Bauwelt 21 | 2009 betrifft Kanzlerbungalow 9

Sucht man in nach frühen architektonischen Zeugnis- menen Zustand als Geschichtsdokument erhalten bleiben? sen der Bundesrepublik, mag erstaunen, wie bescheiden die Man entschied sich für einen Kompromiss und versuchte, 35 Bautätigkeit in vierzig Jahren Bundeshauptstadt dort ausgefal- Jahre bundesdeutscher Politik und Geschichte am Original- len ist. Aus Sorge, das Hauptstadtprovisorium könne zu einem schauplatz zu dokumentieren. Dauerzustand werden, verabschiedete der Bundestag 1956 ei- nen Baustopp, der dem Bund den Neubau von Verwaltungs- Das Ergebnis vermag nur bedingt zu überzeugen: So, wie der und Dienstgebäuden sowie Eigenheimen über 75.000 DM bis Kanzlerbungalow jetzt der Bundesregierung als Museum und Ende 1965 verbot. Doch kaum ein Gesetz ohne Ausnahmere- Bühne für ausgewählte kulturpolitische Veranstaltungen über- gel, denn „der Bundeskanzler hat Recht auf eine Amtswoh- geben wurde, wird er in einem Zustand präsentiert, den es nie nung mit Ausstattung“, so war es ebenfalls gesetzlich verbrieft. gegeben hat. In der Museumssprache heißt das, dass im reprä- Gut für Bundeskanzler , dass er so den von ihm sentativen Gebäudeteil die empirisch belegbaren historischen selbst unterzeichneten Bundestagsbeschluss umgehen konnte. Ebenen nebeneinander dargestellt werden. Auch wenn die Qua- Erhard beauftragte Sep Ruf mit dem Neubau des Wohnhauses, lität der Architektur von Sep Ruf zurückgewonnen wurde, blieb da er bereits vorher ein privates Bauvorhaben mit ihm am Te- im Speisezimmer die beherrschende Zeitschicht aus der letz- gernsee realisiert hatte. Beide waren sich einig, dass die Zeit ten Nutzungsphase erhalten. „So viel aus der Amtszeit Erhard der großen Gesten vorbei sei: „Nicht die Repräsentation ist das wie möglich, so viel aus der Ära Kohl wie notwendig“, heißt es. Entscheidende hier, sondern die menschliche Begegnung“, so Erhard. Das Zitat zeigt, dass der Kanzler ein sehr persönliches Natürlich schmerzt es zu sehen, wie wenig sensibel insbeson- Verhältnis zu „seinem“ Haus und „seinem“ Architekten hatte. dere auf die Architektur reagierte. Nachdem die Vielleicht machte gerade das die Nutzung des Gebäudes durch Einrichtung durch großformatige Beleuchtungselemente aus seine Amtsnachfolger umso schwieriger. Der Kanzlerbunga- braunem Glas, mit cremefarbener Seide bespannten Wänden, low war – auch wenn ihn Fachpresse und Architekturinteres- gerafften Vorhängen und Sitzgruppen mit Hotellobby-Charme sierte schätzten – immer mit einem Makel belegt: Zuerst war nach Kohls Geschmack und dem der Zeit gestaltet worden er zu modern, zu teuer und unangemessen; zu sehr Erhard, zu war, nutzte er den Bungalow in den 16 Jahren seiner Amtszeit viel Amerika und vor allem zu wenig repräsentativ. Später privat und dienstlich intensiv. Trotz der zum Teil entstellen- dann, nach Umbauten und Änderungen der Ausstattung, den Maßnahmen bot das Haus weiterhin einen entspannten wurde er für die Allgemeinheit gefälliger, dafür aber in seiner Rahmen für informelle Treffen außerhalb von Parlament und So viel Erhard wie möglich, architektonischen Qualität immer schwerer wahrnehmbar. Regierungsinstitutionen: Ob sich die sogenannte „Strickjacken- politik“ von Kohl und Gorbatschow auch in ei nem anderen Ästhetisch-historische Doppelnatur Ambiente hätte entfalten können, lässt sich im Nachhinein so viel Kohl wie nötig schwer feststellen. Doch die geschmacklichen, oft oberflächen- Als im Jahr 2005 die Wüstenrot Stiftung der Bundesregierung kosmetischen Veränderungen von Kiesinger und Kohl lassen Text: Uta Winterhager Fotos: Tomas Riehle anbot, den Kanzlerbungalow in ihr Denkmalprogramm zur sich kaum mit Rufs Architektur in Einklang bringen. Erhaltung herausragender Bauten der Moderne aufzunehmen, Der Kanzlerbungalow in Bonn wurde von der Wüstenrot Stiftung erneuert. Dabei standen sich die Spuren der stand dieser bereits sechs Jahre ungenutzt und abgewohnt leer Seine beste Zeit hatte der Kanzlerbungalow – betrachtet man Nutzung und die Architektur von Sep Ruf im Wege. Aber schmerzhafte Kompromisse als ureigenes Element des (Heft 16.2003). So, wie das Haus vorgefunden wurde, schien es ihn als baukünstlerisches Werk –, als Paul Swiridoff ihn 1966 Politischen sind bei der Sanierung einer „politischen Architektur“ vielleicht unvermeidlich. kaum eines der wichtigsten Zeugnisse bundesdeutscher Nach- fotografierte: eine perfekt ausbalancierte Komposition, die mit kriegsarchitektur zu sein. Denn die sechs Kanzler, die das Ge- jeder Änderung geschwächt wurde. Auch wenn die Stiftung, bäude in 35 Jahren genutzt hatten, hinterließen zahlreiche, die die Kosten für die Restaurierungmaßnahmen in Höhe von zum Teil entstellende Spuren. Dass kein Interesse an einer wei- 1,7 Millionen Euro (zuzüglich 500.000 Euro für die Neunut- terhin offiziellen Nutzung als „Wohn- und Empfangsgebäude zung) übernommen hat, immer wieder das Wort „Revitalisie- des Bundeskanzlers“ bestand, hatte sich schon bald nach dem rung“ benutzt – wirklich zum Leben erweckt worden ist der Umzug der Bundesregierung nach gezeigt. Um zu klä- Kanzlerbungalow nicht. Immerhin: Das Gebäude wird erst- ren, wie die Zukunft des Bungalows aussehen könnte, ließ die mals tatsächlich öffentlich und als einer von 19 Punkten auf Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bonner Haus der Ge- dem „Weg der Demokratie“ durch das ehemalige Regierungs- schichte, dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege und dem viertel zu besichtigen sein. Kostenlose Begleitungen können Braunschweiger Büro Burkhardt + Schumacher eine Mach- beim Besucherdienst des Hauses der Geschichte angemeldet barkeitsstudie erarbeiten. Ziel war es, das Gebäude einer kul- werden. turellen und möglichst allgemein zugänglichen Nutzung zu- zuführen und die dem Denkmal innewohnende „ästhetisch- historische Doppelnatur“ angemessen zu gewichten: Sollte Der ehemals öffentliche Be- man sich entscheiden, das Gebäude als Baudenkmal zu kon- reich des Bungalows wurde nach alten Fotos mit Neuan- servieren, oder den Originalzustand von 1964 wieder herstel- fertigungen und nachgekauf- len? Oder sollte der Kanzlerbungalow lieber im überkom- ten Originalen möbliert.