Wenn Geschichte Greifbar Wird… Samstag, 29. April 1944
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Wenn Geschichte greifbar wird… Der Tag, an dem Siedenburg, Staffhorst und Päpsen einer Katastrophe entgingen Samstag, 29. April 1944 Zusammenfassung: Dies ist die Geschichte der „Higgins Crew“, die am Samstag, dem 29. April 1944 im Bereich westlich von Nienburg (Bühren, Pennigsehl-Bockhop, Staffhorst-Päpsen) zusammen mit 2 weiteren US-Bombern des Typs B-24 Liberator (4-motorig) abstürzte (ca. 13:15-13:45 Uhr). Sie gehörten zur 8. US Air Force und waren auf dem Rückweg von einem Bombenabwurf auf Berlin (Bahnhof Berlin-Friedrichstraße). Verschiedene Ursachen führten zu Verzögerungen auf dem Rückflug und dadurch zu einem fehlenden Begleitschutz durch alliierte Jäger im Bereich Hannover-Diepholz. Deutsche Jagdflugzeuge nutzten diese Situation aus, rissen die B24-Verbände auseinander und schossen viele US-Bomber ab oder beschädigten sie. Die B-24 der Higgins Crew war ein Pfadfinderflugzeug mit 11 Mann Besatzung, darunter 2 zusätzlichen Navigatoren , welches eine Formation von 16 B-24 anführte. Es wurde gegen 13:20 Uhr von einem deutschen Jäger im Bereich nördlich von Nienburg an den beiden linken Triebwerken getroffen, welche in Brand gerieten. Das Flugzeug leitete unter weiterem Beschuss einen kontinuierlichen Sinkflug ein, wobei der westliche Kurs über Heemsen, Blenhorst, Wietzen beibehalten wurde. Der Flug endete um 13:25 Uhr mit einem Absturz in Päpsen bei Siedenburg, wobei 2 Navigatoren getötet wurden und 9 mit dem Fallschirm überlebten. Eine der letzten flugfähigen B-24 weltweit ist diese der Collings-Stiftung/USA Vorbemerkung: Die nachfolgende Geschichte ist das Ergebnis einer 4-monatigen Recherche des Verfassers im Sommer 2007. Es ist die Geschichte der Higgins Crew und ihres amerikanischen Bombers B- 24, der an diesem Kriegstag in der Nähe des Wohnhauses des Verfassers abstürzte. Mit Hilfe des Internets gelang es zügig, auf wichtige US-amerikanische Archivinformationen zuzugreifen. Dabei kam der Verfasser in eMail-Kontakt mit der Amerikanerin Annette Tison aus Virginia, deren Onkel am selben Tag und zur selben Stunde bei Lohne-Dinklage in einem anderen US-Bomber ums Leben kam. Von Frau Tison stammen die detaillierten Forschungsergebnisse zum militärischen Auftrag und zum Ablauf der Ereignisse an diesem Tag, während der Verfasser ergänzende Interviews mit Zeitzeugen und archäologische Untersuchungen an der Unfallstelle durchführte. Die Higgins Crew und ihr Flugzeug sind ein kleines Rädchen in der mächtigen alliierten Kriegsmaschinerie, die versucht, Hitlerdeutschland den Garaus zu machen. Während Bomben auf Berlin fallen, bereiten sich im Bereich Nienburg-Sulingen Wehrmachtseinheiten auf die erwartete alliierte Invasion vor… Pipers Erkennungsmarke Start- und Landebahnen in Hethel Die Nacht war kurz gewesen, als Charles Piper um 2:30 Uhr in dieser kalten Aprilnacht geweckt wird. Er ist Feldwebel der 8. US Air Force und Heckschütze eines amerikanischen 4-motorigen Bombers des Typs B24 H Liberator mit der Werk-Nr #41-28676. Piper stammt aus der kleinen neuenglischen Stadt Derry im Bundesstaat New Hampshire. Seine jetzige Unterkunft befindet sich in der Nähe eines englischen Feldflugplatzes namens Hethel südwestlich von Norwich in der englischen Grafschaft Norfolk. Die betonierte Start- und Landebahn ist 1800m lang und wurde ein Jahr zuvor zusammen mit zahlreichen weiteren unter hohem Zeitdruck von englischen Pionieren angelegt, da Norfolk strategisch günstig in Bezug auf Berlin, Hannover und viele weitere Kriegsziele nicht nur Norddeutschlands lag. Heute dient der Ort friedlicheren Zwecken. Dort befinden sich die Lotus-Ford- Sportwagenwerke und nur ein kleines Museum erinnert an die frühere Heimat der 389. Bombergruppe, die damals von hier in Richtung Deutschland startete. Piper ist nicht allein. Mit ihm werden viele andere Soldaten der US-Luftwaffe geweckt, auch die 8 weiteren Besatzungsmitglieder seines Bombers, die er zumeist schon seit dem Jahre 1943 in den USA kennt, wo sie zusammen ausgebildet wurden und dann im September den Weg nach Hethel über Kansas, Maine, Neufundland, Island und Glasgow-Prestwick in Schottland antraten: Hauptmann Joseph Higgins (Pilot); Leutnant Perry Wharton (Copilot); Leutnant Harry Casey (Navigator) ; Leutnant Chester Broyles (Bombenschütze); Feldwebel Thomas Sumlin (Funker); Feldwebel Myron Boerschinger (MG-Schütze, Techniker), Feldwebel David York (oberer MG-Schütze), Leutnant Harry Putnam (Navigator). Das Foto zeigt stehend von links: York, Newberry, Charles Piper, Bookout, Boerschinger, Sumlin, kniend von links: Wharton, Joseph A. Higgins, Casey und Chester Broyles (August 1943) Diese 9 haben im Durchschnitt schon über 20 Bombenflüge hinter sich. Für Piper ist es der 24. Einsatz. Noch ein weiterer, und er kann „rotieren“, d.h. er darf per Schiff über Liverpool nach Amerika zurückfahren. Bis zum Februar 1944 gehörten sie als normale Bomberbesatzung zur 392. Bombergruppe, die 40 km weiter westlich stationiert ist. Seit dem 22. März fliegt sie als Pfadfinderflugzeug (sogenannte PPF-crew) einer Gruppe von 16 B-24-Bombern voran, die zu wechselnden Bombergruppen gehören. Ihr Flugzeug verfügt dazu über eine erweiterte navigatorische und Radarausrüstung (H2X-Bodenradar) sowie personell über einen weiteren Navigator für die terrestrische Navigation, der die beobachteten Bodenmerkmale mit der Karte abgleicht. Der erste Flug dieses Tages ist ein sehr kurzer. Es geht nach dem Abheben nur 20 km südwestlich weiter zur 453. Bombergruppe nach Old Buckenham, wo ihr Flugzeug mit Bomben beladen wird und sie am Briefing teilnehmen. Unter „Briefing“ versteht man die gemeinsame Einsatzbesprechung aller beteiligten Besatzungen. Auswertungskarte einer am Angriff vom 29.4.44 beteiligten Bombergruppe der 8. US Air Force nach dem Einsatz (apparent track = tatsächliche Rückflugroute) Ein großes Raunen geht durch die Reihen, als sie erfahren, dass heute der bis dahin größte Tagangriff der 8. US Air Force geflogen werden soll. Von 7-8 Uhr sollen insgesamt 1500 Flugzeuge abheben. Der Bahnhof Friedrichstraße wird als ein strategisch und infrastrukturell kriegswichtiges Ziel angesehen, dessen Zerstörung das Berliner Verkehrswesen nachhaltig einschränken soll. Als sie um 7:15 Uhr starten, wissen sie nicht, dass dies ihr letzter Start im 2. Weltkrieg ist und sie unplanmäßig in Norddeutschland in den früheren Kreisen Sulingen und Nienburg landen werden. In Old Buckenham haben sie Oberstleutnant Robert C. Sears (gest. 1994), einen Kommandeur der 453. Bombergruppe, sowie Leutnant Robert Sosa mit an Bord genommen, der navigatorische Praxiserfahrungen sammeln soll. Während des Steigflugs im Morgengrauen sammeln sich die Bomber in vorher festgelegten Räumen, damit ein zeitplangemäßer und räumlich gestaffelter Abflug dieser größten bis dahin gesehenen Luftarmada möglich wird. 751 Bomber, die von 800 alliierten Jagdflugzeugen eskortiert werden, bewegen sich an diesem Morgen über die Nordsee auf das Ijssel-Meer zu. Ziel ist der Berliner Bahnhof Friedrichstraße. Berlin, Bahnhof-Friedrichstraße Sie sind in 3 Wellen organisiert. Pipers Bombenschütze Broyles führt, unter dem Kommando von Oberstleutnant Sears, die 2. Division innerhalb der 3. Welle. Nach ca. 200 km Steigflug wird die Reiseflughöhe von 6300 – 6800m erreicht, weitere 650 km sind es noch bis Berlin. Der Dümmer und das Steinhuder Meer sind auf deutschem Territorium wichtige Orientierungspunkte für die Navigatoren. Piper berichtet dem Verfasser im August 2007 telefonisch, dass der Hinflug nach Berlin ohne größere Probleme verlief, von einigen Flak-Angriffen abgesehen. Möglicherweise fiel dabei eine Radarantenne aus, denn Chester Broyles (gest. 2004) berichtet in seinem Kriegstagebuch, dass ihr Flugzeug 75 Meilen vor Berlin ihr Hochfrequenz-Radargerät H2X, das für den Bombenabwurf vorgesehen war, nicht mehr benutzen konnte und er daraufhin die Führung der 2. Division abgab, da er einen zielgenauen Bombenabwurf durch die Wolken nicht mehr gewährleisten konnte. Nach Piper sei während des gesamten Hinflugs und ein kurzes Stück des Rückflugs eine Jägereskorte in Sicht gewesen. Putnam berichtet in seinem MACR-Report (das ist ein standardisierter Bericht gegenüber dem US-Kriegsministerium, den alle aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten US-Offiziere 1945 ausfüllen mussten, um das Schicksal vermisster oder gefallener Besatzungsmitglieder aufzuklären) , dass die Bomben um 12:20 Uhr abgesetzt wurden und der Verband anschließend einen zu weit südlichen Kurs in einer Höhe von 20.000 Fuß flog. Broyles berichtet, dass ihre Bomben das geplante Ziel, den Bahnhof Friedrichstraße in der Innenstadt Berlins, teilweise verfehlten. Bedingt durch gegenseitige Behinderungen der verschiedenen Bomberverbände während des Bombenlaufs und durch einen verstärkten Gegenwind während des Rückflugs addieren sich nun Faktoren auf, die zu einer ca. 50-minütigen Verspätung des Verbands führen, als dieser den Bereich Hannover auf dem Rückflug erreicht. Diese Verspätung sollte Folgen haben. Die eskortierenden Jagdflugzeuge des Typs B-51 Mustang und P-38 Lightning verlassen die Bomberformationen auf dem Rückflug, da ihr Treibstoffvorrat begrenzt ist. Die Jäger des Typs P-47 Thunderbolt mussten schon früher umkehren. Um 11:50 Uhr finden sich über Nienburg/Weser mehrere später aufgestiegene alliierte Jägereskorten ein, um die aus Berlin zurückkehrenden Bomber in Empfang zu nehmen. Focke-Wulf 190 P-51 Mustang Das Verhängnis nimmt nun seinen Lauf, als dieses Rendezvous misslingt. Um 12:50 Uhr verlassen die letzten alliierten Jäger dieses Einsatzes den Bereich Nienburg aus Treibstoffmangel, nachdem einige z.T.