<<

725 Jahre Holzhausen Schlaglichter aus der Geschichte eines Ederdorfes*

Von Andreas Metzing

„725 Jahre Holzhausen - Schlaglichter aus der Geschichte eines Ederdorfes“, so habe ich meinen Vortrag genannt, und mehr als Schlaglichter können es eigentlich auch nicht sein, wenn man die Darstellung einer 725-jährigen Geschichte in einen Vortrag von 45 Minuten packen will. Aber ich hoffe, dass es mir trotzdem gelingt, Sie ein wenig vertraut zu machen mit dem, was sich vor 725 Jahren, also im ausgehen- den 13. Jahrhundert, hier in unserer Gegend abgespielt hat, und Ihnen zugleich na- hezubringen, wie die Menschen, die in diesen 725 Jahren das Dorf Holzhausen be- wohnten, gelebt, gelitten, gearbeitet, aber auch gefühlt haben. Begeben wir uns dazu also zunächst einmal in das Jahr 1274, in das Jahr also, in dem das Dorf Holzhausen erstmals urkundlich erwähnt wurde, und da müssen wir gleich eine sehr wichtige Beobachtung machen, bei der insbesondere die hier an- wesenden Damen aufmerksam werden sollten: Denn am Anfang der Geschichte von Holzhausen steht eine Frau! Genaugenommen handelt es sich sogar um eine adeli- ge Dame mit dem wohlklingenden Namen Berta von Schweinsberg - geboren aller- dings als Gräfin von -, und diese Berta von Schweinsberg geborene von Hatzfeld schenkte - wie wir in der Urkunde erfahren zur Förderung ihres Seelenheils – am 2. Februar des Jahres 1274 ihre Güter in Holzhausen dem Kloster , und mit der aus diesem Anlass ausgestellten Urkunde tritt Holzhausen ins Licht der Ge- schichte.1 Aus dieser Vorgängen des Jahres 1274 ergeben sich für Sie, meine Damen und Herren im Jahr 1999, möglicherweise ein paar Fragen, von denen ich hier wenigs- tens einige zu beantworten versuchen möchte. Erste Frage: Was haben eigentlich ein paar Äcker und Wiesen in einem Bauerndorf an der mit dem Seelenheil ei-

1 * Leicht überarbeitete Fassung eines am 2. Oktober 1999 in Holzhausen anlässlich der Festveranstal- tung zum 725jährigen Dorfjubiläum gehaltenen Vortrages. Bei der Erarbeitung des Manuskripts wurde neben der Sekundärliteratur nur archivisches Material aus dem Staatsarchiv und dieses auch nur auszugs- weise herangezogen. Eine gründliche Erforschung der Ortsgeschichte Holzhausens unter Zugrundelegung der archivischen Überlieferung des Stadtarchivs Hatzfeld, der Staatsarchive Marburg und Darmstadt sowie des Hauptstaatsarchivs Wiesbaden steht weiterhin aus. Kloster Haina. Regesten und Urkunden, Erster Band: 1144-1300, bearb. von Eckhart G. Franz, Mar- burg 1962 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 9,5), S. 303, Nr. 601. 1 ner Berta von Schweinsberg zu tun? Nun, das muss man sich so vorstellen, dass das Kloster Haina für die Übertragung dieser Ländereien durch Berta durchaus eine Gegenleistung zu erbringen hatte, zwar nicht in Heller und Pfennig, aber in einer für die mittelalterlichen Menschen mindestens ebenso wichtigen Art und Weise, nämlich in Gebeten, also dadurch, dass die Mönche von Haina in schöner Regelmäßigkeit für unsere Berta von Schweinsberg beteten - und genau dadurch, wie es in der Ur- kunde heißt, für ihr Seelenheil sorgten. Dann stellt sich noch eine andere Frage: Wir feiern ja heute 725 Jahre Holzhausen, aber von einer Gründung des Dorfes im Jahr 1274 steht in diese Urkunde gar nichts drin. Wie alt also ist Holzhausen tatsächlich? Holzhausen wird in dieser Urkunde von 1274 so selbstverständlich erwähnt, dass es in der Tat zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile bestanden haben muss, aber die eigentlichen Ursprünge des Or- tes liegen leider im Dunkeln und werden es – mangels schriftlicher Zeugnisse – wohl auch bleiben. Wie alt der Ort nun tatsächlich ist, entzieht sich unserer Kenntnis, weil es aus dieser früheren Zeit keine schriftlichen Zeugnisse gibt, die die Existenz des Dorfes belegen würden. Aber die Schriftlichkeit ist nicht alles, und so muss man sich eben auf ein paar andere Anhaltspunkte konzentrieren, wenn man etwas über die Ursprünge von Holzhausen aus der Zeit vor 1274 erfahren will. Da ist vor allem der Ortsname wichtig. Die Bedeutung bedarf an sich keiner näheren Erklärung – eine Siedlung, die sich am Wald befindet –, aber interessant ist nun, dass der Ortsname durchaus auch gewisse Anhaltspunkte über die Gründungszeit dieser Siedlung geben kann. Die Ortsnamenforschung, das ist ein eigener histori- scher Forschungszweig, hat nämlich herausgefunden, dass die Orte, die mit - hausen enden, im Allgemeinen dem Zeitraum des 9. bis 12. Jahrhundert zuzuord- nen sind.2 Und dann gibt es noch Spezialuntersuchungen für den hiesigen Raum, die ergeben haben, dass im Hinterland, zu dem unser Raum historisch zu zählen ist, die -hausen-Orte in der Anfangsphase dieses Zeitraums, also im 9. und frühen 10. Jahrhundert entstehen.3 Wir haben also gute Gründe für die Annahme, dass das Dorf Holzhausen zum Zeitpunkt seiner ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1274 bereits etwa 350 bis 400 Jahre alt war. Was sich allerdings in diesen dreieinhalb bis

2 Ulrich Lennarz, Die Territorialgeschichte des hessischen Hinterlandes, Marburg 1973 (Untersuchun- gen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 1), S. 16. 3 Ludwig Lotzenius, Geschichte der hessischen Ämter und Wetter. Teildruck: Die Frühzeit (bis 1300), Marburg 1931, S. 16. 2 vier Jahrhunderten vor 1274 in Holzhausen ereignet hat, davon wissen wir über- haupt nichts – es gibt ja keine schriftlichen Quellen. Wir wissen nur aus der allge- meinen Geschichte, dass dieser Raum schon immer zwischen rivalisierenden Mäch- ten sehr umstritten war. Das galt insbesondere für die Zeit um 1274. Den Inhalt der Ersterwähnungsurkunde ha- be ich Ihnen bereits kurz skizziert, und nun sollten wir noch einen Blick auf die damali- gen politischen Rahmenbedingungen in unserer Region werfen. Diese Zeit, das ausgehende 13. Jahr- hundert, war eine sehr bewegte Zeit. Einen einheitlichen deutschen Staat wie wir ihn heute kennen gab es noch nicht, sondern eine Vielzahl einzelner Territorien prägte die Landkarte. Zwar war es in den dreieinhalb Jahrhunderten zuvor einzelnen mächtigen Dynastien wie den Ot- tonen, den Saliern und zuletzt den Staufern durchaus gelungen, eine starke Königs- und Kaisermacht zu begründen und die partikularistischen Machtansprüche der einzelnen Territorialherren zu begrenzen, aber die Staufer waren im Jahr 1254, also genau zwan- zig Jahre vor der Ersterwähnung Holzhausens, ausgestorben, und nun bestand keine starke Königsmacht mehr in Deutschland. Die einzelnen Territorialherren nutzten diese politische Situation natürlich zur Erweiterung ihrer eigenen Machtbasis aus, und dass es dabei häufig zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Territorialherren kam, die sich um das gleiche Gebiet stritten, liegt auf der Hand. Dieser Prozess, den ich Ihnen hier nur ganz grob skizzieren kann, prägte das gesamte Spätmittelalter, also die Zeit bis etwa zur Reformation im beginnenden 16. Jahrhundert, und man muss sich die- se Rahmenbedingungen immer vor Augen halten, wenn man die Geschichte unserer Gegend zur Zeit der Ersterwähnung Holzhausens verstehen will. Die beiden wichtigsten Territorialherren, die im hiesigen Raum um die politische Macht rangen, waren der Landgraf von Hessen und der Erzbischof von ,4 und Objekt ih- rer Begierde war unter anderem auch das obere . Hier regierten verschiedene kleinere Adelsfamilien, wie die Grafen von Hatzfeld oder die Grafen von Battenberg, die aber rasch in den Sog der beiden großen Mächte kamen. Holzhausen lag auf dem Ge-

4 Karl E. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, 21980 (Revidierter Nachdruck der zweiten, neubearbeiteten und erweiterten Auflage 1972), S. 322-323; Lennarz, Hessisches Hinterland, S. 116. 3 biet der Battenberger, einer Nebenlinie der Wittgensteiner5. Bereits Jahrzehnte vor der Ersterwähnung Holzhausens hatten die Grafen von Battenberg die Mainzer Lehensho- heit anerkennen müssen,6 und so gehörte Holzhausen zum Zeitpunkt seiner Ersterwäh- nung im Jahr 1274 in den Mainzer Einflussbereich. Aber auch die großen Rivalen der Mainzer Erzbischöfe, die Landgrafen von Hessen, hatten ihren Blick ins obere Edertal gerichtet,7 und für Holzhausen sollte das ernsthafte Konsequenzen haben, wie wir gleich noch sehen werden. Über das Dorf selbst geben uns die Quellen der nächsten zwei- hundert Jahre jedoch nur wenig Auskunft. Eine Urkunde vom 5. März 1294, die man zu- nächst auf Holzhausen bei Battenberg bezog,8 betrifft nicht das Ederdorf, sondern einen wüst gewordenen Ort bei Wildungen.9 So wird unser Dorf während des Mittelalters ledig- lich noch in einer Urkunde vom 31. März 1297 erwähnt, als Einwohner des Dorfes Holz- hausen dem Kloster Haina eine Kornrente verkaufen10. Die Tatsache, dass hier Dorfbe- wohner als vertragschließende Partei erscheinen, deutet darauf hin, dass die Holzhäu- ser des späten 13. Jahrhunderts keine Leibeigene, sondern freie Leute waren.11 Im 14. und 15. Jahrhundert dann schweigen die Quellen, denn das Dorf wurde in dieser Zeit von seinen Bewohnern verlassen, es wurde zu einer Wüstung, und wo keine Men- schen leben, da können natürlich auch keine schriftlichen Zeugnisse entstehen. Bei der Beantwortung der Fragen, die sich im Zusammenhang mit dieser Zeit als Wüstung stel- len, sind wir also wieder einmal auf Vermutungen angewiesen, und die drei Fragen, de- nen es nachzuspüren gilt, sind folgende: Warum wurde Holzhausen zur Wüstung? Wie lange Zeit lag es wüst? Welches waren die Gründe für seinen Wiederaufbau? Zunächst zur ersten Frage, die Gründe für das wüst werden. Mangels Quellen sind, wie gesagt, nur Spekulationen möglich, doch angesichts des allgemeinen landesgeschichtli- chen Hintergrunds hat die Vermutung doch einiges für sich, dass das Dorf im Zuge der Fehden verlassen wurde, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, also etwa 100

5 Karl Bechthold, Versuch einer Battenberger Chronik, in: 750 Jahre Battenberg (Eder). Die Bergstadt im Walde, hrsg. vom Magistrat der Stadt Battenberg (Eder), / 1984, S. 62-81. 6 Ebd., S. 77. 7 Lennarz, Hessisches Hinterland, S. 162. 8 Kloster Haina, Erster Band, S. 396-397, Nr. 833 sowie S. 561; vgl. auch Eckhard Zissel, Holzhausen- Ein Dorf im Wandel der Zeiten. Ein Streifzug durch die Geschichte, in: HH 5/6 (1992), S. 11-28, hier S. 12. 9 Kloster Haina. Regesten und Urkunden, Zweiter Band: 1300-1560 (1648), 1. Hälfte: Regesten, bearb. von Eckhart G. Franz, Marburg 1970 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Wal- deck 9,6,1), S. 176, Anm. zu Nr. 452. 10 Kloster Haina, Erster Band, S. 406-407, Nr. 854. Dies Urkunde wurde lange Zeit als die Ersterwäh- nungsurkunde Holzhausens angesehen. 11 Vgl. Lennarz, Hessisches Hinterland, S. 42. 4 Jahre nach der Ersterwähnung, hier in dieser Gegend ausgetragen wurden.12 Die Gra- fen von Hatzfeld nämlich, ebenfalls eine der kleineren Adelsfamilien unserer Gegend, waren getreue Parteigänger des Erzbischofs von Mainz und aus diesem Grunde natür- lich dem Mainzer Erzfeind Hessen ein Dorn im Auge. Die Hatzfelder Grafen galten zu- dem als sehr rauflustige Zeitgenossen, und so flackerten in den 1360er, 1370er und 1380er Jahren immer wieder solche Kleinkriege zwischen den Grafen von Hatzfeld und den Landgrafen von Hessen auf,13 und es ist durchaus möglich, dass im Zuge dieser Fehden Holzhausen so sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass es zur Wüstung wurde. Zudem ist das auch noch die Zeit, wo immer wieder Pestepidemien ganze Ort- schaften ausrotteten,14 und auch dies mag eine Rolle gespielt haben; doch nähere In- formationen aus diesen dunklen Jahren fehlen; schriftliche Zeugnisse, die uns darüber Auskunft geben, sind bislang nicht entdeckt worden, und so sind wir nach wie vor auf Vermutungen angewiesen. Wenden wir uns nun der zweiten Frage zu: Wie lange lag Holzhausen eigentlich wüst ? Hier sind wir nun in der glücklichen Lage, über gewisse Anhaltspunkte in den Quellen zu verfügen. Im Jahr 1538 ist im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen Holzhausen und Laisa – es ging um Rechte im Gewann Weidental – die Rede davon, dass die Bewohner das Dorf Holzhausen, das lange Zeit wüst gelegen habe, vor mehr als dreißig Jahren wieder aufgebaut hätten.15 Wenn man also die Zeit des wüst Werdens zwischen 1360 und 1380 ansetzt – also in der Zeit der hes- sisch-hatzfeldischen Fehden -, den Wiederaufbau aber zwischen 1500 und 1510, so ergibt sich, dass Holzhausen vermutlich etwa 120 bis 150 Jahre wüst lag. Schließlich noch die dritte Frage: Aus welchen Gründen wurde Holzhausen wieder- besiedelt? Es war nämlich keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass Wüstungen wiederaufgebaut wurden. Auch bei der Beantwortung dieser Frage muss man wieder den allgemeinen landesgeschichtlichen Hintergrund betrachten. Der hessisch- mainzische Kampf um die Macht im Edertal war nämlich gegen Ende des 15. Jahr-

12 So Hermann Heide und Alfred Schärer in der 1974 anlässlich der 700-Jahrfeier Holzhausens erstell- ten und in „Unsere Stadt Hatzfeld“ vom 1974, S. 5-9, veröffentlichten Chronik von Holzhausen; vgl. auch Zis- sel, Holzhausen, S. 14. 13 Lennarz, Hessisches Hinterland, S. 162. 14 Wilhelm Abel, Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters, Stuttgart21955 (Quellen und Forschun- gen zur Agrargeschichte 1), S. 74; Lennarz, Hessisches Hinterland, S. 22; 1200 Jahre Battenfeld. Eine Dorf- chronik, hrsg. von der Gemeinde (Eder), Battenfeld 1978, S. 135-139. 15 StAM 257 Fragm. XXI, 38. 5 hunderts entschieden, und zwar zugunsten der Landgrafschaft Hessen.16 Krieg füh- ren war nämlich teuer, das war damals nicht anders als heute, und so waren die Mainzer Erzbischöfe, immer wieder gezwungen, ihren Battenberger Besitz zu ver- pfänden.17 So konnte Hessen 1464, als Mainz durch innere Streitigkeiten in der so- genannten Mainzer Stiftsfehde geschwächt war, das Battenberg und damit auch Holzhausen als Pfandschaft erwerben;18 die Machtverhältnisse in unserem Raum waren damit geklärt. Es kehrte nun also wieder Ruhe ein, und man konnte daran ge- hen, wüst liegende Dörfer wiederaufzubauen. Im Fall Holzhausens hat hier möglich- erweise auch ein handfestes wirtschaftliches Interesse der Landgrafschaft Hessen eine Rolle gespielt, denn aus einem bislang nicht beachteten Schriftstück aus dem Jahr 1538 geht hervor, dass im 16. Jahrhundert bei Holzhausen Erz abgebaut wur- de.19 In diesem Schreiben bestätigt der Rentmeister zu Battenberg – eine Art hessi- scher Finanzbeamter für diese Region – seinen Vorgesetzten in Kassel, dass er “die Gewerke” – damit ist eine Gruppe von Bergleuten gemeint –, die in der Grube “Am Schifferberg” bei Holzhausen Erz gesucht und gefunden haben, dabei unbehelligt lassen wird, ja mehr noch, dass sie, falls sie noch keine Bergordnung haben, in Kas- sel beim Landesherrn um eine solche ersuchen können. Man erkennt also das deut- liche Interesse des Landesherrn an der Förderung dieses Wirtschaftszweiges, und so könnte man also vermuten, dass die Wiederbesiedlung Holzhausens zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Zusammenhang mit einer allgemeinen wirtschaftlichen Auf- wertung des Edergebietes nach den unruhigen und kriegerischen Zeiten der ver- gangenen 150 Jahre zu sehen ist. In dieser Zeit, der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, führte Landgraf Philipp der Großmütige in ganz Hessen und so auch in Holzhausen die lutherische Reformation ein.20 Die Pfarrei Holzhausen hatte damals auch Eifa mit zu versorgen, und das brachte gewisse politische Komplikationen mit sich, den auf Eifa hatte der Graf von Hatzfeld Anspruch erhoben, und dass der dem Landgrafen von Hessen überhaupt nicht wohlgesonnen war, das haben wir ja bereits gesehen. Für die Holzhäuser Pfar- rer war es deshalb mitunter nicht ganz ungefährlich, ihren Dienst in Eifa zu verse-

16 Demandt, Hessen, S. 199; Lennarz, Hessisches Hinterland, S. 164. 17 Lennarz, Hessisches Hinterland, S. 116-117. 18 StAM K 82 b, 1464 Mai 6. 19 StAM 55a/1471 20 Demandt, Hessen, S. 224-225. 6 hen; es gab da tatsächlich gelegentlich Überfälle,21 und möglicherweise war auch das einer der Gründe dafür, dass im Jahr 1577 die Pfarreistruktur gänzlich verändert wurde. Damals wurden Holzhausen, Laisa und Battenberg zu einer gemeinsamen Pfarrei zusammengelegt, und dieser Zustand sollte sich bis ins Jahr 1958, also über 380 Jahre, erhalten.22 Gegen Ende des 16. Jahrhunderts setzte also im Hinblick auf die Pfarreizugehörig- keit eine jahrhundertelange Kontinuität ein, doch für das Verhältnis zwischen den verschiedenen Konfessionen wie auch für allgemeine politische Situation gilt das genaue Gegenteil: Denn das letzte Drittel des 16. und die erste Hälfte des 17. Jahr- hunderts waren eine Zeit heftigster innerer Konflikte in der Familie der Landgrafen von Hessen, und der Zankapfel, um den man sich damals stritt, war unter anderem auch das obere Edertal mit Holzhausen. Was war geschehen? Landgraf Philipp der Großmütige, der Reformator Hessens, war 1567 gestorben und hatte sein Land nach althergebrachter Weise unter seine vier Söhne aufgeteilt.23 Das obere Edertal fiel damals an die von Ludwig IV. regierte Landgrafschaft Hessen-Marburg,24 aber als dieser Linie 1604 ausstarb, konnten sich die beiden überlebenden Linien, also Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt, nicht über die Verteilung des Erbes einigen. Zwar fiel zunächst der nördliche Teil, mit der Stadt Marburg und auch unserem Ge- biet bei Aussterben der Linie Hessen-Marburg im Jahr 1604 zunächst an Hessen- Kassel und der Südteil mit der Gegend um Gießen an Hessen-Darmstadt,25 aber sehr schnell entzündeten sich dann an der Frage der Religion heftigste Auseinan- dersetzungen. Landgraf Moritz von Hessen-Kassel führte nämlich in seinem bislang lutherischen Gebiet den Calvinismus oder wie man auch sagt das reformierte Be- kenntnis ein, eine auf den französischen Reformator Jean Calvin zurückgehende andere Form des Protestantismus.26 Auch hier in Holzhausen musste der lutherische Pfarrer im Jahr 1606 seinen Dienst quittieren und die Kanzel für einen calvinisti- schen Prediger räumen, und 18 Jahre lang, bis ins Jahr 1624, blieb die Pfarrei Bat- tenberg/Holzhausen/Laisa calvinistisch.27 Die Holzhäuser Kirche wurde in dieser Zeit von ihrer Ausstattung her sehr verändert, denn getreu der calvinistischen Überzeu-

21 Hans Jörg Peter, Kirche und ihre Geschichte in Holzhausen, in: HH 7/8 (1993), S. 57-76, hier S. 59. 22 Ebd., S. 72. 23 Demandt, Hessen, S. 237. 24 Ebd., S. 243. 25 Ebd., S. 244. 26 Ebd., S. 247 27 Peter, Kirche, S. 62. 7 gung, dass den Gottesdienstbesucher nichts, aber auch gar nichts vom Hören des Wortes Gottes ablenken soll, wurden Wandgemälde entfernt, Farben an den Wän- den übertüncht und sogar Kruzifixe aus der Kirche gebracht.28 Dieser Übertritt des Landgrafen von Hessen-Kassel zum Calvinismus war nun für seinen Vetter und Rivalen in Darmstadt ein willkommener Anlass für den Versuch, doch noch in den Besitz des nördlichen Anteils aus dem alten Hessen-Marburger Erbe zu gelangen, der 1604 an Hessen-Kassel gefallen war.29 Der letzte Landgraf von Hessen-Marburg hatte nämlich testamentarisch verfügt, dass sein Gebiet auch wenn es an die Verwandten verteilt wird für alle Zeiten bei der lutherischen Konfes- sion bleiben solle.30 Durch den Übergang Hessen-Kassels zum Calvinismus, das war jetzt die Darmstädter Argumentation, sei diese Vorschrift übertreten, und des- halb habe das lutherische Hessen-Darmstadt Anspruch auf das gesamte Hessen- Marburger Erbe, auch auf die Teile, die 1604 an Hessen-Kassel gefallen waren - und dazu gehörte auch Holzhausen. Dieser Konflikt zwischen den beiden hessi- schen Linien wurde auf äußerst blutige Art und Weise im Zuge des Dreißigjährigen Krieges ausgetragen. 1624 nahm der Landgraf von Hessen-Darmstadt das obere Edertal in Besitz,31 und deshalb musste auch in diesem Jahr der calvinistische Pfar- rer die Pfarrei Battenberg/Holzhausen/Laisa wieder verlassen und es wurde ein Lu- theraner eingesetzt.32 Aber gegen Ende des Krieges, zwischen 1645 und 1648, fla- ckerte der Konflikt noch einmal in vor allem für die Bevölkerung brutalster Art und Weise auf, bis der Westfälische Frieden des Jahres 1648 der Metzelei endlich ein Ende machte und den größere Teil des alten Marburger Erbes nun endgültig Hes- sen-Darmstadt zugesprochen wurde.33 So erklärt sich auf alten Landkarten dieser seltsame schmale nordwestliche Gebietsstreifen der Landgrafschaft Hessen- Darmstadt, ein Gebietsstreifen, der quer zu den Flusstälern von Salzböde, Lahn und Eder vom Gladenbacher Raum im Süden bis ins Edertal im Norden verlief und für den sich wegen der ja doch beträchtlichen Entfernung zur Landeshauptstadt Darm- stadt alsbald die Bezeichnung „Hinterland“ einprägte.34 Seit 1624 und endgültig eben seit 1648, seit dem Westfälischen Frieden, gehörte Holzhausen also zusam-

28 Ebd. 29 Demandt, Hessen, S. 247. 30 Ebd., S. 244. 31 Ebd., S. 252. 32 Peter, Kirche, S. 62. 33 Demandt, Hessen, S. 259-262. 34 Ebd., S. 301. 8 men mit dem ganzen Amt Battenberg zu Hessen-Darmstadt, zum Hessen- Darmstädtischen Hinterland, und das sollte nun für über 200 Jahre so bleiben, bis das Hinterland im Jahr 1866 an Preußen fiel.35 Nach diesem Überblick über die Herrschaftszugehörigkeit Holzhausens, also gleich- sam der Perspektive von oben, ist es nun an der Zeit, einmal die Perspektive von unten einzunehmen: Wer waren die Einwohner von Holzhausen, in welchen Verhält- nissen lebten sie, wovon ernährten sie sich? Die erste namentliche Erwähnung von Holzhäuser Einwohnern ist aus dem Jahr 1590 überliefert, und zwar in einem soge- nannten Salbuch,36 einem Verzeichnis, aus dem hervorgeht, welche Holzhäuser Bürger Grundstücke des Landgrafen bewirtschaften und ihm deshalb Abgaben be- zahlen müssen. In diesem Verzeichnis werden zwölf Personennamen genannt, die aber allesamt heute in Holzhausen nicht mehr existieren.37 Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, dass der Dreißigjährige Krieg in Holzhausen für enorme Bevölkerungsverschiebungen gesorgt hat, denn in einem vergleichbaren Verzeichnis aus dem Jahr 1712, also aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, finden wir dann bereits sehr viele noch heute in Holzhausen geläufigen Familiennamen, wie Gerhard, Mankel, Seipp oder Zissel.38 Die Bewohner von Holzhausen lebten ausschließlich von der Landwirtschaft und müssten dafür an den Grundherrn – das war zum größten Teil der Landgraf selbst – Abgaben entrichten. Diese Abgaben waren einerseits in Geld zu bezahlen, andererseits aber auch in Naturalien, nämlich in Gestalt von Hühnern und Gänsen, die die Holzhäuser Bauern an die Herrschaft abgeben mussten.39 Hinzu kamen – unabhängig vom bewirtschafteten Grund und Boden – die jährlich zu entrichtenden Steuern, das sogenannte Walpurgisgeld,40 und außerdem das Rauchhuhn, das von jedem Haus, in dem eine Feuerstelle existierte, jährlich abzuliefern war.41 Auch die Besoldung der dörflichen Amtsinhaber, wie Schöffen, Heimbürger, Lehrer oder Pfarrer, erfolgte teils in Geld, teils in Naturalien.42 Die Dorfbewohner hatten der Obrigkeit aber nicht nur Geld und Naturalien, sondern auch ihre Arbeitskraft zur

35 Ebd., S. 575-576. 36 StAM S 353. 37 Diese Namen sind: Johann Bernhardt, Kleynn Hans, Cunz Veißell, Johann Maller, Bernnhardt, Mütt- sch Henn, Reytzen Kunze, Viddekindt Peltz, Reitz Faust, Cuntz Peltz, Ludwig Freiwag, Bernhardt Maller, vgl. ebd., S. 38 Zissel, Holzhausen, S. 18-19. 39 Ebd. S. 20-23. 40 Ebd. S. 20. 41 Ebd. S. 25. 42 Ebd. 9 Verfügung zu stellen. Wenn zum Beispiel der Landgraf in den Wäldern der Gemarkung auf Jagd war, mussten die Holzhäuser Jagdzeug und Wildbret transportieren, Pirschwege und Schneisen hauen, die Hunde führen und das Wild treiben.43 Bei all diesen Lasten kann man sich vorstellen, dass die materielle Lage der Holzhäuser in dieser Zeit nicht eben gut war, ja wir müssen sogar davon ausgehen, dass der Großteil der Einwohner in regelrechter Armut lebte. Darauf deuten auch im 17. Jahrhundert wiederholte Suppliken der Gemeinde Holzhausen beim Landesherrn in Darmstadt hin, in denen immer wieder die als große Belastung empfundenen Frondienste angeprangert wurden.44 Erfolg hatten die Holzhäuser damit allerdings nicht. Wenn man über die materielle und wirtschaftliche Versorgung der Holzhäuser in früheren Zeiten spricht, dann darf ein Hinweis auf die Holzhäuser Mühlen nicht feh- len. Diese Mühlen konnten für ihren Besitzer oder Pächter wirtschaftlich lohnende Objekte sein, aber für die Dorfbevölkerung selbst war der Nutzen doch recht be- grenzt, denn die Mühlen auf der Holzhäuser Gemarkung wurden vielfach von Aus- wärtigen betrieben. Dabei handelte es sich meist um reiche Leuten aus den größe- ren Orten Hatzfeld und Battenberg, die vielfach in landesherrlichen Diensten stan- den. Allerdings treten ab der Mitte des 17. Jahrhunderts vermehrt Holzhäuser Dorf- bewohner als Mühlenbesitzer auf, was man vielleicht als Indiz für ein allmähliches Ansteigen des Wohlstandes interpretieren kann. So erfahren wir aus dem Jahr 1640, dass der Hatzfelder Bürger Caspar Hast seinen Anteil an der ihm erbeigenen Mühle in Holzhausen an den Holzhäuser Einwohner Gerlich Busch verkaufte. Mehr als ein halbes Jahrhundert später, nämlich 1697, gehen dann auch die restlichen 2/3 der Mühle in Holzhäuser Besitz über, als nämlich ein gewisser Ludwig Reiner, seines Zeichens fürstlich-hessischer Forstschreiber zu Battenberg, seinen Anteil an der Holzhäuser Mühle, den er seinerseits von dem hessen-darmstädtischen Hofkammer- rat Mylius erworben hatten, an Catharina Klein, die Ehefrau des Clemens Klein, ver- kaufte. Doch konnte sich die Familie Klein nur wenige Jahrzehnte des ungestörten Genus- ses an der Mühle erfreuen. Im Jahre 1719 nämlich versuchten diverse Interessen- ten, dem Landgrafen die Konzession für die Betreibung einer weiteren Mühle in Holzhausen abzuringen – mit dem verlockenden Argument, diese neue Mühle solle eine Herrschaftsmühle werden und der Staat könne so einträgliche Pachtgebühren

43 Ebd. S. 15-16. 44 StAD E 2 Nr. 23/1. 10 kassieren. Bezeichnenderweise handelte es sich bei diesen Interessenten zum grö- ßeren Teil ebenfalls um Auswärtige: Einmal der Battenberger Stadtschreiber Ale- xander Birkenbusch, zum anderen der ebenfalls aus Battenberg kommende Caspar Boden gemeinsam mit dem Holzhäuser Gerichtsschöffen Johannes Röder. Man kann an den Berufen dieser Leute – Stadtschreiber, Gerichtsschöffe – erkennen, dass es sich um Angehörige einer wohlhabenden Führungsschicht gehandelt haben muss. Clemens Klein, der Inhaber der bereits bestehenden Mühle, legte natürlich sofort Protest ein, denn er fürchtete um seine Kundschaft. Auch der Protest der bei- den Witwen, die die kleine Eisenbachmühle an einem Eder Zufluss betrieben blieb vergeblich. Die neue Mühle wurde errichtet. Im Zusammenhang mit dem leiblichen Wohl der Holzhäuser Bevölkerung ist schließ- lich noch das Brauereiwesen zu nennen. Schon im Salbuch von 1712 ist die Rede davon, dass der Holzhäuser Schöffe Johann Ludwig Müller für die Dauer von sechs Jahren die Erlaubnis zum Bierbrauen hat und dafür jährlich einen Gulden an den Landesherrn abführen musste.45 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfahren wir dann, dass Holzhausen ein eigenes Brauhaus in welchem reihum jeder Dorfbewohner brauen durfte und dafür 6 Kreuzer zu zahlen hatte, allerdings nicht an die Herr- schaft, sondern in die Gemeindekasse. Trotz Mühlen und Brauhaus muss man jedoch davon ausgehen, dass auch noch im 19. Jahrhundert die materielle Situation für die Einwohner von Holzhausen insgesamt nicht sehr rosig war. Das galt auch für einen Ortshonoratioren wie den Lehrer, wie man am Beispiel des Schullehrers Ludwig Zissel sehr schön sehen kann. Ludwig Zissel war der zweite Vertreter der Lehrerdynastie Zissel in Holzhausen.46 Schon sein Vater Jost Zissel war seit Ende des 18. Jahrhunderts in Holzhausen Lehrer gewesen, er selbst, Ludwig Zissel, übte von 1818 bis zu seinem Tod 1863 dieses Amt aus, und ihm folgte dann sein Sohn Justus Zissel, der 1896 pensioniert wurde. Auch dessen Sohn wurde wiederum Lehrer, allerdings nicht in Holzhausen.47 Ludwig Zissel hatte, bevor er in seinem Heimatdorf Holzhausen die Lehrerstelle antrat, schon einiges erlebt. 1805 war er als 20-jähriger in den Schuldienst eingetreten, wurde aber bereits ein Jahr später zur Armee gezogen und nahm in Hessen-Darmstädtischen Diensten an den napoleonischen Kriegen teilen, und zwar auf Seiten Frankreichs, mit

45 Zissel, Holzhausen, S. 16. 46 Alfred Schärer, Die Holzhäuser Schulchronik erzählt, in: HH 5/6 (1992), S. 47-63, hier S. 48-51. 47 Ebd., S. 51. 11 dem Hessen-Darmstadt damals verbündet war. So war er in englische Kriegsgefangenschaft geraten, wurde 1814 entlassen, kam wieder in sein Heimatdorf zurück, und wurde zum 1. Januar 1815 Assistent seines Vaters an der Holzhäuser Schule.48 Dies bedeutete aber zunächst, dass er die ohnehin geringe Besoldung – sie bestand wie gesagt teils aus Geld, teils aus Naturalien – mit seinem Vater teilen musste. So war es kein Wunder, dass Zissel schon bald, nämlich im Jahr 1817, um eine Besoldungszulage in Form von Frucht und Geld nachsuchte. Erfolg hatte er damit jedoch nicht und war somit gezwungen, seinen kargen Lebensunterhalt auf andere Art und Weise aufzubessern. Und dabei war Ludwig Zissel ausgesprochen einfallsreich. 1819 beantragte er, zur Aufbesserung seines Gehalts Wirtschaft treiben zu dürfen. Dass ein Schullehrer, der zugleich eine Kneipe betreibt, von der Obrigkeit äußerst misstrauisch beäugt wird, liegt auf der Hand, und als man dann auch noch erfuhr, dass es sich bei der beantragten Konzession um einen Branntweinausschank handelte sollte, war das auch nicht gerade geeignet, das Misstrauen abzubauen. Auch wenn Zissel nicht müde wurde zu betonen, sein Haus sei weit von der Schule entfernt und eine Störung des Unterrichts sei also ausgeschlossen, zumal gar nicht er selbst, sondern seine Frau den Ausschank betreiben solle, war seinem Gesuch doch kein Erfolg beschieden. So blieb Zissel also nichts weiter übrig, als sich mit dem Wenigen zu begnügen, das er hatte, und dafür zu sorgen, dass er wenigstens dieses im vollen Umfang erhielt. So musste er Ende 1822 darum kämpfen, dass er die Holzlieferungen, die ihm eigentlich noch aus dem Vorjahr zustanden, auch wirklich bekam. Im Folgejahr 1823 verbesserte sich seine Situation insofern, als er nun offiziell die Nachfolge seines Vaters antrat und in diesem Zusammenhang auch in den Genuss einer Besoldungsaufbesserung kam. Da er aber nach wie vor für seinen alten Vater sorgen musste, war es finanziell immer noch ein wenig knapp, und so haben wir 1825 erneut eine Bitte um Verbesserung seiner finanziellen Situation. Diesmal wollte er allerdings keinen Schnaps mehr brennen – er war offensichtlich aus Erfahrung klug geworden –, sondern er beantragte, eine Fruchtrente, die bisher der Holzhäu- ser Kirche zugutegekommen war, nun selbst beziehen zu dürfen. Doch auch dieses wurde staatlicherseits abgelehnt, wenn auch empfohlen wurde, ihm eine geringe Gehaltserhöhung zu gewähren. Doch trotzdem musste Zissel auch weiterhin immer

48 Schärer, Schulchronik, S. 49. 12 wieder darauf dringen, dass ihm seine Vergütungen pünktlich und in vollem Umfang gezahlt wurden. Anderen Bewohnern von Holzhausen ging es im 19. Jahrhundert materiell noch schlechter als dem Lehrer Zissel, und dies dürfte der Hauptgrund gewesen sein, dass auch aus Holzhausen viele Menschen in der zweiten Jahrhunderthälfte nach Amerika auswanderten.49 Allein in dem Familienverzeichnis der Holzhäuser Ortschronik von 1867 – das Hinterland war gerade seit einem Jahr preußisch geworden – ist bei 26 Personen vermerkt, dass sie – teilweise mit der ganzen Familie – nach Amerika auswanderten.50 Was sie suchten, war Glück und Wohlstand, aber nicht alle fanden es, und manch einer von ihnen kehrte nach wenigen Jahren wieder nach Holzhausen zurück. Alle, die gingen, hinterließen jedoch Angehörige im Dorf, die sich um das Schicksal ihrer ausgewanderten Verwandten große Sorge machten, und vor allem die Eltern der meist jungen Männer kam über die Trennung von ihren Kindern oft nur schwer hinweg. Ich möchte Ihnen hier einmal einen wie ich finde beeindruckenden Brief aus dem Winter 1877 vorlesen, in dem eine Holzhäuser Mutter an ihren Sohn schreibt, der zusammen mit seinem Bruder und einem Bruder der Mutter nach Amerika ausgewandert ist.51

Lieber Jacob, ich kann nicht unterlassen, an euch zu schreiben, mir sein noch munter und gesund und geht so weit noch gut. Wir haben ietz bald das Kristfest, da wünschte ich, wier könnten es zusammen feiern, das würde eine große Freude sein, wenn ich euch noch einmal zusammen sehen könt, aber ich glaube, die Freude wird mier nicht zuteil auf dieser Welt. Der Ludwig denkt nicht mehr an die Heimat, denn er hat das ganze Jahr wenich geschrieben, er ist nicht neugierig, ob Vatter und Mutter noch leben. Ich weine oft darüber, weil mein Bruder auch nicht schreibt. Ich habe ihm doch nichts zuleid gethan wie er hier wahr und halte viel auf ihn, weil er mir manchen Thaler geschickt hat wo ich ihm nochmals für danke. Lieber Jacob, gehorche deinem Onkel, denn er sorgt für euch wie euer Vater und laß dir es nicht gehen wie deinem Kamerad Heinrich; denn da ist die Maria Schwanger von, und er will es nicht getan haben. Er ist neulich einen Sontagabend hingegangen und hat sie schlagen wollen, da hat ihn sein

49 Vgl. hierzu die beim Amtsgericht XY registrierten Auswanderergesuche. Eine systematische Auswer- tung dieser Akten steht bislang noch aus; Karl Huth, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Landkreises Bie- denkopf 1800-1866, 1962. 50 Manfred Mankel, Aus der Ortschronik (Teil I), in: HH 5/6 (1992), S. 29-46. 51 Brief freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Herrn Manfred Mankel. Eine Fotografie von Eli- sabeth und Jakob Zissel, den Eltern der ausgewanderten Brüder, befindet sich in: HH 11/12 (1995), S. 57. 13 Bruder Ludwig weggenommen und die andern haben auf der Chaussee gestanden und haben gelacht über den Zustand. Ich will dir auch zu wissen tun, das der alte Schuster gestorben ist und auch die Fersters Elisa. Nun, lieber Jacob, wie sieht es mit deinen Strümpfen aus, ich tät dir gerne einige Paar schicken, wenn es nur meglich wehre. Halte dir gute Montur wenn es kalt ist, denn Gesundheit und ein froher Mut, wer das hat, hat ein großes Gut. Ich will Dier noch bemerken, dass die Mariagertraud in 9 Jahren nicht geschrieben hat bis vor 8 tagen; sie schreibt, sie wollte mit ihrem Mann und 3 Kindern nach Deutschland kommen, sie könnte dort nicht leben. Nun will ich schließen, einen herzlichen Gruß an Euch alle.

Sie sehen, die Daheimgebliebenen hatten das Bedürfnis, die Ausgewanderten noch am dörflichen Leben teilnehmen zu lassen, und in der letzten Passage des Briefes kann man durchaus eine indirekte Aufforderung zur Rückkehr sehen. Und tatsächlich ist der Sohn, an den dieser Brief gerichtet ist, nach einiger Zeit wieder nach Holzhausen zurückgekehrt.52 Man kann an solchen Briefen aus den 1870er Jahren und auch an den Auswandererzahlen des ausgehenden 19. Jahrhunderts deutlich sehen, dass sich auch zu der Zeit, als in anderen Gegenden Deutschlands wie etwa dem gar nicht so weit entfernten Ruhrgebiet bereits die industrielle Revolution boomte, an den schlechten Verhältnissen auf dem Land im Hinblick auf die materielle und soziale Lage der Bevölkerung noch nicht sehr viel verändert hatte.. Das Industriezeitalter erreichte Holzhausen erst zu Beginn unseres Jahrhunderts, als im Jahr 1910 nach mehrjähriger Planung die Edertalbahn von Allendorf nach Hatzfeld eröffnet wurde.53 Der erste Zug rollte in den Holzhäuser Bahnhof am Dienstag, dem 15. November 1910, planmäßig um 10.40 Uhr ein und fuhr nach 10-minütigem Aufenthalt weiter über Eifa nach Hatzfeld. Mit der Eröffnung dieser Eisenbahnlinie ging es nun auch für Holzhausen langsam bergauf. Denn es wurden nicht nur Güter aus dem Dorf selbst am Bahnhof verladen, sondern auch für die Gewerbetreibenden von Eifa, Laisa, Frohnhausen und Oberasphe war der Holzhäuser Bahnhof der zentrale Anlaufpunkt

52 Mankel, Ortschronik, S. 35, Eintrag zu Welmes. 53 Herbert Wiegand, Bahnhof und Friedenthal-Holzhäuser „Drehscheibe“, in: HH 7/8 (1993), S. 145- 148, hier S. 145; 750 Jahre Battenberg, S. 126-128; Reiner Gasse, Die Eisenbahn in Battenfeld, in: 1200 Jahre Battenfeld, S. 165-166. 14 zum Versand ihrer Güter in die große weite Welt.54 Bezeichnend ist, dass bereits im September 1912, also keine zwei Jahre nach Eröffnung der Bahn, eine Vergrößerung des Lagerschuppens notwendig wurde.55 Während des Ersten Weltkriegs bekam der Bahnhof dann noch eine gewisse strategische Bedeutung, denn zwischen 1916 und 1918 begann man für Kriegszwecke wieder mit der Erzförderung, wie das auch schon im 16. Jahrhundert der Fall gewesen war, und diese Manganerze wurden am Holzhäuser Bahnhof verladen.56 Allerdings war diese Erzförderung nicht sehr rentabel und wurde nach Kriegsende sofort wieder eingestellt. Meine Damen und Herren, mit meinen Schlaglichtern aus der Geschichte Holzhausens bin ich nun fast am Ende, denn die Zeit seit den 1920er Jahren, an die die Ältere von Ihnen vielleicht noch persönliche Erinnerungen haben, nähert sich nun immer mehr unserer Gegenwart. In diesen Jahren teilte Holzhausen das Schicksal des ganzen Landes: die Zeit der Weimarer Republik mit ihren wirtschaftlichen Krisen und der Hyperinflation 1923, die 12 Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, der Zweite Weltkrieg mit seinen Toten und schließlich die Nachkriegszeit, in der Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten hier eine neue Heimat fanden. Lediglich einen Punkt aus der Zeit der Weimarer Republik will ich noch erwähnen: Im Jahr 1932 kam das Gebiet um Battenberg und damit auch Holzhausen vom genau 100 Jahre zuvor aus den Landratsbezirken57 Battenberg und Gladenbach gebildeten Landkreis Biedenkopf58 zum Landkreis Frankenberg und damit vom Wiesbaden zum Regierungsbezirk Kassel59. Mit dieser Verwaltungsreform wurde die uralte Verbindung des oberen Edertals mit dem Hinterland gekappt wurde. Lediglich die Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau erinnert noch an die alte hessen- darmstädtische Herrschaft.

54 Wiegand, Bahnhof, S. 148. 55 StAM 605,1/451, fol. 6, Schreiben vom 30.8.1912. 56 Ebd., fol. 18, Schreiben vom 15.9.1916. 57 Die Landratsbezirke waren 1821 gebildet worden; vgl. Verordnung, die Eintheilung des Landes ind Landraths- und Landgerichtsbezirke betreffend, vom 14. Juli 1821, in: Großherzoglich Hessisches Regierungs- blatt 1821, S. 403-415, hier S. 408-409. 58 Verordnung, die Bildung von Kreisen in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen betreffend, vom 20. August 1832, in: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1832, S. 561-563, hier S. 563; die Angabe bei Karl Huth, Verwaltungsgeschichte des Landkreises Biedenkopf, Biedenkopf 1957, S. 20, bezieht sich fälschli- cherweise auf das Edict, die Organisation der den Ministerien des Innern und der Justiz untergeordneten Regie- rungsbehörden betreffend, vom 6. Juni 1832; zur Verwaltungsgliederung des Gebiets um Battenberg im 19. und 20. Jahrhundert vgl. auch Armin Sieburg, Amt und Gericht Battenberg unter hessischer Landeshoheit, in: 750 Jahre Battenberg, S. 163-172, hier S. 170. 59 Verordnung über die Neugliederung von Landkreisen vom 1. August 1932, in: Preußische Gesetz- sammlung 1932, S. 255-272, hier S. 262. 15 Ganz zum Schluss vielleicht noch ein kurzer Blick auf die letzten 50 Jahre. In diese Zeit vollzog sich in Holzhausen ein Strukturwandel, der das Gesicht und Gestalt des Dorfes deutlich verändert hat. Die stärkste Zäsur war sicher die Eingemeindung nach Hatzfeld zu Beginn der 70er Jahre; doch in diesem Zusammenhang muss man auch die Schließung der Holzhäuser Schule im Jahr 197060 sowie die Stilllegung der Edertalbahn für den Personenverkehr im Jahr 198161 nennen und ebenso den Strukturwandel in der Landwirtschaft mit den damit verbundenen verschiedenen Flurbereinigungsverfahren.62 Aber mit diesen wenigen Stichpunkten will ich es dann für die Nachkriegszeit auch schon bewenden lassen. Natürlich gäbe es gerade aus den letzten Jahrzehnten sicher sehr viel zu erzählen, aber da möchte ich mich lieber zurückhalten, denn schließlich sollten wir nicht vergessen, dass im Jahr 2024 Holzhausen 750 Jahre alt wird, und der dann auftretende Festredner soll ja auch noch etwas zu erzählen haben.

60 Vgl. Schärer, Schulchronik, S. 63. 61 Vgl. Wiegand, Bahnhof, S. 145. 62 Vgl. hierzu Helmut Eckhardt, Die Flurbereinigung in Hatzfeld und seinen Stadtteilen (Teil 2). Die erste Flurbereinigung in Holzhausen/Eder, in: HH 5/6 (1992), S. 77-91; Erich Weber, Die Holzhäuser Flur-Was sich in einem halben Jahrhundert verändert, in: ebd., S. 91-95; Uwe Ermisch, Flurneuordnung in Holzhausen, in: HH 11/12 (1995), S. 59-64. 16 Abkürzungsverzeichnis HH Hatzfelder Hefte StAD Staatsarchiv Darmstadt StAM Staatsarchiv Marburg

Literaturverzeichnis

Wilhelm Abel, Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters, Stuttgart21955 (Quel- len und Forschungen zur Agrargeschichte 1).

750 Jahre Battenberg (Eder). Die Bergstadt im Walde, hrsg. vom Magistrat der Stadt Battenberg (Eder), Korbach/Bad Wildungen 1984.

1200 Jahre Battenfeld. Eine Dorfchronik, hrsg. von der Gemeinde Allendorf (Eder), Battenfeld 1978.

Karl E. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, Kassel 21980 (Revidierter Nach- druck der zweiten, neubearbeiteten und erweiterten Auflage 1972).

Helmut Eckhardt, Die Flurbereinigung in Hatzfeld und seinen Stadtteilen (Teil 2). Die erste Flurbereinigung in Holzhausen/Eder, in: Hatzfelder Hefte 5/6 (1992), S. 77-91.

Uwe Ermisch, Flurneuordnung in Holzhausen, in: Hatzfelder Hefte 11/12 (1995), S. 59-64.

Reiner Gasse, Die Eisenbahn in Battenfeld, in: 1200 Jahre Battenfeld. Eine Dorf- chronik, hrsg. von der Gemeinde Allendorf (Eder), Battenfeld 1978, S. 165-166.

Hatzfelder Hefte. Beiträge zu Geschichte und Heimatkunde der Stadt Hatzfeld und der Stadtteile Reddighausen, Holzhausen, Eifa und Biebighausen 5/6 (1992), 7/8 (1993), 11/12 (1995).

Hermann Heide/Alfred Schärer, Chronik Holzhausen/Eder, in: Unsere Stadt Hatzfeld vom 1974, S. 5-9.

Karl Huth, Verwaltungsgeschichte des Landkreises Biedenkopf, Biedenkopf 1957.

Karl Huth, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Landkreises Biedenkopf 1800- 1866, Biedenkopf 1962.

Ulrich Lennarz, Die Territorialgeschichte des hessischen Hinterlandes, Marburg 1973 (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 1).

Ludwig Lotzenius, Geschichte der hessischen Ämter Battenberg und Wetter. Teil- druck: Die Frühzeit (bis 1300), Marburg 1931.

17 Manfred Mankel, Aus der Ortschronik (Teil I), in: Hatzfelder Hefte 5/6 (1992), S. 29- 46.

Hans Jörg Peter, Kirche und ihre Geschichte in Holzhausen, in: Hatzfelder Hefte 7/8 (1993), S. 57-76.

Alfred Schärer, Die Holzhäuser Schulchronik erzählt, in: Hatzfelder Hefte 5/6 (1992), S. 47-63.

Armin Sieburg, Amt und Gericht Battenberg unter hessischer Landeshoheit, in: 750 Jahre Battenberg (Eder). Die Bergstadt im Walde, hrsg. vom Magistrat der Stadt Battenberg (Eder), Korbach/Bad Wildungen 1984, S. 163-172.

Erich Weber, Die Holzhäuser Flur-Was sich in einem halben Jahrhundert verändert, in: ebd., S. 91-95.

Herbert Wiegand, Bahnhof und Friedenthal-Holhäuser „Drehscheibe“, in: Hatzfelder Hefte 7/8 (1993), S. 145-148.

Eckhard Zissel, Holzhausen-Ein Dorf im Wandel der Zeiten. Ein Streifzug durch die Geschichte, in: Hatzfelder Hefte 5/6 (1992), S. 11-28.

18