Besprechungen
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
pen Zeitschrift für Germanistik | Neue Folge XXX (2020), Peter Lang, Bern | H. 1, S. 201–279 Besprechungen MICHAEL AUER, CLAUDE HAAS (Hrsg.) Kriegstheater. Darstellungen von Krieg, Kampf und Schlacht in Drama und Theater seit der Antike. Unter Mitarbeit von Gwendolin Engels. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2018, 301 S. (I.) EDITH ZEHM (HRSG.) Johann Conrad Wagner: „Meine Erfahrungen in dem gegenwärtigen Kriege“. Tagebuch des Feldzugs mit Herzog Carl August von Weimar. Mit einer Einführung v. Gustav Seibt (Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 78). Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 552 S. (II.) (I.) Der Sammelband von MICHAEL AUER und CLAUDE Diese Projektskizze wirft Fragen auf: Weder HAAS vereint 18 Beiträge (17 Originalbeiträge),1 existiert eine über die Jahrhunderte konstante und die auf Vorträge einer Berliner Tagung Ende 2016 auf Vorstellungen von Sichtbarkeit und Sicherheit zurückgehen. Untersucht werden griechische, reduzierbare Deutung der theatrum belli-Formel2 französische, englische und deutsche Theaterstücke noch ist vorauszusetzen, dass diese Metapher von der Antike bis zur Gegenwart. Ausgangspunkt mehrheitlich bei der Entstehung von Dramen ist die ab dem 17. Jahrhundert gebrauchte Meta- mit Kriegsthematik ein notwendiger Referenz- pher vom Kriegstheater bzw. theatrum belli, die, punkt war. In letzter Konsequenz wäre von den so die Herausgeber, suggeriere, „dass kriegerische Beiträgern also zunächst der Nachweis zu führen, Handlungen sichtbar, überschaubar und begrenz- dass in den untersuchten Texten überhaupt auf bar seien, dass ihnen eine innere, nachvollziehbare die Metapher Bezug genommen und eine dezi- Folgerichtigkeit wie ein determinierbarer zeitlicher dierte Ablehnung der ihr angeblich inhärenten Verlauf eigne und dass sie daher auch aus einer si- Vorstellungen zu beobachten ist. Zudem ist die cheren Distanz heraus beobachtet werden könnten“ Widerständigkeit von Drama und Theater, Krieg (S. 1). Die „Imaginationsversprechen“ der Metapher „unmittelbar auf die Bühne zu bringen“ (S. 3), jedoch löse das tatsächliche Kriegstheater, also keineswegs so ‚ubiquitär‘, wie nahegelegt.3 das mit Krieg befasste Drama, mitnichten ein: Es Der Band möchte – vorgebliche – Defizite der hintertreibe „die erwarteten Eindrücke von Sicht- Forschung kompensieren: einerseits eine „gängige barkeit oder Sicherheit […] seit alters her“ (S. 2). Zu Tendenz, bedeutende historische, politische und konstatieren sei hier eine „geradezu ubiquitär[e]“ mediale Entwicklungen beinahe ausschließlich Widerständigkeit gegen die ästhetisierenden Ten- in narrativen Texten reflektiert und exemplifiziert denzen der Metapher; die „Kriegserfahrung von zu sehen“,4 andererseits den Umstand, dass die Kampf und Schlacht“ werde „praktisch durchweg deutsche Dramenforschung „Krieg, Kampf und als ein ungehegtes, der Sicht- und Verfügbarkeit Schlacht“ (S. 4) seit dem Ende des Ersten Welt- […] entzogenes und damit im strengen Sinne kriegs nicht mehr in monographischen Gesamtdar- unfigurierbares Geschehen gefasst“ (S. 3). Die stellungen behandelt habe. Auch diesen Prämissen Aufsätze des Bandes sollen die „bühnenmedialen, kann nicht vorbehaltlos zugestimmt werden.5 dramenästhetischen, soziopolitischen und wahr- Den Auftakt des Sammelbandes bilden zwei nehmungstheoretischen Gründe für die Ablehnung Beiträge, deren Ausgangspunkt das griechische der in der Kriegsmetaphorik verschränkten Vor- Theater ist: SUSANNE GÖDDE belegt das in der stellungen von Sichtbarkeit und Sicherheit“ (S. 4) Frage nach einer inneren Logik der An- oder Ab- in dramatischen Texten untersuchen. wesenheit von Kriegsszenen im Drama ruhende © 2020 The author(s) - http://doi.org/10.3726/92165_201 - Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Internationalen Lizenz Weitere Informationen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0 202 | Besprechungen Erkenntnispotential. Sie untersucht „das Darstel- staatlicher Ordnung überschreitet“ (S. 95). Eine lungsmuster des Zweikampfes, das den Krieg zum abschließende Synthese der Überlegungen fehlt. In ,Schau‘ platz, zum theatron werden lässt“ (S. 9) einer detaillierten Analyse von Horace (1640) deutet bei Homer, Aischylos und Euripides. Gödde CLAUDE HAAS Corneilles Entscheidung, das zen- erläutert die im antiken griechischen Theater trale Kampfgeschehen des historischen Stoffes nicht gängigen Darstellungsmodi von Kriegsgeschehen auf der Bühne zu zeigen, als Versuch, das Stück durch Mauerschau, Botenbericht und vor allem konsequent zur Vermittlung und Legitimierung durch den Zweikampf: Dieser inszeniert eine des absolutistischen Herrschaftsmodells sowie zur „Symmetrie und das Gleichmaß der Kräfte“, Durchsetzung eines dem Absolutismus parallelen doch der mit dem Tod beider Kontrahenten en- Zuschauer- und Theaterkonzepts zu nutzen. Haas dende totale Einsatz im Nahkampf scheint „dem skizziert zudem, wie Corneilles Text und der Stoff in archaischen Heroenmodell des Ruhms durch Sieg deutschsprachigen Bearbeitungen und Adaptionen entgegenzuwirken“ (S. 23). WOLF KITTLER skizziert zwischen 1741 und 1809 unter veränderten epocha- in einem kursorischen Essay die Bedeutung von len und politischen Veränderungen dramaturgisch Kriegen in Stücken ohne Kriegsszenen an Homer, different gestaltet wurden. Sophokles, Euripides, Corneille und Kleist, so etwa ARMIN SCHÄFER betrachtet Daniel Casper von in Hinblick auf Kleists große Aufmerksamkeit Lohensteins Tauerspiele Cleopatra und Sophonisbe, für militärtechnische Entwicklungen, und geht die auf die Darstellung militärischer Kampfhand- abschließend auf kriegstechnische Innovationen lungen verzichten: „die Rede über den Krieg [wird] im 20. Jahrhundert ein. Über den Grund, warum zu einem Operator im Kriegsgeschehen selbst“ Kriegsszenen in Tragödie und Trauerspiel meist (S. 137). Schäfers Analyse des Kriegs der Worte, nur „als epische Einsprengsel“ auftreten, kann also der Debatten über die Handlungsoptionen im Kittler „nur spekulieren: Vielleicht ist die Bühne Krieg, belegt schlüssig, dass beide Stücke Krieg als […] zu klein […]. Vielleicht verträgt sich die „ein kontingentes Geschehen“ deuten, in dem der sprachlose Gewalt des Krieges nicht mit den feier- die Oberhand behält, der „die unvermeidlichen lichen […] Chorgesängen der Tragödie. Vielleicht Kontingenzen, die im Krieg auftreten, zu seinen gehört es sich auch nicht, das Sterben öffentlich Gunsten auszunutzen“ (S. 142) vermag, ohne dass zur Schau zu stellen“ (S. 27). die Tugend verloren gehe. Einen zweiten Schwerpunkt bilden Dramen In den Beiträgen von MONA KÖRTE, STEFFEN des 17. und 18. Jahrhunderts: Während BJÖRN MARTUS, JOHANNES F. LEHMANN und MICHAEL QUIRING Ambivalenzen in Shakespeares Umgang AUER stehen deutschsprachige Dramen des 18. mit dem Krieg auf der Bühne nachgeht und zeigt, Jahrhunderts im Mittelpunkt. Für Lessings nach wie das Schlachtfeld mal als „Ort der Darstellung Ende des Siebenjährigen Kriegs spielende Minna von Transzendenz“ (S. 51), dann wieder „als ein von Barnhelm schlägt Körte eine interessante Les- Netzwerk menschlicher Handlungen und Unter- art vor, die den „unordentliche[n] Aufbau“ (S. 146) lassungen“ (S. 61) erscheint, rekonstruiert ROMAIN und permanenten „Informationsrückstand“ JOBEZ dicht die „Befriedung der unregelmäßigen (S. 147) im Stück in den Blick nimmt und davon Bühne und Beendung des Kriegsschauspiels“ ausgeht, die „Unordnung des Krieges“ werde „in (S. 69) im Theater der französischen Klassik eine unordentliche Affektökonomie überführt, anhand poetologischer Debatten und Racines die die Gefühlswerte von Tragödie und Komödie Bérénice (1670). einander“ (S. 153) annähere. Auf Martus’ genaue HANS-CHRISTIAN VON HERRMANN betrachtet Untersuchung der „Ästhetik des Krieges“ in „Konstellation[en] von Krieg, Staat und Theater“ Goethes Götz folgt Lehmanns origineller Hin- (S. 83) bei Corneille, Schiller und Grabbe: Während weis auf J. M. R. Lenz’ Fragment Der tugendhafte Le Cid die historische „Verstaatlichung des Krieges“ Taugenichts: Neben der Imagination einer verita- (84), Die Braut von Messina aber „die Erschütterung blen Kriegsszene mit Toten gehe es im Fragment der Autorität des Staates und die neue Herrschaft inhaltlich und dramaturgisch primär „um Bilder des Zufalls“ (S. 91) thematisierten, erscheine in von sozialen Beziehungen, die allesamt als para- Napoleon oder die hundert Tage der Krieg „vor allem sitäre Beziehungen auf den Körper verweisen“ als Chiffre für ein Mächtespiel, das den Innenraum (S. 187). Leider nutzt der Beitrag in seinem ersten Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang Besprechungen | 203 Teil zum deutschsprachigen Soldatenstück die Thalheim schildert in seinem Nachruf auf Buhss, aktuelle Forschung zu diesem Genre kaum.6 dass das vom Wiener Götz Fritsch im Rahmen Das letzte Drittel des Sammelbandes ist Texten einer Kulturkooperation inszenierte Stück keine nach 1800 gewidmet: Antitriumphalismus in Genehmigung für die Bühne erhielt und nur durch Kleists Penthesilea und der Krieg als Zeitkampf eine List Gerhard Meyers „über eine Potsdamer in Eichendorffs Ezelin von Romano werden von Werkstatt-Aufführung auf die Karl-Marx-Städter JULIANE VOGEL und MICHAEL GAMPER differenziert Bretter geschleust“ werden konnte.7 Vor diesem analysiert. Leicht irritierend untersucht HANNAH Hintergrund greift Münkners weitgehend unkon- WIEMERs Aufsatz zu Paul Scheerbart (S. 231–246) krete Deutung zu kurz, das Stück sei „Gleichnis keine Dramen, sondern kurze Prosaskizzen, die für die Ambivalenz des Hoffens und Wartens, Kriegstheater imaginieren (und verzichtet auf Be- die den Menschen zu