SPD-Wahlkampfauftakt 1995 in , mit Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer (Mitte): „Bedrohliche Stimmungslage zwischen

SPD „Verschlissen, verkungelt“ Die SPD, einst beherrschende Kraft in den Metropolen, ist in ihren früheren Hochburgen auf Talfahrt: Die Mitglieder- zahlen haben sich teilweise halbiert, der Wähleranteil sank in Frankfurt, Berlin oder München von über 50 auf fast 30 Prozent. Die Genossen haben den Strukturwandel verschlafen und üben sich in Ratlosigkeit.

Volkspartei bedeutet im Volk zu sein. ben leer. Etliche, die noch als treue Ge- Wie in Hannover geht es so ziemlich SPD-Parteitag 1991 nossen galten, sind längst keine mehr. überall in den Metropolen der Republik Der Schwund kommt einer Auszeh- mit den Sozialdemokraten immer orkshop im SPD-Ortsverein. rung gleich. Seit 1975 verlor die SPD in schneller bergab. In Frankfurt, Mün- Auf den Tischen liegen stark Hannover, wo die von den Nazis zer- chen, Berlin und Bremen – einst rote Wvergrößerte Stadtteilkarten von schlagene Partei nach dem Krieg unter Hochburgen – liegen ihre Stimmanteile Hannover. „Jedes Haus“, erklärt der Führung Kurt Schumachers wiederer- gerade noch über 30 Prozent. Seminarleiter, „in dem ihr ein SPD- stand, nahezu die Hälfte ihrer einst über Tendenz fallend: Bei der Kommunal- Mitglied findet, bekommt einen 12 000 Mitglieder – und fast 75 000 Wäh- wahl in Stuttgart erreichte die dort oh- Punkt.“ Eifrig machen sich die gestan- ler. nehin schwache Partei 1994 nur noch denen Kommunalpolitiker auf die Su- Aufgeschreckt von den Horrorzahlen, 26,2 Prozent. Und bei der Europawahl che und kleben bunte Kreise auf den müht sich der SPD-Unterbezirk Hanno- vor 14 Monaten votierten in Frankfurt Plan. ver-Stadt derzeit, die Arbeit an der Basis nur noch 27,8 Prozent sozialdemokra- Doch die Ausbeute ist noch magerer wieder anzukurbeln. Die Schocktherapie tisch. Fünf Jahre zuvor waren es noch als erwartet. Ganze Straßenzüge blei- beim Mitgliederzählen gehört dazu. 35,6 Prozent.

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Zehntausende von Mitgliedern haben prägten das Bild einer bürgernahen die Partei bereits verlassen. Viele Bezir- SPD. ke sind hochverschuldet. „Ich habe Inzwischen gerät die Partei in ihren nicht mal das Geld“, sagt die Münchner früheren Hochburgen mehr und mehr in Parteichefin Ingrid Anker, „um Mitglie- die Rolle des Priesters ohne Gemeinde. der-Infos zu verschicken.“ Die klassische Klientel stirbt ihr weg, In , wo sich die SPD mit Re- die Grünen hat sie verschlafen. Die sten der Statt Partei an die Macht klam- Großstädte sind zum Seismographen für mert, stehen die Genossen auf den den Niedergang der SPD geworden – Trümmern früherer Popularität. In der und zum Testfeld für ihre Reformfähig- Bevölkerung, so der Parteivorsitzende keit. „In den Metropolen“, so der Wies- Jörg Kuhbier, verbreite sich „eine für badener Soziologe Konrad Schacht, die SPD bedrohliche Stimmungslage „entscheidet sich die Zukunft der SPD.“ zwischen Ablehnung oder Interesselo- Erstes Warnzeichen für den Nieder- sigkeit“. gang war, paradoxerweise, das Ergebnis Sogar im Ruhrgebiet, dem letzten der Bundestagswahl 1972. Die Sozialde- deutschen Sozi-Paradies, laufen die mokraten erreichten damals auf Bun- Kumpels davon. Bei der Landtagswahl desebene mit 45,8 Prozent ihr historisch im Mai brach die an Zahlen zwischen 60 bestes Ergebnis in der Nachkriegszeit, und 70 Prozent gewöhnte Partei schwer kurz danach verloren sie in den Dienst- ein – in der Arbeiterstadt Dortmund leistungszentren München, Frankfurt büßte sie rund 6 Prozentpunkte ein. und Stuttgart. Doch die Funktionäre „Die SPD verliert ihre Leitkompe- übersahen das Menetekel. tenz“, sagt der Essener Kommunikati- Hier machte sich bereits der soziale onswissenschaftler Martin Pape. Wandel bemerkbar, der nach und nach Jahrzehntelang war die Sozialdemo- die SPD-Stammklientel, die Arbeiter- kratie die beherrschende politische schaft, dahinrafft. Industrie- und Ge- Kraft in den Metropolen, sie avancierte werbearbeitsplätze wurden zu Tausen- nach dem Krieg zur Rathauspartei. In den abgebaut, immer mehr Menschen Hannover, Hamburg und Frankfurt la- arbeiteten in den Weiße-Kragen-Jobs gen ihre Ergebnisse häufig über 50 Pro- der Dienstleistungsbranche. zent, im Revier und in Berlin zeitweise Riesige Unternehmenskolosse, jahr- sogar über 60 Prozent. zehntelang quasi Zulieferbetriebe für Angesehene SPD-Bürgermeister wie die SPD, wurden zerlegt und schrumpf- Wilhelm Kaisen in Bremen, Willy ten zusammen, wie etwa die Werftbe- Brandt in Berlin, Hans-Jochen Vogel in triebe in Bremen. Dort blieben von München, Walter Kolb und Werner 25 000 Arbeitsplätzen nur 6000 übrig.

J. P. BOENING / ZENIT Bockelmann in Frankfurt, Max Brauer In manchen Zentren des Ruhrgebiets Ablehnung oder Interesselosigkeit“ und Herbert Weichmann in Hamburg brachen der Partei große Teile der Basis weg. In Essen etwa gibt es heute keine Zeche mehr, keine Kokerei, keinen Stahlbetrieb. Hier lebt die Partei noch von alten Zeiten. Gleichzeitig erfaßte die Gewerkschaften, stets eine sichere Bank für die SPD, anhalten- der Schwund. Seit 1991 mußten die DGB-Ge- werkschaften zwei Mil- lionen Mitglieder strei- chen. „Langjähriges Gewerkschaftsmitglied gleich SPD-Wähler“, klagt Bremens neuer Bürgermeister Hen- ning Scherf, „die For- mel stimmt nicht mehr.“ Während die Gesell- schaft sich wandelte, blieb die SPD stehen. Ihre Elite rekrutiert sich heute aus denen, die in den siebziger Jah- ren in die SPD ström-

J. H. DARCHINGER ten. Die siebziger Jah- SPD-Bundestagswahlkampf 1972 mit Kanzler Brandt in Rastatt: Das war der Willy-Schub re, das war der Willy-

DER SPIEGEL 35/1995 23 Schub. Scharenweise kamen junge Aka- demiker in die SPD, engagierten sich bei den Jusos – angezogen von dem Charismatiker Willy Brandt. Die ehrgei- zigen jungen Leute, häufig Kinder aus einfachen Verhältnissen, lebten vor, was die SPD quer durch die Schichten erreichen wollte: die bildungspolitische Emanzipation, den sozialen und wirt- schaftlichen Aufstieg. Der hannoversche Bezirksvorsitzende Wolfgang Jüttner etwa ist Sozialwissen- schaftler, der Dortmunder SPD-Chef Bernhard Rapkay studierte Mathematik und Volkswirtschaft, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude Jura. „Etwa ein Viertel unseres Bezirksvor- standes“, so Jüttner, „ist promoviert.“ Die Münchner Parteivorsitzende An- ker, Sozialwissenschaftlerin, unter- schreibt sogar Parteiflugblätter mit dem Doktortitel. Doch für die Partei wurden die Em- porsteiger zum Handikap: Sie verprell- ten die Stammwähler, die kleinen Leu- te. Je schlauer ihre Eliten wurden, desto mehr entfernten sich die Sozialdemo- kraten von ihren Milieus – darin sind sich Hamburger SPD-Rechte wie links- gerichtete Münchner Sozis einig. Ude: „Die Toskana-Fraktion hat die soziale Optik verstellt.“ Gerade mal die Älteren, wie der frü- here Bremer Bildungssenator Horst von „Der Mythos von der Arbeiterpartei muß fallen“

Hassel, 67, erinnern sich noch, „wie die Mutter im Zuber das schwere Drillich- zeug vom Vater schrubbte“. Die Jun- gen, so Hassel, „haben Solidarität nie erfahren, sie haben das höchstens an der Uni gelernt“. Wer, so mosern die Altgenossen, hocke sich denn heute noch an miefige Stammtische oder fahre samstags raus zu den Kleintierzüchtern? „Wir haben niemanden mehr“, klagt Hannovers Be- zirkschef Jüttner, „der auf die Schützen- feste geht.“ Gerade dort, wo sie sich in ewiger Erbpacht wähnten, müssen sie wieder von vorn anfangen, das haben die Groß- stadt-Sozis inzwischen erkannt – bei den Vereinen und den Kleingärtnern. Die Wahlanalysen zeigen, wo die ent- täuschten SPD-Wähler sitzen, die zu Hause bleiben oder rechts wählen: in den einfacheren Quartieren, den Groß- siedlungen des sozialen Wohnungsbaus, einst Errungenschaften sozialdemokra- tischer Politik. Wie ein Gürtel liegen diese Siedlun- gen am Rande Bremens. Dort ist die SPD von einstmals 70 auf 40 Prozent ab- gestürzt. .

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Doch selbst wenn sich die SPD wieder konzentriere. „Wir dürfen nicht zur Par- Hamburg, München – ein Katalog von auf die alten Schichten besinnen würde, tei der Schlechterverdiener werden“, Abfälligkeiten. Tatsächlich geben die reichte das für Mehrheiten nicht mehr sagt ein Münchner SPD-Ratsherr. Mehr- Metropolen-Sozis ein ärmliches Bild ab: aus. Siemuß neue Wählergruppen ansich heiten sind damit ohnehin nicht zu holen. i In Frankfurt befindet sich die Partei ziehen, das aber ist ihr bisher nicht gelun- In Hamburg istdie Partei auf der Suche im freien Fall, seit die rot-grüne Ko- gen. Von Bremen bis München sind die nach dem richtigen Kurs in zwei Lager alition an Personalscharmützeln Sozialdemokraten ratlos, wie sie die zerfallen. Auf der einen Seite die Moder- platzte und SPD-Oberbürgermeister Grätsche aushalten sollen – zwischen den nisierer um Parteichef Kuhbier, auf der Andreas von Schoeler die Direktwahl Schwachen und den vielfältigen Milieus anderen die Traditionalisten um den frü- gegen seine CDU-Herausforderin Pe- der modernen, individualistischen Lei- heren Bausenator Volker Lange. tra Roth verlor. stungs- und Genußgesellschaft. „Uns Während Kuhbier fordert, der „My- i In Hamburg gilt die SPD nach 50jäh- fehlt die Klammer“, so der Dortmunder thos von der Arbeiterpartei muß fallen“, riger Regentschaft als hochgradig sa- Rapkay. wollen die Lange-Anhänger „die alte nierungsbedürftig. Auch hier schei- Franz Maget, Münchner Landtagsab- Identität von gesellschaftlichem Engage- terte Rot-Grün. Die Partei, so Frakti- geordneter und Sozialwissenschaftler, ment und Sozialdemokratie“ wiederher- onschef Günter Elste, befinde sich in hat das Dilemma für sich gelöst. Weil er gestellt sehen. „Traditionelle SPD-The- einer „abwärts gerichteten Sägezahn- die frohe Botschaft für alle noch nicht ge- men“, so heißt es in einem Strategiepa- kurve“. funden hat, führterzwei unterschiedliche pier, „haben auch heute nichts von ihrer i In Bremen hat sich die SPD nach dem Wahlkämpfe. Magets Wahlkreis im Aktualität eingebüßt.“ Schock über die Abspaltung der AfB, die bei der Wahl im Mai auf Anhieb über 10 Prozent der Wählerstimmen holte, in ei- ne Große Koalition geflüch- tet. Die Partei schlug bei 33,4 Prozent auf – das schlechteste Wahlergebnis nach dem Krieg. i In München gelten die Ge- nossen als „rote Schlaffis“ (Abendzeitung), die sich kraftlos über die Runden schleppen. Die wilden Flü- gelkämpfe früherer Jahre sind ausgestanden, dafür sind die Mitgliederzahlen und die Wahlergebnisse im Keller: Bei der Kommunal- wahl im vergangenen Jahr landete die SPD bei 34,4 Prozent, weniger Wähler hatte die Partei zuletzt anno 1948. i In Berlin haben die Sozial- demokraten in 15 Jahren

W. HUPPERTZ / AGENDA sieben Parteivorsitzende Demonstrierende Werftarbeiter*: Die Stammwähler verprellt verschlissen. In der Großen Koalition mit der CDU sind Münchner Norden ist eine Reise durch Die Gründung der Partei „Arbeit für sie noch blasser als der Regierende die Schichten der deutschen Gesell- Bremen“ (AfB), einer rechten SPD-Ab- Bürgermeister von schaft. spaltung, sehen einige Sozialdemokra- der CDU. Sie beginnt in den schönen und teuren ten schon als erstes Zeichen einer dro- So unterschiedlich das lokale Profil, Altbauten Schwabings bei Künstlern, henden Spaltung. Die AfB, so Hassel, so sehr ähnelt sich die Großstadt-SPD Intellektuellen, Zahnärzten und Rechts- signalisiere womöglich den „Beginn des doch in ihren strukturellen Proble- anwälten. Sie führt über das gemischte, Zerfalls nicht mehr zusammenhaltbarer men. von Arbeitnehmern höherer und niede- Gruppen“. Zu schaffen macht den Sozialdemo- rer Stände beherrschte Viertel Milberts- Die SPD wird häßlich im Kranken- kraten in den Rathäusern vor allem das hofen, wo BMW seinen Sitz hat, an den bett, doch sie ist zu schwach, um aufzu- Ende der finanziellen Freigebigkeit. Al- Stadtrand zu den Sozialwohnsiedlun- stehen. Als in den achtziger Jahren die lerorten ächzen die Städte unter einer gen. Dort holt Maget stets die wenigsten Krise längst unübersehbar war und der gewaltigen Schuldenlast, öffentliche Stimmen. Schimmel am Samt vergangener Jahre Schwimmbäder, Büchereien, Theater Zwei Welten, zwei Strategien: In nagte, verwandten die Sozialdemokra- werden geschlossen. Schwabing talkt Maget locker auf Partys ten noch immer mehr Energie auf die Die Finanzkrise der Städte habe eine und Info-Börsen, in Milbertshofen ar- Pflege ihrer örtlichen Parteibiotope als wichtige SPD-Struktur zerschlagen, „die beitet er die Kleingärten und die auf die Menschen, für die sie eigentlich verläßliche Interessengemeinschaft des Stammtische ab. Politik machen. Verteilens funktioniert nicht mehr“, Viele Genossen fürchten, die SPD „Verschlissen, abgewirtschaftet, ver- sagt der Essener SPD-Fraktionschef verkomme zur Sozialhilfepartei, wenn kungelt, der Seilschaften überdrüssig, Willi Nowack. Zu lange konnten SPD- sie sich zu sehr auf das untere Drittel langweilig“, beschreibt der Göttinger Stadtpolitiker mit vollen Händen ausge- Politologe Franz Walter die Großstadt- ben – und sich mit Jobs und Karrieren * 1992 in Emden. SPD in Bremen, Frankfurt, Berlin, bedienen. Da halfen schon die vielen

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SPD-Mitglieder im Öffentlichen Dienst, in Berlin fast 60 Prozent. Jetzt holen Filz und Klüngel die Ge- nossen ein. Sei es in Mülheim, wo die frühere SPD-Oberbürgermeisterin zum Sozialtarif in einer Wohnung der Stadt lebte, sei es in Essen, wo der Gartende- zernent städtische Mitarbeiter in seinem Privatgarten jäten ließ. Auch der lang- jährige SPD-Fraktionschef fand nichts dabei, gleichzeitig Abteilungsleiter bei der stadteigenen Messegesellschaft zu sein. In Bremen profitierten Sozialde- mokraten jahrelang von üppigen Spen- den der Stadtwerke. Der zurückgetretene Bremer Bürger- meister Klaus Wedemeier, für seine lu- xuriöse Amtsführung berüchtigt, läßt sich auf Kosten der Steuerzahler weiter mit Aufsichtsratsposten, stadteigenem Büro und Personal versorgen. Selbst die Bürgermeister-Ehrenkarten bei Werder Bremen hat ihm sein Nachfolger Scherf überlassen. Der Hamburger SPD-Fraktionschef

Elste ist Geschäftsführer der städtischen FORUM Beteiligungsholding. Solche Kollisionen Bremer SPD-Bürgermeister Scherf: Leibwächter abgeschafft sollen zukünftig ausgeschlossen werden, eine Parlamentsreform ist geplant. eins etwa liest sich, so ein genervtes Mit- mus“ (Elste), dem „Jammern und Jau- Doch die wartet Elste erst mal ab. glied, als gelte es „eine UN-Vollver- len“ (Scherf), den „übellaunigen Misan- Als könne sich die SPD das leisten. sammlung vorzubereiten“: 17 Mitglieder thropen, die Katastrophen-Szenarien Die Mitgliederverluste – teilweise wurde quälen sich durch mehr als 20 Wahlvor- beschreiben“ (Voscherau). die Anhängerschaft seit den siebziger gänge, bis sie beim Punkt „Verschiede- In Hannover war die Kampagne auch Jahren halbiert – haben die Partei aus- nes“ aufatmen können. sonst erfolgreich: Die Mitgliederzahlen gemergelt. Geblieben sind die Alten Kein Wunder, daß Neugierige ausblei- gehen nach oben, 1994 gab es erstmals und die Alt-68er. ben. „An der öffentlichen Mitgliederver- wieder mehr Eintritte als Austritte. Vor allem die SPD in den Großstäd- sammlung“, so der Dortmunder Rapkay, Mit Diskussionsforen, Talk-Runden, ten, wo sich Schulen, Universitäten und „ist nicht mehr viel öffentlich.“ Zukunftskongressen und Wirtschaftsge- Jugendszenen ballen, sind von massiver Was draußen vorgeht, wird vielfach sprächen wollen die Genossen in Frank- Überalterung befallen. Der Alters- nicht mehr wahrgenommen. „Wir haben furt, München und Hamburg den Auf- durchschnitt liegt in der Regel bei 50 festgestellt“, sagt der Hannoveraner schwung herbeizwingen. Die Hambur- Jahren. Thomas Hermann, „daß viele Ortsver- ger haben sich sogar einen Fraktionsbus Im SPD-Unterbezirk Dortmund, dem einsfunktionäre ihren Stadtteil gar nicht gemietet, mit dem sie in die sozialen größten der Republik, ist im 24köpfigen kennen.“ Brennpunkte fahren. Revolutionär ist Vorstand derzeit keiner unter 40. Die Hermann, Sozialwissenschaftler und das nicht. „Es geht alles sehr schwerfäl- Mitglied im Unterbezirksvorstand, lig“, klagt der Hamburger Fraktionschef krempelt mit einer kleinen Crew seit Elste. In Arbeitsgruppen, die auch Die Mitglieder mehr als zwei Jahren die Ortsvereine in Nicht-Mitgliedern offenstünden, seien richten sich am Telefon Hannover um. nur „wenige Leute von außen dazuge- Da wurde etwa ein Verkaufstrainer kommen“, bestätigt auch Frankfurts bis- gegenseitig auf aus der Kaufhausbranche engagiert, da- heriger Parteichef Sieghard Pawlik. mit sich die Mandatsträger im Wahl- Bremen setzt ganz auf Scherf. Der Jüngste in der hannoverschen SPD- kampf nicht mehr hinter den Info-Ti- riesige Ich-umarm’-euch-alle-Henning Ratsfraktion ist 39. „Die Großstadtpar- schen verstecken. Um das „Familienge- will den Bürgern wieder Vertrauen in tei“, so der Politologe Walter, „ist men- fühl“ zu stärken, gibt es jetzt Telefonket- die SPD einflößen. tal hoffnungslos vergreist.“ ten: Die Mitglieder rufen sich regelmäßig Scherf hat erst mal ausgemistet, die Wenn noch junge Leute in die Partei an und richten sich gegenseitig auf. Luxusmöbel seines Vorgängers Wede- eintreten, so zeigt etwa die Statistik in Mit konkreten Stadtteilprojekten wer- meier rausgeworfen. Auch die beiden Hannover, treten sie schnell wieder aus. den Bürger zum Mitmachen animiert. gepanzerten Mercedes-Dienstlimousi- Der Hamburger SPD-Bundestagsabge- Zum Handwerkszeug der Ortsvereine nen samt Chauffeuren sowie die neun ordnete Freimut Duve hat es bei seinen gehört neuerdings ein Stadtteil-Atlas mit Leibwächter und zwei Sekretärinnen eigenen Kindern erfahren: „Das, was allen wichtigen Daten über die Sozial- wurden abgeschafft. Zum ersten Emp- 20jährige in den Großstädten bewegt, und Beschäftigtenstruktur, Altersgrup- fang ins neue Rathaus lud der neue Bür- findet bei der SPD nicht statt.“ Die Jun- pen, wichtige Themen. germeister neben Betriebsräten auch gen bevorzugen die Grünen. Der Einsatz hat sich schon gelohnt. Altenpfleger und Punkmädels. Abschreckend auf Sympathisanten Hermann: „Plötzlich merken die Leute: Ob’s reicht, die SPD als dynamische wirkt nicht zuletzt die verkrustete Struk- Das macht ja Spaß.“ Zukunftspartei aufzupolieren, steht da- tur der Parteiarbeit. Den hat die lustarme Partei bitter nö- hin: Der auf vielerlei Posten erprobte Die Tagesordnung zur Jahreshaupt- tig. Selbst abgebrühte Genossen haben Altfunktionär Henning Scherf ist im- versammlung eines Frankfurter Ortsver- langsam genug vom SPD-„Negativis- merhin 56.

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