Statistik.Info 15/2005
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STATISTISCHES AMT 15/2005 DES KANTONS ZÜRICH h Peter Moser Statistisches Amt des Kantons Zürich Politik im Kanton Zürich – eine Synthese Zusammenfassung Die Politik im Kanton Zürich weist eine klar dreipolige Struktur auf. Dies zeigt eine Analyse der Wahl- und Abstimmungsresultate der vergangenen Jahre sowie der «Selects»-Repräsentativbefragung, die im Nachgang der National- ratswahlen 2003 durchgeführt wurde. Die politische Weltsicht einer ersten www.statistik.zh.c Gruppe von Stimmbürgern ist nationalkonservativ geprägt; sie wählt vorzugs- weise SVP, und ist anteilsmässig in ländlichen Gegenden (Weinland) besonders stark. In klarer Opposition zu ihr steht die links-progressive Stimmbürger- schaft, die tendenziell SP oder Grün wählt und in den grossen Städten beson- ders stark vertreten ist. Von diesen beiden Gruppen unterscheidet sich die dritte, zahlenmässig kleinere Gruppe durch ihre marktwirtschaftliche, Staats- interventionen abgeneigte Grundhaltung. Sie wählt FDP und ist in den einkommensstarken Gemeinden der stadtnahen Zürichseeufer konzentriert. Die Selects-Befragungsdaten zeigen zudem, dass in soziodemographischer Hin- sicht der klarste Graben zwischen der Anhängerschaft der SVP und derjeni- gen der übrigen Parteien verläuft. Die Arbeiter und Angestellten ohne höheren Bildungsabschluss finden sich vor allem bei der SVP, während die beruflich höher Qualifizierten und besser Gebildeten generell eher SP, die Grünen oder FDP wählen. Innerhalb dieser Gruppe bilden die «soziokulturellen Spezialisten» (z. B. Pflegepersonal, Lehrer etc.) die Kernwählerschaft der beiden Links- parteien, während sehr gut verdienende Führungskräfte aus der Privatwirtschaft typischerweise eher zur FDP neigen. english abstract Seite 19 Daten, Informationen, Analysen @ statistik.info 17 Politik STATISTISCHES AMT 15/2005 statistik.info DES KANTONS ZÜRICH Einleitung Stimmenanteil in den Gemeinden einhergeht, steht, ausser in sehr speziellen Konstellationen unter dem Vorbehalt des Der Kanton Zürich ist der bevölkerungsreichste Kanton der sogenannten ökologischen Fehlschlusses. Umsichtig inter- Schweiz: Er stellt deshalb auch am meisten Nationalräte, 34 pretiert können Aggregatsdaten aber trotzdem wertvolle an der Zahl, d. h. rund ein Sechstel des Totals. Schon allein Einsichten verschaffen – zumal sie oft das Einzige sind, was aus diesem Grund interessiert die Politik im Kanton Zürich wir haben.2 nicht nur seine eigenen Einwohner sondern auch den Rest der Schweiz. Im vergangenen Jahrzehnt war Zürich zudem Bei Befragungsdaten treten diese Probleme nicht auf: Die Ausgangspunkt einer Gewichtsverlagerung im schweizeri- verschiedenen Fragen werden denselben Individuen gestellt, schen Parteiensystem, die nach und nach auch die übrige wodurch direkt ermittelt werden kann, wie hoch z. B. der Schweiz erfasst hat: Der ideologische Wandel und damit Anteil der EU-Beitrittsbefürworter unter den SP-Wählern auch der Aufstieg der SVP zur stärksten Schweizer Partei be- in der Stichprobe ist. Nach den Nationalratswahlen 2003 gann hier. Mit dem Zentrum Zürich, den suburbanen Agglo- wurde mit «Selects» eine gesamtschweizerische Befragung merationsgemeinden, der wohlhabenden Goldküste und zum Wahlverhalten und zu den politischen Einstellungen den ländlichen Gebieten z. B. im Weinland weist der Kanton der Stimmberechtigten durchgeführt.3 Der Kanton Zürich eine Binnenstruktur auf, die viele der Gegensätze vereint, die hat sich daran finanziell beteiligt, was eine Aufstockung der auch für die übrige Schweiz von Bedeutung sind: Wie sich Stichprobe auf seinem Gebiet ermöglichte. Mit 634 befrag- zeigen wird, können die Kantone der Deutschschweiz in der ten Zürcher Stimmberechtigten ist die Stichprobe gross ge- politischen Landschaft des Kantons Zürich verortet werden. nug, um zumindest für die Anhängerschaften der grösseren Die vorliegende Publikation gibt einerseits einen Überblick Parteien repräsentative Aussagen auf Kantonsebene zuzu- über die gegenwärtige Lage, befasst sich aber auch mit den lassen. Eine Regionalisierung ist dagegen bei dieser Stichpro- wesentlichen Entwicklungen und deren Ursachen. Nicht bengrösse nicht sinnvoll. Sie muss sich auf Aggregatsdaten zuletzt liefert sie so auch Hintergrundinformationen zum abstützen. besseren Verständnis der Kurzanalysen und Hochrechnun- gen, die das Statistische Amt an den Abstimmungs- und Dieser Analyse liegen Daten zu eidgenössischen Urnengän- Wahltagen jeweils veröffentlicht.1 gen zugrunde. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits sind die eidgenössischen Aggregatsdaten in homogenisierter Form weit zurück verfügbar, und auch die Selects bezieht Aggregats- und Befragungsdaten als Quelle sich auf die Nationalratswahlen. Andererseits weichen die kantonalen Wahlresultate in der Regel nur unwesentlich von Diese Analyse des politischen Geschehens im Kanton Zürich den nationalen ab. Die Resultate der eidgenössischen Ab- kombiniert zwei statistische Quellen: Aggregats- und Be- stimmungen sind zudem schweizweit vergleichbar und we- fragungsdaten. Die Nationalratswahl- und Abstimmungs- gen der meist viel intensiveren öffentlichen bzw. medialen ergebnisse auf Gemeindeebene sind Aggregatsdaten: Sie Diskussion auch aussagekräftiger. enthalten zusammengefasste Informationen über die poli- tischen Entscheidungen der Stimmbürger. Die listenweisen Gemeinderesultate der Nationalratswahlen sind bis 1971, Rahmenbedingungen: Politische Partizipation jene der eidgenössischen Abstimmungen bis 1981 zurück elektronisch verfügbar: So können auch langfristige Ent- Die Wahlbeteiligung bei den Nationalratswahlen im Kanton wicklungen analysiert werden. Die Gemeinderesultate haben Zürich ist seit den 1980er Jahren relativ konstant, nachdem ausserdem den Vorteil, dass sie eine relativ feine, gleichzeitig sie in den 1970er Jahren, nach der Einführung des Frau- allerdings auch sehr uneinheitliche räumliche Auflösung auf- enstimmrechts, noch erheblich zurückging. Bei der Stimm- weisen. Wegen der Gemeindestruktur des Kantons Zürich ist beteiligung (eidg. Vorlagen) ist der Trend sogar eher etwas der Detaillierungsgrad dort am höchsten, wo am wenigsten zunehmend (Grafik 1): In den 1990er Jahren betrug sie im Stimmberechtigte wohnen, d. h. in den ländlichen Gebieten. Mittel etwa 45 Prozent, nach 2001 waren es 47 Prozent. Die Korrelationen in Aggregatsdaten lassen strenggenommen Beteiligung an Terminen, bei denen nur kantonale Vorlagen keine Schlüsse auf Zusammenhänge im Verhalten von Indivi- zur Abstimmung kommen, ist im langjährigen Durchschnitt duen zu. Es ist zwar z. B. einerseits bekannt, wie viele Wähler etwa 15 Prozentpunkte niedriger. Die Einführung der briefli- die SVP hat und andererseits auch wie viele Stimmberech- chen Stimmabgabe im Oktober 1994 hat im übrigen keinen tigte der Verwahrungsinitiative zustimmten. Wie hoch der statistisch nachweisbaren positiven Einfluss auf die Stimm- Anteil der SVP-Wähler war, die dieser Vorlage zustimmten, oder Wahlbeteiligung gehabt. lässt sich daraus aber nicht schliessen. Auch die schwächere Aussage, dass die SVP-Wählerschaft dieser Initiative eher Die Stimmbeteiligung variiert naturgemäss viel stärker als zustimmte, weil ein hoher SVP-Anteil mit einem hohen Ja- die Wahlbeteiligung: Der Gegenstand ist jedesmal ein an- Politik im Kanton Zürich 2/24 www.statistik.zh.ch STATISTISCHES AMT 15/2005 statistik.info DES KANTONS ZÜRICH Grafik 1: Stimm- und Wahlbeteiligung im Kanton Zürich 1971(81) – 2005 Nationalratswahlen und eidgenössische Abstimmungen (bei mehreren Abstimmungen Terminmittelwerte). EWR-Abstimmung 80 Tempo 130/100; Armeeabschaffung 70 % 60 UNO-Beitritt 50 Stimm- und Wahlbeteiligung in 40 Nationalratswahlen 30 eidgenössische Abstimmungen Abschaffung Branntweinregal briefliche Stimmabgabe 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Jahre Quelle, Grafik: Statistisches Amt des Kantons Zürich derer und entsprechend unterschiedlich verlaufen auch die nerschaft (z. B. Goldküste, Uitikon) signifikant höher als in Abstimmungskämpfe. Wird bei stark umstrittenen Vorla- solchen, in denen das Medianvermögen vergleichsweise gen ein knappes Resultat erwartet, so ist in der Regel das tief ist – die Stimmbeteiligung ist auch so von der sozialen Medienecho gross und die Parteien und Interessenverbän- Schichtzugehörigkeit abhängig. Der erstgenannte Gegen- de erhöhen ihre Propagandaausgaben.4 Entsprechend ist in satz ist hingegen darauf zurückzuführen, dass in anonymen diesen Fällen auch eine überdurchschnittliche Mobilisierung städtischen Gegenden der soziale Druck fehlt, der den Gang zu erwarten. In der Tat besteht seit den 1990er Jahren ein zur Urne (oder zum Briefkasten) als vornehmste Bürgerpflicht signifikanter Zusammenhang zwischen der Knappheit des erscheinen lässt. Zur Verringerung dieses Drucks trägt wahr- Resultats und der Stimmbeteiligung. Bei sehr klar angenom- scheinlich auch ein hoher Anteil an Personen bei, die von menen oder verworfenen Vorlagen ist die Stimmbeteiligung der direkten Teilnahme am politischen Leben ausgeschlos- meist niedrig, während bei Abstimmungen die relativ knapp sen sind. Jedenfalls ist die Stimmbeteiligung signifikant dort ausgingen, die Stimmbeteiligung überdurchschnittlich war. besonders tief, wo der Ausländeranteil hoch ist Die regionalen Unterschiede in der Stimmbeteiligung (Grafik Über die Motivation der Einzelnen und die Soziodemo- 2) lassen den Einfluss zweier Faktoren auf die Partizipation graphie der Wahlteilnahme gibt die Selects-Befragung erkennen: Einerseits ist sie in den Städten und insbesondere Auskunft.5 Sie zeigt, dass Personen mit grossem Interesse in den grossen suburbanen Agglomerationsgemeinden