Eschweger Aus dem Inhalt Geschichtsblätter 30/2019 Karl Kollmann: Klaus-Peter Friedrich: Zum 30. Heft der Eschweger Geschichtsblätter Zum Lebensweg der jüdischen Kinder- gärtnerin Rosel Leschziner geb. Wolf aus Karl Kollmann: Herleshausen Ein Jesusfi gürchen und ein tiefer Brunnen. Bericht über die baubegleitenden Unter such- Wolfram Brauneis: ungen auf dem Grundstück Forstgasse 2 in Die Bedeutung des Eschweger und Wanfrieder Eschwege im Frühjahr 2018 Raumes für die Rückkehr des Wander fal ken (Falco peregrinus) in Hessen. Historie – Edgar Siedschlag: Nieder gang – Wieder ansiedlung – Be stands- Iohannes Hütterodius poeta entwicklung Sabine Köttelwesch: Karl Kollmann u. a.: Landgräfi n Eleonore Katharina von Hessen- Veröffentlichungen aus dem Werra-Meißner- Eschwege, geb. Pfalzgräfi n bei Rhein (1626– Kreis 2018 1692) York-Egbert König: Frank-Bernhard Müller: Veröffentlichungen aus den thüringischen Auf den Spuren Goethes im Werraland – Nachbarkreisen 2018 Gedanken zum 270. Geburtstag 2019 York-Egbert König: Gerhard Hochhuth: Was uns außerdem in Hessen, Die Eschweger Hochhuths Thüringen und anderswo auffi el Thomas Beck: Jahresbericht 2018 „Einer von 2 Millionen“. Die Geschichte des Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1/1990 bis jüdischen Soldaten Moritz Loewenstein und 30/2019. Zusammengestellt von ork-Egbert Geschichtsblätter Eschweger 30/2019 seiner Familie König Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege: Wer waren die Täter Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in ICHTE CH UN S D 1938–1945. Bearbeitet und mit einem E G L Nachwort versehen von ork-Egbert König E A N H D C

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. V E . 1834 e.V. V ∙ ISSN 2197-6163 Geschichtsverein Eschwege Fair. Menschlich. Nah.

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Geschichtsverein Eschwege im Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde 2

Inhalt

Karl Kollmann: Klaus-Peter Friedrich: Zum 30. Heft der Eschweger Zum Lebensweg der jüdischen Kinder- Geschichtsblätter ...... 3 gärtnerin Rosel Leschziner geb. Wolf aus Herleshausen ...... 164 Karl Kollmann: Ein Jesusfigürchen und ein tiefer Brunnen. Wolfram Brauneis: Bericht über die bau be glei ten den Unter- Die Bedeutung des Eschweger und such ungen auf dem Grund stück Forst- Wan frie der Raumes für die Rückkehr gasse 2 in Eschwege im Früh jahr 2018 ...... 4 des Wander fal ken (Falco peregrinus) in Hessen. Historie – Nieder gang – Wieder- Edgar Siedschlag: ansiedlung – Be stands entwicklung ...... 195 Iohannes Hütterodius poeta ...... 11 Karl Kollmann u. a.: Sabine Köttelwesch: Veröffentlichungen aus dem Landgräfin Eleonore Katharina von Werra-Meißner-Kreis 2018 ...... 207 Hessen-Eschwege, geb. Pfalzgräfin bei Rhein (1626–1692) ...... 25 York-Egbert König: Veröffentlichungen aus den thüringischen Frank-Bernhard Müller: Nachbarkreisen 2018 ...... 211 Auf den Spuren Goethes im Werraland – Gedanken zum 270. Geburtstag 2019 ...... 37 York-Egbert König: Was uns außerdem in Hessen, Gerhard Hochhuth: Thüringen und anderswo auffiel ...... 219 Die Eschweger Hochhuths ...... 79 Jahresbericht 2018 ...... 230 Thomas Beck: „Einer von 2 Millionen“. Die Geschichte Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge des jüdischen Soldaten Moritz 1/1990 bis 30/2019 Loewenstein und seiner Familie ...... 100 Zusammengestellt von York-Egbert König ..234 Gerd Strauß: Bildnachweis ...... 243 Die Reichspogromnacht 1938 in Autoren dieses Heftes ...... 244 Eschwege: Wer waren die Täter? ...... 113 Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938–1945 Impressum Bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von York-Egbert König ...... 142 Selbstverlag des Geschichtsvereins Eschwege © 2019 Geschichtsverein Eschwege Alle Rechte vorbehalten Für die Inhalte der Beiträge sind die Autoren verantwortlich. Satz: Jochen Ebert, Kassel Druck: Cordier Druck Medien, Heilbad Redaktionsschluss für die Ausgabe 31/2020 Heiligenstadt ist der 31.12.2019 ISSN 2197-6163 3

Zum 30. Heft der Eschweger Geschichtsblätter

Vor 30 Jahren hatte der damalige Vor- Während in anderen Regionen (z. B. in sitzende des Geschichtsvereins Eschwege, Eschweges Partnerstadt Mühlhausen) die dort Dr. Alfred Schalk, die Idee, ein Jahresheft des von unserem Nachbarverein herausgegebe- Vereins mit Beiträgen zur regionalen Ge- nen „Mühlhäuser Beiträge“ eine breite finan- schichte herauszugeben. In dem Vorstands- zielle Unterstützung durch Banken, Kreis und mitglied und seit 1989 Leiter des Stadtarchivs Stadt erhalten, ist dies hier in Eschwege nicht in Eschwege, Dr. Karl Kollmann, konnte er ei- der Fall. Man verlässt sich hier lieber auf nen Mitarbeiter für diese Aufgabe gewinnen. das bürgerliche Engagement, nicht nur auf Dass diese Schriftenreihe noch nach 30 Jah- dem Gebiet der Heimatgeschichte. Freund- ren bestehen würde, war zu jener Zeit nicht licherweise unterstützen uns die Sparkasse abzusehen. Inzwischen wird die Redaktion Werra-Meißner und die Eschweger Kloster- der Schriftenreihe gemeinsam mit York- Egbert brauerei durch Schaltung von Anzeigen. König, der weiterhin ehrenamtlich im Stadt- Die Eschweger Geschichtsblätter haben archiv arbeitet, geführt. sich mit ihren insgesamt 215 Beiträgen im War das erste Heft der Eschweger Ge- redaktionellen Teil einen guten Platz in der schichtsblätter, das 1990 erschien, mit 46 nordhessischen Regionalliteratur erworben. Seiten Umfang noch recht schmal, so über- Eine vergleichbare Reihe gibt schon länger schritten die meisten folgenden Hefte die der Geschichtsverein Rotenburg unter dem 100-Seiten-Grenze und erreichten beispiels- Titel „Rund um den Alheimer“ heraus. Die weise im Heft 16 (2005) schon beachtliche Beiträge in beiden Reihen befassen sich mit 164 Seiten. Das nun vorliegende 30. Heft der Kultur, Geschichte und Natur der Regi- bringt es sogar auf 246 Seiten. on in einem breiten Spektrum, von der Vor- Die Herausgabe der Eschweger Ge- und Frühgeschichte bis zur aktuellen Erin- schichtsblätter war für unseren Verein nur nerungskultur. Wir wünschen uns, dass die möglich, weil zu jener Zeit ein Startkapital Eschweger Geschichtsblätter auch weiterhin vorhanden war, mit dem man die ersten Hef- einen Beitrag zur Kultur der Region leisten te finanzieren konnte. Längst sind wir jedoch können. darauf angewiesen, dass sich die Geschichts- blätter durch den Verkauf wenigstens teilwei- Im März 2019 se refinanzieren. Dies wird in zunehmendem Dr. Karl Kollmann Maße nicht mehr erreicht, so dass die Reihe durch die Mitgliedsbeiträge mit finanziert werden muss. 4

Ein Jesusfigürchen und Im Zuge der Reformation wurde der Klos- terbesitz 1527 säkularisiert und ging in das ein tiefer Brunnen Eigentum des Landgrafen Philipp von Hes- Bericht über die baubegleitenden sen über, der ihn zunächst an den Landvogt Untersuchungen auf dem Siegmund von Boyneburg verpfändete und den südöstlichen Teil 1559 an den Eschwe- Grundstück Forstgasse 2 in ger Bürger Valtin Treffurt verkaufte. Auf dem Eschwege im Frühjahr 2018 nordwestlichen Teil erbaute Philipp den Marstall als Zubehör des Schlosses; seitdem von Karl Kollmann war das Grundstück zweigeteilt. In der Zeit des in Eschwege residierenden Landgrafen Christian (1689–1755) wurde 1735 der neue Zur Grundstücksgeschichte Marstall errichtet. Der Heidehof wurde schon unmittelbar nach Christians Tod, nämlich Die Grundstücke zwischen Forstgasse, am 22.12.1756, durch den Verkauf an den Schlossplatz und den unteren Anlagen (Forst- Gastwirt Friedrich Siegel erneut privatisiert. gasse 2, 2a und Schlossplatz 9) haben eine Seitdem ist hier eine Tradition als Gasthaus wechselvolle Geschichte.1 Im Mittelalter be- nachzuweisen. fand sich hier ein Burgsitz der Adelsfamilie Eine grundlegende Neuordnung des Are- von Hundelshausen, die ihn am 10.6.1343 als erfolgte in der Mitte des 19. Jahrhunderts. dem Nonnenkloster Heydau bei Altmorschen Der aus Wanfried stammende Gastwirt Ernst verkaufte. Möglicherweise sind die Herren Ferdinand Koch (15.7.1825 – 14.7.1902) er- von Hundelshausen über ihre enge Verwandt- warb das Gelände des Heidehofs (Forstgasse schaft zur Familie von Boyneburg zu ihrem 2) im Jahr 1852 einschließlich des Nachbar- Burgsitz in der Stadt Eschwege gekommen, hauses Forstgasse 2a und erbaute das „Ho- oder sie gehörten selbst der Boyneburger tel Koch“, das 1858 eröffnet wurde. Über Burgmannschaft an. Es ist darauf hinzuwei- mehrere Jahrzehnte hinweg galt es als „erstes sen, dass diese Besitzübertragung rund 40 Haus am Platze“. Für den Neubau wurden Jahre vor der Erbauung des Eschweger Schlos- zwei neue Gewölbekeller erbaut, wodurch ses stattfand, wodurch ein ganzer Straßenzug ein hier befindlicher alter Brunnen in seinen weichen und das „Honer Tor“ verlegt werden oberen Teilen gekappt wurde. musste und deshalb fortan auch „Neues Tor“ Die nächste Generation im „Hotel Koch“ hieß. Der Verkauf 1343 geschah durch Hed- wird seit 1885 durch den Sohn Eduard Koch wig, die Witwe des wenige Jahre vorher ver- (21.7.1855 – 26.3.1940) vertreten. Er er- storbenen Walter von Hundelshausen, und warb 1908 das sieben Jahre zuvor neben- ihre Söhne Walter, Hartrad und Henrich. an erbaute „Hotel Hartmann“ und verband Das Kloster Heydau besaß in der Umge- 1911 beide Gebäude durch Bebauung des bung Eschweges – vor allem in Grebendorf – dazwischen liegenden Hofes. 1920 wurde umfangreichen Landbesitz und unterhielt der Teil des „Hotels Hartmann“ wieder ver- hier einen städtischen Wirtschaftshof, von kauft und die Räumlichkeiten beherbergten dem aus die Besitzungen verwaltet wurden. nun die Sparkasse, die entlang der „Unteren Aus dieser Zeit stammt die Bezeichnung Anlagen“ einen Neubau errichtete. Nach „Heidehof“ für den südlichen Teil des Gelän- deren Umzug in die Friedrich-Wilhelm-Stra- des. Südöstlich davon trennte das so genann- ße 1981 diente der Komplex der Bauverwal- te Eselsgässchen, das von der Forstgasse zur tung des Kreises als Behördenhaus. Das seit Stadtmauer führte, das Areal von den Häu- 1948 so genannte Schlosshotel in der Forst- sern in der Forstgasse ab. gasse 2/2a hingegen bestand noch unter ver- Karl Kollann: Ein essfigrchen nd ein tieer rnnen 5

Abb. 1: Auszug aus dem Stadtplan von 1745 6 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 2: Stadtplan 1745, mit Eintragung der Bebauung nach 1850; Bearb.: Karsten Heuckeroth Karl Kollann: Ein essfigrchen nd ein tieer rnnen 7 schiedenen Besitzern bis zum Jahresende 2009. Nachdem schon 2017 die Planungen für den Neubau eines Verwaltungszentrums des Werra-Meiß- ner-Kreises so konkret geworden waren, dass Grund- und Aufrisse des Neubaus in den Schaufenstern des früheren Schlossho- tels öffentlich präsen- tiert werden konnten, setzte sich die AG Archäologie an der VHS mit dem Gebäu- demanagement des Kreises in Verbindung mit dem Ziel einer den Bau begleitenden archäologischen Un- tersuchung. Im De- zember 2017 erteilte der Kreis hierzu seine bb : as soeben gendene onfigrchen siehe et S ai Zustimmung, nach vor- heriger Abstimmung mit dem Landesamt für nen Brand von Fachwerk hin, vielleicht aus Denkmalpflege Hessen. Auf Antrag wurde dem Dreißigjährigen Krieg. Laut Karte von der AG am 21. Juni 2018 eine so genannte 1745 war die Front des hier stehenden Hau- Nachforschungsgenehmigung (NFG) erteilt. ses etwas zurückgesetzt, so dass ein kleiner Am 3. Januar 2019 folgte eine vorsorgliche Vorplatz entstand. Verlängerung für das Jahr 2019. Am 14. April 2018 begann die eigentliche Grabungskampagne durch Mitglieder der AG Archäologie an der VHS. Diese Tätigkeit Die archäologischen erfolgt ehrenamtlich und wird meistens an Untersuchungen im Frühjahr 2018 den Wochenenden oder am Spätnachmittag durchgeführt, da einige der Mitarbeiter noch Am 27. Januar 2018 wurde eine erste Son- im Berufsleben stehen. Es werden im Laufe dierung im Bereich des Grundstücks Forst- eines knappen Vierteljahres 137 Arbeitsstun- gasse 2a vorgenommen. Die Breite des früher den geleistet. Der Ort der Ausgrabung bringt separaten Hausgrundstücks beträgt 5,80 m. es mit sich, dass immer wieder interessierte Im Profil entlang der Straßenkante ist unter Passanten stehen bleiben und nachfragen, den neuzeitlichen Materialien Hüttenlehm was denn hier geschieht – eine meist positive zu erkennen; der Befund wird fotografisch Begleiterscheinung dieser Grabung. An der dokumentiert. Der Hüttenlehm deutet auf ei- Grabung beteiligt waren: Orte Berg, Stefan 8 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

neuerer Zeit eine Einsenkung an, die ein Brunnen sein könnte. Diese Vermutung bewahrheitet sich schon drei Tage später beim nächsten Einsatz. Der Brunnenbereich ist mit großen Steinen ange- füllt, die beim Abbruch des Gewölbes die Bodenplatte durchschlagen haben. Sie müssen in mühsamer Arbeit entfernt und dabei in der Re- gel mit dem Vorschlagham- mer zerkleinert werden. In Schnitt A wird bald der gewachsene Boden erreicht (Buntsandstein), darüber eine grau-grüne Tonschicht mit älteren Ziegelbruchstü- cken sowie Knochen und wenig Keramik in den Sen- ken des unregelmäßigen Pro- fils. Vor allem am westlichen Ende des Schnittes wird et- was Keramik geborgen, wäh- rend am östlichen Ende des Schnitts der Boden sandig ist und keine Funde enthält. Schnitt A liegt in dem oben Abb. 4: Blick aus die Grabungsschnitte A und B von Süden, 20. Mai erwähnten Vorplatz und so- 2018 mit außerhalb der alten Be- bauung. Forbert, Karsten Heuckeroth, Robert Köcher, Zwischen der zweiten und dritten Ab- Dr. Karl Kollmann, Klaus Liebeskind und stützung im östlichen Bereich von Forstgas- Matthias Nolte. se 2a wird am 12. Mai Schnitt B parallel zu Als erstes wird zwischen der ersten und Schnitt A angelegt. Gleich unter der Oberflä- zweiten Abstützung zur Hauswand des che steht hier ein grauer, humoser Boden mit Nachbargrundstücks Schnitt A in einer Breite zahlreichen Keramikscherben an, die aus der von 1,00 m angelegt. Unter einer modernen Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg stammen. Packlage von 0,20 m folgt eine graue humose In der Mitte des Schnittes liegt ein Stein von Schicht von maximal 5 cm, darunter brauner 44x38 cm, bis 10 cm dick, der offenbar als Boden mit zahlreichen Dachziegelfragmen- Fundament für eine Stütze (wohl in der Mitte ten aus der Neuzeit. Gleichzeitig wird der eines Raumes) diente, da er stark zerdrückt östliche der beiden Gewölbekeller, die beim ist und wohl erheblichem Druck ausgesetzt Neubau des Schlosshotels in den 1850er-Jah- war. – Die Arbeit am Brunnen wird fortge- ren angelegt wurden, untersucht. Es deutet setzt, wobei gemischte Funde aus dem 18. sich in der Mitte unter der Bodenplatte aus und 19. Jahrhundert gemacht werden. Por- Karl Kollann: Ein essfigrchen nd ein tieer rnnen 9 zellan- und Glasfragmente deuten auf eine dem ersten Eindruck einen sitzenden Adam Verfüllung beim Bau des Kellers in der Mitte mit Apfel und Handgeste, demnach im Mo- des 19. Jahrhunderts hin. Am 15. Mai findet ment der Erkenntnis seiner Nacktheit zeigt. ein Pressetermin statt. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass es den Die graue humose Schicht in Schnitt B Jesusknaben mit der Weltkugel darstellt. Da- erweist sich beim nächsten Grabungstermin für gibt es zahlreiche Beispiele aus Grabungs- als überaus fundreich, wobei die Funde zur funden z. B. in Augsburg und Köln.2 In beiden Tiefe hin eher ins späte und hohe Mittelalter Grabungen stellten die Jesusknabenfigürchen gehören dürften. Dies trifft jedenfalls für eine den weitaus größten Teil des Fundkomplexes; tiefere Schicht zu, die aus graugrünem fetten in Augsburg waren dies mehr als 600. Auf- Ton besteht und weniger Keramik, dafür aber grund der Fundumstände ist das Stück in das mehr Ziegelfragmente und Tierknochen ent- Spätmittelalter zu datieren. hält, die zum Teil gesägt sind. Die Schichten Nach Osten hin wird ein separater Schnitt lagern einem festen, noch nicht definierten B 2 angelegt, der dicht unter der Oberflä- Boden auf, der nach Westen hin abfällt und che eine Steinsetzung – wohl ein Mauerfun- eine Rinne bildet, dann wieder leicht ansteigt dament – zu Tage bringt, das senkrecht zur und gerade verläuft. Forstgasse verläuft. Darüber wird ein Reichs- Schnitt B wird im Folgenden weiter ausge- pfennig von 1876, Prägebuchstabe D, ent- arbeitet und etwas nach Westen erweitert, um deckt. Die Arbeit an Schnitt B wird Ende Mai hier eventuell die aus der Karte von 1745 zu abgeschlossen und dabei die Verbindung zu erschließende Gebäudegrenze nach Südos- Schnitt B 2 bzw. dem Mauerfundament her- ten zu erreichen, doch ohne Erfolg. Im grau- gestellt. Es zeigt sich, dass die Mauer in die grünen Ton wird ein Tonfigürchen ohne Kopf älteren Schichten eingegraben ist. Es wird von knapp 5 cm Länge gefunden, das nach jenseits der Abstützung in Verlängerung des

Abb. 5: Blick in den Gewölbekeller mit dem Brunnen, 20. Mai 2018 10 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Mauerfundaments ein Schnitt B 3 angelegt, samten Bereich entziehen sich der Deutung. in dem sich die Fortsetzung der Mauer nach Sie liegen auf dem ungestörten braunen und Süden bestätigt. Mit Blick auf die Karte von olivgrünen Boden auf, der zahlreiche Kera- 1745 kann sie als Ostabschluss des Gebäu- mikscherben enthält, in größerer Tiefe auch des auf Parzelle A 175 identifiziert werden, Dachziegel, wie bereits in Schnitt A festge- dessen Existenz in den Archivunterlagen bis stellt. Die Befunde werden sodann vermes- 1626 zurückverfolgt werden kann. sen und skizziert; die Arbeiten in der Fläche Der Brunnen wird weiter ausgehoben und am 23. Juni abgeschlossen. dabei in 1,80 m Tiefe unter der Kellersoh- Im Brunnen wird am 19. Juni mittels eines le ein Eisengestänge (vermutlich ein Rohr) Seiles durch das senkrecht führende Rohr in angetroffen, das von Osten bis in die Mitte der Mitte die Tiefe ausgelotet. Dabei ergibt des Brunnens verläuft und dann nach unten sich eine trockene Tiefe von ca. 3,00 m und abbiegt. Es dürfte sich um eine Pumpanlage darunter ein Wasserstand von ca. 0,50 m. handeln. Die Funde weisen weiterhin auf Durch den Bau des Kellers vor etwa 170 eine Verfüllung um 1850 hin. Das Eisenge- Jahren wurden die obersten drei Meter des stänge liegt offenbar auf einer weiteren Eisen- Brunnens gekappt, so dass eine Gesamttie- konstruktion auf. In diesem Bereich kommen fe von mindestens 6,50 m anzunehmen ist. Bruchstücke von Ofenkacheln und Werra- Nach dieser Feststellung wird klar, dass der keramik zu Tage, also aus etwas älterer Zeit Brunnen in der verfügbaren Zeit nicht ausge- als bisher, doch treten weiter unten erneut graben werden kann. Als Erinnerung an die Funde des 19. Jahrhunderts auf. Die Metall- Grabungsmaßnahme im Brunnen wird eine konstruktion im Brunnen wird am 5. Juni bis versiegelte Flasche bei Erreichung der tiefsten auf das Mittelstück, das senkrecht nach unten Sohle bei ca. 2,20 m für die Nachwelt depo- führt, mit Hilfe einer Trennscheibe entfernt. niert. Dabei zeigt sich, dass das Metall unterhalb der Rostschicht noch sehr gut erhalten ist. Restarbeiten an den Schnitten A und B An- Anmerkungen fang Juni bringen keine Funde oder neue Be- funde. Die Erweiterung an Schnitt A in Rich- 1 Die Geschichte des Geländes ist kurz zu- tung Süden zur Feststellung der Grundmauer sammengefasst bei Julius Schmincke: Ge- ergibt erneut einen gestörten Bereich durch schichte der Stadt Eschwege, 1857, S. 202. ein Abflussrohr. An Schnitt A wird am 19. Juni 2 Michaela Hermann: Neues von den Augs- versucht, durch eine Erweiterung nach Süden burger Bilderbäckern, in: Knasterkopf 17 / die straßenseitige Grundmauer des Gebäu- 2004, S. 27-40; Alexander Reis: Ein Kölner des zu finden, doch ist dieser Bereich stark Fundkomplex von Pfeifentonfigürchen in gestört. Nach Westen hin ist das Erdreich Bonn, in: Journal ub-uni. Heidelberg. – Ich ab der olivgrünen Tonschicht ungestört. Die danke Herrn Stefan Krüßmann, Schweb- Erweiterung von Schnitt A nach Süden wird da, für entsprechende Hinweise. vergrößert, um eventuell den Mauerverlauf des Gebäudes zur Straße festzustellen, doch bleibt dies ohne Erfolg. Das für die Abstüt- zung in jüngster Zeit gesetzte mittlere Beton- fundament reicht bis in 0,30 m Tiefe, hat aber keine hier verlaufende Mauer berührt oder zerstört. Weiter östlich ist der Befund bis in über 0,50 m Tiefe durch zwei Abflussrohre gestört. Weitere flache Steinsetzungen im ge- 11

Iohannes Hütterodius sich durch ehrwürdigen Rang, berühmte Ge- lehrtheit, einzigartige Frömmigkeit und rech- poeta ten Gottesglauben besonders auszeichnet, für Herrn Wolfgang Krell, den Doktor der hoch- von Edgar Siedschlag heiligen Theologie, den ordentlichen Profes- sor des brandenburgischen Athenäums, den angesehenen derzeitigen Dekan der Theolo- Johannes Hütterodt (1599–1672) war von gischen Fakultät, für ihren Förderer, Schirmer 1638 bis zu seinem Tode Superintendent in und Lehrer, der ihre Achtung und Folgsam- Eschwege. Während seiner Amtszeit hat er keit im höchsten Maß verdient, vorgetragen ein Diensttagebuch geführt, das als histori- von seinen sehr ergebenen Schülern am sches Dokument außerordentlichen Quel- 31. Oktober zu Frankfurt/Oder“. An diesem lenwert besitzt und daher weit über seinen Geburtstagsgeschenk hat sich Johannes Hüt- Amtsbereich hinaus bekannt geworden ist; terodt mit einem mehrstrophigen Gedicht auf Martin Arnold und Karl Kollmann haben es Altgriechisch beteiligt (Nr. 1); er hat demnach mit aller Sorgfalt herausgegeben; informati- in Frankfurt an der Oder bei Wolfgang Krell onsreiche einführende Kapitel erschließen Theologie studiert. das Werk1. Im Jahr 1619 gratulierte Hütterodt zwei Wenig bekannt ist jedoch, dass Johannes Studienfreunden zur Erlangung des Dok- Hütterodt auch lateinische und griechische torgrades. Die lateinischen Verse für Adam Verse verfasst hat. Diese poetischen Texte Forwerk (Adamus Forwercius) aus Bernburg zeigen ihn von einer Seite, die sein Dienst- überschrieb er mit dem Titel De infula phi- tagebuch nicht zu beleuchten vermag, und losophica … und dem Namen des Geehrten so werden sie auf Anregung von Martin Ar- (Nr. 2), über den Glückwunsch für Ernst Wul- nold in diesem Beitrag im Original und in storp (Ernestus Wulstorpius) setzte er idem = Übersetzung vorgelegt. Da sie für sich selbst der/dasselbe und den Namen des Adressaten sprechen, sollen sich einleitende Bemerkun- (Nr. 3). Diese Glückwunschgedichte geben gen auf biographische Details beschränken, weiteren Einblick in Hütterodts Studien in die aus anderen Quellen nicht hervorgehen; Frankfurt/Oder und lassen vermuten, dass er daneben wird eine Übersicht über Hütterodts bei Johannes Schosser Rhetorik studierte. bis jetzt bekannte Schriften gegeben. Im Jahr 1620 erschien Johannes Hütterodt Im Jahr 1617 immatrikulierte sich Johan- als Respondent einer Disputation auf dem Ti- nes Hütterodt an der Viadrina, der Universi- telblatt des Siebenten Teiles der Manuductio- tät zu Frankfurt an der Oder. 1618 las man nis aphoristicae ad Discursum artium et dis- seinen Namen in einer dort erschienenen ciplinarum methodicum, einer in Frankfurt/ Schrift mit dem Titel: „Genethliacon Viro Oder gedruckten Schrift des Theodor Ebert, Dignitate veneranda, Eruditione praeclara, Professor für Hebräisch, der auch den Vor- Pietate singulari, Auctoritate eminenti, Relli- sitz hatte. Also hat Hütterodt auch bei Ebert gione orthodoxa Excellentissimo Dn. VVolf- studiert, wahrscheinlich Hebräisch und auch gango Crellio, SS. Theologiae D. Athenaei Philosophie, denn die Disputation behandel- Brandenburgici P. P. & Facultatis Theologicae te die Metaphysik, Da Ebert ihn im einleiten- p. t. Decano Spectabili, Maecenati, Patrono den Teil seines Buches als Cand(idatus) Phi- & Praeceptori suo summo observantiae gra- losophiae bezeichet, muss er sich im Februar du dignissimo pridie Kalendas Novembres 1620 kurz vor oder in der Abschlussprüfung Decantatum A discipulis addictissimis.“ Was befunden haben; bald darauf hat er sein Stu- auf Deutsch ungefähr Folgendes bedeutet: dium in Frankfurt an der Oder als Magister „Geburtstagsgeschenk für einen Mann, der beendet. 12 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

In demselben Jahr verfasste Hütterodt Ver- in der gedruckten Ausgabe ein Gedicht auf se für Joachim Kestner, der 14 Tage nach ihm den Verstorbenen beigegeben (Nr. 7).5 Respondent in einer Disputation war, die über Physik geführt wurde; sie bildet den In- halt des Achten Teils der eben zitierten Ebert- Zur Wiedergabe der Texte, schen „Manuductio“.2 Hütterodts Gedicht Orthographie und Textkritik. beschließt diesen Teil (Nr. 4). In den Folgejahren hat Hütterodt keine Bei der Edition der nachfolgenden Texte Verse gedichtet, zumindest sind keine erhal- ist die Schreibung der Wörter gewöhnlich ten. Er hat wohl erst zum Tod des Landgrafen beibehalten. Die Zeichensetzung folgt heuti- Moritz wieder ein lateinisches Gedicht ge- gem Gebrauch. Hervorhebungen, die in den schrieben (Nr. 5). Originalausgaben bald in Kapitälchen, bald 1637 hielt er eine Leichenpredigt für kursiv gedruckt sind, werden einheitlich be- Sophia Juliana Gräfin von Waldeck und handelt und erscheinen hier kursiv, auch da, Pyrmont, geb. Landgräfin zu Hessen; Epike- wo die Druckfassung es unterlassen hat. dien oder andere Trauergedichte sind darin Emendierte Textstellen sind durch Fettdruck nicht enthalten.3 Der Zerstörung der Stadt hervorgehoben. Sie sind der Übersicht halber Eschwege im Jahr 1637 widmete er einen hier zusammengefasst und erscheinen in der Zweizeiler mit Chronogramm (Nr. 6). Auf durch die Anordnung der Texte gegebenen Landgraf Friedrich, den Sohn Moritz’ des Reihenfolge. Auf die Nummer des Gedichtes Gelehrten, der 1655 in Polen fiel und 1657 folgt die Emendation, dahinter nach einer ecki- in Eschwege bestattet wurde, hielt er die Lei- gen Klammer die beanstandete Lesung der ge- chenpredigt.4 Sie war nicht auffindbar. Erhal- druckten Ausgabe: Nr. 1: ἐστώς] ἐσρώς; ἐνθέης] ten hat sich Hütterodts Leichenpredigt für ἐνθείης; Nr. 4: doctos [doctor; Nr. 6: EsVVegae] Heinrich von Keudel, der 1661 starb. Ihr ist EsVVegam; Nr. 7: EN] EST; ‚‘EN] HEN.

Text Nr. 1 ist abgedruckt in: Genethliacon Viro Dignitate venerandâ, Eruditione praeclarâ; Pietate singulari … Orthodoxâ Dn. VVolfgango Crellio, S. S. Theologiae D. Athenaei Brande- burgici P. P. & Facultatis Theologicae p. t. Decano Spectabili, Maecenati, Patrono & Praeceptori suo Decantatum … A discipulis addictissimis … Francofurti : Voltzius, 1618. Ein Exemplar des Genethliacon liegt in der Ratsschulbibliothek Zwickau. Kein Digitalisat vorhanden.

ΗΝ ò νῦν ἧμαρ πάρα ἐυπρόσωπος Wenn dieser heutige Tag da ist, an dem du Γηθέῃ εἰν ᾗ μάλα ἠδὲ χαίρῃ. dich schön aussehend sehr freust und glück- Τίς δὲ ἀνθρώπων κραδίῃ μάλιστα lich bist, wer nun von allen Menschen freut Γηθῇ ἁπάντων; sich im Herzen am meisten?

Ημέρης τεχθείς ἐπὶ τῆς παρούσης Der am gegenwärtigen Tag durch Gottes Εὐμενοῦς ὄντος Διὸς ἠδὲ ἵλεω Wohlwollen und Gnade geboren ist, Crellius, Ὅστις εὔφρῃνας σέοθεν τοκῆας du, der du mit dir (=durch deine Geburt) die ΚΡΕΛΛΙΕ χαίρῃς. Eltern erfreutest, du freust dich;

Τὺ, λέγω, χαίρῃς τὸ γενεθλιόν σου du, sage ich, freust dich über deine Anlagen Φαίνει, ὦ ἄνερ θεόσεπτε. ὅσσον (das dir Angeborne). Sie zeigen, du göttlich Edgar Siedschlag: Iohannes Hütterodius poeta 13

Γῆ μόγις γέννησεν, ὅλος δέδωκεν geehrter Mann, wieviel die Erde in höchstem Ἤ ποτε κόσμος. Bemühen hervorbringen konnte, (wieviel) wahrhaftig einmal der ganze Kosmos jeman- dem geben konnte,

Οὐ μόνον γάζην ἀνέωγ’ ἀρίστην dem nicht nur PHOEBUS APOLLON den ΦΟΙΒΟΣ ΑΠΟΛΛΩΝ ὅτω. ἀλλὰ αὐταί besten Schatz auftat, sondern auch die güti- ΜΟΥΣΑΙ ἠθείαι ἐθελοντὶ δόσσον gen Musen von sich aus glänzende Geschen- Ἀγλαὰ δώρα. ke gaben, (nämlich, wie ganz offensichtlich ist),

Δὴ, τρόπους ἀρχάς τ’ ἐπὶ τάσδε τέχνας. Charakter (tropoi) und Anlagen (archai) und Ἔστι γὰρ ΚΛΕΙΩ πρότερον τὸ ἔργον dazu noch Ausbildung (technai). Denn KLEIO Hγὲ οὐν, θαυμαζέμεναι, πονοῦσα fällt die Grundlegung (die erste Aufgabe) zu, πρὸς τόδε εἴδειν. sie müht sich ja ab, dass wir zum Staunen und zum Erkennen gelangen (um unser Stau- nen, außerdem um unser Wissen).

Ἔντα, ἔστ’ ἐστώς ἀρετῆς τὸ λεῖμμα Dann – es besteht noch ein Mangel an Tu- Ανταναπληροῦν μεμαὼς τοσοῦτο gend – setzte, im Bestreben diesen aufzufül- θῆκε γοῦν χρηστὴ ΕΡΑΤΟ τὸ ἔλδωρ len, die rechtschaffene ERATO den Wunsch Ἐν φρεςὶ σαῖσι. danach in dein Herz.

Πλήσας ἔλλειψιν διὰ δοιὰ ταῦτην, Um in zwei Punkten zu hören und zu erken- Ακροῆσαι τὼ ἀνὰ ἠδὲ γνῶσαι. nen, was oben ist, Mangel aufzufüllen (d. i. Κεῖνό τοι ἡ ΚΑΛΛΙΟΠΗ δέδωκε Unzulänglichkeit nicht aufkommen zu las- τοῦτο ΘΑΛΕΙΑ. sen), gab dir KALLIOPE das eine, THALEIA das andere.

Ηλθ’ ἀπ’ ΕΥΤΕΡΠΗΣ τάχα πίστις, ἀλλά Von EUTERPE kam sogleich der Glaube, Ασκέειν ἡ ΤΕΡΨΙΧΟΡΗ, φυλάττειν die Askese von TERPSICHORE, das Wach- Η ΠΟΛΥΜΝΕΙΗ, μελετᾶν τέθεικε samsein von POLYHYMNIA, die Bemühung ΜΕΛΠΟΜΕΝΗφι überließ sie MELPOMENE.

Εσχάτη τῶν ΟΥΡΑΝΙΗ τελείην Als letzte von ihnen gab URANIA vollendete Θέσκεν εἴδησιν σοφίης βροτείης, Wahrnehmung der menschlichen und göttli- κ’ ἐνθέης, αἴψ’ οὔνομα ἠδὲ δόσκεν chen Weisheit und rasch den Namen eines θειολόγοιο. Theologen.

Γήθομαι, ἔνδοξε ἀνὴρ, ἔγωγε, Auch ich freue mich, berühmter Mann, und τῆσ τε συγχαίρω ἐϋρωστίας σοι. freue mich mit dir über deine gute Gesund- Εὔχομαι ὅππως κρατέῃς κραταιῶς heit. Ich bitte darum, dass du voll Kraft über ΝΕΣΤΟΡΟΣ ὥρων. Nestors Jahre gebietest.

Εμβίου ὄντος σέο γὰρ σόου τε Denn solange du am Leben und gesund bist, Μοῦσαι ἔσσονται σόαι ἠδέ ζωαί, werden die Musen gesund und lebendig sein, Εσσεται σῶον κρατέροιο σεμνόν wird des (all)mächtigen Gottes heiliges Wort 14 Eschweger eschichtsblätter

Ρῆμα θεοῖο. sicher sein.

ὅττε δ’ ἐκλείψῃς τὸ βιοῦν, ὁ ΧΡΙΣΤΟΣ Wenn du aber aus dem Leben scheidest, Εκ γέης ψυχὴν φέρῃ εἴς ὂλυμπον· möge CHRISTUS deine Seele von der Erde in αλλὰ τιμή σου μενεῖ οὐκ ὀλεῖται den Himmel führen. Doch wird deine Ehre Δοξα καὶ αἶνον. bleiben, nicht vergehen werden dein Ruhm und dein Lob.

Xάριτος χάριν scribebat Zum Geschenk schrieb (diese Verse) Johan- Iohannes Hütterodius Esuegensis Hassus. nes Hütterodius aus Eschwege, .

Die Texte Nr. 2 und Nr. 3 sind abgedruckt in: Acclamationes Votivae Pro Laurea Apollinari, Publica solemnitate In Illustri Lyceo Marchico : a Viro … Dn. M. Johanne Schossero Rhetorices P.P. … Collata Viris doctrina & virtute praestantiß. Dn. Adamo Forwercio Bernburgensi & Er- nesto Wulstorpio … Nonis Octobr. Anno … MDC.XIX. Repraesentatae … erschienen 1619 bei Voltzius [Frankfurt/Oder] Verfasser: Schosser, Johann. Ein Digitalisat ist erreichbar unter: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:g- bv:3:1-589570.

bb : et r bb : et r Edgar Siedschlag: Iohannes Hütterodius poeta 15

De infula Philosophica Dem vorzüglichsten Herrn Adam Forwerck, praestantissimo Domino seinem Tischgenossen, anlässlich der (Verlei- Adamo Forwercio hung der) Philosophenbinde. commensali suo

Cum riget ancipiti tristatum frigore caelum, Wenn das Wetter bei schwankendem Frost ruricola obtuso vomere scindit humum, trüb und kalt ist, zieht der Bauer mit niederge- Arva fodit, campis serit hordea, tempore ut drückter Pflugschar seine Furchen, gräbt den aestus Acker um und sät auf den Feldern Getreide, Falcifera Cererem possit adire manu. um zur Sommerzeit mit der Sichel in der Hand Euax, antiquus naturae vertitur ordo, an Nahrung zu gelangen. Doch schau an! Die Postremum, primum quae tenuere, tenent. alte Ordnung der Natur ändert sich. An letzter Vertit Adamus agros aestiva luce, sed hora Stelle kommt, was früher den Anfang machte. autumni curva semina falce legit. Adam pflügt die Äcker zur Sommerzeit, Ähren sammelt er mit gebogener Sichel im Herbst.

Sedulus exercet, non rustica rura, sed agros Fleißig bearbeitet er sein Land, nicht ein bäu- Aonios scindit Pieridumque solum. erliches, vielmehr pflügt er die aonischen Praeparat, haud stiva ferro vel corporis armis, Äcker und bereitet den Boden der Musen Vomere sed gnavae sedulitatis arat. vor, nicht mit Sterz, Eisen oder Geräten des Flaminis hinc semen dat spiritualia dona, Körpers pflügt er, sondern mit der Pflugschar Talia namque metit, qualia quisque serit. tüchtigen Strebens, und so bringt der Samen des Geistes geistige Geschenke hervor. Denn es erntet ein jeder so, wie er sät.

Ergo age, Forwerci, vestitos messibus intra Auf denn, Forwerck, geh in die Hesperiden- hortos Hesperidum, ac aurea mala cape. gärten, die ihr Erntekleid tragen, und greife Protoplastus Adam decerpsit mala, sed eheu nach den goldenen Äpfeln. Adam der Erster- sese cum natis trusit in omne malum. schaffene pflückte Äpfel, aber ach, er stieß Talis Adamus eris minime: nam danda soro- sich mit seinen Söhnen in lauter Unglück. So rum ein Adam wirst du gewiss nicht sein, denn Aonidum capiti laurea serta tuo. auf dein Haupt muss man den Lorbeerkranz Laureolam merito Schosserus porriget, inde der aonischen Schwestern setzen. Den Lor- Caesariem sophias infula rubra teget. beer wird dir Schosser zu Recht reichen, und dann wird die rote Binde der Philosophie dein Haupthaar decken.

In domino gaude, myrtho faelixque triumpha, Freue dich im Herrn, triumphiere im Glück Ad dian sophian nunc adaperta via est. über die Myrte, der Weg zur göttlichen Weis- Ex animo vero tantos tibi grator honores, heit steht dir nun offen. Aus aufrichtigem Sintque salutiferi pectore et ore precor. Herzen gratuliere ich dir zu so großen Ehren, sie sollen dir alles Gute bringen, darum bete ich mit Herz und Mund.

Εὐνοίας χάριν gratulabatur Sein Wohlwollen zu zeigen gratulierte Johan- Johannes Hütterodius nes Hütterodt aus Eschwege, Hesse. Esvegensis Hassus 16 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Nr. 3 Idem Doctissimo Domino Ernesto Wulstorpio Dasselbe dem hochgelehrten Herrn Ernst amico suo Wulstorp, seinem Freund

Reddere cuique suum monet Ethnicus ille Jedem das Seine zu geben, verlangt jener magister, heidnische Meister; (auch) die heilige Schrift docente sacro codice lehrt es, Steuern zu zahlen, wem Steuern, Solvere vectigal, cui vectigalia, honorem, Ehre zu erweisen, wem Ehre gebührt. Wem Cui conferendus est honor. man denn Ehre erweisen soll, fragst du? Den Cui tribuendus honor, quaeras? virtutibus, hervorragenden Leistungen/Eigenschaften, inquam, meine ich, und allen ihren Vollbringern/Trä- ac virtuosis omnibus gern. Sie allein sollen folgende Art Lohn er- Praemia nam soli virtuti talia sunto: halten: Ehre und Ruhm. Scilicet, honos adorea. Wer wird bestreiten, dass man dir die größ- Quis tibi Wulstorpi, tribuendos esse negabit ten Ehren schuldet, die es für Weise gibt? Wer Σοφῶν honores maximos? wird nicht aus eigenem Antrieb mit beiden Non mage quis manibus tales ambabus honores Händen mehr Ehren auf dich häufen? Auf Suapte sponte conferet? dich, sage ich, der du der strahlende Edel- Dico, Tibi, Clariae qui gemmula clara catervae, stein in der Schar der Klarier und solchen Dignusque tali nomine. Namens würdig bist? Du, gewissermaßen ein Tu quasi virtutum generosa quadriga, trahenda edles Viergespann von Tugenden, wirst auf In verticem Parnasium den Gipfel des Parnass gezogen, wirst zum Castaliam ad fontem duceris ad ardua Phoebi Kastalischen Quell, zum hochragenden Pa- Apollinis palatia last des Phoebus Apollon geführt; hier wird Hic tibi Schosserus cana nive tempora sparsus dir Schosser, die Schläfen schon schneeweiß Musarum Apollo Marchicus bestreut, als Märkischer Apoll der Musen den Praemia virtuti tribuet tribuenda, reponens der Tüchtigkeit gebührenden Lohn zuerken- Tuum tiaram in verticem nen und dir den Doktorhut aufs Haupt setzen. Scilicet, humanae Sophiae appellabere Doctor Freilich wirst du Doktor der menschlichen Sophiam paratus ad Dei. Weisheit genannt werden, doch bist du zur Gratulor ore pio: faveat coeptis, benedicat göttlichen Weisheit vorbereitet. Ich gratuliere Tuis Jehova honoribus. mit einem Gebet auf den Lippen: Gott sei dei- nem Beginnen gnädig, er segne deine Ehren.

Text Nr. 4 ist abgedruckt in: M. Theodori Eberti Professoris Academici Manuductionis Apho- risticae Ad Discursum Artium Et Disciplinarum Methodicum Sectiones Sedecim, in quibus continentur Praecognita. Grammatica. Rhetorica. Poetica. Logica. Historica. Metaphysica. Physica. Mathematica. Ethica. Oeconomica. Politica. Artes Effectivae. Medicina. Iurispruden- tia. Theologia. In Academia Francofurtana Scriptae. Ad Georgium Guilielmum S. R. Imperii Archicamerarium & Electorum &c, erschienen 1620 bei Koch in Frankfurt/Oder. Ein Digitalisat dieses Buches liegt vor; es ist erreichbar unter folgender Adresse: http:// dfg-viewer.de/show/?set[mets]=http%3A%2F%2Fwww.zvdd.de%2Fdms%2Fmetsresolver- %2F%3FPPN%3DPPN751354503&set[image]=1. Direkt zu Hütterodts Versen (in Teil 8 auf S. 188) führt der folgende Link: http://dfg-viewer. de/show/?id=8071&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fwww.zvdd.de%2Fdms%2Fmetsre- solver%2F%3FPPN%3DPPN751354503&tx_dlf%5Bpage%5D=188. Edgar Siedschlag: Iohannes Hütterodius poeta 17

Optimo suo collegae domino Joachimo Seinem besten Kollegen Herrn Joachim Kest- Kestnero, in Physicis disputanti ner, der über Physik disputiert.

GRAIUGENUM Sophiae Chilo qui septimus, Chilo, der siebente unter den griechischen aede Weisen, stellte im Apollotempel in Delphi in In Phoebi Delphis inter diverbia vera Dialogen voller Wahrheit als Hauptregel auf: Constituit regimen princeps huic: Γνῶθι σε αυτὸν. „Erkenne dich selbst“. Mit diesem Satz be- Quo dicto Physicae ponit fundamina prima, gründet er die Physik und macht es möglich, Ac ceu per speclum Numen dat noscere sanc- wie durch einen Spiegel das heilige Walten tum. Gottes zu erkennen.

Naturae fundamen agit, cognoscere certo Dieser weise Lehrer macht die Natur so lange Dum iubet, haut Plinij doctos versare diurna zum Fundament, als er zu sicherer Erkennt- Nocturnaque manu libros, queis abdita narrat nis auffordert, (er fordert nicht dazu auf,) bei Naturae: nec Aristotelem secreta petentem Tag und bei Nacht die gelehrten Bücher des Totius ex orbis secretis dogmata rebus. Plinius in die Hand zu nehmen, in denen er von entlegenen Verborgenheiten der Natur erzählt, auch nicht den Aristoteles, der aus den Geheimnissen der ganzen Welt geheime Lehren herausfinden will.

Ast hominem mandat spatiosum fusa per orbem Vielmehr empfiehlt er (uns) den Menschen Corporis atque animae sapientis imagine vera (zu betrachten), der in des Weisen zutref- Monstrantem: Parvum dico dat visere Mundum. fendem Bild von Körper und Seele das den weiten Raum des Erdkreises Durchdringende zeigt; er macht es uns möglich, sage ich, eine Welt im Kleinen zu sehen.

En fundamen habes. Species compage sub una Sieh, nun hast du das Fundament. Denn die Nam junctae, Magni dicuntur nomine Mundi, einzelnen in einer Gesamtstruktur verbunde- Quas junctim species, Physices sapientia nen Dinge werden als Welt im Großen be- monstrat zeichnet. Diese in Verbindung befindlichen Sed Mundum propter sunt condita cuncta Dinge zeigt die Weisheit der Physik auf. Sie minorem. sind aber alle um der kleineren Welt willen erschaffen.

DEin ex visibili tanquam per specla theatro Dann leuchtet aus dem, was sich sichtbar als Lucet inaccessi Majestas Numinis alma, Schauspiel bietet, wie durch einen Spiegel Quam cerni ex rebus dat pagina sacra creatis. die erhabene Majestät des nicht fassbaren göttlichen Geistes hervor, die man – die hei- lige Schrift macht es möglich – am Geschaf- fenen erkennt.

Tu, Joachime, boni Physici si nomine gaudes, Wenn du, Joachim, dich nun freust, dass Aspice nutantem convexo pondere mundum, man dich einen guten Physiker nennt, dann Aspice sed potius Mundi compendia dantem, schau auf die Welt, die mit gewölbter Masse Aspice te, vitae quis Conditor atque Redemptor schwankt, schau aber mehr noch auf den, der 18 Eschweger eschichtsblätter

Nosce tuae, vita sic ibis ad astra perenni. sie im Gleichgewicht hält, schau auf dich, lerne den Begründer und Erlöser deines Le- bens kennen, so wirst du in ewig dauerndem Leben zu den Sternen gelangen. faciebat Dies dichtete JOHANNES HÜTTERODIUS Johannes Hütterodt Essvega Hassus. aus Eschwege, Hesse.

Text Nr. 5 ist abgedruckt in: Viginti Academiarum Et Scholarum Illustrium Tam Intra Qvam Extra Rom. Imp. Nec non Variarum Ecclesiarum Antistitum[que] Nobilium Itidem Et aliorum Clarissimorum Virorum Epicedia Quibus communis sui Mœcenatis & Nutritii, Quondam … Dn. Mauritii Hass. Landg. … Obitum … deplorant. Cassellis apud Johannem Saurium … Anno M DC. XXXV, p. 26. Dieses Werk ist als zweiter Abschnitt in dem folgenden enthalten: Mauso- lei Mauritiani Pars Altera : Qua Illustrißimi … Dn. Mauritii, Hassiae Landgravii, … Vitam, Virtu-

bb : et r lins nten nd rechts oben Edgar Siedschlag: Iohannes Hütterodius poeta 19 tes, Obitum, Novae Hassorum Academiae Cassellanae Professores Orationibus funebribus Ab oblivione grata mente vindicant, sed et obitus tanti principis longe lateque emanante fama excitata florentissima orbis Europaei regna et provinciae, Germania, Gallia, Anglia, Scotia, Belgium, Helvetia, Rhetia etc. sui erga saeculi huius Maecenatem affectus deque eius virtuti- bus iudicii monumentum perpetuum Epicediis Ex Multarum Academiarum Ac Scholarum in id consentientium voto virorum clarissimorum manu scriptis publicè ponunt … Autor / Hrsg.: Moritz ; Verlagsort: Cassellis; Erscheinungsjahr: 1635; Verlag: Saurius. Die Verse Hütterodts findet man direkt mit folgendem Link: http://diglib.hab. de/wdb.php?dir=drucke/gm-4f-442-3&pointer=25.

M. Johannis Huttenrodii pastoris / Eschwegensis. M. Johannes Hütterodt, Pfarrer zu Eschwege. Mauritius Landgravius Hassiae/ Moritz, Landgraf zu Hessen, durch Anagramm per anagramma / „des Hofes Ummauerung, diesen ein Herr- Aulae murus, his dynasta gravis. scher von Gewicht“

Scipio cum occubuit fato, concurrite cives Als Scipio den Tod fand, rief Metellus: „Sam- Moenia luxantur nostra, Metellus ait. melt euch, Bürger! Unsere Mauern wanken.“ Mauritio extincto, tristes concurrite Catti, Nach Moritz‘ Tod, betrübte Chatten, sammelt Mortis enim murum machina dira quatit. auch Ihr euch, denn das grauenhafte Ge- schütz des Todes erschüttert die Mauer.

Aulae consilio murus, virtute columna, Durch Klugheit dem Hof eine Mauer, durch His fuit in terris ille Dynasta gravis. Tüchtigkeit eine Tragsäule, dadurch war er Prosapiae murus, sobolis, patriaeque solique in diesem Land ein Herrscher von Gewicht, Zelotes templi, fida columna scholae, eine Mauer des landgräflichen Geschlechts, Relligione gravis, larga pietate celebris, seiner Nachkommen, des väterlichen Landes Sobrietate gravis, pacis amore gravis, und des Bodens, eifrig im Einsatz um die Kir- Justitiae assertor, Viduarum tutor et orbi che, eine verläßliche Stütze der Schule, von Nec gravis exactor, sedulitate gravis. eindrucksvoller Gottesfurcht, berühmt für sei- ne tiefe Frömmigkeit, Eindruck machte seine Nüchternheit, Eindruck seine Liebe zum Frie- den, er war ein Kämpfer für Gerechtigkeit, ein Beschützer der Witwen und Waisen, sei- ne Forderungen waren keine Last, seine Sorg- falt beeindruckte.

Dum stetit hic aulae murus, terrisque Dynasta Solange dieser als Mauer um den Hof stand Praefuit his stabant Curia Templa Scholae. und als Herrscher dieses Land leitete, hatten Saepius Austrino compressus turbine murus Rathaus, Kirchen und Schulen einen festen Non tamen oppressus, nomine dante, stetit. Stand. Zwar drückte ein Wirbelsturm aus dem Süden mehrfach diese Mauer ein, doch unüberwunden stand sie; der Name ergibt sie.

Corruit heu murus fato! Mors dira Dynastam Wehe, eingestürzt ist die Mauer durch den Sustulit hunc meritis et pietate gravem. Tod. Der grausame Tod nahm uns diesen 20 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Huc omnes Hessi, concurrite; flete dolete durch Verdienste und Frömmigkeit bedeuten- Mauriti propter tristia fata Ducis. den Herrscher. Ihr Hessen alle, sammelt euch Sollicitate deum votis, sit filius aulae hier, weint und trauert über den betrüblichen Murus et his Cattis mente Dynasta gravis. Tod des Landgrafen Moritz und bittet Gott in- ständig, dass sein Sohn dem Hof eine Mauer und diesen Chatten hier ein geistig bedeuten- der Herrscher sei.

Text Nr. 6 ist abgedruckt bei Schmincke, Julius Ludwig Christian: Geschichte der Stadt Eschwege, Eschwege 1857, S. 245.

EsVVegae perDIt trVX hostIs septa per Ignes Grausam vernichtet der Feind Eschweges bIs Dena aprILIs fVLserat ante DIes Einfriedigungen durch Feuer; zuvor war der 3 D + 2 L + X + 4 V + 7 I =1637 Morgen des 20. April heraufgedämmert.

Text Nr. 7 ist abgedruckt in: Glaubens Veste/ Erbawet aus 2. Tim. 1,12. Bey der Ansehen- lichen und Volckreichen Leichbestattung Des weyland HochEdelgebornen/ Gestrengen/ und Vesten Herrn … / Hüttenrodt, Johann. – Grebendorf 1662. Leichenpredigt für Keudell, Hein- rich von (1597–1661), Digitalisat unter: http://dfg-viewer.de/show/?set%5Bmets%5D=htt- p%3A%2F%2Foai.hab.de%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26i- dentifier%3Doai%3Adiglib.hab.de%3Appn_79999846X.

Praenobilis ac strenuus vir / Dominus Hen- Der wohledle und gestrenge Mann, Herr ricus a Keudel antiquae gentis stemmata / Heinrich von Keudel war der Schmuck des religione, prudentia, eruditione et integritate / Stammbaums der alten Adelsfamilie wegen in vita tam / militari per Galliam, Italiam et seiner Gottesfurcht, seiner Klugheit, seiner Germaniam / quam /Togata in aula domique / Bildung und seiner Untadeligkeit sowohl in ornavit et / emigravit, / Curriculo clauso, deus seinem Soldatenleben in Gallien, Italien und huic en, vindice dextra / Germanien als auch im Leben im Frieden am clare depositi sceptra beata dedit. / Hof und zu Hause, und er wanderte fort als Cum hac προσφωνήσει. sein Leben beschlossen war siehe hat ott ihm mit lohnender Rechten deutlich sichtbar ein gesegnetes Szepter des anvertrauten Gu- tes gegeben) mit folgendem Geleitwort:

Vita quid est? labor est tandem post fata qui- Was ist das Leben? Es ist eine Mühsal, die nach escens. dem Tod endlich zur Ruhe kommt. Was ist der Quid mors est? miserae meta beata viae. Tod? Die glückliche Zielmarke eines mühseli- Hinc labor insanus jucundae est causa quietis, gen Lebens. Von daher ist die unsinnige Müh- Mors vero vitae fons et origo novae. sal der Grund angenehmer Ruhe, der Tod aber Quelle und Anfang eines neuen Lebens. Edgar Siedschlag: Iohannes Hütterodius poeta 21

Huc, pie lector, ades defunctis insere temet Komm her, frommer Leser, geselle dich den Claude quiescendo a crimine claude viam. Verstorbenen, ende den Weg durch Ausruhen Nobile stemma adsis, decus in praenobile von Sünde, ende ihn. Edler Spross, komm, er- mentem hebe deinen Geist hierher zu wohledler Zier, huc releva, ut capias nobilitatis opes. dass du Schätze des Adels empfängst. Gesel- Huc agnate tuam virtutibus insere mentem le deine Seele, Sohn des Adels, zu den Tugen- Claude, scias proprias esse sub astra vias. den, beende (den Lauf), wisse, dass ihnen der Claude tuas curas curandis insere coelis Weg zu den Sternen eigentümlich ist. Been- Pectus, si felix huc remeabis iter. de deine Sorgen, wende dein Denken dem Claude tuam pugnam, felicia praelia claude Himmel zu, wenn du, glückliche Seele, den Huc tua conatus insere tela pii. Weg hierher gehen wirst. Beende den Kampf, Claude tuos annos, morbos, oculosque sagaces schließe die Gefechte erfolgreich ab, reihe Huc tua caelitibus pectora dede choris. die Lanzen deines frommen Beginnens hier Vere claude nec his queis lingua molesta ein. Schließe deine Jahre, deine Krankhei- nocendi ten, deine scharfsichtigen Augen, gib deine Indita, praebeto morem animumque tuum. Seele hierher zu den himmlischen Chören. ’En memorato decus clare vi numinis almi Aber schließe nicht mit Worten, denen die Prosapiae, ast potior est pietatis amor. beschwerliche Sprache des Schadens inne- wohnt; beweise deinen Charakter und Geist.

bb : et r 22 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Erwähne als einzige Zier deutlich die Familie wegen der Macht des gütigen Gottes, besser aber ist die Liebe zur Frömmigkeit.

Credideris domino cui certo pectore noscas Erfahre, auf welchen Herrn du unerschütter- De merito illius justificante fide. lich vertrautest, da dich durch sein Verdienst Pignora depositi domino custode ferenda der Glaube gerecht macht, warst du doch der Persuasus summo pignora summa die. Überzeugung, dass die Zinsen für das anver- Sic boni ominis ergo approperabat traute Gut, die am jüngsten Tage unter dem Joh. Hütterodius Pastor et Superintendens. Herrn als Wächter zu gewinnen sind, am höchsten sind. So dichtete des guten Omens halber in Eile Johannes Hütterodt, Pfarrer und Superinten- dent

Ἑινρίκος ἀπὸ Κεῦδελ Heinrich von Keudel, durch Anagramm: der ἀναγραμματισθεὶς Atem, dieser (Mann hier) mit feiner Nase Καπός. ὁδ’ ἕλκει εὖριν. zieht ihn ein.

Ἔστι καπὸς ζωὴ ὀλοφυρομένη ἐπὶ γαίῃ Atem bedeutet: ein bejammernswertes Leben Τῇ ὀλιγοχρονίῳ νῦν ὅδε ἕλκει ἔριν. auf der vergänglichen Erde, jetzt zieht er den Μοῖρα τελευτήσαι τοίνυν κατέκρινεν ἅπασιν Kampf in die Länge. Das Schicksal hat mit Εὖριν. Τῷδε χάρις εὖ ἀπένειμε θανεῖν. feiner Nase alle zum Sterben verurteilt. Ihm gewährte die Grazie einen guten Tod.

Diese Dichtungen machen Hütterodt alle Ehre. Sie zeigen, über welche ausgezeichne- ten Kenntnisse er verfügte und wie vertraut er mit der griechisch-römischen Antike war. Er konnte aus der Mythologie schöpfen, Motive der Römischen Dichtung waren ihm geläufig. Seine Sprachkenntnisse waren außergewöhnlich, er verwendet sogar ausgesprochen seltene Wörter. In beiden alten Sprachen vermochte er zu dichten. Seine Poesie zeigt eine ausgefeilte me- trische Technik und eine Vielfalt von Versmaßen. Er verwendet die Sapphische Strophe (Nr. 1 gr.), das elegische Distichon (Nrr. 2, 5, 6, 7 lat. u. gr.), den Hexameter (Nr. 4 lat.) und eine horazische Epodenstrophe (Hor. iamb. 15, Nr. 3 lat.). Als ein Mensch der Barockzeit versteht er sich auf „Sprachartistisches“ wie Chronostichon (Nr. 6) und Anagramm (Nrr. 5, 7 lat. u. gr.). Im Chronostichon schreibt er mit Rücksicht auf den Zahlenwert die lateinische Bezeichnung für Eschwege mit vv statt w, sonst mit v. Im Anagramm der Nr. 5 benutzt er die Möglichkeit, aus zwei I des Namens ein Y zu machen, wie es auch in Inschriften vorkommt. Er kennt das Prinzip, dem Gedicht eine der Zahl nach festgelegte Gesamtheit zugrunde zu legen und ka- talogartig jeden Bestandteil zu berücksichtigen. (Nr. 1, neun Musen) Beim Anagramm der Nr. 7 baut er auf die Kombinationsgabe des Lesers; denn er kündigt es nicht an, sondern lässt es nur durch Großschreibung mitten im Text hervortreten. Leider hat der Drucker es fast verdorben, indem er fälschlich EST in den Text setzte, so dass dieser unver- ständlich wurde. Der Name HENRICUS A KEUDEL führt jedoch auf DEUS HUIC EN CLARE, und damit begreift man den Text sogleich. Edgar Siedschlag: Iohannes Hütterodius poeta 23

Noch mehrmals wird derselbe Name für Anagramme herangezogen: Dist. 3 HUC INSERE CLAUDE (so auch Dist. 5, 6, 7); Dist. 4 DECUS IN HUC RELEVA; Dist. 9 VERE CLAUDE NEC HIS; Dist. 10 HEN DECUS CLARE VI. Hier verbirgt sich das H unter einem Spiritus asper. ‚ἝN hätte gedruckt werden müssen. Auch zum gräzisierten Namen des Heinrich von Keudel gelingt Hütterodt ein Anagramm; er erläutert es durch zwei elegische Distichen in Altgriechisch. Vergegenwärtigt man sich Hütterodts ausgezeichnete Bildung und sein großes sprachliches Talent, so wird durchaus einleuchten, dass er schon mit 22 Jahren Rektor der Eschweger Stadt- schule wurde.

Anhang: Die „Manuductio na praeside M. Theodoro Eberto s.s. Hebre- aphoristica“ des Theodor Ebert ae linguae Profess. et p.t. ordinis philosoph. decano, Respondente Joachimo Kerstnero In dem oben unter Nr. 4 zitierten Werk Oppavia Silesio ad diem 21. Februarij anno „M. Theodori Eberti Professoris Academici aerae Christianae M.DC.XX.“ Manuductionis aphoristicae … sectiones se- Keiner der beiden Titel stützt die Behaup- decim …“ erscheint auf dem Titelblatt des tung, dass Hütterodt (Mit)Verfasser des Sie- Siebenten Teils der Name Johannes Hüt- benten, Kersten des Achten Teiles sei, und terodt; der lateinische Text lautet: „Manu- doch werden beide in den bibliographischen ductionis aphoristicae ad discursum artium Angaben so bezeichnet. So wenig sich nun et disciplinarum methodicum sectio septi- die angebliche Verfasserschaft auf den Titel ma, in qua continetur Metaphysica ad dis- stützen lässt, so sehr steht ihr der Charakter putandum proposita. In Academia Viadrina der Schrift entgegen, wie deren Einleitung praeside M. Theodoro Eberto ss. Hebreae deutlich macht, bes. pp. 7-12. Eine ausführli- linguae Profess. et p.t. ordinis philosoph. che Darlegung würde den Rahmen sprengen; decano, Respondente Johanne Hütterodio daher müssen ein paar knappe Hinweise auf Esvegense Hasso ad diem 12. Februarij anno den Inhalt und der Verweis auf das Digitalisat aerae Christianae M.DC.XX.“ Dieser Titel ist genügen. etwa wie folgt zu übersetzen; „Aphoristische Ausgehend von den Verhältnissen im al- Anleitung zum methodischen Gespräch ten Athen betrachtete Ebert Disputationen über Künste und Wissenschaften. Siebenter als eine effektive Lehr- oder Unterrichtsform, Teil: in welchem die Metaphysik enthalten deren er sich im Wintersemester 1619/20 ist, (sie wird) zum Disputieren vorgelegt in bediente. Als Inhalt wählte er Einführungen der Viadrina unter dem Vorsitz von M. Theo- in die diversen Zweige der Wissenschaft dor Ebert, Professor der hochheiligen He- und entsprach damit den Bitten bzw. den bräischen Sprache und derzeitiger Dekan Vorschlägen seiner Studenten. Diese Einfüh- der philosophischen Fakultät, es antwortet rungen gestaltete er „aphoristisch“, d. h. er Johannes Hütterodt aus Eschwege, Hesse, baute auf Begriffsbestimmungen auf. (Das am 12. Februar im Jahr 1620 christlicher griechische αφοριζειν entspricht dem latei- Zeitrechnung.“ Sehr ähnlich lautet der Titel nischen definire= abgrenzen.) Dabei griff er des Achten Teils, der der Physik gewidmet auf recht bekannte Erklärer zurück und fügte ist: „Manuductionis aphoristicae ad discur- Autorenlisten an. Sein Vorhaben machte er sum artium et disciplinarum methodicum öffentlich bekannt. Die Namen der Studen- sectio octava, in qua continetur Physica ad ten, die sich an seiner Veranstaltung betei- disputandum proposita. In Academia Viadri- ligten, fanden Eingang in sein Buch, wobei 24 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 zwischen disputatores und auditores unter- 3 Leichenpredigt für Sophia Juliana Gräfin schieden ist. M. E. spricht alles dafür, dass von Waldeck u. Pyrmont geb. Landgräfin Eberts Discursus literarius, wie er das Buch von Hessen. Digitalisat: https://gdz.sub. in der Widmung nennt, Grundlage und Ab- uni-goettingen.de/id/PPN668690240?- lauf einer Lehrveranstaltung präsentiert. Üb- tify={%22pages%22:[67],%22vie- rigens erscheint Johannes Hütterodt zweimal w%22:%22info%22}. in der Namenliste: Über Metaphysik dispu- 4 Hütterodt erwähnt sie unter dem 24. Sep- tierte er ordinarie, über Gut und Böse pub- tember 1657 in seinem Diensttagebuch. lice und etraordinarie. Sie ist anscheinend verloren gegangen. In Eberts Werk erreicht man wie unten an- der SLUB Dresden befindet sich aber ein gegeben. Von der aufgerufenen Seite füh- anonymer Druck mit der Signatur: Hist. ren Links zu Titel, Widmung, Programma Hass.139,4 und dem Titel: „Personalia. (~Einleitung), Namenliste und den sonsti- Der Weiland Durchleuchtige Hochgebor- gen Abschnitten des Buches. Link: http:// ne Fürst und Herr/ Herr Friederich/ der dfg-viewer.de/show/?set%5bmets%5d=ht- Dapffere/ Landgrave zu Hessen … nun- tp%3A%2F%2Fwww.zvdd.de%2Fd- mehr Christmilden andenckens/ ist von ms%2Fmetsresolver%2F%3FPPN%3DPP- Christlichen und hohen Fürstlichen El- N751354503&set%5bimage%5d=1. tern und Vorfahren erzeuget und geboh- ren…“ Den zugehörigen digitalisierten Volltext erreicht man unter der Adresse: Anmerkungen https://digital.slub-dresden.de/werkan- sicht/dlf/20131/1/. Ihm ist zu entneh- 1 Martin Arnold, Karl Kollmann (Hrsg.): men, dass es sich dabei um den Abschnitt Alltag reformierter Kirchenleitung. Das Personalia aus einer Leichenpredigt für Diensttagebuch des Eschweger Super- Landgraf Friedrich von Hessen-Eschwege intendenten Johannes Hütterodt (1599- handelt; der Text stammt also wohl von 1672), Marburg 2009 (= VHKH 46.10). Hütterodt. 2 Auf dieses Werk wird in einem Anhang 5 Hütterodt erscheint noch als Mitun- kurz eingegangen; denn es enthält den terzeichner eines Briefes, der nicht Namen Hütterodt noch an anderer Stel- eingesehen wurde. http://kalliope. le, hat aber auch Hütterodt betreffend zu staatsbibliothek-berlin.de/de/search.htm- Missverständnissen geführt. l?q=h%C3%BCtterodt&lastparam=true. 25

Landgräfin Eleonore sein einziges Kind am Leben bleiben sollte. Als er 1632 in der Schlacht bei Lützen fiel, Katharina von Hessen- wurde die erst sechsjährige Christina Königin Eschwege, geb. Pfalzgräfin von Schweden (1626–1689). Zunächst über- nahm Reichskanzler Graf Axel Oxenstierna bei Rhein (1626–1692) (1583–1654), der die Regentschaft für sie führte, auch die Vormundschaft, übertrug sie von Sabine Köttelwesch dann aber Eleonores Mutter als der engsten Verwandten. Hier wuchs sie in der kinderrei- chen Familie zusammen mit den Geschwis- Sie sei eine „femme méchante, girouette, tern auf. Es war eine glückliche Zeit, berich- étrange, fière et mélancholique“1 und ver- tete Christina später. 1638 starb Eleonores bringe die meiste Zeit in frommer Andacht, Mutter und Christina kam mit Eleonore und so beschrieb sie der italienische Dichter und deren älterer Schwester Maria Euphrosyne Diplomat Lorenzo Magalotti, als er sich 1674 (1625–1686) wieder in die Obhut Graf Oxen- am schwedischen Königshof aufhielt und sie stiernas an den schwedischen Königshof.4 dort bei einem ihrer seltenen Besuche antraf.2 Mit 18 Jahren übernahm Christina 1644 Auf ihrem Porträt, etwa um 1680 entstanden, die Regierungsgewalt. Ihr politisches Han- wirkt ihr Gesicht sehr streng, fast männlich. deln war erfolgreich, denn durch ihre ge- Wie mag dieses Leben gewesen sein, das sie schickte Diplomatie war sie z. B. an der so geprägt hat? Beendigung des Dreißigjährigen Krieges be- Eleonore-Katharina aus dem Haus teiligt und konnte einige Landgewinne für Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg wurde am Schweden erreichen. Aber sie führte einen 17. Mai 1626 auf Schloss Stegeborg nahe der aufwendigsten Höfe Europas, der dem Norrköping in Schweden geboren. Ihr Va- Land große finanzielle Lasten aufbürdete und ter Johann Kasimir von Pfalz-Zweibrücken es an den Rand des Ruins brachte. Sie liebte (1589–1652) war im Auftrag der Protestanti- prunkvolle Feste, förderte Kunst und Wissen- schen Union, eines Zusammenschlusses pro- schaft; sie sammelte Münzen und Gemäl- testantischer Fürsten und Städte im Heiligen de, korrespondierte mit dem französischen Römischen Reich, an den schwedischen Kö- Philosophen René Descartes (1596–1650) nigshof geschickt worden, um dort für eine und zog Theatertruppen und Musiker an den Annäherung an Schweden zu werben. Er er- schwedischen Hof.5 reichte schnell das Vertrauen König Gustav II. Auch Eleonore war nun volljährig. Seit Adolfs (1594–1632), machte Karriere und 1643 verhandelte man wegen einer Ehe- heiratete 1615 in Stockholm dessen Halb- schließung mit Landgraf Friedrich von Hes- schwester Katharina (1584–1638). Zunächst sen-Eschwege (1617–1655), einem Sohn von residierte das Paar im Elsass, wurde aber Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (1572– 1622 von König Gustav Adolf nach Schwe- 1632), die sich wegen des reformierten den gerufen, weil er zu dieser Zeit noch kin- Glaubens und wahrscheinlich auch wegen derlos war, keine näheren Verwandten hatte des wilden Lebenswandels des fürstlichen und Katharina somit potentielle Thronfolgerin Bewerbers sehr schwierig und langwierig ge- war. Als Pfand für die noch nicht ausgezahl- staltete. Landgraf Moritz von Hessen-Kassel te Mitgift erhielt das Paar Schloss Stegeborg, hatte 1627 nach zunehmend glückloser Re- wo auch Eleonore Katharina 1626 als fünftes gierung zugunsten seines Sohnes Wilhelm V. Kind geboren wurde.3 (1602–1637) abgedankt, allerdings mit der Im Dezember desselben Jahres wurde Maßgabe, mit der Errichtung der sog. Roten- auch dem König eine Tochter geboren, die als burger Quart die Versorgung seiner zweiten 26 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

fest: Diesen Abend kam der Landgraf Fritz von Hessen aritii filis illerdings Hochzeit uf der Brauer Haus mit einer ziem- lichen Suite und als es ihm nicht allerdings nach seine[m] Willen ging, schlug er Fenster und Bänke entzwey, warf Butter an die Wand, brach die Zimmer auf und ging ungebührlich mit den Frauenzimmern umb, und weil zu Hofe die Prediger darauf scholten, ließ Illmus [Georg Herzog von Braunschweig-Lüneburg nd alenberg star inir- irn.6 Sowohl im Feld als auch im Privatleben schien er tollkühn gewesen zu sein und sei- nem Ruf alle Ehre gemacht zu haben. Dies war also der Mann, der sich um die Schwes- ter des schwedischen Königs bewarb. Als Fürstentochter und nah verwandt mit dem Königshaus wird ihre Erziehung auf ihre spätere Rolle als Frau eines regierenden Fürsten abgestimmt gewesen sein. Sie soll das Deutsche, Französische, Schwedische Abb. 1: Frühes Porträt von Christina von Schwe- und Lateinische beherrscht und sehr gut die den. Öl/Lw, um 1640, von Jacob Henry Elbfas

Gemahlin Juliane von Nassau-Dillenburg (1587–1602) und ihrer Söhne sicherzustel- len. Die Rotenburger Quart umfasste ein Viertel des kurhessischen Territoriums, blieb jedoch wirtschaftlich und politisch abhängig von Hessen-Kassel. Von den drei überleben- den Söhnen aus Landgraf Moritz‘ zweiter Ehe bekam Hermann als der Älteste Hessen-Ro- tenburg, Friedrich Hessen-Eschwege und Ernst Hessen-Rheinfels-Rotenburg. Wie es zumeist bei jüngeren unbemittel- ten Fürstensöhnen der Fall war, versuchte auch Friedrich von Hessen-Eschwege sein Glück beim Militär. Nachdem er zunächst als Fähnrich im Leibgarderegiment seines Halbbruders Landgraf Wilhelm V. von Hes- sen-Kassel gedient hatte, machte er rasch Karriere im schwedischen Heer und erreichte dort den Rang eines Generalmajors der Ka- vallerie. Der Hildesheimer Arzt, Ratsherr und Chronist Dr. Conrad Jordan (1591–1659), der ihm auf einem seiner Feldzüge begegnet war, Abb. 2: Eleonore Katharina als junge Frau. Öl/Lw, hielt im Februar 1641 in seinem Tagebuch ca. 1645 Sabine Köttelwesch: Landgräfin Eleonore Katharina von Hessen-Eschwege 27

Laute gespielt haben.7 Das 1646 entstandene Porträt, das wohl anlässlich ihrer anstehen- den Heirat gemalt worden ist, zeigt ein noch kindliches weiches Gesicht mit der typischen Nase der Wasa. Ihre reiche Kleidung, in schö- nen Pastelltönen gehalten, verweist auf ihren fürstlichen Rang. Königin Christina residierte auf der Burg Tre Kronor in Stockholm. Wie mag Eleono- re das Leben dort empfunden haben? Die prächtigen Feste, ständigen Theater- und Mu- sikaufführungen? Das intellektuelle, interna- tional geprägte Klima? Wir wissen aus dieser Zeit sehr wenig über sie. Seit 1637 war der Franzose Antoine de Beaulieu Ballettmeister am Königshof. Er führte in Schweden das Bal- lett ein, da man dachte, dass es dem Adel zu anmutigeren Bewegungen beim Fechten und Reiten verhelfen würde. 1637 ließ er ein dra- matisches Ballett mit Gedichten aufführen, das Eleonore für Königin Christina in Auftrag gegeben hatte.8 In dieser Theatergruppe gab Abb. 3: Landgraf Friedrich von Hessen-Eschwege, es einen Schauspieler und Lautenspieler na- um 1640. Öl/Lw. Kopie von Margarethe Luthmer mens Bechon, an dem Eleonore großes Ge- nach eine eälde von an tens fallen fand und er sicher auch an ihr. Aber die Heiratsverhandlungen mit Landgraf Friedrich von Hessen-Eschwege liefen und etwas ande- als Regenten eines kleinen Mediatfürsten- res als eine fürstliche Heirat kam für Eleonore tums zu wichtig, aber der Skandal war schon auch nicht in Frage. Im Juli 1646 konnten die publik geworden. Es scheint so zu sein, dass Verhandlungen endlich abgeschlossen wer- Eleonore über diese für sie traumatischen Er- den. Eleonore würde eine Mitgift von 20.000 eignisse nie ganz hinweggekommen ist. Be- Gulden erhalten.9 chon hatte ihr im Februar 1647 noch einen Am 6. September 1646 konnte schließlich Brief10 geschrieben, den sie jedoch ihrem die große Hochzeit mit Landgraf Friedrich Bruder gab. von Hessen-Eschwege auf Tre Kronor stattfin- Das Eschweger Schloss wird erst nach den mit einer sicherlich von Gefühlen zerris- 1649 Familiensitz, da es – wie auch die senen Braut: Ihr stand noch eine Beichte be- Stadt – im Dreißigjährigen Krieg weitgehend vor, die sie klugerweise auf die Tage nach der zerstört wurde. Landgraf Friedrich, der nach Heirat verschoben hatte. Denn sie musste ih- dem Tod seines Vaters im Jahre 1632 die rem Ehemann beichten, dass sie keine Jung- Herrschaft Hessen-Eschwege erhalten hatte, frau mehr und bereits schwanger war, und ließ die Residenz zwar instandsetzen, hielt zwar von einem Schauspieler aus der fran- sich aber zumeist in Schweden auf. Ende zösischen Theatertruppe. Landgraf Friedrich März 1647 wird die Tochter Margarete in Er- reagierte auf diese Mitteilung als Mann von furt geboren, wo sich das Paar vorübergehend Welt und ging über die Affäre hinweg, denn aufhielt; sie starb noch im selben Jahr. Am dazu war die Heirat mit einer Prinzessin und 30.10.1649 wurde die gemeinsame Tochter Schwester des schwedischen Königs für ihn Christine in Kassel geboren. Erst 1651 kam 28 Eschweger eschichtsblätter

Kloster Osterholz plus sämtlicher Einkünfte erhalten. 1651 kam noch das Kloster Lilien- thal samt Einkünften hinzu. Wenige Monate vor seinem Tod, am 28.1.1655, wurde ihm die Amtsschreiberei Stotel übertragen. Das Rittergut Beverstedtermühlen hatte Landgraf Friedrich jedoch 1650 selbst erworben.12 Alle diese Besitzungen lagen im Herzogtum Bre- men-Verden, das zu dieser Zeit unter schwe- discher Herrschaft war. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krie- ges hielt sich Landgraf Friedrich zumeist in Hessen und Eschwege auf.13 Um seine Ehe- frau kümmerte er sich allerdings wenig und nach dem Tod seines kleinen Sohnes hielt ihn nur mehr wenig in seiner Residenz. Als der Bruder seiner Frau nach der Abdankung Königin Christines als Karl X. Gustav König von Schweden (1622–1660) wurde, erhob der polnische König als ein Wasa aus der äl- teren katholischen Linie ebenfalls Ansprüche auf den schwedischen Thron. Karl X. Gustav erklärte ihm daraufhin den Krieg. Landgraf Abb. 4: Die letzte Seite aus einem Brief des Lauten- Friedrich bot seinem Schwager sofort seine spielers Bechon an Eleonore vom 28. Februar 1647 Hilfe an. Mit einem eigenen Truppenkontin- gent zog er Anfang September 1655 nach Po- Elisabeth wie alle weiteren Kinder in Eschwe- len. In der Nähe von Kosten (dem heutigen ge zur Welt; sie starb jedoch schon drei Wo- Koscian) bei Posen geriet er am 24.9.1655 chen später. Juliane wird im darauffolgenden in einen Hinterhalt und wurde erschossen. Jahr am 14.5.1652 geboren, Charlotte als die Zunächst wurde er in der Nähe von Kosten Jüngste am 3.9.1653. Die Enttäuschung da- begraben. Nach einer endlosen Irrfahrt durch rüber, dass seine Frau nur Mädchen bekam, Polen konnte er schließlich genau zwei Jah- drückte Landgraf Friedrich wenig zartfühlend re später am 24.9.1657 in der Grablege der so aus: „Ich mues an meiner Magt probiren, hessischen Fürsten in der Altstädter Kirche in ob die Schult meiner oder meiner Gemahlin Eschwege beigesetzt werden.14 ist.“11 Es ist anzunehmen, dass er dies auch Mit 29 Jahren war Landgräfi n Eleonore getan hat. Am 30.11.1654 kam dann endlich nun Witwe mit einem großen Schuldenberg, der ersehnte Erbprinz zur Welt. Wie sein Va- den ihr der Ehemann hinterlassen hatte. Ihr ter erhielt er den Namen Friedrich. Aber auch Bruder König Karl X. Gustav sagte ihr sofort dieses Kind starb, noch nicht ein Jahr alt, am seine Unterstützung bei den Verhandlungen 27. Juli 1655. über ihr Wittum und die Versorgung ihrer Eine weitere Enttäuschung war auch die Töchter zu. Er wurde auch der Obervormund Tatsache, dass das schwedische Königshaus der kleinen Mädchen: Charlotte war erst nicht in der Lage war, die Mitgift Landgrä- zwei Jahre alt, die älteste Christine sieben fi n Eleonores vollständig auszuzahlen. Zum und Juliane als die mittlere drei Jahre. Mit der Ausgleich hatte er am 27.8.1647 von Königin Ausführung dieser Vormundschaft wurden al- Christina auch wegen seiner Kriegserfolge lerdings der Präsident und der Vizepräsident Sabine Köttelwesch: Landgräfin Eleonore Katharina von Hessen-Eschwege 29 des Wismarer Tribunals betraut, des höchsten diese Einkünfte kaum je erreicht. Auch seinen schwedischen Gerichts auf deutschem Bo- Nichten wurde eine Mitgift von je 10.000 den. Die Erziehung und spätere Ausbildung Reichstalern bei einer Heirat zugesichert.15 wurde Dr. Daniel Lüdemann (1621–1677), Nach Klärung aller ihrer Angelegenheiten dem Superintendenten beim Bremer Dom, hielt sie sich 1658 wohl erstmals für eine län- übertragen. Er genoss das volle Vertrauen des gere Zeit in Lilienthal auf. Obwohl die dor- Königs; von 1648 bis 1651 war er dessen tigen Verhältnisse alles andere als geordnet Hof- und Feldprediger gewesen. waren, schien es ihr dort zu gefallen. Denn Landgräfin Eleonore selbst wurde laut Wit- das Eschweger Schloss stand ihr zwar als tumsvertrag vom März 1656 das Eschweger Witwensitz zu, aber nach dem frühen Tod Schloss als Wohnsitz garantiert. Außerdem Landgraf Friedrichs fiel Hessen-Eschwege an stand ihr ein kleiner Hofstaat zur Verfügung. Hessen-Rotenburg, zunächst an seinen Bru- Am 29.12.1657 endlich bestätigte Karl X. der Hermann und nach dessen Tod an seinen Gustav auch die Schenkungen im Herzogtum Bruder Ernst. Bremen-Verden und eine Pension von 3000 Sie reiste viel, hielt sich aber mehr und Reichstalern jährlich. Zusammen mit den mehr auf ihren Besitzungen im Herzogtum Einkünften aus dem Osterholzer Klosterbe- Bremen-Verden auf. Vielleicht erinnerte sie sitz von jährlich 5000 Reichstalern und den auch die Weite der norddeutschen Land- aus Lilienthal von 3000 Reichstalern wäre ihr schaft an ihre schwedische Heimat. Zudem ein gutes Auskommen gesichert. Nur wurden hatte Landgraf Friedrich wohl geplant, in

Abb. 5: Das Eschweger Schloss 2018 30 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Eleonore als Wohnsitz das Haus der Äbtissin im ehemaligen Benediktinerinnen-Kloster aus. Zumeist hielt sie sich dort auch auf. In Lilienthal ließ sie den Klosterkrug als ihren zeitweiligen Wohnsitz instandsetzen. Beide Klöster waren unter der schwedischen Herr- schaft aufgelöst worden, aber die letzten Nonnen behielten noch ihr Wohnrecht und ihre Versorgung.16 Weit weg von Schweden und Eschwege baute sie sich ein neues, zwar relativ be- scheidenes, aber selbständiges Leben auf. Ihr Hofstaat war nur klein und ihre Wohn- verhältnisse alles andere als repräsentativ; ein Geistlicher als persönlicher Beichtvater durfte jedoch nicht fehlen. Dies war Pastor Alvericus Hoddersen, den sie wohl bei ihrem ersten Aufenthalt in Lilienthal im Jahre 1658 kennengelernt hatte.17 Er wurde ihr enger Vertrauter. Aber erst ab Mitte 1660 nach Beendigung des Ersten Nordischen Krieges (1655–1660) Abb. 6: Karl X. Gustav von Schweden, Ölgemälde konnte man von einer geregelten Verwal- von Sbastien ordon tung sprechen. Dabei wurde die Landgräfin von ihren örtlichen Bediensteten unterstützt, Worpswede eine kleine Nebenresidenz zu insbesondere vom Vizepräsidenten am Wis- errichten. Er dachte anscheinend an ein klei- marer Tribunal, David Mevius. Möglich, neres Jagdschloss. Außerdem plante er einen dass hier ihre Erziehung durch den schwe- Tiergarten; ein Wild- gehege, Entenfang und Fischteich waren schon angelegt. Von all’ diesen Ideen und Planungen blieb die sog. „Schlottschün“ am längsten bestehen. Sie wurde erst 1938 abgerissen. Heute existieren eine mäch- tige Eiche am Fuße des Weyerberges, die Landgraf Fried- rich noch gepflanzt haben soll, und ein Spazierweg, der „Am Thiergarten“ heißt. In Abb. 7: Die sog. Schlottschün in Worpswede, Radierung von Martin Paul Osterholz suchte sich ller ca Sabine Köttelwesch: Landgräfin Eleonore Katharina von Hessen-Eschwege 31

Abb. 8: Ansicht des Klosters Osterholz im Jahr 2018 dischen Bischof Johannes Matthiae Gothus Besitzungen, nachdem er den schwedischen (1592–1670) zum Tragen kam, der die Kin- Thron bestiegen hatte. Doch schon 1677 der im Sinne des christlichen Humanismus wurde das Herzogtum Bremen-Verden im unterrichtet und auch Königin Christina sehr Laufe des Reichskrieges von den Herzögen beeinflusst hatte.18 Denn obwohl sie auf die von Braunschweig-Lüneburg besetzt und Einkünfte aus ihren Besitzungen angewiesen Landgräfin Eleonore verlor vorübergehend ihr war, hatte sie die Bedürfnisse der Bevölke- Land, das sie jedoch im Dezember 1679 nach rung im Blick. Wenn ein Bauer seine Abga- dem Sieg der Schweden zurückerhielt. Aber ben nicht zahlen konnte, schoss sie die Gel- bereits im Dezember 1680 beschloss der der vor oder schob die Zahlungen hinaus. schwedische Reichsrat aufgrund der desola- Außerdem kümmerte sie sich um die Armen ten Haushaltslage die Einziehung der schwe- und Kranken und stellte in Osterholz den dischen Schenkungen. Und wieder musste ersten Arzt ein, ließ eine Apotheke errichten Landgräfin Eleonore um ihren Lehnsbesitz und 1690 schließlich sorgte sie dafür, dass kämpfen. Fünf Jahre später, am 31.10.1685, ein Lehrer angestellt wurde. Auch den Os- entschied dann König Karl XI. Gustav als ihr terholzer Konventualinnen zahlte sie in den Neffe und naher Verwandter, dass sie bis an Jahren 1664–1666 einen Teil der Gelder für ihr Lebensende in ihrem Besitz bleiben durf- ihre Versorgung aus; die örtliche Verwaltung te. Diese Regelung galt jedoch nur für sie, hatte dies bislang versäumt.19 nicht mehr für ihre Töchter.20 Aber sie sollte nicht zur Ruhe kommen. Ihr Zu dieser Zeit waren sie jedoch bereits Bruder, Karl X. Gustav von Schweden, war verheiratet. Die Älteste, Christine, hat- im Februar 1660 überraschend gestorben; für te 1667 Herzog Ferdinand Albrecht I. von seinen fünfjährigen Sohn führten seine Mutter Braunschweig-Wolfenbüttel (1636–1687) in und ein Regentschaftsrat die schwedische Re- Eschwege geheiratet und lebte mit ihm, der gierung. Erst im Jahre 1674 bestätigte ihr König als Viertgeborener keinerlei Ansprüche auf Karl XI. Gustav (1655–1697) die bremischen den Thron des Herzogtums hatte, auf Schloss 32 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

bb : Landschat an Hae nd e

Bevern bei Holzminden. Die Jüngste, Charlot- erhielt den Titel eines Barons von Lilienborg te, war seit 1673 mit Prinz August von Sach- und als Wohnsitz die Drostei Ijsselstein bei sen-Weißenfels (1650–1674) verheiratet; er Utrecht. Dort kamen alle ihre Kinder zur Welt starb jedoch schon ein Jahr später. 1679 hei- und dort starb auch das Ehepaar.21 ratete sie erneut. Diese Ehe mit Johann Adolf In ihren letzten Lebensjahren reiste Land- von Bentheim und Tecklenburg wurde sehr gräfin Eleonore nicht mehr allzu viel. 1681 unglücklich und sie ließ sich trotz ihrer zwei war sie das letzte Mal in Schweden gewe- Kinder scheiden. Die mittlere, Juliane, war sen. Sie traf sich jedoch manchmal mit ih- die schönste ihrer Töchter und Landgräfin Ele- ren Töchtern in Bremen, wo die Familie onore hatte große Pläne mit ihr. Aber die Hei- ihrer Tochter Christine einige Gebäude im rat mit Karl, dem einzigen Sohn ihres Bruders Domshof besaß. So war es auch Ende Feb- und potentiellen schwedischen Thronfolger, ruar 1692. Nach dem Essen fühlte sie sich scheiterte trotz Protektion durch seine Mutter, unwohl, kehrte aber noch nach Osterholz Königin Hedwig Eleonore (1636–1715). 1672 zurück.22 In der Nacht verschlechterte sich gebar Juliane den Sohn eines verheirateten jedoch ihr Zustand rapide, sie bekam hohes Obersten der königlich-schwedischen Leib- Fieber und wurde zunehmend schwächer. garde und wurde daraufhin auf den Landsitz Sie starb, nachdem sie sich noch von ihrer Lilienborg verbannt, allerdings recht kom- Tochter Charlotte verabschiedet und die Trös- fortabel mit eigener Hofhaltung. Der Oberst tungen der Kirche erhalten hatte, am 3. März musste ins Exil gehen. 1679 bekam sie wieder 1692, morgens um zwei Uhr. einen Sohn, diesmal von dem dreiundzwan- Wie schon bei ihrem Ehemann gab es mit zigjährigen Sohn ihrer holländischen Kam- einer standesgemäßen Beisetzung Probleme. merfrau, Johann Jakob Marchand. Glückli- Denn es fehlte schlicht das Geld, um den cherweise erteilte König Karl XI. Gustav den Leichnam angemessen nach Eschwege über- Beiden die Heiratserlaubnis, 1680 heirateten führen zu können. Schließlich übernahm ihr sie. Johann Jakob Marchand wurde geadelt, Neffe, König Karl XI. Gustav von Schweden, Sabine Köttelwesch: Landgräfin Eleonore Katharina von Hessen-Eschwege 33

bb : Landgräfin Eleonore Katharina von Hessen-Eschwege als etwa nigährige lLw unbekannter Künstler. Das Bild hängt im Sitzungssaal des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck 34 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 11: Ein Blatt der von Bechon komponierten „Allemande“ mit den entsprechenden Griffen, die er Landgräfin Eleonore gewidet hat Sabine Köttelwesch: Landgräfin Eleonore Katharina von Hessen-Eschwege 35 die Kosten der Überführung. Am 17. Januar auch deshalb zustande gekommen, weil er 1693 konnte sich nun, nachdem ihr Hofpre- wegen seiner Kriegserfolge der Günstling diger im Bremer Dom die Leichenpredigt ge- ihrer Kusine Königin Christina war. Nach halten hatte, ein wahrhaft fürstlicher Trauer- seinem frühen Tod entschied sich Landgrä- zug in Bewegung setzen, den ein Zeitgenosse fin Eleonore, anstatt sich auf ihren Witwen- bewundernd so beschrieb: „[… Vor dem sitz zurückzuziehen, für ein unsicheres und Trauerzug ritten] der Trompeter und die Ein- einfaches, aber selbständiges Leben. Trotz spenniger, worauf die Herren Deputirte eines eigener Schwierigkeiten versuchte sie, das Woledlen Hochweisen Rahts dieser Stadt in Leben der Bevölkerung zu verbessern. Dass einer Carossen folgeten. Darauf gingen die die Ehen ihrer Töchter nicht sehr erfolgreich beede Marschallen, der Herr Hofmeister verliefen, war sicher eine Belastung für sie. von Tiefenbruch und der Herr Drosten von So muss die Religion für sie ein großer, wenn Sternenthal. Die hochfurstliche Leiche war nicht der einzige Halt gewesen sein. auf einen Trauerwagen, so mit schwartzem Was ist von ihrem Leben im Hamme- Tuche bezogen, gesetzet, vor welchen 6 mit Wümme-Raum geblieben? Wenig, wenn schwartzen Tuche gantz überlegte Pferde mit man von den verschiedenen Archivalien ab- an der Erden hangenden Decken gingen, und sieht: ein Porträt im Sitzungssaal des Oster- war ein jedes von einem Bedienten im Trau- holzer Amtsgerichts und ein silberner Abend- erhabyt geführet.“ Darauf folgt die Aufzäh- mahlskelch in der Scharmbecker Kirche. Und lung der Standespersonen, die den Trauerzug von der fürstlich-hessischen Zeit dort insge- begleiteten. Den Schluss bildeten zwei Kom- samt? Noch weniger: Die Eiche, die Landgraf pagnien Soldaten „mit umbekehrten Gewehr, Friedrich gepflanzt haben soll, hat der Sturm schleppenden Piquen, mit einem flohrbe- im Herbst 2017 entwurzelt. Mächtig liegt sie hangener Fahne und mit schwartzem Tuche am Weg zum Thiergarten, eine Metapher für überzogenen Trommeln.“23 An der Stadtgren- Vergänglichkeit. ze schossen die Bremer Soldaten Salut und eine Kompagnie Reiter übernahm den Zug und geleitete ihn bis Eschwege. Anmerkungen Dort wurde Landgräfin Eleonore in der Altstädter Kirche zwischen ihren beiden früh 1 eine bösartige, wetterwendische, seltsame, verstorbenen Töchtern, ihrem kleinen Sohn stolze und melancholische Frau (die Verf.). Friedrich und ihrem Ehemann am 2. Februar 2 Art. „Eléonore-Catherine de Deux-Ponts- 1693 beigesetzt. Cleebourg“, in: https://fr.wikipedia.org/ Es war ein schwieriges Leben in einer wiki/Eleonore-Catherine_de_Deux-Ponts- schwierigen Zeit, in das Landgräfin Eleono- Cleebourg (Stand: 22.07.2018). re hineingeboren wurde, das sie aber trotz 3 Kromnow, Ake: Johann Casimir, in: https:// aller Schwierigkeiten gut meisterte. Dabei www.deutsche-biogaphie.de (Stand: 28.7. half ihr einerseits ihre hochadelige Herkunft, 2018) andererseits hat sie aber auch schwer auf ihr 4 Art. Katharina Wasa (1584–1638), in: https:// gelastet. Den Skandal um ihre voreheliche de.wikipedia.org/wiki/Katharina_Wasa Schwangerschaft hat sie anscheinend nie (Stand: 28.7.2018). ganz verwunden. Sicherlich hat er auch das 5 Schröder, Christina: Christina von Schwe- Verhalten ihres Ehemannes ihr gegenüber den – Selbstbestimmung im Rahmen beeinflusst. Diese unglückliche und nicht ihrer Möglichkeiten, in: http://geschich- ganz standesgemäße Ehe mit einem zwar re- te-in-kurz.blogspot.com/2016/01/chris- gierenden Fürsten, aber einer nur winzigen, tina-von-schweden-selbstbestimmung nicht selbständigen Landgrafschaft, war wohl (Stand: 28.07.2018). 36 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

6 Art. Hessen-Rotenburg zu Eschwege, Fried- bereien Bevernstermühlen und Stoteln rich Landgraf von, in: Warlich, Bernd: im Herzogthum Bremen, in: Hessische Der Dreißigjährige Krieg in Selbstzeug- Beiträge zur Gelehrsamkeit und Kunst, 2. nissen, Chroniken und Berichten, in: Band 4 Nr. VI, 1787, S. 637. www.30jaehrigerkrieg.de/hessen-roten- 14 Eine ausführliche Beschreibung findet sich burg-zu-eschwege-friedrich-landgraf-von/ bei Knetsch, Karl: Das Haus Brabant. Ge- (Stand: 03.08.2016). nealogie der Herzoge von Brabant und der 7 Fiedler, Beate-Christine: Eleonora Catha- Landgrafen von Hessen, Darmstadt 1917, rina von Pfalz-Zweibrücken, in: Lebens- S. 118, und bei Ledderhose, Von einigen läufe zwischen Elbe und Weser. Ein bio- Gerechtsamen (wie Anm. 13), S. 638. graphisches Lexikon. 2. Band. Hg. v. Jan 15 Hierzu siehe Fiedler, Eleonora Catharina Lokers und Heike Schlichting (Schriften- (wie Anm. 7), S. 95. reihe des Landschaftsverbandes der ehe- 16 Berger, Wilhelm: Fürstliche Zeiten. Eleonora maligen Herzogtümer Bremen und Verden Catharina im Hamme-Wümme-Raum, 35), Stade 2010, S. 93. T. 1, in: Heimat-Rundblick aus der Region 8 Art. Antoine de Beaulieu, in: https://en.wi- Hamme-Wümme-Weser 27, H. 4. 2014, kipedia.org/wiki/Antoine_de_Beaulieu S. 6. (Stand: 10.08.2018). 17 Berger, Fürstliche Zeiten (wie Anm. 16) 28, 9 Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM), 2015, S. 24. Bestand 70 Hess, Nr. 360. 18 Johannes Matthiae Gothus, in: https:// 10 Der Brief und eine kleine Komposition sv.wikipedia.org/wiki/Johannes_Matthi- Bechons befinden sich im Reichsarchiv ae_Gothus (Stand: 02.01.2019). Stockholm, Stegeborgsamlingen, Karl 19 Fiedler, Eleonora Catharina (wie Anm. 7), Gustafs arkiv. S. 95. 11 Zit. nach Fiedler, Eleonora Catharina (wie 20 Ledderhose, Von einigen Gerechtsamen Anm. 7), S. 94. (wie Anm. 13), S. 642. 12 Fiedler, Eleonora Catharina (wie Anm. 7), 21 Art. Juliana, in: http://runeberg.org/sqvin- S. 95. nor/0240.html (Stand: 03.01.2019). 13 Ledderhose, Conrad Wilhelm: Von einigen 22 Knetsch, Das Haus Brabant (wie Anm. 14), Gerechtsamen des Prinzen Friedrich von S. 118. Hessen-Rotenburg über die Klöster Oster- 23 Vgl. Berger, Fürstliche Zeiten (wie Anm. 16) holz und Lilienthal, und die Amtsschrei- 29, 2016, S. 19. 37

Auf den Spuren Goethes in Paris gewesen. Der Brief an Johann Adam Horn (1749–1806), der wegen seiner kleinen im Werraland – Gedanken Gestalt immer nur Hörnchen genannt wurde, zum 270. Geburtstag 2019 ist nicht überliefert; Eckermann hat ihn am 11. April 1829 wohl noch gesehen.4 Borgen wir uns nun noch das – in einem anderen von Frank-Bernhard Müller biographischen Zusammenhange stehende – Diktum aus dem Elften Buch von Dichtung und Wahrheit: Die Abwesenheit machte Reiseprogramm mit Lücken mich frei 5 und verfolgen die Wege, die ihn an die Werra führten.6 Es ist der 22. Februar 1824, ein Sonntag, man sitzt zu Tisch – Goethe, sein Sohn Au- gust (1789–1830), Johann Peter Eckermann Doctor Gehdes Reiselust (1792–1854) –, nach Tisch legte der Dichter kolorierte Zeichnungen der Alpen vor und Das westthüringische Creuzburg, zum Eckermann bemerkt, daß [er] keineswegs Lust Herzogtum Sachsen-Weimar und Eisenach7 verspüre, in solchen Schluchten zu wandern. gehörend, ist Goethe seit 1779 bekannt. In Der Hausherr entgegnet mit den Erfahrun- der kleinen Stadt im Werratal trifft er sich gen eines langen Lebens, dieses Gefühl ist in mit seinem Dienstherren, dem wie so oft der Ordnung. Und dann – so erzählt Ecker- incognito reisenden Herzog Carl August mann – wird er grundsätzlich: Wen nicht gro- (1757–1828) zur gemeinsamen Reise. Carl ße Zwecke in die Fremde treiben, der bleibt August und seine Begleiter reisen nach Über- weit glücklicher zu Hause.1 Welche großen nachtung in Ettersburg am 12. Sept. Sonn- Zwecke gibt es für den jungen Goethe, aus tags früh Halbsechse von Ettersburg8 ab, es Weimar in die Welt zu reisen? Ihm ist doch geht über Erfurt und Gotha nach Eisenach. so behaglich in Weimar, er liebt die Ordnung Das orierbch a das ahr hält am und die köstliche Sauce von Bratenfett, Gur- 11. September fest: Heute Abend Verreise- kensaft, Essig und Öl, die er den Runenfor- ten Durchl. Herzog auf einige Zeit, nahmen scher Martin Friedrich Arendt (1769–1824) in niemanden mit als, Hr. Kammerhr. v. Wedel, studentikoser Manier zu schlürfen ermutigt, Hr. Geh. Rath Gehde [von Diener Philipp wenn wir Friedrich Wilhelm Riemers (1774– Friedrich Seidel (1755–1820) begleitet], den 1845) Mitteilungen über Goethe 2 Glauben Kammerdiener Wagner, und den Reitknecht schenken dürfen. Die Metropolen der westli- Blochberg. Hoffourier Waitz schreibt auf gut chen Welt – Wien, London, Paris – hat er nie weimarisch Gehde; die ersten Einträge lauten gesehen, hier war er nicht gewesen, um es Doctor Göte von Franckfurth, Profeßor Göte, mit einer Wendung Herman Grimms (1828– Docter Gote und Docter Göte.9 1901) aus seinen 1874 und 1875 an der Kö- Das Weimarer Publikum ist dieser Ecr- niglichen Universität zu Berlin gehaltenen sion halber unglaublich intriguiert, der erbit- Goethe-Vorlesungen zu sagen.3 In Dichtung terte Haß gegen Goethe ist auf eine Höhe und Wahrheit erzählt Goethe von seinem gestiegen, die nahe an die stille Wut grenzt, frevelhaften Muthwillen, einem Freund in berichtet der Prinzenerzieher Christoph Mar- Frankfurt einen Brief von Versailles aus datirt tin Wieland (1733–1813) zehn Tage später an geschrieben zu haben; die Seinigen glaubten Johann Heinrich Merck (1741–1791).10 Vor ihn in Paris und waren in Sorge. Es ging gut wenigen Tagen erst, am 5. September – d. 6. aus, seine jungen Freunde blieben aber völ- kriegt ich das Dekret als Geheimderath so die lig überzeugt, daß ich in der Zwischenzeit Notiz im Tagebuch – war Goethe vom Ge- 38 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 heimbden Legationsrath zum Geheimbden Zorn verfolgt, hatte Wolfgang den Hirschgra- Rath im Ministerrang befördert worden Ob ben dereinst verlassen. Über den Monats- die Creuzburger Landeskinder dies in den wechsel von ca. 100 Gulden, den Johann Weimarischen Wöchentlichen Anzeigen vom Caspar Goethe (1710–1782) seinem Sohn 8. September 1779 gelesen hatten, wissen wir auch nach dessen Ankunft in Weimar zahl- nicht.11 Die Reiseroute der exklusiven Ge- te (wenn auch widerwillig, wie zu verstehen sellschaft führte über Kassel, die Reichsstadt ist, urteilt Helmut Holtzhauer), informiert das Frankfurt am Main, die Rheingegend und das am 1. Januar 1753 eröffnete (lateinisch, dann Elsass in die Schweiz, die Heimreise über deutsch geführte) Haushaltungsbuch Liber Konstanz, Stuttgart und Mannheim, Frank- domesticus. Bei Gelegenheit der pro D[octo]re furt am Main und Darmstadt nach Weimar.12 bzw. ro elfielho zu zahlenden städ- Nach sechs Wochen wollte man wieder zu tischen Schatzung lesen wir den Namen des Hause sein, erst Mitte Januar 1780 endet Go- Sohnes. Und den Namen eines Schreibers, ethes Zweite Schweizer Reise. War die Reise den der Vater beschäftigte; am 20. Februar zunächst noch auf Ablehnung gestoßen, so 1773 trägt Caspar Goethe ein Philippo pro wurde sie nun als Erfolg gewertet, trotz der Copiis, dem Philipp für Abschriften. Ebendie- hohen Ausgaben, wie Wilhelm Bode weiß – ser Philipp ist Goethes späterer treuer Freund viel eld hatte der Sa geostet: aler und Diener Philipp Friedrich Seidel.17 Am mit den angekauften Kunstwerken.13 10. September 1779 brechen die Aufzeich- nungen ab: […] leider acht Tage zuvor, ehe der Dichter in Begleitung seines fürstlichen Reisevorbereitungen Herrn und Freundes in das Vaterhaus zum ersten Male zurückkehrte18, beklagt Carl Am 9. August 1779 kündigt Goethe der lie- Ruland den Umstand, dass der Kaiserliche ben Mutter diesen Besuch an: Der Herzog hat Rat einen Schlaganfall erlitten hatte. Der Lust den schönen Herbst am Rhein zu genie- Sohn teilt Charlotte von Stein in Weimar am ßen, ich würde mit ihm gehen und der Cam- 20. September mit: Meinen Vater hab ich ver- merherr Wedel. Wir würden bey Euch einkeh- ändert angetroffen, er ist stiller und sein Ge- ren. Er komme diesmal gesund, […] wie ein dächtniss nimmt ab, meine Mutter ist noch in von Gott geliebter.14 Die mütterliche, nicht ihrer alten Krafft und Liebe.19 So gibt es kei- erhaltene Antwort hat ihn sicher erfreut, Mit- ne Nachrichten, die uns Kunde hätten geben te August gibt er nähere Nachricht von unsrer können von der Großzügigkeit der Familie Ankunft. […] Unser Quartier wird bestellt wie Goethe. Die Mutter wünscht sich: Gott brin- folgt.15 Häschelhanß’ Anweisungen – und da- ge Sie glücklich und gesund zurück, dann soll bei tiefes Stillschweigen! – schrecken Frau Aja dem alten Rheinwein in prächtigen Pocalen nicht ab. Der Besten Fürstin [Anna Amalia] mächtig zugesprochen werden.20 erzählt sie später in einem berührenden Brief am 24. September vom großen Tag [18. Sep- tember], wie vergnügt und seelig wir diese 5 Die Ruine der St. Nicolaikirche tage über geweßen sind. […] es ist mir jetzt zu Creuzburg an der Werra gant ohnöglich es beer achen ich bin den gantzen Tag vor Freude und Wonne Goethe ist aber noch nicht bei den Eltern wie betruncken, wen sichs etwas zu Boden angelangt. Die kaum gefederten herzoglichen gesetzt hat wird meine Vernunfft auch wieder Fahrzeuge setzten ihm bei der Fahrt über die Hae oen Und sie erwähnt holprigen Straßen gehörig zu, abends in Ei- den Auftritt mit dem Vater, das läßt sich nun senach eine resigniert-trockene Bemerkung: gar nicht beschreiben .16 Von des Vaters hattens satt. Tags darauf wird der seit alters Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 39

Abb. 1: Goethe, Nicolaikirche in Creuzburg a. d. Werra wichtige Werra-Übergang bei Creuzburg rungsvermerk auf der Rückseite Creuzburg passiert und die Stadt besucht, im Tage- d Set ist in einer Überarbeitung buch hält er fest: d. 13 früh 6 nach Creuz- des Weimarer Zeichenlehrers Carl Wilhelm burg. Ihm bietet sich auch 14 Jahre nach der Lieber (1791–1861) erhalten und im Katalog verheerenden Feuersbrunst vom 27. März Goethes Kunstsammlungen 1848 mit dem Ti- 1765 ein schauriges, trauriges Bild von der tel Das Innere einer Klosterruine24 registriert. Stadt.21 Der dreißigjährige Minister, seit sei- Sie gibt uns eine eindrucksvolle Vorstellung ner Jugend im Zeichnen geübt – Zeichnen vom früheren Zustand des Kircheninneren: müsse jedermann lernen, behauptete mein Die ausgetuschte Federzeichnung wendet Vater, und verehrte deßhalb besonders Kai- den Blick aus dem westlichen Innenraum ser aiilian [Maximilian I. (1459–1519)], durch den Triumphbogen in den Chorraum welcher dieses ausdrücklich sollte befohlen der abgebrannten Kirche, der von der Mor- haben22 –, hält die Brandstätte im Bilde fest: gensonne hell erleuchtet wird, während die […] dort gezeichnet die ausgebrannte Kirche. Mauern des Kirchenschiffes im Schatten Gegen 10 kam [Herzog Carl August] erst da- liegen. Die Natur hatte in den 14 Jahren, hin, nach Bischhausen geritten. Gegessen, die seit der Katastrophe vergangen waren, gezeichnet. Gefahren über Hüls, Nachts 1 den Kirchenraum bereits erobert; über dem Uhr in Cassell.23 Die Zeichnung mit Goethes Schutt wachsen Gras und kleine Büsche. Erst eigenhändigem Datierungs- und Lokalisie- zwischen 1783 und 1786 konnte der Wie- 40 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 deraufbau der Creuzburger Nicolaikirche geographisch nicht korrekt. Bei Müller-Flei- verwirklicht werden. Goethes Zeichnung des ßen findet sich zudem ein Hinweis auf Tobias ruinösen Zustandes ist somit ein einmaliges Conrad Lotters (1717–1777) Postroutenkarte, Zeugnis der Auswirkungen des Großbrandes die ebenfalls Bischhausen verzeichnet.26 von 1765. (Abb. 1)

In welchem Gasthof? Ziele waren Elsaß und die Schweiz In welchem Gasthof in Bischhausen hat Hier in Creuzburg erwartete Goethe den Goethe nun gegessen? Diese Frage treibt Herzog Carl August von Sachsen-Weimar, noch immer manchen Bischhäuser Bürger mit dem er eine Reise über Kassel und Frank- um. Da die Rechnung für das Mittagessen furt ins Elsass und in die Schweiz vorhatte. der hohen Gäste leider nicht vorhanden ist, Der nun 22-jährige Herzog hatte vier Jahre Goethe jedoch auch hier eine Zeichnung vorher die Regierung übernommen und um- hinterlassen hat, bleibt die Interpretation des gehend Goethe zu sich nach Weimar geru- kleinen Bildes die einzige Möglichkeit, diese fen. Beide Männer verband eine lebenslange wichtige Frage zu beantworten. Die Zeich- Freundschaft; Goethe war acht Jahre älter als nung ist eigenhändig von Goethe unter Orts- der Herzog, beide Reisenden 1779 also noch angabe datiert und signiert: Bischhausen d junge Männer. Set und in einer Überarbeitung Der Herzog und Goethe ritten auf der Stra- des Weimarer Zeichenlehrers Carl Wilhelm ße, die bis Waldkappel den Namen „Lange Lieber erhalten. Im Katalog Goethes Kunst- Hessen“ trägt, Richtung Kassel, ihrem Ziel sammlungen mit dem Titel Einige Bauernhäu- für den Abend. Diese Straße war im 18. Jahr- ser mit Umzäunungen, in der Mitte ein Zieh- hundert eine wichtige Postverbindung mit brunnen, den Grund schließt eine bewaldete Poststationen, so zum Beispiel in Lüderbach. Anhöhe verzeichnet.27 Wie bei der Creuzbur- Die Bischhäuser Posthalterei befand sich seit ger Nikolaikirche, hält Goethe auch hier Un- etwa 1700 bis Mitte der 1820er-Jahre nicht terwegseindrücke bildlich fest.28 Man erblickt direkt an der Landstraße, sondern am Beginn eine dörfliche Idylle, ohne typische Merk- des Steinweges (Steinweg 4 und 6) in den male, herausragende Bauten oder ähnliches, Händen der Familie Oeste und wurde dann die eine eindeutige Standortbestimmung er- in den Hof Euler an der Landstraße verlegt lauben würden. Das Bildchen wird von Josef (Landstraße 52), wo seit langer Zeit schon Müller-Fleißen treffend charakterisiert: eine Herberge vorhanden war (die größte Was sehen wir? Ein harmloses ländliches und repräsentativste am Ort). An der Land- Idyll, aufgebaut wie eine brave Schulzeich- straße lagen zu Goethes Zeiten noch mindes- nung, mit der sauberen Gliederung in Vorder-, tens zwei weitere Gasthäuser (Landstraße 34 Mittel- und Hintergrund. Vorn links die Ecke und 50). Die im Volksmund noch so genann- eines Bauernhauses, wie es heute noch im te „Herberge“ (Landstraße 54) kam erst spä- ore stehen önnte it Sandsteinadern ter, so dass – im Gegensatz zu der Aufassung Fachwerk und Pfannziegeldach. Rechts, et- von J. Müller-Fleißen – Goethe hier nicht was tiefer im Bild, hinter einem Knüppel- gerastet haben kann.25 Die Poststation hatte zaun die Kante einer Scheune von gleicher im 18. und frühen 19. Jahrhundert große Be- Bauart. Zwischen diesen einrahmenden Bild- deutung. Bischhausen ist aus diesem Grun- pfeilern ein übersonntes Plätzchen, das ihn de auf Matthäus Seutters (1678–1756) Post- zum Zeichnen gereizt haben mag, mit einem routen- und Straßenkarte vom Anfang des ländlichen Brunnen, aus dessen Welle eine 18. Jahrhunderts eingezeichnet, wenn auch seltsame Stange zu kommen scheint, die sich Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 41

bb : ischhasen eichnng von oethe a Seteber der Deutung entzieht. Im Mittelgrund plas- […] zeichnete dort nach dem Essen – ist zu tisch Busch und Baum mit durchlugenden folgern, dass der Blick des Zeichners nach Dächern, im Hintergrund, mit dem ganzen Westen ging. Da wir nicht wissen, in wel- Zauber Goethescher Landschaftsmalerei chem Gasthaus Goethe Mittagsrast gemacht hingeschrieben, ein bewaldeter Bergrücken, hat und ob er sich vielleicht sogar auf einem über dem, eben noch sichtbar, leicht hin- Verdauungsspaziergang weiter ins Dorfinne- getuschtes Gewölk zu erblicken ist. […] So re hineingewagt hat, sind unserem Forscher- haben wir in unserem Bildchen ein durchaus drang hier leider Grenzen gesetzt. charakteristisches Stück Goethescher Land- Von Bischhausen aus setzten Goethe und schaftsmalerei vor uns, typisch auch darin, seine Begleiter die Reise mit dem Wagen, daß kein Mensch und kein Tier als Staffage also mit einer Kutsche, Richtung Kassel fort. verwendet ist, Spiel mit Licht und Schatten Als nächster Ort auf der Route wird in der Ta- auf urtümlichen Gegenständen, Freude am gebuchnotiz Helsa genannt. Erst nach Mitter- atmosphärischen Zauber über einer freund- nacht kamen sie in Kassel an, wo sie sich zwei lichen Landschaft.29 (Abb. 2) Tage lang aufhielten und viel von den Sehens- würdigkeiten der Stadt in sich aufnahmen. Es war Goethes erster Besuch in Kassel, ein inten- Blick nach Westen siver Kurzbesuch (Jochen Klauß). Hier machte er die Bekanntschaft mit dem Natur- und Völ- Aus dem Schattenwurf des Hauses und kerkundler Georg Forster (1754–1794), der der Tageszeit – Mittag oder allenfalls sehr frü- von 1778–1784 Professor der Naturgeschich- her Nachmittag, Hans Wahl notiert: Goethe te am Carolinum in Kassel war. 42 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Goethes Besuche in der men. Ich erwiderte darauf in gutem Deutsch: Residenzstadt Kassel wie ich mich wundern müsse, daß in einem so großen Gebäude, dessen Raum ich gar Viermal besuchte Goethe die Residenz- wohl kenne, einem Fremden in der Nacht die stadt der Landgrafen von Hessen-Kassel: Am Aufnahme verweigert werden wolle. Sie sind 14. bis 16. September 1779, zu Beginn der ein Deutscher, rief er aus, das ist ein anderes! Zweiten Schweizer Reise mit Carl August, und sogleich ließ er den Postillon in das Hof- sind es drei Tage mit einem prall gefüllten thor hereinfahren. Als er mir ein schickliches Besuchsprogramm: bei Hof, Besichtigung der Zimmer angewiesen, versetzte er: er sei fest Galerie, der Antiken, Wilhelmshöhe. Im Brief entschlossen keinen Emigrirten mehr aufzu- an Charlotte von Stein am 15. September nehmen. Ihr Betragen sei höchst anmaßend, 1779 lesen wir: Wir gehen unter denen Cas- die Bezahlung knauserig; denn mitten in ih- seler Herrlichkeiten herum und sehen eine rem Elend, da sie nicht wüßten wo sie sich Menge in uns hinein. Die Gemählde Gallerie hinwenden sollten, betrügen sie sich noch hat mich sehr gelabt, […]. Ich kann nichts sa- immer als hätten sie von einem eroberten gen in der Zerstreuung in der wir iezt schwe- Lande Besitz genommen.31 ben.30 Sodann am 2. bis 5. Oktober 1783 auf Zehn Jahre vor der Niederschrift jener der 2. Harzreise, Ende Dezember 1792 auf Ereignisse aus dem Dezember 1792 erzählt der Rückreise von Münster und am 15. bis Goethe dem Grafen Carl Friedrich von Rein- 21. August 1801 auf der Heimreise aus dem hard davon: niedersächsichen Bad Pyrmont. Ich […] wurde […] mit der großen Emigran- ten asse later Edel- nd gten Leten die ein schwar rod aen ber nster Goethe wird abgewiesen und Paderborn dergestalt ungeschickt in das Herz von Deutschland getrieben, daß ich, in Der erste Besuch in Kassel lag 13 Jahre zu- Cassel, des Nachts im Wirtshaus anfahrend, rück, als Goethe auf der Rückkehr von seiner deutsch reden mußte, um vom Kellner aufge- Campagne in Frankreich im Gasthaus am Kö- nommen zu werden.32 nigsplatz abgewiesen wird – man hält ihn für Das Jahr 1792 klingt mit einer wichti- einen französischen Emigranten. In den ers- gen Entscheidung Goethes aus; er lehnt das ten Märztagen 1822 schreibt er die Erlebnisse Angebot ab, eine Ratsherrenstelle in seiner der Nachhausereise nieder: Vaterstadt zu übernehmen. Unter Trier den Wie düster aber auch in der letzten und tober gedenkt er in der Campagne in schwärzesten aller Nächte meine Gedanken Frankreich eines Briefes seiner Mutter und mochten gewesen sein, so wurden sie auf den daran geknüpften Erwägungen: Mitten in einmal wieder aufgehellt, als ich in das mit diesem Unheil und Tumulte fragte die Mut- hundert und aber hundert Lampen erleuchte- ter an, ob der Sohn die Stelle eines Ratsherrn te Cassel hineinfuhr. […] Diese Heiterkeit je- annehmen würde. Meine Gründe davor und doch ward mir für einige Zeit gestört, als ich dagegen habe ich dir in einem Brief vorge- auf dem prächtigen tageshellen Königsplatze legt, klagt Mutter Goethe am 14. Dezember an dem wohlbekannten Gasthof anfuhr; der 1792. Der vorgelegte Brief ist nicht erhalten, anmeldende Diener kehrte zurück mit der Er- des Sohnes Antwort (etwa 16. Oktober) nur lärng: es sei ein lat finden ls ich fragmentarisch überliefert: Keine Feder und aber nicht weichen wollte, trat ein Kellner keine Zunge kann das Elend der combinirten sehr höich an den Schlag nd bat in schö- Armee beschreiben. Erhalten ist nur der Brief nen französischen Phrasen um Entschuldi- der Mutter aus dem Dezember, auf den der gung, da es nicht möglich sei mich aufzuneh- Sohn am 24. Dezember mit einem ostensib- Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 43 len Brief antwortet – daß es der größte Un- heit schon durch Privatbriefe verbreitet; und danck seyn würde meinen Posten in einem so wird denn die von seiner Genesung dem Augenblicke zu verlassen da der Staat treu- Publikum, das ihn verehrt und bewundert, er Diener am meisten bedarf.33 Goethe geht willkommen seyn.36 nicht nach Frankfurt zurück, er bleibt in Wei- Der Genesene selbst beschließt, nun von mar. Sohn August das Gebrechen seiner Geburt37 nehmen zu lassen und entschließt sich zu einer Kur im damaligen Weltbad Pyrmont. Kur in Bad Pyrmont – Göthe In Pyrmont, so kolportiert Johann Heinrich Vater, Sohn und Geist Voß d. J. (1779–1822), meldete Göthe, der einen Bedienten hat, der Geist heißt, sich als Von 1785 bis 1823, fast 40 Jahre lang, Göthe Vater, Sohn und Geist. Da haben die schrieben mancherlei Leiden den Besuch Thorschreiber das Maul aufgesperrt.38 Mutter von Heilquellen in Badeorten besonders Goethe spante alle Seegel meines Gehirns an, Nordböhmens vor. Erinnerlich sind uns heu- um dir Freude zu machen: Tausend Taler zur te wohl nur noch die Ereignisse jenes dritten Feier seiner Genesung erleichtern die Reise.39 Marienbader Aufenthaltes 1823: Der rangäl- Am 5. Juni 1801 fahren Vater und Sohn allein, teste Staatsminister und weltberühmte Dich- nur der Diener Johann Jacob Ludwig Geist ter liebelt und liebt, scharmutziert und schnä- (1776–1854) begleitet sie. Auf der Hinreise belt34 (so mokiert sich Thomas Mann) und nimmt der Vater mit seinem Sohn Quartier will die siebzehnjährige Ulrike von Levet- in Göttingen im Gasthof „Zur Krone“. Chris- zow (1804–1899) heiraten. Von Ulrike hören tiane ist unzufrieden mit der Abreise, selbst wir am Ende ihres sehr langen Lebens dazu: kränkelt sie. Ihr Ehemann ist abwesend, Keine Liebschaft war es nicht.35 Im Winter als der von Goethischen Haushälterin am 1801 war Goethe an einer Gesichtsrose, eine 18. Juni nach einem langen Verfahren das Le- grimmige Krankheit, schwer erkrankt und gitimations-Diplom40 vom Regierungsdiener dem Tode nahe gewesen. Christiane Vulpius Harseim insinuiert41 wird. (1765–1816) hatte ihn liebevoll gepflegt, sei- ne Mutter berichtet am 7. Februar aus Frank- furt: Plesse statt Hanstein Unsere gantze Stadt war über deine Kranck- heit in alar so wie deine eerng in den Auf der vorzeitigen Abreise aus dem Ba- eitngen verndigt wrde regnete es deort wird erneut in Göttingen Station ge- eitngen in eine Stbe edes wollte der macht. (Goethes sehnlicher Wunsch, an der erste sein, mir die frohe Nachricht zu hin- Universität Göttingen zu studieren, war 1765 terbringen. In einer Anzeige der Frankfurter vom Vater zugunsten des Jurastudiums in Kaiserlichen Reichs-Ober-Post-Amts-Zeitung Leipzig abgelehnt worden.) So schließt sich vom 31. Januar 1801 war Goethes Genesung der Badekur ein längerer Besuch in Göttin- freudig verkündet worden. Unter Vermischte gen vom 18. Juli bis 14. August an. Belehrt, Nachrichten heißt es in Nr. 19 vom 31. Januar froh und dankbar reisten die Weimarer am 1801: Der berühmte Dichter, S. Weimar’scher 14. August ab, nur der nächtliche Gesang Geheimerath v. Goethe wurde zu Anfange seiner Wirtstochter (Dem. Krämer hatte von Jänners an einer Bräune und andern Zufällen Natur eine recht schöne Stimme, […] ihr aber so krank, daß man für sein Leben besorgt war. fehlte die Anlage zum Triller. […] Nachts, Zur Freude aller seiner Verehrer ist die Gefahr eben wenn man sich zu Bette legen wollte, nun so gut wie gänzlich vorüber. Ohne Zwei- erstieg ihr Eifer den Gipfel […]), Hundegebell fel hat sich die Nachricht von seiner Krank- (eine Hundeschaar versammelte sich um das 44 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Eckhaus, deren Gebell anhaltend unerträg- Plesse, Weende, und noch manches […], wei- lich war, gab diese Ruhe, bellt’ es immerfort – ter rechts den Hahnstein […], lesen wir in ei- ein großer Hund des Hauses am Fenster auf- nem Brief an Georg Sartorius Anfang Oktober recht gestellt übernahm die Erwiderung) und 1801. Dass hier nur eine einfache Verwechs- blasende Nachtwächter (der ungeheure Ton lung der beiden Burgen vorliegt, wird da- eines Horns weckte Goethe aus dem Schlaf: durch bestätigt, dass Goethe eigenhändig im Ein Nachtwächter unter meinem Fenster ver- Inhaltsverzeichnis des in die „Ausgabe letz- richtete sein Amt. Ihm blieb nichts übrig, als ter Hand“ übernommenen Textes die Zuord- mit der Polizei in Unterhandlung zu treten, nung Ruine Pleß gab, genauer in der Taschen- welche die besondere Gefälligkeit hatte, erst buchausgabe letzter Hand. In der „Weimarer eins, dann mehrere dieser Hörner […] zum Ausgabe“ ist in der Überschrift an die Stelle Schweigen zu bringen.42) Bei seinem Auf- der Plesse der Hanstein gesetzt.44 Goethe hat enthalt in Göttingen besuchte Goethe am also leider den Hanstein nie besucht. 12. August, also kurz vor seiner Abreise, die Burgruine Plesse. Im Tagebuch heißt es hier- zu: Mittwoch d. 12ten. Mit Hrn. Hofrath Mei- Stempel von 1925 ners und Prof. Fiorillo zuerst auf der Papier- mühle, dann in Döppelshausen beym Förster Dieser Eindruck wird freilich durch die Scheck, ferner auf der Plesse gegen Abend Ansichtskarte erweckt, die der Verlag H. Lan- auf Mariasprung. In der Rückschau der Tag- ge in Göttingen hundert Jahre später drucken und Jahres-Hefte merkt er zusätzlich an, dass ließ und in Umlauf brachte. Das erwähnte auf der Plesse eine stattliche Restauration be- Stammbuchblatt ist hier mit einem Bildnis reitet war.43 Goethes und drei Miniaturansichten des 14 Jahre später, am 17. Mai 1815, schrieb Hansteins kombiniert. Die abgebildete Karte Goethe in ein ihm vorgelegtes Stammbuch- ist auf der Rückseite mit einem Stempel der blatt mit der Abbildung des Hansteins, ver- Restauration Burg Hanstein vom 25. August mutungsweise für eine Gräfin von Egloffstein 1925 versehen.45 (nach einem Tagebucheintrag: Stammb. Blätt- Für die Rückreise von der wegen anhalten- chen Egloffstein) die folgenden Verse: In ein den Regenwetters eher betrübten Trink- und Stammbuch. Zum Bildchen Ruine Pleß bei Badekur in Pyrmont wünscht sich Goethe, Göttingen. Auf diesen Trümmern hab’ ich dass sie ihm mit dem Hausfreund Meyer (dem auch gesessen/ Vergnügt getrunken und ge- Kunschtmeyer46) bis Kassel entgegen kommt, gessen,/ Und in die Welt hinaus geschaut:/ so trifft er mit August in Kassel Christiane und War aber wenig nur davon erbaut./ Kein lie- den Schweizer Maler und Kunstschriftsteller bes Kind gedachte meiner,/ Und ich fürwahr Johann Heinrich Meyer (1760–1832). gehörte keiner;/ So war die ganze Welt um- graut./ Ihr wißt ja selbst was sie erheitert,/ Die Horizonte stufen klar erweitert. Das Ge- Unterröckgen und Schaal dichtchen feiert die von Hofrat Meiners am nach der neusten Mode, 12. August 1801 veranstaltete Plessefahrt. Bei Hütchen und ein Kleid dazu der Niederschrift 1815 war ihm wohl kein Bild der Plesse zur Hand, statt dessen be- Noch aus Pyrmont schreibt er an Christi- nutze er ein Bild des Hansteins, den er nie ane: Die Ausgaben waren mäßig, ich habe besucht hat, sondern nur aus der Entfernung mich aber auch eingeschränkt. Einiges habe kannte. Es war ihm sehr angnehm […] die ich Dir eingekauft. Einiges sollst Du Dir in Gegend, die ich soeben verlassen sollte, erst Cassel selbst kaufen, wo alles so gut wie hier recht im Zusammenhange zu übersehen. Die zu haben ist. Sicher wählt er diese Worte, um Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 45 die lange Zeit der Trennung wieder etwas gut- zumachen; der Nachsatz ist aufschlußreich: Von Augelchen war wohl manches artige hier, es will aber mit mir nicht recht mehr in den Zug kommen. Und aus Göttingen kündigt er seinen Reiseplan an, die Geschenke werden nicht vergessen: Indessen, da die Briefe von hier aus manchmal so langsam gehen, will ich Dir voraus meinen Plan sagen: Ich wün- sche, daß Du Sonnabend, den 15. August, in Cassel eintreffest, ich werde an demselbigen Tage auch anlangen. Du kehrst im Posthause am Königsplatz, bei Madame Goullon ein; wer zuerst kommt, macht Quartier, so daß wir zwei Zimmer haben, eins für Dich und Gustel, eins für mich und den Professor. […] Ich freue mich herzlich, Dich wiederzusehen und mit Dir in Cassel, unter so vielen neu- en und schönen Sachen, einige Tage zuzu- bringen. Ein recht zierliches Unterröckgen und einen großen Schaal, nach der neusten Abb. 3: René François Le Goullon, Anzeige Wei- Mode, bring ich Dir mit. In Cassel kannst Du marisches Wochenblatt, Nummer 44, 2. Juni 1810, Dir ein Hütchen kaufen und ein Kleid. Un- S ter dem 15. August vertraut er dem Tagebuch an: Nachmittags 2 Uhr nach Kassel. Logis auf Frauentorviertel gehörten zu dieser Klasse dem Königsplatze im Posthause, wo ich die noch Christoph Martin Wieland und Hof- Meinigen antraf; am 24. Juli ist notiert: Abre- rat und Leibarzt Dr. Wilhelm Ernst Christi- de wegen des Reiseplans nach Cassel.47 So an Huschke (1760–1828), die abverlangte trifft er im August in Kassel Christiane und Zahlung betrug 50 Taler. Goethe in der III. den Schweizer Maler und Kunstschriftsteller Klasse zahlte 100 Taler, Johanna Schopen- Johann Heinrich Meyer, das Paar samt Sohn hauer (1766–1838) und Charlotte von Stein August und Meyer logierte bis zum 20. Au- (1742–1827) in der letzten Klasse 25 Taler. gust im Posthaus am Königsplatz. Insgesamt wurden 166 Personen zur Zah- lung herangezogen.48 Drei Jahre nach dem Tode der Herzogin Anna Amalia von Sach- Anna Amalias französischer sen-Weimar (1739–1807) eröffnet Goullon Mundkoch, Goethes Nachbar ein Gasthaus in Weimar; in der Anzeige teilt er mit, dass täglich von 12 Uhr an, sowohl Das Gasthaus am Königsplatz wurde ge- im Hause als über die Straße ausgespeiset führt von Madame Le Goullon, Witwe des wird.49 (Abb. 3) Am 21. August machte sich Weinhändlers und Gastwirtes François Le die Familie Goethe auf den Heimweg ent- Goullon und Mutter des Weimarer Mund- lang der heutigen Bundesstraße 7 nach Os- kochs René François Le Goullon (1757– ten. Die Kutsche geht – so der Vermerk in den 1839). Goethes Nachbar Goullon begegnet Tag- und Jahres-Heften – über Hoheneichen uns in einer Weimarer Kontributionsliste nach Kreuzburg; am folgenden Tage, nach- vom 28. Februar 1807, dort in der fünften dem wir die Salinen besehen, gelangten wir von sechs Kontributionsklassen. Aus dem nach Eisenach, begrüßten die Wartburg und 46 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 den Mädelstein, wo sich manche Erinnerung (Abb. 4) Das Motiv ist so eindeutig, daß am von zwanzig Jahren her belebte. In das Ta- Standort des Zeichners keine Zweifel beste- gebuch diktiert er Geist: Freytag am 21ten. hen wie in Bischhausen. Gerhard Seib hat Früh 4 Uhr von Kassel ab. Man passirt die in seinem Aufsatz diese Dokumentation des Dörfer Helsa und Walburg. […] Durch die Zustandes um 1800 eingehend beschrieben Dörfer Hartmuthsachsen und Waldkappel und kunsthistorisch ausgewertet.54 Die No- ein kleines Landstädtchen mit einer schönen tiz für diesen Tag, von Kassel herkommend Kirche. Mittag in Hoheneiche. Abends bis Abends bis Creuzburg weist auf eine wei- Creuzburg. Mühlhausen ist 6 Stunden da- tere Bleistiftzeichnung hin: Blick auf Kreuz- von entfernt. Sonnabend am 22ten. Früh 7 burg a. d. Werra, Stadt und Burg am Berge Uhr von Creuzburg ab nach der Saline. Hrn. Wisch nur angedeutet, im Vordergrund die Schrader besucht. Um 10 Uhr in Eisenach, alte Werra-Brücke, wie der Kunsthistoriker gegen Abend die Wartburg […]. Abends bey Walther Scheidig mitteilt. Goethes eigenhän- Hrn. v. Schardt.50 dige Datierung auf der Rückseite lautet: 21 Der aus Berka an der Ilm stammende Die- Aug 1810. Weiter ist dem Tagebuch zu ent- ner Geist hat in seinem Reisetagebuch auch nehmen: […] gegen Abend die Wartburg und diese Passagen liebevoll dargestellt: Obgleich den Metilstein besucht […]. Dazu gibt es eine das so sehr berühmte Pyrmonter Baad das Zeichnung mit Bleistift Wartburgblick gegen Hauptziel dieser Reise ist, so wäre es doch orden it eine der verschwndenen unverzeihlich, wenn ich alle Städte und mehr Hainteiche im Vordergrund. Auf der Rücksei- oder weniger bedeutende Ortschaften […] te von Goethes Hand: Wartburg d. 22 Aug. mit Stillschweigen überginge, deswegen will 1801.55 Ergänzend sei erwähnt, für eine An- ich […] jeden Ort seiner Lage und Beschaf- sicht von Schlüchtern, li. Klosterkirchenruine, fenheit nach, so gut wie möglich beschrie- von Goethe eigenhändig mit Tinte auf der ben; mit diesen Worten beginnt das Reise- Rückseite datiert Schlüchtern 26 May 1815, tagebuch.51 Ob in Waldkappel eingekehrt hat Carl Ruland eine Entstehung in Kreuzburg wurde, entzieht sich unserer Kenntnis; ver- 1779 angenommen: Man könnte an Creuz- mutlich war dies nicht der Fall, da man die burg denken, wo Goethe am 13. September Mittagsrast in Hoheneiche einlegte. eiig eichnet nd die asgebrannte Kirche“ erwähnt.56 Hoheneiche war durch seine verkehrs- Mittag in Hoheneiche günstige Lage sowohl an die Ost-West- als auch an die Nord-Süd-Verbindung ange- Mittag in Hoheneichen lautet dann auch schlossen und besaß zu Goethes Zeiten eine die äußerst knappe Notiz in Goethes Tage- Post station und schon 1744 vier Gasthäuser. buch, und an anderer Stelle: Den 21. August gingen wir über Hoheneichen nach Kreuz- burg.52 In Hoheneiche hatte er wieder ein- In der Herberge Eschstruth mal Zeit für eine Skizze, die er eigenhändig datiert und lokalisiert: Hoheneichen d. 21 Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Fa- Aug 1801. Die Zeichnung von Kirche und milie Goethe in der Herberge Eschstruth Wirtschaftsgebäude in Hoheneiche ist mit eingekehrt, die der Kirche schräg gegenüber Bleistift angelegt, mit Sepiafeder übergangen lag und von der aus er genau den Blick hat- und mit einer Sepialavierung versehen wor- te, den seine Zeichnung wiedergibt (heute: den.53 Sie zeigt den Kirchturm der Hohenei- Fuhrgraben 3/5). cher Kirche aus südöstlicher Richtung samt Man mag sich diese Einkehr in Hohenei- dem Anger und einer Gruppe von Häusern. che bildlich vorstellen: der Vater zeichnet, Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 47

Abb. 4: Hoheneiche. Zeichnung von J. W. Goethe am 21. August 1801 der zwölfjährige Sohn und die Mutter schau- [nahmen] vermutlich einen Imbiß ein, was en sich etwas im Dorf um oder ruhen sich in wohl die Möglichkeit zu zeichnen ergab.57 der Herberge von der strapaziösen Fahrt aus. Das Gasthaus Eschstruth war wohl das „erste Die eisenden oethes Lebensgeährtin Haus am Platz“; was dies aber in der Realität hristiane Sohn gst nd iener eist bedeutete, ist uns zufälligerweise durch die 48 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Schilderung eines wandernden Handwerks- Carl Ludwig von Knebel (1744–1834) –, daß burschen überliefert, der etwa ein Jahr zuvor er sich mit Goethe treffen wollte: Goethe dasselbe Gasthaus besucht hatte. Er schreibt reist im Lande herum [er tritt die Reise den (zum 23. Sepetmber 1800): 14. Merz an, so von ihm bezeugt im Brief Creutzburg ist die letzte weymarische an Knebel vom 26. Februar 1782], mißt das Stadt, liegt an der Werra, hat ein Schloß und Volk [Rekrutenaushebung] und macht ganz ein Amt. Hier geht nun das Hessenland gleich vortreiche Sachen ieding [das Gedicht an. Man kommt auf das Dorf Hoheneiche, in „Auf Miedings Tod“ setzt dem beliebten Hof- welchem ich übernachtete. Ich fragte eine tischler Johann Martin Mieding (1725–1782) Frau, welche vor der Tür saß und sehr betrübt ein Denkmal] ist fertig und die Corona [die schien, ob ich Quartier haben könnte, wel- Sängerin und Schauspielerin Corona Schrö- che mir mit einem traurigen Ja! antwortete. ter (1751–1802)] bekommt darin einen ganz Zu Essen konnte ich nichts kriegen als Brod unverwelklichen Kranz. […] Ein paar Tage bin und Bier. Letzteres war sehr schlecht, wie es ich im Lande herumgezogen, und war eben überhaupt im Hessenland ist. Die Wirtin und in Jena. Dort hatte sich eine Mordgeschich- Kinder gingen alle schwarz gekleidet und te zugetragen, wie der Bruder des Ministers weinten. Ich vermuthete, der Wirth müsse Christian Gottlob von Voigt (1743–1819), kürzlich gestorben seyn. Unruhig warf ich der Ilmenauer Bergrat Johann Carl Wilhelm mich auf meinem Strohlager umher, weil ich Voigt (1752–1821) am 25. März 1782 aus es nicht gewohnt war. Fürchterliche Träume Frankfurt an Merck zu berichten weiß: Der erweckten mich, oft noch mehr die Ratten, 38 Jahre alte erste Theologe, und vielleicht welche die Milch, welche in der Stube stand, der erste Kopf, Kirchenrath Danow [Ernst besuchten. Des Morgens versammelten sich Jacob Danovius (1741–1782)] hat sich früh Leichenträger, um den Wirth zu begraben.58 um 3 Uhr in der Saale ersäuft; er hatte Ver- Von Hoheneiche aus fuhr Familie Goethe mögen, Ehre, Zulauf und Alles, wornach mit der Kutsche weiter in Richtung Thürin- man strebt. Carl August mutmaßt aus kranker gen. Man erreichte am Abend Creuzburg und Schwermuth, ohne alle Ursachen und fährt übernachtete dort. Am 22. August 1801 war im Brief an Knebel fort: Auf Ostern [im Fou- dann Eisenach erreicht: um 10 Uhr in Eise- rierbuch Osterdienstag, den 2. April], denke nach, gegen Abend die Wartburg und den ich gehe ich wieder ort besche die räfin Metilstein besucht.59 In Gotha trennt sich Go- [Jeanette Louise von Werthern-Neunheiligen ethe von Christiane und reist mit dem Sohn (1752–1816)] […] und stoße mit Goethen in weiter nach Weimar. dem unglücklichen abgebrannten Kreuzburg zusammen, durchziehe etwas das mir noch unbekannte Eisenachische und kehre [nach Creuzburg erneut in Hause – ergänzt Düntzer] auf dem Wege, wo Schutt und Asche mirs am wohlsten werden wird. Gesegnet seien unsere Pfade!61 Im Fourierbuch auf das 17 Jahre waren vergangen, als die Stadt Jahr 1782 notiert der Hoffourier Johann Chris- erneut – am 5. März 1782 – von einem ver- toph Wai(t)z am Osterdienstag, dem 2. April: heerenden Brand heimgesucht wurde.60 Heute vormittag um 8 uhr, gingen Durchl. Mitte März beginnt Goethe mit Rekruten- d[er]Herzog per Coucier [Courier?] auf etl. aushebungen im Lande, Dienstreisen an die Tage nacher Eisenach. Zwei Tage später wer- thüringischen Höfe bis Ende Mai lassen ihn den dann vom Landesherren und vom Minis- wieder in Creuzburg Station machen. Vom ter vor Ort Anstalten zum Aufbau der Stadt Herzog wissen wir – aus seinem Brief vom getroffen. Am 9. April schreibt der Hoffourier: 23. März 1782 an den pensionierten Major Heute abend kahmen Durchl. Herzog wiede- Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 49 rum gesund und wohl von Eisenach hier an!62 die beste Mühe mit Undanck belohnt.66 Die Vielleicht hat Goethe die Not und Armut der Sessionskalender verzeichnen schon für den Bürger nach diesem Brand vor Augen, wenn nächsten Tag, Dienstag, den 15. Juni, Go- er an Charlotte von Stein, seine liebe Lotte, ethes, des Herzogs und anderer Ratsmitglie- schreibt: Creutzburg d. 5ten März. Deinen der Anwesenheit im Geheimen Consilium, Brief […] hat mir der Herzog mitgebracht, ich das in Eisenach tagt. Das Hoflager befindet hoffte drauf, […]. Die Welt ist eng, und nicht sich dort zum Ausschusstag der Eisenachi- ieder Boden trägt ieden Baum, der Menschen schen Stände.67 Seit dem 25. Juni 1776, dem Wesen ist kümmerlich, und man ist beschämt Tag seiner Amtseinführung und Vereidigung, wie man vor so vielen tausenden begünstigt hatte er regelmäßig in diesem beratenden ist. Ich habe dir vieles, und menschliches zu Kollegium mitgearbeitet. erzählen, und hoffe du sollst sehn daß sich Goethe wird Creuzburg niemals wieder- meine Augen auch in die Nähe gewöhnen. sehen. In seinen Tagebüchern, die uns Ein- Adieu Liebste. […] Adieu tausendmal.63 Go- blicke in sein Leben von Tag zu Tag gewährt ethe war wohl tief berührt vom Geschehen, haben und seine lose Verbundenheit (Jochen seine Feder setzte März ins Datum. Die Emp- Klauß) mit der Stadt bis ins hohe Alter do- fängerin hat von Hand das Datum in Aprill kumentieren, findet sich von der Hand jenes geändert.64 Schreibers, den wir aus dem Gemälde des in Weimar tätigen Johann Joseph Schmeller (1796–1841) – Goethe in seinem Arbeits- Dienstreise nach Eisenach, zimmer, seinem Schreiber John diktierend, Kurzbesuch in Creuzburg bezeichnet mit Schmeller f[ecit] 183168 – kennen, unter dem 16. März drei Jahre vor Eine Dienstreise führt Goethe 1784 nach seinem Tod der letzte Eintrag zu Creuzburg: Eisenach, eine lange Tour durch den Thürin- Endigte gedachtes Werk. Dictirte weniges an ger Wald wird folgen. Creuzburg, das vor Schuchardt. Besuchte mich Salinen-Direktor neun Jahren auf seiner fünftägigen Reise von Glenck. Gab mir Nachricht von seinen Fort- Frankfurt nach Weimar noch abseits lag, wird schritten in eben nd in Stotternhei in- ein Kurzbesuch abgestattet: Sechs Wochen gleichen von dem Vorhaben bey Kreuzburg.69 vor Weihnachten, vom 3. bis 7. November 1775, reist er mit Johann August Alexander von Kalb (1747–1814) und seinem Diener Carl Glenck und Theodor Philipp Friedrich Seidel aus Heidelberg kom- Schwedes – Männer der Praxis mend über Frankfurt, Hanau, Gelnhausen Salmünster, Steinau, Schlüchtern, Neuhof, Soleproben aus Stotternheim Fulda, Hünfeld, Buttlar, Vacha, Eisenach, Mit Carl Christian Friedrich Glenck (1779– Schönau, Mechterstädt, Gotha und Erfurt 1845), dem Leiter der Saline Louisenhall in nach Weimar.65 Aus Eisenach teilt er Charlot- Stotternheim bei Erfurt, stand Goethe seit te von Stein am 14. Juni abends mit: Heute Januar 1823 in Verbindung. Zum 30. Janu- hat uns Frau v. Herda [Friederike Bernhardi- ar 1828, dem Geburtstag der Großherzogin ne Sophie Dorothea von Herda (1749–1816), Louise Auguste (1757–1830), entstand im Gemahlin des Eisenacher Kammerpräsiden- Januar 1828 auf Bitten Glencks ein Festge- ten Carl Christian von Herda zu Brandenburg dicht, das mit erbohrter Sole und mit Salz (1728–1802)] nach Creutzburg auf die Saline am Geburtstagsfest dargebracht wurde. In beordert, wäre es schön Wetter gewesen so Goethes Brief am 20. Januar 1828 lesen wir: hätten wir ihr dancken müssen, da aber star- Jenes Zugesagte soll ohne weiteres an dem cer egen einfiel so ward der gten ra hoffentlich mit Glück zu erlebenden Festta- 50 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 ge bereit seyn, Glenck war über diese Zusa- festliche Gesellschaft ein. Die Geognosie be- ge erfreut, am 11. Januar 1828 schreibt er: trachtet die erfolgreiche Bohrung als Ergebnis Besonders hoch muss ich die wohlwollende des festen Glaubens an die überall gleichen sage efinden, die für den 30. Januar in Gesetze der Flözbildung. Die Technik rühmt Ausssicht genommene Übergabe der ersten sich, mit Hilfe von Physik und Geometrie erst Salzprobe aus dem Stotternheimer Bohrloch die Mittel zur Ausbeutung des Salzvorkom- an die Grossherzogin Louise durch ein Ge- mens entwickelt zu haben. dicht verherrlichen zu wollen. Anfang Feb- Durch die vielen Schwierigkeiten beim ruar geht das Gedicht an Friedrich Johan- Niederbringen der Bohrungen in Thüringen nes Frommann (1797–1886), den Sohn des war Glenck zeitweilig in finanzielle Schwie- Buchhändlers und Verlegers Carl Friedrich rigkeiten geraten, zur Jahresmitte 1828 bittet Ernst Frommann (1765–1837): Sodann […] er Goethe um ein Darlehen von 2000 Talern übersende ein Gedicht, welches jedoch nicht für die Fortführung seiner Bohrungen; Nähe- aus Händen zu geben bitte; der Titel spricht res wissen wir aus Goethes Brief vom 7. Juni die Veranlassung aus: daß nämlich der Sali- 1828. Aus Glencks Brief vom 3. Juni 1828 nendirector Glenck die mit einem Bohrloch geht hervor, dass dieser im Interesse seiner von 762 Fuß Tiefe gewonnene Soole zu Stot- eben bei otha angelegten Saline ternheim unfern Erfurt, in reines brauchbares ein Darlehen von 2000 Thalern auf 12 oder Kochsalz verwandelt, in schönen geschliffnen 18 Monate bittet. Anfang Juni 1828 ist Go- Glassschalen zum Feste darbracht. Für’s Le- ethes Verwunderung dokumentiert: Höchst ben so wie für die Wissenschaft ist dieß von merkwürdig war mir schon dieses ganze Jahr großer Bedeutung, […].70 her der Salinen Dir. Glenck, welcher auch Der dichterische Dialog trägt den etwas wohl in Böhmen nicht unbekannt ist. Er bohrt umständlichen Titel Die ersten Erzeugnisse bey uns in Stotternheim, in der Gegend von der Stotternheimer Saline begleitet von dich- Errt ach in otha bei eben let- terischem Dialog zwischen dem Gnomen, ten Orte war seine Beharrlichkeit gelungen, der Geognosie und der Technik überreicht denn er traf in einer Tiefe von 677 Fuß das zum XXX. Januar MDCCCXXIIX. mit getros- von ihm beharrlich verkündete Steinsalz, wo- tem Glück auf! C. Glenck, Salinen-Director, von er sogleich Proben einsendete. […] Er unterthänigst.71 Das Tagebuch hält am 4. Ja- steht eben im Begriff die nöthigen Gebäude nuar 1828 fest, dass Glenck Goethe eine So- zu errichten, aber leider ist der Gehalt seiner leprobe aus Stotternheim überreicht hat: Herr Casse nicht immer in Proportion mit seiner Salinendirektor Glenck zum Neuenjahr Sole grenzenlosen durch Kenntnisse genährten von Stotternheim bringend, und auf Befragen Leidenschaft. Er überreichte die Stottern- über alle die neuen Bohrunternehmungen in heimer auch schon erbohrte Sohle der Frau Thüringen Auskunft gebend; […]. In Stottern- Großherzogin zum Geburtstage; ich begleite- heim, zwölf Kilometer nördlich von Erfurt, te sie mit einem Gedicht, welches der nächs- hatte Glenck bei Probebohrungen 1823 Salz ten Sendung beilege.72 gefunden, aber erst im Januar 1828 konnte Im Jahresausgang 1829 berichtet Goethe die Förderung von Steinsalz beginnen. stolz über neue Bohrungen und Salzfun- Dass sich Goethe für den Bergbau, die de in Stotternheim: Ich habe mehrere Jah- Höhlen und die Gesteine stark interessier- resberichte des Bergdepartements gelesen, te, ist bekannt, er nimmt auch im Gedicht an deren Schluß der redliche Graf Heinitz, lebhaften Anteil am Geschehen: Der Gnom mit möglichster Bescheidenheit, versicher- spricht sich gegen die Ausbeutung der ver- te: an habe sich ichtgeä die gröte borgenen Schätze aus, kann aber nichts Mühe gegeben, Steinsalz in Ihro Majestät dagegen unternehmen und reiht sich in die Landen afinden se aber noch nicht so Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 51 glücklich gewesen zum Ziel zu gelangen; Salellen eigten sich anche a Steinsalzmassen hoffte niemand. Nun aber meldet mir Salinendirector Glenck, er habe in der Nacht vom 22. bis 23. October, in ei- ner Teufe eines Bohrlochs von 1170 Fuß und zwar in ganz reiner Gestalt, den Bruchstü- cken nach als theils körniges, theils blättriges Krystallsalz angetroffen. […] Der Ort heißt Stotternheim und liegt hinter dem Ettersber- ge in einer großen Fläche. […] Wir wollen also hier ehrenvoll der Fortschritte gedenken, Kenntniß und Technik seit fünfzig Jahren der- gestalt gesteigert zu sehen, daß Einer kühn genug ist, bey 1200 Fuß in die Erde hinein- zubohren, vorauswissend und sagend was da gefunden werden müsse. Mit einem Lob der Physik, der Mechanik und Chemie endet dieses Schreiben.73

Ein Staatsmann beim Staatsminister Heinrich Ludwig Theodor Schwedes (1788–1882), Sohn eines Rentmeisters auf dem Jagdschloss Sababurg im Reinhards- Abb. 5: Auguste Schwedes, Theodor Schwedes. walde, tritt spät und soweit wir sehen nur Leben nd iren iesbaden itelblatt einmal in Goethes Leben. Seine Tochter Auguste hat die Nachrichten aus dem Leben Der Fachmann für Berg-, Hütten- und und Wirken [ihres] Vaters aus nachgelasse- Salinenwesen wurde, wie die Tochter es nen Briefen und Aufzeichnungen gesammelt darstellt, in eine glänzende Laufbahn ge- und trotz ihrer 73 Jahre das Niedergeschrie- bracht, in welcher er als Bevollmächtigter bene noch einmal durchgearbeitet, wie sie des kleinen Kurhessens eine bedeutende im Vorwort der Biographie ihres Vaters im Stellung einnahm. Mit Höchstbeschluß September 1898 versichert.74 (Abb. 5) Sie vom 7. April 1832 wurde der Abgang nach berichtet ausführlich über den Werdegang Berlin angeordnet, um an den Verhandlun- des Vaters vom Berg-Alumnus 1806, Ingéni- gen über den deutschen Zoll- und Handels- eur des mines (Bergbauingenieur) im Kö- verein 1832–1845 teilzunehmen. Gegen nigreich Westphalen 1807, Berginspektor Mitte April tritt Schwedes die Reise nach 1814, Oberbergrath 1821, Geheimen Ober- Berlin an, bis Weimar begleitet von Mutter Berg rath 1831, Mitglied des Staatsrats 1833, und uns beiden kleinen Töchtern. […] Am Director der Oberberg- und Salzwerks- 16. April reiste Vater von Weimar ab, er ist direktion 1835, Badedirector 1838 bis zum der wichtigste Fachbeamte des Kurfürsten- Vorstand des Finanzministeriums 1848 und tums Hessen-Kassel in Berlin, wo er Fried- den Ruhestand 1859. Die Stadt Kassel ehrt rich Schleiermacher (1768–1834), Leopold Theodor Schwedes mit einer Straße, auf Ranke (1795–1886) und Friedrich Schelling dem Straßenzusatzschild steht: Theodor (1775–1854) kennenlernt. Dies und ande- Schwedes Krhessischer erg- res mehr vertraut er seinen Briefen an, die und Salz berg werksdirektor.75 er nun mit einer Stahlfeder, die hier jetzt in 52 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 6: Billett Carl von Conta an Goethe vom 2. Juni 1830, GSA 28_142 Bl. 165r

Gebrauch und sehr wohlfeil sind, zu Papier In der Lebensbeschreibung teilt die Tochter bringt. Zwischenzeitlich kurz zu Hause, mit: In Weimar besuchte Vater Goethe. Aus reist er am 2. September, diesmal von sei- dem Kontext ergibt sich nun aber, dass dieser ner Gattin begleitet, wieder nach Berlin. Im Besuch um die Monatsmitte April 1832 statt- April 1833 kam die Mutter allein zurück, der gefunden haben soll und, so Erich Ebstein, Vater folgt am 21. Juni, nachdem der große ohne ein genaues Datum anzugeben, wohl Hauptvertrag am 22. März 1833 unterzeich- einer der letzten gewesen sein wird. Soweit net war. Der Zollvereinigungsvertrag trägt Ebstein die Literatur prüfen konnte, ist dieses auch die Unterschrift Theodor Schwedes’.76 Besuches in Goethes Briefen nicht gedacht Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 53 worden. In einer Miscelle teilt er Schwe- kurhessischen Heimat ebenso orientiert wie des’ Besuchsnotizen mit und macht sie der wißbegierig gewesen, Schwedes habe darü- Goetheforschung zugänglich; das Buch der ber in seinen Lebenserinnerungen sehr anzie- Tochter war sechs Jahre zuvor erschienen, hend berichtet.80 Auguste Schwedes’ Referat fünf Jahre nach Ebstein findet dieses Ge- des Treffens stützt sich auf des Vaters Auf- spräch Eingang in Biedermanns Goethe-Ge- zeichnungen. Nach den Worten Er schreibt spräche.77 darüber gibt sie die knapp eineinhalbseiti- Vermittelt durch den seit 1805 im Weima- gen schriftlichen Bemerkungen ihres Vaters rer Staatsdienst tätigen Juristen Carl Friedrich unkommentiert wieder. Diesen Besuch zu Anton von Conta (1778–1850) kommt das machen, war mir nicht eingefallen, vielmehr Gespräch zustande. In einem Kommentar zu entgegenete ich Herrn von Conta auf einen den Goethe-Briefen an Conta erwähnt Max deshalbigen Vorschlag, ich könne das Bestre- Hecker diese Vermittlung: Voraus liegt ein ben, einen solchen Wunsch zu befriedigen, Billet Contas, datirt Weimar 2. Juni 1830, in meinerseits nur als Anmaßung ansehen, da dem um Gewährung einer Audienz für den mir die Eigenschaft, eine Person von solcher Oberbergrath Schwedes aus Kassel nach- Bedeutung zu sein, an welcher Herr von Go- gesucht wird. Der Besuch fand am 3. statt. ethe ein Interesse nehmen könne, mangele. Auch Conta war zugegen, wie er auch schon Herr von Conta kam nach kurzer Zeit mit […] seine Aufwartung gemacht hatte, Grüße der Nachricht zurück, Herr v. Goethe werde von Kassel bringend, von seinen Geschäften, mich um 1 Uhr mit Vergnügen empfangen. aber auch von seinen geognostischen Wan- Diese Nachricht war Schwedes zwar erfreu- derungen erzählend. Conta schreibt im Bil- lich, setzte ihn aber in eine Spannung, von lett, wage es kaum, den lebhaften Wunsch welcher er bei der Ankündigung von Audien- eines Fremden vorzutragen, der sich überaus zen bei hohen Häuptern sonst gänzlich frei glclich schäten wrde wenn Ew: Eel- war. Schwedes trieb der Gedanke um, wie lenz ihm gestatten möchten, Ihnen seine wirst du prosaischer Mensch diesem großen ehrerbietige Aufwartung zu machen. Es ist Geiste unbedeutend erscheinen, wie wird er der H. Oberbergrath Schwedes aus Kassel, seine dir geopferte Zeit bereuen? Er trat den Schwager des Hn. Geh. Hofraths Völkel hier, Weg an, und zwar, meiner Natur nach, nun ein tüchtiger Bergmann und Mineralog und mit Herzhaftigkeit. In einem großen Emp- sonst ein recht gescheider und wissenschaft- fangszimmer erschien Goethe: Der Ausdruck lich gebildeter Mann.78 (Abb. 6) Im Tagebuch seines Gesichts war freundlich, die Haltung findet sich die konzise Notiz: Herr von Con- der imponierenden Gestalt ruhig und gemes- ta mit Herrn Oberbergrath Schwedes aus sen, aber nicht berechnet, sondern natürlich. Cassel, gefolgt von Mittag für mich.79 Ebenso Er ergiff einen Stuhl und verwies mich auf das spärlich dazu die Feststellung bei Auguste Sofa, und als ich einen anderen Stuhl ergriff, Schwedes: In Weimar besuchte Vater Go- um mich vor ihn zu setzen, nötigte er mich, ethe. Aus diesen beiden knappen Informa- auf dem Sofa Platz zu nehmen, „weil es ihn tionen erschließt sich praktisch der Inhalt unruhig machen würde, wenn ich diesen ihrer Begegnung vor dem Mittagstisch – der Platz nicht einnähme“. kein frugales Familienmahl war, Goethe aß Goethe bemächtigte sich der Unterhal- allein – nicht. tung sogleich, an die interessante geognosti- Greifen wir voraus, es war, grob zusam- sche Beschaffenheit Kurhessens anknüpfend, mengefasst, ein Gespräch über die geologi- mit welcher er, sowie mit der Geographie sche Beschaffenheit Kurhessens. Vor hundert dieses Landes bekannt war. Er wünschte Jahren befand Edward Schröder, Goethe sei meine Wahrnehmung über die merkwürdige in allen geognostischen Verhältnissen seiner Formation zu Frankenberg mit ihren Kupfer- 54 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 erzen zu erfahren, worüber sich eine länge- Johanna Höpfner (geb. 1784), die von 1805 re Verhandlung entspann. Dann ließ er sich bis 1816 im Haushalt tätig war, ist sie 1809– snt ber die Soolellen Sooden 1811 als zweite Köchin beigegeben; das bei Bad Allendorf a. d. W. und über unsere Abgangszeugnis (sie zeigt sich widerspens- Ansichten über das Erbohren dieser Quel- tig, zudringlich, grob, unruhig und tückisch, len mit reicherem Gehalt in der Tiefe geben. horcht an den Thüren) zerriss sie und die Fet- Dabei kam er auf die, in der Vorzeit um den zen davon im Hause herumgestreut – daraus Besitz dieser Quellen geführten Kämpfe und musste Peter Hacks 1979 seine Musen. Vier auf den hohen Wert solcher Quellen im Alter- Auftritte schaffen – die erste Szene, sie spielt tum, wo man die Kenntnis noch nicht gehabt am 20. März 1881, ist Charlotte Hoyer ge- habe, vieles Salz mit Leichtigkeit zu ersieden, widmet.82 Am Nachmittag war auch Rinaldo und wo der Transport desselben so schwierig dagewesen, der nach dem Bucherfolg seines und kostspielig gewesen ist. Vaters benannte älteste Sohn (1802–1874) Zum Beweis, wie hoch das Salz einst ge- von Schwager Vulpius. schätzt wurde, führte er eine von ihm im süd- lichen Frankreich gemachte Beobachtung an. Dort stehe in den Häusern der Landleute in Goethes Bezugspunkte der Küche eine Salztonne, der Sitz des Groß- zu Creuzburg vaters oder des Hausvaters, und auf welche, als Ehrenplatz, auch der Gast gesetzte werde. Das westthüringische Werrastädtchen ist Die Niederschrift dieser Beobachtung ist auf Absendeort eines Briefes an Charlotte von den 18. März 1820 zu datieren, das Erleb- Stein (5. April 178283); es wird in einem lan- nis mit dem hohen Klappkästchen schildert gen Brief Merck, der vor einer Dienstreise Goethe unter dem 4. Oktober 1792 in der nach Kassel stand und offensichtlich ein Campagne in Frankreich. Hier war der Ehren- Treffen angeregt hatte, als Treffpunkt vor- sitz, der sogleich dem vornehmsten Fremden geschlagen (11. Oktober 178084); wird als angewiesen wurde, das lag nun fast 40 Jahre Durchreiseort Major von Knebels genannt zurück.81 (17. April 178285); wird als dienstliches Rei- Die Sorge, ob Goethe seine ihm Schwedes seziel in den Briefen an Charlotte von Stein geopferte Zeit bereuen würde, ist gänzlich (5. April 1782, 14. Juni 178486) und beim unbegründet gewesen, es wurde ein Stünd- Austausch von Kriegsnachrichten an Johann chen verplaudert, und ich schied von Goethe Heinrich Meyer (17. August 179687) benannt mit der Beruhigung, daß ihm der Besuch kein bzw. erwähnt; es ist der Ort eines Mühlen- Opfer gekostet hat. Nach Johann Christian festes, das am 1. August 1809 im Beisein Schuchardt (1799–1870), Felix Mendelssohn Carl Augusts, aber ohne die Minister Goethe (1809–1847), drey Göttinger Studenten und und von Voigt begangen wird, wie wir aus Großherzogin Maria Pawlowna (1786–1859) ihrem Briefwechsel im August 1809 erfahren gingen mit Conta und Schwedes die letz- (1. und 4. August 180988). Ein Gedicht aus ten Besucher vor dem Mittagessen. Was die Voigts Feder er erste gst 89 ist dem Köchin Christiane Kluge dem Achtzigjähri- Herzog an der Tafel überreicht worden. Und gen servierte, entzieht sich unserer Kennt- Creuzburg ist der Wohnort eines Briefemp- nis. Nach zehnjährigem Dienst folgt ihr, fängers, es handelt sich um das Mitglied der von Sohn August – er stirbt in diesem Jahr in 1797 gegründeten Societät für die gesammte Rom – besonders geschätzt, im Februar 1831 Mineralogie zu Jena, den Physicus extraordi- der junge Koch Gottlob Straube (geb. 1813). narius Dr. Christian Gotthold August Urban Keine Köchin jedoch hat derartiges Aufsehen (1765–1827) (15. Januar, 11. März 1819). erregt wie Charlotte Hoyer: Der Eisenacherin Der Großherzogliche Amtsphysikus Urban Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 55 stattet am 7. Januar 1819 dem Präsidenten Reiseroute: Goethe seinen unterthänigen Dank für die Weimar–Ettersburg–Erfurt–Gotha– Ernennung und Aufnahme, als ein ordentl. Mechterstädt–Schönau–Eisenach–Creuz- Mitglied in der mineralogischen Gesellschaft burg–Hoheneiche–Bischhausen–Waldkap- ab. Zwei Wochen zuvor, am 25. Dezember pel–Harmuthsachsen–Walburg–Helsa–Kas- 1818, bedankt er sich beim Direktor der So- sel.92 cietät (seit Goethes Präsidentschaft 1803 in 1780 – Vorschlag eines Treffens mit Merck Herzogliche Societät für die gesammte Mi- in aller Stille auf Kreuzburg, ist nicht zustan- neralogie zu Jena umbenannt) Johann Georg de gekommen, Brief Goethes an Merck, Mitt- Lenz (1745–1832) für ein Schreiben, wel- woch, den 11. Oktober 1780: Sehr wohl hätt chem zugleich zu meiner allergrößten Freu- ich dich wieder auf der Wartburg empfangen de ein Diplom beigefügt war, wodurch ich wollen, […] Auf einige Tage könnt ich ab- als ordentl. u. correspondierendes Mitglied kommen, und komm in aller Stille etwa auf der mineralogischen Gesellschaft in Jena er- Kreuzburg. Am 20. Oktober 1780 treffen sich nannt, auf u. angenommen worden bin. Das beide in Mühlhausen, es ist ihre letzte per- Verzeichnis der seit dem ersten Januar 1818 sönliche Begegnung. Seit Goethes Ankunft in ernannten Mitglieder 1823 führt unter VII. Zu Weimar trafen sie sich nahe Creuzburg vom correspondirenden Mitgliedern den Herr[n] 21. bis 28. September 1777 auf der Wartburg, Doctor und Amtsphysikus Urban in Creuz- das belegen die Briefe Mercks an Christoph burg.90 Im Hochsommer 1797 finden wir Friedrich Nicolai, Montag, den 3. November das Städtchen noch einmal: Christiane, mit 1777 (Ich hab’ ihn neuerlich auf Wartburg Sohn August auf der Rückreise von Frankfurt besucht, und wir haben 10 Tage zusammen nach Weimar, schreibt an Goethe – sie lo- wie die Kinder gelebt.) und an Johann Caspar giert in Eisenach im Gasthof Halber Mond – Lavater, Freitag, den 9. Januar 1778 (Ich habe klagend, (Johann Friedrich Christoph) Gille mich vorigen Herbst im Monat September auf (1780–1836, Polizeibeamter in Weimar?) sei meinen Fuchs gesezt, u. bin nach Eisenach zu in Creuzburg und komme erst am Abend des dem herrlichen Menschen wallfahrten gegan- nächsten Tages wieder; das ist ihr zu lang, gen, allwo ich denn auf der Wartburg an 14 und mit dem Geld sieht es auch schlecht aus. Tage, wie Sie denken können, in Wohlleben Sie reist über Gotha nach Weimar zurück mit ihm verbracht habe.).93 (10. August 179791). 1782 – Ausflug, Brief Goethes an Charlotte von Stein, Freitag, den 5. April 1782: Creutz- burg d. 5ten März. Deinen Brief l. Lotte hat Goethes Kontakte mit mir der Herzog mitgebracht, ich hoffte drauf, Creuzburg im Überblick […]. Die Welt ist eng, und nicht ieder Boden trägt ieden Baum, der Menschen Wesen ist 1779 – Durchreise auf dem Weg nach kümmerlich, und man ist beschämt wie man Frankfurt und in die Schweiz, Tagebuchein- vor so vielen tausenden begünstigt ist. Ich trag Montag, den 13. September 1779: d. 13 habe dir vieles, und menschliches zu erzäh- früh 6 nach Creuzburg, dort gezeichnet die len, und hoffe du sollst sehn daß sich meine ausgebrannte Kirche. gegen 10 kam [Herzog Augen auch in die Nähe gewöhnen. Adieu Carl August] erst dahin, nach Bischhausen ge- Liebste. […] Adieu tausendmal. G. setzt März ritten. Gegessen, gezeichnet. Gefahren über ins Datum, die Empfängerin Charlotte von Hüls, Nachts 1 Uhr in Cassell. Laut Fourier- Stein hat von Hand das Datum in Aprill ge- bch a das ahr verreiseten am Abend ändert. Zweiter Brief an Charlotte von Stein, des 11. September Durchl. Herzog und Hr. Freitag, 5. April 1782: Gerstungen Abends Geh. Rath Gehde auf einige Zeit. d. 5. Aprill 82. Als wir von Creutzburg weg- 56 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 giengen erhielt ich deinen lieben Brief vom Heinrich Meyer, Mittwoch, den 17./18. Au- zweyten […]. Der Herzog ist gar gut, und ver- gust 1796: Indessen die Franzosen an der Do- ständig .94 nau sind, macht sich unsere Situation noch Reiseroute: ganz leidlich. Die sämmtlichen sächsischen Weimar–Linderbach–Erfurt–Gotha–Ei- Contingenter sind zurück und es ist ein Cor- senach–Creuzburg–Gerstungen–Ber- don, vom Vogtlande an bis nach Creutzburg, ka a. d. Werra–Tiefenort–Kraynberg–Tiefen- am Thüringer Walde her, gezogen […]. das ort–Barchfeld–Zella–Kaltennordheim– ist das neuste, und wie Sie sehen, nicht das Ostheim–Meiningen–Barchfeld–Ilmenau– Schlimmste. […] Cotta schreibt [an Schiller], Bücheloh–Stadtilm–Groß-Hettstedt–Dien- Tübingen habe wenig gelitten.100 stedt–Kranichfeld–Berka–Weimar.95 1797 – Aufenthaltsort eines Dritten, Brief 1782 – Durchreise, Seit Charfreytags Christiane Vulpius’ an Goethe, Donnerstag, [29. März] habe ich einen weiten, und offt den 10. August 1797: Nun bin ich wieder in beschweerlichen Weeg über Gotha, Eise- Eisenach […]. Ich wollte heute hier bleiben, nach, Creutzburg, Gerstungen, Tiefenort, Bar- aber Gille [Polizeibeamter Johann Friedrich chfeld, Kaltennordheim, Ostheim, Meiningen Christoph Gille (1780–1836) aus Weimar?] und über den Thüringer Wald hierher [Ilme- ist nicht hier; er ist in Creuzburg und kommt nau] gemacht, und viel gesehen und erfah- erst morgen Abend wieder. Das ist mir zu ren was mir Freude macht, informiert Goethe lang. So viel, nach Tisch weiter. Wehe, denn Knebel am Mittwoch, dem 17. April 1782.96 es sieht mit meinem Gelde schlecht aus […]. 1783 – Passage, zweite Harzreise, 6. Sep- Am 30. Juli waren Goethe, Christiane und tember–6. Oktober 1783 mit Fritz von Stein, August von Weimar abgereist, am 3. August auf der Rückreise Brief Goethes an Charlotte gab es die erste Begegnung von Mutter Go- von Stein, Donnerstag, den 2. Oktober 1783: ethe mit Christiane und Enkel August; die Cassel d. 2. Oktbr. 83 Wir sind nun hier und Fremdlinge (Goethe über die Seinigen) reisen sehr vergnügt, […] Ich dencke Sonntags d. 5. am Montag, dem 7. August wieder ab, der von hier [Kassel] ab und nach Eisenach zu Sommerurlaub (Nicholas Boyle) ist zu Ende. gehen und dann schnell zu dir […].97 Mehr als ein Vierteljahr sind Johann Wolfgang Reiseroute: und Christiane getrennt, der Vater kommt am Göttingen–Kassel–Helsa–Walburg–Har- 20. November von seiner Dritten Schwei- muthsachsen–Waldkappel–Bischhausen– zer Reise nach Hause. Mutter und Sohn ge- Hoheneiche–Creuzburg–Eisenach–Schönau– langen am 11. August gesund und wohl zu Mechterstädt–Gotha–Erfurt–Weimar.98 Hause an, die Rückreise von Frankfurt war 1784 – Kurzbesuch, Goethe weilt vom für eine Frau ohne Begleitung kein leichtes 6. Juni–10. Juli in Eisenach, Brief an Charlot- Unterfangen: Christiane aber ist eine resolute te von Stein, Sonnabend, den 5. Juni 1784: Frau, hilfreich waren ihre Pistolen, die sie ein Morgen [Sonntag, den 6. Juni] gehe ich nach bißchen weiter als sonst herausgucken ließ, Eisenach und du hörst bald wieder von mir. in Neuhof, einem Dorf zwischen Fulda und Zweiter Brief an Charlotte von Stein, Montag, Schlüchtern, bin [ich] mit meinen 2 Pistolen den 14. Juni 1784: Heute hat uns Frau v. Her- durch ein 50 Mann ins Haus gegangen, und da nach Creutzburg auf die Saline beordert, es hat keiner gepiepst.101 wäre es schön Wetter gewesen so hätten wir 1801 – Aufenthalt und Übernachtung in ihr dancken müssen, da aber starcker Re- Creuzburg (auf dem Schloss?) auf der Rück- gen einfiel so ward der gten ra die beste fahrt aus Pyrmont und Kassel, Tagebuchein- Mühe mit Undanck belohnt.99 trag Freitag/Sonnabend, den 21./22. August 1796 – Erwähnung beim Austausch von 1801: Freytag am 21ten. Früh 4 Uhr von Kas- Kriegsnachrichten im Brief Goethes an Johann sel ab. […] Abends bis Creuzburg. Mühlhau- Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 57 sen ist 6 Stunden davon entfernt. Sonnabend Reiseroute: Kassel–Helsa–Walburg–Har- am 22ten. Früh 7 Uhr von Creuzburg ab muthsachsen–Waldkappel–Bischhausen– nach der Saline. Hrn. Schrader besucht. Um Hoheneiche–Creuzburg–Eisenach.104 10 Uhr in Eisenach, gegen Abend die Wart- 1805 – Erwähnung der Saline in Kreuz- burg […]. Abends bey Hrn. v. Schardt.102 Im burg, des Fürstlichen Salzwerks Wilhelms Brief an den Göttinger Universitätsprofessor Glücksbrunn, im Brief Carl Augusts aus Wil- Georg Friedrich Christoph Sartorius (1765– helmsthal an Goethe, Sonnabend, den 6. Juli 1828) vom Sonnabend, den 10. Oktober 1805: Die Saline in Kreuzburg fängt an, einen 1801 lesen wir: In Cassel fand sich meine vergnüglichen Anblick zu gewähren, seit die ganz kleine Familie zusammen, da ich denn, von Schrader eingeführte Ordnung und Ver- in Gesellschaft meines Freundes Meyer, die änderung der Gebäude sichtbar wird. Voigt Kunst und Naturwerke genießen und studi- informiert Goethe vier Jahre später über den ren konnte. Bey Eisenach sah ich, gleichfalls Umbau unsrer Anlage in Creuzburg und von gutem Wetter begleitet, des Herzogs nennt die Kosten: Und so werden sich die neue Anlagen in Wilhelmsthal […], bestieg 40 000 [Reichstaler] bald amortisieren, die die Wartburg und erinnerte mich früherer der Umbau der Saline gekostet hat.105 Zeiten. Dieser Brief eröffnet einen lebenslan- gen Briefwechsel und eine freundschaftliche Beziehung. – Über den Zustand des südlich 1808, 1809, 1810 – Kunstauktion von Eisenach gelegenen Jagdschlosses Wil- und Mühlenfest in Creuzburg, helmsthal, seit 1748 unbewohnt, erfahren Leichname für die Jenaer wir etwas aus dem Brief an Jacob Friedrich Anatomie aus Creuzburg, das von Fritsch (1731–1814) am Donnerstag, dem 4. September 1777: So eben sind wir, arme kleine Creuzburg zwar durchaus nass, aber glücklich übrigens, Brief des Ministers von Voigt an Goethe, in Wilhelmsthal angelangt, haben alles in Dienstag, den 5. Januar 1808: Darf ich ein guter Ordnung, nur nicht gefunden, wo wir paar deutsche Bronzen beilegen, die ich aus unser Haupt hinlegen. – Wilhelmsthal wurde Löers tion in rebrg erhielt Goethe 1699–1715 als Jagdschloss und Sommer- dankt zwei Tage später für die Bronzen, bietet residenz für Herzog Johann Wilhelm von dagegen etwas Römisches an. Hans Tümmler Sachsen-Eisenach durch Johannes Mützel und Jochen Klauß bemerken zu Löers - (1647–1717) erbaut, Ernst-August von Sach- tion, dass Näheres nicht zu ermitteln sei; bei sen-Weimar ließ 1741–1743 durch Gottfried den von Voigt an Goethe gegebenen deut- Heinrich Krohne (1703–1756) Schloss, Gär- schen Bronzen handelt es sich mit allergröß- ten und Wildgehege erneuern, seit dessen ter Sicherheit um deutsche Medaillen, die Tod 1748 war Wilhelmsthal verlassen und freilich nicht näher identifizierbar sind. Bei wurde 1790–1800 von Carl August unter Löer handelt es sich um Johann Samuel der Leitung des Landschaftsgärtners Johann Leffler. Geboren am 30. September 1732 in Conrad Sckell (1768–1834) umgestaltet. In Fischbach/Rhön, verstarb der Oberpfarrer den Tag- und Jahres-Heften 1801 lebt die und Adjunkt Leffler am 16. April 1807 in Erinnerung auf: Den 21. August gingen wir Creuzburg an eine Schlagsse, wie aus über Hoheneichen nach Kreuzburg; am fol- der Todesanzeige seines Nachfolgers Johann genden Tage, nachdem wir die Salinen bese- Christian Gottfried Heusinger (1763–1835) hen, gelangten wir nach Eisenach, begrüßten hervorgeht. Leffler war am 21. November die Wartburg und den Mädelstein, wo sich 1765 in Eisenach ordiniert worden, ein Ver- manche Erinnerung von zwanzig Jahren her zeichnis der Prediger in den Städten der Her- belebte.103 zogthümer Weimar und Eisenach führt ihn für 58 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 die Stadt Creuzburg als Pastor und Adjunct ns hätten einfinden sollen.107 der Eisenachischen Generalsuperintendur. Ende 1810/Anfang 1811 finden sich in Die Zeitgenossen würdigen Leffler als eifri- zwei Voigt-Briefen Curiosa verhandelt: gen und gelehrten Naturforscher, er hat eine Am 26. Dezember 1810, einem Mittwoch, eigene sehr grosse Seidenwürmer Zucht und schreibt Voigt, dass der Herzog befohlen besitzt ein sehenswürdiges Naturalienkabi- habe, den beiliegenden Brief vom Hofrat net, schreibt Friedrich Karl Gottlob Hirsching chs an Ew Eellen reittieren ch las- (1762–1800); bereits 1801 wird Leffler als se p. Fuchs fragen, ob er einen von den Kerls Ehrenmitglied der Mineralogischen Gesell- haben will, die itzt in Creuzburg dekapitiert schaft zu Jena geführt. Johann Carl Wilhelm werden sollen. Es waren Straßenräuber. An- Voigt besah Lefflers Mineraliensammlung,die fang 1811 in selbiger Sache: Nach Eisenach ungemein zahlreich ist, und mitunter prächti- ist beohlen den ag der rebrger Eedi- ge Stücke enthält. Doch ist sie nicht geordnet. tion oder odeseetion an den Horat chs Er beendet seine Beschreibung mit einem zu melden, um für den Transport zu sorgen. hübschen, ehrenden Vergleich: Es ist daher, Einen Dieb, der in Rudstedt gehängt werden wie es auch beim Baron von Hübsch in Cölln, soll, erfahren wir nebenbei, soll Fuchs auch seyn soll, das ganze Haus Cabinet, und kaum haben. Im Brief des Jenaer Anatomieprofes- die Küche wird verschont geblieben seyn. sor Johann Friedrich Fuchs (1774–1828) war Über den Kölner Kunstsammler und Gelehr- vermutlich die Rede vom Bedarf der Jenaer ten Johann Wilhelm Freiherr von Hüpsch Anatomie an Leichnamen. (1730–1805) wird Goethe in Kunst und Al- Ein weiterer Brief im Jahresausgang lobt terthum am Rhein und Main 1816 Auskünfte die vortreffliche Sammlung Villefosses; das geben; er lobt die unübersehbare Sammlung arme kleine Creuzburg hat er nicht mit, des Baron von Hübsch, die unter mancher- doch soll es bald ach intals lei Wust die schätzbarsten Gegenstände der [Zentner] Salz abliefern. Der französische Kunst und des Alterthums enthielt.106 Ingenieur Antoine Marie Héron de Villefos- Brief des Ministers von Voigt an Goethe, se (1774–1852) erwähnt im 1810 vorgeleg- Dienstag, den 1. August 1809: Heute fei- ten ersten Band seines Werkes De la richesse ert unser gnädigster Herr ein Mühlenfest zu minérale Creuzburg nicht, stellt der Minister Creuzburg zu Einrichtung der neuen Mühle, fest. In der deutschen Bearbeitung von 1822 die wir nach neuer Bauart dort haben anle- führt Carl Friedrich Alexander Hartmann gen lassen, mit Wegreißung der alten. Die (1796–1863) bei den Berg-, Hütten- und wahre Geschichte der Mühle ist in abgezähl- Salzwerken im Großherzogthum Weimar die ten Worten, besage der Anfuge, erzählt wor- Saline Wilhelmsglücksbrunnen bey Eisenach den und zwar fast mit Serenissimi vormaligen an, welche 10,800 Ctr. Salz jährlich produ- eigenen orten Ew Eellen werden wohl zirt.108 glauben, daß der Kanzleistil auf keine Poesie 1819 – Wohn- und Wirkungsort von Ansprüche macht […] so wollte ich doch in Amtsphysikus Dr. Christian Gotthold August Papier [Vogts Gedicht er erste gst ] Urban, Briefe Goethes an Urban vom 15. Ja- bei dem Dessert dort erscheinen. […] daß er nuar und 11. März 1819, Briefe Urbans an [Herzog Carl August] den 1. August jährlich Goethe vom 5., 7. und 27. Januar, 5. März, it etwas beeichnet wird Ew Eellen 3. Mai, 14. Juni und 10. Juli 1819.109 bekannt sein. Antwortbrief Goethes an Voigt, 1829 – Erwähnung beim Besuch Goethes Freitag, den 4. August (Carl August ist anwe- am Montag, dem 16. März 1829 durch Carl send, Goethe und Voigt sind verhindert): Ich Christian Friedrich Glenck, Salinendirek- [Goethe] […] leugne nicht, daß wir wohl bei tor in Stotternheim, Tagebucheintrag: En- dem Mühlenfest zu Creuzburg persönlich digte gedachtes Werk. Dictirte weniges an Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 59

Schuchardt. Besuchte mich Salinen-Direc- chen in Frankfurt fangen lassen. Viel Glück!112 tor Glenck. Gab mir Nachricht von seinen Schauen wir genauer ins Eisenacher Land, ortschritten in eben nd Stotternhei es lohnt sich den Blick zu weiten. Mit Chris- in gleichen von dem Vorhaben bey Kreuz- tian Gotthold August Urban – die Hof-und burg.110 Addreß-Calender, Hof- und Staats-Handbü- cher und Staats-Handbücher führen ihn in der Rubrik Uebrige autorisirte Medici, auch Der Creuzburger Arzt und Stadt- und Amts-Physici von 1796 bis 1826 Naturforscher Christian an ausgezeichneter Position – stand Goethe Gotthold August Urban wegen dessen Wetterbeobachtungen sowie mineralogischer Kuriositäten (Andreas Meier) Goethes Amtstätigkeit in Westthüringen im Frühjahr 1819 in kurzem Briefverkehr. Er beginnt im Geheimen Consilium mit dem schreibt am 15. Januar 1819, es wäre ihm an- Gesuch des vormaligen russischen Regi- genehm, einige der von Urban angekündigten mentschirurgen Johann Julius Goeckel um Dinge zu erhalten, u. a. kleine Bergkristalle Erlaubnis zur chirurgichen Praxis in Eisenach aus der Creuzburger Flur und einen auf dem und um das Prädikat Hofchirurg. Er korri- Kirchhof des zerstörten Dorfes Hinterscherbda giert eigenhändig und signiert das Gesuch gefundenen Menschenschädel. Am Rande sei am 28. Juni, genehmigt wird es am 1. Au- vermerkt, dass der Naturfreund Goethe 1814 gust 1776.111 Symbolisch mag Eisenach für Prämien aus der kleinen Casse auf Schädel: das westliche Thüringen stehen, und über zwey Kopfstücke, Unterkinnlade mit allen die Jahre ergeben sich durch die amtlichen Zähnen: ein Kopfstück, Skelette usw. ausge- Aufgaben (Landesregierung, Kammer, Ober- setzt hat: das Übrige nach meinem Gutdün- konsistorium, Obersteuer- und Kassendirek- ken. Auch wünscht er Einsicht in die geführte torium) dienstliche und darüber hinaus sehr Tagestabelle Urbans [Tabellarische Übersicht persönliche, private Kontakte. Wir wollen von naturhistorischen Erfahrungen und an- nicht vergessen, hier, wo die Gegend über- dern merkwürdigen Begebenheiten in Mo- herrlich ist, sind Charlotte von Stein und Lu- nat December 1818]. Hat man versucht, die ise von Göchhausen (1752–1807) geboren. Glockenschrift [Inschrift der s. g. Sauglocke] Zu den bekannten Eisenachern wie Christian zu lesen? Ich werde sie erfahrenen Männern Friedrich Schnauß (1722–1797), ein Kollege sogleich mittheilen. Soviel ohne Aufenthalt.113 im Consilium, Johann Lorenz Streiber (1723– 1796), Bankier, Kaufmann und Bürgermeis- ter, Johann Ludwig von Mauchenheim gen. Goethe und die Inschrift von Bechtolsheim (1725–1806), Kanzler und auf der sog. Sauglocke Oberkonsistorialpräsident und Carl Christian von Herda zu Brandenburg, Kammerpräsi- Zwei Monate später berichtet er dem Groß- dent und Obersteuer- und Kassedirektor, tre- herzog – es geht um die Heilsberger Inschrift – ten chtige eannte nd getree ericht- von seinen Inschriftenlesungen, er kommt erstatter, Helfer im Eisenacher Land hinzu. ausdrücklich auf die Sauglocke zurück: In Und wir wollen daran erinnern, als es im einem andern Fall wovon die Beylage zeugt, September 1779 d. 13 früh 6 nach Creuzburg haben wir unsere eigene Sagacität zu üben ging, findet sich für den Vorabend die Notiz: gehabt. Er stellt seine Nachforschungsgabe G. war bis 10 bey Vicktorgen. Das heißt, er, (so nennt Immanuel Kant die Sagacität) auf Goethe, war bei der hübschen Tochter der die Probe, versucht sich in diesem andern Fall Streibels, Viktoria.Viktorchen war aber bald und schreibt in lateinischen Buchstaben unter vergessen, fünf Jahre später hat sich Viktor- die Urbansche Abzeichnung, deren Richtig- 60 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 7: Falken, ev. Pfarrkirche St. Martin, Glocke keit Johann Peter Gerlach (um 1753–1837), untertänigst vorzulegen, welche ich seit etli- von 1781–1836 Pfarrer in Falken114, beschei- chen Jahren täglich so gemacht habe.118 Das nigt: maria maria maria allir gnaden vole. Hier Interesse des Naturforschers Goethe war ge- schleicht sich ein Lese- oder Schreibfehler weckt, im Brief vom 11. März 1819 bemerkt ein, wie eine Inaugenscheinnahme der Glo- er, der wertheste Herr Amtsphysicus habe ckeninschrift belegt. (Abb. 7) Urban hatte am ihm durch Übersendung des pathologischen 27. Januar mitgeteilt: Der Herr Geheime-Lega- Präparats viel Vergnügen gemacht, wogegen tionsrath von Hoff in Gotha, glaubt die Schrift ich etwas Angenehmes zu erzeigen wünschte. auf der s. g. Sauglocke, sei verkehrt auf sie ge- Der Geheime Rat und Staatsminister ersucht setzt, u herum gedreht, heise sie: Maria. Ma- Urban um die folgenden [Tabellen], werde ria. Maria. allir. Gnaden. voll.115 sie heften lassen und sodann dankbar zurück- Die Inschrift116 lautet: MARIA • MARIA senden.119 Die folgenden Tabellen vom Janu- • MARIA • ALLIR • GNADEN • VOL. Das ar und Februar 1819 finden sich in Goethes Tagebuch hält am selben Tag fest: Brief an Nachlass: Geheftet in einen blauen Folioum- Amts-Physikus Urban nach Creuzburg.117 schlag ist die Tabellarische Uebersicht von Urban hatte ihm am 5. Januar – zwei Tage naturhistorischen Erfahrungen und anderen darauf folgt das Dankschreiben wegen der erwrdigeiten i ahr gesaelt Aufnahme in die Mineralogische Gesellschaft u aufgestellt vom D. Urban, Creuzburg d. zu Jena – geschrieben: Ferner unterstehe ich an vom Schreiber Johann August mich, Hochdenenselben eine Probe der Ta- Friedrich John (1794–1854) mit der Aufschrift bellarischen Übersicht, von naturhistorischen versehen: Tagestabellen monatsweise verfaßt Erfahrungen und andern Merkwürdigkeiten von r rban in Kretbrg .120 Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 61

Schwager Vulpius bei sog. Bäckersteins an der Georgenkirche. Urban in Creuzburg Beide Männer begegnen sich wohl am Mitt- woch, dem 22. Oktober 1817 in Creuzburg; Schon im Herbst zwei Jahre zuvor sind in den Briefen an Goethe und Voigt vom in zwei dienstlichen Briefen des Bibliothe- 21. Oktober schreibt Vulpius, daß er mor- kars Christian August Vulpius Creuzburg gen nach Kreuzburg gehen werde, um die und Dr. Urban erwähnt: Vulpius teilt am vom Dr. Urban angezeigten Grabhügel zu 21. Oktober 1817 aus Eisenach Goethe mit: besichtigen. Viermal ist der Amtsphysikus im Das Wetter ist nicht günstig, sonst wär ich zweiten Berichtsteil erwähnt, der mit diesen nach Krebrg gegangen die dort befindl Worten beschlossen wird: Dem D. Urban Grabhügel zu besuchen; vielleicht kann es habe ich agetragen eiig in seinen ach- morgen geschehen.121 Und an Goethes Mi- forschungen fortzufahren, und zuweilen da- nisterkollegen Voigt schreibt der Schwager: rüber etwas von sich hören zu lassen. Soweit Wenn es das Wetter erlaubt, will ich morgen sind meine diesmaligen Entdeckungen und nach Kreuzburg, dort die vom Dr. Urban Verrichtungen gegangen, […]. angezeigten Grabhügel zu besichtigen.122 Der im Goethe- und Schiller-Archiv in Wei- mar aufbewahrte Unterthänige Bericht vom Großherzogliches Reskript 30. Oktober 1817 Rath Vulpius: Relationen vom 14. März 1817 von seinen Reisen nach Gotha, Eisenach in antiarischer Hinsicht123 versammelt Die im amtlichen Auftrage durchgeführ- dessen auf der Eisenacher Reise gemachte ten Studienreisen sind durch ein Rescript Erfahrungen, Betrachtungen, Erforschungen vom 14. März 1817 ebenso kräftig befördert pp. worden wie jene selbst durch die Vorgänge Die Eisenacher Reise erfolgte auf Kosten um die Blankenhainer und Kranichfelder der Oberaufsicht, zugleich mit der Über- Schnitzwerke sowie die Heilsberger Inschrift reichung des Berichts wird die Rechnung angeregt wurde. Carl August fordert die Im- der Unkosten und des Betrags dieser Rei- mediat-Commission zu Nachforschungen se beigelegt. In der Anfügung A. schildert in ihrem Wirkungskreise auf: Veste, Würdi- Vulpius ausführlich Die Feier des Festes auf ge und Hochgelahrte Räthe, liebe Andäch- der Wartburg und zu Eisenach vom 18 bis tige und Getreue! Da Wir über die in den 22 Oktober 1817, in der Anfügung B. Die Kirchen und Gewölben, Kreuzgängen und Wartburg, Eisenach, Kreuzburg; den 17 bis Vorhallen zerstreuten kirchl. Kunstdenkma- 25 Oktob. 1817 kommen altertumskundli- le, Innschriften und Embleme, die sich durch che Untersuchungen zu Wort. Briefe, Notate deutsche Art und Kunst auszeichnen, oder und Zeichnungen sind beigegeben, die sich durch Beziehungen auf gleichzeitige Ereigni- mit der Deutung alter Eisenacher und Creuz- ße, oder sonst ein Intereße gewinnen, eine burger Inschriften befassen: […] ich aber, genaue Uebersicht zu erhalten wünschen; ging in die Stadt hinab, zurück, besah die so ergeht an Euch Unser gnädigstes Begeh- äeren onente der Hatirche wo- ren, Ihr wolltet in Eurem Wirkungskreise die von ich im zweiten Berichte sprechen wer- erforderlichen Nachrichten einziehen und de ndessen besorgte ich doch eine den Erfolg berichten. Diesem Rescript gin- getreue Kopie des Steins an der Hauptkirch- gen zwey gnädigste Rescripte voraus, wegen thür welchen Dr. Urban zu Kreuzburg eben eintretendem Reformationsfeste kommen so sonderbar abgebildet, als erklärt hat, wie die Gegenstände dringender zur Sprache, die Beilagen bezeigen. Es handelt sich um schreibt Goethe in seinem Unterthänigsten Urbans Erklärungen und Zeichnungen des Bericht.124 (Abb. 8) 62 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

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der eine betreibt die Wetterkunde wohl mehr Wetter und Wolken – Urbans in theoretischer Absicht, der andere, um sein Streitschrift über Gewitter spärliches Einkommen zu erhöhen: Die er- und Wetterableiter probten und zu sehr geringem Preis gefertig- ten Urban’schen Wetterableiter hatten, heißt Beide – Goethe und Urban – haben sich es im Nachruf, einen Ruf in der ganzen Um- um das Wetter und die Wolken gekümmert; gegend.125 Aus Goethes Bibliothek können Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 63 wir noch heute Urbans Widerlegung gewisser Vorurtheile, welche noch bei Gewittern herr- schen. Auch über den Nutzen der Wetterab- leiter126 in die Hand nehmen, darin blättern und lesen. (Abb. 9) Der Verfasser eignet diese Schrift in tiefster Ehrfurcht dem Durchlauch- tigsten Fürsten und Herrn Herrn Carl August zu. In die Dedikation – unterzeichnet vom unterthänigsten Knecht Stregda, d. 17. Junii – läßt Urban alle Vorzüge seines Gön- ners einfließen und dankt ihm für die mir er- theilte gnädigste Erlaubnis, in Höchstderosel- bigen Landen, meine Kunst als praktizirender Arzt ausüben zu dürfen. Ein biographisches Detail aus der Vorrede erfordert unsere Auf- merksamkeit: Dr. Urban informiert darü- ber, dass unser Durchlauchtigster Fürst die höchste Entschliessung faßte, nicht allein die Anlegung der Wetterableiter in Höchstdero- selbigen Landen zu verstatten, sondern auch befohlen haben, daß das Fürstenhaus [in Ei- senach] damit versehen werden soll, und mir zur Ausführung dieses Geschäfts die Direkti- on übertragen worden ist.127 Eignet sich diese Selbstauskunft, die Ermittlung eines Namens erfolgversprechender zu führen? Wenige Jah- re später zollt der stets gut informierte Goethe einem namentlich nicht genannten jungen Mann in Eisenach seine Anerkennung; seine sichere Kenntnis in der Sache bewegt ihn zu solcher Würdigung, er spricht kenntnisreich über ihn und andere Männer der Wissen- bb : iderlegng gewisser orrtheile welche schaft, benamst ihn aber nicht. Er erinnert noch bei Gewittern herrschen. Auch über den sich an den jungen Mann und verschweigt ten der etterableiter itelblatt ihn und seine Leistung nicht. Hat er den Na- men vergessen oder verdrängt, verschweigt Wissenschaft und Technik einschließlich er ihn bewusst – darüber lässt sich heute nur der Institutionen und Sammlungen im Her- spekulieren. Unsere Nachforschungen erge- zogtum überschaut. So ist eine Topographie ben folgendes Bild. der Weimarer Kulturlandschaft (Friedmar Apel) entstanden – vom Zeicheninstitut, den Sammlungen und dem Römischen Haus u. Männer der Wissenschaft seinen Rissen über das Theater (410 neue Stücke seit 1784) zu den Verhüttungsversu- In der zweiten Novemberhälfte 1795 ent- chen in Ilmenau, dem Wunsche einer virtu- steht der Aufsatz Über die verschiedenen alen Vereinigung der Bibliotheken (Goethes Zweige der hiesigen Thätigkeit. Ein Vortrag Plan eines Gesamtkatalogs der weimarischen (Abb. 10), der die Bestrebungen in Kunst, Bibliotheken erläutert 1928 Karl Georg Bran- 64 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 dis128), den Problemen der Feuerlöschungs- sie entzündete wie immer das Feuer im Ofen maschinen, der Zucht- und Irrenhäuser, und die Lampen im Salon: Nun ein Wort von auch der Rindviehzucht. Ob dieser Aufsatz der Freitagesgesellschaft: den ersten Freitag am 27. November 1795 von Goethe in der waren sie beinahe alle da, den 2. nur etliche, Freitagsgesellschaft vorgetragen wurde, wie und gestern gar kein Mensche. Ich hatte alles Robert Steiger annimmt, bleibt unklar. Ein Ta- wie immer besorget, und das schöne Holz gebucheintrag Knebels Abends in der Gesell- verbrennt, und halb 1 Uhr kam der junge schaft bey Göthe belegt eine Zusammenkunft Voigt [Christain Gottlob Voigt 1774–1813) an diesem Freitag, ein Brief Goethes aus den und sagt erst, daß niemand käme. […] man ersten Dezembertagen an Carl Wilhelm von verbrennt das Holz, gibt das Geld aus, und Humboldt bezeugt: Die Freitagsgesellschaft es kommt kein Mensch. Zwei Tage zuvor be- hat wieder angefangen, sodaß also das Licht dankt sich Goethe herzlich beim Vater des der Kenntnisse, das übrigens ziemlich un- jungen Voigt, dass er die Freytagsgesellschaft ter dem Scheffel steht, wenigstens einmal aufrecht zu erhalten die Güte habe. Voigt Va- die Woche in meinem Hause leuchtet.129 ter, der den abwesenden Hausherrn vertritt, Das Plappermaul am Musenhof (Ernst Os- meldet, als er selbst nicht mehr erscheinen terkamp) Carl August Böttiger (1760–1835) konnte, zeitgleich mit Christiane: Ich schickte wohnte am 4. November 1791 zum ersten- daher meinen Sohn in Dero Haus, wo er mit mal einer Sitzung der neuen gelehrten Ge- ein paar gelehrten Freunden zubrachte, ohne selschaft bei; die jeweils am ersten Freitag daß doch etwas gegeben worden. Es tut mir eines Monats stattfindenden Gelehrtentreffen leid, ausbleiben zu müssen.130 begannen am 9. September 1791 und sind bis Anfang 1797 nachweisbar. Unter dem Ti- tel Versammlungen bei der Herzogin Amalie Die Bilanzen des Vortrages sind Böttigers Niederschriften der Sitzungen vom 4. November 1791, 17. Februar, 2. und Nach der Jenaischen Akademie (Univer- 23. März 1792 überkommen, Aufzeichnun- sität), den Bibliotheken (die Aufzählung be- gen über weitere Sitzungen sind nicht über- ginnt mit der hiesigen Großherzoglichen liefert: zwei versprochne Abhandlungen … Bibliothek) und dem Jenaischen Museum (zu- mußten wegen Kürze der Zeit aufs künftige nächst das herzogliche Naturalienkabinett, mal aufgehoben bleiben. Diese edele Fürstin mehrere Privatsammlungen) kommt die Rede ist es, der Weimars denkende Köpfe einen ge- etwa in der Mitte auf die Physik, ihr folgen meinschaftlichen Versammlungsort in ihrem Chemie, Mathematik und Mechanik: Was Palais verdanken. Herzog und Herzoginnen seit mehrern Zeiten in der Physik bei uns ge- stehen mitten im Zirkel, alles ist zwanglos: schehen und noch immer geschieht, was wir Jeder sitzt, wo er hin zu sitzen kommt, […] denen Wiedeburg, Succow, Voigt und Batsch immer 3 Stunden, von Abends 5 Uhr bis 8 verdanken, würde man mit Vergnügen aner- Uhr, dauert eine Session. Böttigers Protokolle kennen.131 Lob und Anerkennung gelten dem informieren eindrucksvoll über die Freitags- Botaniker August Johann Georg Carl Batsch gesellschaften aus der Zeit vom November (1761–1802), seit 1787 Professor der Medizin 1791 bis Ende März 1792. Bis zum Oktober und Botanik in Jena, Lorenz Johann Daniel 1794 gibt es keine Notizen bei Goethe, er ist Succow (Suckow) (1722–1801), Professor der oft und für längere Zeit abwesend, versäumt Mathematik und Physik in Jena, dem Mathe- die Sitzungen, 1794/95 verabredet man sich matiker Johann Heinrich Voigt (1751–1823), auf wöchentliche Versammlungen. Über den Professor der Mathematik und Physik in Jena, rapiden Besucherrückgang klagt die Haus- und dem Physiker und Astronom Johann Ernst frau Christiane Vulpius Anfang März 1796, Basilius Wiedeburg (1733–1789), er war Pro- Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 65

bb : oethe ber die verschiedenen weige der hiesigen hätigeit S l r fessor der Physik in Erlangen und Jena. Es sind 1813 zu Weimar gestorben, jüngster Sohn Persönlichkeiten, die ihre Disziplinen geprägt von Christian Gottlob von Voigt (am 30. Ja- haben. Aktuelle Themen, z. B. die Diskussio- nuar 1807 in den Adelsstand erhoben133) und nen um die Elektrizität, greift Goethe auf und seiner (ersten) Ehefrau Johanna Viktoria verw. lobt die Männer, die seine Aufmerksamkeit Michaelis geb. Hufeland (1741–1815), war geweckt haben; zunächst spricht er von sich: ebenso wie sein Vater Helfer und Freund. Ich würde von meinen eigenen Versuchen in Christian Voigt d. J. ist eingeweiht und zu einem beschränkten Fache sprechen dürfen, Rate gezogen bei verschiedenen Anliegen, um unmittelbar anzuschließen (hier nach der bei der Gründung und Etablierung der neuen Handschrift zitiert): so wie diejenigen nicht zu Jenaischen Allgemeine Literatur-Zeitung steht vergessen wären die gewisse Theile, beson- er Goethe in praktischen Dingen zur Seite. ders die Electricität bearbeitet haben so wie Ein Brief aus dem Dezember 1803 offenbart in Eisenach ein junger Mann wegen der Ge- ein vertrauliches Verhältnis beider, Goethe witterableiter bekannt ist. In der linken Spalte scherzt: Da die Fabrik des Alten Literarischen des längs gefalteten Blattes vermerkt Goethe Zahnpulvers nun völlig weggewichen, so zu dieser Stelle: Junger Voigt Barometer Eleck- muß man sehen, ob die Neue in Reinigung tricität.132 des Gebisses, welches die Autoren gewöhn- lich vernachlässigen, eine bessere und durch- greifende Wirkung thut. Drei Monate zuvor Der junge Voigt und Mundkoch findet sich unter Nummer 19 Regierungsrath Goullon als Rezensenten Voigt in einem ersten Verzeichnis, das Hein- rich Carl Abraham Eichstädt (1771–1848) zu- Der junge Voigt, Voigt Sohn (so in der Tage- geschickt wurde. Die erste Liste An Eichstädt. buchnotiz am 16. Januar 1799) wird ihm gut Recensenten betreffend nennt 28 Personen, bekannt und vertraut werden: Christian Gott- denen eine Einladung zur Teilnahme an der lob Voigt, in Allstedt geboren, am 19. Mai JALZ zugesendet soll; sie kommen aus Berlin 66 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

(6), Stolpe in Pommern (1), Halle (3), Leip- Mit der Wendung nicht vergessen bzw. zig (1), Wien (2), Regensburg (1), Frankfurt nicht zu vergessen erwähnt Goethe einen am Main (1), Rom (1), Jena (2), Weimar (9) jungen Steinschneider, die Büttnerische Ar- und Paris (1). In der Rezensentenliste für die beit, das mit Beyfall fortgesetzte Bilderbuch Jahre 1804–1813 ist der junge Voigt nicht und diejenigen […], die gewisse Theile, be- verzeichnet. Ob es von ihm eine generelle sonders die Electricität bearbeitet haben, Zusage gab, er aber keine Beiträge geliefert so wie in Eisenach ein junger Mann wegen hat, ist hier nicht zu klären; jedenfalls sind der Gewitterableiter bekannt ist. Friedrich keine Beiträge eingereicht worden. Aber, der Wilhelm Facius (1764–1843) ist der junge Mundkoch Durchlaucht der Herzogin Mutter, Steinschneider, den Goethe zeitlebens hoch Goullon, ist im Verzeichnis einiger Recensen- schätzt. Bei der Büttnerischen Arbeit han- ten zu den noch offenen Fächern genannt, delt es sich um die Bibliothek des Göttinger Goethe schlägt ihn für die Kochbücher vor.134 Professors Christian Wilhelm Büttner (1716– 1801) und dessen Arbeit über den Ursprung der Sprachen, die jedoch über Anfänge nicht Wer ist der junge Mann aus hinaus kam. Das fortgesetzte Bilderbuch für dem Eisenachischen? Kinder erschien 1790 bis 1824 bei Friedrich Johann Justin Bertuch (1747–1822). Wer aber Vier Jenaer Professoren werden nament- ist der junge Mann in Eisenach, der wegen lich genannt; diejenigen, die nicht zu verges- der Gewitterableiter bekannt ist?135 sen wären, erhalten im von Geist niederge- schriebenen Text durch Goethes Hand einen ergänzenden Vermerk; für den jungen Mann Goethes Ballonversuche in Eisenach ist in der Handschrift kein Name hinzugesetzt. Es spricht einiges für die Annah- Mit den Jenaer Professoren stand Goethe me, dass hier ein Verschweigen des Namens in Verbindung, verfolgte deren und anderer nicht bedeuten muss, dass Goethe sich nicht Arbeit und nahm lebhaften Anteil an der mehr an ihn erinnert. Den chtigen Ent- praktischen Umsetzung von Forschungser- wurf eines Schema’s der hiesigen Thätigkeit, gebnissen. Aus dem handschriftlich erhal- von Goethe am 25. oder 26. November 1795 tenen Überblick Naturwissenschaftlicher Voigt zuschickt (Schema der hießigen Thätig- Entwicklungsgang von 1821 ist die Vielfalt keit in Künsten, Wissenschafften und andern seiner Interessen, Studien und eigenen Un- Anstalten), versehen beide mit handschriftli- tersuchungen sowie Versuche erkennbar: chen Korrekturen und Zusätzen; im Schema Von Physik und Chemie, Wetterableiter und zu einem Vorlesungsplan (Helma Dahl) mit Elektrizität, Farbenlehre und Regenbogen, den Einschiebseln Voigts (Hans Tümmler) ist Galvanismus und Magnetismus, aber auch unter Physik (hier nach der WA zitiert) notiert: von der Förderung durch Wilhelm Heinrich Wiedeburg Succow Voigt Batsch Eigne Versu- Buchholz (1734–1798) und Johann Friedrich che Gewitterableiter in Eisenach. In der Nie- August Göttling (1753–1809) geht die Rede, derschrift von Geists Hand setzt Goethe beim und von Ballonversuchen: Er beteiligt sich Stichwort Phÿsik hinzu Wiedeburg. Gewitter- an Dr. Buchholz’ Ballonversuchen 1783 und ableiter in Eisenach., nach den Professoren 1785, macht 1784 eigene Versuche, im Mai Succow, Voigt und Batsch Eigne Versuche. des Folgejahres äußert er sich erneut darüber. Die Niederschrift des Schemas kennt für die Am Jahresende 1783 fällt der Entschluss, die hinzugefügten Gewitterableiter in Eisenach Sache selbst anzugehen: Buchholz peinigt keinen Namen, die Manuskriptfassung aber vergebens die Lüffte, die Kugeln wollen nicht einen allerdings namenlosen jungen Mann. steigen. Eine hat sich einmal gleichsam aus Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 67

Bosheit bis an die Decke gehoben und nun grose Comet; schon habe ich an Schrön nach nicht wieder. Ich habe nun selbst in meinem ena geschrieben eine vorläfige saen- Herzen beschlossen, stille anzugehen, und stellung der Notizen über ihn zu machen, da- hoe a die ontgolfiers rt eine ngehe- mit man einen so merkwürdigen Herrn wohl re Kugel gewiß in die Lufft zu jagen. Wieland vorbereitet und würdig empfange. Der Brief informiert am 4. Februar 1784 Merck von ei- an Heinrich Ludwig Friedrich Schrön (1799– nem „erfolgreichen“ Versuch im Wittumspa- 1875) ging am 12. Februar ab. Ein Jahr später, lais: Heute Abend hat der Herzog in seiner am 27. Februar 1832, las er die Berichte über Frau Mutter Hause zum erstenmale cum suc- die Anlage der ersten Eisenbahnstrecke von cessu einen kleinen Luftball aus Ochsenbla- Liverpool nach Manchester: Die Eisenbahn sen steigen lassen Er der all nehlich og von Liverpool nach Manchester, ein interes- bis an die Decke, und versuchte sich durch- santes Heft durchzugehen angefangen.139 zubohren; weils aber nicht angieng, zeigte man ihm endlich den Weg zur Thüre hinaus, er og eine ree hina nd stieg bis in die Der junge Mann im Mansarde, Hallelujah!136 Eisenachischen – ist das Urban? Die Ballonfahrt nimmt aber eher eine Randstellung (Manfred Wenzel) im Spektrum Es erscheint plausibel, den Namen des jun- seiner naturkundlichen Arbeiten ein, diese gen Mannes im Eisenachischen mit Christian physikalische Grübelei (Wilhelm Bode) en- Gotthold August Urban anzugeben; bei aller det bald, andere wissenschaftliche Fragen gebotenen Vorsicht spricht einiges für diese treiben Goethe um: In den letzten Tagen des Festschreibung, wenn auch die Quellenla- Jahres 1784 deutet sich die Richtung an, die ge problematisch bleibt. Bei Böttiger gibt es wühlenden Bewohner des Ettersbergs be- Hinweise auf Goethes Lektüre des Kaiser- unruhigen seit Gemüt. Er hofft, Carl August lich privilegirten Reichs-Anzeigers 1794/95, möge der Jägerey entsagen und den Seinigen Robert Steiger dokumentiert sie; ob Goethe ein Neujahrsgeschenk machen. Ich halte mir hier erneut auf Urban und nun dessen Auf- für die Beunruhigung des Gemüths, die mir satz Beytrag zu der Geschichte der Wetter- die Colonie seit ihrer Entstehung verursacht, scheiden, deren im R. A. so oft geschehen ist nur den Schädel der gemeinsamen Mutter aufmerksam wurde?140 Zeugnisse und Zeu- des verhassten Geschlechts aus, um ihn in gen für diese Zuschreibung sind selten und meinem Cabinete mit doppelter Freude auf- gesucht, Urban ist Goethes prominentester zustellen.137 Creuzburger, dessen einziges, überliefer- Die eigenen Versuche in einem beschränk- tes Buch vermutlich beim Bibliotheksbrand ten Fach – ob es sich dabei um jene Ballon- 2004 vernichtet worden ist. Glücklicherwei- versuche handelt, ist eher unwahrscheinlich. se hat ein Exemplar in Goethes Bibliothek Manfred Wenzel argumentiert, das be- am Frauenplan die Zeitläufte überstanden. schränkte Fach sei die Optik als Teildisziplin Quellen für den Eingang des Druckes sind der Physik. Die Versuche mit der Ballonfahrt nicht bekannt, auch im von Friedrich Theo- waren zu vereinzelt, als dass sie in der Zu- dor Kräuter (1790–1856) angelegten Kräu- sammenschau der hiesigen Thätigkeit hätten terschen Catalogus Bibliothecae Goethianae erwähnt werden müssen.138 Bis an sein Le- gibt es keine Hinweise.141 Goethes (zunächst) bensende war Goethe auch in diesen Dingen eigenhändig angelegte Bücher-Vermehrungs- wissbegierig und aufmerksam; im Februar listen beginnen erst 1821, sie reichen bis 1831 mahnt er die Sternwarte in Jena, sich 1826. Im Jahr darauf stirbt Urban, Schwager auf den Empfang des Kometen vorzubereiten, Vulpius und seine geliebte Lotte verlassen der 1834 erwartet wird: Im J. 1834 kommt der ihn ebenfalls. 68 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Anmerkungen sere Heimat. Auf den Spuren des Dich- terfürsten im Werraland – ein Blick in die 1 Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Nachbarschaft, in: Eichsfeld. Monatszeit- Goethe in den letzten Jahren seines Le- schrift des Eichsfeldes 44 (2000), S. 81–85. bens. Hg. von Regine Otto unter Mitarbeit 7 Vgl. Frank Boblenz, Sachsen-Weimar von Peter Wersig, Berlin 1982, S. 72–74, und Eisenach oder Sachsen-Weimar-Eise- hier: 73. nach? Zur Bezeichnung von Herzogtum 2 Friedrich Wilhelm Riemer, Mitteilungen und Großherzogtum sowie der regie- über Goethe. Auf Grund der Ausgabe von renden fürstlichen Familie ab 1741, in: 1841 und des handschriftlichen Nachlas- Weimar-Jena: Die große Stadt 8/2 (2015), ses hg. von Arthur Pollmer, Leipzig 1921, S. 111–130. S. 198–201, hier: 199. 8 Tagebucheintrag 12. September 1779, in: 3 Goethe. Vorlesungen gehalten an der Kö- WA III, 1, S. 98. niglichen Universität zu Berlin von Herman 9 Fourierbuch auf das Jahr 1779. Derma- Grimm. Zweiter Band, Berlin 1877, S. 44– len geführet von Johann Christoph Waitz 65, hier 58: Er war weder in Paris, geschwei- Hof-Fourier (Hofhaltung des Herzogs ge in London, noch in Wien gewesen. Vgl. Carl August), ThHStAW, Hofmarschall- dazu Jörg Aufenanger, Hier war Goethe amt Nr. 4528, S. 161. – Fourierbuch auf nicht. Bibliographische Einzelheiten zu Go- das Jahr 1775, Nr. 4524, 8., 10., 12. und ethes Abwesenheit, München 2002. 15. November 1775, S. 263, 265, 267, 270 4 Johann Wolfgang Goethe, Aus meinem (jeweils Fürstl. Tafel Mittags, Marschalls Leben. Dichtung und Wahrheit. Zweiter Tafel). Theil. Neuntes Buch, in: Goethes Werke. 10 Wieland an Merck vom 21. September Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie 1779, in: Goethe in vertraulichen Briefen von Sachsen. I. Abteilung. 27. Band. Nach- seiner Zeitgenossen. Zusammengestellt druck der Ausgabe Weimar 1887–1919, von Wilhelm Bode. Neu hg. von Regine München 1987, S. 243–244 (im Folgenden Otto und Paul-Gerhard Wenzlaff, Bd. I WA); Johann Peter Eckermann, Gespräche 1749–1793, Berlin 1979, Nr. 385 S. 239. mit Goethe in den letzten Jahren seines Le- 11 Tagebucheintrag 6. September 1779, in: bens. Hg. von Regine Otto unter Mitarbeit WA III, 1, S. 97. Die Ernennungsurkunde von Peter Wersig, Berlin 1982, S. 312–313, ist ausgestellt am 5. September 1779, ab- 751; WA IV, 1, S. 278: […] die beiden Strass- gedruckt bei Joseph A. von Bradish, Go- burger Briefe an Horn vom Juli und Decem- ethes Beamtenlaufbahn, New York 1937, ber 1770 [haben] sich wider Erwarten nicht S. 215–216. Die öffentliche Bekannt- im Goethearchiv vorgefunden. Vgl. Der machung der Ernennung erfolgte in den junge Goethe. Neu bearbeitete Ausgabe in Weimarischen Wöchentlichen Anzeigen, fünf Bänden. Hg. von Hanna Fischer-Lam- Num. 72. Mittwoch, den 8ten September berg, Berlin u. New York 1999, Bd. II, April 1779, S. 285. 1770–September 1772, S. 319 (Verlorenes 12 Goethe-Handbuch. Goethe, seine Welt und Zweifelhaftes); Johann Adam Horn. und Zeit in Werk und Wirkung. Zweite, Goethes Jugendfreund. Hg. von Heinrich vollkommen neugestaltete Aufl. […] hg. Pallmann, Leipzig 1908, S. 74. von Alfred Zastrau. Bd. 4, Karten der Rei- 5 WA I, 28, S. 81. sen, Fahrten, Ritte und Wanderungen Go- 6 Vgl. Karl Kollmann, Goethe und unsere ethes, Stuttgart 1956, S. 18–20. Heimat. Auf den Spuren des Dichterfürs- 13 Wilhelm Bode, Goethes Leben. 1776– ten im Werraland, in: Das Werraland Heft 1780. Am Bau der Pyramide seines Da- 4 (1999), S. 85–87; ders., Goethe und un- seins, Berlin 1925, S. 430. Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 69

14 Goethe an Katharina Elisabeth Goethe gen, Schwarzkunstblätter, Lithographien vom 9. August 1779, in: WA IV, 4, Nr. 836 und Stahlstiche, Handzeichnungen und S. 49–51. Gemälde, beschrieben von Chr[istian] 15 Goethe an Katharina Elisabeth Goethe Schuchardt, Jena 1848, S. 266 Nr. 341; Mitte August 1779, in: ebd., Nr. 837 S. 51– Hans Wahl, Goethe als Zeichner der 53. deutschen Landschaft 1776–1786, 2Er- 16 Katharina Elisabeth Goethe an Herzogin furt, S. 56, Abb. 28; Corpus der Go- Anna Amalia vom 24. September 1779, in: ethezeichnungen. Bd. I, Nr. 1–318. Von Die Briefe von Goethes Mutter. Nach der den Anfängen bis zur Italienischen Rei- Ausgabe von Albert Köster. Hg. von Mario se 1786. Bearbeiter der Ausgabe Ger- Leis, Karl Riha und Carsten Zelle, Frankfurt hard Femmel, Leipzig 1958, S. 80–81, am Main 1996, Nr. 52 S. 102–104. Abb. 211 (S. 246). 17 Johann Caspar Goethe, Liber domesticus 25 Josef Müller-Fleißen, Goethe zeichnet in 1753–1779. Übertragen und kommentiert Bischhausen, in: Das Werraland, 4. Jg. von Helmut Holtzhauer unter Mitarbeit 1952, Heft 3, S. 33–35. von Irmgard Möller. 2 Bde., Leipzig 1973, 26 Postarum seu Cursorum Publicorum di- Bd. 1, S. XXI, Bd. 2, S. 249, 256, 262, 271, verticula et mansiones per Germaniam 429; S. 208, 424. et Confin[es] Provincias opera et manu 18 Carl Ruland, Des Herrn Rath Haushal- M. Seutteri, S. C. M. Geogr[apho], Aug[usta) tungsbuch, in: Weimars Festgrüße zum Vind[elicorum], [1727]. dem Freien Deutschen Hochstift dar- (30.11.2018); Mappa Geographica exhi- gebr. von der Großherzogl. Bibliothek, bens Postas omnes tam vehiculares quam dem Goethe-National-Museum, dem veredarias Totius Germaniæ. […] Tobias Goethe-Archiv, Weimar 1899, S. 55–92, Conrad Lotter Geographo, Aug[usta] Vin- hier: 90. Hier wie auch auf S. 65 zur städ- delicorum [1769]. (30.11.2018). 19 Goethe an Charlotte von Stein vom 20. Sep- 27 Goethe’s Kunstsammlungen. Erster Theil: tember 1779, in: WA IV, 4, Nr. 848 S. 62. Kupferstiche, Holzschnitte, Radirun- 20 Katharina Elisabeth Goethe an Herzogin gen, Schwarzkunstblätter, Lithographien Anna Amalia vom 24. September 1779, in: und Stahlstiche, Handzeichnungen und Die Briefe von Goethes Mutter. Nach der Gemälde, beschrieben von Chr[istian] Ausgabe von Albert Köster. Hg. von Mario Schuchardt, Jena 1848, S. 267 Nr. 346; Leis, Karl Riha und Carsten Zelle, Frankfurt Hans Wahl, Goethe als Zeichner der am Main 1996, Nr. 52 S. 102–104. deutschen Landschaft 1776–1786, 2Er- 21 [Karl Wilhelm Schumacher], Kurtze Un- furt, S. 55, Abb. 24; Corpus der Goethe- glücks Chronik der sonst berühmten ietzo zeichnungen. Bd. I, Nr. 1–318. Von den aber größthenteils in der Asche liegenden Anfängen bis zur Italienischen Reise Stadt Creuzburg, Eisenach 1765. 1786. Bearbeiter der Ausgabe Gerhard 22 WA I, 26, S. 186. Der ausdrückliche Be- Femmel, Leipzig 1958, S. 81, Abb. 212 fehl, von dem Goethe hier spricht, lässt (S. 246). sich nicht nachweisen. 28 Jochen Klauß, Goethes Deutschland. Orte 23 Tagebucheintrag 13. September 1779, in: und Stätten von Aachen bis Zwickau aus WA III, 1, S. 98. der Sicht des Dichters, Stuttgart 1998, 24 Goethe’s Kunstsammlungen. Erster Theil: S. 53–55, 219. Kupferstiche, Holzschnitte, Radirun- 29 Wie Anm. 25. 70 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

30 Goethe an Charlotte von Stein vom schichte. Hg. von Franz Schnorr von Ca- 15. September 1779, in: WA IV, 4, Nr. 846 rolsfeld. XI. Band, Leipzig 1882, S. 96–98, S. 60–61. hier: 98. – Goethe aß am 5. und 6. Juli zu 31 Campagne in Frankreich 1792, WA I, 33, Abend bei Voß. S. 247–248. 39 Katharina Elisabeth Goethe an Goethe 32 Goethe an Carl Friedrich von Rein- vom 20. März 1801, in: Die Briefe von hard 14. November 1812, in: WA IV, 23, Goethes Mutter. Nach der Ausgabe von Nr. 6422 S. 148–154, hier: 153. Albert Köster. Hg. von Mario Leis, Karl 33 Katharina Elisabeth Goethe an Goethe Riha und Carsten Zelle, Frankfurt am Main vom 14. Dezember 1792, in: Die Briefe 1996, Nr. 313 S. 471–472, hier: 471. von Goethes Mutter. Nach der Aus gabe 40 Siehe GSA 37/XIII,1 und Joseph A[rno] von Albert Köster. Hrsg. von Mario Leis, Bradish, Sechs unveröffentlichte Urkun- Karl Riha und Carsten Zelle, Frankfurt am den zu Goethes Ehe. Ein Nachtrag zur Main 1996, Nr. 185 S. 297–298, hier: 298; Castle-Festschrift, in: Chronik des Wiener Goethe an Katharina Elisabeth Goethe Goethe-Vereins 61 (1957), S. 30–37. vom 16. Oktober 1792, in: WA IV, 10, 41 Der Vermerk des Botenmeisters mit dem Nr. 2955 S. 35; Goethe an Katharina Eli- Titel Kanzleisekretär Johann Nicolaus sabeth Goethe vom 24. Dezember 1792, Wickler (1732–1804) Insinuiert der von in: Ebd., Nr. 2964 S. 42–44, hier: 44; Ta- Goethischen Haushälterin durch den Regie- gebucheintrag 26. Dezember 1792 (Fran- rungsdiener Harseim findet sich so nur bei ckf. Mutter. Mit dem ostensiblen Brief), Joseph A[rno] Bradish, Sechs unveröffent- in: WA III, 2, S. 32. rrtlich nter lichte Urkunden zu Goethes Ehe. Ein Nach- gedruckt, siehe WA IV, 10, S. 373. trag zur Castle-Festschrift, in: Chronik des 34 Thomas Mann, Phantasie über Goethe, Wiener Goethe-Vereins 61 (1957), S. 35. Si- in: Thomas Mann, Goethe’s Laufbahn als grid Damms Zitat insinuiert eine Autopsie, Schrifsteller. Zwölf Essays und Reden zu ihre Darstellung ist aber problematisch, die Goethe, Frankfurt am Main 1982, S. 247. Dokumente GSA 37/XIII,1 (siehe Anm. 39) 35 Eine alte Dame erinnert sich … Autobio- ergeben ein anderes Bild: Kanzler Johann graphische Skizze der schon betagten Ul- Friedrich von Koppenfels (1738–1811) rike von Levetzow, in den Jahren zwischen (nicht Wickler) zeichnet am 12. Juni (nicht 1868 und 1887 auf Schloss Trziblitz nie- Juli) 1801 für die Übersendung (wird … im dergeschrieben, in: Johann Wolfgang von Anschluß originaliter übersendet) des von Goethe, Ulrike von Levetzow „… keine Carl August unterschriebenen Diploms, das Liebschaft war es nicht“. Eine Textsamm- Schreiben Koppenfels’ endet: Dem Vesten lung hg. von Jochen Klauß, Zürich 1997, Herrn Johann Wolfgang von Göthe, Fürst. S. 7–21, hier: 21. Sächß. Geheimen Rath, allhier, zu insinuie- 36 Katharina Elisabeth Goethe an Goethe ren. Wicklers Kanzleivermerk zur Übergabe vom 7. Februar 1801, in: Die Briefe von durch den Regierungsdiener Johann Caspar Goethes Mutter. Nach der Ausgabe von Harseim existiert nicht mehr, der Bestand Albert Köster. Hrsg. von Mario Leis, Karl Landesregierung 3017 ist am 13. April 1945 Riha und Carsten Zelle, Frankfurt am Main im damaligen Archivdepot Bad Sulza durch 1996, Nr. 311 S. 468–469. einen Brand vollständig vernichtet worden. 37 So die Formel im Legitimations-Diplom, Vgl. Volker Wahl, Das Schicksal der Zweig- das am 15. Mai 1801 ausgestellt wird stelle Bad Sulza des Thüringischen Staats- (GSA 37/XIII,1). archivs Weimar zum Kriegsende 1945, in: 38 Brief Heinrich Voss an Karl Solger vom Mitteilungsblatt ARCHIVE IN THÜRINGEN 6. Juli 1803, in: Archiv für Litteraturge- 8/1995, S. 27–31. Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 71

42 Tag- und Jahres-Hefte als Ergänzung mei- www.bad-berka.de/uploads/tx_bbamts- ner sonstigen Bekenntnisse (1801), in: WA blatt/05_06.pdf> (30.11.2018). I, 35, S. 110–112. 50 Tag- und Jahres-Hefte als Ergänzung mei- 43 Tagebucheintrag 12. August 1801, in: WA ner sonstigen Bekenntnisse (1801), in: WA III, 3, S. 31; Tag- und Jahres-Hefte als Er- I, 35, S. 113. Vgl. zur Saline: Kurze Nach- gänzung meiner sonstigen Bekenntnisse richten von dem Nutzen und Gebrauche (1801), in: WA I, 35, S. 107. des Creuzburger Düngsalzes, nach vielen 44 Tagebucheintrag 17. Mai 1815, in: WA III, angestellten Versuchen gesammlet und 5, S. 161; Goethe’s Werke. Vollständige entworfen von einigen Liebhabern ökono- Ausgabe letzter Hand. Vierter Band. Stutt- mischer Wissenschaften, Eisenach [1768]; gart und Tübingen 1827, S. 146; Goethe Tagebucheintrag 21. und 22. August 1801, an Georg Sartorius vom 10. Oktober 1801, in: WA III, 3, S. 32–33. – Zu Hrn. Schrader: in: WA IV, 15, Nr. 4419 S. 257–261, hier: Johann Wilhelm Schrader begegnet uns im 258; WA I, 4, S. 51; WA I, 5.2, S. 32. Jahre 1800 bey dem Fürstlichen Salzwerk 45 Vgl. dazu Jutta Assel/Georg Jäger, Jo- bey Creutzburg als Bergmeister, vgl. hann Wolfgang Goethe. Denkmäler Hochfürstl. S. Weimar- und Eisenachischer und Erinnerungsorte auf Postkarten und Hof- und Addreß-Calender, auf das Jahr in anderen Medien. Teil I: A–K. (30.11.2018). ren 1766 zu Iba. Ich danke Frau Pastorin 46 Vgl. dazu Jochen Klauß, Der Kunscht- Susanne-Maria Breustedt herzlich für die meyer. Johann Heinrich Meyer: Freund Einsicht in das Creuzburger Kirchenbuch. und Orakel Goethes, Weimar 2001. Vgl. Alfred Giebel, Die Friedrichshütte im 47 Goethe an Christiane Vulpius vom 12. Juli Ibatal bei Bebra und die Hüttenmeisterfa- und 24. Juli 1801, in: Goethes Ehe in Brie- milie Schrader, in: Genealogisches Jahr- fen. Der Briefwechsel zwischen Goethe buch 20 (1980), S. 79–90, hier: 86–87; und Christiane Vulpius 1792–1816. Hg. Horst Schmidt und Hans-Henning Walter, von Hans Gerhard Gräf, Frankfurt am Geschichte des Creuzburger Salzwerks, Ei- Main u. Leipzig 1994, Nr. 296 und 297 senach 1988, S. 49–55. Zu Hrn. v. Schardt: S. 360–362; Tagebucheintrag 15. August Robert Steiger in Goethes Leben von Tag und 24. Juli 1801, in: WA III, 3, S. 32–33, zu Tag, Bd. IV, 1799–1806, Zürich u. Mün- 27. chen 1986, S. 221: Karl v. Schardt [Bruder 48 Wolfgang Huschke, Einige orts- und fa- Frau v. Steins], d. i. Ernst Carl Constantin miliengeschichtliche Betrachtungen über (1744–1833). Abweichend davon Andreas Goethes Weimar, in: Festschrift für Fried- Döhlers Lesart in der Historisch-Kritischen rich Zahn. Band I. Zur Geschichte und Ausgabe der Tagebücher Goethes, Bd. III, Volkskunde Mitteldeutschlands. Hg. von 2, 1801–1808, S. 595: Wohl Ludwig Ernst Walter Schlesinger, Köln und Graz 1968, Wilhelm von Schardt (1748–1826). S. 539–597, hier: 575, 578, 590. 51 Johann Jacob Ludwig Geist, Reisetage- 49 Weimarisches Wochenblatt. Nummer 44. buch, in: Johann Wolfgang Goethe Tage- den 2. Juny 1810, S. 219 (Beilage); Rita Sei- bücher. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. fert, Aus der Berkaer Stadtgeschichte: Die III, 2, 1801–1808, Stuttgart u. Weimar Goullons in Weimar und Bad Berka, in: 2004, S. 1215–1264, hier: 1262–1263. Amtsblatt der Stadt Berka, S. 5–6.

III, 3, S. 32–33, hier: 33; Tag- und Jah- kurzen Geschichte dieser Kirche und der res-Hefte als Ergänzung meiner sonstigen Feierlichkeiten bei der Einweihung dersel- Bekenntnisse (1801), in: WA I, 35, S. 113. ben herausgegeben von Christian Wilhelm 53 Corpus der Goethezeichnungen. Bd. IV B, Schneider, Eisenach [1786]. Nr. 1–271. Nachitalienische Zeichnungen 61 Carl August an Knebel vom 23. März 1788 bis 1829. Bearbeiter der Ausgabe 1782, in: Briefe des Herzogs Karl August Gerhard Femmel, Leipzig 1968, S. 50, von Sachsen-Weimar-Eisenach an Knebel Abb. 137. und Herder. Hrsg. von Heinrich Dünt- 54 Gerhard Seib, Johann Wolfgang von Go- zer, Leipzig 1883, Nr. 12 S. 35–38, hier: ethe als Zeichner der Kirche von Ho- 37–38; Goethe an Knebel vom 26. Februar heneiche, in: 750 Jahre Hoheneiche. 1782, in: WA IV, 5, Nr. 1420 S. 271–273, 1233–1983. Festschrift zum Historischen hier: 273; Voigt an Merck vom 25. März Heimatfest vom 18.8.–22.8.1983. Hrsg. 1782, in: Briefe an Johann Heinrich Merck von Bernhard Hermann Roth, Hohenei- von Göthe, Herder, Wieland und andern che, S. 65–67. bedeutenden Zeitgenossen. Hrsg. von Karl 55 Corpus der Goethezeichnungen. Bd. IV A, Wagner, Darmstadt 1835, Nr. 147 S. 322– Nr. 1–348. Nachitalienische Landschaften. 323. – In Goethe. Begegnungen und Ge- Bearbeiter der Ausgabe Gerhard Femmel, spräche. Hrsg. von Ernst Grumach u. Re- Leipzig 1966, S. 91, Abb. 308 und 309. – nate Grumach. Bd. II 1777–1785, Berlin Der Tagebuchvermerk vom 21. August 1966, S. 355 ist der 4. April mit Fragezei- 1810 lautet korrekt 21 Aug 1801. chen versehen. Heinrich Düntzer (a. a. O., 56 Corpus der Goethezeichnungen. Bd. IV B, S. 38) legt das Zusammentreffen in Creuz- Nr. 1–271. Nachitalienische Zeichnungen burg auf den 4. April 1782. 1788 bis 1829. Bearbeiter der Ausgabe 62 Fourierbuch auf das Jahr 1782. Derma- Gerhard Femmel, Leipzig 1968, S. 62, len geführet von Johann Christoph Waitz Abb. 185; Tagebucheintrag 26. Mai 1815, Hof-Fourier (Hofhaltung des Herzogs in: WA III, 5, S. 163; Carl Ruland, Aus dem Carl August), ThHStAW, Hofmarschallamt Goethe-National-Museum I. Schriften der Nr. 4531, S. 60, 64; C[arl] A[ugust] H[ugo] Goethe-Gesellschaft. Hg. von Bernhard Burkhardt, Aus den Weimarer Fourierbü- Suphan. Band 10, Weimar 1895, S. 9, Taf. chern 1775–1784, in: Goethe-Jahrbuch 6 10. (1885), S. 148–166, hier: 156, 160. 57 Jochen Klauß, Goethes Deutschland. Orte 63 Goethe an Charlotte von Stein vom 5. Ap- und Stätten von Aachen bis Zwickau aus ril 1782, in: WA IV, 5, Nr. 1445 S. 296, der Sicht des Dichters, Stuttgart 1998, 386–387. S. 219. 64 Siehe Goethes Briefe an Charlotte von 58 Bemerkungen auf einer Reise durch Sach- Stein. Hg. von Jonas Fränkel. Umgearbei- sen, Hannover, Braunschweig und Preu- tete Neuausgabe, Bd. 3, Kommentar/Re- ßen in den Jahren 1800, 1801, 1802, gister, Berlin 1962, Nr. 850 S. 94. Faksimile 1803, in: Eschweger Geschichtsblätter, des Briefes auf der Homepage der Klas- Nr. 3/1992, S. 50–52, hier: 50. sik-Stiftung Weimar (Digitalisierte Bestän- 59 Tagebucheintrag 22. August 1801, in: WA de, Goethes Briefe an Charlotte von Stein). III, 3, S. 33. 65 Goethe-Handbuch. Goethe, seine Welt 60 Neueste Unglücksfälle der Stadt Creuz- und Zeit in Werk und Wirkung. Zweite, burg, [Creuzburg] [1784] und [1785]; Pre- vollkommen neugestaltete Aufl. […] hrsg. digt bei der Einweihung der wiedererbau- von Alfred Zastrau. Bd. 4, Karten der Rei- ten Hauptkirche zu St. Nikolai in Creuzburg sen, Fahrten, Ritte und Wanderungen Go- an der Werra gehalten und nebst einer ethes, Stuttgart 1956, S. 13. Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 73

66 Goethe an Charlotte von Stein vom 14. Juni 73 Goethe an Zelter vom 13. November 1784, in: WA IV, 6, Nr. 1946 S. 299–301, 1829, in: WA IV, 46, Nr. 145 S. 148–150, hier: 300. hier: 148–149. 67 Vgl. Willy Flach, Goethes Amtliche 74 Theodor Schwedes. Leben und Wirken ei- Schriften. Bd. 1: Die Schriften der Jahre nes kurhessischen Staatsmannes von 1788 1776–1786, Weimar 1950, S. LXXVII (Ein- bis 1882. Nach Briefen und Aufzeichnun- leitung); ders., Goetheforschung und Ver- gen dargestellt von Auguste Schwedes, waltungsgeschichte. Goethe im Geheimen Wiesbaden 1899. Consilium 1776–1786, Weimar 1952; Das 75 (30.11.2018) mar-Eisenach in Goethes erstem Weima- 76 (30.11.2018). Erster Halbbd. 1776–1780. Hg. von Volker 77 Erich Ebstein, Ein Besuch bei Goethe. Wahl. Bearb. von Uwe Jens Wandel u. Vol- (Theodor Schwedes.), in: Goethe-Jahr- ker Wahl, Wien u. a. 2014, S. 117; Zweiter buch 20 (1905), S. 292–294; Goethes Halbbd. 1781–1786, S. 1058–1059, 1334, Gespräche. Gesamtausgabe. Neu hg. 1339, 1345. – Zum Hoflager 1784 in Ei- von Flodoard Frhr. von Biedermann unter senach s. die Auszüge bei C[arl] A[ugust] Mitwirkung von Max Morris u. a. Zweite, H[ugo] Burkhardt, Aus den Weimarer Fou- durchges. und stark vermehrte Aufl. Vierter rierbüchern 1775–1784, in: Goethe-Jahr- Band, Leipzig 1910, S. 280–282, Nr. 2836, buch 6 (1885), S. 165: 2. Juni. Der Hof 3. Juni 1830. Vgl. die als Anhang an Go- nach Eisenach, […] 30. Juli Abr. d. Hofs n. ethes Werke, Abteilung für Gespräche, Weimar, d. Gäste reisen ab. verstandenen Goethes Gespräche. Hg. 68 Willy Handrick, Johann Joseph Schmeller. Woldemar Freiherr von Biedermann. 7. Ein Maler im Dienste Goethes, Berlin u. Band: 1829 und 1830, Leipzig 1890. Weimar 1966, S. 69–70, 124. 78 Max Hecker, Bernhard Suphan, Goethe 69 Tagebucheintrag 16. März 1829, in: WA und Carl Friedrich von Conta. […], in: Go- III, 12, S. 39. – Siehe dazu Jochen Klauß, ethe-Jahrbuch 22 (1901), S. 19–76, hier: Goethes Deutschland. Orte und Stätten 69; GSA, 29/142, Bl. 165. von Aachen bis Zwickau aus der Sicht des 79 Tagebucheintrag 3. Juni 1830, in: WA III, Dichters, Stuttgart 1998, S. 53–54. 12, S. 251. 70 Goethe an Glenck vom 20. Januar 1828, 80 Edward Schröder, Goethes Beziehungen in: WAIV, 43, Nr. 181 S. 254–255, hier: zu Kassel und zu hessischen Persön- 255, 418–419 (Lesarten); Goethe an lichkeiten, in: Zeitschrift des Vereins für Frommann vom 3. Februar 1828, in: ebd., hessische Geschichte und Landeskunde, Nr. 195 S. 272. Neue Folge Bd. 42 (1919), S. 21–36, hier: 71 Musenalmanach für das Jahr 1830. Hg. 33. von Amadeus Wendt, Leipzig, S. 1–8; WA 81 Campagne in Frankreich 1792, WA I, 33, I, 4, S. 284–287; WA I, 5.2, S. 176–178 S. 108–109. (Lesarten); Goethe-Handbuch. Bd. 2: Dra- 82 Goethe an das Herzogl. S.-Weimarische men. Hg. von Theo Buch, Stuttgart u. Wei- Polizeicollegium vom März 1811, in : WA mar 1997, S. 318. IV, 22, S. 71–72; Peter Hacks, Ausgewählte 72 Goethe an Glenck vom 7. Juni 1828, in: Dramen 3, Berlin 1981, S. 299–317 (Mu- WAIV, 44, Nr. 107 S. 121, 392 (Lesarten); sen I Charlotte Hoyer). ebd., S. 396–400, hier: 397–398. Laut Kir- 83 Goethe an Charlotte von Stein vom 5. Ap- chenbuch starb der Gastwirt Johann Peter ril 1782, in: WA IV, 5, Nr. 1445 S. 296, Eschstruth am 21. September 1800. 386–387. 74 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

84 Goethe an Merck vom 11. Oktober 1780, gebucheintrag 14. März 1819, in: WA III, in: WA IV, 4, Nr. 1025 S. 306–313, hier: 7, S. 25–26, hier: 26: An Dr. Urban nach 313. Vom 21. bis 28. September 1777 Creuzburg, dessen Tagestabellen von 1818 hatten sich beide auf der Wartburg getrof- zurück; Urban an Goethe vom 7. Januar fen. – Die kleine Reise währte einen guten 1819, GSA 28/81, Bl. 19r; Urban an Lenz Monat: Vom 7. September bis 3. Oktober vom 25. Dezember 1818, Universitäts- besuchte Goethe – teils mit Carl August – archiv Jena, Bestand U Abt. IX, Nr. 27a, u. a. Ilmenau, Stützerbach, Schmalkalden, MB Nr. 2813, Bl. 1r–2v; Neue Schriften der den Inselsberg und Meiningen. Vom 4. bis Großherzoglich S. Societät für die gesamm- 9. Oktober war er bei Familie von Stein in te Mineralogie in Jena. Hrsg. von Johann Kochberg, am 10. Oktober kehrte er nach Georg Lenz und Johann Friedrich Heinrich Weimar zurück. Schwabe. Erster Band, Neustadt a. d. O. 85 Goethe an Knebel vom 17. April 1782, in: 1823, S. 280. Max Heckers Befund in den WA IV, 5, Nr. 1452 S. 311–313, hier: 311. Lesarten zu Goethes Brief vom 15. Januar 86 Goethe an Charlotte von Stein vom 5. Ap- 1819 (WA IV, 31, S. 312) ist ordentliches ril 1782, in: WA IV, 5, Nr. 1445 S. 296, Mitglied. Vgl. Birgit Kreher-Hartmann, Die 386–387; vom 14. Juni 1784, in: WA IV, 6, mineralogische Societät zu Jena, in: Geo- Nr. 1946 S. 299–301, hier: 300. wissenschaftliche Mitteilungen, Heft 57, 87 Goethe an Meyer vom 17. August 1796, September 2014, S. 48–50. in: WA IV, 11, Nr. 3365 S. 164–166, hier: 91 Christiane Vulpius an Goethe vom 10. Au- 164. gust 1797, in: Goethes Ehe in Briefen. Der 88 Voigt an Goethe vom 1. August 1809, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Chris- Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob tiane Vulpius 1792–1816. Hg. von Hans Voigt. Bearb. und hg. von Hans Tümmler, Gerhard Gräf, Frankfurt am Main u. Leip- Bd. 3, Weimar 1955, Nr. 344 S. 248–249, zig 1994, Nr. 140 S. 184, 182–183. 480; Goethe an Voigt vom 4. August 1809, 92 Tagebucheintrag 13. September 1779, in: in: ebd., Nr. 345 S. 249–251, hier: 250, sie- WA III, 1, S. 98; Fourierbuch auf das Jahr he WA IV, 21, Nr. 5771 S. 24–26, hier: 26. 1779. Dermalen geführet von Johann 89 Goethes Briefe an Christian Gottlob von Christoph Waitz Hof-Fourier (Hofhal- Voigt. Hrsg. von Otto Jahn, Leipzig 1868, tung des Herzogs Carl August), ThHStAW, S. 278. Das Gedicht ist abgedruckt auf Hofmarschallamt Nr. 4528, S. 161; Go- S. 433–434 (Nr. 13). Jahns Anmerkung zu ethe-Handbuch. Goethe, seine Welt und Goethes Brief, ebd. S. 278, erwähnt, dass Zeit in Werk und Wirkung. Zweite, voll- bei Kreuzburg im Eisenachischen […] am kommen neugestaltete Aufl. […] hg. von 1. August 1808 eine Wassermühle und das Alfred Zastrau. Bd. 4, Karten der Reisen, Wehr in der Werra eingerissen [wurden], Fahrten, Ritte und Wanderungen Goethes, um der Ueberschwemmung abzuhelfen, Stuttgart 1956, S. 18. und an geeigneterer Stelle eine neue Müh- 93 Goethe an Merck vom 11. Oktober 1780, le aufgeführt, welche am 1. Aug., den der in: WA IV, 4, Nr. 1025 S. 306–313, hier: Herzog durch nützliche Unternehmun- 313. Die Briefe Mercks sind zitiert nach: gen zu bezeichnen liebte, feierlich einge- Goethe. Begegnungen und Gespräche. weiht wurde. Vgl. Alfred Bergmann, Carl Hrsg. von Ernst Grumach u. Renate Gru- August-Bibliographie, Jena 1933, Nr. 617 mach. Bd. II 1777–1785, Berlin 1966, S. 151 (er Erste gst ). S. 36–37. 90 Goethe an Urban vom 15. Januar 1819, 94 Goethe an Charlotte von Stein vom 5. Ap- in: WA IV, 31, Nr. 58 S. 62; vom 11. März ril 1782, in: WA IV, 5, Nr. 1445 S. 296, 1819, in: ebd., Nr. 98 S. 95–96, vgl. Ta- 386–387; ebd., Nr. 1446 S. 297. Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 75

95 Goethe-Handbuch. Goethe, seine Welt Briefwechsel mit Christian Gottlob Voigt. und Zeit in Werk und Wirkung. Zweite, Bearb. und hg. von Hans Tümmler, Bd. 3, vollkommen neugestaltete Aufl. [.] hg. von Weimar 1955, Nr. 361 S. 266–268, hier: Alfred Zastrau. Bd. 4, Karten der Reisen, 267. Fahrten, Ritte und Wanderungen Goethes, 106 Voigt an Goethe vom 5. Januar 1808, in: Stuttgart 1956, S. 22. Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob 96 Goethe an Knebel vom 17. April 1782, in: Voigt. Bearb. und hg. von Hans Tümmler, WA IV, 5, Nr. 1452 S. 311–313, hier: 311. Bd. 3, Weimar 1955, Nr. 236 S. 184–185, 97 Goethe an Charlotte von Stein vom 2. Ok- hier: 185, 451; Goethe an Voigt vom 7. Ja- tober 1783, in: WA IV, 6, Nr. 1796 S. 203– nuar 1808, in: ebd., Nr. 237 S. 185; Jochen 204, hier: 204. Klauß, Die Medaillensammlung Goethes, 98 Goethe-Handbuch. Goethe, seine Welt Bd. I: Bestandskatalog, Bd. II: Quellen, Ber- und Zeit in Werk und Wirkung. Zweite, lin 2000, Bd. II, Nr. 438 S. 57, 212; zur Iden- vollkommen neugestaltete Aufl. […] hg. tifikation der deutschen Bronzen: Email von Alfred Zastrau. Bd. 4, Karten der Rei- von Jochen Klauß an den Verfasser vom sen, Fahrten, Ritte und Wanderungen Go- 29. April 2015; Thüringer Pfarrerbuch. Band ethes, Stuttgart 1956, S. 23. 3: Großherzogtum Sachsen(-Weimar-Eise- 99 Goethe an Charlotte von Stein vom 5. Juni nach) – Landesteil Eisenach –. Hrsg. von 1784, in: WA IV, 6, Nr. 1941, 284–287, der Gesellschaft für Thüringische Kirchen- hier: 287; ebd., Nr. 1946 S. 299–301, hier: geschichte. Bearb. von Bernhard Möller 300. (†) und weiteren Mitarbeitern, Neustadt an 100 Goethe an Meyer vom 17./18. August der Aisch 2000, S. 280; Allgemeiner Anzei- 1796, in: WA IV, 11, Nr. 3365 S. 164–166. ger der Deutschen, Nr. 108, 24. April 1807, 101 Christiane Vulpius an Goethe vom 8.– Sp. 1118; Verzeichnis der Prediger in den 11. August 1797, in: Goethes Ehe in Brie- Städten der Herzogthümer Weimar und Ei- fen. Der Briefwechsel zwischen Goethe senach, wie auch des Jenaischen Landes- und Christiane Vulpius 1792–1816. Hrsg. antheils, in: Journal für Prediger, 31. Bd. 1 von Hans Gerhard Gräf, Frankfurt am Main Stück, Halle 1796, S. 321–325, hier: 325; u. Leipzig 1994, Nr. 140 S. 184, 182–183. Nachrichten von sehenswürdigen Gemäl- 102 Tag- und Jahres-Hefte als Ergänzung mei- de- und Kupferstichsammlungen […] in ner sonstigen Bekenntnisse (1801), in: WA Teutschland nach alphabetischer Ordnung I, 35, S. 113. der Oerter. Hrsg. von Friedrich Karl Gottlob 103 Goethe an Sartorius vom 10. Oktober Hirsching, Zweyter Band, Erlangen 1787, 1801, in: WA IV, 15, Nr. 4419 S. 257–261, S. 96–97 (Creuzburg); Historische Nach- hier: 259; Goethe an Fritsch, in: WA IV, 3, richt von der Societät für die gesammte Nr. 628 S. 171; WA I, 35, S. 113. Mineralogie zu Jena. Von Johann Friedrich 104 Goethe-Handbuch. Goethe, seine Welt Heinrich Schwabe, Jena 1801, S. 38; Johann und Zeit in Werk und Wirkung. Zweite, Carl Wilhelm Voigt, Mineralogische Reise vollkommen neugestaltete Aufl. […] hrsg. nach den Braunkohlenwerken und Basalten von Alfred Zastrau. Bd. 4, Karten der Rei- in Hessen […], Weimar 1802, S. 15; Kunst sen, Fahrten, Ritte und Wanderungen Go- und Alterthum am Rhein und Main, in: WA ethes, Stuttgart 1956, S. 38. I, 34.1, S. 69–200, hier: 76, 152. 105 Carl August an Goethe vom 6. Juli 1805, 107 Voigt an Goethe vom 1. August 1809, in: in: Briefwechsel Carl Augusts mit Goethe, Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob Bd. I, Hg. von Hans Wahl, Berlin 1915, Voigt. Bearb. und hg. von Hans Tümmler, Nr. 325, S. 332–333, hier: 333; Voigt an Bd. 3, Weimar 1955, Nr. 344 S. 248–249, Goethe vom 4. Oktober 1809, in: Goethes 480; Goethe an Voigt vom 4. August 1809, 76 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

in: ebd., Nr. 345 S. 249–251, hier: 250, sie- Bechtolsheim vom 2. Oktober 1784, in: he WA IV, 21, Nr. 5771 S. 24–26, hier: 26. WA IV, 30 S. 32. 108 Voigt an Goethe vom 1. August 1809, 113 So im Brief an Johann Heinrich Urlau in: ebd., Nr. 344 S. 248–249; Goethe vom 7. Mai 1814, in: WA IV, 24, Nr. 6818 an Voigt vom 4. August 1809, in: ebd., S. 246–248. Nr. 345 S. 249–251, hier: 250; Brie- 114 Pfarrerbuch der Provinz Sachsen. Bd. 3. fe Voigt an Goethe vom 26. Dezem- Biogramme Fe–Ha. Hg. vom Verein für ber 1810/vom Anfang 1811, in: ebd., Pfarrerinnen u. Pfarrer in der Evangeli- Nr. 412, S. 315–317, hier: 361/Nr. 414 schen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen S. 317; Voigt an Goethe vom 5. Dezem- e. V., Leipzig 2005, S. 247. ber 1810, in: ebd., Nr. 407 S. 313; Héron 115 Urban an Goethe vom 27. Januar 1819, de Villefosse, De la richesse minérale. GSA 28/81, Bl. 28v; GSA 25/XXXVIII,4,2, Considérations […], Paris 1810; ders., Bl. 23r. Über den Mineral-Reichthum. Betrach- 116 Die Glockeninschrift ist am 10. April 2015 tungen […]. Deutsch bearbeitet von Carl durch Autopsie aufgenommen worden. Hartmann. Erster Band. Oekonomischer Vgl. Beschreibende Darstellung der älte- Theil, Sondershausen, 1822, S. 253. ren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz 109 Goethe an Urban vom 15. Januar 1819, Sachsen und angrenzender Gebiete. Heft in: WA IV, 31, Nr. 58 S. 62; vom 11. März 4 Beschreibende Darstellung der älteren 1819, in: ebd., Nr. 98 S. 95–96, vgl. Ta- Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises gebucheintrag 14. März 1819, in: WA III, Mühlhausen. Unter Mitwirkung von Hein- 7, S. 25–26, hier: 26: An Dr. Urban nach rich Otte bearb. von Gustav Sommer, Hal- Creuzburg, dessen Tagestabellen von le 1881, S. 19. 1818 zurück; Briefe Urban an Goethe 117 Tagebucheintrag 15. Januar 1819, in: WA GSA 28/81, Bl. 19; Bl. 20–21; Bl. 28–30; III, 7, S. 5. Bl. 69; 28/82, Bl. 136; Bl. 183; 28/83, 118 Urban an Goethe vom 5. Januar 1819, Bl. 243–244. GSA 28/81, Bl. 20r–21v. 110 Tagebucheintrag 16. März 1829, in: WA 119 Goethe an Urban vom 11. März 1819, in: III, 12, S. 39. WA IV, 31, Nr. 98 S. 95–96. 111 Willy Flach, Goethes Amtliche Schriften. 120 Zitiert nach Goethe. Die Schriften zur Na- Bd. 1: Die Schriften der Jahre 1776–1786, turwissenschaft. Vollständige mit Erläute- Weimar 1950, S. 4 Nr. 2; Das Geheime rungen versehene Ausgabe im Auftrage der Consilium von Sachsen-Weimar-Eisenach Deutschen Akademie der Naturforscher in Goethes erstem Weimarer Jahrzehnt Leopoldina. Zweite Abteilung: Ergänzun- 1776–1786. Regestausgabe. Erster Halb- gen und Erläuterungen. Bd. 2 zu Texten bd. 1776–1780. Hg. von Volker Wahl. Be- der Bde. 8, 9 und 11 der ersten Abteilung: arb. von Uwe Jens Wandel u. Volker Wahl, Zur Meteorologie und Astronomie. Ergän- Wien u. a. 2014, S. 130, 144. zungen und Erläuterungen. Bearb. von Gi- 112 Kurt Langlotz, Goethes Wirken in West- sela Nickel, Weimar 2005, S. 326. thüringen. Beitrag zu einem Bild des 121 Vulpius an Goethe vom 21. Oktober 1817, Menschen Goethe, Düsseldorf 1958, in: Christian August Vulpius. Eine Korres- S. 51–61, 90–102; Goethe-Handbuch. pondenz zur Kulturgeschichte der Goethe- Goethe, seine Welt und Zeit in Werk und zeit. Hrsg. von Andreas Meier, Bd. 1: Brief- Wirkung. Zweite, vollkommen neugestal- texte, Bd. 2: Kommentar, Berlin u. New tete Aufl. […] hg. von Alfred Zastrau. Bd. York 2003, Bd. 1, S. 221, Bd. 2, S. 288. 1, Aachen–Farbenlehre, Stuttgart 1961, 122 Vulpius an Voigt vom 21. Oktober 1817, Sp. 2115–2123; Goethe an Juliane von in: ebd., Bd. 1, S. 222, Bd. 2, S. 288. Meier Frank-Bernhard Müller: Auf den Spuren Goethes im Werraland 77

bemerkt in seinem Kommentar, dass Ur- gang Goethe, Über die verschiedenen ban wegen seiner Wetterbeobachtungen Zweige der hiesigen Thätigkeit. Ein Vortrag, sowie mineralogischer und phrenologi- in: WA I, 53, S. 175–192, 485–491; Goethes scher Kriositäten i rhahr it Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentari- Goethe in kurzem Briefverkehr stand. sche Chronik von Robert Steiger. Band III, 123 Vgl. GSA 30/268 (alte Signatur K 14). Zürich u. München 1986, S. 426; Goethe. 124 Inventarisierung, Pflege und Erhaltung al- Begegnungen und Gespräche. Begründet ter kirchlicher Bau- und Kunstdenkmale, von Ernst Grumach u. Renate Grumach. GSA 30/267; Bericht Goethes an den Groß- Bd. IV 1793–1799. Hrsg. von Renate Gru- herzog Carl August vom 9. März 1817, in: mach, Berlin u. New York 1980, S. 191; WA IV, 28, Nr. 7673 S. 7–8, hier: 7. Goethe an Humboldt vom 3. Dezember 125 Nachruf Christian Gotthold August Urban, 1795, in: WA IV, 10, Nr. 3238, S. 342–344, in: Neuer Nekrolog der Deutschen. Fünf- hier: 342; vgl. Goethe-Handbuch. Bd. 4.1: ter Jahrgang 1827. Erster Theil, Ilmenau Personen, Sachen, Begriffe A–K. Hg. von 1829, Nr. 22 S. 81–84, hier: 83. Hans-Dietrich Dahnke u. Regine Otto, 126 Christian Gotthold August Urban, Wider- Stuttgart u. Weimar 1998, S. 323–325. legung gewisser Vorurtheile, welche noch 130 Karl August Böttiger, Literarische Zustän- bei Gewittern herrschen. Auch über d. de und Zeitgenossen. Begegnungen und Nutzen d. Wetterableiter, Eisenach [1791]; Gespräche im klassischen Weimar. Hg. Goethes Bibliothek. Katalog. Bearbeiter von Klaus Gerlach und René Starke, Berlin der Ausgabe Hans Ruppert, Weimar 1958, 31998, S. 47–66, hier: 47, 66; Christiane Nr. 5194 S. 745: Urban, Christian Gotthold Vulpius an Goethe vom 5. März 1796, in: August: Widerlegung gewisser Vorurtheile, Goethes Ehe in Briefen. Der Briefwechsel welche noch bei Gewittern herrschen. zwischen Goethe und Christiane Vulpius Auch über d. Nutzen d. Wetterableiter. 1792–1816. Hrsg. von Hans Gerhard Gräf, Eisenach : eerische chdr Frankfurt am Main u. Leipzig 1994, Nr. 76 S. 8° [F] Brosch., beschnitten. Zu den Re- S. 123–124, hier: 124; Goethe an Voigt zensionen vgl. Frank-Bernhard Müller, vom 3. März 1796, in WA IV, 11, Nr. 3282 Der gelehrte Creuzburger Amtsphysikus S. 35–37, hier: 37; Voigt an Goethe vom Christian Gotthold August Urban (1765– 5. März 1796, in: Goethes Briefwechsel 1827) – eine Kontaktperson Goethes, in: mit Christian Gottlob Voigt. Bearb. und hg. Weimar-Jena: Die große Stadt 7/1 (2014), von Hans Tümmler, Bd. 1, Weimar 1949, S. 5–35, hier: 13–14. Nr. 190 S. 225–229, hier: 228. 127 Christian Gotthold August Urban, Wider- 131 Johann Wolfgang Goethe, Über die ver- legung gewisser Vorurtheile, welche noch schiedenen Zweige der hiesigen Thätig- bei Gewittern herrschen. Auch über d. keit. Ein Vortrag, in: WA I, 53, S. 189. Nutzen d. Wetterableiter, Eisenach [1791], 132 Ebd.; GSA 25/W 3823 Bl. 19r. Nur die S. 28–30. Berliner Ausgabe kommentiert diese Stel- 128 Karl Georg Brandis, Goethes Plan eines le, vgl. Goethe. Poetische Werke, Ber- Gesamtkatalogs der weimarischen Biblio- liner Ausgabe, Bd. 16: Autobiographische theken, in: Jahrbuch der Goethe-Gesell- Schriften IV, Berlin 1981, S. 455–467, hier: schaft 14 (1928), S. 152–165. 464: Der Name konnte nicht ermittelt 129 Zuerst gedruckt und erläutert bei Eduard werden. Andere Werkausgaben (Jubilä- von der Hellen, Über die verschiedenen ums-Ausgabe, Artemis-Gedenkausgabe, Zweige der hiesigen Thätigkeit. Ein Vor- Frankfurter Ausgabe, Münchner Ausgabe), trag von Goethe, in: Goethe-Jahrbuch 14 Goethes amtliche Schriften (Zweiter Bd. (1893), S. 3–26, hier: 12, 23; Johann Wolf- Die Schriften der Jahre 1788–1819. Bearb. 78 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

von Helma Dahl. I. Halbbd. 1788–1797, I, 53, S. 488, 179, 185, 186; GSA 25/W Weimar 1968, Nr. 91 C S. 462–477), 3824 Bl. 2v. Uedings Zusammenstellung der Reden 136 Goethe an Knebel vom 27. Dezember (Goethes Reden und Ansprachen. Hrsg. 1783, in: WA IV, 6, Nr. 1846 S. 229–230, von Gert Ueding, Frankfurt a. M. u. Leip- hier: 229; Wieland an Merck, in: Briefe zig 1994, S. 47–59) führen keine Kom- an und von Johann Heinrich Merck. Eine mentare, auch Silke Henke (Bestandsauf- selbständige Folge der im Jahre 1835 er- nahme und Zukünftiges – Goethes Vortrag schienenen Briefe an J. H. Merck. Aus „Über die verschiedenen Zweige der hie- den Handschriften hg. von Karl Wagner, sigen Tätigkeit“, in: Margret Bräunlich u. a. Darmstadt 1835, Nr. 102 S. 231–234, hier: (Hrsg.), Gesprochene Sprache – transdiszi- 233. plinär. Festschrift zum 65. Geburtstag von 137 Goethe an den Herzog Carl August vom Gottfried Meinhold, Frankfurt a. M. 2001, 26. Dezember 1784, in: WA IV, 6, Nr. 2036 S. 73–82) gibt keinen Hinweis. S. 415–420, hier: 417. 133 Vgl. Standes-Erhebungen und Gnaden-Ac- 138 Vgl. den informativen Aufsatz von Manfred te Deutscher Landesfürsten während der Wenzel, „Buchholz peinigt vergebens die letzten drei Jahrhunderte. Nach amtlichen Lüfte …“. Das Luftfahrt- und Ballonmotiv Quellen. Gesammelt und zusammenge- in Goethes naturwissenschaftlichem und stellt durch Maximilian Gritzner, II. Band. dichterischem Werk, in: Jahrbuch des Frei- Braunschweig bis Württemberg, Görlitz en Deutschen Hochstifts 1988, S. 79–111. 1881, S. 633. Vgl. Wilhelm Bode, Die ersten Luftballons 134 Goethe an Voigt den Jüngeren vom 9. De- in Weimar, in: Stunden mit Goethe. Für die zember 1803, in: WA IV, 16, Nr. 4776 Freunde seiner Kunst und Weisheit. Hrsg. S. 373–375, hier: 374; Woldemar Freiherr von Wilhelm Bode, Berlin 1908, S. 58–63; von Biedermann, Goethe und Christian ders., Goethes Leben. 1781–1786. Pega- Gottlob von Voigt der Jüngere, in: ders., sus im Joche, Berlin 1925, S. 202–204. Goethe-Forschungen, Frankfurt a. M. 139 Kanzler von Müller, Unterhaltungen mit 1879, S. 275–283; Goethe an Eichstädt Goethe. Kritische Ausgabe besorgt von vom 21. und 22. September 1803, in: WA Ernst Grumach, Weimar 1956, S. 200– IV, 16, Nr. 4728 und Nr. 4727 S. 308–311, 201, hier: 201 (Goethe. 27. Febr. Sonn- hier: 310, 475–477, Nr. 4728 datiert nach tags Abend); Tagebucheintrag 27. Februar Biedermann, Goethes Briefe an Eichstädt, 1832, in: WA III, 13, S. 226. Berlin 1872, S. 222; Goethe an Eichstädt 140 Karl August Böttiger, Literarische Zustän- vom 17. November 1803, in: WA IV, 16, de und Zeitgenossen. Begegnungen und Nr. 4755 S. 344–346, hier: 346; Karl Bul- Gespräche im klassischen Weimar. Hrsg. ling, Die Rezensenten der Jenaischen von Klaus Gerlach und René Starke, Berlin Allgemeinen Literaturzeitung im ersten 31998, S. 69; Goethes Leben von Tag zu Jahrzehnt ihres Bestehens 1804–1813, Tag. Eine dokumentarische Chronik von Weimar 1962, S. 337–384. Robert Steiger. Band III, Zürich u. Mün- 135 Goethe an Voigt vom [Spätsommer] 1795, chen 1986, S. 353, 361; Urbans Beitrag in WA IV, 10, Nr. 3206 S. 304, hier datiert im Kaiserlich privilegirten Reichs-Anzeiger, nach Goethes Briefwechsel mit Christian r retags den anar , Sp. Gottlob Voigt. Bearb. und hg. von Hans 57–60 endet mit: Stregda bey Eisenach, Tümmler, Bd. 1, Weimar 1949, Nr. 172 den ec r hr rban. S. 211–212, 483; Johann Wolfgang Go- 141 Friedrich Theodor Kräuter, Catalogus Bib- ethe, Über die verschiedenen Zweige der liothecae Goethianae (Handschrift), Wei- hiesigen Thätigkeit. Ein Vortrag, in: WA mar 1822–1839, S. 884. 79

Die Eschweger Hochhuths nicht auch noch sämtliche Töchter der Hoch- huths aufzuzählen.“ An seinen guten Rat habe ich mich – zu- von Gerhard Hochhuth nächst (!) – nicht gehalten und mit diesem Beitrag den Versuch gewagt, „Die“ Eschwe- ger Hochhuths, auch die Töchter, zusammen- Die folgende Zusammenstellung ba- zustellen – mit der herzlichen Bitte an alle siert auf einer Darstellung, die mein Vater Leser/innen der Geschichtsblätter um Ergän- Gerhard Hochhuth (seit 1934 Pfarrer an der zungen und Korrekturen. Marktkirche in Eschwege), sicherlich „zeitbe- Von Anfang an habe ich mich aber bemüht, dingt“ durch die damals verordneten „Arier- über die „nackten“ Daten hinaus, Material nachweise“, im engen Austausch mit seinem zu sammeln – Fotos, Dokumente, Schriften, Wiesbadener Onkel Ludwig Hochhuth 1935 Briefe, Anekdoten –, mit dem sicherlich nicht verfasst hat. Meine älteste Schwester, Gertrud alle, aber eben „Eschweger Hochhuths“ als Kleinschmidt, hat diese und andere Unterla- lebendige Zeugen ihrer jeweiligen Zeit zur gen im Familienarchiv über eine Zeit hinweg, Geltung kommen und in Erinnerung bleiben in der Familienforschung „uncool“ war, auf- sollen. Erste Arbeitstitel gibt es schon: Wie bewahrt und weitergeführt. Nach ihrem Tod der erste Hochhuth nach Eschwege kam – konnte ich das vorhandene Material bei ih- Flüchtlingskrise – Leviratsehe – Unterschrif- rem Sohn Michael einsehen und auswerten. tenlisten für einen Pfarrer – Vater & Sohn: Ich war überrascht und fasziniert, wie sich Briefe von der Front – Der Wunsch nach die Hochhuths in Eschwege über drei Jahr- einem Sohn … – Eschweger Kirchenstatistik hunderte hinweg „gehalten, vermehrt und 1872 – Wunschzettel 1936 – Wieso das Ge- konzentriert“ haben. Andere Familien mögen burtsdatum einer Eschweger Hochhuth auf auf eine viel längere Geschichte verweisen Millionen Mutterkreuzen steht – Irma Sara können; aber das Besondere bei den Hoch- Hochhuth (1887–1943) – Marianne Heine- huths scheint mir zu sein, dass sie – bis auf mann: Warum ich Pfarrer Hochhuth als Vor- ganz wenige „Ausreißer“ – zumindest bis zur mund wollte – Viktoriastraße 4 – Der Freiheit siebten Generation in Eschwege und weitest- jüngstes Kind. Es könnten noch einige mehr gehend unter Eschwegern geblieben sind. werden. Erst in der achten Generation wird der Radi- Darum erhoffe ich mir von diesem Beitrag, us größer, von der neunten und zehnten gar dass sich viele Eschweger und viele Familien- nicht zu reden. Längst sind die Hochhuths angehörige an Hochhuths erinnern und mir nicht mehr auf Eschwege beschränkt, und weiteres Material – aus ihrem Gedächtnis, immer weniger Familienangehörige heißen aus Fotoalben, Aktenordnern und Kisten, die noch Hochhuth. im Abstellraum verstauben – zur Verfügung Als ich Rolf Hochhuth von meinem Vor- stellen. haben erzählte, schrieb er mir wenige Tage Was haben die sechs Töchter des Bad später: „Was ich Dir vor allem raten will: Soodener Kurarztes Fritz Sippell, der lang- Schreib um Gottes willen nicht „Die“ Hoch- jährige Oberstudienrat an der Leuchtberg- huths, sondern nur Hochhuths, sonst bist Du schule Dr. Gerhard Blum, die Eschweger einem Vollständigkeits-Zwang unterworfen, Neubürgerin Otty van den Boom (Leucht- der gar nicht zu erfüllen wäre! Wer schreibt, bergstraße 16), die im Alter von 94 Jahren immer so, wie bei jedem, der zeichnet, muss verstorbene Edith Henke aus der Reichen- Weglassen lernen! sächser Straße, die Pfarrerin Hanna Hoß- Dein guter Vater war ökonomisch auf der bach und der Schriftsteller Rolf Hochhuth Hut, als er beschloss, beim Stammbaum … gemeinsam? 80 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

bb : sg as de ltstädter Kirchenbch

Die erste Generation Cousin, den Hutfabrikanten Johann Friedrich Köhler. Sie sind sozusagen die Spitze des Eisberges III-04b Franz Christoph (1743–1811) war Eschweger Hochhuths und stammen alle in Schuhmachermeister wie sein Vater und hat- der 8. Generation ab von I-01 Johann Bern- te zuerst III-04b/1 Elisabeth Schäfer (1748– hard Hochhuth (1679–1758) aus Witzenhau- 1787), nach deren Tod III-04b/2 Dorothea sen, der am 31. Januar 1709 in der Altstädter Elisabeth Eichmann (1760–1801) geheiratet. Gemeinde in Eschwege Magdalena Große III-04c Catharina Elisabeth (geb. 1746) hei- (1682–1744) geheiratet hatte. ratete den Schuhmachermeister Peter Jacob aus Bischhausen. III-04d Johann Jacob (1749–1797) heirate- Die zweite Generation te 1781 Dorothea Margarethe Große (1757– 1813). I-01 Johann Bernhard und Magdalena, III-04e Johann Christoph (1752–1792) hatte geb. Große hatten fünf Söhne (von Töchtern 1784 III-04e/1 Elisabeth Große (1764–1786) ist – bisher – nichts bekannt). geheiratet. Nach deren Tod bei der Geburt des Der älteste Sohn, II-02a Adam (1709– ersten Kindes 1786 heiratete er III-04e/2 Cat- 1791), Schuhmachermeister und „Ratsver- harina Elisabeth Bartholomäus (geb. 1758). wandter“, heiratete 1740 Catharina Elisabeth III-04f Jeremias (1753–1831) heiratete Wagner (1718–1761). 1784 Ottilia Streckhardt. II-02b Philippus (1713–1715), II-02c Balt- III-04g Der jüngste Sohn, Johann George hasar (1716–1717) und II-02e Johann (1723) (1759–1762) wurde nur drei Jahre alt. waren bereits im Kindesalter verstorben. II-02d Johann Jacob (1718–1792) heiratete II-02d Johann Jacob und Anna Catharina, Anna Catharina Große (1729–1776). geb. Große hatten acht Kinder. Drei von ihnen, III-05a Jacob (1752–1752), III-05c Dorothea Margaretha (1757–1766), Die dritte Generation III-05d Johann Christoph (1759–1762), star- ben bereits im Kindesalter. II-02a Adam und Catharina Elisabeth, Vier von ihnen, III-05b Jeremias (1753– geb. Wagner hatten sieben Kinder. 1831), III-05e George Christoph (1762–1824), III-04a Catharina Magdalena (1741–1818) III-05f Catharina Magdalena (1765–1827) und heiratete 1776 den Eschweger Hutfabrikan- III-05g Catharina Elisabeth (1767–1813) blie- ten Johannes Köhler; nach dessen Tod seinen ben unverheiratet. Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 81

Nur die jüngste Tochter, III-05h Dorothea IV-07d Catharina Magdalena (1781–1809) Catharina (geb. 1770), heiratete 1807 ihren heiratete 1803 den Schmiedemeister Johann Neffen 2. Grades, IV-14b Adam Hochhuth George Urbach. (1787–1832), den ältesten Sohn aus der IV-07e Franz (1783–1827), Schuhma- zweiten Ehe von III-04e Johann Christoph. chermeister, heiratete 1809 Catharina Elisa- beth Schäfer (geb. 1791); ihr Vater war der Eschweger Konditor Friedrich Schäfer. Die vierte Generation Mit seiner zweiten Frau III-04b/2 Dorothea Die Familiengeschichten von III-04a Cat- Elisabeth Eichmann hatte er dann noch eine harina Magdalena und Johann Christoph Tochter und zwei Söhne. Köhler sowie von und III-04c Catharina Eli- IV-07f Catharina Elisabeth (1788–1788) sabeth und Peter Jacob müssten noch weiter verstarb wenige Tage nach ihrer Geburt. verfolgt werden. IV-07g Johann Christoph (1790–1863) lernte zunächst Schuhmacher, konnte dann Franz Christoph hatte mit seiner ersten aber das Gymnasium in Hersfeld besuchen, Frau III-04b/1 Elisabeth Schäfer vier Söhne wo er bereits 1806 das Abitur und zwei Jah- und eine Tochter. re später in Marburg das theologische Ex- IV-07a Adam (geb. 1774), war Schuh- amen ablegte. Danach war er in Eschwege macher in Mühlhausen und verheiratet mit als Pfarrer und Lehrer tätig. 1820 heiratete er Martha Christine Burchhard. Gerlinde Henriette Scheuch, die Tochter des IV-07b Johann Otto (1776–1795) und IV- Eschweger Metropolitans Philipp Scheuch. 07c Johann Jacob (1779–1798) waren beide 1822 wurde er Rektor der Stadtschule und früh verstorben. zog mit seiner Familie ins Hochzeitshaus.

bb : ohann hristoh Hochhth bb : ilhel Hochhth 82 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

1826 veröffentlichte er „Erinnerungen an die Frau von Johann Christoph, sie starb bei der Vorzeit und Gegenwart der Stadt Eschwege in Geburt ihres ersten Kindes. Thüringen“, die erste Chronik von Eschwege. IV-12a Catharina Elisabeth (geb. 1786) 1835 wurde er zum Metropolitan gewählt. heiratete 1808 Friedrich Klooß. Auf dem Höhepunkt seines Lebens wurde er 1859 mit der Ehrendoktorwürde der Univer- Mit seiner zweiten Frau III-04e/2 Catha- sität Marburg und als Ehrenbürger der Stadt rina Elisabeth Bartholomäus hatte Johann Eschwege ausgezeichnet (seit 1921 gibt es Christoph dann noch drei Kinder. auf der Struth die nach ihm benannte Hoch- IV-12b Adam (1787–1832), Schuhma- huthstraße). Seine letzten Lebensjahre musste chermeister, heiratete 1807 seine Tante 2. er wegen einer schweren rheumatischen Er- Grades, III-05h Dorothea Catharina Hoch- krankung im Rollstuhl verbringen. huth (1770–1845). IV-07h Wilhelm (1792–1859) wurde wie IV-12c Cyriakus (1789–1791) wurde nur sein Vater Schuhmachermeister, war aber zwei Jahre alt. auch als Stadtwaagemeister tätig. 1815 hei- IV-12d Catharina Magdalena (1792–1869) ratete er Catharina Elisabeth Schäfer (1790– heiratete 1817 Conrad Kühne (1789–1860). 1841).

III-04d Johann Jacob und Dorothea Mar- Die fünfte Generation garethe, geb. Große hatten sechs Kinder. Zwei von ihnen, IV-11b Johann Franz IV-07a Johann Adam und Martha Christine (1784–1784) und IV-11e Jacob (1793–1793), Burchhard hatten mindestens einen Sohn. waren bereits kurz nach der Geburt verstor- V-14a Franz Christoph (geb. 1806) studier- ben. te Jura und war Oberlandesgerichts-Assessor IV-11a Adam (geb. 1782) war Schuhma- in Mühlhausen und Halberstadt. 1843 hei- chermeister und heiratete 1814 Anna Barba- ratete er Friedericke Wilhelmine Albertine ra Rose, verwitwete Heer (1779–1834). Duve aus Osterwieck/Harz. Sein Bruder IV-11c Franz Christoph (1785–1841), ebenfalls Schuhmachermeis- IV-07d Ob Catharina Magdalena und Jo- ter, desertierte aus französischer Zwangs- hann Georg Urbach Kinder hatten, konnte verpflichtung und ist als „Flüchtling“ in die bisher nicht festgestellt werden. Familiengeschichte eingegangen („Abenteuer des Franz Hochhuth, der 1808 aus dem fran- IV-07e Bei Franz und Catharina Elisabeth, zösischen Heere flüchtete und bis 1813 um- geb. Schäfer wissen wir von sechs Kindern; herirrte. Niedergeschrieben von seinem Sohn nur von V-i Catharina Maria ist der Ehepart- Adam und dessen Tochter Emma diktiert“). ner bekannt: Jacob Mell. Nach seiner Rückkehr heiratete er 1816 Cat- V-14b Franz Christoph (geb. 1810), V-14c harina Elisabeth Küllmer (1789–1865). Catharina Margaretha (geb. 1811), V-14d Die einzige Tochter, IV-11d Catharina Martha Christine (geb. 1815), V-14e Wilhelm Magdalena (geb. 1789), heiratete 1821 den Melchior (1818–1837), V-14f Catharina Ma- Schuhmacher Caspar Paul. ria Mell (geb. 1821) und V-14g Henriette Lu- IV-11f Der jüngste Sohn, Johann Chris- ise (1824–1828). toph (1795–1825), auch er war Schuhma- cher, heiratete 1825 Anna Margaretha Küll- IV-07g Auch Ehrenbürger Johann Chris- mer (1793–1866). toph und Gerlinde Henriette, geb. Scheuch hatten sechs Kinder. III-04e/1 Elisabeth Große war die erste V-15a Zu Georg Philipp (geb. 1821), V-15d Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 83

George Wilhelm (geb. 1828), V-15e Sophie Wilhelmine (geb. 1830) und V-15f Wilhelmi- ne Elise Conradine (geb. 1836) gibt es keine weiteren Informationen. V-15c Jacobine Adelaide (1825–1902) starb als unverheiratete Privatiere in Kassel. V-15b Carl Wilhelm Hermann Hoch- huth (1823–1893) besuchte wie sein Vater das Gymnasium in Hersfeld bis zum Abitur 1843; anschließend studierte er Theologie in Marburg und Halle und war dann seit 1851 zunächst Konrektor und Pfarrgehilfe, ein Jahr später Rektor und (2.) Pfarrer in Eschwe- ge. Von 1862–1872 war er Metropolitan in Frankenberg/Eder, 1872–1883 (2.) Pfarrer in Kassel-Unterneustadt, 1883–1893 dann wie- der (1.) Pfarrer in Eschwege.1872 veröffent- lichte er – noch als Metropolitan von Fran- kenberg – die „Statistik der evangelischen

Abb. 5: Titelblatt der Statistitk der evangelischen Kirche

Kirche im Regierungsbezirk Cassel Provinz Hessen-Nassau Königreich Preußen“, eine exakte Beschreibung sämtlicher Kirchenge- meinden und Pfarrstellen in der Region. Ver- heiratet war er mit Henrike Auguste Weymar (1836–1901). Er starb während eines Kurauf- enthaltes in Bad Ems.

IV-07h Wilhelm und Catharina Elisabeth, geb. Schäfer hatten fünf Kinder. V-16a Christoph (1816–1859) lebte als unverheirateter Kaufmann in Leipzig. V-16b Sabine Elisabeth (1818–1821) wur- de nur 3 Jahre alt. bb : Herann Hochhth V-16c Franz Heinrich (1822–1903) war 84 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

bb : Silberne Hocheit von ran Heinrich nd Ea Hochhth Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 85 nicht nur als Klempnermeister geschäftlich sehr erfolgreich, sondern begründete zusam- men mit seiner Frau Emma Theodore San- der (1828–1912) aus Mühlhausen am Alten Steinweg 1–3 das Stammhaus für einen gro- ßen Familienverband. V-16d Catharina Elisabeth (Elise) (1824– 1908) hatte 1852 den Metzgermeister Jere- mias Klermund („Onkel Mias“) (1812–1875) geheiratet. V-16e Adam Friedrich Adolph (1827– 1886) war Geometer und Stadtkämmerer, verheiratet mit Caroline Sophie Minna Goet- ze (1825–1903) aus Frauenbreitungen.

Über die 5 Kinder von IV-11a Adam und Anna Barbara, geb. Rose ist nur wenig be- kannt. V-17a Die Älteste, Catharina Magdalena (geb. 1815) heiratete 1841 Johann Conrad Gleim. bb : arl Hochhth V-17b Catharina Elisabeth (1817–1817) und V-17e Dorothea Elisabeth (1821–1823) und Cousins wurden zu Geschwistern. starben als Kinder. Die jüngere Schwester V-18d Margarethe V-17c Von Catharina Elisabeth (geb. 1818) (1827–1882) heiratete 1851 den Glasermeis- und V-17d Johann Christoph (geb. 1819) wis- ter Reinhard Krug (1824–1902). sen wir nur die Geburtsdaten. Was aus V-18b Catharina Elisabeth (geb. 1819), V-18e Johann Christoph IV-11c „Flüchtling“ Franz Christoph und (geb. 1826) und V-18f Margarethe Elisabeth Catharina Elisabeth, geb. Küllmer hatten mit (geb. 1827) wurde, ist nicht bekannt. ihren sieben Kindern wichtige Familienzwei- Die jüngste Tochter, V-18g Ottilia Christi- ge begründet. Dabei war die Familienge- na (1830–1847) starb mit 17 Jahren. schichte der beiden Söhne V-18a Carl und V-18c Adam in besonderer Weise miteinan- IV-11d Von Catharina Magdalena und der verflochten. Caspar Paul konnten bisher keine Nachkom- V-18a Carl (1817–1864) heiratete 1850 men festgestellt werden. V-18a/1 Anna Christine Wollenhaupt (1828– 1859). Als sie nach der Geburt ihres dritten IV-11f Johann Christoph und Anna Marga- Kindes starb, heiratete Carl 1859 V-18a/2 retha Küllmer hatten drei Kinder. Elise Wagler (1829–1889), starb auch selber V-19a Von Carl Friedrich (1826–1867) schon fünf Jahre später. wissen wir nur die Lebensdaten. Sein Bruder V-18c Adam (1821–1892) Der Schuhmachermeister V-19b Franz hatte 1851 V-18c/1 Anna Maria Heinemann Christoph (1828–1894) heiratete Anna (1826–1864) geheiratet; sie starb ebenfalls Barbara Fischer (1829–1889) aus Witzen- bei der Geburt ihres vierten Kindes. Darauf- hausen. hin heiratete Adam die Witwe seines Bruders V-19c Christina (1833–1842) starb schon V-18c/2 Elisabeth Wagler; zwölf Cousinen mit neun Jahren. 86 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

IV-12a Ob Catharina Elisabeth und Fried- rich Klooß Nachkommen hatten, ist nicht be- kannt.

IV-12b Adam und Dorothea Catharina, geb. Hochhuth hatten zwei Kinder. V-20a Catharina Magdalena (geb. 1808) heiratete 1829 den Bierbrauer Reinhard Küh- ne. V-20b Johannes (geb. 1812) war Schuhma- chermeister und verheiratet mit Margaretha Elisabeth Herwig (1815–1841) aus Nieder- dünzebach.

IV-14d Catharina Magdalene und Johann Conrad Kühne hatten eine Tochter. V-20c Elisabeth Carolina (1831–1906) heiratete den Fleischermeister Jacob Heine- Abb. 8: Henrike mit Schwester Emilie und Bruder mann (1824–1905). Wilhelm

V-16c Franz Heinrich und Emma Theodo- Die sechste Generation re hatten acht Kinder. Die beiden Ältesten, VI-24a Ida Marie Eli- V-14a Franz Christoph und Albertine, se (1850–1852) und VI-24b Ernst Christoph geb. Duve hatten (mindestens) eine Tochter. Wilhelm (1853–1864) waren schon als Kin- VI-21a Anna Sophie Bertha (geb. 1844). der gestorben. VI-24c Henrike (Rickchen) Auguste Luise V-15b Carl Wilhelm Hermann und Henri- (1856–1940) heiratete 1881 einen Cousin 4. ke Auguste, geb. Weymar hatten vier Kinder. Grades, den Schuhfabrikanten VI-28a Carl VI-22a Anna Henriette Luise (1858–1929) Friedrich Hochhuth. war Lehrerin in Eschwege. VI-24d Gustav Adolf (1859–1926) wurde VI-22b Ihr Bruder Heinrich Christoph Her- Klempnermeister und erweiterte das Geschäft mann (1860–1942) wurde – wie Vater und seines Vaters. 1891 heiratete er Anna Bertha Großvater – Pfarrer, zuerst in Datterode, spä- Louise Junghans (1866–1927) aus dem Eisen- ter – nachdem er sich vergeblich für Eschwege warengeschäft am Stad (Enkelin von Simon beworben hatte – in Bad Sooden. 1888 hatte Junghans). er Anna Katharina Andreas (1865–1931) aus VI-24e Marie Johanna Emilie (1864–1949) der Klosterbrauerei geheiratet. heiratete 1883 den Kaufmann Georg Jacob VI-22c Wilhelm Karl Theodor (1869– Otto Junghans, den jüngsten Sohn von Si- 1949) war Postbeamter in Wiesbaden. Er war mon Junghans, der ein Bauwarengeschäft in verheiratet mit Philippine Auguste Antonie der Reichensächser Straße aufgebaut hatte. (Toni) Petry (1880–1949). VI-24f Catharina Elise Anne (1865) wurde VI-22d Johanna (Gehanne) Elisabeth Wil- nur zwei Monate alt; ihre Schwester helmine (1871–1949) war Lehrerin an der VI-24g Johanna Marie Clara (1867–1868) Leuchtbergschule. Wie ihre Schwester Anna, starb an ihrem ersten Geburtstag. mit der sie viele Jahre Marktplatz 23 zusam- Der jüngste Sohn, VI-24h Hermann Wil- menwohnte, blieb sie unverheiratet. helm Heinrich (1871–1963) begründete eine Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 87 neue Hochhuthsche Pfarrer“dynastie“, die in (1856–1902); er starb unverheiratet in Dres- diesem Fall sogar über (bisher) vier Genera- den. tionen reichen sollte. Und auch er heiratete VI-25b Oscar Heinrich Hermann Theodor 1900 eine Enkelin von Simon Junghans, näm- (1858–1868) wurde nur zehn, sein Bruder lich Margarete Catharina Adele Junghans VI-25d Carl Friedrich (1862–1864) nur zwei (1875–1931). Nach dem Theologiestudium Jahre alt. war er in Waldkappel, Spangenberg, Rems- VI-25c Johann Jeremias Alexis (Alex) feld und zuletzt in Altenburschla als Pfarrer (1860–1893) war Kaufmann und heiratete tätig. Nach dem frühen Tod seiner Frau lebte 1890 in Charlottenburg Anna Mathilde Hele- er noch 30 Jahre im Ruhestand in Eschwege, ne Kister (geb. 1867). versorgt von seiner wohl deshalb unverheira- VI-25e Elise Auguste Anne Marie Frieda teten Tochter Margarete (Gretel). (1869–1950) heiratete den Kaufmann Bern- V-16d Bei Catharina Elisabeth (Elise) und hard Grebe (1865–1928), mit dem sie bald Jeremias Klermund wissen wir nur von einem nach ihrer Hochzeit 1895 nach Dresden ver- Sohn. zog. VI-24k Franz Heinrich Wilhelm Klermund (1853–1919), wie sein Vater war er Metzger- V-18a+c 12 Cousins und Cousinen, die meister, hatte 1877 die Bäckerstochter Mar- zum Schluss zu Geschwistern wurden. garete Wagner (geb. 1858) geheiratet. V-18a/1 Carl und Anna Christine, geb. Wollenhaupt V-16e Adam Friedrich Adolph und Karo- VI-26a Margarete Elisabeth (1851–1919) line Sophie Minna hatten fünf Kinder. heiratete 1879 den Spritzenfabrikanten Ernst VI-25a Rudolph Eduard Ferdinand Albin Schäfer (1851–1931).

bb : dele nghans nd ilhel Hochhth 88 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 10: Dina Hochhuth Abb. 11: Adolf Hochhuth

VI-26b Catharina Elisabeth (geb. 1853) VI-28a Carl Friedrich (1852–1935) war war früh verstorben. nicht nur erfolgreicher Schuhfabrikant, son- VI-26c Adam Adolf (1855–1917) war – dern auch Stadtverordnetenvorsteher und seit zusammen mit Cousin/Bruder Carl Fried- 1919 Ehrenbürger der Stadt. 1881 heiratete rich – maßgeblich am Aufbau der Schuhfa- er seine Cousine 4. Grades, VI-24c Henrike brik in der Friedrich-Wilhelm-Straße und mit (Rickchen) Auguste Louise (1856–1940). der „Schusterburg“ in der Wörthstraße (heu- VI-28b Conrad Heinrich (1854) wurde nur te Goethestraße) beteiligt. 1881 heiratete er 9 Monate alt. seine Cousine/Schwester VI-28c Margarethe VI-28c Margarethe Christine (Dina) Christine (Dina) (1856–1935). (1856–1935) hatte 1881 ihren Cousin/Bruder VI-26d Carl Friedrich Ludwig (1859–1939) VI-26c Adam Adolf (1855–1931) geheiratet. sollte eigentlich Pfarrer werden, entschied VI-28d Friedrich (Fritz) Ernst (1864–1942) sich dann aber doch für den Lehrerberuf heiratete 1890 Katharina Elise Emma Brill und wurde Gymnasialprofessor in Wiesba- (1870–1945), Tochter eines Lederfabrikanten den. Auch von dort aus schrieb er zahlreiche in der Bremerstraße. Sie starb in Folge der Abhandlungen zur Geschichte seiner Hei- unsinnigen Sprengung der Werrabrücken am matstadt. 1886 heiratete er Auguste Friede- 3. April, durch die der Vormarsch der Ameri- rike Justine Ebel (1862–1938), Tochter eines kaner aufgehalten werden sollte. Eschweger Rechtsanwalts. V-18c/2 Adam und Elise, geb. Wagler V-18a/2 Carl und Elise, geb. Wagler Ihr erstes gemeinsames Kind, VI-28e Carl Der kleine VI-26e Conrad (1862–1864) Otto (1868) hatte nur einen Tag zu leben. starb vier Tage nach seinem Vater. Auch von den Zwillingen wurde der Jun- V-18c/1 Adam und Marie, geb. Heine- ge, VI-28g Ernst (1869–1872) nur drei Jahre mann alt. Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 89

Schwester VI-28f Margarethe Christine VII-31b Änne Henriette Louise (1891– Emma dagegen heiratete 1893 den Kauf- 1981) war Krankenschwester und über viele mann Carl Julius Schroeter (1853–1933) aus Jahre hinweg Besitzerin des Kurheimes „Haus Sangerhausen. in der Sonne“ in Bad Sooden. V-18d Anna Margaretha und Reinhard VII-31c Eduard Heinrich Hermann (1893– Heinrich Krug müssen mindestens eine Toch- 1961), Zahnarzt, kam schwer verwundet aus ter gehabt haben. dem 1. Weltkrieg zurück. 1920 heiratete er VI-28h Schwiegersohn Schilling die Lehrerin Grete Körner (1897–1923) aus Halle, Tochter des dortigen Zahnmediziners V-19b Franz Christoph und Anna Barbara, Prof. Hans Körner. Als diese 1923 bei einem geb. Fischer hatten vier Kinder. Brand zu Tode gekommen war, heiratete er VI-29a Johann Christoph Friedrich (1857– 1924 ihre Schwester Ilse Körner (1901– 1935), Schuhmacher, war seit 1881 verhei- 1986). ratet mit Katherine Philippine Martin (1858– VII-31d Ottilie Christine (1895–1896) 1945) wurde nur sechs Monate alt. VI-29b Johannes Carl August (1861–1922) VII-31e Elisabeth (Lissa) Ottilie Christine betrieb am Marktplatz 8 eine Schuhmache- (1896–1991), wie ihre Schwester Änne Kran- rei. 1889 heiratete er Marie Johanna Kathari- kenschwester und unverheiratet, starb hoch- na Große (1864–1897). betagt im Hospital St. Elisabeth. VI-29c Anna Margarethe Christine (1863–1869) starb schon nach 5 Jahren, VI- VI-22c Wilhelm Karl Theodor und Philip- 29d Ernst Carl Friedrich (1870–1871) nach pine Auguste Antonie (Toni), geb. Petry hatten einem Jahr. zwei Kinder.

V-20b Johannes und Margaretha Elisabeth, geb. Herwig hatten ebenfalls zwei Kinder. VI-30a Dorothea Wilhelmine (1838– 1903) heiratete den Karussellbesitzer Johann Georg Erdmann (1824–1906) aus Kassel. VI-30b Reinhard (1840–1841) wurde nicht einmal ein Jahr alt.

V-20c Elisabeth Carolina Kühne und Jacob Heinemann hatten eine Tochter. VI-30c Katharina Heinemann (1858– 1935)

Die siebte Generation

VI-22b Heinrich Christoph Hermann und Anna Katharina, geb. Andreas hatten fünf Kinder. VII-31a Hedwig (Hedde) Elise Henrie- ke (1889–1960) heiratete 1914 den Kurarzt Dr. Friedrich (Fritz) Wilhelm Hermann Sip- pell (geb. 1888) aus Bad Sooden-Allendorf. bb : nna nne oni eorgine Hochhth 90 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

bb : riedrich rit aob Heinrich Hoch- bb : arie arianne nd Erich ilhel huth Hermann Hochhuth

VII-32a Anna (Änne) Toni Georgine VII-33b Martha Henrike Auguste (1894– (geb. 1902) war Opern- und Konzertsänge- 1959) heiratete 1918 den Eisenbahn-Rech- rin. Von 1924 bis 1933 war sie verheiratet nungsrevisor Paul Schumacher (1879–1960), mit dem Obersteuersekretär Anton Karl Tra- mit dem sie in Potsdam wohnte. schewski (geb. 1898). VII-33c Olga Katharina Therese (1896– VII-32b Kurt Hugo Oskar (geb. 1905), 1928) heiratete 1921 den Eschweger Maler- ebenfalls Opernsänger, heiratete 1940 in meister und Bauunternehmer Reinhard Fried- Rostock Lieselotte Agnes Henny Thornn rich Hüther (geb. 1894). (geb. 1916). Der Jüngste, VII-33d Erich Wilhelm Her- mann (1902–1978), führte den Betrieb sei- VI-24d Gustav Adolf und Anna Bertha nes Vaters als Elektro- und Installationsfach- Louise, geb. Junghans hatten vier Kinder. geschäft weiter. 1930 heiratete er Marie VII-33a Friedrich (Fritz) Jakob Heinrich (Marianne) Gebhard (1905–1973) aus Rei- (1892–1967) war ein schrulliger, unverhei- chensachsen. rateter Studienassessor a.D., der viele Jahre VI-24e Marie Johanna Emilie und Georg lang in einem mit Büchern überfüllten Zim- Jacob Otto Junghans hatten drei Kinder. mer im Elternhaus seiner Mutter „bei Jung- Die älteste Tochter, VII-33e Emma Theo- hans am Stad“ von seinen großen Reisen dore Helene (Lenchen) (1884–1961), blieb (Amerika) träumte. unverheiratet. Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 91

VII-33f Henrike Auguste Hedwig (Hedd- chen) (1885–1939) heiratete 1921 einen entfernten Verwandten, den Kaufmann Chris- toph Friedrich Otto Hochhuth (1890–1969). VII-33g Wilhelmine Else Junghans (1893– 1991) war eine der ersten Frauen in Eschwe- ge, die (Medizin) studieren und 1922 in Jena promovieren konnte. Sie heiratete den Ge- neralstabsarzt Dr. August (Gustel) Wilhelm Blum (1889–1952), der nach dem Krieg in Eschwege als Kinderarzt praktizierte.

VI-24h Hermann Wilhelm Heinrich Hochhuth und Margarete Catharina Adele, geb. Junghans hatten drei Kinder VII-34a Christoph Gustav Gerhard (1901– 1975) setzte die Theologentradition der Eschweger Hochhuths fort. 1928 heiratete er die Pfarrerstochter Luise Friederike Auguste Hedwig Eisenberg (1905–1988). Als Pfarrer war er zunächst in Jesberg, seit 1934 dann in Eschwege an der Marktkirche tätig. VII-34b Emilie Wilhelmine Hedwig Mar- garete (Gretel) (1905–1995) hatte eine Aus- Abb. 15: Hedwig und Gerhard Hochhuth bildung als Schneiderin gemacht und wäre sicherlich eine gute Ehefrau und Mutter ge- versorgte sie 32 Jahre lang ihren Vater, um worden. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter nach dessen Tod noch einmal 32 Jahre lang allein zu leben, die letzten Jahre im Städtischen Altenheim vor dem Brückentor. VII-34c Helene Elisabeth Anna Theodore (Dore) (1908–2002) hatte zunächst eine Ausbildung zur technischen Lehrerin (Turn- und Sportlehrerin) gemacht, war aber dann Leiterin der Lehr- und Werbeabteilung des städtischen Gaswerks in Fulda geworden. Dort heiratete sie 1936 Franz Anton (Toni) Weisensee (1908–1992), der in der Metallfabrik seines Va- ters (und in der SS) tätig war.

VI-24k Franz Heinrich Wilhelm Klermund und Margarethe Wilhel- mine Auguste, geb. Wagner hatten bb : ailie von Hedwig nd erhard Hochhth zwei Kinder. 92 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

VII-34d Jacob Friedrich Jeremias Kler- VII-34e/2 Marie Elisabeth Liebisch (geb. 1884). mund (1877) lebte nur wenige Tage. VII-34h Christine Louise Anna (1882) Von VII-34e Marie Christine Katharina starb schon am dritten Tag; ihre Schwester Elise Klermund (geb. 1880) gibt es (bisher) VII-34m Emma (1887–1888) wurde nicht nur die Geburtsurkunde. einmal ein Jahr alt. VII-34k Adolf Karl (1883–1942) stieg wie VI-25e Bei Elise Auguste Anne Marie Frie- sein Bruder in den väterlichen Betrieb ein. da und Bernhard Grebe wissen wir nur von Er heiratete 1913 in Wanfried Christine So- einer Tochter. phie Gries (1882–1945), Tochter des dortigen VII-34f Elise Eva Johanna Margot (1900– Kiesgrubenbesitzers. 1968) heiratete 1921 den Referendar Johan- VII-34l Ludwig Friedrich (1886–1921) nes Richard Wolf (geb. 1897). starb in Hannover. VII-34n Friedrich Carl (1890–1915) starb VI-26a Margarete Elisabeth und Ernst als Soldat im I. Weltkrieg in Galizien. Schäfer hatten sechs Kinder. VII-34g Karl Adam Robert (1880–1965) VI-26c Adam Adolf und Margarethe Chris- führte gemeinsam mit seinem Bruder Adolf die tine hatten sieben Kinder. väterliche Metallgießerei, spezialisiert auf die Ihre älteste Tochter VII-35a Elisabeth Herstellung von Feuerwehrspritzen und Pum- Emma Hedwig (1882–1890) wurde nur acht pen, weiter. 1906 heiratete er VII-34e/1 Emma Jahre alt. Wilhelmine Christiane Liebisch (1883–1909), VII-35b Anna Elisabeth Margarete (Gret- Tochter des Eschweger Schornsteinfegermeis- chen) (1884–1947) heiratete 1906 den Kauf- ters Ernst Adolf Liebisch. Nach deren frühem mann Georg Heinrich Holzapfel (1873– Tod heiratete er 1911 ihre jüngere Schwester, 1938).

bb : ilheline Else nghans nd r gst stel ilhel l it Kindern Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 93

VII-36b Ilse Clementine Emma Margarethe (1890–1938) war Malerin und Zeichenlehre- rin. Sie war Mitglied in der 1925 von Otto Rit- schl gegründeten Freien Künstlerschaft Wies- baden, zu der auch Alexej Jawlensky gehörte. Ihre Schwester VII-36c Margarethe Martha (Mae) (geb. 1892) blieb – wie Ilse – unverhei- ratet. Freunde und Verlobte wurden Opfer des I. Weltkriegs.

VI-28a Carl Friedrich und Henrike (Rick- chen) Auguste Louise hatten vier Kinder. VII-37a Adam Heinrich Alfred (1881– 1956) hatte ein Schuhgeschäft in Göttingen. Er war verheiratet mit Elisabeth Helwig. Abb. 18: Hermann Wilhelm Heinrich Hochhuth VII-37b Margarethe Christine Marie und Tochter Margarete (1883–1933) heiratete 1906 den Buchhändler Reinhold Himmelreich aus Ehringshausen. Der Schuhfabrikant VII-35c Karl Friedrich VII-37c Friedrich Wilhelm Otto (1886– Otto (1886–1939) heiratete 1913 Elise (Else) 1888) wurde nur knapp zwei Jahre alt. Herfurth; ihr Vater war Pfarrer in Jestädt. VII-37d Elisabeth (Lissa) Emma Margarete VII-35d Auguste Friederike Justine (1888– (geb. 1889) heiratete 1915 den Arzt Dr. Adolf 1889) starb nach sechs Monaten; ein weiteres Leonhard Friedrich (Fritz) Hagemann Kind VII-35e N.N. (1891) bekam nicht ein- (geb. 1886). Die Familie wohnte in Malen- mal einen Namen und lebte nur einen Tag. te-Gremsmühlen. VII-35f Friedrich Ernst Walther (1892– 1978) konnte nicht verhindern, dass die Fami- VI-28f Carl Bernhard Julius Schroeter und lienfirma, die zuletzt 220 Beschäftigte hatte, Margarete Christina Emma, geb. Hochhuth 1929/1930 in Folge der Weltwirtschaftskrise hatten drei Kinder. schließen musste. 1924 hatte er Ilse Holzap- fel (1905–1982) geheiratet; in der Firma ihres Großvaters (I.G.Holzapfel) war er später als Geschäftsführer tätig. VII-35g Mit Carola Emma (1893–1902) verlor die Familie das vierte von sieben Kin- dern im Kindesalter. VI-26d Carl Friedrich Ludwig und Auguste Friederike Justine, geb. Ebel hatten drei Kin- der. VII-36a Paul (geb. 1888) war praktischer Arzt in Wiesbaden. Er heiratete 1927 Irma Richheimer, geb. Lieber (1887–1943). Da Paul nicht bereit war, sich nach 1933 von sei- ner jüdischen Frau scheiden zu lassen, hatte die ganze Familie unter dem Terror der Nazis zu leiden. Ihrer drohenden Deportation ent- zog sich Irma im Frühjahr 1943 durch Suizid. bb : Karl Hochhth nd Else Schäer 94 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 20: Dr. Paul Hochhuth

VII-38a Margarete Christine Auguste Ida VI-29b Johann Carl August und Johanna Schroeter (1894–1965) heiratete 1918 den Katharina, geb. Große hatten einen Sohn. Lederfabrikanten Karl Ernst Erich Döhle VII-39c Christoph Friedrich Otto (1890– (1889–1959). 1969) machte am Friedrichsgymnasium in VII-38b Edith Henrike Helene Schroeter Kassel Abitur und studierte Mathematik und (1895–1982) starb unverheiratet mit 87 Jah- Chemie. Als Soldat im 1. Weltkrieg schrieb ren in Hessisch Lichtenau. er viele Briefe aus Polen und Russland an sei- VII-38c Fritz Werner Schroeter (1898– nen Vater. 1921 heiratete er VII-39c/1 Hen- 1939) fiel als Oberleutnant der Reserve 16 rike Auguste Hedwig (Heddchen) Junghans Tage nach Kriegsbeginn. Er war verheiratet (1885–1939) und wurde Teilhaber in deren mit Lisa Döhle. väterlicher Baustofffirma Otto Junghans. VI-29a Johann Christoph Friedrich und Nach ihrem Tod heiratete er 1940 VII-39c/2 Katharina Philippine, geb. Martin hatten zwei Elisabeth Blüggel (1904–2003). Kinder. VII-39a Anna Gertrude Emilie (Minna) (1881–1955) hatte 1900 den Kaufmann Fried- Die achte Generation rich Joseph Steyer (geb. 1881) geheiratet. VII-39b Ernst Christoph August (geb. 1883), Bei der Darstellung der achten Generation Schuhmachermeister, war mit Ernestine Wil- sehe ich einige Schwierigkeiten. Zum einen helmine Emma Wagner verheiratet. ist hier – anders als bei den früheren Gene- Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 95

bb : arl riedrich nd Henrie icchen gste Loise it ihren Kindern 96 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 rationen – der Datenschutz zu berücksichti- VIII-41e Christa Sippell (1928–1995), ver- gen. Viele Mitglieder dieser Generation leben heiratet mit Roderich Schlubach noch. Sie selber oder auch ihre Kinder (die VIII-41f Renate Sippell (1928–2003), ver- neunte Generation) oder Enkel (die zehnte Ge- heiratet mit Karl-W. Schlubach neration) wurden nicht gefragt, ob sie zu den Eschweger Hochhuths dazugehören möchten. VI-31c/1 Eduard Heinrich Hermann Hoch- Zum anderen haben sich auch bei den huth und Grete Körner hatten eine Tochter. Eschweger Hochhuths die Familienformen VIII-41g Margret (Gretel) Hochhuth geändert. Kreuz- und Querverbindungen (geb. 1922), verheiratet mit Hans Jänecke innerhalb der Großfamilie, Ehepartnerwahl VI-31c/2 Eduard Heinrich Hermann Hoch- innerhalb der Stadtmauern, Heirat der jün- huth und Ilse Körner hatten drei Kinder. geren Schwägerin, wenn die Ehefrau im VIII-41h Hans Heinz Hochhuth (1927– Kindbett gestorben war – das ist Geschichte. 2002), verheiratet mit Gisela Niethammer Scheidungen, Patchworkfamilien, (gleichge- VIII-41i Henning Hochhuth (1931–1944) schlechtliche) Lebensgemeinschaften, inter- VIII-41k Eckart Hochhuth (geb. 1935), nationale, -kulturelle, -religiöse Beziehun- verheiratet mit Ursula Märländ gen, Alleinerziehende gehören heute zur normalen Wirklichkeit. VII-32b Kurt Hugo Oskar Hochhuth und Dafür gibt es in der achten Generation Lieselotte Agnes Henny Thornn hatten eine erste Beispiele, in der neunten und zehnten Tochter. dürften es sehr viel mehr sein. Kann dann VIII-42 Petra Hochhuth (geb. 1942) überhaupt noch die Geschichte der Eschwe- ger Hochhuths weiter betrieben werden? VII-33b Martha Henrike Auguste Hochhuth So werden die Angaben, die jetzt folgen, und Paul Schumacher hatten zwei Töchter. nicht nur unvollständiger, sondern auch zu- VIII-43a Annemarie Schumacher rückhaltender sein, was Lebensdaten, Fami- VIII-43b Ruth Schumacher lienstand, Fotos, Berufsangaben betrifft. Das kann nicht mehr im großen Zusammenhang, VII-33c Olga Hochhuth und Reinhard sondern – wenn überhaupt – nur noch in Hüther hatten einen Sohn. kleineren Teilverbänden dargestellt werden. VIII-43c Reinhard Gustav Friedrich Aber aus der verwirrenden Vielfalt, die Hüther (1921–1941). sich in der achten Generation zeigt, lassen sich Zugehörigkeiten entdecken und Spuren VII-33d Erich Wilhelm Hermann Hoch- zurückverfolgen – mindestens bis 1709, als huth und Marie (Marianne) Gebhard hatten der erste Hochhuth nach Eschwege kam. zwei Töchter. VIII-43d Irene (geb. 1934), verheiratete VII-31a Hedwig (Hedde) Elise Henrieke Venz Hochhuth und Friedrich (Fritz) Wilhelm Her- VIII-43e Birgit (geb. 1947), verheiratete mann Sippell hatten sechs Töchter. Trümper VIII-41a Ruth Sippell (geb. 1916), verhei- ratet mit Dr. Roland Niedner. VII-33g Wilhelmine Else Junghans und VIII-41b Ria Sippell (geb. 1919), verheira- August (Gustel) Wilhelm Blum hatten zwei tet mit Erich Bindert Söhne. VIII-41c Jutta Sippell (1920–1981), ver- VIII-43f Wilhelm Blum (1929–2005), ver- heiratet mit Claus Korth heiratet mit Helga Thomas VIII-41d Gisela Sippell (geb. 1923), ver- VIII-43g Gerhard Blum (geb. 1932), ver- heiratet mit Rudolf Morgner heiratet mit Hella Bierschenk Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 97

bb : Hedwig Hedde Elise Henriee Hochhth nd riedrich rit ilhel Herann Siell it ihren Kindern

VII-34a Christoph Gustav Gerhard Hoch- (geb. 1940), verheiratet mit Wolfgang Brin- huth und Luise Friederike Auguste Hedwig, ken, Wolfgang Schirpf, Horst van den Boom geb. Eisenberg hatten zehn Kinder. VIII-44k Gerhard Hochhuth (geb. 1947), VIII-44a Gertrud Hochhuth (1929–2017), verheiratet mit Maria Elisabeth (Maili) Roth verheiratet mit Karl-Heinz Kleinschmidt VIII-44b Elisabeth Hochhuth (geb. 1930), VII-34c Theodore (Dore) Hochhuth und verheiratet mit Werner Kollmar Anton (Toni) Weisensee hatten drei Kinder. VIII-44c Martin Hochhuth (geb. 1931), VIII-44l Rainer Weisensee (geb. 1938), verheiratet mit Renate Herbst verheiratet mit Uta Jungmann VIII-44d Hermann Hochhuth (geb. 1933), VIII-44m Gerd Weisensee (geb. 1942), verheiratet mit Erni Pfeiffer verheiratet mit Karin, Margrit Bladt VIII-44e Magdalene Hochhuth (geb. 1934) VIII-44n Sibylle Weisensee (geb. 1945), VIII-44f Otto Hochhuth (geb. 1935), ver- verheiratet mit Joachim Meencke heiratet mit Inge Sperber VIII-44g Margarete (Margret) Hochhuth Karl Adam Robert Schäfer und VII-34e/1 (geb. 1937), verheiratet mit Siro Del Barba Emma Wilhelmine Christiane Liebisch hatten VIII-44h Christel Hochhuth (geb. 1938), einen Sohn und eine Tochter. verheiratet mit Hans Schär VIII-44p Ernst Schäfer (geb. 1907); er VIII-44i Ottilie (Otty) Hochhuth wanderte nach Chile aus. 98 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

VIII-44r Marie Else Lieselotte Schäfer VIII-44t Karl-Otto Ludwig Walter Schäfer (1909–1911) (1915–1991) emigierte ebenfalls nach Chile. Karl Adam Robert Schäfer und VII-34e/2 VIII-44t Erna Frieda Schäfer (1921–2005) Marie Elisabeth Liebisch hatten zwei Töchter und einen Sohn. VII-35b Anna Elisabeth Margarete (Gret- VIII-44s Margreth Christine Erna Schäfer chen) Hochhuth und Georg Heinrich Holzap- (1913–1990), verheiratete Zeller. fel hatten drei Kinder.

bb : erlobng ol Hochhth nd arianne Heineann Gerhard Hochhuth: Die Eschweger Hochhuths 99

bb : echnng von alter Hochhth

VIII-45a Edith Holzapfel (1907–2001), VIII-47b Karl Himmelreich (geb. 1907) verheiratet mit Georg Henke VIII-45b Martha Holzapfel (1910–2003), VII-37d Elisabeth (Lissa) Emma Margare- verheiratet mit Martin Fleiter te Hochhuth und Adolf Leonhard Friedrich VIII-45c Gerhard Holzapfel (geb. 1920), (Fritz) Hagemann hatten (mindestens) eine verheiratet mit Elisabeth (Liesel) Lichte Tochter. VIII-47d Gertrud Hagemann (geb. 1921) VII-35c Karl Friedrich Otto Hochhuth und Elise (Else) Herfurth hatten zwei Söhne. VII-38a Margarete Christine Auguste Ida VIII-45d Kurt Georg Friedrich Walter Carl Schroeter und Karl Ernst Erich Döhle hatten Hochhuth (1920–1976), verheiratet mit Gise- (mindestens) einen Sohn und eine Tochter. la Trümper VIII-48a August Karl Otto Döhle (1919– VIII-45e Günter Hochhuth (1922–1944) 2007), verheiratet mit Lotte Weiß. VIII-48b Waltraud Döhle, verheiratete VII-35f Friedrich Ernst Walther und Ilse Griesel. Holzapfel hatten drei Söhne. VIII-45f Gerd Hochhuth (1926–1977), VII-39b Ernst Christoph August Hochhuth verheiratet mit Ingrid Dunker und Ernestine Wilhelmine Emma Wagner VIII-45g Rolf Hochhuth (geb. 1931), ver- hatten (mindestens) drei Söhne. heiratet mit Marianne Heinemann, Dana Pa- VIII-49a Paul Hochhuth (geb. 1907) vic, Ursula Euler, Johanna Binger VIII-49b Walter Hochhuth (geb. 1911) VIII-45h Dieter Hochhuth (geb. 1934), VIII-49c Fritz Helmut Hochhuth (1915– verheiratet mit Lore Schneider 1916)

VII-37a Adam Heinrich Alfred Hochhuth VII-39c Christoph Friedrich Otto Hoch- und Elisabeth Helwig hatten einen Sohn ad- huth und Elisabeth Blüggel hatten eine Toch- optiert. ter. VIII-47a Heinrich Hochhuth VIII-49c Hanna Hochhuth (geb. 1942), verheiratet mit Kurt Hoßbach VII-37b Margarete Christine Marie Hoch- huth und Reinhold Himmelreich hatten ei- nen (behinderten) Sohn. 100

„Einer von 2 Millionen“1 tig mit den anderen Kindern des Dorfes. Zwar gab es um die Wende vom 19. zum 20. Jahr- Die Geschichte des jüdischen hundert antisemitische Parteien (Deutschso- Soldaten Moritz Loewenstein ziale Partei, auch Deutschsoziale Antisemi- und seiner Familie tische Partei und Deutsche Reformpartei, vereinigt als Deutschsoziale Reformpartei, später Deutschvölkische Partei; 1917 aufge- von Thomas Beck gangen in der Deutschen Vaterlandspartei2), die insbesondere in Mittel- und Nordhessen, also auf „dem Land“, episodisch auch er- Am 13. Dezember 1878 wird Moritz folgreich nach Wählerstimmen fischten und Loewenstein als viertes von sechs Kindern im Deutschen Reichstag bis zu 16 Sitze in- (zwei Töchter, vier Söhne, von denen der nehatten. Dennoch gibt es wohl in Moritz’ am 29.11.1873 geborene Selmar bereits am Kindheit und Jugend keine überlieferten An- 31. Dezember 1873 verstirbt) des Handels- feindungen der Juden durch Mitmenschen mannes Levy Loewenstein (*16.08.1842 – christlichen Glaubens im Dorf. Die Eltern †21.10.1903) und dessen Ehefrau Röschen, von Moritz besitzen das Haus Nr. 61 mit Ne- geb. Rothschild aus Zierenberg (*24.11.1844 – bengebäude Nr. 61 ¾ (heute Brauhausstraße †01.01.1895), in Netra geboren. Nr. 19). Womit Vater Levy Loewenstein han- Kindheit und Jugend verbringt er einträch- delt, ist nicht überliefert.

bb : as Has Loewenstein: nang der er lins rechts nach de era Ende der er-ahre Thomas Beck: „Einer von 2 Millionen“ 101

bb : diese oto von ist i Hintergrnd der gang der Snagoge erennen Ein oto des otteshases ist bisher nicht afinden gewesen

Die Familie Loewenstein praktiziert selbst- der Welt. Jüngstes Kind ist Gertrud (Ruth) Be- verständlich ihren Glauben. Zudem hat Mo- ate, genannt Trudl, die am 2. Februar 1915 ritz‘ Vater offensichtlich eine besondere Rolle geboren wird. in der jüdischen Gemeinde, steht doch am Tiefe Religiosität und die Verbindung zur Ende des Innenhofes seines Anwesens eine Synagoge sind bei Moritz Loewenstein of- Synagoge. Ein bescheidener Bau soll es ge- fensichtlich, denn er stiftet der Gemeinde im wesen sein; mehr Betraum als Synagoge, der Jahre 1912 einen silbernen Kultgegenstand. regelmäßig für Gottesdienste genutzt wird. Diese Investition in bescheidenen Zeiten im Am Sabbat und an jüdischen Feiertagen be- Ringgau unterstreicht sicherlich Moritz Loe- suchen die Juden aus Datterode und Netra wensteins Frömmigkeit. regelmäßig das kleine Gotteshaus. Es kommt das Jahr 1914 und mit ihm das Wie sein Vater zuvor, so ist auch Moritz große Unglück über die Welt: Der Erste Welt- von Beruf Kaufmann, als er 1907 Henriette krieg, wie er später genannt werden wird. (genannt Jettchen) Münz, geb. 14. Juli 1882 in Dieser große Krieg, geführt mit den seinerzeit Altengronau/Altkreis Schlüchtern, eine Toch- modernsten Waffen, verschlingt Massen von ter des dortigen Synagogen-Ältesten Samuel Soldaten in einer Weise, wie man es vorher Münz, heiratet. Dem Ehepaar werden vier noch nicht kannte. Auch aus dem Ringgau Kinder geschenkt. Der Geburt des ältesten werden die Männer zum Kriegsdienst einge- Sohnes Lothar am 15. Dezember 1908 folgt zogen. Väter ziehen in den Krieg, die älteren die Geburt von Julius am 28. März 1910, der Söhne folgen in das Gemetzel an den Fron- aber bereits am 5. April 1910 verstirbt. Toch- ten. Unendliches Leid macht sich breit über ter Reta erblickt am 3. August 1911 das Licht den nach Verwesung stinkenden, matschigen 102 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

bb : Lagelan vo : Has nd rndstc Lev Löbwenstein ater von o- rit lrstc lins rechts eingeessenes Has acob othschild lrstc a i anschlieenden Hogrndstc lrstc aa die Snagoge der sraelitischen eeinde Thomas Beck: „Einer von 2 Millionen“ 103

bb : as Ehrenal in etra rechts sschnitt

Äckern, Wiesen und Wäldern der verschie- seiner Einheit am „Toten Mann“ bzw. der denen Fronten in einer bis dato unbekannten „Höhe 304“ – der „Knochenmühle“, wie Materialschlacht. Bei Ausbruch des Krieges sie genannt wird. Wie der gebürtige Netraer im August 1914 meldet sich Moritz freiwillig. stirbt, ist nicht bekannt. Er ist sicherlich ei- Er ist sich als deutscher Patriot sicher, zu Cha- ner von vielen Gefallenen des 23. Oktobers nukka (Lichterfest) wieder zurück bei seiner 1917. Moritz Loewenstein wird zunächst Familie in Netra zu sein3. Er sollte sich wie in Schlachtfeldnähe bestattet. Sein Name viele andere irren. steht auch heute noch neben denen weite- Die durchschnittliche Überlebensdauer rer Gefallener des Dorfes auf dem Ehrenmal eines Frontsoldaten an der Westfront sinkt in Netra, nur einen Steinwurf vom einstigen von fünf Wochen in 1914 auf 14 Tage in Haus der Loewensteins an der Brauhausstra- 1917. Moritz Loewenstein, Gefreiter der ße entfernt. Munitionskolonne der 1. Batterie des Fuß- In der Verlustliste Nr. 993 des Deutschen artillerie-Bataillons 53, ist im Oktober 1917 Heeres vom 19. November 19174 ist nüch- nahe Verdun eingesetzt. Er befindet sich mit tern verzeichnet: 104 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Seine Frau muss mit den drei Kindern zusehen, wie sie zurechtkommt. Dazu die Mangelwirtschaft in den Kriegs- und Nach- kriegsjahren, Hunger und Entbehrung, Wirt- schaftskrise, Inflation. Und es lässt sie nicht ruhen, den Gatten in fremder Erde bestattet zu wissen. Wie die Familie es auch angestellt hat, sie erreicht die Exhumierung des Leich- nams von Moritz und seine Überführung in die Heimat, auf den jüdischen Friedhof zu Netra, wo Moritz Loewenstein am 10. Feb- ruar 1918, einem Sonntag, beigesetzt wird. Der Grabstein kündet noch heute von dieser ergreifenden Geschichte des Ersten Weltkrie- ges. Moritz Loewenstein ist einer von vielen Gefallenen der Ringgaudörfer. Er ist zumin- dest aber im Ringgau der dem Verfasser ein- zige bekannte Gefallene, der in die Heimat

Abb. 7: Jettchen Loewenstein mit einer ihrer Töch- ter itte der er-ahre vor de Has in etra

zurückgeholt wird, um hier von seinen An- gehörigen bestattet und betrauert werden zu können. Wie bei den anderen jüdischen Beisetzungen auch, so verharren die Frauen des Trauerzuges in Höhe des Netraer Schlos- ses, während die Männer den Leichnam zum Friedhof tragen und ihn dort zu seiner letzten Ruhe betten. Jettchen Loewenstein und ihre Kinder er- warten schwierige Jahre. Ihr Ziel ist die gute Ausbildung ihrer Kinder, was während der wirtschaftlich schlechten Jahre nach dem Ers- ten Weltkrieg nicht einfach ist. Sie verliert das Wenige, was die Familie besitzt. Mit großen Anstrengungen und mit Hilfe ihres jüngeren Bruders erreicht sie aber dieses Ziel. Als im Jahre 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen und auch in Netra die Verhältnisse fast über Nacht für die jüdischen Mitmenschen schwerer und unerträglicher werden, wird auch Jettchen Loewenstein, die zunächst als Kriegerwitwe vor Verfolgung ge- Abb. 6: Der Grabstein von Moritz Loewenstein auf schützt scheint, klar, dass Juden auch in klei- dem jüdischen Friedhof zu Netra nen Dorfgemeinschaften nicht mehr existie- Thomas Beck: „Einer von 2 Millionen“ 105

bb : Kavertrag ettchen Loewenstein handelt trehänderisch ach r ihre Kinder ren können. Während Sohn und die beiden el, ihr Mann Shaul sowie ihre Söhne Carmi Töchter von 1935 bis 1937 nach Palästina und Amir suchen Kontakt, um sich einen lang immigrieren, zieht Frau Loewenstein zu ihrer gehegten Wunsch zu erfüllen und Netra, den Schwester in eine benachbarte Stadt. Der Tod Geburtsort von Dorits Mutter Traudl und Hei- des Mannes und Vaters im Krieg schützt sie mat der Großeltern, zu besuchen. nun auch nicht mehr. Das Eigentum ist nicht mehr sicher, das eigene Haus steht zur Dis- position. Frau Loewenstein ist gezwungen, das Haus in Netra zu verkaufen. Durch Kauf- vertrag vom 5. Januar 1937 geht das Haus in den Besitz des Landstraßenwärters Heinrich Anhof und dessen Ehefrau Anna über. Frau Loewenstein wird 1938 von ihren Kindern nach Palästina, dem heutigen Israel, nachgeholt. Sie wohnt zunächst bei Tochter Reta und Familie in Jerusalem. Von 1953 an lebt sie mit der Familie von Tochter Trudl im Kibbutz Maabarot und passt gut in die Grup- pe deutschsprechender Großmütter, wie Trudl es beschreibt. Ihre Kinder verheiraten sich und schen- ken ihr Enkel und diese wiederum Urenkel. Hochbetagt, doch ohne je die Heimat wie- dergesehen zu haben, verstirbt Jettchen Loe- wenstein am 28. Juni 1978, knapp einen Mo- nat vor ihrem 96. Geburtstag. Im Jahre 2010 erhält der Heimatverein Datterode e. V. (HVD) eine E-Mail aus Israel von Dorit Daniel, Tochter von Traudl und En- bb : ettchen Loewenstein it ihrer Eneltoch- kelin von Jettchen Loewenstein. Dorit Dani- ter Dorit im Kibbutz 106 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

existiert noch. Mit erkennbarer Freude sehen die Besucher, dass ihres Angehörigen Moritz Loewenstein auf dem Ehrenmal nach wie vor gedacht wird. Gefühlsbetonter Höhepunkt ist der Besuch im Haus der Vorfahren. Der Hauseigentümer, Fritz Anhof (1937–2017), erläutert die Geschichte des Hauses und der einst auf dem Hofgrundstück befindlichen Synagoge (1971 abgebrochen). Ältere Nach- barn stoßen hinzu und erzählen spontan von Erlebnissen aus Tagen vor der Nazi-Zeit. Sie Abb. 10 u. 11: Jettchen Loewenstein in ihren spä- hatten teils noch mit der verstorbenen Mutter ten ahren lins nd ihre ochter radl7 von Dorit, Trudl Loewenstein, im Sand ge- spielt. Es ist ein sehr emotionaler Moment, als die Herr Anhof, dem der Autor für die Über- Familie Ende April 2010 am Grab des Groß- lassung von Fotos und Unterlagen auch an bzw. Urgroßvaters steht, dem jüdischen dieser Stelle posthum noch einmal danken Brauch folgend Steine auf das Grabmal legt möchte, holt den Kaufvertrag von 1937 her- und Kerzen anzündet. Auch der Grabstein vor, den seine Eltern damals mit Jettchen Loe- des Vaters von Moritz, Levy Loewenstein, wenstein abgeschlossen hatten.

bb : rahasstrae wischen ohnhas lins nd de rechten ebengelass ab- gebrochen nach hrte der eg r Snagoge a Ende des nnenhoes Thomas Beck: „Einer von 2 Millionen“ 107

bb : ailie aniel a rab von orit Loewenstein lins nd a Ehrenal

bb : rit nho v l achbarn nd ailie aniel vor de ehealigen Has der Loewensteins 108 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

bb : assng era der Snagoge der dischen eeinde an Herrn nd ra nho

Abb. 17: Dorit Daniel mit ihren Söhnen Carmi und Amir über den alten Unterlagen gebeugt; hinten rechts Fritz Anhof Thomas Beck: „Einer von 2 Millionen“ 109

Er erzählt auch, dass seine verwitwete Mutter Anfang der 1950er-Jahre noch einmal DM 3500,– an den Wiedergutmachungs- fonds für das Haus hatte aufbringen müssen. Ein alter Lageplan von 1869 und die Abschrift der Grundbuchauflassung des Synagogenver- kaufs sind ebenfalls noch vorhanden. 2011 erhält der HVD eine Anfrage der Kuratorin des Jüdischen Museums Berlin zu einem seit vielen Jahren dort aufbewahrten, den eingangs genannten Kultgegenstand. Es handelt sich um eine „Besamimbüchse“, ei- nen silbernen Gewürzbehälter, an dem am Ende des Sabbats beim Hawdala-Ritual gero- chen wird, um etwas vom besonderen „Ge- schmack des Festtages“ mit in den Alltag zu nehmen. Die Art der verwendeten Gewürze ist nicht festgelegt. Beliebt sind Myrtenblätter in Anspielung auf Jesaja 55,13: „Statt Dornen wachsen Zypressen, statt Brennnesseln Myr- ten“.5 Auf dem unteren Fuß des silbernen Be- hälters findet sich die Gravur: „Gestiftet von Moritz Loewenstein Netra 1912“. So schließt sich der Kreis einer dramati- schen Geschichte, die vor 100 Jahren mit dem Tod des Soldaten Moritz Loewenstein aus Netra ihren Anfang nahm.

Mensch, wann lernst du dazu?

bb : esaibchse 110 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Jüdische Kriegsteilnehmer (soweit bekannt) der Synagogengemeinde

Netra Name geboren ab Dienstgrad Auszeich- verwundet/ nung gefallen Levy Goldschmidt 09.01.1875 9/1916 Moritz Goldschmidt 09.05.1885 verwundet September 1915/ Mai 1918 Julius Kaschmann 16.07.1886 3/2015 EK II Ferdinand Katz 09.02.1887 gefallen 04.10.1917 Moritz Katz 27.02.1873 6/1915 Moritz Loewenstein 13.12.1878 8/1914 Gefreiter gefallen 23.10.1917 Siegfried Loewenstein 10.02.1882 5/1915 Julius Rothschild 21.05.1898 6/1917 Leopold Rothschild 15.08.1898 11/2016 EK II verwundet August 1918 Arthur Stern 01.11.1891 gefallen Februar 1916 Hugo Stern 06.09.1886 Musketier gefallen 07.01.1916 Joseph Stern 30.03.1890 8/2014 Unter- EK II verwundet August offizier 1915 Moritz Stern 16.05.1893 10/1914 verwundet Oktober 1915/ März 1916/ Mai1918

Datterode Name geboren ab Dienstgrad Auszeich- Verwundet/ nung gefallen Baruch Löbenstein I 14.09.1881 8/1914 Unter- EK II verwundet Febru- offizier ar 1915 Baruch Löbenstein II 05.07.1891 8/1914 Markus (Max) Löben- 18.06.1892 10/1914 stein Dreyfuss 1/1915 Albert Pfifferling 02.05.1876 6/1917 Tambour Louis Pfifferling 18.02.1894 verwundet Juni 1915 Salomon Pfifferling 08.02.1882 Wehrmann verwundet Januar 1915 Thomas Beck: „Einer von 2 Millionen“ 111

Zum Schicksal der Geschwister Ihre jüngste Tochter Edith Loewenstein, von Moritz Loewenstein geb. 30. Januar 1921 in Netra, teilt das Schicksal der Mutter. Sie wird 1942 von ih- Bruder Ferdinand Loewenstein rem Wohnort Frankfurt am Main in „den geboren am 15. Juli 1872, heiratet am Osten“ deportiert. Der genaue Ort ist nicht 28. November 1899 Frieda Blum aus Mell- bekannt. Ihre mittlere Tochter, Lotte Loewen- richstadt; über das Schicksal ist nichts be- stein, geb. 25. April 1914 in Netra, emigriert kannt. Anfang 1939 zunächst nach Holland, von wo sie nach Palästina auswandern kann. Schwester Emilie Loewenstein Die älteste Tochter Ruth Loewenstein, geboren am 1. Juli 1875, heiratet am geb. 27. Dezember 1911 in Netra, kann im 11. Dezember 1901 den Viehhändler Moritz August 1939 in die USA immigrieren. Katz (Kriegsteilnehmer s. o.), geb. 27. Febru- ar 1873, aus Netra. Moritz Katz wird in der Schwester Hilde Loewenstein sogenannten „Reichskristallnacht“ am 9. No- geboren am 12. Juni 1885, heiratet am vember 1938 von SA-Männern in Netra miss- 15. Oktober 1909 den Kaufmann Sally handelt und stirbt am 17. November 1938 an Reichen berg, geb. 4. Januar 1882, aus den Misshandlungen6. Emilie wird am 1. Juni Ostheim bei Hanau. Wohnhaft in Winde-

bb : l n r Eilie Loewenstein Edith Loewenstein th Loewenstein nd Hilda Loewenstein

1942 von Eschwege über Kassel und Halle in cken, später dann Frankfurt am Main, von das Vernichtungslager Sobibór deportiert, wo wo aus sie gemeinsam am 15. September sie am 3. Juni 1942 ermordet wird. 1942 ins Ghetto nach Theresienstadt depor- tiert werden. Während Sally dort bereits am Bruder Siegfried Loewenstein 24. November 1942 verstirbt, wird Hilde am geboren am 10. Februar 1882, heiratet 29. Januar 1943 nach Ausschwitz in das Ver- er am 26. Februar 1911 Berta Katzenstein, nichtungslager verbracht, wo sie ermordet geb. 17. Februar 1886 in Teysa. Sie ziehen wird. mit ihren drei Töchtern 1933 von Netra nach Eschwege. Hier nimmt sich Siegfried Loe- wenstein (Kriegsteilnehmer s. o.), am 30. Ap- Anmerkungen ril 1937 das Leben. Ehefrau Berta wird am 6. September 1942 von Eschwege über Kassel 1 Die Zahl der gefallenen deutschen Solda- zunächst nach Theresienstadt, am 23. Januar ten des 1. Weltkriegs wird auf 1,8–2 Mil- 1943 nach Ausschwitz in das Vernichtungsla- lionen, die der Soldaten aller beteiligten ger deportiert und ermordet. Nationen auf 8–9,5 Millionen geschätzt. 112 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschso- ben, vermisst 12 Prozent, also 10.110. Es ziale_Partei. ist eine Tatsache, dass der Anteil der Juden 3 Bei Kriegsausbruch 1914 gibt es eine große an Kriegsteilnehmern und Opfern ihrem Welle jüdischen Patriotismus. „Liebt nächst Anteil an der Gesamtbevölkerung ent- Gott das Vaterland“, so lautete der Aufruf sprach. Fast 30.000 wurden dekoriert, fast zum patriotischen Dienst. Aufruf jüdischer 1200 gehörten zu den Sanitätsoffizieren Verbände vom August 1914: „Deutsche und den Militärbeamten im Offiziersrang. Juden! In dieser Stunde gilt es für uns aufs Zitiert aus „Dazu hält man den Schädel Neue zu zeigen, dass wir stammesstolzen hin – Deutsch-jüdische Soldaten im Ers- Juden zu den besten Söhnen des Vaterlan- ten Weltkrieg“, Wolfgang Schneiderhan, des gehören. Der Adel unserer vieltausend- in „frieden“, Zeitschrift des Volksbundes jährigen Geschichte verpflichtet. Wir er- Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., April warten, dass unsere Jugend freudigen Her- 2017. zens zu den Fahnen eilt. Deutsche Juden! 4 http://wiki-de.genealogy.net/Verlustlisten_ Wir rufen Euch auf, im Sinne des alten jü- Erster_Weltkrieg/Projekt. dischen Pflichtgebots mit ganzem Herzen, 5 https://de.wikipedia.org/wiki/Besamim- ganzer Seele und ganzem Vermögen Euch b%C3 %BCchse. dem Dienste des Vaterlandes hinzuge- 6 Erich Schwerdtfeger (Hg.) in, „Jüdisches ben.“ Über zehntausend deutsche Juden Leben in einem hessischen Dorf – Aus den meldeten sich freiwillig. 96.000 jüdische Lebenserinnerungen Ludwig Rothschilds“, Kriegsteilnehmer, also rund 17 Prozent 1. Auflage 2006, ISBN 978-3-8334-6352- der jüdischen Bevölkerung (von 550.000), 5, Books on Demand GmbH, Norderstedt. rund 12 Prozent Kriegsfreiwillige, mehr als 7 Familienfotos Dorit Daniel. 77 Prozent an der Front. Gefallen, gestor- 113

Die Reichspogromnacht nord- und oberhessischen Landkreise lag der jüdische Bevölkerungsanteil mit mehr 1938 in Eschwege: Wer als 1 v. H. noch über dem Reichsdurch- waren die Täter?1 schnitt von 0,9 %.4 Im Laufe des 9. und 10.11.1938 breitete sich dann der Pogrom gegen die jüdische von Gerd Strauß Bevölkerung über ganz Deutschland aus. Den Anstoß dazu gab – nachdem bekannt wurde, dass der in Paris von einem emigrier- 1. Einleitung ten Juden namens Herschel Grünspan an- geschossene Botschaftsrat vom Rath seinen Im November 2018 jährte sich zum 80. Verletzungen erlegen war – eine Rede von Mal das Datum (Nacht vom 8.11./9.11.1938), Reichspropagandaminister Joseph Goeb- das hier in Eschwege und Umgebung als Auf- bels vor hohen NSDAP- und SA-Reprä- takt schrecklicher Vorfälle steht, bei denen sentanten am 9.11.1938 im Saal des alten Menschen jüdischen Glaubens auch hier vor Rathauses in München. Er nutzte geschickt Ort bestohlen, bedroht, gedemütigt, geschla- die Gunst der Stunde, um sich zu profilie- gen, der Freiheit beraubt und auch zu Tode ren und die aus Sicht der NSDAP-Oberen gebracht wurden. Damit stellte Eschwege si- schon seit längerem anstehende ‚Lösung der cherlich keinen Einzelfall dar, denn das, was Judenfrage‘ anzugehen. Dabei verwies er man dann später als ‚Reichspogromnacht‘ ausdrücklich auf die schon durchgeführten bezeichnete, spielte sich letztendlich in ganz Pogrome in Nordhessen sowie in Magde- Deutschland ab.2 burg–Anhalt. Dazu Krause-Vilmar: „Hätte Aber es fällt auf, dass Eschwege und Um- es dieses Vorpreschen [in Kassel] nicht ge- gebung damit neben zahlreichen anderen geben, wer weiß, ob der Pogrom so, wie er nordhessischen Städten und Gemeinden (wie dann reichsweit organisiert wurde, durchge- z. B. Witzenhausen und Bad Hersfeld) so et- führt worden wäre.“5 was wie eine ‚traurige Vorreiterrolle‘ einnah- Ernst vom Rath stirbt am 9.11.1938 um men, die nur noch von Kassel und Umgebung, 16.30 Uhr (franz. Zeit).6 Ende Oktober 1938 Bebra und Rotenburg ‚übertroffen‘ wurde, da werden mehr als 12000 Juden polnischer dort schon am 7.11.1938 die Ausschreitun- Staatsangehörigkeit in das deutsch-polnische gen begannen. Dabei war die Kasseler Syna- Grenzgebiet deportiert, nachdem die polni- goge wohl damals in Deutschland die erste, sche Regierung angekündigt hatte, allen Po- die niedergebrannt werden sollte.3 len, die länger als fünf Jahre im Ausland leb- Der Kasseler Historiker Dietfried Krause- ten, die Staatsbürgerschaft zu entziehen Vilmar sieht gerade diese Entwicklung in Herschel Grynszpans Schicksal ist bis heu- Kassel als hausgemacht an und weist in te ungeklärt. Vermutlich kommt er 1942 im diesem Zusammenhang auch auf eine be- KZ Sachsenhausen um. sonders judenfeindliche Stimmung in Nord- Der Hinweis von Goebbels an die anwe- hessen hin. Auffällig war der relativ hohe jü- senden Parteiführer, dass Hitler die NSDAP dische Bevölkerungsanteil in Hessen, der im aus einem solchen Vorgehen gegen die jüdi- Reich nur noch von der Stadt Berlin prozen- schen Bevölkerung heraushalten wollte, dass tual übertroffen wurde. Bevorzugte jüdische aber gegen ‚spontane‘ Aktionen nicht entge- Siedlungsgebiete waren […] einzelne mit- genzutreten sei, wurde von den Anwesenden tel- und kleinstädtische ‚Oasen‘ wie Fulda als eine indirekte Aufforderung an die Partei (4 v. H.), Eschwege, Gießen und Friedberg zu einer reichsweiten Organisation von Pog- (je 3 v. H.). Aber auch in zwei Dritteln der romen verstanden. 114 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Die reichsweite Bilanz war: Über die Vorfälle in Netra (1938 nur noch – Mehr als 100 Tote, nicht berücksichtigt 2 jüdische Familien) am 9.11.1938 lässt sich zahlreiche Selbstmorde, Tote in den Kon- aus den Quellen Folgendes entnehmen: Die zentrationslagern aufgrund von Gewalt- dortige SA traf sich in der Gaststätte Gliem- anwendung, mangelnder Hygiene und roth zu einem sog. ‚Sturmabend‘, in dessen Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie Verlauf man auch die ‚berüchtigte‘ Rede von der Tod zahlreicher älterer Männer, weil Reichspropagandaminister Joseph Goebbels sie keine Medikamente bekamen und der- anhörte, die die Stimmung anheizte. Beson- jenigen, die nach der Entlassung aus den ders perfide: Dabei waren auch die zwei jüdi- Lagern noch starben. [Benz: insgesamt schen Bewohner Moritz Katz und Sally Roth- 1300–1500 Tote]; schild, denen der SA-Sturmführer Heinrich – Inhaftierung von 27.000 Juden in Konzen- Böttger nach eigenen Angaben ‚befohlen‘ trationslagern [Graml: etwa 30.000; Benz: hatte, dieser Versammlung beizuwohnen. Sie 30.756]; mussten, mit dem Gesicht zur Wand stehend, – 101 Synagogen niedergebrannt [Benz: die Goebbels-Rede mit anhören. Anschlie- mehr als 1400], 76 demoliert. Ungefähr ßend konnten sie das Lokal wieder verlassen. 7500 Geschäfte zerstört [Graml: mindes- Den anwesenden SA-Männern wurde die Pa- tens 8000], mindestens 177 Wohnhäuser role ausgegeben: „Die Nacht gehört euch.“ [Benz]; Später begaben sich dann mehrere SA-Män- – 800 Plünderungen; ner zum Haus des Juden Katz. Die dort anwe- – Schätzung der Schäden insgesamt: 25 senden Juden wurden verprügelt. Aber Katz Mio. RM [Graml: Laut Bericht Heydrich derart, dass er drei Tage später verstarb.9 an Göring: mehrere hundert Millionen Die Vorfälle in Abterode (1933: 9,4 % der Mark].7 Einwohner waren jüdischen Glaubens) wer- Schon vor der Reichspogromnacht kam es den von dem Historiker Wolf-Arno Kropat 1938 in Deutschland zur Zerstörung von wie folgt beschrieben: jüdischen Gotteshäusern. Als erstes fiel die „Hier hatte der Ortsgruppenleiter an Münchner Hauptsynagoge im Rahmen einer Abend des 8. November die politischen Leiter von Hitler angeordneten ‚städtebaulichen aus der Umgebung sowie Vertreter der SA um Maßnahme‘ (9.6.1938). Vorreiter von Über- 20 Uhr zu einer Besprechung in eine Gast- griffen gegen jüdische Gotteshäuser, Willkür wirtschaft [Zimmermann] gerufen. Insgesamt und Terrorakte auf dem Lande waren hier die nahmen etwa vierzig Personen an dieser Ver- Gaue Franken (den Julius Streicher führte) sammlung teil. In seiner Ansprache, die auch und Mainfranken.8 Aber auch in Eschwege auf das Attentat in Paris einging, erwähnte der kam es schon vor der Reichspogromnacht zu Ortsgruppenleiter [Uhlendorf], daß für die- antisemitischen Vorfällen. sen Abend ‚etwas geplant gewesen, jedoch vom Reichspropagandaministerium wieder abgeblasen worden sei.‘ [Möglicherweise ist 2. Was passierte im Zusammenhang dieser Hinweis so zu verstehen, daß die Gau- mit der Reichspogromnacht propagandastelle in Kassel den Ortsgruppen- nun im Kreis Eschwege? leiter in Abterode gewarnt hat, selbst im Ort aktiv zu werden]. Werfen wir nun einen konkreteren Blick Während die Versammlungsteilnehmer im auf die Ausschreitungen gegen die jüdische Anschluß an diese Rede noch in der Wirt- Bevölkerung im Kreis Eschwege. Dabei sol- schaft beisammen saßen, trafen auswärtige len beispielhaft drei Ortschaften herangezo- Einsatztrupps ein, die in die Synagoge ein- gen werden: Netra, Abterode und Eschwege. drangen, Kultgegenstände und Teile der Inne- Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 115

Abb. 1 u. 2: Die Synagoge auf dem Schulberg und ihr verwüsteter Innenraum 116 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 neinrichtung auf die Straße schleppten und alle Dorfbewohner waren in jener Nacht auf anzündeten. Das jüdische Kaufhaus West- der Straße – nacheinander alle in Abterode heim wurde geplündert und in mehreren jü- ansässigen Juden aufgesucht [1 Laden und 7 dischen Häusern das Mobiliar zerstört.“10 Wohnungen: Fenster und Türen eingeschla- Das Landgericht Kassel, das 1949 die Aus- gen] und teilweise auch geschlagen wurden. schreitungen in Abterode vom 8.11.1938 Anschließend wurden die männlichen Juden aufarbeitete, ging von folgendem Tathergang in ‚Schutzhaft’ genommen und in die Kreis- aus: stadt Eschwege transportiert, […]“11 „Im Laufe der Nacht wurden dann ein- Martin Jung, Willi Jung, Willi Windemuth, zelne besonders unbeliebte Juden aus ihren Otto Jung, Georg Günther, Wilhelm Schrö- Häusern geholt und durch die Straßen ge- der, Klaus Brill, Gustav Brill, Martha Schäfer, führt. Ein besonderes Ziel der Volkswut war Elise Kunze, Willi Schröder aus Abterode so- der Viehhändler Max Ronsheim. Er wurde wie Bernhard Hupfeld und August Görke aus aus der Wohnung seiner Schwiegereltern Weidenhausen sowie Albert Heinemann aus gezerrt und durch die Straßen zur Synagoge Germerode und Heinrich Possner aus Kölle- geschleppt. Unterwegs wurde er beschimpft, da hatten sich vor der 9. Großen Strafkammer verhöhnt und geschlagen. In der Synagoge des Landgerichts Kassel in Eschwege des ein- brachte man ihn auf die Empore und mach- fachen bzw. schweren Landfriedensbruches te Miene, ihn von dort aus in das Schiff des zu verantworten. Gebäudes hinabzuwerfen, wovon man dann Dabei gelang es nicht, die Angeklagten aber abließ. […] Fest steht lediglich, dass un- der Teilnahme an der Zerstörung der Syna- ter Beteiligung fast sämtlicher Angeklagten – goge zu überführen, da die meisten Zeugen

Abb. 3: Zerschlagene Inneneinrichtung des Hotels Löwenstein, Friedrich-Wilhelm-Straße 52 Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 117

1945 von Käthe Doernberg (Frau von S. Doernberg) zusammengestellt wurde, präzise her- vor: Büro im Erdge- schoss: 5 Fenster- scheiben, Fenster- vorhänge, 12 Stühle, 4 Tische, 3 große Ak- tenregale, 1 Schreib- tisch, 3 Ledersessel, 1 Schreibmaschine, vollkommen zer- stört, 3 Schreib- maschinen schwer beschädigt, 5 große Bürolampen, total Abb. 4: Der Innenraum der Synagoge vor … zerstört, 2 Schreib- tischlampen, total behaupteten, in der damals herrschenden zertrümmert, 1 Ledersofa, total zerstört. Dunkelheit niemanden erkannt zu haben, Die Möbel „wurden vom ersten Stock auf obwohl alle Abteröder wohl mehr oder we- niger an der Judenaktion beteiligt waren. Da- mit wurde das Ergebnis der Spruchkammer Eschwege bestätigt. Martha Schäfer und Mar- tin Jung gaben allerdings zu, den Viehhändler Ronsheim geohrfeigt zu haben. Weil das Gericht der Auffassung war, „daß ein Zusehen bei der Judenverfolgung aus Neugierde erst dann strafbar sei, wenn der Neugierige sehe, was dort vorgehe und sich dann trotzdem nicht entferne“, wurden nur Martin Jung, Willi Jung, Willi Windemuth, Georg Günther, Heinrich Possner, Klaus Brill und Martha Schäfer zu Gefängnisstrafen ver- urteilt.12 Wenden wir uns nun intensiver der Eschweger Situation zu. Verschiedene Quel- lenauszüge sollen erst einmal dazu dienen, die emotionale Wucht, mit der die jüdische Bevölkerung Eschweges damals getroffen wurde, beispielhaft zu verdeutlichen. Die Zerstörung der Büro- und Wohnräume der jüdischen Familie Siegmund Doernberg (Rechtsanwalt) geht aus einer Liste, die nach Abb. 5: … und nach der Zerstörung 118 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 die Straße geworfen“, […] Glas- und Por- denfalls hatten die Leute die Absicht, Herrn zellanvitrine und ein Schrank mit Porzellan- Löwi zu verhauen, […] Wie es zu den Zusam- geschirr demoliert, eine alte Standuhr, ein menrottungen kam, weiss ich nicht.“15 komplettes Porzellanservice für 12 Personen Ludwig Stein berichtete über die ‚Reichs- […] Betten zerschnitten, […] Geschirr in der pogromnacht‘ in Eschwege: „Männer der Küche zerbrochen, […] Abwaschtisch zer- SA stürmten unser Haus in der Friedrich- trümmert, Wäschestücke, Kleider und Mäntel Wilhelm- Straße. Zuerst erschlugen sie den zerschnitten oder gestohlen worden. Ebenso Hnd einen leinen oterrier der nsere zwei goldenen Uhren. Hausmädchen gehörte, das seit Jahren bei Sämtliche Familienbilder wurden zerstört, uns gewesen war und uns Kinder aufgezogen ja sogar das Gebiss von Mathilde Kahn, der hatte. Dann schlugen sie auf meinen Vater ein Mutter von Käthe Doernberg.13 und ließen ihn für tot liegen.“16 Anna Maria Zimmer hat in ihrem Stan- Die ganze Tragweite der ‚Reichspogrom- dardwerk „Juden in Eschwege“ u. a. Ida Gas- nacht‘ in unserer Heimatstadt wird aber erst senheimer, Betroffene und Zeitzeugin, zu deutlich, wenn man eine Gesamtbilanz für Wort kommen lassen: „ […] hörte ich in je- Eschwege aufstellt: Die Synagoge wurde ner Novembernacht plötzlich das Klirren von verwüstet, die Thorarollen wurden gestoh- Glasscheiben in unserer Veranda, die auf den len und beschädigt. Die Schaufenster eines Garten hinausging. Wir hatten uns eingerie- jüdischen Geschäftes am Stad wurden einge- gelt, aber die Tür zu unserem Schlafzimmer schlagen, acht Wohnungen mehr oder weni- wurde eingeschlagen und herein stürmten ger zerstört, der Sachschaden der zerstörten sechs Männer. […] Auf das Kommando ‚Eins- jüdischen Geschäfte Doernberg und Hotel zwei-drei‘ begannen sie, systematisch jedes Löwenstein lag bei 5000–6000 RM, es kam Möbelstück im Raume zu zertrümmern. […] zu Plünderungen. Nachdem nun auch die Diele mit einer schö- Es fand eine Hetzjagd auf jüdische Bür- nen Standhr nd Schleiacöbeln sinnlos ger mit körperlichen Misshandlungen in den und brutal zerstört war, kam einer der Kerle Straßen der Stadt statt. Mindestens vier jüdi- zurück in unser Zimmer und ging mit seinem sche Bewohner Eschweges wurden schwer Bajonett auf meinen Mann zu und schrie: ‚So misshandelt (Max Stein, Dr. Doernberg, Jude, jetzt rechne ich mit dir ab.‘ Ich warf Großmutter Doernberg, Kurt Fraenkel). Der mich auf diesen Mann, um das Schlimmste Großvater von Karl Goldsmith erlitt einen zu verhindern, […]“14 Schock, der wenige Tage später (23.11.1938) Die Situation vor und in dem Hotel ‚Lö- zum Tode führte (Adolf Plaut). Der Mann von wenstein‘ wurde von Alfred Neusüß (ehema- Ida Gassenheimer kam todkrank aus dem liger Presseamtsleiter im Stab des Kreisleiters) KZ zurück. Den Tod in Buchenwald erlitten: folgendermaßen geschildert: „Auf die Nach- Julius Katzenstein und Hermann Ullmann. richt von den Ausschreitungen in der Stadt Selmar Cahn (75 Jahre alt) stirbt nach seiner bin ich ins Hotel Löwenstein gegangen mit Entlassung aus dem KZ an einer Lungenent- verschiedenen Leuten. Als ich hinkam, war zündung.17 eine riesige Menschenmenge versammelt, Doch damit war das Martyrium der jüdi- man hatte das Haus demoliert, die innere Ein- schen Bevölkerung in Eschwege und Umge- richtung, und ich habe bei dieser Zusammen- bung noch nicht beendet. rottung gehört, wie sich die einzelnen Leute Der ehemalige SA-Mann Rudolf Junghans besrachen ch hörte vor sic de Ho- berichtete in seinem Entnazifizierungsver- tel Löwenstein, dass sich eine ganze Menge fahren darüber, dass er am 9.11.1938 an Leute zusammen rottete, um den Herrn Löwi seinem Arbeitsplatz bei der hiesigen Stadt- sic in irgendeiner or belästigen e- verwaltung von einem Befehl der SA [Spä- Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 119 ter hieß es in einem Brief an die Spruchkammer Eschwe- ge, das sei eine Anweisung vom Landratsamt gewe- sen] informiert wurde, „daß sämtliche S. A.-Angehörigen schnellstens in Uniform auf dem Schloßplatz zu erschei- nen hätten.“ Dort sei er zum Absperrdienst eingeteilt wor- den, um zu verhindern, dass sich die Zivilbevölkerung an den Juden vergreift. Die Ju- den seien dann mit Lastautos zum ‚Hochzeitshaus‘ gefah- ren worden. Später habe er dieselbe Aufgabe vor dem ‚Hochzeitshaus‘ erledigt.18 Eine weitere Zeugin sagte über die Vorfälle im ‚Hoch- zeitshaus‘ aus: „Es wurden den Juden die Sachen bis auf die Hosen ausgezogen, die Hosenträger fortgenommen und so mußten die Leute mit der einen Hand schrubben und mit der anderen Hand die Hose festhalten und so immer abwechselnd. Es kam oft vor, daß die Leute mal vergaßen, die Hosen festzuhalten und dann hatten die, die Aufsicht bb : enansicht der Snagoge nach hatten, ihren Spaß daran.“19 Nach Aussagen eines anderen Zeugen Eschwege in spontanen Demonstrationen mussten die Eschweger Juden das zerstörte Luft gemacht. Die Kundgebungen richteten Mobiliar der Synagoge schon am 9.11.1938 sich in der Hauptsache gegen die Mittel- zu einem Sammelplatz (Am Plan) bringen. punkte des jüdischen Gemeindelebens. In Auch hier wird davon berichtet, dass man der hiesigen Synagoge wurden Scheiben ein- den Juden ihre Hosenträger abgenommen geworfen und innere Einrichtungen zerstört. hatte, so dass sie den Müll nur mit einer Dasselbe Schicksal erfuhr das Hotel Löwen- Hand tragen mussten. Es wird in diesem Zu- stein, und auch gegen einige Privatwohnun- sammenhang aber auch von einer „dichtge- gen von Juden richtete sich der Volkszorn. drängten Menschenmenge im Steinweg“ ge- Ebenso gingen die Schaufenster eines jüdi- sprochen.20 schen Geschäftes am Stad in Trümmern. Die Am 9.11.1938 hieß es im ‚Eschweger Synagoge ist heute morgen mit Rücksicht auf Tageblatt‘: „Die Empörung über das gemei- ihren Zustand polizeilich geschlossen wor- ne jüdische Attentat hat sich auch im Kreis den. In Hersfeld und anderen kurhessischen 120 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Orten nahm die Bevölkerung in ähnlicher die den Weg der Juden durch die Straßen Weise wie hier Stellung gegen die feige Pari- Eschweges beobachtete, einerseits dem Trei- ser Mordtat.“21 ben „fassungslos“ und „beschämt“ gegen- Einen Tag später (10.11.1938) wurde in übergestanden, andererseits wurde aber der Heimatzeitung gemeldet: „In Schutzhaft auch von Tätlichkeiten sowie demütigenden genommen wurden heute morgen zu ihrer Handlungen einzelner Zuschauer gegen- eigenen Sicherheit die männlichen Juden aus über Juden berichtet.25 Stadt und Kreis Eschwege. Sie werden wäh- Ein anderer Betroffener sagte aus: „Es wa- rend der Schutzhaft zu gemeinnützigen Ar- ren unsere Nachbarn, die die Fensterläden beiten herangezogen.“22 unseres Hauses schlossen, als eine Bande in Die Zeit, die die Juden dann im Hoch- unser Haus kam und alles zerschlug.“26 zeitshaus bis zu ihrer Deportation in das Die Buchhalterin Elli Schlarbaum gab im Konzentrationslager Buchenwald verbringen Entnazifizierungsverfahren gegen den frü- mussten, war ebenfalls von psychischen und heren Kreisleiter Weiß zu Protokoll: „Wir physischen Schikanen geprägt. Sie mussten wohnten gegenüber dem früheren jüdischen beispielsweise um 5 Uhr morgens im Morast Rechtsanwalt Dörnberg. In der fraglichen antreten, wurden dabei beschimpft, bespuckt Nacht beobachteten wir, dass in Hause von und geschlagen und man quälte sie auch Dörnberg geplündert wurde.“27 mit sinnlosen körperlichen Belastungen, wie Eine langjährige Angestellte des Rechts- etwa mit Steinen gefüllte Aschentrommeln zu anwalts Doernberg schlich in der Dunkel- bewegen.23 heit in das Haus der Familie, um nach selbi- In einem Brief von Erich Kahn an die Fa- ger zu sehen.28 milie Wiegand vom 10.12.1946 kann man Die auch schon erwähnte Ida Gassenhei- lesen: „ […] Die haben ja damals bei unserer mer berichtete davon, dass sich ein Eschwe- Verhaftung im Hochzeitshaus wie die Wilden ger Mediziner nach dem Überfall auf die gehaust. Nur von mir gesagt: Erst musste ich Wohnung um sie gekümmert habe und die mit die Aborte sauber machen und dann wur- bei dem Überfall auf die Wohnung zerstör- de ich in ein kleines Zimmer gebracht, wo ich te elektrische Lichtanlage von einem Mann mich entkleiden musste & mit Ledergurten heimlich repariert worden sei.29 bearbeitet wurde. Diese Sache wurde dann Es wurde auch darauf verwiesen, dass nachts wiederholt und sah ich aus wie ein ge- eine jüdische Familie sogar Unterschlupf bei schlachtetes Schwein. […]“24 einer nichtjüdischen Familie gefunden habe, als man in ihre Wohnung eindringen woll- te.30 3. Wie waren die Reaktionen Der Zeuge Grebenstein gibt an, dass er auf die Ereignisse innerhalb damals zu dem Sturmführer des SA-Pionier- der Bevölkerung? sturmes in Eschwege, Reinhard Mangold, nachdem dieser aus dem Haus des Juden Sie reichten wohl auch in Eschwege von Adolf Plaut kam, gesagt habe: „[…] hör mal aktiver Beteiligung am Pogrom über einge- Reinhard, dass ihr verrückt seid, wusste ich schüchterte schweigende Missbilligung (so schon lange aber ett habe sic geeint: Ian Kershaw) und Scham bis hin zu Gleich- habt ihr den erstand gan verloren Seid gültigkeit, aber auch aktiver Hilfe im Rah- ihr euch denn nicht klar, was dieses hier für men der Möglichkeiten, die für die Bevölke- Folgen für Euch haben wird? Die ganze Welt rung vorhanden waren. wird nun gegen uns aufstehen, besonders Nach den Erinnerungen von Augenzeu- die Vereinigten Staaten.“31 gen habe die beachtliche Zuschauermenge, Der Historiker Michael Grüttner be- Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 121 schreibt die allgemeine Gemengelage fol- 4. Wer waren die Täter? gendermaßen: „Besonders bestürzt sind über die Ereignisse die Katholiken, […] Viele Beschäftigen wir uns im Folgenden näher Katholiken sähen in dem Angriff auf die Sy- mit der Frage, wer die Täter waren. nagogen eine Art Generalprobe für die Zer- In Netra wurden der ehemalige Schar- störung der christlichen Kirchen. […] Nach führer Heinrich Böttger (Aktivist: 1 Jahr Son- Einschätzung des Schweizer Generalkonsuls derarbeit, 2000 RM Geldstrafe) sowie die in Stuttgart lehnten etwa 80 % der Bevöl- SA-Leute Wilhelm Giese (Aktivist: 2 Jahre Ar- kerung den Pogrom ab, während 20 % mit beitslager, Staatsbürgerrechte aberkannt) und den antijüdischen Gewalttaten einverstan- Hans Homeyer (Minderbelasteter: 6 Monate den waren. Die Deutschland-Berichte der Bewährungsfrist, 500 RM Geldstrafe) als Tä- Eil-S betonten ebenalls die sschrei- ter verurteilt. Allerdings gelang es nicht, Gie- tungen seien ‚von der großen Mehrheit des se „die Schuld an dem tödlichen Ausgang der deutschen Volkes‘ verurteilt worden, wiesen Mißhandlung des Juden Katz am 8.10.1938 gleichzeitig aber auf die Beteiligung zahl- nachzuweisen.“ Deshalb kam er mit einer reicher Kinder und Jugendlicher an den geringen Strafe davon.33 antijüdischen Aktionen hin: ‚Sie haben ja Homeyer nannte bei seiner Vernehmung keinerlei Lebenserfahrungen und betrach- darüber hinaus als weitere Personen, die im- ten die Juden wirklich als Verbrecher und mer wieder in Aktionen gegen die Juden in Bösewichter, wie es jetzt allgemein gelehrt Netra verwickelt waren, den Schulungsrefe- wird. Die Jugend hat es also als wichtige und renten Karl Jakob sowie Fritz Suck (Minder- notwendige Handlung betrachtet, sich an belasteter: Letzterer erhielt 2 Jahre Bewäh- den Zerstörungen des jüdischen Eigentums rungsfrist und 2000 RM Geldstrafe). zu beteiligen. Und weil ihnen gesagt worden war, daß dies alles gestohlen oder zu Un- Zusatzinfo: recht erworben war, fanden sie nichts Ver- Spruchkammer Eschwege weriches dabei sich auch einige Brocken Freitag, den 27.2.1948, Ortstermin in Netra, itnehen schwächsten fiel die Gastwirtschaft Schotte Ablehnung der Gewalttaten im protestanti- Böttger, Heinrich, Landwirt, Netra, schen Norden und in ländlichen Gebieten Mdl. Verhandlung (Es 3147) aus. Dementsprechend scheint die Beteili- Giese, Wilhelm, Justiz-Assistent, Netra, Mdl. gung der Bevölkerung an den Gewalttaten Verhandlung (Es 254) und Plünderungen in der protestantischen Homeyer, Hans, Zimmermann, Netra, Mdl. Provinz am größten gewesen zu sein. Verhandlung (Es 255) Die Ablehnung des Novemberpogroms Suck, Fritz, Kaufmann, Netra, mdl. Verhand- hatte unterschiedliche Gründe. Zweifellos lung (Es 3244) waren zahlreiche Beobachter entsetzt über die gellose ewalt gegenber den hilo- Böttger, der die Teilnahme der beiden sen und gedemütigten Juden. In vielen Fäl- Juden Katz und Rothschild auf dem SA- len konzentrierte sich die Kritik aber auf die Sturm abend befohlen hatte, wurde von der Zerstörungen und Plünderungen. Die mut- Spruchkammer zu 15 Monaten Arbeitslager willige Vernichtung von privatem Eigentum verurteilt. In einem zweiten Verfahren vor und der unverhüllte Gesetzesbruch, der die- dem Eschweger Schöffengericht erhielt er se Aktionen charakterisierte, verletzten den wegen Nötigung und Freiheitsberaubung zu- Ordnungssinn auch jener Bürger, die gegen sätzlich 150 DM Geldstrafe. Wilhelm Giese eine legale Diskriminierung der Juden nichts erhielt für eine hinterhältige und gemein- einzuwenden hatten.“32 schaftlich begangene Körperverletzung an 122 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 dem Juden Katz zwei Jahre Arbeitslager und von Menschen aus den Dörfern des Kreises‘ zusätzlich zwei Monate Gefängnis, Hans aus. Die Straßenbeleuchtung war an diesem Homeyer vier Monate Gefängnis. Abend ausgeschaltet worden. Alle Angeklag- Eschwege, 27. Februar. Wegen Ausschrei- ten behaupteten, ‚erst durch das Johlen der tungen gegen die Juden Katz und Rot[h] schild Menge angelockt worden zu sein‘. Weiter hatten sich vor der Spruchkammer Eschwege behaupteten alle, sich an nichts genaues er- die Angeklagten Giese, Böttcher, Homeyer innern zu können. und Suck zu verantworten. Die Angeklagten Außerdem fand sich im Laufe der Verhand- hatten in den Abendstunden des 8. Novem- lung nur ein einziger Abteröder bereit, als ber den den Kat derartig ihan- Zeuge gegen einen der Angeklagten auszu- delt, daß er seinen Verletzungen erlag. Giese sagen. Dieser musste sich dann sogar noch wurde in die Gruppe der Aktivisten einge- gegen den Vorwurf der Verteidigung wehren, reiht, für 2 Jahre in ein Arbeitslager eingewie- nicht zurechnungsfähig zu sein. sen und der Staatsbürgerrechte für verlustig Der Angeklagte Georg Günther, der bei erklärt. Gegen die drei anderen Angeklagten den ersten Vernehmungen die Mitangeklagten wird weiter verhandelt. Martin und Willi Jung belastet hatte, erklärte Wie wir in unserer Ausgabe vom 28.2. im Verlauf des Prozesses, er wisse nicht mehr, berichteten, wurde im Verfahren Giese, Bött- ob beide an den Misshandlungen teilgenom- cher, Homeyer und Suck vor der Spruch- men hätten. Bei der ersten Vernehmung hatte kammer Eschwege der Angeklagte Giese in der Angeklagte Martin Jung darauf hingewie- die Gruppe der Aktivisten eingereiht und zu sen, dass er den Mitangeklagten Wilhelm Mar- 2 Jahren Arbeitslager verurteilt. Er kam mit tin Schröder in der oveber-acht in dieser geringen Strafe davon, weil es dem der Synagoge gesehen habe. Schröder habe Gericht nicht gelang, ihm die Schuld an dem einen Vorschlaghammer in der Hand gehabt tödlichen Ausgang der Mißhandlung des Ju- und die Fenster des Gotteshauses eingeschla- den Kat a nachweisen gen. Jung hielt diese Aussage in späteren 5. März wurde dieses Verfahren zu Ende Vernehmungen und auch jetzt in der Haupt- geführt. Der Angeklagte Suck wurde in die verhandlung nicht aufrecht.[…] Nähere Tat- Klasse der Minderbelasteten eingereiht. Ne- zusammenhänge und Rädelsführerschaften ben den üblichen Beschränkungen erhielt er konnte das Landgericht Kassel nicht klären; 2 Jahre Bewährungsfrist und eine Geldstrafe verurteilt wurden nur die SA-Leute und Par- von 2000 Reichsmark. Der Angeklagte Bött- teimitglieder, denen Übergriffe gegen Juden cher wurde als Aktivist zu einem Jahr Son- konkret nachgewiesen werden konnten.“35 derarbeit und 2000 RM Geldstrafe neben Dazu folgender Pressebericht: den üblichen Beschränkungen verurteilt. Der Zuchthaus und Gefängnis beantragt. Plä- Angeklagte Homeyer wurde als Minderbelas- doyer des Staatsanwaltes im Abteröder Land- teter zu 6 Monaten Bewährungsfrist und 500 friedensbruchprozeß RM Geldstrafe neben den üblichen Beschrän- Eschwege ril e Hohe chthas- kungen eingestuft.34 und Gefängnisstrafen für die Angeklagten In dem Landfriedensbruchprozess über beantragte im Abteröder Landfriedensbruch- die Vorgänge in der Reichpogromnacht in prozeß, der zurzeit in Eschwege vor der Abterode vor dem Landgericht Kassel vom großen Strafkammer Kassel verhandelt wird, 22.4.1949 kann man dazu nachlesen: „Das Staatsanwalt r ilhel Schier in seine Gericht gewann den Eindruck, dass in dieser Plädoyer. Nacht alle Dorfbewohner auf den Beinen „Es hat lange gedauert, bis dieses Verbre- waren. Darüber hinaus ging das Landgericht chen seine Shne vor ericht findet sagte von einem ‚offenbar organisierten Zustrom der Staatsanwalt. Die Haupträdelsführer des Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 123

wachung vor der Synagoge sitzenden a onshei ins esicht geschla- gen, da sie eine persönliche Feind- schaft gegen ihn gehegt habe. Der Angeklagte Martin Wilhelm Schröder soll nach der ersten Aussage des An- geklagten Martin Jung mit einem Vor- schlaghammer die Synagogenfenster eingeschlagen haben. Die übrigen Angeklagten hätten an den Zusammenrottungen teilgenom- men und mit anderen Dorfbewoh- nern zusammen die Wohnungen der Juden und die Synagoge betreten. Es gab nur eine belastende Zeugenaus- sage: Schuhmacher Martin Wolf er- klärte, Misshandlungen gesehen zu haben.36 Eschwege ril dbrb Eine eindeutig belastende Aussage machte als einziger Zeuge am zweiten Ver- handlungstag des Abteroder Landfrie- densbruch-Prozesses vor der großen Strafkammer des Landgerichts Kassel am Donnerstag der alte Schuhmacher bb : Kreisleiter Edard ei lins Martin Wolf aus Abterode zuunguns- ten des Angeklagten Martin Jung. Wolf Unternehmens in Abterode seien inzwischen sagte aus, er habe in der Nacht des 8. No- gestorben; die anderen aber, die durch aktive veber den ngelagten gesehen wie oder passive Teilnahme an dem Geschehen er a der Strae den den a onshei beteiligt gewesen seien, müßten jetzt streng mit Schlägen und Tritten vor sich hergetrieben bestraft werden. Für alle sei der Tatbestand des habe. Ronsheim, der dabei gejammert und Landfriedensbruches gegeben, auch für dieje- geschrien habe, sei nur mit Hose und Jacke nigen, die nur neugierig zugeschaut hätten. bekleidet gewesen und habe an den bloßen Die vier Hauptbeschuldigten, Martin Jung, Füßen Pantoffeln getragen. Willi Jung, Martha Schäfer und Wilhelm Mar- Jung bestritt diese Aussage energisch. Er tin Schröder hätten sich in mehrfacher Wei- will Ronsheim lediglich aus persönlicher se schuldig gemacht, führte der Staatsanwalt Feindschaft geohrfeigt haben. weiter aus. Martin Jung habe, selbst wenn Nach dem Zeugnis des jetzigen Abteröder die Aussage des Martin Wolf nicht berück- Bürgermeisters, Wilhelm Windemuth, gilt sichtigt werde, nach eigenen Aussagen den Wolf entgegen der Darstellung der Verteidi- Juden Ronsheim geschlagen und ihn später gung als durchaus zurechnungsfähig. bewacht. In der Vormittags-Sitzung hatte der Krimi- Willi Jung ist nach eigenen und nach Aus- nal-Inspektor Eugen Hebeler als Zeuge auf sagen anderer bei dem Juden Schulhaus mit die Aussage des Angeklagten Martin Jung bei einer Leiter in die Wohnung eingestiegen. der ersten Vernehmung hingewiesen, daß er Martha Schäfer habe den wehrlos unter Be- den Mitangeklagten Wilhelm Martin Schröder 124 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 in der oveber-acht in der Snago- wieder hingestellt wurde […]“41 ge gesehen habe. Schröder habe einen Vor- Warum aber ist es dann bisher trotzdem schlaghammer in der Hand gehabt und die nicht gelungen, bei der Zerstörung der Syn- Fenster des Gotteshauses eingeschlagen. agoge und den weiteren schrecklichen Un- Jung hielt diese Aussage in späteren Ver- taten gegen jüdische Bewohner Eschweges nehmungen und auch jetzt in der Hauptver- umfassend konkrete Namen von Tätern zu nehmung nicht aufrecht. erfahren? Der Angeklagte Georg Günther, der bei Sicherlich muss man berücksichtigen, dass den ersten Vernehmungen die Mitangeklag- die meisten Täter die nächtliche Dunkelheit ten Martin und Willi Jung belastet hatte, er- nutzen konnten, um möglichst unerkannt klärte heute, er wisse nicht mehr, ob beide an zu bleiben, zumal, wenn es sich tatsächlich den Mißhandlungen teilgenommen hätten.37 um Auswärtige gehandelt haben sollte. An- In Eschwege waren die Situation und die dererseits ist es wahrscheinlich, dass zumin- Abläufe noch komplizierter. Es gab und gibt dest unter den SA-Kommandos in Eschwege bislang über die Zerstörung der Synagoge in Namen fielen, wenn man über das Ereignis Eschwege keine zuverlässigen und verwert- redete. Es spricht aber auch einiges dafür, baren Berichte über die Beteiligten. dass auch in Eschwege die Bereitschaft, nach Der Historiker Wolf-Arno Kropat hat da- 1945 eine offene und ehrliche Aufarbeitung rauf hingewiesen, dass im Allgemeinen so- der Schuldfrage vorzunehmen, ebenso gering wohl Spruchkammerverhandlungen als auch ausgeprägt war wie in anderen Orten. Neben Strafprozesse, die sich mit den nordhessi- Opportunitätsüberlegungen war bei vielen schen Exzessen beschäftigt haben, kaum Belasteten zudem das Gefühl ausgeprägt, verwertbare Erkenntnisse über die Täter ge- nicht selber Täter, sondern Opfer zu sein. Der bracht haben. Er schließt daraus, dass „vor ehemalige Schriftleiter des Eschweger Tage- allem auswärtige Einsatzkommandos von SA blattes, Alfred Müller, sagte beispielsweise und SS aktiv waren, deren Angehörige so- in seinem Entnazifizierungsverfahren: „Und wohl den Opfern als auch den einheimischen heute sehe ich, dass ich das Werkzeug in der Bürgern nicht bekannt waren.“38 Hand von Verbrechern gewesen bin.“42 Der schon erwähnte Reinhard Mangold Daneben lastete sicherlich auch ein mas- behauptete in einem Entnazifizierungsver- siver Druck auf jedem Einzelnen – zumal in fahren gegen den SA-Mann Junghans jeden- einer Kleinstadt – sich nicht gegenseitig zu falls auch, dass die „Nacht-Judenaktion ohne belasten und so eine ‚Verschweigensgemein- Befehl oder Anordnung […] von auswärtigen schaft‘ zu bilden. Kräften“ durchgeführt worden sei.39 Diese Dennoch kann es keine Zweifel darüber Annahme würde sich zumindest teilweise geben, dass der damalige Kreisleiter der NS- mit den Äußerungen einer anderen Zeu- DAP, Eduard Weiß, als zentraler Verantwort- gin decken, die angab, dass der Eschweger licher auch des Judenpogroms in Eschwege Kreisleiter Weiß ihren Mann, der Ortsgrup- bezeichnet werden muss. Es ist außerordent- penleiter war, gebeten habe, Personal zur lich unwahrscheinlich, dass der Impuls zu Verfügung zu stellen, um einen Auftrag aus- der Aktion vom 8.11.1938, also einen Tag, zuführen.40 Allerdings widerspricht ein ande- bevor überhaupt von München aus Signale rer Zeitzeuge, der damals in der Schulstraße der Parteiführung gegeben wurden, nicht von wohnte und am 8.11.1938 schon tagsüber ihm ausging. Berücksichtigt man die damali- auffällige Aktivitäten Eschweger SA-Größen ge Machtstellung eines Kreisleiters, so ist es beobachtet haben wollte, dieser Aussage: „Es doch sehr fraglich, ob eine solche weitrei- soll bloß keiner sagen, es war ein Rollkom- chende Aktion ohne sein Wissen und seine mando aus Kassel, wie es dann später immer Zustimmung ablaufen konnte. In einem In- Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 125 terview mit Eduard Weiß, das 1981 geführt Jedenfalls setzte die hiesige Feuerwehr wurde, stellte der Betroffene seine Beteili- ausgerechnet am 8.11.1938 eine Übung der gung an der ‚Reichspogromnacht‘ wie folgt 5 Löschzüge an, die um 20.15 Uhr begann.47 dar: „[…] müsse man wissen, daß der Befehl Dennoch behauptete beispielsweise der Ent- zum Vorgehen gegen die Juden von obersten lastungszeuge Fritz Heinemann (Oberstleut- Verwaltungsstellen kam, d. h. auf örtlicher nant a. D.) in dem Revisionsverfahren gegen Ebene kam man nicht umhin, die Befehle Weiß am 3.2.1949: „Die Zerstörung der Sy- auszuführen. Allerdings habe er bei übermä- nagoge und unmenschliche Behandlung von ßigen Plünderungen, was besonders bei den den i ahre gingen von der S as Bewohnern der Friedrich-Wilhelm-Straße zu Es ist mir damals bekannt geworden, dass der beklagen war, Einhalt geboten.“43 Kreisleiter von diesen Vorfällen überrascht Der Hinweis auf Befehle ist insofern nicht worden ist und sie ihm erst am folgenden Tag stimmig, als zumindest für den 8.11.1938 bekannt geworden sind.“ keinerlei Anweisungen von obersten Verwal- Jedenfalls kam die Kammer am 14.5.1948 tungsstellen gekommen sein konnten. Auf zu der Überzeugung, dass Weiß „voll verant- der mittleren Ebene lehnte die Gauleitung wortlich ist für alle Handlungen der NSDAP in Kassel Pogrome ab und am späten Nach- i Kreis Eschwege seit 48 mittag des 8.11. erging sogar eine Anordnung des RP Kassel an die Ortspolizeibehörden und Polizei- dienststellen im Regierungsbezirk Kassel, „Demonstrationen gegen Juden persönlich und ihre Sachen sofort einzustellen.“44 Bleibt also eher der Verdacht, dass sich Weiß von dem Gaupropagandaleiter Gernand, der als Anstifter der frü- hen Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung in Kassel und Um- gebung schon am 7.11.1938 tätig war, hat anregen lassen, auch in Eschwege eine ‚frühe‘ Aktion zu organisieren. Die Zeugin Schlarbaum, die 1938 auf der HJ-Dienststelle ar- beitete, sagte im Verfahren gegen Weiß aus, dass dieser am fragli- chen Tag die Dienststelle der HJ angerufen und der HJ verboten habe, „sich in irgendeiner Aktion gegen die Juden zu beteiligen.“45 Dass Weiß vor der Aktion auf dem Schulberg Kontakt mit der hiesigen Feuerwehr aufnahm, um zu klären, ob die Synagoge abgebrannt wer- den könne, ist als weiterer Aspekt zu berücksichtigen.46 bb : rgereister r leander eerann 126 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Auf die Frage der Spruchkammer Eschwe- In einem Brief von Karl Goldsmith über ge an den Zeugen Paul Freudenreich (SA den Überfall auf seine Familie heißt es über seit 1932), von wem der Betroffene wegen die Täter: „[…] Es waren unsere Nachbarn, der Aschentrommel in der Judensache auf die die Fensterläden unseres Hauses schlos- dem Schulberg den Befehl erhalten habe, sen, als eine Bande in unser Haus kam und antwortete dieser: „Weiß hat uns komman- alles zerschlug. Es waren Gymnasiasten des diert.“49Auffällig aber ist, dass die Zerstörung Friedrich-Wilhelm-Reformgymnasiums, die der Synagoge auf dem Schulberg gerade auch uns so verschlugen, daß Kurt Frenkel mit in diesem Verfahren von der Kammer nicht einer Gehirnerschütterung ins Hospital ge- näher und intensiver untersucht wurde.50 bracht werden mußte.“54 Alfred Neusüß sagt über die Täter bezogen Diese Aussage würde sich decken mit der auf das Hotel Löwenstein Folgendes: „Wir des Historikers Michael Grüttner, der, bezo- kamen da runter und da waren die beiden gen auf die Tatbeteiligten, feststellte: „Die Hauptmacher, die gegen Löwi losgehen woll- erste elle der ewalt in der acht von ten. Ich weiss die Namen nicht mehr. Wenn auf den 10. November wurde hauptsächlich ich abends auf der Straße hunderte von Men- von aktiven Nationalsozialisten getragen, schen sehe, kann ich das nicht mehr sagen. die vornehmlich aus den Reihen der SA ka- Es kann vielleicht ein Dutzend gewesen sein, men, zum Teil auch aus der SS. Am zweiten die bei Löwi waren. […] 2 SA-Männer waren Tag des Pogroms erweiterte sich der Kreis die Rädelsführer. Wer das war, weiß ich nicht der Täter. Auffällig war insbesondere die gro- mehr. Ich kann doch niemanden verdächti- ße Zahl von Kindern und Jugendlichen, die gen nd sic darber etwas angeben wenn sich an der Zerstörung oder Plünderung jüdi- ich selbst tatsächlich nich sic in der Lage scher Geschäfte und Wohnungen beteiligten. bin, die Namen zu nennen. […]“51 Und an Ideologischer Fanatismus, Sensationslust und anderer Stelle sagt er: „Es kann sein, daß ich Habgier vermischten sich dabei zu einem un- welche gekannt habe, aber ich weiß heute entwirrbaren Motivbündel.“55 die Namen nicht mehr.“52 Der schon erwähnte SA-Mann Junghans Angesichts der Tatsache, dass Neusüß als gab an, dass er von dem damaligen Sturm- ‚alter Kämpfer‘ schon 1930 in die NSDAP führer des SA-Pioniersturmes, Reinhard Man- eingetreten war und dort bis 1941 als Pres- gold [Bademeister der Eschweger Flussbade- seberichterstatter in verschiedenen Organisa- anstalt], zur Absperrung auf den Schlossplatz tionen der Partei arbeitete, erscheint es eher eingeteilt worden sei und dieser ihm auch als unwahrscheinlich, dass er die Täter nicht die Anweisung gegeben hätte, „Übergriffe kannte. Und wenn er darauf verweist, dass er seitens der Zivilbevölkerung zu verhindern“. die Namen der Täter nicht mehr kannte, so Außerdem sagte er aus, dass er bei seinem lässt das doch eher darauf schließen, dass es Absperrdienst am Schlossplatz und am sich zumindest bei diesem Vorfall um Einhei- Hochzeitshaus, der am 9.11.1938 von Vor- mische gehandelt haben muss. mittag bis Mittag andauerte, Kuchenbuch, Der Überfall auf Büro und Wohnung des die Sturmführer Mangold und Horn gesehen Rechtsanwalts Doernberg wird von seinen habe.56 Jedenfalls ging die Spruchkammer Söhnen Ernst Walter und Karl Justus wie folgt Eschwege in dem Entnazifizierungsverfahren beschrieben: „Eine grölende Volksmenge, an- vom 26.2.1948 davon aus, dass Reinhard gehrt von der E-roangestellten die von Mangold an der Judenaktion am 9.11.1938 meinem Vater noch Jahre durchgeschleppt teilgenommen hat. worden war nachde die rais bereits a Bezüglich der Vorfälle im Hochzeitshaus ein Viertel zusammengeschrumpft war, über- ergänzte Ida Gassenheimer: „In diesen Tagen fiel nsere ohnng nd das ro53 hatte sich der Bademeister des Ortes, dessen Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 127

Tochter die Sekretärin meines Mannes ge- rektor Fritz Jatho zutreffend gewürdigt, auch wesen war, besonders gemein benommen. weil sie sich „mit der Gesamthaltung des Wenn morgens früh um 5 Uhr beim Appell Betroffenen“ decke. Denn er wurde in dem die Männer tief im Morast antreten mussten, Verfahren als extrem antisemitisch eingestellt stand er mit einer Peitsche dort, hieb auf Juden beschrieben und hatte nach Aussagen des ein beschite sie it nädigsten orten Zeugen Bauer (Polizist) beispielsweise schon und spuckte sie an.“57Allerdings wurden die 1937 in einer Nacht Fensterscheiben und Vorwürfe von Ida Gassenheimer im Verfah- Transparente sowie die Türfüllung des Ho- ren gegen Mangold überhaupt nicht näher tels Löwenstein zertrümmert. Diese Aussage thematisiert; dieser bestritt jegliche körperli- wurde im Verfahren von dem Krim. Oberas- chen Angriffe auf die inhaftierten Juden. Bei sistenten Heldmann dahingehend ergänzt, der Begründung des Urteils gegen Mangold dass ähnliche Handlungen von Jatho gegen hieß es dazu: „Er hat in der Rassenfrage eine die Juden Oppenheim und Goldschmidt re- menschliche Haltung bewahrt.“58 In seinem gistriert wurden.61 Verfahren erklärte der Betroffene aber auch, Im Verfahren gegen Alfred Neusüß gibt dass er am 10.11.1938 zum Kreisleiter be- dessen Ehefrau bezüglich des Überfalls auf ordert worden sei, der ihm mitgeteilt habe, das Hotel Löwenstein Folgendes zu Protokoll: dass an diesem Tage die SA als Hilfspolizei „Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen, mithelfen müsste, dass sämtliche männlichen wer dabei war. Er hat immer von einer Rotte Juden über 18 Jahren in Schutzhaft kommen. von SA-Leuten gesprochen. Aber der einzige Nach seiner Darstellung habe ihm aber dann ae sic der dabei geallen ist ist der dass der Sturmführer Georg Horn erklärt, dass der er gesagt hat, Herr Jatho hätte ihn aufgefor- Pioniersturm nicht mehr eingreifen müsste, dert und dass er ihn auch aufgefordert hätte, da dazu die SA schon eingeteilt sei. Damit ist auch mit auf den Schulberg zu gehen, und aber auch davon auszugehen, dass bei diesen dass er sich sehr darüber aufgeregt hätte.“62 Aktionen vom 9.11. und 10.11.1938 auch die Die Zeugin Martha Kröger aus Eschwege hiesige SA insgesamt und der SA-Sturmführer gibt im Prozess gegen Jatho zu Protokoll: „Im Horn eine nicht unerhebliche Rolle gespielt oveber gerade in den agen der - haben. Auch in dem Entnazifizierungsverfah- denhetze, wurde ich von Jatho und noch 2 ren gegen Horn (vom 24.5.1948) wurde die- SA-Männern aus dem Betrieb der Fa. Krum- se Angelegenheit nicht näher thematisiert.59 bein in Hoheneiche, wo ich arbeitete, heraus- In dem Brief von Erich Kahn gab es, bezo- geholt mit der Behauptung, daß ich ein Ver- gen auf den Aufenthalt der Juden im Hochzeits- hältnis mit einem Juden gehabt haben soll.“63 haus, weitere Hinweise auf Täter: „Diese Folte- Im Urteil der Spruchkammer Eschwege rungen nahmen folgende Häuptlinge vor. Der gegen Jatho vom 15.5.1948 heißt es in der zweite Sohn von Maler Groß hinter der Markt- Begründung: „Die Kammer stellte fest, dass kirche, […] der Kerl war gemeingefährlich; der Betroffene aus […] Idealismus heraus die dann der Schwiegersohn von Fotograf Baum, nationalsozialistische Gewaltherrschaft er- Leuchtbergstr., […] dann ein junger blonder heblich gefördert und gestärkt hat, aus die- Mensch, der hatte bei Friseur Große, Friedrich sem Idealismus heraus gegen die Grundsätze Wilhelmstr., gelernt, […] er war sogar SS-Mann der Menschlichkeit und Gerechtigkeit ver- und dann noch ein Fortbildungsschullehrer, er stieß, […] rassisch Verfolgte übelst verfolgte, hatte eine Frau mit tiefschwarzen Haaren […] körperlich und seelisch mißhandelte […]“64 dieser Mörder wollte mich sogar erschießen, Die hier zusammengetragenen Indizien denn er allein trug eine Waffe.“60 rechtfertigen durchaus den Verdacht, dass Die letzte Aussage des Zeugen Kahn wur- sich Jatho auch im Rahmen der ‚Reichspo- de von der Kammer als auf den Berufsschuldi- gromnacht‘ in Eschwege aktiv beteiligt hat. 128 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Fritz Jatho wurde als Belasteter eingestuft, den Leichenbergen in den befreiten Konzen- wurde auf vier Jahre in ein Arbeitslager ein- trationslagern ie erbrechen fingen viel gewiesen, musste 30 % seines Vermögens subtiler an: mit Gesetzen, mit schleichender an den Wiedergutmachungsfonds abtreten, Ausgrenzung, mit rassistischer und antisemi- durfte auf die Dauer von zehn Jahren nur in tischer Hetze, die schrittweise zur Verfolgung Eschwege wohnen.65 wurde.“68 In einem Schreiben von Otto Rothschild Folgt man diesem Ansatz, kommt man an die israelitische Gemeinde Eschwege vom sehr schnell zu der Frage, ob nicht viel mehr 21.3.1947 weist dieser darauf hin, dass es der Menschen, die in der Zeit zwischen 1933 in der Bahnhofstraße lebende Arzt Dr. Rudi und 1945 als Mitglieder der damaligen Ge- Scheer gewesen sein soll, der auch alle alten sellschaft agierten, Schuld auf sich geladen Juden im November 1938 als tauglich für die haben, weil sie durch ihr Handeln oder Überstellung in das Konzentrationslager Bu- Nichthandeln ‚Brandbeschleuniger‘ für das chenwald befand.66 abgaben, was dann schließlich im Holocaust Nach dem bisher Gesagten muss man endete. Anders ausgedrückt: Müssen sich dennoch konstatieren, dass die Frage nach nicht auch in Eschwege zahlreiche Menschen den Tätern in Eschwege bei der dabei berück- fragen lassen, ob sie nicht zur Verbreitung sichtigten Quellenlage nach wie vor noch antisemitischer Einstellungen und damit zur nicht umfassend beantwortet werden kann. Vorbereitung eines Klimas der Menschenver- Jedoch kann festgehalten werden, dass auch achtung innerhalb der gesamten Bevölkerung die hiesigen SA-Verbände zumindest ab dem beigetragen haben, das letztendlich genutzt 9.11.1938 an ‚Aktivitäten‘ gegen die jüdi- werden konnte, um gegen die jüdischen Mit- schen Einwohner Eschweges und des Kreises bürger in immer brutalerer Form vorzugehen? teilgenommen haben. Der schon erwähnte Alfred Neusüß fiel Nebenbei bemerkt: Im Januar 1939 ver- schon 1932 durch einen Zeitungsartikel auf, meldete das ET, dass die Marktstraße in Stra- in dem er behauptete, dass sich der jüdische ße der SA umbenannt worden ist. In dem Krankenhausarzt Dr. Peyser geweigert hätte, Artikel heißt es: „ […] Bürgermeister Dr. Beu- Kinder von Nationalsozialisten zu behan- ermann sprach von dem Kampf der SA, von deln. In seinem Pamphlet heißt es u. a.: „Wir ihrem erfolgreichen Einsatz bei der Schaffung müssen der Blütenauslese der Eschweger Ju- des Großdeutschen Reiches und von der denschat hete schon wieder ein eines E- icht der Stadt Eschwege den erdienst der emplar beifügen […]“ Und an anderer Stelle Sturmabteilungen durch die Benennung einer hetzt er: „Man könnte als Nationalsozialist Straße der Nachwelt zu übermitteln. […]“67 heute tatsächlich damit rechnen, im Krank- heitsfalle in einem deutschen Krankenhaus elend umkommen zu müssen, weil der jüdi- 5. Muss man nicht die Täterfrage sche Arzt den deutschen Deutschen die Hilfe umfassender stellen? (I) verweigert.“ Nach Aussagen des damaligen Kreisarztes hat sich diese Pressedarstellung Der Geschäftsführer der Stiftung nieder- aber als falsch herausgestellt. In seinem Ent- sächsische Gedenkstätten, Jens-Christian nazifizierungsverfahren darauf angespro- Wagner, hat in jüngster Zeit auf die Frage, wie chen, sagte der Betroffene: „Das habe ich sich auch im Blick auf aktuelle rassistische doch nicht gewusst, dass er das [gemeint ist und antisemitische Vorfälle Lehren aus der die Behandlung eines Kindes] nicht abge- NS-Zeit ziehen lassen, Folgendes geantwor- lehnt hat. Ich habe geglaubt, dass es stimmt. tet: „Wir müssen aufhören, den Nationalsozi- Ich konnte es doch nicht weiter prüfen. Ich aliss nr von hinten her denen von stand auf dem Boden der nationalsozialisti- Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 129 schen Rassenlehre. Aber nicht in der krassen Seit 1933 wurde die Wochenzeitung „Der Form, wie es nachher zum Ausdruck gekom- Stürmer“ (erstmals erschienen 1923), die vom men ist.“69 fränkischen Gauleiter Julius Streicher heraus- Aus seinem Entnazifizierungsverfahren gegeben wurde, zum Inbegriff antisemiti- lässt sich ein Einstellungsmuster gegenüber scher Hetze in Deutschland. Am Ende einer jüdischen Menschen ablesen, das auch lau- jeden Titelseite stand das Zitat von Heinrich ten könnte: ‚Ich hatte prinzipiell ja nichts ge- v. Treitschke: ‚Die Juden sind unser Unglück‘. gen Juden, aber …!‘ Jedenfalls beschrieb die Die Auflage erreichte 1936/37 486000 Ex- Spruchkammer Eschwege sein Verhältnis zu emplare. Sie zeichneten sich u. a. durch die den jüdischen Mitbewohnern Eschweges wie Verwendung einfacher Sprachmuster und folgt: „[…] hat er zumindestens [sic] die Folge- emotionaler Ansprachen aus und entspra- rung der Gewaltherrschaft gezogen, dass die chen im Wesentlichen den Vorstellungen Hit- Juden zu verfolgen und auszuweisen seien,“ lers über Propaganda: „Je bescheidener dann […] . Und an anderer Stelle heißt es: „Seine ihr wissenschaftlicher Ballast ist, und je mehr Ansicht war, dass die Juden nicht in so viel sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse führenden Stellungen sein sollten, sondern Rücksicht nimmt, umso durchschlagender auf ein gewisses Maß zurückgedrängt wer- der Erfolg.“71In allen Gemeinden und Städten den sollten. Eine grundsätzliche Ablehnung wurden sog. ‚Stürmerkästen‘ aufgehängt, in des den als itenschen findet sich bei denen regelmäßig antisemitische Positionen ihm nicht […]. Die Zeugin Elisabeth Zimmer- in die Öffentlichkeit getragen wurden. mann bescheinigte ihm sogar, die Vorgänge Der Kaufmann Paul Rahe (NSDAP: 1932, der Judenverfolgung am 9.11.38 verurteilt zu SA: 1932), der in der Forstgasse wohnte, gibt haben.70 in seinem Entnazifizierungsverfahren Folgen-

bb : S-änner vor de eängnis 130 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 des an: „Ich habe niemals einem Juden etwas nasiasten der Friedrich-Wilhelm-Schule aus- zuleide getan. Es stimmt, dass ich den Stür- geführt wurde, so stellt sich natürlich auch mer ausgehängt habe, aber da habe ich mir die Frage, ob die Schule nicht auch schon im wahrlich nichts dabei gedacht. Ich wurde da- Vorfeld der Ereignisse von 1938 einen Beitrag mit von der Ortsgruppe beauftragt und zwar zur Entwicklung und Verfestigung antisemiti- nur deshalb, weil mir gegenüber der Kasten scher Einstellungen geleistet hatte.78 gehangen hatte, so war es für mich leicht, Michael Grüttner beschreibt den Rahmen, den Stürmer immer auszuhängen.“72 in dem sich auch die FWS bewegen konnte, Der Berufsschullehrer Edmund Hüther wie folgt: „Die politische Indoktrination der (Mitglied der NSDAP seit 1925, ab 1940 Orts- Schüler durch Veränderung der Unterrichts- gruppenführer) hat für einen ‚Stürmerkasten‘ inhalte spielte von Anfang an eine zentrale in Eschwege sogar Holzköpfe mit jüdischen Rolle in den bildungspolitischen Überlegun- Fratzen geschnitzt, um diese in der Öffent- gen der neuen Machthaber. Neue Richtlinien lichkeit zusätzlich verächtlich zu machen.73 nd Lehrläne standen indes erst seit Die Einführung des sog. ‚Arierparagra- zur Verfügung. […] Dennoch wurde schon phen‘ und damit der Ausschluss der jüdi- der eschichtsnterricht i national- schen Mitglieder in den beiden Turnvereinen sozialistischen Sinne verbindlicher Unter- in Eschwege schon im ersten Halbjahr 1933 richtsstoff, die Rassenkunde als Bestandteil (TV Jahn: 2.6.1933; TV 1848: 26.4.1933) war des Biologieunterrichts verordnet. Inwieweit ein Akt der Selbstnazifizierung, denn zu der solche Vorgaben tatsächlich den Schulalltag Zeit war ein Verlangen nach Entfernen jüdi- bestimmten, hing [zumindest in den ersten scher Sportler in keiner Dienststelle des Staa- Jahren] in erster Linie von den Lehrern und tes öffentlich bekundet worden. Auch diese Schuldirektoren ab.“79 Aktivitäten können als Mosaiksteine der Am 26.3.1933 wurde der Leiter der Schu- Förderung eines antisemitischen Klimas ge- le, OSTD. Dr. Hoffmann mit sofortiger Wir- wertet werden.74 In einer außerordentlichen kung beurlaubt und ab Juli 1933 trat der Na- Mitgliederversammlung des Vereins vom tionalsozialist Adolf Hofmann an seine Stelle. 10.6.1933 im ‚Werrastrand‘ teilt der ‚Führer‘ Endgültig besetzte er die Stelle am des Vereins, Albrecht, den Versammelten mit, 13.11.1934, blieb jedoch nur bis zum dass die „Vollarisierung“ im Verein „bereits 1.8.1936 auf diesem Posten. Bis zur Einfüh- durchgeführt“ wurde.75 Am 30.5.1933 heißt rung von Walter Drews ab 1.1.1938 versah es: „Die Arier-Frage ist durch Bestimmungen der stellvertretende Direktor, Studienrat Mo- von der D. T. nunmehr klar. Dr. Narewzewicz ritz Kraft, die Leitung der Schule. Hofmann u. Frau haben sich bereits abgemeldet. Alle tauschte schon bei der Abiturientenab- anderen Mitglieder jüdischen Glaubens sol- schlussfeier am 27.3.1934 mit jedem Abituri- len ersucht werden, sich abzumelden.“76Und enten den ‚Deutschen Gruß‘ aus. Darüber hi- am 26.6.1933 erfahren die Vorstandsmitglie- naus ließ er es zu, dass der Abiturient Schott der des Turnvereins 1861: „Auf die Briefe seine Abschiedsrede am Ende mit einem an die jüdischen Mitglieder sind nur Abmel- dreifachen Sieg-Heil auf Volk, Führer und dungen von Adolf Plaut, Otto Rotschild und Vaterland schloss. Und dann wurde die Ver- Frau eingegangen, während alle übrigen still- anstaltung mit dem Deutschland- und dem schweigend sich als ausgeschlossen betrach- Horst-Wessel-Lied beendet.80 ten müssen.“77 Studienrat Moritz Kraft, der dann später Wenn Karl Goldsmith in seinem Brief von 1936–1937 als stellvertretender Direktor aus dem Jahr 1975 darauf verweist, dass die Leitung der FWS innehatte, betonte schon der Überfall auf das Haus seiner Familie im Ende Januar 1934 in einer Ansprache an die Rahmen der ‚Reichspogromnacht‘ von Gym- Schüler auf einer Gedenkveranstaltung in der Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 131

Schule anlässlich der Ernennung Hitlers zum Nun wurde das Klima der Schule mit Si- Reichskanzler: „[…] Die Parteien sind besei- cherheit nicht nur durch die Lehrkräfte allein, tigt, die Länder gleichgeschaltet, damit ist ein sondern auch durch die Tatsache, dass immer einiges Deutschland wirklich geworden, der mehr Schüler der HJ angehörten, bestimmt. alte Traum vieler Patrioten. Das Leben, die Die vorgesetzte Schulbehörde erwartete na- Rasse als der Kern unseres Daseins, wird neu türlich auch von den FWS-Lehrern, dass sie erhalten. […]“81 permanent für die HJ warben. Doch während Insgesamt scheint sich auch in dieser Ende 1936 im Reichsdurchschnitt erst 66 % Schule gerade unter der neuen Leitung das der Schülerinnen und Schüler (10–18 Jahre) Klima recht schnell im nationalsozialisti- im BDM bzw. der HJ waren, vermeldete die schen Sinne verändert zu haben. Schon 1933 FWS im Verwaltungsbericht der Stadt Eschwe- mussten nach einem Bericht von Sonja Lip- ge für das Jahr 1936: „Sämtliche Schüler ge- ton jüdische Schülerinnen und Schüler Angst hören der Hitler-Jugend, dem Jungvolk bzw. haben, weil sie übel beschimpft wurden und der SA an.“86 man Steine hinter ihnen her warf.82 In einem Nebenbei bemerkt: Damit verbunden war offenen Brief an die Schuljugend der Schulen natürlich auch eine ideologische Kontrolle von Eschwege, den der ehemalige jüdische der Lehrkräfte durch die Schüler. FWS-Schüler Ernst Walter Doernberg am Ab 1.12.1936 war die Mitgliedschaft in 23.11.1989 verfasst hat, berichtete er davon, HJ bzw. BDM verpflichtend festgeschrieben. dass er und sein Vetter Martin Doernberg Aber schon zuvor übten die vorgesetzten schon 1934 in der FWS zahlreichen Diskri- Behörden auf Schulen erheblichen Druck minierungsangriffen von Mitschülern ausge- aus, für die HJ zu werben. Ende 1936 waren setzt waren. Man erklärte ihnen beispiels- dennoch von 8,656 Millionen Kindern und weise beim Musikunterricht, dass Juden nicht Jugendlichen im Alter von 10–18 Jahren erst mehr mitsingen dürften. Doernberg verließ 5,4 Millionen Mitglieder der HJ geworden dann Ostern 1935 die Schule, „weil die Ver- (= 66 %).87 folgung und das Anpöbeln zu stark waren.“83 Am 11.10.1935 wurde der Knabenbür- Ende des Schuljahres 1935 wies die FWS gerschule [Rektor: Hermann Wischnack, ab nur noch sechs Schüler jüdischen Glaubens August 1935 Kreisschulrat in Witzenhausen, auf. 1936 haben auch diese dann die Schule ab 1.2.1936 Willi Jäger Rektor] die HJ-Fahne verlassen. Der letzte Betroffene, Karl Gold- verliehen, weil über 90 % der Schüler der HJ mann, schreibt dazu: „Die sechs jüdischen oder dem DJ angehörten. Sie war im Kreise Schler sind einer nach de anderen Eschwege die erste Schule, die so ausgezeich- abgegangen, bis ich der letzte war. Kurz vor net wurde.88 – Am 14.12.1935 wurde an der dem Ende des Schuljahres wurde ich zum Schule [Katholische Schule] zum erstenmal Direktor bestellt. Er sagte mir, daß er gehört [sic; gemeint: Ersten Mal] die HJ-Fahne ge- hätte, daß ich am Ende des Schuljahres von hisst, da 100 % der Schüler und Schülerinnen der Schule fort wollte, und er meinte, es wäre im Alter von über 10 J. sich in den national- doch am besten, wenn ich gleich ginge. Am sozialistischen Jugendverbänden befanden.89 Abend dieses Tages kündigte das Eschwe- Und ausgerechnet am 9.11.1938 ver- ger Tageblatt an, daß ein Telegramm an das sammelte sich morgens die Friedrich-Wil- Schulministerium geschickt wurde, daß das helm-Schule in der Aula zur Gedenkfeier für Eschweger Gymnasium jetzt 100 % arisch die Toten der Bewegung vom 9. November sei.“84Die vollständige Entfernung aller jüdi- 1923. Dabei hielt Studienrat Schmidt die An- schen Kinder aus den Schulen wurde aber sprache […], in der es u. a. hieß: „Die Toten erst mit dem Erlass vom am 15.11.1938 gere- des oveber sind nicht sonst geallen gelt und angeordnet.85 der Kampf des Führers führt zum Sieg. Das 132 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Wort ist wahr geworden: ‚Euch, die nach neben Oppositionellen von KPD und SPD uns kommen, hämmern wir es ein, was zum auch zahlreiche Juden aus Stadt und Kreis Glück kommen soll, muß erblutet sein.“ […]90 Eschwege eingeliefert. In dem Verfahren ge- Exklusion und Inklusion waren Vorstel- gen den Gefängniswärter Friedrich Jörns be- lungen der NSDAP, die durch den Begriff der schreibt der Zeuge Wilhelm Zimmermann ‚Volksgemeinschaft‘ sozusagen ideologisch aus Abterode am 12.3.1946 die Situation fol- ummantelt und legitimiert wurden. Und er gendermaßen: ch bin a är richtete sich in erster Linie gegen die jüdi- in das Gerichtsgefängnis Eschwege eingelie- sche Bevölkerung. Aber damit stellte man fert worden. […] 8 Tage nach meiner Inhaftie- auch die Konstruktion des Verfassungs- und rung wurde unsere Zellentür aufgemacht, es Rechtsstaates in Frage. Das ‚System‘, wie war nachts gegen 22.00 Uhr, und es wurden es die Nationalsozialisten formulierten, ab- zwei Juden hineingestoßen, die aus Mund zulehnen, bedeutet aber gleichzeitig, einer und Nase bluteten. Der eine war Händler aus wie auch immer gearteten Gewalt gegen die Herleshausen, es kann der Josef Katzenstein ‚Fremden‘ (‚Fremdrassigen‘) Tor und Tür zu gewesen sein, ich habe die Juden persönlich öffnen. nicht gekannt. Der Händler aus Herleshausen Und so muss man sich nicht wundern, erzählte mir, er sei von Jörns, Gebr. Heinisch dass es auch in Eschwege schon früh zu ge- und Schilbe jun. schwer mißhandelt worden. waltsamen Übergriffen gegen Juden kam, die ach agen wrden die den as nse- wohl damals überhaupt nicht geahndet wur- rer Zelle herausgeholt und in eine andere Zel- den. Es entstanden partiell rechtsfreie Räu- le gebracht, wir hörten nachts und auch am me, die zusätzlich motivieren konnten, sich Tage oft Schreie, was nur aus Misshandlung an Juden zu vergehen. Der Bankangestellte der Juden herrühren konnte.“93 Gustav Herzog [NSDAP-Mitglied 1.5.1937] Karl Scharf äußerte sich in seiner Ver- gab bei seiner Vernehmung 1947 vor der nehmung am 13.3.1946 vor Staatsanwalt Spruchkammer Eschwege an, dass SA-Leute Dr. Schiffler: schon 1933 in das Bankhaus Katzenstein ein- ch bin i är nd ril as o- gedrungen seien, um den jüdischen Inhaber litischen Gründen in das Gerichtsgefängnis zu belästigen.91 Eschwege eingeliefert worden, […] Nach Jedenfalls ergibt sich beispielsweise aus meiner Entlassung aus dem Gerichtsgefängnis dem Entnazifizierungsverfahren gegen die hörte ich ersönlich von onifit Katenstein drei Gebrüder Heinisch, dass diese schon und dem Juden Cohen, Händler in der Markt- 1933 gewalttätig gegenüber dem alten taub- straße, dem Paul Moses in der Bahnhofstraße stummen Juden Stern, der im Siechenhaus und dem Getreidehändler Kurt Wolf, dass sie wohnte, geworden sind. Der Zeuge Richard in Gegenwart von Jörns im Gerichtsgefängnis Heider: „Sie stellten sich um ihn herum und von Eschwege von SA-Leuten schwer körper- einer von ihnen hat diesen Schuster geschla- lich misshandelt worden sind. Alle 4 Juden gen und getreten. Sie sind dann weitergegan- haben es mir persönlich erzählt.94 gen. Ich habe mich empört darüber, weil sie Nach den vorliegenden Quellen ist auch einen alten Mann, der sich nicht helfen konn- hier nicht erkennbar, dass es zu einem Ver- te, geschlagen hatten. Der Jude Stern hat na- fahren gegen die Täter kam. Und wenn je- türlich geweint und ist weitergegangen.“ Von mand mutig genug war – wie etwa der Pfar- einem zeitnahen juristischen Nachspiel kann rer Schlunk – dagegen rechtlich vorgehen zu man den Entnazifizierungsakten der Hei- wollen, wurde ein solches Unterfangen mit nischs nichts entnehmen.92 Falschaussagen untergraben.95 Und bezogen In das hiesige Gerichtsgefängnis in auf die kriminellen Vorfälle in der ‚Reichspo- Eschwege wurden im ersten Halbjahr 1933 gromnacht‘ galt auch für die Täter in Eschwe- Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 133 ge, dass das Reichsjustizministerium die daß das Werk in den nächsten Tagen von den Staatsanwälte angewiesen hatte, „keine Er- neuen Besitzern übernommen werden kann. mittlungen in Angelegenheiten der Judenakti- Damit ist der letzte jüdische Großbetrieb un- onen vorzunehmen“, sondern diese Aufgabe serer Stadt auf Grund der Anordnungen des der Gestapo und der Parteigerichtsbarkeit zu oveber in arische Hand bergeleitet übertragen.96 worden. Besonders erfreulich ist natürlich, Das Ergebnis war dann, dass nur Erpres- daß der Betrieb, der über 100 Gefolgschafts- sung und Plünderung aus Eigennutz sowie mitglieder beschäftigt, unserer Stadt erhalten Vergewaltigung insbesondere von einschlä- bleibt.“99 gig Vorbestraften zu einem Gerichtsverfahren Letztendlich ging es jetzt in erster Linie führen sollten, wohingegen Brandstiftungen, darum, die sog. ‚Arisierung‘ jüdischen Besit- Sachbeschädigungen, Zerstörungen von Syn- zes für den Staat als direkte Einnahmequel- agogen und jüdischen Friedhöfen grundsätz- le, die letztendlich nach Vorstellung Görings lich nicht zu verfolgen seien, weil diese auf der Steigerung der Rüstungsproduktion die- Befehl von oben angeordnet worden waren.97 nen sollte, zu nutzen.100 Eine „Judenvermö- Die Begründung des Parteigerichtes lautete, gensabgabe“ (Durchführungsverordnung zur dass die Täter ja nur den zwar unklar zum Verordnung über die Sühneleistung der Ju- Ausdruck gebrachten, aber richtig erkannten den vom 21.11.1938) belegte alle jüdischen Willen der Führung in die Tat umgesetzt hät- Personen mit mehr als 5000 RM Vermögen ten.98 mit einer Abgabe von 25 %, sozusagen als ‚Strafe‘ für die Reichspogromnacht.101 Da- durch nahm der Staat insgesamt 1,127 Mrd. 6. Muss man nicht die Täterfrage RM ein. Auch die Leistungen der Versiche- umfassender stellen? (II) rungen in Höhe von 225 Mio. RM wurden einbehalten. Außerdem mussten die Juden Wenn man sich mit der ‚Reichspogrom- die beschäftigten Geschäfte und Wohnungen nacht‘ beschäftigt, so kommt man aber auch auf eigene Kosten reparieren lassen.102 Das nicht umhin, dieses Ereignis historisch um- Finanzamt Eschwege hat beispielsweise am fassender einzuordnen. Denn während es 10.1.1939 Siegmund Doernberg bei einem von 1933 bis Frühjahr 1938 durch staatliche abgabepflichtigen Vermögen von 27652 RM Maßnahmen dazu kam, dass von den 1933 5400 RM als Abgabesumme berechnet und existierenden 100000 jüdischen Betrieben eingefordert.103 im April 1938 60 % liquidiert oder günstig Damit wurde der Emigrationsdruck auf die an Deutsche verkauft worden waren, setzte jüdische Bevölkerung, die noch in Deutsch- schon vor und dann nach der ‚Reichspog- land lebte, erheblich gesteigert. Damit einher romnacht‘ eine verstärkte staatliche Aktivi- ging vielfach über die sog. ‚Reichsfluchtsteu- tät zur restlosen Verdrängung der Juden aus er‘ und weitere Belastungen die fast totale der Wirtschaft ein. Die ‚Erste Verordnung zur Ausplünderung der Emigranten. Anfangs be- Ausschaltung der Juden aus dem deutschen traf die ‚Reichsfluchtsteuer‘ nur Auswande- Wirtschaftsleben‘ (12.11.1938) verbot jetzt rer mit einem Vermögen von über 200.000 denselben jegliche wirtschaftliche Betäti- RM. Davon mussten 25 % an den Staat ent- gung. richtet werden. Im Mai 1934 mussten alle, Am 12.12.1938 vermeldete die Hei- die ein Vermögen von 50.000 RM besaßen matzeitung über die ‚Arisierungserfolge‘ in oder mehr als 10.000 RM im Jahr verdien- Eschwege: „Die Verhandlungen zur Arisie- ten, diese Steuer bezahlen. Bei Fluchtver- rung der Mechanischen Weberei Doernberg dacht konnten Sicherheitsleistungen einge- u. Sohn sind, wie wir hören, soweit gediehen, fordert werden. Geldbesitz konnte nur über 134 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 die Golddiskontbank ins Ausland überwiesen lings in seinem Entnazifizierungsverfahren werden (Transferverluste lagen bei 60–90 %). hervor: Nur geringe Mengen an Bargeld durften mit- „Die noch verbliebenen Juden sollten aus genommen werden. Das Umzugsgut musste diesen Häusern, da auch eine gewisse Woh- aufgelistet, für Neuanschaffungen musste das nungsnot während des Krieges [… herrschte] Doppelte des Kaufpreises bezahlt werden. und andere Leute sollten dort untergebracht Ab 1937 konnte bei Fluchtgefahr der Besitz werden. Die Juden sollten in das Altersheim ‚sichergestellt‘ werden, die Konten wurden in der Schulstrasse, und zwar in die frühe- in ‚beschränkt verfügbare Sicherungskonten‘ re jüdische Schule, kommen. Mit der Räu- umgewandelt, was bedeutete, dass den Besit- mung der Wohnung habe ich mich damals zern monatliche Freibeträge zur Bestreitung zusammen mit Küllmer [Gerichtsvollzieher] des Lebensunterhaltes zugewiesen wurden. und Großkurth [Verwaltungsführer] beschäf- Ab 1939 galt das für alle Juden in Deutsch- tigt. Wir sind in dieses Haus gegangen, um land. Ab 26.4.1938 musste das Vermögen festzustellen, in welcher Weise die Wohnung angemeldet werden.104 am schnellsten geräumt werden konnte, wie Mit dem Emigrationsverbot vom groß der Möbellagerraum sein musste usw.“ 23.10.1941 erfuhr dann die Judenpolitik der An anderer Stelle heißt es: „Die Abtrans- Nazis eine noch dramatischere Entwicklung. portierung der Juden wurde meistens Sams- Denn nun wurde die Aneignung jüdischen tags durchgeführt. Beim Verlassen ihrer Woh- Besitzes durch den Staat verbunden mit der nung mussten alle Schlüssel stecken bleiben, Deportation der noch in Deutschland leben- damit am nächsten Tage das Inventar aufge- den jüdischen Bevölkerung (etwa 160.000) nommen werden konnte.“ nach Osten in die Vernichtungslager. Mit „Der Anlauf [sic gemeint: Ablauf] dieser der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz ganzen Tätigkeit, die Durchführung im Ein- vom 25.11.1941 verfiel danach jüdischer Be- sitz dem Staat, wenn der Eigentümer seinen „gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat“. Dabei spielten dann die Finanzämter vor Ort eine bedeutsame Rolle. In einem vertrauli- chen Brief an den Abteröder Bürgermeister vom 2.12.1941 schreibt der Vorsteher des Fi- nanzamtes Eschwege, Dr. Hans Stehling: „Die Verwaltung des Vermögens der ab- zuschiebenden Juden ist mir für den Finanz- amtsbezirk Eschwege übertragen worden. Ich bitte um möglichst umgehende Mitteilung, wieviel jüdische Familien in Ihrer Gemeinde von der Abschiebung betroffen werden. […]“ Und u. a. weiter: „Können Sie mir Lagerräu- e nichtbentte Sääle sic von ast- wirtschaten sw benennen in denen ich die Wohnungseinrichtungen der abzuschie- benden Juden sicher unterstellen kann? Ich bitte um umgehende Beantwortung meiner Fragen.“105 Wie nun das Finanzamt im Einzelnen vor- ging, geht aus weiteren Äußerungen Dr. Steh- Abb.10: Landrat Dr. Walter Schultz Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 135 zelnen, was z. B. die Verwertung bei Verstei- ten diese Sachen zur Sicherheit nicht in das gerungen anbetrifft, erfolgte in der Weise, Lager, sondern in das Sitzungszimmer des daß zunächst die Sachen durch einen ge- Finanzamtes. Sie wurden dann vom Finanz- eignet erscheinenden Fachmann, meistens amt verkauft, u. a. an das Polizeipräsidium in Handwerer oder eschätslete taiert Kassel.“ Und weiter: „Es ist richtig, daß das wurden und daß dann im Wege der öffent- Arbeitszimmer vom Finanzamt aus diesen lichen Versteigerung verkauft wurde. Damals Möbeln zusammengestellt wurde. Es wur- war eine gewisse Notlage und Mangel an vie- den auch Schreibtische, Stühle und Sessel len Dingen. Die Leute waren gierig nach den dort hingebracht. Das alles geschah auf An- Sachen und steigerten erheblich, sodaß es oft ordnng des eichsfinaninisters Schlecht dem Vollziehungsbeamten nicht möglich war, ausgestattete Finanzämter hatten die ihnen den Preisstopp, der auch bei diesen Sachen geeignet erscheinenden Möbelstücke zur bes- vorgeschrieben war des ewertes seren Ausstattung zu beschlagnahmen.“108 einzuhalten, sondern diese Preise weit über- In seinem Entnazifizierungsverfahren be- schritten wurden. […] Die Käufer wurden in schrieb Dr. Stehling seine damalige Situation Listen festgehalten. Dem Vollstreckungsbe- so: amten war ein weiterer Angestellter beigege- „Als Jurist, der lange Jahre im praktischen ben, der eine Art Protokollführer machte, den Dienst des Rechts gestanden hat, bin ich Namen der Käufer und das eingezahlte Geld an diese Angelegenheit mit einem gewissen eintrug. Das Geld wurde von diesem Mann inneren Widerstreben herangetreten. Auf kassiert und nicht vom Vollziehungsbeamten. der anderen Seite muss man berücksichti- Diese Liste diente als Unterlage für die Kasse. gen, daß das, was wir taten, und zwar die Es kamen Anordnungen, aufgrund derer der Räumung der Wohnungen, nicht zu einem Erlös an die Reichskasse abzuliefern war.“106 Zeitpunkt getan wurde, als die Eigentümer In einer Anzeige des Eschweger Finanz- dieser Einrichtungen selbst noch da waren. amtes im Eschweger Tageblatt am 2.6.1942 Die Menschen selbst haben das nicht mehr hieß es beispielsweise: „Es werden öffentlich erlebt. Die Leute waren abgeschoben, die gegen sofortige Barzahlung gebrauchte Kü- Beamten von der Polizei haben uns die chengeräte, Haushaltungsgegenstände, Por- Schlüssel übergeben und die Wohnung wur- zellan, ein kleiner Teil gebrauchter Wäsche de zunächst von uns versiegelt. Wir hatten usw. verkauft. also lediglich mit den toten Gegenständen onnerstag den ni vorit- zu tun. Wie sollte ich mich diesem Befehl tags ab hr nd an den olgenden agen i entziehen?“109 Hof des Grundstücks Friedrich-Wilhelm-Stra- Dr. Stehling wurde von der Spruchkam- ße 48“.107 mer Eschwege als Mitläufer eingestuft und Stehling weiter: „Wir mussten auch sehen, mit 500 RM Geldsühne belegt. In einem Er- daß wir geeignet erscheinende Möbel für das mittlungsbericht heißt es: Von den früheren Finanzamt zurückstellen konnten und die und jetzigen Angestellten des Finanzamtes Edelmetallsachen, wie Silber, Messingleuch- ist niemand in der Lage, eine klare Antwort ter usw. vorher sichergestellt wurden, da es in auf die Frage zu geben, ob Dr. Stehling sich einem Falle passiert war, daß gestohlen wur- an jüdischem Eigentum vergriffen hat oder de, weil fremde Leute in der Wohnung waren. nicht. […] Akten, die evtl. hierüber Aufschluß Diese Edelmetalle kamen in das Finanzamt geben könnten, werden vor dem Einrücken und mussten abgeliefert werden. Die Kisten, der Amerikaner verbrannt und zwar in der die zum Finanzamt gingen, enthielten zum Heizungsanlage des Finanzamtes.110 Teil Wäsche, die an Erholungsheime und Fi- 1941 begannen dann die Deportationen nanzschulen abgegeben wurden. Wir brach- der letzten noch in Eschwege und Umge- 136 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 bung lebenden Juden. In sog. ‚Zuleitungs- Wir drei Gendarmeriebeamte sind mitge- zügen‘ wurden sie nach Kassel transportiert. gangen as ehealige Eerierhas war Sophie Sonja Lipton schilderte ihre damali- der nunmehrige Aufenthaltsort der Juden. ge Situation in Eschwege so: „Meine Eltern, Während unserer Anwesenheit sind die Ju- meine jüngere Schwester Ester, der jüngste den nicht mißhandelt worden. Ob das spä- Bruder Ephraim und ich standen neben vie- ter der Fall gewesen ist, entzieht sich meiner len anderen auf einer Liste der Stadt Eschwe- Kenntnis.“112 ge. Wir mußten in den Tagen vor der ‚Abrei- Im Entnazifizierungsverfahren gegen den se‘ eine Menge Formalitäten erledigen. Von ehemaligen Landrat Dr. Schultz (Minder- der Polizei wurden wir angewiesen, uns am belasteter, ½ Jahr Bewährungsfrist, 500 RM orgen des nter ewachng Geldsühne) ) stellte die Spruchkammer fest, zum Bahnhof zu begeben. Wir durften nur da der etroene die erschicng eine genau vorgeschriebene Menge von per- und den Abtransport der noch im Kreis woh- sönlichen Dingen bzw. Gepäck mitnehmen. nenden Juden und Mischlinge durchgeführt Unsere Angst über das kommende Schicksal hatte und es war zu ersehen, daß der Be- steigerte sich enorm, ja, wir hatten alle To- troffene diese gesamte Aktion durch Anwei- desangst. […]“111 sungen leitete und dirigierte.“Dazu meinte Bewacht wurden sie von hiesigen Gen- der Betroffene, „es sei dies eine Aktion ge- darmeriebeamten. Einer davon war Wilhelm wesen, die von oben befohlen worden wäre Schmale aus Jestädt. Im Entnazifizierungs- und in keiner Form seine Billigung gefunden verfahren gegen den ehemaligen Landrat hätte, jedoch hätte man von ihm als Land- Dr. Schultz schilderte er am 2.2.1948 seine rat schlecht erwarten können, daß er dieses damalige Tätigkeit so: nicht durchführte, denn dies sei allgemein in „Eines Tages, das Jahr kann ich nicht Deutschland geschehen und von den deut- mehr genau angeben, es muss aber nach schen Regierungsstellen so verlangt wor- geschehen sein bea ich vo Land- den.“113 ratsamt den Auftrag, den Transportzug mit Von Kassel aus gingen dann 3 Transporte Juden nach Kassel zu begleiten. Mir wurden nach Riga, Lublin/Sobibor und Theresien- zwei Gendarmes beigegeben. Soweit ich stadt. 8./9.12.1941: Riga; 1034 Personen, mich entsinnen kann, war der noch jetzt davon aus Eschwege 65; Durchschnittsal- i ienst befindliche endareriebeate ter 39 Jahre, davon 90 Kinder) und 1942 Viehl und noch ein zweiter, dessen Name 31.5./1.6.1942 Lublin/Sobibor; 508 Perso- ich nicht mehr weiß, dabei. Ich hatte ledig- nen, davon aus Eschwege 11; 6.9.1942 The- lich den Auftrag, den Transport zu leiten. resienstadt; 705 vor allem ältere Personen, Mit der Erfassung und dem Verladen hatte davon aus Eschwege 45. Hier musste von ich nichts zu tun. Hiermit war ein Rabbiner jedem einzelnen ein ‚Heimeinkaufsvertrag‘ beauftragt. Bei dieser Aktion war [sic] weder geschlossen werden). SA noch SS zugegen. Die Juden wurden in Ausgewandert waren aus Eschwege bis Personenwagen untergebracht und durften 1941 211 Personen. Deportiert: 121. Gepäck mitnehmen. Da der zur Verfügung Siegfrid Ziering, einer der wenigen Über- stehende Raum der Personenwagen äußerst lebenden, berichtete 1946 über den Trans- beengt war, wurden auf meine Veranlas- port nach Riga: nachittags sung hin noch zwei Wagen angehängt. Am fuhren wir ab. Es waren ungeheizte 3ter Klas- Bahnhof Kassel wurde der Transport von se Coupes. Wir fuhren über Berlin, Breslau, der Schutzpolizei Kassel nachgezählt und Posen, Königsberg, Tilsit und kamen am 12. von dieser übernommen und nach der Po- Dez. 41 in Riga an. Es war 40 Grad Kälte. lizeikaserne Hohenzollernstraße gebracht. Das meiste Gepäck ließen wir am Bahnhof Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 137 auf nimmer Wiedersehen. Bei einem furcht- nen. Es war auf die Masse der willfährigen baren Schneesturm mußten wir ins Ghetto kleinen Vollstrecker angewiesen. marschieren. Zehn Kilometer […] Wir beka- – Eine derartige Unterstützung der Haupt- men zu zehn Personen ein kleines Zimmer täter haben diejenigen erbracht, die in und Küche. Die ersten drei Wochen beka- irgendeiner Weise in den Gang der Ver- en wir berhat eine eregng n nichtungsaktionen eingeschaltet waren. Frieden und Freiheit dachte schon keiner Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie mehr, unser einziger Wunsch war, als Juden zur Vorbereitung der Aktionen die Listen zu sterben, und wenn, dann zusammen“.114 der vorgesehenen Opfer zusammenge- Am 30.12.1942 wird den Einwohnern stellt haben, oder ob sie bei den Aktionen der Stadt im Eschweger Tageblatt zur Bevöl- zur Beaufsichtigung der Durchführung kerungsentwicklung mitgeteilt: „Nach der oder aktiv bei den Häuser- oder Straßen- letten olsählng i ahre beträgt räumungen, den Bewachungen am Sam- die Wohnbevölkerung unserer Stadt 16.705 melplatz oder bei der Verladung in die Personen. Die Juden, deren Zahl bei der Waggons eingesetzt waren, oder ob sie Machtübernahme noch über 500 betrug, den Auszusiedelnden lediglich ihre Wert- sind infolge Umsiedlung ganz aus Eschwege sachen abgenommen haben.115 verschwunden.“ Voraussetzung für die Täterschaft war: – Wer politischer Mordhetze willig nach- 7. Warum ist es gerade heute gibt, sein Gewissen zum Schweigen wichtig, über diese Vergangen- bringt und fremde verbrecherische Zie- heit zu sprechen? le zur Grundlage eigener Überzeugung und eigenen Handelns macht, kann sich Kardinal Reinhard Marx (München): „Zur nicht darauf berufen, nur Tatgehilfe seiner politischen Kultur dieses Landes rechne ich Auftraggeber zu sein. Sein Denken und ausdrücklich auch die Erinnerungskultur, die Handeln deckt sich mit demjenigen der sich in den vergangenen Jahrzehnten heraus- eigentlichen Taturheber. Er ist regelmäßig gebildet hat und gegenwärtig von manchen Täter. angezweifelt wird.“116 – Gehilfe dieser Mordtaten ist, wer den Tä- ter bei der Ausführung seiner Tat unter- Schreiben von Ernst Walter Doernberg stützt. Es ist nicht erforderlich, dass die aus Santiago/Chile vom 22.1.1990 über Gehilfentätigkeit den Erfolg der Haupttat das Treffen ehemaliger Eschweger Mitbür- ursächlich mitbewirkt, fördert oder er- ger jüdischen Glaubens 1989: „ […] erst am leichtert. Dass es ohne eine solche För- Morgen die Zusammenkunft mit den Schu- derung auch zu den Tötungen gekommen len der Friedrich-Wilhelm-Schule, dies war wäre, ist also unerheblich, was auch von leider nicht das, was wir alle gedacht haben, vielen NS-Angehörigen verkannt wird, die Kinder oder die Jugendlichen wollen alle wenn sie argumentieren, wenn sie nicht von der Vergangenheit nichts mehr wissen. selber, dann hätten andere die Erschie- […] Den Dienstag nochmals Zusammen- ßungen vollzogen oder die Vernichtungs- treffen mit den Schülern der Oberstufe mit aussiedlungen durchgeführt. Am Ergebnis de selben esltad sic an onnte sich hätte das nichts geändert. Abgesehen da- nicht verstehen, die Jugend lebt heute in ei- von, dass diese Argumentation juristisch ner anderen tosaehre sic sie leben in falsch ist, hätten sich alle geweigert, dann die Zukunft und diese Schueler sind meistens hätte das Regime dieses Mammutvernich- beschaeftigt, was sie wohl machen können, tungsprogramm nicht durchführen kön- wenn sie die Schule verlassen. […]“117 138 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Anmerkungen 15 Spruchkammerakte Alfred Neusüß, Hes- sisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden 1 Das Manuskript geht zurück auf einen am (HStAW)/Abt. 520/Es 4360/47 PL, Bl. 86. 8. November 2018 in der VHS Eschwege 16 Ludwig Stein, ‚Aber sie konnten nichts gehaltenen Vortrag. machen’. In: Ellen Küppers, Emigranten 2 Anmerkung zum Begriff ‚Reichskristall- in New York, Ulm 1995, S. 94. – L. Stein, nacht‘, ‚Reichspogromnacht‘: Kritik am geboren in Eschwege und bis zu seinem Begriff ‚Reichskristallnacht‘: unklare Her- 14. Lebensjahr hier lebend (Friedrich-Wil- kunft, zum Teil Tätersprache, Ereignisse helm- Str. 6), siedelte am 09.02.1940 auf die Nacht vom 08./09.11.1938 redu- nach Amerika über, wurde Ingenieur zierend; Kritik am Begriff ‚Reichspogrom- und restaurierte die Brooklyn- Bridge ab nacht‘: Elemente der Spontaneität statt 1983. staatlicher Anweisungen, suggeriert Terror 17 Siehe Anna Maria Zimmer, a. a. O., S. 172, der ‚Volksseele‘, anonymisiert die Verbre- 174 u. 179. cher. 18 Spruchkammerakte Rudolf Junghans, 3 Siehe Dietfrid Krause-Vilmar, Die juden- HStAW Abt. 520/Es 1969/47 Bu/Ze., Bl. 21 feindlichen Pogrome in Kassel im Novem- u. 49–50. ber 1938. In: Zeitschrift des Vereins für 19 Vernehmung Martha Junghans, Mutter hessische Geschichte und Landeskunde, des Rudolf Junghans, am 14.01.1947. Bd. 117/118 (2012/13), S. 205–214, hier In: Spruchkammerakte Rudolf Junghans, S. 211 f. a. a. O., Bl. 13. 4 Eike Hennig (Hg.), Hessen unterm Haken- 20 Anna Maria Zimmer, a. a. O., S. 170. kreuz, Frankfurt 1983, S. 49. 21 ET, 09.11.1938, Nr. 263 5 Krause-Vilmar, a. a. O., S. 211 f. 22 ET, 10.11.1938, Nr. 264. 6 Eschweger Tageblatt (ET), 09.11.1938, 23 Siehe Anna Maria Zimmer, a. a. O., S. 174 Nr. 263 (Mi.). und Spruchkammerakte Wilhelm Schi- 7 Ludolf Herbst, Das nationalsozialistische wek, HStAW Abt. 520 Es 423/46, Bl. 137. Deutschland 1933–1945, Frankfurt 1996, 24 Brief von Erich Kahn. Siehe Spruchkam- S. 209 und Hermann Graml, Reichskris- merakte Fritz Jatho, HStAW Abt. 520/22 Es tallnacht, 3. A., München 1998, S. 32, 2810, Bl. 31. Wolfgang Benz, Hannchen B. war begeis- 25 Anna Maria Zimmer, a. a. O., S. 170,171 tert. In: ZEIT, 31.10.2018, Nr. 45, S. 20. sowie dieselbe, Zur Geschichte der jü- 8 Wolf-Arno Kropat, Reichskristallnacht, dischen Gemeinde in Eschwege. In: Ge- Wiesbaden 1997, S. 44–45. schichte der Stadt Eschwege; Eschwege 9 Werra-Rundschau (WR), 04.02.1949, 1993, S. 353. Nr. 29, S. 3. 26 Brief Goldsmith 1975, Brief Doernberg 10 Wolf-Arno Kropat, a. a. O., S. 64. 1987, StAE. In: Anna Maria Zimmer, Zur 11 Urteil des Landgerichts Kassel vom Geschichte der jüdischen Gemeinde in 22.04.1949. Eschwege, a. a. O., S. 351. 12 WR, 20.04.-23.04.1949, Nr. 91–94, S. 3 u. 27 Spruchkammerakte Eduard Weiss. HStAW 4. Abt. 520/22 Es 8169/47. 13 Bettina Leder, Christoph Schneider, Katha- 28 Bettina Leder, Christoph Schneider, Katha- rina Stengel, Ausgeplündert und verwaltet. rina Stengel, a. a. O., S. 33. Geschichten vom legalisierten Raub an Ju- 29 Zimmer, a. a. O., S. 168. den in Hessen, Berlin 2018, S. 33. 30 Zimmer, a. a. O., S. 169. 14 Anna Maria Zimmer, Juden in Eschwege, 31 Spruchkammerakte Reinhard Mangold, Eschwege 1993, S. 168. HStAW, Abt. 520/Es 2719, Bl. 89. Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 139

32 Michael Grüttner, Das Dritte Reich 1933– „freiwilligen Feuerwehr Eschwege e. V.“, 39. In: Gebhardt: Handbuch der deutschen Eschwege 1993, S. 95. Geschichte, Bd. 19, Stuttgart 2014, S. 504– 48 Spruchkammerakte Eduard Weiß, a. a. O., 505. Bl. 90. 33 Hessische Nachrichten (HN), 06.03.1948, 49 Spruchkammerakte Wilhelm Schiwek, Nr. 28, S. 4. a. a. O., Bl. 137. 34 Eschweger Mitteilungsblatt (EM), 50 Spruchkammerakte Eduard Weiß, a. a. O., 14.02.1948, Nr. 134,Werra-Rundschau, Bl. 90–92 (Begründung des Urteils). 04.02.1949, Nr. 29, S. 3, Hessische Nach- 51 Spruchkammerakte Alfred Neusüß, a. a. O., richten, 28.02.1948, Nr. 25, S. 1:und Hessi- Bl. 86. sche Nachrichten, 06.03.1948, Nr. 28, S. 4. 52 Spruchkammerakte Alfred Neusüß, a. a. O., 35 Siehe Urteil des Landgerichts Kassel vom Bl. 87. 22.04.1949 (StA Marburg Abt. 274 Staats- 53 Anna Maria Zimmer, a. a. O., S. 169. anwaltschaft Kassel Nr. 111). In: Wolf-Arno 54 Brief Goldsmith 1975, Brief Doernberg Kropat, a. a. O., S. 64 u. 245. 1987. In: Anna Maria Zimmer: Zur Ge- 36 Hessische Nachrichten, 23.04.1949, schichte der jüdischen Gemeinde in Nr. 96, S. 7. Eschwege. In: Stadt Eschwege (Hg.), 37 Hessische Nachrichten, 22.04.1949, a. a. O., S. 351. Nr. 95, S. 4. 55 Michael Grüttner, Das Dritte Reich 1933– 38 Wolf-Arno Kropat, a. a. O., S. 66. 39. In: Gebhardt: Handbuch der deutschen 39 Schreiben Reinhard Mangold an den öffent- Geschichte, Bd. 19, Stuttgart 2014, S. 503– lichen Kläger der Spruchkammer Eschwege 504. vom 26.04.1947. In: Spruchkammerakte 56 Siehe Spruchkammerakte Rudolf Junghans, Rudolf Junghans, a. a. O., Bl. 28 a. a. O., Bl. 11 sowie Spruchkammerakte 40 Anna Maria Zimmer, Zur Geschichte der Reinhard Mangold, a. a. O. jüdischen Gemeinde in Eschwege, a. a. O., 57 Anna Maria Zimmer, a. a. O., S. 168. S. 351. 58 Spruchkammerakte Reinhard Man- 41 StAE, Niederschrift II/22, 1988. In: Anna gold. a. a. O. Maria Zimmer, a. a. O., S. 158. 59 Spruchkammerakte Georg Horn, HStAW/ 42 Spruchkammerakte Alfred Müller, HStAW, Abt. 520/Es 8120/48. – Georg Horn war Abt. 520/Es 7530/47 Li/Bö., Bl. 69. Mitglied der NSDAP seit 1932 und Mitglied 43 Interview mit Eduard Weiß am 07.01.1981. der SA seit 1932, hier Sturmführer. Ver- In: Hans-Werner Posdziech (Hg.), Alltag im fahren eingestellt, weil der Betroffene am Nationalsozialismus der Stadt Eschwege, 12.01.1943 in Russland gefallen ist und er Gießen 1982 nicht in die Gruppe der Hauptschuldigen 44 Anordnung des RP Kassel an die Ortspo- oder Belasteten eingeordnet wurde. lizeibehörden und Polizeidienststellen im 60 Brief von Erich Kahn. Siehe Spruchkammer- Regierungsbezirk Kassel vom 8.11.1938. akte Fritz Jatho, a. a. O., Bl. 31. In: Wolf-Arno Kropat, a. a. O., S. 207. 61 Spruchkammerakte Fritz Jatho, a. a. O., 45 Spruchkammerakte Eduard Weiß, a. a. O., hier: Begründung des Spruches. Bl. 88. Aussage der Zeugin Schlarbaum. 62 Spruchkammerakte Alfred Neusüß, a. a. O., 46 York-Egbert König, Karl Kollmann (Hg.), Bl. 92. Zeugin Ermenhild Neusüß. Eschwege. Ein Lesebuch, Husum 1996, 63 Spruchkammerakte Fritz Jatho, a. a. O., S. 28–29. Bl. 85. 47 Werner Götting. In: Freiwillige Feuerwehr 64 Spruchkammerakte Fritz Jatho, a. a. O. Eschwege (Hg.), Chronik des Feuerlösch- Hier: Begründung des Urteils im Verfahren wesens der Stadt Eschwege und der vom 15.05.1948. 140 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

65 Spruchkammerakte Fritz Jatho, a. a. O., gelegenheiten der Stadt Eschwege 1934, Bl. 94. S. 67. StAE. 66 Schreiben Otto Rothschild an die is- 85 Bruno Blau, Das Ausnahmerecht für die raelitische Gemeinde Eschwege vom Juden in Deutschland 1933–1945, Düs- 21.03.1947. StAE. seldorf 1954, S. 55. 67 ET, 31.01.1939. 86 Bericht über die Verwaltung und den Stand 68 WR, 22.09.2018. der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt 69 Spruchkammerakte Alfred Neusüß, a. a. O., Eschwege im Rechnungsjahr 1936, S. 77. Bl. 51a u. b sowie Bl. 85. StAE. 70 Spruchkammerakte Alfred Neusüß, Bl. 96. 87 Arno Klönne, Jugend im Dritten Reich, 71 , Das Wesen der Propaganda. München 1995, S. 34. In: Mein Kampf. 220./224. Auflage, Mün- 88 Bericht über die Verwaltung und den Stand chen 1936, S. 197–98. der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt 72 Spruchkammerakte Paul Rahe, HStAW Eschwege im Rechnungsjahr 1935, S. 70. Abt. 520/ Es 7581/48, Bl. 32. StAE. 73 Spruchkammerakte Edmund Hüther, 89 Wie vor, S. 72. StAE. HStAW D. Lg. VIII/B/523/47, Bl. 25. 90 ET, 09.11.1938, Nr. 263. 74 Michael Wildt, Informationen zur politi- 91 Vernehmung des Bankangestellten Gustav schen Bildung, Nr. 314/2012, S. 44. Herzog vor dem Ersten öffentlichen Klä- 75 Protokollbuch ‚Jahn‘, begonnen ger der Spruchkammer Eschwege am 16.09.1930 bis …, S. 80–83. In: ETSV-Ar- 28.11.1947. In: Spruchkammerakte Ru- chiv. dolf Junghans, a. a. O. 76 Protokollbuch Tv. 1861 Eschwege. Vor- 92 Spruchkammerakte Fritz Heinisch, standssitzungen 1930–37, begonnen von HStAW, Abt. 520 Es 772/47, B. 153. Fritz Hempfing, S. 286–87. In: ETSV-Ar- 93 Spruchkammerakte Friedrich Jörns, chiv. HStAW, Abt. 520/22 Es 9336/48, Bl. 37. 77 Protokolle über die Vorstandssitzungen des 94 Spruchkammerakte Friedrich Jörns, TV 1861 vom 30.05.1933 und 26.06.1933. a. a. O., Bl. 38. In: Festschrift 125 Jahre ETSV, S. 36. 95 Spruchkammerakte Friedrich Jörns, 78 Karl Goldsmith, Brief vom 21.01.1975, a. a. O., Bl. 110. StAE. In: Anna Maria Zimmer, a. a. O., 96 Kropat, ,a. a. O., S. 148. S. 169. 97 Siehe Kropat, a. a. O., S. 150. 79 Michael Grüttner, a. a. O., S. 468–469. 98 Hermann Graml, Reichskristallnacht, 3. 80 ET, 27.03.1933, Nr. 73. Auflage, München, 1998, S. 32. 81 ET, 31.01.1934, Nr. 25. 99 ET, 12.12.1938, Nr. 290 82 Sophie-Sonja Lipton, Aus Eschwege ver- 100 Ludolf Herbst, a. a. O., S. 205. trieben. In: York-Egbert König, Karl Koll- 101 Bruno Blau, a. a. O., S. 55. mann (Hg.), Eschwege. Ein Lesebuch, Hu- 102 Siehe Ludolf Herbst, a. a. O., S. 210. sum 1996, S. 29–30. 103 Bettina Leder u. a., a. a. O., S. 35. 83 Ernst Walter Doernberg: Ein offener Brief 104 Bettina Leder u. a., a. a. O., S. 14–15. an die Schuljugend der Schulen von 105 Spruchkammerakte Dr. Hans Stehling, Eschwege vom 23.11.1989. In: 150 Jahre HStAW Abt. 520/Es 3016/47, Bl. 89. Friedrich-Wilhelm-Schule, S. 94. 106 Spruchkammerakte Dr. Hans Stehling, 84 Karl Kollmann, Einladung zu einem Rund- a. a. O., Bl. 96. gang. Jüdisches Eschwege. Eschwege 107 ET, 02.06.1942. 2007, S. 33–34. Und: Bericht über die Ver- 108 Spruchkammerakte Dr. Hans Stehling, waltung und den Stand der Gemeindean- a. a. O., Bl. 96. Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege 141

109 Spruchkammerakte Dr. Hans Stehling, 113 Spruchkammerakte Dr. Walter Schultz, a. a. O., Bl. 98. a. a. O., Bl. 126. 110 Spruchkammerakte Dr. Hans Stehling, 114 HNA, 07.12.2011. a. a. O. Hier: Ermittlungsbericht. 115 Bundesgerichtshof, StR, 18/87 f., BGH 1 111 Sophie-Sonja Lipton, Aus Eschwege ver- StR 107/69; 341/74). trieben. In: York-Egbert König, Karl Koll- 116 WR, 08.09.2018. mann (Hg.), a. a. O., S. 29–30. 117 Akte ‚Jüdische Mitbürger‘, StAE. 112 Spruchkammerakte Dr. Walter Schultz, HStAW, Abt. 520/Es 4451/47, Bl. 72. 142

Ida Gassenheimer: Mein und ihre Wohnungen zerstört waren, hörte ich in jener Novembernacht plötzlich das Untergrund Leben in Klirren von Glasscheiben in unserer Veran- Berlin 1938–19451 da, die auf den Garten hinausging. Wir hat- ten uns eingeriegelt, aber die Tür zu unserem Schlafzimmer wurde eingeschlagen und he- bearbeitet und mit einem Nachwort versehen rein stürmten sechs Männer. Es waren keine von York-Egbert König Einwohner aus Eschwege, sondern Männer aus der Umgegend. Sie trugen keine Uni- form und sahen wild und verwahrlost aus. Auf das Kommando eines von ihnen „Eins- zwei-drei“ begannen sie, systematisch jedes Möbelstück im Haus zu zertrümmern. Ich fing wahnsinnig zu schreien an, und einer der Männer, ein Junge von etwa sechzehn Jahren, kam auf mich zu und sagte: „Gute Frau, schreien Sie doch nicht so. Das ist ja nur für den Mord in Paris!“ Ich antwortete ihm: „Junge, wenn man deiner Mutter so mitspielte, was würdest Du dann wohl sa- gen?“ Dies hatte seine Wirkung, wie sich später ergab, nicht verfehlt. Mein Mann saß während der ganzen Zeit wie versteinert auf dem Bettrand. Nachdem nichts im Schlafzimmer unzerstört gelassen war, stürmten die Männer in den Salon und rissen mit ihren Bajonetten die Brokatbezü- ge der Möbel auf und die ganze Polsterung heraus, alles Glas und Porzellan wurde zer- trümmert und sogar die Blumen und Kakteen in dem Blumenfenster entgingen dem Vanda- lismus nicht. Nachdem dann auch die Diele bb : da assenheier mit einer schönen Standuhr und Schleiflack- möbeln sinnlos und brutal zerstört war, kam Meinen ersten persönlichen Kontakt mit einer der Kerle zurück in unser Zimmer und dem Hitler-Terror hatte ich 1938 nach dem At- ging mit seinem Bajonett auf meinen Mann tentat2 in Paris. Mein Mann und ich bewohn- zu und schrie: „So, Jude, jetzt rechne ich mit ten damals eine hübsche Villa in Eschwege Dir ab“. Ich warf mich auf diesen Mann, um an der Werra, Wolfsgraben 183. Mein Mann das Schlimmste zu verhindern, und in diesem besaß eine Fabrik von Ladeneinrichtungen Moment griff der Junge, mit dem ich vorher für Fleischereien, hatte aber schon damals so unerschrocken gesprochen hatte, ein und sein Geschäft aufgeben müssen4, weil er als sagte: „Nun lass die in Ruhe!“ Jude nicht mehr auf dem Lebensmittel-Sektor Die Bande ließ dann ihre Wut in der Kü- tätig sein durfte. che aus, wo einfach alles zerschlagen wurde Nachdem im Rundfunk bereits „Maßnah- und nur ein hoher Berg von Scherben und men“ zur Vergeltung angedroht und in dem Trümmern verblieb, als sie schließlich abzo- Nachbarort Spangenberg Juden geschlagen gen. Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 143

Ich fiel in eine toten-ähnliche Ohnmacht, Nach genau vier Wochen kam mein Mann und da es keine jüdischen Ärzte mehr im Ort todkrank zurück. Wir versuchten, überall gab, lief mein Mann zu einem Nazi-Doktor. ins Ausland zu entkommen, aber es gelang Er kam sofort und sagte: „Wir sind nicht mit uns nicht, und so vegetierten wir in Eschwe- all dem einverstanden, müssen aber mitma- ge weiter. Im April 1939 wurde uns gesagt, chen“. Wie sich bald herausstellte, hatte ich dass wir innerhalb von vier Wochen unser durch die Aufregung und das wahnsinnige Haus9 verlassen müssten. Es war ohne unser Schreien meine Sehkraft fast verloren. Zutun an den Bürgermeister10 verkauft wor- Am nächsten Morgen rief eine Freundin an den, der dann auch dort einzog. Wir konnten und berichtete, dass man ihren Mann abge- holt habe. Mein Mann packte sofort ein klei- nes Köfferchen und begab sich auf Umwegen zum Bahnhof, um nach Berlin zu fahren. Noch hoffte ich, dass er sicher entkommen sei, als ein Polizist (Wiegand)5 kam, den wir als einen ordentlichen Mann kannten und der meinem Mann sehr gewogen war. Mit einem sehr traurigen Gesicht übergab er mir das Köf- ferchen meines Mannes und sagte: „Frau Gas- senheimer, ich bringe Ihnen hier die Sachen Ihres Mannes. Sie haben ihn auch erwischt“. Später erzählte mir mein Mann, dass er mit anderen Juden auf das sogenannte Schloss6 in Eschwege gebracht wurde und dort einige Tage unter den demütigendsten Umständen auf einen Transport warten musste. In die- sen Tagen hatte sich der Bademeister7 des Ortes (dessen Tochter8 die Sekretärin meines Mannes war) besonders gemein benommen. Wenn morgens früh um 5 Uhr beim Appell die Männer knietief im Morast antreten muss- ten, stand er mit einer Peitsche dort und hieb auf die Juden ein und beschimpfte sie mit den bb : riedrich-ilhel-Strae unflätigsten Worten und spuckte sie an. Ich erfuhr erst nach 14 Tagen unsagbarer so schnell in Berlin keine Unterkunft finden, Angst, was aus meinem Mann geworden war. und da niemand in Eschwege Juden mehr Ich erhielt dann nämlich eine vorgedruckte aufnehmen durfte, bot uns schließlich ein jü- Postkarte aus Buchenwald mit der Bitte um discher Bäckermeister11 eine Bleibe an. Eine etwas Wäsche und 20 Mark, da sie für ihren Möglichkeit zum Kochen gab es dort aller- „Aufenthalt“ bezahlen mussten. dings nicht, und eine andere jüdische Fami- Inzwischen wartete ich in der zerstörten lie12 gab uns Essen. So haben wir vier Wo- Wohnung auf die Rückkehr meines Mannes. chen lang gelebt, bis wir im Juni 1939 nach Da auch alle elektrischen Birnen zerschlagen Berlin ziehen durften. waren, war ich zunächst in Dunkelheit, aber Ungefähr ein Jahr lang konnten wir dann heimlich kam dann abends ein Mann, der ungehindert in Berlin leben, wo das Dasein wenigstens das elektrische Licht wieder in im Vergleich zu der völligen Isoliertheit und Ordnung brachte. den ständigen Schikanen in Eschwege durch- 144 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Jüdischen Krankenhaus waren zu jener Zeit noch so, dass ich eine eigene Tag- und Nachtschwes- ter haben konnte, und auch die Verpflegung war damals noch ganz gut. Auch nach meiner Rückkehr in unsere klei- ne Wohnung gelang es meinem Mann immer noch, uns Lebensmittel zu verschaffen, die Ju- den offiziell nicht mehr zugänglich waren. So erhielt er z. B. in einem Geschäft in der bb : rcenstrae a ildrand rechts Hohenstaufenstraße in Schöneberg manchmal aus erträglich war. etwas Kaffee, der uns Juden mit dem „J“ auf In Berlin lebte zu der Zeit auch meine unseren Rationskarten schon lange nicht Tochter13, die mit einem Arzt verheiratet mehr verkauft werden durfte. Dies wurde war. Mein Schwiegersohn war bereits nach aber verraten, und jeder Jude, der dort ei- England ausgewandert, aber das Permit für nigermaßen menschlich behandelt worden meine Tochter kam erst nach Ausbruch des war, musste eine Strafe von 50 Mark bezah- Krieges in Deutschland an, und so musste sie len. als Arbeiterin bei Siemens arbeiten. Die Er- Auch bot sich mein Mann, der nicht jü- lebnisse meiner Tochter aus dieser Zeit und disch aussah, manchmal beim Abladen von ihre Flucht sind in dem Buch „Escape from Obst an und erbat sich anstatt des Lohnes ein Berlin“ von Catherine Klein, Verlag Gollancz14, niedergelegt. Die vielen Aufregun- gen und vor allem das Schreien in der Überfall- nacht hatten meinen Au- gen sehr geschadet, und im Januar 1940 bekam ich plötzlich derartige Kopfschmerzen, dass der herbeigerufene Arzt so- fortige Überführung ins Jüdische Krankenhaus15 anordnete, und noch am gleichen Tage wurde ich an beiden Augen ope- riert. Die Verhältnisse im bb : eichensächser Strae er-ahre Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 145 paar Pfund Kirschen oder dergleichen, da wir Juden ja kein Obst kaufen durf- ten. Auch auf dem Markt, in den Fischbuden half er und verschaffte uns auf diese Weise ab und zu etwas frischen Fisch, der ebenfalls nicht an Juden verteilt wurde. Ich selbst musste nach der Operati- on völlige Ruhe bewahren und durfte nicht einmal meinen kleinen Haushalt versorgen. Aber zu jener Zeit war es noch möglich, ein älteres jüdisches Fräu- lein für die Hausarbeit zu bb : bere riedenstrae engagieren. Die Gesundheit meines Mannes war aber nungen trug auch sie den großen Judenstern durch seine Verhaftung in Buchenwald völlig an ihrer Tür. Durch die mit der Flucht mei- ruiniert, und er hatte sich nicht davon erho- ner Tochter verbundenen Aufregungen und len können. Sein Herz wurde ständig schwä- das viele Weinen um meinen verstorbenen cher, und nach mehreren Herzanfällen erlag Mann wurden meine Augen aber wieder so er einem solchen Anfall am 8. Juli 1941. schlecht, dass ich mich einer zweiten Augen- Inzwischen hatte man uns Juden in den operation unterziehen musste. Wieder begab Wohnungen immer mehr zusammenge- ich mich in die Obhut des guten Dr. Hirsch- pfercht. Wir teilten unsere 4-Zimmer-Woh- feld18 ins Jüdische Krankenhaus, der sich mei- nung bereits mit einem anderen Ehepaar, und ner später in wundervollster Weise annahm. bereits am Tage nach dem Tode meines Man- Die Verhältnisse im Jüdischen Krankenhaus nes erschien ein jüdischer Herr an meiner Tür hatten sich seit meiner ersten Operation sehr und verlangte in sehr schroffer Weise, dass verschlechtert. Es gab keine Einzelzimmer ich das Schlafzimmer, das ich mit meinem mehr, vier Patientinnen lagen in einem klei- Mann geteilt hatte, räumte, da mir jetzt nur nen Raum, der nie geheizt war. Das Essen noch ein Zimmer zustand. Da mein Appell war sehr knapp und kaum genießbar. an seine Menschlichkeit und noch dazu ei- Nach der Operation ging ich in meine nen jüdischen Leidensgenossen, ihn in keiner Wohnung in die Güntzelstraße zurück. Kurz Weise beeindruckte, ging ich an das jüdische darauf starb der Mann meiner Mitbewohne- Wohnungsamt, um ein paar Tage Aufschub rin Frau Wind, und auch in diesem Fall wurde für die Räumung zu bitten. Dort fand ich in das auf ihn entfallende Zimmer sofort ander- Herrn Rudolf Schwarz16, den bekannten Ka- weitig zugeteilt. Es zog dann eine 83jährige pellmeister, einen höchst verständnisvollen Frau mit ihren zwei erwachsenen Töchtern in Menschen, der mir dazu verhalf, dass ich die die Wohnung. Mir selbst wurde ein kleines kleine Wohnung noch eine Weile behalten Hinterzimmer zugewiesen, das keinen extra durfte. Zugang hatte, sodass ich stets durch das Zim- So lebte ich bis Januar 1942 in der Güntzel- mer der alten Frau und ihrer beiden Töchter straße17 60. Wie alle anderen jüdischen Woh- gehen musste. 146 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Bald nach meiner Rückkehr aus dem Kran- stadt oder ähnlichen Lagern zur Verfügung kenhaus holte man Frau Wind ab. Wie da- stehen würden, wurden tatsächlich niemals mals üblich, versahen jüdische Männer die- den Opfern ausgehändigt. Meiner Schwäge- ses Amt, um nach Möglichkeit Aufsehen zu rin hatte man damals gesagt, dass sie noch vermeiden. Sie trugen Armbinden, die sie als eine Zeit in Berlin verbleiben dürfte, wenn Beamte auswiesen, um sie selbst vor Verhaf- sie gewisse Gelder „für Theresienstadt“ zur tungen zu schützen. Sie kamen zu Fuß und Verfügung stellte. Ich weiß nicht mehr, um begleiteten Frau Wind nach einem Lokal in welche Summe es sich dabei handelte, weiß der Nachbarschaft, von wo sie „nach dem aber, dass sie einen beachtlichen Betrag zahl- Osten“ abtransportiert wurde. te, um sich noch einige Monate verhältnis- Im Laufe der Zeit wurde ich Zeugin vieler mäßiger Freiheit in Berlin damit zu erkaufen. solcher Abtransporte. So erinnere ich mich Aber dann wurde auch sie von den jüdischen noch gut daran, wie meine Schwägerin19, die Helfern abgeholt. Schwester meines Mannes, abgeholt wurde. Dann starb die alte 83jährige Frau Süß- Sie war schon vor etwa einem Jahr benach- mann. Sie war noch kaum verschieden, da richtigt worden, indem man die sogenann- holte man ihre Tochter, die sie hatte betreuen ten „Listen“ geschickt hatte, eine Aufstellung müssen, weil sie nun „nutzlos“ war. Die bei- aller der Artikel, die mitzunehmen erlaubt den Schwestern hingen ganz besonders anei- war[en]. Alle diese Sachen, die angeblich nander, und so erbot sich eine andere Schwes- dann später den Betreffenden in Theresien- ter, die bei Siemens Arbeiterin sein musste,

bb : ntelstrae Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 147 freiwillig das Los der Schwester zu teilen. natürlich dieses Datum nicht kannte, hatte Tatsächlich ließ man sie auch auf ihr Flehen ich mich auf das Abholen vorbereitet. Ge- hin einen Teil des Weges mitgehen, schickte wisse Artikel von Wert hatte ich überall bei sie dann aber zurück, weil sie noch arbeiten Freunden verteilt. Etwas Geld, das ich teils er- konnte. Sie versteckte sich dann bei ihrer ver- spart, teils durch Verkauf von Einrichtungsge- heirateten Schwester in Charlottenburg, die genständen erworben hatte, hatte ich in die mit einem Arier verheiratet war. Aber schon Kleidungsstücke eingenäht, die ich mitneh- sehr bald, an einem Sonntagmorgen, standen men wollte und durfte, und einen Rucksack zwei Herren vor der Tür und wollten Frl. Süß- mit Esssachen hatte ich ebenfalls gepackt, für mann abholen. Als ich ihnen sagte, dass ich die lange Fahrt. nicht wüsste, wo sie sei, nahmen sie eine sehr In jenen Tagen waren die Bombenangrif- drohende Haltung an. Einer von ihnen setzte fe auf Berlin ganz besonders schlimm. Unser sich auf einen Stuhl vor meine Tür und sagte, ganzes Viertel um den Prager Platz herum er ginge nicht eher fort, bis ich Frl. Süßmann war ein Inferno. Mir stand, wie allen Juden, zur Stelle geschafft hätte oder nähme mich ein „jüdischer“ Bombenschutzkeller zur Ver- statt ihrer mit. Auch dies war ein jüdischer fügung, aber die Nacht nach der Eröffnung junger Mann! Ich rief sie an und stellte sie vor durch den Bankmanager ging ich nicht mehr die schwere Wahl. Sie erklärte sich sofort be- hinunter und verbrachte sie allein in meiner reit, zu kommen, aber auf dem Wege und in Wohnung. Am nächsten Morgen musste ich ihrer großen Aufregung verunglückte sie beim in die Apotheke, um mir meine Augentrop- Abspringen von der Straßenbahn und wurde fen zu holen. Die Portierfrau, eine Frau Ke- mit einer Gehirnerschütterung ins Jüdische ckert, ein übler Typ und eine Parteigenossin, Krankenhaus gebracht, nachdem zuvor ein hielt mich an und fragte, wohin ich ginge. Als christliches Krankenhaus ihre Aufnahme ver- ich ihr erwiderte: „Darf ich denn nicht aus- weigert hatte. Aber auch ihr Unfall rettete sie gehen?“ sagte sie: „Ich würde an Ihrer Stel- nicht. Sie wurde aus dem Jüdischen Kranken- le nicht weggehen“. Ich wusste, dass ich ihr haus abgeholt und ebenfalls „nach dem Os- nicht trauen konnte. Aber sie hatte meinem ten“ gebracht. Ich blieb dann allein als einzi- Mann versprochen, mir zu helfen, wenn es ge Jüdin in dem Haus, in der Wohnung. Die mal nötig wurde. Um sie mir günstig zu stim- anderen Zimmer wurden versiegelt. men, hatte ich ihr noch kurz vorher meine Wie alle Juden zu jener Zeit, die noch besonders schöne Kücheneinrichtung ver- über Bargelder verfügten, durfte ich mir von sprochen, die sie sich sofort mit ihrem noch meinem Sperrkonto monatlich 200 Mark übleren Mann per Fahrstuhl herunter holte. abheben. Der Bankmanager, ein Herr Span- Ich hatte sie bereits prahlen hören, dass sie genberg, war stets besonders freundlich und von dem „geerbten“ Gut der verhafteten Ju- hilfsbereit zu mir gewesen. Er hatte mir so- den sieben Töchter ausstatten könnte, und gar angeboten, mir zu einer Flucht in die als ich später nach den Jahren der Illegalität Schweiz zu verhelfen, aber der Plan erwies wieder in das Haus zurückkam, hatte sie in sich als unmöglich, der Hintermann als ein den Kellerräumen immer noch ein ganzes Schwindler, und ich verlor dadurch eine gro- Warenlager. ße Summe Geldes. Als er mich kommen sah, Unbeschadet der Warnung dieser Frau sagte Herr Sp[angenberg] ganz erschrocken: verließ ich also das Haus und begab mich „Frau Gassenheimer! Sie sind noch hier?! Ich zu Freunden, einer Familie Katzmann, die in habe Informationen, dass bis zum 5. März der gleichen Straße, Güntzelstraße 45 wohn- kein Jude mehr in Berlin sein wird.“ Es war ten. Herr Katzmann20 war Jude, sie Arierin, der 2. März, ich ging stets zu Anfang des Mo- die sich und ihren Mann durch Hütemachen nats, mir mein Geld zu holen. Obwohl ich ernährte. Sie hatten sich in diesen schlim- 148 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 men Zeiten als gute Freunde erwiesen. Frau ben sollte, von wo ein Sammeltransport ab- Katzmann als Arierin konnte mir manche ging. Lebensmittel verschaffen, an die Juden über- Ich ging aber nicht in die Levetzow- haupt nicht mehr ankommen konnten. Ich straße. Zunächst ging ich noch einmal zu erinnere mich z. B. an ein Pfund Schokola- Katzmanns zurück. Herr Katzmann hatte de, das sie mir besorgte. Es kostete allerdings inzwischen das Gift genommen und lag im 40 Mark, aber in meinem völlig verhunger- Sterben. Ich konnte seine röchelnden Atem- ten Zustand gab ich ihr gern das Geld, das züge hören. Dort konnte ich also nicht blei- ich durch Verkauf von für mich wertlos ge- ben. Ich hatte auch bei Frau Katzmann einen wordenen Kleidungsstücken etc. erhalten Koffer mit Sachen untergestellt, den sie mir hatte. Wie stets empfingen mich Katzmanns später, als ich ihn unter Lebensgefahr holte, sehr freundschaftlich und veranlassten mich, auch treulich aushändigte. Sie bat mich aber nicht nach Hause zu gehen, sondern mit ih- auch, sie nicht durch weitere Besuche zu ge- nen ihre wässrige Kartoffelsuppe zu teilen. fährden. Wie sich nachher herausstellte, war Auf uns allen lag eine ahnungsvolle Schwe- Herr[n] Katzmanns Opfertod vielleicht unnö- re. Herr Katzmann sagte mir, dass er es nicht tig gewesen. Die jüdischen Ehemänner von zum Schlimmsten kommen lassen würde, arischen Frauen waren alle in einem Berliner und zeigte mir ein kleines Medaillon, das er Lokal untergebracht, und die arischen Frauen an seiner Uhrkette trug und das Gift enthielt. hatten sich davor versammelt, und es kam zu Eine innere Unruhe ließ mich jedoch nicht solchen Szenen, dass sich die in Berlin noch lange dort bleiben, und als ich schließlich ansässigen Diplomaten für sie einsetzten und das Haus verließ, sah ich direkt gegenüber erreichten, dass die Männer frei gelassen den Wagen stehen, der die letzten Juden aus wurden22. Diese Frauen wurden dann alle zu Berlin abholte. Es war dies ein uns nun schon harter Bauarbeit eingezogen. bekannt gewordener hoher Militärlastwagen, Ich ging dann in meiner Verzweiflung zu auf den die Opfer nur sehr schwer aufsteigen einer Frau Marga Opiora, die, da sie schon konnten. Ich sah dann mit meinen eigenen älter war, bei meiner Tochter als Dienstmäd- Augen, wie sie hinauf gepeitscht wurden. chen arbeiten konnte. Vor ihrer Flucht hatte Schließlich nahm ich mir ein Herz und ging in meine Tochter ihr bereits unglaublich viel mein eigenes Haus. Die Portierfrau kam mir geschenkt, und nach ihrer Flucht bereicher- entgegen und sagte: „Man wollte sie abho- te sie sich an all den hinterlassenen Sachen, len, aber ich habe denen gleich gesagt, dass die sie als „herrenloses“ Gut bezeichnete. Sie zu anständig wären, um zu türmen“. Mei- Ich bat sie, mir ein Obdach zu gewähren, da ne Wohnung war versiegelt, meine sorgfältig sie so viel von uns bekommen hatte. Auch zusammengestellte letzte Habe unerreich- hatte sie Dr. Hirschfeld versprochen, mir zu bar. Nur ein kleines Köfferchen mit wertlo- helfen, wenn Not am Mann wäre. Sie sagte sen Dingen hatte ich auch bei der Portierfrau mir, sie müsste warten, bis ihr Mann nach untergestellt, das sie mir dann herausgab. Hause käme. Als der Mann kam, ein brutaler Ich trug auch an jenem Tage, wie überhaupt Kerl, der auch schon im Gefängnis gewesen letzthin, drei Kleider übereinander, nur hatte war, pflanzte er sich vor mir auf und sagte: ich in der Aufregung ein Paar sehr zerstopfter „Nee, ich behalte Sie nicht. Sie haben mir Strümpfe gegriffen. Die Portierfrau gab mir damals die 500 Mark nicht gegeben, die ich dann ein Paar Strümpfe von sich selbst, die brauchte, um aus dem Gefängnis zu kom- allerdings auch nicht sehr viel besser waren men“. Alles Flehen half nichts. Ich bat, in als meine eigenen. Sie sagte mir dann, die der Küche auf dem Boden schlafen zu dür- Männer hätten hinterlassen, dass ich mich in fen, aber sie blieben hart. Da ich den gan- die Synagoge in der Levetzowstraße21 bege- zen Tag noch nichts gegessen hatte und in Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 149 einem elenden Zustand war, gaben sie mir einer Zimmervermittlung in der Friedrichstra- allerdings etwas Warmes zu essen (Lungen- ße bekommen. Zimmer waren damals durch haschee) und wollten mich gerade heraus- die umfassenden Bombenzerstörungen und bringen, als ein Fräulein Hensel23 herein- die Evakuierung weiter Schichten der Bevöl- kam, die als Sprechstundenhilfe bei meinem kerung schwer zu bekommen, außerdem war Schwiegersohn gearbeitet hatte und daher jeder misstrauisch und argwöhnisch Frem- Frau Opiora kannte. Diese Elli wurde mein den gegenüber, Spitzel- und Verbrechertum rettender Engel. Als sie meine Geschichte blühte zu jener Zeit. Ich musste also ganz hörte, bot sie mir an, mit ihr zu kommen. Sie besonders vorsichtig sein und nach Möglich- wohnte damals in der Königgrätzer Straße24 keit Familien vermeiden, wo Männer oder 11, Gartenhaus. Mit ihr lebte ihr Freund, ein Kinder waren, die durch die Partei veranlasst Deutschrusse, der sehr magenleidend war wurden, persönlichen Verhältnissen nachzu- und sich zurzeit in einem Erholungsheim spionieren. Meistens fuhr ich in die Berliner befand. Sie nahm mich mit zu sich und gab Vororte, wo die Zerstörung nicht so groß und mir das Zimmer ihres Freundes. Ohne sie die Menschen nicht so nervös waren, und wäre mir nichts anderes übrig geblieben, als trotz der Behinderung durch meine schlim- in die Levetzowstraße zu gehen. Elli sagte men Augen wartete ich meistens bis abends, mir allerdings, dass ich nur für kurze Zeit damit ich nicht auffiel oder als Jüdin erkannt bei ihr unterkriechen könnte und mich nach wurde. Trotzdem passierte es mir natürlich, einer ständigen Wohnung umsehen müsste. dass ich in Etagen klingelte, wo mir Männer Ihre Portierfrau sei eine große Nazi und für in SA-Uniformen die Tür öffneten, oder wo mich zu gefährlich. ich sofort hörte, dass sie überzeugte Nazis In meiner großen Not fuhr ich zu waren. Unter einer schnell erdachten Ausre- Dr. Hirschfeld ins Jüdische Krankenhaus. Wir de entkam ich zwar stets, aber wurde durch überlegten uns, dass ich zunächst Papiere diese ständigen Misserfolge natürlich immer haben müsste, um überhaupt ein Zimmer zu verängstigter und mutloser. bekommen. Er hatte die Adressen und Perso- Ich erinnerte mich dann einer Frau Al- nalien von zwei arischen Frauen, von denen exandra Klose25 in Buckow-Ost26, eine Arier- die eine, die ältere, im Sterben lag. Er riet mir, in, die eine Zimmergenossin im Jüdischen an den Geburtsort dieser Frau zu schreiben, Krankenhaus besucht hatte und die auch zu zu sagen, dass ich ausgebombt wäre und mir sehr menschlich und hilfsbereit gewesen alle Dokumente verbrannt seien und um Du- war und mir manche Lebensmittel zugesteckt plikate bäte. Es handelte sich um eine Frau hatte, Ich hoffte, dass sie mich vielleicht ein Landgraf aus Pommern, deren Vater Schrei- paar Nächte aufnehmen würde, was sie auch ner war. Als ich dann nach etwa zehn Tagen trotz der damit verbundenen großen Gefahr die Duplikate in Händen hielt, wurde ich tat. Frau Anna Landgraf, Arierin, und nahm den Sie schickte mich zu Freunden am Hal- Judenstern von meinen Kleidern. leschen Tor, einem Ehepaar Kiewe27, ein jü- Damit begann meine illegale Zeit des Le- disch-arisches Ehepaar, die mich ebenfalls bens [im] Untergrund. Zunächst musste ich acht Tage lang bei sich aufnahmen. Sie hatten aber noch etwa vier Wochen des ständigen einen einzigen Sohn28, der damals eingezo- Umherirrens auf der Suche nach einem Zim- gen war, obwohl er Mischling war, und der mer durchleben, die die schlimmsten meines später fiel. Aber lange konnte ich nirgends Lebens waren. Ohne Essen (ich hatte ja kei- bleiben, weil es für die Betreffenden zu ge- ne Lebensmittelkarten), ohne ein Dach über fährlich war, und so sagte mir auch Herr dem Kopf, in ständiger Lebensgefahr. Kiewe eines Morgens: „Meine Frau wird vor Von Dr. Hirschfeld hatte ich die Adresse Angst verrückt“, die Portierfrau habe sich be- 150 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 reits nach mir erkundigt und ich müsste ge- ihrer Ängste für eine Nacht wieder zu sich hen. nahmen. Frau Alexandra nahm mich dann wieder Auf der Liste, die ich von der Agentur be- für ein paar Nächte, und zwischendurch kommen hatte, war noch ein Zimmer übrig, suchte ich unentwegt als Frau Landgraf wei- das nicht sehr vielversprechend lautete, da es ter nach einer ständigen Unterkunft. Ich hatte nur 25 Mark monatlich kosten sollte. Es war bei Dr. Hirschfeld etwas Geld hinterlegt, so- in der Schenkendorfstraße 8, Hochparterre. dass ich wenigstens nicht ohne einen Pfen- Die Inhaberin war ein Fräulein Elfriede Wil- nig war. Durch einen jüdischen Händler, der de30. Sie war gelähmt und erwartete von ih- mich allerdings sehr betrogen hatte, hatte ich rer Mieterin, dass sie das Einholen und lange Silber, Kristall, Daunendecken etc. verkauft Anstehen nach Lebensmitteln für sie machte und Dr. Hirschfeld den Erlös gegeben. Außer- und für sie kochte. Sie war in meinem Alter, dem hatte er von meinem Sperrkonto eine 60 Jahre. Sie selbst bewohnte ein hübsches gewisse Summe für eine angeblich weitere Zimmer, wo sie ständig in einem Lehnstuhl Operation abheben können. am Fenster saß, mit ihren gelähmten Bei- Einmal glaubte ich in Niederschönhau- nen auf einem Schemel. Wir verstanden uns sen29 ein Zimmer gefunden zu haben, das gleich ganz gut, und ich war auch durchaus allerdings 50 Mark monatlich kosten sollte bereit, die von mir erwarteten Pflichten zu und nicht einmal einen Ofen hatte. Trotz- übernehmen. Als sie mich dann aber auf dem zahlte ich gleich an, um es mir zu si- meine Frage hin in das Zimmer schickte, chern, aber auch diese Frau schrieb mir un- das ich bewohnen sollte, konnte ich mich ter einer fadenscheinigen Ausrede wieder trotz meiner gewissen Not nicht gleich dazu ab. Wieder einmal wusste Dr. Hirschfeld entschließen. Es war eigentlich nur ein Ver- Rat. Er hatte die Adresse einer christlichen schlag, der kein Fenster hatte, sondern sein Schneiderin in Charlottenburg, bei der ein trübes Licht durch ein Fenster nach der Kü- jüdisches Ehepaar unter falschem Namen che erhielt. Fast der ganze Raum wurde von wohnte. Die Schneiderin wusste aber, dass einem elenden Bett eingenommen, und ein es Juden waren, und obwohl sie auch mich Teil war noch abgetrennt und diente als Koh- als Jüdin erkannte, versprach sie zunächst, lenkammer. Von dort führte eine Treppe in mich aufzunehmen, und nahm auch eine den Keller, von dem eine eisige modrige Luft Anzahlung von 20 Mark an. Der Mann die- heraufstieg. ses Ehepaares arbeitete übrigens als Klemp- Als ich Dr. Hirschfeld von dem Tatbestand nergehilfe in einer Firma, und sein Arbeit- erzählte, schickte er mich sehr energisch geber wusste ebenfalls, dass er Jude war. dorthin zurück, da die äußeren Umstände Als ich dann, wiederum gegen Abend, mit einer alleinstehenden invaliden Frau gerade meinem kleinen Päckchen dorthin ging, sag- das seien, was für mich am sichersten sei. So te die Schneiderin: „Ich kann Sie nicht neh- zog ich also bei Frl. Wilde ein und verbrachte men und habe die Anzahlung schon an mei- dort 2 ½ Jahre. Ich hatte mir bereits eine Ge- ne Mieterin für Sie zurückgegeben“. Es war schichte zurechtgelegt, die ich ihr und allen schon dunkel, aber nicht einmal für die eine anderen erzählen würde und die so nahe wie Nacht wollte sie mir Obdach geben. Ein mir möglich der Wirklichkeit entsprach, damit unbekannter Mann saß damals in der Küche ich gedeckt war, wenn ich mich mal verspre- und hatte Mitleid mit mir. Da ich im Dun- chen sollte. Mein Mann sei gerade gestorben. keln mir kaum helfen konnte wegen mei- Er sei der Inhaber eines kleinen Geschäftes ner Augen, brachte er mich in die nächste gewesen und es sei uns ganz gut gegangen. Telefonzelle, damit ich bei Kiewes anrufen Aber seit seinem Tode hatte ich kein Einkom- konnte, die mich dann auch wirklich trotz men mehr und meine Wohnung durch Bom- Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 151 ben verloren. Meine Tochter sei als Dienst- aber natürlich keine Lebensmittel für den mädchen in die Schweiz engagiert. täglichen Hausgebrauch kaufen konnte. Hier Fräulein Wilde war Kommunistin und ob- bewies sich Frau Alexandra wieder als eine wohl sie ja nicht wusste, dass ich Jüdin war, gute Freundin und gab mir Brotkarten, die es äußerte sie sich stets sehr judenfreundlich. Sie reichlich gab, und packte mir manches Paket ließ auch mein Bett von einem Sattler etwas mit Lebensmitteln ein. Auch Elli gab mir ab aufarbeiten, bot mir ihre Chaiselongue mit- und zu etwas zu essen oder ein paar Mar- tags zum Schlafen an und rief mich oft abends ken, und so hungerte ich mich durch diese herein, um mit ihr Radio zu hören. Dieses, schlimmen Jahre. Kohlen waren damals so das gab sie allerdings zu, war von einem Ju- knapp, dass mir auch meine Freunde die den gestohlen. Unter diesen Umständen habe nicht abgeben konnten, aber da Frl. Wilde ich dann oft schöne Konzerte, aber auch oft ihre Kohlen in meinem Zimmer aufbewahr- die Reden von Hitler und Goebbels gehört! te, stahl ich ihr einfach welche, wenn ich ab Nun galt es aber, noch eine weitere ge- und zu einmal in meinem Zimmerchen sit- fährliche Hürde zu nehmen. Falsche Aus- zen wollte. weispapiere hatte ich zwar, aber noch keine Frl. Wilde, die ja ganz auf fremde Hilfe an- Lebensmittelkarten. Um diese zu erhalten, gewiesen war, wurde von einer Frau betreut, musste ich bestimmte Formulare ausfüllen die ihr durch die NSV31 gestellt wurde. Dies und damit zur Polizei gehen. Den Mut dazu war aber eine ganz gerissene Diebin, die sie brachte ich einfach nicht auf. Erst bat ich Frau und mich ganz ungeniert bestahl. Frl. Wilde Opiora, den Gang für mich zu machen, die konnte sich körperlich nicht rühren, und ich das auch versprach, aber einfach nicht kam. fühlte mich so gefährdet, dass ich einfach Ich ging dann zu unserer Portierfrau, sagte nicht wagte, mich zu wehren. Oft, wenn ich ihr, dass ich meiner Augen wegen so ungern zu dem langen Anstehen das Haus verlassen auf die Straße ginge und ob sie mir gegen ein musste, versteckte ich mein bisschen Essen gutes Trinkgeld die Karten besorgen würde. unter meinem Bett. Ich musste eben alles ver- Sie sagte das auch zu, und als ich abends – meiden, um [nicht] die Aufmerksamkeit auf zitternd! – zu ihr ging, händigte sie mir die mich zu lenken. Karten aus. Nun musste ich mich aber noch Jeden Mittwoch fuhr ich zu Frau Alexand- eintragen lassen und brauchte dazu die Ab- ra, um mir etwas zu essen zu holen. Ich hat- meldung von den Geschäften, in denen die te das gleich von Anfang an mit Frl. Wilde (richtige) Frau Landgraf aus der Augsburger abgemacht und „bezahlte“ die Lebensmittel Straße eingetragen war. Diese richtige Frau damit, dass ich dort bügelte und ausbesserte. Landgraf war aber noch am Leben, und ich Außerdem hatte ich auch bei Frau Alexandra wagte es nicht, mich dort in ihrer Gegend ir- etwas von meinen Sachen untergestellt, die gendwelchen Fragen auszusetzen und meine ich zu Geld machen konnte. Wenn auch „es- so mühsam aufgebaute Existenz aufs Spiel zu sen“ damals der Mittelpunkt der Existenz für setzen. Gott sei Dank war Frl. Wilde durch alle war und ich ohne die Hilfe dieser gütigen ihr Gelähmtsein so weltfremd geworden, Menschen wahrscheinlich gar nicht durchge- dass ich ihr vorreden konnte, dass ich lieber halten hätte, ebenso wichtig für mich war, in den alten Geschäften bleiben wollte, weil dass ich wenigstens einmal in der Woche in ich dort gut bekannt war, und obwohl das einer gebildeten Atmosphäre sein konnte und technisch gar nicht erlaubt war, glaubte sie Mensch unter Menschen sein durfte. mir. Ich half mir dann damit, dass ich die Le- Eigentümlicherweise entbehrte mein Da- bensmittelkarten in sogenannte Reisemarken sein auch nicht der lichteren Momente. So umtauschte, mit denen ich in Restaurants sagte ich eines Morgens zu Frl. Wilde, als es zwar teuer und schlecht zu essen bekam, Frühling geworden war, dass ich so gerne et- 152 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 was heraus ins Grüne fahren würde, und sie Wenn ich so etwas erfuhr, bangte mir stets riet mir, mit dem 98er Bus in den Treptower sehr um mein Leben, und jeder kleine Zwi- Park zu fahren. In den Bus stieg eine beson- schenfall versetzte mich in Panik. So erinne- ders nett aussehende Frau ein, mit der ich ins re ich mich eines Tages, dass ein Polizist in Gespräch kam und die sich mir dann zu ei- unsere Wohnung kann und nach Frl. Wilde nem Spaziergang anschloss. Sie fing bald an, fragte. Als er nach einiger Zeit ging und ich entsetzlich auf Hitler zu schimpfen, bekannte völlig verängstigt zu ihr ins Zimmer ging und sich als Kommunistin und forderte mich auf, fragte, was er gewollte hätte, stellte sich her- mit ihr zusammen zu ihrer Freundin zu ge- aus, dass sie für ihn Monogramme auf seine hen. Mit dieser Frau Schwade freundete ich Wäsche stickte! mich dann richtig an. Bald wurde ich sogar Um auf etwas sicheren Füßen zu stehen, Mitglied ihres „Kränzchens“, einem Kreis von wollte ich darum einmal versuchen, mir ei- netten Christinnen, die aber alle keine Nazis nen sogenannten Postausweis zu besorgen. waren. Durch diese Verbindung kam ich dann Ich veranlasste Bekannte, mir kleine Beträge manchmal etwas unter Menschen, ging sogar zu überweisen, sodass ich dem Geldbrief- mit den Frauen ins Theater und ins Kino. träger bekannt wurde, was ich noch durch Immer aber wurden meine Tage, und be- gute Trinkgelder bekräftigte. Als er mich dann sonders die Nächte, durch Furcht vor der eines Tages bereits mit „Frau Landgraf“ an- Entdeckung überschattet. Und immer wieder sprach, sagte ich ihm, ich hätte eigentlich ereigneten sich Dinge, die mich daran erin- gerne einen Postausweis, weil ich so oft nicht nerten, dass ich ja eigentlich vogelfrei war. So zuhause sein könnte, wenn er käme. Ja, den hatte ich durch eine Freundin meiner Tochter, wollte er mir wohl besorgen. Und bereitwillig Frau Lilion Dumke (Gattin des Schauspielers verabredete er eine Zeit mit dem Postinspek- Dumke) Kontakt mit deren Mutter aufgenom- tor für mich. Als ich dann bei diesem Beam- men, die ebenfalls unter einem falschen Na- ten war und ihm meine falschen Papiere vor- men (Frau Bernhardt) lebte und die manchmal legte, verlangte er einen Trauschein. Ich hatte zu mir kam, weil ihr eigenes Zimmer unheiz- den nicht und versprach, an meine „Heimat- bar war. Ehe sie mit dem falschen Namen [in behörde“ um einen solchen zu schreiben. Ich den] Untergrund ging, hinterließ sie einen wagte aber auch nicht mehr, mich nochmals Brief, in dem sie sagte, sie würde in die Spree um Duplikate an Frau Landgrafs Standesamt gehen und ihre Tochter sei nicht das Kind ih- zu wenden, und lebte viele Wochen in gro- res Mannes, sondern eines Ariers. Damit hatte ßer Angst, dass ich mich nun selbst verraten sie ihrer Tochter eine Lebensmöglichkeit gege- hatte. Aber es passierte nichts. ben. Sie selbst erhielt dann durch einen Juden Inzwischen wurden die Luftangriffe auf für 8.000 Mark die falschen Papiere auf den Berlin immer schlimmer. Oft hatte man zwi- Namen Bernhardt. Eines Tages rief ich bei ihr schen den Angriffen keine Zeit, die Toten in an, und eine fremde Stimme antwortete mir, den Straßen aufzulesen. Influenza und Ruhr dass irgendetwas mit Frau Bernhardt nicht waren die unausbleibliche Folge der unhygi- gestimmt hätte, sie sei nicht mehr da und ihr enischen Verhältnisse, in denen so viele, halb ganzes Zimmer verwüstet. Von der Tochter verhungerte Menschen eng zusammenge- hörte ich dann, dass der Jude, der ihr die Pa- pfercht lebten. Ich fühlte mich in jenem Zim- piere verschafft hatte, geschnappt worden sei mer oft auch sehr elend, wagte aber nicht, und man ihm seine Freiheit versprochen hatte, krank und bettlägerig zu werden, weil ich wenn er die Menschen verriet, denen er Pa- fürchtete, mich zu verraten oder die Aufmerk- piere verschafft hatte. Er sowohl wie alle jene samkeit auf mich zu lenken. Eines Tages war Menschen wurden nach dem Alexanderplatz ich jedoch durch Dysenterie und den stän- gebracht und von dort aus deportiert. digen Hunger so geschwächt, dass ich ohn- Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 153 mächtig auf der Straße zusammenbrach. Wie ständig zitterte. Während der Angriffe brach- ich nach Hause kam, weiß ich nicht, aber te ich Frl. Wilde meistens auf die fensterlose Frl.Wilde ließ Elli Bescheid sagen, die dann Toilette, wo wir oft ganze Nächte (sie voller auch kam und mich pflegte und mir, wie so Entsetzen an mich gekrampft) verbrachten. oft, von ihrer eigenen kargen Ration abgab. Ich hätte jetzt natürlich in einen richtigen Ein Gutes brachten die Luftangriffe mit Luftschutzkeller gehen können, aber bei den sich: Es lag viel Holz auf der Straße her- vielen Fremdarbeitern, Obdachlosen, Deser- um, das ich im Dunkeln aufsammelte, um teuren etc. wurden sehr oft Razzien auf diese manchmal mein Zimmer heizen zu können. gemacht, und dem durfte ich mich natürlich Ich glaubte inzwischen, dass Frl. Wilde mei- nicht aussetzen. ne gelegentlichen Übergriffe auf ihren Koh- Durch das stundenlange Anstehen, oft mit lenvorrat gemerkt hatte, und hatte schon lan- Hunderten von Menschen, bekam ich einen ge kein warmes Zimmer mehr gehabt. Aber guten Einblick in die Psyche der Bevölkerung. bei der allgemeinen Kohlenarmut hatte die Da es zu jener Zeit schon keine Juden mehr ganze Bevölkerung es auf das Holz in den in Berlin gab, wurde über das Judenproblem Straßen abgesehen, und die diebische Per- nicht mehr gesprochen. Aber immer noch son, die Frl. Wilde betreute, vergriff sich dann glaubten manche an einen deutschen Sieg, auch an den aufgestapelten Holzvorräten der und als Berlin bereits in Schutt und Asche lag, anderen Mieter, die Anzeige bei der Polizei lasen die Leute um mich herum noch Verherr- erstatteten. So kam zu meinem unsagbaren lichungen auf Hitler in den Zeitungen und Entsetzen dann eines Tages wieder ein Poli- glaubten an die Wunderwaffe, die im letzten zist an unsere Tür. Augenblick noch das Blatt wenden würde. Trotz der Übermüdung durch die ständig Selbst meine getreue Elli fragte mich eines Ta- gestörten Nächte, versuchte ich weiter, Frl. ges: „Was wirst Du denn machen, wenn nach Wilde durch stundenlanges Anstehen mit dem Sieg Du Dich doch schließlich wieder Lebensmitteln zu versorgen. Zuerst hatten als Frau Gassenheimer zu erkennen geben wir manchmal gemeinsam gegessen, aber musst?“ Überhaupt wurde ihr Kontakt mit mir als mir meine Freunde weniger und weniger für sie immer gefährlicher, und eines Tages, zu geben vermochten und ich oft überhaupt als ich mit ihr im Walde bei Buckow Beeren nichts zu essen hatte, fürchtete ich, dass dies sammelte, sagte sie, eine Cousine von ihr hät- Frl. Wilde auffallen könnte, und ich schlug te uns zusammen gesehen und mich als die ihr vor, dass wir die gemeinsamen Mahlzei- Schwiegermutter von Dr. Cohn erkannt und ten aufgeben wollten, da ich oft ihren Ge- sie gewarnt, dass sie sich um ihr Leben brin- schmack nicht teilte. Ich durfte ja um Gottes gen würde, wenn sie weiter mit mir zusam- Willen die Person nicht gegen mich einneh- menkäme. Sie dürfte mich also nicht mehr men und mich meines einzigen Stützpunktes wiedersehen. All mein Bitten und Weinen berauben. Sie hat mir in den ganzen 2 ½ Jah- half nichts. Sie verabschiedete sich von mir. ren niemals auch nur das Geringste an Esssa- Aber nach vier Wochen stand sie dann doch chen mitgegeben, aber auch das durfte mich wieder auf meiner Schwelle, ihr Gewissen nicht verdrießen. Da sie gelähmt war und nie ließe ihr keine Ruhe. aus dem Zimmer kam, schickte sie mich au- Auch sonst hat mir mancher christliche ßerdem auch oft hinaus, um ihr Bericht über Deutsche geholfen. Ob sie mich als Jüdin die Zerstörungen um uns herum zu erstat- erkannten, ist nie besprochen worden, aber ten, eine weitere Gefahr für mich, da gerade wohl anzunehmen. Frl. Wilde schickte mich nach den Angriffen viel Polizei, Militär und z. B. immer in die öffentliche Leihbibliothek, uniformierte Beamte auftauchten, vor deren um recht wertlose „Schmöker“ für sie zu ho- Fragen oder Verlangen von Ausweisen ich len, und allmählich wurde ich mit der jun- 154 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 gen Bibliothekarin dort bekannt. Eines Tages bis 60 Menschen bei einer öffentlichen Bade- erzählte sie mir, dass sie Hans Albers32 kenne anstalt an, um ein warmes Bad zu haben, was und ihn besonders verehre, weil er sich so für sie als „albernes Getue“ bezeichnete. Wenn seine jüdische Freundin eingesetzt hätte. Seit ich mir in einem Friseurgeschäft die Haare der Zeit versorgte sie mich mit den schöns- waschen ließ und mitten beim Trocknen die ten und neuesten Büchern, die sie meistens Elektrizität abgesperrt wurde und ich mit nas- schon für mich zurechtgelegt hatte. Dank die- sen Haaren nach Hause kam, so amüsierte ser ständigen Zufuhr von schönen Büchern sie das sehr. Und nicht ein einziges Mal durf- wurde mir die Zeit in meinem elenden Zim- te ich ihr zu verstehen geben, dass der Dreck, mer niemals lang, und nachdem ich Frl. Wil- in dem ich leben musste, mich ganz elend de oft von meiner Lektüre erzählte, ließ sie machte. mir sogar eine kleine Leselampe herrichten. Über die letzten Monate des Krieges mit Das viele Lesen tat natürlich meinen Au- den Massenangriffen der Amerikaner auf gen nicht gut, und ich brauchte bald noch Berlin und den grauenhaften Erlebnissen, eine stärkere Brille. Aber Dr. Hirschfeld durfte die man täglich hatte, wenn man sich über mir als christlicher Frau Landgraf keine Re- Schutthaufen und Tote seinen Weg zu den Le- zepte mehr verschreiben. Auch da half ein bensmittelgeschäften bahnen musste, will ich christlicher Arzt, zu dem ich geschickt wur- hier nicht erzählen, weil das das Geschick de, ein Dr. Semmler aus dem Krankenhaus in der Deutschen und nicht der Juden war. der Nachbarschaft (Name ist mir entfallen). Eines Sonntagmorgens im April 1945 hat- Ohne viel zu fragen, sorgte er dafür, dass ich te Hitler bekannt gegeben, dass er jetzt die eine neue Brille bekam. Reserven an Lebensmitteln in Berlin verteilen Schlimm war natürlich auch, dass ich – würde, und Frl. Wilde schickte mich sofort ohne richtige Rationskarten – keine Möglich- nach unserem Kolonialwarengeschäft, wo keiten hatte, meine Kleidung und Wäsche bereits Hunderte von Menschen anstanden. zu erneuern oder in Ordnung zu halten, da Ich hatte auch bereits vier Stunden dort ge- schließlich auch Nähgarn etc. nur auf Karten standen, als plötzlich Elli erschien, die von verkauft werden durfte. Ich sah zum Schluss Frl. Wilde geschickt wurde, da die russische wie eine Lumpenliese aus. Besonders zer- Artillerie bereits so nahe war, dass die Straßen fetzt waren meine Schuhe, und auch Leder unter ihrem Feuer lagen. Trotz Ellis dringen- für Reparaturen gab es nur auf besondere den Vorstellungen, nicht zu der lahmen Frau Abschnitte der Rationskarten. Da half mir der zurückzugehen, die mir nicht helfen konnte, Luftschutzwart des Hauses, der sich schon kehrte ich in Frl. Wildes Wohnung zurück, sehr nett mir gegenüber erwiesen hatte und die keine Fenster und keine Türen mehr hatte. allen Anweisungen zuwider nicht darauf be- Wir verbarrikadierten uns so gut es ging, aber stand, dass ich in den Luftschutzkeller ging. morgens um 5 Uhr stand Elli vor mir und be- Er war Schuhmacher gewesen und besser- stand darauf, dass ich mit ihr ginge. Wir beru- te meine Schuhe aus und gab mir manches higten Frl. Wilde, und ich gab ihr sogar noch Stück Leder, auch ohne Karte. Auch er fragte etwas Geld und versprach wiederzukommen. mich nie, wieso ich alle solche Rationskarten Dann rannten wir durch die Straßen, die in- nicht besaß. zwischen wie ein Schlachtfeld voll Rauch Frl. Wilde in ihrer primitiven Art hatte na- und einschlagenden Geschossen waren, zu türlich wenig Verständnis für die Qualen, die Ellis Haus. Der Nazi-Portierfrau drohten wir, ich ganz abgesehen von meiner ständigen dass wir sie sofort bei den Russen anzeigen Angst vor Entdeckung in der schrecklichen würden, wenn sie mich nicht in den Keller lie- Umgebung litt. Die Wohnung hatte z. B. kein ße. Wir rieten ihr, das Hitler-Bild, das immer Bad, und ich stellte mich manchmal mit 40 noch riesengroß in ihrer Portierloge hing, zu Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 155 verbrennen, was sie unter Tränen (!) tat. Zwei für ihre, wenn auch unbewusste Hilfe, und Tage und Nächte verbrachten wir so ohne das dritte wurde ein kostbares Tauschobjekt Essen und Trinken in dem Keller. Zusammen in der darauf folgenden Hungerzeit. Dann mit den russischen Geschossen und Bomben kam der unvorstellbare Moment auf dem Le- fielen deutsche Flugblätter herunter, dass die bensmittelamt, wo ich mich einem deutschen deutsche Bevölkerung ausharren sollte, Hitler Beamten als Jüdin offenbaren konnte. Der stellte eine neue Armee zusammen, die Berlin Beamte war sehr ordentlich, gab mir sofort und Deutschland retten würde! eine sogenannte Interimskarte, die aber nur Nach zwei Tagen sahen wir aus dem Kel- die fünfte Kategorie der Versorgung darstellte, lerfenster die ersten Russen. Sie führten deut- und empfahl mir, mich durch eine autoritati- sche Männer ab, weil von der SS immer noch ve Person identifizieren zu lassen. auf sie geschossen wurde. Wir machten uns So machten Elli und ich uns auf den Weg weiße Armbinden und gingen mit erhobe- ins Jüdische Krankenhaus, der von morgens nen Händen herauf. Vielleicht hätte ich mich früh bis spät abends dauerte. Bahnen fuhren sofort als Jüdin zu erkennen geben sollen, nicht mehr, alle Brücken waren gesprengt, aber noch brachte ich den Mut dazu nicht viele Straßen völlig mit Trümmern verstopft. auf. Elli konnte durch ihren deutsch-russi- Überall brannte es noch, und überall lagen schen Freund etwas Russisch, und es gelang tote Menschen und tote Tiere, manchmal ihr auch, sich mit den Offizieren zu -ver auch nur einzelne Gliederteile. Und überall ständigen. Später fanden wir dann bestätigt, wehten aus den rauchenden Häusern weiße was uns diese ersten russischen Offiziere Tücher. Als wir schließlich in der Iranischen sagten, nämlich, dass sie Elitetruppen seien Straße ankamen, hieß es: Dr. Hirschfeld und Plündern und Vergewaltigungen von ih- kommt am Montag nicht. Ich wurde dann an nen nicht zu befürchten seien, dass aber der den Leiter des Lagers hinter dem Kranken- Nachschub sich für alles rächen würde, was haus verwiesen, wo Juden und Mischlinge im man in Russland verbrochen hatte. Elli wagte Freien kampierten. Es waren dies die letzten sich daher auch auf die Straße und brachte Menschen, die noch aus Krankheits- oder von den Lebensmitteln zurück, die die Rus- anderen Gründen im Jüdischen Kranken- sen von dem deutschen Heer erbeutet hatten. haus gelebt hatten und dann einfach auf den Noch gaben die großmütig davon an Frauen Lagerplatz verwiesen wurden, als man der und Kinder ab, kurz darauf hieß es aber stets: vielen Verletzten wegen Betten und Obdach „Nur Lebensmittel, wenn Du mitkommst“. brauchte. Hier warteten sie auf den Transport Es war daher wichtig, dass ich mich als Jü- nach dem Osten, und den Anblick dieser völ- din ausweisen konnte, um Schutz zu finden lig verhungerten und zerlumpten Menschen, und in den Besitz von rechtmäßigen Lebens- die um die Lagerfeuer tanzten, da sie nun mittelkarten zu kommen. Wir, Elli ließ mich gerettet waren, werde ich nie vergessen. Es in all diesen Tagen nie allein, gingen also war inzwischen Nacht geworden, wir waren zunächst auf das Lebensmittelamt. Auf dem völlig erschöpft von dem langen Weg, und so Wege dorthin kamen wir an einem medizini- verbrachten wir diese Nacht mit den anderen schen Geschäft vorbei, das von der Bevölke- Juden, zitternd vor Kälte, unter freiem Him- rung geplündert wurde. Elli erwischte gera- mel. de noch ein elektrisches Heizkissen und ich Am nächsten Morgen ging ich in das Kran- drei Umstandskorsetts. Diese taten mir sehr kenhaus zurück. Die dort anwesenden Deut- gute Dienste. Eins davon zog ich selbst an, es schen waren sehr nett und jeder wollte hel- war das erste und einzige saubere und hei- fen, als ich mich als Jüdin zu erkennen gab. le Stück, das ich seit langer Zeit am Körper Ich traf dort zufällig einen Balten, der meine hatte. Das zweite bekam Frl. Wilde als Dank Tochter kannte und der mich mal vor Spit- 156 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 zeln gewarnt hatte, als ich nach ihrer Flucht Inzwischen war ich auf dem Amt in Char- in ihre Wohnung ging, um mir einiges zu ho- lottenburg gewesen und bekam als Jüdin Le- len. Dieser Mann und eine Krankenschwester bensmittelkarten der 3. Kategorie, war also wurden meine Zeugen, dass ich Frau Gassen- den üblichen Privatpersonen gegenüber et- heimer und Jüdin war, und stellten mir ein was bevorzugt. Auch etwas Geld hatte man dahingehendes Dokument aus. mir auf dem Amt gegeben. Auf dem Nachhausewege sahen wir in ei- Eines Tages ging ich zu meinem alten ner Nebenstraße der Leipziger Straße einen Freund, Herrn Kiewe, und bat ihn, mit mir in Menschenauflauf. Von einem mir ganz neuen die Güntzelstraße in meine alte Wohnung zu Mut beseelt mischte ich mich unter die Men- gehen, um zu versuchen, etwas von meinen schen, etwas was ich jahrelang nach Mög- Sachen zu bekommen. Die Portierfrau war lichkeit vermieden hatte, und sah, dass ein kaum wiederzuerkennen, nun war ich wieder Warenlager der Luftwaffe geplündert wurde. „Gnädige Frau“ und sie wusste gar nicht, was Man watete in Mehl, weil die Säcke von Ku- sie mir alles antun konnte. Sogar Kaffee bot geln zerrissen waren. Ein Junge gab mir ei- sie mir an, damals der größte aller Schätze! nen Karton mit Tuben aus einer Kiste. Was Ich bat sie um eine Bestätigung, dass ich dort sie enthielten, wussten wir nicht. Aber später gewohnt hatte, die sie mir auch bereitwilligst stellte es sich als Nescafé33 heraus, der uns gab, und immer wieder bat sie mich, sie nicht ein fast unbezahlbares Tauschobjekt gegen anzuzeigen, sie wolle mir alle meine Sachen andere Lebensmittel wurde. Elli hatte inzwi- wieder herausgeben. schen von einem Russen einen Sack Zwie- Ein paar Tage später fand ich in den Saum beln bekommen. Als wir schwer beladen meines Mantels genäht die Adresse meines wieder nach Hause kamen, hatte sich meine Schwiegersohns in England. Außerdem ver- Geschichte bereits verbreitet. Alle Mieter wa- suchte ich, durch die jüdische Gemeinde, die ren sehr nett und brachten ihre kleinen Schät- sich notdürftig wieder im Jüdischen Kranken- ze. Eine Dame, die vergewaltigt worden war, haus organisiert hatte, Nachforschungen nach hatte von einem Russen 5 Stück Nougat er- meinen Angehörigen zu stellen. Aber es war halten und bot mir sogar davon an. keiner mehr am Leben. Ich hörte dann aber Von unserem Raub hatten wir genug, um von einer Bekannten, Frau Bär, die aus Theres- etwa 14 Tage leben zu können. Die Versor- ienstadt zurückgekommen und nun in einem gung der Bevölkerung nach dem Einmarsch Altersheim untergebracht war, und suchte sie der Russen war völlig zusammengebrochen. auf, da ich sie vor ihrem Abtransport gebeten Es gab einfach nichts und völliges Chaos hatte, meine Schwester34 und Schwägerin35 in herrschte. Da nur nachts von 1 bis 2 Elektri- Theresienstadt aufzufinden zu versuchen. Ich zität verfügbar war, kochten wir nachts und fand sie, zur Unkenntlichkeit abgemagert, aßen gewöhnlich auch nachts unsere seltsa- mit 6 anderen ähnlich aussehenden Frauen in men Mahlzeiten. Am Tage musste Elli Schutt einem Zimmer des Heimes. Sie erzählte, dass fegen. Russen mit aufgepflanzten Bajonet- sie sich gleich nach meiner Schwester erkun- ten hatten sie dazu abgeholt. Ich als Jüdin digt habe, als sie nach Theresienstadt kam, brauchte nicht zu arbeiten. So gut ich konn- sie war aber am Tage vorher an Dysenterie te, versuchte ich unsere kleine Wirtschaft zu gestorben. Meinen Schwager, der schwer lei- führen. Wasser gab es nicht, viel scheuern dend war, hatte man tot aus dem Zug gewor- konnte ich also nicht! Als ich dann eines Ta- fen. Meine Schwägerin, die wie ich vorher ges Wasser von einer Pumpe holte, wo noch erwähnt hatte, eine große Summe Geld für tote Pferde lagen, bekam ich prompt wieder Theresienstadt gezahlt hatte, konnte sich dort einen Anfall von Ruhr. Außerdem wimmelte nur 1 ½ Jahre halten. Dann wurde sie eines es im Hause von Wanzen. Tages für einen Transport nach Deutschland Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 157

„zum Aufbau“ aufgerufen, in Wirklichkeit gewiesen wurde, solange die eigentlichen aber in die Gaskammern geschickt. Frau Bär Eigentümer geflüchtet waren. Nach Jahren selbst hatte die Klosetts reinigen müssen und hatte ich wieder ein menschenwürdiges Un- wurde so elend, dass sie ins Krankenhaus terkommen, und so eng ich auch durch die kam, wo sie noch lag, als die Russen Theres- Geschehnisse mit Elli verbunden war, ich bat ienstadt befreiten. Einige sie, mich eine Woche al- der Frauen, die das Zim- lein in der Wohnung zu mer mit Frau Bär teilten, lassen, und schlief fast erzählten mir, sie wären die ganze Zeit. bereits für einen Trans- Einige Zeit später kam port, mit Rucksäcken ein Herr Heilbrunn zu auf dem Rücken, aufge- mir, der der Wirt mei- stellt gewesen, aber der ner Schwägerin gewesen Zug (der letzte, der nach war. Auch er hatte illegal Auschwitz ging) fasste unter falschem Namen nur 300, und sie waren gelebt und wurde mit überzählig und wurden anderen alten Leuten auf diese Weise gerettet. aus Berlin nach Ostpreu- Anfang Juli kam ich ßen evakuiert, wo es ihm eines Tages von einem ganz gut gegangen war. meiner Streifzüge nach Zurzeit betrieb er einen Esswaren nach Hause lebhaften Schwarzhan- und fand dort einen eng- del und hatte sich, wie lischen Offizier auf mich er selbst sagte, schon ein warten, der mir einen kleines Vermögen ver- Brief meiner Tochter aus bb : Käthe ohn dient. Er bot mir sofort der Schweiz brachte, das an, mir Geld zu leihen, erste Lebenszeichen nach ihrer Flucht. Durch und gab mir 500 Mark, da ich nichts mehr diesen Captain Scherer hatte ich dann einen hatte. wundervollen Beschützer und Helfer. Er fuhr Nach vier Wochen kamen die Inhaber der mich zunächst in seinem Militärauto in die Wohnung zurück. Der Mann benahm sich amerikanische Militärbehörde, um zu versu- sehr gemein gegen uns, sodass selbst der Be- chen, wieder in den Besitz einer Wohnung, amte im Wohnungsamt uns riet, sie freiwillig nach Möglichkeit meiner alten Wohnung in aufzunehmen, und nach vielen Mühen und der Güntzelstraße zu kommen. Die Amerika- Schwierigkeiten fanden Elli und ich schließ- ner gaben mir einen Brief an die englische lich zwei möblierte Zimmer in der Ludwig- Behörde mit, und auf dem Wohnungsamt kirchstraße. im britischen Sektor war man zwar willig, Wenn auch die Gefahr der Illegalität für mir zu helfen, doch war das Haus teilweise mich nicht mehr bestand, so war die folgen- zerbombt und völlig besetzt. Meine eigene de Zeit in dem zerstörten Berlin noch eine frühere Wohnung wurde von einer Familie sehr schlimme Periode in meinem Leben. bewohnt, die damals evakuiert war. Meine Überall begegnete man natürlich auch noch Möbel waren nicht mehr vorhanden. Die oder wieder dem Antisemitismus. Als ich z. Portierfrau gab mir zwar einiges von meinem B. versuchte, in einem Möbellager etwas Mö- Eigentum zurück, sodass ich wenigstens das bel zu bekommen, sagte mir der Inhaber: „Es Allernötigste hatte, und ich zog zunächst in sind viel zu viele Juden zurückgekommen“, meine alte Wohnung zurück, die mir zu- und als ich einmal mit meiner Kennkar- 158 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 te als „Opfer des Faschismus“ versuchte, in (1840–1898) und der Babette Wolfermann ein Kino zu gehen, ohne mich ans Ende der (1842–1925)39. Der Vater war Teilhaber der Schlange zu stellen, wurde ich aufs Gemeins- Firma Gassenheimer & Sohn in Themar. 1892 te geschimpft. zog die Familie um nach Hildburghausen, Offiziell wurden wir Juden gut betreut. Wir wo Salomon eine eigene Firma für landwirt- bekamen die sogenannten Arbeiterlebens- schaftliche Maschinen und Geräte gründete, mittelkarten, was doppelte Rationen bedeu- die nach seinem frühen Tod von den Söhnen tete. Die Stadt Berlin zahlte uns monatlich Oskar (1869–1927), Louis (1873–1943) und 35 Mark Rente und außerdem eine einmalige Josef (1879–1938)40 weitergeführt wurde. Zahlung von 450 Mark. Aber das alles hätte Carl jedoch ging im Frühjahr 1890 als „Hand- unseren Hunger nicht stillen können, hätten lungslehrling“ nach Eschwege und wohnte wir nicht die herrlichen Pakete durch die zunächst in der Neustadt und in der Bahnhof- amerikanischen Juden bekommen, die wir straße, dann bis 1915 in der Friedrich-Wil- uns alle 4 Wochen holen konnten. Auch be- helm-Straße 6, wohin ihm seine junge Frau kamen wir durch das Joint Distribution Com- Ida nach der Eheschließung am 3.9.1906 in mittee36 warme Decken und Überschussware Schweinfurt folgte und wo am 21.7.1907 die von der amerikanischen Armee. einzige Tochter Käthe geboren wurde. Auf diese Weise verlebte ich noch 2 Jahre Karl Gassenheimer war ab 1901 gemein- in Berlin, während der ich ununterbrochen sam mit Ernst Rupprecht (1860–1917) In- versuchte, nach England oder Amerika zu haber einer Großhandlung für Därme und kommen. Es gab wieder ein Jüdisches Ge- Fleischereibedarf in der Brückenstraße 18, meindeamt, wo man mit viel Verständnis be- aus der letzterer jedoch ausschied, um mit raten wurde. Nach unzähligen Besuchen bei Hermann Braun (1875–1937) eine Zigarren- der amerikanischen und englischen Behörde fabrikation zu betreiben. fragte mich eines Tages eine englische Beam- Gassenheimer beteiligte jetzt seinen tin: „War es Ihre Tochter, die ein Buch über Schwager Jacob Steinhardt (1877–1937)41 als ihre Flucht veröffentlicht hat?“ Als ich das Kompagnon, die neue Firma Gassenheimer bejahen konnte, versprach sie, mein Gesuch & Co. (Darmhandlung en gros) nahm ihren besonders zu beschleunigen, und wirklich Geschäftsbetrieb am 1.1.1914 als offene hatte ich kurze Zeit darauf mein Visum und Handelsgesellschaft auf. Am 7.7.1938 wurde kam mit einem Roten-Kreuz-Transport nach sie auf Druck der Behörden aus dem städti- England. schen Gewerberegister abgemeldet, Kunden- kreis und Warenlager wurden von der Firma Köhler & Luckhardt42 erworben. Die bereits Nachbemerkung zum Jahresende 1938 geforderte Löschung erfolgte jedoch erst zum 5.1.1942, da sowohl Ida Gassenheimer wurde am 8.3.1881 in Gassenheimer als auch seine Witwe Ida die Schweinfurt geboren. Ihre Eltern waren der endgültige Liquidierung wiederholt unter Viehhändler Karl Heinemann (1849–1905) Hinweis auf die nur schleppend mögliche und Marianne Frank (1857–1936), die be- Beitreibung von Außenständen während des reits einen Sohn und zwei Töchter hatten und Krieges zu verzögern suchten. nach Ida noch zwei Söhne und eine Tochter Carl Gassenheimer wurde nach dem bekamen.37 Novemberpogrom nach Buchenwald ver- Der Kaufmann Carl Gassenheimer wurde schleppt und dort so sehr misshandelt, dass am 21.9.1875 in Bibra38 geboren als Sohn er krank und elend nach Eschwege zurück- und viertes von insgesamt acht Kindern kehrte und sich nie mehr recht erholte. des Eisenhändlers Salomon Gassenheimer Im April 1939 mussten Carl und Ida Gas- Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 159 senheimer ihre Wohnung in der Reichen- man wohnte in der Hohenstaufenstraße 45 sächser Straße verlassen. Bei Bäckermeister im Stadtbezirk Schöneberg und in der Motz- Simon Katz in der Bahnhofstraße 22 fanden straße 83 in Wilmersdorf47. Dann, aber wahr- sie eine neue Bleibe und trafen dort auf wei- scheinlich schon nicht mehr ganz freiwillig, tere Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die in geringer Entfernung in der Trautenaustraße ihre angestammten Wohnungen ebenfalls 18 als Untermieter bei Silberblatt.48 hatten aufgeben müssen. Wenige Wochen Angesichts des zunehmenden Verfol- später im Mai 1939 meldeten sich die Ehe- gungsdrucks bemühten sich Ernst und Käthe leute schließlich nach Berlin-Wilmersdorf, Cohn um Visa für England oder USA, es gab Güntzelstraße 60 ab. Hier verstarb Carl Gas- jedoch eine strenge Kontingentierung, so- senheimer am 8.7.1941 an den Folgen der dass am Ende zunächst nur Ernst Cohn am während seiner Internierung in Buchenwald 1.8.1939 nach England ausreisen konnte. erlittenen Misshandlungen. Ida entschied Käthe sollte nachkommen. Sie erhielt auch sich für ein Leben in der Illegalität, über bald Nachricht, dass es ihm gelungen sei, diese Zeit berichtet sie in dem vorliegenden für sie eine Aufenthaltsgenehmigung und Text. An eine Ausreise war nämlich jetzt nicht Arbeitsmöglichkeit als Kindergärtnerin zu mehr zu denken, und ihre verwitwete Schwä- bekommen. Aber nachdem am 1.9.1939 der gerin Alma Steinhardt43 hatte man bereits Weltkrieg ausgebrochen war, trafen die ent- deportiert. Nach dem Ende von ´Terror und sprechenden Papiere nie in Berlin ein. Im Krieg folgte sie Tochter Käthe und Schwieger- Frühjahr 1940 wurde Käthe zur Arbeit bei sohn Dr. Ernst Cohn 1947 nach London, wo Siemens verpflichtet, Frauen erhielten dort sie am 8.9.1963 starb. einen Stundenlohn von 56 Pfennig oder 18 Die Tochter Käthe Gassenheimer wurde Mark in der Woche, davon wurden noch Ab- am 21.7.1907 in Eschwege geboren. Sie be- züge für Arbeitslosen- und Krankenversiche- suchte das städtische Lyzeum von 1916/17 rung fällig. bis 1923/24.44 Als junges Mädchen war sie Schließlich wurde ihre Losnummer für ein theaterbesessen, aber an eine Bühnenlauf- US-Visum doch noch aufgerufen. In wenigen bahn war nicht zu denken, das hätten die Tagen waren die notwendigen Formalitäten, Eltern niemals erlaubt. Sie durfte jedoch Befragungen und Untersuchungen erledigt. Kindergärtnerin werden und besuchte eine Allerdings scheiterte die Zustimmung der Spezialschule am Friedrich-Fröbel-Haus45 in amerikanischen Behörden letztlich an der Berlin-Niederschönhausen, wo sie auch eine Tatsache, dass ihr Ehemann Ernst bereits in Anstellung fand. In Berlin lernte sie ihren England war. Ein New Yorker Journalist, den späteren Ehemann Dr. Ernst Cohn kennen. sie im amerikanischen Konsulat kennenge- Dieser wurde am 1.5.1902 im hinterpom- lernt hatte, war ihr nun erneut behilflich, merschen Stolp als Sohn eines Kaufmanns indem er ihr ein Visum für Kuba beschaffen geboren. Die Familie zog 1912 nach Berlin, konnte. Da trat eine Bestimmung in Kraft, wo Cohn nach dem Abitur 1920 das Me- die allen Dienstverpflichteten unter 46 Jah- dizinstudium aufnahm und 1925 mit dem ren die Ausreise verbot. Das war dann doch Staatsexamen abschloss. Seine Approbation zu viel. Käthe erlitt einen Herzanfall. Der als erhielt er im August 1926 und im Dezember „anständiger Mensch“ geltende Verantwort- desselben Jahres wurde er von der Berliner liche bei Siemens gab ihr für unbestimmte Universität zum Dr. med. promoviert46. Ab Zeit frei, und eine gute Freundin lud sie zur Januar 1927 war er als selbständiger Allge- Erholung nach Bayern ein. Zurück in Berlin meinmediziner tätig, später auch als Inter- wurde Käthe Zeugin der ersten Deportatio- nist. Am 2.10.1928 fand die Eheschließung nen. Größte Eile war also geboten. Eigent- mit Käthe Gassenheimer in Eschwege statt, lich würden nur noch gefälschte Papiere 160 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 eine Möglichkeit eröffnen. Über ein italie- Dr. med. Ernst Cohn starb am 29. März nisches Reisebüro ergab sich der Kontakt zu 1979 in London, seine Frau Käthe folgte ihm einer Italienerin, die aufgrund großer Ähn- 1981. Nachkommen gingen aus ihrer Ehe lichkeit mit Käthe bereit war, ihren Pass zur nicht hervor. Verfügung zu stellen, und auch selbst gute Verbindungen hatte, um noch alle notwen- Für freundliche Unterstützung und Bereit- digen Papiere und Stempel zu besorgen. Die stellung von Materialien danke ich herzlich: Reise sollte durch die Schweiz nach Rom – Dr. Ben Barkow, Wiener Library, London gehen und zurück, angeblich zur Hochzeit – Melina Gnägi, Schweizerisches Bundes- eines Verwandten. Als Beatrice Delfanti ge- archiv, Bern lang Käthe im Januar 1942 bei Schaffhausen – Prof. Sharon Meen, Vancouver der Übertritt in die Schweiz.49 Als illegale – Barbara Schieb, Gedenkstätte „Stille Hel- Ausländerin war sie allerdings jederzeit von den“, Berlin Rückführung bedroht. Über den Verband der – Hosan Tahir, Stadtarchiv Schweinfurt Schweizerischen Israelitischen Armenpflege – Andrea Tischer, Stadtarchiv Meiningen wurde ihr die Kontaktaufnahme zu ihrem – Barbara Welker, Stiftung Neue Synagoge Ehemann in London gestattet zur Bestätigung Berlin – Centrum Judaicum, Archiv ihrer wahren Identität. Auch dass immer noch ein gültiges Visum für England vorlag, erwies sich als Vorteil. Ein vorläufiger neuer Literatur Ausweis erlaubte ihr einen Aufenthalt in der Schweiz bis in den November 1942. Nach- Alice Chapp: Dr. Ernst Cohn, in: AJR Informa- dem auch noch die Kosten für die Weiterrei- tion, Volume 34, No.5, May 1979, S. 9 se nach England aufgebracht werden konn- Jutta Hoschek: Ausgelöschtes Leben. Juden in ten, fuhr Käthe Cohn bereits im Oktober mit Erfurt 1933–1945. Biographische Doku- dem Zug durch das nicht besetzte Frankreich mentation, Jena 2013. und Spanien nach Lissabon und flog schließ- Catherine Klein: Escape from Berlin, London lich weiter nach London.50 1944. Ernst und Käthe Cohn blieben auf Dauer Karl Kollmann, York-Egbert König: Namen in England, obwohl zunächst die Vereinigten und Schicksale der jüdischen Opfer des Staaten ihr eigentliches Ziel gewesen waren. Nationalsozialismus aus Eschwege. Ein Schon 1944 veröffentlichte Käthe unter dem Gedenkbuch, Frankfurt/Raleigh 2012. Pseudonym Catherine Klein ihre Fluchtge- Beate Kosmala: Überlebensstrategien jüdi- schichte51, veränderte aber die Namen aller scher Frauen in Berlin. Flucht vor der De- beteiligten Personen und einige Umstände, portation, in: Andrea Löw (Hg.): Alltag im um niemanden in Gefahr zu bringen.52 Holocaust, München 2013, S. 29–47. Ernst hatte nach seiner Ankunft in England Charles Rubens: Kaethe Cohn’s Escape from Arbeit in einem Krankenhaus des Londoner Berlin to London in 1942, in: Jewish Histo- Stadtbezirks Newham gefunden, wo er sein rical Studies 35, 1996/98, S. 277–285. ärztliches Können nicht lange unter Beweis Rebecca Schwoch (Hrsg.): Berliner jüdische stellen musste. Nach dem Krieg konnte er Kassenärzte und ihr Schicksal im Natio- eine eigene Praxis eröffnen. Sein Ruf als nalsozialismus. Ein Gedenkbuch, Berlin ausgezeichneter Mediziner verschaffte ihm 2009. schnell überaus großen Zuspruch, darun- Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Op- ter waren so prominente Patienten wie Art- fer der nationalsozialistischen Judenverfol- hur Dickson Wright, Marlene Dietrich, die gung in Deutschland (1933-1945), http:// Rolling Stones.53 www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/. Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 161

Anmerkungen 9 Reichensächser Straße 29; 1921 von Lud- wig Goldschmidt erbaut; im Februar 1939 1 Das Originaltyposkript My Underground an die Stadt Eschwege verkauft, seit Mai Life in Berlin befindet sich in „The Wiener 1939 als Dienstwohnung des Bürgermeis- Library for the Study of and ters genutzt, in den 1980er-Jahren ver- Genocide“, London; Signatur PIII. D. No. kauft. 854, Collection 1656. Ich danke Herrn Di- 10 Bürgermeister Dr. Alexander Beuermann rektor Dr. Ben Barkow für die freundliche (1897–1963), seit 1934 im Amt, 1945 ab- Genehmigung zum exklusiven Abdruck gesetzt, ab 1948 jedoch wieder in städti- an dieser Stelle. schen Diensten als 1. Beigeordneter und 2 Der junge Herschel Grünspan (*1921; Stadtkämmerer. verschollen) hatte am 7. November 1938 11 Simon Katz (*1880 Rotenburg/Fulda), seit in Paris mehrfach auf den deutschen Dip- 1906 in Eschwege und ab 1912 in der lomaten Ernst vom Rath (1909–1938) ge- Bahnhofstraße 22 gemeldet. Er zieht im schossen, um damit gegen die Deportation Dezember 1939 mit seiner Frau Nann- seiner Familie in das Niemandsland zwi- chen geb. Heß (*1879 Birstein) nach Ber- schen Deutschland und Polen Ende Ok- lin, beide werden 1943 nach Auschwitz tober 1938 zu protestieren. Das Attentat deportiert. Der Familie des Sohnes Max diente dem NS-Regime als Vorwand für die gelingt die Flucht nach Paraguay, während Novemberpogrome, die sich in Eschwege die in Berlin verheiratete Tochter Elsa und bereits am Abend des 8. November gegen Schwiegersohn Dr. Eisemann 1942 nach die jüdische Bevölkerung richteten. Riga deportiert und dort sogleich ermor- 3 Hier irrt die Erzählerin, die exakte Haus- det werden. Alle Eschwege betr. jüdischen nummer lautet 12 (heute Obere Frie- Personendaten hier und folgend nach Karl denstraße 20), Eigentümer Alfred Katin Kollmann, York-Egbert König: Namen und (1883–1945), 1932 erbaut, gilt als Beispiel Schicksale der jüdischen Opfer des Nati- für das Neue Bauen. Mit der Hausnummer onalsozialismus aus Eschwege. Ein Ge- 18 ist der Sitz der Firma Gassenheimer denkbuch, Frankfurt/Raleigh 2012. in der Brückenstraße verbunden. Zum 12 In dem Haus waren lt. Adressbuch 1939 Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse in weitere jüdische Bewohner gemeldet: Eschwege wohnte die Familie allerdings Wwe. Nanny Eichenberg geb. Hirsch schon seit einigen Tagen im Haus Rei- (1870–1938), Kaufmann Oskar Plaut chensächser Straße 29. (1876–1939), Clara Kahn (1866–1942), 4 Im Juli 1938. Martha Stein geb. Eichenberg (1897-?), 5 Friedrich Wiegand (1883–1957). Max Lomnitz (*1905 Eldagsen). 6 Gemeint ist hier nicht das ehem. Landgra- 13 Käthe Gassenheimer, verheiratet mit fenschloss, sondern das Hochzeitshaus, Dr. Ernst Cohn, s. Nachbemerkung. das als Sammellager vor dem Abtransport 14 London 1944. Catherine Klein als Pseudo- in das Konzentrationslager Buchenwald nym für Käthe Gassenheimer. diente. 15 Berlin-Wedding, Iranische Straße, seit 7 Reinhard Mangold (1879–1958); SA- 1914 dort ansässig. Sturmbannführer; 1907–1949 Leiter der 16 1905 in Wien geboren, 1933 als Kapell- Flussbadeanstalt in der Leuchtbergstraße; meister in Karlsruhe entlassen, 1936–1941 machte den Schwimmsport in der Stadt musikalischer Leiter des Jüdischen Kultur- populär. bundes in Berlin, 1943–1945 in verschie- 8 Elisabeth Winter geb. Mangold (1906– denen Lagern, ab 1947 Dirigent verschie- 1999). dener britischer Klangkörper, 1994 in 162 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

London gestorben. https://de.wikipedia. 23 Elly Hensel (*1901), 1928–1935 bei org/wiki/Rudolf_Schwarz. Dr. Cohn in der Motzstraße 83 tätig. Auch 17 Berlin-Wilmersdorf; benannt nach dem nachdem ihr die Arbeit dort verboten war, Amtsvorsteher Bernhard Güntzel (1833– hielt sie weiterhin Kontakt. Dr. Cohn konn- 1892). te sich während der Novemberpogrome 18 Dr. med. Fritz Hirschfeld (*1894 Naugard/ bei ihr in der Saarlandstraße 11 verstecken Pommern, †1965 Basel), Augenarzt und und dadurch seiner Verhaftung entgehen. Chefarzt. Er verlor seine Zulassung 1938, Auch mit Lebensmitteln half sie aus. Nach durfte jedoch als „Krankenbehandler und Kriegsende lebte Ida erneut bei ihr und Wohlfahrtsarzt“ weiterarbeiten, auch zog auch mit ihr um zur Ludwigkirch- operieren. Nach 1945 wurde er sowohl straße 11a. 1966 wurde Elly Hensel vom von den sowjetischen als auch von den Berliner Senat als „Unbesungene Hel- DDR-Behörden verfolgt, weil er angeb- din“ ausgezeichnet; freundliche Auskunft lich an der Deportation jüdischer Kran- Barbara Schieb. ker beteiligt war. Er wurde zu 20 Jahren 24 Heute und bereits seit 1930 Strese- Zuchthaus verurteilt und kam 1955 vor- mannstraße, 1935–1947 kurzfristig Saar- zeitig frei. Er eröffnete wieder eine Praxis landstraße, in Berlin-Kreuzberg und Mitte. in West-Berlin, bevor er schließlich nach 25 Arthur (†1958) und Alexandra Klose Süddeutschland ging. 1964 erhielt er das geb. Draeger (*1888) wohnten ebenfalls Bundesverdienstkreuz, vgl. Schwoch, in der Güntzelstraße 60. Beide hielten den S. 362 f. Kontakt zu Ida Gassenheimer auch nach 19 Alma Steinhardt geb. Gassenheimer dem Krieg aufrecht; freundliche Auskunft (*1877; seit 1940 in Berlin; 1942 nach Barbara Schieb. Theresienstadt und 1944 nach Auschwitz 26 Ortsteil von Berlin-Neukölln. deportiert), lt. Gedenkbuch Bundesarchiv. 27 Hermann (1883–1965) und Alma Kiewe 20 James Katzmann (*1887; Freitod am geb. Below (1887–1955), Wilmsstraße 12, 4.3.1943, lt. Gedenkbuch des Bundes- Berlin-Kreuzberg. archivs). 28 Vermutlich der älteste Sohn Kurt (*1908), 21 Berlin-; die 1914 eingeweihte Syn- der 1941 in Russland fiel. Das Ehepaar agoge war 1941/42 Sammelstelle für De- Kiewe hatte allerdings noch fünf weite- portationen; das 1938 beschädigte Gebäu- re Söhne und Töchter. https://www.geni. de wurde 1955 abgerissen; Straße benannt com/people/Hermann-Kiewe. nach Albert von Levetzow (1827–1903). 29 Ortsteil von Berlin-Pankow. 22 Anspielung auf den sog. Rosenstra- 30 Schenkendorfstraße 8, Berlin-Kreuzberg. ßen-Protest Ende Februar/Anfang März vor 31 Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, be- dem Gebäude der Jüdischen Wohlfahrts- reits 1932 als Verein gegründet und 1933 pflege in Berlin-Mitte, wo arische Ehepart- zu einer Organisation der NSDAP erho- ner für die Freilassung ihrer Angehörigen ben. demonstrierten. 32 Schauspieler und Sänger (*1891 Ham- Der Protest gilt als die größte spontane burg, †1960 Berg/Bayern). Demonstration während der NS-Herr- 33 Löslicher Kaffee [Kofferwort aus Nestlé schaft. Die aus dem Gewahrsam Entlasse- und Café], 1938 erstmals in der Schweiz nen mussten sich beim Arbeitsamt melden verkauft, seit 1943 auch in Deutschland, und wurden zur Zwangsarbeit verpflich- aber zunächst nur für die Angehörigen der tet, um deportierte Arbeitskräfte zu erset- Wehrmacht bzw. der Luftwaffe. zen. https://de.wikipedia.org/wiki/Rosen- 34 Frieda Schloss geb. Heinemann (1878– stra%C3 %9Fe-Protest. 1942), verheiratet mit Hermann Schloss Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in Berlin 1938 –1945 163

(1871–1942), beide wurden von Chem- 45 Lehreinrichtung des Berliner Fröbel-Ver- nitz nach Theresienstadt deportiert. eins; benannt nach dem Pädagogen Fried- 35 S. Anm. 17. rich Fröbel (1792–1852), dem Begründer 36 Das American Jewish Joint Distribution des Kindergartens. Committee war die wichtigste Hilfsorga- 46 Thema der Doktorarbeit: Über den Wert nisation US-amerikanischer Juden für die der Diastasebestimmung im Serum und überlebenden Juden. Urin bei Pankreasaffektionen im Anschluss 37 Die Angaben zur Familie Heinemann ver- an Erkrankungen der Leber und der Gal- danke ich Sharon Meen, Vancouver, und lenwege, s. Archiv für Verdauungskrank- Hosan Tahir, Schweinfurt. heiten 39, 1926, S. 199–211. 38 Heute Teil der Gemeinde Grabfeld im 47 Vgl. Schwoch, S. 163. Landkreis Schmalkalden-Meiningen. 48 Moritz Silberblatt (*1864), er wurde im 39 Freundliche Auskunft Andrea Tischer. August 1942 nach Theresienstadt depor- 40 1893–1896 als Handlungsgehilfe in tiert und dort am 16.2.1943 ermordet, lt. Eschwege; eröffnete 1908 in Erfurt eine Gedenkbuch Bundesarchiv. Zweigniederlassung der väterlichen Firma 49 Schweizerisches Bundesarchiv, Signatur mit erweitertem Angebot, vgl. Hoschek, E4264#1985/196#3193 Cohn-Gassen- S. 149 f. heimer. 41 Verheiratet mit Carls Schwester Alma 50 Zur Fluchtgeschichte vgl. Rubens, S. 284, (1877–1944). der sich auf Cohns Erinnerungen stützt. 42 Reinhard Köhler (1889–1955), Georg 51 Escape from Berlin, London 1944. Luckhardt (1906–1986). Diese Firma be- 52 Rubens, S. 284. stand bis zum Februar 1982. 53 Chapp, S. 9. 43 Vgl. Anm. 17. 44 Jahrbücher der Leuchtbergschule Eschwe- ge 1916–1924. 164

Zum Lebensweg der sprach.4 Im August 1934 bezifferten die Be- hörden die jüdische Bevölkerung in Herles- jüdischen Kindergärtnerin hausen auf 61 Personen, darunter 16 jüdische Rosel Leschziner geb. Kinder.5 Diese Zahl sank bis Ende 1939 auf 1 33 und bis zum 30. September 1940 auf 29 Wolf aus Herleshausen Personen: Drei sind den behördlichen Nach- weisen zufolge im ersten Vierteljahr 1940 von Klaus-Peter Friedrich „ausgewandert“, zwei „im Inland verzogen“, einer gestorben.6 Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es durch Der Altkreis Eschwege nimmt unter den den steten Zuzug aus umliegenden Dörfern bis zum Beginn der 1970er-Jahre bestehen- noch 118 Jüdinnen und Juden in Herles- den Kreisen des Regierungsbezirks Kassel hausen gegeben, die über Synagoge, Fried- eine Sonderstellung ein. Der jüdische Be- hof und Schule verfügten. Letztere musste im völkerungsanteil lag hier deutlich höher, in Jahr 1923 schließen, da es im Ort nur noch einzelnen Dörfern bei über einem Fünftel der sieben jüdische Kinder gab. Die Synagoge Einwohnerschaft; zur Mitte des Jahres 1935 konnte 1928 nach Renovierung wieder er- lebten im gesamten Kreis Eschwege 680 jü- öffnet werden (zehn Jahre später wurde sie dische Deutsche.2 Auch ist die Überlieferung zerstört). Den Jüdischen Friedhof erklärten des Landratsamts Eschwege wesentlich um- die Behörden 19357 beziehungsweise 19408 fangreicher als in den übrigen Kreisen, beson- für geschlossen. ders was die Verwendung des (Grund-)Ver- Die Herleshäuser jüdischen Familien be- mögens der unter dem Nationalsozialismus stritten ihren Lebensunterhalt als Handwer- Vertriebenen, Deportierten und Ermordeten ker, durch den Handel mit Getreide und anbetrifft. Teils auf Grundlage der Landrats- Kleinwaren und vor allem mit Vieh. Unter amtsakten, vor allem aber aufgrund der loka- ihnen war die Familie von Seligmann Wolf len Überlieferung sind seit den 1980er-Jahren (*1861), einem Viehhändler, der aus dem mehrere wissenschaftliche Arbeiten über die benachbarten Dorf Nesselröden gekommen jüdische Bevölkerung im Kreis Eschwege er- war.9 Er heiratete Frida Ledermann (*1866) schienen, wovon der Großteil sich allerdings aus Meiningen. Am 9. März 1903 kam ihre auf die Stadt Eschwege beschränkt.3 Tochter Rosa, auch Rosel oder Röschen ge- nannt, in Herleshausen zur Welt. Hier wuchs sie auch auf, besuchte die Schule und sam- Über die Familie Wolf und die melte erste Berufserfahrungen: Im Jahr 1925 Lage der Herleshäuser Juden richtete sie in der damaligen Turnhalle des im Nationalsozialismus Turn- und Sportvereins ihrer Heimatgemein- de einen Kindergarten ein, den sie auch lei- Unter dem Nationalsozialismus nahmen tete.10 Seither war sie als „Tante Rosel“ be- die behördlichen Anstrengungen, die Zahl kannt, die ihren Schützlingen noch lange in der jüdischen Deutschen genau zu erfassen, Erinnerung blieb.11 stetig zu. Im Kreis Eschwege schlug sich dies Doch ging der Besuch stetig zurück. in einer im Herbst 1933 erstellten Nachwei- Nachdem sich für 1928 nur zwölf Kinder sung der „Angehörigen jüdischer Konfession“ gemeldet hatten, musste Rosel Wolf ihre Ar- nieder. Demnach gab es in der Gemeinde beit als Kindergärtnerin aufgeben, da sie „bei Herleshausen, einem großen Dorf von 1300 einer so geringen Kinderzahl nicht bestehen Einwohner(inne)n, 65 jüdische Deutsche, konnte“.12 Als dann 1928 in Herleshausen was zwei Prozent der Einwohnerschaft ent- ein evangelischer Kindergarten – die „Kinder- Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 165 schule“13 – seinen Betrieb aufnahm, in dem geschränkt, kamen seit 1933 die wirtschaft- sie als Jüdin nicht mehr tätig sein durfte,14 lichen Benachteiligungen hinzu, die sich aus brachte sie von 1928 bis 1932 jüdische Kin- der Judenverfolgung unter dem Nationalso- der in einem Ferienheim in der Neuen Mühle zialismus ergaben. Zwischenzeitlich hatte an der Straße nach Frauenborn unter. Danach Rosel Wolf 1930 mit Erich Leschziner16 die beherbergte sie jüdische Ferienkinder auch in Ehe geschlossen, ehe sich das Paar schon An- den Häusern Hainertor 11 und 15 b, ihrem fang 1932 wieder trennte. Rosel Leschziner Elternhaus.15 kehrte nach der Scheidung in das Haus ihrer Aus gesundheitlichen Gründen musste sie Eltern zurück und lebte mit ihnen im gemein- diese Arbeit aber aufgeben: Rosel Leschziner samen Haushalt. Zusammen mussten sie für war Anfang der 1930er-Jahre sehbehindert den „Angehörigenbeitrag“ für Rosels älte- und magenleidend geworden. Waren ihre re, 1895 geborene Schwester Betti (genannt Verdienstmöglichkeiten schon dadurch ein- Paula) aufkommen, die von 1922 an in der

Abb. 1: Grundriss und Schnitt vom Haus des Seligmann Wolf 166 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Fürsorgeeinrichtung Bethel untergebracht be bei dem Viehhändler Kallmann (genannt war, weil sie als Epileptikerin ständiger Pflege Karl) Ochs24. Der Regierungspräsident for- bedurfte; die Unterhaltskosten für diese Be- derte die Landräte am 17. Oktober 1935 auf, treuung waren zur Hälfte von der Familie auf- über die „Belästigung von Juden“ zu berich- zubringen.17 Paula Wolf starb im Jahr 1936 ten. Dennoch blieben die Ermittlungen nach im 40. Lebensjahr.18 dem Täter erfolglos,25 und am 20. Dezem- Der Machtanspruch der Nationalsozialis- ber 1935 teilte der stellvertretende Landrat ten blieb in Herleshausen nicht unwiderspro- Berthold Schneider26 dem Regierungspräsi- chen. Oberlandjäger Deist hatte im Februar dium zur „Belästigung von Juden in Herles- 1933 aus Herleshausen gemeldet, dass dort hausen“ mit, dass die beim Staatsanwalt an- einige Kommunisten eine ihm unbekannte gezeigte Straftat nicht weiter verfolgt werde: Uniform trügen. Am 23. Februar 1933 bat Das Verfahren sei eingestellt worden, „weil Landrat Deichmann den Polizeipräsidenten es aussichtslos erscheint, daß der Täter noch in Kassel darum, zu prüfen, ob die darin be- ermittelt wird“.27 schriebene „Uniform […] sich vielleicht als Zur gleichen Zeit befasste sich die Staats- die Uniform des verbotenen Roten-Front- polizei in Kassel mit Ermittlungen in Bezug kämpfer-Bundes darstellt“. Er erhielt die Aus- auf Gerüchte, dass Juden Schlachtvieh zu kunft, es handle sich um die Uniform des überhöhten Preisen aufkauften. Demnach Kampfbunds gegen den Faschismus19. Als er bestehe „die Vermutung, daß es sich bei dies am 30. März 1933 dem Oberlandjäger diesen Maßnahmen um einen planmäßigen mitteilte, fügte er hinzu: „Der Kampfbund Angriff des Judentums handelt, der darauf ab- gegen den Faschismus ist zwar bisher für zielt, Unruhe und Unzufriedenheit in die Be- das preußische Staatsgebiet nicht verboten. völkerung zu tragen“.28 Belegen ließ sich dies Es handelt sich aber zweifellos bei diesem nicht. Aus Abterode berichtete Gendarme- Kampfbund um eine gegen die Reichs- und rie-Hauptwachtmeister Otto Winterfeld29 am Staatsregierung eingestellte Organisation.“ 9. November 1935 vielmehr, die Preise seien Der Landrat wies Deist an, den Betreffenden „im allgemeinen Rahmen“.30 Andere Gen- „das Tragen dieser Uniformen in [s]einem darmeriebeamte machten ebensolche Be- Namen zu untersagen und [ihm] diejenigen obachtungen31 oder erstatteten Fehlanzeige, namhaft zu machen, welche Ihrer Aufforde- weil es einen „jüdischen“ Viehhandel nicht rung nicht nachkommen.“20 oder kaum mehr gab.32 Gendarmerie-Haupt- Die Akten des Landratsamts Eschwege wachtmeister Laubert berichtete am 5. No- gewähren Einblick in die Lebensverhältnis- vember 1935: „Von den in Herleshausen se einer Herleshäuser jüdischen Familie un- ansässigen und auch auswärtigen jüdischen ter dem Nationalsozialismus21 – und in den Viehhändlern werden im Dienstbereich sel- seinerzeit grassierenden Alltagsantisemitis- ten Handelsgeschäfte getätigt. Nach den ein- mus. In Herleshausen waren die jüdischen gegangenen Erkundigungen sollen sie in den Deutschen – wie die jüdische Bevölkerung thüringischen Ortschaften und hauptsäch- andernorts im nördlichen Hessen – immer lichst [sic] mit Nutzvieh Handel treiben.“33 häufiger von antisemitischer Agitation und Sechs Wochen später zeigte der Gendarme- gewaltsamen Übergriffen betroffen. Ein rie-Hauptwachtmeister in Herleshausen an, Bruchteil davon ist in den überlieferten Un- dass der Fleischerlehrling Kurt Rauschenberg terlagen nachweisbar. Im Oktober 1935 mel- (*1920), Mitglied der Hitlerjugend, bei dem dete etwa Gendarmerie-Hauptwachtmeister greisen Moritz Neuhaus (1861–1942) eine Wilhelm Laubert22 aus Herleshausen den Ein- Fensterscheibe eingeworfen hatte; Neuhaus wurf einer Schaufensterscheibe im Laden von selber habe es abgelehnt, einen Strafantrag Joseph Neuhaus23 und einer Fensterschei- zu stellen.34 Regierungsvizepräsident Edwin Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 167

Flach wies den Landrat an, sich den Sach- niserregender Weise mit einer übel beleu- verhalt genauer darlegen zu lassen, insbe- mundeten jüdischen Frauensperson zeigen sondere, ob die Scheibe mutwillig oder nur zu können. Eine erregte Menschenmenge versehentlich eingeworfen wurde.35 Aus dem führte ihn mit einem Schild mit der Aufschrift Bericht Lauberts vom 20. Januar 1936 geht ‚Ich bin ein großes Schwein, lass mich mit hervor, dass Rauschenberg mit zwei Freunden einer Jüdin ein’ durch die Straßen des Ortes, „mit Schneebällen gegen die Fenster einiger wo er zuletzt auf dem Anger der Einwohner- Judenwohnungen geworfen“ hatte. Er habe schaft als abschreckendes Beispiel gezeigt damit „die Juden […] ärgern wollen“. Da die wurde. Da die Einzelheiten des Vorganges, Scheibe beim Schreiner noch nicht bezahlt der die Ursache der Empörung war, nicht war, kam man überein, dass Rauschenberg allen Anwesenden genauer bekannt waren, die Rechnung „noch heute“ begleiche.36 Der wurde aus der Menge heraus die Bekannt- 5-jährige Kurt Rauschenberg ist auf einem gabe vom Ortsgruppenleiter Salzmann ge- Foto abgebildet, das die von Rosel Wolf in fordert. Bei seinen Ausführungen steigerte ihrem Kindergarten betreute Gruppe 1925 sich die Erregung in der Volksmenge immer darstellt.37 mehr, so dass der Ortsgruppenleiter zuletzt Keinen Niederschlag in den Akten fand je- den Oberwachtmeister bat, den Nölker sei- doch ein Vorkommnis, das im Sommer 1935 ner Sicherheit halber in Schutzhaft zu neh- stattgefunden hatte – und noch lange danach men.“41 Thema der Ortsgespräche gewesen sein muss. Die Schilderung verdeutlicht zweierlei: Am 25. August 1935, einem Sonntag, lud der Noch bevor die Nürnberger Rassengesetze junge Otto Nölker38 aus Wiesbaden, der bei drei Wochen später festgelegt und verkün- seiner Großmutter in Herleshausen zu Be- det wurden, waren jüdische Deutsche wie such war, Alice Müller39 zu einem Kaffee ins auch jene Nichtjuden, die mit ihren jüdi- Gasthaus Engel ein. Die örtliche NSDAP un- schen Bekannten und Freunden weiterhin ter Führung von Ortsgruppenleiter Heinrich Kontakt halten wollten, antijüdischem Ras- Salzmann40 nahm diesen Verstoß gegen sismus ausgesetzt, der in gewalttätige Aus- ihre rassistischen Vorstellungen zum Anlass, schreitungen umschlagen konnte.42 Und der Nölker aus dem Haus der Großmutter her- als „Oberwachtmeister“ bezeichnete Gen- auszuholen und ein Exempel zu statuieren: darmeriebeamte Laubert sah sich nicht ver- SA-Männer aus dem Ort trieben ihn zum An- anlasst, gegen die Übergriffe einzuschreiten ger, traten und stießen ihn dabei und schlu- und die Misshandlung Nölkers zu unterbin- gen immer wieder auf ihn ein. Otto Nölker den. Vielmehr ließ er die Angreifer und die wurde ein Schild um den Hals gehängt mit ihnen eine Bühne bietenden Schaulustigen der Aufschrift: „Ich bin im Dorf das größte ungehindert gewähren – und sich am Schwein, ich lass mich mit einer Jüdin ein!“ Schluss des Spektakels vom Ortsgruppen- Das Schauspiel zog zahlreiche Gaffer an, die leiter der NSDAP noch anweisen, den aus den Angeprangerten beschimpften. Auch der einer Platz wunde am Kopf blutenden kur- vier Tage später erschienene Zeitungsbericht zerhand in das Wachhäuschen einzusper- lässt die Pogromstimmung erahnen, der sich ren. Auch Bürgermeister Fehr (1890–1973) Nölker vonseiten der Herleshäuser „Volks- hatte nicht eingegriffen, um das unwürdige genossen“ ausgesetzt sah: „Rassenschande Schauspiel zu beenden. in Herleshausen. Ein nachhaltiger Denkzet- Nachdem aber die Großmutter Otto tel wurde […] dem zurzeit in Herleshausen Nölkers den Bürgermeister gebeten hatte, weilenden Otto Nölker aus Wiesbaden, ihrem Enkel zu helfen, setzte dieser bei ein- einem gebürtigen Herleshäuser, zuteil. Er brechender Dunkelheit den Misshandelten glaubte, trotz aller Warnungen, sich in ärger- auf freien Fuß.43 Noch in der gleichen Nacht 168 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 fuhr Nölker nach Wiesbaden zurück. Isidor ril 193647 wurde von verschiedenen Stel- Müller, der Vater von Alice Müller, musste len geprüft. Seitens des Kreisverwaltungs- als Opfer eines separaten Spektakels zur Be- gerichts wandte sich der Kommissar zur lustigung der örtlichen Nationalsozialisten Wahrnehmung des öffentlichen Interesses, ebenfalls Übergriffe erdulden, unter ande- Kreisausschuss-Oberinspektor Karl Keitel,48 rem die Toilette seiner früheren Stammknei- an Bürgermeister Fehr in Herleshausen mit pe reinigen.44 der Nachfrage, „ob es sich um eine jüdische Antragstellerin handelt“. In diesem Fall dürfe sie nur Juden aufnehmen, und zunächst sei Rosel Leschziners Rechtsstreit die Frage zu klären, ob es im Ort ein Be- mit den Behörden dürfnis für eine solche Pension gebe, „selbst wenn nur Juden für die Unterbringung in Fra- Der Gefühlszustand unter den in ge kommen sollten“. Diese Prüfung müsse Herles hausen verbliebenen jüdischen Ein- zweifach – von der Gemeindebehörde und wohnern Mitte der 1930er-Jahre lässt sich von der Ortspolizei – durchgeführt werden. erahnen. Jene, die dazu in der Lage waren, Überdies war Stellung zu nehmen, ob „die setzten alles in Bewegung, um dem Dritten Antragstellerin als zuverlässig […] anzuse- Reich den Rücken zu kehren. Selbst Rosel hen ist“.49 Fehr erteilte die Auskunft und be- Leschziner unternahm solche Bemühungen. jahte die Bedürfnisfrage insofern, als „damit Sehbehindert hatte sie nur geringe Chancen, die Juden zu ihrer Unterhaltung selbst Hand ins Ausland zu gehen, und fürs Erste konnte anlegen u. arbeiten“. Auch sei, so Fehr, „die sie ihre Eltern nicht allein zurücklassen. Ange- Antragstellerin als zuverlässig anzusehen“. sichts ihrer zunehmenden gesundheitlichen Die Räumlichkeiten hielt er für geeignet: Einschränkungen machte Rosel Leschziner in „Die Räume sind von mir besichtigt worden den 1930er-Jahren aber neue Anstrengungen, u. würden den an sie zu stellenden Anfor- um sich eine Basis für eigene Einkünfte zu derung genügen“, schrieb Fehr dem Landrat. schaffen.45 Von November 1935 an hielt sie Allerdings müsste „ein zweiter Abort einge- sich für fast fünf Monate in Frankfurt am Main richtet werden“.50 Am 12. Juni stellte Keitel auf, wo sie möglicherweise bei einer Familie fest, dass von „den beiden Organisationen in Stellung war. In den Sommermonaten, die des Gaststättengewerbes […] Einwendun- sie bei ihren Eltern in Herles hausen verbrach- gen nicht erhoben“ wurden, und er wies den te, bot sie nun Fremdenzimmer für Erwach- Bürgermeister an, sich beim Kreisamt für sene an. Mitte der 1930er-Jahre musste sich Kommunalpolitik zu erkundigen, „ob dort- Rosel Leschziner wegen einer neuen Ver- seits Bedenken gegen die Errichtung einer ordnung jedoch darum bemühen, für ihren Fremdenpension für Juden geltend gemacht Beherbergungsbetrieb eine behördliche Ge- werden“. Berthold Schneider vom Amt für nehmigung zu erhalten. Und so wandte sie Kommunalpolitik der NSDAP in Eschwege sich an das Landratsamt mit dem Antrag, im bat den Ortsgruppenleiter der NSDAP, Hein- Haus ihrer Eltern „während der Monate Juni, rich Salzmann, um seine Stellungnahme.51 Juli und August“46 ein Fremdenheim zu be- Nachdem er mit Bürgermeister Fehr Rück- treiben. Der in diesem Zusammenhang über sprache genommen hatte, teilte Salzmann mehr als zwei Jahre hinweg entstandenen in betont unsachlicher Diktion Schneider Korrespondenz ist Näheres über die Lebens- mit: „Der Vater, der Viehhändler Seligmann verhältnisse von Rosel Leschziner und ihrer Wolf, ist über 70 Jahre alt und kann wohl Angehörigen zu entnehmen. nicht mehr so viel zusammenschachern, daß Ihr Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum die Familie davon leben kann; Barvermögen Betrieb eines Fremdenheims vom 22. Ap- soll nicht vorhanden sein.“ Doch besitze die Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 169

Familie „ein Haus mit Nebengebäuden und hinreichend bekannter Umgebung sicher zu ein Hausgrundstück […], woran sich die Ge- bewegen […]“. Ihre Eltern verdienten kaum meinde im Notfall schadlos halten“ könne. etwas und müssten obendrein für ihre ältere „Außerdem kann die Rosel Leschziner sich Tochter sorgen, „die seit 20 Jahren in einer ja eine andere Verdienstmöglichkeit in ei- Nervenanstalt in Bethel untergebracht ist nem jüdischen Hause suchen. Wir haben in und die unheilbar ist“. Nur in der Pension Herleshausen Juden genug und es ist durch- habe sie „eine kleine Einnahme“, die ihr in aus nicht nötig, daß durch eine jüdische den letzten Jahren einige Hundert Mark“ Fremdenpension noch mehr hierhergezogen eingebracht habe. Rosel Leschziner machte werden. Ich kann hier nur konsequent sein zudem darauf aufmerksam, dass es ihr nicht und mich gegen die Genehmigung ausspre- um die Genehmigung einer neuen Gaststät- chen.“52 te gehe, sondern um die Nachholung einer Schneider notierte unter dieser Stellung- Genehmigung, zu der sie „behördlicherseits nahme am 20. Juli 1936 seine Antwort an in Ausführung des Ministererlasses vom den Landrat: „Aus den vom Ortsgruppen- 22.11.1934 Ende vorigen Jahres angehalten leiter angeführten Gründen wünscht der wurde.“ Denn ihr Heim führe sie „seit Jah- Kreisleiter [Eduard Weiß53] die Ablehnung ren, und zwar habe ich seit etwa acht Jahren des Antrages. Heil Hitler!“ Dem ablehnen- jährlich im Sommer Kinder aufgenommen den Bescheid folgte ein Verwaltungsstreit- und vor zwei Jahren mich auf die Aufnah- verfahren vor dem Kreisverwaltungsgericht, me Erwachsener umgestellt, nachdem die das am 31. August 1936 dem Kommissar Anwesenheit von Kindern nicht mehr er- zur Wahrnehmung des öffentlichen Interes- wünscht erschien und ich selbst durch das ses Recht gab und Leschziner die Erlaubnis Fortschreiten meines Augenleidens auch die für die Pension versagte. Der Vorsitzende Verantwortung für Kinder nicht mehr tragen des Kreisverwaltungsgerichts in Eschwege, konnte.“57 Landrat Philipp Deichmann,54 verneinte Rosel Leschziner versicherte sich eines das Bedürfnis, da es in Herleshausen aus- unterstützenden Schreibens ihres Vetters reichend Unterkunftsmöglichkeiten gebe Dr. Ernst Ledermann,58 Diplom-Kaufmann und den „wirtschaftlichen und persönlichen und Wirtschaftsprüfer aus Gotha, nach einer Verhältnissen der Antragstellerin […] keine gemeinsamen Rücksprache mit dem Landrat ausschlaggebende Bedeutung beigemessen am 29. September 1936.59 Und sie wandte werden“ könne.55 sich an Rechtsanwalt Dr. Oppenheim60 in Rosel Leschziner legte gegen die Ent- Kassel, der am 12. Oktober 1936 in seinem scheidung am 13. September Berufung ein.56 Schreiben an den Vorsitzenden des Kreisver- In ihrer Berufungsbegründung für das Be- waltungsgerichts das Bedürfnis hervorhob zirksverwaltungsgericht Kassel machte sie und in Zweifel zog, dass sich die preußische am 25. September 1936 geltend, dass gerade Verordnung vom 16. März 1936 „überhaupt jüdische Fremde in den Herleshäuser „Frem- auf Fremdenheime bezieht, in denen alko- denheimen und Gaststätten“ durchaus „kei- holische Getränke nicht ausgeschenkt wer- ne Unterkunft finden“. Sodann wies sie auf den“.61 Kommissar Keitel beharrte in seiner ihre gesundheitlichen Einschränkungen hin. Stellungnahme auf dem Standpunkt, dass Ihren erlernten Beruf als Kindergärtnerin ein Bedürfnis nicht bestehe, und er vertrat könne sie „nicht mehr ausüben“, da sie „seit die (beschönigende) Ansicht, dass „Reisende Jahren an einem chronischen Magen- und oder Händler jüdischer Herkunft […] in den vor allem Augenleiden erkrankt“ sei: „Letzte- vorhandenen arischen Gaststätten in Herles- res macht es mir unmöglich, ohne Hilfe Drit- hausen oder Umgebung sicher nicht rausge- ter mich auf Straßen oder in sonst mir nicht wiesen“ würden.62 Bürgermeister Fehr blieb 170 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 hingegen bei seiner Auffassung.63 Auch die Jedenfalls könne sie nicht „mit dem Hinweis Kreisleitung der NSDAP hatte zwischenzeit- darauf verneint werden, daß Juden in den lich ebenfalls noch einmal Stellung genom- vorhandenen arischen Gaststätten in Herles- men. Kreisleiter Weiß teilte dem Vorsitzen- hausen un[d] der Umgebung sicher ,nicht den des Kreisverwaltungsgerichts mit: „Ich rausgewiesen werden‘. Ein jüdischer Rei- stehe nach wie vor auf dem Standpunkt, daß sender oder Erholungssuchender vermeidet die Genehmigung zur Einrichtung einer jü- es gern, als unerwünschter Gast behandelt dischen Pension nicht erteilt werden darf. zu werden.“67 Ich habe mich bisher strengstens dafür ein- Für den 14. Januar 1937 wurde eine gesetzt, daß der jüdische Einfluß gerade in mündliche Verhandlung im Bezirksverwal- Herleshausen geschwächt wird. Die Juden tungsgericht angesetzt. An der öffentlichen haben aber die Möglichkeit, in Eisenach zu Sitzung nahm als Vorsitzender Verwal- übernachten.“64 tungsgerichtsdirektor Bickell und als Mit- Das Bezirksverwaltungsgericht forderte zu glieder Oberregierungsrat Feldt,68 der Arzt Beginn des Berufungsverfahrens die Klägerin Dr. Reinhardt, 69 der Bauer Fritz Schröder und auf, „die einzelnen Räume bestimmt zu be- der Glasschleifer Wilhelm Schneider teil. zeichnen, auf die sich der Antrag bezieht“. Keitel hatte sich „wegen anderweiter drin- Behördlicherseits sollte zudem festgestellt gender Dienstgeschäfte“ von der Verhand- werden, „ob diese Räume den polizeilichen lung entbinden lassen und keinen Vertreter Anforderungen entsprechen“. Überdies soll- entsandt. Dr. Oppenheim begründete, war- te überprüft werden, „ob die Behauptung um sich Leschziners Antrag auch „auf den […] zutrifft, daß das Fremdenheim schon Ausschank von nichtgeistigen Getränken“ längere Zeit betrieben wird, gegebenenfalls erstrecke – es könne ihren Gästen „nicht zu- wie lange und wieviel [sic] jüdische Besu- gemutet werden“, diese „in arischen Gast- cher es in den letzten Jahren hatte“.65 Einen stätten zu sich zu nehmen, da sie dort doch Monat später schickte Kommissar Keitel dem leicht als störend empfunden würden“.70 Bezirksverwaltungsgericht eine Zeichnung, Den früheren Einschätzungen des Ortsgrup- auf der die Lage der Räume kenntlich ge- penleiters, des Kreisleiters und des Kom- macht war, und er teilte mit, dass sie „den missars zur Wahrnehmung des öffentlichen polizeilichen Anforderungen“ entsprächen. Interesses konnte sich das Gericht nicht an- (siehe S. 165) Auch habe Bürgermeister Fehr schließen. Es entschied, beim Regierungs- berichtet, dass Leschziner „seit 1932 vermie- präsidenten um die seiner Auffassung nach tet“ habe: „in den Jahren 1932–1934 an jüdi- „erforderliche Ausnahmegenehmigung“ sche Kinder, später an Erwachsene.“66 nachzusuchen.71 Am 3. Februar 1937 erteil- Rechtsanwalt Oppenheim bat das Ge- te der Regierungspräsident diese „Ausnah- richt Mitte Dezember darum, die den Fall megenehmigung“ unter der Maßgabe, dass betreffenden Schriftstücke direkt an ihn (statt „der Betrieb […] auf Juden beschränkt“ blei- an die Klägerin) zu senden. Er nahm dabei be, was „durch deutlich lesbare Aufschriften Stellung zu den „Eingaben vom 12. und 23. kenntlich gemacht werden“ müsse, und dass Okt. 1936“ und stellte klar, dass es seiner er „kein deutschblütiges weibliches Perso- Mandantin „auf minderbemittelte Erholungs- nal“ beschäftige.72 Daraufhin wurde für den suchende“ ankomme, „nämlich auf den sog. 11. März abermals eine öffentliche Sitzung jüdischen Mittel- und Angestelltenstand, des Bezirksverwaltungsgerichts anberaumt, die keine allzu großen Ansprüche stellen an der als Vorsitzender wieder Verwaltungs- und auch mit einer bescheidenen Sommer- gerichtsdirektor Bickell und als Mitglieder frische zufrieden sind“. Er unterstrich, dass Oberregierungsrat Feldt, die Kreisleiter Erich die „Bedürfnisfrage zu bejahen sein“ dürfte. Braun73 und Karl-Heinz Exter74 und Bür- Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 171 germeister Julius Goebel75 teilnahmen. Der der NSDAP“ den Gendarmerie-Haupt- Bescheid des Kreisverwaltungsgerichts vom wachtmeister Fischer, im Haus Leschziner 31. August 1936 wurde aufgehoben und die eine Inspektion vorzunehmen. Laut seiner Klägerin berechtigt, in den Monaten Juni bis Meldung an den Landrat vom 25. Juli 1938 August jeden Jahres „Gäste zu beherber- habe er festgestellt, dass sieben Gäste ver- gen“.76 Die Erlaubnisurkunde des Kreisver- pflegt wurden, von denen fünf im Haus waltungsgerichts wurde Rosel Leschziner untergebracht waren. Diesen stand nur ein am 9. Juli 1937 ausgestellt, nachdem sie die Abort außerhalb des Hauses zur Verfügung, Schankerlaubnissteuer gezahlt hatte. zudem sei die Abortgrube überfüllt. Fischer So gelang es Rosel Leschziner mit der empfahl die „Zurückziehung der Erlaub- Hilfe ihres Anwalts, am Ende des Verwal- nis“. Er begründete dies – was die damals tungsstreitverfahrens ihre Interessen durch- grassierende Furcht vor Spionage wider- zusetzen. Die Erlaubnis war jedoch an be- spiegelt – damit, dass seiner Ansicht nach sondere Bedingungen geknüpft. Zu diesen „die Anwesenheit fremder Juden im Ge- gehörte, dass die Ausgabe von nichtalkoho- biet des Reichsautobahnbaues […] Gefah- lischen Getränken „sich nur auf den Kreis ren in sich“ berge. Daraufhin hielt Landrat der Insassen des Fremdenheims erstrecken“ Dr. Schultz81 am 1. August den Herleshäuser dürfe. Zeitgemäße Aborte müssten nach Bürgermeister dazu an, in seiner Eigenschaft Geschlechtern getrennt eingerichtet wer- als Ortspolizeibehörde die Pension unter den und für die Gäste leicht auffindbar sein. Berufung auf das Gaststättengesetz „vorläu- Überhaupt seien „alle Bestimmungen des fig [zu] schließen“ und „im Anschluß daran Gaststättengesetzes,77 die sinngemäße An- unverzüglich beim Kreisverwaltungsgericht wendung finden, insbesondere die sich auf die Klage auf Entziehung der Erlaubnis – mit den Betrieb von Fremdenheimen beziehen- entsprechender Begründung versehen – zu den, genau zu befolgen“. Schließlich wurde erheben“. angekündigt, dass ihre Pension „der ständi- Bürgermeister Fehr teilte dem Landrat drei gen Beaufsichtigung durch die Polizeibehör- Wochen später mit, dass „die Pension am de“ unterliegen werde.78 18.8.38 geschlossen worden ist“. Er schickte Der Pensionsbetrieb musste innerhalb ei- außerdem einen für das Kreisverwaltungs- nes Jahres aufgenommen werden. Da Rosel gericht bestimmten Antrag. Hierin erhob Leschziner jedoch ihren Lebensunterhalt Fehr „Klage auf Entziehung der Erlaubnis nicht wie in den Jahren zuvor hatte bestrei- zum Führen der Fremdenpension Inhaberin ten können, hatte sie sich 1936/37 für elf Rosel Leschziner“, denn sie sei der „Aufla- Monate auf einem Hachschara-Hof der Brü- ge, getrennte Bedürfnisanstalten einzurich- der Leo und Rudolf Stern in Westerbeck79 ten, nicht nachgekommen“.82 Das Gericht aufgehalten, wo sie mit anderen jüdischen beschied Rosel Leschziner am 5. September, Deutschen eine „landwirtschaftliche Schu- dass die Schließung ihrer Pension aufrecht lung“ erhielt, die auf die Auswanderung ins erhalten werde, bis über die „Zurücknahme Mandatsgebiet Palästina vorbereiten sollte.80 der Erlaubnis“ entschieden worden sei.83 Erst Mitte Oktober 1937 kehrte sie von dort Damit war ihr trotz aller Anstrengungen die zurück. Chance genommen, ihren Lebensunterhalt So war sie im Juli 1937 nicht in der Lage, eigenständig zu erwirtschaften. Wie andern- mit der Pension (wieder) zu beginnen. Sie orts kooperierten letztlich nationalsozialis- rechnete damit für das Frühjahr 1938. Da- tische Parteistellen, Gerichte, Polizei- und her wurde der Betrieb erst 1938 aufgenom- Verwaltungsbehörden, wenn es darum ging, men. Schon nach kurzer Zeit veranlasste die jüdische Bevölkerung aus dem Wirt- indes die Herleshäuser „politische Leitung schaftsleben auszuschließen. 172 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Von der Ausgrenzung zur Ermor- vermutlich bald nach ihrer Ankunft, spätes- dung und Ausplünderung der tens im Jahr 1942, im Getto von Riga umge- Opfer – am Beispiel der Familie kommen.86 Rosels Vater Seligmann Wolf war 87 von Rosel Leschziner geb. Wolf schon 1940 gestorben; als letzte aus ihrer Familie kam ihre nach Theresienstadt depor- 1939 heiratete Rosel Leschziner, unter tierte 76-jährige Mutter im Oktober 1942 nun gänzlich verfinsterten Lebensumstän- ums Leben – ein dreiviertel Jahr, nachdem den, noch einmal – ihr zweiter Mann wur- der Kontakt zwischen den beiden Frauen de Paul Rosenthal (*1896) aus Göttingen. abgerissen war. Am Ende der Einwohnermel- Rosel und Paul Rosenthal zogen Anfang dekarte von Paul Rosenthal heißt es: „Alle September 1939 nach Hannover. Das Paar 15.12.41 Riga abgeschoben“.88 wohnte dort zur Untermiete, zuletzt in der In den Akten des nationalsozialistischen Braunauerstr. 12. Anfang September 1941 Landratsamts taucht Rosel Leschziners mussten die beiden in das Gebäude des jü- Name im gleichen Jahr noch einmal auf. dischen Altersheims im Stadtteil Kirchrode, Vonseiten des Oberpräsidiums der Provinz Brabeckstr. 86, einziehen.84 Hessen-Nassau fragte am 30. Juni 1942 Im Spätsommer 1941 entschied Hitler, Dr. Weber89 nach jüdischem Grundbesitz unterschiedslos alle Juden im „großdeut- und dessen Eigentümern. Die Anfrage galt schen“ Machtbereich ermorden zu lassen. dem Grundbuch von Herleshausen, denn SS- und Polizeichef Heinrich Himmler traf die Namen der Ermordeten waren hier wei- dazu mit seinen Untergebenen die Vorbe- terhin vermerkt, darunter „Meier Wolf und reitungen. So wurden Ende 1941, als die Frau Röschen Rosenthal geb. Wolf als Ei- unzureichend ausgerüstete Wehrmacht in gentümer von Flur 11 Nr. 80, Hausgarten, Russland auf weiteres Personal und stän- 10,20 ar [und] Flur 8 Nr. 80, Acker, 8,21 ar dige Materiallieferungen angewiesen war, […].“90 Dem schlossen sich etliche Fragen etliche Transporte aus deutschen Großstäd- an: „Wer soll die Grundstücke erwerben? ten zusammengestellt, mit denen jüdische Welcher Preis ist angemessen? […] Wo Menschen nach Osten verschleppt wurden. wohnen die Juden? Wenn verzogen, ausge- Dort verloren sie mit einem Schlag die ihnen wandert oder abgeschoben: Wann und wo- (noch) verbliebenen Rechte – und auch ihr hin? Wenn verstorben: Wer kommt als Erben Recht auf Leben. [sic] in Frage? […] Die gleiche Anfrage ist Rosel und Paul Rosenthal gehörten zu an den Herrn Kreisbauernführer91 ergangen. den 1001 Personen, welche die National- Um Beschleunigung wird gebeten, damit sozialisten am 15. Dezember 1941 in den Tod die Entjudung zum Abschluß gebracht wer- deportierten: Sie wurden „von der einstigen den kann.“92 Israelitischen Gartenbauschule Ahlem am Vonseiten der Kreisbauernschaft Eschwege Stadtrand Hannovers, die Anfang November erklärte der stellvertretende Kreisbauern- 1941 zum Sammellager bestimmt worden führer Georg Schreiber unter dem Betreff war, per Lastwagen auf den Bahnhof Fischer- „Judenland“, dass die „Eigentümer Meyer- hof im Stadtteil Hannover-Linden gebracht.“ Wolf und Frau Röschen Morgenthal [sic] Den Gestapo- und Reichsbahnbeamten war geb. Wolf“ seien, und er gab die „Ansicht der das Fahrtziel Riga bekannt, nicht jedoch den örtlichen Stellen“ wieder, wonach der Haus- Verschleppten. Deren Durchschnittsalter lag garten „beim Haus bleiben“ müsse.93 Der bei 45 Jahren, darunter 47 Kinder bis zum Bürgermeister teilte dem Landrat am 22. Juli zehnten Lebensjahr. Nur 68 Personen aus 1942 ebenfalls mit, dass der Hausgarten diesem Transport überlebten den National- Wolf „bei dem Wohngrundstück verbleiben sozialismus.85 Rosel und Paul Rosenthal sind und mit diesem verkauft werden“ müsse. Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 173

Abb. 2: Kennkarte Rosel Leschziner

Das Ackergrundstück wolle die Gemeinde zur Schaffung eines öffentlichen Platzes zum zum Preise von RM 100 erwerben.94 Da Fehr Abbruch kommen soll, von diesen Insassen in diesen Auskünften auf die weiteren Fragen später direkt erworben werden soll.“96 nicht einging, musste er am 6. August 1942 Ein halbes Jahr später informierte der Vor- abermals Stellung nehmen. Nun erklärte der steher des Kulturamts in Eschwege97 Hein- Bürgermeister: „Das Grundstück ist noch rich Gernandt98 darüber, dass der auf „den nicht verkauft. Eigentümer waren bezw. ist Viehhändler Meier Wolf in Nesselröden und […] Rosel Leschziner geborene Wolf, zuletzt Frau Röschen Sara Rosenthal geb. Wolf“ je in Hannover wohnhaft und von dort unbe- zur Hälfte eingetragene Acker von 8,21 ar kannt abgeschoben.“95 in Herleshausen zu den Grundstücken zäh- Fehr schrieb dem Landrat am 27. November le, die „dem Reich verfallen sind“ und deren 1942 auf dessen Anfrage, ob die Gemeinde Verwaltung vom Finanzamt Eschwege über- an den Wolf’schen Grundstücken interessiert nommen wurde; der Verkauf sei durch einen sei: „Da die Gemeinde den Friedhof erwei- Erlass des Reichsfinanzministers vom 13.Feb - tern muß, braucht sie Austauschland. Hierzu ruar 1943 bis nach Kriegsende gesperrt.99 Eine ist der Acker am Taggraben […] geeignet. Sie Übersicht, die das Finanzamt Eschwege, das hat deshalb großes Interesse am Erwerb die- die „Grundstücke aus Judenvermögen“ ver- ses Grundstücks. Am Erwerb des Wohn- u. waltete, am 18. Juli 1945 anfertigte, enthielt Gartengrundstücks hat die Gemeinde nur ein 52 Eintragungen mit den Namen der früheren indirektes Interesse, weil ein Wohnhaus, das jüdischen Eigentümer.100 174 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Der Herleshäuser national- und im November 1918 als Artilleriemaat sozialistische Bürgermeister entlassen. Er kehrte zunächst in seinen Beruf Karl Fehr und die Juden zurück. Doch da der als Nachfolger vorgese- hene jüngste Bruder im Krieg umgekommen In seiner Stellungnahme zur Klageschrift war, musste er den elterlichen Hof überneh- des öffentlichen Klägers im Entnazifizierungs- men, nachdem sein Vater Heinrich Fehr im verfahren erklärte Karl Fehr im Jahr 1946 Juni 1924 gestorben war.104 selbstbewusst: „Hector101 aus Herleshausen Fast gleichzeitig wurde Karl Fehr zum Bür- hat es bewerkstelligt, dass wir alle in die Par- germeister von Herleshausen gewählt.105 Er tei gingen, er war damals Ortsgruppenleiter. schloss sich offenbar keiner Partei an.106 Erst […] Meine Einstellung war die gleiche wie im Lauf der nationalsozialistischen Macht- in der demokratischen Zeit. Ein Abzeichen übernahme trat er am 1. Mai 1933107 in die habe ich nicht getragen und auch keine Uni- NSDAP ein (und erhielt die Mitgliedsnum- form. Die Juden sind gut behandelt worden. mer 2293503), weil er von den politischen Ein Jude bedankte sich im vorigen Jahr mit und wirtschaftlichen Maßnahmen der Hitler- einem Schreiben bei mir, dass ich ihm bei Regierung eingenommen war. Zudem ließ er seiner Ausreise damals behilflich war. Ich war sich bald darauf in die NS-Volkswohlfahrt, den 7 Monate im Camp Kornwestheim, wo auch Verein für das Deutschtum im Ausland, den Landrat Dr. Schultz ist. Er sagte mir sofort, NS-Kriegerbund und den Reichsluftschutz- dass ich da nicht hingehörte.“102 bund aufnehmen. Am 27. August 1934 erfolg- Wie kaum ein anderer Kommunalpolitiker te die Vereidigung auf den „Führer“ Hitler.108 im nördlichen Hessen verkörpert Karl Fehr Nach außen hin galt Fehr darüber hinaus politische Kontinuität von der Weimarer Re- als Vertrauensmann der NSDAP für Kom- publik über das Dritte Reich103 bis zur Bun- munalpolitik in seiner Gemeinde. Dieses desrepublik unter der Kanzlerschaft Konrad Amt erwies sich bei der Entnazifizierung als Adenauers. Dabei war Fehr ein eher untypi- schwere Belastung. Zwar wurde Fehr unter scher unter den Bürgermeistern in Nordhes- der Herrschaft der US-amerikanischen Mili- sen. Zwar war auch er Landwirt, aber ehe tärregierung zunächst zum Chef der Amtsbür- er sich zu diesem Beruf entschloss, hatte er germeisterei Herleshausen ernannt, der für einen vergleichsweise abwechslungsreichen neun weitere Gemeinden des Kreises zustän- Lebensweg zurückgelegt. Er kam als ältes- dig war.109 Doch am 25. Juni 1945 wurde der ter Sohn eines Bauern zur Welt, besuchte Amtsbürgermeister von den Verfolgungsorga- bis zum 14. Lebensjahr die Volksschule und nen der US-amerikanischen Truppen überra- machte danach eine 3-jährige Ausbildung schend festgenommen. Die folgenden sieben zum Zimmerer durch. In den Sommermo- Monate110 verbrachte er im Internierungsla- naten war er dann als Geselle tätig, und im ger Kornwestheim bei Stuttgart. In Herles- Winter besuchte er die Baugewerkschule in hausen setzte sich sein Amtsnachfolger Fritz Erfurt, die er nach 4 Semestern abschloss. Er Baum und weitere politisch Tätige im Jahr arbeitete 2 Jahre als Bautechniker in Wurzen 1946 für Fehrs Rehabilitierung ein. Mit „einer in Sachsen. Im Herbst 1912 wurde er zur Ma- eingehenden Eingabe an die Militärregierung rineinfanterie nach Kiel eingezogen, durch- Eschwege – versehen mit zahlreichen über- lief die Ausbildung zum Telegrafisten. Kriegs- zeugenden Beweismitteln – erreichten“ sie dienst leistete er von 1914 an in Kiel. „Trotz „die Freigabe des beschlagnahmten Vermö- freiwilliger Meldung zum Frontdienst mußte gens“ Fehrs, und sie erwiesen „dessen gu[t]e ich zurückbleiben,“ bedauerte er in seinem politische Vergangenheit.“ Laut der „Auskunft Lebenslauf. Fehr wurde „zur Seeflugver- des Ausschusses der politischen Parteien“ sei suchsstation in Warnemünde kommandiert“ Fehr „unzweifelhaft kein typischer Nazi ge- Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 175 wesen. Er hat alle Ort[s]bürger in der Nazi- zeigt und gemeldet wegen solch einer verru- zeit gleichmä[ß]ig behandelt; insbesondere fenen Handlung und die Polizeigewalt for- hat er die in H[erleshausen] wohnenden Ju- derte von Herrn Fehr, sich in das Mittel zu den vor Verfolgungen geschützt.“111 legen. Ich wurde amtlich vorgeladen. Herr Trotz dieser überparteilich günstigen Beur- Fehr entschuldigte sich wegen der Vorladung. teilung und obwohl „ihm keine Verbrechen Ich erklärte, dass er dadurch nur seine Pflicht nachgewiesen und keine Belastungsmomen- erfüllt hätte und [er] bat mich, meinen Sohn te festgestellt werden“ konnten, ordnete die zu tadeln, um diesen Fall zu schlichten. Klageschrift vom 20. August 1946 Fehr aus Wann immer ich oder meine Familie mit formalen Gründen der „Gruppe 2 der Akti- Herrn Fehr in Verbindung kamen, wurden visten“ zu. wir stets mit freundlicher Zuvorkommenheit In seinem „Widerspruch“ vom 26. August behandelt. 1946 stellte Fehr fest, er sei „nachweislich Ich bin durch die Nazis verfolgt worden, auf Drängen der Gemeindemitglieder“ Bür- 3 ½ Jahr bin ich in einem Kz gewesen. Ich germeister geblieben. Dies habe er aber nur habe meine Frau und meinen Sohn verloren. durch Beitritt zur NSDAP erreichen können. Ich denke deshalb, dass ich berechtigt bin Die Funktion des Vertrauensmanns für Kom- zu fordern, dass alle, die an diesem unaus- munalpolitik habe niemals er ausgeübt, son- sprechlichen Elend schuld sind, streng bestraft dern der Ortsgruppenleiter der NSDAP, dies werden sollten. Andererseits, z. B. in dem Fall belege eine Aussage des früheren Landrats Fehr, bin ich froh zu helfen und zu retten die- Dr. Schultz, „z. Zt. Camp Kornwestheim.“ Die jenigen, die in ihrer Stellung bedroht und in Militärregierung habe sein Vermögen bereits den brüllenden Strudel hineingezogen wa- freigegeben. Deshalb habe Fehr „den hiesi- ren, aber ihre aufrechte Überzeugung trotz gen Amtsbürgermeister gebeten, die Akten brutaler Gewalt bewahrt haben.“114 hierüber von der Militär-Regierung herbeizu- Bürgermeister Baum schrieb über die Aus- ziehen und diese der Spruchkammer zu über- sage von Abraham Weinstock: „Dieser hat senden. Ich bitte ergebenst, diese bei der Ent- im KZ. Schweres durchmachen müssen und scheidung zu verwerten, da sie eine Anzahl es ist verständlich, dass er sich gegen jedes Erklärungen von Persönlichkeiten enthalten, Parteimitglied besonders scharf einstellt. Da deren Urteil über jeden Zweifel erhaben ist, Herr Weinstock aber gerade warm für Herrn so z. B. von einem politisch und rassisch Ver- Fehr eintritt, wiegt das Zeugnis dieses Herren folgten und einem politisch Verfolgten.“ doppelt schwer für Fehr.“115 Bei dem „rassisch Verfolgten“ handelte es Seinem Antrag auf Wiedergutmachung sich um den Lehrer Abraham Weinstock,112 vom März 1950 zufolge war Abraham Wein- der sich seit Herbst 1945 (wieder) in Herles- stock 1892 im ostgalizischen Peczeniz˙yn in hausen aufhielt. In seinem Zeugenschreiben Österreich-Ungarn geboren worden. Nach vom 19. Dezember 1945 erklärte er: „Schon dem Ersten Weltkrieg kam Weinstock ab bevor die Nazis an die Macht kamen, war ich und zu nach Herleshausen, um Vieh auf- mit Herrn Fehr bekannt, der immer ein wohl- zukaufen.116 Nach seiner Heirat mit Martha wollender und hilfsbereiter Bürgermeister Müller lebte das Paar an verschiedenen Or- war. Gerade im Jahre 1933 erfuhr ich seine ten im Westen Deutschlands, wo 1921 der unbedingt unbestechliche Haltung gegen- Sohn Heinz zur Welt kam, und von Juli 1934 über jedem Einwohner. Damals schäumten an war die Familie in Gelsenkirchen ansäs- die Nazibanden mit blinder, zügelloser Lei- sig, zuerst in der Wanner Straße 24 und ab denschaft über. Mein 12 Jahre alter Sohn,113 Juli 1939 in der Von-der-Recke-Straße 9.117 der dachte, dass er dem Antisemitismus der Ehe sie sich in Gelsenkirchen niederließen, anderen Kinder trotzen könne, wurde ange- wohnten sie in Herleshausen.118 176 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abraham Weinstock arbeitete in Gelsen- und auch die Bekämpfung der Juden und das kirchen als Volksschullehrer, bis er im Juli Austreten aus der Kirche“.125 1939 „zwangsweise pensioniert“ wurde, weil Im Mittelpunkt der meisten Zeugenerinne- er Jude war. Er überlebte die Konzentrations- rungen steht ein Vorfall, der sich ereignete, als lagerhaft nach seiner Deportation nach Riga Fehr schon nahezu sieben Jahre lang als natio- im Januar 1942 und das Lager Stutthof, aus nalsozialistischer Bürgermeister amtiert hatte. dem er am 10. März 1945 befreit wurde. Ernst Müller, 1946 stellvertretender Bürger- Dass sein Sohn Heinz 1933 in Herles- meister von Herleshausen, erinnerte sich am hausen zur Schule ging, geht offenbar auf 4. Februar 1946: „Als eine Gruppe der Hitler- familiäre Bindungen von Weinstocks Ehe- jugend, geführt von dem Sohn des damaligen frau Martha („Sara“119) zurück, die in Herles- Ortsgruppenleiters Salzmann, die Tochter des hausen zur Welt gekommen war. Sie wurde jüdischen Kornhändlers Neuhaus126 tyranni- „1948 für tot erklärt“.120 Nach Herleshausen sierte, handelte Bürgermeister Fehr entschlos- kam Weinstock wieder im November 1945. sen, ohrfeigte den Rädelsführer und schützte Im folgenden August kehrte er nach Gelsen- das Mädchen gegen weitere Beleidigungen. kirchen zurück, blieb aber in Herleshausen Durch diesen Zwischenfall kam Herr Fehr in zunächst noch – bis Januar 1947 – gemel- Misskredit bei der Kreisleitung, aber er blieb det.121 Sein ursprünglich beim Regierungs- bei seiner Meinung […].“127 präsidenten in Darmstadt gestellter Antrag Der 40-jährige Schuhmacher Wilhelm auf Entschädigung wurde von dort nach Beck äußerte über Fehr: „Er war nie ein Na- Nordrhein-Westfalen abgegeben. Die ,hessi- tionalsozialist, er hätte sonst dem Sohn des sche‘ Entschädigungsakte schließt mit einem Ortsgruppenleiters keine Ohrfeige gegeben, Vermerk vom 4. Oktober 1962: „Ansprüche der bei Herrn Neuhaus eine Scheibe einge- sind erledigt. Es wird Rente gezahlt.“122 schlagen hatte, 1939, einen Tag vor Kriegs- In den „Erklärungen“, die Einwohner Her- beginn.“ Der 43-jährige Zeuge Wilhelm leshausens über Karl Fehr abgaben, werden Burgheim erinnerte sich an einen großen ihm verschiedene Verdienste zugutegehalten. Menschenauflauf „in der Nähe von Engel.128 Otto Nölker, in der Entnazifizierungsakte als Als ich dazukam, war die Sache halb zu ehemaliger politischer Gefangener bezeich- Ende. Ich hörte aber noch, wie Herr Fehr sag- net, meldete sich am 29. Dezember 1945 aus te: „Wenn die Polizei hier nicht einschreitet, Wiesbaden zu Wort: „Im Jahre 1935 wurde dann will ich als Ortspolizei hier Ordnung ich von einer Nazihorde schwer misshandelt schaffen, die Not ist groß, der Krieg steht vor und dann in einem Umzug schimpflich durch der Tür und ihr macht Unruhen und holt aus das Dorf geführt. Nach diesem Umzug sollte den Gärten alles heraus.“ Es waren haupt- ich wieder misshandelt werden und musste sächlich Jugendliche dabei, etwa 40, der für mein Leben fürchten. Bürgermeister Fehr Junge vom Ortsgruppenleiter Salzmann war intervenierte und nahm mich in Schutzhaft. auch dabei.“129 Am späten Abend, als die Ruhe wieder her- Der 1946 22 Jahre alte Zeuge Karl Heinz gestellt war, entließ Bürgermeister Fehr mich Salzmann, „Zimmermann u. stud. ing., in der heimlich.“123 HJ. seit 1933, seit 1942 in der Partei [NSDAP], Bau-Ingenieur Wilhelm Brinkmann, selber wohnhaft Herleshausen“, erklärte: „Es stimmt Mitglied des Prüfungsausschusses, erwähnte nicht, dass ich bei dem Auflauf eine Ohrfeige zu Fehrs Gunsten, dass Herleshausen 1945 bekommen habe, Herr Fehr hat mich in den „nicht in die Kampfhandlungen einbezogen Hintern getreten. Was der Anlass war, weiß […] wurde“.124 Der Schuhmacher Paul Örtel ich nicht. Wir sind damals ziemlich viel [sic] bezeugte, dass Fehr die „Methoden der Nazis Jungen gewesen. Herr Neuhaus hatte Radio […] scharf gegeißelt“ habe: „z. B. den Krieg, gehört, das sollte wohl nicht sein. Eine Schei- Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 177 be habe ich bei Herrn Neuhaus nicht einge- Sachbeschädigung, der Körperverletzung, der schlagen. Was die Jungens wollten, weiß ich Nötigung, des Haus- und Landfriedensbruchs auch nicht. Ich hatte mit der ganzen Angele- und der Zusammenrottung unter keinen Um- genheit nichts zu tun. Da ich nicht feige war, ständen geduldet werden, gleichviel gegen sondern als einziger von allen stehen blieb, wen diese Straftaten sich richten.“135 passierte es mir mit dem Bürgermeister.“130 Regierungspräsident Konrad von Monbart Bei seiner Entnazifizierung machte Fehr (1881–1945) hatte wegen der Ausschreitun- deutlich, dass er gegenüber dem Ortsgrup- gen gegen Juden wiederholt Veranlassung, penleiter Heinrich Salzmann keinen leichten sich um die Einhaltung dieser Anordnun- Stand gehabt hatte. Immerhin habe dieser gen zu sorgen. Am 1. Juni 1937 mahnte er zweimal mithilfe der Kreisleitung seine Ab- an, solche Ausschreitungen zu unterlassen, berufung betrieben.131 Zu dem Pogromver- denn sie fielen „unter den bekannten Erlaß“ such, der den Aussagen zufolge am 31. Au- des Innenministers vom 20. August 1935.136 gust 1939 stattgefunden hatte, erklärte Fehr Am 11. Juni 1938 wies der Regierungspräsi- selbst als „Betroffener“: „Die Juden wurden dent vertraulich noch einmal darauf hin, dass hier sehr belästigt, und kamen dann zu mir. „Einzelaktionen […] mit allen polizeilichen Ich rief den Obergendarmen von Reichen- Machtmitteln zu verhindern“ seien, und er sachsen132 zur Hilfe, um die Belästigungen fühlte sich veranlasst, seine „Verfügungen einzudämmen. Ich berief mich auf die Verfü- vom 25.7.35 […] betr. Verhinderung von gung von Göring, daß Einzelaktionen gegen Ausschreitungen, und vom 25.4.36 […] betr. Juden verboten wären. Dafür sollte ich vor Ereignismeldungen, in Erinnerung zu brin- das Parteigericht. Ich ließ auf der Straße aus- gen.“137 rufen: ,Wenn die Gendarmerie nicht Ruhe Den unmittelbar zeitgenössischen Doku- schafft, schaffe ich Ordnung.‘“133 menten lässt sich entnehmen, dass Kreisleiter Der letzte Satz bezieht sich offenbar auf Weiß erst am 23. Dezember 1939 dem Land- Fehrs persönliche Erfahrungen mit der Untä- rat eine Beschwerde über Bürgermeister Fehr tigkeit des Gendarmeriebeamten Laubert bei einreichte. Dieser habe „vor einigen Mona- der Hatz auf Otto Nölker im Jahr 1935, mög- ten“ den älteren Sohn des Ortsgruppenleiters licherweise auch auf weitere Erlebnisse. Ver- Salzmann geohrfeigt, „weil er sich gegenüber mutlich wollte er im August 1939 – in einem einem Juden nicht korrekt benommen“ hatte. durch die kriegstreiberische NS-Propaganda Dazu gab Fehr am 4. Januar 1940 die folgen- aufgeheizten Klima – neuen ausufernden de Erklärung: „Ich bekenne mich schuldig, Ausschreitungen zuvorkommen. dem ältesten Sohn des Ortsgruppenleiters Zu den hier ebenfalls angesprochenen Salzmann eine mit der Hand hinter die Oh- „Einzelaktionen“ hatte der preußische Minis- ren gegeben zu haben. Dieses habe ich aber terpräsident Hermann Göring am 14. De zem- nicht getan, weil sich angeblich der Sohn ber 1938 in seiner Eigenschaft als Be auf tragter Salzmann gegenüber einem Juden nicht kor- für den Vierjahresplan vertraulich angeordnet, rekt benommen haben soll, sondern, weil dass „jegliche selbständige Aktion in der Ju- dieser entgegen dem Erlaß des Generalfeld- denfrage zu unterbleiben hat“.134 Der ver- marschall[s] Göring, groben Unfug verübt u. harmlosende Begriff selbst erscheint in einem deutsches Volksgut vernichtet u. auch meinen geheimen Erlass des Reichsinnenministers Anordnungen, in vorgerückter Abendstunde Frick vom 20. August 1935, wonach Hitler Ruhe zu halten, nicht Folge geleistet hat.“ angeordnet habe, dass „Einzelaktionen ge- Fehr bat den Landrat „zwecks Klarstellung gen Juden von Mitgliedern der NSDAP. […] dieser Angelegenheit eine Gegenüberstellung unbedingt zu unterbleiben haben. […] Ins- herbeizuführen“.138 Doch allem Anschein besondere dürfen strafbare Handlungen der nach kam es nicht mehr dazu. Der stellver- 178 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 tretende Landrat Berthold Schneider schrieb Artikels 13144 angesehen werden können“. an den Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik Fehr habe durch das Verbleiben im Amt die Dr. Schultz, er habe die Sache am 15. Januar Übernahme seines Postens durch „übel- 1940 mit dem Kreisleiter Weiß besprochen, beleumdete Nazis“ verhindert, ja er habe dieser habe aber vor seiner Einberufung zum „nachweisbar wiederholt Förderung und Kriegsdienst in der Marine die Sache mit den Unterstützung Opfern und Gegnern des Na- Beteiligten nicht klären können. Schneider tionalsozialismus zuteilwerden lassen auf nahm sich vor, selbst mit Salzmann zu spre- Grund seiner anti-nationalsozialistischen chen, denn er glaube, dass „eine Weiterver- Haltung (Art. 39 II 2,4)“. folgung der Angelegenheit nicht notwendig In ihrer Begründung des Entscheids be- ist“.139 rief sich die Spruchkammer Eschwege am 27. September 1946 weitgehend auf die vom Zeugen Beck vorgebrachten entlastenden Die Stilisierung des Momente, wonach Fehr als „Antifaschist“ be- Herleshäuser Bürgermeisters kannt gewesen sei, „der sich allen Machen- zum Widerstandskämpfer schaften der NSDAP zur Wehr setzte […]. Typisch für das Verhalten des Betroffenen Das Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von war ein Fall im Jahr 1939. Der Sohn des da- Nationalsozialismus und Militarismus vom maligen Ortsgruppenleiters war führend bei 5. März 1946 (Befreiungsgesetz) sah als Ge- dem Einschlagen von Fensterscheiben von setz des Länderrats des amerikanischen Be- Judenwohnungen beteiligt und der Betrof- satzungsgebiets vor, dass diejenigen Deut- fene in seiner Eigenschaft als Bürgermeister schen, welche die nationalsozialistische musste, als er dazukam, feststellen, dass die Gewaltherrschaft aktiv unterstützt hatten, Polizei tatenlos abseits stand. Der Betroffe- von der Einflussnahme auf das öffentliche, ne griff kurz entschlossen ein, zerstreute die wirtschaftliche und kulturelle Leben ausge- Versammlung und ohrfeigte den Sohn des schlossen und zur Wiedergutmachung ver- Ortsgruppenleiters öffentlich. Der Sohn des pflichtet würden. Es war Grundlage für die Ortsgruppenleiters, der Zeuge Salzmann, der Tätigkeit der Spruchkammern und der ih- in der Verhandlung scheinbar seine sogen. nen zugeordneten öffentlichen Kläger. Ein Ehre retten wollte, erklärte, er wäre nicht nur solcher öffentlicher Kläger prüfte im Fall geschlagen, sondern auch getreten worden. – Fehr dessen Meldebogen und leitete Ermitt- Die Kammer stellte aus dem Verhalten des lungen von Amts wegen ein. Er kam nach Betroffenen jedenfalls fest, dass er in offener der Spruchkammerverhandlung zu dem Form gegen die Gewaltpolitik und gegen die Schluss, Fehr sei als Mitläufer einzustufen Auswüchse der Rassenlehre der NSDAP auf- und solle eine Geldsühne von RM 500 ent- trat.“145 richten, wobei die Bestimmung des Artikels Fehr war jedoch alles andere als ein anti- 12 anzuwenden sei;140 einen Teil der Schuld faschistischer Widerstandskämpfer. Im Rah- habe Fehr „durch seine Inhaftierung in Korn- men der NS-Judenverfolgung erfüllte er die westheim bereits abgetragen“.141 Daraufhin ihm zugedachte Rolle. So berichtete er im gelangte die Spruchkammer unter dem Vor- November 1933 pflichtschuldigst über die sitz von Dr. Rolf Lucas142 zu dem Entscheid, vom Polizeipräsidenten in Kassel, Friedrich Fehr habe „im Rahmen des Möglichen ak- von Pfeffer, angeforderte Nachweisung der tiven Widerstand gegen die nationalsozi- „Angehörigen jüdischer Konfession und über alistische Gewaltherrschaft geleistet und alle Personen, die zweifellos jüdischer Rasse hatte dadurch große seelische Belastungen sind“.146 Ehe die betroffenen Gemeinden die- erlitten,143 die als Nachteile im Sinne des ser Anordnung nachkamen, wurde für den Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 179

27. Oktober 1933 eiligst eine Bürgermeister- genau abschätzen, „weil sich ein Inhaber in versammlung anberaumt, auf der das Proze- Schutzhaft befindet u. der andere in Berlin dere beim Anlegen einer solchen Schwarzen weilt“; auch seien die Versicherungsunter- Liste ausführlich besprochen wurde.147 nehmen noch nicht informiert worden. Nach Vier Jahre später erstattete Fehr abermals Fehrs grober Schätzung belief sich der Sach- Bericht, nachdem die Gestapo der Staats- schaden auf RM 500. Zu Personenschäden polizeistelle Kassel ihn am 27. August 1937 sei es nicht gekommen: „Verletzt waren kei- durch den Landrat dazu aufgefordert hatte, ne Juden, auch sind keine Todesfälle zu ver- sie eingehend – und jeweils „in fünffacher zeichnen.“152 Ausfertigung“ – über die im Ort wohnen- Nach den Ermittlungen des Kreis-Gen- den Juden beziehungsweise „Halbjuden“148 darmeriechefs Küllmer am Beginn der und ihre Einrichtungen zu unterrichten: „Die US-amerikanischen Besatzungsherrschaft jüngeren Juden sind fast ausschließlich aus- wurden gegen Fehr folgende Anschuldigun- gewandert. Die älteren gehen, außer den gen vorgebracht: Dass Fehr den ehemaligen Viehhändlern, ihrem Gewerbe nach. Im Ort HJ-Bannführer153 eingestellt hatte, dass er selbst tätigen diese überhaupt keine Geschäf- davon wusste, dass „aus der damaligen Ju- te, wohl aber in Thüringen. Doch geht auch den-Synagoge Teppiche durch den Ortsgrup- hier, soweit man dies beobachten kann, das penleiter [Salzmann] entwendet wurden“ Geschäft langsamer. Die hiesige Bevölke- und dass, „nachdem die Juden-Synagoge rung meidet jeden Verkehr mit den Juden.“149 abgebrochen war, das Grundstück durch Mit dieser Einschätzung versandte Fehr den Ortsgruppenleiter und seinen Nach- am 13. November 1937 die angeforderten bar[n] Schmidt eigenmächtig angeeignet Listen „der in der Gemeinde wohnhaften Ju- wurde. Für das Grundstück wurde à qm RM den“ und derjenigen „Juden, die in der Ge- 1,- bezahlt.“ Fehr habe diese Anschuldigun- meinde Herleshausen wohnen und im Besitz gen abgestritten, doch die Frau des verhafte- von Legitimationskarten und Wandergewer- ten Ortsgruppenleiters habe „bestätigt, daß bescheinen sind“.150 Fehr über sämtliche drei Punkte unterrichtet Nach den Pogromen in sieben Orten des war“.154 damaligen Landkreises Eschwege forderte Auf der Rückseite dieser Aktennotiz fin- die Gestapo vertraulich zur Berichterstat- det sich eine Stellungnahme zur politischen tung über die dabei angerichteten Schäden Vita Fehrs aus der Verwaltungsabteilung des auf.151 Bürgermeister Fehr berichtete einige Landratsamts zur Vorlage beim Landrat und Tage später, die Anweisung, vom Wieder- bei der Personalabteilung. Darin heißt es, aufbau der im Innern zerstörten, aber nicht Fehr sei „von Haus aus links eingestellt. Bei abgebrannten Synagoge abzusehen, werde der Machtübernahme 1933 mußte er der „beachtet“. „Anzeigen wegen Diebstahl u. Partei [NSDAP] beitreten. Er erklärte aber Plünderungen“ seien nicht erstattet worden. damals dem Prinzen Wilhelm von Hessen,155 „Mehrere Juden“ beabsichtigten auszuwan- der auch Gemeindevertreter und begeister- dern, wann genau, sei noch unklar. Die Fens- ter Nationalsozialist war und ihn auch zum terscheiben der jüdischen Schule seien de- Eintritt in die Partei bewegte, gelegentlich moliert und „2 jüdische Geschäfte zerstört“. in meiner Anwesenheit folgendes: „Gut, Jüdische Wohnungen seien nicht verbrannt, ich werden [sic] äußerlich Nationalsozialist doch wurde die Inneneinrichtung der Woh- werden, aber innerlich bleibe ich rot.“ Fehr nung des jüdischen Lehrers „teilweise zer- hat in der ganzen Zeit seine Amtsgeschäfte stört“: „Bei acht weiteren Wohnungen sind in völliger Unparteilichkeit geführt und war bezw. wurden fast alle Fensterscheiben de- bei den Nationalsozialisten gar nicht beliebt, moliert.“ Die Sachschäden ließen sich nicht hatte vielmehr sehr viel [sic] Anfeindungen 180 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 zu erfahren. Die Partei hätte ihn am liebsten den Verhandlungen um den Herleshäuser abgesetzt, wenn sie einen geeigneten Ersatz Grundbesitz eines Ehepaars namens Adler, gehabt hätte. Charakterlich kann man ihm den er für seine Gemeinde dringlich erwer- das beste Zeugnis ausstellen, er hat nur die ben wollte.166 Im Jahr 1941 schloss Fehr für Interessen der Gemeinde wahrgenommen.“ die Gemeinde Herleshausen einen Kauf- Dem Rückblick schloss sich eine Ein- vertrag mit Baruch Neuhaus167 ab,168 au- schätzung zu Fehrs Ansehen im Mai 1945 ßerdem spielte er eine Rolle beim Verkauf an: „Der überwiegende Teil der Bevölkerung eines „Judengrundstück[s] in Herleshausen steht geschlossen hinter ihm […].“156 an die Reichsautobahn“ und beim „Schen- Wenn dies so war, dann gewiss nicht kungsvertrag der Eheleute Bachrach169, Her- deswegen, weil er Gegner des Nationalso- leshausen, mit dem Sohn des Walter Voigt“ zialismus war. Denn jene, die tatsächlich in Eisenach. 1942 erreichte ihn eine Auffor- Widerstandskämpfer waren, hatten unter derung vom Finanzamt, dazu Stellung zu den Deutschen gleich nach Kriegsende kei- nehmen.170 Als Anfang 1942 der Verkauf des nen leichten Stand. Und wenngleich vie- „Judenhauses Bachrach“ an Friedrich Brack les darauf hindeutet, dass Fehr rassistische aus Archfeld anstand, sollte Bürgermeister Überzeugungen, welchen der Großteil sei- Fehr zunächst die Frage beantworten: Wohnt ner Parteigenossen anhing, nicht teilte, so Bachrach z. Zt. noch dort?171 Später im Jahr war er als Bürgermeister Herleshausens an erwarb die Gemeinde das „Judenhaus Karl der Ausplünderung der Herleshäuser Opfer Ochs, Herleshausen, am Anger 2“172 – nach- des nationalsozialistischen Judenmords et- dem der Viehhändler in oder bei Riga er- liche Male beteiligt. 1938/39 wirkte er, wie mordet worden war, aber ehe seine minder- erwähnt, daran mit, dass die NSDAP-Orts- jährige Tochter und Erbin in den besetzten gruppe Herleshausen sich mit Unterstützung Niederlanden von den Verfolgungsbehörden von Kreisleiter Weiß die Herleshäuser Syn- aufgespürt worden war. agoge aneignete.157 Die Gemeinde erwarb am 20. März 1939 Grundbesitz vom Jüdi- schen Kultusverein.158 Auch der Bäcker Aron Was ist geblieben von Rosel Müller und Joseph Neuhaus verkauften der Leschziner und ihren Angehörigen? Gemeinde am 25. Januar bzw. am 25. Juli 1939 ein Grundstück.159 Wenig erinnert heute an die im Natio- Im gleichen Jahr kam es zu einem „Kauf- nalsozialismus verfolgte Herleshäuser Fa- vertrag [zwischen] Wolf160 und Ritter“.161 milie Wolf. Für Rosel Leschziner geb. Wolf 1940 suchte der Bürgermeister die „Ge- gibt es nicht einmal einen Grabstein. Denn nehm. in der Grundstückssache Mathilde als die jüdischen Deutschen in den Tod ver- Sara Nußbaum162 / Eheleute Eisenbahner schleppt wurden, ist auch ihr Jüdischer Fried- Friedrich Christian Knierim“ zu erreichen, hof zweckentfremdet worden. Dort wurden wogegen der Kreiswirtschaftsberater Brill andere Ausgegrenzte, „kriegsgefangene Rus- keine Bedenken hatte.163 Im Juni 1940 be- sen“, begraben, die im ehemaligen Reichs- mühte er sich um die „Genehmigung zum autobahnlager, das damals als „Teillazarett Ankauf eines Grundstücks v. dem früheren des Reservelazaretts für Kriegsgefangene in Viehhändler Salomon Müller II164 früher Eisenach“ genutzt wurde, untergebracht wa- Herleshausen“, der im März 1939 zu sei- ren; bis 22. Juli 1942 waren es 31,173 und bis ner in die Niederlande ausgereisten Tochter Januar 1943 waren schon 84 Verstorbene auf geflohen war und sich bei ihr aufhielt.165 diesem „Sonderfriedhof“ für „hoffnungslos Fehr war neben dem Fabrikanten Brill und erkrankte sowjetrussische Kriegsgefangene“ Kreisbauernführer Walter auch beteiligt an begraben worden.174 Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 181

Nachdem Fehr seinen Abschied genom- gereist war, ihren Erbanspruch hatte geltend men hatte, bat der Regierungspräsident das machen können, verkaufte sie das Anwesen Hessische Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden Hainertor 15 zu Beginn der 1950er-Jahre an im Oktober 1956 vertraulich um Übersen- den Vertriebenen Richard Lehmann. Es dien- dung der Spruchkammerakten, da der Alt- te dann mehreren Familien als Wohnhaus. bürgermeister mit dem Verdienstorden der In den 1950er-Jahren war im Hinterhaus Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet von Seligmann Wolf ein Ladengeschäft – der werden sollte.175 Die Verleihung erfolgte „Kramladen“ von Heinz Sgodda.179 1973 hat allerdings erst im Jahr 1967, nachdem der man die alten Gebäude abgebrochen und Hessische Innenminister am 5. Januar 1967 durch einen Neubau mit Werkstatt ersetzt. die Staatskanzlei gebeten hatte, dem Bun- Im Jahr 2013 kam es doch noch zu einem – despräsidenten vorzuschlagen, u. a. Karl längst überfälligen – Gedenken, als für Rosel Fehr mit dem Verdienstorden auszuzeich- und ihre Eltern drei Stolpersteine verlegt nen. Die Begründung hob auf dessen stan- wurden.180 desamtliche Tätigkeit ab: Er hatte alle To- Die nachträgliche Würdigung der Familie desfälle im Gefangenenlager standesamtlich verdankt sich also einer verdienstvollen lo- beurkundet, sodass der Volksbund Deutsche kalen Gedenkinitiative „von unten“.181 Kriegsgräberfürsorge den Angehörigen in der Sowjetunion darüber nachträglich Mit- teilung machen konnte.176 Angefügt ist hier Was bleibt zu tun? auch eine Beurteilung der historischen Rol- le des Bürgermeisters Fehr: „Herr Fehr war Das Schicksal derjenigen jüdischen Deut- Mitglied der NSDAP seit 1.5.1933. Er ist je- schen, die mit körperlichen oder geistigen doch niemals politisch aktiv hervorgetreten. Beeinträchtigungen lebten, ist bislang kaum Er hat vielmehr während seiner Amtszeit als erforscht, selbst mit Bezug auf die Grundla- Bürgermeister insbesondere die jüdischen gen: Wie viele gab es überhaupt? Wie glie- Mitbürger vor Verfolgungsmaßnahmen ge- derten sie sich auf – nach Alter, nach Wohn- schützt, soweit ihm dies möglich war. Von orten in Stadt oder Land, nach Geschlecht, der Spruchkammer wurde er in die Gruppe nach Art und Schwere der Behinderung, der Entlasteten eingereiht.“177 nach ihrem Bildungsstand? Wie stand es um Von heute aus ist festzustellen: Karl Fehr ihre Chancen, ihrer doppelten Diskriminie- bewahrte sich ein gewisses Maß an Mit- rung in Hitler-Deutschland – zeitweise oder menschlichkeit – auch gegenüber jenen, auf Dauer – zu entgehen? welche ausgestoßen waren. Und bei der Be- In den deutschen Gedenkstätten hat man freiung Otto Nölkers fand er Mut, die (im- sich bemüht, die Religionszugehörigkeit der merhin illegalen) Umtriebe der radikalanti- NS-Opfer in den vormaligen Tötungsanstal- semitischen NSDAP-Mitglieder im Ort zu ten, einschließlich der sog. Mischlinge, zu unterlaufen. Ihnen entgegengetreten ist er bestimmen. Doch liegen weitergehende In- nicht. formationen darüber, wie viele Personen mit Das Anwesen der Familie Seligmann Wolf körperlichen Beeinträchtigungen dazu zähl- wurde 1945 von Julius Neuhaus (1893– ten, bislang meist nicht vor. 1958), der als einziger Jude aus Herleshau- Dieser Aufsatz versteht sich als kleiner sen den Nationalsozialismus am Ort über- Beitrag zu einer umfassenderen Aufarbei- lebte, treuhänderisch verwaltet. Nachdem tung der zivil- und kriegsblinden und der eine Tochter von Rosel Leschziners Kusine, sehbehinderten jüdischen Deutschen. Nur Ruth Robinson geb. Katzenstein178 (1915– wenige Lebensläufe lassen sich rekonstruie- 2013), die im Jahr 1934 nach Palästina aus- ren, und sie sind nicht repräsentativ für die 182 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Gesamtheit der Betroffenen.182 Kriegsblin- 1942 über den Antrag eines Herleshäuser de des Ersten Weltkriegs waren im Dritten Kriegsblinden. Wilhelm Müller188 war of- Reich unter jenen mit körperlichen Beein- fenbar angesichts der „Euthanasie“-Morde trächtigungen zweifellos bevorzugt, und dies alarmiert und wollte erreichen, dass in sei- scheint sich im Sinne einer größeren Über- ner Heiratsurkunde und in den Geburtsur- lebenschance auch auf die kriegsblinden jü- kunden seiner Kinder „eingetragen werde, dischen Deutschen erstreckt zu haben. Doch daß er Kriegsblinder sei“. Dazu bemerkte wurden auch sie deportiert. Dies widerfuhr Georg Freiherr von Müffling189 vom Regie- etwa Dr. Norbert Stern, der am 21. Juli 1942 rungspräsidium in Kassel am 5. Oktober in seiner Münchner Wohnung verhaftet und 1942: „Müller will offenbar im Hinblick nach Theresienstadt verschleppt wurde, wo auf das Gesetz zur Verhütung erbkranken er 1070 Tage bis zu seiner Befreiung blieb. Nachwuchses mit dem gewünschten Ver- Seiner zurückgelassenen Habseligkeiten be- merke beweisen, daß er nicht an erblicher raubte man ihn, als sie versteigert und „in alle Blindheit leidet.“ Er erklärte sich damit ein- Winde zerstreut“ wurden.183 Auch der (zivil-) verstanden, wenngleich „das Gesetz einen blinde Breslauer Blindenfürsorger Dr. phil. solchen Vermerk eigentlich nicht vorsieht“: et jur. Ludwig Cohn (1877–1962) überleb- Sofern sich der Standesbeamte bereitfin- te Theresienstadt, doch seine Frau starb im de, „den Eintrag (zweckmäßig neben der KZ. Cohn lehrte vor 1933 an der Universi- Unterschriftsklausel) vorzunehmen, wird tät seiner Heimatstadt, dann in Prag und in man ausnahms weise darüber hinwegsehen Wien, später auch an anderen europäischen können […].“190 Bei dem Heiratseintrag Hochschulen.184 1940 fand er Zuflucht in den von Wilhelm und Elise Müller geb. Schäfer Niederlanden, gestorben ist er in Rotterdam. (*1898) vermerkte am 1. Oktober 1942 der Frühen Kontakten ins benachbarte Ausland Standesbeamte Karl Fehr: Müller ist Kriegs- verdankte auch Dr. Willi Breslauer (*1897) blinder. sein Überleben. Der 1925 in Marburg im Jüdische Deutsche konnten im Dritten Fach Jura Promovierte lebte in Nizza als selb- Reich mit so viel Verständnis nicht rechnen. ständiger Kaufmann, ehe er sich nach 1945 – Schließlich waren sie in den Augen der Nati- zum Masseur umgeschult – im Saargebiet onalsozialisten mit einem untilgbaren Makel niederließ. 1968 starb er in St. Wendel.185 belastet – den von ihren Vorfahren ererbten Über Nichtakademiker ist weniger be- jüdischen Rassemerkmalen. Umso schlim- kannt. Der mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse mer, wenn sie noch wegen anderer Gebre- ausgezeichnete kriegsblinde Metzger Louis chen ins Visier der NS-Verfolgungsbehörden Stern (*1891) in Abterode, Kreis Eschwege, gerieten. Der Heinebacher Händler Julius ging mit seiner Frau Gertrud Stern geb. Wallach (*1882) und seine Frau Golda geb. Fackenheim (*1898) und seiner 1931 gebo- Rosenbaum (*1889) waren seit 1922 Eltern renen Tochter Gisela186 1940 nach Frankfurt einer Tochter, die wegen Down-Syndroms – am Main, nachdem er den Großteil seines zeitgenössisch als „Mongoloidie“ bezeich- Besitzes am Heimatort verkauft hatte.187 net – als schwachsinnig galt.191 1930 bemüh- 1942 wurden sie zu dritt nach Theresienstadt ten sich die Eltern darum, dass Margot in die verschleppt. Nach der Befreiung waren sie Landestaubstummenanstalt in Homberg/Efze zunächst wieder in Frankfurt, im Mai 1946 aufgenommen würde.192 Ende 1941 gehörte schickte das Ehepaar seine Tochter in die sie mit ihren Eltern zu jenen jüdischen Deut- USA, im Herbst 1947 gelang es auch ihnen, schen aus Hessen, die nach Riga in den Tod in die USA auszuwandern. deportiert wurden. Nach Herleshausen zurück führt eine Menschen wie Margot Wallach und die- Äußerung des Landrats vom 28. September jenigen, die für sie Verantwortung übernah- Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 183 men, ob Eltern, Geschwister oder sonstige 5 Ebd. Weitere Zahlenangaben im Histo- Verwandte, hatten unter dem Nationalsozi- rischen Ortslexikon: https://www.lagis- alismus denkbar geringe Überlebenschan- hessen.de/de/subjects/rsrec/sn/ol/register/ cen, weil sie Hitlers Machtbereich nicht ort/entry/636005050:herleshausen. verlassen konnten. Andernorts Zuflucht zu 6 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 1523, Bl. 144, finden war für Blinde, stark Sehbehinderte 150. oder Taubstumme umso schwerer, als man 7 Kollmann/Wiegand, Spuren einer Minder- außerhalb des Dritten Reichs an ihrer Ein- heit. Judenfriedhöfe und Synagogen im wanderung kein Interesse hatte. Sie erfüllten Werra-Meißner-Kreis, Kassel 1996, S. 24 f., nicht die im Ausland geltenden Kriterien für 92 f.; Klaus-Dieter Alicke, Lexikon der jü- die Aufnahme von Verfolgten und Flücht- dischen Gemeinden im deutschen Sprach- lingen, konnten aufgrund der nationalso- raum. 3 Bde., Gütersloh 2008, hier Bd. 2, zialistischen Ausplünderungsmaßnahmen Sp. 1850 f. auch keine Vermögenswerte vorweisen. So 8 Bürgermeister Fehr teilte dem Landrat am war jenen, die aufgrund der damaligen eu- 22.7.1942 mit, dass der Regierungspräsi- genischen Vorstellungen aus der deutschen dent den „Judenfriedhof“ am 18.12.1940 „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen wur- geschlossen habe; HStAM, 180 Eschwege, den, die Auswanderung praktisch verwehrt. Nr. 6139. Das Schicksal dieser Menschen ist heute im- 9 Siehe Erich Schwerdtfeger, Die jüdischen mer noch weitgehend vergessen. Gemeinden in Herleshausen und Nessel- röden, Herleshausen 1988, S. 106 f., 111. 10 Etwa zur gleichen Zeit eröffnete Paula Anmerkungen Bacharach (1901–1944), die am Fröbelse- minar in Kassel ausgebildet worden war, 1 Ich danke Herrn Helmut Schmidt, Herles- einen Kindergarten in Eschwege, der von hausen, für Mitteilungen zu einigen der 1924 bis Ende der 1920er-Jahre bestand; hier genannten Personen. nach ihrer Heirat mit Willy Löwenstein 2 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 191. und der Geburt der Tochter 1929 pau- 3 Siehe Anna Maria Zimmer, Juden in sierte sie, ehe sie Mitte der 1930er-Jahre Eschwege. Entwicklung und Zerstörung wieder einen Kindergarten – allein für jü- der jüdischen Gemeinde – von den An- dische Kinder – gründete, den sie in einem fängen bis zur Gegenwart, Eschwege Zimmer ihrer Wohnung unterbrachte, bis 1993; Karl Kollmann, Thomas Wiegand, sie diese 1937 für eine kleinere aufgeben Spuren einer Minderheit. Judenfriedhöfe mussten; Bettina Leder u. a., Ausgeplün- und Synagogen im Werra-Meißner-Kreis, dert und verwaltet, S. 56–59. Kassel 1996; Karl Kollmann, York-Egbert 11 Schwerdtfeger, S. 106, 108. König, Namen und Schicksale der jüdi- 12 Pfarrchronik der ev. Kirchengemeinde schen Opfer des Nationalsozialismus aus Herleshausen, S. 57 f. Freundliche Mittei- Eschwege. Ein Gedenkbuch, Frankfurt/M. lung von Helmut Schmidt, Herleshausen. 2012. Fünf mit der Stadt Eschwege ver- 13 HStAM, 302, Nr. 973. Die Einrichtung hat- bundene Familiengeschichten stellen vor te einen Vorstand, der vom deutschnatio- Bettina Leder, Christoph Schneider, Katha- nal eingestellten Pfarrer Münch angeführt rina Stengel, Ausgeplündert und verwal- wurde. tet. Geschichten vom legalisierten Raub 14 Erst als Pfarrer Münch eine Kindergärtne- an Juden in Hessen, Berlin 2018, S. 32– rin aus dem Kindergärtnerinnenseminar 59, 65–69. des Kasseler Diakonissenhauses gewinnen 4 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082. konnte, zeigte sich, dass viele Eltern nun 184 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

doch ein großes Interesse an der Einrich- vom 1.4.1938 in Hünfeld eingesetzt; am tung eines Ev. Kindergartens hatten. Dieser 1.10.1945 auf Anordnung der Militärre- wurde im Mai 1937 durch die NSV über- gierung aus dem Dienst entlassen; durch nommen, sodass die Herleshäuser Kinder Spruchkammer-Entscheid in Hünfeld vom wieder eine neue Erzieherin erhielten. 12.7.1946 den Mitläufern zugeordnet. 15 Bekanntmachung für die Wochenzeitung Seinem Bericht vom 8.10.1945 zufolge „Der Südringgau“, Nr. 34 vom 22.8.2013 waren während seiner Stationierung „[i]n (bis 2017 im Netz abrufbar unter http:// Herleshausen […] noch mehrere Juden- www.herleshausen.de/Stolper/05_Wolf-S. familien ansässig, gegen die wiederholt pdf). grober Unfug verübt wurde. Da es nun 16 Erich Leschziner (*19.8.1904, Roßberg bei nicht in meinem Charakter lag, mit zwei- Beuthen), Metzger. Er ist im Gedenkbuch erlei Maß zu messen, brachte ich die Übel- des Bundesarchivs nicht aufgeführt, also täter zur Anzeige. Daraufhin wurde ich in möglicherweise beizeiten ausgewandert. einer geheimen Sitzung der Amtswalter Der Nachname Leschziner war seinerzeit als ,Judenfreund‘ bezeichnet, was mir der in der jüdischen Bevölkerung Schlesiens damalige Bürgermeister Karl Fehr vertrau- verbreitet. lich mitteilte.“ 1946 war Laubert wieder 17 So Bürgermeister Fehrs Mitteilung an den als Gendarmeriemeister in Hün feld tätig; Landrat vom 14.5.1936; HStAM, 180 HStAM, 401 Nr. 2/107. Eschwege, Nr. A 972, Bl. 4; siehe auch 23 Joseph Neuhaus (*1870) wurde im Jahr Nr. A 801. 1924 einstimmig zum Schöffen gewählt; 18 Schwerdtfeger, S. 106. noch bei den Kommunalwahlen im März 19 Der Kampfbund gegen den Faschismus 1933 erhielt er, der mit einer eigenen Lis- war eine 1930 gegründete, mit der KPD te angetreten war, einen Sitz, durfte sein verbundene Nachfolgeorganisation des Mandat in der nazifizierten Gemeindever- verbotenen Rotfrontkämpferbundes. Er tretung Herleshausens aber nicht antreten. sollte auf legalem Boden den National- Siehe HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 809; sozialisten öffentlich sichtbar entgegen- Kollmann u.a., Herleshausen in der Zeit treten. Er hatte rund 100.000 in 1658 des Nationalsozialismus, S. 205. Im Okt. Ortsgruppen und 109 Betriebsstaffeln auf- 1939 floh er zu seinem Sohn Arthur in geteilte Mitglieder. den Niederlanden, wo er im August 1941 20 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 1280, starb. Arthur Neuhaus wurde am 2.3.1943 Bl. 238+RS. im Vernichtungslager Sobibór ermordet. 21 Siehe Karl Kollmann unter Mitarbeit von 24 Kallmann genannt Karl Ochs (*1896) Thomas Lehmann, Franziska Mayer und und Recha Ochs geb. Hirnheimer Helmut Schmidt, Herleshausen in der Zeit (*1900) wohnten 1933 mit ihrer Tochter des Nationalsozialismus, in: Herleshausen Rosi (*1929) Am Anger 2; HStAM, 180 1019–2019, Eschwege 2019, S. 205–246. Eschwege, Nr. 2082, Bl. 112RS. Das Ehe- 22 Wilhelm Laubert (*1888, Hümme Krs. paar wurde im Dez. 1941 nach Riga in Hofgeismar), Gendarmeriebeamter; den Tod deportiert. Auch Rosi Ochs er- 1.5.1937 NSDAP-Eintritt (Nr. 4197763); mordeten die Nationalsozialisten: Sie war 1906–1919 beim Dragoner-Regt. Nr. 5 seit 1938 in den Niederlanden, wurde im Hofgeismar, 1914–1918 Kriegsteilnahme Februar 1943 verhaftet und im Mai 1943 an West- und Ostfront; 1919 Landjäger, aus dem Sammellager Westerbork in das 1924 Oberlandjäger, 1.5.1938 Gendar- Vernichtungslager Sobibór deportiert. meriemeister; von 1923 an in Wolfhagen, 25 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 201– vom 1.11.1934 an in Herleshausen und 203. Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 185

26 Berthold Schneider (*1878, Neu Borui Krs. mit seiner Ehefrau Emilie geb. Moosberg Bomst), Verwaltungsbeamter; 5.11.1932 (*1863) nach Theresienstadt deportiert, wo NSDAP-Eintritt (Nr. 1541781), später als sie im Okt. 1942 umkamen. Kreisamtsleiter „Beauftragter“ der NSDAP 35 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 246, im Kreis Eschwege; 1918 in 2. Ehe verhei- 10.1.1936. ratet mit Käthe Luther, mit der er 2 Kin- 36 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 244. der hatte (insgesamt 8), 1919 kam er als 37 Schwerdtfeger, S. 108. Flüchtling aus Wreschen nach Eschwege, 38 Otto Nölker lebte damals als Hausdiener 1932 im Landratsamt u. a. mit der Bear- in der Luisenstr. 49 IV, später in der Lang- beitung der Jugendpflege beauftragt, spä- gasse 16. ter auch Stellvertreter des Landrats; im Juni 39 Adelheid (genannt Alice) Müller (*1909, 1945 entlassen und verhaftet, wohnte er Herleshausen), Tochter des Kaufmanns von Okt. 1945 an in Grebendorf. Isidor Müller und seiner Frau Marianne 27 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 201– geb. Wertheim. Sie hatte kurz zuvor ihre 205RS. Verlobung mit einem jungen Mann aus 28 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 213, Eisenach auflösen müssen. Mit ihren Eltern 23.10.1935. reiste sie 1936 in die USA aus, wohin ihr 29 Otto Winterfeld (*1890, Allenstein/Ost- jüngerer Bruder Max schon 1933 gegan- pr.), Gendarmeriebeamter; 1.4.1933 gen war. Kollmann u. a., Herleshausen in NSDAP-Eintritt (Nr. 1804407), 1934 der Zeit des Nationalsozialismus, S. 217 ff. Reichskolonialbund, 1937 NS-Reichskrie- 40 Heinrich Salzmann (1895–1978), Bau- gerbund; 1914–1919 im Infanterieregi- techniker; 1.2.1932 NSDAP-Eintritt (Nr. ment 172 in Neubreisach/Elsass, danach 964539), von April 1935 an NSDAP-Orts- bei der Polizei in Kassel, von 1923 an gruppenleiter in Herles hausen; stammte bei der Landjägerei in Grebendorf, spä- aus Lauchröden/Thüringen, 1922 Heirat ter in Jestädt, 1925 Heirat mit Else Völker mit Martha Faust, drei Söhne; 1937/38 (*1907), 2 Töchter, 1928 Oberlandjäger in Lehrer an der Kreisberufsschule Eschwe- Abterode im Kreis Eschwege, spätestens ge; HStAM, 180 Eschwege, Nr. 5555. 1936 dort Gendarmerie-Hauptwachtmeis- Nach 1945 wieder in Herleshausen. ter, 1941 Gendarmeriemeister, 1943 in 41 Eschweger Tageblatt, 29.8.1935. Oberdünzebach Preisüberwachungsbeam- 42 Solche Ausschreitungen hatte es bereits ter für den Kreis Eschwege; am 31.8.1945 im Sommer 1933 gegeben, siehe dazu auf Anordnung der Militärregierung entlas- Michael Wildt, Volksgemeinschaft als sen; HStAM, 401, Nr. 2/134. Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden 30 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 216. in der deutschen Provinz, 1919–1939, 31 So am 1.11.1935 Neumeyer in Nessel- Hamburg 2007; siehe auch Klaus-Peter röden, ebd., Bl. 215, Fischer in Fran- Friedrich, Zur Auswanderung gezwungen: kershausen, Bl. 222, und Bürgermeister Jakob Spier aus Marburg, in: Von der Aus- Beuermann in Eschwege, Bl. 217. grenzung zur Deportation in Marburg und 32 So etwa Thöne in Niederhone, ebd., im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Neue Bl. 215, und Wicke in Reichensachsen I, Beiträge zur Verfolgung und Ermordung ebd., Bl. 229. von Juden und Sinti im Nationalsozialis- 33 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 224. mus. Ein Gedenkbuch, S. 331–336, 519– 34 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 243, 522; ders., Ein dunkles Kapitel Marbur- 17.12.1935. Moritz Neuhaus (*1861), der ger Geschichte. Ein Marburger Foto und als Getreidehändler gearbeitet hatte, lebte seine Geschichte: Jakob Spier wurde am in der Sackgasse 2. Er wurde im Sept. 1942 26. August 1933 durch die Straßen unserer 186 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Stadt getrieben, in: Oberhessische Presse, Oberregierungsrat im Preußischen Finanz- 26.8.2014, S. 5. ministerium; 1929 Landrat im Kreis Nei- 43 Siehe unten. denburg, 1932 im Kreis Eschwege, 1936– 44 Freundliche Mitteilung von Helmut 1945 im Landkreis Trier; 1949–1958 Leiter Schmidt, Herleshausen, 10.11.2018, auf- der Landesvermögensverwaltung Rhein- grund der Befragung von Zeitzeugen. land-Pfalz in Koblenz. Im Aug. 1950 war 45 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Ver- er unter den Unterzeichnern der Charta waltungsstreitverfahren der Frau Rosel der deutschen Heimatvertriebenen. Leschziner geb. Wolf in Herleshausen 55 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 7. gegen den Kommissar zur Wahrnehmung 56 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 12. des öffentlichen Interesses wegen Erteilung 57 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, der Erlaubnis zum Betrieb eines Fremden- Bl. 14+RS. heims 1936–1938. 58 Ernst Ledermann (*1900), 1939 Flucht 46 Ebd., Bl. 1. nach England, später war er in den USA. 47 Ebd. https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Stol- 48 Karl Keitel (1875–1956), Verwaltungs- perstein_Gartenstraße_34,_Gotha-Ernst_ beamter; 1.5.1933 NSDAP-Eintritt (Nr. Ledermann.JPG. 2868030). 59 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 17, 49 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 3, 30.9.1936. 28.4.1936. 60 Dr. Leopold Oppenheim (1887, Kassel – 50 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 4, 1972, Großbritannien); 1906 Jura-Studium 14.5.1936. in Freiburg, dann in München, von 1908 51 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 5, an in Marburg; dort 1912/13 Promotion 23.6. und 9.7.1936. bei Ludwig Traeger und Ernst Heymann, 52 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 6, 1916 in Kassel Heirat mit Gertrud Lieberg 11.7.1936. (*1889), 2 Kinder; 1915 Assessor, ab 1919 53 Eduard Weiß (1901–1991), Diplomland- Rechtsanwalt in Kassel, von 1924 an auch wirt; 1933–1945 NSDAP-Kreisleiter im Notar, 1938 Berufsverbot als Rechtsan- Kreis Eschwege. Er beteiligte sich an der walt, danach bis Jan. 1939 „Konsulent“; Wegnahme jüdischen Eigentums: Am am 24.8.1939 floh er mit seiner Familie 12. Januar 1939 schickte er dem Landrats- nach Großbritannien. amt einen „Kaufvertrag über den Ankauf 61 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 18– der Synagoge in Herleshausen durch die 20, 12.10.1936. Ortsgruppe Herleshausen“ zu; der Jüdi- 62 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 17, sche Kultusverband Niederhessen (Kassel) 12.10.1936, und Bl. 24, 23.10.1936. fragte daraufhin am 7.6.1939 beim Land- 63 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, rat an, „ob die Synagoge Herleshausen an Bl. 25RS, 3.11.1936. Private verkauft werden darf“ und wand- 64 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, te sich am 11.8.1939 noch einmal ans Bl. 26RS, 31.10.1936. Landratsamt mit Bezug auf „Grundstück 65 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 28, Herleshausen Synagoge“; HStAM, 180 16.11.1936. Eschwege, Nr. 6304, Pos. 62, 465, 667. 66 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 31, 54 Dr. Philipp Deichmann (1889–1962), Ver- 16.12.1936. waltungsjurist; 1.4.1933 NSDAP-Eintritt; 67 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 29– Jura-Studium in Freiburg, 1912 Promotion 30, 15.12.1936. in Marburg, 1919 Regierungsassessor in 68 Leo Feldt (1888, Flensburg – 1978), Ver- Gumbinnen, 1922–1928 Regierungs- und waltungsbeamter; Mitglied des Stahlhelm, Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 187

1.10.1933 SA- und 1.5.1937 NSDAP-Ein- 74 Karl-Heinz Exter (*1902), Apotheker; 1926 tritt; Schulausbildung in Kassel, dann NSDAP-Eintritt; 1927 Pharmazie-Studi- schwere Kriegsverletzung, Jurastudium an um in Königsberg, 1930 Staatsexamen, 5 Universitäten, danach bis 1922 Landrich- 1932–1945 NSDAP-Kreisleiter im Kreis ter in Rudolstadt, 1922 zog er nach Kassel Homberg bzw. Fritzlar-Homberg, 1933 (wo der Vater wohnte), Regierungsrat im Mitglied des Kurhessischen Kommunal- Regierungspräsidium Kassel; von 1932 landtags und Stadtrat in Homberg/Efze, an nebenamtlich staatlicher Kommissar 1934 Kreisjägermeister; 1947 bei der Ent- beim Vorsteheramt der Israeliten in Kassel nazifizierung der Gruppe II (Aktivisten), (HStAM, 180 Hofgeismar/4132), 1935/36 dann der Gruppe III (Minderbelastete) zu- Leiter des „Judenreferats“, 1936 Oberre- geordnet. gierungsrat, 1944/45 Regierungsvizeprä- 75 Julius Goebel (1890–1948 [Selbstmord sident; bei der Entnazifizierung den Mit- im Internierungslager]), Küfer, Fassfabri- läufern zugeordnet; nach 1945 war er im kant; 1929 NSDAP-Eintritt (Nr. 201158); RP Kassel bis 1953 Justiziar der Abteilung 1914–1918 Kriegsteilnahme, Mitinhaber für Kirchen- und Schulwesen. Laut der Ta- der Firma G.A. Goebel & Co., Führer der gesordnung für die Landratskonferenz am Ortsgruppe der NSDAP in Großalmerode, 27.1.1939 referierte er bei einer „Bespre- 1932–1936 Kreisleiter im Kreis Witzen- chung über die Lage der Maßnahmen gegen hausen, 1933 Kreisdeputierter im Kreis die Juden“ (HStAM, 180 Hofgeismar/3554, Witzenhausen, 1934–1945 Bürgermeister Bl. 269); am 20.2.1939 erließ er Richtlini- von Hess. Lichtenau, fungierte als Stellver- en für „den Einsatz jüdischen Vermögens“ treter des Landrats; 1948 bei der Entnazifi- (HStAM, 180 Bad Wildungen/1231, Bl. 65). zierung den Hauptschuldigen zugeordnet. 69 Dr. Heinrich Reinhardt (*1894, Kassel), 76 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, 1923 NSDAP-Eintritt; von 1933 an Leiter 11.3.1937. der Ärztekammer in Kurhessen, 1933– 77 Es geht um das Gaststättengesetz vom 1936 und 1942–1944 Kreisleiter und stell- 28.4.1930 (RGBl. I S. 146). vertretender Landrat im Kreis Melsungen, 78 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, von 1937 an Gauamtsleiter im Amt für 9.7.1937. Volksgesundheit, 1940–1942 Stabsarzt; 79 Heute Ortsteil von Westerkappeln (platt- 1948 bei der Entnazifizierung den Haupt- deutsch Kappeln) im Kreis Steinfurt im schuldigen zugeordnet. heutigen Nordrhein-Westfalen. 70 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 37, 80 Damalige Anschrift: Westerbeck 74 , heu- 14.1.1937. te Westerbeck, Zum Düsterdiek 5. Die 71 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Ausbildungsstätte war von 1933 bis 1938 Bl. 37RS– 39, 14.1.1937 und 15.1.1937. in Betrieb und wurde von mehr als ein- 72 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, Bl. 40. hundert Jüdinnen und Juden aus verschie- Das Schreiben ist unterzeichnet vom da- denen Orten Deutschlands (und zwei aus maligen stellvertretenden Regierungsprä- Polen) besucht; siehe Gisbert Strotdrees, sidenten Edwin Flach. Eine Minderheit in der Minderheit. Jüdi- 73 Erich Braun (*1901, Ruhla), Kaufmann; sche Landwirte und Landeigentümer in 1928 NSDAP-Eintritt; 1934–1945 Kreislei- Westfalen von den Emanzipationsgeset- ter im Kreis Rotenburg/Fulda, Stellvertre- zen bis zur nationalsozialistischen „Arisie- ter des Landrats, 1945 auf der Flucht, Jan. rung“ (1800–1939/42), in: Heimatkunde. 1947 Festnahme in Hamburg und Internie- Westfälische Juden und ihre Nachbarn, rung, im Nov. 1947 bei der Entnazifizie- Hg. Iris Nölle-Hornkamp im Auftrag des rung den Hauptschuldigen zugeordnet. Jüdischen Museums Westfalen, Essen 188 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

2014, S. 67–78. Siehe auch ders.: Ein Kib- 87 Siehe HStAM, 180 Eschwege, Nr. 1523, buz in Westfalen, in: Landwirtschaftliches Bl. 150. Wochenblatt Westfalen-Lippe, Nr. 45 vom 88 Das letzte Wort war zunächst unterstri- 6.11.2014, S. 108 f., und https://www. chen, aber offenbar später wieder durchge- juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kib- strichen worden; Einwohnermeldekarte aus buz-in-westfalen/. dem Stadtarchiv Hannover (wie Anm. 84). 81 Dr. Walter Schultz (1874, Lautenberg/ 89 Dr. Weber leitete als Landeskulturrat das Westpr. – 1953), Gymnasiallehrer; 1924 Landeskulturamt beim Oberpräsidenten oder 1925 NSDAP-Eintritt, 1927/28 Gau- der Provinz Hessen-Nassau; HStAM, 180 leiter von Hessen-Nassau-Nord, 1929 Hofgeismar, 14.2.1942, 14.7.1942, und Oberstudienrat, 1933 Erster Kreisdeputier- 180 Ziegenhain, Nr. 6170, 19.6.1941 u. ö. ter im Landkreis Kassel und Gauamtslei- Ihm unterstanden die in einzelnen Kreisen ter im Amt für Kommunalpolitik des Gaus eingerichteten Kulturämter. Kurhessen, 1934–1936/37 Landrat des 90 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6139: Über- Landkreises Kassel-Land, dann bis 1945 sicht über die aus Judenvermögen verwal- Landrat des damaligen Kreises Eschwege; teten Grundstücke (1942–1945). In dem 1945–1948 im Internierungslager Korn- mit dem Aktenzeichen „Ju 359-“ versehe- westheim, danach in Oberhone, schließ- nen Schreiben schloss sich hinter dem Na- lich in Kassel. men Karl Ochs in Klammern die Frage an: 82 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 972, „Ist er Jude?“ 19.8.1938. 91 Als Kreisbauernführer war damals Georg 83 Ebd. Darunter zwei Vermerke; am linken Schreiber tätig. Rand heißt es: „Herrn R. A. Schamberg zur 92 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6139. Vollziehung vorzulegen.“ Darunter heißt 93 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6139, es: „Das Verfahren wegen Entziehung der 16.7.1942. Erlaubnis ist eingeleitet. 26.9.38“ 94 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6139. Der 84 Einwohnermeldekarte zu Paul Rosenthal Kreisbauernführer hatte dessen Einheits- aus dem Stadtarchiv Hannover, 1 HR 03.2 wert zuvor mit RM 98 angegeben. Auch Selekt Juden Kartennummer 5702. ein Grundstück von „Karl Ochs Jude“ 85 Alfred Gottwaldt und Diana Schulle, Die wollte die Gemeinde erwerben, diesmal Judendeportationen aus dem deutschen für RM 240. Reich von 1941–1945. Eine kommentier- 95 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6139. In einer te Chronologie, Wiesbaden 2005, S. 130; mit Bezug auf den entsprechenden „Art. siehe auch Peter Schulze, Die Deportati- 135“ im Herleshäuser Grundbuch ver- on aus Hannover am 15. Dezember 1941, fassten Notiz werden diese Angaben wie- in: Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum derholt und ergänzt: „Eigentümer: Erben deportierten deutschen, österreichischen des Meier Wolf s. Bericht des Bürgerm. v. und tschechoslowakischen Juden, bearb. 10.8.42“. An diesem Tag traf Fehrs zweites von Wolfgang Scheffler und Diana Schul- Schreiben im Landratsamt ein. le, 2 Bde., Bd. 2, München 2003, S. 765– 96 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 5845, 769. 13.12.1942. Der Landrat teilte dem Re- 86 Im Gedenkbuch des Bundesarchivs heißt gierungspräsidenten daraufhin mit, die es unter Rosel Rosenthal (*9.3.1903, Her- Gemeinde habe nur an dem Grundstück leshausen): wohnhaft in Herleshausen am Taggraben ein direktes Interesse; ebd., und Hannover. Deportation: ab Hannover 14.12.1942. 15. Dezember 1941, Riga, Ghetto. Schick- 97 Das Kulturamt unterstand dem Landeskul- sal: für tot erklärt. turamt beim Oberpräsidenten in Kassel; Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 189

es wurde im Kreis Eschwege durch die den Einheitswert von RM 6820 taxiert, der 6. Durchführungsverordnung zur Verord- bauliche Zustand mit „mäßig“ angegeben nung über den Einsatz jüdischen Vermö- (ansonsten wurde der Gebäudezustand gens vom 22.8.1942 (RGBl. I S. 537) „als als befriedigend oder schlecht bewertet). untere Siedlungsbehörde für die Geneh- Das Anwesen wurde damals vermietet, die migungserteilung zur Verfügung über jüdi- jährlichen Mieteinnahmen mit RM 878 sche Grundstücke zuständig“ und musste angegeben. als solche zu „Arisierungen“ jeweils seine 101 Carl Hector (1899–1971), Kunstma- Zustimmung geben; HStAM, Eschwege, ler aus Frauenborn (heute Herleshau- Nr. 6116, 24.6.1943 (Aktenzeichen JU sen); 1.2.1931 NSDAP-Eintritt; Studium 152–5-5-, Gesch. Nr. 2226, „Betrifft: Ari- in Kassel, dann in Erfurt, 1928 Heirat in sierung von Judenland in der Gemarkung Herleshausen, hielt sich auch in Rem- Eschwege“). scheid auf, 1933 Mitglied des Kreisaus- 98 Heinrich Gernandt (1874–1950), Land- schusses in Eschwege, 1940–1945 NS- messer; 1892 Reifeprüfung, danach Land- DAP-Kreisleiter in Ziegenhain, 1944/45 messereleve in Kassel, 1895–1897 Studi- zugleich als Kreisleiter in Hünfeld tätig; um der Geodäsie und Kulturtechnik an Jan. 1948 Entlassung aus dem Internie- der Landwirtschaftlichen Hochschule Ber- rungslager Darmstadt; starb in Herles- lin, danach Landmesser im Staatsdienst in hausen. In Treysa war die Kreisleitung Eschwege, 1905 Heirat mit Wilhelmine Ziegenhain 1940 eigeninitiativ beteiligt an Lotz (1884–1965), 1915–1918 Kriegsteil- der Verfolgung von Dr. Abraham Höxter nahme, von 1929 an leitender Vermes- (*1862), der 1942 in Theresienstadt ums sungsbeamter im Kulturamt Eschwege, Leben kam, und Simon Mathias (*1895), 1939–1945 ständiger Vertreter des Kultur- der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. amtsvorstehers, 1948 in den Ruhestand Verfolgt wurden auch die sie unterstützen- versetzt. den Treysaer „Judenfreunde“ – Schlosser 99 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6116: Er- Fritz May (*1901) und dessen Mutter Anna lasse und Richtlinien zum Verkauf von May (1872–1953); HStAM, 180 Ziegen- jüdischem Grundbesitz 1938–1944, hain, Nr. 6880. 24.6.1943 (Aktenzeichen Ju 93–7-, Gesch. 102 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279 (Karl Nr. 2228). Das Kulturamt Eschwege war Fehr): Protokoll der öffentlichen Sitzung 1942/43 auch im Kreis Melsungen für die der Spruchkammer, 17.9.1946. „Arisierung von Judenland“ sowie über- 103 Herleshausen gehörte zu den Gemeinden, haupt für die „Verwertung“ von „eingezo- in denen Hitler schon bei der Wahl zum genem Vermögen“ zuständig; HStAM, 180 Reichspräsidenten am 13.3.1932 die Stim- Melsungen, Nr. 5182, 15.5.1943 menmehrheit erzielte (während er in den 100 Unter ihnen auch ein „Mietwohngrund- Städten Hindenburg unterlag); HStAM, stück“ von „Handelsmann Karl Ochs“; 180 Eschwege, Nr. 1426. HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6139. Über 104 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 368, Lebens- das Wolf’sche „Mietwohngrundstück“ am lauf. Hainertor 15 „mit Hausgarten und Acker 105 Fehr wurde am 27.6.1924 von den Ge- in dem Tagegraben“ hieß es hier fälsch- meindeverordneten „durch Zuruf einstim- lich, dessen frühere Eigentümer seien mig gewählt“ und am 24.7.1924 auf die gewesen „Viehhändler Meier Wolf und Reichsverfassung vereidigt; HStAM, 180 Ehefrau [sic] Röschen Sara Rosenthal ge- Eschwege, Nr. A 809. schiedene Leschziner geb. Wolf je zur ide- 106 Die Behauptung des Herleshäuser Land- ellen Hälfte“. Es wurde am 18.7.1945 auf wirts Johannes Schwertzel, Fehr sei bei 190 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

seiner Wahl 1924 Mitglied der SPD ge- Hirsch erworben. 1942 war es eines von wesen, trifft nicht zu; HHStAW, Abt. 520/ drei Gebäuden, in die Juden zur Vorberei- Esch, Nr. 279, 9.1.1946. tung der Deportationen hatten umziehen 107 Ich folge den Angaben – laut „Amtlicher müssen. Siehe https://www.gelsenkirche- Kartei der NSDAP“ – im Spruchkam- ner-geschichten.de/wiki/Von-der-Recke- merverfahren; HHStAW, Abt. 520/Esch, Straße (gesehen: 30.10.2018). Nr. 279: Klageschrift vom 20.8.1946. In 118 So finden sich die Namen der drei dort seinem Lebenslauf aus der NS-Zeit gab in der Bahnhofstr. 6 wohnenden Fami- Fehr den 1.4.1933 an. In einem Frage- lienmitglieder auf der Liste des Bürger- bogen gab er ebenfalls dieses Datum an, meisters vom Nov. 1933, darunter die am davor sei er in keiner Partei gewesen. Ei- 16.2.1893 geborene Martha Weinstock. ner mit vom Stand 1.2.1938 erhobenen 119 So bezeichnet sie Weinstock in seinem „Nachweisung“ zufolge war Fehr seit Entschädigungsverfahren; HHStAW, 518, 1.5.1933 in der NSDAP (ebenso wie die Nr. 33290. drei anderen ehrenamtlichen Gemeinde- 120 HHStAW, 518, Nr. 33290: Karteikarte mit beamten); HStAM, 180 Eschwege, Nr. A persönlichen Angaben. Martha Weinstock 368. war mit ihrem Mann und ihrem damals 108 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 368, Lebens- 20-jährigen Sohn nach Riga deportiert lauf. worden; sie kam am 1.10.1944 im KZ 109 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 4152. Stutthof ums Leben. 110 Fehr wurde am 20.1.1946 aus der Haft 121 Weinstock lebte seit September 1936 in entlassen. der Gelsenkirchener Von-der-Reckestr. 3, 111 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279: Melde- im Frühjahr 1950 war er in New York, 801 bogen (Nr. 812), 26.4.1946. Westend Ave. 3 A, im September 1950 in 112 Laut einer Liste mit den Namen „Deut- der Gelsenkirchener Gildenstraße 16, von sche[r] Juden“ in Herleshausen; HStAM, Mai 1952 an wohnte er Auf dem Graskamp 180 Eschwege, Nr. 3119. 87, am 23.6.1952 begab er sich abermals 113 Den Angaben im Wiedergutmachungs- besuchsweise nach New York, kehrte im verfahren von Abraham Weinstock zufol- November 1952 noch einmal zurück, ehe ge handelt es sich um den am 7.3.1921 er am 17.11.1953 nach New York auswan- in Rheine/Ems im Kreis Steinfurt gebo- derte, wo er sich in der Audubon Ave. 228 renen Heinz Weinstock; HHStAW, 518, niederließ. Nr. 33290. Laut dem Gedenkbuch des 122 HHStAW, 518, Nr. 33290. Bundesarchivs sind die Umstände des 123 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 27. Todes von Heinz Joachim Weinstock, der 124 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, mit seinen Eltern am 27. Januar 1942 nach Bl. 23+RS. Riga verschleppt wurde, nicht geklärt. 125 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 47RS. 114 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 25. 126 Vermutlich der Getreidehändler Julius 115 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 31– Neuhaus (*10.6.1893), der in der Sackgas- 32RS, 12.2.1946. se 2 wohnte. Eine weibliche Person namens 116 HHStAW, 518, Nr. 33290. Laut einer Ant- Neuhaus ist auf der Liste des Bürgermeis- wort des Bürgermeisters von Herleshausen ters vom 13.11.1937 nicht verzeichnet; vom 9.2.1962 auf eine Anfrage des Regie- HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2067, Bl. 71. rungspräsidenten Darmstadt war er dort Nach der Liste vom Nov. 1933 wohnte im nicht gemeldet. gleichen Haus seine Tochter Annemarie 117 Dieses Haus in der Gelsenkirchener Alt- Neuhaus (1919–2016) und seine Ehefrau stadt wurde 1920 vom Kaufmann Abraham Wilhelmine geb. Weber (1896–1986). Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 191

Letztere waren in Osnabrück geboren deren Besuch Zwang war, teilnahm oder worden und die beiden einzigen Personen unbedeutende oder rein geschäftsmäßige „katholisch[er] Religion“; HStAM, 180 Obliegenheiten wahrnahm, wie sie allen Eschwege, Nr. 2082. Einer Übersicht „über Mitgliedern vorgeschrieben waren“; http:// den Verkauf der jüdischen Grundstücke“ www.verfassungen.ch/de/bw/wuerttem- zufolge veräußerte Moritz Neuhaus an sei- berg-baden/wuertt-b-befreiungsgesetz46. ne Enkelin Annemarie zum 1.2.1939 sei- htm. nen Grundbesitz; HStAM, 180 Eschwege, 141 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279: Antrag Nr. 6116. des öffentlichen Klägers. 127 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 26. 142 Zu Dr. Rolf Lucas (1916–1980) siehe 128 Die Gastwirtschaft des Fleischermeisters Jochen Lengemann, Bürgerrepräsentation Otto Engel (*1888) in Herleshausen; siehe und Stadtregierung in Kassel 1835–2006, HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 439, A 1227 Band 2, S. 574 f. und 5863. 143 Von solchen ist in der Akte vorher nicht 129 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 47RS– die Rede. 48. 144 In dem Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von 130 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 48. Nationalsozialismus und Militarismus 131 Auch Wilhelm Beck erinnerte sich, dass hieß es: Entlastet ist, wer trotz seiner for- 1936 seitens der NSDAP Fehrs Amtsenthe- mellen Mitgliedschaft oder Anwartschaft bung betrieben worden sei; HHStAW, Abt. oder eines anderen äußeren Umstandes, 520/Esch, Nr. 279, Bl. 47RS. sich nicht nur passiv verhalten, sondern 132 Gendarmerie-Obermeister in Reichen- nach dem Maß seiner Kräfte aktiv Wider- sachsen war Friedrich Müller, der späte- stand gegen die nationalsozialistische re Bezirksoberleutnant der Gendarmerie; Ge waltherrschaft geleistet und dadurch HStAM, 180 Eschwege, Nr. 1518 und Nachteile erlitten hat; http://www.verfas- Nr. 2600. sungen.ch/de/bw/wuerttemberg-baden/ 133 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 47RS. wuertt-b-befreiungsgesetz46.htm. 134 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 1523, Bl. 88. 145 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279, Bl. 51. 135 Der Regierungspräsident teilte dies den Der den Bürgermeister voll entlastende Landräten durch Rundverfügung vom Entscheid wurde am 4.11.1946 rechtskräf- 3.9.1935 mit; HStAM, 180 Marburg, tig. Nr. 4824. 146 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 83, 136 HStAM, 180 Frankenberg, Nr. 3562, Bl. 26. 25.10.1933. 137 HStAM, 180 Frankenberg, Nr. 1593. 147 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2082, 138 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 368: Ge- Bl. 83RS, 30.10.1933. Rosel Leschziner meindebehörden [und deren Personalan- geb. Wolf erscheint auf der Liste von 65 gelegenheiten] zu Herleshausen 1886– Namen in Herleshausen mit dem Geburts- 1940, Bd. 2. datum 15.2.1903, der Berufsbezeichnung 139 HStAM, 180 Eschwege, Nr. A 368, Kindergärtnerin, dem Familienstand „ge- 5.2.1940. schieden“ und der Religionsangabe „mo- 140 In Artikel 12 des Gesetzes Nr. 104 zur Be- saisch“; ebd. Bl. 111–113, hier 112. freiung von Nationalsozialismus und Mi- 148 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2067, Bl. 1RS. litarismus hieß es u. a., Mitläufer sei ins- 149 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2067, Bl. 24. besondere „wer als Mitglied der NSDAP 150 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2067, Bl. 70– oder einer ihrer Gliederungen, ausgenom- 71, 77. men HJ und BDM, lediglich Mitglieds- 151 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 1523, Bl. 69, beiträge bezahlte, an Versammlungen, 14.11.1938. Der stellvertretende Landrat 192 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Schneider reichte dieses Schreiben tags 159 Ebd. darauf an die Bürgermeister in Abterode, 160 Möglicherweise handelt es sich um Julie Datterode, Eschwege, Frankershausen, Wolf (*1874), deren Familie in der Bahn- Herleshausen, Netra, Nesselröden und hofstr. 11 wohnte. Sie bemühte sich An- Reichensachsen weiter und erwarte- fang 1938 von Hannover aus um den te „einen erschöpfenden Bericht“; ebd., Erlass der Hauszinssteuer, und am Ende Bl. 69RS. Aus Datterode teilte Bürgermeis- des Jahres nahm der Regierungspräsi- ter Mengel am 17.11.1938 mit, dass „kein dent zum Verkauf ihres Grundstücks Stel- Sachschaden fraglicher Art entstanden“ lung; 180 Eschwege, Nr. 6238, Pos. 22, sei; ebd., Bl. 72RS. 9.1.1938, und Pos. 506, 20.12.1938. Von 152 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 1523, Hannover aus wurde sie am 23.7.1942 Bl. 78+RS, 19.11.1938. Wie der Landrat der nach Theresienstadt deportiert, wo sie am Gestapo am 23.11.1938 in tabellarischer 15.4.1943 umkam. Aufstellung über die Zerstörungen mitteil- 161 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6304, Pos. 12, te, habe es „verletzte und tote Juden“ auch 3.1.1939. Der Regierungspräsident geneh- in Abterode, Eschwege, Frankershausen, migte den Vertrag am 24.3.1939 (Pos. 271). Netra, Nesselröden und Reichen sachsen 162 Clothilde (auch Mathilde) Nußbaum nicht gegeben; ebd., Bl. 80. (*1889) wohnte in der Hintergasse 16. Sie 153 Führer des HJ-Banns 274/Meißner war unverheiratet; HStAM, 180 Eschwege, war Mitte und Ende der 1930er-Jahre Nr. 2082, Bl. 112RS. Sie wurde im Dezem- Witschakowski, 1940 Stephan; HStAM, ber 1941 nach Riga in den Tod deportiert. 180 Eschwege, Nr. 1234 und Nr. 2082. 163 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6244, Pos. 154 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 4154, B, Bl. 15, 281, 17.5.1940, und Pos. 368, 10.7.1940. Vermerk der Personalabteilung, 2.6.1945. 164 Salomon Müller (*1866) wohnte Ende 155 Prinz Wilhelm Ernst Alexis Hermann von 1937 im Haus Hainertor 3; HStAM, 180 Hessen (1905, Rotenburg/Fulda – 1942, Eschwege, Nr. 2067, Bl. 70. Er war nicht Kriegstod bei Wyschegory in Russland), mehr erwerbstätig, ebd., Bl. 77. Er starb Erbe des Hauses Hessen-Philippsthal- 1941 in Amsterdam. Barchfeld; 1932 NSDAP-Eintritt; lebte 165 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6244, Pos. auf Schloss Augustenau in Herleshausen, 300, 3.6.1940; Nr. 6116. wo er sich mit Forst- und Landwirtschaft 166 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6244, Pos. 338: befasste; von 1939 an Kriegsteilnahme, Der Kreiswirtschaftsberater wandte sich zuletzt als Hauptmann der Wehrmacht, unter dem „Betr. Jude Berth. Israel Adler / https://wikivisually.com/wiki/Prince_Wil- Bgmstr. Fehr, Herleshausen“ am 27.6.1940 helm_of_Hesse-Philippsthal-. Sein jün- an Fehr; siehe auch Pos. 364, wonach die gerer Bruder Alexander Friedrich (1911– Kreisbauernschaft am 10.7.1940 einen 1939), der Epileptiker war, wurde 1937 Kaufvertrag zwischen „Jüdin E. Sara Ad- sterilisiert. ler / Gemeinde Herleshausen“ an die Lan- 156 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 4154, B, deskulturabteilung des Oberpräsidiums Bl. 15RS. Der Verfasser (Name unleserlich) Kassel schickte. Am 21.8.1940 wandte bekannte über sich selbst, er sei „kein Nati- sich Fehr an diese mit der Nachfrage, ob onalsozialist und habe auch der Partei nicht die Genehmigung inzwischen erteilt war, angehört“. Daher sei sein „Urteil über Fehr und erhielt rasch Antwort, Pos. 433 und in der Beziehung völlig unparteiisch“. Pos. 440, 30.8.1940. 157 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6304, 167 Baruch genannt Bernhard Neuhaus 12.1.1939. (*1869) kam am 11.10.1942 in Theresien- 158 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6116. stadt ums Leben. Klaus-Peter Friedrich: Zum Lebensweg der jüdischen Kindergärtnerin Rosel Leschziner 193

168 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6243, Pos. 23.8.1947, 7.1.1948. Einem Bericht Fehrs 269; Nr. 6116 (24.6.1941). vom 17.11.1946 zufolge hatte er auf die 169 Adolf Bachrach (*1878) und Betty Bach- Vorgänge in dem Lager keinen Einfluss; rach geb. Müller (*1883), die in der Gar- ebd. tenstr. 19 wohnten; Bachrach war zuvor in 175 HHStAW, Abt. 520/Esch, Nr. 279. der Staatspartei aktiv gewesen, 1933 betä- 176 Siehe Helga Gogler, Die sowjetische tigte er sich nicht mehr politisch; HStAM, Kriegsgräberstätte in Herleshausen, in: 180 Eschwege, Nr. 2082, Bl. 112. Das Ehe- Herleshausen 1019–2019, S. 277–284; paar wurde am 3.6.1942 im Vernichtungs- Jürgen Zarusky, Sowjetische Opfer von lager Sobibór ermordet. Krieg und nationalsozialistischer Verfol- 170 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6243, gung in der bundesdeutschen Erinne- 27.5.1941, 10.6.1941, 5.1.1942; hier- rungskultur, in: Erinnerung an Diktatur zu auch Nr. 6303, Pos. 20, 49 und 262, und Krieg. Brennpunkte des kulturellen 3.12.1941 und später. Gedächtnisses zwischen Russland und 171 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6303. Deutschland seit 1945, Hg. Andreas Wir- 172 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6303, Pos. sching u. a., Berlin 2015, S. 227–245, hier 191, 13.4.1942, und Pos. 209. Diese ge- S. 234. sammelten Hinweise aus den Tagebüchern 177 HHStAW, Abt. 502, Nr. 6966 (Verdienst- über die beim Landratsamt eingegangenen orden der Bundesrepublik Deutschland). und vom Landratsamt abgesandten Schrift- 178 Siehe den Nachruf ihres Sohns Bruce stücke erheben keinen Anspruch auf Voll- Robin son: https://www.theguardian.com/ ständigkeit. artanddesign/2013/dec/10/ruth-robin- 173 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6139. Fehr son-obituary. Ruth Robinson war die En- hatte am 22.7.1942 mitgeteilt, dass der kelin von Berta und Meier Wolf (Hainer- am 18.12.1940 geschlossene „Juden- tor 15a), einem Bruder von Seligmann friedhof“ 1941 „zur Beerdigung kriegs- Wolf, dessen Tochter Rosel eine Kusi- gefangener Russen wieder freigegeben“ ne von Ruths Mutter Ester genannt Erna worden war. In einer weiteren Anord- Katzenstein geb. Wolf (1891–1939) war. nung des Regierungspräsidenten (gez. Deren Witwer Arnold Katzenstein (*1878) Feldt) vom 8.9.1944 wurde verfügt, den wurde 1941 nach Riga in den Tod depor- am 18.12.1940 geschlossenen Jüdischen tiert. 2013 wurden zum Andenken an die Friedhof in Eschwege wieder zu eröffnen, Ermordeten Stolpersteine verlegt, siehe um dort „verstorbene Ostarbeiter“ zu be- http://www.alemannia-judaica.de/herles- erdigen; HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6116. hausen_synagoge.htm. 174 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 2592, 179 Siehe Achim Wilutzky, Kramladen, Herles- 21.1.1943. Der Standesbeamte, heißt es hausen o. J. [2001], S. 13 f. hier, konnte nur einen einzigen Sterbe- 180 Bekanntmachung für die Wochenzeitung fall beurkunden. Nach 1945 war dieser „Der Südringgau“, Nr. 34 vom 22.8.2013. Ort in Herleshausen als Russenfriedhof 181 Siehe dazu Hans Hesse, Stolpersteine. bekannt, der großteils oberhalb des Jüdi- Idee. Künstler. Geschichte. Wirkung, Essen schen Friedhofs angelegt worden war und 2017. als letzte Ruhestätte von nahezu 1600 Ver- 182 Über den jungen Sozialdemokraten Max storbenen diente. Der verwahrloste Fried- Spier, der Anfang März 1933 von SA-Leu- hof wurde von 1947 an auf Anordnung ten in Schrecksbach zusammengeschla- der US-amerikanischen Militärregierung gen wurde und auf einem Auge erblinde- für Groß-Hessen instandgesetzt; HStAM, te, siehe Klaus-Peter Friedrich, Julius Spier 180 Eschwege, Nr. 4858, 27.2.1947, aus Schrecksbach: Republikaner, Sozial- 194 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

demokrat und Verfolgter des NS-Regimes, „zu Gunsten des Reiches eingezogen“; in: Zeitschrift des Vereins für hessische HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6116. Geschichte und Landeskunde (ZHG) 121 188 Wilhelm Müller (1891–1956), Landwirt, (2016), S. 265–284. später Bürstenmacher. 1922 Heirat in Her- 183 Stern äußerte sich darüber in einem Rund- leshausen, ein Kind. funk-Beitrag des Nordwestdeutschen 189 Georg Freiherr von Müffling (1875, Rundfunks vom 13.11.1955, der auch ge- Czarni kau/Posen – 1957, Kassel), Ver- druckt wurde: Theresienstadt. Bericht aus waltungsbeamter; Mitglied der DNVP; einem Ghetto. Nach Aufzeichnungen von 1909 –1919 Landrat des preuß. Kreises Dr. Norbert Stern dargestellt von Gustav Oberbarnim, dann als Regierungsrat im Zerres, Köln 1955, S. 16. Diese erinnern- Regierungspräsidium Kassel, 1933 zeit- den Aufzeichnungen – hier als „Theresien- weise Stellvertreter des Regierungsprä- städter Tagebuch“ bezeichnet – wurden in sidenten, u. a. mit der Umsetzung des der Radiosendung verlesen, S. 5. rassistischen und eugenischen NS-Pro- 184 Siehe Ludwig Cohn, Ein Weg zum Glück. gramms befasst, 1943 Pensionierung; we- Selbst gegangen und dargestellt, Rotter- gen unwahrer Angaben im Fragebogen zu dam 1957. einem Jahr Gefängnis und RM 3000 ver- 185 Klaus-Peter Friedrich, Die blista im Natio- urteilt (Strafe nicht vollstreckt). Siehe auch nalsozialismus. Zur Geschichte der Blin- Nadine Freund, Teil der Gewalt. Das Re- denstudienanstalt Marburg (Lahn) von gierungspräsidium Kassel und der Natio- 1933 bis 1945, Marburg 2016, S. 57–59. nalsozialismus. Hg. Regierungspräsidium 186 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 4900, Kassel, Marburg 2017, S. 524, 535, 580, 12.11.1931 585. 187 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 6072, 190 HStAM, 180 Eschwege, Nr. 4534. 5.5.1942. Der Rest wurde, wie Gernandt 191 HStAM, 180 Melsungen, Nr. 3853, 3409. am 27.7.1943 dem Landrat mitteilte, 192 HStAM, 180 Melsungen, Nr. 3510. 195

Die Bedeutung des Geschichtlicher Rückblick Eschweger und Wanfrieder Zu keinem anderen Vogel hatten orni- Raumes für die Rückkehr thologisch begeisterte Menschen wohl von jeher ein innigeres Verhältnis als zu diesem des Wanderfalken (Falco rasanten Luftjäger. Dieses beschrieben und peregrinus) in Hessen geweckt zu haben, und dass es von da an Historie – Niedergang – Wieder- mit besonderem Eifer von nachfolgenden naturbegeisterten, speziell ornithologisch ansiedlung – Bestandsentwicklung interessierten Generationen immer weiter- gegeben wurde, ist auf die Schriften das Ho- von Wolfram Brauneis henstaufenkaisers Friedrich II. (1194–1250), einem Enkel Barbarossas, zurückzuführen. Er war ein hochgebildeter Herrscher, der Der Wanderfalke, eine weltweit in mehre- sich lebhaft mit der Naturlehre, aber ebenso ren Unterarten vorkommende Spezies (Kos- mit antiker und arabischer Philosophie be- mopolit), war ab der Mitte des 20. Jahrhun- schäftigte. Dabei nahm er am Weltgesche- derts stark bedroht. Dabei gerieten vor allem hen teil, soweit ihn in der damaligen Zeit die auf der nördlichen Halbkugel lebenden Nachrichten erreichten und er über eigenes Populationen der Nominatform1 Falco pere- Wirken, über Gesandte und militärischen grinus peregrinus in arge Bedrängnis. Ein ma- Einfluss im Stande war, die Dinge mitzu- jestätischer Greif – Vogel der Vögel (Konrad gestalten. Seinen Zeitgenossen (anderen Lorenz 1903–1989) – schien zu verschwin- Herrscher-Dynastien damaliger Jahre) war den. er durch seine geistig-politische Spannkraft

bb : anderale ltvogel 196 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 weit voraus, „der erste moderne Mensch auf Vögeln zur Jagd. Er widmete der Falknerei dem Thron!“2 seine besondere Aufmerksamkeit und ver- Friedrich II., seit 1212 als deutscher Kö- fasste – aufgebaut nach eigenen Beobachtun- nig anerkannt und ab 1220 Kaiser des rö- gen – ein wissenschaftliches Werk: „De arte misch-deutschen Reiches, der in Italien ge- venandi cum avibus“ – „Über die Kunst mit boren und aufgewachsen war, betrachtete Vögeln zu jagen“. Diese Erkenntnisse, die dieses Land als seine eigentliche Heimat. In seiner Zeit weit über das Bekannte und bis- Deutschland soll er sich nur wenige Male herige Erforschte hinausreichten, geben noch und immer nur kurz aufgehalten haben. Apu- heute Antworten auf Fragen der Falknerei lien (Italien), das war sein Land. Dort hatte und zur Biologie des Wanderfalken. Die Be- er – meist unter der Betreuung von Arabern – obachtungen der Greife und überhaupt das zoologische Parks mit exotischen Tieren ein- Studium der Vogelwelt hätten, wie in seinen gerichtet. Seine große Liebe gehörte dabei Beschreibungen dargestellt, treffender nicht den Greifvögeln, darunter vor allem den ausfallen können. Kein deutscher mittelalter- Falken. Mit Leidenschaft ging er mit diesen licher Herrscher kann sich rühmen, ein eige- nes und zugleich so einzigartiges literarisches Denkmal hinterlassen zu haben, wie Kaiser Friedrich II. Er hat die Dinge einzigartig erkannt, denn bisher fehlte es dabei sowohl an der Wissenschaft, wie an der Kunst! Sein heißgeliebtes Verhältnis zu Apulien kam zum Ausdruck, als er 1228/1229 von einem Kreuzzug3 heimkehrte und zu seinem Sohn Enzio gesagt haben soll: „ Wenn der HERR unser Land gekannt hät- te, dann hätte er dies das HEILIGE genannt.“ – Der deutsch-römische Kaiser, der Hohenstaufer Fried- rich II., starb 1250 in Castel Fioren- tio bei Lucera (Italien)4.

Wanderfalke – Name und Nomenklatur

Über die Deutung des sich erst sehr spät herausgebildeten deut- schen Namens Wanderfalke gibt es verschiedene Versionen, die al- lesamt passend diesem ausschließ- lichen Vogeljäger zugeschrieben Abb. 2: Titelseite des Falkenbuches Friedrich II., aus: Wiki- werden können, obwohl es natür- edia sog anred-Handschrit ibliotheca aticana al lich immer dabei auch auf die rein lat menschlich-persönliche Sichtwei- Wolfram Brauneis: Bedeutung des Eschweger und Wanfrieder Raumes für die Rückkehr des Wanderfalken 197

Abb. 3: Der Plessefelsen bei Wanfried se und somit Auslegung ankommt. Jedoch im Laufe der Jahrhunderte unter den Nach- scheint die Interpretation einer Wanderung kommen die bis dahin umfassende Kenntnis dem doch sehr nahe zu kommen, da die und das Wissen um Greifvögel, speziell das nordischen Peregrinus-Falken im Winter ihre um den Wanderfalken, allgemein mehr und Brutgebiete beispielsweise in Skandinavien mehr verloren6. Selbstverständlich blieben in verlassen und mindestens bis nach Mittel- Falknereikreisen, in ornithologischen Orga- europa fliegen (wandern). Andererseits ist es nisationen und speziellen Greifvogelverbän- biologisch ebenso zutreffend, dass der or- den die bereits erforschten Erkenntnisse ins- nithophage Wanderfalke seiner Beute, den gesamt erhalten, wurden gepflegt und mittels Zugvögeln, hinterher wandern (fliegen) muss, Lehre auch weitergegeben. Trotz allem sah da Vögel einzig allein seine Nahrung darstel- sich im Jahre 1771 der Engländer M. Tunstall len. Ein Ausweichen auf andere Beute (Ernäh- veranlasst, in spezieller Anlehnung an das in rung) ist dem Wanderfalken evolutionsmäßig sechs Büchern gegliederte Grundlagenwerk nicht gegeben. Friedrichs II., eine neue wissenschaftliche Dabei ist die lateinische Bezeichnung lo- Beschreibung der Falken – und somit auch gischer zu erläutern und auch so (logischer) des Wanderfalken – vorzulegen7 und veröf- zu verstehen. Der Hohenstaufenkaiser Fried- fentlichte sie in der Ornithologica Britannica. rich II. nannte ihn den Fremdling5, auch weil „So kommt“, schreibt Wolfgang Fischer in er zur damaligen Zeit tatsächlich in diesen seiner Monographie Wanderfalk von 1977, südeuropäischen Breiten (Italien) noch sehr „der lateinisch wissenschaftliche Name Falco selten zu sehen und zu beobachten war. peregrinus nach dem Prioritätengesetz unse- Nach dem Tode des Kaisers (1250) und rem Wanderfalken zu, ganz gleich, ob es sich dem Verfall der klassischen Falknerei ging um die heimischen, im Alter nicht mehr wan- 198 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 dernden Vögel, die sesshaften südlichen For- Von den einst ungefähr 600 Brutpaaren men oder die wirklichen Peregrines (Fremd- in Deutschland (um 1950) brüteten 1975 linge) aus den nördlichen Breiten handelt.“ nur noch geringste Reste zwischen 30 und Unterschied man in früherer Zeit noch die 50 Paaren südlich der Mainlinie und da fast Unterarten in Mitteleuropa Falco peregrinus ausschließlich in Baden-Württemberg und germanicus und F. p. rhenanus (nach Carlo im Alpenraum Bayerns. In Hessen, wo bis Freiherr von Erlanger 1872–1904), unterlässt etwa zum Jahre 1950 noch circa 30 Wander- man heute solche Differenzierungen (Abgren- falkenpaare horsteten, gab es nur noch ganz zungen) und die europäischen Wanderfalken an der Südspitze des Landes gerade mal ein werden wissenschaftlich wie folgt bestimmt: Vorkommen, welches aber schon seit Jahren die nordischen Exemplare mit Falco peregri- keine Jungen mehr zum Ausfliegen brachte. nus calidus (calidus gleich leidenschaftlich, Hessen war somit wanderfalkenleer! feurig), die Wanderfalken im mitteleuropä- ischen Raum, also bei uns, mit Falco pere- grinus peregrinus (die Nominatform) und die Wiederansiedlung südeuropäischen mit der lateinischen Be- zeichnung Falco peregrinus brookei 8. In Erkenntnis dieser Sachlage war es dem Deutschen Falkenorden (DFO) gelungen, zunächst über den Weg der künstlichen Be- Der Niedergang samung und ab 1977 auch von genetisch unterschiedlich zusammengestellten Zucht- Erstmals 1951 stellten englische Orni- paaren in Volieren, Jungfalken der Nominat- thologen einen gravierenden Rückgang des form zu erhalten10. Die Anwendung und das Wanderfalken auf der Insel fest. Nachprü- Ausbringen von DDT waren verboten. Jetzt fungen ergaben, dass die Eischalendicke (im konnte an eine Rückführung dieser von in Vergleich zu Museumsexemplaren) um bis Mitteleuropa einst ausgehorsteten Beizfalken zu 17 % zurückgegangen war. Dies bedeu- abstammenden Jungvögel in die freie Wild- tete, dass die gelegten Eier entweder gleich bahn gedacht werden. Der DFO war bereit, zerbrachen oder beim beginnenden Brutvor- die jungen Wanderfalken kostenfrei zur Ver- gang von dem Altvogel zerdrückt wurden. fügung zu stellen. Überstand das Gelege auch dieses, brachte Nun galt es ein Auswilderungsprogramm der gestörte Wasserhaushalt in den Eiern die zu entwickeln und vom Lande Hessen da- Embryonen durch Austrocknung zum Abster- für die notwendigen artenschutzrechtlichen ben. Dieses Phänomen trat natürlich nicht Genehmigungen zu erhalten. Unter der wis- nur in Großbritannien auf, sondern musste senschaftlichen Leitung der Staatlichen Vo- zeitgleich in fast ganz Europa und da insbe- gelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz sondere gravierend in Mittel- und Nordeuro- und Saarland (mit Sitz in Frankfurt am Main) pa festgestellt werden. Die Folge war ein rie- wurden alle fachlichen Details erarbeitet. Der siger Bestandsrückgang, der in weiten Teilen nordhessische Raum, mit seinen schroffen den Wanderfalken ab den 1960er-Jahren zum Felsen und weiteren für den Wanderfalken Aussterben brachte. Dies fiel insgesamt alles geeigneten Strukturen, wurde ausgewählt, mit der großflächigen Anwendung von che- die Aktion durchzuführen. Die Entscheidung mischen Spritzmitteln zusammen, die in der konnte als fachlich richtig bezeichnet wer- Land- und Fortwirtschaft ausgebracht wur- den, da einstmals, in der früheren (giftfreien) den; allen voran das Dichlordiphenyltrichlor- Zeit, noch um 1950, die Muschelkalkbereiche ethan, besser bekannt unter der landläufigen von Herleshausen, über den Ringgau, Sontra, Bezeichnung DDT9. Wanfried, Bad Sooden-Allendorf bis nach Wit- Wolfram Brauneis: Bedeutung des Eschweger und Wanfrieder Raumes für die Rückkehr des Wanderfalken 199

bb : er swilderngsasten Knsthorst bschlss der rägngshase zenhausen (hier Dolomitgestein) jährlich mit die jungen Wanderfalken bestand ein nach fünf bis sieben Brutpaaren optimal besiedelt drei Seiten hin offener Blick Die sogenannte waren11. Die ehrenamtlichen Naturschutzver- erste Stufe, die Prägungsphase auf Felsen (Ha- bände waren nun vor Ort bereit, gemeinsam bitat) und Umgebung (Lebensraum), begann. mit den Forstämtern die Organisation der Jeglicher Kontakt mit den Betreuern, die Tag Auswilderungsabläufe zu übernehmen. Die und Nacht vor Ort waren, wurde ab sofort Aufgabe der jährlich zu erstellenden Doku- vermieden. Fütterungen (Hühner- bzw. Tau- mentationen wurde dem Verfasser übertragen, benfleisch) wurden über Rohr vorgenommen. der es von Beginn an als eine angenehme Die jungen Wanderfalken hatten zu diesem Pflicht empfand. Die Auswilderungen waren Zeitpunkt ein Alter (vier bis fünf Wochen), für einen Zeitraum von 15 Jahren konzipiert wo sie in der Lage waren, sich ihre Nahrung worden und sollten das umfangreichste Pro- selbst zu zerreißen. Ein Tränken war nicht not- jekt werden, welches jemals im Lande Hessen wendig, da Greifvögel ihren Wasserhaushalt für die Rettung einer Vogelart durchgeführt über die Nahrung decken. Nach ungefähr 14 worden ist. Die Aktion begann – erstmals in bis 17 Tagen Verweildauer (Prägung) im Aus- Europa geplant – 1978 am Felsen der Plesse wilderungskasten – die Vögel hatten nun ihre bei Wanfried. Drei junge, ungefähr fünf Wo- Flugtüchtigkeit erreicht – ist der bis dahin ver- chen alte Wanderfalken wurden in einem in schlossene Drahtkorb „von langer Hand“ ge- der Felswand installierten, zunächst noch mit öffnet worden und es begann die zweite Stufe einem Drahtkorb talseitig verschlossenen Aus- des konzipierten Auswilderungsplanes: der wilderungskasten (Kunsthorst) eingesetzt. Für Freiflug! Dabei wurden sie stets beobachtet 200 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 von Betreuerteams, die sich selbstverständlich juvenilen Exemplar bis zum selbständigen aus Vogelkundlern und meist ebenso aus fach- Vogel über Wochen täglich genauestens be- kundigen Ornithologen zusammensetzten. In obachtet werden konnte, das bisherige Wis- einem sogenannten Horstbuch wurden alle sen um so manche neue Erkenntnis erweitert Besonderheiten und Geschehnisse schriftlich wurde. Denn das Verhalten der ausgewilder- dokumentiert. ten jungen Wanderfalken aus Volieren (ohne Trotz der nun erreichten ungehinderten Elterntiere) war ja keineswegs vergleichbar Freiheit ließ die gefestigte Prägung die Wan- mit den bekannten Abläufen an den Natur- derfalken zunächst noch in ihrem Auswil- horsten. Alles ist im Rahmen von Symposi- derungs-Lebensraum verweilen. Dies war en vorgetragen sowie in Fachjournalen und auch wichtig, da sie am Anfang des Freiflu- in ornithologischen Schriften veröffentlicht ges immer noch auf die von den Betreuern worden. Auch einer Einladung zum Vortrag über Rohr in den Felsen geschickte Nahrung am Wildbiologischen Institut der Universität Göttingen wurde gefolgt. Im Laufe der nächsten Jahre sind, wie geplant, die Auswilderungen fortgesetzt worden und es kamen wei- tere Auswilderungsfelsen dazu. Eine ständige Verbin- dung mit den Genehmi- gungsbehörden war schon wegen letzterem (neue Auswilderungsplätze) un- erlässlich. Zudem wurden die Intervalle verkürzt, so dass es in manchen Jah- ren an einem Felsen zu mehreren Auswilderungs- Abb. 5: Junge Wanderfalken im Fluge abläufen gekommen ist. Weiterhin ist die Anzahl angewiesen waren. Erst mit dem Reifen ihres der in die Kunsthorste (Auswilderungskästen) fliegerischen Könnens waren sie nach unge- einzusetzenden jungen Wanderfalken in der fähr vier bis fünf Wochen Flugschule selbst Regel pro Durchgang auf vier bis sechs Ex- soweit, ihre Beute (Vögel bis zur Größe einer emplare erhöht worden. Taube bzw. Krähe) im Luftraum zu erjagen Dies wird hier alles so dezidiert aufgelis- und festzuhalten, die über einen Biss ins Ge- tet, damit verständlich wird, dass in den 15 nick getötet wird. Hatten die Wanderfalken Jahren (von 1978 bis 1992) insgesamt 185 dieses Stadium erreicht, setzte die Verwilde- Wanderfalken im Werra-Meißner-Kreis zur rung ein, bei der wir hofften, dass auch die Auswilderung kamen13. ausgewilderten Vögel, trotz der bekannten Mortalitätsraten12, sowohl den natürlichen wie ebenso den nicht natürlichen Gefahren Bestandsentwicklung widerstehen würden. Zunächst jedoch war das Ziel der Auswilderung erreicht. Vor dem Hintergrund der bekannten Ver- Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass lustraten (siehe Anmerkung 12) und unter der bei dem Projekt, wo die Entwicklung vom Berücksichtigung einer gewissen Pioniermor- Wolfram Brauneis: Bedeutung des Eschweger und Wanfrieder Raumes für die Rückkehr des Wanderfalken 201 talität wurde eine bal- dige Besetzung eines Brutfelsens zunächst eher skeptisch beur- teilt. Um so erstaun- licher war es, dass bereits 1982, also im fünften Jahr der Aus- wilderungsbemühun- gen, ein Wanderfal- kenpaar, dessen beide Partner Jahre zuvor nach der eben be- schriebenen Methode in die Wildbahn ent- lassen worden waren, in einem Schutzgebiet im Naturpark Harz in Sachsen-Anhalt, am bb : ie otrae i atrar Har von Sachsen-nhalt nahe Felsen der Roßtrap- vor der iedervereinigng etschlands pe14 brütete und zwei Junge aufzog. Die Altvögel waren beringt ungefähr 15 Jahren (um 1967) verlassene und konnten so unserem Projekt zugeordnet Heldrastein als erster wieder durch unsere werden. Hierbei ist es wichtig zu bemerken, Projektfalken besiedelt wurde. dass sich dieses Paar genau an dem Felsen an- Das setzte sich in ähnlicher Weise fort. siedelte, wo – zum damaligen Zeitpunkt vor Da ein nördliches Vordringen aus dem sich zehn Jahren (1972) – das letzte Wanderfal- kenpaar Ostdeutsch- lands ansässig war. Habitate, die bis zu- letzt vom Wanderfal- ken gehalten wurden, gelten in Fachkreisen als sogenannte Opti- malbiotope, in Bezug zum Falco peregrinus als Alphafelsen. Die ausgewilderten Vögel hatten also offenbar die Wertigkeit des Standortes erkannt und sich genau des- halb dort angesiedelt. Das galt ebenso für das falkenleere Thü- bb : er Heldrastein in hringen nahe vor der iedervereinigng ringen, wo der vor etschlands von Hessen as otografiert 202 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

keine Relevanz für die Art, weil der Standort, seinerzeit durch den Braunkohle-Tage- bau, gerade im Entstehen war. Als hoch bemerkenswert und ebenso von wissen- schaftlicher Bedeutung soll auch die Tatsache herausge- stellt werden, dass sich 1987 an einem Auswilderungs- felsen (Plesse bei Wanfried) Wanderfalken ansiedelten, deren Beringung sie eindeu- tig als in Ostdeutschland er- brütete Nachkommen von in Hessen einst ausgewilderten bb : Erolgreiche anderalenbrt ett ach a einer Elternexemplaren auswies. Sie kehrten also an den Fel- zwischenzeitlich erholten Bestand aus Ba- sen zurück, wo ihre Elternvögel Jahre zuvor den-Württemberg nicht erkennbar war, lohnt mittels Auswilderung in die Freiheit entlassen es sich auch nochmals einen Blick nach worden waren. Die Wiederbesiedlung unse- Nordrhein-Westfalen zu werfen, wo nach rer Felsen durften wir noch mehrere Male mit 20jähriger Wanderfalken-Vakanz an der Fels- erleben. Von den neu hinzu gekommenen formation der Bruchhauser Steine dort an der Auswilderungsfelsen war schon die Rede; Wiederbesiedlung ebenfalls Vögel aus dem dies war auch dadurch notwendig geworden, hessischen Auswilderungsprojekt beteiligt weil es nun wieder Wanderfalken gab, die waren15. zum Brüten, jedenfalls in der damaligen Zeit, Im Jahr 1984 wurde die Basaltwand auf fast ausschließlich Felsen besetzten. So muss- dem Meißner besiedelt. Es war die erste te das Auswilderungsprogramm an neuen, Wanderfalkenbrut, die seit annähernd 20 anderen Felsen fortgesetzt werden. Für unse- Jahren wieder in Hessen an einem Felsen ren nordhessischen Landkreis kein Problem, stattgefunden hatte und zugleich die ers- gibt es doch noch eine Reihe das Werratal ten geschlüpften jungen Wanderfalken seit begleitende Kalkberge16. Dies verleiht nicht ebenso zwei Jahrzehnten hervorbrachte. Die nur der Region die Note einer besonders reiz- Beringung der Altvögel wies sie unserem vollen Landschaft, sondern bedeutete seiner Auswilderungsprojekt zu. Das Phänomen Zeit auch die Präferenz der Behörden, gerade der Erstbesiedlung der Felsen, die von ihren in diesem Bereich das Wiederansielungspro- Artgenossen vor dem Niedergang zuletzt ver- gramm für den Wanderfalken durchzuführen. lassen wurden, durch ausgewilderte Falken, wie in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Nord- rhein-Westfalen, traf für Hessen (den Wer- Das heutige Vorkommen ra-Meißner-Kreis) zunächst nicht zu. Aber des Wanderfalken das machte ja die Situation, bezüglich ihrer biologischen Abläufe, eher noch interessan- Da wären natürlich alle Landschaftsräume ter; und zum anderen hatte der Basaltfelsen zu beleuchten, wo Wanderfalken aus dem vor dem Zusammenbruch der Wanderfalken- hessischen Auswilderungsprogramm (von populationen durch den „DDT-Crash“ noch 1978 bis 1992) den Bestandsaufbau begrün- Wolfram Brauneis: Bedeutung des Eschweger und Wanfrieder Raumes für die Rückkehr des Wanderfalken 203 det und gefördert haben (siehe entsprechen- Uhu bo bbo eine nicht unbedeuten- de Textstellen). Das würde aber den Rahmen de Rolle18. Als Art des gleichen Lebensrau- dieser Arbeit sprengen. Doch sollen Zahlen mes stellt er gegenüber dem Wanderfalken wenigstens das gesamthessische Vorkom- eine gewisse Konkurrenz dar und nutzt die- men, wie gesondert das nordhessische (Re- se in voller Dominanz. Dass beide Spezies gierungsbezirk Kassel) und den Bestand des einen Brutplatz an einem Felsen haben, ist Wanderfalken im Werra-Meißner-Kreis doku- die höchste Ausnahme; und findet das statt, mentieren: werden die jungen Wanderfalken nicht sel- – 2017 waren in Hessen ungefähr 150 ten vom Uhu geschlagen, da sie zum Beu- Reviere vom Wanderfalken besetzt und tespektrum der Großeule gehören. Dies ist es flogen 195 Junge aus. aber alles von der im wahrsten Sinne des – 2018 erbrüteten allein in Nordhessen Wortes natürlichen Seite zu sehen und wird 61 Wanderfalkenpaare 93 Junge. die eine oder andere Art niemals gefährden, – Im Werra-Meißner-Kreis brachten 5 geschweige denn ausrotten. Fressen und ge- Ansiedlungen 7 Jungvögel zum Ausflie- fressen werden19 regelt das Verhältnis der Jä- gen17. ger-Beute-Beziehung und ist in den Abläufen Es ist selbstverständlich, dass durch nor- der Biologie ein unumstößlicher Vorgang. male biologische Vorgänge jährlich nicht alle Reviere besetzt sind und dort, wo gebrütet wird, die Erfolge jahrweise unterschiedlich Die ökologische Plastizität ausfallen können. Dabei spielt der seit 1983 im Kreisgebiet auch wieder vorkommende Die Evolution kennt keinen Stillstand! War und jährlich sich immer stärker ausbreitende der Wanderfalke noch vor gar nicht allzu

bb : anderale rtrevier an eine ebäde 204 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 10: Wanderfalkenbrut im Wald langer Zeit in unseren Breiten hauptsächlich Die Natur verlangt eine Anpassung an ver- auf Felsen geprägt, besiedelt er heute (auch änderte Entwicklungen. Nur darf der Mensch in Nordhessen) hohe Gebäude (Kirchen, den Arten nicht durch rigoroses Eingreifen Le- Schlossruinen) und Bauwerke der verschie- ben und Existenzgrundlage vernichten. Täg- densten Art, wie Brücken, Fabrikschornstei- lich lauern überall neue Gefahren und brin- ne, Kraftwerke, Fernmeldetürme und Masten gen Flora und Fauna in Bedrängnis. Nicht alle der Überlandleitungen. In der Regel nutzt er Spezies werden es schaffen, trotz enormer dort die angebrachten Nisthilfen. Bei Bruten Bestrebungen die Biodiversität zu erhalten. auf Strommasten nimmt er auch alte Nes- Beim Wanderfalken konnte das Schlimms- ter von Krähen oder vom Kolkraben an20. In te noch verhindert werden; er kam, obwohl Anpassung hat sich der Wanderfalke so die er in Hessen bereits ausgestorben war, zu- verschiedensten Horststandorte erschlossen. rück. Der Werra-Meißner-Kreis half mit ei- Dabei ist ganz neu (seit 2015) die Besied- nem bescheidenen Anteil, dass die totale Ka- lung eines Naturwaldes mit alten Buchen im tastrophe abgewendet werden konnte. Werra-Meißner-Kreis, wo, jahrweise versetzt, ein alter Rotmilan- oder ein Kolkrabenhorst benutzt wird. Dies ist allerdings als absolu- Ein Wort des Dankes tes Novum zu bezeichnen; denn von jeher horsteten Wanderfalken auf Bäumen (Kie- Dies alles niederzuschreiben ist die eine fern) einzig und allein in den Tieflandgebie- Sache. Die Daten und Fakten, also die ge- ten Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpom- samten Ergebnisse zu erheben, zu sammeln merns und weiter östlich bis nach Polen und und auszuwerten ist das andere, was geleis- Russland. tet werden musste, und daran war im Laufe Wolfram Brauneis: Bedeutung des Eschweger und Wanfrieder Raumes für die Rückkehr des Wanderfalken 205 der Jahrzehnte eine Vielzahl von biologisch 7 Nicht, wie in dieser Zeit eher erwartet allgemein Interessierten, von Vogelkundlern vom schwedischen Naturforscher Carl und Fachleuten beteiligt. Teils kamen sie aus von Linné (1707–1778), kam die neuzeit- ganz Deutschland, um zu helfen, um mitzu- liche Beschreibung von M. Tunstall (1743– arbeiten. Alle zu benennen ist nicht möglich, 1790). dabei haben sich auch schon wieder viele, 8 1873 erfolgte eine detaillierte Beschrei- als die Hauptarbeiten erledigt waren, ande- bung von R. B. Sharpe (1847–1909), Grün- ren Aufgaben zugewandt. der des British Ornithologists’ Club, der Wer bis heute seit der ersten Stunde ge- seinem Landmann, dem Forscher und blieben ist und Jahr für Jahr alles Wichtige verdienten Zoologen Richard Brookes, mit beobachtet und zusammenträgt und den diesem Unterartnamen eine besondere Wanderfalken stets im Blick hat, ist Frank Ehre zuteil kommen ließ. Dach aus Bad Zwesten-Niederurff. Ihm hat 9 DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) ist ei- der Wanderfalkenschutz in Hessen vieles zu nes der wirksamsten Insektizide. Bereits verdanken und die laufenden, jährlichen Be- 1874 von Othmar Zeidler synthetisiert, standserhebungen sowieso! Dabei unterhält entdeckte 1939 der Schweizer Paul Her- er, weit über Hessen hinaus, fachlich pro- mann Müller die ganzheitliche, fast totale fessionelle Verbindungen zu den Wanderfal- Wirkung. Dafür bekam er 1948 den No- ken-Fachleuten Deutschlands. Das garantiert belpreis für Medizin. DDT wurde zunächst uns ein profundes Wissen über die allgemei- hauptsächlich während des II. Weltkrieges ne Situation des Wanderfalken in allen Bun- bei der Bekämpfung der Malaria-Mücke im desländern. Südpazifik verwendet und danach auch in Schließlich bedankt sich der Verfasser bei Afrika, wo Millionen Menschen dadurch Herrn Dach für die freundschaftliche Beglei- gerettet werden konnten (Prof. Dr. Roland tung bei der Endkorrektur dieses Berichtes. Hedewig). Ab den 1950er-Jahren kam DDT auch in Europa und somit in Deutschland zur flächendeckenden Anwendung in der Anmerkungen Land- und Forstwirtschaft. Nach ersten wis- senschaftlichen Hinweisen, bereits in den 1 Grund- oder Hauptform, nach der sich im 1960er-Jahren, dass durch die Ausbringung Laufe der Evolution in anderen (Welt)-Re- dieses chemischen Mittels u. a. gerade gionen angepasste und nur dort lebende Greifvögel über die Nahrungskette auf das Unterarten herausgebildet haben. Schwerste geschädigt werden und auch für 2 Kulturhistoriker Jacob Burckhardt (1818– den Menschen die Gefährlichkeit des DDT 1897). nachzuweisen war, erfolgte 1974 das end- 3 Die wichtigsten christlichen Pilgerstätten gültige Verbot der Ausbringung dieses In- (u. a. Jerusalem) wurden kampflos durch sektizids. Jedoch kam das für den Wander- Verhandlungen zurückgewonnen. falken zu spät; für Habicht und Sperber fast 4 Insgesamt alles nach: Deutsche Geschich- zu spät. – Ist Glyphosat die neue Gefahr? te in 12 Bänden, hg. von Heinrich Pleticha, 10 Wolfram Brauneis (1996): „Der Wander- Gütersloh 1981. falke in Mitteldeutschland“ – Schriften des 5 peregrinus steht für ausländisch (fremd), Werratalverein Witzenhausen – Heft 31, Falco für Falke alco eregrins gleich 48 Seiten. Wanderfalke. 11 Wolfram Brauneis (1984): „Der Wander- 6 Wolfgang Fischer (1977): „Der Wan- falke an Werra und Meißner“ – Schriften derfalk“ – A. Ziemsen-Verlag, Witten- des Werratalvereins Witzenhausen – Heft berg-Lutherstadt. 11, 46 Seiten. 206 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

12 Bekannte Verlustraten früherer Wander- nigem Röts (Quellhorizonte) nicht halten falkenpopulationen: 53 % bis 71 % im konnte. Die Prozesse sind bis heute noch ersten, 19 % bis 28 % in jedem weiteren nicht abgeschlossen , wie ein zusätzlicher Lebensjahr. – Erst im dritten Frühling ihres Bergsturz am Schickberg 1956 (Natur- Lebens werden Wanderfalken brutreif. schutzgebiet bei Sontra) und Rutschungen 13 Wolfram Brauneis (2003): „Der Wander- (bis 1985 anhaltend) an der Hörne im NSG falke alco eregrins in Hessen“ – In: Hessische Schweiz bei Bad Sooden-Allen- Jahrbuch Naturschutz in Hessen, Band 8, dorf beweisen. S. 31–42. 17 Wolfram Brauneis (2018): 40 Jahre Be- 14 Die Roßtrappe ist ein ~ 400 m ü. N. N. ge- richterstattung über den Wanderfalken in legener Granitfels im Bodetal, unweit des Hessen, 14 Seiten mit Fotos und Diagram- bekannten Hexentanzplatzes. men – Ehrenamtlich im Auftrag der Behör- 15 Schubert, W. & Stein, H. J. )1992: „Erste den erstellt. Brut des Wanderfalken nach 21 Jahren“. – 18 „Wie ein Phönix aus der Asche“ – Pres- In: Irrgeister. Naturschutznachrichten aus se: „Werra-Rundschau“ und „HNA-Wit- dem Hochsauerland, Nr. 9, Seiten 9 bis zenhausen“ vom 31.10. 2017; Wolfram 14. Braun eis: „Der Uhu in Hessen“ (in Vorbe- 16 In den vorigen Jahrhunderten durch reitung). Rutschungen bzw. Abkippungen entstan- 19 Ein Zitat, das gern Charles Darwin (1809– dene Felsen, die vor allem durch größere 1882) und / oder Arthur Schopenhauer Gesteinswände dominieren. Meistens aus- (1788–1860) zugeschrieben wird. gelöst durch den mit Niederschlagswas- 20 Alle Falken und Eulen bauen keine Nester, ser voll gesogenen Muschelkalk, der sich sie sind deshalb auf natürliche Unterlagen, an den Schichtstufen des Buntsandsteins auf Nisthilfen oder eben auf verlassene auf dem nassen, feuchten Grund des to- Nester von größeren Vögeln angewiesen. 207

Veröffentlichungen der im Zusammenhang abwechslungsreich und mit Anspruch dargestellt. aus dem Werra- York-Egbert König Meißner-Kreis 2018 Manfred Baumgardt: Ein jüdisches Witzen- von Karl Kollmann u. a. hausen. orderstedt: o S - - S geb arbige Abb., € 14,50. Bad Sooden-Allendorf. Eine Zeitreise. Chro- nik anlässlich der 800-Jahr-Feier im Jahre Das Buch im Format 17,5 x 17,5 cm ist 2018, hrsg. vom Verein für Heimatkunde in der Hauptsache als Stadtrundgang konzi- Bad Sooden-Allendorf und vom Magistrat der piert. Dieser wird vom Autor fiktiv im Jahr Stadt Bad Sooden-Allendorf, Bad Sooden-Al- 1933 angesiedelt und führt in der Innenstadt lendor S ---- von Witzenhausen von Haus zu Haus zu den S bb geb damaligen jüdischen Bewohnern und Ge- schäftsinhabern, über die Einiges an Wissens- Im Jahre 1218 schenkte Landgraf Lud- wertem mitgeteilt wird. Historische und ak- wig IV. von Thüringen, Gemahl der Hl. Elisa- tuelle Abbildungen führen die Gebäude vor beth, dem Eisenacher Katharinenkloster die Augen; auch alte Anzeigen von Geschäften Pfarrei zu Allendorf. 800 Jahre später wird werden wiedergegeben. Der Text wird dann dieser urkundlichen Ersterwähnung festlich in einer hebräischen und einer englischen gedacht, u. a. mit einer gewichtigen „Zeitrei- Übersetzung wiederholt. Ergänzend sind se“ durch die Geschichte der beiden Ortstei- zwei Kapitel über bedeutende Persönlich- le Allendorf und Sooden, die 1929 durch die keiten abgedruckt: über den Historiker Franz preußische Regierung per Dekret zur Stadt Carl Theodor Piderit (1789–1848) und den Bad Sooden-Allendorf vereinigt wurden. Nachrichtenunternehmer Paul Julius Reuter Ein mehr als 50-köpfiges Autorenteam alias Israel Beer Josaphat (1816–1899), des- beleuchtet in 90 Beiträgen im Wesentlichen sen familiäre Wurzeln in Witzenhausen lie- alle Aspekte der Lokalgeschichte, die man gen. inzwischen standardmäßig erwarten kann, wobei die mittelalterlichen Verhältnisse re- Schaumbergs gesammelte Fragmente. Günther lativ kurz abgehandelt werden, das Kapitel Schaumberg, hrsg. von der Ehemaligen-Verei- über die NS-Zeit in einzigartiger Weise je- nigung der Eschweger Gymnasien; Eschwege doch besonders hervorsticht. Weiterhin geht 2017, 111 S., 36 Abb., geb., € 10,00. es um die für den Ort so bedeutsame Rolle von Sole und Salz einschließlich Kurbad, um Der Band enthält dreizehn Texte, die Handwerk und Industrie, um Institutionen Dr. Günther Schaumberg verfasst hat, wovon und öffentliche Einrichtungen, um Zeug- nur der über Ludwig Hindenlang bereits in nisse der Geschichte, um Persönlichkeiten, den Eschweger Geschichtsblättern 2018 pu- die am Ort geboren oder gewirkt haben; die bliziert worden ist. Es sind autobiografische eingemeindeten Dörfer der Umgebung so- Skizzen, Erinnerungen aus einem langen, wie die Partnerstädte werden ebenfalls nicht erfüllten Leben als Künstler und Pädagoge, vergessen. jedoch ebenso Rückblicke auf die NS-Zeit Erstmals wird seit der von Adolf Reccius und den Zweiten Weltkrieg, den Schaumberg verfassten Stadtgeschichte (1930) und deren hautnah erlebte. Dabei geht es nicht allein Fortschreibung durch Horst Schütt (2000) um die Dokumentation von Geschichte aus Allendorfer und Soodener Geschichte wie- eigenem Erleben, vielmehr ebenso um einen 208 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Beitrag zur Erinnerungskultur und wohl auch Über Margaretes Mutter Feodora geb. den Versuch der eigenen Positionierung in- Pappenheim gibt es einen Bezug zu Eschwe- nerhalb des Geschehens. ge. Die Familie Pappenheim war hier vor- nehmlich im Zigarrengeschäft tätig; so erklärt Christof Dörr: Klube & The Bates, Berlin: sich auch die Verbindung zur Familie Krämer Schwarto Schwarto S in Mannheim. Die Recherchen zu diesem ---- S S arbige Buch führten die Autorin sowie Margaretes Fotos, Klappenbroschur, € 20,00 Tochter Ruth David (*1929) daher 2013 auch in das Stadtarchiv Eschwege. Das Buch ist bei In den Achtiger und Neunziger Jahren gab der Autorin (E-Mail: barbara@linnenbrueg- es eine Eschweger Band, die überregiona- ger.org) erhältlich. le Erfolge feiern konnte und auf weltweiten Tourneen unterwegs war: The Bates. Sie be- Blanka Pudler, Dieter Vaupel: Auf einem gannen als „Nuclear Graffiti“, übten kurze fremden unbewohnbaren Planeten: Wie Zeit in der ehemaligen Toilettenanlage auf ein 15-jähriges Mädchen Auschwitz und dem Schulberg und spielten sich nach und Zwangsarbeit überlebte, Bonn: Dietz 2018 nach in die großen Hallen. Der Rezensent S ---- S bb erinnert sich an einen wüsten Auftritt im Ju- Broschur, € 10,00 gendzentrum 1985, wo er als Brillenträger reichlich fehl am Platze war, und an den Auf- Ein sehr kurzer, aber emotional sehr an- tritt auf der Hauptbühne des Open Flair, als sprechender Bericht über das Mädchen die Band längst in der Welt unterwegs war. Blanka Pudler. Er zeigt zum einen, was pure Bandmitglied Frank Klubescheidt kommt in Willenskraft vermag und kann damit Vorbild diesem sehr persönlichen Rückblick zu Wort und Leitlinie auch für alle heute lebenden und schildert den Aufstieg und das Ende der Menschen sein. Beeindruckend ist ferner, Band nach dem Tod des Sänger Markus Zim- dass ohne Zorn zurück geschaut, aber nichts mer, genannt Zimbl. beschönigt wird – das gibt zum Nachdenken Anlass. Das Buch hebt sich bei allem Bösen Barbara Linnenbrügger: Lebenslinien zwi- wohltuend von sonstiger Literatur zur Erin- schen Kaiserreich und Holocaust. Margarete nerungskultur ab. Enthalten sind Lagerlisten, Oppenheimer-Krämer und ihre Familie, Dort- Fotos und Zeitungsausschnitte; um das Lager nd : ngrid Lessing erlag S in Hessisch Lichtenau 1944/45 geht es auf ---- S ca eist ar- den Seiten 63–96. bige Abb., geb., € 25,00. Karsten Heuckeroth

Mehr als 15 Jahre hat die Autorin über den Christian Hilmes: Pfarrer in Schemmern, Lebensweg von Margarete Krämer (1892– orderstedt: o S --- 1942) umfangreiche Recherchen unternom- - S roschr men und legt jetzt das Ergebnis in Buchform vor. Es ist geradezu ein „typischer“ Lebens- Der Autor war von 1963–1968 selbst In- weg einer jungen gebildeten Frau aus jüdi- haber der Pfarrstelle in Schemmern, die mit scher Familie, die nach dem Studium den ihren acht Gemeinden eine der umfang- Lehrerberuf ergreift, dann einen Zigarrenfab- reichsten in der Region ist. Den Hauptteil des rikanten heiratet und sechs Kinder großzieht. Buches bilden die Lebensläufe der Pfarrer, Während die Kinder in der NS-Zeit ins Aus- die hier gewirkt haben und seit der Reforma- land fliehen können, werden sie und ihr Ehe- tion nahezu lückenlos dokumentiert werden mann Opfer des NS-Regimes. können. Hilmes weist jedes aufgeführte De- Veröffentlichungen aus dem Werra-Meißner-Kreis 2018 209 tail akribisch mit Quellennachweisen nach Die Autorin lebt im Seniorenheim am Brü- und hat eine Fülle von Daten zu den Pfarrer- ckentor in Eschwege und ist Jahrgang 1925. familien zusammengestellt. Hinzu kommen Da gibt es viel zu erinnern und zu erzählen, Exkurse über die Pfarrerausbildung sowie als aber die eigentliche Arbeit war es sicher, das Besonderheit für Schemmern die Geschichte in hohem Alter zu Papier zu bringen. der Renitenten Gemeinde. Wolfgang Hellmund: Witzenhausen im Wer- Leon Zündel: this is for ur eyes only. Ca. ra-Bergland – ein Wanderführer für die Re- S S ---- gion der Kirschenstadt Het der Schri- tenreihe als eaage Selbstverlag des „Dies ist nur für Deine Augen bestimmt“ erratalvereins itenhasen S lautet der Titel übersetzt. Wo liegt die Beto- ---- S ol Karten nung? Bei „Deine“ oder bei „Augen“? Je nach Betonung ergibt sich ein ganz anderer Sinn. Wer es herausfinden will, muss sich mit den Die Erstauflage erschien 1995, so dass Kurzgeschichten lesender Weise befassen, eine Neuauflage durchaus sinnvoll erscheint. die der junge Autor zunächst in sein Smart- Gegenüber damals hat sich im Hinblick auf phone getippt und dann – auch – als „altmo- Wegeführung und -markierung zwar nicht disches“ Buch veröffentlicht hat. viel geändert, aber einige Strecken weisen zur Zeit problematische Wegeverhältnisse Anja Stürzer (Hrsg.): Auf der Suche nach auf oder lassen eine Begehung nicht mehr dem Leser. Anthologie, Essen: Oldib Verlag zu. In dem 120 Seiten starken Buch werden S ---- S zunächst Landschaft, Geologie, Flora und Fauna sowie die Geschichte des Raumes Un- Diese Sammlung verschiedener Beiträge tere Werra und Kaufunger Wald kurz vorge- aus Frauenhand findet hier Erwähnung, weil stellt, bevor 14 Spaziergänge in der nächsten eine Autorin aus unserer Heimat daran be- Umgebung von Witzenhausen und seinen teiligt ist. Kristin Weber schreibt „über eine Stadtteilen empfohlen und anschließend fast weltweit geschehene Sensation, die überall 20 Wanderungen in der weiteren Umgebung begierig aufgesogen wird“. Mehr wird nicht beschrieben werden. Schließlich sind noch verraten. Wanderungen auf sechs Durchgangswander- strecken aufgeführt und werden Etappenwan- Dieter von Schedy: Überall ist Kammerbach. derungen vom Standort Witzenhausen vorge- Lausbubengeschichten der Nachkriegszeit. schlagen. adeberg: e ehr S ll Stefan Forbert / Karl Kollmann Frau Holle … weltberühmt und unbekannt. Zehn nette kleine Geschichten, nicht nur Geo-Naturpark Frau-Holle-Land 2018; 24 S., für Lausbuben. Sie geben einen authenti- geh., zahlreiche farbige Abb. schen Einblick in das Leben in einem kleinen Dorf, mit Bienen, Wespen, Wildschweinen Diese Werbebroschüre des Geo-Natur- und Walnussöl. parks Frau Holle-Land fasst auf informative Karsten Heuckeroth Weise zusammen, warum Frau Holle die zentrale Figur des Naturparks ist und was Margret Westhoff: Das Haus meiner Träume. man hier als Tourist und Einheimischer erle- Geschichten und Gedichte aus 85 Jahren. Ei- ben und erlernen kann. Die Broschüre ist in genverlag 2018, 107 S., 23 Abb., € 15,00 vier Abschnitte gegliedert: Vom Mythos zum 210 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Märchen, Mythen- und Sagenorte, Das Mär- Vor 50 Jahren, am 28. Januar 1968, schlos- chen Frau Holle und die Brüder Grimm, Frau sen sich die beiden – oft miteinander konkur- Holle erleben. Weiterführende Literatur und rierenden – Eschweger Sportvereine „Turn- Surftipps ermöglichen einen tieferen Einstieg verein 1861/48“ und „TSG Jahn-Eintracht in das Thema. 1899“ zum Eschweger Turn- und Sportver- ein 1848 e. V. (ETSV 1848) zusammen. Gerd Wommen früher – Wommen heute. Dauer- Strauß hat eine Chronik der vergangenen kalender zur 750-Jahrfeier, 13 Bl., konzipiert fünf Jahrzehnte verfasst und auf der Internet- von en Steinbrc oen o seite des Vereins zugänglich gemacht (www. eschwegertsv.de). Auf den zwölf Monatsblättern und dem Deckblatt dieses Dauerkalenders werden alte Zwar ist eine ganze Anzahl von regionalen und neue Fotos gegenüber gestellt. Dies ist Kalendern für das Jahr 2019 erschienen, doch ein Beitrag zum 750. Jubiläum der Ersterwäh- sollen hier nur zwei herausgegriffen werden, nung, das 2018 begangen wurde. die Eschwege und sein Umland direkt be- treffen (auch wenn sie bei Erscheinen dieses 450. Wanfrieder Vogelschießen vom 6. bis Heftes schon längst vergriffen sein sollten). – 9. Juli 2018. Wanfried 2018, 80 S. Das Stadtarchiv Eschwege hat in Zusammen- arbeit mit der Kalendermanufaktur Verden Man konnte im Jahr 2018 ein rundes Jubi- einen Kalender mit historischen Eschweger läum feiern, denn 1568 wurden die Privilegi- Aufnahmen herausgegeben: Eschwege – Ein en der Wanfrieder Schützengilde urkundlich Bildkalender mit historischen Ansichten für bestätigt. Diese Tatsache bot Anlass zu einem das Jahr 2019 (€ 18,00). – Ferner soll hin- geschichtlichen Rückblick über das Schüt- gewiesen werden auf einen Kalender von zenwesen, zusammengestellt von Gerhard Thorsten Eschstruth mit aktuellen durchweg Jansa auf S. 17–42, unterbrochen von zahl- farbigen Eschweger Motiven (€ 15,00). reichen Werbeseiten wie im ganzen Heft, welche den Druck überhaupt ermöglicht haben und einen guten Überblick über die Unternehmen in der Region bieten.

150 Jahre Freiwillige Feuerwehr Germe- rode 1868–2018. Selbstverlag Germerode 2018; 108 S., zahlreiche meist farbige Abb., brosch., gegen Spende erhältlich bei der Feu- erwehr

Zwischen zwölf Grußworten und einem umfangreichen Werbeblock findet sich auf S. 29–45 die eigentliche Chronik der Freiwil- ligen Feuerwehr Germerode, ergänzt durch einige Fotoseiten. Dabei wird Bezug auf die ältere Chronik aus dem Jahr 1978 genom- men. 211

Veröffentlichungen Der ehemalige Forstbeamte und durch zahlreiche Veröffentlichungen bestens aus- aus den thüringischen gewiesene Heimatchronist präsentiert als Nachbarkreisen 2018 Ergebnis umfangreicher Recherchen eine mit großzügigem Bildmaterial ausgestatte- von York-Egbert König te Dokumentation über 59 Forsthäuser auf dem Eichsfeld (42) und im Hainich (17). Die alphabetisch von Adelsborn bis Zehnsberg Kurt Porkert: Geheimnisvolle Brunnen und bzw. von Eigenrieden bis Windeberg sortier- Gewässer im Eichsfeld und in angrenzenden ten Beiträge informieren über Lage und Ge- Gegenden, derstadt: ece S schichte der Häuser sowie deren Bewohner ---- S bb ro- und führen die forstlichen Amtsträger der schr einzelnen Bezirke auf. Eine kurze Geschich- te der Wald- und Forstwirtschaft führt in die „Alles ist aus dem Wasser entsprungen, Thematik ein, ein Glossar, ein Quellen- und alles wird durch das Wasser erhalten.“ Die- Literaturverzeichnis sowie ein Personenregis- se Worte Goethes fassen die Bedeutung des ter und Übersichtskarten runden den Band Wassers für die Menschen kurz und präg- ab, dem noch einige Zeichnungen von Karl- nant zusammen. Wasser ist Leben, ohne Heinz Fritze (1937–2012), einem Bruder des Wasser kein Leben! Quellen und Brunnen Verfassers beigegeben sind. spenden seit Menschengedenken das zum Überleben unerlässliche Lebensmittel. Um Thomas W. Müller: Das Eichsfeld im 19. Jahr- die Orte des Wassers ranken sich aber auch hundert. Alltagsbilder aus einer bewegten unzählige Mythen und Geschichten von Zeit Errt: Stton S --- Ereignissen und Erscheinungen, von Wohl- - S bb geb und Untaten, von Bräuchen und Kräften, entstanden Siedlungen und Treffpunkte. Die Politische und kirchliche Neuordnung, vorliegende regionale Übersicht porträtiert Säkularisation und Kulturkampf, Industria- 111 beachtenswerte Gewässer und Brunnen lisierung und Wanderarbeit, Alltag und Le- im Eichsfeld und einige wenige im angren- benswelt, so sind die Kapitel des Bildbandes zenden Werraland: den Frau Holle Teich am überschrieben, der uns anhand weitgehend Meißner, den Karlsbrunnen in Eichenberg, unveröffentlichter Fotografien aus Sammlun- den Zimmersbrunnen „vor dem Tore“ in gen von Privatpersonen, Archiven und Muse- Allendorf und den Holzborn am Ende des en durch das Eichsfeld des 19. Jahrhunderts Ausbachtals nahebei. Wer nach der Lektüre führen soll, in eine Zeit umfassender Verände- dieser beeindruckenden Aufstellung einzel- rungen durch den Anschluss an Preußen und ne Gewässer und Brunnen zu Fuß oder mit das Ende der Kirchenherrschaft, fortschreiten- dem Rad selbst erkunden möchte, der fin- de Industrialisierung und Technisierung, die det im Anhang zielortsbezogene Geo-Koor- Notwendigkeit, das Überleben durch Arbeit dinaten und zielführende Stadtrundgangs-, in der Fremde zu sichern, durch den Einzug Wander- und Radtouren als Orientierungs- von Eisenbahnen, Telegrafie und ersten Au- hilfe. tomobilen. Angesichts des rasanten Wandels bot die Verwurzelung in Traditionen, Familie Eduard Fritze: Die Forsthäuser des Eichs- und lokaler Gemeinschaft Halt und Bestän- feldes und des Hainichs, Bad Langensalza: digkeit in einer vermeintlich heilen Welt, die ocsthl S ---- trotz offensichtlichen Fortschritts weiterhin S bb nlagen geb von harter Arbeit geprägt war. 212 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Thomas W. Müller: Eichsfeld. Fotoschät- jetzt eine sehr umfangreiche Quellensamm- ze aus den 70ern und 80ern, Erfurt: Sutton lung erarbeitet, die bisher Unbekanntes, S ---- S Unzugängliches oder Vergessenes für alle bb geb Interessierten erreichbar macht, die sich mit der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ auf Von den in letzter Zeit vom Verfasser den Schlachtfeldern und dem Geschehen zu- herausgegebenen Fotobänden dürfte die hause intensiver beschäftigen wollen. Dazu vorliegende Publikation den höchsten Wie- wurden Dorf- Schul- und Pfarrchroniken dererkennungswert besitzen, zumal für die vieler Orte des Ober- und Untereichsfelds, Erlebnisgeneration, da sie den Blick auf die Tageszeitungen, Feldpostkarten und -briefe, jüngere Vergangenheit im Eichsfeld richtet. Kriegstagebücher, Fotos, Gefallenenmeldun- Bisher unbekannte Abbildungen aus priva- gen, Ehrentafeln und Auszeichnungen her- ten und öffentlichen Sammlungen vermitteln angezogen, die man in zahlreichen Archiven einen Eindruck vom Alltag zwischen Din- und Sammlungen vor Ort und auch darüber gelstädt, Leinefelde, Heiligenstadt und Du- hinaus sowie bei Privatpersonen einsehen derstadt in einem Zeitrahmen von der Entlas- oder bereits veröffentlicht auffinden konnte. sung einiger Dörfer aus dem Sperrgebiet zum Ergänzend sei hier auch noch auf die „Hei- „Grenzgebiet West der DDR“ (1972) und der matgrüße aus dem Werratal“ verwiesen, 1000-Jahrfeier Heiligenstadts (1973) bis zur mit denen die Pfarrgemeinden der Kreise Grenzöffnung und dem Ende der absoluten Eschwege und Witzenhausen während bei- SED-Herrschaft (1989). Die einzelnen Kapi- der Weltkriege Berichte und Meldungen aus tel berichten vom Strukturwandel durch den der Heimat an ihre Soldaten schickten und Auf- und Ausbau der Großindustrie, von der die durchaus auch bis in die Nachbarschaft Optimierung der Landwirtschaft, vom Leben reichen. Ein Ortsregister führt über 600 Städ- mit und an der Grenze, von verordneter Ideo- te und Gemeinden auf, deren Verweise zu logie, katholischer Tradition und aufkom- über 1200 im Text genannten Personen füh- mender Revolution. Eine Zeittafel historisch ren. Ein verdienstvolles, teils sehr emotiona- bedeutsamer Ereignisse schließt das facetten- les Werk, das man andernorts sehr zur Nach- reiche Porträt. ahmung empfehlen möchte.

Mathias Degenhardt (Bearb.): Vom Leben Arno Wand: Kirchengeschichte des thürin- und Leiden der Eichsfelder im Ersten Welt- gischen Eichsfeldes vom 8. bis 20. Jh. Eine krieg. Eine Quellenedition, hrsg. vom Verein katholische Enklave in Mitteldeutschland, für Eichsfeldische Heimatkunde und vom Heiligenstadt: ordier S -- Heimatverein Goldene Mark, Duderstadt: -- S bb gebnden ece S ---- S bb geb Inmitten „feindlicher“ Umgebung konnte Das Jahr 2018 war ein Jahr der Erinne- das Eichsfeld über Jahrhunderte hinweg den rung an Kaisersturz, Waffenstillstand und Charakter einer durch die katholische Kirche Ausrufung der Republik in Deutschland vor geprägten geschlossenen Kulturlandschaft 100 Jahren. Themenbezogene Sachbücher bewahren. Jetzt widmet Verfasser der Region u. a. m. erschienen rechtzeitig und zuhauf. eine eigene akribisch zusammengestellte Kir- Auch auf lokaler Ebene setzte man sich er- chengeschichte ganz aus katholischer Sicht. neut oder gar erstmals mit dem Ersten Welt- Dabei reicht die Zeitspanne von Bonifatius krieg und dessen Auswirkungen auf die Re- bis zur Gründung des Bistums Erfurt im Jah- gion auseinander. Für das Eichsfeld wurde re 1994 mit einem Ausblick auf die jüngste York-Egbert König: Veröffentlichungen aus den thüringischen Nachbarkreisen 2018 213

Zeit und den Besuch des deutschen Papstes Das Eichsfeld ist nicht nur reich an Bur- Benedikt XVI. am Marienwallfahrtsort Etzels- gen, Schlössern und Klöstern, sondern auch bach im September 2011. Bis 1815 wird das an Sagen, Geschichten und Legenden, die Eichsfeld noch als Einheit betrachtet. Nach bereits wiederholt von verschiedenen Auto- dem Wiener Kongress gehörte das Unter- ren in unterschiedlichen Sammlungen her- eichsfeld mit Duderstadt zu Hannover. Das ausgegeben wurden. Der Verfasser, dem das Obereichsfeld mit Heiligenstadt und Worbis Eichsfeld jahrzehntelang verborgen geblie- allerdings wurde Preußen zugeschlagen und ben war, möchte uns hier nun an seinem ist nunmehr ein Teil von Thüringen. Im Mit- Eichsfeld-Erlebnis teilhaben lassen und ver- telpunkt der Darstellung stehen kirchliches bindet in seiner Auswahl 72 Sagen mit 38 Leben und Frömmigkeit. Verfasser sieht seine Baulichkeiten, wobei er den Fürstenstein Arbeit als Beitrag zur thüringischen Landes- bei Albungen und den Bilstein im Höllental und mitteldeutschen Kirchengeschichte, die großzügig noch dem Eichsfeld einverlleibt. man aufgrund der zusammengetragenen De- Aber ausgerechnet die Sage um den letzten tails durchaus auch als Nachschlagewerk be- Bilsteiner und seine Familie enthält er uns da- trachten kann, von dem man regen Gebrauch bei vor und faselt stattdessen lieber von einer machen sollte. Gottheit namens Biel. Im Übrigen stellt man bei fortschreitender Lektüre fest, wie hilfreich Felix Tasch: Eichsfelder Waffendienstverwei- ein gutes Lektorat doch immer wieder sein gerer, derstadt: ece S -- kann. Es hätte zumindest den Druckfehler- -- S geb teufel in seine Schranken weisen und uns ein katastrophales Literaturverzeichnis ersparen Nach dem Bau der Mauer führte auch können. die ehemalige DDR ab 1962 die allgemei- ne Wehrpflicht für Männer ein, der man sich Ulrich Harteisen u. a. (Hrsg.): Das Eichsfeld. zunächst nicht entziehen konnte. Allerdings Eine landeskundliche Bestandsaufnahme, wurde 1964 die Möglichkeit einer Wehr- Köln: öhla S ---- dienstverweigerung aus Gewissens- und S bb geb Land- Glaubensgründen eingeräumt: ein Dienst in schaten in etschland der NVA ohne Waffen als Bausoldat, über den in der Öffentlichkeit bis zum Mauerfall Und wieder liegt ein weiterer Band der jedoch nicht gesprochen wurde. Das Buch verdienstvollen Reihe „Landschaften in handelt von den Gewissensnöten katholi- Deutschland“ vor, der jetzt erstmals ein lan- scher Wehrpflichtiger vom Eichsfeld im Um- deskundliches Gesamtporträt unserer Nach- feld einer Kirche, die Konflikte mit der allein- barregion zeichnet und Nachschlagewerk herrschenden Obrigkeit eher zu vermeiden und Lesebuch zugleich ist. Dabei kommen suchte. alle natur- und geisteswissenschaftlichen Dis- ziplinen zum Tragen. Darüber hinaus werden Tobias und Walter Schulz: Das Eichsfeld und alle Dörfer und Städte des Eichsfelds in ihrer seine Zigarrenindustrie, Gerbershausen: historischen Entwicklung und ihrem heutigen Selbstverlag 2018, 55 s:, 104 Abb., € 10,00. Erscheinungsbild dargestellt. Über QR-Codes und weitere Links sind zusätzliche Informa- Michael Seidel: Die Burgen, Schlösser, Klös- tionen aus dem Internet abrufbar. Zahlreiche ter und Sagen im Eichsfeld, Naumburg: Karten aus Satellitensicht, Grafiken und Fotos abrger erlagsanstalt S - sowie umfangreiche Literatur- Personen- Orts- --- S bb roschr und Sachregister runden die bemerkenswerte € 17,45. und herausragende Publikation ab. 214 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Harald Rockstuhl (Hrsg.): Luftbildatlas Bereits seit einigen Jahren bringt der rüh- Heiligenstadt. Luftbilder 1930–2015, Bad rige Verlag die bis zum Ende des Kaiserreichs Langensala: ocsthl S -- erfolgten Bestandsaufnahmen von Bau- und -- S bb gehetet Kunstdenkmälern der thüringischen Staaten und der preußischen Provinz Sachsen im Reprintverfahren wieder auf den Markt und Luftbildatlas Eisenach mit der Wartburg. schließt damit zweifellos eine Lücke im ein- Luftbilder 1911–1980, Bad Langensalza: schlägigen Schrifttum. Den seinerzeit betei- Rockstuhl ³2017, 64 S., 33 Abb., geheftet, € ligten Kunsthistorikern Paul Lehfeldt (1848– 1900) und Georg Voß (1854–1932) gebührt für ihre Arbeit andauernde Wertschätzung, Aus einer kleinen Reihe unlängst er- zumal sie für insgesamt 41 Hefte mit um- schienener Luftbildatlanten sei hier auf die fangreichem Bild- und Skizzenmaterial über entsprechenden Hefte über die unmittelbare Thüringen verantwortlich zeichnen, wobei Nachbarschaft mit Luftbildern ganz unter- Stadt und Kreis Eisenach sowie die Wartburg schiedlicher Provenienz hingewiesen. So war gleichsam als Dreigestirn den abschließen- schon zur Kaiserzeit ein Zeppelin über Eise- den Höhepunkt darstellen. Im Vergleich dazu nach geflogen, es folgten Luftbildfirmen und kommt die Erfassung bedeutender Baudenk- Industriefotografen, die u. a. auch Vertreiber mäler in hiesiger Region, z. B. durch Hein- von Ansichtskarten versorgten. Während des rich von Dehn-Rotfelser (1825–1885) und Zweiten Weltkriegs fanden amerikanische Wilhelm Lotz (1829–1879), aus dem Jahre und sowjetische Aufklärungsflüge statt. Spä- 1875 eher bescheiden und lückenhaft daher. ter war die DDR-Interflug im Auftrag der Lan- Die diversen Einzelinitiativen wurden durch desvermessung unterwegs, und der Heraus- das „Handbuch der deutschen Kunstdenk- geber selbst steuerte eigene Aufnahmen von mäler“ ersetzt, dessen Herausgabe auf dem Heiligenstadt bei. Durch alle Zeiten hindurch Tag für Denkmalpflege 1900 in Dresden auf fasziniert der Blick von oben, und nicht von Anregung des Kunsthistorikers Georg Dehio ungefähr gehören derartige TV-Beiträge zu (1850–1932) beschlossen wurde. Und so- den beliebtesten Sendungen im Programm. mit erscheint der DEHIO seit 1905 quasi als Standardwerk in wiederholt aktualisierten Paul Lehfeldt, Georg Voß: Bau- und Kunst- Auflagen und wechselnden regionalen Zu- denkmäler Thüringens schnitten.

Heft 39: Stadt Eisenach, Bad Langensalza: Thomas Niedlich: Unterwegs. Auf dem Rockstuhl 2017, Reprint der Ausgabe Jena Rennsteig. Zwischen Hörschel und Blanken- S ---- S stein [Auf den Spuren von August Trinius], bb geb ad Langensala: ocsthl S - --- S bb roschr Heft 40: Kreis Eisenach, Bad Langensalza: Rockstuhl 2017, Reprint der Ausgabe Jena S ---- S Mit seinem in den 1890er-Jahren erstmals bb geb erschienenen Rennsteig-Wanderbuch hatte August Trinius alias Carl Freiherr von Küs- Heft 41: Die Wartburg, Bad Langensalza: ter (1851–1919) eine ungeahnte Rennsteig- Rockstuhl 2017, Reprint der Ausgabe Jena begeisterung ausgelöst. Der Weg auf dem S ---- S Kamm des Thüringer Waldes von der Werra bb geb bis zur Saale (168 km) wurde schlagartig zum York-Egbert König: Veröffentlichungen aus den thüringischen Nachbarkreisen 2018 215 bekanntesten Wanderweg Deutschlands, der hatte er zuvor schon drei andere Kulturland- Verfasser zum meistgelesenen Wanderbuch- schaften erwandert: Saaletal 1890, Unstruttal autor, der seinen Landsleuten nicht nur mit 1892, Moseltal 1897. Mit seinen bis heute diesem Buch die landschaftlichen Schönhei- immer noch attraktiven Beschreibungen woll- ten des Reiches anschaulich zu erschließen te er „den Lauf der Werra von der Quelle bis trachtete. zur ihrer Verbindung mit der Fulda feiern“. Mehr als 100 Jahre später folgt Wander- Dabei hätte er seine Fahrt auch gern noch freund Niedlich den Spuren von Trinius zwi- bis zur Nordsee fortgesetzt, „denn Werra und schen Hörschel und Blankenstein durch alle Weser sind ein und dasselbe“ und verlieren Jahreszeiten und setzt dabei seine eigene „nur durch die Verschiebungen der Sprache sehr persönliche und emotionale Begegnung die Ehre“, neben Rhein, Oder und Elbe zu mit einem der großen deutschen Höhenwan- den vier großen Strömen Deutschlands ge- derwege in Beziehung zu den Schilderungen rechnet zu werden. Wanderfreund Niedlich von damals, gern nimmt er dabei auch Pas- heftet sich erneut an Trinius’ Fersen und folgt sagen aus dem Original hinzu. Ein Wander- dem ca. 300 km langen Weg des Flusses von buch zwischen gestern und heute also, das der 797 m hoch gelegenen Quelle beim thü- auf besondere Weise Historisches mit dem ringischen Fehrenbach bis zur Aufnahme der Aktuellen verknüpft, lobt und kritisiert, Ver- Fulda im niedersächsischen Münden. Wie in lorengegangenes bedauert, Neuerungen be- anderen Veröffentlichungen zuvor vergleicht grüßt. Am Ende wird man feststellen, dass der Niedlich seine eigenen Erfahrungen immer Rennsteigwanderweg kaum etwas von seiner wieder mit den Schilderungen von damals Anziehungskraft und Begeisterungsfähigkeit und zitiert dabei auch sehr gern aus dem eingebüßt hat. Ob sich auch immer noch das Original, lobt und kritisiert, weist auf positive Romantisch-Mystische nachvollziehen lässt, wie negative Veränderungen hin. Beide Auto- kann wohl jeder nur für sich selbst beantwor- ren ergänzen sich somit auf gelungene Wei- ten. se und dürften ihre Mission als erfüllt anse- Weitere Wanderungen auf Trinius’ Spuren hen, wenn selbst wir Anrainer bisweilen die bietet Verfasser unter dem Titel „Unterwegs Werralandschaft ganz neu oder wieder ent- im Thüringer Wald zwischen Arnstadt und Al- decken. Die gerade für uns ganz besonders tenbergen“ (2015; ISBN 978-3-86777-915-9) interessante Strecke zwischen Creuzburg und an. Hannoversch Münden nimmt den überwie- genden Teil des zweiten Bandes ein und ist in Thomas Niedlich: Unterwegs. An der Werra. sechs Etappen unterteilt, die man ganz indivi- [Auf den Spuren von August Trinius] duell zu Fuß, mit dem Rad oder gar auf dem Fluss selbst zurücklegen kann. Teil 1: Zwischen Werraquelle und Bad Sal- zungen, Bad Langensalza: Rockstuhl 2015 Sylvia Weigelt: Mein Glück geht auf Stel- S ---- S bb zen. Der gescheiterte Kurfürst Johann Fried- roschr rich I., cha bei ena: arts S ---- S bb geb Teil 2: Zwischen Bad Salzungen und Hann. S Münden, Bad Langensalza: Rockstuhl 2018 S ---- S bb Neben Landgraf Philipp dem Großmüti- roschr gen von Hessen-Kassel (1504–1567) gehörte auch Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen Als August Trinius 1910 auch noch sein (1503–1554) zu den entschiedensten Ver- Wanderbuch durchs Werratal veröffentlichte, fechtern der protestantischen Sache. Als mi- 216 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 litärische Führer des Schmalkaldischen Bun- Gedenktafeln, Bürgermeister, ausgesuchte des unterlagen beide 1547 den siegreichen Wahlergebnisse, verdiente Sportler u. a. hin. Truppen des Kaisers bei Mühlberg. Johann Die bislang umfangreichste Jena-Bibliogra- Friedrich entging nur knapp der Todesstrafe, phie und ein Personenregister schließen das war einige Jahre inhaftiert. Er verlor die Kur- Stadtlexikon ab. würde, musste sich mit dem ernestinischen Landesteil (Thüringen) begnügen, den er fort- Annegret Schüle (Hrsg.): Internationale an von Weimar aus regierte. Als Ersatz für die Wanderausstellung Industrie und Holocaust. verlorene Universität Wittenberg gründete er Topf & Söhne [Erfurt] – Die Ofenbauer von 1548 in Jena eine „Hohe Schule“, die dann Auschwitz, deutsch-englisch, Berlin: Hen- 1558 zur Universität erhoben wurde und trichHentrich S --- noch heute besteht. Davon u. a. berichtet das - S ill Klaenbroschr vorliegende Buch, dem es auf sehr lesens- werte Weise gelingt, uns das ungewöhnli- In den NS-Todeslagern wurde die Vernich- che Leben des Johann Friedrich in all seinen tung von Menschen industriemäßig geplant Widersprüchen, aber auch sehr persönlich und durchgeführt. Zu den willigen und en- nahezubringen, indem die Autorin auf den gagierten Helfern gehörten nicht nur große erhaltenen Briefwechsel zwischen dem Konzerne, sondern auch mittelständische Be- Herzog und seiner Gemahlin Sybille von triebe, wie z. B. die Firma J. A. Topf & Söhne Kleve-Jülich-Berg (1512–1554) zurückgreifen in Erfurt. Die 1878 gegründete Maschinenfa- konnte. Zudem entsteht, auch mittels reicher brik für Feuerungstechnik baute Heizungsan- Verwendung von zeitgenössischem Bildma- lagen, Brauerei- und Mälzereieinrichtungen, terial, ein anschauliches Panorama der dama- Siloanlagen und Schornsteine sowie gasdich- ligen Zeit. Ein Anhang enthält den Bericht ei- te Türen und Fenster, entwickelte schließlich nes Augenzeugen über die Gefangennahme auch Einäscherungsöfen für Krematorien und Johann Friedrichs am 24.April 1547 sowie stieg damit in den 1920er Jahren zum Markt- einen Entwurf des kaiserlichen Todesurteils führer auf. Während des Zweiten Weltkriegs gegen ihn. Zeit- und Stammtafeln runden begann die Zusammenarbeit mit der SS. Ab den Band ab, der übrigens auch als Begleit- 1942 lieferte das Unternehmen „kontinuier- band zu einer Ausstellung im Stadtmuseum lich arbeitende Leichenverbrennungsöfen für am Marktplatz in Jena gedacht war, auf dem Massenbetrieb“, auch die Gaskammer-Lüf- seit 1858 ein Denkmal an Johann Friedrich tungstechnik wurde weiterentwickelt. Die als Universitätsgründer erinnert. vorliegende Publikation dient als Begleitband zu einer Internationalen Wanderausstellung, Rüdiger Stutz, Matias Mieth (Hrsg.): JENA. die von dem 2011 im ehemaligen Verwal- Lexikon zur Stadtgeschichte, Berching: Tüm- tungsgebäude der Firma Topf in Erfurt eröff- el S ---- S neten Erinnerungsort in Zusammenarbeit mit 1100 Abb., geb., € 50,00 der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora entwickelt wurde und das Der prächtige Band bietet erstmals eine Wirken des Unternehmens für das NS-Regi- historisch-kritische Zusammenschau der me schonungslos dokumentiert. Orts- und Stadtgeschichte Jenas und deckt dabei einen Zeitraum von der Altsteinzeit Eichsfeld Jahrbuch 26/2018, hrsg. vom Ver- bis zum Jahre 2010 ab. Die Darstellung um- ein für Eichsfeldische Heimatkunde und vom fasst 1271 Personen- und Sacheinträge, die Heimatverein Goldene Mark, Duderstadt: 260 Autoren beigesteuert haben. Zahlrei- ece S ---- che Übersichten weisen auf Ehrenbürger, 384 S., 175 Abb., Broschur, € 25,00. York-Egbert König: Veröffentlichungen aus den thüringischen Nachbarkreisen 2018 217

Ulrich Hussong: Die Ersterwähnung von Museen und dem Stadtarchiv, Mühlhausen/ Geisleden; Udo Hopf: Die bauhistorischen hringen S ---- und bauarchäologischen Zeugen verwandt- S bb roschr schaftlicher Beziehungen des Adelsge- schlechts vom Hagen; Hans-Joachim Winzer: Michael Meißner: Zum 250. Todestag des Die Herren von Esplingerode; Rainer Läm- Mühlhäuser Kantors und Musikdirektors Jo- merhirt: Die Sippe der Diedorfer Harstalls hann Lorenz Albrecht (1732–1768); Martin und ihr Einfluss auf Reformation und Gegen- Sünder: Vor 100 Jahren: die Novemberrevolu- reformation im Eichsfeld; Peter Anhalt, Bar- tion in Mühlhausen; Peter Bühner: Vor 50 Jah- bara Honemann: Die Ordnung der Schmie- ren: Ehrung für Karl Marx zu seinem 150. Ge- degilde im Amt Harburg-Worbis; Josef burtstag in Mühlhausen; Antje Schloms: Reinhold: Johann Georg Geyer aus Nordhau- Christian Wilhelm Hübner (1781–1842). sen als Glockengießer für das Eichsfeld und Patriziersohn und Verwaltungsangestellter in Mitteldeutschland in der 1. Hälfte des 18. Jh.; Mühlhausen; Rüdiger Biehl, Manfred Groß- Horst Rössler: Wanderhändler und Wander- mann, Andreas Henkel: 20 Jahre National- gewerbetreibende aus dem Eichsfeld im El- park Hainich. Zwischenbilanz und Ausblick; be-Weser-Dreieck zwischen 1815 und 1871; Jasmin Karaschewski, André Kirchner: Erste Franz-Reinhard Ruppert: Arbeitswanderer Ergebnisse zur Boden entwicklung und Kollu- aus dem Eichsfeld bei der Norddeutschen viationsgeschichte am Kobenkopf (UHK); Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei in Wulf Walther, Thomas Schierl: Spätkeltische Delmenhorst ab 1884; Gerold Wucherpfen- Einflüsse und das Ende der elbgermanischen nig: Von der frühen Eichsfelder Wanderar- Vorherrschaft im westlichen Thüringen am beit zum heutigen Berufspendeln; Christian Beispiel der frühen Augenfibeln; Karl Koll- Riemenschneider: Gekauft, geschenkt, ent- mann: Zum Güterumschlag am Wanfrieder eignet? Provenienzforschung in Südnieder- Hafen im Jahr 1739; Philipp Hammer: Bür- sachsen am Beispiel des Heimatmuseums gerschaftliches Engagement und Leistungsver- Duderstadt; Gerd Leuckefeld: Kirchenstühle. waltung in Mühlhausen im Ersten Weltkrieg; Sitzgelegenheit, Prestigeobjekt, Geldquelle Rudi Schmidt: Erdöl- und Erdgasförderung im oder sozialer Sprengstoff? Eine Untersuchung Kaliwerk Volkenroda; Volker Klimpel: Erin- am Beispiel der katholischen Kirchen in Lei- nerungen an Karl Ulrich (1874–1964); Peter nefelde; Paul Lauerwald: Richard Stumpf Bühner: Gescheiterte Eingemeindung (1950); (1892-1958) und sein Wirken auf dem Eichs- Hans Vogt: Von der Reichsmark zur D-Mark. feld; Mathias Degenhardt: vom Führer per- Meine berufliche Entwicklung in der Sparkas- sönlich r ree verichtet Zur Entstehung se Mühlhausen 1945–2001; Eike Kopf: Mühl- und Geschichte der Sturmabteilung (SA) auf hausen, eine MEGA-Stadt; Peter Bühner: dem Eichsfeld; Felix Tasch: Probleme der ört- Das Mühleisen in neuen Kommunalwappen; lichen DDR-Staatsorgane bei der Sicherung Frank-Wolfgang Möller: Kanalnetz der Stadt des militärischen Nachwuchses im Eichsfeld; Mühlhausen nach 130 Jahren fertiggestellt; Kurt Porkert: Schlucklöcher im oder nahe Peter Bühner, Douglas Miller: Das Diorama dem Eichsfeld. Populäre Deutungen rätsel- des Kampfes am Felchtaer Tor 1251 im Kul- hafter Gewässerschwundstellen; Josef Kep- turhistorischen Museum; Frank Schulz: Chro- pler: Neue Literatur über unsere Heimat (51 nik der Stadt Mühlhausen für das Jahr 2017. Titel). Thomas T. Müller (Hrsg.): Umstrittene Em- Mühlhäuser Beiträge 41/2018, hrsg. v. Mühl- pörung. Zur Gewaltfrage in der frühen häser eschichts- nd enalegever- Reformation. Hans-Jürgen Goertz zum ein in Zusammenarbeit mit den Mühlhäuser ebrtstag hlhasen S 218 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

---- S bb geb nifatiusbote“; Torsten W. Müller: Katholische eröentlichngen der h nter Kirche im eichsfeldischen Sperrgebiet. Die esellschat innerdeutsche Grenze und ihre Folgen für Gemeinden und Seelsorge; Martin Fischer: Jahrbuch für mitteldeutsche Kirchen- und Rezeptionsprozesse der Enzyklika „Humanae Ordensgeschichte 14/2018, hrsg. von Cle- vitae“ in der DDR; Josef Pilvousek: 350 Jah- mens Brodkorb und Norbert Fiedler, Heili- re Ursulinen in Erfurt; Christine Herzog: Wir genstadt: ordier S S hatten einen Heiligen unter uns und wussten bb roschr es nicht. Das Martyrium des Abbé Louis Jac- quat in Thüringen während der letzten Mona- Frank-Joachim Stewing: Mit denen Handel te des Zweiten Weltkriegs; Joachim Wanke: zu treiben durch die Hochschulstatuten ver- In memoriam Weihbischof Hans-Reinhard- boten ist … Das Schankrecht der Universität Koch (1929-2018); Heinz Josef Algermissen: Erfurt im Spätmittelalter und der Handel mit In memoriam Weihbischof Johannes Kapp Bier; ders.: Zum Verzechen für Wein und Bier (1929-2018); Gerhard F. Strasser: Ein ano- Ein Beitrag zum Bier im studentischen Alltag nymes Manuskript aus dem Jahr 1663 über der Erfurter Hochschule im 15. Jh.; Andreas Athanasius Kirchers SJ Universalsprachensys- Kurte: Corbeia Sacra. Ein Beitrag zur Reli- tem im Vergleich mit dem von Philipp Labbé quienverehrung in Corvey; Franz Wochnik: SJ. Ein Gefälligkeitsgutachten? Vorschrift und Praxis. Zur Gestaltung von Es folgen Jahreschroniken theologischer Zisterzienserkirchen zwischen Ideal und Ausbildungsstätten und Berichte über das Anpassung am Beispiel von Amelungsborn, wissenschaftliche Leben in der mitteldeut- Doberan und Dargun; Norbert Fiedler: In- schen Kirchenprovinz sowie Buchvorstellun- formationsbrücke im geteilten Bistum. Zur gen und Nekrologe für verstorbene Welt- und Geschichte der Fuldaer Bistumszeitung „Bo- Ordensgeistliche. 219

Was uns außerdem in Vor der oben genannten spektakulären Ausstellung hatte in Kassel bereits 2016 eine Hessen, Thüringen und internationale Konferenz mit Experten unter- anderswo auffiel schiedlichster Fachdisziplinen über Landgraf von York-Egbert König Carl und sein herrscherliches Wirken stattge- funden. Die dort gehaltenen Vorträge wurden für diesen Band zu (33) wissenschaftlichen Aufsätzen umgearbeitet und um wesentliche Gisela Bungarten (Hrsg.): Groß gedacht! Beiträge erweitert. Sie betrachten einerseits Groß gemacht? Landgraf Carl in Hessen und das historische Umfeld mit seinen Bedingun- Europa, Katalog zur Landesausstellung 2018, gen und Voraussetzungen für das Planen und Kasseletersberg: ho S - Handeln Carls und beleuchten andererseits --- S ill geb sein politisches Wirken in den Bereichen Kataloge der HK and der Militär-, Konfessions-, Dynastie-, Wis- senschafts-, Struktur-, Kunst- und Kulturpo- Landgraf Carl (1654–1730) hat Hes- litik und entwerfen somit ein umfassendes, sen-Kassel ab 1677 als glanzvoller Barock- vielfach neues Bild der Persönlichkeit und fürst regiert und die Entwicklung des Landes der langen Regierungszeit des Landgrafen, und seiner Hauptstadt nachhaltig geprägt. der ganz zurecht als einer der markantesten Karlsaue, Karlshafen, Karlskirche und nicht Vertreter seines Hauses und einer der bedeu- zuletzt der Bergpark Wilhelmshöhe mit dem tendsten Barockfürsten Europas zu bezeich- Herkulesmonument sind bis heute mit sei- nen ist. nem Namen verbunden. Im Sommer 2018 wurde mit einer großen Jean-Yves Mariotte (1935–2003): Philipp der Landesausstellung in Kassel an Leben und Großmütige von Hessen (1504–1567). Fürst- Wirken eines der bedeutendsten Herrscher licher Reformator und Landgraf, aus dem seines Landes erinnert. Der vorliegende, Französischen von Sabine Albrecht, Marburg überaus reich ausgestattete Prachtband er- S ---- S schien als Begleitbuch, dem der jetzige Chef bb geb S HKH des Hauses Hessen und der Ministerpräsi- dent des Landes Grußworte voranstellen. Nikola Roßbach (Hrsg.): Kleines Kasseler Li- Dann sind zehn Essays namhafter Landes- teratur-Lexikon, Hannover: Wehrhahn 2018 historiker der Person des Landgrafen, seiner S ---- S geb Politik, seinen Plänen und Spuren gewidmet, bevor das eigentliche Katalogerlebnis begin- nen kann. Ein umfangreiches Literatur- und Das schwergewichtige Lexikon im DIN Personenverzeichnis schließen den Band A4-Format umfasst die Namen von 450 Au- ab, dem man als Zugabe der besseren Über- torinnen und Autoren im Alphabet von Her- sicht wegen auch noch eine Stammtafel ge- mann Achenbach (1793–1849) bis Wolf Zu- wünscht hätte. cker (1905–1983) und reicht zeitlich von der Gegenwart bis ins 14. Jahrhundert zurück. Holger Th. Gräf u.a. (Hrsg.): Landgraf Carl Als Kriterium der Aufnahme galt das mehr 1674–1730. Fürstliches Planen und Handeln oder weniger lange Leben in Kassel, allein zwischen Innovation und Tradition, Marburg in Kassel oder Umgebung geboren zu sein, S ---- S war nicht ausschlaggebend, ebenfalls unbe- aeln bb geb S HKH rücksichtigt blieben bedeutende Kassel-Gäs- te wie etwa Goethe oder Samuel Beckett. 220 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Die Einzelporträts wurden von einem Team Abbildungen versehenen Dokumentation aus 96 Beiträgerinnen (46) und Beiträgern eine Chronologie aller Bombenangriffe auf (50) verfasst, die jeweils einen oder mehre- Kassel vorangestellt. re Artikel beigesteuert haben. Die Einträge bestehen stets aus zwei sich gegenüberlie- Andrea Gunkler: Starke Frauen aus Nord- genden Druckseiten: einer knapp gehaltenen hessen. Wahre Heldinnen, Gudensberg- Lebensbeschreibung mit Nennung ausge- leichen S ---- suchter Werke bzw. Sekundärliteratur (links) 64 S., 20 Abb., geb., € 14,00. sind Textauszüge (rechts) beigefügt, vom Gelegenheitsgedicht über Poesie und Pro- Das schmale Bändchen stellt zwanzig sa bis zur Mundart, sodass wir nicht nur ein ganz unterschiedliche Lebensgeschichten Lexikon, sondern gleichzeitig auch eine ab- außergewöhnlicher Frauen aus Nordhessen wechslungsreiche Anthologie vor uns haben, und aus drei Jahrhunderten vor, die zu ver- die zum Weiterlesen animieren sollte. schiedenen Zeiten und bisweilen auch gegen mancherlei Widerstände ihr Leben zu meis- Klaus Engelmann: Der Maler und Graphiker tern wussten. Wir treffen u. a. auf die Kom- Gerhard Sy (1886–1936). Ein Künstlerleben ponistin Luise Greger, die Unternehmerin in Zeiten des Umbruchs, Kassel: Universi- Sophie Henschel, die Politikerin Elisabeth t ress S ---- Selbert, die Schriftstellerin Christine Brück- S bb roschr ach als ner, die Biathletin Nadine Horchler und die e-boo S ---- Fliegerin Vera von Bissing (1906–2002), die während des Krieges nur deshalb als Frau Thomas Siemon: Trümmer, Tod und Tränen. noch fliegen durfte, weil sie bereit war, auf Überlebensberichte aus der Kasseler Bom- der Reparaturwerft der Luftwaffe in Eschwege bennacht 1943, Gudensberg-Gleichen: Wart- Dienst zu tun. Die Erneuerung ihrer Lizenz berg S ---- S konnte sie sich nach 1945 nicht mehr leis- bb gebnden ten. Sie blieb in Eschwege und hielt sich und ihre Eltern durch Betreiben einer Wäschean- Die Stadt Kassel als Standort kriegswich- nahmestelle über Wasser. Die regionale Zu- tiger Industrien war seit dem Sommer 1940 ordnung der Frauengeschichten ist etwas un- wiederholt Ziel alliierter Bombenangriffe, gleich verteilt, denn allein 13 Frauen wurden der fatalste und tödlichste Luftschlag traf entweder in Kassel geboren oder waren dort die altehrwürdige Residenzstadt jedoch am tätig, und ganze fünf Porträts betreffen aktuel- 22. Oktober 1943, wobei der Zerstörungs- le Lebenswege. Die Einzelbeiträge bestehen grad Ausmaße wie bei der Bombardierung aus einer Fotoseite und zwei knapp gefass- Dresdens erreichte, und mindestens 10.000 ten Textseiten, die eine kurzweilige Lektüre Menschen fanden den Tod. Der Feuerschein bieten. Ein schönes Mitbringsel für alle Gele- war bis Eschwege und gar bis Erfurt zu sehen. genheiten, falls uns nichts anderes einfallen Das Geschehen hat sich tief in das kollektive sollte. Gedächtnis der Stadt eingegraben und wirkt in ihrem Erscheinungsbild bis heute nach. Bettina Leder, Christoph Schneider, Katha- 75 Jahre später haben sich aufgrund eines rina Stengel: Ausgeplündert und verwaltet. Aufrufs in der HNA über 150 Zeitzeugen ge- Geschichten vom legalisierten Raub an Ju- meldet und von ihren Erlebnissen berichtet, den in Hessen, Berlin: Hentrich&Hentrich knapp 20 Geschichten hat Verfasser beispiel- S ---- S haft auswählen können und seiner mit zahl- bb gebnden Schritenrei- reichen, auch bislang nicht veröffentlichten he des rit aer nstitts and or-Egbert König: as ns aerde in Hessen hringen nd anderswo afiel 221

Das Buch erzählt 90 Geschichten vom le- Forschungs- bzw. regionalgeschichtliche Li- galisierten Raub an Juden aller Herkunfts-, teratur auf. Berufs- und Altersgruppen aus 47 Orten in Hessen und dem heute rheinland-pfälzi- Landgräfin Anna von Hessen (1836–1918). schen Rheinhessen. Insgesamt aber noch Lebensstationen einer hessischen Fürstin, vieles mehr wurde recherchiert und zusam- hrsg. von der Kulturstiftung des Hauses Hes- mengetragen im Rahmen der Vorbereitung sen/Museum Schloss Fasanerie, Ausstellungs- einer Wanderausstellung über die Rolle der begleitbch etersberg: ho S hessischen Finanzverwaltung bei der syste- ---- S bb geb matischen Ausplünderung der jüdischen Be- völkerung zwischen 1933 und 1945. Dabei erwiesen sich gerade die Finanzakten resp. Am 12. Juni 2018 jährte sich der Todes- Lebensumstände der Verfolgten oft als viel tag der Landgräfin Anna von Hessen zum aussagekräftiger als andere Quellen. Vieles 100. Male. Aus diesem Anlass war ihr auf wurde auch erstmals eingesehen, anderes Schloss Fasanerie bei Fulda, wo sich die erst auf Anweisung oder nach Gesetzesände- Landgräfin als letzte fürstliche Bewohnerin rung zur Benutzung freigegeben. Von 2002 regelmäßig aufgehalten hatte, eine feine bis 2018 machte die vielbeachtete Ausstel- Ausstellung gewidmet, die ihre Lebenssta- lung dann siebenundzwanzigmal in Hessen, tionen nachzeichnete und in diesem reich- zweimal in Rheinland-Pfalz und einmal in haltig ausgestatteten Begleitbuch dauerhaft Berlin Station. Neben den Materialien, die nachwirkt. Die am 17. Mai 1836 in Berlin überall zu sehen waren, entstand an jedem als Prinzessin von Preußen geborene Anna einzelnen Ort zusätzlich ein neuer Schwer- war väterlicherseits eine Enkelin der Königin punkt mit Biographien von verfolgten Juden Luise und mütterlicherseits eine Großnich- aus der jeweiligen Region, die von Schülern, te des russischen Zaren Alexander I. 1853 Lokalhistorikern und Archivaren sowie den wurde sie dem Prinzen Friedrich Wilhelm Verfassern selbst recherchiert wurden. Eben- von Hessen angetraut, der als legitimer Erbe so wurden dingliche Hinterlassenschaften der hessischen Kurwürde galt, da Kurfürst und deren Geschichte vorgestellt und ein Friedrich Wilhelm I. keine standesgemä- umfangreiches Begleitprogramm vorberei- ßen Nachkommen vorzuweisen hatte. 1866 tet. Auch in Eschwege wurde die Ausstellung stand Hessen-Kassel im Deutschen Krieg ab Januar 2012 für sechs Wochen gezeigt. jedoch auf der Seite der Verlierer und wur- Dazu wurden die Lebensgeschichten von de von Preußen annektiert, der Traum vom Siegmund Doernberg, Ludwig Goldschmidt, Leben auf dem Thron realisierte sich daher Ferdinand Heilbrunn, Ernst Kahn, Friedrich nicht. Aus der Ehe gingen sechs Kinder her- Kahn, Willy Löwenstein, Erich Narewcze- vor. Nach familiären Schicksalsschlägen witz, Ludwig Larry Stein und ihrer Familien suchte und fand die Landgräfin Trost in der erforscht und in besonderen Vitrinen prä- Musik und im katholischen Glauben, dabei sentiert. Einige wurden in das vorliegende fühlte sie sich dem St. Bonifatius Kloster in Buch aufgenommen und dokumentieren mit Hünfeld besonders verbunden. Am 12. Juni vielen weiteren Geschichten als bleibendes 1918 starb Anna von Hessen in Frankfurt Resümee eines einzigartigen Forschungs- und wurde als bis heute einzige Frau im projektes, wie bürokratisch genau man den Fuldaer Dom beigesetzt. Ein Stammbaum Besitz der Juden erfasste, um ihn dann zu macht die familiären Zusammenhänge bis in enteignen und gewinnbringend zu veräu- unsere Tage deutlich, ein umfangreiches Li- ßern. Ein Verzeichnis erläutert einschlägige teraturverzeichnis lädt zur vertiefenden Be- Begriffe und führt außerdem weiterführende gegnung mit der hessischen Geschichte ein. 222 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Rund um den Alheimer. Beiträge zur Ge- pekuniären Notwendigkeiten jedoch wieder schichte und Landeskunde des ehemaligen an Hessen-Kassel übergeben, ab 1815 gehör- Kreises Rotenburg, Band 40/2019, hrsg. vom te sie dann zur preußischen Rheinprovinz. Geschichtsverein Altkreis Rotenburg im VHG, Neben Rheinfels werden hier 19 weitere otenbrglda SS - Festungsanlagen des 16. bis 19. Jahrhundert 76 S., 43 Abb., Broschur, € 8,00. ausführlich beschrieben, in alphabetischer Reihenfolge von Arenberg über Koblenz und Heiko Ries: Die Pulvermühle am Seulings- Mainz bis zu den Anlagen des Westwalls, see; Götz J. Pfeiffer: Goldschmiede in Roten- wobei auch auf heutige Besitzverhältnisse, burg an der Fulda zwischen 30iährigem Krieg aktuelle Nutzung und mögliche Zugänglich- und Reichsgründung (2.Teil); Martin Ludwig: keit unter Angabe von Kontaktdaten einge- Die Pest in Ronshausen; Renate Dörfel: Spitz- gangen wird. Ein Glossar mit den wichtigsten namen in Obersuhl; Heiko Ries: Clotilden(s) Begriffen schließt den Band ab. lust. Ein Bodendenkmal im landgräflichen Landschaftsgarten Wildeck; Martin Ludwig: Alexander Dylong: Marie Königin von Han- Wer war …? Dr. med. Carl Niemeyer; Jürgen nover. Die Frau an der Seite König Georgs Janousch: Schanzen um die Burg Rodenberg; V., öttingen: atriedia S - Thomas Büttner: Auf Entdeckungsreise im --- S bb Klaenbro- Schlosspark Ludwigseck; Peter Sauer: Die schur, € 20,00. Bergbausiedlung in Solz. Drei unbekannte Briefe zur Standortwahl; Klaus-Peter Paulus: Die Marienburg, das Marienhospital in Ich arbeite bei Stierlen … Die Rotenburger Osnabrück und die Stadt Georgsmarienhütte Metallwerke (RMW). Ein Rückblick (Teil 1). weisen bis heute hin auf eine prominente Na- mensgeberin: die letzte Königin von Hanno- Klaus T. Weber, Anja Reichert-Schick, Angela ver. Aber nur wenig dürfte inzwischen noch Kaiser-Lahme: Festungen in Rheinland-Pfalz über die Person selbst bekannt sein. Anläss- und im Saarland, Regensburg: Schnell&Stei- lich ihres 200. Geburtstages will die üppig ner S ---- S bebilderte Schrift nun etwas Abhilfe schaffen. ill Klaenbroschr etsche Marie von Sachsen-Hildburghausen wurde estngen am 14. April 1818 geboren und wuchs in Hildburghausen und Altenburg auf. Bei ei- Der als Band 2 in der Reihe „Deutsche Fes- nem Kuraufenthalt auf Norderney lernte sie tungen“ erschienene Führer zu den Festun- 1839 den damals bereits erblindeten Kron- gen in Hessen (2013) hatte die bedeutende prinzen Georg von Hannover (1819–1878) und ehemals größte hessische Festung Rhein- kennen. Das Paar wurde 1843 getraut und fels nicht berücksichtigen können, denn bei trat 1851 nach dem Tod von König Ernst Au- der Neuordnung der deutschen Länder nach gust die Regentschaft an. 1857 erhielt Marie 1945 wurde die Burg Rheinfels bei St. Goar ein Grundstück bei Nordstemmen, um sich Rheinland-Pfalz zugeschlagen. Das Gebiet dort einen Wohnsitz ganz nach ihren Wün- der Grafen von Katzenelnbogen war 1479 schen errichten zu lassen. 1865 konnte die durch Erbfall hessisch geworden und seit Marienburg dann erstmals bezogen werden, 1632 Teil der Rotenburger Quart, die Land- sie gehört bis heute zum persönlichen Eigen- graf Moritz der Gelehrte zur Versorgung sei- tum der Welfen. 1866 büßte Hannover seine ner Nachkommen aus zweiter Ehe eingerich- Eigenstaatlichkeit ein, denn nach dem Deut- tet hatte, diese Seitenlinie nannte sich denn schen Krieg stand man auf der Seite der Ver- auch Hessen-Rheinfels-Rotenburg. Die konti- lierer und wurde ebenso wie Kurhessen von nuierlich ausgebaute Anlage wurde 1754 aus Preußen annektiert. Die königliche Familie or-Egbert König: as ns aerde in Hessen hringen nd anderswo afiel 223 lebte fortan im österreichischen Exil, wo die wicklungen und die Auswirkungen dieses Ex-Königin im Januar 1907 verstarb. Verfasser Ringens, denn am Ende war Frankreich durch gelingt es, uns Maries Leben, das u. a. sehr den Verlust großer Teile seiner Kolonialgebie- von Frömmigkeit und Wohltätigkeit geprägt te geschwächt, war Großbritannien endgültig war, auf angenehm lesbare Weise näherzu- zum Weltreich geworden, war Preußen als bringen. fünfte europäische Großmacht etabliert.

Klaus-Jürgen Bremm: Preußen bewegt die Lothar Machtan: Der Endzeitkanzler. Prinz Welt. Der Siebenjährige Krieg 1756–63, Max von Baden und der Untergang des arstadt: heiss S - Kaiserreichs, Darmstadt: WBG/Theiss 2018 --- S bb geb S S ---- S bb geb S

Aufgrund seiner weltweiten Schauplätze Bei der vorliegenden Biographie handelt wurde der siebenjährige Krieg auch schon es sich um die mit einem Nachwort versehe- einmal als der „erste Weltkrieg“ der Ge- ne Neuausgabe des Buches „Prinz Max von schichte bezeichnet. Preußen, Habsburg und Baden. Der letzte Kanzler des Kaisers“, das Russland kämpften um die Vorherrschaft in Verfasser im Jahre 2013 schon einmal veröf- Mitteleuropa, Großbritannien und Frankreich fentlicht hatte. Durch seine eigenmächtige stritten sich um den ersten Platz in Nord- Erklärung vom 9. November 1918, der Kai- amerika und Indien. Hessen blieb zwar neu- ser habe abgedankt, und die folgende Über- tral, aber wegen der Vermietung von 24.000 gabe der Kanzlerschaft an Friedrich Ebert Soldaten an Großbritannien wurde die Land- hatte Prinz Max von Baden (1867–1929) grafschaft von den Franzosen als Feindesland Geschichte geschrieben und das Ende einer behandelt, besetzt und zur Sicherstellung der Epoche besiegelt, die Monarchie gab es nicht Versorgung seiner Truppen auch wiederholt mehr und in Berlin wurde noch am selben ausgeraubt. Eschwege hatte fast während Tag die Republik ausgerufen. Jetzt stehen des ganzen Krieges feindliche Einquartie- die ambivalente Persönlichkeit und das au- rungen zu erdulden. Außerdem rückten die ßergewöhnliche Leben des Prinzen, der im kriegerischen Auseinandersetzungen durch Übrigen seit 1897 auch designierter letzter Schlachten wie jene bei Sandershausen, Lut- Thronfolger des Großherzogtums Baden, ho- terberg und Wilhelmsthal bedrohlich nahe mosexuell und dennoch mit einer Enkelin des heran. Der Krieg wurde in Preußen auch letzten Königs von Hannover verheiratet war, als 3. Schlesischer Krieg gegen Habsburg im Mittelpunkt eines brillanten und überaus bezeichnet, an dessen Ende der Besitz der detaillierten Porträts, das uns zugleich auch Provinz Schlesien endgültig bestätigt wurde. ein faszinierendes Panorama der Zeit liefert Der siegreiche Friedrich II. wurde fortan „der und uns verstehen lässt, wie und warum es Große“ genannt und galt nicht mehr nur als zu den umwälzenden Ereignissen im Novem- König in Preußen, sondern von Preußen. ber 1918 kam. Der als Fachmann für Militärgeschichte ausgewiesene Autor schildert einmal mehr Lothar Machtan: Kaisersturz. Vom Scheitern nicht nur sehr präzise und spannend, sondern im Herzen der Macht, Darmstadt: WBG/ auch für jedermann gut lesbar alle Aspekte heiss S ---- jener schicksalhaften Auseinandersetzungen: 350 S., 50 Abb., geb., SU, € 24,00. die Vorgeschichte und den Weg in den Krieg, die großen Schlachten, die politischen Zu- Noch im Juni 1918 hatte man das 30-jäh- sammenhänge, die militärtechnischen Ent- rige Thronjubiläum des Kaisers gefeiert, nur 224 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 wenige Monate später war alles vorbei, saß ihren Residenzen, auf den Straßen wurde der Kaiser ohne Thron im niederländischen demonstriert und gekämpft. Aber am Ende Exil. Dabei war zunächst noch gar nicht waren viele Revolutionäre tot, die alten ausgemacht, dass es so enden musste. Aber Strukturen kamen wieder zu sich, Ruhe und Realitätsverlust, Unentschlossenheit, Ideen- Ordnung galten wie zuvor als erste Bürger- mangel und Unzulänglichkeiten seitens der pflichten. In Marinehäfen der Nord- und Ost- Hauptakteure, wir denken dabei vor allem an seeküste hatte alles begonnen, als Matrosen Wilhelm II., Reichskanzler Max von Baden den Krieg verweigerten und Mitbestimmung und Friedrich Ebert, sowie die fortschreiten- forderten, dabei sind die Ereignisse in Kiel de Verschlechterung der allgemeinen Lage jedoch besonders nachhaltig im Gedächt- verliehen der Entwicklung schließlich eine nis geblieben. Ein 31-köpfiges Autorenteam Eigendynamik, die sich auch durch einen nimmt in diesem Band das Kieler und natio- Wechsel an der Spitze der Obersten Heeres- nalgeschichtliche Geschehen wechselweise leitung und Verhandlungen mit den Alliier- in den Blick und diskutiert Voraussetzungen ten sowie die Ernennung des Prinzen Max und Bedeutung der Revolution und deren von Baden zum Reichskanzler bei gleich- Folgen für die politische Entwicklung und zeitiger Regierungsbeteiligung der Sozialde- den gesellschaftlichen Wandel in Deutsch- mokraten und Parlamentarisierung der Mo- land. Rezeptionsgeschichte und Erinne- narchie nicht mehr aufhalten ließ. Vor dem rungskultur des Matrosenaufstands werden Hintergrund umfassender Quellenkenntnis ebenfalls untersucht. Die in der Ausstellung liefert Verfasser eine spannende Gesamt- zahlreich gezeigten und kommentierten schau der Ereignisse im Herzen der Macht, Fotos, Postkarten, Plakate, Drucksachen, die am Ende zum Sturz des Kaisers führten Zeichnungen und Gemälde werden hier und in die Ausrufung einer Deutschen Repu- nicht in einem klassischen Katalogteil auf- blik mündeten. Ausführliche Anmerkungen gelistet, sondern illustrieren die Aufsätze im mit weiterführenden Literaturhinweisen und jeweiligen Zusammenhang. Quellen- und eine Chronik der zeitlichen Abläufe schlie- Literaturhinweise runden die Einzelbeiträge ßen den Band ab. ab.

Sonja Kinzler, Doris Tillmann: Die Stunde Heidi und Wolfgang Beutin: Fanfaren einer der Matrosen. Kiel und die deutsche Revo- neuen Freiheit. Deutsche Intellektuelle und lution 1918, Kiel/Darmstadt: WGB/Theiss die Novemberrevolution, Darmstadt: WBG/ S ---- sstel- cadeic S ---- lungsbegleitbuch, 304 S., 215 Abb., geb., S geb Während sich Volker Weidermann in sei- Als sich am 11. November 1918 im klei- nem viel beachteten Buch „Träumer“ allein nen Stadtparksaal zu Eschwege ein Arbeiter- auf die revolutionären Ereignisse in Bayern und Soldatenrat für den Kreis Eschwege im zu Beginn der Münchner Räterepublik Kurt Einklang mit Landrat, Garnisonkommando Eisners beschränkt hatte, der vor 100 Jahren und Magistrat konstituierte, waren die re- die „Fanfaren einer neuen Freiheit“ zu ver- volutionären Umwälzungen am Ende des nehmen glaubte und kurz darauf aber schon 1. Weltkriegs auch in der Region an der Wer- erschossen auf der Straße lag, wendet sich ra angekommen. Der Kaiser hatte abgedankt das Autorenpaar hier der Rolle deutscher und Philipp Scheidemann die Republik aus- Intellektueller in der Novemberevolution im gerufen, die Bundesfürsten stolperten frei- allgemeinen zu, stellt deren Beteiligung und willig oder konsterniert und getrieben aus Einstellung dar, wertet bisher kaum bekann- or-Egbert König: as ns aerde in Hessen hringen nd anderswo afiel 225 te Quellen aus und lässt Künstler, Literaten, Magali Nieradka-Steiner: Exil unter Palmen. Politiker, Männer wie Frauen, Gegner wie Deutsche Emigranten in Sanary-sur-Mer, Befürworter, darunter Bürgerliche, Pazifis- arstadt: heiss S - ten, Kommunisten u. a. zu Wort kommen. --- S bb geb S Dabei begegnen wir so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie z. B. Thomas Mann, Ernst Jünger, Viktor Klemperer, Rosa Luxem- Das äußerst lesenswerte Buch führt uns zu- burg und Clara Zetkin. Ein umfangreiches rück in die Zeit von 1933 bis 1942, in der die Quellen- und Literaturverzeichnis sowie südfranzösische Kleinstadt Sanary-sur-Mer eine Zeittafel der Ereignisse vom Septem- als „Hauptstadt der deutschen Literatur“ galt. ber 1918 bis zum April 1919 schließen den Dabei ging es jedoch weniger um Erholung Band ab. an der sonnenverwöhnten Côte d’Azur als vielmehr ums nackte Überleben. Denn schon Sabina Becker: Experiment Weimar. Eine bald nach Hitlers Machtergreifung flohen Kulturgeschichte Deutschlands 1918–1933, zahlreiche deutsche Intellektuelle hierher ans arstadt: cadeic S - Mittelmeer, wie z. B. Mitglieder der Familie -- S bb geb S Mann, Bert Brecht, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Ernst Toller, Arnold Zweig. Während man sich hier unter Palmen zunächst noch Die Autorin, Professorin für neuere deut- einige Jahre sicher fühlen konnte, so trat spä- sche Literaturgeschichte, ist eine der führen- testens mit Kriegsausbruch eine dramatische den Vertreterinnen der Moderneforschung, Wende ein: Frankreich erklärte die deutschen auch Herausgeberin des Jahrbuchs für Kultur Emigranten zu feindlichen Ausländern, und und Literatur der Weimarer Republik und legt wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, wurde vor dem Hintergrund ihrer Forschungen zum interniert, deportiert und ermordet. Heu- frühen 20. Jahrhundert jetzt eine fulminante te zählt Sanary-sur-Mer zu den wichtigen Kulturgeschichte der Weimarer Republik vor, Exilzentren, zahlreiche Gedenktafeln erin- die nicht nur für die politische Geschich- nern an die deutschen und österreichischen te Deutschlands bedeutsam, sondern auch Schriftsteller und Künstler, die hier einige Jah- für die Entwicklung von Kunst und Literatur re in relativer Sicherheit leben und arbeiten bahnbrechend war. Paul Westheim, der aus konnten. Eschwege stammende Publizist und Kunst- kritiker der Weimarer Jahre, hier jedoch ein- Konrad H. Jarausch: Zerrissene Leben. Das fach nur als Kunsthändler bezeichnet, hatte Jahrhundert unserer Mütter und Väter, in dem 1925 gemeinsam mit Carl Einstein aus dem Englischen von Thomas Bertram, herausgegebenen „Europa-Almanach: Male- arstadt: heiss S - rei, Literatur, Musik, Architektur, Plastik, Büh- --- S bb geb S ne, Film, Mode“ bereits alle Gattungen der Gegenwartskultur visionär verbunden sowie alle Namen und Strömungen, die internati- Das unruhige 20. Jahrhundert – einmal onal von Bedeutung waren, vereint. Ihnen ganz anders erzählt, nämlich aus der Sicht begegnen wir jetzt wieder, wenn die man- der Erlebnisgeneration, deren Lebensläufe nigfaltigen, zum Teil explosionsartigen Ent- und Erinnerungen mit den historischen Ereig- wicklungsprozesse und Lebensäußerungen nissen verknüpft werden. Zu Wort kommen in den Blick genommen werden und darauf 17 Hauptfiguren und 65 Neben- und Rand- verzichtet wird, die Weimarer Epoche von figuren, darunter 30 Frauen, einige bekannte ihrem Ende her zu betrachten. Namen, die meisten eher unbekannt, unter- 226 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 schiedlicher kultureller Herkunft und Bildung des Buches auch noch, was die Protagonisten oder religiöser Ausrichtung, Opfer, Täter, Ver- in den Folgejahren erlebten und wie es ihnen führte, Mitläufer. Alle wurden nach 1918 und nach 1945 erging. bis auf eine Ausnahme vor 1939 geboren. Zeitlich wird ein Bogen von der Kaiserzeit Susanne Doetz, Christoph Kopke: „und dür- bis zur Wiedervereinigung geschlagen. Die fen das Krankenhaus nicht mehr betreten“. Vorfahren waren durch den Ersten Weltkrieg Der Ausschluss jüdischer und politisch un- gegangen, die eigene Jugendzeit verbrachte erwünschter Ärztinnen und Ärzte aus dem man in der Weimarer bzw. der NS-Zeit, rich- Berliner städtischen Gesundheitswesen tig erwachsen wurde man in der Nachkriegs- 1933–1945, Berlin: Hentrich&Hentrich 2018 zeit, entweder im demokratischen Westen S ---- S bb oder im kommunistischen Osten, mit Verhei- geb ßungen und Enttäuschungen auf beiden Sei- ten. Hier ist ein eindrucksvoller Beitrag ge- Die NS-Machtübernahme brachte auch im gen das Vergessen gelungen, und damit nicht öffentlichen Gesundheitswesen einschnei- zuletzt auch eine Mahnung an die eigentlich dende Veränderungen mit sich. „Meidet jü- vom Schicksal doch eher sehr verwöhnten dische Ärzte“ forderte bereits der Boykott Jahrgänge nach 1945, für die inzwischen al- vom 1. April 1933. Wenige Tage später wurde les selbstverständlich zu sein scheint. das „Gesetz zur Wiederherstellung des Be- rufsbeamtentums“ verabschiedet, woraufhin Holger Schaeben: Am Nachmittag kommt jüdische und politisch missliebige Ärzte aus der Führer. Schicksalsjahr 1938, Darmstadt: staatlichen und kommunalen Diensten ent- heiss S ---- fernt wurden. Auf Entlassung, Demütigung, S geb S Entrechtung und ökonomische Ausgrenzung folgte der Entzug von Approbationen und In den frühen Morgenstunden des 12. März akademischen Graden. Wer nicht rechtzeitig 1938 erreicht die deutsche Wehrmacht Salz- emigrieren konnte, wurde verschleppt und burg. Ohne Gegenwehr übernehmen die Na- ermordet oder wählte aus Verzweiflung den zis bald die Macht in ganz Österreich, Angst Freitod. Im Rahmen eines umfangreichen For- und Terror folgen den Eindringlingen. schungsprojektes der Historischen Kommissi- Der Verfasser verfolgt die Ereignisse über on zu Berlin haben Verfasser die Schicksale 12 Monate, vom 30. Dezember 1937 bis von ca. 450 verfolgten Ärzten und Ärztinnen zum 30. Dezember 1938, nahezu Tag für an städtischen Krankenhäusern u. a. medizi- Tag, und wechselt dabei immer wieder die nischen Einrichtungen recherchiert, Perspektive. Seine Hauptakteure sind Franz die sie nunmehr in diesem Gedenkbuch mit Krieger (1914–1993), ein Fotograf im Dienst 120 ausgewählten Biographien und gleich- der Nazis, und Walter Schwarz (1884–1938), zeitig in einer umfassenden Online-Daten- ein jüdischer Kaufmann, der in den Münch- bank öffentlich zugänglich machen, darun- ner Gestapokellern den Freitod wählt. Über- ter Dr. Georg Groscurth (1904–1944) aus dies begegnen wir u. a. dem österreichischen Unterhaun, Dr. Erna Korn geb. Bär (1902– Bundeskanzler Karl Schuschnigg, dem Diri- 1983) aus Kassel und Dr. Richard Schmincke genten Arturo Toscanini, der Trapp-Familie (1875–1939) aus Altenritte. Eine einleitende sowie Nazigrößen und einfachen Bürgern. Darstellung zeigt die Entwicklung des Ber- Momentaufnahmen menschlicher Schicksale liner Ärztewesens vor und nach 1933, geht und ein historisches Ereignis werden hier zu auf die Bedingungen ausgesuchter Emigrati- einem überaus packenden Panorama der Zeit onsziele ein und schildert Remigration und verwoben. Schließlich erfahren wir am Ende Wiedergutmachung nach 1945. Umfangrei- or-Egbert König: as ns aerde in Hessen hringen nd anderswo afiel 227 che Quellen-, Literatur- und Personenver- heiss S ---- zeichnisse schließen diesen wichtigen und S bb roschr gewiss auch beispielgebenden Band ab. Das Buch stellt im Reigen von inzwischen Stefan Koch: Opfer der NS-Kindereuthanasie unzähligen Reiseführern zu 111 Orten, die aus Duderstadt und Göttingen, Duderstadt: man in Städten oder Landschaften unbedingt Mecke 2018, 40 S., 5 Abb., geheftet, € 5,00 gesehen haben sollte, etwas Besonderes dar, Schutzgebühr. indem sich der Verfasser 101 historische Mei- lensteine vornimmt, die Deutschland in den Götz Hütt: Eine deutsche Kleinstadt nach dem vergangenen 2000 Jahren politisch, kulturell, Nationalsozialismus. Zur Geschichte und künstlerisch, kirchlich oder sportlich geprägt Nachgeschichte der NS-Zeit in Duderstadt und verändert haben, und ihnen die ent- und im Untereichsfeld, Norderstedt: BoD sprechenden Erinnerungsorte zuordnet. Die S -- S Aufzählung der Ereignisse beginnt mit der bb roschr Varusschlacht im Jahre 9 und endet 2006 mit dem Sommermärchen zur Fußball-WM in Selbst im braven und hoch katholischen Deutschland. Auf der Zeitreise begegnen wir Duderstadt erreichte die Nazi-Partei bei den u. a. dem Gang nach Canossa, Luther, dem Reichstagswahlen 1932 und 1933 Stim- ersten Papiergeld, dem Deutschlandlied, der menanteile von 32 bzw. 34 %, und dennoch Nationalversammlung von 1848, der Loreley, hielt sich über Jahrzehnte ganz hartnäckig dem Beginn der Schulpflicht, den ersten Au- das Narrativ vom Eichsfeld als Bollwerk ge- tomobilen, dem Grundgesetz, dem Mauerfall gen den Nationalsozialismus. Aber auch hier und der Wiedervereinigung. Mit Orten der funktionierte das öffentliche Leben ganz im Region sind verbunden die Märchen der Brü- Sinne des Regimes, hielt sich Widerstand der Grimm (Kassel), der Bauernkrieg (Mühl- in Grenzen, wurden Juden verfolgt und de- hausen), Bonifatius (Fulda, Geismar), der portiert, standen viele Parteimitglieder wei- Schmalkaldische Bund und Landgraf Philipp terhin im Glauben fest. Nach der Befreiung der Großmütige (Schmalkalden), die Rück- von der Terrorherrschaft kam die Auseinan- gabe des entführten Otto III. im Jahr 984 an dersetzung mit der jüngsten Vergangenheit seine Mutter Theophanu (Meiningen), mit de- nur schleppend voran, man verstand sich ren Namen die urkundliche Ersterwähnung auf Beschönigung und Verharmlosung, leug- Eschweges verbunden ist, als Erinnerungsort nete, verdrängte und vergaß. Man half sich wird ihr jedoch St. Pantaleon in Köln zuge- gegenseitig mit „Persilscheinen“ vor dem Ent- wiesen. nazifizierungsausschuss. Eine Aufarbeitung des Geschehenen wurde oftmals behindert, Beatrix Bouvier, Rainer Auts (Hrsg.): Karl kam erst in den 1980er-Jahren richtig voran, Marx 1818–1883. Leben.Werk.Zeit, Trier/ wie in vielen anderen Orten auch. Verfasser arstadt: heiss S - hat wiederholt zur Geschichte der NS-Zeit --- sstellngsbegleitbch in Duderstadt veröffentlicht und beschäf- S ill geb tigt sich hier eindrucksvoll und beispielhaft mit den Kontinuitäten von Denkweisen und Rheinland-Pfalz und die Stadt Trier wid- Verhalten in einer deutschen Kleinstadt der meten ihrem berühmten Sohn anlässlich Nachkriegszeit. seines 200. Geburtstags im Sommer 2018 eine „große Landesausstellung“, wie sie es in Bernd Imgrund: Deutschland in 101 Ereig- dieser Form und für diese Persönlichkeit bis- nissen. Ein Reiseführer, Darmstadt: WBG/ her noch nie gegeben hatte. Das reich illus- 228 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019 trierte Buch zur Ausstellung bietet reichlich stellt recht überzeugend dar, wie Marx seine Gelegenheit, sich auch über den Zeitpunkt politischen Vorstellungen zu realisieren und der Veranstaltung hinaus mit Leben und Wir- die Verhältnisse seiner Zeit aktiv zu gestalten ken des außergewöhnlichen Denkers und suchte. Gelehrten zu beschäftigen. 24 Essays bieten Einblicke in die Zeit, auf Menschen und Um- Maria Bormpoudaki u. a. (Hrsg.): Europa in stände, die prägend waren, verdeutlichen Bewegung. Lebenswelten im frühen Mittel- aber auch die Herausforderungen und Ent- alter, Bonn/Darmstadt: WBG/THeiss 2018 wicklungen wie z. B. die Industrialisierung S ---- S ill geb und die soziale Frage als Voraussetzungen für die Arbeiten von Marx, und beleuchten des- sen Verhältnis zu anderen Philosophen und Der Band begleitet eine reich ausgestat- Wissenschaftlern oder stellen das „Manifest tete Ausstellung über die Wendezeit von der der Kommunistischen Partei“ und „Das Kapi- Antike bis zum Mittelalter (300–1000 n. Chr.) tal“ besonders heraus. 16 Porträts von Städ- zwischen Irland und Spanien im Westen so- ten, die als Lebensstationen von Bedeutung wie Ägypten, Persien und Ungarn im Osten, waren, und 18 Kurzbiographien wichtiger wobei eine Lebenswelt lebendig wird, deren Zeitgenossen ergänzen die Aufsätze. Marx Ideen, Religionen und Kulturen den europä- starb am 14. März 1883 in London. Das Er- ischen Raum bis heute prägen. Eine anspre- eignis fand im „Eschweger Tageblatt“ keinen chende Bebilderung zeigt kostbare Objekte Widerhall, weder im überregionalen noch im aus den bedeutendsten Museen Europas, die lokalen Teil, auch wenn der aus Eschwege den regen Austausch von Wissen, Glauben, gebürtige und in Manchester tätige Arzt Dr. Traditionen und Handelsgütern bezeugen. Es Eduard Gumpert (1834–1893) mit Marx und treten uns zudem historisch bekannte Persön- Engels als Freund und ärztlicher Ratgeber eng lichkeiten entgegen, die als Pilger, Diploma- verbunden war. ten, Wissenschaftler und Händler die fernen Welten erkundeten und zwischen ihnen ver- Wolfgang Schieder: Karl Marx. Politik in ei- mittelten. Die einzelnen Beiträge sind flüssig gener Sache, Darmstadt: WBG/Theiss 2018 geschrieben, angenehm lesbar, liefern einen S ---- S geb S anschaulichen Überblick und lassen ein spannendes, vielfach neues Bild einer ver- meintlich fernen Welt entstehen. Der Verfasser, der als einer der Begründer des Faches Sozialgeschichte in Deutschland Douglas A. Howard: Das Osmanische Reich gilt, legt hier die völlig überarbeitete Fassung 1300–1924, aus dem Englischen von Jörg seines bereits 1991 erschienenen Buches Fündling, Darmstadt: WBG/Theiss 2018 über „Karl Marx als Politiker“ vor, nachdem S ---- S bb die Person dieses Gelehrten vielfach neues 10 Karten, geb., SU, € 34,00. Interesse gefunden hat. Während vor allem stets seine Rolle als Kritiker des Kapitalismus Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und und Vordenker der Revolution im Vorder- bis zur Ausrufung der türkischen Republik grund der Betrachtung stand, wurde seine hatten die Osmanen über einen riesigen mul- Tätigkeit als Philosoph, Ökonom oder gar Po- tiethnischen Staat geherrscht, der sich in sei- litiker eher weniger betrachtet. War er doch ner Blütezeit über drei Kontinente erstreckte. in der Kölner Kommunalpolitik engagiert und Die neue Gesamtdarstellung erzählt nun die stand über viele Jahre an der Spitze der in- Geschichte dieser ehemaligen ganzvollen ternationalen Arbeiterbewegung. Schieder Großmacht am östlichen Mittelmeer, von or-Egbert König: as ns aerde in Hessen hringen nd anderswo afiel 229 ihren eurasischen Ursprüngen bis zu ihrem nach langer Verbannung heute auch wieder Zerfall, von Osman I. bis Mehmed VI., von in der Türkei aufhalten dürfen. Worterklärun- 1299 bis 1922. Als profunder Kenner der gen, Anmerkungen, Literaturhinweise sowie Materie breitet Verfasser eine übergroße Fül- Personen- und Sachregister runden den be- le von Fakten und Aspekten vor uns aus und merkenswerten Band ab. führt dabei für alle Seiten dennoch sehr les- bar durch die politische, ökonomische, spi- Die von uns vorgestellten Bücher sind rituelle und literarische Welt der Osmanen weitgehend im Stadtarchiv Eschwege einseh- und ihrer Dynastie, deren Nachkommen sich bar und im Buchhandel erhältlich. 230

Jahresbericht 2018 2017): Meine Erinnerungen an Dr. Ludwig Hindenlang; Detlev Weber, mit Anmerkun- gen und einer Nachbemerkung von York-Eg-

Über unsere Mitglieder

Für das Jahr 2017 ist als verstorben zu ergän- zen: 21.09.2017 Helma Schlange, Eschwege

Im Jahr 2018 sind verstorben: 24.01.2018 Klaus Suppes, Eschwege 28.01.2018 Edgar Elbrecht, Albungen 21.02.2018 Dr. Dietmar Albus, Eschwege 06.08.2018 Dr. Hans-Heinrich Koch, Eschwege 18.08.2018 Helmut Stück, Grebendorf 20.09.2018 Prof. Dr. Hanno Beck, Eschwege 13.12.2018 Peter Fallis, Wanfried Eschweger Geschichtsblätter 2018 Ihre Mitgliedschaft haben beendet: 05.03.2018 Mario Kawollek, Eschwege, bert König: Zu Gast bei Familie Narev (Na- durch Wechsel zum ZV Kassel rewczewitz) in London; Karl Kollmann: „Drei 31.12.2018 Dr. Anita Bächstädt-Mori, Techer Leder und eine Tonne Honig“. Wa- Eschwege rentransporte über Eschwege und Wanfried 31.12.2018 Maria Djurdjevic, Eschwege vom 16. bis 18. Jahrhundert; Karl Kollmann: 31.12.2018 Margarethe Holzapfel, Krebsaugen aus Mühlhausen; Karl Kollmann: Eschwege Ursula Vaupel (1928–2018) zum Gedenken. Es folgten die Buchbesprechungen und der Es traten neu in unseren Verein ein: Jahresbericht unseres Vereins für 2017. 08.01.2018 Gudrun Roßbach, Eschwege Folgende Mitglieder unseres Vereins haben 2018 in der Zeitschrift des Werratalvereins Zum Jahresende 2018 hatte unser Verein 139 „Das Werraland“ publiziert: Dr. Jörg Brau- Mitglieder. neis, Wolfram Brauneis, Dr. Karl Kollmann, Helmut Schmidt. An der Erstellung der um- fangreichen Chronik zum Jubiläum von Bad Veröffentlichungen Sooden-Allendorf haben aus unserem Verein mitgewirkt: Dr. Martin Arnold, Stefan Forbert, Im Jahr 2018 erschien Band 29 der Eschwe- Siegfried Kirchmeier, Dr. Karl Kollmann und ger Geschichtsblätter mit den folgenden Bei- Andreas Loehnert. trägen: Martin Arnold: Wie wurde Eschwege evangelisch? Über die Anfänge der Reforma- tion in Eschwege; Rainer Nickel: Levy und Studienfahrten Meyberg – Zwei jüdische Eschweger Hand- werker- und Kaufmannsfamilien im 19. und Unsere erste Studienfahrt im Jahr führte uns 20. Jahrhundert; Günther Schaumberg (1922– am 24. März nach Kassel. Dort erhielten Jahresbericht 2018 231 wir im Museum Fridericianum eine Füh- Frühstück in Hohwacht stimmte uns wieder rung durch die Ausstellung über den hessi- versöhnlich. Höhepunkt des zweiten Tages schen Landgrafen Carl. Im „Bolero“ hielten war ohne Zweifel Schloss Panker, das noch wir dann unsere Jahreshauptversammlung ab heute im Besitz der hessischen Landgrafen und fuhren mit dem Zug über Bebra wieder ist; dort erhielten wir als große Ausnahme nach Hause (22 Teilnehmer). eine Führung durch das private Gartengelän- Die für den 5. Mai geplante Fahrt zur lan- de. Von dem Turm Hessenstein genossen wir gen Nacht der Museen in Frankfurt musste vorher einen herrlichen Rundblick. Auf dem mangels Beteiligung leider ausfallen. Rückweg machten wir einen ausführlichen Am 29. und 30. Juni begaben wir uns Abstecher in die alte Hansestadt Lübeck (27 gemeinsam mit dem ZV Bad Hersfeld auf Teilnehmer). Spurensuche nach den hessischen Stätten in Am 3. August fuhren wir gemeinsam mit Norddeutschland und begannen mit Worps- dem Hersfelder Verein nach Wolfenbüttel, wede, welches über die Landgräfin Eleono- wo wir zunächst eine Sonderführung in der ra Catharina mit unserer Heimat verbunden Herzog August Bibliothek erhielten. Nach- ist. Es ging weiter mit schier endlosen Staus mittags gab es eine interessante Stadtführung auf der Autobahn in die Region Ostholstein. bei großer Sommerhitze (33 Teilnehmer). Die Übernachtung im „Belle Haven“ wird Am 13. Oktober ging es mit öffentlichen wegen ihres niedrigen Standards allen Teil- Verkehrsmitteln zum Schloss Fasanerie bei nehmern noch lange im Gedächtnis bleiben, Eichenzell nahe Fulda, wo nach einer Füh- aber das am nächsten Morgen anschließende rung durch die Sammlungen noch eine Aus-

Abb. 1: Gruppenfoto Panker 30.06.2018 232 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Abb. 2: Gruppenfoto Eichenzell 13.10.2018 stellung über die hessische Landgräfin Anna Am 9. Januar zeigte unser 2. Vorsitzender besucht wurde (29 Teilnehmer). Manfred Heide (Frankershausen) an Hand Am 1. Dezember führten wir unsere letzte zahlreicher Dias Veränderungen im Eschwe- Fahrt im Jahr 2018 durch. Am Vormittag be- ger Stadtbild im Lauf der letzten Jahrzehnte. sichtigten wir das Hugenottenmuseum in Bad Hierbei wurden sowohl Erinnerungen wach Karlshafen, am Nachmittag den Weihnachts- als auch Eindrücke der Zerstörung von jahr- markt in Fürstenberg (37 Teilnehmer). hundertealten gewachsenen Strukturen deut- lich (53 Zuhörer). Am 13. Februar setzte Jürgen Beck (Rei- Vortragsreihe chensachsen) seine erfolgreiche Serie über die Eschweger Gastronomie mit der sechsten Auch im Jahr 2017 wurde die Vortragsreihe Folge fort (56 Zuhörer). in Kooperation mit der Historischen Gesell- Am 13. März hielt Reinhold Salzmann schaft des Werralandes und der Volkshoch- (Baumbach) einen interessanten Vortrag über schule erfolgreich weitergeführt. Allerdings den historischen Autobahnbau in Nordhes- ist zu bemerken, dass es immer schwieriger sen (40 Zuhörer). wird, die Volkshochschule außerhalb der Am 16. Oktober berichtete Thomas Blu- Ferienzeiten für unsere Veranstaltungen zu menstein (Quentel) über seine Forschungs- nutzen. Wir sind froh darüber, in der Gast- arbeit über den „Köhlerjungen von Kehren- stätte „Traube“ ein gutes und angenehmes bach“ – sozusagen ein modernes Märchen, Vortragslokal gefunden zu haben. auf Grund von intensiven Recherchen auf Jahresbericht 2018 233 seinen Wahrheitsgehalt überprüft (10 Zuhö- Kontakte und Allgemeines rer). Am 13. November erinnerte Reinhold Die engen Kontakte zur Historischen Gesell- Salzmann (Baumbach) an die fast vergessene schaft des Werralandes und der AG Archäo- Eisenbahnlinie von Leinefelde nach Treysa, logie an der Volkshochschule wurden auch die so genannte „Kanonenbahn“, ihre Entste- im Jahr 2018 fortgeführt, was vor allem durch hung und Geschichte bis zu ihrem Ende nach die engen persönlichen Kontakte bedingt ist. hundert Jahren (27 Zuhörer). Gleiches gilt für das Stadtarchiv Eschwege, Am 11. Dezember stellte uns Sabine Köt- das nach wie vor als eine Art Geschäftsstelle telwesch (Kassel) die Lebensgeschichte von und auf jeden Fall als Anlaufpunkt für unsere Eleonora Catharina, der Witwe des Landgra- Mitglieder fungiert. Der Kontakt mit der AG fen Friedrich von Hessen-Eschwege vor (25 Südniedersachsen wurde ebenfalls gehalten; Zuhörer). für das kommende Jahr ist eine Veranstaltung der AG im Raum Eschwege geplant. 234

Inhaltsverzeichnis Beck, Jürgen: Ein Eschweger Bierbrauer er- obert Amerika. Die Geschichte des Jo- der Jahrgänge 1/1990 hann Adam Lemp (1798–1862), 20/2009, bis 30/2019 S. 49–55 Beck, Thomas: Eine alte Tür aus Datterode, 20/2009, S. 62–64 zusammengestellt von York-Egbert König Beck, Thomas: „Einer von 2 Millionen“. Die Geschichte des jüdischen Soldaten Moritz Loewenstein und seiner Familie, 30/2019, Amon, Beatrix: Ländliche Siedlung und bün- S. 100–112 disches Leben in Waldhessen. Ein Projekt Bemerkungen auf einer Reise durch Sachsen, des Rasseideologen Ernst Hunkel in Don- Hannover, Braunschweig und Preußen in nershag bei Sontra (1919–1924), 25/2014, den Jahren 1800–1803, 3/1992, S. 50–51 S. 77–86 Bintzer, Karl-Heinz: Die Abhörstube im Klos- Angerhöfer, Horst: Alte Landkarten im ter Cyriaci (1662), 2/1992, S. 53–61 Eschweger Stadtarchiv, 3/1992, S. 15–40 Bintzer, Karl-Heinz: Ein Turmknopf erzählt. Arnold, Martin: Zauberei und Hexerei. Theo- Eschwege vor 200 Jahren, 5/1994, S. 46– logische, kirchliche und rechtliche Hin- 50 tergründe des Eschweger Hexenprozesses Bintzer, Karl-Heinz: Na, dann Prost! Das von 1657, 19/2008, S. 31–42 1680ste Jahr im Spiegel des Alkohols, Arnold, Martin: Vergebliche Bekehrungsver- 9/1998, S. 59–64 suche. Judenpredigten in Eschwege 1647 Bintzer, Karl-Heinz: Tränen fließen beim Glo- bis 1652, 26/2015, S. 104–117 ckenabschied, 18/2007, S. 69–76 Arnold, Martin: Lebenswege von Opfern der Bodenbach, Hans-Joachim: Alfred Lomnitz NS-„Euthanasie“-Verbrechen. Erste Ergeb- 1892–1953. Graphiker, Kunstmaler und nisse einer Recherche über die Ermordung Designer aus Eschwege, 14/2003, S. 45–68 von Menschen mit geistigen und psychi- Bodenbach, Hans-Joachim: Nochmals zu schen Behinderungen aus dem ehemali- Alfred Lomnitz, 15/2004, S. 89–91 gen Kreis Eschwege, 28/2017, S. 3–30 Bodenbach, Hans-Joachim: Die Geschichte Arnold, Martin: Wie wurde Eschwege evan- der chemisch-pharmazeutischen Fabrik M. gelisch? Über die Anfänge der Reformati- Woelm in Eschwege, 16/2005, S. 89–104 on in Eschwege, 29/2018, S. 3–26 Brauneis, Jörg: Eine bemerkenswerte Mittei- Aufgebauer, Peter: Vor 700 Jahren. Eschwe- lung über das Vorkommen des Rothuhns ge und die Anfänge des Landes Hessen, bei Eschwege in der Mitte des 19.Jh., 3/1992, S. 3–14 24/2013, S. 111–115 Azzola, Friedrich Karl: Die beiden nachmit- Brauneis, Wolfram: Die Bedeutung der hes- telalterlichen Grab-Kreuzsteine in Netra, sischen Werra-Auen, 16/2005, S. 135–142 17/2006, S. 90–92 Brauneis, Wolfram: Chronik über Niedergang Azzola, Friedrich Karl: Der Grab-Kreuzstein und Rettung des Wanderfalken in Hessen, der Anna Lucherat bei der Kirche von Wei- 22/2011, S. 111–124 ßenborn/Sontra (1597), 17/2006, S. 93–94 Brauneis, Wolfram: Zur Geschichte des Kies- Azzola, Friedrich Karl: Das spätromanische abbaus im Eschweger Werrabecken und in Tympanon der Kirche in Reichenbach bei seinen randlichen Bereichen, 24/2013, S. Hess.Lichtenau, 19/2008, S. 51–55 90–110 Azzola, Friedrich Karl: Die spätromanische Brauneis, Wolfram: Ökologischer Hoch- Grabplatte unter dem Altar der Kirche in wasserschutz für Eschwege-Albungen, Netra, 19/2008, S. 56–60 28/2017, S. 69–86 Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1/1990 bis 30/2019 235

Brauneis, Wolfram: Die Bedeutung des Fritsche, Herbert: Unter dem Donner der Ge- Eschweger und Wanfrieder Raumes für die schütze. Eine Korrespondenz aus den Jah- Rückkehr des Wanderfal ken (Falco pere- ren 1914–18, 5/1994, S. 62–71 grinus) in Hessen. Historie – Niedergang – Fritsche, Herbert: Oh, Frau, alles kaputt! Vor Wieder ansiedlung – Be stands entwicklung, 50 Jahren: 1945. Besiegt-besetzt-befreit 30/2019, S. 195–206 (?), 6/1995, S. 83–104 Bretschneider, Christoph: Die Bildungs- und Fritsche, Herbert: „Gefangene werden nicht Erholungsreisen der Minna Greve aus gemacht!“ Die „Hunnenrede“ Kaiser Wil- Hamburg nach Eschwege im Sommer 1918 helms II. vor 100 Jahren, 12/2001, S. 20– und Frühjahr 1919, 15/2004, S. 47–63 35 Führer, Alexander: Die Gründung der Lizenz- Diehl, Thomas u. a.: Die Ortsvorbeschrei- zeitung Werra-Rundschau in Eschwege bung des Dorfes Aue von 1770, 15/2004, 1948 als regionales Fallbeispiel amerika- S. 71–88 nischer Nachkriegspolitik, 22/2011, S. 83– Döll, Klaus: Aberglauben und Volksmedi- 110 zin im Kreise Eschwege um die Mitte des 17.Jh., 4/1993, S. 58–63 Gassenheimer, Ida, Mein Untergrund Leben Döll, Klaus: Niederhessische Kirche in in Berlin 1938–1945, bearbeitet und mit der zweiten Hälfte des 17.Jh. im Krei- einem Nachwort versehen von York-Egbert se Eschwege. Pfarrkonvente der Classe König, 30/2019, S. 142–163 Eschwege, 5/1994, S. 55–61 Grönke, Eveline/Weinlich, Edgar: Ein Narr Döll, Klaus: Evangelische Kirche im Dritten aus Hessen, 21/2010, S. 93–108 Reich. Der Kirchenstreit im Kirchenkreis Eschwege, 6/1995, S. 3–45 Hegeler, Hartmut/Vaupel, Ursula: Hexenge- Döll, Klaus: Zur Vorgeschichte des Klosters denken in Eschwege, 21/2010, S. 33–43 Cornberg, 9/1998, S. 78–92 Heise, Lisa: Das Eschweger Krankenhaus um die Jahrhundertwende, 21/2010, S. 88–92 Ebert, Jochen: Witwenhaushalte im hes- Heise, Lisa: Erinnerungen an meine Kindheit, sen-kasselischen Adelsdorf Schwebda 24/2013, S. 59–66 in der ersten Hälfte des 18.Jh., 16/2005, Heise, Lisa: Das Geheimnis. Eine Erzählung, S. 121–134 24/2013, S. 67–71 Heise, Lisa: Spuk am Nachmittag. Eine Erzäh- Fietz, Jürg: Meine Zeit als Gefangener der lung, 24/2013, S. 72–74 Amerikaner in Eschwege 1945, 17/2006, Heise, Lisa: Heimkehr, 27/2016, S. 24–30 S. 3–57 Heise, Lisa: Erinnerungen an Alt-Eschwege. Flach, Hans Dieter: Fünf Akrosticha werden Die Weiße Wand, 27/2016, S. 31–35 auf einem Ludwigsburger Solitär ent- Herrberger, Marcus: Verfolgte der NS-Mili- schlüsselt, 16/2005, S. 105–119 tärjustiz – ein dunkles Kapitel Regionalge- Friedrich, Klaus-Peter: Zum Lebensweg der schichte, 24/2013, S. 35–48 jüdischen Kinder gärtnerin Rosel Leschzi- Herwig, Wittekind/Kollmann, Karl: Jacob ner geb. Wolf aus Herleshausen, 30/2019, Christoph Heinemann (1794–1863). S. 164–194 Vom „Lützower Jäger“ zum erfolgreichen Friske, Hermann Josef: Der Bahnhof Eschwe- Eschweger Unternehmer, 20/2009, S. 18– ge-West im Wandel der Zeiten, 25/2014, 38 S. 87–119 Herwig, Wittekind: Wernher von Braun im Fritsche, Herbert: Ein Eschweger namens Werratal. Ein vergessenes Zwischenspiel Dietemann, 1/1990, S. 12–20 im Jahre 1945, 22/2011, S. 77–82 236 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Herwig, Wittekind: Wilhelm Ludwig von Manifestationen von herrschaftlicher Eschwege (1777–1855) zum 160. Todes- Kommunikation, Kooperation und Selbst- tag, 26/2015, S. 97–103 behauptungskonflikten im 16. und 17.Jh., Herzog, Anni: Die letzten Kriegswochen in 22/2011, S. 16–35 Frieda, 6/1995, S. 63–82 Heuckeroth, Erwin: Der Kunstmaler Kurt Kahlfuß, Hans-Jürgen: 100 Jahre Geschichts- Rudolf Wilhelm von Keudell, 14/2003, verein Eschwege, 16/2005, S. 3–73 S. 69–77 Kessler, Jürgen G.: Befunduntersuchung Stadt- Heuckeroth, Karsten: Thurn und Taxis’sche haus III in Eschwege, 7/1996, S. 20–31 Postwertzeichen der Poststelle Eschwege, Klein, Ulrich: Zur Baugeschichte des Schlos- 17/2006, S. 59–71 ses von Meinhard-Grebendorf, 2/1991, Heuckeroth, Karsten: Notizen zur Postge- S. 17–23 schichte der Stadt Eschwege, 22/2011, Klüßendorf, Niklot: Fundmünzen aus dem S. 3–15 Opferstock von Waldkappel, 6/1995, Heuckeroth, Karsten: Die Anfänge des Na- S. 104–117 mens Heuckeroth, 18/2007, S. 17–26 Klüßendorf, Niklot: Kreativität in der Finanz- Hildebrand, Erich: Eschwege im 18.Jh., krise. Die Goldmarkanleihe der Stadt 4/1993, S. 41–58 Eschwege von 1923, 25/2014, S. 47–66 Hildebrand, Erich: 800 Jahre Hitzerode, Klüßendorf, Niklot: Die Bettlergutscheine 7/1996, S. 54–62 der Stadt Eschwege. Eine kleine Form der Hochhuth, Gerhard: Die Eschweger Hoch- Wohlfahrtspflege in der Weimarer Repub- huths, 30/2019, S. 79–99 lik, 25/2014, S. 67–76 Hocke, Rolf: Choralbuchfunde in Harmuth- Kollmann, Karl: Der Eschweger Ottilienberg. sachsen und Germerode, 8/1997, S. 59–61 Ergebnisse neuerer Forschungen, 1/1990, Horn, Gisela: Grete Körner (1907–1983). S. 21–27 Eine Jenaer Glaskünstlerin aus Eschwege, Kollmann, Karl: Zur Einführung (1991), S. 75–81 2/1991, S. 3 Hotzler, Fritz: Der Einfluss des Meißners auf Kollmann, Karl: Erste Ergebnisse der Unter- die Wirtschaft des Werralandes im Laufe suchungen in der Eschweger Marktkirche, der Jahrhunderte, 1/1990, S. 33–38 4/1993, S. 3–33 Hüther, Friedrich: Der Bildhauer Edmund Kollmann, Karl: Die Wehre bei Niederhone. Hüther, 12/2001, S. 36–42 Bemerkungen zu einer lokalen Streitfrage, 5/1994, S. 71–77 Isenberg, Hans: Vor 125 Jahren. Langes Ringen Kollmann, Karl: Das Jahr 1933 in Eschwege. um einen Schulneubau, 13/2002, S. 24–73 Die Machtergreifung im Kulturbereich im Isenberg, Hans: War Christoph Hochhuth Spiegel der Presse, 6/1995, S. 46–63 ein Verhinderer? Kritische Anmerkungen Kollmann, Karl/König, York-Egbert: „… ein zu „Eschwege im 18.Jh.“ von Erich Hilde- sehr wohlfeiles Orgelwerk erhalten zu brand, 18/2007, S. 3–16 haben“ Zum 150.Todestag des Eschweger Isenberg, Hans: Die private „höhere Töch- Orgelbauers Eobanus Friedrich Krebaum, terschule“ in Eschwege von ihrer Grün- 6/1995, S. 124–127 dung 1846 bis zu ihrer Aufnahme in die Kollmann, Karl: Ilse Gromes zum Gedenken, städtische Mädchen-Gesamtschule 1864, 6/1995, S. 128–130 21/2010, S. 44–56 Kollmann, Karl: Die Notgrabungen in der Eschweger Fleischschirne. Ein Beitrag Jendorff, Alexander: Das Eichsfeld im Au- zur Eschweger Stadtarchäologie, 7/1996, genschein. Altkarten als Instrumente und S. 3–10 Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1/1990 bis 30/2019 237

Kollmann, Karl: Die Geschichte der Eschwe- Kollmann, Karl: Dr. Alfred Schalk zum Ge- ger Fleischschirne, 7/1996, S. 11–19 denken, 18/2007, S. 81–82 Kollmann, Karl: Dr. Erich Hildebrand zum Kollmann, Karl: Eine Beschreibung der Gedenken, 7/1996, S. 62–64 Eschweger Kirchen- und Schulverhältnis- Kollmann, Karl: Eschweger Jubiläen, 8/1997, se aus der Zeit des 30jährigen Krieges, S. 3–5 19/2008, S. 16–30 Kollmann, Karl/Simon, Werner: Die Silves- Kollmann, Karl: „Mortdisteln vor sich ge- terkapelle und das Siechenhaus am Mein- steckt“ Eine Randbemerkung zu den hard, 8/1997, S. 45–50 Eschweger Hexenprozessen von 1657, Kollmann, Karl: Wo lag das Eschweger Rat- 19/2008, S. 43–44 haus vor 1660?, 9/1998, S. 75–78 Kollmann, Karl: Die Lindenlust. Ein verges- Kollmann, Karl: Die Wüstung Schlierbach, senes Eschweger Ausflugslokal, 19/2008, 10/1999, S. 3–10 S. 45–50 Kollmann, Karl: Die Flurnamen des Schlier- Kollmann, Karl: Straßennamen nach Perso- bachwaldes, 10/1999, S. 11–22 nen in Eschwege, 20/2009, S. 3–17 Kollmann, Karl: Alte Wege im Schlierbach, Kollmann, Karl/Herwig, Wittekind: Jacob 10/1999, S. 23–25 Christoph Heinemann (1794–1863). Kollmann, Karl: Neubau und vorzeitiges Vom „Lützower Jäger“ zum erfolgreichen Ende, 10/1999, S. 38–42 Eschweger Unternehmer, 20/2009, S. 18– Kollmann, Karl: Wildgehege und Naturlehr- 38 gebiet, 10/1999, S. 43–44 Kollmann, Karl: Unterirdisches Eschwege. Kollmann, Karl: Die Schlierbachsmühle, Bunkerbauten des 2.Weltkriegs unter dem 10/1999, S. 44–48 Schulberg, 20/2009, S. 56–61 Kollmann, Karl: Mord im Schlierbach?, Karl Kollmann/York-Egbert König: Anwälte 10/1999, S. 69–73 ohne Recht. Zum Schicksal jüdischer Juris- Kollmann, Karl: Eine Legende wird Wirk- ten in und aus dem Werraland, 23/2012, lichkeit. Vor 75 Jahren wurde die Diete- S. 49–53 mann-Kunstuhr installiert, 13/2002, S. 3–10 Karl Kollmann/York-Egbert König: In Vierbach Kollmann, Karl: Dietemann und kein Ende – versteckt … Hedwig Schlier und Else Vo- von 1949 bis heute, 13/2002, S. 10–14 cke – zwei Frauenschicksale in bewegter Kollmann, Karl: „Da bläst ein Mann vom Turm Zeit, 23/2012, S. 54–58 ins Land“ Vom Wandel des Dietemannbil- Kollmann, Karl/König, York-Egbert: Ausplün- des in 200 Jahren, 13/2002, S. 15–23 derung und Deportation. Ein dokumenta- Kollmann, Karl: In Sachen Dr. Alex Beuer- rischer Rückblick auf 2012, 24/2013, S. mann, 14/2003, S. 3–9 3–16 Kollmann, Karl/König, York-Egbert: Abgeb- Kollmann, Karl: Blau und Weiß. Die Eschwe- litzt! Ein „Annäherungsversuch“ aus der ger Stadtfarben, 24/2013, S. 49–51 Sicht der Betroffenen, 14/2003, S. 10–34 Kollmann, Karl: Reisig und Reiserbesen. Ein Kollmann, Karl: Eschweger Straßen. Der Alte kriegswichtiges Thema, 27/2016, S. 55f. Steinweg, 15/2004, S. 25–36 Kollmann, Karl: Zum Gedenken an Heinz Kollmann, Karl: Cäcilienhof nach fast 100 Schlarbaum (1928–2015), 27/2016, S. 57 Jahren vor Abbruch, 15/2004, S. 64–70 Kollmann, Karl: Bunter Sandstein und brauner Kollmann, Karl: 550 Jahre Nikolaiturm, Lehm. Autobahnbau gewährt interessante 16/2005, S. 75–87 geologische Aufschlüsse, 28/2017, S. 87– Kollmann, Karl: Die Katastervorbeschrei- 90 bung von Eltmannshausen 1748, 17/2006, Kollmann, Karl: „Eine mit Lebensgefahr ver- S. 73–89 bundene heroische Handlung“. Die mo- 238 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

derne Sage vom „Kanonen-Quentel“ aus König, York-Egbert/Kollmann, Karl: „… ein Niederdünzebach, 28/2017, S. 91–96 sehr wohlfeiles Orgelwerk erhalten zu Kollmann, Karl: „Entsetzliche Feuerstrahlen“. haben“ Zum 150. Todestag des Eschweger Eine Polarlicht-Beobachtung aus dem Jahr Orgelbauers Eobanus Friedrich Krebaum, 1721, 28/2017, S. 97 6/1995, S. 124–127 Kollmann, Karl: Nachruf auf Dr. Gerhard Seib König, York-Egbert/Kollmann, Karl: Abgeb- (1943–2016), 28/2017, S. 98 litzt! Ein „Annäherungsversuch“ aus der Kollmann, Karl: Drei Techer Leder und eine Sicht der Betroffenen, 14/2003, S. 10–34 Tonne Honig. Warentransporte über König, York-Egbert: Albungen. Die Katastervor- Eschwege und Wanfried vom 16. bis 18. beschreibung von 1750, 14/2003, S. 77–85 Jh., 29/2018, S. 66–68 König, York-Egbert: Die Katastervorbe- Kollmann, Karl: Krebsaugen aus Mühlhau- schreibung von Niddawitzhausen 1748, sen, 29/2018, S. 69–70 18/2007, S. 47–64 Kollmann, Karl: Ursula Vaupel (1928–2018) König, York-Egbert/Simon, Werner: Elise von zum Gedenken, 29/2018, S. 71 Hohenhausen (1789–1557) zum 150. To- Kollmann, Karl: Zum 30. Heft der Eschweger destag, 18/2007, S. 77–80 Geschichtsblätter, 30/2019, S. 3 König, York-Egbert: Gedenke daran Eschwe- Kollmann, Karl: Ein Jesusfigürchen und ein ge … Die Aufzeichnungen des Cyria- tiefer Brunnen. Bericht über die bau- kus Kompenhans aus dem Jahre 1637, begleitenden Unter such ungen auf dem 19/2008, S. 3–15 Grundstück Forstgasse 2 in Eschwege im König, York-Egbert: Vor 200 Jahren. Leopold Frühjahr 2018, 30/2019, S. 4–10 von Hohenhausen (1779–1848) wird Kollmann, Karl: Jahresbericht 2004, 16/2005, westphälischer Unter-Präfekt in Eschwege, S. 155–161; 2005, 17/2006, S. 110–113; 20/2009, S. 39–48 2006, 18/2007, S. 99–102; 2007, 19/2008, König, York-Egbert: Ein Leben für die Ma- S. 81–83 ; 2008, 20/2009, S. 82–83; 2010; thematik … Dr. Margarethe Kahn (1880– 21/2010, S. 124–125; 2011, 23/2012, 1942) aus Eschwege, 21/2010, S. 69–74 S. 98f.; 2012, 24/2013, S. 134–138; 2013, König, York-Egbert: Durch Briefwechsel mit 25/2014, S. 138–142; 2014, 26/2015, Rilke unvergessen. Lisa Heise (1893–1969) S. 130–134; 2015, 27/2016, S. 76–80; verbrachte ihre Jugend in Eschwege. Eine 2016, 28/2017, S. 119–122; 2017, 29/2018, Erinnerung zum 40.Todestag, 21/2010, S. 89–92; 2018, 30/2019, S. 230–233 S. 83–87 Kollmann, Karl: Mitteilungen aus dem König, York-Egbert: Die Katastervorbeschrei- Geschichtsverein Eschwege, 8/1997, bung von Niederhone aus dem Jahre S. 101–104; 9/1998, S. 123–126; 10/1999, 1787, 22/2011, S. 36–66 S. 97–101; 11/2000, S. 127130; 12/2001, König, York-Egbert: Dr. Margarete Kahn S. 85–89; 13/2002, S. 104–108; 14/2003, (1880–1942) aus Eschwege. Ergänzun- S. 97–101; 15/2004, S. 103–107; gen und familienkundliche Anmerkungen, Kollmann, Karl: Veröffentlichungen aus dem 22/2011, S. 67–76 WMK, 12/2001, S. 69–76; 2001, 13/2002, König, York-Egbert: Ich habe nichts zum Le- S. 86–97; 2002, 14/2003, S. 86–92; 2003, ben … Zum Schicksal der Familie Ferdi- 15/2004, S. 92–96; 2004, 16/2005, nand Heilbrunn in Eschwege, Wallgasse S. 143–146; 2005, 17/2006, S. 95–103; 18, 23/2012, S. 16–21 2006, 18/2007, S. 83–90; 2007, 19/2008, York-Egbert König: Zwei Paar Schuhe … ganz S. 61–69; 24/2013, S. 116–122; 25/2914, verbraucht … Dr. Margarete Kahn aus S. 120–126; 26/2015, S. 118–120; Eschwege erklärt ihr Vermögen, 23/2012, 29/2018, S. 72–75; 30/2019, S. 207–210 S. 22–30 Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1/1990 bis 30/2019 239

York-Egbert König/Karl Kollmann: Anwälte 3/1992, S. 51–55; 5/1994, S. 91–98; ohne Recht. Zum Schicksal jüdischer Juris- 6/1995, S. 145–153; 7/1996, S. 87–92; ten in und aus dem Werraland, 23/2012, 8/1997, S. 89–100; 9/1998, S. 118–122; S. 49–53 10/1999, S. 86–96; 11/2000, S. 119–126; König, York-Egbert/Karl Kollmann: In Vier- 12/2001, S. 77–85; 13/2002, S. 98–103; bach versteckt … Hedwig Schlier und Else 14/2003, S. 93–97; 15/2004, S. 97– Vocke – zwei Frauenschicksale in beweg- 102; 16/2005, S. 147–154; 17/2006, ter Zeit, 23/2012, S. 54–58 S. 104–109; 18/2007, S. 91–94/20; König, York-Egbert/Kollmann, Karl: Ausplün- 19/2008, S. 70–76; 20/2009, S. 71–75; derung und Deportation. Ein dokumen- 21/2010, S. 115–119; 22/2011, S. 131– tarischer Rückblick auf 2012, 24/2013, 136; 23/2012, S. 89–92; 24/2013, S. S. 3–16 123–128; 5/2014, S. 127–131; 26/2015, König, York-Egbert: Seine Bestallung als Arzt S. 121–124; 27/2016, S. 68–72; 28/2017, ist erloschen … Zum Schicksal jüdischer S. 106–109; 29/2018, S. 76–80; 30/2019, Ärzte in und aus dem Werraland, 24/2013, S. 211–218 S. 25–34 König, York-Egbert: Was uns außerdem in König, York-Egbert: Elise Rüdiger geb. von Hessen und Thüringen auffiel, 18/2007, Hohenhausen (1812–1899) zum 200. Ge- S. 95–98; 19/2008, S. 77–80; 20/2009, burtstag, 24/2013, S. 52–58 S. 76–81; 21/2010, S. 120–123; 22/2011, König, York-Egbert: Die Katastervorbeschrei- S. 137–140; 23/2012, S. 93–97; 24/2013, bung von Oberdünzebach aus dem Jahre S. 129–133; 25/2014, 132–137; 26/2015, 1770, 24/2013, S. 75–89 S. 125–129; 27/2016, S. 73–75; 28/2017, König, York-Egbert: 100 Jahre Stadtmuseum S. 110–118; 29/2018, S. 81–88; 30/2019, Eschwege 1913–2013, 24/2013, S. 139– S. 219–229 141 Köttelwesch, Sabine: Landgräfin Eleonore Ka- König, York-Egbert: Ludwig Pappenheim tharina von Hessen-Eschwege, geb. Pfalz- (1887–1934). Aufzeichnungen aus den gräfin bei Rhein (1626–1692), 30/2019, Kriegsjahren 1916/18, 26/2015, S. 35–69 S. 25–36 König, York-Egbert: Ein Strafzettel für Thomas Krause-Vilmar, Dietfrid: Über die politische Mann. Eine bisher unbekannte Eschweger Tätigkeit des Eschweger Bürgermeisters Episode vor 60 Jahren, 27/2016, S. 17–20 Dr. Alexander Beuermanns in den Jahren König, York-Egbert: Zu Gast bei Familie Na- 1934–1945, 21/2010, S. 3–32 rev [Narewczewitz] in London, von Die- Krause-Vilmar, Dietfrid. Die Vernichtung der ter Weber mit Anmerkungen und einer Firma Herzog & Co. und die Erinnerungen Nachbemerkung von York-Egbert König, Werner Kahns, 23/2012, S. 3–15 29/2018, S. 62–65 Krause-Vilmar, Dietfrid: Pfarrer lic. theol. König, York-Egbert: Ida Gassenheimer. Mein Paul Lieberknecht und der NS, 26/2015, Untergrund Leben in Berlin 1938-1945, S. 88–96 bearbeitet und mit einem Nachwort ver- sehen von York-Egbert König, 30/2019, Lauerwald, Paul: Die Eisenbahn in und um S. 142–163 Eschwege. Frühe Konzepte einer Eisen- König, York-Egbert: Inhaltsverzeichnis der bahnverbindung Eschweges, 12/2201, Jahrgänge 1/1990 bis 30/2019, 30/2019, S. 2–20 S. 234–242 König, York-Egbert: Veröffentlichungen Mangold, Martin: Aus der Geschichte des aus den thüringischen Nachbarkreisen, Fleischerhandwerks in Eschwege, 2/1991, 1/1990, S. 38–42; 2/1991, S. 70–76; S. 62–70 240 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Mihr, Heinrich: Rudolf Clermont (1874– Rohlén-Wohlgemuth, Hilde: Die Familie 1938). Eschweger Brunnenfahrten, Alexan der Levy in Eschwege, 5/1994, 27/2016, S. 21–23 S. 51–54 Müller, Frank-Bernhard: Auf den Spuren Goethes im Werraland – Gedanken zum Saalfeld, Karlfritz: Die Fürstengruft in der 270. Geburtstag 2019, 30/2019, S. 37–78 Eschweger Marktkirche, 4/1993, S. 34–41 Müller, Gerhard/Müller, Thomas T.: „Maint- Schalk, Alfred: Zur Einführung, 1/1990, S. 3 zisch glaidstein, Hessen ungestendig …“ – Schalk, Alfred: Jahresbericht 1989 des Ge- Zur Geleitfrage im eichsfeldisch-hessi- schichtsvereins Eschwege, 1/1990, S. 46; schen Grenzgebiet, 11/2000, S. 100–112 2/1991, S. 85–87; 3/1992, S. 71–74; Müller, Werner: Werner Benning – ein 4/1993, S. 90–92; 5/1994, S. 98–101; Eschweger Dichter, 7/1996, S. 48–54 6/1995, S. 154–157; 7/1996, S. 92–96 Schaumberg, Günther (1922–2017): Meine Naujok, Günter/Vollprecht, Dieter: Anmer- Erinnerungen an Dr. Ludwig Hindenlang, kungen zum Eschweger Stadtbau, 5/1994, 29/2018, S. 56–61 S. 3–30 Siedschlag, Edgar: Iohannes Hütterodius po- Neuerscheinungen des Jahres 1989 im WMK, eta, 30/2019, S. 11–24 1/1990, S. 42–45 Schmidt, Martin: Kriegserinnerungen. Wie Nickel, Rainer: Eschwege oder Allendorf? Zur Mutter die Stadt Eschwege an die Ameri- St. Nikolauskirche in Allendorf, 8/1997, kaner übergab, 12/2001, S. 52–53 S. 36–44 Schmidt, Werner: Eschweger Gold- und Sil- Nickel, Rainer: Das Alte Rathaus in Eschwe- berschmiede, 15/2004, S. 37–46 ge. Ein Beitrag zur Sanierung des Gebäu- Schmitz, Lisa: Die letzten Kriegstage in des und zur Geschichte des Eschweger Eschwege, 12/2001, S. 54–69 Fachwerks, 9/1998, S. 3–58 Schubert, Ulrike: Ein Kirchenbaumeister mit Nickel, Rainer: Das Hochzeitshaus in prägendem Einfluss. Zum Wirken des Eschwege, 11/2000, S. 3–86 Architekten Johann Friedrich Matthei, Nickel, Rainer: Levy und Meyberg. Zwei 2/1991, S. 23–28 jüdische Eschweger Handwerker- und Schütt, Horst: Schlossentwürfe des Landgra- Kaufmannsfamilien im 19. und 20. Jh., fen Moritz für Allendorf, 9/1998, S. 92–94 29/2018, S. 27–55 Schweitzer, Jochen: Nachforschungen über Nolte, Matthias: Das Fest der Freude ist er- das Schicksal der Eschweger Familie Ju- schienen. Geschichte und Morphologie lius und Selma Klara Kahn, 23/2012, S. der Johannisfeste, 27,2016, S. 3–16 31–48 Schweitzer, Jochen: Einige Gedanken zum Perst, Otto: Von Forsthäusern und Förstern im 70. Jahrestag der Deportation der letzten Schlierbach, 10/1999, S. 26–30 Juden aus Eschwege, 24/2013, S. 17–24 Prauss, Christina: Vom Untergang bürger- Schweitzer, Jochen: Forschungen zu und licher Lebenswelten. Der Kaufhausgrün- Erinnerungen an Fritz Neuenroth und der Lehmann Löbenstein aus Datterode Gedanken zum Fritz-Neuenroth-Weg, und seine Kinder, 23/2012, S. 59–84 25/2014, S. 1–28 Pujiula, Martin: Landwehren und Warten um Schweitzer, Jochen: Zur Kontroverse um Eschwege, 7/1996, S. 32–48 „NS-belastete“ Straßennamen in Eschwe- ge, 26/2015, S. 70–87 Rohde, Christian: Das Cyriakusstift in Schweitzer, Jochen: Nach der Machter- Eschwege bis zu seiner Reformation 1504, greifung der Nazis im Kreis Eschwege. 8/1997, S. 6–21 Schutzhaft für Eduard Schäfer, ein Beispiel Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1/1990 bis 30/2019 241

für NS-Repressionen in Frankershausen, Stephan, Peter: Das schwankende Charak- 28/2017, S. 31–38 terbild des Werner Benning, 25/2014, Schweitzer, Jochen: Nach der Machtergrei- 29–46 fung des Nazis 1933/34. Wurde Eschwege Strauß, Gerd: Die Reichspogromnacht 1938 „schnell und widerstandslos braun“? oder: in Eschwege: Wer waren die Täter?, Folter, Schutzhaft und Repressionen gegen 30/2019, S. 113–141 Nazi-Gegner, 28/2017, S. 39–68 Seib, Gerhard: Siechenhaus, jetzt städtisches Tobaschus, Günter: Kriegsgefangen in Altersheim in Eschwege, 3/1992, S. 46–49 Eschwege, 12/2001, S. 46–52 Seib, Gerhard: Ein untergegangener Renais- Tobies, Renate: Mädchenschulreform im sancebau in Waldkappel, 4/1994, S. 63– Kontext der mathematisch-naturwissen- 74 schaftlichen Unterrichtsreform zu Beginn Seib, Gerhard: Eschwege-Souvenirs aus der des 20.Jh., 21/2010, S. 57–68 Jahrhundertwende, 6/1995, S. 117–124 Seib, Gerhard: Ein Eschweger Maurermeister Van der Locht, Volker: Das anthroposophi- in der Herrschaft Schmalkalden, 8/1997, sche Heilerziehungsheim Lauenstein S. 62–64 im Heeresgestüt Altefeld 1932–1941, Seib, Gerhard: Eschweger Vedutentasse aus 18/2007, S. 27–45 der Mitte des 19.Jh., 8/1997, S. 65–68 Vaupel, Ursula: Glanz und Niedergang des Seib, Gerhard: Der Bericht über Eschwege Kanonissenstiftes St. Cyriakus in Eschwe- des Johann Conrad Geisthirt in dessen ge, 8/1997, S. 21–36 „Historia Schmalcaldica“ nach 1723– Vaupel, Ursula: Der Kerker der Catharina 1734, 9/1998, S. 94–100 Rudeloff „unterm Cyriaxberg“, 13/2002, Seib, Gerhard: Das Forsthaus Schlierbach, S. 83–86 10/1999, S. 30–38 Vaupel, Ursula/Hegeler, Hartmut: Hexenge- Seib, Gerhard: Das Lehn(s)haus im Schlier- denken in Eschwege, 21/2010, S. 33–43 bach, 10/1999, S. 49–68 Veröffentlichungen aus dem WMK im Jahre Seib, Gerhard: Ein bemerkenswertes 1990, 2/1991, S. 77–84; 1991, 3/1992, Grab-Steinkreuz von Weißenborn/Schlier- S. 54–70; 1992, 4/1993, S. 74–89; 1993, bach, 18/2007, S. 65–68 5/1994, S. 78–90; 1994, 6/1995, S. 130– Seib, Gerhard: Die Ofenplattensammlung 145; 1995, 7/1996, S. 65–86; 1996, des Stadtmuseums Eschwege, 26/2015, 8/1997, S. 68–89; 1997, 9/1998, S. 100– S. 3–34 117; 1998, 10/1999, S. 73–86; 11/2000, Simon, Werner: Zur Geschichte von Schloss S. 113–119; 2007, 19/2008, S. 61–69; und Dorf Grebendorf, 2/1991, S. 3–17 2008, 20/2009, S. 65–70; 2009, 21/2010, Simon, Werner/Kollmann, Karl: Die Silves- S. 109–114; 22/2011, S. 125–130; terkapelle und das Siechenhaus am Mein- 23/2012, S. 85–88; 27/2016, S. 58–67; hard, 8/1997, S. 45–50 28/2017, S. 99–105; Simon, Werner/König, York-Egbert: Elise von Vollprecht, Dieter/Naujok, Günter: An- Hohenhausen (1789–1857) zum 150.To- merkungen zum Eschweger Stadtbau, destag, 18/2007, S. 77–80 5/1994, S. 3–30 Sommer, Dirk: Ein glanzvolles Ereignis in Vollprecht, Dieter: Anmerkungen zur Eschwege im Jahr 1060, 15/2004, S. 3–24 Eschweger Stadtwaage im Rathaus nach Spohr, Volker: Am Rand der großen Weltge- 1637, 9/1998, S. 65–75 schichte – Rietmond, 14/2003, S. 35–44 Stephan, Peter: Das Russenlager, 12/2002, Wahrenburg, Fritz: Eschwege, eine der „vor- S. 43–45 nemster Stät der Welt“ Das Braun- und 242 Eschweger Geschichtsblätter 30/2019

Hogenberg’sche Städtewerk am Beispiel Wiegand, Thomas: Bitte ganz Ihren natürli- Eschweges, 8/1997, S. 51–58 chen Ausdruck! Fotografen in Eschwege Weber, Alfred: Burgruinen des Werra-Meiß- vor 1885, 2/1992, S. 29–53 ner-Kreises. Ihre Darstellung in den amtli- Wiegand, Thomas: Die größten Denkwürdig- chen Karten, 1/1990, S. 28–32 keiten der älteren und neueren Zeit. Pa- Weber, Detlev: Zu Gast bei Familie Narev noramen als Jahrmarktattraktion, 5/1994, [Narewczewitz] in London, mit Anmer- S. 30–45 kungen und einer Nachbemerkung von Wiegand, Thomas: Die Weberei Eichmann York-Egbert König, 29/2018, S. 62–65 als Industriedenkmal, 11/2000, S. 86–100 Weinlich, Edgar/Grönke, Eveline: Ein Narr Wiegand, Thomas: „Ein kluger Baumeister“ aus Hessen, 21/2010, S. 93–108 Der Architekt Hugo Eberhardt und der Welker, Hella: Das lange tiefe Sehnen, Neubau der Friedrich-Wilhelm-Schule, 27/2016, S. 36–54 13/2002, S. 74–82 Wiegand, Thomas: Atelier Tellgmann. Foto- grafen in Eschwege 1881–1954, 1/1990, Zietz, Peer: Zur Sanierung des Eschweger S. 4–12 Schlosses, 3/1992, S. 41–45 243

Bildnachweis

Thomas Beck: S. 100–108, 109–110 Museumslandschaft Hessen-Kassel: S. 27

Alf Breitkopf: S. 29 Nationalmuseum Stockholm: S. 26 oben, 30

Corpus der Goethezeichnungen, Bd. IV: S. 47 Neuapostolische Gemeinde, Eschwege: S. 117 Frank Dach: S. 197, 203, 204 Dietmar Nill: S. 195 Deutsches Jüdisches Museum, Berlin: S. 109 (© Michal Friedlander) Rainer Nickel: S. 145

Hartmut Fischer: S. 200 Matthias Nolte: Titelbild

Stefan Forbert: S. 7–9 Reichsarchiv Stockholm, Stegeborgsamlingen, Karl Gustafs arkiv: S. 28, 34 Goethe- und Schiller-Archiv Weimar (GSA): S. 52, 62, 65 Schweizerisches Bundesarchiv, Bern: S. 157 (Signatur: E4264#1985/196#3193*) Hessisches Staatsarchiv Marburg: S. 165 (Signatur: 180 Eschwege, A 972) Erich Schwenger: S. 199, 201 oben u. unten

Gerhard Hochhuth: S. 81–99 Edgar Siedschlag: S. 14, 18, 21

Hans-Hermann Hubert: S. 33 Stadtarchiv Eschwege: S. 5, 6, 123, 144

Helga Isenberg: S. 231, 232 Stadtarchiv Eschwege, Nachlass Tellgmann: S. 115, 116, 119, 125, 129, 134, 144 oben Kirchenbuch Altstadt Eschwege: S. 80 Stadtarchiv Eschwege bzw. Kassel: S. 111, 173 Klassik-Stiftung Weimar: S. 39 Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum York-Egbert König: S. 143 Judaicum, Archiv: S. 142 (Signatur 4.1, Nr. 481, Bl. 1) Birgit Kompenhans: S. 146 Svenska Porträtt Arkivet: S. 26 unten Sabine Köttelwesch: S. 31, 32 Peter Vesely: S. 202 Kunsthalle Worpswede: S. 30 unten Hans Wahl, Goethe als Zeichner der deut- Frank-Bernhard Müller: S. 45, 51, 60, 63 schen Landschaft: S. 41 244

Autoren dieses Heftes

Thomas Beck Dr. Karl Kollmann Falltor 8 Korbgraben 1 ingga-atterode 37284 Waldkappel-Bischhausen

Wolfram Brauneis York-Egbert König Freiherr vom Stein Straße 17 Am Fuchsberg 3 Eschwege Eschwege

Stefan Forbert Sabine Köttelwesch Am Schindeleich 24 Herann attern Strae Eschwege 34134 Kassel

Dr. Klaus-Peter Friedrich Dr. Frank-Bernhard Müller Bauerbacher Straße 23 Zschampertaue 16 35043 Marburg 04207 Leipzig

Karsten Heuckeroth Dr. Edgar Siedschlag Strümpfelbacher Weg 47 Drießenstraße 12 71522 Backnang 37213 Witzenhausen

Gerhard Hochhuth Gerd Strauß Cottastraße 2a Am Ottilienberg 11 13156 Berlin Eschwege 245

Beitrittserklärung

Antrag an den geschäftsführenden Hauptvorstand des VHG um Aufnahme in den Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde 1834 e.V.

Ich möchte als Mitglied des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 1834 e.V. im Zweigverein geführt werden. Mein Beitrag im VHG beträgt z. Zt. jährlich 20,00 EURO1). Hinzu kommt der individuelle Zuschlag des jeweiligen Zweigvereins. Dieser beträgt z. Zt. EURO. Name: Vorname: geboren: Beruf: Tel. / Fax: E-Mail: Straße u. Haus-Nr.: PLZ u. Wohnort: Mit der Verwendung meiner persönlichen Daten in den Vereinspublikationen und zu Vereins- zwecken bin ich einverstanden.

Ort u. Datum Unterschrift 1) Schüler, Studenten, Sozialrentner (Nachweis bitte beifügen) zahlen auf Antrag 14,50 EURO zuzüglich Zweigvereinszuschlag. Körperschaften mindestens 25,50 EURO.

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Name, Vorname: Ich bin bis auf Widerruf mit der Abbuchung des Mitgliedsbeitrages von meinem Konto IBAN: BIC / SWIFT: bei der einverstanden.

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Bitte senden Sie Ihre Beitrittserklärung per Post an: VHG 1834 e.V, Dr. Dirk Richhardt, Kirchgasse 4, 34626 Neukirchen ICHTE CH UN S D E G L E A N H D C

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Ihr verlässlicher Partner seit 1844 - wir freuen uns auf Ihren Besuch in einer unserer 17 Geschäftsstellen im Werra-Meißner-Kreis oder im Internet unter www.spk-wm.de Eschweger Aus dem Inhalt Geschichtsblätter 30/2019 Karl Kollmann: Klaus-Peter Friedrich: Zum 30. Heft der Eschweger Geschichtsblätter Zum Lebensweg der jüdischen Kinder- gärtnerin Rosel Leschziner geb. Wolf aus Karl Kollmann: Herleshausen Ein Jesusfi gürchen und ein tiefer Brunnen. Bericht über die baubegleitenden Unter such- Wolfram Brauneis: ungen auf dem Grundstück Forstgasse 2 in Die Bedeutung des Eschweger und Wanfrieder Eschwege im Frühjahr 2018 Raumes für die Rückkehr des Wander fal ken (Falco peregrinus) in Hessen. Historie – Edgar Siedschlag: Nieder gang – Wieder ansiedlung – Be stands- Iohannes Hütterodius poeta entwicklung Sabine Köttelwesch: Karl Kollmann u. a.: Landgräfi n Eleonore Katharina von Hessen- Veröffentlichungen aus dem Werra-Meißner- Eschwege, geb. Pfalzgräfi n bei Rhein (1626– Kreis 2018 1692) York-Egbert König: Frank-Bernhard Müller: Veröffentlichungen aus den thüringischen Auf den Spuren Goethes im Werraland – Nachbarkreisen 2018 Gedanken zum 270. Geburtstag 2019 York-Egbert König: Gerhard Hochhuth: Was uns außerdem in Hessen, Die Eschweger Hochhuths Thüringen und anderswo auffi el Thomas Beck: Jahresbericht 2018 „Einer von 2 Millionen“. Die Geschichte des Inhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1/1990 bis jüdischen Soldaten Moritz Loewenstein und 30/2019. Zusammengestellt von ork-Egbert Geschichtsblätter Eschweger 30/2019 seiner Familie König Gerd Strauß: Die Reichspogromnacht 1938 in Eschwege: Wer waren die Täter Ida Gassenheimer: Mein Untergrund Leben in ICHTE CH UN S D Berlin 1938–1945. Bearbeitet und mit einem E G L Nachwort versehen von ork-Egbert König E A N H D C

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Geschichtsverein Eschwege

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hessische Geschichte und Landeskunde N

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. V E . 1834 e.V. V ∙ ISSN 2197-6163 Geschichtsverein Eschwege