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800 Jahre Festvortrag von Dr. Erich Neuß, gehalten auf der Tagung der Mansfelder Heimatforscher anläßlich der 8oo-Jahr-Feier Helbra 1955

Die 8oo-Jahr-Feier der Gemeinde Helbra ist nicht das erste Jubelfest dieser Art, das nach dem Jahre 1945 in unserer mansfeldischen Heimat gefeiert wird. Die Spangenberg-Feier im vergangenen Jahre in , die 8oo-Jahr-Feier des in jeder historischen Blickrichtung so hochinteressanten und für die Kenntnis ältester Zustände so hochwichtigen Dorfes Heiligenthal im Jahre 1950, endlich die 750-Jahr- Feier des Mansfelder Bergbaues im gleichen Jahre sind all denen, die, daran teilnahmen, gewiß in lebendiger Erinnerung. Es häufen sich überhaupt in diesem unseren 20. Jhdt. solche Ereignisse — Tausendjahrfeiern liegen hinter uns — ich denke an Röblingen, andere werden folgen. Helbra nun hat sich für diese Festtage gerüstet, die zugleich im Tag des Bergmanns, dem heutigen Tage, ihren Höhepunkt gefunden haben, und welche Gemeinde im Mansfelder Lande hätte wohl begründeteren Anlaß, beide Bekundungen — nämlich die der Heimatliche und die der Berufsehre —: freudiger zu feiern als Helbra, die größte Berg- und Hüttenmannssiedlung in Mansfeld. Helbra, das hinsichtlich seiner großen berggeschichtlichen Vergangenheit und hinsichtlich seiner Einwohnerzahl als „Bergstadt" zu bezeichnen wäre? Ganz in dem Sinne, wie die Bergstädte des Harzes und des Erzgebirges, diesen Beinamen führen. Es gibt natürlich immer einige Verdrossene, einige Abseitsstehende, die da sagen, was es schon für einen Sinn habe, irgend ein mehr oder weniger urkundlich belegtes, d. h. aber ein. zufälliges Datum zum Anlaß einer Jubelfeier zu nehmen, der allenfalls durch einen erhöhten Umsatz an Genußmitteln und Vergnügungsgegenständen einige Bedeutung zukomme. Wir dürfen diese Besserwisser getrost übersehen und uns an das halten, was ein solches Fest wirklich bedeutet und — vor allem — was es auslöst.: dankbares Erinnern an das, was die Vorfahren leisteten und litten, dankbares Erkennen dessen, was der Blick auf die vielhundertjährige bewegte Vergangenheit der Stätte gemeinschaftlichen menschlichen Lebens uns lehrt, dankbare Würdigung der Leistungen der Gegenwart und schließlich hoffnungsvolles Streben, in der Zukunft dem Gemeinwesen noch besser zu dienen, es noch mehr in all seinen materiellen und ideellen Werten zu schätzen als bisher. Es auch zu erkennen als einen Teil des größeren Ganzen, ohne den das einzelne Gemeinwesen nur eine namenlose, unbekannte Anhäufung von menschlichen Individuen wäre.

Selbstverständlich ist Helbra, darauf deutet schon sein nicht ohne weiteres erklärbarer Name hin und das wissen wir auch aus den zahlreichen Kulturzeugnissen, die in seiner Flur gefunden wurden, weit, weit älter als 800 Jahre. Wir könnten ebensogut sagen: es ist 1000, 2000, 4000 Jahre alt und würden damit Recht behalten. Denn die Menschen, die vor solchen Zeitabschnitten vor uns lebten, waren auch nicht auf den Kopf gefallen und erkannten mit einem Spürsinn, der jedem modernen Raum- und. Siedlungsplaner alle Ehre machen würde, wo die Voraussetzungen für eine dauernde Niederlassung gegeben waren. Aber wir Menschen haben nun einmal eine Liebe für die runde Zahl, ja, wir haben uns noch nicht losmachen können und werden uns wohl auch nie losmachen vom geheimen Zauber der Zahl im allgemeinen, bestimmter und runder Zahlen im besonderen. Eine tausendjährige Stadt, ein achthundertjähriges Dorf, die fünfhundertste Wiederkehr eines weltbewegenden Ereignisses, der 100. Todestag eines um die Menschheit und Nation verdienten Menschen, das 50 jährige Dienstjubiläum eines schaffenden Menschen, 25 Jahre in Freud und Leid gemeinsam durchlebte Ehejahre, usw. — all das sind doch Dinge im Ablauf von Zeiträumen , die zu einem Atemholen, zu einem Rückblick, zur Selbstbesinnung geradezu rufen. Und begierig ergreifen wir Menschen solche Gelegenheiten, die nun durch ein scheinbar zufälliges Datum fixiert und präzisiert werden. Und so hat Helbra alle guten Gründe für sich, den Tag festlich zu begehen, da es vor nunmehr 800 Jahren in das urkundlich erhellte Licht der Geschichte trat, freilich in einer für die eigentliche Geschichte Helbras wenig bedeutenden Angelegenheit: ein Ministeriale Walpertus von Halbere und seine Brüder treten als Zeugen in einer Urkunde Erzbischof Wichmanns von Magdeburg für das St. Johannis-Kloster in Halberstadt auf, am 19. Juni 1155 zu Seeburg ausgestellt. Immerhin erfahren wir hieraus, daß es damals bereits ein in Helbra ansässiges und nach diesem Ort sich nennendes niederes Dienstadelsgeschlecht gab, nicht das einzige übrigens; neben denen v. Helbra gab es später noch die Vogte, die Buttelos oder Buttlers und die v. . Die v. Helbra scheinen im 14. Jhdt. bereits ausgestorben zu sein. Allein wir haben für das weit höhere Alter Helbras gewichtige Zeugen und gewichtigere Zeugnisse. Gerade diese sind es, die unseren Ort vor andern des Landes weit herausheben und ihn in die vorderste Reihe derjenigen rücken, die schon lange bestanden haben mögen, ehe die Thüringer ihre leben- Dörfer, die Angeln ihre stedt- Dörfer, die Franken ihre hausen-Dörfcr, die Schwaben ihre ingen-Dörfer und die Slawen ihre itz-Siedlungen benamsten bzw. gründeten. Von denjenigen Ortschaften, die schlechthin auf -dorf endigen, ganz zu schweigen. Zu diesen Ur-Großsiedlungen, wie ich sie bezeichnen möchte, zählen im Mansfelder Land mindestens drei, nämlich, Oerner als das Dorf der Ackerbauer und Fruchternter, Helfta als der Ort der vornehmsten Gerichtsstätte des Landes und Helbra als das Dorf der ... . . Ja, hier stocken wir; denn hier stehen wir vor einem Rätsel, das bis zum heutigen Tage voll befriedigend nicht gelöst wurde. Helbra ist die frühest vorkommende Form, und die Frage ist, ob das „b" zum Stamme oder zur Endung des Wortes gehört. Aber so wenig, wie in Helfta oder in Oerner etwas auf die topographischen Gegebenheiten Bezügliches steht, so sehr müssen wir die Meinung ablehnen, der Ortsname Helbra sei nach einem Bächnamen Helbe gebildet. Denn wo sollte diese Helbe geflossen, wo ihr Name geblieben sein? Überraschend bleiben die gemeinsamen drei ersten Buchstaben h, e und l von, Helfta und Helbra, überraschend, daß diese beiden Orte, die aus ihren Fluren die erstaunlichste Fülle von Vorzeitfunden hergegeben haben, wie übrigens auch Oerner, nebst dem zu Helfla gehörigen Neckendorf einst das gräflich-mansfeldische Unteramt gebildet haben. Sollten sich in dieser Tatsache weit ältere Beziehungen zwischen Helfta und Helbra dokumentieren? Ich kann mich mit Größlers Erklärung von Helbra als Ort „zum Gehege des Hei", oder „zum Hellenwalde" nicht ohne weiteres einverstanden erklären,, obwohl der Name Helbra sicherlich ein mythologisches Element enthält, das auf — ich will einmal sagen — einen besonderen Ruf, vielleicht auf; eine besondere Heiligkeit der Stätte hinweist. Weiter spricht für das hohe Siedlungsalter unseres Ortes der Umstand, daß er — nun wieder wie Groß Oerner — eine Stephans- Kirche hat. St. Stephan war der Heilige des um 840 gegründeten Bistums Halberstadt, und in diesem Jahrhundert der ersten, nachhaltigeren Christianisierung und Missionierung kann es sehr wohl möglich sein, ja es ist wahrscheinlich, daß Helbras Stephanuskirche eine von den 35 Volkskirchen ist, die Bischof Hildegrim von Halberstadt (804—827) und seine nächsten Nachfolger erbauten und meist dem Hl. Stephan weihten. Welch ein Ausblick in älteste Zeiten und auf das Alter Helbras! Aber handgreifliche Beweise erlauben uns noch tiefer in die Vergangenheit zu dringen. Zu diesem Zweck müssen wir uns einmal eine Vorstellung von der damaligen Beschaffenheit der Helbraischen Flur zu machen versuchen. Ein Blick auf die Karte zeigt uns, daß der Bereich der durch ihren Namen auf Waldrodung hindeutenden Ortschaften mit den „rode"- Dörfern Siebigerode und Ziegelrode am weitesten nach Osten vorstößt und bei Helbra auf noch heute lebendige Flurnamen trifft, die das Hinreichen der Waldbedeckung bis in die Helbraer Flur bekunden. Es sind dies die Namen Hirschwinkel. und Pfarrholz. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt Größlers vorsichtige Deutung des Namens Helbra als Ort zum Hei-, oder Höllenwalde einiges Gewicht. So daß unser Helbra längst bestand, als noch dichter Wald.— Eichen und Buchen zumeist — den Hirschwinkel bedeckte. Ein Ausläufer des -Urwaldes, dessen einstige Ausbreitung wir — wie gesagt — an der Verteilung der auf „rode" endigenden Ortsnamen genau verfolgen können. Noch 1256 ist von einem großen Wald zwischen Helbra und die Rede. Der mittelalterliche Bergbau auf Kupferschiefer und die Verhüttung des Erzes mittels Holzkohlen haben mit diesem Walde gründlich aufgeräumt, vielleicht sogar schon die früh- und vorgeschichtliche Verhüttung des Kupferschiefers, wie das ja neuerdings mit aller wissenschaftlichen Zuverlässigkeit nachgewiesen wurde. Und daneben tritt als Holzverzehrer nun der berühmteste Helbraer Vorzeitfund, das ist die Aufdeckung eines Eisenerz-Rennfeuerofens 1911 im Weißen Tal, also hart südöstlich des Bahnüberganges bei Kloster- Mansfeld auf einem der ehemals Spielbergischen Pläne. Solche Rennfeuerstätten hat man nicht selten gefunden. Nämlich dort, wo sich im sumpfigen Gelände das sogenannte Sumpf- oder Raseneisenerz vorfindet und wo Wald vorhanden ist, der die Holzkohle lieferte. Wie oft ist in der deutschen Sage und im deutschen Märchen von den geheimnisvollen Waldschmieden die Rede, die doch in der Nähe keine Abnehmer für ihre Erzeugnisse haben, wohl aber die Rohstoffe, nämlich das Erz des Waldes und das Holz des Waldes! Solche Rennfeuerstättem — der Name kommt von rennen, rinnen = fließen, keltisch renos, der Rhein ist der Fließende, der Strömende — waren sehr primitive Schmelzherde, mit Ton ausgestrichene Vertiefungen, in denen man zerkleinertes Erz mit Holzkohle zusammenschmolz und jene sogenannte Eisenluppen erzeugte, die erst durch Schmieden von den eingeschlossenen Schlacken und Kohlenresten befreit wurden. Die Helbraer Luppe wog 65 kg, das Zentrallaboratorium bestimmte ihren Eisengehalt mit 52 Prozent — damit war das erste Zeugnis helbrischen Werkfleißes aus der Erde gehoben. Es mag hier, als eine letzte Erinnerung an die einstige Waldbedeckung, auch auf das Gemeindesiegel von 1770 hingewiesen werden, das drei Bäume enthält. Fest steht, daß Helbra eine Siedlung germanischen Ursprungs ist, um 500 n. d. Z. im nördlichen Thüringerreich, nach der Einteilung des Landes in Gaue im Hasse- oder Hosgau gelegen, der ja nach dem benachbarten uralten Seeburg auch als Hochseegau urkundlich erscheint, um dann nach der Zeit der Gaugrafenherrschaft — ich erinnere nur an den Grafen Rikdag, der 981 das Kloster gründete — zu dem im Laufe der Zeit sich immer mehr abrundenden Territorium der Grafen von Mansfeld zu gehören. Wie im nicht allzufernen Oerner ist auch in Hel- braer Flur ein bemerkenswerter Fund aus jener Zeit gehoben worden, da zwischen , dem Thüringer Reich und dem späten, fast schon sterbenden: römischen Reich ein lebhafter Handelsverkehr bestand — ich meine jenes große terrinenförmige reich verzierte Gefäß, das sich heute im Eisleber Altertumsmuseum befindet. So verworren der Siedlungsgrundriß des Helbraer Ortskernes erscheint, wenn man seine wesentlich m Säcken endenden Gassen durchstreift, so klar enthüllt er sich auf der Karte. Ein echtes deutsches Haufendorf, geschmiegt an die Hänge einer geräumigen Quellenmulde, von dem früher, d. h. noch vor der Separation, Straßen nach allen Himmelsrichtungen ausstrahlten, die heute aber, ganz ähnlich wie in Helfta, teilweise am Qrtsrand enden, während der Hauptverkehr sich auf dem großen Wegekreuz Klostermansfeld—Eisleben und Siebigerode—Volkstedt zusammendrängt. Helbra muß schon im Mittelalter ungewöhnlich volkreich gewesen sein. Unser Chronist Spangenberg nennt es schlicht „ein schönes großes Dorf" und das sagt er nicht von jedem mansfeldischen Dorf. Wenn für 1785 eine Einwohnerzahl von fast 500 berichtet wird, so bedeutete das etwa für die Lutherzeit eine solche von mindestens 400. Wir haben dafür einige: Anhaltspunkte. Die Helftaer Erbzinsregister aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts nennen allein 18 — wir würden heute sagen: Groß- und Mittelbauern, die die verschiedensten Abgaben an das Kloster leisten. mußten. Die Zahl läßt mit Angehörigen und Gesinde auf 100—120 von der Landwirtschaft lebende Bewohner schließen; die übrigen sind Bergleute. Das Ausgehende des Kupferschieferflözes ist ja nur 2 km von Helbra, entfernt, und wenn auch heute noch die Helbraer Flur, besonders nach Westen zu, wo wir ja eine Große und. eine Kleine Haldenbreite unterscheiden, mit Halden wie übersät erscheint, so ist das doch nichts gegen die Verhältnisse zur Lutherzeit. So hören wir zum Jahre 1568, als die Gemeinde die Pfarräcker einer Flurbesichtigung unterzog, daß auf 2 Hufen Landes, d. h. auf 60 Morgen nicht weniger als 78 Schächte und Lichtlöcher eingeschlagen und in Betrieb waren. Man muß sich das vorstellen: auf jeder Fläche, kleiner als ein Morgen, ein Schacht mit Halde und Haspel, mit Kaue und drei bis vier Krummhälsern bei ihrer schweren Arbeit — da erscheint uns unsere Schätzung der Einwohnerzahl Helbras vor 400 Jahren nicht zu hoch gegriffen. Wie die Menschen selbst, so gehorchen die Werke von Menschenhand — und dazu gehören die Ansiedlungen der Menschen, — einem Gesetz, nach dem sie einst antraten und sich nun fortentwickelten. Das gilt auch für Helbra. Daher verdichten sich um Helbra die Zeugen des alten wie des modernen Bergbaus in einmaliger Weise. Höchstens und Eisleben können dem noch an die Seite gestellt werden. Die technische Entwicklung ebenso wie die sozialen Verhältnisse und Kämpfe, die Veränderung der Landschaft wie des Ortsbildes dokumentieren sich in sinnverwirrender Fülle: von der Rennfeuerstätte des grauen Altertums; bis zur modernen Hochofenanlage, von dem bescheidenen Zweimann-Schächtchen. kenntlich noch an der Delle in der längst begrünten Halde bis zu den Fördcr- und Pumpenschächten Ernst I bis IV, von dem schlichten Hüttenmannshäuschen, das noch mit Stroh gedeckt ist — (es gab bis zum vorigen Jahr noch ein einziges in Helbra — bis zum Kulturhaus der LPG Helbra im ehemaligen Amtshof liegen die Gegensätze und Widersprüche, die nach langen Kämpfen den Fortschritt und den Übergang all der Werke in der Runde in das Eigentum des Volkes bewirkt haben, klar vor unseren. Augen. Vor dieser Entwicklung, die besonders seit 1919 und gerade hier in Helbra mit gewaltiger Stoßkraft vorangetrieben wurde, verblaßt freilich das, was man sonst als die „Geschichte" solcher Örter bezeichnet, nämlich die des gräflich- mansfeldischen Amtshofes, die des Heltaer Klosterhofes und auch die derjenigen Güter, auf denen die v. Helbra, die Butteloh, die Vogte, die v. Benndorf gesessen haben. Denn während der Ort Helbra, die in ihm vereinigten gesellschaftlichen und ökonomischen Kräfte sich mitten in der Entwicklung befinden, d. h. Elemente des Geschehens sind, ist die Geschichte jener eben genannten Gebilde ein für allemal abgeschlossen. Wichtig für uns sind nur folgende Tatsachen: In Helbra gab es seit alter Zeit ein Freigut. Dieses, ursprünglich der Sitz der Herren v. Helbra, ist später Besitz derer v. Benndorf, danach v. d. Schulenburg, v. Wülkenitz, Lange, Töpgen, Halling, im 19. Jahrhundert v. Kerßenbrock. Bis in das 13. Jhdt. zurück reichen die freilich spärliehen Nachrichten über den Klosterhof, den das Kloster Helfta zur wirtschaftlichen Nutzung seines großen Grundbesitzes in Helbra anlegte. Dieser Klosterhof, der nach der Säkularisation des Klosters Helfta an die Grafien, von Mansfeld fiel — ist dann 1565 als „Ritterhof" ebenfalls an das aus Westfalen stammende Adelsgeschlecht v. Kerßenbrock gekommen. Und auch der gräflich- mansfeldische Amtshof ist Ende des 18. Jhdts. in den Besitz derselben Familie gelangt, ein Musterbeispiel privater Herrschaftsbildung, wie wir sie im Mansfelder Land öfter finden. Aber wie gesagt in diesen Nachrichten spiegelt sich nicht die Geschichte des Dorfes Helbra, das ursprünglich ein reines Bauerndorf war. Aus dieser Zeit stammt noch der mächtige Turmklotz der Stephanskirche, die sich freilich manche Umwandlungen hat gefallen lassen müssen, so daß von dem romanischen Kirchengebäude außer dem Turm nichts mehr vorhanden ist. Daß es zu den aufwendiger gebauten gehört hat — als, Beispiel möchte ich Oberröblingen anführen — ist umso wahrscheinlicher, als Helbra zeitweilig Sitz eines Erzpriesters im Bann Eisleben, des Bistums Halberstadt war (Synode daselbst im Jahre 1262) und in der Reformationszeit Mittelpunkt des Dekanats gleichen Namens wurde. Sie sehen also, wie auch in kirchlicher Hinsicht die Vorrangstellung Helbras betont wird. Was wir an St. Stephan jetzt vor uns sehen, ist im wesentlichen ein Werk des Jahres 1745. Schon 1660 waren während eines heftigen Sturmes Helm und oberer Teil des Turmes eingestürzt, Folgen sowohl des hohen Alters des Gebäudes als auch der Vernachlässigung während des 30 jährigen Krieges. Bis dann Helbra das große Unglück vom 27. 4. 1704 traf, als 40 Häuser, die Schule, die Dekanei und die Kirche abbrannten,, so daß an baulichen Altertumsdenkmalen Helbra nicht eben reich ist. Wenden wir uns daher wieder den Menschen zu, denen Helbra Heimat war und denen, die Helbra heute ihre Heimat nennen. Ich sagte schon, daß Kloster Helfta den Hauptanteil an Gütern, Naturalleistungen und Zinsen in Helbra besaß; mit kleinerem Besitz erscheinen das nahe Kloster Mansfeld und Kloster Gerbstedt. Daß Helfta in Helbra; so reich begütert war, erklärt sich einfach daraus, daß ja das Kloster ursprünglich in nächster Nähe von Helbra, auf der Flur Rodardes- oder Roßdorf domiziliert war. Die Namen der nach Helfta Zinspflichtigen sind uns mehrfach überliefert und die Namen zahlreicher Helbraer, Einwohner werden in den Kirchenvisitationsprotokollen genannt.

Wir machen dabei die übrigens an anderen Orten wiederkehrende Beobachtung, daß etwa alle hundert Jahre gänzlich neue Namen auftreten und kein alter wiederkehrt, offenbar eine Folge der häufigen Pestepidemien, durch die ganze Familien aussterben. Ich nenne Ihnen einige solcher Reihen:

I5.Jhdt.: Berndes, Bokelham, Brauer, Freyse, Lüdecke, Weber.

1525: Blankbach, Brosche, Dunge, Fischer, Hauenstein, Hegemeister, Heine, Krautwurst, Lütge = Lüdecke, Lendefeld, Stuhl, Stroberger, Sontag, Winkler,

1555: Herholt, Cunrat, Lechler, Becker, Fax (Fach?), Geier, Fischer, Matz, Bart, Kroll, Brosche, Bückling, Friesländer (1), Pabst, Rinek, Zange u. a.

Auch aus den Visitationsprotokollen gewinnt man das Bild einer volkreichen Gemeinde, in der die Bergarbeiter überwiegen. Daß sie nach ihrer schweren Arbeit Neigung zum Trunk haben, aber gar keine zum allzuhäufigen Kirchgang, daß sie die Familienfeste — insbesondere Kindtaufen und Hochzeiten — feiern, wie sie fallen und dann gern und ausgiebig feiern, daß sie die kirchlichen Feiertage gerne halten wollten, wenn nur die Schieferfuhrleute sie hielten (die aber gar keine Neigung haben, Wagen und Zugpferde ruhen zu lassen) — wer wollte ihnen das verdenken; daß die jüngeren unter ihnen auch einmal Andreas Schwabes mädchen- und freudenreiches Haus aufsuchen, das ein wenig euphemistisch die „Vicarey" genannt wird, wer wollte da nicht ein Auge zudrücken, wenn sonst, wie es 1578 heißt, die Jugend im Katechismus ziemlich unterrichtet befunden wurde. Man kann an den Visitationsprotokollen ablesen, wie die jeweilige wirtschaftliche Lage der Bergleute, die sich nach den schweren sozialen Kämpfen zwischen 1525 und 1560 gar nicht und später nur langsam besserte, auch die allgemeinen sittlichen Verhältnisse hob, bis — ja, bis auch Helbra der große Krieg von 1618 bis 1648 mit voller Wucht traf. Zwar ist es nicht zerstört worden ( Es sei denn, daß der Name „Jokendorf" des nordöstlichen Dorfteils auf ein erschütterndes Ereignis hindeutet.) zwar haben die Helbraer, wenn auch nur zeitweilig, ihren Ort nicht verlassen, wie wir das von anderen Dörfern der Grafschaft wissen —, auch von Plünderungen erfahren wir nichts, aber jahrelang ist es von Einquartierungen ausgesogen worden. Man muß einmal im Chronicon Islebiense, der Chronik der Eisleber Stadtvoigte gelesen haben, was vornehmlich in den Jahren 1628 bis 1640 nicht nur rings in der Runde um Eisleben, sondern auch und besonders in Helbra an Truppen gelegen hat, und daß je länger je mehr die Verpflegung aus Eisleben herbeigeschafft werden mußte, läßt darauf schließen, daß Helbra wie so viele andere Dörfer ausgesogen wurden bis zum Weißbluten. Nicht minder bedrückend mag die Nähe der Festung Mansfeld gewesen sein, die während des Krieges oftmals die kämpfenden Parteien auf sich zog und ebenso oft den Besitzer wechselte. Und wenn auch, wunderlich genug in diesem nicht enden wollenden Ringen, oftmals eine gute Ernte die allgemeine Lage auf ein oder mehrere Jahre linderte — nach dem Kriege lag der Bergbau vollkommen darnieder, die Schächte verfallen, die Stollen verbrochen, die Bergleute bis auf kaum, zwei Dutzend im ganzen Lande tot oder durch das Kriegswesen in alle Winde zerstreut.

Wir werden, wenn einmal die Forschungen zur Geschichte des Mansfelder Bergbaus, insbesondere aber zur Geschichte des Mansfelder Bergvolks abgeschlossen sind, wahrscheinlich Genaueres erfahren über den Anteil des Mansfelder Bergmanns selbst an der Wiederbelebung des Kupferschieferbergbaus. Wie eine ganze Reihe von technischen Fortschritten auf immer mit Namen von Mansfeldern verbunden sind, die zwar zum Teil sich schon in sogenannten Offiziantenstellungen befanden, deren Väter aber als Häuer noch vor Streb gearbeitet haben, so dürfen wir von den hundert und aberhundert kleinen technischen Verbesserungen, die im Laufe der Jahrhunderte ausgeführt worden sind, sagen, daß sie der praktischen Erfahrung und der Findigkeit der Häuer, der Schachtzimmerer, der Stollenmaurer usw. zu verdanken sind. Das gilt auch für die Jahrzehnte nach dem 30 jährigen Kriege bis zum historisch so bedeutsamen Freilassungspatent von 1671 und darüber hinaus bis auf unsere Tage, wo das betriebliche Erfindungs- und Vorschlagswesen in einer Weise gefördert wird, die auch dem einfachsten, brauchbaren Verbesserungsvorschlag den gebührenden Lohn nicht vorenthält. Ihnen, meine verehrten Zuhörer, eine Bergbaugeschichte Helbras vorzutragen, ist umso weniger meine Aufgabe, als sie darüber in der Festschrift ,,8oo Jahre Helbra" mehr erfahren können, als ich selber bisher wußte. Wenn mir in dieser Festschrift etwas aus dem Herzen gesprochen ist, dann sind es die Sätze auf S. 96, wo u. a. gesagt wird, daß jeder .Einwohner sich für sein Heimatdorf verantwortlich fühlen sollte. „Unser Helbra ist es wert", heißt es da ,,Seine sauberen Straßen, seine schmucken. Häuser, seine schönen Anlagen machen es zu einem Ort, der unsere Liebe verdient und auch braucht“. Ich erinnere mich da meines ersten Besuches in Helbra nach dem Hitlerkriege, mitten im Winter, Anfang Januar 1953. Ich gewann genau den Eindruck, wie ihn die eben zitierten Worte mit Recht behaupten, und ich schrieb damals: „Das Bild dieses außerordentlichen Gemeinwesens wird gehoben durch die vielen prächtigen Bäume: Linden, Rüstern, Kastanien, die überall über die Dächer schauen. Die Hauptstraße ist von einem geradezu städtisch anmutenden Verkehr erfüllt, dessen Motor die August-Bebel-Hütte ist, schon durch ihre Lage über den Grunddörfern das imposanteste Industriebauwerk des Mansfelder Landes, auch bildlich eine wahre Hochburg des Volkseigentums. Wo man auch steht, schließt sie das Panorama ab, und wenn man sie nicht sieht, so hört man doch das Fauchen der Winderzeuger und das Dröhnen der Generatoren in der elektrischen Zentrale. Und manchmal riecht man sie auch — das ist nun nicht zu ändern, wenn der Wind die unablässig den Schloten entquellenden Rauchschwaden über den Ort drückt. Und unablässig ist das Kommen und Gehen der Arbeiter von und zur Hütte, der Mittagsschichtler zu dieser Stunde. Und ich schloß diesen Abschnitt: „Man muß schon sehr verbohrt sein, um vom Schwung dieses Werkfleißes nicht mitgerissen zu werden; dazu gehören auch die Spruchbänder, die Schautafeln, die Aktivistenbildnisse, die warme Frauenstimme, die vom Rathaus aus eine Veranstaltung des Friedenskomites für den Abend ansagt." Es ist mir übrigens bis heute unerfindlich geblieben, warum die Zeitung, die das eben Gesagte abdruckte, den letzten Satz unterdrückte, obgleich er ebenso zum Bilde Helbras gehört wie das andere. Aber ich schildere ja schon das moderne Helbra, und wir verweilten doch eben noch in den schweren Aufbaujahrzehnten nach dem 30 jährigen, Kriege! Nun, in dem ganzen langen 18. Jahrhundert hat die Kriegsfackel nur ein einziges Mal für einige Jahre nach Hclbra hineingeleuchtet, und es ist auch da bei Erpressungen und Plünderungen geblieben. Das besagt aber nicht, daß nun die im Bergbau beschäftigten Einwohner an dem im gleichmäßigen Flore befindlichen Bergwerk einen andern Teil als den knapp bemessenen Lohn gehabt hätten, und noch weniger, daß die Bewohner auf die Gestaltung ihrer eigensten Interessen nennenswert hätten Einfluß nehmen können. In der schon erwähnten Festschrift hören wir von den erstaunlichsten Interessengegensätzen zwischen der Kupfer- schieferbauenden Gewerkschaft und dem Großgrundbesitz, die sich wahre Schildbürgerstreiche leisteten, deren Kosten letztlich doch Bauer und Bergmann tragen mußten. Doch fallen diese Excesse einer klassenmäßig bedingten Verständnislosigkeit schon in das 19. Jahrhundert, da Helbra sich aus einem Bauern- und. Bergmannsdorf immer mehr zu einer Großsiedlung mansfeldischer Berg-und Hüttenarbeiter wandelte und die bodenständige Bevölkerung durch den Zuzug von Arbeitskameraden aus dem Osten und aus dem Süden eine gewisse Umschichtung erfuhr, eine Umschichtung, der nicht zuletzt auch dem politischen Kampf der Bergleute neue Impulse verlieh. Eine Ortsbeschreibung aus dem Ende des 18. Jahrhunderts zeigt uns die enorme Wegstrecke der Entwicklung Helbras innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes von 150 Jahren — rein zahlenmäßig müßte man ähnliche Erscheinungen wohl nur im Ruhrgebiet suchen dürfen. 439 Einwohner hatte Helbra im Jahre 1785. Von 1775—1784 waren 146 Personen geboren worden und 103 verstorben, d. h. damals vermehrte sich die Bevölkerung jährlich im Durchschnitt um 1Prozent. Die Dorfgemeinde verfügte über 185 Morgen Ackerland, 9 Morgen Wiesen und 102 Morgen Anger zur Schafweide. Die 439 Einwohner lebten in 80 Feuerstellen. Vollspänner, d. h. Großbauern im heutigen Sinne des Wortes, gab es überhaupt nicht, sondern nur 10 Halbspänner, keinen großen Kossäten (mit 1—2 Kühen pflügend), wohl aber 30 kleine Kossäten. Eine deutliche Folge der Anwesenheit von Amt, Rittergut und Freigut, die das Auf-kommen eines eigentlichen Bauernstandes verhindert haben. Das ist auch nicht weiter erstaunlich, besaßen doch das Amt 810 Morgen Acker 31/2 Morgen Garten, Rittergut 515 ,, „ 6 „ „ - 2 M. Wiese Freigut 515 ,, ,, 5 „ „ - 5 M. Wiese zus. also 1611 ,, ,, 14 1/2 „ - 7 M. Wiese = 1 632 1/2 Morgen gegen insges. 1296 Morgen Gemeindeland. Nach den Befreiungskriegen, mehr noch nach der Konsolidation der bis dahin getrennt arbeitenden 5 mansfeldischen Gewerkschaften zu einer Gewerkschaft im Jahre 1852, am allermeisten nach dem Siegeszug der Förderung und Wasserhaltung mittels Dampfkraft auf allen Schächten in der Umgebung Helbras, mit der Konzentration des Abbaus auf immer weniger, aber leistungsfähigere Schächte, seit der Abteufung der nahen Ernst-Schächte (1864—1889) und der Erbauung der neuen Hütte südlich des Ortes, der heutigen August-Bebel-Hütte (1880) nahm die Einwohnerzahl eine geradezu unwahrschein- liche Entwicklung: 1818 631, 1869 986, 1871 1484, 1875 1611, 1880 3148, 1865 6014,* (Ueber ein Viertel der männlichen Einwohnerschaft fuhr allein auf den Ernstschächten ein ) ) 1890 7097 — und wir begreifen des bekannten Historikers Leopold v. Rankes Worte, als im Jahre» 1876 er seinen zwar minder berühmten, aber für die Mansfeldische Geschichtsschreibung nicht minder verdienten Kollegen, den Helbraer Ortsgeistlichen Karl Krumhaar besuchte. Ranke schrieb damals: „Über das Land habe ich mich sehr gefreut; es ist voll Leben und Betriebsamkeit; die Bergwerke ziehen auch jetzt wieder eine Menge von Fremden herbei wie einst vor 400 Jahren den Vater Luthers." Was würde ein Ranke heute von Helbra sagen? Man fragt doch oft: würde der und der Mann diesen oder jenen Ort wiedererkennen, wenn er aus seinem Grabe auferstiege ? Scheinbar eine müßige Frage, aber doch eine menschlich begreifliche. Natürlich würde er ihn, auf die alten Gassen und Plätze, vor die Stephanskirche und in den alten Pfarrhof gefühlt wiedererkennen; aber wenn er sähe, was der Mensch seitdem und zuletzt geschaffen hat: das Riesenwerk im Süden des Ortes, die älteren und neuen vorbildlichen Siedlungen, die Bäder und die Sportplätze, die Gärten und die Anlagen, die Krankenhäuser und die Kulturräume, dann würde er — und wir setzen voraus, daß er ein echter Historiker ist — nicht das dumme Gerede von der „guten, alten Zeit" uns auftischen, sondern von einer „neuen, bessern Zeit" sprechen, soviel alte Ideale und Vorstellungen er auch zerbrochen und zertrümmert zu seinen Füßen liegen sähe. Das Leben ist mächtiger als das Tote und Vergangene und das Leben ist gut, wenn Gefühl und Verstand, Wollen und Einsicht es meistern — das wird offenbar, wenn wir von Zeit zu Zeit unsere Blicke nach rückwärts wenden, nicht das Vergangene zu verherrlichen, sondern um es nach seinen echten und falschen Werten zu würdigen und daraus zu lernen; immer aber wollen wir sie dann wieder nach vorwärts richten, mit ihnen all unsere Kraft, unseren Willen und unsere Hoffnung. Wie fruchtbar eine solche Haltung ist, dafür ist die Geschichte der Gemeinde Helbra kein übel gewähltes Beispiel. Ihr, der Gemeinde von über 12.000 Menschen, sei auch von dieser Stelle, aus dem Munde eines bescheidenen, aber immer wieder ob der Fülle der Geschichte, die dieses Land offenbart, begeisterten Mansfeld -Wanderers ein herzlichesGlückauf! zugerufen.