„Das Muss Fetzen“ Kanzler Gerhard Schröder Will Den Bürgern Bis Zur Bundestagswahl 2002 Nicht Mehr Viel Veränderung Zumuten
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Deutschland KOALITION „Das muss fetzen“ Kanzler Gerhard Schröder will den Bürgern bis zur Bundestagswahl 2002 nicht mehr viel Veränderung zumuten. Doch die Grünen möchten mit weiteren Reformen ihr Profil verbessern. Beim Koalitionsgespräch diese Woche ist Krach programmiert. In beinahe allen Bundestagsausschüssen spielte der grüne Koalitionspartner auf Kon- frontation. Stolz strahlt Fraktionschefin Kers- tin Müller, wenn sie verkündet, dass man sich „eben mal ein bisschen gefetzt“ habe. Am vergangenen Dienstag, als das Fetzen kein Ende nehmen wollte, reichte es Struck. Die Tagesordnung für den Bundestag, der den Bauern-Bonus verabschieden sollte, war schon gedruckt, als er entschied, den Streit mit einem Nein zum Billigdiesel zu be- enden. Wütend raunzte der SPD-Frak- tionschef seinen Grünen-Amtskollegen Rez- zo Schlauch auf dem Flur an: „Wenn das so weitergeht, werde ich wieder öffentlich vor- lesen, wer von euch schon wieder gegen diese Koalition gemault hat.“ Das von den Grünen vergangene Woche angezettelte Durcheinander ist zielvolle Pro- vokation. Nach der SPD startet jetzt auch die Öko-Partei zum Marathon für die Bun- destagswahl 2002. Damit man das auch merkt, hat sie sich im Vergleich zur SPD für die entgegengesetzte Strategie entschieden: Während der Modernisierungskanzler Ger- hard Schröder das Reformtempo nach zwei Jahren kontrolliert abbremsen will, tritt der Koalitionspartner, der der SPD bislang handzahm folgte, plötzlich aufs Gaspedal. Wo die Sozialdemokraten auf ihren bis- herigen Lorbeeren ausruhen wollen, drän- gen die Grünen, angeführt von den neuen Parteichefs Renate Künast und Fritz Kuhn, lärmend auf weitere Veränderungen. DPA „Diese Regierung würde einen Riesen- Kanzler Schröder: Das Regieren mit scheinbar leichter Hand ist vorbei fehler machen, wenn sie jetzt eine Reform- PD-Fraktionschef Peter Struck fühlte sich wie in GESUNDHEITSREFORM Sden frühen Chaostagen Die Grünen wehren sich gegen der rot-grünen Koalition. Grünen-Parteichef Fritz Kuhn weitere Belastungen im Etat ihrer verlangte Milliarden-Nachbes- Ministerin Andrea Fischer, die serungen zu Gunsten von Arbeitsminister Walter Riester ihr Gesundheitsministerin Andrea zuschieben will. Fischer. Der grüne Haushalts- experte Oswald Metzger schimpfte über großzügige Geschenke von Bundesfinanz- minister Hans Eichel an die Bundesan- stalt für Arbeit. Und die grüne Hoffnung Matthias Berninger hintertrieb eine Sen- kung der Dieselsteuern für Landwirte, die Struck dem sozialdemokratischen Land- wirtschaftsminister Karl-Heinz Funke zu- gesagt hatte. BOENING / ZENIT P. J. 22 pause einlegen würde“, mahnt Grünen- Chef Kuhn: „Man kann doch nicht den Re- formstau und Mehltau aus 16 Jahren Kohl beklagen und dann so tun, als könne man nach zwei Jahren mit den Reformen auf- hören. Das halte ich für völlig absurd.“ Beim ersten Koalitionsgespräch seit Mo- naten will Kuhn an diesem Dienstag im Kanzleramt dem zaudernden Regierungs- chef und SPD-Vorsitzenden Schröder Bei- ne machen. Eine ganze Palette an Vorhaben – von einer zweiten Bahnreform bis zu pro- vokanten Initiativen in der Bildungspolitik – will der tatendurstige Schwabe noch in dieser Legislaturperiode anpacken: „Ich schlage einen Bahngipfel vor. Es gibt keinen Bereich von so hohem politischen Koordi- M. URBAN nierungsbedarf wie den bei der Bahn“, Grünen-Sprecher Künast, Kuhn: „Eine Reformpause wäre ein Riesenfehler“ drängt der Schienenfreund. Noch bis zur Sommerpause hatte Schrö- (siehe Seite 27). Ähnlichen Widerstand er- neut zu verwässern. Anders als geplant der geglaubt, er habe mit seinem Sparpa- lebten die überraschten SPD-Strategen wollen Riester und Eichel die private Al- ket, mit der Steuer- und Rentenreform den plötzlich auf fast allen anderen Feldern. tersvorsorge erst 2002 beginnen lassen. Deutschen genug zugemutet. Aber ob Zu- Nachwuchsmann Berninger, der den Bau- Dann würde die Kürzung des Rentenni- wanderung oder Verkehr, Gesundheit oder ern die versprochenen Subventionen für veaus für die Alten, die mit der privaten Bildung – die Probleme brauchen dringend Dieselkraftstoff verweigerte, war beson- Lösung einhergeht, erst nach dem Wahltag Lösungen. Plötzlich ist das Regieren mit ders rührig als Störenfried. Um die Zu- einsetzen. „Beschiss an der jungen Gene- scheinbar leichter Hand für den Kanzler kunft der Bahn zu sichern, sprach er sich ration“, moserte erbost die Grünen-Haus- vorerst vorbei. Nun lastet nicht mehr nur gegen teure Begleitmaßnahmen beim ge- hälterin Antje Hermenau. der Dauerclinch mit den Gewerkschaften planten Personalabbau aus: Er sei „nicht Die SPD wurde vom Vorpreschen der und der SPD-Linken auf Schröder. Hinzu bereit, aus Gründen des sozialen Friedens Grünen kalt erwischt. Der rheinland-pfäl- kommen Konflikte mit den unzufriedenen die Investitionen bei der Bahn zu kürzen“. zische Ministerpräsident Kurt Beck, der im Arbeitgebern, unruhigen SPD-Minister- Schließlich forderte Berninger die Sozi- März nächsten Jahres wiedergewählt wer- präsidenten – und dem unverhofft aufsäs- aldemokraten auf, vor der Bundestagswahl den will, hatte Kanzler Schröder in seinem sigen Koalitionspartner. einen zweiten Anlauf für die zunächst ge- vorsichtigen Kurs bestärkt. Er erlebt die Unter dem wachsenden Druck von vie- scheiterte große Bafög-Reform zu unter- demoskopischen Befunde, die SPD-Bun- len Seiten droht Schröder die Herrschaft nehmen. Sein SPD-Pendant Stephan Hils- desgeschäftsführer Matthias Machnig be- über die politische Linie zu verlieren. Der berg entgegnete wütend, das sei doch erst ständig vorträgt, daheim am eigenen Leib: barsche „Basta“-Ruf beim ÖTV-Gewerk- für die Zeit nach der Wahl ausgemacht. Trotz guter Konjunktur und sinkender Ar- schaftskongress in Leipzig, mit dem er sei- Grünen-Haushaltsexperte Metzger ver- beitslosigkeit blicken die SPD-Stamm- ne Entschlossenheit zur Rentenreform be- langte währenddessen, den Beitrag zur Ar- wähler skeptisch auf ihre Oberen in der kräftigte, täuscht nicht über das taktische beitslosenversicherung von heute 6,5 Pro- Regierung – Angst vor Wandel. Leitmotiv des Kanzlers hinweg. Mit Rück- zent um mindestens einen Prozentpunkt zu Schon jetzt habe die SPD den Leuten sicht auf die SPD-Stammklientel lautet es: senken. Riesters Sprecher wies das erregt als zu viel Veränderungsstress zugemutet, um strecken, schieben, abräumen. „Harakiri für die aktive Arbeitsmarktpoli- sich ihnen als Beschützer präsentieren zu Dagegen schlägt nun die Grünen- tik“ zurück. Dann könne man ab Januar können, erläuterte Machnig intern. Auf die Führung Krach. In der Gesundheitspolitik 2001 praktisch keine neuen arbeitsmarkt- Forderung nach „lebenslangem Lernen“ will Kuhn nicht hinnehmen, dass Arbeits- politischen Maßnahmen mehr bewilligen. reagiere der klassische Facharbeiter ver- minister Walter Riester (SPD) seinen Etat Heftige Proteste der Grünen erntete die ängstigt: „Der übersetzt: Ich genüge nicht, auf Kosten der grünen Kabinettskollegin SPD für den Versuch, die Rentenreform meine Aus- und Fortbildung reicht immer Andrea Fischer um Milliarden entlastet auf Kosten der jüngeren Generation er- noch nicht.“ Diese Verängstigung thematisiert in bei- nahe jeder SPD-Gremiensitzung in Berlin auch Landesvater Beck. Die Wut über die rot-grüne Ökosteuer hat seine Partei in den Umfragen erstmals hinter die CDU mit ihrem blassen Kandidaten Christoph Böhr zurückgeworfen. Deshalb forderte Beck am vergangenen Donnerstag – mit Blick auf seine heimischen Bauern – von Schröder fi- A. FROESE / CARO nanzielle Hilfen für die deutschen Land- wirte. Die Rentenreform, hat- RENTENREFORM te Beck zuvor postuliert, solle auf die Zeit nach seiner Land- Die von der SPD geplante Verschie- tagswahl verschoben werden. bung der Reform empört die Grünen, Die Opposition frohlockt. da die jüngere Generation – ihre CDU/CSU-Fraktionschef Fried- Wahlklientel – eher belastet wird als rich Merz weiß: „Dem Schrö- die der Rentner. der läuft die Zeit davon.“ Tatsächlich sieht der Kanzler 23 schlossen haben. Das reicht, wie ein führender Genosse bekräftigt: „Etwas Großes kann man doch in dieser Legisla- turperiode gar nicht mehr anpacken.“ Zu- mal im Wahljahr 2002 auch noch das Thema Eu- GEWERKSCHAFTEN ropa ansteht. Die Bürger, Trotz des barschen „Basta“ erläutert ein SPD-Strate- auf dem ÖTV-Kongress kommt ge, hielten dann erstmals Schröder den Funktionären den Euro in der Hand – „und es wird viele Kräfte entgegen – sie stehen für absorbieren, die Ängste seine Stammwählerschaft. der Leute dagegen abzu- wehren“. M. URBAN Mangelndes Selbstvertrauen bei der SPD? Auch die neue Angriffslust der Grü- diese Gefahr. So rasch wie möglich will er te Zusage zu dämpfen, die Entfernungs- nen rührt keineswegs aus einem Gefühl darum die verbleibenden Gesetzesvorha- pauschale ab 2001 auf 80 Pfennig pro Ki- der Stärke. Unverändert dümpeln sie laut ben durchbringen: Die Rentenreform, so lometer zu erhöhen. Annähernd die Hälf- Umfragen bei sechs Prozent – zu wenig, um die aktuelle Planung, soll bis Januar durch te der Kosten in Höhe von fast zwei Milli- 2002 wieder sicher als Koalitionspartner den Bundestag gepeitscht und am 14. Fe- arden Mark sollen die Länder mittragen. für Schröder zur Stelle zu sein. bruar in der Länderkammer endgültig be- NRW-Regierungschef Wolfgang Clement „Wir müssen bei der Bundestagswahl schlossen werden. Was drinsteht, wird im- hatte sich bei einem rotweinschweren 2002 acht, besser neun Prozent auf dem mer gleichgültiger. Abend mit Schröder Ende Oktober nicht Konto haben, das muss fetzen“, verlangt Bei der Homo-Ehe, ohnehin keine Her- erweichen lassen. Am vorigen Donners- Parteichef Kuhn. Den Umschwung