Friedo Lampe: Idyllen Auf „Vulkanischem Grund“. Erzählen Im Stil Des Magischen Realismus Während Des Dritten Reichs
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Friedo Lampe: Idyllen auf „vulkanischem Grund“. Erzählen im Stil des Magischen Realismus während des Dritten Reichs Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br. vorgelegt von Annette Hoffmann aus Freiburg Erstgutachter: Prof. Dr. Günter Schnitzler Zweitgutachter: Prof. Dr. Carl Pietzcker Vorsitzender des Promotionsausschusses des Gemeinsamen Ausschusses der Philosophischen Fakultäten I-IV: Prof. Dr. Ulrich Rebstock Datum der Disputation: 7. Januar 2002 Inhalt Einleitung 1. Der Magische Realismus im ästhetischen und 13 historischen Kontext der zwanziger Jahre 1.1. Nachexpressionismus 13 1.1.1. Friedo Lampe, Krise. Briefe zweier Dichter 13 1.1.2. Ein neuer Naturalismus?? 16 1.1.3. Die Magie der Wirklichkeit 20 1.2. Begriffsbestimmung des Magischen Realismus 23 und seine inhaltliche Bestimmung 1.3. Rezeption 31 2. Friedo Lampe: ein exemplarischer Lebenslauf 36 im Dritten Reich 2.1. 1899-1930: Jugend und Studium 36 2.2. 1930-1945: Ausbildung und Berufsleben 40 2.2.1. Friedo Lampe als Volksbibliothekar in Stettin 40 2.2.2. Die Machtergreifung und die Gleichschaltung 41 der Volksbüchereien 2.2.3. Das Verbot von Am Rande der Nacht 50 2.2.4. Friedo Lampe beim Rowohltverlag 57 2.2.5. Die Situation von Autoren und Verlagen im 59 Nationalsozialismus 2.3. Ambivalente Lebenswirklichkeit im Dritten Reich: 65 Idylle auf „vulkanischem Grund“ 3. Überlegungen zur Gattung der Idylle 73 3.1. Die Idylle als biographisches Muster 73 3.2. Die Idylle zwischen Ideal und Wirklichkeit 74 3.3. Transformation der Idylle 84 4. Konfigurationen und Deformationen des 88 Idyllischen im Werk Friedo Lampes 4.1. Am Rande der Nacht: eine nächtliche Idylle 88 4.1.1. Innere und äußere Natur 89 4.1.2. Die Idylle als Ort des gesellschaftlichen Rückzugs 95 4.1.3. Die Idylle als Spiegel von Kulturkritik 103 4.1.4. Am Rande der Nacht und der Orpheusmythos 114 4.1.4.1. Idyllischer Todesraum 114 4.1.4.2. Rainer Maria Rilke, Am Rande der Nacht 120 4.1.4.3. Hugo von Hofmannsthal, Manche freilich 124 4.1.4.4. Vereinigung mit der Nacht 126 4.2. Die bedrohte Idylle: Septembergewitter 138 4.2.1. Die Ambivalenz des Idyllischen 139 4.2.1.1. Die idyllische Zeit als Stagnation 140 4.2.1.2. Der idyllische Raum als Todesbereich 144 4.2.2. Das Gewitter als polyvalentes Motiv 148 4.2.2.1. Die Deutung des Gewitters in der Tradition 148 der Idylle 4.2.2.2. Das Gewitter als dionysischer Rausch 152 4.2.2.2.1. Der Krieg als dionysisches Prinzip 153 4.2.2.2.2. Dionysische Kunst 160 4.2.2.2.3. Ekphrastische Beschreibungen als Verbildlichungen 163 des Dionysischen 4.2.3. Die Bedeutung der Visualität für Septembergewitter 165 4.2.3.1. Die Erfindung des Freiluftballons und seine Be- 166 deutung für den Panoramaroman 4.2.3.2. Filmisches Erzählprinzip bei Friedo Lampe 173 4.2.3.3. Das filmische Erzählen im Kontext des 179 Gesamtkunstwerk 4.3. Arabeske Idylle: Von Tür zu Tür 186 4.3.1. „Capriccios, Arabesken, Erzählungen, kleine wunder- 187 liche Gebilde“ 4.3.1.1. Subjektive Wahrnehmung und Täuschung 194 4.3.1.2. Musikalisches Formprinzip 197 4.3.1.3. Bildbeschreibungen 199 4.3.2. Synthese des Heterogenen 208 4.4. Magisches Erzählen und kalligraphisches Schreiben 215 Schlußwort 225 Bibliographie Friedo Lampe 229 Literaturverzeichnis 233 Einleitung In Peter Härtlings Vergessene Bücher1 aufgenommen worden zu sein, bedeutete für viele Autoren, daß sich damit ihr literarisches Schicksal nun endgültig besiegeln würde. Der Beitrag über Friedo Lampe findet sich dort zwischen den Essays über Peter Gan und Werner Krauss. Man sollte sich jedoch davon nicht täuschen lassen, denn die Tat- sache, daß Lampe sowohl von einer interessierten Leserschaft als auch von der germa- nistischen Forschung lange übersehen wurde, ist eng mit der verspäteten Rezeption der Literatur verbunden, die während des Dritten Reichs entstanden war. Peter Härtling schätzt die Prosa des 1899 geborenen Bremers, die ausgerechnet aus den Jahren der Diktatur hervorgegangen war, aufgrund ihrer Frische höher ein als die Wolf- gang Borcherts. In Lampes beiden Romanen und den Erzählungen, aus denen das schmale Œuvre besteht, erkennt Härtling die Atmosphäre der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wieder, in denen sich die spätere politische Entwicklung bereits ankündigt. Mir kommen die Erzählungen vor wie Nachrichten von Verschollenen […]. Dieses Kleinbürgertum, dessen Boshaftigkeit, ja Bösartigkeit nicht unter- schlagen wird, gibt es nicht mehr. Seine verschrobene Würde, seine beengte Tüchtigkeit und sein betulicher, echohafter Comment sind entschwunden. Der Hintergrund, vor dem es sich bewegte, war malerisch wie anachronis- tisch. Es muckte nicht auf, es fraß in sich hinein, und seine Ruhe wurde be- drohlich.2 Als Friedo Lampe sich 1939 bei dem Verleger Eugen Claassen für den Lyriker Paul Appel einsetzte, mag er bei der Charakterisierung von Appels Werk nicht zuletzt an sein eigenes gedacht haben. Das Schöne an ihm ist, daß seine Dichtung von den ganz einfachen positi- ven Dingen handelt. Liebe, Natur, Frömmigkeit, Ehe, Kinder, aber dabei ist er nicht eng oder philiströs, sondern man spürt, daß ein Mensch dahin- tersteht, der um die dunklen Dinge weiß und sehr gefährdet ist.3 Auch Lampe kannte diese Seiten des Lebens. Gleich sein erster Roman Am Rande der Nacht, mit dem er sein literarisches Debüt feiern wollte, wurde 1933 von den National- sozialisten verboten und auf die Schwarze Liste für Volksbüchereien gesetzt. Zwar konnte er seinen zweiten Roman Septembergewitter ungehindert veröffentlichen, doch blieb der Erfolg aus und sein Erzählungsband Von Tür zu Tür verbrannte 1943 kurz vor der Publikation im großen Bombenangriff auf Leipzig und erschien erst im Jahr 1946, 1 Peter Härtling, Friedo Lampe, in: Ders., Vergessene Bücher. Hinweise und Beispiele, Karlsruhe 1983, S. 170-76. 2 Ebd., S. 171. 3 Friedo Lampe an Eugen Claassen am 23.10.1939, in: Eugen Classen, In Büchern denken. Briefwechsel mit Autoren und Übersetzern, ausgewählt und hrsg. von Hilde Claassen, Hamburg 1970, S. 270. 1 nachdem er im Frühjahr 1945 aufgrund der politischen Lage nicht ausgeliefert worden war. Die Publikation erlebte Lampe nicht mehr. Er starb am 2. Mai 1945 in den Kriegswirren um die Eroberung Berlins, ein russischer Soldat erschoss ihn aufgrund einer Verwechslung. Friedo Lampes Werk ist durch starke Dichotomien geprägt, die sich auf Erzählhaltung und Motivwahl erstrecken. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob sich die Werkstruktur der gebrochenen Idyllen Friedo Lampes im Sinne des Magischen Realis- mus als Ausdruck eines Zeitstils begreifen lassen. Dabei werde ich mich im folgenden auf die idealtypische Definition des Magischen Realismus beziehen, wie sie Michael Scheffel in seiner Dissertation4 entwickelt und in späteren Veröffentlichungen präzisiert hat.5 Michael Scheffel hatte in seiner 1990 er- schienen Begriffsgeschichte des Magischen Realismus dessen historischen Standort in der Diskussion der zwanziger Jahre über einen neuen Realismus bestimmt und ihn an- hand dieses Quellenmaterials inhaltlich veranschaulicht. In einem knapp gehaltenen Überblick über die nichtfaschistische Literatur des Dritten Reichs bestätigt sich für Scheffel die Deutung des Magischen Realismus als Zeitstil, dessen historischer Schwer- punkt die Spanne der zwanziger bis fünfziger Jahren umfaßt. Scheffel beschreibt die Werke des Magischen Realismus als im Ansatz realistisch, von homogener, in sich ge- schlossener Erzählform, wodurch sie sich vom Surrealismus unterscheiden und im Ge- gensatz zur phantastischen Literatur als stabil, insofern daß sie nicht durch den Einbruch des Irrationalen irritiert werden.6 Das im inneren Gegensatz zum Realismus zu stehen scheinende Magische erklärt Scheffel zum einen als Vorhandensein eines Rätsels und zum anderen als die geheim- nisvolle Verbindung von Gegensätzen, die den Werken des Magischen Realismus ihre charakteristische Atmosphäre verleiht. Erzielt wird diese Unbestimmtheit des Gesche- hens durch vage räumliche und zeitliche Angaben, eine Überformung des Erzählten durch Motive des Morbiden und eine Dämonisierung alltäglicher Gegenstände, die auf 4 Michael Scheffel, Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Be- stimmung, Tübingen 1990. 5 Michael Scheffel, Von der Sachlichkeit und ihren Folgen. Geistesgeschichtliche Anmerkungen zur Ge- nese eines „magischen Realismus“ in den zwanziger und dreißiger Jahren, in: Rudolf Wacker und seine Zeitgenossen. Ausstellungskatalog, Kunsthaus Bregenz, Bregenz 1993, S. 50-55; Ders., Die poetische Ordnung einer heillosen Welt. Magischer Realismus und das „gespaltene Bewußtsein“ der dreißiger und vierziger Jahre, in: Formaler Mythos. Beiträge zu einer Theorie ästhetischer Formen, hrsg. von Matías Martínez, Paderborn 1996, S. 163-180; Ders., Magischer Realismus, in: Reallexi- kon der Deutschen Literaturwissenschaft, hrsg. von Harald Fricke, Band 2, Berlin 2000, S. 526/27. 6 Michael Scheffel (1990), S. 111. 2 der Figurenebene durch eine überdeutliche Wahrnehmung begleitet wird und der Be- hauptung eines geheimen Sinns auf Erzählerebene entspricht.7 Wenn Scheffel bereits in seiner Dissertation auf einen Zusammenhang von Stil und den Zeitumständen, in denen die Werke entstanden sind, hinweist8, so gewichtet er dies in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1996 stärker und wird dabei von Hans Dieter Schä- fer unterstützt, der die Interpretation des Magischen Realismus als möglichen Zeitstil der nichtfaschistischen Literatur des Dritten Reichs bestätigt.9 Im Hinblick auf die For- schungen Schäfers