2 Wochenschau Bauwelt 32 | 2008 Bauwelt 32 | 2008 3

AUSSTELLUNG Die Ausstellung zeigt neben bauzeitlichen Für die geordnete Ausbreitung am Stadtrand Fotografien auch aktuelle Aufnahmen einiger gibt es Wohnhäuser auf Staatskredit. Ruf-Bauten vom Stuttgarter Architektenfoto- Wo Diebstahl auf der Tagesordnung steht, Weltoffen und sinnlich, würdevoll grafen Roland Halbe. Unten das Germanische ersetzt der Käfig die Wegfahrsperre. Nationalmuseum in Nürnberg (1953–76). Fotos: Livia Corona (links); Danter Busquet und bescheiden | Sep Ruf zum Hundertsten © Roland Halbe, 2008 (rechts)

Sandra Hofmeister Der Bonner Kanzlerbungalow sollte ohne Pathos aus- tion seines Werkes ist bisher weitgehend ausgeblie- position zu Speers steinernem Koloss der Expo 1937 kommen: zwei gegeneinander versetzte Würfel mit ben. Er selbst hat sich nie um publizistische und me- in Paris zu lesen waren. Die Pavillongruppe wurde Flachdach, die sich zwischen die hohen Bäume im diale Präsenz gekümmert; die erste und bislang ein- zum Symbol für das demokratische Deutschland; doch Park des ducken; das Wohn- und zige Einzelschau, die dem Architekten gewidmet war, war die Architektur ihrem Inhalt weit voraus: Im In- Empfangsgebäude öffnet sich mit geschosshohen Glas- wurde 1985, drei Jahre nach seinem Tod, ausgerich- nern wurde ein Relief Deutschlands in den Grenzen schiebetüren zur Natur. Ein mutiges Bekenntnis zur tet. Höchste Zeit also für die Ausstellung, die das Ar- von 1937 präsentiert. Moderne ließ 1963 von seinem Te- chitekturmuseum der TU München dem Architekten Seinen Fortschrittsglauben knüpfte Sep Ruf an gernseer Nachbarn, dem Münchner Architekten Sep zu seinem 100. Geburtstag widmet. In der Pinako- die Demokratie und an die gesellschaftliche Rolle, Ruf (1908–1982), erbauen. 45 Jahre später vermag thek der Moderne werden Zeichnungen und Fotogra- die der Architektur im Nachkriegsdeutschland zukom- das schlichte Gebäude immer noch Maßstäbe für die fien sowie Dokumente und Briefe aus dem erstmals men sollte. Viele seiner Entwürfe lösten heftige Kon- ästhetische und gesellschaftliche Rolle von Baukul- geöffneten privaten Nachlass gezeigt, neben histori- troversen aus, so auch die Pläne für die Münchner tur in Deutschland zu setzen: All das kann Architektur schen Modellen sind auch neue zu sehen, gebaut von Neue Maxburg (1952–57). Gemeinsam mit Theo Pabst leisten! Weltoffen und sinnlich, zugleich würdevoll Studenten der TU. Ein beeindruckendes Œuvre brei- konzipierte Ruf den Verwaltungsbau auf dem Gelän- und bescheiden, propagierte das Haus obendrein tet sich aus – von den wenig bekannten Einfamilien- de der zerstörten Wittelsbacher-Residenz als offene eine neue, von Häkeldeckchen und Nierentischen ent- häusern aus den 30er Jahren bis zu den großen Pro- Anlage. Das Proportionssystem des Neubaus leite- rümpelte Form des Wohnens. jekten wie dem Brüsseler Weltausstellungspavillon ten die beiden von dem erhaltenen Turm ab, den sie Doch der Repräsentationswille der deutschen von 1958, den Sep Ruf gemeinsam mit in ihr modernes Bauwerk integrierten. Nachkriegsdemokratie schlug eine andere Richtung entwarf. „Pariserische Grazie“ bescheinigte der Fi- Die Ausstellung ordnet das Werk, das Wohnungs- ein, als Sep Ruf es sich vorgestellt hatte. Die Rezep- garo den lichten Glasbauten, die gleichsam als Gegen- bauten, Kirchen, Repräsentationsbauwerke und Ver- waltungsgebäude umfasst, unter die Stichworte „Tra- dition und Moderne“ und „Transparenz“. Doch wer-

den diese abgestandenen Passpartout-Begriffe der AUSSTELLUNG Das Stadtwandeln im musealen Sinne beginnt schon Kult um die Heilige Frau des Todes und vom Kampf Ästhe tik seiner Bauten kaum gerecht. In welchem Zu- bei der Ausstellungsarchitektur. Mit aufgetürmten um politische Mitbestimmung nach dem verheeren- stand sich die Gebäude befinden, ob sie überhaupt Citámbulos | Stadtwandeln in Mexico City Plastikkisten, an denen Videobildschirme, Fotoserien den Erdbeben 1985. noch existieren, und vor allem: was notwendig wäre, und kleine Gegenstände montiert sind, haben Citám- „Die Stadt ist mehr als nur Mauern, sie ist Tanz- um sie aus der Insiderecke der Architekturgeschichte Selten waren bislang Versuche erfolgreich, den Kos- bulos einen Dschungel geschaffen, in dem der Be- saal und Restaurant, Markt und Fußballplatz.“ Die- heraus auf einen Ehrenplatz zu heben – diese Fra- mos einer Megastadt in einen Veranstaltungsraum trachter sich gern verliert. Die einzelnen Themen sind ser Satz sagt viel über die Liebe der Citámbulos zu gen klammert die Schau leider aus. Dabei ist Rufs Ar- zu transferieren. Bei der aktuellen Ausstellung im wie ein Metroliniennetz organisiert. So behandeln ihrer Stadt. Dennoch lassen sie auch krasse Fakten chitekturverständnis gerade im heutigen Kontext Deutschen Architekturzentrum (DAZ) ist dies lebens- die Stationen der Linie A etwa die Maßlosigkeit der nicht aus. Zum Beispiel, dass die Mitgliedschaft in brisant. Sein Werk ruft geradezu nach einem herme- nah, informativ und spielerisch zugleich gelungen. Stadt, ihr unkontrolliertes Wachstum durch Selbstbau- Straßengangs für viele Kinder eine Form des Überle- neutischen Rezeptionsansatz, der den Vergleich zum Hier geht es nicht um Bauprojekte und ihre Architek- siedlungen und die paradoxe Gleichzeitigkeit von bens bedeutet, dass 65 Prozent der Bewohnerinnen Hier und Jetzt nicht scheut. ten, hier stehen die rund 20 Millionen Bewohner von permanenter Wasserknappheit und drohenden Über- Opfer von körperlicher oder verbaler Gewalt auf offe- Nach Ludwig Erhard, der 1964 als erster Regie- Mexiko-Stadt im Mittelpunkt, ihre kreativen Lösun- schwemmungen. Andere Stationen tragen Namen ner Straße sind, oder dass im Durchschnitt jeder rungschef in den Kanzlerbungalow eingezogen war, gen für den Alltag ebenso wie ihre Probleme mit den wie „Flickwerk“, „Weltnabel“ oder „des Pudels Kern“ Bewohner 650 Euro im Jahr für seine private Sicher- wurde der dem Haus zugedachte Repräsentationsan- Unzulänglichkeiten der unaufhaltsam wachsenden und berichten von Müllsammlern und Straßenhänd- heit ausgibt. Über einen Strohmann gelang es der spruch schlichtweg negiert. „Ich weiß nicht, welcher Metropole. Die Schau beweist, dass der Lebensraum lerorganisationen, von durchlöcherten Schnapsfla- Gruppe sogar, das Telefongespräch einer Erpressung Architekt den Bungalow gebaut hat, aber er verdient in der mexikanischen Metropole mit den gängigen schen, die zum Rasensprengen dienen, oder von La- aufzuzeichnen, wie sie häufig aus Gefängnissen her- zehn Jahre“, zitierte die Süddeutsche Zeitung Kon- Klischees (Wachstum, Erdbeben, Smog, Korruption) gerräumen aus Milchpackungen und Hühnerdraht. aus organisierten wird. Darin gibt ein Insasse vor, rad Adenauer bei der Geburtstagsfeier für Erhards nicht mal annähernd charakterisiert ist. Zu verdan- Vom Einfallsreichtum der Armen führt der Weg gera- eine Frau in seiner Gewalt zu haben, und versucht ih- Nachfolger Kurt Georg Kiesinger. Umbaumaßnahmen ken ist dies einer Gruppe von Forschern aus den Be- dewegs zu den abgeschotteten Quartieren der Rei- ren Sohn zu einem Ort zu leiten, an dem die Über- der Folgejahre haben das Gebäude bis zur Unkennt- reichen Architektur, Mathematik, Literatur und chen, von den Mauerseglern in Schächten der Klima- gabe des Lösegeldes an seinen Komplizen stattfinden lichkeit verschandelt. Es wurde neu möbliert, Decken Philosophie mit dem programmatischen Namen Ci- anlagen direkt zu den Schoßhunden in den Wohn- soll. Es scheint, als hätten Citámbulos keine öffentli- wurden abgehängt, Wände eingerissen. Nach dem Re- támbulos, zu Deutsch: Stadtwandler. zim mern der Oberschicht. che Toilette, keinen Abwasserkanal und auch keinen gierungsumzug 1999 wurde der inzwischen denkmal- „Anfangs sind wir nur unserer Neugier gefolgt, Anhand eines Würfelspiels können die Besitz- Sicherheitszaun ausgelassen, um tief in die Stadt geschützte Kanzlerbungalow als Fernsehstudio ge- weil wir ein Buch von Bewohnern für Bewohner schrei- verhältnisse um den zentralen Platz Zócalo neu ver- einzudringen – eine Suche nach dem wahren Leben, nutzt und stand dann jahrelang leer. Derzeit wird er ben wollten“, erklärt Christian von Wissel, der ge- teilt werden, bei einem Computerspiel jagen Taxis an dem sich manch selbst ernannter Stadtanalyti- mit Hilfe der Wüstenrot-Stiftung saniert, ab 2009 soll meinsam mit Fionn Petch, Ana Álvarez und Valentina gepanzerte Limousinen, und immer wieder rattert ei- ker ein Beispiel nehmen kann. FM das Haus der Öffentlichkeit zugänglich sein. Rojas Loa seit mehreren Jahren Mexikos Hauptstadt ne Maschine, die normalerweise Banknoten zählt. untersucht. Mit Unterstützung des DAZ und der Al- Hier aber spult sie Bildserien ab, die wie beim Dau- Deutsches Architekturzentrum | Köpenicker | Barer Straße 40, fred-Herrhausen-Gesellschaft sind die Recherchen menkino von den Ursprüngen der Stadt erzählen, Straße 48/49 | 10179 | ▸ www.daz.de | 80333 München | ▸ www.architekturmuseum. der Gruppe nun erstmals in einer Ausstellung zu se- als Was ser die Hochebene bedeckte, die Pyramiden bis 21. September | Di–Fr 12–19, Sa, So 14–19 de | bis 5. Oktober, Di–So 10–18, Do 10–20 Uhr | hen. Und es erstaunt, wie viele Besucher derzeit in von Teotihuacán entstanden und die Azteken zu Uhr. Der Katalog erscheint am 19. September Der Katalog (Prestel Verlag) kostet 49,90 Euro. den Räumen des DAZ anzutreffen sind. siedeln begannen. Kurzweilige Texte erzählen vom und kostet 29,80 Euro.