Deutschland M. ZUCHT / DER SPIEGEL Arbeits- und Sozialminister Riester im Bonner Kabinettssaal: „Eigentlich bin ich ein Einzelkämpfer“

bach die entscheidenden Strippen. Er lo- MINISTER tete vorab Kompromisse aus, gestand den Arbeitgebern zu, daß auch über die Steu- erreform verhandelt werde. Riester hatte Vermarktet und vergessen das im Wahlkampf abgelehnt. Beim Gerangel um die 630-Mark-Jobs Der Quereinsteiger Walter Riester wollte in Bonn vieles besser schufen Gerhard Schröder und Finanzmi- nister ständig neue Fak- machen – und geriet ins Abseits. Unverdrossen ten, die Riester anschließend vertreten setzt er mehr auf die Macht der Vernunft als auf die der Medien. mußte. Als der Finanzminister auf dem Parteitag kundtat, Sozialleistungen sollten ür den Start ins Bonner Ministeramt Als sich am vergangenen Wochenende stärker auf Bedürftige konzentriert wer- bekam Walter Riester ein paar Tips die SPD-Fraktion versammelte, um über den, war der Arbeits- und Sozialminister Fvon Robert Reich. Aus einem Buch Sozialpolitik zu debattieren, war Riester zuvor nicht eingeweiht worden. des früheren amerikanischen Arbeitsmini- immerhin eingeladen. Doch wenn die Schon vergleichen einige von Schröders sters kopierten Gewerkschaftskollegen Chefs der Wirtschaft und der Gewerk- hannoverschen Weggefährten Riester mit eine Elf-Punkte-Liste – eine Art Verhal- schaften zum Bündnis für Arbeit beim der früheren Greenpeace-Chefin Monika tenskodex für richtig große Tiere. Kanzler vorfahren, ist Riester nicht viel Griefahn, einst Umweltministerin im nie- „Ein Obermolli trägt kein Gepäck“, mehr als eine Randfigur. Noch im Wahl- dersächsischen Landeskabinett: erst ver- heißt die erste Regel. Eine andere: „Im- kampf war er als Schröders Mann für den marktet, dann vergessen. mer in die Kamera linsen.“ Außerdem Runden Tisch gefeiert worden. Doch an- In der Bonner Welt der Showmaster und müsse ein Minister vor allen anderen durch statt des zierlichen Arbeitsministers zog Selbstdarsteller, der inszenierten Konflikte offene Türen schreiten: „Ein Zampano der bullige Kanzleramtschef Bodo Hom- und der falschen Freundlichkeiten ist Riester wartet nicht an der Schwel- noch nicht angekommen. Weil er sich nicht le und sagt ,nach Ihnen‘. Das ständig selbst lobt, werden erste Erfolge wie macht nur ein Unterling.“ die Absenkung des Rentenbeitrags auf 19,5 Damals hat Riester, 55, die Prozent überhaupt nicht registriert. Kollegen ausgelacht. Selbst- Statt dessen trat er kürzlich ohne Not bewußt verkündete er im eine schädliche Debatte los, als er „Bild“ Wahlkampf, er werde alles neue Rentenpläne anvertraute: Riester er- anders machen: Weniger zählte, er wolle die Erhöhung der Renten Schaukämpfe und mehr nicht länger an den Anstieg der Nettolöhne „vernetztes Denken“ woll- koppeln. Die Opposition zeterte, die Rent- te er, im Kabinett diskutie- ner empörten sich, der Arbeitsminister ren und gemeinsam mit den mußte sich am gleichen Tag korrigieren. Kollegen entscheiden. Die gute Nachricht ging aber im Getöse Nun regiert er mit in unter: Gerade in diesem Jahr werden die Bonn. Aber die Macht, so Renten wieder kräftig steigen. scheint es nach den ersten Selbst seine eigenen Berater schüttelten Wochen, ist immer da, wo er den Kopf. Schließlich war mit dem Vorstoß nicht ist. nichts zu gewinnen: Die strittige Entschei- dung fällt erst im Jahr 2001; ferner sind

* Mit Klaus Zwickel und Jörg Bar- PRESS M. BECK / ACTION wegen eines bevorstehenden Urteils des czynski von der IG Metall. Gewerkschafter Riester (1994)*: Astreine Arbeiter-Vita Verfassungsgerichts, ob Renten wie Pen-

78 der spiegel 10/1999 Deutschland sionen besteuert werden sollen, ohnehin behalten bleibt. Eine Fremdenführerin gerechnet den Mann, der für Amtsvorgän- alle Pläne vorläufig. schob ihm auch noch kleine Kinder zu: ger Blüm den umstrittenen demographi- „Völlig überflüssig“ sei die Rentendebatte „Der Minister sorgt dafür, daß eure Väter schen Faktor in der Rentenformel erfand. gewesen, meint der Darmstädter Ökonom Arbeit haben.“ Wirkte Riester nicht so kopflastig, er Bert Rürup, den der Minister in seinen Ex- Was wäre das für eine Vorlage für Norbert wäre der Traum jedes Bonner Polit-Ver- pertenzirkel für die große Rentenreform Blüm gewesen! Andere Politiker hätten sich käufers. Denn der Mann verfügt nicht nur geholt hat. „Warum bloß macht der Riester vielleicht verweigert, doch Riester lächelt über eine astreine Arbeiter-Vita, er lebt das?“ Der versteht das Problem nicht. Hat im Kölner Dom, macht gehorsam mit, aber auch noch so: Am liebsten ißt er Frikadel- er nicht „eine gute sachliche Diskussion“ so, daß jeder sieht, wie er sich quält. len und Bratkartoffeln, den Sommerurlaub angezettelt? Mit fröhlichen Augen blickt Er will kein Spielverderber sein, doch verbrachte er damit, sein Bad zu fliesen: Riester um sich, wenn er weitere „unan- er kann sich nicht inszenieren. Was er ein- „Dabei erhole ich mich am besten.“ genehme Wahrheiten“ verheißt: mal als richtig erkennt, versucht Aufgewachsen ist Riester in einem ärm- „Blüms Behauptung, die Rente er durchzusetzen, notfalls gegen lichen Stadtteil Kaufbeurens bei seiner sei sicher, habe ich nie geglaubt.“ Tapfer massive Widerstände. „Eigent- Mutter; der Vater hatte die Familie verlas- Seine Schwäche ist sein tröstet sich lich bin ich Einzelkämpfer“, be- sen. Die Mutter brachte ihm bei, sich im bedingungsloser Glaube an die Riester mit kennt er. Bei der IG Metall er- Leben wie im Job nichts gefallen zu lassen. Kraft des Arguments. Das der Hoffnung, warb er sich einen Ruf als Quer- Riester lernte Fliesenleger. Als einmal Denken in Meinungsumfragen daß „die denker und Reformer. bei der Lohnabrechnung 50 Mark fehlten, und Einschaltquoten ist Riester Ähnlich wie der sechs Mona- beschwerte er sich beim Arbeitgeber. Spä- fremd, er will nicht recht be- Realität sich te jüngere Schröder bezieht er ter protestierte er mit Erfolg dagegen, am kommen, sondern recht behal- durchfrißt“ sein Selbstvertrauen daraus, daß Samstag aufräumen und putzen zu müssen. ten. Das Gezerre um die 630- ihm der Aufstieg von ganz unten „Damals habe ich begriffen, daß man als Mark-Jobs empfindet er nicht als Nieder- ganz aus eigener Kraft gelungen ist. Doch Arbeitnehmer für sein Recht kämpfen lage: „Das Endergebnis ist besser als mein wo der Kanzler Stimmungen wittert und muß“, erinnert er sich. eigener Vorschlag“, sagt er. „Das ist, was sie bei seinen Entscheidungen nutzt, ar- So wurde Riester Gewerkschafter und für mich zählt.“ rangiert der Gewerkschafter sich nur, wenn 1966 auch Sozialdemokrat. In Baden-Würt- Das Gefühl für öffentliche Wirkung geht es gar nicht mehr anders geht. temberg saß er im Präsidium der Landes- Riester ab. Weder durchschaut er die Me- Um sich nicht zu verrennen, reibt er sich partei. Das Etikett „Quereinsteiger“ geht dienwirksamkeit von Konflikten, noch ver- am Widerspruch. Bei Sozialstaatsdebatten ihm deshalb auf die Nerven. Bei keiner fügt er über passende Gesten zur rechten beruft er sich am liebsten auf Warnfried Rede vor Parteifreunden fehlt das demon- Zeit. Bei einer Visite mit EU-Amtskolle- Dettling, den Politologen und einstigen Stra- strative „Wir“. gen im Kölner Dom sollte er im Stuhl po- tegen aus der CDU-Parteizentrale. In seine Tatsächlich könnte Riesters Bindung an sieren, der sonst Papst und Hochadel vor- Rentenkommission berief er mit Rürup aus- die Gewerkschaften kaum stärker sein. Durch sie hat er den Aufstieg aus ma ist der Wandel der Erwerbsarbeit, der bescheidenen Verhältnissen ge- Abschied vom Vollzeitjob auf Lebenszeit. schafft. Fast alle Stationen vom Beide wollen die Sozialsysteme rüsten für Jugendsekretär bis zum Zweiten die steigende Zahl von Job-hoppern, Teil- Vorsitzenden hat er in der Orga- zeitkräften und Langzeitarbeitslosen. nisation durchlaufen. An der Rentenreform wird Riester ge- 1969 konnte Riester für einein- messen werden. Große Sympathien kann halb Jahre an der Gewerkschafts- er damit kaum erringen. Wieder mal hat akademie in Frankfurt studieren. die SPD zu vielen zu vieles versprochen: Es war die Zeit der Studentenre- Der neuen Mitte niedrige Beitragssätze, volte, doch von den Straßenkämp- den Alten weniger Abstriche als bei der fer-Erfahrungen eines Joschka Kohl-Reform. Die Arbeitgeber haben aus Fischer trennen ihn Welten. Schröders Wahlreden die Ankündigung ei- Als Riester, der Enge der nes neuen, kapitalgedeckten Systems her- bayerischen Provinz entronnen, ausgehört. Die Gewerkschaften wollen ge- sich unversehens in turbulenten nau das verhindern, auf jeden Fall. Hörsälen und Straßendemos wie- Riester hier, Riester dort, Riester oben,

derfand, ließ er sich zwar auf die REUTERS Riester unten – der Arbeitsminister muß Grundsatzdebatten jener Zeit ein, Riester, Arbeitgeberpräsident Hundt: Ziemlich allein den „Figaro“ der Koalition geben, mode- den Szenepartys aber blieb er rieren, integrieren, reformieren.Außerdem fern. Brav übernachtete der Gewerkschaf- den-Württemberg, Dieter Spöri, sagte er ist er Schröders Mann für schlechte Nach- ter im Wohnheim, fuhr am Wochenende nein, als der ihn 1992 ins Kabinett der richten, der Prügelknabe, wenn die Ar- zur Ehefrau und zog nach der Ausbildung Großen Koalition in Stuttgart holen woll- beitslosenzahlen nicht sinken wie geplant. erst nach Stuttgart, dann wieder in eine te. VW-Chef Ferdinand Piëch scheiterte Tapfer tröstet er sich mit der Hoffnung, Kleinstadt, diesmal ins schwäbische Geis- beim Versuch, ihn als Arbeitsdirektor nach daß „die Realität sich durchfrißt“.Wenn sie lingen. Wolfsburg abzuwerben. ihn aber auffrißt, dann kann er erleichtert Im Schwäbischen war er Bezirkssekretär Erst Gerhard Schröder hatte Erfolg. Nun die elfte der Weisheiten seines Amtskolle- der IG Metall, sein Traumjob. Immer wie- sitzt Riester in der Bundesregierung und ist gen Reich angehen. Die bezieht sich auf der handelte er wegweisende Abschlüsse ziemlich allein.Wichtige Genossen nennen das Leben nach der Politik und behauptet: aus, etwa den Einstieg in die 35-Stunden- ihn einen „Traumtänzer“. Am schwersten sei es, „das ministerielle Woche. Er machte von sich reden und be- Den besten Draht hat er zur grünen Ge- Gehabe“ wieder zu verlernen. Das aber kam attraktive Angebote, die er ablehnte. sundheitsministerin . Beide wäre Walter Riesters leichteste Übung. Dem früheren SPD-Vorsitzenden von Ba- denken ähnlich über Sozialpolitik, ihr The- Elisabeth Niejahr