Aus:

Dominik Herzner Deutsche Auslandsschulen in Spanien Auswärtige Kulturpolitik zwischen Konflikt und Kooperation

März 2019, 386 S., kart. 49,99 € (DE), 978-3-8376-4759-4 E-Book: PDF: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4759-8

Seit ihrer Gründung stehen die Deutschen Auslandsschulen in Spanien in einem viel- schichtigen Spannungsverhältnis: Sie spiegeln nicht nur politische und gesellschaft- liche Veränderungen wider, sondern sind als Vermittler deutscher Werte eine wichtige Instanz der Auswärtigen Kulturpolitik. Mit sieben anerkannten Einrichtungen besitzt Spanien eine Sonderrolle im Auslandsschulwesen. Dominik Herzner zeichnet chrono- logisch ihre Geschichte nach und zeigt dabei Konflikte, Brüche und Kontinuitäten in ihrer Rolle als transnationaler Bildungsraum auf.

Dominik Herzner (Dr. phil.), geb. 1988, ist Lehrer für Deutsch, Geschichte und So- zialkunde. Neben seiner Lehrtätigkeit forscht er zur Auswärtigen Kulturpolitik und zu Fragen der Geschichtsdidaktik.

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© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Inhalt

Vorwort | 7

1. Atención Colegio: Deutsche Auslandsschulen in Spanien | 9 1.1 Forschungsgegenstand und Definition | 13 1.2 Auslandsschulen als Teil der Auswärtigen Kulturpolitik | 25 1.3 Untersuchungsraum: Sonderfall Spanien | 31

2. Die Auslandsschulen von ihrer Gründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs | 39 2.1 Evangelische Gemeinden als Initiatoren für die Gründung neuer Auslandsschulen | 44 2.2 Deutscher Einfluss in Spanien: Kulturpolitik und pädagogische Entwicklung | 61 2.3 Der Erste Weltkrieg: Fluch und Segen für die Deutschen Auslandsschulen in Spanien | 73

3. Zwischen Monarchie und Diktatur | 83 3.1 ‚Goldene Zwanziger‘ in den Auslandsschulen | 87 3.2 Neue Konzepte der Kulturpolitik |101

4. Zwischen Hitler und Franco | 113 4.1 Die Deutschen Auslandsschulen im NS-Staat | 115 4.2 Der Spanische Bürgerkrieg und seine Folgen | 133 4.3 Die Deutschen Schulen während des Zweiten Weltkriegs | 148

5. Ende und Neuanfang: Die Auslandsschulen nach 1945 | 155 5.1 Schließung, illegaler Unterricht und Neuanfang | 159 5.2 Kontinuitäten nach dem Zweiten Weltkrieg | 177

6. Chaos und Organisation: Versuche zur Strukturierung | 189 6.1 Konflikt und Kooperation: Wildwuchs der Kompetenzen | 192 6.2 Struktur- und Raumprobleme | 207 6.3 Überproportionale Förderung und Schließung von Schulen | 216 6.4 Ordnung im Chaos? – Die Gründung der Zentralstelle für Auslandsschulwesen | 228

7. Bewegte Zeiten – Auf dem Weg zur Begegnungsschule | 233 7.1 Begegnung in den Auslandsschulen bis 1969 | 236 7.2 Begegnung in den Auslandsschulen nach der Einführung des Bachillerato mixto | 244 7.3 Begegnung mit der Demokratie: Der Umgang in den Schulen mit der Franco-Diktatur | 256 7.4 Begegnung mit dem ‚anderen Deutschland‘: Der Umgang in den Schulen mit der DDR | 270

8. Auslandsschulen als Visitenkarten in der Welt | 277 8.1 Zwischen Sprache und Kultur: Zielsetzungen der Auswärtigen Kulturpolitik | 278 8.2 Zwischen Politik und Pädagogik: Bewährung der Reformen in der Praxis | 289 8.3 Europäischer Einigungsprozess und seine Auswirkungen | 307 8.4 Herausforderungen der Gegenwart | 317

9. Spannungsverhältnisse aus historischer Sicht | 325 9.1 Kulturpolitische Spannungsverhältnisse | 328 9.2 Entre dos aguas: Bilaterale Spannungsverhältnisse | 342 9.3 Donde vas, Colegio Alemán? | 354

10. Quellen- und Literaturverzeichnis | 359 Quellenverzeichnis | 359 Sekundärliteratur | 366

Abkürzungsverzeichnis | 383

Vorwort

is different“ lautete der Werbeslogan während der Franco-Zeit, um Touris- ten ins Land zu locken. Für mich war Spanien vor dieser Forschungsarbeit noch weit mehr als nur ‚different‘. Es war eine terra incognita, die ich in den letzten Jah- ren erkunden durfte, um dort die Deutschen Auslandsschulen kennenzulernen. Da- bei konnte ich nicht nur die einzelnen Einrichtungen besuchen, sondern ein Land lieben und schätzen lernen, das mich mit seiner Kultur, seiner Geschichte und sei- ner Sprache begeistert hat. Für diese Gelegenheit möchte ich vor allem Prof. Dr. Christian Kuchler danken, dessen wissenschaftliches Engagement diese Arbeit erst ermöglicht hat. Seinem Ideenreichtum ist diese Arbeit geschuldet. Er hat mich als externen Doktoranden in Aachen aufgenommen und stand mir als Erstbetreuer immer mit Rat und Tat zur Seite. Prof. Dr. Till Kössler gebührt mein Dank für die Zweitbetreuung und die hilf- reichen Diskussionen in seinem Forschungskolloquium. Ohne den fachlichen Austausch mit „Spanien-Experten“ wäre es mir nicht mög- lich gewesen, die terra incognita zu erkunden. Mein Dank gilt daher auch allen wei- teren Gesprächspartnern, die mir mit guten Ratschlägen den Weg zum Abschluss dieser Arbeit erleichtert haben. Namentlich seien hier aufgeführt: Prof. Dr. Walther Bernecker, Prof. Dr. Carlos Collado Seidel, Prof. Dr. Xosé Nuñez Seixas, Prof. Dr. Rainer Liedtke, Prof. Dr. Antonio Muñoz Sánchez, Dr. Carlos Sanz Diaz, Prof. Dr. Bernd Marizzi, Prof. Dr. Ingrid Schneider, Prof. Dr. Marició Janué i Miret und Prof. Dr. Glenn Penny. Aber auch viele weitere Diskussionspartner haben mir in Forschungskolloquien oder privaten Gesprächen wertvolle Anregungen gegeben. Ihnen gilt mein Dank ebenso wie den Mitarbeitern in den einzelnen Archiven, die mich bei der häufig nicht einfachen Recherche unterstützt haben und den Weg durch die Signaturen leichter gemacht haben. Zuletzt sind die Vertreter der einzelnen Schulen zu nennen. Leider haben mich nicht alle mit offenen Türen empfangen, der Kontakt war oft mühsam und be- 8 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien schwerlich. Ob dahinter die Angst vor der eigenen Vergangenheit steckt? Oder doch nur der stressige Schulalltag die Bereitschaft einschränkte? Umso mehr möch- te ich den einzelnen Personen danken, die sich für mich Zeit genommen haben: Dr. Frank Müller und Maria Marx (Madrid), Dr. Erhard Zurawka (Málaga), Guido Er- hard (), Monika López Rall (Sevilla), Bettina Riedesser und Martin De- ckert (Teneriffa), Wiebke Bayer (), Manfred Zierrot (San Sebastian) sowie Stephanie Wickers (Barcelona). Dr. Volker Manz danke ich für die Übernahme des Lektorats. Für die finanziel- le Förderung gilt mein Dank der Hanns-Seidel-Stiftung. Die vorliegende Arbeit wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Ein großer Dank gebührt natürlich auch meinen Eltern, die mich stets unter- stützt haben, und all meinen Freunden, die meinen Überlegungen immer ein offenes Ohr schenkte und mich mit Tipps und Ratschlägen unterstützen.

Muchas gracias! Regensburg/Aachen im Februar 2018

1. Atención Colegio: Deutsche Auslandsschulen in Spanien

Auslandsschulen unterliegen, bedingt durch ihre besondere Struktur, einem doppel- ten nationalem Paradigma, das zu Konflikten führen kann. Ein Beispiel aus dem Jahr 2016 machte dies jüngst deutlich. Kurz vor Ende des Jahres waren die diplo- matischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei angespannt. Der Pakt über die Aufnahme syrischer Flüchtlinge und die restriktive Regierungsweise des türkischen Präsidenten Recep Erdogan führten zu diplomati- schen Spannungen. In dieser aufgeheizten Stimmung sorgte im Dezember ein wei- teres Ereignis für Schlagzeilen in der deutschen Presse: Weihnachtsverbot an deut- scher Eliteschule in Istanbul.1 Die Leitung der deutschen Abteilung hatte ihre Lehrer2 laut Medienberichten angewiesen, im Unterricht nichts mehr über Weihnachtsbräuche mitzuteilen und untersagt, entsprechende Lieder zu singen oder über das christliche Fest zu infor- mieren. Der ranghohe türkische AKP-Abgeordnete Mustafa Sentop warf der Schule in der darauf entbrannten Debatte christliche Missionierungsarbeit vor, die gegen die laizistische Grundordnung der türkischen Bildungspolitik verstoße. Die türki- sche Schulleitung dementierte zwar, etwas mit diesem Verbot zu tun zu haben, und erklärte, dass es sich nur um ein Missverständnis gehandelt habe, doch der Vorfall sorgte für einiges Aufsehen in der deutsch-türkischen Berichterstattung und rückte das Istanbul Lisesi für kurze Zeit in den Fokus öffentlicher Debatten. Politiker aller Parteien waren empört über das angebliche Verbot, denn schließlich finanziert das Auswärtige Amt die Schule mit.

1 Vgl. http://www.sueddeutsche.de/bildung/tuerkei-deutsche-auslandsschule-in-s-hebt- weihnachts-verbot-auf-1.3301303 (aufgerufen am 03.02.2017). 2 In der Arbeit wird auf die Verwendung des generischen Substantivs und die explizite Hervorhebung der weiblichen Form aufgrund der Lesbarkeit verzichtet. Bei den entspre- chenden Begriffen sind stets beide Geschlechter gemeint. 10 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien

In einer Stellungnahme der Bundesregierung hielt man den Vorgang für einen Ein- zelfall, doch offenbart diese Episode eine typische Charaktereigenschaft der Deut- schen Auslandsschulen: das Spannungsverhältnis, dem eine einzelne Institution in den binationalen Beziehungen ausgesetzt ist, und die Auswirkungen diverser Kul- tur- und Wertevorstellungen auf einen halboffiziellen Akteur der Auswärtigen Kul- turpolitik. Bildlich gesprochen pendelt der Mikrokosmos Schule hier zwischen ver- schiedenen Polen und muss in diesem Spannungsverhältnis seine Position finden. Diese ‚Bipolaritäten‘ sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit und sollen aus his- torischer Sicht analysiert werden. Die Deutschen Auslandsschulen sind ein vielschichtiger Teil der auswärtigen Kulturarbeit Deutschlands. Sie sind von der Eigendynamik der jeweiligen Schulge- schichte, aber auch von den politischen Konstellationen ihres Gast- und Mutterlan- des abhängig, spiegeln die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse wider und zeigen die enge Verbindung von Politik und Kultur.3 Die Auswärtige Kulturpo- litik der Bundesrepublik setzt dabei in den heute weltweit 1424 anerkannten Aus- landsschulen auf Dialog, Wertebindung, Zielgruppenorientierung, Netzwerkbildung und Partnerschaft.5 Diese Organisationsform ist aber keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Ergebnis neuerer Entwicklungen. Die Schulen haben sich im 19. und 20. Jahrhundert von deutschen Enklaven6 über Propagandaschulen hin zu Dialog- schulen entwickelt und waren noch Mitte der 1970er Jahre in Politik und Gesell- schaft umstritten.7 Dabei kritisierten gerade die Schulen selbst ihre Bestimmung und Ausrichtung.8 Im Laufe ihrer Geschichte waren sie immer ein Seismograph der politischen Entwicklungen und wichtiger Bestandteil der Kulturpolitik der Regie- rungen. Das politische Engagement im Auslandsschulwesen zeigt sich auch in den finanziellen Anstrengungen: Lange Zeit floss rund ein Drittel der Aufwendungen

3 Vgl. Trommler, Frank: Kulturmacht ohne Kompass. Deutsche Auswärtige Kulturbezie- hungen im 20. Jahrhundert, Köln 2014, S. 26. 4 Vgl. http://www.bva.bund.de/DE/Organisation/Abteilungen/Abteilung_ZfA/DieZfA/ ZahlenausderZfA/AuslandsschulwesenZahlen2013.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (aufgerufen am 27.01.2017). 5 Vgl. 16. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2011/2012, S. 9. 6 Vgl. Müller, Bernd: Von den Auswandererschulen zum Auslandsschulwesen. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Nationalismus vor dem Ersten Weltkrieg, Weimar 1996, S. 230–242. 7 Vgl. Arnold, Hans: Kulturexport als Politik? Aspekte auswärtiger Kulturpolitik, Tübingen 1976, S. 160. 8 Vgl. Peisert, Hansgert: Die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1978, S. 154.

Atención Colegio | 11 für die auswärtige Kulturarbeit in die Arbeit und Förderung der Auslandsschulen.9 Der Einsatz von 224,7 Millionen Euro im Jahr 2015 seitens der Bundesregierung macht den politischen Stellenwert deutlich.10 Dieser kulturellen und finanziellen Bedeutung steht die geringe Beachtung in der Forschung gegenüber. Es gibt wenige Studien zur historischen Entwicklung der Schulen und besonders die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wird in diesen Unter- suchungen kaum beachtet.11 Das Auslandsschulwesen durchlebte im Zeitraum nach 1945 vielschichtige Änderungen, die Einfluss hatten auf ihren transnationalen Cha- rakter und ihre interkulturelle Struktur, die aber in der historischen Forschung kaum thematisiert werden. Hayden und Thompson kamen 2008 zu dem Schluss, dass das Auslandsschulwesen noch ein gut gehütetes Geheimnis sei.12 Die vorliegende Un- tersuchung versucht, dieses Geheimnis in einigen Punkten zu lüften, indem am Bei- spiel Spaniens eine fundierte Studie über die strukturelle Entwicklung des Aus- landsschulwesens Antworten auf einige der offenen Fragen geben soll. Die Ver- knüpfung mit Konzepten der Auswärtigen Kulturpolitik und den binationalen Be- ziehungen zwischen Spanien und Deutschland erlaubt es, ein ganzheitliches Bild zu zeichnen und mit Hilfe der einzelnen Schulgeschichten zu konkretisieren. Jede Schule hat eine individuelle Entwicklungsgeschichte, die hier zusammengefügt werden sollen, um das deutsche Auslandsschulwesen in Spanien in seiner ganzen Breite greifbar zu machen. Der einleitende Teil dieser Arbeit (Kapitel 1) widmet sich dem Gegenstand the- oretisch und versucht, aufbauend auf der Forschungsliteratur, eine Definition zu lie- fern sowie einen Überblick über die Quellenlage und das methodische Vorgehen zu geben. Im Hauptteil (Kapitel 2–8) wird die strukturelle Entwicklung der Auslands- schulen in Spanien chronologisch dargestellt. Dieser methodische Zugriff ergibt

9 Vgl. Winter, Klaus: Ein Erfolgsmodell – Deutsche Schulen im Ausland, in: Maaß, Kurt- Jürgen (Hrsg.), Kultur- und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis, Baden- Baden 2009, S. 171–183, S. 177. 10 Vgl. http://www.auslandsschulnetz.de/wws/3396198.php (aufgerufen am 21.06.2015). 11 Vgl. Kuchler, Christian: Deutsche Visitenkarten in der Welt. Geschichte des Auslands- schulwesens als Instrument auswärtiger Kulturpolitik, in: GWU 5/6 (2016), S. 261–271, S. 263. Ausnahmen bilden die Untersuchungen von Gerd Vesper (2013) über die Deut- sche Schule Rom, Slavtcheva-Raiber (2006) über das Schulwesen in Bulgarien bis 1939, Bernd Müller (1996) über die Entwicklung der Auswandererschulen, Jens Waibel (2010) und seine Untersuchung über die Auslandsorganisationen der NS und die älteren Arbei- ten von Kurt Düwell (1976), der in seiner Habilitationsschrift die Arbeit der Auslands- schulen als Teilbereich behandelt. Die aufgeführten Arbeiten konzentrieren sich dabei fast ausschließlich auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. 12 Vgl. Hayden, Marie/Thompson, Jeff: International schools. Growth and influence, Paris 2008, S. 9. 12 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien sich durch die enge Anlehnung dieser Arbeit an die Institutionengeschichte des Auslandsschulwesens, die vor allem durch die deutschen Zäsuren geprägt ist. Zwar verlieren dadurch einzelne Themengebiete an Konturen, doch für den Aufbau der Studie als Längsschnitt ist die Zeit als historische Dimension von größerer Bedeu- tung. Jedes Kapitel enthält zunächst allgemeine Anmerkungen zu den deutsch- spanischen Beziehungen und zur Auswärtigen Kulturpolitik, bevor dann näher auf die Entwicklung der Schulen eingegangen wird. Die einzelnen Kapitel sollen dabei eigenständig gelesen werden können, so dass die Möglichkeit besteht, einzelne Zeitabschnitte für sich zu betrachten. Das letzte Kapitel fasst die unterschiedlichen Spannungsverhältnisse zusammen. Die Besonderheiten einzelner Schulen werden ebenso berücksichtigt wie die globalen Konzepte des Auslandsschulwesens. Die grundlegenden Forschungsfragen, um die es dabei geht, lauten wie folgt: Wie ent- wickelten sich die Deutschen Auslandsschulen als Träger der Auswärtigen Kultur- politik und welche globalgeschichtlichen Ereignisse hatten Einfluss auf den Mikro- kosmos Schule? Wie positionierten sich die Schulen in diversen Spannungsverhält- nissen und inwiefern kam es zu Konflikten oder zur Kooperationen? Auslandsschulen als Ort einer doppelten Nationalität sind geprägt durch unter- schiedliche Narrative und Wertvorstellungen, die auf engstem Raum zusammen- treffen. Sie sind nach der Raumtopologie von Assmann gleichzeitig ‚Ort‘ und ‚Raum‘: Geschichte hat in ihnen stattgefunden und wird durch sie konstruiert; sie sind gleichzeitig zukunftsgewandt als auch vergangenheitsorientiert.13 Geschichte wird in ihnen erlebt und explizit oder implizit erinnert. Die Schule als Raum und Ort eines zentralen Dispositivs der Repräsentation und Gestaltung bildet durch sei- ne Konkretheit die Grundlage für eine historische Mikrogeschichte. Dadurch ent- stehen eigene Strukturen, Netzwerke, Ideen und mentale Repräsentationen, die in dieser Arbeit offengelegt werden sollen. Das Auslandsschulwesen wird zusätzlich als „transnationaler Raum“ betrachtet, dem folgende Definition von Faist zugrunde liegt:14

„Transstaatliche Räume bezeichnen […] verdichtete ökonomische, politische und kulturelle Beziehungen zwischen Personen und Kollektiven, die Grenzen von souveränen Staaten über- schreiten. Sie verbinden Menschen, Netzwerke und Organisationen in mehreren Orten über die jeweiligen Staatsgrenzen hinweg. Eine hohe Dichte, Häufigkeit, eine gewisse Stabilität

13 Vgl. zur Topologie des Raums: Assmann, Aleida: Geschichte findet Stadt, in: Csáky, Moritz/Leitgeb, Christoph (Hrsg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissen- schaften nach dem „Spatial Turn“, Bielefeld 2009, S. 13–27, S. 15f. 14 Faist, Thomas: Grenzen überschreiten. Das Konzept transstaatlicher Räume und seine Anwendungen, in: Faist, Thomas (Hrsg.): Transstaatliche Räume. Politik, Wirtschaft und Kultur in und zwischen Deutschland und der Türkei, Bielefeld 2000, S. 9–56, S. 10.

Atención Colegio | 13 und Langlebigkeit kennzeichnen diese Beziehungen unterhalb bzw. neben der Regierungs- ebene.“

Ziel ist es, deutsche Auslandsschularbeit als ambivalente Entwicklung offenzule- gen, die im Spannungsverhältnis verschiedener Pole stand. Dabei verlief die ge- schichtliche Entwicklung keineswegs geradlinig, sondern verschiedene Konzepte und Strömungen, die sich ergänzen, verzahnen, aber auch einander widersprechen konnten, beeinflussten sie. Vor diesem Hintergrund soll die politische Einbindung des Auslandsschulwesens und seine organisatorische Verfasstheit rekonstruiert werden, um die Spezifika der Deutschen Auslandsschulen als Akteure der ‚cultural diplomacy‘ zu zeigen und ihre Funktion im Prozess des ‚nation branding‘ historisch zu verankern.15 Es gilt, deutlich zu machen, dass spezifische Faktoren für die struk- turelle Ausrichtung der einzelnen Schulen maßgebend waren und unterschiedliche Auswirkungen hatten. Dargestellt wird dies am Beispiel Spaniens, das, wie heraus- zuarbeiten sein wird, eine besondere Rolle im Auslandsschulwesen einnahm und noch immer einnimmt.

1.1 FORSCHUNGSGEGENSTAND UND DEFINITION

Der Beginn der Geschichte Deutscher Auslandsschulen wird in einigen Darstellun- gen im Mittelalter gesehen, 16 doch der Großteil der Forschung setzt ihn im 16. Jahrhundert mit Gründungen in Nord- und Osteuropa an.17 Bei diesen Einrich- tungen handelte es sich hauptsächlich um Auswandererschulen, die im Umfeld evangelischer Gemeinden entstanden. Die ersten Schulen dieser Art gab es 1569 in Stockholm, 1626 in Moskau, 1643 in Kopenhagen, 1710 in St. Petersburg, 1769 in London und 1780 in Warschau. Während die dänische St.-Petri-Schule bis heute noch existiert, musste an den anderen Orten aus ökonomischen oder politischen Gründen der Schulbetrieb relativ früh wieder eingestellt werden.

15 Vgl. Adick, Christel: Internationaler Bildungstransfer im Namen der Diplomatie. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Pädagogik 3 (2017), S. 341–362, S. 348. 16 Vgl. stellvertretend: Schmidt, Franz: Zur Geschichte der deutschen Auslandsschulen, in: Boelitz, Otto/Südhof, Herrmann: Die Deutsche Auslandsschule. Beiträge zur Erkenntnis ihres Wesens und ihrer Aufgaben. Langensalza 1929, S. 17–28, S. 18. Schmidt nennt als erste Deutsche Auslandsschule die Domschule in Reval, die im 12. Jahrhundert gegrün- det wurde. In der Chronik zum 40-jährigen Jubiläum der Zentralstelle für Auslands- schulwesen wird der Beginn des ASW im 14. Jahrhundert ebenfalls mit der Domschule in Reval verankert, die dort im Zuge der ‚deutschen‘ (sic!) Raumeroberungen stattfand. 17 Vgl. Kuchler: Visitenkarten, S. 266. 14 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien

Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieben Auslandsschulen lokal verortete Institutionen ohne Vernetzung und staatliche Verankerung. Zu einem weltweiten Aufbau kam es erst ab den 1840er Jahren, weshalb insbesondere diese Schulen im Fokus der fol- genden Arbeit stehen. Zudem erscheint es problematisch, von Deutschen Auslands- schulen zu sprechen, ohne die nationale Komponente des Begriffs zu beachten. Im 16. Jahrhundert war der Terminus weder sprachlich noch im nationalen Sinne iden- tisch mit der heutigen Vorstellung von „Deutsch“, wie er in den Auslandsschulen vermittelt und gelebt wird. Es ist daher schwierig, diese frühen Schulen als „Deut- sche“ Auslandsschulen zu charakterisieren. Dies wird deutlich, wenn man das An- wachsen der genannten Institutionen ab der Gründung des Kaiserreichs und der damit einhergehenden nationalen Euphorie beachtet. Erst ab dem Bestehen eines deutschen Nationalstaates wurden die Auslandsschulen zu einem Exportgut des Landes mit der Charakterisierung „Deutsch“. Allein zwischen 1871 und 1890 ent- standen 74 neue Institutionen, und am Vorabend des Ersten Weltkrieges ist in Sta- tistiken von weltweit 700 Auslandsschulen die Rede.18 Dabei ist allerdings zu be- achten, dass bei dieser Zahlenangabe unterschiedlichste Schultypen inbegriffen sind, die aus heutiger Sicht nicht der Definition einer Auslandsschule entsprechen. Sowohl was die Schülerzahlen als auch die pädagogische Ausstattung betrifft, wa- ren diese Schulen höchst unterschiedlich. In Teilen handelte es sich um improvi- sierte Einrichtungen mit nur geringer Reichweite und wenig Ausstrahlungskraft.19 Der Terminus ‚Deutsche Auslandsschule‘ war kein geschützter Begriff; theore- tisch konnte sich jede Einrichtung diese Bezeichnung verleihen. Dies führte zu ei- ner Unübersichtlichkeit verschiedener Schultypen, Formen und Begrifflichkeiten. Die Abgrenzung zu anderen Schulformen ist daher unklar und auch in der For- schung nicht immer eindeutig definiert. Dies wird zum Beispiel bei Hanna Kiper deutlich, wenn sie schreibt, dass es „neben den deutschen Auslandsschulen in pri- vater Trägerschaft […] eine Vielzahl weiterer Schultypen, wie Begegnungsschulen oder Sprachdiplomschulen“20 gibt. Doch auch diese Schulformen werden von pri- vaten Schulvereinen geführt, weshalb dies kein Unterscheidungskriterium darstel- len kann. Klaus Winter differenziert ebenfalls zwischen verschiedenen Schularten und führt verschiedene Klassifizierungen auf, sieht dabei aber ‚Auslandsschule‘ als Oberbegriff.21 Es soll hiermit auch versucht werden die verschiedenen Termini, die in der Literatur zu finden sind, zu ordnen, um so zu einer Definition zu gelangen, die der Arbeit zugrunde gelegt werden kann. ‚Auslandsschule‘ wird dabei wie bei

18 Vgl. ebd. [übernommen aus der Geheimen Denkschrift 1914] 19 Vgl. Müller: Auswandererschulen, S. 187f. 20 Kiper, Hanna: Arbeit in der Weltgesellschaft. Deutsche Schulen im Ausland, in: Maaß, Kurt Jürgen (Hrsg.): Kultur- und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis, Ba- den-Baden 32015, S. 149–159, S. 160. 21 Vgl. Winter: Erfolgsmodell, S. 172.

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Winter als Oberbegriff verstanden und grenzt sich von der relativen jungen Er- scheinungsform der Sprachdiplomschulen ab, da diese nach dem Lehr- und Bil- dungsplan des Gastlandes organisiert sind und verstärkten Deutschunterricht anbie- ten. Aus historischer Sicht lassen sich einzelne Schulen nicht immer einer Kategorie zuordnen, da sie durch strukturelle Entwicklungen ihren Charakter veränderten und häufig Verwaltung oder Forschung unterschiedliche Unterscheidungsmerkmale an- legten. Als Beispiel sei hier die genannt, die in den 1970er Jahren Zuschüsse von der Firma Ford erhielt, um den Schulstandort für ihre Mitarbeiter erhalten zu können. Damit fiele sie in die Kategorie der Experten- oder Firmenschule. Allerdings besuchten weiterhin spanische Schüler die Einrichtung, weshalb sie durchaus den Charakter einer Begegnungsschule behielt. Ebenso schließt eine kirchliche Trägerschaft, wie bei der Deutschen Schule der Borromäe- rinnen in Kairo, verschiedene Schultypen mit ein, unterscheidet sich jedoch in der organisatorischen Form. Die Übergänge zwischen den einzelnen Typen sind daher durchaus fließend und können nicht als statische Abgrenzung dienen. Für die vorliegende Arbeit sind besonders die Einrichtungen von Interesse, die durch die Anerkennung des Auswärtigen Amtes offiziell in die deutsche Kulturpoli- tik einbezogen waren. Durch ihre Insellage mussten solche Schulen immer wieder ihr Selbstverständnis und ihren eigenen Standpunkt hinterfragen.22 Bedingt durch die geographische Entfernung erhielten sich in den halbamtlichen Strukturen der Auslandsschulen Selbstverständnisse und ideologische Vorstellungen, so dass dort auf der Mikroebene der politischen Entscheidungen eigene Ideen von Auswärtiger Kulturpolitik eine Umsetzung erfuhren. Die Schulen wurden zum Knotenpunkt und Zentrum der Auslandskolonie; in- sofern gibt ihre historische Entwicklung Aufschluss über deutsche Denkvorstellun- gen und Räume, in denen Menschen multiple Subjektpositionen einnahmen und dynamisch-hybride Identitäten florieren konnten.23

22 Vgl. ebd. S. 174. 23 Vgl. Glenn, Penny: Knotenpunkte und Netzwerke. Auslandsschulen in Chile 1880–1960, in: GWU 5/6 (2016), S. 281–295, S. 281f. • • •

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Die Aufgaben der Lehrer – ob nun einheimische oder aus Deutschland entsandte Kräfte – endeten nicht in der Schule, sie waren wichtige Mitglieder in der jeweili- gen Kolonie und stellten sich in den Dienst der kulturpolitischen Aktivitäten Deutschlands im Ausland. Sie transportierten ein Bild ihrer Heimat und des Gast- landes und waren somit wichtige Vermittler in der transnationalen Beziehung. Die Schulen waren sich dieser Sonderrolle durchaus bewusst. Zum 50-jährigen Jubilä- um der Deutschen Schule Las Palmas im Jahr 1970 schrieb ihr Schulleiter:24

„Das Jubiläum […] gibt Anlaß zu einer Besinnung auf ihre besondere Lage im Spannungs- feld zweier Kulturen, in dem sie zu bestehen und sich zu bewähren hat. Anders als in Deutschland, wo der festgefügte administrative Apparat die eigenständige Entwicklung einer Schule kaum zuläßt, zeichnet sich in der Geschichte einer Auslandsschule das individuelle Schicksal […] ab.“

Ihre Geschichte und die aller anderen Deutschen Schulen ist eine vieldimensionale, nicht an nationale Grenzen gebundene Geschichte.25 Als Repräsentanten bilateraler Beziehungen umfassen sie multiple kulturelle Definitionen. In der vorliegenden Arbeit werden Nationen und Völker daher auch nicht ge- nauer spezifiziert. Deutsche und Spanier werden bewusst vage und teils pauschali- sierend beschrieben, auch wenn sie sich selbst als ‚Katalanen‘ oder ‚Bayern‘ fühl- ten. Eine nachträgliche Zuschreibung ist kaum durchführbar, daher beinhalten die allgemeinen Begriffe ‚deutsch‘ oder ‚spanisch‘ alle subkategorialen Identitäten und kulturelle sowie sprachliche Nuancen. Vor allem da durch Mischehen, Staatsange- hörigkeit, konfessionelle Zugehörigkeit und Sprachkompetenzen die Grenzen zwi- schen Nationalitäten oder Identitäten fließend verlaufen. Eine nachträgliche genaue Definition lässt sich nicht erstellen, da zu viele Einzel- und Sonderfälle sowie indi- viduelle Identitäten die Vorstellung von ‚Deutsch-Sein‘ und ‚Spanier-Sein‘ prägten.

1.1.1 Struktur Deutscher Auslandsschulen

Die Deutschen Auslandsschulen sind Teil einer spezifischen Variante des internati- onalen Bildungstransfers, der sich weder als Austauschmodell noch als Bildungshil- fe, noch als Bildungsexport definieren lässt, sondern eine Kategorie sui generis dar-

24 Deutsche Schule Las Palmas (Hrsg.): 50 Jahre Deutsche Schule Las Palmas, Las Palmas 1970, S. 12. 25 Vgl. Kaiser, Wolfram: Transnationale Weltgeschichte im Zeichen der Globalisierung, in: Conze, Eckart u. a. (Hrsg.): Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln 2004, S. 65–92. Vgl. zur Idee des Netz- werks in der transnationalen Geschichte: Osterhammel, Jürgen: Transnationale Geschich- te. Erweiterung oder Alternative?, in: GG 27 (2001), S. 464–479, S. 474. 18 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien stellt.26 In ihrer Organisation sind sie Privatschulen, die von Schulvereinen nach dem Recht des Gastlandes gegründet wurden.27 Pädagogisch werden sie von einem aus Deutschland entsandten Schulleiter geführt, dem Verein steht ein meist ehren- amtlicher Vorstand vor, der durch Elternvertretungen und Verwaltungspersonal er- gänzt wird. Abhängig vom individuellen Aufbau bieten die Schulen ein differen- ziertes Angebot vom Kindergarten bis zum Sekundarbereich II und weitere Dienst- leistungen, wie Kulturangebote, Mensabetrieb, Elterntreffpunkte etc. Der Großteil der Kosten (durchschnittlich 70 Prozent) wird aktuell durch Schulgelder und Spenden finanziert, die restlichen Gelder sind Zuschüsse aus dem Schulfonds des Auswärtigen Amtes, der teils durch konkrete Zuwendungen oder durch die Finanzierung von Lehrergehältern geleistet wird. Diese Unterstützung ist an Auflagen gebunden, die das Schulkonzept, die Erfolgsquote der Schüler, die Schülerzusammensetzung und die eigene Evaluation betreffen. Während innerdeut- sche Schulen nach dem Bildungsplan der Länder organisiert sind, ist für die Aus- landsschulen der Bund verantwortlich. Die Schulaufsicht wird durch die Zentral- stelle für Auslandsschulwesen (ZfA) wahrgenommen, die in das Bundesverwal- tungsamt eingegliedert ist, aber dem Auswärtigen Amt untersteht. Aufgaben der Zentralstelle sind neben der Beratung und Förderung der Auslandsschulen die Vermittlung von Lehrkräften, die Begleitung von Qualitätsentwicklungen und die Werbung für Deutschland.28 Neben der Zentralstelle als Vertreterin des Bundes kümmert sich ein Gremium der Kultusministerien der Länder um die Verwaltung und die pädagogische Betreuung der Schulen.29 Der Ausschuss für Auslandsschul- wesen (AschA), seit 1993 als Bund-Länder-Ausschuss (BLAschA) bezeichnet, nimmt die Aufsicht für die Qualität und Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse wahr. Er ist zusätzlich für die Erstellung von Prüfungsaufgaben der zentralen Ab- schlussprüfungen zuständig. Schulen, die gemeinsam von Bund und Ländern gefördert werden und eine qua- litative und nachhaltige Entwicklungen nachweisen, können die Anerkennung durch die Kultusministerkonferenz beantragen. Damit erhalten sie das Recht, Zeug- nisse zu erteilen, die äquivalent zu denen öffentlicher Schulen in der Bundesrepub- lik Deutschland sind. Zusätzlich haben sie das Recht, sich jährlich zu deutschen Abschlussprüfungen anzumelden und diese unter Aufsicht eines Prüfungsbeauftrag- ten durchzuführen. Lehrplantechnisch richtet man sich aktuell um einen gewissen

26 Vgl. Adick: Internationaler Bildungstransfer, S. 342. 27 Vgl. im Folgenden Kiper: Arbeit in der Weltgesellschaft, S. 150. 28 Vgl. http://www.bva.bund.de/DE/Organisation/Abteilungen/Abteilung_ZfA/DieZfA/Zah lenausderZfA/AuslandsschulwesenZahlen2015.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (aufge- rufen am 05.02.2017). 29 Vgl.https://www.kmk.org/themen/auslandsschulen/verantwortung-fuer-die- auslandsschulen.html

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Grad an Einheitlichkeit zu erzielen auf der Nordhalbkugel nach dem Curriculum Thüringens, südlich des Äquators wird nach den Vorgaben aus Baden-Württemberg unterrichtet.30 Der BLAschA koordiniert die Zusammenarbeit zwischen der Kul- tusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt und setzt sich aus verschiedenen Vertretern der einzelnen Gremien zusammen. Durch die Zusammenarbeit der ver- schiedenen Akteure entsteht eine Public-private-Partnership mit komplementären Zielsetzungen, deren Koordination seit dem Jahr 2013 durch ein Gesetz über die Förderung Deutscher Auslandsschulen geregelt ist. Demnach ist eine Schule förder- fähig, wenn sie nach Paragraph acht: 31

„deutschsprachigen Unterricht anbietet und deutschsprachig geprägte Abschlüsse vermittelt […,] den demokratischen Werten Deutschlands Rechnung trägt, indem sie den Schülerinnen und Schülern, den Eltern und den Lehrkräften eine angemessene Beteiligung am Schulleben sichert, die Mittel selbst aufbringt, die neben der Förderung für den nachhaltigen Betrieb ei- ner Deutschen Auslandsschule notwendig sind, und durch die Vorlage einer Bescheinigung einer Behörde des Sitzlandes oder der Bundesrepublik Deutschland oder eines im Sitzland oder der Europäischen Union zugelassenen Wirtschaftsprüfers nachweist, dass sie entweder keine Gewinne erzielt oder die erzielten Gewinne ausschließlich für den Betrieb, den Ausbau oder die Entwicklung der Schule oder als Rücklagen oder Rückstellungen für diese Zwecke eingesetzt werden.“

Durch den Fördervertrag wird weiterhin die Vermittlung von Lehrkräften geregelt, und die Schulträger verpflichten sich, Kindern aus einkommensschwachen Fami- lien Nachlässe beim Schulgeld zu gewähren. Das Lehrpersonal kann hinsichtlich seines Status entweder als Auslandsdienstlehrkraft (ADLK), Bundesprogrammlehr- kraft (BPLK), Landesprogrammlehrkraft (LPLK) oder Ortslehrkraft (OLK) an einer Auslandsschule arbeiten und unterscheidet sich nach beamtenrechtlicher Stellung, vertraglicher Beziehung zum Schulverein und Besoldung.32 Während Ortslehrkräfte ein direktes Vertragsverhältnis mit dem Schulverein eingehen, werden die anderen über die Zentralstelle vermittelt und sind nur einen begrenzten Zeitraum an einer Auslandsschule tätig, bevor sie wieder in den innerdeutschen Lehrdienst zurück- kehren müssen. Bei der Besetzung der Schulleiterstellen hat das Auswärtige Amt ein Vorschlagsrecht, der Verein wählt dann aus dem Kreis der Bewerber einen ge- eigneten Kandidaten aus. Der Erwerb landeskundlichen Wissens und interkulturel- ler Kompetenz bleibt der Eigeninitiative der Kandidaten überlassen, so dass Lehr-

30 Vgl. Kuchler: Visitenkarten, S. 262. 31 http://www.gesetze-im-internet.de/aschulg/BJNR330600013.html (aufgerufen am 05.02.2017). 32 Vgl. Kiper: Arbeit in der Weltgesellschaft, S. 155. 20 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien kräfte im Rahmen ihrer Auslandsarbeit sehr heterogene Erfahrungen sammeln.33 Faktoren wie die Zusammensetzung der deutschen Community, die politische Situ- ation des Gastlandes, Lebensbedingungen, Klima und die Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinflussen den Aufenthalt. Neben den Lehrkräften erleben auch die Ehepartner und Kinder transnationale Sozialisationsprozesse, welche sowohl die private Entwicklung als auch die der Schule beeinflussen können. Sie sind ein wichtiger Bestandteil eines globalen Bil- dungssystems und aus historischer Perspektive Komponenten der geschichtlichen Entwicklung der Auslandsschulen. Für die Beziehungen der einzelnen Akteure kann die ‚Ökologie der menschlichen Entwicklung‘ von Urie Bronfenbrenner her- angezogen werden. Demnach wird die einzelne Person (z. B. Lehrer, Schüler, El- ternteil) auf der Mikroebene durch die Makroebene (z. B. Bildungssystem in Deutschland), die Mesoebene (z. B. die jeweilige Schule) und das Exosystem (z. B. Curriculum, Entscheidungen in der ZfA) beeinflusst.34 Graphisch kann dies wie folgt dargestellt werden:

Abbildung 2: Akteure im Auslandsschulwesen

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33 Vgl. ebd., S. 156. 34 Vgl. Bronfenbrenner, Uriel: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung, Stuttgart 1981, S. 39–43.

Atención Colegio | 21

Die Übergänge sind dabei fließend, die Ebenen grenzen sich nicht kategorisch von- einander ab, sondern können sich in unterschiedlichen Richtungen beeinflussen. Ziel dieser Arbeit wird es demnach sein, diese Beziehungen genauer zu bestimmen und mögliche Konfliktlinien aufzuzeigen.

1.1.2 Quellenlage und Forschungsliteratur

Für die Studie sind zwei zentrale Forschungszugänge geplant. Erstens geht es um eine Untersuchung der administrativen Ebene, vor allem um die staatliche Intenti- on, die Curricula, die Stellung der Auslandsschulen in der Politik, das Wechselspiel zwischen Geschichte und Politik, den Schulbau, die Schülergewinnung sowie den Geschichts- und Politikunterricht. Dabei sollen die Gründe erarbeitet werden, die zu einer Förderung des Auslandsschulwesens führten und welche kulturpolitischen Konzepte dessen Aufbau zugrunde lagen. Auf einer zweiten Ebene kann der Zu- gang zum Thema auf einer persönlichen Basis erfolgen; Lehrer, Schüler, Schulleiter und Schularchive sind hier Ansatzpunkte für die Untersuchungen. Bisherige Stu- dien beschränkten sich meist wahlweise auf die öffentlich zugänglichen Informati- onen im Internet, auf private Informationen in Schularchiven oder auf die Auswer- tung einzelner Bestände in deutschen Staatsarchiven. Dieser Einseitigkeit wird in der vorliegenden Arbeit entgegengewirkt, indem die verschiedenen Quellenstränge zusammengeführt wurden und somit erstmals die administrative Ebene der persön- lichen kontrastiv entgegengestellt werden kann.35 Die Struktur des Auslandsschulwesens entspricht der einer dezentralen Kulturo- rganisation. Aus diesem Grund wurden verschiedene Institutionen konsultiert, um ein möglichst vielseitiges Bild zu erreichen. Einerseits waren offizielle Akten und Schriftstücke über Verwaltung, Arbeit und Ansehen der Deutschen Schulen, die vor allem von Seiten der Bundesrepublik Deutschland ausgehen, Gegenstand der Un- tersuchung. Für die Studie wurden umfangreiche Quellenbestände in nationalen Ar- chiven, wie dem Bundesarchiv in Berlin Lichtenfelde (BAL) und Koblenz (BAK) und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (PAAA), ausgewertet und dabei die Beweggründe für die kontinuierliche Förderung einzelner Schulen analysiert. Die Akten des Ausschusses für Auslandsschulen, der durch die Kultusminister be- setzt ist, werden nicht zentral aufbewahrt, sondern finden sich in den einzelnen Landesarchiven. Hierzu wurden die Sammlungen in den Landesarchiven Stuttgart und München ausgewertet. Ergänzend zu den deutschen Archiven erstreckte sich die Recherche auch auf spanische Institutionen, beispielsweise das Archivo General de la Administración in Alcalá de Henares, das Archivo Histórico Nacional in Mad- rid und die spanische Nationalbibliothek, sowie des Weiteren auf Magazine und

35 Vgl. stellvertretend für die bisher dezidiert nicht historische und einseitige Auswertung von Material aus dem Internet: Adick: Internationaler Bildungstransfer, S. 348. 22 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien

Datenbanken von spanischen Zeitungen.36 Außerdem gibt es Verbindungslinien zwischen den Deutschen Schulen in Spanien und den amerikanischen Geheim- diensten,37 weshalb Quellenbestände im National Archive in Washington D. C. mit Blick auf die Geschichte der Deutschen Auslandsschulen ausgewertet wurden, um die binationale Perspektive auf das Thema um eine weitere Dimension zu erwei- tern. Neben den zentralen politischen und staatlichen Archiven boten weitere Ein- richtungen wertvolle Anknüpfungspunkte zum Thema Auslandsschulen in Spanien, so etwa die Überlieferungen einzelner Parteien oder Stiftungen. Die Arbeit indivi- dueller politischer Akteure ermöglichte einen Einblick in die Konstellationen und die Beziehungen zwischen spanischen und deutschen Organisationen. So betrieb beispielsweise die CSU-nahe Hanns Seidel Stiftung eine enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Schule und organisierte immer wieder Austauschpro- gramme mit spanischen und deutschen Schülern und Studenten.38 Die Schule bilde- te dadurch eine indirekte Basis für eine konkrete Unterstützung durch deutsche Par- teien im spanischen Transformationsprozess. Konfessionelle Aspekte ergaben sich im evangelischen Zentralarchiv Berlin, wo sich Akten zu den Kirchengemeinden im Ausland befinden, die häufig in die Gründung von Auslandsschulen involviert waren. Abgerundet wird das politische und gesellschaftliche Quellenbild durch Pro- tokolle zeitgenössischer Parlamente sowie politischer Sitzungen und Tagungen. Der zweite Zugang ergab sich durch die Auslandsschulen selbst, denn sie bieten umfangreiches Quellenmaterial in Form von Jahresberichten, Schulchroniken oder Verwaltungsakten, die in dieser Arbeit erstmals wissenschaftlich erschlossen wur- den. In den Archiven der einzelnen Schulen, welche die Geschichtswissenschaft bislang gänzlich vernachlässigt hat, wurden nicht nur die Fest- und Jubiläums- schriften der Schulen herangezogen, sondern auch die jeweiligen Jahresberichte. Im Falle der ausländischen Institutionen geht es dabei noch mehr um eine repräsentati- ve Selbstdarstellung als bei den inländischen Schulen; sie zeigen so die Eigenwahr-

36 Anm. Ähnlich wie bei der deutschen Tagespresse ist medial nur wenig über die Aus- landsschulen überliefert. Eine umfangreiche Auswertung der deutschen und spanischen Tagespresse fand daher nicht statt. Relevante Artikel waren jedoch häufig in den Archi- ven als Abdruck oder Übersetzungen zu finden. 37 Vgl. Collado Seidel, Carlos: Angst vor dem „Vierten Reich“. Die Alliierten und die Aus- schaltung des deutschen Einflusses in Spanien, Paderborn 2001, S. 264f. Weitere Ver- bindungslinien der Deutschen Schulen in Spanien zur amerikanischen Außenpolitik er- geben sich durch das Safehaven-Programm und die Konfiszierung deutschen Eigentums durch die spanische Regierung sowie durch die Überwachung durch die Geheimdienste. 38 Die Schirmherrschaft der DS Málaga durch das bayrische Kultusministerium wird bei- spielsweise durch die Hanns-Seidl-Stiftung vermittelt. Vgl. ACSP HSS/V/IBZ 4 Spanien: von Gepperth 06.04.1977.

Atención Colegio | 23 nehmung der Schulträger und ihre Repräsentation nach außen. Diese Berichte sind zwar keine objektive und selbstkritische Quelle, können aber als klare Positionie- rung der Schulen gesehen werden – auch gerade in Abgrenzung zu anderen Bil- dungseinrichtungen in Spanien. Die Auswertung dieses Quellenmaterials erbrachte eine neue Perspektive auf das Auslandsschulwesen auf der Mikroebene. Ihren Stel- lenwert verdeutlicht eine Aussage von Urban Götz, Lehrer in Spanien, in der Ver- bandszeitschrift ‚Deutsche Lehrer im Ausland’ aus dem Jahr 1980:39

„Eine Geschichte der Neuen Sekundarstufe in Spanien könnte erst dann geschrieben werden, wenn dem Historiker dafür nicht nur die Archive der Zentralstelle und des Auswärtigen Am- tes, sondern insbesondere auch die Protokolle der Schulvereinsvorstandssitzungen an den einzelnen Schulen zur Verfügung stünden.“

Dieser These ist voll beizupflichten, gleichzeitig ist aber zu bedauern, dass die Ar- chive der Schulen häufig nicht über relevantes Material verfügten. Während in ei- nigen Einrichtungen wertvolle Quellen im Laufe der Jahre aus unterschiedlichen Gründen verloren gegangen waren, sind in der Deutschen Schule Madrid bei- spielsweise sämtliche Jahresberichte und einige Protokolle von Fachkonferenzen erhalten. An anderen Orten verhinderten Umzüge, private Nachlässigkeiten oder fehlendes Geschichtsbewusstsein die Aufbewahrung von Dokumenten. Vielfach weigerten sich Vereine schlichtweg, Zugang zum vorhandenen Material zu gewäh- ren. Der Schulverein der Deutschen Schule Madrid weigerte sich zunächst auf Grund der in Spanien strengen Datenschutzregeln, das Archiv zu öffnen und er- möglichte erst nach dem Umzug in das neue Schulgebäude und einer Trennung von persönlichen Schülerakten und Jahresberichten die Auswertung des Materials. Die Deutsche Schule und die Deutsche Schule Las Palmas gaben erst nach mehrmaligen Nachfragen und äußert widerwillig einen kleinen Einblick in ihre Un- terlagen. Auch in den anderen Schulen war beispielsweise die Einsicht in Fachpro- tokolle, Tagungsmitschriften und andere interne Dokumente nicht möglich. Der Er- trag einer Erforschung der Geschichte durch diese Quellenart ist daher oft geringer als erhofft, und die konkrete Forschungsarbeit hängt von der Kooperationsbereit- schaft des jeweiligen Vereins ab.40 Datenschutzrechtliche Bestimmungen der Gast- länder und das Misstrauen der Schulen gegenüber Fremden haben die Arbeit zu- sätzlich erschwert. So konnten insgesamt nur sehr wenige Protokolle von Vereins-

39 Götz, Urban: Zur „Neuen Sekundarstufe“ in Spanien, in: DLiA 1 (1980), S. 3–6, S. 3. 40 Vgl. Günther, Sven: Viele Lebenswelten, eine Schule? Die Deutsche Schule Tokyo Yo- kohama 1904–1991, in: GWU 5/6 (2016), S. 295–303, S. 303. Günthers optimistischen Einschätzungen zum Quellenfundus der Schulen muss daher vom Standpunkt der For- schungspraxis widersprochen werden. Die konkrete Arbeit ist stark von der Kooperation der Vereine abhängig und für externe Forscher daher erschwert. 24 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien sitzungen eingesehen werden, und manche Quellensammlungen waren völlig unzu- gänglich. Dies zeigt, dass zukünftige Forschungen stärker von den Schulen und ei- ner eigenen Quellenkritik mitgetragen werden müssten. Die hier vorliegende Arbeit kann dazu als Grundlagenwerk dienen. Neben den Archiven boten Fachbibliotheken einen Zugang zu schriftlichem Quellenmaterial und zu spezieller Sekundärliteratur. Dazu zählen beispielsweise die Bibliothek des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin oder die Forschungsstelle für Deutsche Auslandsschulen an der Universität Oldenburg. Das dort eingerichtete Archiv be- steht seit circa 40 Jahren und wurde bis 2008 von Professor Klaus Winter geleitet. Seine Nachfolge übernahm Professorin Hanna Kiper, jedoch besteht an der Univer- sität keine Professur für vergleichende Pädagogik oder historische Bildungswissen- schaft. Die Leitung des Archivs verfolgt daher bis dato keine historischen Frage- stellungen, sondern widmet sich den Auslandsschulen aus pädagogischer Perspek- tive. Inhaltlich finden sich vor allem Jahresberichte der Auslandsschulen im Archiv, die jedoch erst ab den 1960er Jahren gesammelt wurden und größtenteils auch nur bis Ende der 90er Jahre reichen. Der Zugang zum Archiv ist stark eingeschränkt, da es an Personal und Geldern für eine öffentliche Arbeit fehlt; der Weiterbestand der Forschungsstelle ist zudem ungewiss. Der ursprüngliche Plan, eine umfassende Dokumentation des Auslandsschulwesens zu schaffen, gelang nur bedingt.41 Die Lehrpläne, Jahresberichte und Schülerzeitungen der Deutschen Auslands- schulen geben Aufschluss über die praktische Unterrichtsumsetzung. Für die Ein- sicht in die konkreten Schulbücher und deren Stellenwert bildete das Georg-Eckert- Institut einen Anlaufpunkt. Weitere Informationsgrundlagen waren Periodika oder Zeitschriften, allen voran Der Deutsche Lehrer im Ausland (DLiA). Gerade für die schulische Perspektive sind dessen Beiträge aufschlussreich, weil eine Vielzahl der Artikel von Lehrern und Verantwortlichen stammt. Der Grad der Objektivität des Organs muss dabei immer kritisch gesehen werden, stand doch der DLiA strecken- weise in enger Zusammenarbeit mit den politischen Behörden.42 In eine ähnliche Kategorie sind die Zeitschriften und Magazine der Zentralstelle für Auslandsschul- wesen, beispielsweise die ‚Begegnung’ einzuordnen. Die schriftliche Quellenlage wurde durch persönliche Zugänge ergänzt, bei- spielsweise durch Zeitzeugengespräche, die einen Einblick in den konkreten Schul- alltag gewährten. Eine eigens durchgeführte Online-Umfrage mit offenen und ge- schlossenen Fragen unter Alumni der Auslandsschulen lieferte zusätzliches Daten-

41 Vgl. Schröter, Rudolf: Zur Dokumentation der deutschen Auslandsschularbeit, in: DLiA 4 (1976), S. 224–229, S. 227. 42 Vgl. stellvertretend Schriftwechsel Redaktion Dr. Hettich mit Auswärtigem Amt in: PAAA B93 603IV/4 Bd. 56, Juli 1956. Hettich gibt hier der Zeitschrift eine Zensur vor, um unliebsame Themen herauszuhalten.

Atención Colegio | 25 material in Form von Zeitzeugenaussagen. Über die Alumni-Vereine wurde der Fragebogen an eine unbestimmte Zahl ehemaliger Schüler verschickt. Insgesamt beantworteten 22 Personen die Fragen; 55 Prozent besaßen die spanische Staats- bürgerschaft, 45 Prozent die deutsche. Diese Umfrage kann nicht den Anspruch er- heben, eine umfassende Statistik zu liefern, sondern soll Meinungen über die Schu- len offenlegen und Tendenzen andeuten. Diese insgesamt große Quellen- und Materialmenge wurde kritisch ausgewertet und im Sinne einer qualitativen und zusammenfassenden Inhaltsanalyse in Anleh- nung an Philipp Mayring interpretiert.43 Methodisches Ziel war es, durch Struktu- rierung und Explikation eine Analyse der Geschichte Deutscher Auslandsschulen in Spanien zu ermöglichen und ihre historische Entwicklung darzulegen. Die deskrip- tive Schulgeschichte soll dabei in kulturpolitische und binationale Fragestellungen eingebettet werden und eine Grundlage für tiefer greifende Überlegungen bilden.

1.2 AUSLANDSSCHULEN ALS TEIL DER AUSWÄRTIGEN KULTURPOLITIK

Die Auswärtige Kulturpolitik als übergeordnete Kategorie der Auslandsschulen ist ebenso wie die Geschichte ihrer Mittlerorganisationen wenig in historischen For- schungen berücksichtigt worden. Der Befund Winfried Bölls aus dem Jahr 1973, dass sie noch keinen ernsthaften Platz in den wissenschaftlichen Theorien gefunden hat, scheint auf den ersten Blick immer noch aktuell zu sein.44 In den politischen Diskurs hingegen hat die Auswärtige Kulturpolitik schon länger Einzug gehalten. Seit 1969 erhielt sie mit Willy Brandt einen neuen Stellenwert, da eines der wich- tigsten Felder seiner Außenpolitik die kulturellen Beziehungen waren. Der damali- ge Außenminister erklärte vor der 129. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz die Kulturpolitik zur ‚dritten Säule‘ der Außenpolitik. 45 In einer Regierungserklä- rung vom 28.10.1969 stellte er sie in den Kontext einer zentralen Friedenspolitik und betonte, dass zur internationalen Zusammenarbeit der Austausch geistiger Leis-

43 Vgl. Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim und Basel, 122015, S. 64. 44 Vgl. Böll, Winfried: Überlegungen, in: Freund, Wolfgang/Simsons, Uwe (Hrsg.): Aspek- te auswärtiger Kulturbeziehungen in Entwicklungsländern, Meisenheim am Glan 1973, S. 248. 45 Vgl. Leonhardt, Rudolf Walter: Wer errichtet die Säule Kulturpolitik?, in: Die Welt, 28.03.1969. 26 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien tungen gehöre.46 Kritische Pressestimmen attestierten ihm zwar einen Hang zum Overstatement,47 doch Brandt hatte mit dieser Aufwertung einen Prozess in Gang gesetzt, der die Auswärtige Kulturpolitik und deren Mittler nachhaltig beeinflussen sollte. Mit seinen Reformansätzen zu Beginn der 1970er Jahre begann eine neue Phase, in der erstmals ein eigenes Konzept entstand,48 mit dem die Kulturpolitik vom „zweiten Gleis zur dritten Bühne“49 wurde. Diese auf Konsens und Kompro- miss ausgerichtete Form der Politik war aber keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis einer langen Entwicklung, geprägt durch zwei Weltkriege und den Wechsel unterschiedlicher politischer Systeme. Eine Konstante der Auswärtigen Kulturpolitik waren und sind die Deutschen Auslandsschulen. Aktuell belegen sie mit 252 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2017 noch vor dem Goethe-Institut mit 219 Millionen den ersten Platz in den Budgetplanungen.50 Die beiden größten Mittlerorganisationen nehmen von jeher als aktiver Teil der Auslandsbeziehungen eine wichtige Rolle im Transport von Kul- turgütern und Ideen ein und sind die zentralen Einrichtungen der Sprachförde- rung.51 Daneben gibt es eine Vielzahl an weiteren Institutionen – das Außenminis- terium verteilt seine Mittel an bis zu 120 unterschiedliche Organisationen.52 Dadurch entsteht ein verwobenes Netz im Verwaltungsapparat der Auswärtigen Kulturpolitik, das sich aus Institutionen, Verbänden, Politikern und einzelnen Kul- turschaffenden zusammensetzt. Obwohl alle auswärtigen Kulturbeziehungen per Grundgesetz durch den Bund wahrgenommen werden, haben die Länder infolge der föderalen Struktur ein Mitspracherecht. Durch diese multiplen Akteure überschnei- den sich häufig Interessensphären und es kommt zu latenten und offenen Kompe- tenzkonflikten. Die Auswärtige Kulturpolitik wird daher häufig als chaotisch und unübersichtlich charakterisiert.53 Dieses undurchschaubare System von halbamtli- chen und dezentralen Organisationen unterscheidet die deutsche Kulturpolitik von der französischen oder englischen und macht sie einzigartig in den auswärtigen Be- ziehungen. Kulturpolitiker wie Hildegard Hamm-Brücher sahen in dieser Verstaat-

46 Vgl. Schulte, Karl-Sebastian: Auswärtige Kulturpolitik im politischen System der Bun- desrepublik Deutschland, Berlin 2000, S. 49. 47 Vgl. Leonhardt: Wer errichtet die Säule Kulturpolitik. 48 Vgl. Trommler: Kulturmacht ohne Kompass, S. 691. 49 Vgl. ebd., S. 646. 50 Vgl. Haushaltsgesetz 2017, BGBl. IS. 3016, S. 34. 51 Vgl. Emge, Richard Martinus: Auswärtige Kulturpolitik. Eine soziologische Analyse ei- nige ihrer Funktionen, Bedingungen und Formen, Berlin 1967, S. 102. 52 Vgl. Hamm-Brücher, Hildegard: Kulturbeziehungen weltweit. Ein Werkstattbericht zur Auswärtigen Kulturpolitik, München 1983, S. 22f. 53 Vgl. Kathe, Steffen: Kulturpolitik um jeden Preis. Die Geschichte des Goethe-Instituts von 1951 bis 1990, München 2005, S. 17f.

Atención Colegio | 27 lichung dennoch einen Vorteil, da trotz der Dezentralisierung der Primat der Au- ßenpolitik weiterhin beim Bund liege und nicht verloren gehe.54 Immer wieder wird diese Kompetenzaufteilung als eine Reaktion auf die staatli- che Lenkung während des Nationalsozialismus gedeutet.55 Mit Blick auf die Aus- wärtige Kulturpolitik des Kaiserreichs und der Weimarer Republik zeigt sich aber, dass sie kein Novum der Bundesrepublik darstellt, sondern vielmehr zu den zentra- len grundlegenden Eigenschaften ihrer historischen Entwicklung gehörte. Hier deu- tet sich erstmals an, dass im Auslandsschulwesen strukturelle Elemente die Brüche des 20. Jahrhunderts überdauerten und Kontinuitäten prägend für die Ausgestaltung einzelner Schulen waren. Darüberhinaus lassen sich drei weitere Thesen aufstellen, die zur Untersuchung der Auswärtigen Kulturpolitik dienlich sind.56 Sie sind prin- zipiell auf alle Kulturinstitute, beispielsweise das Goethe Institut oder den DAAD anwendbar und sollen in der Arbeit hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit auf das Aus- landsschulwesen verifiziert werden. Die im Folgenden vorgestellten vier Thesen dienen somit auch als Beschreibung von Spezifika der Auswärtigen Kulturpolitik und sollen hinsichtlich des Auslandsschulwesens mit genauerem Inhalt gefüllt wer- den. Es handelt sich insofern um Thesen, da bisher nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Auslandsschulwesen als Vertreter der Auswärtigen Kulturpolitik alle Bereiche erfüllen. Dies soll in dieser Arbeit erstmals erfolgen. Kultur wird hierbei stets als allgemeiner Begriff verwendet und nicht genauer bestimmt, da er zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Perspektiven auch unterschiedlich interpretiert wird. Eine nachträgliche Definition wäre daher in den meisten Fällen ahistorisch, nicht valide und würde die jeweilige Ausprägung nur unzutreffend beschreiben, denn selbst zum gleichen Zeitpunkt schrieben unter- schiedliche Personen und Gruppierung der ‚Kultur‘ eine jeweils andere Bedeutung zu.

Kontinuitätsthese Mit der Kontinuitätsthese ist gemeint, dass sich auf der Ebene der Mittlerorganisa- tionen Kontinuitäten erhalten haben und deren Entwicklung unabhängig von politi- schen Zäsuren erfolgte. Es gab personelle, ideologische und institutionelle Weiter- führungen über alle entscheidenden Einschnitte der deutschen Geschichte hinweg. Die Auswärtige Kulturpolitik der Weimarer Republik war dementsprechend beein- flusst von Ideen des Kaiserreichs, die der Bundesrepublik geprägt durch die NS- Zeit. Gerade die halbamtliche Struktur erlaubte es nicht, politische Wechsel auf der

54 Vgl. Hamm-Brücher: Kulturbeziehungen weltweit, S. 105f. 55 Vgl. Kathe: Goethe-Institut, S. 40. 56 Diese Thesen werden im Folgenden in Anlehnung an Kathe: Goethe-Institut, S. 28ff. formuliert. 28 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien

Mikroebene der Mittlerorganisationen durchzusetzen, so dass dort antiquierte Denkvorstellungen überleben konnten und es zu einer Ungleichzeitigkeit von Men- talitäten, politischen Mustern und Strukturen kam. Die Verwobenheit der einzelnen Akteure führte zu Abhängigkeiten und Netzwerken; entsprechend lassen sich in- nerdeutsche Diskurse über Kontinuitäten auch auf die auswärtigen Institutionen anwenden. Deutlich wird dies beispielsweise bei der Debatte über die von Joschka Fischer initiierte Untersuchung ‚das Amt und seine Vergangenheit‘.57 Diese offenbarte bei zahlreichen Diplomaten der Bundesrepublik eine NS-Vergangenheit, die, wie Da- niel Koerfer eindrucksvoll aufzeigt,58 im Buch zwar häufig pauschalisierend und wenig reflektierend beschrieben wird, dennoch aber ein grundlegendes Phänomen charakterisiert, nämlich den Weiterbestand von Personal, Institution und Ideologie im Bereich der auswärtigen Beziehungen. Durch solche Kontinuitäten ließen sich kulturpolitische Konzepte nicht durch politische Systemwechsel beeinflussen. Auf der Mikroebene der Mittlerorganisation war ein Neuanfang noch schwieriger zu vollziehen als auf amtlicher Ebene, da angesichts der semioffiziellen Struktur häu- fig die Einflussmöglichkeiten fehlten. Inwiefern sich diese Kontinuitäten in den Auslandsschulen zeigten, wird ein zentraler Bestandteil der Untersuchung sein. Da- bei erscheint es wichtig auf einzelne Biografien genauer einzugehen, um Kontinui- täten in ihrer Breite kennenzulernen und ein ausführliches Bild über Schicksale in den Deutschen Auslandsschulen zu gewinnen.

Wildwuchsthese Die unkontrollierte Expansion der Auslandsschulen führte, so die Wildwuchsthese, zu einer strukturellen Wucherung. Mit Ausnahme der Propagandaschulen waren Schulgründungen nicht staatlich geplant sondern erfolgten durch private Initiativen. Die Entwicklung hing und hängt daher stark vom individuellen Engagement einzel- ner Personen oder Gruppen ab. Die Ausbreitung der Auslandsschulen in Spanien war beispielsweise vom Auswärtigen Amt in diesem Ausmaß nicht beabsichtigt, doch füllten sie einen politischen Raum aus, und aufgrund fehlender Ideen und Strukturen im Auswärtigen Amt wurden Fördermaßnahmen häufig nach dem Gieß- kannenprinzip verteilt und die Mittel dort eingesetzt, wo die Möglichkeit dazu be- stand. Über längere Zeiträume hinweg gab es kein Konzept, das die Entwicklungen der Auslandsschulen regelte. Die wenigen ordnenden Momente und Konzeptuali- sierungen, wie die Geheime Denkschrift 1914 oder die Enquete-Kommission 1975,

57 Vgl. Conze, Eckart u. a. (Hrsg.): Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Bonn 2011. 58 Vgl. Koerfer, Daniel: Diplomatenjagd. Joschka Fischer seine unabhängige Kommission und das Amt, Potsdam 2013.

Atención Colegio | 29 waren eher Versuche, Übersicht im bestehenden Chaos der auswärtigen Beziehun- gen zu gewinnen. Ebenso ist die Gründung der Zentralstelle für Auslandsschulwe- sen 1968 diesem Bereich zuzuordnen, da das Auswärtige Amt mit der verwaltungs- technischen Versorgung der Auslandsschulen überlastet war. Nur durch die Wechselbeziehungen zwischen Amt und Schule kann dieser Wildwuchs begreifbar gemacht werden. Es gilt daher zu zeigen, dass das heutige System der Auslandsschulen sich nur durch die historische Entwicklung und das Verhältnis zu den politischen Stellen erklären lässt. Deutschland war lange Zeit ei- ne ‚Kulturmacht ohne Kompass‘, wie Frank Trommler seine im Jahr 2014 erschie- nene Untersuchung über die Auswärtige Kulturpolitik benannte. Diese Orientie- rungslosigkeit findet sich, so die These, auch in den Auslandsschulen wieder und soll genauer analysiert werden. Neben unkontrollierten Entwicklungen im Äußeren waren die Schulen auch von einem inneren Wildwuchs betroffen. Die Entwicklung von Satzungen, Verträgen und der strukturellen Ausrichtung war geprägt durch die Kompetenzverteilung zwi- schen Schulverein, Schulleitung, Lehrerkollegium und Elternschaft. Zwischen- menschliche Beziehungen erschwerten die Konsensfindung, und die innere Ent- wicklung war streckenweise ebenso chaotisch wie die Beziehungen zum Heimat- land. In diesem Bereich gab es zwar ordnende Maßnahmen, wie Rahmenverträge, Präzedenzfälle und Formen der Kooperation, beispielsweise die Schulleitertagun- gen auf der Iberischen Halbinsel, bei der sich die einzelnen Schulen gegenseitig be- einflussten. Doch deren Entstehung gingen lange Prozesse voraus, die hier genauer dargestellt werden sollen.

Diskrepanzthese Die Diskrepanzthese besagt, dass es ein beträchtliches Missverhältnis zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik gab. Die innerdeutschen Pläne zur Ausgestaltung scheiterten häufig am eigenen Personal und an den Vermittlern auf der Mikroebene der politischen Beziehungen im Aus- land. Die verschiedenen Protagonisten, wie Lehrer, Vorstände oder Schulleitung, trugen nicht immer die Vorstellungen der Heimat in die Gastgesellschaft hinein, sondern verbreiteten ihre eigenen Ideen von Deutschland, die dem offiziellen Bild diametral entgegengesetzt sein konnten. Zusätzlich erschwerten fehlende Konzepte oder eine desinteressierte Öffentlichkeit bzw. Politik in den Gastländern die prakti- sche Arbeit. Auslandsschulen standen nach dieser These zwischen Konflikt und Kooperati- on. Die Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Mittlerorganisation und Heimat- und Gaststaat kann Aufschluss geben über die Diskrepanz von Anspruch und Wirk- lichkeit kulturpolitischer Ideen. Angesichts positiver politischer oder finanzieller Konsequenzen war zwar bei allen Beteiligten die Bereitschaft zur Zusammenarbeit 30 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien vorhanden, doch haben die Synergien in der Realität eigene Muster entwickelt, und erst der Blick auf einzelne Schulen beantwortet die Frage nach der tatsächlichen Umsetzung konzeptioneller Überlegungen. Die Auslandsschulen sollten schließlich den Anspruch auf Repräsentation Deutschlands im Ausland in die Tat umsetzen und fühlten sich dementsprechend berechtigt, eine eigene Politik zu betreiben. Dadurch, so soll gezeigt werden, entwickelte sich eine zweite Ebene der Diskre- panz, insofern die Auslandsschulen eine Förderung aus Deutschland erwarteten, die aufgrund finanzieller und kulturpolitischer Erwägungen nicht immer zur Zufrieden- heit der Schulen ausfiel, so dass sie ihren selbstgesteckten Anspruch nicht erfüllen konnten. Als Diplomaten auf der Mikroebene waren sie fähig eigene Vorstellungen von Kulturpolitik umzusetzen, waren aber gleichzeitig von den Fördergeldern aus Deutschland abhängig und daher zur Kooperation bereit. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigt sich aber beispiels- weise auch in verschiedenen Reformkonzepten, Rahmenplänen oder Denkschriften, in denen sich Politiker jeglicher Coleur über das Auslandsschulwesen äußerten und neue Ideen für dessen Umsetzung entwickelten. Wie weit diese in der Realität Ein- zug in die Schulen fanden, gilt es zu überprüfen.

Rezeptionsthese Wie bereits bei der Wildwuchsthese angedeutet, gab es – abgesehen von individuel- len ‚Skandalen‘, die für Schlagzeilen sorgten – immer wieder Phasen, in denen die Auswärtige Kulturpolitik und insbesondere die Auslandsschulen stärker in den Fo- kus politischer und gesellschaftlicher Debatten rückten. Diese Beachtung erfolgte keineswegs kontinuierlich, sondern hatte unterschiedliche Höhepunkte. Der erste lässt sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs feststellen, als mit der Geheimen Denkschrift 1914 erstmals ein staatliches Bemühen um Überblick und ein Konzept erkennbar ist. Eine zweite große Rezeptionsphase erlebten die Auslandsschulen ab den 1970er Jahren, in denen die Affinität der Bundespolitiker – stellvertretend seien hier nur die beiden Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Kohl mit ihren unter- schiedlichen Deutungen von Kulturpolitik genannt – zu den auswärtigen Beziehun- gen zu einer erhöhten Rezeption führte.59 Wie wechselhaft diese Rezeption jedoch war, zeigt die Phase der Regierung Kohl, die auswärtige Kulturarbeit ab 1982 zu- nehmend auf Spracharbeit reduzierte.60

59 Für neue Konzeptvorschläge seien beispielhaft genannt: Peisert: Kulturpolitik; der Be- richt der Enquete-Kommission 1975, in: Bulletin der Bundesregierung Nr. 91 vom 23.9.1977; die 51 Leitsätze zur Auswärtigen Kulturpolitik von Ralf Dahrendorf, 1970; für die Lage der Auslandsschulen insbesondere Schneider, Christian (Hrsg.): Die Deut- sche Schule im Ausland. Beiträge zur auswärtigen Kulturpolitik, Heidelberg 1969. 60 Vgl. Kathe: Goethe-Institut, S. 30.

Atención Colegio | 31

Abhängig von globalen politischen Konstellationen konnte die deutsche Regierung im Laufe der Zeit den Auslandsschulen und einzelnen Regionen günstig oder ab- lehnend gegenüberstehen. Während beispielsweise Spanien lange Zeit im Fokus der Förderung stand, nahm nach dem Ende des Kalten Krieges Osteuropa diesen Platz ein. Die Ambivalenz der Rezeption trifft auch auf die Selbstwahrnehmung der Schulen zu, die ihren Standpunkt und ihre Arbeit immer wieder kritisch hinterfra- gen mussten. Es gilt daher zu untersuchen, welche Ereignisse zu unterschiedlichen Rezeptionen führten und wie diese im Detail ausgeprägt waren. Hinzu kommt in den Auslandsschulen eine zweite Ebene der Rezeption, durch das Gastland. In ihrem Alltag waren sie als private Vereine von den Regeln und Gepflogenheiten an ihrem jeweiligen Standort abhängig. Inwiefern die spanische Regierung auf die Auslandsschulen reagierte und sie zu einem Teil der spanischen Bildungslandschaft wurden, wird daher eine weitere zentrale Frage dieser Untersu- chung bilden.

1.3 UNTERSUCHUNGSRAUM: SONDERFALL SPANIEN

Die Geschichte Deutscher Auslandsschulen in Spanien ist auch eine Geschichte der deutsch-spanischen Beziehungen. Diese werden sowohl in der Forschung als auch in der Selbstwahrnehmung der Völker als positiv beschrieben, mit einer großen Sympathie der Spanier gegenüber Deutschland, ohne gegenseitige Abneigung und mit einer jahrelangen ökonomischen, kulturellen und politischen Verbindung.61 Die Beziehungen beider Länder waren dennoch recht wechselhaft und wiesen eher kur- ze Berührungspunkte, kaum längere Überlappungen auf.62 Luis Manuel Egusqui- aguirre sieht die deutsch-spanische, neben der italienisch-französischen, als eine der zentralen Achsen der kontinentaleuropäischen Kulturverbindungen. 63 Der Grund für diese kulturelle Konnexion sei aber weder die Sprache als Schlüssel der Verbindung noch die Religion, sondern die Geschichte und das Fehlen von starken kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Ländern.64

61 Vgl. Quintín, Aldea: El desafío de la continuidad en las relaciones mutuas entre Alema- nia y España, in: Vega Cernuda, Miguel Ángel/Wegener, Henning: España y Alemania. Percepciones mutuas de cinco siglos de historia, Madrid 2002, S. 213–216, S. 213. 62 Vgl. Mecke, Jochen u. a. (Hrsg.): Deutsche und Spanier. Ein Kulturvergleich, Bonn 2012, S. 22. 63 Vgl. Fraga Egusquiaguirre, Luis Manuel: Los intercambios culturales entre Alemania y España. Retrospectiva y perspectiva, in: Vega Cernuda, Miguel Ángel/Wegener, Hen- ning: España y Alemania. Percepciones mutuas de cinco siglos de historia, Madrid 2002, S. 201–212, S. 201. 64 Vgl. ebd., S. 204f. 32 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien

Die kulturgeschichtlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern beginnen be- reits im Mittelalter,65 vor allem durch den Einfluss des Christentums in Spanien und dessen Auswirkungen auf die nördlichen Staatsgebiete und einen daraus entstehen- den Kulturtransfer.66 Ein erster intensiver Kontakt auf politischer Ebene ist vor al- lem die Herrschaft des Habsburger Kaisers Karl V. (Carlos Primero in Spanien), der in Personalunion deutscher Kaiser und spanischer König war und somit zu ei- nem Bindeglied zwischen der spanischen Geschichte und der des Deutschen Rei- ches wurde.67 Die Erinnerung an seine Regentschaft wirkt als ein Anknüpfungs- punkt für die deutsch-spanischen Beziehungen und die deutsch-spanische Freund- schaft.68 Ebenso wird der legendenumwobene Sieg seines unehelichen Sohnes Don Juan de Austria gegen die türkische Armada bei Lepanto kultur- und identitätsstif- tend gedeutet und in der Rezeption häufig zum Beginn des geeinten Europas stili- siert.69 In den Reifeprüfungen der Deutschen Schulen finden sich Don Juan und Karl V. immer wieder als Anlass und Ausgangspunkt für Aufsatzthemen über die deutsch-spanischen Beziehungen.70 Die historischen Beziehungen beider Länder sind ausschlaggebend für die strukturellen Entwicklungen der Auslandsschulen und münden darin, dass Spanien noch heute eine exponierte Stellung im Deutschen Auslandsschulwesen besitzt. Im

65 Vgl. stellvertretend: Classen, Albrecht: Spain and Germany in the Middle Ages. An Un- explored Literary-Historical Area of Exchange, Reception and Exploration, in: Kent, Conrad u. a. (Hrsg.): The Lion and the Eagle. Interdisciplinary Essays on German- Spanish Relations over the Centuries, New York 2000, S. 47–77. 66 Vgl. Wegener, Henning: Los Antecedentes: Hispanos y Germanos en la Edad Media, in: Vega Cernuda, Miguel Ángel/Wegener, Henning: España y Alemania. Percepciones mutuas de cinco siglos de historia, Madrid 2002, S. 31–37, S. 36. 67 Vgl. Bernecker, Walter: Spaniens Geschichte. Vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 42006, S. 20. 68 Collado Seidel, Carlos: Überlegungen zu Nation und Nationalbewusstsein in Spanien, in: Collado Seidel, Carlos/König, Andreas u. a. (Hrsg.): Spanien: Mitten in Europa. Zum Verständnis der spanischen Gesellschaft, Kultur und Identität, Frankfurt am Main 2002, S. 37–109, S. 99. 69 Vgl. Panzer, Marita: Don Juan de Austria. Karriere eines Bastards, Regensburg 2004, S. 185f. So wurde die NATO in den 1950er Jahren mit der „Heiligen Liga“ in Verbin- dung gebracht, während nach den Terroranschlägen 2001 auf das World Trade Center und dem daraus resultierenden Kampf gegen den islamistischen Terrorismus die Bewer- tung Don Juans sich änderte. 70 Vgl. Abschlussprüfungen in Jahresbericht Deutsche Schule Barcelona 1971/72; Einla- dung zu einem Kulturabend an der Deutschen Schule Madrid, 21.02.1945, in: AGA 82/20880.

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Vergleich zu anderen Staaten finden sich dort zahlreiche Einrichtungen.71 Es be- steht ein hoher Grad an Kontinuität sowie ein dichtes Netzwerk.72 Außerdem stand das iberische Land lange Jahre im Zentrum der politischen Interessen des Auswär- tigen Amts73 und erfuhr ein starkes finanzielles Engagement.74 Die Deutschen Schulen in Spanien wurden als ein bedeutsamer Faktor der kulturellen Beziehungen wahrgenommen.75 Ein Sonderstatus, der bis heute besteht: Der Neubau der Deut- schen Schule Madrid war 2015 mit circa 50 Millionen Euro eine der größten Inves- titionen in der Geschichte der Auslandsschulen,76 und während in anderen Ländern die beiden Weltkriege einen tiefen Einschnitt bildeten und zu einer sinkenden Zahl an Schülern, Schulen, Institutionen und Gebäuden führten, blieben die Deutschen Schulen in Spanien von den Brüchen des 19. und 20. Jahrhunderts in dieser Hin- sicht weitgehend unberührt. Mit einem Zuwachs der Schülerzahlen von rund 300 Prozent nach dem Ersten Weltkrieg ist Spanien im Gegenteil vielmehr ein Son- derfall im Auslandsschulwesen.77 Die Einrichtungen waren zu diesem Zeitpunkt vergleichsweise gut organisiert und erfuhren eine intensive Förderung seitens der neu gegründeten Weimarer Republik,78 wobei sie als Offensive der Außenpolitik auf die germanophilen Eliten Spaniens zu bewerten sind.79 Die Schulen waren nach Pöppinghaus einer der wichtigsten Aktivposten der Kulturpolitik in Spanien,80 um das Ansehen Deutschlands nach dem Krieg wieder aufzubauen.81 Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholte sich die Sondersituati- on, da viele Schulen nach 1939 nicht schlossen und sogar noch 1944 neue Gebäude bauten. Dies belegt die enge kulturpolitische Verbindung zwischen Franco-Spanien und dem NS-Staat bis in die Spätphase des Krieges. Die Anstalten wurden zu Pro-

71 Vgl. Gimber, Arno/Schütz, Jutta (Hrsg.): Spanien verstehen, Darmstadt 2012, S. 138f. 72 Vgl. Lepiorz, Gerhard: Deutsche Schulen in Spanien, in: DLiA (1975), S. 147. 73 Vgl. Schneider: Deutsche Schule, S. 137–152. 74 Vgl. Aufzeichnungen über Beratungen des Haushaltsausschusses des Bundestages vom 11.02.1960, in: PAAA B93 603/IV4, Bd. 154. 75 Vgl. Fragestunde des Bundestages am 23.02.1956, in: PAAA B93 603/IV4, Bd. 33. 76 Vgl. Schröter, Karl Martin: Palabras de Bienvenida del Consejero de Educación y Cultu- ra de la Embajada de la República Federal de Alemania, in: Asociación Alexander von Humboldt de España (Hrsg.): Relaciones científico-culturales hispano-alemanes, 1/2013, S. 11–17, S. 14. 77 Vgl. Pöppinghaus, Ernst-Wolfgang: Moralische Eroberungen?, Kultur und Politik in den deutsch-spanischen Beziehungen der Jahre 1919 bis 1933, Frankfurt am Main 1999, S. 249. 78 Vgl. ebd., S. 217. 79 Vgl. ebd., S. 212. 80 Vgl. ebd., S. 248. 81 Sitzungsprotokoll Konferenz der Kultusminister vom 15.06.1920, in: PAAA R62454. 34 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien pagandaschulen umgewandelt und übernahmen die ideellen Vorstellungen der Na- tionalsozialisten.82 Nach dem Kriegsende versuchte sich die Bundesrepublik besonders bei den neutralen Ländern als Kulturmacht zu zeigen, wobei auf Vorläuferkonzepte in der Kulturpolitik zurückgegriffen wurde.83 Solche Kontinuitäten wurden von den west- lichen Alliierten kritisch betrachtet, und die Deutschen Auslandsschulen gerieten in den Fokus der Geheimdienste, die sie überwachten.84 Die Wiedereröffnung dieser Schulen bereitete den Siegermächten große Sorgen, sahen sie doch in ihnen einen Kern des deutschen Nationalismus.85 Die beinahe bruchlose Geschichte mit zahlrei- chen personellen, institutionellen und strukturellen Kontinuitäten sowie die Furcht vor einem neuen Nationalismus und der gleichzeitige Versuch, sich von der NS- Politik abzusetzen,86 führten in Schulen und Verwaltung zu einem Spagat, der inte- ressante Forschungsansätze zulässt. Zudem setzte ab Mitte der 1960er Jahre eine profiliertere Auslandsschularbeit ein,87 womit ab diesem Zeitpunkt die Schulen stärker in die Außenpolitik einbezogen wurden. Mit der Öffnung des Eisernen Vor- hangs verlagerten sich ab 1990 die Schwerpunkte der Auslandsschulpolitik, und Ressourcen, Personal, Gelder sowie Initiativen wurden umstrukturiert. Dieser Ein- schnitt betraf gerade die Deutschen Schulen in Spanien: Die Anstalten gerieten aus dem Fokus der Auslandsarbeit, in den nun Osteuropa rückte.88 Neben der spezifischen Kontinuität und der wechselhaften Geschichte, die es so nur in Spanien gibt, sind die Deutschen Auslandsschulen in Spanien ein lohnender Untersuchungsgegenstand, da gerade die politische Situation im Gastland zahlrei- che Forschungsfragen zulässt. Die demokratische Grundausrichtung der Deutschen Schulen der Nachkriegszeit traf dort beispielsweise bis zum Jahr 1975 auf eine Dik- tatur.89 Die Schulen waren ein Spiegelbild für die kulturelle Arbeit verschiedener

82 Vgl. Waibel, Jens: Die Deutschen Auslandsschulen. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Frankfurt an der Oder 2010, S. 6. 83 Vgl. Trommler: Kulturmacht ohne Kompass, S. 557, 576. 84 Vgl. (Hrsg.): Colegio Alemán de Bilbao San Bonifacio 1917– 2007, Bilbao 2007, S. 20. 85 Vgl. Messenger, David: Hunting Nazis in Franco’s Spain, Louisiana 2014, S. 147; Colla- do Seidel: Angst, S. 120ff. 86 Vgl. Trommler, Frank: Kulturmacht ohne Kompass, S. 570. 87 Vgl. ebd., S. 652. 88 Vgl. Schmidt, Walter: Die Wende, in: Egenhoff, Manfred (Hrsg.): Deutsche Lehrer im Ausland. Beiträge zur schulischen Arbeit weltweit, Münster 2013, S. 83–97. 89 Vgl. Bernecker, Walther: Franquismo in: Spanien Lexikon, München 1990, S. 206f. Der Franquismus wandelte sich im Laufe der Jahre von einer faschistisch inspirierten Militär- diktatur zu einem konservativen-autoritären Regime und wird als „Autoritarismus“ cha- rakterisiert.

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Systeme und politischer Parteien, in der sich deutsch-spanische Beziehungen zeig- ten. Als halbpolitische Einrichtungen sind sie beispielsweise in puncto Lehrplan, Lehrmittel und Personal sowohl vom Gast- als auch vom Mutterland abhängig. Mit den Auslandsschulen in Spanien werden einzelne Institutionen untersucht, deren Wirken ein Indikator für gesellschaftliche und politische Veränderungen in den Beziehungen zwischen zwei Nationen ist. Sie bilden Verbindungen, Netzwerke und Bewegungen ab und sind somit eine statische Dimension von fluiden Bezie- hungen.90 Spanien wird in der vorliegenden Arbeit stellvertretend für die historische Entwicklung der Deutschen Auslandsschulen herangezogen und die Geschichte der einzelnen Schulen untersucht. Warum das Land lange Zeit im Fokus des schuli- schen Teils der Auswärtigen Kulturpolitik stand, bildet hierbei eine zentrale Frage. Darüber hinaus weist Spanien Besonderheiten auf, die spezielle Fragestellungen zum Auslandsschulwesen erlauben:

1. Wie weit spiegeln sich Kontinuitäten und Brüche nach dem Ersten und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg in Personal, Schule und Lehrplan wider? 2. Welchen Einfluss haben unterschiedliche politische Systeme auf die Entwicklung einer Auslandsschule? 3. Konkreter für die Zeit ab 1949: Wie verhielt sich eine demokratische Schule in einem faschistischen Land und inwieweit trugen die Deutschen Schulen als halb- amtliche Institutionen zur Verbreitung des demokratischen Gedankens während der Transformation ab 1975 bei? 4. Wie zeigen sich politische und soziale Strömungen, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, in den einzelnen Schulen? 5. Wie weit werden Fördermittel als Zweck einer politischen Zielsetzung einge- setzt? 6. Wie beeinflussen sich Gastland, Heimatland und Auslandsschule im gegenseiti- gen Verhältnis? 7. Welche Spannungsverhältnisse ergeben sich durch die binationale Charakterisie- rung der Schule?

Um ein umfangreiches Bild der deutschen Schullandschaft in Spanien zu erhalten und den Untersuchungsgegenstand einzugrenzen, werden die acht (bzw. mittlerwei- le sieben) vom Auswärtigen Amt anerkannten Bildungseinrichtungen91 (siehe Ta-

90 Vgl. Herzner, Dominik/ Kroll, Markus: Tagungsbericht Deutsche Schulen im Ausland. 17.07.2014, Aachen, in: H-Soz-Kult, 09.10.2014, . 91 Vgl. http://www.bva.bund.de/DE/Organisation/Abteilungen/Abteilung_ZfA/Auslands- schularbeit/Auslandsschulverzeichnis/ (aufgerufen am 05.02.2017) 36 | Deutsche Auslandsschulen in Spanien

belle) untersucht und gemeinsame Strukturmerkmale und Unterschiede herausgear- beitet. Darüber hinaus werden Einzelmerkmale kleinerer, nicht anerkannter oder bereits wieder geschlossener Schulen die Darstellung ergänzen, um so ein mög- lichst vollständiges Bild über das Auslandsschulwesen geben zu können.

Tabelle 1: Deutsche Auslandsschulen in Spanien

Schule Gründung* Schülerzahlen** DS Madrid 1896 / 1949 1278 / 471 DS Barcelona 1894 / 1947 1132 / 534 DS Marbella/Málaga 1898 / 1966 522 / 237 DS Bilbao 1917 / 1951 521 / 30 DS Las Palmas de 1920 / 1947 576 / 169 DS San Sebastián*** 1921 / 1951 454 / 40 DS Santa Cruz de 1909 / 1951 543 / 212 DS Valencia 1908 / 1946 609 / 86

* Neben der ersten Gründung wird auch das Datum der Wiedereröffnung angegeben. ** Gesamtschülerzahl und Anzahl der deutschsprachigen Schüler (Stand: Dezember 2014). *** Die DS San Sebastián war zu Beginn der Arbeit noch als Auslandsschule anerkannt, hat sich aber zu einer Sprachdiplomschule entwickelt.

Dass sich die Deutschen Schulen aus dem „Streit politischer Tagesmeinung“92, wie es Schmidt und Boelitz noch 1927 gefordert hatten, heraushalten, war sowohl zur Zeit der Weimarer Republik als auch nach 1945 kaum möglich. Wie weit sich die Lehranstalten von den politischen Linien des Heimat- und auch des Gastlandes lö- sen und ein eigenes Profil entwickeln konnten, ist ein wichtiger Punkt, den es zu untersuchen gilt. Dabei sollen zentral der Schulalltag, das schulische Leben und die konkreten Auswirkungen politischer Dimensionen erforscht werden. Neben den pädagogischen, historischen und politischen Analysekriterien zeigen sich in den spanischen Schulen aber auch die wirtschaftlichen Aspekte der Auslandsschulen. Die Einrichtungen bieten eine Bildungsinfrastruktur für Investitionsentscheidungen

WeltkarteDerSchulen/Datenbank/Auslandsschule_Liste.html?nn=4491322&country= Spanien (aufgerufen am 17.12.2014). 92 Boelitz, Otto/Schmidt Franz: Aus deutscher Bildungsarbeit im Auslande. Erlebnisse und Erfahrungen, Langensalza 1927, S. 39.

Atención Colegio | 37 deutscher Unternehmen und sind somit eine Förderung der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland.93 In der Gegenwart zeichnet sich Spanien durch die große Anzahl von sogenann- ten ‚exzellenten Auslandsschulen‘94 und den hohen Anteil der Begegnungsschulen aus.95 Diesen Typus charakterisierte Winter als besonderes ‚Erfolgsmodell‘.96 Doch diese Darstellung gilt es zu hinterfragen, denn die Begegnung funktionierte in der Praxis nicht immer reibungslos. Zu untersuchen sind daher der Weg zum Begeg- nungscharakter und die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft. Da sich die Schulen durch private Beiträge finanzieren, erscheint die Frage berechtigt, inwie- fern Schüler und Elternschaft als eher wohlhabend und die Schulen damit als elitär zu bezeichnen sind. Noch aus einem weiteren Grund stellen die spanischen Schulen aktuell eine Besonderheit dar, die in der Arbeit beachtet werden soll: Neben Deutsch und Spanisch wird an vielen Schulen eine dritte Regionalsprache, bei- spielsweise Katalanisch, unterrichtet.97 Damit ergibt sich eine Konstellation aus Regionalismus und Globalisierung, die nicht von allen Seiten unkritisch gesehen wird. Durch das binationale Wechselverhältnis und die regionale Fokussierung auf Spanien ergeben sich die zeitlichen Kriterien, die für die Gliederung der Arbeit maßgebend sind. Dabei werden die deutschen Zäsuren einschneidender bewertet als die spanischen, da die Auslandsschulen institutionell mit dem politischen System des Heimatlandes enger verbunden waren und vor allem durch die politischen Wechsel in Deutschland immer wieder eine neue kulturpolitische Aufgabe erhiel- ten. Allerdings hatten auch die wichtigen Ereignisse der spanischen Geschichte, wie der Bürgerkrieg 1936–1939, einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Aus- landsschulen. Die unterschiedlichen politischen Systeme in Gast- und Heimatland gewähren einen Einblick in die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Darüber hin- aus soll die Arbeit aufzeigen, wie einzelne Schulen, unabhängig von politischen Er- eignissen oder sogar entgegen den allgemeinen Strömungen, ihren eigenen Weg gingen und mit ihrer Entwicklung höhere Ebenen beeinflussen konnten. Die chro- nologische Entwicklung folgt vier zentralen Phasen: Kaiserreich, Weimarer Repub- lik, NS-Zeit und ab 1949 Bundesrepublik Deutschland.

93 Vgl. Braun, Ludwig Georg: Deutsche Schulen im Ausland, in: Lammert, Norbert (Hrsg.): Alles nur Theater? Beiträge zur Debatte über Kulturstaat und Bürgergesellschaft, Köln 2004, S. 286–299, S. 286. 94 Vgl. http://www.bva.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/ZfA/Aktuelles/2011/ Guetesiegel.html (aufgerufen am 16.12.2014). 95 Vgl. Petersen, Anna: Spanien. Faszination für deutsche Erziehungsideen, in: Begegnung 30 (3/2009), S. 44–50, S. 45. 96 Winter: Erfolgsmodell, S. 171. 97 Vgl. Petersen: Spanien, S. 47.