignisse. In der Verwirrung des Zu- sammenbruchs und der Kapitulation entfiel die Auslieferung des Buches.

4.3.1. „Capriccios, Arabesken, Erzählungen, kleine wunderliche Gebilde“ Die Verhandlungen mit Claassen waren von einem intensiven Austausch über die Situ- ation der Autoren im Dritten Reich und die poetologischen Voraussetzungen Lampes begleitet. Insbesondere die Diskussion um den Namen der Erzählungen ist aufschluß- reich für Lampes dichterische Intention. Der Titel Von Tür zu Tür muß als Notlösung betrachtet werden, die Eugen Claassen eingebracht hatte, um nicht bereits im Titel auf das „Verwegene neuer Formen“ hinzuweisen853, da man dies angesichts der politischen Lage vermeiden mußte. Lampes ursprüngliche Vorschläge Vom Leuchtturm, Von oben und Laterna magica betonten das Panoramahafte oder das Phantastische der Kurzge- schichten.854 […] ich glaube, jetzt weiß ich wirklich, welchen Titel ich dem Buch gebe: Friedo Lampe Phantasien und Capriccios ohne Untertitel. Das träfe genau die Form der Geschichten. Phantasien wären die ernsteren, schwereren Stü- cke, Capriccios die leichten, launigen. Etwas stört mich natürlich, daß Ernst Jünger seinem „Abenteuerlichen Herzen“ den Untertitel „Capriccios“ gege- ben hat und daß die neue Oper von Strauss „Capriccio“ heißt. Aber schließ- lich ist dies Wort eine alte musikalische Bezeichnung und schon E.T.A. Hoffmann nannte seine „Prinzessin Brambilla“ so.855 Die Bedeutung, die Lampe diesen Kunstformen zumißt, bestätigt sich, wenn man den Brief vom 15. März 1944 an Claassen hinzuzieht, in dem er die Kurzgeschichten als

851 Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 10.1.1944, in: Ebd., S. 119. 852 „Wir haben mit großer Mühe und nur durch sehr viel persönliche Besuche in Berlin erreicht, daß wir Papier für die erste Auflage bekamen. […] Tatsächlich liegt uns bis heute keine einzige Papierge- nehmigung vor, nur ein Brief des Ministeriums, in dem sie erklären, daß sie uns zunächst einen be- stimmten Prozentsatz des verlorenen Papiers genehmigen werden und daß wir alle Details, auch ü- ber die Titel, durch die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels erfahren würden. […] In dem- selben Sinn sind auch Gespräche über Ihr Buch mit dem OKW geführt worden. Uns ist mündlich und prinzipiell zugesagt, daß wir für eine OKW-Auflage Papier erhalten sollten. Allerdings bat die betreffende Dienststelle, ihr Einblick in die Fahnen zu geben. Das ist unterdessen geschehen.“ Eu- gen Claassen an Friedo Lampe am 17.3.1944, in: Eugen Claassen (1970), S. 279. 853 Eugen Claassen an Friedo Lampe am 11.3.1943, in: Ebd., S. 274. 854 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 4.3.1943, in: Ebd., S. 273. 855 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 9.3.1943, in: Ebd., S. 273/74. 187 „Capriccios, Arabesken, Erzählungen, kleine wunderliche Gebilde“ gegenüber der gro- ßen epischen Gattung des Romans verteidigt.856 Lampe sieht in diesem Rückgriff auf das Capriccio zum einen die Möglichkeit eines experimentellen Schreibens in Kontinu- ität zur Literatur der zwanziger und frühen dreißiger Jahre und zum anderen einen Brü- ckenschlag zu den anderen Künsten, denn das Capriccio ist nicht nur in der Literatur bekannt, sondern auch in der Musik und der Malerei. Insofern kommt der Hinweis auf das Vorbild E.T.A. Hoffmann nicht von ungefähr, da dieser das Capriccio erstmals in die Literatur eingeführt hatte. Hoffmann selbst bezeichnet Prinzessin Brambilla im Un- tertitel als Capriccio nach Jakob Callot, dessen Zyklus Balli di sfessania ihm als Bild- vorlage diente und die er auch dialogisch in die Erzählung einbezieht.857 Im Vorwort zu der 1820 entstandenen Erzählung stimmt Hofmann auf die „seltsamlichen Zaubereien des Callotschen Capricios“ ein858: Den geneigten Leser, der etwa willig und bereit sein sollte, auf einige Stun- den dem Ernst zu entsagen und sich dem kecken launischen Spiel eines vielleicht manchmal zu frechen Spukgeistes zu überlassen, bittet aber der Herausgeber demütiglich, doch ja die Basis des Ganzen, nämlich Callots phantastisch karikierte Blätter, nicht aus dem Auge zu verlieren und auch daran zu denken, was der Musiker etwa von einem Capriccio verlangen mag.859 Hoffmanns Charakterisierung des Capriccio als phantastisch, spielerisch und keck leitet sich aus der Übersetzung aus dem Italienischen als „Laune“ ab. Die etymologische Her- kunft des Wortes ist nicht zweifelsfrei geklärt, so hat man zum einen versucht, es von „capo“ (Kopf) und „riccio“ (kraus) abzuleiten, was in etwa „Kopf mit zu Berge stehen- den Haaren“ bedeutet, und zum anderen von „capra“ (Ziege), was mit dem Gang und dem unberechenbaren Charakter der Ziege verbunden wurde.860 Beiden sprachlichen Wurzeln gemeinsam ist, wenn man diese Eigenschaften ästhetisch verstehen will, der Normbruch. Das Capriccio ist kein eigentlicher Gattungsbegriff und ist deshalb weder inhaltlich noch formal festgelegt, sondern allein durch die Distanz zu einer normativen Ästhetik bestimmt. Im Capriccio verwirklicht sich die künstlerische Freiheit und Phantasie jen-

856 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 15.3.1944, in: Ebd., S. 277. 857 Bernhard Dieterle, Erzählte Bilder. Zum narrativen Umgang mit Gemälden, Marburg 1988, S. 77. 858 E.T.A. Hoffmann, Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot, in: Ders., Sämtliche Werke in sechs Bänden, Band 3, Frankfurt 1985, S. 790. 859 E.T.A. Hoffmann (1985), S. 769. 860 Günter Oesterle, Das Capriccio in der Literatur, in: Das Capriccio als Kunstprinzip. Zur Vorgeschichte der Moderne von Arcimboldo und Callot bis Tiepolo und Goya. Malerei – Zeichnung – Graphik. Ausstellungskatalog, Walraff-Richartz-Museum Köln, hrsg. von Ekkehard Mai, Mailand 1996, S. 187. Lucrezia Hartmann, „Capriccio“ – Bild und Begriff, München 1973, S. 7. 188 seits akademischer Beschränkung.861 Dennoch braucht es eine formale Ästhetik, gegen die es sich absetzen kann.862 Diese Eigenständigkeit kann jedoch auch als überbordender Ideenreichtum oder bloße Irrationalität bewertet werden.863 In der Musik hat sich das Capriccio zuerst als Bezeichnung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durchgesetzt.864 Bis zum 17. Jahrhundert ist darunter eine Komposition im „stylus phantasticus“, also von großer formaler Offenheit zu verstehen, und später umfaßt es auch eine Vortragsweise, die hinsichtlich Stil und Tempo keine Regeln vor- schreibt. Die Entwicklung des Capriccio in der bildenden Kunst beginnt mit Jacques Callots Capricci di varie figure aus dem Jahr 1617, die er Lorenzo Medici als techni- sche Bravourstücke widmete.865 Callots druckgraphischer Zyklus über das volkstümli- che Treiben in Florenz ist sowohl in der Ausführung als auch motivisch wegweisend für diese Kunstform. Diesem improvisatorischen Gestus folgend sind die meisten Capricci- os Radierungen oder Zeichnungen, die dann häufig auch im Titel - und dies ist anders als bei den Gemälden866 - auf diese Kunstform verweisen. Ebenso ist das niedere Sujet insofern charakteristisch, da hier nicht Pathos, religiöse oder historische Motive darge- stellt werden, sondern vielmehr eine skurrile Idee ausgeführt wird. Im Vergleich zur amimetischen Musik wird in der bildenden Kunst deutlich, daß der spielerische Umgang mit der Form nicht ohne Auswirkungen auf das Verständnis von Wirklichkeit bleiben kann. Denn häufig ist dieses ähnlich wie in den Hexenszenen oder den Nachtstücken von Grund auf phantastisch oder erhält einen Zug ins Irreale etwa bei der rein additiven Aneinanderreihung von bekannten historischen Gebäuden in einem

861 Ebd., S. 5. 862 Vgl. „Erstens: die Subjektivität, der sich das Capriccio verdankt, hat programmatische Qualität: sie ist eine kunstimmanente Reaktion bzw. Positionsbestimmung. Zweitens: sie setzt ein Kunstbewußtsein voraus, das sich in Regel und Verstoß, Norm und Abweichung gründet.“ Werner Hofmann, Das Capriccio als Kunstprinzip, in: Das Capriccio als Kunstprinzip (1996), S. 23. 863 Lucrezia Hartmann (1973), S. 42/43. 864 Ebd., S. 50. 865 Werner Busch, Die graphische Gattung Capriccio – der letztlich vergebliche Versuch, die Phantasie zu kontrollieren, in: Das Capriccio als Kunstprinzip (1996), S. 55. Davor gab es zwar Ornamentcapric- cios, aber keine eigenständigen Bildkompositionen. 866 Lucrezia Hartmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Bildtitel zu diesem Zeitpunkt nur in der Druckgraphik gebräuchlich waren. Lucrezia Hartmann (1973), S. 5. 189 Bild.867 Der selbstreferentiell wirkende Rückgriff auf ein Archiv von Bildern und deren manieristische Zusammensetzung hebt die Realität auf und setzt die Fiktion als gleich- wertig ein. In diesem Sinne weisen Callots Blätter keine einheitliche Perspektive auf, und in vielen Capriccios wird die Einbildung oder das Innenleben als eigener Bewußt- seinszustand entdeckt wie etwa in Francisco de Goyas Der Traum gebiert Ungeheuer aus seinem Zyklus Caprichos, in dem er das Mittel der karikierenden Überzeichnung zur Gesellschaftskritik einsetzt. Goya ist nicht der einzige, der die Freiheit des Capric- cio und dessen vermeintliche Bedeutungslosigkeit nützt, um in chiffrierter Weise auf konkrete Zustände Bezug zu nehmen. Auch Giovanni Battista Piranesis Carceri sind zwar Phantasiegebilde868, doch kommt in ihnen ein klaustrophobisches Gefühl zum Ausdruck, das einerseits einen politischen Mißstand und andererseits eine existenzielle Lebenseinstellung zum Ausdruck bringt. Anders als Christoph Martin Wieland, der mittels des „Geist[es] des Capriccio“ die Sprache in Idris und Zenide erneuert869, betont E.T.A. Hoffmann im Vorwort zu seiner Prinzessin Brambilla, die Möglichkeit unter dem Deckmantel der Phantasie, die eigene Weltanschauung darzulegen. Wagt es der Herausgeber an jenen Ausspruch Carlo Gozzis (in der Vorrede zum „Ré de‘ geni“) zu erinnern, nach welchem ein ganzes Arsenal von Un- gereimtheiten und Spukereien nicht hinreicht, dem Märchen Seele zu schaf- fen, die es erst durch den tiefen Grund, durch die aus irgendeiner philoso- phischen Ansicht des Lebens geschöpfte Hauptidee erhält, so möge das nur darauf hindeuten, was er gewollt, nicht, was ihm gelungen.870 Die phantastischen Bildideen Callots bilden in E.T.A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla den Hintergrund für seine Vorstellung vom Dichterischen. So verbindet er die Poly- perspektivität und die Synthese heterogener Details der Callotschen Capriccios mit sei- ner eigenen Auffassung einer mehrdeutigen Wirklichkeit, die er durch den Dualismus

867 „Das Ruinencapriccio rechnet mit der historischen Unwahrscheinlichkeit seiner Inszenierungen. Es hebt räumliche Entfernungen zwischen Objekten auf, und es kann historische Personen und Monu- mente in ihre eigene Nachwelt versetzen. Das Capriccio verdichtet räumlich und / oder zeitlich ge- trennte Objekte.“ Peter Gleimer, Das „Haus der Inkohärenz“ – Capriccio und Sammlung im 18. Jahrhundert, in: Kunstform Capriccio. Von der Groteske zur Spieltheorie der Moderne. Vorträge gehalten anläßlich der Ausstellung „Das Capriccio als Kunstprinzip. Zur Vorgeschichte der Moder- ne von Arcimboldo und Callot bis Tiepolo und Goya“, Köln, Zürich und Wien 1997/98, hrsg. von Ekkehard Mai, Joachim Rees, Köln 1997, S. 141. 868 Piranesi nannte diesen Zyklus nie Capricci, sondern Groteschi. Norbert Miller, Giovanni Battista Pira- nesis Entdeckung der Imagination. Das Capriccio in den Zeichnungen und Radierungen seines Frühwerks, in: Das Capriccio als Kunstprinzip (1996), S. 150. 869 Der „Geist des Capriccio“ inspirierte Wieland zu einer Anpassung der romanischen Stanzenform an die deutsche Sprache. Christoph Martin Wieland, Vorwort zu Idris und Zenide, in: Ders., Sämtliche Werke. Band 6, Hamburg 1984, S. 7. 870 E.T.A. Hoffmann (1985), S. 769. 190 von Poesie und Leben bestimmt sieht. Geleitet von Callots Zyklus findet dieser Gegen- satz im Humor der Commedia dell’arte seine Aussöhnung.871 Die Offenheit des Capriccios wird damit zum Angebot für eine Interpretation von Wirklichkeit, die in sich inkohärent und mehrdeutig ist872, so daß Hoffmann die Kunst- form nicht nur als formales Spiel, sondern vielmehr als die märchenhafte Ausführung einer philosophischen Vorstellung auffassen kann. Die sprunghafte Einbildungskraft des Autors soll nichts anderes als den poetischen Sinn seiner Leser fürs Unendliche wecken. Daß sich am Phantastischen die Vorstellung des Wirklichen erweitert, ist ein genuin romantischer Gedanke, wie er sich auch in den ästhetischen Schriften Friedrich Schle- gels findet. Bezeichnend ist, daß Hoffmann anders als Friedrich Schlegel diesen nicht an der Ara- beske, sondern am Capriccio entwickelt, denn die Arabeske beruht auf der Wiederho- lung eines Ornaments und ist abstrakter, aber auch homogener als das Capriccio, das aufgrund seiner Heterogenität der Auffassung Hoffmanns von Dichtung entgegen- kommt. Innerhalb der Theorie der romantischen Dichtung Friedrich Schlegels nimmt die Ara- beske eine bedeutende Stellung ein, bezeichnet Schlegel doch das vollendete romanti- sche Kunstwerk als Arabeske, das bislang eben nur als Naturprodukt873, etwa in den Werken Jean Pauls vorkomme. Das Ideal der romantischen Dichtung ist nach Schlegel die Verbindung von phantastischer Form und sentimentalem Stoff.874 Versteht man un- ter Arabeske ein orientalisches Ornament, das zum einen auf der Wiederholung seiner

871 „Schaue ich deine überreichen, aus den heterogensten Elementen geschaffenen Kompositionen an, so beleben sich die tausend und tausend Figuren, und jede schreitet, oft aus dem tiefsten Hintergrunde, wo es erst schwer hielt, sie nur zu entdecken, kräftig und in den natürlichsten Farben glänzend her- vor. Kein Maler hat so wie Callot gewußt, in einem kleinen Raum eine Fülle von Gegenständen zu- sammenzudrängen, die, ohne den Blick zu verwirren, nebeneinander, ja ineinander heraustreten, so daß das Einzelne, als Einzelnes für sich bestehend, doch dem Ganzen sich anreiht.“ E.T.A. Hoff- mann, Vorwort zu Fantasiestücke in Callots Manier, in: Ders., Sämtliche Werke in sechs Bänden, Band 2, 1, Frankfurt 1993, S. 17. 872 „Zur Negation gehören: der Verzicht auf einsinnige Lesbarkeit: die Absage an das Kohärenzangebot und an alle Maßstäbe, die unumstößliche Werthierachien behaupten. Dem steht gegenüber die Beja- hung der Mehrdeutigkeit, der Wahlfreiheit, der Realitätsabsicherung und die Aufhebung der Finali- tät, also der Engültigkeit von Formzuständen (= das Herstellen reproduzierbarer Aussagen).“ Wer- ner Hofmann (1996), S. 32. 873 „Wir dürfen nun einmal die Forderungen in diesem Stück an die Menschen der jetzigen Zeit nicht zu hoch spannen, und was sich in so kränklichen Verhältnissen aufgewachsen ist, kann selbst natürli- cherweise nicht anders als kränklich sein. Dies halte ich aber, so lange die Arabeske kein Kunstwerk sondern nur ein Naturprodukt ist, eher für einen Vorzug, und stelle Richtern also auch darum über Sterne, weil seine Fantasie weit kränklicher, also weit wunderlicher und fantastischer ist.“ Friedrich Schlegel (1967), S. 331. 874 Ebd., S. 333. 191 Elemente beruht, zum anderen aber durch die Nähe zur Kalligraphie gekennzeichnet ist, wird deutlich, woran Schlegel die Charakteristika der romantischen Dichtung anknüpft. Sie ist für die Romantiker Zeichen einer Natursprache und daher erste Annäherung an die Ursprache selbst.875 Die Doppeldeutigkeit der Arabeske als pittoreskes Bildmotiv und Bedeutungsträger versinnbildlicht die Gleichzeitigkeit von Form und Inhalt, wie sie sich für Schlegel in der Sichtbarmachung eines geistigen Gefühls im Sentimentalischen verwirklicht. Schlegel zieht nicht nur zur Veranschaulichung seines Gedankens die Hieroglyphe her- an, sondern verweist mit ihr auch auf die ägyptische Kultur, die der Romantik weniger entfremdet und der Dichtung näher schien. Bildhaft erfüllt sich in ihr die phantastische Veräußerung des Geistigen, das Schlegel als Rätsel der Liebe auffaßt und das sich in der Welt der Erscheinungen im Witz darstellt.876 Schlegel verwendet die Form der Groteske weitgehend äquivalent mit dem der Arabes- ke877 und erweitert deren begriffliches Spektrum somit um die Wandmalereien Raffa- els878, die in der Romantik, obwohl sie klassische Grotesken sind, auch als Arabesken bezeichnet worden sind.879 Anders als diese sind die Grotesken jedoch mimetischer. Ihr Bilderreichtum leitet sich von den römischen Wandmalereien ab, die Ende des 15. Jahr- hunderts in den unterirdischen, grottenähnlichen antiken Ruinen entdeckt und nach ih- rem Fundort „Grotesken“ benannt wurden.880 Hybridformen wie halbtierische und halb- pflanzliche Wesen verschmelzen mit Blumengirlanden, antikisierenden kleinen Szenen zu einem phantastischen Ornament. Anders als das Capriccio, das von Grund auf un- akademisch ist, wird bei der Groteske nur bedingt gegen den ästhetischen Regelkanon verstoßen, da man sich auf die Antike als direktes Vorbild berufen konnte.881 Wie das Capriccio ist auch die Groteske ambivalent und nicht rein dekorativ aufzufassen. Die in ihr verwirklichte Schwerelosigkeit der Form und ihre Synthese des Heterogenen hat auch etwas Verstörendes, das als Scherz oder Dämonie verstanden werden kann. Wolf- gang Kayser hat die sich in der Groteske verwirklichende Verzerrung der Realität als

875 Susi Kotzinger, Arabeske – Groteske: Versuch einer Differenzierung, in: Zeichen zwischen Klartext und Arabeske. Konferenz des Konstanzer Graduiertenkollegs „Theorie der Literatur“ , veranstaltet im Oktober 1992, hrsg. von Dies., Gabriele Rippl, Atlanta 1994, S. 226. 876 Friedrich Schlegel (1967), S. 334. 877 So bezeichnet er Jean Pauls Werke, die er zuvor als Arabesken beschrieben hatte, auch als Grotesken. Ebd., S. 330. 878 Ebd., S. 333. 879 Susi Kotzinger (1994), S. 219. 880 André Chastel, Die Groteske. Streifzug durch eine zügellose Malerei, Berlin 1997, S. 17. 881 „Dessen Bedeutung ist deshalb in unseren Augen so beträchtlich, weil man unter dem Deckmantel des Antiken ein Stilprinzip ergreift, das genau das Gegenteil von dem ist, was zur gleichen Zeit die klassische Ordnung fordert und begründet.“ Ebd., S. 21/22. 192 spezifische Erfahrung der Moderne gedeutet, in der sich der Verlust einer Weltorientie- rung als Entfremdung veranschaulicht.882 Aufgrund der Fortsetzung und Wiederholung der Ornamente ins Unendliche kann die Arabeske sinnbildlich für Schlegels offenes System der romantischen Dichtung als pro- gressive Universalpoesie stehen.883 Bereits Schlegels Essay über den Roman mit seinen Exkursen und argumentativen Sprüngen läßt für den kommenden romantischen Roman ein diskontinuierliches Erzählen erwarten, wie er es selbst in Lucinde verwirklicht hat. Abgesehen von ihrer Fortsetzung ins Unendliche und der Verbildlichung des Erzählfa- dens als verschlungenes Muster, ist die Arabeske auch durch ihre charakteristische Ver- bindung heterogener Teile für die Gattung des Romans aussagekräftig. Diese Synthese verweist so einerseits auf die Vereinigung der unterschiedlichen Formen der Dichtung wie Lyrik und Drama im Roman und andererseits durch ihr Vorhandensein in Musik und Malerei auch auf die umfassende Totalität der Künste in der Romantik.884 Dadurch, daß Schlegel die Gattung des Romans nicht normativ beschreibt, sondern des- sen Entstehung erst für die Zukunft erwartet, ist Schlegels Brief über den Roman auch für die modernen Erzähler bedeutend geblieben. Robert Musils Romanpoetologie, die er ganz im Sinne Schlegels innerhalb seines Romans Der Mann ohne Eigenschaften ent- wickelt, greift in vielem das Schlegelsche Bild der Arabeske auf. Auch Musil praktiziert in seinem Fragment gebliebenen Hauptwerk ein arabeskes Erzählen, das ohne Stringenz und einheitliche Perspektivierung vor sich hin mäandert. Musils Beschreibung der Er- zählstruktur seines Romans als „unendlich verwobene[n] Fläche“ kann dabei durchaus als eine Variante der Arabeske gelesen werden.885

882 Wolfgang Kayser, Versuch einer Wesensbestimmung des Grotesken, in: Das Groteske in der Dichtung (1980), S. 44. Michail M. Bachtin sieht in dieser Interpretation Kaysers eine Verengung des Begrif- fes auf die moderne Groteske. Michail M. Bachtin (1969), S. 26. 883 Über die kommende romantische Poesie schreibt Schlegel und charakterisiert dabei gleichzeitig das Aufbauprinzip der Arabeske: „Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Darge- stellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poe- tischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in ei- ner endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen.“ Friedrich Schlegel, Athenäumsfragment 116, in: Ders. (1967), S. 182/83. 884 „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhe- torik in Berührung zu setzten. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors beseelen.“ Ebd., S. 182. 885 Ebd. 193 In der Literatur des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wird neben der Arabeske auch verstärkt auf die Groteske und das Capriccio886 zurückgegriffen, da diese Kunstformen für eine genuin moderne Produktionsästhetik stehen, die allein durch die Originalität des Künstlers bestimmt wird. Edgar Allan Poe hat sich so bei der Multi- perspektivität und der Durchbrechung der Einheit von Zeit und Raum in den Tales of the Grotesque and Arabesque ausdrücklich auf die von diesen beiden Kunstformen ge- währten Freiheiten berufen.887 Insbesondere die avantgardistischen Bewegungen haben sich auf das freie Spiel der Phantasie der Capriccios und Arabesken bezogen, deren Verzicht auf mimetische Darstellung dem Autonomiebestreben der Moderne entgegen- kommt.888 Umberto Ecco geht dabei sogar so weit, das Architekturcapriccio aufgrund seines additiven Aufbaus zum Vorläufer der Postmoderne zu erheben.889 Lampes Verweis auf die Kunstformen des Capriccios, der Arabeske und der Groteske steht so auch im Kontext der künstlerischen Selbstreferentialität, die sich unter den Pro- duktionsbedingungen im Dritten Reich durch die Unmöglichkeit über die eigene Zeit aufrichtig zu schreiben, zum Rückzug auf die Form modifiziert. An die Stelle einer mi- metischen Wirklichkeitsdarstellung treten das Experiment mit Zeit und Raum und die Öffnung zu den anderen Künsten.

4.3.1.1. Subjektive Wahrnehmung und Täuschung Das mehrdeutige Wirklichkeitsverständnis des Capriccio findet sich in den Erzählungen Lampes zum einen in dem Motiv der Täuschung und zum anderen in einer freien Be- handlung von Raum und Zeit wieder. In der Erzählung Am Leuchtturm bricht Lillis

886 Wolfgang Kayser weist auf den synonymen Gebrauch von Capriccio und Groteske hin. Wolfgang Kayser (1961), S. 182. 887 Jutta Ernst, Edgar Allan Poe und die Poetik des Arabesken, Würzburg 1996, S. 160. 888 So griffen die französischen Surrealisten die Capriccios François de Només auf, da sie dem eigenen Interesse für „phantastische Konstruktionen mit ‚enigmatischem Aspekt‘ entsprachen.“ Das Capric- cio als Kunstbegriff (1996), S. 209. „Weil die Arabeskenproduktion eingestandenermaßen unideal ist, weil sie unter den vorgegebenen Denk- und Lebensverhältnissen den Kunstanspruch lockern muß und, im Bezugsrahmen traditioneller Poetik gesprochen, die inventio, die Einbildungskraft und den Witz unbelastet von Verstandeskontrollen freisetzt, wird sie für die Moderne bedeutsam.“ Günter Oesterle, Arabeske und Roman. Eine poetologische Rekonstruktion von Friedrich Schlegels Brief über den Roman, in: Studien zur Ästhetik und Literaturgeschichte der Kunstperiode, hrsg. von Dirk Grathoff, Frankfurt 1985, S. 243. Vgl. „Die ornamentale Struktur verzichtet, wie gezeigt wur- de, weitgehend auf die illusionistische Simulation einer drei-dimensionalen Räumlichkeit und kommt so gesehen dem Autonomiebestreben der modernen Kunst gegenüber den Vorgaben der em- pirischen Wirklichkeitserfahrung in hohem Maße entgegen.“ Annette Simonis, Literarischer Ästhe- tizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne, Tübingen 2000, S. 110. 889 Das Capriccio als Kunstprinzip (1996), S. 83. 194 Traum vom privaten Glück mit ihrer Urlaubsliebe zusammen und erweist sich ange- sichts von Fritz‘ Untreue als Illusion. Mit dem Motiv des Scheins spielt ebenfalls Das magische Kabinett. In dem kleinen Seebad, in dem Anton Wolde seinen Urlaub verbringt, raubt ein Dieb, der aufgrund sei- ner wechselnden Masken Proteus genannt wird, die Gäste aus. Anton, der wie viele an- dere sein Opfer wird, verliert dabei nicht nur seine Wertsachen, sondern auch das Ver- trauen in seine eigene Wahrnehmung. Er mußte auf einmal an den unheimlichen Menschen denken, der seit Tagen die Insel terrorisierte. In immer neuen Gestalten drang er nachts in die Ho- telzimmer und schreckte die Gäste und bestahl sie, und immer kam er als ein anderer, so daß man nicht wußte, war das nur eine Person oder eine gan- ze Bande.890 Anton ist darüber so verwirrt, daß er sich von Proteus instrumentalisieren läßt und sei- nen zukünftigen Schwiegervater, den Zauberkünstler Buferino, für den Schuldigen hält. Nichts ist wie es scheint, der Polizist ist der eigentliche Verbrecher und das Medium Helena ein einfaches Mädchen, das sich nach einer bürgerlichen Idylle sehnt. Allein Hannchen, die vom Vater hypnotisiert den Verbrecher entlarvt, unterstützt damit die Aufklärung des Falls durch den angereisten Polizeibeamten Boltz. Auch wenn die Problematik der subjektiven Wahrnehmung hier ganz ins Unterhaltsame abgeflacht er- scheint, bleibt doch deren Kern - die Verunsicherung der Wirklichkeit - bestehen. Ungleich radikaler wirkt die Erzählung, die dem Band seinen Namen gab. Von Tür zu Tür beginnt mit der Episode, in der die Mutter Lotti zu ihrer Tante schickt, um der kranken Frau mit dem mitgebrachten Schellfisch eine Freude zu machen. Nachdem Lotti im Haus der alten Frau angekommen ist, beschleunigt sich das Geschehen. Denn obwohl zwischen den einzelnen Ereignissen wie der Gedenkfeier für die verstorbene Tante und der geplanten Verheiratung Lottis mit dem Jugendfreund ihrer Tante Jahre liegen, wird die erzählte Zeit so behandelt, als ob sich alles in wenigen Minuten ereig- nen würde. Da hörte Lotti im Nebenzimmer eine Männerstimme. Eine schöne klang- volle Stimme, die so etwas Beruhigendes und Vertrauenerweckendes hatte. Und als die Mutter sagte: „Nun hab‘ ich gar nicht Nadeln genug, ich geh‘ mal eben raus und seh‘ zu, daß ich von dem Zimmermädchen welche be- komm“, und als sie aus dem Zimmer ging, da legte Lotti hastig Kranz und Schleier ab und schritt zu der Tür, die ins Nebenzimmer führte. Sie drückte die Klinke, sieh da, die Tür war unverschlossen, und sie trat in das Zimmer. Da saß Arthur am Schreibtisch. Er hatte ein paar große Bögen Papier vor

890 V.T.z.T., S. 239. 195 sich liegen und er hatte gerade laut vorgelesen, was er aufgeschrieben hat- te.891 Zeit und Raum gehen dynamisch ineinander über. Zu Beginn der Erzählung ist Lotti noch ein Kind und am Ende eine erwachsene Frau und Mutter zweier Kinder. Die Ü- berleitung zwischen diesen einzelnen Stationen wird häufig durch Sinneseindrücke ge- schaffen, die eine Kontinuität der Wahrnehmung suggerieren, die sich im Nachhinein als trügerisch erweist. Draußen läuteten noch immer die Glocken von St. Annen, der Fisch roch, und die Dämmerung wurde dichter. „Lotti, steck die Kerzen an“, flüsterte Tante Gertrud mit geschlossenen Augen, „die Streichhölzer liegen auf dem Nähtisch.“ […] Und Lotti steckte die Kerzen an, eine nach der anderen, und das Licht schimmerte über Tante Gertrud hin. Starr lag sie da, mit geschlos- senen Augen, und sagte nichts mehr. Da begann eine Orgel zu spielen, ir- gendwo, ernst und feierlich, und da hörte Lotti in der Stube nebenan, die durch eine große dunkelrote Samtportiere verhängt war, gedämpftes Stimmengemurmel, und die Samtportiere wurde auseinandergezogen, und langsam schritten viele Menschen in das Zimmer, Männer und Frauen, alle schwarzgekleidet, die Herren den Zylinderhut in der Hand und die Frauen mit schwarzen Kreppschleiern an den Hüten, und alle hatten schwarze Handschuhe an, und sie trugen große dicke Trauerkränze mit weißen und roten Schleifen, […].892 Dem zeitlichen und räumlichen Bezugsystem der Erzählung liegt nicht nur kein eindeu- tiges Wirklichkeitsverständnis zugrunde, sondern dieses trägt durch die grotesken Ele- mente zudem noch unheimliche Züge. So schlägt Lottis Tante ihrem Papagei, von dem sie sich durch dessen Gekreisch verspottet fühlt, unvermittelt den Kopf ab und wirft diesen, noch zuckend, neben den toten Fisch.893 Die Begründung Lottis, daß sie wohl geschlafen haben müsse, kann angesichts der weiteren Analogien und Doppeldeutig- keiten kein kausal motiviertes Wirklichkeitsverständnis herstellen. Vielmehr bleibt die- ses inkohärent und mehrdeutig. Das Wasser war glatt und dunkel, und es roch nach Fisch und Teer. „Was kriegen wir zu essen?“ fragte Lotti. „Schellfisch“, sagte Arthur. „Schell- fisch?“ sagte Lotti, es schauerte sie leise im feuchten Abendhauch. „Schell-

891 Ebd., S. 210. 892 Ebd., S. 205/6. 893 „Und sie riß den bunten Schal vom Käfig und packte den kreischenden Vogel, der mit seinen grünrot- gelb schimmernden Flügeln wild um sich schlug, und während er zum letztenmal in ihre Hand hin- einhackte, daß das Blut ihr über die Finger lief, schnitt sie ihm den Hals durch und warf ihn auf das Büfett, und da lag er nun zuckend neben dem glotzenden Fisch.“ Ebd., S. 205. Vgl. „Lotti wickelte den Schellfisch aus und zeigte ihn Tante Gertrud. Die starrte eine Weile auf den Fisch, auf seinen fetten, silbrig glimmenden Leib und seine glotzenden Augen, und ihre große Adlernase sog gierig den scharfen Fischgeruch ein, ja, die Nase sah aus, als wollte sie gleich auf den Fischleib losha- cken.“ Ebd., S. 204. 196 fisch? Was war denn noch damit? Ach, richtig, den aß Tante Gertrud ja so gern.“894 Die weichen Überblendungen zwischen den Szenen und die alineare Auffassung von Zeit und Raum, die Lampe in Laterna magica als charakteristisches Mittel des Films beschrieben hatte, sind hier eingelöst. Von Tür zu Tür ist dadurch, daß der Traum zur eigentlichen Wirklichkeit wird, die Erzählung Lampes, die sich am weitesten dem Sur- realismus annähert.895 Lampe verbindet hier das Groteske, das wie bei E.T.A. Hoffmann in die erzählte Welt einbricht, mit der experimentellen Schreibweise des Filmstils.

4.3.1.2. Musikalisches Formprinzip In den Erzählungen Von Tür zu Tür forciert Lampe das Musikalische als Strukturprinzip und Stimmungsträger, wie er es bereits in den beiden Romanen Am Rande der Nacht und Septembergewitter eingesetzt hatte. Die Spanische Suite greift so in nuce das Kom- positionsschema von Septembergewitter auf und ersetzt die Naturkraft des Gewitters konsequent durch die Musik. Anstelle des Unwetters bildet das Konzert, mit dem Juan Bulthaupt sein erfolgreiches Debüt feiert, den erzählerischen Rahmen der Spanischen Suite. Wie zuvor in den Romanen fügen sich im schnellen Wechsel die Gedanken der Konzertbesucher und Orchestermitglieder aneinander, so daß ein gleichwertiges Pano- rama der verschiedenen Impressionen entsteht. Der ausgeprägte Dualismus von Sep- tembergewitter findet sich in der Spanischen Suite insofern wieder, daß die Musik einen Gegensatz zum saturierten Bildungsbürgertum und dessen starren Lebensentwürfen bildet. Juan Bulthaupt widerspricht nicht nur als Künstler, sondern auch aufgrund seiner spanischen Abstammung und seinem südländischen Temperament der Mentalität der Kaufleute. Wesentlicher Ausdruck seiner Selbst ist die Musik, die als spanisch be- schrieben wird und die bei allen Hörern Assoziationen an ein freies und unbeschwertes Leben weckt. Erster Satz: In der Schenke. Allegretto vivace. Aufreizendes Gezupf der Geigen, scharf und abgehackt, Klappern der Kastagnetten, dumpfes Bum- Bum-Bum der Trommeln, Flöten schrillen dazwischen, frech und quäkend, immer schneller, immer schärfer und härter, aufstachelnd zum Tanz, zum Wirbel – ein Tumult, chaotisch zerreißend und doch zusammengehalten, zu- sammengezwungen durch diesen eckigen, brutalen Rhythmus. Sie tanzen,

894 Ebd., S. 211. 895 „Jenes Ineinandergleiten von Räumen und Zeiten, welches man bisweilen Surrealismus zu nennen beliebt, hat Lampe als Kunstmittel angewandt.“ Kurt Kusenberg (1950), S. 423. Jürgen Dierking sieht sich so durch die Episode mit dem Fisch und dem Papagei an Louis Buñuels Andalusischen Hund erinnert. Jürgen Dierking (1986), S. 363. 197 sie lachen, sie trinken und schreien, in einer Schenke, die Wilden, die Feuri- gen, stampfen und werfen sich nach hinten, he, olé, Tücher fliegen, Röcke schlagen flammende Räder, Messer blinken […].896 Die Charakterisierung der Musik Bulthaupts als südländisch bezieht sich nicht allein auf die Übernahme von Elementen des Volksliedes oder den Einsatz der Instrumente, sie ist vielmehr auch eine inhaltliche Bestimmung. Tempo und Leidenschaft der spanischen Suite Bulthaupts lassen den Kritiker Helmers an Nietzsches Vorstellung der Musik des Südens denken.897 In seiner Schrift Jenseits von Gut und Böse hatte Nietzsche die Wag- nersche Oper mit den Kompositionen Bizets verglichen und Bizets Synthese von Geist und Sinnlichkeit als Ergebnis der Stimmung des Südens hervorgehoben.898 Wie bei Nietzsche steht auch in der Erzählung die Musik für eine Erneuerung des Lebens im Sinne des Dionysischen ein. Die Dramatik der Musik überträgt sich auf die Zuhörer, denen ihr eigenes Leben gegenüber der Leidenschaft der Musik ereignisarm und lang- weilig vorkommt und aus dieser Motivation entscheidende Veränderungen beschließen. Stadtbaurat Wilkens inspiriert Bulthaupts Werk so zu einer architektonischen Umges- taltung des Konzerthauses und Willy Mertens nimmt sich vor, ein Haus zu kaufen.899 Der Wirkung des Septembergewitters in Lampes gleichnamigem Roman vergleichbar schafft die Musik in der Erzählung eine von allen Spannungen befreite Atmosphäre, die einen Neuanfang für alle möglich erscheinen läßt.900 Der amimetische Charakter der Musik erlaubt es Lampe nicht allein, die Mehrdeutigkeit von Bildern und Motiven hin zu einem freien Assoziieren zu erweitern, sondern auch deren abstraktes formales Prin- zip als Struktur auf die Erzählung zu übertragen. Die Art, wie Lampe in der Spanischen Suite in schnellem Perspektivwechsel die inneren Monologe der Konzertbesucher mit- einander verbindet und mit ruhigeren Passagen abwechselt, erinnert dabei an das Kom- positionsprinzip der Suite selbst.901

896 V.T.z.T., S. 230/31. 897 „‚Das ist Süd-Musik, wie sie Nietzsche erträumte, der Süden Mérimées, Bizets und Verdis, scharfes, helles Licht, trockne, heiße Luft, elementare Leidenschaft, naive Sinnenfreude, Verismus, heiter noch im Tragischen. Nur einer, der diese Welt im Blute hat, kann solche Töne finden...‘“. Ebd., S. 235. 898 Friedrich Nietzsche (1968), S. 208. 899 V.T.z.T., S. 235. 900 „Juan öffnete die Tür vom Musikerzimmer und trat auf den Balkon. Einen Augenblick allein sein, frei durchatmen. Dort unten lag dunkel die Stadt. Ein weicher, föhniger, feuchter Wind, man spürte schon das nahende Frühjahr. Der Schnee schmolz von den Dächern und rieselte auf die Straße. Es war ein Rumoren und Ziehen und Drängen in der Luft, und Juan preßte die Fäuste an die Brust und atmete tief die Frühjahrsluft in sich ein, seine Brust dehnte sich, daß das weiße, steife Hemd knack- te. Oh, es war großartig, und alles erst ein Anfang!“ Ebd., S. 238. 901 Johannes Graf wertet den Bezug auf das Musikalische hier als Metapher für die Erzähltechnik. Johan- nes Graf (1989/90), S. 100. 198 Lampes Text Eduard – eine Formenfibel, in der er einen Stoff in acht verschiedenen Gattungen und Stilen erzählt, kann als Weiterführung dieses Experiments gelten. Die Geburt Eduards und die Tatsache, daß sich Onkel Moritz bei der Namensgebung zu- rückgesetzt fühlt, wird so unter anderem dramatisch, lyrisch und als Reportage gestaltet. Eugen Claassen charakterisiert diesen freien Umgang mit der Form ausdrücklich als musikalisch.902 Bei einem weiteren Beispiel Zu Straßburg auf der Schanz dient das Musikalische zur Verdichtung der Atmosphäre. Bereits im Titel verweist Lampe auf das Lied Der Schweizer903, dessen erste Zeile der Erzählung ihren Namen gab. Im Lied, das durch die Sammlung Des Knaben Wunderhorn bekannt wurde, beklagt ein aufgegriffener schwei- zerischer Soldat sein Schicksal. Der junge Mann wartet auf seine Hinrichtung am nächsten Morgen, nachdem er aus Heimweh, das durch die Klänge eines Alphorns ge- weckt wurde, desertiert war. Lampe bezieht das Lied in doppelter Weise in seine Er- zählung, mit ein, in der ein fremder Reiter in einer alten Mühle auf die Leiche eines jungen Mädchens stößt, die nach Utrecht gebracht werden soll. Zum einen benennt er die Zeile, womit er das Motiv des Todes stärkt und die morbide Atmosphäre unter- streicht, zum anderen zitiert er das Lied dezidiert als Melodie904 und integriert so das Musikalische als Stimmungsträger in den literarischen Text.

4.3.1.3. Bildbeschreibungen Wie sein Vorbild E.T.A. Hoffmann läßt sich auch Lampe durch Werke der bildenden Kunst zu Erzählungen inspirieren oder integriert diese als Ekphrasis in den literarischen Text. Einige der Kurzgeschichten sind so wie Die Alexanderschlacht nach Gemälden benannt oder verweisen zumindest im Untertitel auf diese. Zu Straßburg auf der Schanz

902 „Ich habe immer die Vorstellung, daß Sie in dieser Art sozusagen freier Benutzung literarischer For- men im Stil der Musik, noch mehr schreiben werden.“ Eugen Claassen an Friedo Lampe am 25.2.1943, in: Eugen Claassen (1970), S. 273. 903 Der Schweizer. Fliegendes Blatt, in: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von Achim von Arnim und Clemens Brentano. Kritische Ausgabe, Band 1, Stuttgart 1987, S. 130/31. 904 „[…] und draußen begann auf einmal eine Trompete zu erschallen in dem stillen Abendtal: ‚Zu Straß- burg auf der Schanz, da ging mein Trauern an‘ – scharf und langezogen, gräßlich klar und wehmü- tig.“ V.T.z.T., S. 197; „Aber die Trompete schallte fort, weit hallend durchs Tal, und Adrian zog das braune Segel hoch und machte das Boot klar zur Fahrt.“ Ebd., S. 198. 199 ist im Vorabdruck in der Kölnischen Zeitung als Eine Phantasie über Rembrandts Kas- seler Landschaft905 präzisiert. Rembrandts Landschaft mit Ruinen906 aus der Gemälde- galerie der Staatlichen Kunstsammlung Kassel stellt eine ländliche Szenerie dar, die weitgehend in warmen Brauntönen gehalten ist. Am Horizont, über dem sich der Him- mel aufzuklaren scheint, zeichnet sich eine verfallene Burganlage ab, die die gesamte Ebene beherrscht. Im rechten Vordergrund ist am Flußlauf ein etwas ärmlich wirkendes Dorf zu sehen, zu dem eine einfache Steinbrücke führt. In unmittelbarer Nähe der alten Mühle liegen mehrere Kähne am Ufer. Der angelnde Knabe in der vorderen Bildmitte und die Schwäne im Fluß verbreiten eine ruhige, friedliche Stimmung, die auch durch den Reiter nicht gestört wird, dessen roter Mantel und schwarze Kappe der Betrachter des Bildes nur von hinten sieht. Lampe stellt die Bildbeschreibung, die aufgrund des Untertitels vom Leser leicht als die genannte Landschaft Rembrandts identifiziert werden kann, an den Anfang der Erzäh- lung. Am späten Nachmittag kam der Reiter an den Rand des Waldes, und er sah unter sich ein Tal liegen, das schwamm im milden Spätlicht, und das Tal öffnete sich weit und mit sanften Hängen zur Ebene hin, und die Ebene breitete sich in goldenem Dufte vor ihm aus. Ein kleiner Fluß mit braunem Wasser floß durch das Tal in die Ebene hinaus, und eine steinerne Brücke wölbte sich über den Fluß, und an seinem Ufer, in der Nähe der Brücke, lag eine alte hölzerne baufällige Mühle und wenige ärmliche strohgedeckte Hütten, ein paar breite Fischkutter lagen still mit gefalteten Segeln am Ufer, die braunen Flügel der Mühle standen auch still in der blauen Luft, am Mühlenteich saß ein Junge und angelte, Schwäne schwammen auf dem Mühlenteich, und der Nachtmittagsschein lag golden auf der steinernen Brücke und dem Mühlenflügel und den herbstlichen Bäumen und Büschen. Hellblau und klar stand der Himmel über dem weiten Tal, gereinigt und er- frischt durch ein abziehendes Gewitter, mit langen silbergrauen Wolken- streifen, und dort, wo der Himmel am hellsten war und am durchsichtigsten, auf der letzten Bergspitze, stand eine Burgruine dunkelklar vorm kühlen Blau. Der Reiter ritt langsam, in das Tal hinunter, er hatte einen roten Man- tel und einen großen schwarzen Hut, […].907 Der Erzähler übernimmt hier die Perspektive des Reiters, der sich bei Rembrandt im Bild befindet. Sein Blick erfaßt zuerst die Ebene, verweilt dann auf dem Dorf und schwenkt zum Himmel hinüber. Die charakteristische Kolorierung Rembrandts setzt Lampe als Übergang zwischen Tag und Abend, Sommer und Herbst um, der im folgen- den auch als Schwelle zwischen Leben und Tod gedeutet wird. Die Vermittlung der

905 Kölnische Zeitung Nr. 32 (18.1.1942). 906 Otto Pächt, Rembrandt, hrsg. von Edwin Lachnit, München 1991, Farbtafel 56. 907 V.T.z.T., S. 195. 200 sinnlichen Präsenz des Bildes durch die Nennung der Materialien, Farben und Eigen- schaften des Dargestellten steht ebenfalls ganz im Dienste dieser Atmosphäre des flie- ßenden Übergangs. Vor allem die Synästhesien wie „goldener Duft“ vermitteln den Eindruck aufbrechender Grenzen, dem durch die harmonische Stimmung der warmen Goldtöne und diffusen Lichtverhältnisse nach dem Gewitter nichts Aggressives oder Bedrohliches anhaftet. Diese öffnende Bewegung wird begrenzt durch die Statik, die vom Dorf ausgeht. Lampe betont hier noch die Eigenschaft der Malerei, einen Augen- blick festhalten zu können, indem er diese Zeitlosigkeit in der stillstehenden Mühle und den ruhig daliegenden Kuttern aufgreift. Die niederländische Landschaft wirkt dadurch melancholisch und leblos. Mit dem Ritt des Soldaten über die steinerne Brücke verläßt die Erzählung die Bildbeschreibung, die expositionsartig den Raum von Zu Straßburg auf der Schanz umreißt. Ausgehend von Rembrandts Landschaft mit Ruinen hat Lampe eine seiner gebrochenen Idyllen geschaffen, in denen das Idyllische durch eine Gefährdung überlagert wird. Die Idylle ergibt sich aus der ländlichen Szenerie, der Mühle am Fluß und der beschaulichen Stille, die über allem liegt. Eine Gefährdung von außen deutet sich durch das gerade vorbeigezogene Gewitter und die in der Nähe stattgefundene Schlacht an. Wie in den Städtebeschreibungen der beiden Romane sind die gattungsspezifischen Merkmale der Idylle durch eine Überzeichnung in ihre Negation modifiziert. Die Ruhe des Landlebens schlägt in Todesstille um und die einzelnen Konstituenten des Idyllischen sind von Zer- fall bedroht. Der Tod, der mit dem Idyllischen nicht zu vereinbaren ist, das für sich Zeitlosigkeit und die Abwesenheit von Trauer und Schmerz beansprucht, wird hier in die Darstellung des Idyllischen aufgenommen, so daß dieses eine untergründige Span- nung erhält. Insbesondere um die Mühle hat Lampe einen jener musterhaften Räume geschaffen, in denen die Idylle von einer Todesmetaphorik überformt ist und der an die Wallanlage aus Am Rande der Nacht erinnert. Das sprichwörtliche Mühlenidyll selbst steht so unter der Ambivalenz der romantischen Vorstellung und ihrer Verwandlung in ein Todesomen aufgrund des Stillstands der Mühle. Bei der Umdeutung der Landschaft in einen idyllischen Todesraum bedient sich Lampe neben der Betonung der Statik wie in seinem ersten Roman der Mythologie. So überführt der junge Mann die Leiche seiner

201 Verlobten auf einem Kahn zum Utrechter Friedhof und erscheint dadurch als Verkörpe- rung des antiken Charons.908 Der Titel „Phantasie“ ist hier doppeldeutig zu verstehen. So bezieht er sich nicht allein auf die Entstehung der Erzählung, der Erfindung der Geschichte aus einer Bildbeschrei- bung heraus, sondern auch auf deren Atmosphäre. Gegenüber Eugen Claassen hatte Friedo Lampe die „ernsteren, schwereren Stücke“ Phantasien genannt und sie von den „leichten, launigen“ Capriccios unterschieden.909 Um die morbide Stimmung zu erzie- len, macht Lampe in Zu Straßburg auf der Schanz nicht nur Anleihen bei der antiken Mythologie, vielmehr setzt er auch Elemente des Märchens ein, die der Erzählung ihren unbestimmten Charakter verleihen. Motive wie die Dreizahl – der Soldat entdeckt hinter der dritten Tür die Leiche – oder der überraschende Tod des jungen Mädchens aus uner- füllter Liebe, der an den Ophelias erinnert910, rücken die Erzählung ins Irrationale und Unwirkliche. Der Umstand, daß der Müller nichts von der Schlacht weiß, von der der Soldat kommt, verstärkt den Eindruck des Unheimlichen und Phantastischen.911 Den niederdeutschen Stoffen schließen sich in Von Tür zu Tür die antikisierenden Er- zählungen Die Alexanderschlacht, Die kaledonische Eberjagd und Der Raub der Euro- pa an, die sich wie Zu Straßburg auf der Schanz auf ein Gemälde beziehen und ihren eigentlichen historischen, beziehungsweise mythologischen Hintergrund als Teil einer geistesgeschichtlichen Tradition reflektieren. Lampes Erzählung Die Alexanderschlacht ist durch den Dualismus von langweiligem Kurbadalltag und fiktiver Traumwelt, in der das Gemälde Altdorfers Die Schlacht bei Issos zur lebendigen Szenerie wird, bestimmt. Albrecht, der über die strategische Be- deutung der Schlachten Alexanders des Großen promoviert, verbringt einige Tage bei seinem Onkel in einem Kurort. Mit einem Freund seines Onkels und dessen Tochter gehen sie gemeinsam in die Operette „Baron und Bauer“, während der Albrecht ein- schläft und von dem Kampf Alexanders des Großen mit Darius zu träumen beginnt. Der Übergang von der spießigen bürgerlichen Welt in die heroische der archaischen Vorzeit,

908 „Der Müller winkte noch einmal mit seinem schwarzen Hut, dann stieg er zur Kajüte hinab, und Adri- an saß allein am Steuer, und vor ihm unter der grauen Persenning stand der Sarg mit dem jungen Mädchen.“ Ebd., S. 198. 909 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 9.3.1943, in: Eugen Claassen (1970), S. 274. 910 V.T.z.T., S. 195/96. Vgl. „Unter die gefalteten Hände hatte man ihr einen dicken Strauß glühender Spätsommerblumen geschoben, Dahlien, Georginen, Astern und Rosen, und die dufteten süß und krank durchs Zimmer, […].“ V.T.z.T., S. 196. 911 Jochen Liebig betont so in diesem Zusammenhang, daß der erwähnte Herzog überhaupt nicht existiert habe und, daß die „scheinbar genaue historische Bezeichnung“ sich als „Ungenauigkeit“ erweist. Jochen Liebig (o.J.), S. 35. 202 vollzieht sich in der Illusionswelt des Theaters.912 Über die Kulissen steigend, gelangen Albrecht und sein Freund, der über Altdorfers Alexanderschlacht forscht, vor die Pano- ramasicht dieses Bildes. Ein großer Meerbusen öffnete sich vor ihnen, eingeschlossen von den Ber- gen mit den dunklen Wäldern, und dort unten in der Ebene vorm Meer stan- den sich die beiden Heere gegenüber, das griechische und das persische, und der Fluß Pinaros floß trennend zwischen ihnen dahin. Das war ein Gewim- mel von Kriegern, von Reitern, Kriegswagen, Fußtruppen, dicht gedrängt, ein Funkeln von Waffen, Schmettern von Trompeten, Trommelgeknatter, Helmbüsche flatterten, grüne, rote, gelbe Fahnen und Wimpel und Wappen und Mäntel leuchteten und bauschten sich im frischen Morgenwind, spitz stachen die kleinen Zelte, eine unzählbare Menge, in den blauen Himmel, und auf fernen Bergen ragten weiße Schlösser mit schlanken Türmen auf kreidigen Felsspitzen, und dahinter hoben sich blaue Alpenketten mit Schneegipfeln, angeleuchtet von der Sonne, die aus dem Meer gestiegen war und blitzende Brände über seine zackigen Felsinseln, seine kreuzenden Flotten, über die beiden feindlichen Heere hinschoß.913 Mit gerade einmal zwei Sätzen beschreibt Lampe hier das Gemälde, das er selbst wohl aus eigener Anschauung von den Museumsbesuchen seiner Münchener Studienzeit kannte. Er beginnt mit der Situierung des Schauplatzes durch die Nennung des Meerbu- sens, verzichtet jedoch auf Altdorfers Ausweitung hin zum östlichen Mittelmeer mit der Insel Zypern, dem Roten Meer, neben Ägypten und dem Nildelta. Dem miniaturartig dargestellten dynamischen Aufeinandertreffen der feindlichen Heere korrespondiert der dramatische Himmel, der die Hälfte des Bildes Altdorfers einnimmt. Den Ausgang des Kampfes vorwegnehmend löst die aufgehende Sonne die Mondsichel ab, die auf das untergehende Perserreich verweist. Von dem mittig ausgerichteten Schild, das die histo- rische Situation erläutert914, gehen wehende Stoffbahnen auf die Seiten ab und eine nach unten hängende Schnur mit einem Ring am Ende, die, würde man sie verlängern, auf Alexander den Großen zeigt und diesen aus dem Kampfgewimmel hervorhebt. Die un- terschiedlich ausgerichteten Reiterformationen der gegnerischen Heere bewirken, auf so engem Raum zusammengedrängt, fast einen Schwindel beim Betrachter. Oskar Ko- koschka bescheinigt Altdorfer vor der eigentlichen Entdeckung der Erdbewegung um die Sonne, diese in seinem Gemälde malerisch veranschaulicht zu haben. Kokoschka zufolge gelingt es Altdorfer entgegen den Bedingungen der bildenden Kunst, die Chro-

912 Diese Situation läßt Johannes Graf an E.T.A. Hoffmanns Erzählung Don Juan erinnern. Johannes Graf (1989/90), S. 100. 913 V.T.z.T., S. 270. 914 Das Schild erläutert die historische Konstellation: daß Alexander über Darius gesiegt hat, der mit 1000 Reitern fliehen konnte, während seine Frau und Kinder gefangengenommen wurden. Außerdem nennt es die Verluste der Perser, bei denen 100.000 Fußsoldaten erschlagen und 10.000 Reiter ge- tötet wurden. 203 nologie in das Gemälde einzubeziehen und die zeitliche Dimension sichtbar werden zu lassen. In diesem Werk kämpft etwas um das Gestaltwerden wie in einer Fuge, es wird jedoch vom absoluten Sehen erzeugt und öffnet andere Bereiche der Wirklichkeit, als das Auge der genannten erleuchteten Maler eröffnet hat. Der Zeitverlauf, in welchem die miteinander ringenden Motive in einer mu- sikalischen Fuge zur harmonischen Auflösung kommen, ist hier zum Bild- inhalt geworden.915 Die innere Verwandtschaft zwischen Malerei und Musik, die Kokoschka hier konsta- tiert, ist als konkreter Hinweis auf Beethovens Große Fuge zu lesen. Für Kokoschka ergibt sich diese Analogie durch die umfassende Synthese, die sich in den beiden Kunstwerken schöpferisch vollzieht und auf der ihre Einzigartigkeit in ihrer Zeit beruht. Denn, wie Altdorfer in der Alexanderschlacht die gleichzeitige Darstellung von Realem und Imaginiertem, wogender Schlacht und der ruhigen, morgendlichen Landschaft ge- lingt916, so verbindet Beethoven die Statik des Kompositionsprinzip der Fuge mit Dy- namik.917 Sowohl bei Altdorfer als auch bei Beethoven begegenet dem Rezipienten eine Simultaneität von Augenblick und fortschreitender Zeit, wodurch sich gemäß Kokosch- ka Altdorfers Gemälde der Musik, Beethovens Große Fuge hingegen gegenüber der Malerei öffnet. Lampe setzt nun diese Simultaneität des Bildes in Sprache um. Die Sogwirkung des Bildvordergrundes, die er durch die Weite des Meeres und die Massivität des Gebirges kontrastiert, verwirklicht er durch eine schier atemlose Schilderung der Schlacht selbst. Der Wechsel von asyndetischen und syndetischen Reihungen rhythmisiert die Prosa derart, daß die dynamische Beschreibung der Schlacht mit der beschriebenen Dynamik identisch erscheint. Wie im Bild wirken auch die Bewegungen im Text, so als ob sie simultan ablaufen würden. Die parataktische Verbindung der Einzelheiten schafft keine logische Verknüpfung des Geschehens, sondern fügt diese zu einer Panoramasicht zu- sammen, in der die Details gleichwertig sind.

915 Oskar Kokoschka, Das Auge des Darius. Altdorfers „Alexanderschlacht“, in: Ders., Aufsätze, Vorträ- ge, Essays zur Kunst, Hamburg 1975, S. 89. 916 Günter Schnitzler, Eine Analogie Kokoschkas: Altdorfers „Alexanderschlacht“ und Beethovens „Gro- ße Fuge“, in: Bild und Gedanke. Festschrift für Gerhart Baumann zum 60. Geburtstag, hrsg. von Ders., München 1980, S. 136. 917 „Ist Symmetrie und die daraus resultierende Statik und Ruhe das beherrschende Kompositionsprinzip der Bachschen Fuge – womit die innewohnende, jedoch nicht betonte Bewegung nicht ausgeschlos- sen ist-, verändert Beethoven in seinem späten Fugenwerk die Akzente zugunsten einer Gleichran- gigkeit von Statik und Dynamik.“ Günter Schnitzler (1980), S. 140. 204 Der Eindruck der „inneren Miniatur“ der Schlacht bei Altdorfer918 ist durchaus dem „nebeneinander, ja ineinander“ Heraustreten der Callotschen Figuren vergleichbar, so wie E.T.A. Hoffmann die Gleichwertigkeit von Einzelheit und Ganzes beschrieben hat- te.919 Bezeichnenderweise deckt sich dies mit einer Bemerkung Franz Rohs, der aus- drücklich Altdorfers Schlacht bei Issus als Vorläufer des Magischen Realismus920 und dessen Tendenz, die Unendlichkeit im Kleinen aufzuzeigen, anführt. Der dramatische Bericht über die Schlacht erinnert an vergleichbare Passagen in Lam- pes Werk, etwa der Darstellung des Gewitters in seinem zweitem Roman, das wie die Schlacht auch als dionysischer Rausch charakterisiert ist. Durch die Betonung sinnlicher Eindrücke bezieht Lampe in Die Alexanderschlacht nicht allein den Sehsinn durch die Beschreibung von Farbe, Licht und Schatten mit ein, sondern auch durch die Trompe- ten, die Trommeln und das Wehen des Windes das Gehör und schafft so eine dichte Atmosphäre, die nicht rational begriffen, vielmehr mitgefühlt werden soll. Konsequen- terweise geben die beiden Freunde Albrecht und Sebald die Distanz des Überblicks auf und mischen sich unter die Kämpfenden, wodurch sie selbst zum Teil des Bildes wer- den. Nachdem Alexander der Große durch ihre Hilfe den Sieg über Darius errungen hat und dieser auf seinem Streitwagen flieht, wacht Albrecht aus seinem Traum auf und wird desillusioniert wieder in den Alltag zurückgeholt. In der Erzählung Die kaledonische Eberjagd bleiben der Mythos und dessen Überliefe- rung die einzig bestimmende Wirklichkeit. An der Jagd auf den Eber Urno nimmt neben den berühmten Heroen auf ausdrücklichen Wunsch Meleagers auch die schöne Jägerin Atalante teil, in die sich der Sohn des Königs Oeneus von Kalidon verliebt hat. Diana hatte aus Rache für die ihr verweigerten Opfergaben den Eber nach Kalidon geschickt, um das Königreich zu verwüsten. gelingt Atalante der erste Treffer auf Urno, nachdem dieser die beiden Helden Durcas und Menalcas getötet hatte, Meleager kann ihm jedoch den tödlichen Stoß versetzen. Aus Liebe gesteht er Atalante zur Miß- gunst der anderen Jäger die Trophäe zu, die von Diana aufgehetzt, Meleagers Entschei- dung angreifen. Im Kampf tötet Meleager seine beiden Halbbrüder, worauf seine Mutter das Holzscheit, das nach einer Weissagung der Parze Atropos das Leben Meleagers begrenzt, verbrennt, worauf er stirbt. Lampe folgt bis auf einige Namensänderungen weitgehend dem Mythos, wie er durch

918 Franz Roh (1925), S. 57. 919 E.T.A. Hoffmann (1993), S. 17. 920 Franz Roh (1925), S. 57. 205 die Illias Homers und die Metamorphosen Ovids überliefert ist. Vorbildhaft für die Er- zählung, deren ursprünglicher Titel Die Jagd lautet, ist einmal mehr Rubens, auf den auch der Untertitel verweist.921 Der Titel Die kaledonische Eberjagd, unter dem die Er- zählung 1944 in Von Tür zu Tür veröffentlicht werden sollte, ist nur eine scheinbare Präzisierung, legt er doch eine eindeutige Zuordnung auf ein gleichnamiges Gemälde Rubens fest. Nun hat sich Rubens ausgiebig mit diesem Stoff beschäftigt und mindes- tens acht Versionen der Eberjagd geschaffen, die er einmal Kaledonische Eberjagd, dann wieder Atalante und Meleager nennt.922 Da die Entwürfe und die sich in Privatbe- sitz befindenden Exemplare als Vorlage für Lampes Erzählung nicht in Frage kommen, bleiben in der engeren Auswahl die beiden Bilder der kaledonischen Eberjagd, die sich im Prado und in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien befin- den.923 Wahrscheinlicher ist es, daß Lampe das spätere Gemälde des Prado beschrieben hat, da in der Jagd des Meleager und der Atalante von 1616/20 die Komposition ge- drängter ist und den Moment darstellt, in dem Urno, unter seinem massigen Leib Me- nalcas begrabend, von den Jägern und ihren Hunden umzingelt wird. Auch im späteren Gemälde Atalante und Meleager von 1662 ist Urno bereits vom Pfeil Atalantes verletzt, der ihn an der Stirn getroffen hat und Meleager setzt zum entscheidenden Stoß an. Doch ist hier der Aufbau lockerer, wenn auch nicht weniger dynamisch. Gefolgt von nur we- nigen Jägern und der Meute der Hunde hatte Atalante dem Eber nach dessen Ausfall gegen Menalcas durch den Wald nachgesetzt und diesen im Sumpf gestellt. Meleager nähert sich von rechts, um der in einem rotweißen Gewand gekleideten Atalante beizu- stehen und Urno mit seinem Speer den letzten Hieb zu versetzen. Obwohl sich diese spätere Version auf wenige Personen beschränkt, ist der Eindruck dramatischer, da die Jagd noch nicht entschieden ist. Auch die Behandlung des Lichtes unterstützt diese Wirkung, das von links kommend Glanzlichter auf die Bäume, die hellen Hundekörper und Atalantes weiße Haut setzt. Lampe fügt die Ekphrasis in den Verlauf der Erzählung als dramatische Zuspitzung ein, auf die das Begehren Meleagers und die wilde Jagd, die eng miteinander verbunden sind, zulaufen. Die Naturschilderungen sind erotisch aufgeladen und spiegeln gleicher- maßen die Spannung der Jagd als auch Meleagers Erwartung auf die Liebesnacht mit Atalante wider.

921 Die Erzählung wurde erstmals in der Frankfurter Zeitung Nr. 441/42 (30.8.1942) mit dem Titel Die Jagd. Eine Rubensphantasie veröffentlicht. 922 Vgl. Catalogo completo Rubens, hrsg. von Michael Jaffé, Mailand 1989. 923 Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien. Verzeichnis der Gemälde, hrsg. von Sylvia Ferino-Pagdar, Wolfgang Prokaska, Karl Schütz, Wien 1991, Farbtafel 405. 206 Aber eh sie noch sprechen können und die Arme heben, reißt sie schon der Jagdzug hinweg, und mit Hallo und Hurra und Gekläff und Hornruf braust der Schwarm in die Wälder. Das war im August, in Sommers Hoch-Zeit, wo das Korn schwer wogte auf Feldern im warmen Wind, wo Wolken, groß- bauschig und weiß, schwammen in zitternder Bläue, wo Trauben, prallrund und blau, goren in Gluten der Mittagssonne, wo Wälder, schauernd und lauberfüllt, strömten gebirgab zum Meere, und Brandung leckte wollüstig hin über heißen und weißen kaledonischen Strand, und Efeu kletterte gierig auf und kraftaussaugend an Zedernstämmen, und das Schilf in Sümpfen und die braunen Kolben rochen scharf, aber Insekten und Libellen zuckten flir- rend darüber hin.924 Wie in Die Alexanderschlacht wird das dramatische Geschehen im Wechsel von asyn- detischen und syndetischen Satzverbindungen vergegenwärtigt, die dem eigentlichen Höhepunkt der Jagd, der Tötung des Ebers, zustreben. In der Kaledonischen Eberjagd Lampes gelingt es Urno noch einmal, den Jägern zu entkommen, so daß die beiden Lie- benden gemeinsam den Eber erlegen bevor die Meute hinzukommt, wie es Rubens in der Madrider Atalante und Meleager dargestellt hat.

Und dann duckt er sich wieder zurück in den Sumpf bis an den Kopf im moorigen Wasser. Und bricht wieder hervor, und diesmal durchstößt er Me- nalcas, daß das Gedärm ihm heraushängt, und verschwindet wieder im Sumpfe. Aber Atalante, ihn hinter Binsen erspähend, traf ihn als erste an Ohr und Stirn, und das Blut lief ihm über die Augen und über die weißen Hauer. […] Und toll vor Wut tanzt Urno heraus, spritzend von braunem Moorschlamm, und hopst und grunzt und schnaubt und rollt rot die glotzen- den Augen. Da aber schießt ihm Meleager, risch, den Pfeil in die weiche Flanke.925 Trotz der Vermittlung des Mythos durch die Kunst offenbart sich die Geschichte von der kalidonischen Eberjagd für Lampe als archaisches „Lied von Lust, Rausch und Tod“926, das er, wiederum gebrochen durch die Moderne, als Erfüllung des Dionysi- schen im Sinne Nietzsches versteht. Die Betonung des Liedcharakters verweist neben- bei auf die Umarbeitung des ursprünglichen Gedichtes in Prosa927, vor allem jedoch auf die Auffassung des Liedes als ursprünglichste Form der Kunst, da sich in ihm Sprache, Musik und Tanz noch ungeteilt vereinen. Mit größerer ironischer Distanz behandelt Lampe den antiken Mythos in Der Raub der Europa, der in der bildenden Kunst zahlreiche Bearbeitungen fand. Da Lampe explizit keinen Hinweis gibt, ob er auch in dieser Erzählung eine konkrete Bildbeschreibung einfügte, kann aufgrund der Vielzahl der Versionen nur darüber spekuliert werden, ob

924 V.T.z.T., S. 278. 925 Ebd., S. 279. 926 Ebd., S. 281. 927 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 11.10.1942, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 115. 207 er sich, was angesichts der anderen Beispiele wahrscheinlich ist, auch hier auf eine be- stimmte Vorlage bezieht. Sicher ist jedoch, daß er in Der Raub der Europa ebenfalls auf einen traditionellen Stoff zurückgreift, um diesen neu zu fassen.

4.3.2. Synthese des Heterogenen Indem Lampe Musik- und Bildelemente in die Erzählungen Von Tür zu Tür einbezieht, erweitert er den literarischen Text um die Malerei und die Musik. Wie in den vorigen Eröterungen dargestellt, erreicht er dies durch Synästhesien und durch die Nennung von Liedtiteln oder die Beschreibung von Gemälden. Lampe fügt seine Capriccios und Phantasien damit in den traditionellen Wettstreit der Künste ein. Obwohl insbesondere Literatur und bildende Kunst durch gemeinsame Stoffe wie Mythen und religiöse The- men in enger Wechselwirkung stehen und man sich bis ins 18. Jahrhundert auf das be- kannte Paradoxon des Simonides von der Malerei als stummer Dichtung und der Dich- tung als redenden Bild bezog928, bestimmt die Konkurrenz der Künste die Geschichte der Ästhetik. So differenziert Lessing in seiner programmatischen Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie 1766 den Horazschen Begriff des „ut pictura poesis“ in die körperliche, räumliche Erstreckung der bildenden Kunst und in die zeitli- che und handlungsorientierte der Literatur.929 Demnach kann ein Bild einen Augenblick darstellen, der sich simultan erschließt, während die Literatur auf ein erzählerisch ent- wickeltes Nacheinander angewiesen ist930, das zwar abstrakter und weniger sinnlich ist, aber das Geschehen über sinnstiftende Strukturen kausal motivieren kann. Die Musik ist von allen Künsten die amimetischste und damit die mit der größten Transzendenz, die dennoch die Gefühle am stärksten anspricht.931 Trotz Lessings apodiktischer Trennung von Malerei und Plastik als räumlicher und der Literatur als zeitlicher Kunst932 gab es vor allem in der Romantik Versuche, die Diffe- renz in einer umfassenden Synthese zu überwinden. Friedrich Schlegel sieht so erst in

928 Stephan Reher, Leuchtende Finsternis. Erzählen in Callots Manier, Wien 1997, S. 29. 929 Gottfried Willems, Anschaulichkeit. Zu Theorie und Geschichte der Wort-Bild-Beziehungen und des literarischen Darstellungsstils, Tübingen 1989, S. 210. 930 Vgl. Günter Schnitzler, Erfahrung und Bild. Die dichterische Wirklichkeit des Charles Sealsfield, Freiburg 1988, S. 48. 931 Vgl. Gert Sautermeister, „Musik“ im literarischen Werk. Dionysische Erbschaft und architektonisches Gefüge, in: Laokoon und kein Ende. Der Wettstreit der Künste, hrsg. von Thomas Koebner, Mün- chen 1989, S. 13. 932 Vgl. Stephan Reher (1997), S. 30. 208 der Verbindung aller Künste den Beginn des eigentlichen Kunstwerks. Konsequent stellt er sich den noch zu schaffenden romantischen Roman als „gemischt aus Erzäh- lung, Gesang und anderen Formen“ vor.933 Denn dieser hätte den Vorzug, sich an den Ursprung der Dichtung, das gesungene Lied, anzunähern und dessen Repräsentation des geistigen Gefühls in den Roman zu integrieren.934 Wie bereits erläutert stehen die litera- rischen Formen Capriccio, Arabeske und Phantasie, auf die sich Friedo Lampe mit sei- nem Erzählungsband Von Tür zu Tür bezieht, im Kontext einer Zusammenführung der Künste. Schlegel deutete die Arabeske als Versinnbildlichung eines Romans, der auf Malerei und Musik übergreift, und als Chiffre einer Totalität der Kunst, in der sich ihre eigentliche Universalität zeigt. Wenn Lampe Elemente aus dem Bereich der Musik und der bildenden Kunst in seine Erzählungen einfügt, knüpft er damit an E.T.A. Hoffmanns Erzählen in Callots Manier an, worauf er Eugen Claassen hingewiesen hatte. Vermittelt durch Callot hat die Form des Capriccio Hoffmann künstlerische Freiheit und ein Wirklichkeitsverständnis eröff- net, das das Phantastische miteinschließt, was Hoffmann „Spielraum zu manchem“ bot.935 Selbst wenn die Sprache anders als die Malerei den Übergang zwischen einem mimetischen Wirklichkeitsverständnis und der Phantastik beschreiben kann - was Callot allerdings aufgrund seiner eigenwilligen Radiertechnik auch gelang - entspringt die In- tegration des Musikalischen und des Malerischen einer grundsätzlichen Sprachkritik.936 Aufgrund ihres nichtabbildenden Charakters galt die Musik als die Kunst mit der größ- ten Ausdruckskraft und Unmittelbarkeit, die der Sprache fehlt.937 Die Annäherung der Literatur an die Musik durch Lautmalereien, Alliterationen und Synästhesien und der bildhafte Zugang zur Wirklichkeit durch eingefügte Beschreibungen von Gemälden

933 Friedrich Schlegel (1967), S. 336. 934 „Nein, es ist der heilige Hauch, der uns in den Tönen der Musik berührt. Er läßt sich nicht gewaltsam fassen und mechanisch greifen, aber er läßt sich freundlich locken von sterblicher Schönheit und in sie verhüllen; und auch die Zauberworte der Poesie können von seiner Kraft durchdrungen und be- seelt werden.“ Ebd., S. 334. 935 E.T.A. Hoffmann an Carl Friedrich Kunz am 8.9.1813, in: E.T.A. Hoffmann, Briefwechsel, gesammelt und erläutert von Hans von Müller, Friedrich Schnapp, hrsg. von Friedrich Schnapp, Band 1, Kö- nigsberg bis Leipzig 1794-1814, Darmstadt 1967, S. 413. Vgl. „Das Skizzenartige, zusammen mit dem ‚Gewühl‘ schafft – wie wir noch sehen werden – die Voraussetzung zum imaginären Weiter- spinnen und zur Belebung der Bilder.“ Bernhard Dieterle (1988), S. 77. 936 „Die festlegenden Worte wirken zerstörerisch und entmystifizierend auf jenen Grenzbereich von Traum und Wachen, der die gesteigerte Wahrnehmung sich erschafft.“ Katrin Bomhoff, Bildende Kunst und Dichtung. Die Selbstinterpretation E.T.A. Hoffmanns in der Kunst. Jacques Callots und Salvator Rosas, Freiburg 1999, S. 26. 937 Vgl. Ebd., S. 20. 209 ermöglichte es Hoffmann, die als defizitär empfundene Abwesenheit des Sinnlichen zu überwinden.938 Neben Hoffmann kann Johann Jakob Wilhelm Heinse als weiteres Vorbild für Lampes Bildbeschreibungen gelten939, die er in den erzählerischen Text eingefügt hat. Lampe ist gleichermaßen in der Auswahl wie in der formalen Behandlung Heinse verpflichtet, dessen Beschreibung von Rubens Gemälde „Die Flucht der Amazonen“ er sowohl in seine Anthologie Das Land der Griechen als auch in Lebendiges 18. Jahrhundert940 auf- genommen hat. Für sein grundsätzliches Interesse an der Ekphrasis und der Beziehung zwischen Bild und Text spricht auch, daß Lampe in der Sammlung Antike Stücke deut- scher Dichter neben Heinse und Winckelmann auch die Beschreibung der antiken Sta- tue aus Stifters Nachsommer herausgegeben hat.941 Anders als sein Antipode Winckel- mann behandelt Heinse die Vorlage dramatisch. So spricht er angesichts von Rubens Die Flucht der Amazonen ausdrücklich von einem „furchtbar schöne[n] Schauspiel“.942 Nach einer allgemein gehaltenen Einführung des Themas beginnt er die Ekphrasis unten links, geht dann zur kämpfenden Gruppe rechts unten über, um das Geschehen auf der Brücke zu schildern und am Ende von der brennenden Stadt zu berichten, die aufgrund des tiefen Betrachterstandpunkts durch den Brückenbogen hindurch zu sehen ist. Heinse läßt in seiner Beschreibung kaum Distanz zum Schlachtverlauf zu, er nimmt Partei für die unterliegenden Amazonen und verwandelt die Darstellung Rubens in eine Erzählung voll mitreißender Dynamik. Während Winckelmann, der aufgrund der Analyse dem Betrachter Einblick in die Beschaffenheit eines Kunstwerks gewähren will943, ist Hein- ses Bildbeschreibung einfühlend. Lampe betont diesen erzählerischen Charakter der Kunstbetrachtungen Heinses zusätzlich, indem er dessen erläuternden Passus über die Bedeutung des Namens der Amazonen und deren vermeintliche Verstümmelung der Brust in der Anthologie Das Land der Griechen streicht. Die Dynamik der aufeinander

938 Stephan Reher (1997), S. 34. 939 Die Beschäftigung mit Heinse reicht bis in Lampes Studienzeit zurück, so hatte er 1924 überlegt, über diesen Autor eine Dissertation zu schreiben. Friedo Lampe an Walter Hegeler am 13.12.1924, unve- röffentl. Brief, DLA. Ein Hinweis auf Heinse findet sich bereits bei Johannes Graf (1989/90), S. 17. 940 Das Land der Griechen (1940), S. 43-46; Lebendiges 18. Jahrhundert (1933), S. 31-35. 941 Johann Joachim Winckelmann, Beschreibung des Torso im Belvedere zu Rom, in: Das Land der Grie- chen (1940), S. 10-15; Adalbert Stifter, Das Marmorbild (Der Nachsommer), in: Ebd., S. 137-50; Wilhelm Heinse, Beschreibung von Rubens Gemälde „Die Flucht der Amazonen“, in: Ebd., S. 43- 46. 942 Johann Joachim Winckelmann (1940), S. 43. 943 „Man sehe sie als eine Probe von dem, was über ein so vollkommenes Werk der Kunst zu denken und zu sagen wäre, und als eine Anzeige von Untersuchung in der Kunst. Denn es ist nicht genug, zu sa- gen, daß etwas schön ist: man soll auch wissen, in welchem Grade und warum es schön sei.“ Wil- helm Heinse (1940), S. 10. 210 eindrängenden Körper im Gemälde Rubens setzt Heinse in einen spannungsvollen Dua- lismus um, der das Geschehen antreibt. Feuerblick und Glut des Verfolgens, Wut und verzweifelte Rache des Entrinnenmüssens in höchstem Weibermute: Hauen und Stechen und He- runterreißen, Sturz in mancherlei Fall und Lage samt den Rossen in den Strom, Blut und Wunden, Schwimmen und Sterben, Blöße und zerhauenes Gewand und herrliche Rüstung; wahrstes Kolorit von Stärke, Wut und Angst und Tod in Mann und Weib: höchstes Leben in vollem Schlachtge- tümmel unter furchtbarer Leuchte zerrissenen Morgenhimmels.944 Heinse nützt die erzählerischen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, motiviert das Ge- schehen kausal und schmückt es aus. Selbstbewußt thematisiert er sein eigenes Medium, die Sprache, indem er angesichts der Grausamkeit des Kampfes dessen weitere Schilde- rung verweigert und unvermittelt abbricht. Aus der unmittelbaren Anschauung der Ma- lerei überträgt Heinse die plastische Körperlichkeit, Physiognomik und Gestik in die Literatur und erweitert damit deren sprachliches Spektrum. Seine Bildbetrachtungen sind so durchaus eigenständige dichterische Erzeugnisse.945 Heinses subjektiver und emphatischer Stil ist als literarisches Äquivalent zum eigentlichen schöpferischen Akt des Malers zu verstehen. Der Beschreibende schafft keine Kunst zweiten Grades, son- dern ein originäres Werk. In diesem Sinne rückt Lampe im Nachwort von Lebendiges 18. Jahrhundert, ohne explizit auf die Rubensvorlage hinzuweisen, Heinse „mit dem mächtig hervorbrechenden Tumult seiner Amazonenschlacht“ mitten in den „Wirbel- sturm der Genieperiode“.946 In Von Tür zu Tür erneuert Lampe, beeinflußt von E.T.A. Hoffmann und Heinse, die Beziehung zwischen literarischem Capriccio und der Malerei. Neben den Capriccios und dem arabesken Schreiben hat die Entstehung von Geschichten aus Bildbeschrei- bungen oder deren Integration in Erzählungen auch eine idyllische Tradition. Die Er- weiterung der sprachlichen Möglichkeiten hinsichtlich eines bildhaften Erzählens, das sich aufgrund der verwendeten Synästhesien auch an die Musik annähert, gehört jedoch in den Kontext der Formen des Capriccio, der Arabeske und der Phantasie, auf die sich Lampe gegenüber Claassen beruft. Wie Heinses Beschreibungen, so sind auch Lampes

944 Ebd., S. 46. 945 Helmut Pfotenhauer spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „pygmalionhaften Verlebendi- gung“, die entsprechend subjektiv sei. Helmut Pfotenhauer, Winckelmann und Heinse. Die Typen der Beschreibungskunst im 18. Jahrhundert oder die Geburt der neueren Kunstgeschichte, in: Be- schreibungskunst. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. von Gottfried Boehm, Ders., München 1995, S. 330. 946 Friedo Lampe, Nachwort, in: Lebendiges 18. Jahrhundert (1933), S. 71. 211 Erzählungen eigenständige literarische Werke, die in einem engen Verhältnis zu ihrer bildlichen Vorlage stehen. Auf die Textstruktur bezogen, ergibt sich durch die ekphrastischen Elemente ein Auf- brechen der Chronologie der Erzählung hinsichtlich der Simultaneität der Malerei. In- dem Lampe die Statik des Bildes in ein zeitliches Nacheinander umwandelt, bedient er sich eines dem filmischen Erzählen verwandten Verfahrens, um den Text mehrschichtig werden zu lassen. Der montageartigen Verbindung vergleichbar werden Bilder in ein erzählerisches Nacheinander gesetzt, wodurch die Linearität des Textes partiell aufge- hoben wird. Die eigentümlich heterogene Verknüpfung der Chronologie der Fabel mit der Gleichzeitigkeit des Bildes läßt Wirklichkeit als irritierende Doppelbödigkeit er- scheinen. Im Text kann diese mehrdimensionale Gleichzeitigkeit zur Synthese gebracht werden. Daß Friedo Lampe zur Schaffung seiner dichterischen Wirklichkeit auf die Kunst und den Mythos als vermittelnde Instanzen zurückgreift, ist auch als grundsätzliche Verun- sicherung zu deuten947, die angesichts der Zustände des Dritten Reichs als Realitätseska- pismus erscheinen muß.948 In einem Brief an Eugen Claassen hatte Lampe 1944 die kleine Form gegenüber der Gattung des Romans als derzeit einzige Möglichkeit des Erzählens verteidigt, da sich die Capriccios, Arabesken und Phantasien zum formalen Experiment eigneten und in diesen, anders als in dem realitätsbezogenen Roman, die eigene Gegenwart ausgeschlossen werden könne. Gemäß seiner Auffassung, daß sich ein Dichter nicht in die „groben politischen Kämpfe hineinbegeben“ solle949, macht Lampe Kunst und Antike zum Stoff seiner Erzählungen. Die Kurzgeschichten, die keinen Bezug zu dieser europäischen Tradition aufweisen, sind insofern realitätsenthoben, da sie Ferienatmosphäre beschreiben oder märchenhaft wirken. Zwar wurde vordergründig der germanische Mythos von den Nationalsozialisten ver- einnahmt, doch mißbrauchte man im Dritten Reich auch die Antike für ideologische

947 Vgl. „Literarische Texte suchen – zumal in der Moderne – vielfach das Bild, um sich selbst einen Grund zu schaffen.“ Monika Schmitz-Emans, Das visuelle Gedächtnis der Literatur. Allgemeine Ü- berlegungen zur Beziehung zwischen Texten und Bildern, in: Das visuelle Gedächtnis der Literatur, hrsg. von Manfred Schmeling, Dies., Würzburg 1999, S. 20/21. 948 In Die Krise wertet der Dichter Ernst das Ausweichen vor der eigenen historischen Wirklichkeit als Flucht. „Wir schaffen uns eine erträumte Scheinwelt, in die auch nicht mehr ein Hauch unseres wirklichen Lebens dringt. Ja, dichten, das heißt für die meisten: Flucht vor der Wirklichkeit, vor der eigenen Welt in eine geträumte hinein: sei es nun eine sentimental gefärbte Kindheit, sei es die Historie, sei es das Land der Griechen, sei es ein mystisches Bauerntum.“ Friedo Lampe, Die Krise (1996), S. 149. 949 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 25.6.1943, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 116/17. 212 Zwecke. So gab es eine Reihe von Stücken über Alexander den Großen, deren Autoren, zu denen auch Curt Langebeck und Hans Baumann gehörten950, in der Figur des Feld- herrn Hitler verherrlichten. Obwohl es dem grundsätzlich nichtfaschistischen Charakter von Lampes Werk widerspricht, kann auch seine Erzählung Die Alexanderschlacht als Idealisierung Hitlers gelesen werden. Wie Altdorfer auch hat Lampe in dieser Erzäh- lung die entscheidende Schlacht zwischen den Griechen und den Persern dargestellt, deren Niederlage den Untergang des persischen Reiches besiegelte. Altdorfer hatte das Gemälde 1529 als Auftragsarbeit für den bayerischen Herzog Wilhelm IV. als Werk einer Reihe musterhafter Porträts berühmter Männer und Frauen des Altertums beendet, just in dem Jahr als Suleiman II. zum ersten Mal vor Wien stand, nachdem er zuvor Belgrad erobert und den Ofenpaß besetzt hatte.951 Angesichts dieser Koinzidenz scheint es nur wahrscheinlich, daß Altdorfer die Bedrohung Europas durch eine Niederlage des orientalischen Reiches abgewendet wissen wollte und dies in seinem Gemälde doku- mentierte. Nach einem dreijährigen Krieg gegen Rußland mußte Lampes Erzählung Die Alexanderschlacht seine Zeitgenossen an die Situation Deutschlands erinnern952, zumal die Verherrlichung Alexanders und die Siegesschreie „heil Alexander“953 auf Hitler be- zogen werden konnten. Ob Lampe, in dessen Briefen sich keine befürwortende Stel- lungnahmen zum Dritten Reich oder zu Hitler finden, die Erzählung bewußt im Hin- blick auf die regimekonforme Redaktion von Das Reich mehrdeutig ließ, die Die Ale- xanderschlacht dann auch annahm, kann nachträglich nicht geklärt werden, zeigt aber deutlich die Vagheit und Ambivalenz eines solchen beziehungsreichen Schreibens auf. Einen Gegenpol dazu bildet das unvollständig erhaltene Gedicht Nero, in dem Lampe Hitler als römischen Kaiser stilisiert, der Berlin wie Nero Rom durch Feuer zerstört. Für Lampe selbst war die Geistesgeschichte und die Literatur ein Raum privater Frei- heit, wie er 1933 in seinem Nachwort über die Literatur des 18. Jahrhunderts deutlich macht. Wenn wir uns den Dichtern und Schriftstellern dieses Almanachs zuwen- den, so ist es für uns eine kurze Einkehr in eine Welt der Klarheit, Stille, der spielenden Heiterkeit, Ruhe und Andacht, die wir mit einer gewissen Weh- mut genießen – und wenn wir in manchem Stück lesen, so kommt uns wohl

950 Horst Denkler (1999), S. 21. 951 Franz Winzinger, Albrecht Altdorfer. Die Gemälde. Tafelbilder, Miniaturen, Wandbilder, Bildhauer- arbeiten, Werkstatt und Umkreis, München 1975. 952 „Eine alte verfallene Welt steht gegen eine junge, freie Männer gegen ein Sklavenheer, die besten Krieger Europas gegen die Weichlinge Asiens, die längst der Waffen entwöhnt sind. Der Sieg ist unser und der Preis das Perserreich.“ V.T.z.T., S. 269. 953 „‘Sieg, Sieg‘, hörte Albrecht von allen Seiten rufen, als er aus seiner Ohnmacht erwachte, ‚heil Ale- xander, heil Alexander, Sieg!‘“ Ebd., S. 273. 213 unwillkürlich das alte Claudius-Wort in den Sinn „Wie ist die Welt so stil- le...“954 Die Antike und die literarische Tradition vermittelte Werte wie Humanität und Ord- nung, die in der Gegenwart des Dritten Reichs längst obsolet geworden waren und an die seine Erzählungen anzuknüpfen versuchten.955 Die antiken Stücke, wie sie Lampe in seiner Anthologie herausgegeben hatte, waren eine poetische Gegenwelt zum National- sozialismus, die durch ihren unpolitischen Charakter tendenziell politisch war. Anders als bei den französischen Existenzialisten, bei denen der Mythos zum Medium der ethi- schen Auseinandersetzung mit Grundfragen des menschlichen Lebens wurde, steht Lampes Rezeption der Antike noch ganz in der Kontinuität der zwanziger Jahre als die vereinigende Kraft des Mythischen der Zersplitterung der Moderne entgegengesetzt wurde. Lampes Auffassung des Mythos ist, auch wenn sie oft heiter-ironisch erscheint, nicht anakreontisch, sondern bezieht das Tragische mit ein, das sich häufig wie in Die kaledonische Eberjagd als dionysischer Untergang erweist. Obgleich Lampe selbst die schöne Literatur als Welt der zivilen Freiheit956 innerhalb der Barbarei betrachtete, war er sich der Ambivalenz dieses Rückzugs bewußt. In einem seiner letzten Briefe an Johannes Pfeiffer kündigt er diesem das baldige Erscheinen sei- nes Erzählungsbandes an und betont dessen unzeitgemäßen verspielten und märchen- haften Charakter, wodurch sich dieser vom Dritten Reich und dem Krieg distanziere.957

954 Friedo Lampe, Nachwort, in: Lebendiges 18. Jahrhundert (1933), S. 72. 955 Horst Denkler (1999), S. 24. 956 „Mir geht es soso. Was soll man noch klagen, man wird wortlos und faßt nichts mehr! Ich bin froh, daß ich noch zivil bin, mein kleines Häuschen noch heil ist, daß ich ein warmes gemütliches Zim- mer habe, wo ich manchmal – leider zuwenig – allein sein kann.“ Friedo Lampe an Anneliese Voigt am 24.11.1944, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 120. 957 „Mein Buch mit dem Titel: ‚Von Tür zu Tür‘ wird nun Anfang April erscheinen. Es paßt gar nicht mehr in die Zeit, in seiner Verspieltheit und Märchenhaftigkeit. Ist mir schon ferngerückt.“ Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 28.3.1945, in: Ebd., S. 122. 214 4.4. Magisches Erzählen und kalligraphisches Schreiben In dem Brief an Eugen Claassen vom 15.3.1944 begründet Lampe die Dominanz der kleinen Form und mit ihr das magische Erzählen des Capriccio durch die besonderen Zeitumstände des Dritten Reichs. Ich persönlich halte nicht viel von den Romanen der jüngeren deutschen Autoren. Sie lassen sich wohl gut verkaufen, sind aber Uniformen. Wir sind augenblicklich vielleicht gar nicht in der Lage, einen breiten Roman zu schreiben. Das meiste, was sich heutzutage so nennt, sind breitgetretene Novellen. Es ist ja auch bezeichnend, daß das beste erzählende Prosabuch unserer Zeit, Jüngers „Abenteuerliches Herz“, Fragmente, Capriccios, Geh- versuche in einer neuen Art des magischen Erzählens sind, und auf so et- was, natürlich in einer ganz anderen Weise, möchte ich ja auch hinaus.958 Lampes Ansicht, daß sich die Gegenwart einer literarischen Verarbeitung entzog, war in den vierziger Jahren durchaus Konsens. Zwar erwartete man von nationalsozialistischer Seite „den Roman des Dritten Reiches“, doch mußte 1941 die Zeitschrift Die Literatur einen Mangel im epischen Bereich beklagen, der kaum der heroischen Größe der Zeit angemessen schien.959 Wer in Deutschland mit Kunst zu tun hat, dem richtet sich jetzt der Blick zwangsläufig ins Große und Weite. Er sagt sich, daß nach gewonnenem Sieg etwas Neues über unsere Kunst und Dichtung kommen müsse, eine größere Stoffülle auch, eine Weiträumigkeit im Planen und Wagen, wie sie dem großen Staatsvolk ansteht, das wir nach dem Kriege zu sein hofften.960 Kritik an einer stilistischen Ästhetisierung und an der Tendenz vieler Autoren, auf histo- rische Stoffe auszuweichen, wurde laut und als Flucht vor der augenblicklichen Lage oder als Suche nach geschichtlichen Vorbildern gewertet.961 Daß viele Autoren die klei- ne Form der Novelle vorzogen962 oder eher einen idealistischen Stil pflegten, wurde als Verweigerung der Gegenwart verstanden. Obwohl man selbst die Kontinuität zum mo- dernen experimentellen Roman durch das Verbot ihrer Autoren zerstört hatte, fühlte man ein Ungenügen angesichts der offiziösen Literatur des Dritten Reichs und fürchtete

958 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 15.3.1944, in: Eugen Claassen (1970), S. 277/78. 959 Helmut Peitsch, Ästhetische Introversion und Nationalsozialismus. Die Erzähler Martin Raschke, Ernst Schnabel und Alfred Andersch, in: Leid der Worte. Panorama des literarischen Nationalsozia- lismus, hrsg. von Jörg Thunecke, Bonn 1987, S. 325. 960 Zeitlupe, in: Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde 43, 1940/41, S. 209. 961 Ebd. 962 Der Brief Horst Langes an Ernst Kreuder vom 6.3.1939 macht die ordnungsstiftende Funktion der kleinen Form für die nichtfaschistischen Autoren deutlich: „In einer so ausgesprochen entformten Zeit, wie es die unsrige ist, sollte man die Kunst-Formung ganz bewußt höher stellen als wir es bis- her getan haben. Den Anarchismus atmet man ohnehin täglich und stündlich ein.“ Hans Dieter Schäfer (1981), S. 74. 215 ein grundsätzliches Absinken dieser epischen Gattung in die „antiquarische Kunst“.963 Selbst dem von den Nationalsozialisten favorisierten Bauernroman fehlt es nach der Feststellung von Die Literatur am „Realismus im Gesellschaftlichen“.964 Werner Schickert deutet dieses Phänomen in einer Rezension über Hans Georg Bren- ners Nachtwachen. Die Aufzeichnungen eines jungen Mannes als immer noch bestehen- de Zurückhaltung der um das Jahr 1900 geborenen Generation gegenüber dem Natio- nalsozialismus. Die Blätter sind ein Stück Gesamtbekenntnis jener deutschen Jahrgänge, die zwanzig waren, als Inflation und Nachkrieg verwirrend und moralisch ver- wüstend hereinbrachen. Der Weg zu einem wertsicheren, lebenswerteren, zielverhafteteren Dasein war bisher stets das große Problem eines sensible- ren Teils dieser Generation geblieben. Brenner gibt, so gesehen, einen guten Beitrag zur Psychologie dieser Jahrgänge und ihrer besonderen Inferno- Jahre.965 So konstatiert Schickert angesichts von Brenners Prosa den deutlichen Vorrang des Formalen über das Inhaltliche.966 Bereits in den Ausgaben der Jahre 1933/34 hatte Süs- kind den im italienischen Feuilleton geführten Streit zwischen den „contenuisti“ und den „calligraphi“ aufgegriffen, um daran das deutsche Manko einer zeitgenössischen Prosa, die sich als „Chronik dieser revolutionierenden Zeit“ begreife967, zu zeigen. Wie in den Zeitungen Strapaese und Stracitta zu lesen war, beschränkten sich die einen dar- auf, „die großen Inhalte des gegenwärtigen Lebens darzustellen“, während die anderen durch vollendete und harmonische Form einem unzeitgemäßen Ästhetizismus nachgin- gen.968 Süskind hält die in Italien erreichte Synthese zwischen Inhalt und Form auch für Deutschland maßgeblich in ihrer Verbindung von moralischer Verpflichtung gegenüber der Zeit und der künstlerischen Verantwortlichkeit.969 Den Autoren, die wie Horst Lange in Distanz zum Dritten Reich gegangen waren, be- deutete bereits das Bemühen um die äußere Form, sich dem Anarchismus der Zeit zu

963 Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde 39, 1936/37, S. 449. 964 Zeitlupe, in: Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde 43, 1940/41, S. 210. 965 Werner Schickert, Nachtwachen. Die Aufzeichnungen eines jungen Mannes. Von Hans Georg Bren- ner, in: Ebd., S. 81. 966 „Es würden dann wohl die vielen Passagen, die dem literarischen Spiel ihr Dasein verdanken, so die seltsame Vorliebe für Traumbereiche, sich einer härteren Form zu beugen haben, einer Form, die aus dem Inhalte wächst, nicht ihn sozusagen überschattet.“ Werner Schickert (1940/41), S. 81. 967 Waldemar Emanuel Süskind, Contenuisti und Calligraphi, in: Die Literatur. Monatsschrift für Litera- turfreunde 36, 1933/34, S. 187. 968 Ebd. 969 „Es entstand der Neubegriff der moralischen Verpflichtung der künstlerischen Verantwortlichkeit, des dichterischen Gewissens, sowie des moralischen Ernstes nicht nur sich selbst und dem Wert gegen- über, sondern vor allem gegenüber dem, der die Bücher lesen soll: dem Publikum.“ Ebd. 216 widersetzen.970 Wie Lange wurde auch Ernst Kreuder die Kultur, die Beschäftigung mit Literatur und Philosophie, zum geistigen Fluchtraum, der ein freies politisches Leben ersetzen mußte. In einem Brief an Carl Mumm aus dem Sommer 1941 beschreibt Kreu- der eben jenes „Zwischenreich“, in das die Nationalsozialisten die Generation der um das Jahr 1900 geborenen nichtfaschistischen Autoren verortet hatten, als Rückzug auf die Kunst und das Private. Gerade dachte ich daran, dass es im Grunde nur wenige Dinge waren, die mir dieses Dasein lebenswert machten und von ihnen in erster Linie jene Atmosphäre von Büchern, Literatur, Philosophie, literarisch- philosophischen Gesprächen mit Freunden und dann auch das eigene Schreiben. Ich möchte ohne dieses „Zwischenreich“ nicht mehr leben, und wäre ich gezwungen, dieses öde Leben hier für immer führen zu müssen, dann würde es wohl nicht mehr lange währen und ich ginge im Suff unter […]. Dies ist unser sehnlichstes Glück, denken zu können und unsere Seele davon erregt zu spüren […]. Umso mehr wirst du (und auch ich) darauf an- gewiesen sein, den Mangel an seelischer Wirklichkeit zu kompensieren durch – metaphysische, irrationale und irreale Existenz.971 Doch nicht nur die Autoren wichen vor der Darstellung der Gegenwart ins Formale oder Historisch-Mythische aus, auch die Rezipienten bevorzugten politisch unverfängliche Bücher und Filme. Zum einen entsprach dies der Sehnsucht nach Privatem und Unter- haltung im Dritten Reich, zum anderen lag dies auch in der fehlenden pluralistischen Öffentlichkeit begründet972, die jedes angeregte Geistesleben verhinderte. Gustav René Hocke, der, bevor er 1940 für die Kölnische Zeitung Italienkorrespondent wurde, den Kulturteil leitete, sieht 1946 rückblickend den Verlust von klaren Formen und einer Unmittelbarkeit der Aussage als charakteristischen Mangel der unter den Na- tionalsozialisten entstandenen Literatur.973 Statt dessen bestimme kunstgewerbliche Fer- tigkeit und Artismus den Stil, den er in Anlehnung an die italienische Diskussion als Kalligraphie bezeichnet.974 Hocke macht diese amimetische Tendenz nicht nur an einem

970 Dorota Cygan, „man darf den Banausen nicht Wasser auf ihre Mühlen geben...“. Horst Lange an Ernst Kreuder – Briefe aus dem „Zwischenreich“, in: Spielräume des Einzelnen. Deutsche Literatur in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, hrsg. von Walter Delabar, Horst Denkler, Erhard Schütz, in: Juni. Magazin für Literatur und Politik 30/31, 1999, S. 34. 971 Ernst Kreuder an Carl Mumm am 9.7.1941, in: Ebd., S. 53. 972 Der Rezensent der Literatur Fechter begründet so den fehlenden Realismus bei „Bühne, Film und Musik“, damit, daß „das neue Publikum, das sich seit Kriegsausbruch entwickelt hat, gegenüber der zeitgenössischen Dichtung eine Scheu zeigte, die die Vorkriegszeit mit ihrer Neugier und ihrer cu- piditas novarum rerum nicht gekannt hat.“ In: Die Literatur 39, 1936/37, S. 107. 973 Gustav René Hocke, Deutsche Kalligraphie oder Glanz und Elend der modernen Literatur, wiederab- gedruckt in: Der Ruf. Unabhängige Blätter der jungen Generation. Eine Auswahl, hrsg. und mit ei- ner Einleitung von Hans A. Neunzig, München 1976, S. 169. 974 Ebd. 217 manieriert wirkenden Erzählen fest, sondern auch am Stofflichen, bei dem sich eine Nähe zum Idyllischen, aber auch zum Essayistischen zeigte. Entschlossen hob sie einst die Sprache aus dem Sumpfbereich des Amts-, Zeitungs- und Rednerdeutsch der Diktatur empor in den Bereich einer zwar mühseligen, aber im Kern unantastbaren Sauberkeit der Absicht. Ganz frei- willig war diese merkwürdige stilistische Esoterik ja in vielen Fällen kei- neswegs. Sie entstand aus der Behutsamkeit, zu schreiben, ohne sich poli- tisch zu kompromittieren oder um der wölfischen Zensur auszuweichen. Allmählich verflüchtigte sich allerdings der Inhalt der Aussage zugunsten der Form immer mehr, bis schließlich eine artistische Meisterschaft der Worthandhabung ohne wesentlichen Inhalt verblieb.975 Zwar wertet Hocke diese Prosa als Literatur der Introversion, die sich bewußt der Spra- che der Propaganda entgegenstellt, doch kannte Hocke als langjähriger Verantwortli- cher des Kulturteils der Kölnischen Zeitung die Ambivalenz eines solchen politischen Kompromisses gut genug, um diesen nicht zu sehr zu idealisieren. Anders als Alfred Andersch stilisiert Hocke die nichtfaschistische Literatur nicht als genuin unabhängigen Bereich der Kunst, sondern sieht deutlich die Abhängigkeiten von denen, die diesen überhaupt gewährten.976 Bereits Ende der dreißiger Jahre, so belegt Johannes Graf in seiner Dissertation, hatte Hocke in seinem Reiseroman Das verschwundene Gesicht. Ein Abenteuer in Unterita- lien Capriccio und Arabeske als Chiffren eines Wirklichkeitszustandes aufgegriffen.977 Angesichts des Stadtbildes von Lecce mit seinen Kirchen, Palästen und Denkmälern fühlt sich der Protagonist Manfred an ein Capriccio erinnert. Es ist nicht nur die scherz- hafte Leichtigkeit, es ist auch die ihm trügerisch vorkommende Surrealität der mit Or- namenten geschmückten Fassaden, die ihm diesen Vergleich eingeben.978 Manfreds Be- urteilung der Arabesken und Capriccios geht ganz von der in ihnen erreichten Kunstfer-

975 Ebd. 976 Alfred Andersch übernimmt bei seiner Bewertung der Literatur der dreißiger und vierziger Jahre den Begriff der Kalligraphie und beurteilt diesen als zwar als Eskapismus, sieht aber grundsätzlich die Distanz zur nationalsozialistischen Herrschaft gewahrt. „Ihr gemeinsames Merkmal war ihre ent- schiedene Abneigung gegen das System und das Geschick, mit dem sie das Anliegen der Kunst ge- gen das Getön der schreibenden Emporkömmlinge des Nationalsozialismus verteidigte. […] Denn die hohe Kunst, mit der diese Autoren ihre Unabhängigkeit von der Reichsschrifttumskammer wahrten, beeinflußte natürlich die Form ihrer Werke.“ Alfred Andersch, Deutsche Literatur in der Entscheidung, in: Das Alfred Andersch Lesebuch, hrsg. von Gerd Haffmanns, Zürich 1979, S. 118. 977 Johannes Graf, „Die notwendige Reise“. Reisen und Reiseliteratur junger Autoren während des Natio- nalsozialismus, Stuttgart 1995, S. 246. 978 „Hier hat der Boden den Verführer gespielt. Er ist es, der mit seiner Schmiegsamkeit den ehrbaren Kunsthandwerker von Lecce dazu verlockt hat, in die strenge Partitur des großgriechisch- unteritalienischen Geistes eine Arabeske um ihrer selbst willen einzuschmuggeln. Der Erde wird ihr Charakter geraubt. Sie wird zum Steinfetzen, zum Steingewebe, zur steinigen Klöppelspitze ver- flüchtigt. Sie wird zu einem windhauchzarten Schleier, der keine Tiefe mehr zu verbergen hat, wohl aber eine tragikomische Ratlosigkeit.“ Gustav René Hocke, Das verschwundene Gesicht. Ein A- benteuer in Italien, Leipzig 1939, S. 171/72. 218 tigkeit aus, die das manieristische Spiel über die mimetische Darstellung der Wirklich- keit und deren Auslegung setzt.979 Infolgedessen deutet er die Ornamente als ein Zugleich von Oberfläche und Tiefe, das jedoch keine Referenz auf eine Sinnebene auf- weisen kann, sondern diese nur suggeriert. Der ornamentale Charakter der Arabeske spielt hier bereits auf das kalligraphische Schreiben an, durch das Hocke die Literatur bis in die Nachkriegszeit bestimmt sieht. Obwohl Johannes Graf auf die Verbindung zwischen Ernst Jünger und Friedo Lampe und deren kleinformatige Prosa hinweist980, übersieht er die Möglichkeit eines mehr- deutigen Erzählens, wie es das Capriccio und die Arabeske in der Tradition der Roman- tik eröffnet und wertet Lampes magisches Erzählen als rein ästhetisches Stilprinzip.981 Obgleich dieses nicht als Form der verdeckten Schreibweise zu verstehen ist, hat die zeichenhafte Darstellung der Wirklichkeit es Lampe erlaubt, in der Tradition der zwan- ziger Jahre die charakteristische Atmosphäre des Dritten Reichs wiederzugeben. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Austausch zwischen Eugen Claassen und Friedo Lampe über die Erzählungen Von Tür zu Tür Kontur. Claassen hatte Lampe am 11.3.1943 bescheinigt, zugleich volkstümlich und neu in der Form zu sein und durch seinen schlichten Stil und den Anleihen bei Märchen und Mythos, trotz der schwierigen politischen Situation, ein ästhetisch anspruchsvolles Verlagsprofil zu gewährleisten. Die verbleibenden Verlage werden sich auf Bücher und Leser einzustellen haben, bei denen das künstlerisch-literarische Moment gewissermaßen un- sichtbar werden muß. Ihr Erzählungsband bietet dafür alle Möglichkeiten. Er hat das Sinnfällige, im besten Sinn Volkstümliche und hat gleichzeitig in seiner feineren Struktur das Neuartige und Verwegene neuer Formen. Ich halte es nur für falsch, die zweite Seite im leisesten zu unterstreichen.982 Claassen sah in Lampes Von Tür zu Tür die Forderungen, wie sie unter anderem in der Zeitschrift Die Literatur Mitte der dreißiger Jahre aufgestellt wurden, nach einer Wei- terführung der formalen Experimente der literarischen Moderne und einem volksver- bundenen Erzählen eingelöst.983 Lampe selbst war sich dessen bewußt und hoffte, durch die Verbindung von Volkstümlichkeit und dem literarisch hohen Niveau seiner Erzäh-

979 „Grüne Fensterläden sperrten das grelle Sonnenlicht ab. Manfred stieß sie auf und erschrak vor der im Lichte gleißenden maskenhaften Fassade von Santa Croce. Einen Meter vor ihm nur prangte das goldgelbe Schnitzwerk, eine gedrehte, verschraubte, gewundene Ornamentik, das Prunkstück des Lecceser Barock, das kühne Strickmuster im weichen Lecceser Kalkstein. Das schmuckkastenartige Filigran ist so verblüffend, daß man an eine optische Täuschung unter dem heißblauen Himmel glaubt.“ Ebd., S. 171. 980 Johannes Graf (1995), S. 246. 981 Johannes Graf, Nachwort, in: A.R.d.N., S. 194. 982 Eugen Claassen an Friedo Lampe am 11.3.1943, in: Eugen Claassen (1970), S. 274. 983 Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde 39, 1936/37, S. 450. 219 lungen innerhalb der uniformen Literatur des Dritten Reiches aufzufallen und für sich eine neue Leserschaft gewinnen zu können.984 Obwohl sich Lampe ausdrücklich von den sprachlichen Manierismen der Kalligraphen distanziert und Friedrich Georg Jüngers Gedichtband Der Missouri als inhaltslos und zu formal kritisiert985, entspricht Lampes komplexes textuelles Verweissystem und die hohe Selbstreferentialität seiner Erzählungen sowie die Enthistorisierung durch Märchen und Mythos einer kalligraphischen Introversion. Peter Härtling hat Lampe noch ganz in die- sem Kontext wahrgenommen.986 So läßt sich an Lampes Werken mit Fortschreiten des Nationalsozialismus und des im- mer schwieriger werdenden Alltags deutlich eine Tendenz zur Entstofflichung bemer- ken.987 Auch wenn Lampe bereits im Zusammenhang mit seinem ersten Roman auf eine zeichenhafte Lesart hingewiesen hatte, verbindet sich diese doch in Am Rande der Nacht mit neusachlichem Realismus, der sich bei Septembergewitter schon merklich verflüchtigt hat und in den späten Erzählungen zugunsten einer Thematisierung der Künste aufgegeben wird. Auch wenn bereits die erste Veröffentlichung Lampes durch eine ausgeprägte Metaphorisierung bestimmt ist, nimmt diese im Hinblick auf seine späteren Arbeiten noch zu. Eugen Claassen war die Stilart des magischen Erzählens, die Lampe in Von Tür zu Tür durch romantische Elemente modifiziert, nicht fremd. Einem Brief Horst Langes an seinen Verleger aus dem Jahr 1935 läßt sich entnehmen, daß Claassen ihm geraten hatte, die „reale Welt von einer anderen aus tieferen Schichten her“988 zu beunruhigen, eine Umschreibung des Magischen Realismus, die an Rohs De-

984 „Ja, das möchte ich wirklich: volkstümlich und schlicht und doch neu in der Form sein. Alles literari- sche Feingetue, wie es sich jetzt z.B. in der ‚Neuen Rundschau‘ breitmacht, ist mir verhaßt.“ Friedo Lampe an Eugen Claassen am 23.3.1943, in: Eugen Claassen (1970), S. 275. Daß diese Volkstüm- lichkeit nicht naiv war, sondern durch eine Anlehnung an die Mündlichkeit und gegenständliches Erzählen erreicht wurde, betont bereits Süskind in seiner Rezension von Septembergewitter: „Na- türlich enthält diese Prosa das Moment des Empfindlichen, um nicht zu sagen Weichliche, und manchmal könnte es sein, daß sich Lampe, vor allem im Vergleich zu seinem Erstling, naiver stellt als nötig wäre.“ Walter Emanuel Süskind, Romane und Erzählungen, in: Die Literatur. Monats- schrift für Literaturfreunde 40, 1937/38, S. 301. 985 Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer am 19.4.1940, in: Friedo Lampe, Briefe (1956/57), S. 112. 986 Peter Härtling, Friedo Lampe, in: Vergessene Bücher (1986), S. 170. Bereits sein Freund Johannes Pfeiffer hatte das Arabeske in die Nähe der Kalligraphie gesetzt. „Als Gefahr schließlich hängt mit solcher Gestaltung zusammen, daß sich das gesamte Dasein zum luftigen Ornament zu verflüchti- gen droht, die sich durch ihre unerbittliche, ihre entscheidungshafte Härte der spielerischen Aufhe- bung entzieht und widersetzt.“ Johannes Pfeiffer, Von Tür zu Tür. Zum 20. Todestag Friedo Lam- pes (2. Mai 1965), in: Neue deutsche Hefte. Beiträge zur europäischen Gegenwart 105, 1965, S. 83. 987 „Die jungen Dichter lehnen die falsche Objektivität des realistischen Erzählens ab; ihre Hinwendung zu den subjektiven Ausdrucksformen der Moderne entsprach ihrer flackernden Unruhe. Sie kämpfte jedoch – oft vergeblich – gegen die glatte Stilisierung an, da die Lebenswirklichkeit mit Dauer der Abkapselung von der Außenwelt immer weiter zurücktrat.“ Hans Dieter Schäfer (1981), S. 25. 988 Horst Lange an Eugen Claassen am 25.6.1935, in: Eugen Claassen (1970), S. 281. 220 finition des „Magischen“ als Geheimnis, das sich hinter der Welt zurückhält, erinnern läßt.989 Lampe sieht die Arabesken, Phantasien und Capriccios aus Von Tür zu Tür im Zusam- menhang des magischen Erzählens eines Ernst Jüngers, von dem er sich trotz der Ge- meinsamkeiten doch deutlich unterscheidet.990 Mit diesem Hinweis bezieht sich Lampe auf Ernst Jüngers Prosaband Abenteuerliches Herz, dessen zweiter Fassung dieser 1938 den Untertitel Figuren und Capriccio gegeben hatte.991 Aus der Erstausgabe von 1929 übernimmt Jünger ganze Texte, die sprunghaft und diskontinuierlich wirkende Unter- gliederung nach Orten und den essayistischen Aufbau. Wie Michael Scheffel anführt, sieht Jünger rückblickend Das abenteuerliche Herz von 1938 als Beispiel für die „Ablö- sung von expressionistischen durch magisch-realistische Tendenzen“.992. In Jüngers Auffassung des Capriccio scheint der frühere Titel Aufzeichnungen bei Tag und Nacht eingegangen zu sein, denn dieses ist in Das abenteuerliche Herz ambivalent aufgefaßt. Zwar kennt auch Jünger das Capriccio der Malerei als leichtes launiges Spiel; so macht er durch das Gemälde, auf dem neben einem pommerschen Gutshof ein Flußpferd dargestellt ist, ausdrücklich auf das Capriccio in der Malerei aufmerksam.993 Insgesamt dominiert jedoch der düstere und unheimliche Charakter über den heiteren.994 Wenn er das Capriccio als dunkle Ausschweifung des Geistes995 bezeichnet, wird dessen Nähe zum Traum, aber auch zu Jüngers bewußtseinsverändernden Drogenexperimenten deutlich.996 Jünger selbst führt in diesem Zusammenhang das ihn prägende Erlebnis sei- ner Tristram Shandy-Lektüre im Ersten Weltkrieg an, die er fortsetzte, nachdem er schwer verwundet worden war. Während dieser Lektüre vermischt sich das arabeske Schreiben Sternes mit Jüngers Fieberträumen und Halluzinationen aufgrund der Medi- kamente.997 Demnach ist die irrationale Sicht des Capriccio mit dem durch die Todesge-

989 Franz Roh (1925), o.S. 990 Der Hinweis auf Jünger erfolgt nicht nur in dem Brief vom 15.3.1944, sondern auch bereits am 9.3.1943; Eugen Claassen (1970), S. 278; S. 274. 991 Ernst Jünger, Das abenteuerliche Herz. Zweite Fassung. Figuren und Capriccios, in: Ders., Sämtliche Werke, Abteilung 2, Essays, Band 9 Essays 3, Stuttgart 1979, S. 177-330. 992 Michael Scheffel (1990), S. 28. So auch: Irene Guenther (1995), S. 58. 993 Ernst Jünger (1979), S. 90/91. 994 Karl Heinz Bohrer weist daraufhin, daß in den Capricciobegriff von Das abenteuerliche Herz Jüngers Kriegserfahrungen eingegangen sind. Karl Heinz Bohrer, Hommage an das Abenteuerliche Herz, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 49, 1995, S. 341. 995 Ernst Jünger (1979), S. 278. 996 Josef Fürnkas sieht Jünger so neben Alfred Kubin auch Gottfried Benn und Franz Kafka als Vertreter einer irrationalistischen Moderne an. Josef Fürnkas, Ernst Jüngers „Abenteuerliches Herz. Erste Fassung“ im Kontext des europäischen Surrealismus, in: Ernst Jünger im 20. Jahrhundert, hrsg. von Hans-Harald Müller, Harro Segeberg, München 1995, S. 63. 997 Ernst Jünger (1979), S. 188. 221 fahr geschärften Bewußtseinszustand und des Drogenrausches verwandt. Auch wenn Jüngers Vergleich der für die zweite Ausgabe überarbeiteten Prosatexte mit Kristallen, zerbrochenen Schneckenhäusern und Tropfsteinen vermeintlich harmlos ausfällt, haftet diesem doch etwas Unheimliches an. So hat die an diesen zufälligen Fundstücken ent- wickelten Naturbetrachtungen Verweischarakter für „nächtliche[r] Scherze, die der Geist ohne Regung wie in einer einsamen Loge und nicht ohne Gefährdung genießt“.998 Jüngers detailbesessene botanische und zoologische Beschreibungen sind die Konse- quenz seines Glaubens an einen umfassenden Zusammenhang aller Erscheinungen, den er als magisch begreift, worauf auch das Motto von Johann Georg Hamann hindeutet.999 Lilium tigrinum. Sehr stark zurückgebogene Blütenblätter von einem ge- schminkten, wächsernen Rot, das zart, aber von einer hohen Leuchtkraft und mit zahlreichen ovalen, schwarzblauen Makeln gesprenkelt ist. Diese Ma- keln sind in einer Weise verteilt, die darauf schließen läßt, daß die lebendige Kraft, die sie erzeugt, allmählich schwächer wird. […] Im Anblick erwächst die Vorstellung eines indischen Gauklerzeltes, in dessen Inneren eine leise, vorbereitende Musik erklingt.1000 Jüngers magisches Erzählen ist anders als das Lampes essayistisch und ergibt sich aus der Vorstellung einer inneren Verwandtschaft der Phänomene. Die Analogie übernimmt dabei die sprachliche Funktion des stereometrischen Sehens, das simultan Tiefe und Oberfläche erfassen kann. Jünger veranschaulicht diese Form der Wahrnehmung an einem Bergkristall, dessen Transparenz es ermöglicht, gleichzeitig Innen und Außen zu erkennen.1001 Form und Inhalt sind einander äquivalent. Eine Variante dieser Perzeption, die Franz Rohs Bild vom Blick in ein Fernrohr und Mikroskop variiert, stellt die stereo- skopische Sinnlichkeit dar, bei der ein Reiz gleichzeitig unterschiedliche Sinne anregt, die einander ergänzen, etwa wenn die Farbe einer Blume auch einen bestimmten Geruch auslöst.1002 Obwohl Ernst Jünger in der ersten Fassung von Das abenteuerliche Herz selbst den Magischen Realismus als Stilrichtung der Malerei erwähnt, wurde der Text in der ger- manistischen Forschung nur selten mit diesem in Verbindung gebracht1003, sondern im Kontext der surrealistischen Bewegung gesehen.1004 Aufgrund der Überarbeitungen ist der Essayismus Jüngers aber nicht mit der écriture automatique zu vergleichen. Wie

998 Ebd., S. 181. 999 „Den Samen von allem, was ich im Sinn habe, finde ich in allenthalben.“ Ebd., S. 177. 1000 Ebd., S. 179. 1001 Ebd., S. 182. 1002 Ebd., S. 197. 1003 Vgl. Volker Katzmann, Ernst Jüngers Magischer Realismus, Hildesheim 1975, S. 96. 1004 Alfred Andersch, Achtzig und Jünger, in: Das Alfred Andersch Lesebuch (1979), S. 165. 222 Lampe ästhetisiert auch Jünger eine durch existenzielle Erfahrungen veränderte Welt- sicht in der Form des Capriccio und der Arabeske, die eine mehrdeutige Auffassung der Wirklichkeit nahelegen. Bei Ernst Jünger vollzieht sich diese vor allem in der stereo- skopischen und stereometrischen Wahrnehmung, der das multiperspektivische Erzählen in Das abenteuerliche Herz entspricht. Trotz dieser Gemeinsamkeiten mit Lampe überwiegen die Unterschiede. So ist Jüngers Werk weniger erzählend als reflektierend, wodurch der magische Charakter des Jünger- schen Capriccio jedoch nicht zerstört wird. Lampes Vorstellungen eines Magischen Realismus wesentlich näher dürften die Erzäh- lungen Kurt Kusenbergs sein, die dieser 1941 unter dem Titel Seltsame Geschichten veröffentlicht und die Lampe für den Freund besprochen hatte.1005 Bereits 1927 hatte Lampe gegenüber seinem Freund Walter Hegler angesichts der Prosa Kafkas die Mög- lichkeit betont, zugleich realistisch und phantastisch zu schreiben1006, hier jedoch öffnet sich hinter den Dingen eine „Traumlandschaft […] kindlich, heiter, glücklich noch über dämonischen Abgründen“.1007 Lampe greift, um diese zu charakterisieren, auf die Be- stimmung des Capriccio als „zweckloses Spiel der Phantasie“ zurück1008 und vergleicht ihren fließenden Übergang zwischen Wirklichkeit und Traum mit arabesken Formen. Und doch, auch diese Traumwelt hat ihre eigene Logik und Gesetzlichkeit, die mit dem Verstand nicht faßbar ist, sie liegt im Rhythmus und Ablauf der Geschichten, es sind geistige Bewegungen und Figurationen, die den dafür Empfänglichen mit tiefer Genugtuung erfüllen. Nirgends hat man deshalb den Eindruck des Willkürlichen und Unkontrollierbaren.1009 Trotz der Anleihen von Kusenbergs Kunstmärchen bei Goethe, den Romantikern Nova- lis und E.T.A. Hoffmann, betont Lampe deren Zeitgemäßheit. Obwohl Lampe hier den Magischen Realismus nicht nennt, deutet er diesen durch die eigentümliche Verbindung von Phantastik und nüchternen, klaren Vortrag an. Wie sehr dieser Stil bis weit in die vierziger Jahre die literarische Diskussion bestimm- te, zeigt auch Lampes Nachwort zu der von ihm für die Deutsche Reihe herausgegebe- nen Novelle aus Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre. „Der ertrunkene Knabe“ ist ein bezeichnendes Stück des letzten Goethe in seinem Zusammen von scharfer Gegenständlichkeit und geheimnisvoller

1005 Friedo Lampe, La Botella u.a. seltsame Geschichten, in: Das Reich 35 (31.8.1941). 1006 „Eine ganz nüchterne, schlichte, klare, sachliche Darstellung alltäglicher Vorgänge, die ganz magisch und phantastisch wirkt.“ Friedo Lampe an Walter Hegeler am 29.1.1927, Friedo Lampe- Gesellschaft Bremen. 1007 Friedo Lampe, in: Das Reich 35. 1008 Ebd. 1009 Ebd. 223 Abstraktheit, in dem seltsam Zeremoniellen seines Vortrages, in der körni- gen Gedrungenheit und Kraft der Syntax und des stark hervortretenden ein- zelnen Wortes. Hier ist etwas in hoher Vollendung erreicht, was wir heute als „magischen Realismus“ bezeichnen würden. Die Welt in einen Geheim- niszustand gehoben.1010 Lampe beschreibt hier Goethes symbolisches Erzählen in Abhängigkeit von seinem Münchner Lehrer Fritz Strich als Magischen Realismus. Die Analogie ergibt sich für Lampe aufgrund des mehrdeutigen Erzählkonzepts, das über die rein gegenständliche Darstellung hinauszuweisen vermag. Lampe selbst verfolgt in seinen Romanen und Er- zählungen eine vergleichbare Wirkung. Die ambivalente Atmosphäre seiner Werke er- gibt sich durch die Synthese von Gegensätzen und verschiedenen Perspektiven, wo- durch die dargestellte Wirklichkeit in sich brüchig erscheint. Die Todesmetaphorik, die ein Gegengewicht zum Idyllischen im Werk Lampes bildet, bestätigt den von Franz Roh konstatierten Hang des Magischen Realismus hin zur Morbidität als Ausdruck einer krisenhaft erlebten Zeit. Im Hinblick auf Michael Scheffels Begriffsbestimmung des Magischen Realismus läßt sich diese bei Lampe durch die von ihm angestrebte Synthe- se der Künste erweitern. Lampe modernisiert dabei die romantische Vorstellung einer Integration von Musik und bildender Kunst in die Literatur, indem er diese mit einem filmischen Erzählen verknüpft.

1010 Friedo Lampe, Nachwort, in: Johann Wolfgang von Goethe (1944), S. 63. 224 Schlußwort Volkstümlich und zugleich neu in der Form wollte Friedo Lampe sein1011 und reihte sein Werk mit diesem Anspruch in die Diskussion um einen neuen Realismus ein, der seit der Mitte der zwanziger Jahre mit dem Beiwort „magisch“ charakterisiert wurde. Und tatsächlich vollziehen sich Lampes avantgardistische Formexperimente auf dem Hinter- grund der Tradition: der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, der bildenden Kunst und der Musik. Insbesondere bei der auf Gegensätzen aufgebauten Werkstruktur, die dem Leser in Lampes bedrohten Idyllen begegnet, hat er sich einer sehr modern anmutenden inter- textuellen Synthese bedient, in der Motive und Strukturen der klassischen Idyllenlitera- tur mit neusachlichen Elementen verbunden werden. Dabei entspricht nicht nur dieser innere Dualismus der inhaltlichen Bestimmung des Magischen Realismus, wie sie Mi- chael Scheffel entwickelt hat, sondern auch die homogene und stabile Erzählform. Das über der erzählten Welt lastende Magische, bricht nicht wie in der phantastischen Lite- ratur unvermittelt in diese ein, vielmehr entsteht es durch die Überformung mit einer Todesmetaphorik, die sich oft aus dem idyllischen Kontext ergibt, wie etwa im Motiv der Mühle von Am Rande der Nacht oder durch eine Gefahr, die vom Menschen nicht beeinflußt werden kann wie beim Motiv des Gewitters. Die Mehrdeutigkeit dieser Motive und die Polyperspektivität setzen eine einsinnige Auffassung von Wirklichkeit außer Kraft, wie sie noch den Panoramaroman bestimmt hatte. Durch eine filmische Montage der einzelnen Episoden und die Weiterentwicklung des Panoramaromans lassen sich Am Rande der Nacht und Septembergewitter in den Kontext des modernen Romans einordnen. Wie die Untersuchung gezeigt hat, bestätigt sich an Lampes Werk exemplarisch durch die Übernahme charakteristischer Stil- und Strukturmerkmale der Moderne die Konti- nuität zwischen der Literatur der Weimarer Republik und der der vierziger Jahre. Diese Entwicklungslinie läßt sich anhand des Stils des Magischen Realismus bis hin zur Nachkriegszeit fortsetzen. Die Dominanz des Magischen Realismus in der Literatur nach 1945 ist nicht allein dadurch begründet, daß Autoren wie Ernst Kreuder und Her- mann Kasack bereits während des Dritten Reichs ihre ersten Texte schrieben, sondern auch durch die Wirkung der Romane und Erzählungen Ernst Jüngers und Friedo Lam- pes. So hatte Koeppen bereits in den dreißiger und vierziger Jahren die Romane von

1011 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 23.3.1943, in: Eugen Claassen (1970), S. 275. 225 Lampe wahrgenommen, deren Montagetechnik seine Trilogie Tauben im Gras, Das Treibhaus und Der Tod in Rom beeinflußt hat und deren Wirklichkeitsverständnis Koeppens Sicht auf die Nachkriegszeit entsprach. Nicht zuletzt läßt sich an der Rezepti- on von Lampes Œuvre die Widerlegung der sogenannten „Stunde Null“ veranschauli- chen. Die auffällige Entsprechung der dualistischen Struktur des Magischen Realismus und der Deutung der Alltagswirklichkeit des Dritten Reichs als „gespaltenes Bewußtsein“ im Sinne Schäfers, ist auch bei Lampes Werk vorzufinden. So legen die inhärenten Ge- gensätze der Texte Lampes und seine Aussagen über das Dritte Reich, die zwischen der Schilderung einer Idylle und einer Katastrophe schwanken, es nahe, den Magischen Realismus als literarischen Ausdruck der Zeitumstände des Dritten Reichs zu interpre- tieren. Lampes Charakterisierung seines Lebens während des Krieges als einer Idylle auf „vulkanischem Grund“, die er der von ihm herausgegebenen Erzählung Eichen- dorffs Eine Meerfahrt entlehnt hat, kann auch als Deutungsmuster seiner Romane und Erzählungen dienen, in denen das Idyllische immer als gefährdet dargestellt ist. Indem Lampe Versatzstücke des Idyllischen und topologische Zitate in die Wiedergabe der modernen Gesellschaft integriert und diese damit als Antiidylle charakterisiert, erneuert er die Möglichkeit von Gesellschaftskritik der Gattung. Als Gegenentwurf zu einer vom Industrialismus bestimmten Stadt wird die Idylle zum regressiven Fluchtort. Da sie häu- fig durch Todesmotive oder eine allgegenwärtige Bedrohung gefährdet ist, wirkt sie in sich unbeständig und fragwürdig. Die Darstellung der Idylle als kleines, bescheidenes Glück, das einerseits durch die moderne Zivilisation in Frage gestellt ist, andererseits in Reaktion auf deren Lebensfeindlichkeit entstanden ist, reflektiert die Ambivalenz des Rückzugs vieler Autoren auf das Private während des Dritten Reichs, zu denen auch Friedo Lampe gehörte. Der Verweis des Magischen Realismus auf eine zweite Wirklichkeit hinter der mime- tisch abgebildeten, ist im Kontext des Dritten Reichs zwar nicht als Allegorisierung von Zeitgeschichte zu verstehen, doch ermöglicht dieser Stil die Wiedergabe einer Atmo- sphäre der existenziellen Verunsicherung. Gleichzeitig verstößt Lampe durch die Um- wandlung idyllisch konnotierter Räume in Bereiche des Todes gegen die Zukunfts- orientierheit und den Optimismus der propagandistischen Literatur des Dritten Reichs. Zeitlich und räumlich sind die Romane Lampes nur vage zu bestimmen. Bereits nach dem Verbot seines ersten Romans Am Rande der Nacht läßt sich ein Zurücktreten neu- sachlicher Beschreibungen der Wirklichkeit seiner eigenen Gegenwart feststellen. Ins-

226 besondere bei Von Tür zu Tür, deren Erzählungen häufig mythische oder märchenhafte Stoffe bearbeiten, wird dieser Verlust von Realität durch eine Thematisierung der Künste ersetzt. So führt diese Prosa die Bildbeschreibungen von Septembergewitter fort, die nun im Sinne des Capriccios als Erweiterung des Darstellbaren gedeutet werden. Lampe selbst sieht diese Selbstreferentialität der Künste als Form eines magischen Er- zählens, womit er den Bildbezug des Magischen Realismus aufgreift, der bereits Mitte der zwanziger Jahre durch die Übernahme der Schriften Franz Rohs durch Autoren und Literaturwissenschaftler angelegt ist. So steht seine Form des Magischen Erzählens so- wohl durch eine Entstofflichung der Wirklichkeit, mit der er auch einem weiteren Ver- bot entgehen wollte, als auch durch eine bedrohlich wirkende Metaphorisierung mit dem Dritten Reich in Bezug. Die Präferenz vieler Autoren der dreißiger und vierziger Jahre für das magische Erzählen zeigt einerseits die offensichtliche Kontinuität zu den zwanziger Jahren. Andererseits läßt dies die Deutung zu, daß der Magische Realismus die von den Autoren als Krise erlebten Jahre des Dritten Reichs - aber auch der späten Periode der Weimarer Republik - als Zeitstil einer mehrdeutigen Erzählweise ästhetisch umsetzt. Daß dabei die Wiedergabe konkreter historischer Ereignisse und Entwicklun- gen zugunsten einer metaphorisierten und dämonisch wirkenden Darstellung aufgege- ben wird, korrespondiert mit der grundsätzlich apolitischen Haltung vieler Autoren. Diese exemplarisch am Werk Friedo Lampes gewonnenen Ergebnisse über den Stil des Magischen Realismus im Dritten Reich deuten darauf hin, daß das Phänomen des Magi- schen Realismus insbesondere während oder infolge totalitärer Systeme auftritt. So scheint die multiperspektivische Erzählweise und deren Verbindung realistischer und „magischer“ Züge einer Situation adäquat, in der zum einen nicht direkt auf politische und soziale Mißstände hingewiesen werden kann und in der zum anderen sich ein Um- gang mit Sprache ausgebildet hat, der das Mehrdeutige einschließt, wie es der Alltag unter Diktaturen hervorbringt. Vor allem die Möglichkeit mehrere Entwürfe von Wirk- lichkeit, aber auch verschiedene Identitäten zu synthetisieren, zeichnet den Magischen Realismus aus. So dürfte nicht nur eine Überprüfung dieser These an lateinamerikani- schen Autoren erkenntnisreich sein, für die stellvertretend Gabriel García Márquez und Isabel Allende genannt seien oder an

227 Schrifstellern kommunistischer bzw. kolonialistischer Ländern1012, sondern nicht zuletzt an deutschschreibenden Autoren, die aus Einwandererfamilien stammen. So scheint derzeit der Magische Realismus eine Erneuerung und Belebung zu erfahren, wie die Werke der in der Türkei geborenen Emine Sevgi Özdamar und des deutschsprachigen Kurden Sherko Fatah1013 nahelegen.

1012 „Turning to that thematics for a moment, in several instances, magical realist texts are written in re- action to totalitarian regimes. Günter Grass publishes The Tin Drum and Suskind [!] Perfume after World War II (in both cases quite a long time after, it is true, but partly in response to it and to the Nazi period in ); Latin American writers of magical realism criticize North American he- gemony in their hemisphere; Kundera is opposed to the power of Soviet Communism, Rushdie writes Midnight’s children in opposition to Mrs. Gandhi’s autocratic rule. Toni Morrison writes Beloved in direct response to the atrocities of slavery and its aftermath, and Isabel Allende builds The House of the Spirits in part to critique the barbarity of Pinochet’s Chilean regime.“ Wendy B. Faris, Scheherazade’s Children: Magical Realism and Postmodern Fiction, in: Magical Realism (1995), S. 179/80. 1013 Karl-Markus Gauss, Fremde Welt, so nah. Der kurdisch-deutsche Autor Sherko Fatah schreibt seinen ersten Roman, in: Die Zeit 13, 22.3.2001, S. 15. 228 Bibliographie Friedo Lampe

Literarische Texte Friedo Lampe, Am Rande der Nacht, Göttingen 1999

Ders., Das dunkle Boot. Eine Ballade, Hamburg 1936

Ders., Das Gesamtwerk, mit einem Nachwort von Jürgen Dierking und Johann-Günther König, Reinbek bei Hamburg 1986

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Deutsche Reihe hrsg. von Friedo Lampe Franz Grillparzer, Der arme Spielmann. Erzählung, Deutsche Reihe 122, Jena 1943 Wilhelm Hauff, Phantasien im Bremer Ratskeller, Deutsche Reihe 124, Jena 1943 Joseph von Eichendorff, Eine Meerfahrt, Deutsche Reihe 126, Jena 1943 Marie von Ebner-Eschenbach, Die Freiherren von Gemperlein, Deutsche Reihe 128, Jena 1943 229 Karl Postl, Das Blockhaus am Red River. Erzählung, Deutsche Reihe 131, Jena 1943 Uli Braeker, Des Geißhirten erste Liebe, Deutsche Reihe 133, Jena 1943 Heinrich von Kleist, Der Zweikampf, Deutsche Reihe 140, Jena 1944 Achim von Arnim, Wunder im Alltag. Erzählungen, Deutsche Reihe 142, Jena 1944 Johann Wolfgang von Goethe, Der Prokurator. Erzählungen, Deutsche Reihe 143, Jena 1944 Jeremias Gotthelf, Die Wassernot im Emmental, Deutsche Reihe 144, Leipzig 1944

Wissenschaftliche Arbeiten Friedrich Lampe, Goeckingks Lieder zweier Liebenden, Phil. Diss., Freiburg 1928

Vier Jahrhunderte deutschen Bürgertums. Der Wandel bürgerlicher Lebensformen von der Reformation bis zum Weltkriege. Studienführer 2. Ein Bücherverzeichnis, hrsg. von den Hamburger Öffentlichen Bücherhallen, Hamburg 1933

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Ders., Werner Helwig. Raubfischer in Hellas, in: Die Koralle 29, 21.7.1940, S. 714

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Ders., Helge Ingstadt. Die letzten Apachen, in: Die Koralle 3, 19.1.1941, S. 62

Ders., Ernest Claes. Der Pfarrer aus dem Kempenland, in: Die Koralle 5, 31.1.1941, S. 117

Ders., Hans Schwarz. Potsdamer Elegie, in: Die Koralle 7, 16.2.1941, S. 170

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233 Ders., Ursprung der Gegenwart. Zur Bewußtseinsgeschichte der Dreißiger Jahre in Deutschland, Weinheim 1995

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