Karl Lüönd

Spionage und Landesverrat in der Schweiz Band 2

RINGIER © 1977 by Ringier & Co AG, Zürich Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus zu kopieren oder zu vervielfältigen Gedruckt in der Schweiz bei C. J. Bucher AG, Luzern ISBN 3 85859 062 2

Eingelesen mit ABBYY Fine Reader Feldpost, Brieftauben, Pferdekuranstalten 40 Sx. aus Berlin ausgewiesen! 86 Inhalt 72 Stunden für den Grenzschutz 41 • Krach um Dr. Meyers Erbe 86 So beurteilen die Deutschen unsere «Unternehmen Wartegau» – So platzt • Dieser Punkt kennzeichnet spezielle Beiträge in Armee 41 Görings Sabotageplan 87 Kästchen • Verfolgungsjagd per Autostopp 42 Der Auftrag der Saboteure 88 Zu hoher Eintrittspreis! 43 Zugführer Stöckli greift ein 88 «Operation Sunrise» – Geheimdienst für den Frieden 89 Riskante Reise 92 Hindemislauf zum Frieden 95

Die Verräter grossen Fälle Der Major, der die Schweiz regieren will 46 Verschwörer der Nach- Burri tobt: «Ich wurde verschleppt!» 48 kriegszeit Versager «Guisan, dieser wahnwitzige

Verbrecher...» 48 • Wer ist Igor Mümer? 98 Augenzeugenbericht: Die letzten Stunden der Den Worten folgen Taten 49 Fälle, die verborgen bleiben 99 Verräter 10 «Ich nehme keine Schuld auf mich!» 50 Militârattachés als legale Spione 99 Verrat von Sprengobjekten 10 Illegale Kampftruppe von 1‘800 Mann 51 Der Mann, der jedes Wort verkauft 100 • Befehl und Gewissen 10 Schwarze Listen für den Ernstfall 52 Geheimnisverrat aus Arglosigkeit 100 Verführer und Verführter 11 Politische Soldaten für 53 Spionagelohn auf Reduit-Banken 101 Falscher Soldat entlarvt die Verräter 12 Franz Riedweg – Arzt, Politiker, SS-Führer 53 Wenn der Jäger zum Wild wird 101 Die Hinrichtung 12 • «Mein eigener Vater zeigte mich an!» 54 Bundesanwalt auf glitschigem Parkett 102 Warum sie erschossen werden 16 Die Germanische Leitstelle der SS 56 Mercier, der Meister der Intrige 103 HD hilft deutsche Karten bereinigen 16 Pfarrer führt Genickschusslisten 58 Die Affäre fliegt auf 104 Das Reduit im Fadenkreuz der Spionage 16 Eine Art schweizerischer Quisling 59 Dramatische Sitzung im Bundeshaus 104 • «Betet für mich!» 16 In drei Schritten heim ins Reich 60 Bupo-Inspektor weint vor seinen Einbruch ins Platzkommando 17 Barwirsch leugnet alles 61 Richtern 105 • «Die Todesstrafe war selbstverständlich!» 17 Ferienhungrige Amis liefern die Beweise 61 Die Moral von der Geschieht’ 106 Die Verbrechen des Majors 18 • Barwirsch will 1,69 Millionen Divisionärssohn mit Sex verführt 107 Verhängnisvolle verwandtschaftliche Entschädigung! 62 Akten aus Vaters Schrank 107 Beziehungen 18 Dr. Max Leo Keller – der Mann im Wer hat Felix Moumié vergiftet? 108 • Walther Bringolf: Meine schwersten Hintergrund 62 Guerillaführer und Lebemann 109 Stunden 18 Hess als Protektor 62 Was will William Bechtel? 109 Gefreiter lädt die Deutschen zu Besichti- Der höchste Schweizer National Die falschen Auslandschweizer 111 gungen ein 19 sozialist 63 Sogar die Eheringe passen 111 Sabotagekurse in Stuttgart für Schweizer • «Die Zweihundert» – Legende und Ostagent wird sogar Soldat 113 Verräter 19 Wirklichkeit 64 Ein Fall wie aus dem Büchlein 115 Emst S. – ein relativ kleiner Fisch 20 • Verbotene Propaganda 65 Wölfe im Schafspelz 115 • Emst S., von links gesehen 20 Kälins zweites Ich 116 Jeanmaire: Die Chronik einer Tragödie 118 Die Armee im Schatten 21 Ein Haudegen läuft ins Messer 120 Geheimtinte, Schwarzsender, Minox... 22 Schwere Schuld – harte Strafe 122 «Heil Hitler» im Kreis 4 23 Wie ist so etwas möglich? 123 «Freund Deutschlands» klaut in der Die Sache mit den NATO-Geheimnissen 124 Munitionsfabrik 23 Sensationelle Blossstellung der Sowjets 124 So billig machen es die Verräter 24 • Privatkrieg unter Schweizer Spionen 126 Arglosigkeit hilft den Deutschen 24 Zum Beispiel : Verrat im Grenzland 25 Anpassung und wirksamer Terror 26 Das Mauseloch der Spionage 28 • Nazi-Ideologie zerstört Familien 28 SS-General wickelt Masson ein 68 Der Grenzverkehr der Spione und Zwei Kisten – eine Hypothek 68 Verräter 29 Barackenhändler legt die Leitung 69 20‘000 Indizien – 1‘000 Verhaftungen 29 General Guisan trifft Schellenberg 69 Hat Schellenberg einen Angriff auf • Aus den Erinnerungen eines einfachen Die Spionage Polizisten 30 die Schweiz verhindert? 70 Meinungskonflikt im Nachrichtendienst 72 der Zukunft «Kraft durch Freude» veranstaltet Spionagekonferenz 31 Masson gefährdet die Wiking-Linie 72 Dr. Mörgeli beschattet das Panoramaheim 73 Lange Finger, lange Ohren 130 Musterpolizist ist ein Verräter 32 Konkurrenzmanöver und Kriminalität 131 Verrat von Evakuationsplan 32 Werner Baumanns Flucht aus dem Wehrmachtsgefängnis 75 Fast nichts ist unmöglich 132 Unsere Abwehr: Spitzenleistung nach «Die Blumen sind verwelkt» – harzigem Start 34 Schuhe gegen Nachrichten 76 Kaltes Blut in der Falle 76 der Fall Frauenknecht 133 • Ein letzter Wunsch bleibt unerfüllt 34 Gewarnt und nicht geflohen 134 Abwehr auf (mindestens) zwei Gleisen 35 Agent «Leo» in Deutschland zum Tode verurteilt! 77 • Schweizer Spionage – Schweizer Die Methoden der Abwehr 36 Abwehr 134 • Dunkle Tage 36 «Leo» wird angeworben 78 Gefährliches Doppelspiel 78 Der Trick mit dem Abfall 135 Verdächtige Offiziere 38 • Was tun, wenn Sie betroffen sind? 136 • Nach dem Gewitter 38 Paul, Sondrio und Anna an Nummer 11 79 Ergiebiger Ausflug nach Marseille 81 Frauenknecht: «Ich glaube, ich bin • «Manchmal bekomme ich recht nette ein guter Schweizer!» 137 Exemplare...» 39 Der Mann mit dem fotografischen Gedächtnis 85 Das Spiel geht weiter 140 Das Wissen der Deutschen – eine Bilanz 39 Diplomatie im Brennpunkt 140 Milizsystem macht den Nachrichtendienst Mobilmachung in 80 Minuten 40 • Scharf auf Ausweise 141 stark 85 5

Verräter Verschwörer Versager Die geheimsten Kapitel in der Geschichte des Aktivdienstes

AIs Fridolin B. das Todesurteil vernahm, schnellte er von der Anklagebank empor und rief mit erhobener Rechter ‚Heil Hitler‘. Sein letzter Wunsch war, der Rhein möge seine Asche nach Deutschland tragen. Andere Landesverräter starben in tiefster Verzweiflung im Ku- gelhagel der Hinrichtungskommandos. 17 Männer wur- den während des Aktivdienstes wegen Landesverrats mit dem Tode bestraft. Ihre Tötung bedeutete für die Schweizer Wehrmänner von damals die Vernichtung von Feinden durch die kämpfende Truppe.

Stehend nehmen in Basel vier Verräter die Urteile entgegen. Es ist der 30. November 1946. Der Mann links aussen ist Detektiv J osef Böswald, der für die Nazis arbeitete. 7

männische Angestellte bzw. Kaufleu- «Sie müssen, wenn Sie künftig auf ich mit den Weibern zuviel fuhrwerk- te, davon mindestens einer arbeitslos, mich zu reden kommen, niemals von te, das hat mir viel gute Kraft genom- ein Hilfsarbeiter, ein Student, ein mir sprechen als von einem Landes- men, und der Mangel an solcher liess Schüler, ein Mechaniker, zwei Bä- verräter im Stile des Judas Ischariot. mir auch nichts gelingen. (...) Ich cker, ein Reisevertreter, ein Gärtner, Die dreissig Silberlinge haben näm- habe das Gefühl, dass für mich bes- ein Bundesbeamter, ein Maler, ein lich bei mir gefehlt! Ebenso zuletzt sere Zeiten beginnen, ein neuer Ab- Bahnarbeiter und ein Zahntechniker. die Verzweiflung. Ich bin nichts an- schnitt in meinem Leben.» 16 waren Schweizer, einer Liechten- deres als ein Typ meiner Zeit... Landesverräter Ernst S., 22 Jahre, im steiner, je drei waren Offiziere, Unter- Träume, wer träumen mag. Krieg ist Brief an den Polizisten, der ihn verhaf- offiziere und Zivilisten, fünf waren das Losungswort, Sieg klingt es fort. tet hatte. S. rechnete mit ein paar Jah- gewöhnliche Soldaten, zwei HD- Mir war es Deutschland! Und als es ren Zuchthaus, wurde aber zum Tode Pflichtige, einer Gefreiter. die Ostfront nicht war, da wurde es verurteilt und hingerichtet. 16 weitere Verräter und Agenten wur- die Schweiz. Nun bin ich zur Ruhe ge- den in Abwesenheitsverfahren zur ★ kommen auf dem Hochgericht. Aber Höchststrafe verurteilt, ein einziger nicht etwa erschreckt, denn noch jetzt «Als Nationalsozialist schwöre ich, davon begnadigt. Ausnahmslos alle bin ich frei, unbegrenzten Muts, ver- dieser meiner Weltanschauung zeit Verurteilten hatten für die Deutschen schwenderisch eigenen Bluts, und so meines Lebens treu zu sein. Sollte es gearbeitet. habe ich alles ausgeschlagen, was sich als notwendig erweisen, will ich «Die Kleinen hängt man, die Grossen mich noch hätte retten können, um auch für diese Idee sterben. Ich ver- lässt man laufen.» Dieses bittere Wort wie Ikarus einen jähen Absturz zu er- pflichte mich, nur den von meinen na- ist immer wieder zu hören, wenn die leben und unterzugehen.» tionalsozialistischen Führern gegebe- Rede auf die Erschossenen kommt. nen Befehlen Folge zu leisten. Ich bin Wer möchte das, aus sicherem zeitli- Landesverräter Fridolin B., 22 Jahre, jederzeit zum Kampfe für das neue, einige Tage vor seiner Erschiessung chem Abstand zurückblickend, rund- nationalsozialistische Europa bereit. weg bestreiten? Allein in den grossen im Abschiedsbrief an seinen Lehrmei- Ich will weder ruhen noch rasten, bis ster Landesverräterprozessen unmittelbar mein Heimatland, die Schweiz, den nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ★ Anforderungen meiner Weltanschau- über hundert Männer verurteilt, deren «Ich habe nämlich begonnen, anders ung genügt. Heil Hitler!» Verbrechen zum Teil weit schwerer zu denken, und fühle mich zufrieden Eidesformel des KFDS (offiziell: Klub wogen als die der 17 Unglücklichen. und froh, denn es musste alles so für den Sport; richtig: Kämpfer für Aber diese Täter hatten das Glück, un- kommen, sonst hätte ich nie eingese- Deutschlands Sieg), geleistet von 15 entdeckt zu bleiben, bis die unmittel- hen, auf welchen Pfaden ich wandle. jungen Schweizern 1941 an einer ge- bare Bedrohung gewichen und ein Ich versuchte aber doch immer wieder heimen Feier in Zürich Verräter wieder «bloss» ein Ange- zu arbeiten; der Hauptfehler war, dass klagter war, nicht auch noch ein Feind, den es zu vernichten galt. Und die Anpasser an höchsten Stellen, im Bundesrat und in der Armee? Hätte man denn Gesinnungsdelikte einfüh- ren und mit der Todesstrafe ahnden sollen? Die Grenze zwischen juri- Die Schweizer Landesverräter im Ak- «Bei uns» – das war im Eigental bei stisch fassbarem Verrat und politisch- tivdienst sind ein Stück unbewältigte Kriens und im Bremgartenwald bei geistiger Anpassung ist nur für einfa- Vergangenheit. Kein anderes Thema , in Uetendorf und in Jonschwil, che Denker eine klare und scharfe Li- der Zeitgeschichte weckt noch nach bei der Ziegelei Allschwil, im nie. In Wirklichkeit ist dieses Grenz- Jahrzehnten so viele unkontrollierte Sihlwald und noch an einigen anderen gebiet politisch-juristisches Nie- Gefühle: die Wut und den Zorn der abgelegenen Orten: in Steinbrüchen mandsland im Zwielicht. Die ge- Aktivdienstgeneration, Reflexe der und Waldlichtungen, meist in der schriebenen Normen des (Not-)Rechts Sippenhaft gegen unschuldige Ange- Morgendämmerung und unter streng- waren und sind auch heute noch nicht hörige, klassenkämpferische Aggres- stem Ausschluss der Öffentlichkeit. in Deckung zu bringen mit dem viel- sionen und Angst. Gemeine, gewöhn- 17 Männer zwischen 20 und 46 Jah- liche, niederdrückende Angst, die aus ren wurden in den Jahren 1942 und den Stimmen der Wissenden klingt, 1944 von Kameraden aus ihren eige- wenn sie verraten: «Bei uns haben sie nen Einheiten erschossen, soweit die auch einen erschossen!» Verurteilten dienstpflichtig waren. Unter ihnen befanden sich fünf kauf-

8 fältig schattierten Rechtsempfinden des Volkes. Kritik aus heutiger Sicht und ohne Rück-Sicht auf die dama- lige unmittelbare Bedrohung, die Angst und Aggressionen schuf, wäre einfach, Nachdenklichkeit scheint an- gemessener. Diese Nachdenklichkeit erstreckt sich auch auf viele aufsehenerregende Strafurteile nach dem Waffenstill- stand, die im Hochgefühl der bestan- denen Prüfung und*in Anbetracht an- gestauter Vergeltungsbedürfnisse er- gangen sind. Die inzwischen in langer Friedenszeit gefestigten rechtsstaatli- chen Grundsätze wurden häufig ge- dehnt, vereinzelt missachtet. Auch damals erwiesen sich Rechtspre- chung und Strafen als Produkte der Zeit, der Umwelt und – wie anders bei Verratstatbeständen? – vor allem der Politik. Auch in der Schweiz von da- mals galt, wenngleich in den Folgen ungleich milder, der Grundsatz, wo- nach die Unterlegenen immer unrecht haben und schuldig sind. Unbestritten bleibt in all diesen pro- blematischen Verfahren, dass die von Nazideutschland systematisch ge- züchtete und ausgebeutete Verräterei in der Aktivdienstzeit eine ständige ernste Bedrohung der Sicherheit des Landes war und dass ihr Umfang in jeder Beziehung bestürzende Aus- masse annahm. Überzeugte und Ver- führte, Erwischte und Erpresste, Ge- scheite und Dumme verstrickten sich in den Schlingen der allgegenwärti- gen totalitären Intrige. Die Taten der Verräter ändern nichts daran, dass das Volk und seine Armee die Bewährungsprobe der fast sechs Kriegsjahre bestanden haben. Das be- rechtigt zur Hoffnung, dieses Volk werde früher oder später in Ernst und Gelassenheit seine ganze Vergangen- heit bewältigt haben.

Ein zensurierter Text, der Schicksal bedeutet: Mit solchen knappen Zeitungsmeldungen wurde das Schweizervolk informiert.

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Augenzeugenbericht: Die der beiden Verurteilten abgewiesen, Aber ich spürte, dass sie Angst vor letzten Stunden der Verräter und ich hätte das Urteil zu vollstrek- dem Sterben hatten. Zuletzt fragte ken. mich Fourier Z.: ‚Werden wir auch Dies mussten der Arzt und ich den gleich tot sein?‘ Ich erwiderte: ‚Hört, Am Löwengraben in Luzern war ein beiden Fourieren jetzt mitteilen. Männer. Wir haben monatelang mit- Maschinengewehrnest aufgebaut, Ich sagte: ‚Guten Abend, es tut mir einander Dienst getan. Ihr braucht sorgfältig getarnt vor den Blicken der leid, aber es ist ein militärischer Be- keine Angst zu haben. Ich garantiere Passanten. Das Schussfeld stadtein- fehl gekommen.‘ euch, dass ihr sofort tot sein werdet.‘» wärts, zur abweisenden grauen Fas- Die beiden Männer wussten sofort, Auch andere noch lebende Zeugen sade des Zentralgefängnisses, war was das hiess. von damals bestätigen den Eindruck frei. Anonyme Anrufer und Brief- Ich fragte sie noch, ob sie einen letz- des Oberstleutnants, dass die Sinnes- schreiber hatten mit einer gewaltsa- ten Wunsch hätten. F. konnte nicht kräfte der Todeskandidaten auf eine men Befreiungsaktion gedroht. Der mehr antworten, er war ganz in sich gewisse Teilnahmslosigkeit gesunken Abteilungkommandant, damals Leh- zusammengesunken. Z. dagegen be- waren. Alle bestreiten aber energisch rer und 42 Jahre alt, sagt, er habe das wahrte Haltung und sagte einen wich- die Gerüchte, F. und Z. seien durch nicht eigentlich ernst genommen, aber tigen Satz, der vielleicht seine Motive Drogen beruhigt worden. gedacht: sicher ist sicher. Vierzehn erklärt. Er meldete sich militärisch Tage später sollte dieser Offizier ei- korrekt an: ‚Herr Oberstleutnant, Verrat von Sprengobjekten nen Brief ohne Unterschrift erhalten, Fourier Z.! Denken Sie daran: Wir in dem es hiess: wollten mit unserem Verrat die Erst viel später erfuhren die Offiziere, «Sie haben die Todesurteile an unse- Schweiz vor dem Bolschewismus ret- die Kameraden und die Untergebenen ren Kameraden F. und Z. vollzogen. ten!’ Wörtlich sagte er das. der beiden Fouriere, weswegen die Die Ortsgruppe Luzern der NSDAP Ich sagte ihm: ‚Schauen Sie, das ist Todesurteile ergangen waren: Zusam- wird das Schandurteil an den beiden jetzt vorbei.‘ Die Unterredung dau- men mit einem in Zürich lebenden zu rächen wissen. Machen Sie sich auf erte etwa eine Viertelstunde. Wün- eine Kugel aus dem Hinterhalt ge- sche äusserten die beiden nicht mehr. fasst.» Als die schwerbewaffneten Wachen vor dem Gefängnis aufgezo- gen wurden, sassen in einer herme- tisch abgeriegelten Zelle die Fouriere Werner Z. (geboren 1916) und Jakob Befehl und Gewissen Konnte bei den gegebenen Umständen eine Verweigerung des Befehls, die Exeku- F. (geboren 1918) wortlos brütend auf tion auszuführen, im Hinblick auf irgend- ihren Pritschen. Niemand weiss heute «Ob als Lockvögel Geld oder Frauen welche persönlichen Gründe plausibel ge- mehr, warum man die beiden Männer oder beides eine Rolle spielten, weiss macht werden? Durfte ich mich als Kom- in dieser Stunde beisammenliess. Es ich nicht mehr. Dass F. Zutritt zu wichti- mandant dieser Einheit vor der unange- nehmen Pflicht drücken? Hätte ich dies war Dienstag Abend, der 10. Novem- gen Plänen und geheimen Vorbereitun- gen unserer Landesverteidigung fand, aus religiösen Gründen tun dürfen? Das ber 1942. Die beiden Landesverräter war die Folge der wenig überlegten Or- Gebot ‚Du sollst nicht töten’ stand auch vor hatten noch etwa zwölf Stunden zu le- ganisation und der ‚bünzlihaften’ Finan- meinem Gewissen. Aber war es nicht so, ben. zierung der hohen Stäbe unserer Ar- dass dieses Gebot nie absolut verstanden mee. worden ist, dass es immer Fälle gegeben Der Abteilungskommandant im hat, wo von Staates wegen und kirchlicher- Grade eines Oberstleutnants und der Wichtige Posten mit Leuten, die zum Gradsolde ihre Dienste anboten, zu be- seits Ausnahmen festgelegt und toleriert waren? Abteilungsarzt hatten einen schweren setzen – wenn auch nur vorübergehend Ich denke hier vor allem an die Notwehr. Gang zu tun. Der Offizier, der sich an –, bedeutete im Grunde ein Ausliefern Und war dieses Urteil des Militärgerichtes alle Einzelheiten noch ausgezeichnet wichtiger militärischer Geheimnisse an in der damaligen Situation unseres Landes erinnert, berichtet: Leute, deren Zuverlässigkeit weder er- nicht auch Notwehr? Dann kam dazu, dass «Ein Motorfahrerkurier hatte mir aus probt noch geprüft war. ich dem Urteil innerlich beipflichtete und es Das Schicksal von F. beschäftigte mich Bern einen von Bundesrat Kobelt un- aus der gegebenen Lage sogar als not- im Moment sehr. Zuerst überlegte ich, wendig empfand. Ich sah darin kein Un- terzeichneten Brief gebracht. Darin ob ich im Hinblick auf die unglücklichen recht. Deshalb war ich bereit, die Verant- hiess es, die Vereinigte Bundesver- Verstrickungen, in die er geraten war, zu wortung für die Befolgung dieses Befehls sammlung habe die Gnadengesuche seinen Gunsten intervenieren sollte. zu übernehmen.» (Aufzeichnungen des War hier Mitleid am Platze? Bei näherer Kompaniekommandanten) Überlegung musste ich das verneinen. Als erwachsener Mann, als Unteroffizier musste er die Folgen seines Tuns tra- gen. (...)

10 deutschen Kaufmann und Naziagen- Angestellter in einem Zürcher Büro- ten hatten sie die Köpfe einer Spiona- fachgeschäft. Er stammte aus einer gegruppe gebildet. Insbesondere ver- hablichen Berner Familie, hatte im- rieten F. und Z. die an einer kriegs- mer Geld, und die Mädchen liefen mässigen Mobilmachungsübung be- ihm nach. teiligten Divisionen des 2. Armee- «Wenn wir einen brauchten für eine korps sowie die in ihren Räumen ge- Sondermission oder für einen schwie- legenen Sprengobjekte, nämlich ex- rigeren Auftrag, haben wir den Z. ge- ponierte Strassenstellen, Brücken, schickt», erinnert sich der Abtei- Bahnübergänge, Unterführungen und lungskommandant. «Er war ein flot- Stauwehre (jeweils mit genauen An- ter Typ, einer der besten Unteroffi- gaben der Koordinaten), ferner die ziere, die wir je gehabt haben.» Nie- Standorte der Sprengstoffmagazine mand ahnte, dass Werner Z. ein über- von Meiringen, Giswil und Hirsegg. zeugter Anhänger des Dritten Reichs Werner Z. und Jakob F. vermittelten war. genaue Informationen über 17 Ob- Der schüchterne Jakob F., der sich jekte an Reuss- und Emme-Übergän- kaum je etwas leisten konnte, stand gen sowie über 25 Minenobjekte an ganz im Bann dieses selbstsicheren wichtigen Zugängen zum Reduit, un- und erfolgreichen Kameraden. ter anderem an der Lopperstrasse. Die Manchmal soll Z. ihm mit Geld aus-

Angaben waren so vollständig, dass geholfen oder ihm eine Mädchenbe- sie auch die Namen, Adressen und Te- Kurz nach den kritischen Tagen des Juni 1940 kanntschaft vermittelt haben. Als Z. lefonnummern der jeweiligen Objekt- regelte der Bundesrat alle Einzelheiten der Gegendienste verlangte, konnte sich chefs und deren Stellvertreter umfas- Vollstreckung von Todesstrafen. F. nicht entziehen. Er begann Infor- sten. Im Falle eines Angriffs auf die mationen zu kopieren, die über Z. zu Schweiz hätten vorgeschobene deut- Ausserdem musste er seine Eltern un- dem in Zürich sitzenden deutschen sche Minenräumkommandos und / terstützen. Führungsoffizier gelangten. oder Angehörige der Fünften Kolonne Zur gleichen Zeit wurden im 2. Ar- Das alles begann damit, dass Z. sei- anhand dieser geheimen Informatio- meekorps Unteroffiziere mit Kennt- nen Kameraden einmal ganz unver- nen die von der Schweiz vorbereitete nissen in der Administration gesucht, fänglich fragte, ob denn die Spreng- Zerstörung strategisch wichtiger Ver- die freiwillig bereit waren, während objekte überhaupt geladen seien, kehrsbauten verhindern und den Vor- ihrer Ablösungsphasen zum Gradsold wenn es jetzt «chlöpfen» würde. In marsch der deutschen Divisionen ins Bürodienst zu leisten. Jakob F. kam seiner Harmlosigkeit verneinte Fou- Reduit beschleunigen können. das Angebot gerade recht, er meldete rier F. Im Lauf der Zeit stellte Z. im- sich und wurde genommen, denn sei- mer mehr solcher Fragen nach Muni- ne militärischen Führungszeugnisse tionsdepots und Sprengobjekten, Verführer und Verführter waren gut. nach Truppenstandorten und der Zu- Jakob F., Sohn einer kinderreichen Fourier F. wurde dem Minenbüro des sammensetzung der Sprengstoffe. Arbeiterfamilie aus dem Luzernbiet, Korps zugeteilt, das in einem streng Die 150 Franken, die Z. seinem Ka- war arbeitslos. Er teilte das Schicksal abgeschirmten Zimmer des Luzerner meraden gab, betrachtete F. als Dar- vieler junger Aktivdienstsoldaten, die Hotels National stationiert war. Diese lehen. Gelegentlich übergab er seine für die meist nur einige Wochen oder Dienststelle verwaltete sämtliche Plä- Informationen auch Z.s Braut; als Be- zwei, drei Monate betragenden Ablö- ne und Unterlagen für die zu spren- lohnung durfte er dann mit ihr ausge- sungszeiten keine Stelle finden konn- genden Objekte; sie war so geheim, hen. Entgeistert beteuerte Jakob F. in ten. Jakob F. hatte nach zwei Jahren dass selbst Stabsoffiziere nur mit Son- den Einvernahmen nach der Verhaf- Sekundarschule, dem Welschlandjahr derbewilligungen Zutritt hatten. Ja- tung, er habe nicht im Traum an Lan- und einigen Aushilfsstellen einfach zu kob F. verrichtete hier Büroarbeiten desverrat gedacht und nie so etwas im wenig Zeit gehabt, im Berufsleben unauffällig und zur Zufriedenheit sei- Sinne gehabt. Wenn es ihm wirklich Fuss zu fassen. ner Chefs. um Verrat gegangen wäre, hätte er Heute weiss man, dass ihn sein Kame- mehr, vielleicht 4’000 bis 5’000 Fran- rad Werner Z., der bei der Truppe ver- ken verlangt, dann wäre ihm geholfen blieben war, zum Verrat anstiftete. Z. gewesen. war ein gutaussehender, glänzend qualifizierter Unteroffizier und arbei- tete im Zivilleben als kaufmännischer

11 Zum erstenmal veröffentlicht: das Originaldispositiv eines Todesurteils, wie es unmittelbar vor der Hinrichtung auf der Richtstätte verlesen werden musste.

Falscher Soldat entlarvt die Die beiden Männer kamen überein, Einige Minuten nach sieben Uhr Verräter dass der Detektiv am Montag unter brachte die Heerespolizei die beiden falschem Namen und mit einem prä- Verurteilten. Sie trugen Exerzierblu- Auf Wegen, die nicht rekonstruierbar parierten Dienstbüchlein bei der Ein- sen und Waffenröcke ohne Gradab- sind, kam die Spionageabwehr dem heit einrücken und als Gehilfe dem zeichen. Die Knöpfe waren abge- Handel mit Geheimdokumenten auf Magazinbüro zugeteilt würde, wo die schnitten worden, um Querschläger die Spur. Zumindest der Kompanie- beiden Verdächtigen als Magazinfou- zu vermeiden. Eine Kopfbedeckung kommandant der beiden Fouriere war riere Dienst taten. Nach acht Tagen trugen die beiden nicht. Es war ein nicht ahnungslos: Im Spätherbst wurde Z., zwei Tage später auch F. nebliger Novembermorgen, es rie- 1941, ein ganzes Jahr vor Prozess und verhaftet. So weit die Darstellung des selte leicht. Hinrichtung, meldete sich ein Mann Hauptmanns. Da meldete mir ein Adjutant, die bei- beim Kommandanten, der sich im den wollten sich um keinen Preis die Sonntagsurlaub befand. Er wies sich Die Hinrichtung Augen verbinden lassen. Ich ging zu als Angehöriger des Sicherheitsdien- ihnen und bat: ‚Tut uns doch den letz- stes der Armee aus; in Zivil war er Der Oberstleutnant schildert die Ur- ten Gefallen und lasst euch die Augen Detektiv in Zürich. Er eröffnete dem teilsvollstreckung: verbinden, es geht alles viel, viel Kommandanten, dass gegen die bei- «Ich musste die Hinrichtung vorbe- schmerzloser. Übrigens müssen wir den Fouriere ein schwerer Verdacht reiten und durchführen. Als Schau- das machen, es ist Vorschrift.’ wegen Landesverrats bestünde. Um platz wählte ich eine Waldlichtung ob Da gaben sie schweigend nach. Sie sie zu überführen und Beweismaterial Kriens, am Eingang zum Eigental. Es sagten nichts mehr. Im Abstand von beizubringen, müssten die beiden be- war ein grosser, schöner Platz, den drei bis vier Metern wurden sie an schattet werden. man gut absperren konnte. junge Bäumchen gebunden.

12 In ihren letzten Tagen erhielten F. ses von Luzern, das direkt neben der tals Luzern gebracht, wo ein Proto- und Z. viel Post: Trostbriefe, aber Kaserne lag, geübt worden. Mit leiser koll geschrieben wurde: Fourier F.: auch Schmähschreiben und Verdam- Stimme verlas der Grossrichter die 17 Treffer, davon sechs im Kopf, elf mungsurteile, die ihnen natürlich Urteile. Jemand hatte die Ceinturons in der Brust; Fourier Z.: 16 Treffer, nicht ausgehändigt wurden. Die An- der Verurteilten zehn Zentimeter hö- davon vier im Kopf, zehn in der Brust gehörigen hatten Besuchserlaubnis her geschoben, um das Zielen auf das und zwei im Bauch. und machten davon regen Gebrauch. Herz zu erleichtern. Vom Eintreffen der Verurteilten bis Als Hinrichtungskommando nahm Der Oberstleutnant erteilte einem Of- zum Abtransport der Särge hatte es 25 ich anderthalb Züge, für jeden Verur- fizier der Einheit, der die Verräter an- bis 30 Minuten gedauert. Der Oberst- teilten zwanzig Mann. Die wurden gehört hatten, den Befehl: «Vollzie- leutnant legt Wert auf die Feststel- alle kommandiert, es gab keine Frei- hen Sie das Urteil!» Die Priester mur- lung, dass keine blinden Patronen ab- willigen und keine Dispensierten. Es melten ihre letzten Gebete. gegeben wurden, wie immer wieder ist auch keiner gekommen, der sich Der Hauptmann kommandierte: behauptet worden ist. dispensieren lassen wollte. Wir stan- «Rechtsum kehrt!» Die Soldaten Später gab es Probleme, weil die An- den schliesslich schon monatelang im schnellten um ihre eigene Achse. Je- gehörigen es ablehnten, die Toten in Dienst und hatten harte Zeiten. Allein der hatte einen scharfen Schuss gela- ihren Heimatgemeinden bestatten zu in meiner Abteilung hatte ich in die- den. Jetzt knieten und standen sie vor lassen. Dank einem Entgegenkom- ser Zeit ein halbes Dutzend Todes- den Verurteilten, die regungslos blie- men des damaligen Luzerner Stadt- fälle gehabt, durch Unfall und Krank- ben und keinen Laut von sich gaben. präsidenten Dr. Max Wey wurden die heit. Einer ist ertrunken, einer ist mit «Feuer!» Särge in einfachen Reihengräbern im dem Motorrad über ein Strassenbord Alle, die dabei waren, sind sich in ih- Luzerner Friedental beigesetzt. hinaus gerast, weil er Verspätung rer Erinnerung einig: «Es tönte wie Der Oberstleutnant: «Zuletzt war ich hatte. Er war der einzige Sohn seiner ein einziger Schuss.» noch allein mit dem Adjutanten. Ich Eltern. Wochen- und monatelang wa- Die beiden Hingerichteten sanken zu- rauchte die beste Zigarette meines ren die Männer von zu Hause weg. sammen. Der Oberstleutnant und der Lebens. Die Männer marschierten ab, Jede Nacht dröhnten die amerikani- Arzt traten zu den Leichen. Beide wa- hinauf ins Eigental zum Morgenes- schen Bomber, die nach Mailand un- ren tot. Die Leichen wurden einge- sen. Dann taten sie ihre gewohnte Ar- terwegs waren, über Luzern hinweg. sargt und, weil es so vorgeschrieben beit. Ich sehe sie noch heute langsam Das war eben die Stimmung damals, war, in die Anatomie des Kantonsspi- im Nebel verschwinden. Sie sangen und aus dieser Stimmung muss man leise. Ich werde das Lied nie mehr diese Hinrichtungen und unsere Härte vergessen: ‚Eine Kompanie Soldaten, begreifen. wieviel Leid und Freud ist das...’» Wie ich diesen Morgen erlebt habe? Nun, ich hatte einen unangenehmen Befehl auszuführen. Die ganze Sache war ja weder eine Freude noch ein So hat der Zeichner die Erschiessung eines Stolz für die Abteilung, obwohl wir Landesverräters rekonstruiert. nichts dafür konnten. Wahrscheinlich habe ich in der Nacht nicht gut ge- schlafen, ich weiss es nicht mehr. Der Befehl war klar: pro Verurteilten 20 Mann, Distanz neun Meter, das vor- dere Glied – zehn Mann kniend – schiesst auf die Brust, das hintere – stehend – auf den Kopf.» Erst in den letzten Augenblicken vor der Hinrichtung bekamen die Schüt- zen ihre verurteilten Kameraden zu sehen. Das Verfahren war am Abend zuvor im Hof des alten Schlachthau-

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Warum sie erschossen strafrechtspflege unterstand, in dieser Zeit ein Schlüsselerlebnis, das werden seinem Aktivdienstbericht: er mit auffallend vielen ehemaligen «Zur Zeit, als Deutschland auf der Nazianhängern (z.B. Schweizer Frei- Nur mit Mühe konnte der Geistliche Höhe seiner Macht stand, fanden willigen in der Waffen-SS) teilte: Er dem 22jährigen HD Fridolin B. den Lockungen mit erhöhten Stellun- las den «Zarathustra» von Friedrich letzten Wunsch ausreden. Er wollte gen im ‚Neuen Europa’ und das Nietzsche, war davon hingerissen und unbedingt mit dem Ruf «Heil Hitler!» Inaussichtstellen gewaltsamer Be- wurde offenbar direkt zu den Taten auf den Lippen sterben. Fridolin B. freiung bei Bestrafung vielfach beflügelt. In einem Abschiedsbrief war der Inbegriff des jugendlichen ein williges Ohr. Nicht ausser schrieb Fridolin B.: «Furchtlos, erfüllt Idealisten, des Überzeugungstäters, Acht zu lassen ist auch die verfüh- von beispiellosem Schwung, gehe ich der sich weigerte, ein Begnadigungs- rerische Wirkung der finanziellen in den Tod. Der Grund meines Mutes gesuch einzureichen, weil er «Recht Unterstützung der Familien Ver- ist Nietzsches Zarathustra. Die Ein- und nicht Gnade» wollte, wie er sei- hafteter und Bestrafter, die zum zigartigkeit jener Botschaft über den nen Bewachern stolz erklärte. Teil bis zum Kriegsschluss fortge- freien Tod, von Krieg und Kriegssold, Als der um ein Jahr jüngere Gymna- führt worden ist. Neben Gründen von der grossen Sehnsucht – ach, was siast Kurt R. hingerichtet worden war, dieser Art war für manchen ein sage ich noch –, der ganze Zarathustra erhielt der Einheitskommandant den wenn auch nicht grosser, mühelo- von A bis Z ist ein Leitfaden für hei- merkwürdigsten Anruf seines Le- ser Nebenverdienst noch mitbe- lige Neinsager, für die grossen Ver- bens: Der Vater des jungen Kanoniers stimmend für den deliktischen achtenden, die Verehrende sind...» bat darum, man möge ihm die Schuhe Entschluss.» Wie fast alle deutschen Spione und überlassen, die sein Sohn bei der Er- Spionagegruppen es zwischen 1941 schiessung getragen habe; die seien ja HD hilft deutsche Karten und Mitte 1943 taten, beteiligte sich noch fast neu! Kurt R. gehörte wie der der Bäcker an der Auskundschaftung bereinigen Kanonier Ernst S. und der Fourier Ja- des entstehenden Reduits in der Inner- kob F. zu den Toren, die aus Not, Ar- HD Fridolin B., der nicht begna- schweiz. Von Oktober bis Dezember beitslosigkeit und Bindungssehnsucht digt werden wollte, hatte seine 1941 durchstreifte er die Linie Sihltal in die Fänge der Verführer geraten Bäckerlehre in der Fröntler-Hoch- – Zug – Goldau – Sattel –Ägerisee – waren, von denen sie sich materielle burg Schaffhausen gemacht und Hütten – Biberbrugg – Einsiedeln – Vorteile versprachen. war ein paarmal zu Versammlun- Euthal – Ibergeregg – Schwyz und no- Dass dies in einer Zeit mit unsicherer gen der Nationalen Front gegan- tierte die Bunker, Feldbefestigungen, Zukunft, finanziell bedrängter Ge- gen. Dabei lernte er den Realleh- Tankfallen und -sperren sowie die genwart, Arbeitslosigkeit und Ratio- rer Carl Meyer kennen, der als Minierung der Brücken, wobei er vor nierung ein starkes Werbeargument Gauführer amtete. Die stramm na- allem prüfen musste, ob die Karten gewesen ist, bestätigt Oberstkorps- tionalsozialistische und reichlich von der AST Waldshut des Wehr- kommandant Roger Dollfus, General- hochgestochene Ausdrucksweise macht-Nachrichtendienstes noch adjutant der Armee, dem die Militär- dieses Fanatikers schien den stil- stimmten. Nach seinen Angaben wur- len jungen Mann vorerst eher ab- den die Karten später bereinigt. zustossen, doch hatte Fridolin zu Das Reduit im Fadenkreuz der Spionage Beinahe alle grossen Spionagegrup- «Betet für mich!» gibt, auch im Militärdienst nicht. Jeder schaut den andern wenn möglich ins pen, deren Tätigkeit mit Todesurtei- Unglück zu stürzen. Ja nun, es ist jetzt len quittiert wurde, versuchten die «Meine lieben Eltern und Geschwister! schon so. Hoffen wir dass die ganze schweizerische Alpenfestung in allen Ich muss zur Feder greifen um einige Sache doch nicht zu schlimm werde. Einzelheiten auszukundschaften. Ein liebe Worte mit Euch meine Lieben zu Ich habe Gottvertrauen und bete viel Blick in deutsche Militärarchive wird berichten. (...) Wie geht es Euch? Ich und ich bitte Euch betet recht viel für noch zeigen, dass diese gefährliche hoffe gut und es seien alle gesund. Die mich damit die Sache gut gehe. Ich Behandlung und die Kost hier sind gut, wünsche Euch allen meine Lieben eine Arbeit recht erfolgreich war; es ist aber wisst ich habe immer so ein furcht- schöne Ostern und ganz besonders schlechthin erstaunlich, wieviel die bares Heimweh nach ... Ich bin durch ei- meinem lieben Mueti und dem Ib. Vater nen Kameraden in eine sehr unange- und bitte Euch nochmals betet für nehme Sache verwickelt. Ich kann Euch mich, damit ich nicht ganz unglücklich nicht schreiben was es ist. (...) Ich weiss werde.» nur dass es überhaupt keine Kameraden Aus einem Brief von Fourier Jakob F.

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Deutschen über das grosse neue Ver- teidigungssystem der Schweiz her- Oberstbrigadier Sinne der Oberauditor, das Militär- und Jakob Eugster, das Justizdepartement wie der Ge- ausgefunden haben! Dem Trompeter Oberauditor samtbundesrat Stellung zu nehmen. Heinrich R. (geb. 1906, Gärtner) der Armee, Der Begnadigungskommission der eid- wurde die Durchforschung des An- in der «Schweizer genössischen Räte standen die ge- marschgeländes von der Nordwest- Illustrierten» samten Akten zur Verfügung. Die Ver- grenze her übertragen, beginnend mit (Herbst 1945): einigte Bundesversammlung selbst wurde durch die Begnadigungskom- den Talsperren bei Zurzach, überge- mission in eingehenden Referaten ori- hend zu den militärischen Bauten bei «Die Todesstrafe war entiert. Der Entscheid wurde nach ein- Dielsdorf und Regensdorf sowie den selbstverständlich!» gehender Diskussion gefällt. Sperranlagen zwischen Glattfelden Bei der Exekution ist den Verurteilten und Eglisau. R. hatte die Brücken- «Dass bei der Bekämpfung dieser Un- der Beistand eines Geistlichen beige- ternehmen gegen unser Land keine geben. Das Erscheinen auf der Richt- kommandanten in der Rheingegend Rücksichten der Schonung des stätte und der Vollzug sind so geord- und in Zürich zu nennen, die Spreng- menschlichen Lebens mehr die tatsäch- net, dass die Exekution sich in ganz anlagen dieser Brücken und die Lage liche Anwendung der Todesstrafe ver- wenigen Minuten abwickelt. Die dazu der Auslösestellen zu erkunden. Wei- hindern konnten, ist selbstverständlich. kommandierte Mannschaft sieht den tere Aufgabe war die Rekognoszie- Es musste im Landesinteresse in dem Verurteilten nur während des Augen- so eingetretenen, beinahe labilen rung der Artilleriestellungen bei blicks der Schussabgabe. Das dafür Kriegszustände zur Todesstrafe ge- nötige Detachement wird erst unmittel- Baarburg, des Militärflugplatzes Alp- schritten werden. bar vorher dazu befohlen. Seine Auf- nachstad und der Festungsbauten am Getreu der Mission des wahrhaft demo- gabe ist, wie beim Soldaten im Felde, Bürgenstock. kratischen Staates, das menschliche die Vernichtung des Feindes. Des Sol- Die Gruppe um den Kantonsschüler Leben zu achten, wirklich ohne äusser- daten unwürdige Massnahmen wie ste Not nicht zur Vernichtung des Men- und Kanonier Kurt R. (geb. 1922) so- Beizug von Freiwilligen, nur teilweise schen zu schreiten, um der in Blut ver- Dosierung mit scharfer Munition gibt es wie den liechtensteinischen Staatsan- sunkenen Menschheit gegenüber das nicht. Die Anwesenheit jedes nicht gehörigen Alfred Q. (geb. 1920, Ma- Beispiel der Humanität und des Rechtes pflichtgemässen Teilnehmers ist aus- ler) klärte die Tanksperren und Bun- hochzuhalten, ist die Ausfällung der To- geschlossen. Sämtliche Exekutionen ker samt Bewaffnung und Schuss- desstrafe bei uns von Garantien der ver- erfolgten ohne den geringsten Zwi- schiedensten Art umgeben worden. Sie richtung auf dem Zugerberg ab und schenfall. konnte nur ausgefällt werden, wenn von Nun ist mit der Aufhebung des Aktiv- lieferte einen als «ganz genau» be- dem mit 7 Richtern besetzten Militärge- dienstzustandes auch die vom Militär- zeichneten Plan der Festung Sasso di richt eine Mehrheit von 6 Gerichtsmit- strafgesetz für Kriegszeiten vorgese- Pigna am Gotthard. Ausserdem er- gliedern sich für ihre Anwendung aus- hene Ordnung betroffen worden. Alle reichten es die beiden, durch einge- sprach. Gegen das Urteil stand das ausgefällten, am 21. August 1945 noch spannte Funkerpioniere die Codes Rechtsmittel der Kassationsbeschwer- nicht vollzogenen Todesurteile werden de zur Verfügung. Nachher bestand automatisch in lebenslängliches Zucht- und andere geheime Details des Chif- noch die Möglichkeit der Anrufung der haus umgewandelt. Mit dem Wegfall frierverkehrs im internen Melde- Begnadigungsinstanz. Als solche am- der Gefahr eines kriegerischen Angriffs dienst der Funkertruppe zu erlangen. tete die Vereinigte Bundesversamm- auf unser Land ist die Präventivwirkung Damit waren Angaben verbunden lung. Zum Begnadigungsgesuch, das der Todesstrafe kein unbedingtes Er- über die Einrichtung des Funkzent- vom Verurteilten und mit seiner Zustim- fordernis mehr. Die Schweiz will mit mung von seinem Verteidiger oder von rums Mor schach und die von dort dem sofortigen Verzicht auf diese seinem Ehegatten eingereicht werden Strafart als Vorbild für die Achtung des ausgehenden Verbindungen zum Ar- kann, hatten in begutachtendem Sinne menschlichen Lebens wirken.» meestab und zu den Armeekorpskom- mandos, über die Organisation und den Betrieb der Funkstationen und ih- rer Materialdepots in Wassen, Alt- dorf, Brunnen, Luzern, Alpnach, Sar- nen, Meiringen, Interlaken und am Sustenpass. und stahl dort eine Anzahl wichti- tigten Krokis an, erstellten Pläne, Einbruch ins Platzkommando ger militärischer Dokumente. Im gaben Mitteilungen über die Auf- März 1942 nahm er die Zündkapsel gaben der Einheiten, bezeichneten Der Student R. brach ausserdem ins zu einer Minenwurfgranate an sich. ihre Kantonnemente, interessier- Büro eines Platzkommandanten ein Er und seine Komplizen holten Er- ten sich für die Ortswehren, für kundigungen über die Geländebe- das Alarm- und Signalisationssy- schaffenheit ein, notierten die stem der Armee und hielten die Hauptmerkmale der Befestigungs- Ergebnisse von Bunkerschiessen bauten, fotografierten, massen sie zu Händen ihrer Auftraggeber bei und trugen sie auf Karten ein, fer-

17 der Canaris-Abwehr fest. Die Gruppe umfasste insgesamt 25 Personen und Walther Bringolf: Meine Begnadigung oder nicht? Oft lagen er- schwersten Stunden schütternde Briefe von Müttern, Vätern, konnte anderthalb Jahre lang arbeiten. Schwestern, Brüdern, Frauen oder Bräu- Der Vater des hingerichteten Liech- ten auf dem Tisch des Präsidenten des tensteiners Q., der ebenfalls verhaftet In seinen Lebenserinnerungen schreibt Nationalrates, die auch uns zugänglich wa- wurde, weil er Vergrösserungen von der ehemalige Schaffhauser Stadtpräsi- ren. Man las sie, legte sie ergriffen weg topographischen Karten der Gebiete dent und Nationalrat Walther Bringolf: und hatte dann in der geheimen Abstim- «Ich gestehe, dass diese Beratungen mung, wenn die Debatte geschlossen war, um den Zürich- und den Zugersee be- über die Bewilligung oder Ablehnung eines seine Entscheidung zu treffen. Ich war sass, starb während der Haft. Drei an- Begnadigungsgesuches zum Schwersten nicht der Einzige, der unter einem derarti- dere Verhaftete erhielten Lebensläng- gehörten, was ich je als Mitglied des Natio- gen moralischen Druck stand. In meiner lich, die übrigen Zuchthausstrafen bis nalrates miterlebte. Einige Jahre vorher und in den anderen Fraktionen gab es zu 20 Jahren. hatte ich mich im Kampf gegen das Refe- Männer, die ebenso fühlten und dachten. rendum, das gegen das neue Schweizeri- Und doch galt es, Verrätern das Handwerk sche Strafgesetzbuch ergriffen worden zu legen, die in einer schweren Zeit dem Die Verbrechen des Majors war, gegen die Todesstrafe ausgespro- einzigen Feind, der unser Land bedrohte, chen. Ein Gegner der Todesstrafe stand Dienste leisteten.» Der Höchstgradierte unter den zum somit in diesen Jahren des Zweiten Welt- Tode verurteilten und hingerichteten krieges wiederholt vor der Entscheidung: Wehrmännern war Major Ernst P. (geb. 1896, Bundesbeamter). Ihm wurde zur Last gelegt, im Winter 1940/41 eine Strassenzustandskarte bruar 1942 insgesamt zwölf Original- gen und im Oberwallis. Ausführlich des ACS im Massstab 1:400‘000 mit meldungen über die Standorte der verriet Leutnant K. überdies die eingezeichneten Reduitgrenzen, Ar- Stäbe und Truppen dieses Armee- Reduitstellungen am Simplon sowie meekorps-Abschnittgrenzen, Pneula- korps übergab; später reichte D. noch die halbpermanenten und somit ge- gern und Pneubeständen an deutsche Informationen nach über die im Fe- heimen Kriegsstellungen der Mot Agenten ausgeliefert zu haben, aus- bruar 1942 durchgeführten Mobilma- Kan Bttr 77 im Gorns. K. trug die serdem ein Verzeichnis der Benzinde- chungsübungen samt Angaben über Lage des Leitgeschützes auf eine pots mit Bestandsangaben in Millio- die dabei exerzierten Formen der stil- 50‘000er Karte ein, dazu den Wir- nen Litern, eine Liste der Motorfahr- len Mobilisation und über die Trans- kungsraum der ganzen Mot Kan Abt zeug-Stellungspläne, geheime Wei- porte auf dem Vierwaldstättersee. 27 sowie der Batterien 77 und 78 in sungen für die rückwärtigen Dienste Richtung Eggerhorn-Rappental wie und den Geheimbefehl des Generals auch die ungefähre Lage der Kom- über die Mobilmachungsübung des 2. Verhängnisvolle verwandt- mandoposten der Abteilung. Diesen Armeekorps vom 10. März 1942. schaftliche Beziehungen Einzeichnungen war eine Skizze mit Darin inbegriffen war nach der Dar- Der Fliegeroberleutnant Charles-Ot- den schusstoten Räumen beigegeben. stellung des Generaladjutanten auch to R. (geb. 1913, Kaufmann), der Ar- Dazu kamen Lagebezeichnungen von ein Verzeichnis der beteiligten Trup- tillerieleutnant Otto K. (geb. 1917, Bunkern bei Riffelalp in der Nähe pen samt ihren Korpssammelplätzen. Student) und ihre Mittäter, darunter von Zermatt und Informationen über Ferner verriet Major P. Angaben über der hingerichtete Zivilist Erwin P. das im Ausbau befindliche Fort Na- die Zahl der Panzerwagen und die (geb. 1912, Mechaniker), kundschaf- ters, einschliesslich Einzelheiten über Reichweite der Flammenwerfer. P. teten vorerst, wie andere Spione dessen Bewaffnung (Geschützlage, versuchte sogar, den Aufmarschplan auch, Festungsanlagen aus, in diesem Reichweiten). für die erste Truppenaufstellung im Fall speziell die Bereiche im Hauen- Die in dieser Gruppe mitwirkende Po- Reduit im Fall eines Angriffs in die stein und im Juragebiet. Beide Offi- stordonnanz Jean Sch. fotografierte Hände zu bekommen, um ihn für eine ziere waren überzeugte Nationalso- zahlreiche militärische Befestigungs- Stunde einer deutschen Agentin zum zialisten. Ihre ins Jahr 1941 fallenden anlagen; Sch. wurde zum Tode verur- Fotokopieren zu überlassen. Ergänzt Erkundungen befassten sich ausser- teilt, aber in Abwesenheit. Als Ober- wurde dieser Verrat durch den HD D., dem mit den Abwehrmassnahmen im leutnant R. verhaftet wurde, besass er der im Büro eines Kriegskommissärs Aaretal, der Befestigung und den Ar- 176 topographische Karten der beschäftigt war und dem deutschen tilleriestellungen auf Beatenberg, bei Schweiz, was auf den Umfang seiner Nachrichtendienst im Januar und Fe- Aeschi, am Niesen, auf dem Harder Verfehlungen schliessen lässt. sowie mit den Flugplätzen bei Meirin Der Fall des Oberleutnants R. be- leuchtet ein weiteres wichtiges Ver-

18 ratsmotiv: die verwandtschaftlichen men, die sie bereits besassen, die ge- Sabotagekurse in Stuttgart für Beziehungen zu Deutschland. R.s nauen Standorte militärischer Anla- Schweizer Verräter Schwager war der beim deutschen gen und Unterkünfte in den Gegen- Konsulat in Basel tätige Josef Boege- den des Schlössli- und des Donner- Als ob bereits Krieg zwischen mann, der in einigen Fällen als Agen- steins und lieferte Informationen über Deutschland und der Schweiz tenwerber hervortrat. Er hatte keine den Bau von Verteidigungsanlagen herrschte, wurden die wichtigsten Mühe, den schweizerischen Flieger- auf dem Kessigrat, die die besondere Angriffsziele des Reduits von ver- offizier zu verbotenen Handlungen Natur und die Bestimmung jeder die- schiedenen Gruppen unabhängig anzustiften, zumal dieser einen gros- ser Anlagen, die Namen der Einheits- voneinander und mit generalstabs- sen Teil seiner Jugend in Deutschland kommandanten und die vorgesehenen mässiger Systematik abgetastet und verbracht hatte und schon deshalb der Verteidigungsverfahren umfassten. ausgeleuchtet; einmal erhaltene In- nationalsozialistischen Ideenwelt Er liess seine deutschen Verbin- formationen wurden immer wieder stärker zugetan war als andere. R. dungsleute sogar eine Grenzwacht- nachgeprüft und bereinigt. Mehrere hatte sich schon früh einer rechtsex- hütte besichtigen, die mit einem Ma- hingerichtete Landesverräter, zum tremen schweizerischen Bewegung schinengewehr bestückt war. Dazu Beispiel Trompeter Heinrich R. und angeschlossen. Das unmittelbare, von verriet er die rückwärts gelegene Tal- der Zivilist Hans G. (geb. 1910, Rei- Boegemann geschickt ausgenützte sperre bei Laret mit genauen Anga- severtreter), besuchten zudem noch Motiv war die Verärgerung über be- ben über den Standort der Bunker, die spezielle Sabotagekurse in Stuttgart. ruflichen Misserfolg und den Ab- Lage der Sprengobjekte, die Telefon- Darüber enthält der Bericht des Gene- bruch der militärischen Karriere, bei- verbindungen zwischen den Bunkern, raladjutanten interessante Einzelhei- des wahrscheinlich eine Folge seiner die Schussrichtung der eingebunker- ten: extremen politischen Einstellung. Im ten Geschütze usw. Dies und die von «Die Teilnehmer wurden handschrift- November 1941 wurde R. verhaftet. Hermann V. angefertigten Geländes- lich und durch Handschlag dafür ins Während er und seine beiden haupt- kizzen hätten einen Überfall auf Da- Gelübde genommen, dass sie streng- sächlichen Mittäter, Leutnant K. und vos und die Churer Gegend erleich- stes Schweigen über alles beobach- der Zivilist P., erschossen wurden tert. Weitere Auskünfte, die aus der ten, was sie in den Kursen wahrge- und weitere rund 50 in die Affäre ver- Gruppe V. zu den Deutschen gelang- nommen haben. Auf Verletzung die- wickelte Schweizer und Deutsche ten, betrafen Teile der Festung Sar- ser Schweiger pflicht wurde Todes- empfindliche Zuchthausstrafen er- gans einschliesslich ihrer Versor- strafe angedroht. Ein Teilnehmer an hielten, verzichteten die Bundesbe- gungslage, eine Tanksperre bei Wild- einem solchen Kurs schilderte ihn in hörden auf den Strafanspruch gegen haus und in Sihlwald sowie Bunker in folgender Weise: Der Leiter erklärte, Boegemann, «um die Beziehungen zu Zürich-Leimbach und beim Höckler wie wichtig die Sabotage als Hilfs- Deutschland nicht zu erschweren», auf der Zürcher Allmend. Eine Unter- mittel der Armee beim Einmarsch in wie es hiess; der Konsulatsbeamte gruppe dieses Spionagerings unter- fremde Länder sei. Er erzählte aus Er- wurde nach nur fünftägiger Haft über hielt direkte Verbindungen zum deut- fahrungen in Österreich, in der Tsche- die Grenze heim ins Reich geschickt. schen Konsul Böhme in Davos, der choslowakei und in Polen, dass dort dort 1941 einen Schwarzsender in- die Sabotage eine grosse Rolle ge- stalliert hatte. spielt habe, indem ihre Vertrauens- Gefreiter lädt die Deutschen zu Der zu dieser Gruppe gehörende Fü- leute in diesen Ländern die Sprengun- Besichtigungen ein silier Hermann G. (geb. 1897, Zahn- gen von Brücken, Strassen, Eisenbah- Hingerichtet wurde auch der Gefreite techniker), der in die Sarganser Fe- nen verhindert hätten. Das Ziel des Hermann V. (geb. 1908, Bäcker), der stungsinfanterie eingeteilt war, hatte Kurses sei, befehlsmässige Spren- vom Juni bis zum November 1941 – Skizzen über die innere Festungsor- gung und Brandmittel kennenzuler- in einer Zeit, da die deutschen Ge- ganisation herzustellen und genaue nen und diese anwenden zu können. heimdienste besonders eifrig Anga- Einzelheiten über die dort stehenden Zunächst wurden Brandmittel ge- ben für einen Angriff auf die Schwei- Einheiten, die Bewaffnung, die Ver- zeigt. Es wurden Karton- und Blech- zer Alpenfestung sammelten – Grenz- bindungswege sowie über Lage und hülsen mit einer Mischung von Salpe- dienst am Schlappiner Joch zwischen Schussfelder des Grossbunkers Piat- ter-Schwefel und in Mirbanöl ge- dem Prättigau und dem Montafon lei- tis und des östlichsten Wachtpostens tränktem Sägemehl gefüllt. Ferner stete. Er erläuterte den deutschen der Festung Luziensteig zu liefern. wurden verwendet: Charput Mortum, Agenten anhand von Geländeaufnah- Aluminiumbronze, Gips. Sodann wurde die Herstellung von Zündsätze

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ausgestrahlte gleichnamige Film ha- Ernst S., von links gesehen Gelüste austreiben sollen, sind miteinan- ben heftige und langanhaltende öf- der verknüpft, die Schule mündet ins Pfarr- fentliche Diskussionen ausgelöst. «Emst S. ist kein Kuriosum. Er ist auch amt, das Pfarramt in die Erziehungsan- keine Antiquität. Er ist die Lackmus- stalt, die Vormundschaftsbehörde in die Buch und Film stellten nämlich die probe: Er zwingt die Gesellschaft, Farbe nächste Erziehungsanstalt, die Fabrik in Taten, für die Ernst S. mit dem Tode zu bekennen. Er macht Strukturen sicht- die Armee. Parieren oder krepieren. Vom büssen musste, der betont deutsch- bar. Da lehnt sich einer behutsam auf, Exekutionspeloton erhält alles rückwir- verhält sich ein wenig anders als seine freundlichen Anpassungshaltung von kend seine eigentliche Farbe: Fabrikpelo- Persönlichkeiten wie Bundesrat Pilet- Klassengenossen, und schon schlägt ton, Schulpeloton, Vormundpeloton. Man die Gesellschaft mit voller Wucht zu. Sie sage nicht: S. ist die Ausnahme. Der ge- Golaz und Oberstkorpskommandant schlägt nach unten, mit Vorliebe nach waltige Apparat, den es brauchte, um ihn Ulrich Wille sowie den Waffenliefe- ganz unten, auf die Lumpenproletarier. zu dressieren, hat auch andere kujoniert. rungen der Oerlikoner Bührle-Werke S. war normal, unerlaubt normal, aber Schon seine Existenz hat Tausende ein- gegenüber. nicht genormt. Er wollte, wenn auch nur geschüchtert. S. ist vielmehr die Regel für Die offizielle Darstellung des Falles in vorsichtigen Zügen, das Leben ge- das, was einem Lumpenproletarier oder niessen. Das war ein ‚Vergehen’, wenn einem Proletarier passiert, wenn er sich S., veröffentlicht im Anhang zum Be- man nicht zu den Privilegierten gehörte auflehnt. Dass den meisten nichts pas- richt des Chefs des Generalstabes der und kein Geld hatte. Er wollte sich nicht siert, beweist demnach, dass sie sich klag- Armee an den General über den. Ak- ohne Weiteres verwursten lassen. Das los unterdrücken lassen. Die Institutionen, tivdienst, lautet: «Der Kanonier Ernst war verdächtig. Mit dem Onanieren die S. das Fürchten gelehrt haben, gibt es S., ein Zürcher, wohnhaft gewesen in fängt es an, mit dem Landesverrat hört alle noch. Sie funktionieren meist rei- es auf. Dazwischen die Weigerung, sich bungslos, wenn auch weniger brutal, doch St. Gallen, wurde am 5. Januar 1942 in der Fabrik ausbeuten zu lassen, und an ihrem Mechanismus hat sich nichts ge- verhaftet und in der Folge zum Tode der Wunsch, herumzuschlendern. Oder ändert.» verurteilt. Er war von einem dem gar die Lust auf eine Flugzeugmechani- deutschen Konsulat in St. Gallen zu- kerlehre! Die Institutionen, welche diese Niklaus Meienberg geteilten Beamten engagiert worden, von August Schmid, der zu lebens- länglichem Zuchthaus verurteilt wurde. S. gelang es, einen Korb mit vier gewöhnlichen 7,5er Granaten und einer Spitzgranate zu stehlen. Er händigte Schmid auch Informationen zen gelehrt, mit welchen die Brand- Rohmaterialien aus dem Kurs zur aus, alles gegen eine Bezahlung von mittel zum Brennen gebracht werden Herstellung von Brand- und Spreng- ungefähr Fr. 500.-. Unter diesen In- konnten. Nach den Zündsätzen wur- mitteln und lagerte sie bei einer Dritt- formationen befanden sich Skizzen den Sprengmittel durchgenommen, person ‚polizeisicher’ ein.» von Befestigungsanlagen beim Klön- die aus den obenerwähnten Stoffen talersee, bei Ziegelbrücke, vom Bi- zusammengestellt wurden. Am Ernst S. – ein relativ kleiner Fisch berlikopf usw. S. wurde von Schmid Schluss wurden Zeitzünder-, Spreng- auch beauftragt, in der Maschinen- oder Brandbomben hergestellt, und Es fällt auf, dass sich in den Jahren fabrik Oerlikon eine Tankbüchse und zwar mit Hilfe von Taschenlampen- 1976 und 1977 die neu aufgeflamm- eine magnetische Mine zu stehlen. batterien oder Schwefelsäure. Ferner te historische und politische Diskus- Die Verhaftung verhinderte die Aus- wurden Zeitzünderbomben verfertigt sion um den Vollzug der Todesstrafe führung dieser Pläne.» mit Auslösung auf Druck, so z.B. für während des Aktivdienstes ausge- Die hartnäckigen Gerüchte, wonach Eisenbahnattentate. Nachdem jeder rechnet an einem vergleichsweise es sich um neuentwickelte Granaten von uns Gelegenheit gehabt hatte, die eher leichten Fall entzündet hat, der mit überdurchschnittlicher Wirkkraft einzelnen Arten dieser Spreng- und weder für die Mehrheit der 33 von gehandelt habe, wurden nie bestätigt. Brandmittel herzustellen, wurden Schweizer Divisionsgerichten ausge- Immerhin war die Panzergranate ein Demonstrationen vorgenommen. sprochenen Todesurteile noch für die relativ neuer Geschosskörper, der für Brandmittel wurden in der Nähe der Schicksale der 17 erschossenen Män- den deutschen Nachrichtendienst von Garage zur Entzündung gebracht, ner repräsentativ ist: der Fall des Ar- Interesse gewesen sein muss. Sprengmittel in der Kiesgrube. Am tilleriefahrers Ernst S. (geb. 1919, Dass auch bei der Vereinigten Bun- letzten Tag des Kurses mussten wir Gelegenheitsarbeiter). desversammlung, der Begnadigungs- eine Brandbombe herstellen mit Zeit- Niklaus Meienbergs Buch («Die Er- zündung durch eine Uhr. Die Brand- schiessung des Landesverräters Ernst bombe funktionierte gut. Nach der S.») sowie der von ihm und Richard Rückkehr verschaffte R. sich die Dindo gedrehte, im Juni 1977 am Schweizer Fernsehen ausgestrahlte

20 instanz, die Zweifel an der Angemes- senheit des Todesurteils stärker wa- ren als gewöhnlich, geht aus dem Ab- stimmungsentscheid hervor, der mit 176 gegen 36 Stimmen die Begnadi- gung ablehnte; es war der höchste Anteil an Gegenstimmen in allen 16 behandelten Begnadigungsfällen.

Die Armee im Schatten

Der Hotelportier filzte jeden Morgen die Papierkörbe. Der Adjutant-Unter- offizier aus dem Festungsbüro hatte 18 Stempel von Grenzübertritten nach Deutschland im Pass, und das im Aktivdienst! Die Büroordonnanz schrieb mit einer Tinte, die sofort im Papier verschwand. Der Oberst fragte Landsleute aus und gab vor, die Ant- worten seien für den schweizerischen Nachrichtendienst bestimmt. Die Ser- viertochter kam mit weiblichen Mit- teln ans Ziel. Im Eigental übte die «Sportschule» Angriff, Verteidigung und Nah- kampf. Die Mitglieder der «Fechtge- meinschaft» hatten ein Alarmsystem und grüssten sich mit der gereckten Rechten. In der Munitionsfabrik Alt- dorf gab es eine Gruppe der frontisti- schen «Eidgenössischen Sammlung»; an Pfingsten 1941 veranstalteten sie auf einer Bergwiese bei Attinghausen eine Morgenfeier, bei der sogar ein Pfarrer predigte. Zum Schluss wur- den zwei deutsche Lieder gesungen, der Hitler-Gruss entboten, und der Abgesandte des Führers befahl: «Ab- treten!» Während des ganzen Aktivdienstes hatte die maschinerie und beseelt von der men- Unter hundert Masken und mit tau- Armeeleitung gegen die Sorglosigkeit im Um- schenfeindlichen Ideologie der nordi- send Schlichen tarnten sich die gang mit Militärgeheimnissen zu kämpfen. schen Herrenrasse, taten die Verräter Schweizer, die ihre Heimat verrieten. deutschen Verbündeten zu verlassen. ihr Werk. Viele spät und zufällig ent- Es waren Hunderte! Fast ohne Aus- Auch Spionage und Landesverrat zu- deckte Fälle sowie die erhalten ge- nahme arbeiteten sie alle für Hitler- gunsten der Alliierten wurden nur in bliebenen Aufzeichnungen in deut- Deutschland. Während des ganzen Einzelfällen bekannt, und dies vor al- schen Archiven legen den Schluss Aktivdienstes wurden nur vier Spio- lem nach dem Krieg. nahe, dass auch in dieser entscheiden- nagefälle zugunsten Italiens aufge- Angeleitet von zugereisten Spionen den Zeit der Schweizer Geschichte deckt, keiner von ihnen war beson- und geheimdienstlich ausgebildeten die Dunkelziffer gross geblieben ist. ders schwer; Mussolini schien sich Ausländsdeutschen, gedopt mit der Viele wurden erwischt, aber bei Wei- ganz auf die Gründlichkeit seiner aufpulvernden Propaganda, geblen- tem nicht alle. Und manche von ihnen det von der Kette der Blitzsiege einer dürften heute noch unerkannt unter vermeintlich unschlagbaren Kriegs- uns leben – als senkrechte Bürger, gute Christen und pünktliche Steuer- zahler...

21 Geheimtinte, Schwarzsender, Gebrauche angewiesenen oder zur (24.2.42) um 07.00 früh zu einer Minox... Verfügung gestellten Mittel. Allge- Alarmübung eingerückt. Die Aufstel- mein gebräuchlich waren neben der lung erfolgte in den Räumen Appen- Oberstbrigadier Jakob Engster, mündlichen Berichterstattung mit zell, St. Gallen, Graubünden (Prät- Oberauditor der Armee ab 1941, zog Übergabe von Skizzen, Plänen, tigau), Schwyz und Thurgau. Stellun- als einer der besten Kenner der Spio- Drucksachen, Munition usw. der gen sollen bis heute Abend 21.00 in nageszene im militärischen Bereich schriftliche Verkehr mit Gebrauch den Räumen Mythen, Schwyz, Linth- folgende Bilanz: «Aus dem Zusam- von Geheimtinten auf harmlos er- ebene, Glarus, Graubünden (Fe- menspiel der Tätigkeit der ausländi- scheinenden fiktiven Korresponden- stungsbereich Sargans) eingenom- schen Agenten mit ihren einheimi- zen, der Gebrauch von kleinen, in der men sein. Es sind zu erkunden: Ein- schen Ausführungsorganen und Mit- Hand versteckbaren Fotoapparaten, heiten, Truppenunterstellung, Be- arbeitern ergaben sich häufig weitver- der Minoxapparate zur Aufnahme waffnung, Ausstattung z.B. mit I. K., zweigte Organisationen. In diesen von militärischen Anlagen, zur Her- Stellungsbereich der Truppen, Korps- bildeten die Haupttäter die Zentral- stellung von Fotokopien von Karten sammelplätze.» Ein anderer Auftrag punkte mit wieder eigenen Aus- und Plänen und anderen Dokumenten lautete: kunftsorganen. Zu diesen kamen Stel- für die nachherige Vergrösserung im «Ich ersuche um folgende Einzeich- len für die Auswertung und die Über- Auslande und schliess-lich die Nach- nung im Zürcher Stadtplan: 1. Alle mittlung der Ergebnisse. Jede derar- richtenübermittlung durch Schwarz- Bunker, die Sie wissen. 2. Betonhök- tige Gruppe war so gegliedert, dass sender. (...) kerlinien für Tankhindernisse bei Alt- sie in ihrem Mitarbeiterkreise auch Das Forschungsergebnis gab, im stetten, Wollishofen, Schlieren. Alle über Leute in der Truppe, in einzel- Ausland zusammengestellt und ge- diese Verteidigungslinien sind im nen Fällen über Offiziere und Unter- sichtet, das erstrebte Bild unserer Ab- Plan einzuzeichnen. 3. Zweigstelle offiziere verfügte. So sehen wir neben wehrbereitschaft, unserer Abwehr- vom Kriegskommissariat bei der All- Beobachtungen von aussen immer mittel und unserer Abwehrmethoden. mend Brunau einzeichnen. 4. Ter auch Informationen und Materiallie- Das war die deutsche Spionage, mit Kommando an der Jenatschstrasse. ferungen von innen, welche die Aus- der unser Land in verschiedenen Gar- Wer ist Kdt? 5. Alle Elektrizitäts- wirkung der Spionage ganz wesent- nituren netzartig überzogen, durch- werke der Stadt. 6. Stadthaus mit lich vertiefen. Die Gruppentätigkeit leuchtet und durchsetzt worden ist, Waffen und Munition. 7. Neben erstreckte sich in der Regel auf ein um sich bestimmte Einbruchspforten Bahnhof Selnau an der Stockerstrasse Hauptgebiet und darüber hinaus mit den erfolgsichernden Mitteln zu vor dem Amtsvormundschaftsge- durch Ausnützung persönlicher Ver- öffnen, Mobilmachung und Auf- bäude steht ein Felsblock mit Rasen. hältnisse einzelner Beteiligter auch marsch zu stören und die Kampfkraft Auf diesem Platz ist ein Luftschutz- noch auf Seitengebiete, z.B. in einem durch Zugriff auf Materialreserven, keller. In diesem soll eine Fliegeraus- Falle mit Haupterkundungsgebiet Ba- Verkehrs- und Verbindungsmittel zu wertezentrale sein. Genau einzeich- sel – Berner Oberland – Wallis noch schwächen, mit einem besonderen ei- nen. 8. Alle Benzinlager. 9. Alle Flie- in die Innerschweiz und die Ost- genen Störungsdienst, um Sabotage gerabwehrstellungen, leichte mit 8, schweiz, in einem Falle mit Zürich als zu verüben und sich durch einen schwere mit 8a bezeichnen. Wenn Sie Zentrale auch auf Abschnitte Grau- wohlausgebauten Senderdienst aus noch mehr wissen, so zeichnen Sie bünden und Aargau und die Umge- dem Landesinneren auf dem Laufen- das ein, aber die genannten Sachen bung von Biel wie auch die Inner- den zu halten.» mit den Nr., wie sie hier aufgeführt schweiz. In Deutschland gab es nicht nur Sabo- sind. Auch wo Sie Karten erhalten, al- Die Übermittlungslinien führten auf tage-, sondern auch Krokier- und les angeben. Es ist für uns wertvoll.» verschiedenen Wegen, z.B. von Zü- Funkerkurse, die von kleinen Schwei- Die Spionageabwehr machte die Be- rich aus von derselben Aufgabestelle zergruppen besucht wurden, die ein- obachtung, dass 1939 und Anfang bald über Schaffhausen, bald über ander nicht sehen und nicht kennen 1940 noch vorwiegend Einzelperso- Waldshut oder auch über Basel, wo- durften. Die Aufträge lauteten nur nen und kleine Gruppen, später aber bei die Zwischenempfänger vielfach Anfängern gegenüber einfach: «Al- grosse Netze eingesetzt wurden, die die Herkunftsquelle und den Endbe- les, was von militärischem Belang nicht nur rein nachrichtendienstliche, stimmungsort nicht kannten. sein könnte.» Die Fortgeschrittenen sondern zugleich auch politische Auf- Wie die Organisation der einzelnen erhielten genauere Weisungen, etwa gaben (Umsturzvorbereitung, Kader- Kundschaftergruppen verschieden wie diese: «Die 7. Division ist heute bildung, Propaganda) hatten. Ein war, so waren es auch die ihnen zum

22 Musterbeispiel für solch einen kon- Aus dem Urteil des Bundesstrafge- umschlage. (...) Sie müssten abwar- spirativen Gemischtwarenladen war richts vom 18. Dezember 1943 geht ten, bis von Berlin aus gemeldet die Gruppe Staiger. hervor, dass die «Freunde Deutsch- werde, sie könnten nun auftreten.» lands» nach dem erhofften Sieg über Für einzelne «Freunde Deutschlands» England auf Befehl der deutschen «Heil Hitler» im Kreis 4 blieb es nicht bei Gesang und roman- Führung und unter militärischem oder tischer Verschwörung. Das Hotel Speer hinter dem Zürcher wirtschaftlichem Druck von aussen in Hauptbahnhof hatte vom Februar der Schweiz die Demokratie beseiti- «Freund Deutschlands» klaut in 1941 an regelmässig merkwürdige gen und einen nach dem Führerprin- der Munitionsfabrik Gäste. Sie trugen als Erkennungszei- zip aufgebauten nationalsozialisti- chen weisse Stecknadeln am Revers, schen Staat errichten wollten. Joseph W., Mitglied der «Freunde grüssten grundsätzlich nur mit «Heil Ortsgruppen der «Freunde Deutsch- Deutschlands», wurde im Juni 1941 Hitler» und nannten sich «Freunde lands» gab es in Zürich, Attinghausen verhaftet: Er und Staiger hatten den Deutschlands» (wegen des Treff- UR, Thalwil, Baden, Roggwil TG und Gesinnungsfreund Emil M. veran- punkts auch «Kampf bund Speer» ge- Rorschach. Als Mittelsmann zur deut- lasst, in der Eidgenössischen Muniti- nannt). Ihr Chef war der deutsche schen Führung amtete der als Konsu- onsfabrik Altdorf einen Zeitzünder Schreinermeister Wilhelm Staiger, latsbeamter in Zürich weilende Dr. für die 7,5-cm-Flab-Kanone zu steh- die Mitglieder kamen aus der ehema- Wilhelm Gröbl, Obersturmbannfüh- len. Das war gelungen. Der Zünder ligen «Nationalen Front» und ihren rer der SS, der angeblich schon in war via Staiger nach Deutschland ex- später verbotenen Nachfolgeorgani- Österreich vor 1938 illegal für die Na- portiert worden. Ausserdem wurden sationen (Eidgenössische Sammlung, zis gearbeitet hatte. Gröbl verlangte bei Staiger detaillierte Pläne der Mu- Eidgenössische Soziale Arbeiterpar- von den Leitern der «Freunde nitionsfabrik gefunden, die auch für tei, Bund Treuer Eidgenossen, Natio- Deutschlands» – immer nach dem andere Verräter und Spione eine be- nale Bewegung der Schweiz usw.). Wortlaut des Gerichtsurteils: «In je- vorzugte Zielscheibe war. Einmal wöchentlich war Chorprobe der Stadt sollten zweihundert Mann Jakob M., Korporal einer Stabskom- im Hotel Speer. Man sang deutsche bereit sein, wovon fünfzig ledige; panie, Angestellter der Munitionsfa- Volks- und Kampflieder. diese könnten sich exponieren und ins brik und Mitglied der Gotthardfort- Reich verschwinden, wenn die Sache wache, war ein Agent des gleichen im Panoramaheim in Stuttgart sitzenden Friedrich Strenkert, der die Verräte- Das Hotel Speer an der Reitergasse in Zürich reien der im Eigental hingerichteten 4 war der Treffpunkt einer illegalen national- Fouriere F. und Z. fernsteuerte. Mit sozialistischen Vereinigung. Hilfe eines Komplizen verschaffte sich M. eine Serie von Ansichtskarten des Gotthard-gebiets, in die er wich- tige zivile und militärische Anlagen einzeichnete: die Munitionsfabrik Altdorf, Material- und Munitionsde- pots, Bahnhöfe, Flugplätze, PTT-Ge- bäude, Bunker, Kasernen und Fe- stungsbüros. Für den Korporal aus Altdorf war im Panoramaheim zu Stuttgart angeblich sogar immer ein Büro reserviert. Bei der Verhaftung wurden eine topographische Karte 1:50’000 von Altdorf, zwei Panora- mafotos von Altdorf und Andermatt sowie Aufzeichnungen mit detaillier- tem militärischem Inhalt sicherge- stellt. M. erhielt lebenslänglich

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Zuchthaus. Mit ihm flog auch ein Ur- Gelder, die sie zur Finanzierung des Spionagelohn jeweils sofort geräusch- ner Telegrafist auf, dem so schwer- verbotenen Nachrichtendienstes emp- voll in ausgedehnte Festessen und wiegende Verratshandlungen nachge- fingen, für sich zurückbehalten ha- Trinkgelage zu investieren pflegten. wiesen werden konnten, dass sie zu ben. Diese bildeten für sie eine ihrer Der -Offizier wurde übrigens einem Todesurteil ausreichten; aber Einnahmequellen. Es ist bemerkens- bei Kriegsende von französischen Wi- Telegrafist Alois W. hatte sich bereits wert, dass auf allen Stufen des der derstandskämpfern erschossen, just ins Panoramaheim abgesetzt. Anga- Gestapo oder der Nationalsozialisti- als er schutzsuchend auf Schweizer ben über die Stärke der Wache in der schen Partei unterstellten Spionage- Boden fliehen wollte. Munitionsfabrik und die Anzahl der dienstes die Bestechlichkeit herrsch- sie bedeckenden Flab-Geschütze lie- te. An den höheren Stellen verlegten Arglosigkeit hilft den Deutschen ferte der 62jährige Johann Z., Schrei- sich die Leiter auf Kauf und Verkauf ner in diesem Betrieb, einem Liech- von Devisen, Bildern, Besitzungen, «Unserem Lande fehlten die Erfah- tensteiner, der als deutscher Agent ar- Fabriken usw. und konnten auf diese rungen auf dem Gebiete der Spionage beitete. Er erhielt dafür 20 Franken Weise ganz beträchtliche Gewinne und Sabotage, so wie diese in den Jah- von den Deutschen und lebensläng- erzielen. Die Subalternbeamten berei- ren 1939-1945 in Erscheinung traten. lich Zuchthaus von den Schweizern. cherten sich mit dem Schmuggel ihrer Zivil- wie Militärpersonen waren auf Z. hatte sich auch bereit erklärt, auf Agenten, dem Plündern und Prellen diese unterirdische Tätigkeit voll List Plänen und Ansichtskarten sämtliche der Flüchtlinge, die die von den deut- und Verschlagenheit nicht vorberei- bestehenden und noch im Bau befind- schen Armeen besetzten Gebiete pas- tet. (...) Unvorsichtigkeit und Nach- lichen militärischen Objekte zwi- sieren wollten, um auf Schweizer Ge- lässigkeit äusserten sich in verschie- schen der Tellsplatte und dem Talbo- biet zu gelangen. Vielfach hielt man denen Formen, in Schwatzereien, den der Reuss einzuzeichnen. Doch sie vor dem Grenzübertritt nochmals Vergesslichkeiten, ferner auch in ei- die Spionageabwehr war schneller. an, um ihnen auch noch das Letzte ner ungenügenden Überwachung der wegzunehmen.» militärisch wichtigen Pläne und Do- Nicht im Bericht des Generalstabs- kumente.» So billig machen es die Verräter chefs steht, dass die Schweizer Wie ein roter Faden ziehen sich Kla- Nach den Feststellungen der Spiona- Grenzwächter und Soldaten viele die- gen wie diese von Generalstabschef geabwehr liessen sich alle Verräter, ser Unglücklichen auf Befehl der un- Jakob Huber durch sämtliche Berichte auch die politisch und weltanschau- nachgiebigen, von Dr. Heinrich Roth- über Spionage und Landesverrat wäh- lich motivierten, für ihre Dienste be- mund geleiteten Fremdenpolizei un- rend des Aktivdienstes. Die Abwehr zahlen, aber die Zuwendungen er- verzüglich in den sicheren Tod zu- führte einen ewigen Kampf gegen reichten oft nicht einmal den Gegen- rückschicken mussten! vertrauensselige Soldaten, die in wert der dreissig Silberlinge, die der An der Westgrenze zum besetzten Gaststätten und Eisenbahnzügen sorg- abtrünnige Apostel Judas für den Ver- Frankreich bediente sich die Spio- los über ihre Standorte und Aufträge rat Jesu erhalten haben soll. nageorganisation der Gestapo plauderten. In einem im September Ein Korporal im Jura gab für 20 Fran- (Reichssicherheitshauptamt, Amt IV) 1943 erschienenen Wehrbrief beklag- ken den Standort seiner Kompanie, mit Vorliebe schweizerischer Uhren- te sich die Sektion «Heer und Haus»: den Namen seines Kadis und die Lage schmuggler, die von den Grenzposten «In den seltensten Fällen hat der eines Bunkers preis. Über 1’000 Fran- erwischt worden waren. Mit dem Spion in Erfüllung seiner Aufträge ken sprangen eigentlich nur heraus, Versprechen der Straffreiheit und Zu- nächtliche Einbrüche, geheimnisvolle wenn die Aufträge länger dauerten wendungen in der Grössenordnung Aktendiebstähle auszuführen oder und Reisen bedingten. 1’000 Franken von 20 bis 40 Franken brachte der sich an hohe Offiziere anzupirschen. waren auf die Beibringung der Führungsoffizier der Gestapo, ein bei Dem Spion sind alle Mittel recht, Schweizer Tankbüchse ausgesetzt, der einheimischen Bevölkerung ver- seine Informationen werden ihm ja für die sich die Deutschen besonders hasster Sadist, fünf Schweizer, darun- zugetragen! Es genügt meistens, dass interessierten. Oft wurden die Ver- ter einen Unteroffizier, dazu, ausge- er bei laut geführten Gesprächen un- sprechen nicht einmal erfüllt. Dazu dehnte Streifzüge zu den Befestigun- auffällig mithört oder dass er sich der Bericht des Generalstabschefs: gen im Bielerseegebiet, im Jura, am harmlos ins Gespräch einmischt. Er «Es erwies sich in wiederholten Fäl- Chasserai und im Greyerzerland zu braucht in vielen Fällen nichts anderes len, dass gewisse deutsche Stellen die unternehmen. Das Quintett flog auf, zu tun, als ein Generalabonnement weil zwei seiner Mitglieder ihren 24 der SBB zu erstehen und ständig sol- hen. Jawohl, wir sind Agenten; wir sind che Züge zu benützen, in denen ent- Agenten des Deutschtums, der deut- lassene oder einrückende Wehrmän- schen Kultur und des Nationalsozialis- ner reisen. mus. Das mögen sich die Feinde Die Spionage ist der Krieg der Ge- Deutschlands merken!» hirne. Es braucht nur ein wenig Geris- senheit, um harmlosen Schwätzern Ein Gauamtsleiter aus Berlin in seiner Rede zur Einweihung des Deutschen wichtige militärische Angaben zu ent- Heims in Basel am 7. Dezember 1941 locken. Beispiel: Der Spion bemerkt einem Heiratsfähige Burschen holen sich Wehrmann gegenüber beiläufig, dass ihre Bräute jenseits der Grenze. Der er gehört habe, seine Einheit habe Handel blüht über die Schlagbäume Steine klopfen müssen. Der Wehr- hinweg. Tausende von Arbeitern fin- mann, in seiner Soldatenehre ge- den als Grenzgänger eine Stelle, ihre kränkt, antwortet entrüstet: ‚Nein, Kinder besuchen die Schulen und meine Einheit hat Bunker gebaut!‘ Universitäten im Nachbarland. Sams- Der Spion sagt darauf: ‚Warum nicht tags kauft man ein, wo’s billiger ist, gar; Holzbaracken habt ihr erstellt!‘ sonntags fährt die Familie ins Elsass Der Wehrmann, zum Widerspruch oder ins Badische... gereizt, erzählt darauf weitschweifig, Die normalste Sache der Welt, der Generalstabschef Jakob Huber war der engste wie viele und wie grosse Bunker sie Mitarbeiter und Vertraute von General Henri kleine Grenzverkehr, wurde unter gebaut hätten. Wie nun der Spion un- Guisan in der Aktivdienstzeit. dem Druck der nationalsozialisti- gläubig seinen Kopf schüttelt, sucht schen Eiferer zu einer gefährlichen der Soldat die Richtigkeit seiner An- Bedrohung für die Schweizer Grenz- gaben dadurch zu beweisen, dass er Rheintal bis Vallorbe, um Befestigun- gebiete. Es war logisch und unver- beschreibt, wo sich die Bunker befin- gen zu erkunden. Als Preis für die meidlich, dass die neue politische Be- den und wie stark ihre Bestückung ist. Pläne, die Befestigungen im Rheintal wegung vor allem in den zur nördli- – Der Spion weiss nun, was er wissen betrafen, waren 4‘400 Franken ausge- chen Grenze hin gelegenen Regionen wollte.» macht. Emil M., einer der frühesten die erste und stärkste Verbreitung So einfältig das tönt: Manchmal Verräter, kam 1939 mit nur acht Jah- fand: im Bodenseegebiet, im Rhein- klappte es auf diese Weise, und nicht ren Zuchthaus davon – einerseits ein tal, in Schaffhausen und in Basel. selten waren es gerade die Höheren, Beispiel für die zu Beginn des Krieges Greifen wir als Beispiel die Gross- die den Agenten die Arbeit erleichter- oft ungewöhnlich milden Urteile, an- stadt im Dreiländereck heraus. Die ten. Dem vom hingerichteten Kano- derseits ein greller Kontrast zu den dortige Entwicklung der Dinge hatte nier R. bestohlenen Platzkomman- späteren Todesurteilen für weit ge- ihre fatale Folgerichtigkeit und be- danten fiel monatelang nicht auf, dass ringfügigere Delikte; Emil M. war im- weist, dass die Schweizer in den aus seinem Koffer, der im leicht zu- merhin Berufsunteroffizier und Inha- Grenzgebieten keineswegs anfälliger gänglichen Büro lag, militärische Ge- ber einer Vertrauensstelle gewesen! waren für die braune Ideologie; sie heimdokumente verschwunden wa- waren einfach näher und ausgesetzter: ren; erst die Spionageabwehr sagte es Zum Beispiel Basel: Verrat geographisch, wirtschaftlich, mensch- ihm. In der Conciergewohnung eines lich. Hotels wurden Pläne gefunden, die im Grenzland Basels Hinterland ist zur Hauptsache ein Jahr zuvor in einem Hotelzimmer französisch und deutsch. Seine hoch- liegengelassen und nicht einmal ver- «Um Schweizer Politik, Wirtschaft und entwickelte Industrie hätte es schwer misst worden waren. Auch der Ver- Einrichtungen haben wir uns nicht zu ohne Grenzgänger. Als Verkehrskno- ratsfall des Adjutant-Unteroffiziers kümmern. Wir achten das Gastrecht. tenpunkt, Handels- und Wirtschafts- Wer sich dieser Anordnung nicht fügt, Emil M. lässt nicht auf besonders zentrum einer Grossregion war und ist wird aus der Partei ausgeschlossen.» wirksame vorbeugende Massnahmen die Stadt eng mit ihren Nachbarn ver- schliessen: Als Angestellter im Fe- Interne Weisung der Ortsgruppe Basel der bunden. Der Rheinhafen und der Ba- stungsbüro Kreuzlingen fotografierte NSDAP um etwa 1935 dische Bahnhof (damals Deutscher er 44 geheime Pläne und bereiste zwei Reichsbahnhof) bezeugen diese Tage lang das Grenzgebiet vom «Jeder Deutsche wird von gewissen zwangsläufige und nützliche Präsenz Leuten im Ausland heute noch als der ausländischen Nachbarn in der Agent der Fünften Kolonne angese-

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Das Mauseloch der deutschen Spionage auf kommen sollte. Damit ist auch ge- ein, Hitlerjugend, Bund Deutscher Schweizer Boden: der Badische Bahnhof in Ba- sagt, dass die Gleichstellung von Mädel, Auslanddeutsche Frauen- sel. Hier passierten Spione und Meldungen. Deutschen mit Nationalsozialisten schaft usw. bis hin zur Kriegsgräber- Schweizer Grenzstadt. Von jeher schon damals so falsch war, wie sie es fürsorge. Die Mitgliederzahlen folg- lebte in Basel eine bedeutende Zahl in der Folge immer geblieben ist. ten ziemlich genau der Erfolgskurve deutscher Staatsangehöriger. Im Jahre Das Wesen und die Gefühle des Men- Hitlers. Noch 1938 war nach Schät- 1920 waren es 28‘355 Personen, 20,1 schen freilich fragen nicht nach Pass zungen der Basler Regierung nur je- Prozent der gesamten Wohnbevölke- und Bürgerrecht: Was man im Eltern- der zwölfte Deutsche organisiert. rung. Dieser Anteil nahm in den fol- haus und in der Schule gelernt hat, Doch der Kriegsausbruch setzte dem genden Jahren nur zum Schein ab; bleibt einem ebenso wie das natürli- Abseitsstehen und der Liberalität vie- wenn es 1935 bloss noch 16‘871 (10 che Geflecht von Verwandtschaftsbe- ler Auslandsdeutscher in der Schweiz Prozent) und 1939 11‘202 (6,6 Pro- ziehungen und Bekanntschaften. Die und besonders im «reichsnahen» Ba- zent) waren, dann deshalb, weil der bis zur Perfektion gestraffte Organi- sel ein Ende: Von wenigen hundert Stadtkanton mit den Einbürgerungen sation und Kontrolle der «Ausländs- schnellte die Mitgliederzahl in den in der Zwischenkriegszeit recht gross- deutschen» durch die nationalsoziali- Erfolgsjahren des Blitzkriegs (1940/ zügig verfuhr: Von 1920 bis 1932 er- stische Bürokratie unter Führung des 41) auf stolze viertausend empor. Je- langten 9‘328 deutsche Männer und deutschen Konsulats zogen reichlich der dritte Deutsche war jetzt erfasst. Frauen das Schweizer Bürgerrecht, Nutzen aus dieser Tatsache. Eine Das war eine Folge der Anpassung, 2‘363 deutsche Frauen mit 115 Kin- grosse Zahl ungeschriebener Famili- aber auch der straffen Überwachungs- dern wurden durch Heirat Schweize- entragödien war die Folge. und Werbemethoden, die alle Formen rinnen. des Terrors einschlossen. Der am 27. Februar 1940 im Restau- Viele der Eingebürgerten waren Teil- Anpassung und wirksamer Terror nehmer des Ersten Weltkriegs, die rant Brauner Mutz gegründete «Deut- sich beizeiten dagegen absichern Innert kürzester Zeit nach Hitlers sche Turn- und Sportverein» lieferte wollten, nochmals für ihr Land das Machtergreifung baute der Stab des krasse Beispiele dafür. Viele Aus- Leben riskieren zu müssen. Das zwei- deutschen Konsulats in Basel, unter- ländsdeutsche liessen sich durch den te Hauptmotiv, das sich in einer deut- stützt von einem harten Kern von Na- statutarisch festgelegten Vereins- lichen neuen Einbürgerungswelle zis der ersten Stunde, das ganze be- zweck der «leiblichen und charakter- zwischen 1930 und 1933 ausdrückte, kannte System auslandsdeutscher Or- lichen Erziehung durch planvoll be- war sicher die dunkle Vorahnung des- ganisationen auf, das alle Volks- triebene Leibesübungen und Pflege sen, was mit dem aufkeimenden Na- schichten und Lebensbereiche erfas- des deutschen Volksbewusstseins an- tionalsozialismus auf Deutschland zu- ste: NSDAP und Deutsche Arbeits- front, Deutscher Turn- und Sportver-

26 locken, zumal hinzugefügt wurde, der Verein enthalte sich jeglicher Politik. Warum nicht! mag sich da manch ei- ner gedacht haben. Schnell zeigte dieser Turnverein aber sein wahres Gesicht: Ihm war von draussen das Ziel gesetzt, alle wehrfä- higen deutschen Männer zu erfassen. In späteren Versammlungen war – Statuten hin oder her – plötzlich die Rede von der hoffnungslosen Lage der demokratischen Völker, von den Garanten und Repräsentanten des siegreichen neuen Deutschland und von den Fahnenträgern der national- sozialistischen Idee. Jeder Versamm- lungsbesucher hatte einen Fragebo- gen auszufüllen, der zugleich eine Beitrittserklärung war. Bei der Tür stand eine Wache, die jeden, der den

Fragebogen nicht wunschgemäss aus- gefüllt hatte, am Verlassen des Saals hinderte. Natürlich waren die «Trup- pendienste» und «Morgenappelle», die Aufmärsche und Geländespiele keineswegs nur turnerisch-sportliche Übungen, sondern dieselbe Mischung von militärischem Drill und weltan- schaulich-politischer Schulung, mit der zum Beispiel auch Konrad Hen- lein im Sudetenland die Machtüber- nahme der Nazis vorbereitet hatte. 20 Mitglieder des Turn- und Sportver- eins wurden in der Folge wegen direk- ter Spionage zum Nachteil der Schweiz in Untersuchung gezogen. Die «Deutsche Arbeitsfront», nach aussen hin eine «Leistungsgemein- schaft», die im Sinne der neuen völki- schen Ideologie Gewerkschaften und Unternehmerverbände ersetzen sollte, erwies sich in Basel als Spitzel- und Terrororganisation. Der Parteigenos- se Gustav Stotz entfaltete, wie der

Dokumente schweizerischer Anpassung im All- tag. Mit dem deutschen Gruss «Heil Hitler» bo- ten eine Fleischkonservenfabrik und ein Ge- tränkehändler dem «Deutschen Heim» in Basel ihre Ware an. Geschäft ist Geschäft...

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Bericht des Basler Regierungsrates der Wehrmachtsabteilung des deut- ses gut 16 Kilometer langen Ge- später enthüllte, folgende Tätigkeit: schen Konsulats Unterschlupf boten. biets berechtigt gewesen wäre, war «An Hand eines Stadtplans teilte er Im Saal gab es eine Kinoapparatur, sie praktisch unmöglich: Sie hätte zunächst Basel in die Gebietswaltun- auf der 1942 nicht weniger als 125 ein ständiges Aufgebot von rund gen Kleinbasel, Basel-Ost und Basel- Filme vor total 15‘200 Besuchern ab- 1‘500 Mann erfordert, ohne dass West auf. Dazu kamen die Ortsgrup- gespielt wurden. Im gleichen Jahr Gewähr dafür geboten gewesen pen Riehen, Bettingen und Chri- fanden 190 Veranstaltungen im wäre, dass nicht doch an verabre- schona. An der Spitze einer Gebiets- «Deutschen Heim» statt. deten Stellen Material und Mel- waltung oder Ortsgruppe stand je ein dungen aus fahrenden Zügen ge- Ortsobmann. Die Gebietswaltungen worfen worden wären oder Unbe- Das Mauseloch der Spionage wiederum wurden in (im Ganzen 47) rechtigte im Gleis- und Schuppen- Zellen und jede von ihnen wieder in Neben dem Konsulat und dem «Deut- gewirr des Bahnhofs die Grenze drei bis vier Blocks aufgeteilt. Jede schen Heim» war besonders der Ba- passiert hätten. Zelle erhielt einen Zellenwart oder dische Bahnhof der damaligen Deut- Fast machtlos musste die Schwei- Zellenobmann, jeder Block einen schen Reichsbahn ein Brennpunkt der zer Abwehr zuschauen, wie die Blockobmann. Diese Funktionäre Spionage und des unerlaubten Grenz- Deutsche Reichsbahn diesen wurden z.T. aus dem geschulten verkehrs. Die Basler Behörden hatten Stützpunkt hemmungslos zum Mannschaftsbestand des Deutschen vom Bund schon bei Kriegsausbruch Hauptquartier der deutschen Spio- Turn- und Sportvereins ausgezogen verlangt, diesen deutschen Knoten- nage und Propaganda ausbaute. oder aus Leuten beschafft, die sich punkt auf Schweizer Boden unter Dazu die Basler Regierung: «Die bei früheren Werbeaktionen ausge- schweizerisches Hoheitsrecht zu stel- Deutschen nützten die ihnen durch zeichnet hatten. Für die Tätigkeit der len, waren aber damit nicht durchge- die vertraglichen Vereinbarungen Zellenobmänner wurde ein eigener drungen. gebotenen Vorteile vom Beginn Begriff, das sogenannte ‚Betreuen’, Obwohl die Schweiz gemäss dem des Krieges an sofort nach allen geschaffen, der soviel bedeutete, dass Staatsvertrag zu einer Kontrolle die- Seiten aus. Den Kontrollbeamten sich der einzelne Zellenobmann um von Zoll und Bahn wurden Ge- das Wohl und Wehe der ihm unter- stapo-Funktionäre beigegeben. stellten Volksgenossen zu kümmern, der politischen Gesinnungsbildung nachzuhelfen und Meldungen an die Leitung weiterzugeben hatte. Den Nazi-Ideologie zerstört Frau vor dem ‚Deutschen Heim’ in Blockwaltern fiel die Aufgabe des Empfang nehmen musste und dass Familien sich die Ehetragödie vor den Augen der Einkassierens der Monatsbeiträge für «Die nationalsozialistische Bewegung Polizei abspielte. Umgekehrt haben die Deutsche Kolonie und die Deut- der Kriegsjahre, als Ganzes gesehen, verschiedene ehemalige Schweizerin- sche Arbeitsfront zu.» ging nicht bloss in die Breite. Sie hatte nen, die mit Deutschen verheiratet sind, Das Zentrum der vielfältigen aus- auch ihren Tiefgang. Die ehemals guten nicht bloss begeistert in der ‚Deutschen landsdeutschen Umtriebe in Basel Beziehungen zwischen der schweizeri- Frauenschaft’ mitgemacht, sondern schen Bevölkerung und den in Basel le- dort auch Ämter übernommen. Vielfach war neben dem Konsulat ab 7. De- benden Deutschen wurden immer mehr ist auch von angestammten Schwei- zember 1941 das «Deutsche Heim» getrübt. Viele Deutsche, die in Basel zern gegen die bundesrätliche Verord- an der St.-Alban-Vorstadt 12. Das aufgewachsen waren und hier ihre nung verstossen worden, die es von einer nazifreundlichen Stiftung Schulbildung genossen hatten, sind der- Schweizern verbot, an einer aus- art nazifiziert worden, dass sie zu erklär- schliesslich für Ausländer bestimmten erworbene und um einen Saalneubau ten Feinden ihres Gastlandes wurden Veranstaltung vornehmlich politischer und selbst den Basler Dialekt gegen die mit 300 Plätzen erweiterte Haus um- Natur teilzunehmen. Es handelte sich schriftdeutsche Sprache vertauschten. fasste insgesamt 32 Versammlungs- hier fast immer um schweizerische räume und Büros, die den Geschäfts- Ehen von Schweizern mit deutschen Frauen gingen vielfach in die Brüche, Rechtsextremisten. Sie wurden jedoch stellen der Partei, der «Deutschen Ar- weil die Frauen der politischen Bearbei- von der Versammlungspolizei stets an- beitsfront», ferner der Mütterschule, tung durch ihre deutsch gebliebenen gehalten und in der Folge entweder der Arbeitsgemeinschaft der deut- Verwandten unterlagen und zu Besu- verwarnt oder dem Gericht überwie- cherinnen der Veranstaltungen im sen.» schen Frauen im Ausland, der NS- ‚Deutschen Heim’ wurden, bis sie die Volkswohlfahrt, der Hitlerjugend, Versammlungspolizei dabei ertappte. Aus dem Bericht des Regierungsrates der NS-Sportgruppe und später auch Es kam vor, dass der aus dem Militär- des Kantons Basel-Stadt über die Ab- dienst heimkehrende Schweizer Soldat wehr staatsfeindlicher Umtriebe in den seine deutschstämmige Vorkriegs- und Kriegsjahren sowie die 28 Säuberungsaktion nach Kriegsschluss (4. Juli 1946).

Am Steinenring, links von der Pauluskirche, zum grössten Teil dienstpflichtig wa- daran hielt, wurde gerüffelt und ge- befand sich das deutsche Generalkonsulat in ren. Viele von ihnen liessen sich wil- massregelt. Basel. Es war wie alle deutschen Vertretungen lig in den Dienst der nationalsoziali- Nicht selten hofften aber auch Flücht- ein Spionagenest. stischen Spionage stellen. Da die mi- linge aus Deutschland, durch den Ba- litärischen Dispensationsgesuche die- dischen Bahnhof in die Schweiz zu Auf den Bureaux der Beamten wur- ser Bähnler fast anstandslos bewilligt gelangen. Die Basler Polizei besitzt den nachrichtendienstliche Meldun- wurden, hatten es die als Bahnmei- Beweise dafür, dass überzeugte Nazis gen gesammelt und Agenten instru- ster, Zollbeamte usw. getarnten unter den Reichsbähnlern, die solche iert. Die Aktenkästen wurden mit na- Agentenführer im Badischen Bahn- Flüchtlingsgruppen antrafen, ihre ver- tionalsozialistischen Propagandavor- hof leicht, sich nach Belieben Infor- meintliche Pflicht hemmungslos ta- räten gefüllt. Die Restaurationslokale mationen aus diensttuenden Schwei- ten: Ein Rangiermeister merkte ein- wurden zu einem Tummelplatz der zer Einheiten und Stäben zu verschaf- mal, dass eine Gruppe von Juden im gegen die Schweiz konspirierenden fen. Die Armee ging später dazu über, Schienengewirr die Orientierung ver- Nationalsozialisten. Die Telefonap- DRB-Angestellte so lange wie mög- loren hatte. Er spielte den freundli- paratur des Bahnhofs wurde aufs Mo- lich im Dienst zu behalten, um ihnen chen Helfer und anerbot sich, ihnen dernste ausgebaut und mit besonders die Kontakte mit ihren deutschen Ar- den Weg nach Basel zu zeigen. In geheimgehaltenen Verbindungslinien beit- und Auftraggebern möglichst zu Wirklichkeit führte er sie auf deut- versehen.» erschweren. sches Gebiet zurück und übergab die Rund hundert der insgesamt 650 zum Rund 200 Schweizer, vorwiegend Unglücklichen der Grenzpolizei. Teil in Basel wohnenden Angestell- Freiwillige für die Waffen-SS, wur- ten der DRB wurden im Verlaufe des den bei Basel, vor allem im Badi- 20’000 Indizien – Aktivdienstes unter Spionagever- schen Bahnhof, nach Deutschland ge- 1’000 Verhaftungen dacht verhaftet. Die Polizei schätzte, schmuggelt. Eine unbekannte zusätz- dass etwa die Hälfte der im DRB Be- liche Zahl begab sich mit der tätigen Allein bei der Politischen Abteilung schäftigten ihre Stellung zu verbre- Hilfe deutscher Bahn-, Zoll- und der Basler Polizei sind während des cherischen Handlungen zum Nachteil Grenzbeamter zu Spionage- und Sa- Aktivdienstes rund 20’000 Hinweise der Schweiz missbrauchten. botagekursen nach Deutschland und und Anzeigen in Spionage- und Pro- kehrte auf dem gleichen Weg zurück. pagandadingen eingegangen, an man- Für deutsche Bahnbeamte war die chen Tagen bis zu 200. Sie führten zu Der Grenzverkehr der Spione und strikte Beachtung der nachrichten- rund 1’000 Verhaftungen. Die Polizei Verräter dienstlichen Befehle eine selbstver- folgerte daraus: Von diesen 650 DRB-Angestellten ständliche Amtspflicht; wer sich nicht «Der deutsche Nachrichtendienst ver- waren 200 bis 250 Schweizer, die fügte in der Schweiz über eine derart

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grosse Anzahl von Agenten, dass er halb viel Initiative an den Tag leg- bracht hatte –, sind bei uns während sich den Luxus leisten konnte, sie mit ten. Verwegene Agenten, die wil- dieses Krieges nur selten in Erschei- recht allgemein gehaltenen Instruk- lens gewesen wären, für eine grosse nung getreten. Dafür umso mehr tionen wirken zu lassen, zumal sie mit Aufgabe ihr Leben zu riskieren, kleine zweit- und drittrangige Gestal- wenigen Ausnahmen gesinnungs- wenn vielleicht auch nur um hohen ten, die sich aus Verärgerung, Verbit- mässig beim Nationalsozialismus Lohn – wie sie der Erste Weltkrieg terung, Rachsucht oder politischem standen, ihre Aufgabe vielfach als noch in stattlicher Zahl hervorge- Fanatismus heraus oft auf lose Ver- heilige Mission auffassten und des- sprechungen hin oder für geringes Entgeld zu Schändlichkeiten herga- ben.» Aus den Erinnerungen Landgasthof der Landesausstellung wur- Dazu kamen die vielen tausend den nach den gleichen Methoden mit LMG Grenzgänger, die den schweizeri- eines einfachen Polizisten usw. Überfall und Räumung durchexer- ziert. Dieser feine Vorgesetzte baute in- schen Grenzwächtern gut bekannt «Ich begann mitten im Frontenfrühling nerhalb der Uniformpolizei ein Zuträger- waren und naturgemäss nicht mehr mit der einjährigen Ausbildung zum Poli- und Spitzelsystem auf, das in Bezug auf mit gleich strengen Kontrollen zu zeimann der Stadtpolizei Zürich. Wäh- Gemeinheit jeder Beschreibung spottet. rechnen hatten wie gelegentliche rend dieses Jahres wurde die Klasse zu Man konnte keinem Kameraden mehr 125 Bereitschaftsstellungen aufgeboten, trauen. Dazu wimmelte es im Korps von Passeure. Nach schweizerischen meist abends nach einem vollen Ta- offenen und versteckten Nazi-Sympathi- Wahrnehmungen ist im Verlaufe des gespensum an theoretischen und prakti- santen, Anpassern, Windfahnen und De- Aktivdienstes praktisch von jedem schen Fächern. Ursache der Aufgebote fätisten, gegen die nichts unternommen Grenzgänger aus Baden und dem El- wurde. waren in der Regel Veranstaltungen sass irgendeinmal eine nachrichten- oder Demonstrationen der Front, oft Kennzeichnend für die damalige Situation aber auch solche der Kommunisten. war folgender Vorfall. dienstliche Handreichung verlangt Diese Bereitschaftsstellungen waren ge- Ort: Mannschaftsraum der Hauptwache. worden. Um ihre vergleichsweise Ein als militanter Nazi-Sympathisant be- dacht als Verstärkung der aufgebotenen gute und sichere Stelle nicht zu ver- kannter Gefreiter, der wie ich auf dieser regulären Mannschaften. Sehr oft kam Wache Dienst tat, rief mich in der Zeit um lieren und ihre Familien nicht dem es schon damals zu aktiven Einsätzen den 10. Mai 1940 zur Seite und glaubte Druck der Nazis auszusetzen, haben der Rekruten, zu Handgreiflichkeiten bei mich mit folgenden Worten warnen zu der Räumung von Strassen und Plätzen, viele nachgegeben und gelegentlich müssen: ‚Eugen, i warne di, heb dini als Kuriere gearbeitet oder Wahrneh- wobei auch Verletzungen von Polizisten dummi Schnurre zue, es chönnti di nomal nicht ausblieben. schwer reue!’ mungen aus ihrem Arbeitsbereich Mit dem Kriegsausbruch 1939 begann Ich hatte aus meiner antinazistischen Ein- weitergemeldet. für mich eines der düstersten Kapitel stellung nie ein Hehl gemacht und wusste Das funktionierte aber auch in umge- meiner polizeilichen Laufbahn und mei- jetzt, was mich im Ernstfall erwartete. kehrter Richtung, wie das Beispiel nes Lebens. Nicht nur auf Landesebene Auch mein Entschluss stand fest: Im kriti- und bei der Armee waren die Vorberei- schen Fall würde ich Verräter mit meiner des überzeugten Schweizer Nazis Ri- tungen (Spionageabwehr) ungenügend. Dienstwaffe umlegen. Es war ja kein Ge- chard M. beweist. Er wohnte zwar in Die Zustände, die in der Folge bei der heimnis, dass unsere sämtlichen Dienst- Basel, betrieb jedoch in Haltingen im Stadtpolizei Zürich in Erscheinung tra- und Alarmbefehle sowie die Mannschafts- benachbarten Badischen ein Bauplat- listen und Wohnorte an den ‚Kommando- ten, müssen geradezu als katastrophal tengeschäft. Sein Chauffeur, der Sand bezeichnet werden; sie sind meines Wis- posten‘ der Fünften Kolonne an der Re- sens in der Öffentlichkeit nie bekanntge- steibergstrasse verraten wurden; Infor- über die Grenze transportierte, nahm worden. Nicht nur setzte sich der dama- manten aus unseren Reihen waren reich- die Lieferungen von M.s Unteragen- lige Chef des grössten Polizeikorps der lich vorhanden. ten mit, zum Beispiel die Nachrich- Nach dem Krieg wurde gegen den Adjunk- Schweiz nebst weiteren Polizeioffizieren ten B. ein Disziplinarverfahren durchge- ten, die der Bankangestellte August zum Luftschutz ab, nein, sie überliessen führt, in dem ich als Zeuge gegen ihn aus- D. über Schwarzguthaben deutscher die Befehlsgewalt über die gesamte Uni- sagte. Meines Wissens ist ihm nichts Ern- formpolizei einem militanten Bewunde- Bankkunden lieferte, oder Berichte stes passiert. Mir aber hat meine Zivilcou- über Munitionsdepots, Ausbildungs- rer der Nazi-, SA- und SS-Methoden, rage jahrelang Anfeindungen, Intrigen und dem damaligen Polizeiadjunkten Armin Zurücksetzungen bei Beförderungen ein- methoden in einem Armeeskikurs, B. Bei seinen theoretischen Instruktio- getragen.» Strassenanlagen, Mobilmachungsbe- nen an die Mannschaft im Theoriesaal fehle einer Grenzbrigade usw. über Polizeiaktionen benützte er Mate- Eugen Geiser, pensionierter städtischer Ein anderer Agent dieses Netzes, Mit- rial der SA bzw. SS und erklärte dazu zy- Polizeiwach tmeister, Zürich nisch, er sei zwar keiner von denen, aber (Name geändert) glied des «Bundes Treuer Eidgenos- man könne von ihnen lernen. Im alten sen», liess sich in einem Hotel im Reduitgebiet als Portier anstellen. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet in

30 diesem Hotel ein wichtiger militäri- ihre Motorfahrzeuge zu zerstören. Ich Fritz H. (geboren 1915, Arbeiter bei scher Stab seine Büros hatte. In Ab- würde dann ein weisses Taschentuch der Deutschen Reichsbahn), der zu- wesenheit der Offiziere durchsuchte an mein Gewehr binden.» sammen mit einigen Komplizen ei- der Agent deren Zimmer. Er durch- nen geheimen Militärsender fotogra- wühlte die Papierkörbe und Abfall- «Kraft durch Freude» fierte und die Aufnahmen, als Ferien- säcke, und an seinen freien Tagen un- veranstaltet Spionagekonferenz bilder getarnt, nach Deutschland ternahm er Fotoausflüge in die von brachte. Befestigungsanlagen strotzende Ge- Wie weit die Verstrickung der sich Am 30. März 1941 führte die der gend. So kam er in den Besitz überar- bei jeder Gelegenheit als harmlos und «Deutschen Arbeitsfront» unterge- beiteter und unvorsichtigerweise un- unpolitisch bezeichnenden auslands- ordnete Freizeit- und Reiseorganisa- zerstört weggeworfener Detail-Befe- deutschen Organisationen in Wirk- tion «Kraft durch Freude» im Basler stigungspläne. lichkeit gegangen ist, belegt ein wei- Stadtcasino eine Grossveranstaltung Ein weiterer Agent des Netzes M., ein teres Dossier aus den Akten der Poli- durch, zu der auch Walter Sch. einge- Unteroffizier, meldete wörtlich nach tischen Abteilung der Basler Polizei. laden wurde. Nach dem offiziellen Basel: Es betrifft das 28 Personen umfas- Teil trafen sich etwa zwanzig Auser- «Im Kriegsfall wäre ich in der Lage, sende Spionagenetz des Walter Sch., wählte in einem Konferenzzimmer meine Einheit, eine Infanteriekano- zu dessen Auftraggebern bzw. Füh- im ersten Stock. Dort gab der deut- nierkompanie, zu entwaffnen und alle rungsoffizieren auch der Leiter des sche Militârattaché Ivan Ilsemann in Zürcher Lufthansa-Büros, Hans von einem Referat die Richtlinien für den Die «Deutschen Heime», die in der Blütezeit Könitz, gehörte. Zu dieser Gruppe Nachrichtendienst bekannt. Er for- des Nationalsozialismus überall in der Schweiz stiess auch der später zum Tode ver- derte seine Zuhörer, darunter mehrere entstanden, dienten nicht nur Appellen für urteilte und hingerichtete Mitrailleur deutsche Wehrpflichtige (wie hier in Basel), Schweizer, zu viel intensiverer Spio- sondern auch dem Geheimdienst. nage auf allen Gebieten auf. Mit da-

31 bei war Dr. Erwin Lemberger, Leiter tern eingebürgert worden war, 1918 mittelte er die Namen von rund 200 in der Deutschen Kolonie und der ins baselstädtische Polizeikorps ein- die Basler Gegend geflohenen Elsäs- NSDAP-Ortsgruppe Zürich. Lember- getreten und dank seiner ausgezeich- sern, die sich vertrauensvoll bei der ger nahm von Ilsemann den Auftrag neten Qualifikationen 1934 zum De- Polizei gemeldet hatten. Aufgrund entgegen, einen genauen Arbeitsplan tektivkorporal avanciert. Da man ihm dieser Meldungen deportierten die zu entwickeln und die Gruppenführer besonderes Geschick im Umgang mit Nazis deren Angehörige in gnadenlo- für die Befolgung der Richtlinien ver- jugendlichen Straftätern nachsagte, ser Sippenhaft nach Osten. Böswalds antwortlich zu machen. Ilsemann be- wurde er 1942 zur Jugendanwalt- Gehilfen, darunter ein Buchhalter der ton-te, dass man, wenn der deutsche schaft versetzt und 1944 sogar zum Ciba, ein Prokurist und ein Vertreter, Frontsoldat schon sein Leben einset- ausserordentlichen Kriminalkommis- brachten die auf kleinen Zetteln no- ze, von den Deutschen in der Schweiz sär in diesem Fachbereich befördert. tierten Namen jeweils nach Lörrach. zusätzliche Anstrengungen erwarten Fünf Jahre lang amtete er ausserdem Auf diesen Zetteln standen auch die dürfe. So müsse sich die Spionage als Präsident des Detektivvereins. Er Namen von in Basel wohnenden auch auf die Industrie, auf militäri- galt als guter Schweizer und vorbild- wehrpflichtigen Deutschen, die der sche Einrichtungen und auf den Devi- licher Familienvater und verfehlte Einberufung nicht Folge leisten woll- senschmuggel erstrecken. nicht, gelegentlich kräftig über die ten und sich ratsuchend an den als in- Walter Sch. und mehrere Mitange- «Sauschwaben» im Allgemeinen und teger geltenden Polizeibeamten ge- klagte erhielten lebenslänglich Zucht- die Nazis im Besonderen zu schimp- wandt hatten. haus; ein weiterer Haupttäter wurde fen. Böswald ergänzte und berichtigte zum Tode verurteilt, konnte sich aber Erst im Prozess stellte sich heraus, auch eine SD-Kartei über die Mitglie- im Gegensatz zu Fritz H. nach dass es mit der lautstark bekundeten der des Basler Polizeikorps, insbeson- Deutschland absetzen. antinazistischen Einstellung Bös- dere der Kriminalpolizei, und machte walds nicht weit her gewesen sein Angaben über deren Gesinnung: konnte: Jetzt traten plötzlich Be- Nach Böswalds Ansicht erhielten Musterpolizist ist ein kannte auf, die sich zu erinnern glaub- Deutschfreundliche ein Pluszeichen, Verräter ten, der Polizist habe schon in den Antinazis ein Minuszeichen und Neu- zwanziger Jahren von seiner «Ver- trale eine Null vor den Namen. Ein Verratsfall von besonderer pflichtung gegenüber dem Land mei- Schwere, der zu den schlimmsten in ner Väter» gesprochen und nach der Verrat von Evakuationsplan der Schweiz überhaupt zählt und der Machtergreifung der Nazis häufig in durch die besondere Gemeinheit und geselligem Kreis betont: «Hitler, das Die Massenflucht der französischen Hässlichkeit der Tatbestände äusser- ist ein Kerl! Der Nationalsozialismus Bevölkerung vor den deutschen Ein- ste Empörung verursachte, war derje- sollte auch in die Schweiz kommen.» dringlingen in den Junitagen 1940 nige des Basler Detektivkorporals Jo- Andere sagten aus, Böswald habe ih- hatte den Behörden der Grenzstadt sef Böswald, der während der gröss- nen gute Stellen versprochen, wenn er Basel tiefen Eindruck gemacht. Bun- ten Zeit des Aktivdienstes als Agent erst einmal in Basel sei. desrat und Armeekommando ent- des Sicherheitsdienstes (SD) der SS Böswalds Verrat begann bei gemütli- schlossen sich, eine ähnlich verhee- mit der Nummer 7922 tätig war. chen Bierabenden an den Stammti- rende Massenflucht im Fall eines «Wohl kein anderes Spionage verfah- schen der Bayrischen Bierhalle und deutschen Angriffs auf die Schweiz ren hat, mindestens von Basel aus ge- des Hotels Touring. Mit am Tisch zu verbieten und die von zivilen sehen, die Hemmungslosigkeit und sass der Deutsche Hans Christlein, ei- Flüchtlingen verstopften Strassen Niedertracht der deutschen Kriegs- ner der vielen als Konsulatsbeamte wenn nötig mit Waffengewalt radikal spionage in derart grellen Farben er- getarnten deutschen Spione. Christ- freizumachen. In Basel wurde das kennen lassen wie der Fall des Detek- leins Deckname war «Onkel Fritz». Territorialkommando damit beauf- tivkorporals Josef Böswald und sei- Böswald verriet seinen in Lörrach sit- tragt, sämtliche Stadtausgänge zu ner Helfershelfer», erklärte der Basler zenden Agentenführern seit 1940 lau- sperren. Vorgesehen war auch ein all- Regierungsrat nach dem Krieg. fend Informationen, zu denen er nur gemeines Ausgehverbot, um Hand- Nach aussen galt Böswald als Muster- in seiner amtlichen Eigenschaft als greiflichkeiten zwischen den Solda- polizist. Er war, nachdem er als Halb- Polizeidetektiv Zugang hatte und die ten und einer in Panik geratenen Zi- wüchsiger zusammen mit seinen El- Amtsgeheimnisse darstellten. So er- vilbevölkerung zu verhindern. Im Tresor des Polizeiinspektorats Basel

32 lagen fertig gedruckte Aushängepla- kate mit Befehlen an die Zivilbevöl- kerung, auf denen es hiess: «Wer ein rechter Schweizer ist, be- wahrt gegenüber fremden Eindring- lingen und Verrätern grösste Zurück- haltung, Stillschweigen, Stolz und Würde.» Josef Böswald hätte nicht nur alles ge- tan, um die befürchtete deutsche Inva- sion zu begünstigen, er verriet auch einen wichtigen Teil eines streng ge- heimen Evakuationsplans: Das Ar- meekommando war sich der Tatsache bewusst, dass sich die Funktionäre der Politischen Polizei bei der Bekämp- fung der nationalsozialistischen Um- triebe den besonderen Hass der Deut- schen zugezogen hatten; ausserdem galt es, Akten und Karteien in Sicher- heit zu bringen, aus denen die Namen von Spitzeln, Vertrauensleuten, An- zeigenstellern und Zeugen hervorgin- gen. Bei einem deutschen Einmarsch nach Basel hätten deshalb die betref- fenden Polizeibeamten samt einem Aktenwagen die Stadt verlassen sol- len. Auf Geheiss von Christlein, der so et- was geahnt haben musste, streckte Böswald, der immer noch als unver- dächtig geltende Detektivkorporal, im Spiegelhof seine Fühler aus und er- fuhr natürlich von dem bis in alle Ein- zelheiten ausgearbeiteten Plan. Prompt meldete Böswald seinem deutschen Auftraggeber, er werde in der Lage sein, den genauen Zeitpunkt der Evakuierung herauszufinden. Aufgrund seiner Meldung müsse ein deutsches Panzerkommando beauf- tragt werden, den Aktenwagen abzu- fangen. Böswald ging sogar so weit, sich diesem Kommando als ortskun- diger Führer zur Verfügung zu stellen. Im Böswald-Prozess vom November

Erst nach dem Krieg kam die Tätigkeit des Bas- ler Detektivs Josef Böswald ans Licht (oben). Er und drei Mittäter wurden verurteilt (Mitte). Als die erschreckte Stadtbevölkerung 1940 ins Reduit geflohen war (unten), hatte Böswalds Verräterei begonnen.

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1946 wurden noch viele andere Ein- Das war einer von vielen Tricks, mit nität geschützt waren, verfügten zelheiten über die Verrätereien des denen die deutschen Spionageorgani- die deutschen Führungsoffiziere Detektivs bekannt, der vor allem als sationen ihre Agenten in die Schweiz grundsätzlich über falsche Papie- Denunziant hervorgetreten war. Der einschmuggelten, wenn sie nicht den re. Auch wurden sie mit offiziellen Besuch eines unlängst aus Deutsch- Badischen Bahnhof Basel, den inter- oder privaten Aufgaben betraut, land zurückgekehrten Basler Kauf- nationalen Grenzbahnhof Buchs, die die sie zum Teil ausführten, um manns im Hause des englischen Kon- Enklave Büsingen, das Fürstentum durch eine legale Tarntätigkeit den sulats wurde ebenso weitergemeldet Liechtenstein oder andere Agenten- Verdacht von sich zu lenken. Es wie die Desertion von zwölf deut- schleusen benützten. gab Spione, die sich, als Pilz- schen Soldaten im Leimental. Oberst Robert Jaquillard, Chef der sammler getarnt, in Festungsge- Böswald erhielt zwanzig Jahre Zucht- Spionageabwehr (Spab) im Sicher- bieten herumtrieben. Ein anderer haus, seine Helfer zwei, drei und acht heitsdienst der Armee, berichtete spä- Schnüffler hatte eine moderne Jahre. ter nicht ohne ein Lächeln auf den Fischzuchtanstalt aufgebaut, in der Stockzähnen: «Der Trick wurde bald die Soldaten und Offiziere aus der aufgedeckt. Aber unsere Nachbarn, Umgebung immer willkommen Unsere Abwehr: Spitzen- die davon keine Ahnung hatten, wie- waren und manchen guten Fisch derholten das Verfahren noch mehr- geschenkt erhielten. Wer mochte leistung nach harzigem Start mals. Wahrscheinlich haben sie nicht sich da schon zieren, wenn der schlecht über uns gelacht. Natürlich grosszügige Fischvater sein Gäste- «Nach einer gewissen Anlaufzeit ist wurden diese freundlicherweise mit buch brachte und um Eintragung die schweizerische Spionageabwehr als weitaus am gefährlichsten angese- Ehrensalven angekündigten Agenten bat? So konnten Namen von Offi- hen worden und der Ausfall von Agen- abgefangen oder beschattet. Sie führ- zieren und Einheiten ausspioniert ten prozentual in der Schweiz am ten die Schweizer Abwehr auf man- werden, die den betreffenden Ab- höchsten gewesen. Durch den erfolg- che gute Spur. Wir lachten auch...» schnitt besetzten. reichen Zugriff der schweizerischen Spione und Verräter wählten die Wieder ein anderer Spion trat als Abwehr sind uns die mühsam aufge- abenteuerlichsten Masken und spiel- Holzhändler auf, der einen jährli- bauten Netze immer wieder desorgani- ten die merkwürdigsten Rollen, um chen Umsatz von 5’000 Ster hatte siert worden. Eine Zeitlang war fast ihre Aufträge zu erfüllen. Soweit sie und Lieferanten wie Kunden vor- mein ganzer Stab von Agenten entwe- nicht durch die diplomatische Immu- wiegend in den Wäldern des Re- der aufgeflogen oder derart kompro- duits suchte. Besonders intensiv mittiert, dass an einen Einsatz nicht zu kümmerte sich die deutsche Spio- denken war.» nage, wie es im Büchlein steht, um

Ein Leiter des deutschen Nachrichten- dienstes (zitiert nach dem Bericht von Generalstabschef Jakob Huber über den Aktivdienst) Ein letzter Wunsch bleibt Transportsärge ein und überführten sie in die Aufbahrungshalle des Krematori- unerfüllt Die deutschen Grenzbeamten schos- ums Luzern. Dort mussten wir warten, bis der uns begleitende Feldprediger sen Salven, aber der Flüchtling wurde «Ich bin ein Veteran des Sicherheits- mit den Angehörigen telefoniert hatte. nicht getroffen; er konnte sich auf dienstes der Armee. Wir waren vierzig Die beiden Exekutierten hatten vor ih- schweizerisches Gebiet retten. Am Unteroffiziere, vom Korporal bis zum Ad- rem letzten Gang gewünscht, kremiert nächsten Tag tauchte wie zufällig ei- jutant-Unteroffizier, und unterstanden zu werden; die Asche sollte in einem Wald verstreut werden. ner der Beamten beim Kollegen am dem Kommando der Obersten Müller und Jaquillard. Unseren Dienst versa- Die Angehörigen hatten nichts dage- Schweizer Schlagbaum auf und liess hen wir abwechslungsweise in Uniform gen, lehnten aber jede Abdankungsze- beiläufig die Bemerkung fallen, ge- und in Zivil. Wir hatten als Ausweis eine remonie entschieden ab. Im Beisein stern sei ihnen leider ein ganz Gefähr- ovale Metallplakette mit vier Buchstaben des Feldpredigers betteten wir die bei- den in Krematoriumssärge um, dann licher in die Schweiz entwischt. und drei Nummern, einer ein-, einer drei- und einer fünfstelligen. wurden sie nacheinander einge- Zu dem Ritual gehörte schliesslich Ausserdem hatten wir wechselnde äschert. die besorgt klingende Warnung des Passwörter (z.B. ‚Singapur‘, ‚Suworow‘), Aus Pietätsgründen durften wir den deutschen Grenzers: «Sucht den um die auch den kantonalen Polizeikom- letzten Wunsch der Hingerichteten nicht erfüllen. Auch der Feldprediger Gottes willen, der ist wirklich wahn- mandos, der Heerespolizei, den Waffen- plätzen und Festungswerken bekannt lehnte dies ab. Die Urnen wurden im sinnig gefährlich...!» waren. Grab der Heimatlosen bei gesetzt.» Eine meiner Aufgaben war es, die Lei- chen von zwei erschossenen Landes- Ferdinand N., Riggisberg verrätern zu bergen. Wir sargten sie in

34 speziell kompromittierbare Bevölke- die Wahrung der militärischen Ge- rungsgruppen; so ist bekannt, dass sie heimnisse sorgen, staatsgefährliche Agenten und Informanten unter den Elemente kontrollieren, die verbotene Homosexuellen auswählte und über Propaganda in der Armee bekämpfen diese mit Offizieren, die gleichge- und die Heerespolizei führen und aus- schlechtliche Neigungen hatten, in bauen. Kontakt zu kommen versuchte. Zu Beginn des Aktivdienstes Die Tricks der Agenten bei der Über- herrschte in der Armee ein Kompe- mittlung ihrer Nachrichtenbeute tenzwirrwarr: Die Heerespolizei un- reichte vom Gebrauch von Konven- terstand der Generaladjutantur, die tionalsprachen über die Anwendung Polizeioffiziere der Territorialkreise von mindestens zwölf verschiedenen dem Chef des Territorialdienstes, die Geheimtinten bis zum Einsatz tragba- Spionageabwehr dem Nachrichten- rer, in Koffern versteckter, leistungs- dienst. Erst im März 1941 kam eine starker und netzunabhängiger Kurz- Koordination zustande, durch die der wellensender, die sich rücksichtslos Sicherheitsdienst die oberste Füh- in die Frequenzen des militärischen, rung, Koordination und Kontrolle polizeilichen und kommerziellen übernahm. Funkverkehrs drängten. Botschaften Namentlich im Bereich der Spionage- wurden auf Mikrofilme gebannt und abwehr hatte dieses Durch- und Ne- unter Briefmarken auf harmlosen An- beneinander, verbunden mit der man- sichtskarten an Deckadressen ver- gelhaften Vorbereitung in der Nach- sandt; Geheimtinten wurden als Me- kriegszeit, zur Folge, «dass ein Teil dikamente, Augentropfen, Parfüme des Personals bei Beginn der Mobil- oder Liköre verpackt oder in Zünd- machung seine Tätigkeit ohne die not- holzschachteln und Füllfedern ver- wendige besondere Ausbildung auf- steckt. nehmen musste. Dabei handelte es All diesen und Dutzend anderen sich hier um die Unterdrückung einer Agententricks und Verräterfallen verbrecherischen Tätigkeit, die sich sollte unsere Spionageabwehr bei- von den Delikten des gemeinen kommen – eine Organisation, die wie Rechts stark unterscheidet.» So weit der Nachrichtendienst zu spät startete, die offiziellen Feststellungen von Ge- zuwenig Mittel besass und erst im neralstabschef Jakob Huber nach dem Ernstfalleinsatz Erfahrung und Rou- Krieg. tine gewann. Dazu kamen ständige Kompetenz- streitigkeiten mit den zivilen Abwehr- stellen, insbesondere mit der Bundes-

anwaltschaft. Schon das Projekt, eine Zwei der Männer, von denen im Aktiv dienst die eigentliche militärische Abwehr in Sicherheit der Schweiz abhing: Oberst Robert Gestalt der Spab zu schaffen, «er- Jaquillard, Chef der Spionageabwehr (oberes weckte leider mit Beharrlichkeit ver- Bild); Oberst Werner Müller, Chef des Sicher- Abwehr auf (mindestens) zwei heitsdienstes der Armee (unteres Bild). tretene Bedenken der Bundesanwalt- Gleisen schaft, die befürchtete, dass eine klare Kompetenzenausscheidung zwischen Die militärische Spionageabwehr un- botenen) politischen Propaganda hin- ihrem Tätigkeitsbereich und dem der terstand dem Sicherheitsdienst der einreichte, so umfassend waren die Spionageabwehr der Armee undurch- Armee innerhalb des Generalstabs; Aufgabengebiete des Sicherheitsdien- führbar sei und dies zu Unstimmigkei- während der ganzen Aktivdienstzeit stes: Er musste die Sicherheits- und ten führen müsse» (Huber). Die da- wurde der Sicherheitsdienst von Polizeiorgane der Armee koordinie- durch entstandenen Verzögerungen Oberst Werner Müller, dem Kom- ren, Aktionen in Zusammenarbeit mit und Misshelligkeiten behinderten die mandanten der Berner Stadtpolizei, den zivilen Polizeibehörden von Abwehrarbeit in der Armee während geleitet. Bund und Kantonen sowie dem Ar- Monaten stark. So umfassend und schwer definierbar meeauditor (oberster Ankläger) unter- die Spionage namentlich der Deut- nehmen, vorbeugende Massnahmen schen war und so stark sie in die Ge- gegen innere Unruhen ergreifen, für biete der Subversion, der Sabotage und der (damals durch Notrecht ver-

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Die Methoden der Abwehr Recht ist, was uns nützt. So heiligte kender Funktionäre vor Methoden, denn auch der gute Zweck manch ein die ihnen schmutzig und rechtswidrig Der systematischen, alles umfassen- Mittel der Schweizer Abwehr, das – erschienen; damit verbunden waren den, zum Teil stark politischweltan- aus der nachträglichen Perspektive unterschiedliche Auffassungen über schaulich motivierten und mit Ele- des Rechtsstaats im Frieden gesehen den Grad der akuten Bedrohung, die menten von Propaganda, Sabotage, – klarer Rechtsbruch war: Gesin- allein solche Methoden rechtfertigen Werbung für fremden Militärdienst nungsschnüffelei, Geheimkarteien, konnte. Auch hier liegt es wieder in usw. durchsetzten deutschen Ge- Überwachungen von Post und Tele- der Natur des zutiefst amoralischen, heimdiensttätigkeit auf Schweizer fon auf vagen Verdacht hin und ohne nur nach Kategorien der Nützlichkeit Boden war nur mit ebenso umfassen- richterliche Kontrolle. orientierten Geheimdienstgeschäfts, den und teilweise rücksichtslosen Die Reibereien und Misshelligkeiten dass eigentlich beide Seiten recht hat- Methoden beizukommen. Dem be- zwischen zivilen und militärischen ten. waffneten Neutralen zwingt der Geg- Stellen hatten nicht zuletzt ihre ehren- Das Dilemma wurde schon offen- ner das Gesetz des Handelns auf, und hafte Begründung in der tief verwur- sichtlich, als die Generalstabsabtei- das Gesetz der Deutschen hiess: zelten Abscheu vieler rechtlich den-

Dunkle Tage Alle Verbindungswege sind blockiert ler Schweizer – sowohl Zivilisten wie Diese Notizen schrieb Oberst Robert und unter Kontrolle. Zehnmal, zwanzig- auch Militärpersonen – macht den Wil- Jaquillard, Chef der Spionageabwehr, mal wird unser Auto von unseren Sol- len mürbe, erregt die Vorstellungskraft in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai daten angehalten. Und jedesmal sind aufs Äusserste, begünstigt die Ausbrei- 1940, als ernsthafte Anzeichen auf den die Karabiner schussbereit auf uns ge- tung von Gerüchten, die desto düsterer möglichen, wenn nicht gar wahrschein- richtet. lauten, je weiter sie dringen. Das ist der lichen Einmarsch starker deutscher In Basel ist die Bevölkerung zutiefst Nervenkrieg! Verbände am nächsten Morgen hin- aufgewühlt, aber äusserlich ruhig. Ge- Ich bleibe, was unser Geschick angeht, deuteten. Heute weiss man, dass es zu gen 22 Uhr sind wir in einem Restau- zuversichtlich. Aber umgekehrt kann diesem Zeitpunkt keine echte Bedro- rant nahe der Grenze zum Elsass. ich auch meinen heutigen Besuch im hung gab. Der Alarm ging auf ein deut- Durch das Fenster sehe ich auf eine Di- Badischen Bahnhof von Basel und die sches Täuschungsmanöver zurück. stanz von zwei Metern den Stachel- Gefahren, die er für unsere Sicherheit (Übers.: Karl Lüönd): «Eine herrliche drahtverhau. Das Lokal, sonst zu die- darstellt, nicht vergessen. Dieser Nacht! Klarer, sternenübersäter Him- ser Stunde überfüllt, ist leer. Nur ein an- Bahnhof steht auf Schweizer Boden, mel! Aber es waren schwere Stunden getrunkener Gast mit glasigen Augen aber die Deutschen haben sich darin der Unruhe und der Angst. Was wird eingerichtet wie in besetztem Gebiet. morgen geschehen? und schwerer Zunge ist übriggeblieben. Ich kehre von der äussersten Grenze, Er hat keine Ahnung, was vorgeht, und Sie haben Rechte, die wir nicht haben, aus der Region Basel, zurück, wo ich fragt: ‚Warum ist denn kein Mensch sie kommen und gehen, wie es ihnen den ganzen Tag gewesen bin. Auf dem da?’ Ein paar Worte der Wirtin schei- passt, während ihre Züge direkt aus Hin- wie auf dem Rückweg haben die nen ihn ein wenig auf den Boden zu- dem Reich ankommen. Der Badische Autos auf der Strasse eine fast unun- rückzubringen. Er gibt sich einen Ruck, Bahnhof ist ein Vorposten der Nazis terbrochene Kolonne gebildet. Zahlrei- steht auf und brummt: ‚So geh' ich halt und ein Spionagenest. che Einwohner – Frauen und Kinder – nach Hause.’ Auch die verkniffenen, brutalen Ge- verlassen ihre Stadt und fliehen vor Zurück im Hauptquartier, nehme ich sichter kann ich nicht vergessen, die den Barbaren. Alarmierende Gerüchte Kenntnis von den neuesten offiziellen misstrauischen, hasserfüllten und her- breiten sich aus: Die Hunnen sind Nachrichten. Keine besonders tröstli- ausfordernden Blicke der Beamten und schon dabei, unsere Grenze zu über- che Lektüre! Zahlreiche und starke insbesondere ihrer Chefs, denen ich schreiten. Sind die Nachrichten, die al- deutsche Formationen sind auf dem begegnet bin: Ist dieser ‚Zivilist’ (der ich lenthalben zirkulieren, zuverlässig? Ich äussersten linken Flügel des deut- heute bin) ein Spitzel? weiss es nicht. Ich bin seit dem Mor- schen Dispositivs, nur wenig von unse- Mehr als dreihundert Deutsche sind es, gengrauen unterwegs, um meinen Auf- rem Territorium entfernt, zusammenge- dazu einige Dutzend sorgfältig ausge- trag zu erfüllen, und habe keinen Kon- zogen worden. Handelt es sich um eine wählte Schweizer, mehrheitlich ‚Ver- takt mehr mit den rückwärtigen Stellen. Antwort auf den Zusammenzug starker trauensleute’ und hundertprozentige Wie auch immer – gegen Abend er- französischer Truppenkörper und Artil- Nazis. Nichts unterscheidet sie von halte ich aus dem Hauptquartier des lerie an unserer Westgrenze? Oder den andern... Generals die Meldung, dass wir um Das Telefon schrillt. Neue Nachrichten! zwei Uhr früh marschbereit sein müs- sind das Vorbereitungen für eine Inva- sen. Ich gebe die nötigen Befehle und sion? Neue Befehle! Ich muss die Feder fahre in meinem Programm fort. Trotzdem behält mein Optimismus die weglegen. Eine eiligere und nützlichere Oberhand. Hat man nicht behauptet, Aufgabe ruft. dass in Basel keine Züge mehrankä- Hauptquartier, 15. Mai 1940, 04.00 men, während ich heute Nachmittag an Uhr.» Ort und Stelle das Gegenteil festge- stellt habe? Die nervöse Stimmung vie-

36 lung am 8. Juli 1938, unter dem noch weg, weil ihm die vorgeschlagenen verhaftet, sondern bei ihren Einheiten frischen Eindruck des Anschlusses (nicht etwa befohlenen) Massnahmen behalten und «gegebenenfalls un- des Nachbarn Österreich an das neue als unnötig erschienen. Auch nach ei- schädlich gemacht worden», was im- Deutschland, mit vier konkreten Ab- ner klärenden Aussprache mit den mer das heissen mochte... wehranliegen an die kantonalen Poli- kantonalen Polizeikommandanten Telefonverbindungen mit dem Aus- zeikommandanten herantrat: wurden die Wünsche der General- land wären im Ernstfall unterbrochen, - Wirksamere und engere Zusammen- stabsabteilung nicht lückenlos erfüllt. die Ausländer in ihren Wohnungen arbeit zwischen militärischen und zi- Der Sicherheitsdienst der Armee hatte arretiert und ihre Radioempfänger be- vilen Instanzen hinsichtlich der durch noch andere Pläne für den Fall eines schlagnahmt worden. Der Sicher- die Landesverteidigung gebotenen Angriffs auf die Schweiz in der heitsdienst der Armee hatte auch die Schutzmassnahmen; Schublade: Es wurde erwogen, bei Sicherstellung der Akten der Politi- - Vorbereitung von Massnahmen ge- Kriegsmobilmachung alle Verdächti- schen Polizeien der grösseren Kan- genüber Fremden und verdächtigen gen, ob Ausländer oder Schweizer, zu tone und Städte, der Bundesanwalt- Schweizer Bürgern, die dem Land im verhaften. Als verdächtig hätte jeder schaft, des Bundesgerichts und der Kriegsfall oder bei Kriegsgefahr als gegolten, «von dem angenommen Militärjustiz vorbereitet; erinnern wir Agenten fremder Staaten oder Orga- werden musste, dass er unter den ge- uns an den Evakuationsplan des Bas- nisationen schaden könnten, durch gebenen Verhältnissen die Verteidi- ler Aktenwagens, den der Polizeide- das Anlegen von Verzeichnissen der gung oder die innere Sicherheit unse- tektiv Josef Böswald verriet! Im zu überwachenden Personen; res Landes durch kriegerische Hand- Nachhinein mag man sich über solche - Verbesserung der täglichen Reisen- lungen, Sabotageakte, Nachrichten- Vorkehren wundern, damals musste denkontrolle und besondere Überwa- dienst, passiven Widerstand gegen sich die Armeeführung darüber Re- chung der im schweizerischen Grenz- behördliche Anordnungen oder auf ir- chenschaft geben, dass noch rund gebiet wohnenden Ausländer; gendeine andere Weise gefährden 16’000 wehrfähige Deutsche in der - Beobachtung und unverzügliche würde» (Generalstabschef Huber). Schweiz lebten. Wie viele von ihnen Meldung der Handänderungen von Fremde Staatsangehörigkeit galt zwar gehörten zur Fünften Kolonne? Nie- Liegenschaften in den Festungsgebie- als gewichtiges, aber nicht als einzi- mand konnte es wissen! (Noch Mitte ten und in der Nähe von Brücken, Ei- ges Verdachtsmoment. Verdächtige Februar 1944 lebten 12‘587 deutsche senbahnviadukten, Strassen und an- schweizerische Wehrmänner wären, Wehrfähige in der Schweiz; sie waren deren wichtigen Kunstbauten. von Einzelfällen abgesehen, nicht entweder nicht einberufen worden 355’000 Ausländer waren 1930 in der oder hatten als sogenannte Refraktäre Immer wieder kam es zu Bombardierungs- Schweiz gezählt worden, davon schäden, vor allem im Grenzgebiet. Dieses dem Einberufungsbefehl nicht Folge 154’000 Deutsche und Österreicher. Bild zeigt Zerstörungen in der Stadt Basel. geleistet.) In einem einzigen Kanton lebten in- nerhalb des Abschnitts einer Grenz- brigade 3‘679 Deutsche, 887 Franzo- sen, 1‘334 Italiener und 221 Angehö- rige anderer Nationalitäten, insge- samt 6‘121 Fremde. Und es war nicht die Zeit der Völkerverständigung und -Verbrüderung! Dass jeder Ausländer im Prinzip als möglicher Verdächti- ger galt, hatte seine Gründe durchaus nicht nur in latentem oder wiederbe- lebtem Fremdenhass. Trotzdem gin- gen nur dreizehn Kantone ohne Wei- teres auf die Wünsche der General- stabsabteilung ein. Die anderen brachten grundsätzliche Vorbehalte an, einer widersetzte sich sogar rund

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Die Spionageabwehr im engeren auch viele Unschuldige, zu Unrecht Ausland kommenden oder dorthin rei- Sinne durfte damals sowenig wie Verdächtigte und aus Rachsucht senden Personen, durch teilweise jah- heute von der kriminalistischen Denunzierte empfindlich traf, ver- relange Postkontrolle verdächtiger Faustregel ausgehen, dass man von suchte die Polizei die Personen aus- Elemente, durch die dauernde Über- der Tat auf den Täter schliessen kann. zuforschen, die möglicherweise wachung ihrer Telefongespräche und Es war genau umgekehrt! Logischer- oder beweisbar in Verbindung mit durch Beschattung. In geheime Perso- weise durfte die Abwehr also nicht einem der zahlreichen Spionage- nenkarteien wurde jede noch so be- darauf warten, bis ein Ring aus ir- netze standen. Diese getarnten langlos scheinende Beobachtung ein- gendwelchen Gründen aufflog oder Nachforschungen wurden unter- getragen. Bisweilen wurden Telefon- sie aus der Bevölkerung einen Tip er- stützt durch die Kontrolle aller vom gespräche abgehört und Post kontrol- hielt. In mühseliger Kleinarbeit, die liert, ohne dass ein formelles gerichts- polizeiliches Ermittlungsverfahren angebahnt war, wie es das Bundesge- Nach dem Gewitter Ein Beispiel unter tausend: setz über die Bundesstrafrechtspflege Seit Tagen wird gemeldet, dass auf dem vorgeschrieben hätte. Gerechtfertigt «Die Geister haben sich beruhigt. Die Hügel über einem Dorf Lichtsignale wahr- Aufregung ist vorüber, man zieht die Bi- zunehmen seien. Zivilisten und Militärper- wurden diese Übergriffe mit der aku- lanz der Übertreibungen und Fehllei- sonen haben sie nächtlicherweile deutlich ten Gefährdung der Landessicherheit stungen, welche die Nervosität und die gesehen. Man regt sich auf und kritisiert und einschlägigen, dem Notrecht ent- mangelnde Kaltblütigkeit hervorgerufen die Truppe, weil sie nichts unternimmt. sprungenen Bundesratsbeschlüssen. Des Streites müde, gibt der Einheitskom- haben. Die Angsthasen und Klagewei- In ihrem nach Kriegsende veröffent- ber von gestern sind, wie vorauszuse- mandant Alarm. Der Tatort wird von allen hen war, die Eisenfresser von heute. Seiten eingekreist; entschlossen mar- lichten Bericht über die Abwehr Helden im Hasenpelz! Gestern noch ha- schiert die Truppe dem ‚Feind’ entgegen. staatsfeindlicher Umtriebe gibt denn ben sie ihr Fähnchen nach dem Wind Tatsächlich, das verdächtige Licht er- auch – nur als Beispiel – die Regie- scheint und verschwindet mehrmals. der Angst gedreht; heute lässt die Brise Welch ein Glück für alle, die es gesehen rung des Kantons Basel-Stadt in aller der Entspannung bereits ihre Kämme und an Spione geglaubt haben! Die Trup- Offenheit zu, dass die Politische Ab- schwellen. pe beeilt sich und kommt gerade recht, um teilung ihrer Polizei bei der Verfol- Heftig tadelt die Presse die fiebrige Er- festzustellen, dass ein Kuhhirt von einer gung von Spionagefällen ihre örtliche regung gewisser Offiziere. Sie schimpft Scheune zur andern marschiert und im mit den Zivilisten, die geflohen sind oder Takt seiner Schritte die Sturmlaterne und sachliche Kompetenz häufig sehr die tausendundein falsches Gerücht ha- schwenkt. Die Ungläubigen triumphieren, extensiv habe handhaben müssen. ben ausstreuen helfen. Aufrufe zu Ruhe die anderen lassen die Neckereien und Besonnenheit spriessen wie Pilze schweigend über sich ergehen, aber über- nach dem Regen. zeugt sind sie nicht. Verdächtige Offiziere Dessenungeachtet bleibt die Atmo- Mein Hauptquartier versinkt in einer La- sphäre noch wochenlang elektrisch ge- wine von Denunziationen und guten Rat- Dasselbe galt für die Armee. General laden. Es ist diese besondere Psycho- schlägen zur Bekämpfung der Fünften Ko- Guisan berichtet: se, die in allen vom Krieg betroffenen lonne. Einbildungskraft und Indianerro- «Anfang 1940 setzte die Zentralstelle mantik haben bei vielen unserer Gewährs- Ländern am Vorabend eines bewaffne- für die Bekämpfung staatsfeindlicher ten Konflikts zu beobachten ist. Es gras- leute freie Bahn. Bei anderen – vorwie- siert die ‚Spionitis’, die durch eine allge- gend anonymen – sind es Hass und Rach- Propaganda die Polizeiabteilung des meine und masslose Furcht vor Spionen sucht, die ihr uraltes Spiel treiben. Welch Territorialdienstes davon in Kenntnis, und Saboteuren gekennzeichnet ist, die eine Mühe, Wahrheit und Lüge zu trennen, dass Listen von Offizieren bestanden, man überall zu sehen glaubt. Diese nachzuforschen und den richtigen Sach- verhalt festzustellen. Arme Wahrheit! Wie die verdächtig waren, extremistischen ‚Spionitis’ führt zu allen erdenklichen viele Male bist du genotzüchtigt, vergewal- und für die Armee schädlichen An- Übergriffen. Eine unverstandene Geste tigt und verprügelt worden! Ob du es über- oder eine unbedachte Äusserung, die schauungen zu huldigen. Ihre Verbin- stehen wirst? Warten wir auf bessere dung mit den ‚Ligen’ oder ‚Fronten‘ einem einzelnen oder mehreren Leuten Tage! Dann, vielleicht . . . Wir wollen fort- missfällt, genügt, und der betreffende fahren, unsere Aufgabe mit heiterer Ruhe war bekannt oder wahrscheinlich. Mensch gilt als verdächtig. Heute ist er zu erfüllen! Hauptquartier, 24. Mai 1940.» Diese Listen waren von den kommu- noch bloss vielleicht ein Spion, morgen nalen, kantonalen und eidgenössi- wird er ohne jeden Zweifel einer sein. Aus dem Tagebuch von Oberst Robert schen Polizeibehörden der Polizeiab- Gewisse Gerüchte verbreiten sich wie Jaquillard, Chef der Schweizer Spionage- Mehlstaub. Überall wollen die Leute ver- abwehr (Übersetzung: Karl Lüönd) teilung übergeben worden. Aber die dächtige Lichter gesehen haben. Die Organe der Armee konnten auf Grund Einbildungskraft macht aus diesen Lich- dieser in Eile erstellten Listen, die tern sogleich Signale.

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sich auf die verschiedenen Landesge- dern Fällen schritt man zu besonderen Armee zulässt, wobei die Frage unbe- genden erstreckten, keine genauen Massnahmen, indem diese Offiziere antwortet bleibt, weshalb die 201 in Berichte erstellen. Da keine Mass- zur Disposition gestellt wurden. ihrer weltanschaulichen Zugehörig- nahmen polizeilicher oder juristi- Die andern 117 Offiziere, die auf den keit unbestimmbaren Wehrmänner scher Natur ergriffen werden konn- Listen standen, setzte ich durch mei- denn überhaupt auf eine solche Liste ten, um die Verhältnisse abzuklären, nen Befehl vom 24. Juni 1940 von der gekommen sind. befahl ich durch meinen Geheimbe- Einstellung der Untersuchung in fehl vom 10. Mai 1940, gegen die der Kenntnis und sprach ihnen mein Ver- Zugehörigkeit zu diesen Bewegun- trauen sowie dasjenige ihrer Vorge- gen verdächtigen Offiziere Untersu- setzten aus.» Das Wissen der Deutschen – chungen durchzuführen. (...) Auf der War der General zu leichtgläubig? eine Bilanz 124 Namen zählenden Liste figurier- Die Frage muss offenbleiben. Immer- ten 11 Stabsoffiziere, 14 Hauptleute hin berichtet sein Generalstabschef Was hat das riesige Spionagesystem und 16 Subalternoffiziere als soge- Huber, «dass im März 1944 in der der Deutschen in der Schweiz heraus- nannte ‚Frontisten’ sowie 12 Stabsof- ganzen Armee in allen Heereseinhei- gefunden? Was ist ihm verborgen ge- fiziere, 17 Hauptleute und 54 Subal- ten, bei den Territorialkommandos blieben? Eine der umfassendsten und ternoffiziere als sogenannte ‚Natio- und in den Kantonen insgesamt noch glaubwürdigsten Antworten auf diese nalsozialisten‘ oder ‚Faschisten‘. 3‘090 Wehrmänner als verdächtig ge- entscheidenden Fragen liegt unter Die Untersuchung zeitigte, wie man meldet worden waren. Von diesen dem Aktenzeichen WQ42 1.32 im gehofft hatte, ein zufriedenstellendes waren 1‘115 Linksextremisten und Bundesarchiv-Militärarchiv zu Frei- Ergebnis. Gestützt auf die von den di- 1‘774 Rechtsextremisten. Bei 201 burg im Breisgau: das «Kleine Orien- rekten Vorgesetzten und den Heeres- Mann konnte die Zugehörigkeit zur tierungsheft Schweiz», bezeichnet als einheitskommandanten gestellten einen oder andern Gruppe nicht ge- «Geheime Kommandosache», her- Anträge wurden lediglich die Fälle nau ermittelt werden.» ausgegeben vom Oberkommando des von sieben Offizieren weiterverfolgt: Eine Bemerkung, die Rückschlüsse Heeres, Abteilung Fremde Heere Drei Fälle wurden der Militärge- auf die Gesinnungskontrolle in der West des Generalstabes. Das 45 Sei- richtsbarkeit überwiesen; in vier an- ten starke, mit acht Tabellen und Ab- bildungen ergänzte Dokument erlaubt eine Erfolgskontrolle des deutschen Nachrichtendienstes in der Schweiz, zumindest der Abwehr von Admiral Canaris; die Nachrichtenorganisatio- «Manchmal bekomme ich hältnisse anpasst, jeder Plan neu und in- nen der Gestapo und der SS arbeiteten recht nette Exemplare...» teressant ist. Manchmal bekomme ich recht nette Exemplare von unserm Freun- bekanntlich oft – und sicher nicht un- de Pet. Tollardo, der ab und zu seltene Ex- gewollt – doppelspurig an den glei- Dies ist ein Beispiel aus den Akten der emplare hat und sie gerne tauscht. Viel- Schweizer Spionageabwehr für die von chen Gegenständen, ohne dass eine leicht fragst Du einmal bei ihm an, wenn Koordination sichtbar geworden wä- den deutschen Agenten häufig verwen- Du Dich für etwas Besonderes interes- dete Konventionaloder Tarnsprache, in sierst...» re. der nachrichtendienstliche Erkennt- Einzelne Passagen des Operations- nisse übermittelt wurden: Sinn des Briefes plans «Tannenbaum», d.h. des Ein- «Das Resultat meiner Beobachtungen von Brieftext Befestigungen in den Bergen war gut. Ich marschplans im Herbst 1940, stim- «Auch meine Stein- und Kristallsamm- habe gute Skizzen und Zeichnungen von men wörtlich mit den Ausführungen lung konnte ich bereichern. Ich habe ei- Bunkern gebracht. Sie sind so gebaut, im «Kleinen Orientierungsheft nige ganz prächtige Exemplare von dass man meinen könnte, sie seien als Schweiz» überein, wie der Zürcher Steinen mitgebracht. Fundorte manch- Monumente in die Gegend eingepasst. mal so eigenartig, dass man meinen Geschickt in die Felsen eingesprengte Historiker Professor Dr. Walter könnte, nur der Mensch hätte sie in jene Bunker habe ich auch festgestellt. Grosse Schaufelberger festgestellt hat. Das Gegenden gebracht und dort als über- und kleine auf verhältnismässig engem unterstreicht den Stellenwert dieses raschendes Monument aufgestellt. Raum. Ich muss sagen, dass sie gut an die Dokuments, welches eine kritische Recht schöne Steine mit eingespreng- Verhältnisse angepasst sind. Manchmal ten Kristallen konnte ich auch finden, bekomme ich Nachrichten und Pläne vom und umfassende Beurteilung des grössere und kleinere auf verhältnis- Agenten Tollardo, der ab und zu gute Ar- Kampfwertes der Schweizer Armee mässig kleinem Raum. Ich muss immer beit geleistet hat und gerne verkauft. Du durch ihren hauptsächlichen potenti- wieder feststellen, dass, wenn sich kannst Dich an ihn wenden, wenn Du et- ellen Gegner einschliesst. auch die Natur an die gegebenen Ver- was Besonderes hast...»

39 Mobilmachung in 80 Minuten Acht Bereiche der schweizerischen Dass die in der schweizerischen Ar- Landesverteidigung haben das deut- mee verwendeten Waffen nach Kali- Innerhalb von ein bis zwei Tagen sche Oberkommando besonders inter- ber, Gewicht, Schusshöchstweite, nach einem Überraschungsangriff essiert: die Militärorganisation im Schussleistungen und weiteren Eigen- könnte die deutsche Wehrmacht die Frieden, das Kriegsheer, die Befesti- schaften tabellarisch erfasst und dar- grossen Städte der Schweiz, nach ei- gungen, der vermutliche Einsatz des gestellt werden, überrascht weniger ner Woche das gesamte Mittelland Heeres im Kriegsfall, die Mobilma- als die Tatsache, dass – neben ver- besetzt haben, heisst es in der Opera- chungs- und Einsatzvorbereitungen, schiedenen Lücken – auch Informatio- tionsstudie «Tannenbaum». Bis zur das Verkehrsnetz, die Rüstungsindu- nen über Kriegsvorbereitungen wie- Eroberung des ganzen Reduits freilich strie und der Kampfwert der Schwei- dergegeben werden, die der schweize- würde es eine unbestimmt lange Zeit zer Armee, einschliesslich der Quali- rischen Öffentlichkeit bisher nicht be- dauern. fikation ihrer Führer. kannt waren, zum Beispiel auf Seite Die Grundlage für diese Beurteilung Erstaunlich und neu ist die – zweifel- 25: bildete das «Kleine Orientierungsheft los auf Beobachtungen während der «Die Schweiz hat Vorbereitungen für Schweiz». Das erhalten gebliebene ersten Kriegsmobilmachung im Au- die Verwendung von Kampfstoff ge- Exemplar, die fünfte von dreissig gust 1939 beruhende – deutsche Be- troffen. Angeblich ist Yperit (Senfgas) Ausfertigungen, ist ein maschinenge- hauptung über die Schnelligkeit der zur Verteidigung der Flussübergänge, schriebenes Manuskript, das den Mobilmachung: besonders an der Grenze, vorgesehen. Stand vom 1. September 1942 wieder- «In 80 Minuten ist der Mob.-Befehl Gasgranaten und Gasminen sollen zugeben behauptet. Handschriftliche an alle Telegrafenämter zur Benach- vorhanden sein. Es liegen Meldungen Korrekturen und Bearbeitungsspuren richtigung der mit dem Ankleben der vor, dass auch Abspritzen von Kampf- lassen aber darauf schliessen, dass das Plakate beauftragten Gemeindevor- stoffen von Flugzeugen vorbereitet ist. Dokument laufend nachgeführt und stände weitergeleitet. Seine gleichzei- Die 2-cm-Pz-Mun Solothurn entwik- überarbeitet wurde. Es ist anzuneh- tige Bekanntgabe durch Rundfunk, kelt bei der Explosion Schwefel-Di- men, dass bis Kriegsende, als auch durch Abwurf aus Flugzeugen, oxyd, einen verhältnismässig harmlo- Deutschland den Krieg längst verlo- ist vorbereitet.» sen Rachen- und Augenreizstoff. Eine ren hatte und bereits mitten im hölli- In fünf Stunden seien Teile des Grenz- Verwendung künstlichen Nebels führ- schen Chaos von Bombardierungen, schutzes, am ersten Mobilmachungs- te 1941 zu einem grösseren Viehster- Rückzügen und Hunger steckte, ge- tag der Armeestab, die Grenzbriga- ben infolge Vergiftung der Weideflä- gen die Schweiz spioniert worden ist. den, die Gebirgs- und die leichten Bri- chen (gemeint ist die damals aufsehen- Die wissenschaftliche Überprüfung gaden marschbereit; am zweiten Mo- erregende Affäre um die ‚Nebelkühe’ der im «Kleinen Orientierungsheft bilmachungstag auch die Korpsstäbe, im Schächental).» Schweiz» verzeichneten Fakten steht die Korpstruppen und die Divisionen. Das Interesse der deutschen Heereslei- noch bevor. Professor Schaufelber- tung und somit der für sie arbeitenden ger, der das Dokument analysiert hat Spionage erstreckte sich sogar auf An- Feldpost, Brieftauben, und der als Generalstabsoberst für zahl und Gliederung von Bäckerkom- Pferdekuranstalten eine Beurteilung zusätzlich qualifi- panien, Brieftaubenzügen, Blink- ziert ist, hat 1977 ein vorläufiges Ur- Vollständig scheinen die deutschen trupps und dergleichen. teil abgegeben: «Die Deutschen wus- Erkenntnisse über die Kriegsgliede- Geradezu bestürzend umfassend und sten nicht alles, aber sie wussten über- rung (Ordre de bataille) der schweize- genau scheinen die im «Kleinen Ori- raschend viel. Sie besassen Informa- rischen Armee bis hinunter zur selb- entierungsheft Schweiz» und in den tionen, die nur durch Verrat zu ihnen ständigen Einheit, einschliesslich der beigegebenen Karten enthaltenen An- gedrungen sein konnten. Ihre Er- Grenztruppen und der ortsfesten Ver- gaben über Standort und Stärken der kenntnisse über die Kriegsgliederung sorgungseinrichtungen, zu sein. Nicht Befestigungswerke, Geländestellun- der Schweizer Armee waren weitge- nur Motorfahrzeugparks und Muniti- gen, Talsperren usw. zu sein. Die de- hend richtig. Was die Befestigungen onsdepots, sondern sogar die Stand- taillierte Auswertung könnte bewei- angeht, haben sie die Linien Rhein orte von Feldposteinheiten und Pfer- sen, dass es gerade in diesem Bereich und Limmat weitgehend richtig und dekuranstalten sind auf Karten ge- Verrätereien gegeben haben muss, die vollständig erkannt; im Alpenraum nauestens vermerkt. unentdeckt und ungesühnt geblieben dagegen scheint es Lücken gegeben sind! zu haben.»

40 72 Stunden für den Grenzschutz Berufsoff) sind, dass im gesamten Mi- lizoffizierkorps sich eine übermässige Die Staffelung der schweizerischen Kritiksucht breit macht und dass die Verteidigung in drei hintereinander- Unteroffiziere, obgleich im bürgerli- liegende Kampfzonen wurde von den chen Leben bewährte Leute, oft nicht Deutschen richtig identifiziert; über genügend Dienstkenntnis verfü- Grenzschutzzone dicht an der Grenze, gen.» Ausserdem wird die teilweise Verzögerungskampfzone (Guisan-Li- Überalterung der höchsten Führung nie) im Mittelland, Reduit. Wörtlich kritisiert; heisst es im «Kleinen Orientierungs- - die Ausrüstung. Insbesondere die heft Schweiz»: Ausrüstung der Panzerwaffe, der Ar- «Nach zuverlässigen Unterlagen be- tillerie und der Flugwaffe wird als mit steht die Absicht, in den zwei ersten Mängeln behaftet bezeichnet. Zonen hinhaltend zu kämpfen, bis der Trotzdem spricht aus der abschlies- Aufmarsch der Masse des Heeres im senden Gesamtbeurteilung ein Re- Réduit National vollzogen ist, und spekt, der in offensichtlichem Gegen- erst hier, d.h. nach Westen und Nor- satz zu zahlreichen Äusserungen Hit- den etwa in der Linie Vevey – Bulle – lers und seiner Umgebung steht, wel- Thun – Pfäffikon – Walenstadt – Unter diesem Aktendeckel waren geheimste che «das Stachelschwein Schweiz im Buchs – Sargans, die Verteidigung zu Einzelheiten über die Schweizer Armee gesam- Rückzug» einnehmen wollten, gege- führen. (...) Die schweizerische Hee- melt. Nur z. T. unbekannt gebliebene Verräter benenfalls «auch mit der Berliner resleitung soll damit rechnen, dass der können sie den Deutschen geliefert haben. Feuerwehr»! Im «Kleinen Orientie- Grenzschutz mindestens 72 Stunden - der Schweizer Wehrmann, dessen rungsheft Schweiz», das erkennbar aushalten kann. Diese Zeit wird als Heimatliebe, Zähigkeit und Härte von von erfahrenen und realistischen Ge- Minimum für den Aufmarsch des den Deutschen gerühmt werden. Die neralstabsoffizieren verfasst worden Heeres im Reduit National und für die Schiessleistungen gelten als gut, die ist, heisst es: Vorbereitung der Sperrmassnahmen Pflege von Waffen, Geräten, Pferden «Da das schweizerische Kriegsheer in der Verzögerungskampfzone be- usw. als sorgfältig; (...) seit dem Aufgebot zu Kriegsbe- trachtet.» - die Stärke des Geländes und dessen ginn genügend Zeit zur Verfügung künstliche Befestigungen. Als nega- hatte, Schwächen der unzureichenden tive Punkte bezeichnet das «Kleine Friedensausbildung auszugleichen, Orientierungsheft Schweiz»: dürfte seine Leistungsfähigkeit ge- - die Ausbildung. «Trotz guter Aus- stiegen sein. Es ist bei starkem Aus- nutzung der Ausbildungszeit, häufi- bau der natürlichen Hindernisse des ger Wiederholungs- und freiwilliger Landes in der Lage, auch gegen einen Übungen war der Ausbildungsstand, überraschenden Angriff an den Gren- So beurteilten die Deutschen besonders zu Kriegsbeginn, nicht zu- unsere Armee zen zeitlich beschränkten Widerstand friedenstellend»; zu leisten und sich im Hochgebirge Besonders interessant zu lesen ist na- - die Führung, die offensichtlich nicht längere Zeit zu halten. Solange aber türlich, wie die deutsche Heereslei- dem Ideal der diskussionslosen Un- jegliche Hilfe von aussen fehlt, muss tung, gestützt auf die geheimdienstli- terwerfung entsprach. «Die Füh- die Aussichtslosigkeit des Kampfes, chen Erkenntnisse, den Kampfwert rungsgrundsätze stehen unter dem der Verlust der lebenswichtigen Ge- der schweizerischen Armee im Zwei- Einfluss sowohl deutscher wie fran- biete und der Mangel an kriegswichti- ten Weltkrieg beurteilt hat. Nach Pro- zösischer Gedanken. Die mangelnde gen Rohstoffen den Widerstandswil- fessor Schaufelberger wurden drei Kriegserfahrung sowie die vorwie- len der Truppe auf die Dauer lähmen. Dinge als besondere Stärken der gend theoretische Ausbildung der Die Entschlossenheit von Regierung Schweizer Armee bezeichnet: – die Führer und die bürokratische Überor- und Volk, die schweizerische Neutra- allgemeine Wehrpflicht, denn sie ganisation der Stäbe werden häufig zu lität gegen jeden Angreifer mit der schafft grosse Bestände und – so umständlicher Methodik verleiten. Waffe zu verteidigen, steht bisher wörtlich – «erhält den im Schweizer Man pflegt auch die Reserven schnell ausser Zweifel.» Volk von jeher regen soldatischen aus der Hand zu geben. Hierzu Geist und gestattet die Aufstellung ei- kommt, dass die Mehrzahl der höhe- nes für das kleine Land sehr starken, ren Führer Milizoffiziere (also nicht zweckmässig organisierten, schnell verwendungsbereiten Kriegsheeres»;

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Verfolgungsjagd per Einer unserer Stammkunden war Bürger- schnell ermüdete. Nicht so bei L.! Er war zu Autostopp meister V. in der Enklave Büsingen, den keinem Geständnis zu bewegen. Ich war wir als Führungsoffizier eines gefährlichen jedoch fest von seiner Schuld überzeugt. In Wie bescheiden die Spionageabwehr auch Agentenrings längst erkannt hatten. Wir einer Verhörpause, als ich mit L. allein war, in den Kantonen dotiert und wieviel Impro- haben mehrere seiner Agenten gefasst. wurde ich vertraulich: visationskunst oft nötig war, geht'aus dem Am meisten Kopfzerbrechen bereitete uns ‚Haben Sie Kinder?‘ Bericht von Albin Lehmann (geb. 1904) ein Ingenieur L., der jeden Tag auf einem ‚Ja, einen Sohn.’ hervor. Er war von 1935 bis 1951 Leiter der alten Velo nach Schaffhausen fuhr, es an ‚Was soll denn Ihr Sohn von Ihnen denken, Politischen Polizei bei der Kantonspolizei einer Strassenecke abstellte und dann wenn Sie hier so lügen .. .?’ Dabei er- Schaffhausen. verschwand, ohne dass wir vorerst her- weckte ich den Eindruck, als wüsste ich «Mein erster grosser Fall war eigentlich ausgefunden hätten, womit er sich be- schon eine Menge. Das wirkte. Als das Routinearbeit, aber er betraf einen Promi- schäftigte. Wir beschatteten ihn lange. Ei- Verhör wiederaufgenommen wurde, ge- nenten. Am 25. Januar 1940 erhielt ich die nes Tages löste er am Bahnhof ein Billett stand L., er habe in der Eisenbahn einrük- Meldung, der Gestapo-Chef König aus nach Bellinzona. Einer unserer Männer kende Wehrmänner belauscht und zu un- Waldshut, der einer Kriegsverletzung we- folgte ihm. Wie üblich, gab er sich dem beabsichtigtem Geheimnisverrat provo- gen stark hinkte und deshalb sofort auffiel, Kondukteur gegenüber zu erkennen – ziert. So nach dem Motto: ‚Ich kann nicht komme häufig nach Erzingen, dem deut- Kondukteure und Bähnler ganz allgemein begreifen, dass es hier keine Bunker hat. schen Grenzort bei Trasadingen. Soeben gehörten zu unseren zuverlässigsten Hel- Wenn die Schwaben kommen und das das habe er sich mit einem stattlichen älteren fern, denn die allermeisten von ihnen, ob ganze Reduit ist.. .’ Da wurden die Wehr- Herrn getroffen, der einen Spazierstock mit Gewerkschafter oder nicht, waren gut männer natürlich gesprächig, sie wider- sich führe und in den letzten Eisenbahnwa- schweizerisch eingestellt. Aber merkwür- sprachen und erzählten mehr, als gut war. gen nach Schaffhausen eingestiegen sei. dig: Obwohl die beiden jeden Schritt des L. erhielt, wenn ich mich recht erinnere, 1 3 Ich eilte in den Bahnhof Schaffhausen, und Ingenieurs L. im Auge behielten, war Jahre Zuchthaus. Aber auch sein Chef V. richtig: Der Unbekannte kam! Er trat nichts Verdächtiges zu bemerken. In Bel- ging ins Garn, weil er ein starker Raucher schnurstracks zum Schalter der Deutschen linzona nahm er einfach den nächsten Zug war und sich in einem Gasthaus, das Reichsbahn und löste ein Billett nach Ess- und reiste zurück nach Schaffhausen, schon auf Schweizer Boden lag, Zigaretten lingen in Deutschland. Bevor er zum Per- scheinbar ohne mit irgendjemandem Ver- zu holen pflegte. Darüber erhielten wir ei- ron zurückkehrte, hielt ich ihn an und nahm bindung aufgenommen zu haben. Hier nen Tip, worauf wir ihn abholten. Etwa ein ihn mit auf den Posten. Es war Oberst verhafteten und durchsuchten wir ihn, fan- Jahr war er in Untersuchungshaft. Später , der bekannte Schweizer den jedoch nicht das geringste. wurde er ausgetauscht. Faschist. Er war äusserst aufgeregt und Anderntags begann das Verhör durch ei- Ingenieur L. hatte übrigens häufig Besuch ungehalten. Meine Aussage in seinem Pro- nen Inspektor der Bundespolizei. Unsere von seiner Frau, als er im Gefängnis sass. zess über seine Ausreiseabsichten und Verhörmethoden waren nicht zimperlich, Einmal brachte sie ihm einen Keks mit, in das vorherige Zusammentreffen mit dem aber ich darf guten Gewissens sagen, dem ein Sägeblatt versteckt war. Auch Gestapo-Chef König belasteten ihn sehr dass wir nie jemanden geschlagen haben. wurde uns verraten, wie die Kassiber ge- stark und trugen auch wesentlich zu seiner Ein bewährtes Hilfsmittel bestand darin, schmuggelt wurden: in einer Ampulle, die Verurteilung zu drei Jahren Zuchthaus bei. eine starke Lampe direkt ins Gesicht des Frau L. in der schwarzen Kirschenkonfitüre Der Kauf der Fahrkarte wurde als Beweis Verhörten zu richten, was ihn jeweils versteckte, die sie ihrem Mann mitbrachte. für seine Ausreiseabsicht und mithin als Zusammen mit dem Keks erhielt er die Schuldeingeständnis betrachtet. Nachricht, in der übernächsten Nacht In dem Prozess vor Bundesstrafgericht in warte in der Nähe vom Gefängnis ein Lausanne wurde mir denn auch klar, dass Fluchtauto. Leider ist das Auto dann nicht die Bupo über Fonjallaz' nachrichten- gekommen ... dienstliche Tätigkeit für die Deutschen Albin Lehmann, ehemaliger Chef der Politi- Unvergesslich ist mir eine Verfolgungsjagd durchaus im Bilde gewesen war und ihn schen Polizei von Schaffhausen. durch die halbe Schweiz geblieben. Wir während längerer Zeit mit Spielmaterial hatten einen vertraulichen Hinweis ge- versorgt hatte. Den tiefsten Eindruck hat kriegt, wonach ein Reichsredner namens mir aber eine andere Gerichtsverhandlung Joachim Weist verschiedene Schweizer gemacht: diejenige gegen den in Schaff- Sektionen der NSDAP besuchen wolle. hausen wohnhaft gewesenen Bäcker Der im Bahnhof Schaffhausen stationierte Fridolin B. Als der Grossrichter nach kurzer Chef der Deutschen Reichsbahn, ein fana- Beratung das Todesurteil verkündete, tischer Nazi, tat uns den Gefallen, den nahm B. Achtungstellung an, erhob den Herrn schon bei der Ankunft auf dem Bahn- rechten Arm und rief ‚Heil Hitler!‘ Dem hof zu identifizieren: Bereits zehn Minuten Wunsch seines erschossenen Sohnes ge- vor Ankunft des Zuges tänzelte er erwar- mäss streute Vater B. die Asche oberhalb tungsvoll und nervös auf dem Perron auf des Rheinfalls in den Rhein, damit der und ab. Weist kam pünktlich, und noch am Strom sie nach Deutschland trage. gleichen Abend fand die erste NSDAP-Ver-

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sammlung in Schaffhausen statt. Am fol- genden Mittag reiste er nach Zürich weiter. Wir verloren ihn vorübergehend aus den Augen. Anhand der Hotellisten fanden ihn die Zürcher Kollegen im Hotel Krone in Un- terstrass wieder. Ich bezog dort, wie ich war, ohne Rasierapparat und Gepäck, auch ein Zimmer und schmierte den Por- tier mit einem Fünfliber, damit er mir die Abreise des Deutschen melde. In aller Herrgottsfrühe ging es nach St. Gallen wei- ter. Dort referierte Weist bei der NSDAP. Die St.-Galler Kollegen überwachten die Versammlung vorzüglich. Am nächsten Morgen, nach einem Besuch im deutschen Konsulat am Rosenberg, reiste er weiter nach Schaan im Fürstentum Liechtenstein, Zu hoher Eintrittspreis! Der Zürcher Historiker Prof. Dr. Walter ich immer im gleichen Zug wie er. Natürlich Schaufelberger wertet das «Kleine Orientie- hätte ich im Fürstentum eigentlich nichts Insgesamt scheint das in Freiburg lie- rungsheft Schweiz» aus und versucht, den un- zu suchen gehabt; aber der Polizist in bekannt gebliebenen Verrat zu enthüllen. Buchs wusste Rat: Wir verständigten den gende Dokument zu bestätigen, dass Gemeindepräsidenten von Schaan, der die Schweiz die Verschonung vor Schliesslich widerlegt das «Kleine ein zuverlässiger Freund der Schweiz und dem deutschen Angriffskrieg zu ei- Orientierungsheft Schweiz» auch die ein Antinazi war. Per Autostopp kam ich nem wesentlichen Teil ihrer starken Legende, dass zahlreiche höchste nun nach Schaan – ein Zürcher Automobi- und entschlossenen Armee verdankt. Führer der schweizerischen Armee list, dem ich mich aufs Geratewohl zu er- Der Eintrittspreis war den Deutschen kennen gegeben hatte, war ganz begei- deutschfreundlich gewesen seien: stert, mir weiterhelfen zu können. Jetzt fä- in der Tat zu hoch. Aus den Einzelbeurteilungen der 13 delte es der Schaaner Gemeindepräsident Das bestätigt der Militärhistoriker höchsten Unterstabschefs und Waf- so ein, dass er seinem deutschfreundli- Schaufelberger übrigens auch anhand fenchefs geht im Gegenteil hervor, chen Dorfpolizisten an diesem Abend frei- anderer Studien: dass deren acht, einschliesslich Gene- gab und persönlich in die Wirtschaften «Für die ‚Operation Schweiz‘ setzte ging, um Polizeistunde zu bieten. So wur- ral Guisans, von den Deutschen als den wir über die NSDAP-Versammlung in die Maximallösung der Heeresgruppe alliiertenfreundlich betrachtet wur- Schaan auf dem Laufenden gehalten. Am C als Kräftebedarf 21 bis 24 deutsche den. Nur ein einziger, nämlich Korps- nächsten Morgen ging die Reise über Sar- Divisionen, die Minimalvariante der kommandant Ulrich Wille, wurde gans – Ziegelbrücke weiter nach Näfels. Operationsabteilung des OKH neun ausdrücklich als deutschfreundlich Die dortige Versammlung war in einem Pri- deutsche Divisionen ein, wozu immer vathaus, so dass es mit Zutritt Essig war. bezeichnet, was weder damals noch Die Glarner Polizei, die schon lange gerne noch Spezialverbände und italieni- später überraschend wirken konnte. über die Personalien der einheimischen sche Divisionen von Süden her ge- Auf fachlichem und militärischem Mitglieder der Nazipartei Bescheid ge- kommen wären. Die offizielle Lösung Gebiet überwiegen die positiven und wusst hätte, stellte es recht geschickt an: hätte gelautet: elf deutsche Divisionen respektvollen Beurteilungen eindeu- In sicherer Entfernung vor und nach dem plus Spezialtruppen. Demgegenüber Versammlungshaus zog sie Verkehrskon- tig, wobei generell die technischen trollen auf und notierte die Auto- und Velo- brauchte die Wehrmacht für den Fähigkeiten der schweizerischen nummern. Wer nicht an beiden Kontrollpo- Überfall auf Norwegen nur sechs und Führer den Deutschen mehr Eindruck sten erschien, wanderte als mutmasslicher für denjenigen auf Dänemark sogar gemacht haben als deren Führerquali- Versammlungsteilnehmer in die Kartei. So nur zweieinhalb Divisionen.» täten. kamen wir zu vielen wichtigen neuen An- Dabei ist zu bedenken, dass die Deut- Die über tausend Spione und Landes- haltspunkten. schen zumindest Ende 1940 zahlrei- Am nächsten Morgen ging die Reise weiter verräter haben also, wie man zusam- nach Zürich. Umsteigen – und Weiterfahrt che für einen Angriff auf die Schweiz menfassen darf, den schweizerischen nach Bern, wo zwei Mann der Bupo die benötigte Panzer- und Gebirgstruppen «Igel» recht zutreffend porträtiert, weitere Beschattung des deutschen nicht hätten einsetzen können, da seine Stacheln genau gezählt und Reichsredners übernahmen. Er fuhr noch diese mit der Vorbereitung der Inva- richtig beschrieben. nach Genf. Hier schritt die Bupo dann ein. sion Grossbritanniens beschäftigt wa- Ich weiss nicht, was aus Weist geworden So gesehen, haben die Landesverräter ist.» ren. Später dürfte Ähnliches in Bezug schliesslich das genaue Gegenteil auf die Ostfront gegolten haben. dessen erreicht, was eigentlich ihr Ziel war!

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Von der Politik zum Verrat Schweizer im Banne des Hakenkreuzes

rosses Aufsehen und starke Erbitterung lösten die sieben grossen politischen Landesverratsprozesse G von 1944 bis 1948 aus. Insgesamt 150 Angeklagte, vorwiegend in den Landesverrat abgeglittene Schweizer Nazis sowie Mitglieder der verschiedenen frontistischen Bewegungen und Parteien, hatten sich zu verantworten. Nur vier dieser Angeklagten wurden freigesprochen. Vier- zehn erhielten Zuchthausstrafen zwischen zehn und zwan- zig Jahren.

Vor Scham bedeckt er das Gesicht. Der Polizist lässt ihn nicht aus den Augen. Er eilt in den Gerichtssaal. Das Zuchthaus ist ihm sicher: ein Schweizer Landesverräter bei der grossen Abrechnung nach Kriegsende. 45 «Der völkische Eidgenosse nimmt vor- cke benötigt und gefunden! hungrigen Major zu lau, zumal er läufig Abschied von der Schweizer Was waren das für Männer, die ihr nicht der obersten Führung angehörte. Fahne. Das Banner der Bolschewik! ist Land verrieten? Da gab es einen Jour- Die Koalition der Nationalen Front nicht unser Banner. Wir bekennen uns nalisten, der General Guisan als mit dem Bürgerblock bei den Ge- zum Symbol des heiligen Hakenkreu- «wahnwitzigen Verbrecher» bezeich- meinderatswahlen vom 24. Septem- zes.» nete; einen zwanzigfach vorbestraf- ber 1933 in Zürich war der äussere , Major der Schweizer ten Hilfsarbeiter, der den Blutorden Anlass für Leonhardts Austritt aus der Armee, am 15. Mai 1938 in der Zeitung «Volksbund» trug und den SS-Sturm «Winkelried» NF. Von da an wollte er mit den leitete; einen Pfarrer, der Genick- Fröntlern nichts mehr zu tun haben. «Wir betteln nicht bescheiden um Mit- schusslisten führte; einen Arzt, der Vielmehr beschimpfte er sie auf die arbeit, wir fordern die Macht. Hinter Himmlers Ratgeber für Schweizer ordinärste Weise als «politische Kon- uns steht das neue Europa.» Angelegenheiten wurde; rund 800, junkturritter», «Dilettanten eines , August 1940 vorwiegend junge Schweizer, vom Doktorklüngels» und «Horde akade- Ingenieur aus Genf über den Zürcher mischer Rüppel und Simpel». Leon- «Die Schweiz ist der eiternde Blind- Zeichner bis zum Bergführer aus dem hardt gründete die «Nationalsoziali- darm am Leibe des neuen Europa!» Engadin, die als Freiwillige in der stische Schweizerische Arbeiterpar- Fritz Sauckel, Gauleiter und Reichsstatt- Waffen-SS kämpften. Fanatiker, tei», auch «Volksbund» genannt. «Ju- halter von Thüringen, am 1. Mai 1941 Idealisten, Karrieristen, Schwarmgei- da verrecke» wurde zu einem der ster, Entgleiste, Kriminelle – alle er- wichtigsten Slogans dieser durch und durch nazihörigen Organisation, die Die umfangreichen Akten dieser Ver- denklichen Kategorien waren vertre- fahren und die Urteile gewähren ei- ten. ihre knapp 400 Mitglieder – 250 in nen Einblick in die Pläne Hitler- Basel, der Rest in Zürich, Bern und Deutschlands in Bezug auf die Interlaken – mit hakenkreuzge- Schweiz und in die verschiedenen, Der Major, der die schmückten Personalausweisen aus- teilweise stark voneinander abwei- Schweiz regieren will rüstete und eine mit Gummiknüppeln bewaffnete «» unter- chenden Absichten der nazifreundli- «Leonhardt will die Macht, er will die chen Schweizer Landesverräter; sie hielt. Die Aktivmitglieder mussten gesamte Macht in der ganzen folgenden Eid ablegen: reichten von der begeisterten und be- Schweiz, nicht einfach als Mitglied des «Ich, eidgenössischer Nationalsozia- dingungslosen Unterwerfung unter Bundesrates, er will, dass der Bun- list, Mitglied des Volksbundes, be- das «neue Deutschland» bis zu poli- desrat gesamthaft zurücktritt und ihm kenne mich zu unseren Kampfzielen. tischpsychologisch geschickt auf die die Zügel überlässt, damit er die Ich schwöre Treue bis in den Tod: der schweizerische direkte Demokratie Schweiz umgestalten kann.» abgestimmten Stufenplänen zur all- Fahne, dem Volksbund und dem Va- mählichen Einordnung in das Reich, Staatsanwalt Dr. Willy Lützelschwab, terland. Ich gelobe Treue und Diszi- Basel, in seiner Anklagerede gegen Major dem die Klügeren unter den Anpas- plin meinem Führer – so wahr mir Ernst Leonhardt (August 1944) sern und Anschlussfreunden fälschli- Gott helfe.» Ende 1934 wurde Major Leonhardt cherweise noch Rücksichten auf den Seine Anhänger schworen ihm Treue föderalistischen Staatsgedanken zu- aus der Armee ausgeschlossen. Im und Gefolgschaft bis in den Tod. Er Juni 1935 verbot die Generaldirektion trauten. Immer wieder verwischten träumte von dem Tag, da über dem sich in den Aktivitäten dieser Täter der PTT den offenen Versand der Zei- Bundeshaus die Hakenkreuzflagge tung «Volksbund». Im Mai 1938 er- die Grenzlinien zwischen Politik und wehen würde. Er war Major der Verrat. Entsprechend politisch fielen liess der Bundesrat ein vor allem auf Schweizer Armee: Ernst Leonhardt, die Leonhardt-Organisation gemünz- die Verfahren und die Urteile aus. geboren 1885 in Basel, gestorben Nicht immer ging die Justiz der der tes Verbot der Verwendung des Ha- 1945, zwei Jahre nach seiner Ausbür- kenkreuzzeichens. Im November des jahrelangen Bedrohung mit heiler gerung, in Frankfurt am Main. Haut entkommenen Schweiz der Ge- gleichen Jahres eröffnete die Bundes- 1933, in der hohen Zeit des Fronten- anwaltschaft eine Strafuntersuchung fahr aus dem Weg, reine Gesinnungs- frühlings, war Leonhardt noch Mit- delikte zu bestrafen, den Rachegefüh- gegen Leonhardt und die Volksbünd- glied der «Nationalen Front» und de- ler, der Bundesrat verbot die Heraus- len des erleichterten Volkes nachzu- ren Gauführer für Basel und Solo- geben und in der Beweiswürdigung gabe des inzwischen in «Angriff» thurn. Aber der Kurs dieser damals umgetauften Kampfblattes», und am rechtsstaatliche Grundsätze zu verlet- schon ausgeprägt nationalsozialisti- zen. Gelegentlich wurden Sündenbö- schen Bewegung war dem macht-

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5. Dezember 1938 erliess der Bundes- rat die Demokratieschutzverordnung, die ihm die Kompetenz einräumte, politische Parteien zu verbieten. Fünf Tage später löste Leonhardt, der genau wusste, was auf ihn zukam, den

«Volksbund» auf und gründete drei Nachfolgegesellschaften: die «Gesell- schaft der Gegner der Freimaurerei», die «Gesellschaft zur Aufklärung über Rassenfragen» und die «Schweizeri- sche Gesellschaft der Freunde einer autoritären Demokratie». Praktische Bedeutung erlangte bloss die letztere; sie war die exakte Fortsetzung des «Volksbundes» unter anderem Na- men. Anstelle von Versammlungen, für die sich nur noch schwer Säle finden lies- sen, gingen die «Freunde» nun zur schriftlichen Propagandatätigkeit in Form von Mitteilungsblättern, offe- nen Briefen und Flugblättern über. Das war verbotene Propagandatätig- keit. Im Originalton lautete sie – ein Beispiel aus dem Jahre 1940, als die Nationalsozialisten ihre Blitzsiege feierten – etwa so: «Es wird in Zu- kunft nur noch eine freie, nationalso- zialistische Schweiz geben, oder es wird keine Schweiz mehr geben.» Am 21. Juni 1940, unmittelbar nach dem Zusammenbruch Frankreichs, forderten zwei Mitglieder des «Volks- bundes» – gemäss dem späteren Bas- ler Urteil auf Diktat Leonhardts hin – den Bundesrat auf, sofort die Bundes- versammlung einzuberufen, «deren einzige Aufgabe es sein wird, den Rücktritt des Bundesrates entgegen- zunehmen und den Führer des ‚Volks- bundes’, Major Ernst Leonhardt, mit der Neubildung einer autoritären Lan- desregierung zu beauftragen. Es lebe

Der nationalsozialistische Volksbund und sein gleichnamiges Organ liessen über ihre Radika- lität keine Zweifel. Schon kurz nach Hitlers Machtübernahme hieben sie auf die antisemiti- sche Pauke.

47 das Grossdeutsche Reich und das Burri Überstand das Kriegsende vor- tung Niederdonau und in anderen zweite römische Imperium und deren erst unerkannt und unverletzt. Er Funktionen ganz in den Dienst geniale Führer: Adolf Hitler und Be- konnte in Österreich untertauchen. Im Deutschlands und der NSDAP ge- nito Mussolini, denen wir Eidgenos- Dezember 1945 spürten ihn die Ame- stellt; am 31. Dezember 1942 wurde sen unsere Weiterexistenz in einem rikaner dort auf und verhafteten ihn, er deutscher Reichsbürger, später von national unabhängigen Staat zu ver- um ihn den österreichischen Behör- der Schweiz ausgebürgert. danken haben!» den auszuliefern. Diese stellten ihn am 31. Mai 1946 bei Buchs an die Eng mit Leonhardt arbeitete ab 1940 «Guisan, dieser wahnwitzige Schweizer Grenze. Knapp zwei Jahre der nach Grossdeutschland ausge- Verbrecher...» wanderte Luzerner Journalist Franz später, am Dienstag nach dem Sech- Burri zusammen. Auch er bombar- seläuten des Jahres 1948, wurde dem Selbst für die Begriffe der Schweizer dierte Bundesrat und Öffentlichkeit fanatischen Propagandisten, Konspi- Fröntler und Nazis war die Sprache, mit Eingaben, Flugblättern und ranten und SS-Freiwilligenwerber die Burris rastlose Agitation ge- «Pressediensten». Ohne im «Volks- vor dem in Zürich tagenden Bun- brauchte, von ungewöhnlicher Mass- bund» bzw. in dessen Nachfolgeorga- desstrafgericht der Prozess gemacht. losigkeit und grenzenlosem Hass ge- nisation administrativ in Erscheinung Mit Burri waren vierzig Männer an- kennzeichnet. Schon die sieben Flug- zu treten, lieh Burri als wortgewalti- geklagt, die – zum Teil als höhere SS- blätter, die Burri 1939 zusammen mit ger Trommler des Nationalsozialis- Führer – während des Krieges von Leonhardt verfasste und die er durch mus dem Schweizer Ex-Major seine Deutschland aus gegen ihre alte Hei- Mittelsmänner in die Schweiz Feder. mat gearbeitet hatten. schmuggeln liess, offenbarten dies: In mehreren Prozessen ab 1942 wur- Burri, Jahrgang 1901 und Luzerner, «In Bern regieren die Freimaurer der den die Taten Burris, Leonhardts und war schon mit 18 Jahren nach Graz Westmächte – Bundesrat Baumann, ihrer Mittäter beurteilt. Das Strafge- ausgewandert, wo er in die Reihen Bundeskanzler Bovet, Bundesanwalt richt Basel verurteilte Leonhardt am der frühesten Nationalsozialisten trat. Stämpfli müssen zurücktreten –, Auf- 23. August 1944 wegen wiederholten Er wurde Journalist und Generalse- lösung der Parteien und Logen, und fortgesetzten Angriffs auf die kretär des österreichischen Zeitungs- Schaffung einer einheitlichen Volks- Unabhängigkeit der Eidgenossen- verlegerverbandes, aber bereits 1934 partei, Verbot aller neutralitätsfeind- schaft, der wiederholten und fortge- wegen nationalsozialistischer Um- lichen Zeitungen. (...) In entscheiden- setzten hochverräterischen Umtriebe triebe und tendenziöser Berichterstat- der Stunde werden wir das Schicksal sowie des wiederholten und fortge- tung aus Österreich ausgewiesen. unserer Heimat in unsere Hand neh- setzten Vorschubleistens zu ausländi- Franz Burri kehrte in seine Heimat- men. In dieser Stunde der Entschei- scher staatsgefährlicher Propaganda stadt Luzern zurück und gründete dung fordern wir Sie auf, vor dem zu zehn Jahren Zuchthaus (als Zu- dort die «Internationale Presse-Agen- Geist der neuen Zeit zu kapitulieren, satzstrafe zu einem früheren Urteil). tur» (IPA), die weitgehend mit deut- denn das Schicksal unseres Volkes Burri erhielt sieben Jahre. Beide wur- schem Geld finanziert wurde und das wird in Rom und Berlin entschieden.» den für 15 Jahre des Landes verwie- Hitlersche Ideengut propagierte. Bur- In zahlreichen Briefen an den Bun- sen. Aber das focht sie nicht mehr an; ri sparte nicht mit Angriffen auf die desrat verlangte Burri die freiwillige denn Burri hatte die Schweiz schon österreichische Regierung, die ihn Anpassung der Schweiz an das «neue 1938 verlassen, und Leonhardt war aus dem Land geworfen hatte. Dies Europa», und er liess es auch an offe- 1940 heim ins Reich geflüchtet. Seine führte zu Demarchen beim Bundes- nen Drohungen für den Weigerungs- Botschaften liess er seither meist über rat, der 1938 den Pressedienst verbot, fall nicht fehlen. Als die Bundesan- den Badischen Bahnhof Basel in die den Zeitungen und Behörden des waltschaft mit einem Steckbrief ant- Schweiz schmuggeln. Dritten Reichs – namentlich Leute wortete, gründete Burri im Sommer wie Hess, Ribbentrop, Himmler und 1940 den «Bund der Schweizer in von Papen – mit Vorliebe als «Stim- Grossdeutschland» als von den Nazis Burri tobt: «Ich wurde me der neutralen Schweiz» zitierten. gesteuerte und finanzierte Ausland- verschleppt!» Nach dem Österreichs zü- schweizerorganisation. gelte Burri seinen Presseladen nach Ausgerechnet am 1. August 1940 Ernst Leonhardt ist bei der Bombar- Wien, um nun vorwiegend gegen die richtete Burri eine Denkschrift an dierung Frankfurts ums Leben ge- Schweiz zu schreiben. Inzwischen Hitler, Ribbentrop, Bormann und kommen. Sein Mitkämpfer Franz hatte er sich als Mitglied der Gaulei- Himmler, in der er der obersten Füh-

48 rung des Dritten Reichs riet, die Schweiz durch wirtschaftlichen Druck gefügig zu machen. Burri war der wohl radikalste Verfechter eines vollständigen und bedingungslosen Anschlusses der Schweiz ohne Rück- sicht auf deren nationale Eigenstän- digkeit. So erklärte er in seiner immer radikaler werdenden Publizistik zum Beispiel: «In einem kommenden germanischen Staatenbund soll die Schweiz nicht beliebiges Glied sein, wir wollen nicht zur Gefolgschaft gehören, wir wollen an der Führung teilnehmen. Wir sind keine germanische Nation, sondern ein Teil des deutschen Vol- kes, das die Führung in einem germa- nischen Staatenbund innehaben wird.» Burris besonderer Hass richtete sich gegen General Guisan, dessen Reduit- konzeption er als den «grössten Rück- zug, den je ein Schweizer Heerführer mit einem ungeschlagenen Heer an- trat», bezeichnete. Bezüglich der von Guisan aufgestellten Zerstörungsde- tachemente, die im Fall eines fremden Angriffs wichtige Verkehrsstränge hätten unbenutzbar machen sollen, sagte Burri: «Diesem wahnwitzigen Verbrecher an unserem Volk sind rau- chende Trümmer und trostlose Rui- nen wertvoller als unsere heiligsten Lebensrechte und Garantien für Frei- heit und Frieden. (...) General Guisan ist heute bewusst oder unbewusst ein Werkzeug der Angelsachsen, (...) von Logen und Judentum bestochen. (...) Er vermag in seinem Taumel der Ei- telkeit die militärische Tragweite sei- nes Handelns nicht zu überblicken.» Den Worten folgen Taten Franz Burri liess es nicht allein beim Schimpfen bewenden: Er war die trei-

Franz Burri (vorne), der Mann, der General Guisan als Verräter und Verbrecher bezeich- nete, verlässt das Gerichtsgebäude in Zürich. Er erhielt 20 Jahre.

49 bende Kraft für das Zustandekommen der Münchner Konferenz vom 10. Oktober 1940, wo der innerhalb des SD der SS für die Schweiz zuständige Dr. Klaus Hügel versuchte, die rivali- sierenden Schweizer Fröntler- und Nazigruppen zu einigen. Burri moch- te sich davon die Sicherung seines ge- fährdeten Führungsanspruchs ver- sprochen haben, sah er sich doch of- fensichtlich bereits an der Spitze einer schweizerischen Vasallenregierung. Weder diese Konferenz noch spätere Besprechungen führten indessen zum Erfolg, da sogar die anderen stramm nazifreundlichen Schweizer Erneue- rer von den masslosen Hetztiraden Burris und Leonhardts abgestossen waren.

Als der «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» eine zunehmende schweizerisches Freiwilligenkorps Diese beiden Bilder beschlagnahmte die Zür- Eigendynamik entwickelte und nicht aufzustellen, doch blieb die Werbetä- cher Stadtpolizei bei einer Razzia auf nazisti- gesonnen schien, Burris Machtan- tigkeit in Verbindung mit den An- sche Schweizer Organisationen. Sie bezeichne- sprüche zu unterstützen, gründete der ten sich als Sportgruppen, waren aber in Wirk- strengungen anderer schweizerischer Journalist den «Nationalsozialisti- lichkeit SA -Leute. Landesverräter nicht ohne Wirkung. schen Schweizerbund» als Konkur- Als Burri im August 1944 in Basel in renzorganisation. Leonhardt, der sich chen von zwei Jahren Untersuchungs- Abwesenheit zu sieben Jahren Zucht- seinerseits gleichfalls als künftiger haft, stellte gleich zu Beginn des Pro- haus verurteilt wurde, schrieb er in- Schweizer Führer sah und sich eben- zesses klar: «Ich nehme keine Schuld mitten eines zerfallenden Hitler- sowenig wie Burri durchsetzen auf mich. Als deutscher Reichsbürger Reichs: «Bis zum letzten Atemzug konnte, war auch bei dieser Gründung bin ich völkerrechtswidrig ver- wollen wir hinter der Fahne Adolf dabei. Der NSSB, der in der Schweiz schleppt worden, um wegen meiner Hitlers marschieren.» Noch im De- als «Nationalsozialistische Bewe- politischen Überzeugung bestraft zu zember 1944 warb er für den Eintritt gung in der Schweiz» auftrat, hatte zu werden. Unter Missbrauch des Roten in den Volkssturm, und am 19. Fe- seinen besten Zeiten immerhin 2‘500 Kreuzes hat man mich verschleppt. bruar 1945, als alles in Scherben fiel, Mitglieder, wobei zu betonen ist, dass Ich bin kein Kriegsverbrecher, meine prophezeite er in seinem IPA-Presse- damals insgesamt rund 40’000 Auslieferung an ein fremdes Gericht dienst: Schweizer Bürger in Deutschland ist unzulässig, eine Verletzung des «Die Schweiz wird am Ende dieses lebten. Dieser Bund stellte sich ab Völkerrechts. (...) Ich bekenne mich Krieges sich zum Reich zurückfinden, 1941 in den Dienst der Freiwilligen- als deutscher Mensch zum deutschen denn auf den europäischen Schlacht- werbung für die Waffen-SS. In einem Volk, auch heute noch. Ich werde be- feldern wird die Zukunft der Eidge- Brief vom Juni 1941 an den Bundes- straft, weil ich deutscher Nationalso- nossenschaft mitentschieden, auf die- rat verlangten Burri und Leonhardt, zialist war und bin; meine Weltan- sen Schlachtfeldern wird Deutschland «die Hälfte der mobilisierten Schwei- schauung ändere ich nicht.» siegen!» zer Armee unter dem Kommando von Das Gericht trat auf die Einwände des Oberstkorpskommandant Ulrich Wil- ausgebürgerten Schweizers nicht ein. le für den Kampf gegen Sowjetruss- «Ich nehme keine Schuld auf Die Einvernahmen gestalteten sich land bereitzustellen». Zwar entspra- mich!» mühsam. Burri berief sich darauf, er habe der Schweiz durch seine An- chen die deutschen Behörden dem 1948, als längst feststand, dass dem Wunsch Burris nicht, ein eigenes hänglichkeit zum Nationalsozialismus nicht so war, bewies Franz Burri vor einen Dienst erwiesen, indem er ja ge- dem Bundesstrafgericht, dass er gen den Bolschewismus gekämpft nichts dazugelernt hatte. Der eher habe. Er wich aus, schwächte ab, be- kleine, schmächtige Mann, ungebro-

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stritt die Angriffe auf Guisan. Selbst arbeitet. Dabei waren ihm im Herbst «Die illegale Kampftruppe trägt den als ihm das Gericht ein Foto aus den und Winter 1947 umfangreiche Akten Charakter der Schutzstaffel (SS). Sie Akten vorlegte, das ihn schon 1934 in über Franz Burri in die Hände gera- hat eine Stärke von 1‘800 Mann, SA-Uniform zeigte, hatte Burri eine ten; der Archivar hatte Fotokopien wozu noch etwa 100 Mann kommen, Erklärung: Sein Hausmeister habe die davon erstellen lassen. die sich im Reich aufhalten müssen. Uniform besessen, und er habe sie nur Der Mann begab sich also in die Fe- Davon sind etwa 120 Mann als füh- zum Scherz einmal angezogen. rien und las dort zufällig in der Zei- rende Garnitur zu betrachten, 550 als tung, dass der Prozess gegen Burri erste Einsatzgruppe. Eingesetzt kön- Illegale Kampftruppe begonnen habe. Darauf eilte er mit nen die Leute in allen deutschschwei- von 1‘800 Mann seinen Unterlagen sofort nach Zürich. zerischen Kantonen werden, auch in Das wichtigste Dokument in diesem Genf ist ein Stützpunkt vorhanden. Am vierten Prozesstag wendete sich Paket war eine 16 Seiten starke Denk- Nicht eingerechnet sind die Männer das Blatt: Der nachmalige Bundesan- schrift, die Burri am 22. Januar 1941 der Zander-Gruppe, die hinsichtlich walt Dr. Hans Fürst, Präsident des an den Reichsführer SS, Heinrich innerer Haltung und Kampfgeist zu Bezirksgerichts Horgen und Vertreter Himmler, gerichtet hatte und als de- diesem Kreis gerechnet werden muss. des Bundesanwalts für die deutsch- ren Zweck angegeben wurde, «die Die Kampftruppe besitzt das, was sprachige Schweiz, legte dem Gericht Wichtigkeit und Zweckmässigkeit man schlechthin die militärischen Tu- ein sensationelles Dokument vor, das des illegalen Kampfes in der Schweiz genden nennt, sie wird politisch für durch Zufall während des Prozesses darzulegen und der illegalen Kampf- die Aufgaben geschult, die eine sol- in seine Hand gelangt war. Burris gruppe mit ihrem SS-Charakter die che Truppe zu leisten hat. Ich bitte um Verteidiger hatte gegen diese Ak- Anerkennung durch den Reichsführer Anerkennung dieser Kampfgruppe tenergänzung, die zu einer gravieren- SS zu sichern». durch den Reichsführer SS.» den Erweiterung der Anklage führte, In diesem Dokument schlug Burri Mit einem Begleitschreiben von Bur- nichts einzuwenden. Einen Monat vor vor, das Gebiet der Eidgenossen- ris altem Freund, dem höheren SS- Prozessbeginn war ein 37jähriger schaft nach der Wasserscheidegrenze und Polizeiführer sowie damaligen Schweizer Kaufmann aus dem zer- zwischen Italien und Deutschland SS-Abschnittsleiter Donau, Kalten- störten Deutschland zu einem Ferien- aufzuteilen und den alemannischen brunner, wurde diese Denkschrift an aufenthalt in die Heimat zurückge- Volksstamm in der Schweiz zur Himmler gerichtet. Aber der Chef des kehrt. Zuletzt hatte dieser Ausland- Reichsfreundschaft und zum Natio- persönlichen Stabes Himmlers, schweizer als Archivar in der Doku- nalsozialismus im Rahmen einer Wolff, scheint ihm die Sendung nicht mentationszentrale der amerikani- staatlichen Souveränität zu erziehen. vorgelegt zu haben. Dafür nahm Hey- schen Anklagebehörden für die Nürn- Wörtlich erklärt Burri: drich als Chef des Reichssicherheits- berger Kriegsverbrecherprozesse ge-

51 hauptamtes ablehnend dazu Stellung; Kartei bestimmt war: Bei einem Ein- wohnte in Lörrach und war Gebiets- Heydrich hat anscheinend, wie aus marsch deutscher Truppen in die leiter des NSSB für die «Südwest- den in die Schweiz verbrachten Do- Schweiz wäre sie den Kommandan- mark» zwischen Basel und Konstanz. kumenten ebenfalls hervorgeht, die ten mitgegeben worden, den Rest In dieser Funktion bezog er ein festes egoistischen und machtpolitischen kann man sich dazudenken... Gehalt. Kaufmann organisierte den Motive Burris schnell durchschaut. Von den vierzig Mitangeklagten Bur- Schmuggel des illegalen Schriftguts Es wurde beschlossen, den nützlichen ris waren mehr als die Hälfte nicht vor aus der Küche Burri/ Leonhardt in die Agitator Burri weiter zu unterstützen, Gericht erschienen. Es handelte sich Schweiz. Gleichzeitig war er ein seinen Untergrundtruppen aber nicht um leitende Mitglieder und Gebiets- Spion in den Diensten des SD. Er den offiziellen SS-Status zu verlei- leiter des Nationalsozialistischen pflegte Landsleute anzuwerben, die hen. Schweizerbundes. Eine eigentliche auf eine Gunst des Regimes angewie- nachrichtendienstliche Tätigkeit im sen waren; so anerbot er sich, einer in engeren Sinne wurde ausser Burri nur Deutschland lebenden Schweizerin Schwarze Listen für den Ernstfall dem 1899 geborenen Chauffeur ein Ausreisevisum für einen Besuch Zwei der insgesamt sechzig Zeugen Friedrich Kaufmann zur Last gelegt. in der Schweiz zu besorgen, wenn sie im drei Wochen dauernden Zürcher Kaufmann, der geständig war, hatte ihre Tochter, die als FHD in einer Mi- Prozess fanden besonderes Interesse. sich 1925 in Basel einbürgern lassen. litärsanitätsanstalt Dienst tat, dazu be- Der eine war Dr. Klaus Hügel (geb. Er erklärte, er sei wegen der Arbeits- wegen würde, Nachrichten über Flie- 1912), der im SD-Leitabschnitt Stutt- losigkeit früh zur Frontenbewegung geroffiziere zu liefern, die in der gart das Referat VI geleitet hatte, mit gestossen und aus dem gleichen Schweiz interniert waren. Ausserdem anderen Worten: der Chef der gegen Grund nach Kriegsausbruch nach berichtete Kaufmann über die Tätig- die Schweiz gerichteten SS-Spionage Deutschland zurückgekehrt. Er keit der Kommunisten in der Schweiz gewesen war. und lieferte als Agent Nr. 7923 mili- Die Freiwilligen der Waffen-SS dienten Hitler Nach aussen führte Dr. Hügels im Russlandfeldzug als Kanonenfutter (hier vor tärische Nachrichten. Dienststelle als Tarnung die harmlose Stalingrad). 300 Schweizer Freiwillige fielen. Bezeichnung «Alemannischer Ar- beitskreis». Als Zeuge mit freiem Ge- leit bestätigte Dr. Hügel, dass dieser «Arbeitskreis» Burri monatlich mit 400 Mark unterstützt habe; ausser- dem seien direkte Zuwendungen vom Reichspropagandaministerium und später vom Auswärtigen Amt gekom- men. Nachrichtendienstlich sei Burri für ihn nicht besonders interessant ge- wesen, gab der Spionagechef zu Pro- tokoll, doch habe er ihm gelegentlich Mitarbeiter aus seinem Kreis vermit- telt. Mehr wusste Hügels Nachfolger, Dr. Gerhard Hess, zu erzählen. Seinen Aussagen zufolge wurde beim SD in Stuttgart eine Kartei geführt, in der einerseits die Reichsfreunde in der Schweiz, anderseits – rot markiert – die Reichsfeinde unter den führenden politischen Persönlichkeiten regi- striert waren. In dieser Kartei wurden auch Angaben verwertet, die Burri über Schweizer in der Schweiz ge- macht hatte. Hess liess keinen Zwei- fel darüber aufkommen, wozu diese

52 Der Vertreter der Bundesanwaltschaft Reich» verbindlich. Sein Verfasser Freimaurerei, Religion, politische Ta- drang mit seinen Anträgen auf der war Dr. Alfred Zander, der vom Re- gesfragen, das Parteiprogramm der ganzen Linie durch. Franz Burri wur- daktor des ordinär antisemitischen NSDAP, die Grundsätze der SS, Füh- de wegen Angriffs auf die Unabhän- «Eisernen Besens» zum Führer des rertum, Kapitel aus Hitlers ‚Mein gigkeit der Eidgenossenschaft, Vor- «Bundes Treuer Eidgenossen» und Kampf’ und derlei. (...) Jeder Sonder- schubleistens zu politischem Nach- schliesslich zum Reichsredner aufge- lehrgang schloss mit einer den Teil- richtendienst und zur Anwerbung für stiegen war, nachdem er im Juli 1939 nehmern mehr oder weniger überra- fremden Militärdienst sowie wegen wegen wirtschaftlichen und politi- schend kommenden feierlichen Verei- Beschimpfung einer Militärperson schen Nachrichtendienstes zu einer digung auf die nationalsozialistische zur Höchststrafe von zwanzig Jahren kurzen Freiheitsstrafe verurteilt wor- Weltanschauung und auf Hitler als Zuchthaus verurteilt. Die übrigen den war. den Führer aller Germanen. Zu diesem Mitangeklagten bezogen Zuchthaus- In Zug erhielt er wegen Angriffs auf Zwecke wurden die Teilnehmer in ei- strafen bis zu zwölf Jahren, so auch die Unabhängigkeit der Eidgenossen- nen von SS-Soldaten bewachten Saal der überführte Spion Kaufmann. schaft und anderer einschlägiger De- geführt, auf dessen mit der Haken- Nach unbestätigten Berichten ist likte elf Jahre Zuchthaus – natürlich kreuzflagge und der Fahne der erneu- Burri nach Verbüssung der Strafe in Abwesenheit. Mit ihm wurden der erten Schweiz dekorierter Bühne die wieder nach Deutschland gegangen Versicherungsagent Hans Emil Frei Büste Hitlers aufgestellt war. Den Eid und hat sich dort in neofaschistischen alias Hermann Fröhlich, der Fabri- nahm Frei ab. Die Beteiligten hatten Splitterbewegungen erneut rege betä- kant Otto Alfred Lienhard sowie die die Eidesformel nachzusprechen und tigt. Schriftsteller Dr. und Dr. die Schwurfinger zu erheben. Ein Heinrich Wechlin zu Strafen zwi- Teilnehmer, der dies nicht tat, weil er schen zwei und fünfzehn Jahren ver- den Eindruck hatte, die Leitung habe Politische Soldaten für Adolf urteilt. der Schweiz die Eigenstaatlichkeit Hitler Über den wirklichen Charakter der vollständig abgesprochen, wurde des- «Sonderlehrgänge» für BSG-Mitglie- wegen von einem andern nach der In einem anderen Bundesstrafpro- der gibt auch der Bericht des Bundes- Feier mit Faustschlägen ins Gesicht zess, im Mai und Juni 1947, wurde rates vom 30. November 1948 Aus- misshandelt.» auch der von Burri mitbegründete kunft: Gerade in diesem Prozess wurde klar, «Bund der Schweizer in Gross- «Die Teilnehmer wurden unter der dass viele Schweizer in Deutschland deutschland» als Kaderschmiede des Leitung von SS-Kräften täglich nach mit versteckten und offenen Drohun- Nationalsozialismus im Hinblick auf den Vorschriften des deutschen Exer- gen zum Beitritt in solche Organisa- den Anschluss der Schweiz entlarvt. zierreglements streng geschult. Sie tionen gepresst worden waren. Bundesanwalt Lüthi betonte, die Tä- hatten nach militärischer Art, jedoch tigkeit des BSG, der noch Anfang ohne Waffe, Einzel- und Gruppenaus- 1945 über 1‘800 Mitglieder gezählt bildung zu treiben, z.B. das Grüssen, hatte, habe in erster Linie der weltan- Melden, Kriechen, Springen zum An- schaulichen Erziehung und Schulung griff, Schwenken und Umformen in Franz Riedweg – Arzt, gedient und disziplinierte politische der Rotte zu üben. Daneben hatten sie Soldaten Hitlers heranziehen wollen. zu turnen und Leichtathletik zu trei- Politiker, SS-Führer Der BSG, von Propagandaministe- ben, zu boxen und den Wurf von rium und SD gelenkt und finanziert, Handgranaten zu üben, Märsche aus- Er schickte aus Deutschland seinen umspannte ganz Deutschland und fas- zuführen und in Gemeinschaft zu sin- Schweizer Pass zurück, aber das ste die Auslandschweizer in Landes- gen und dergleichen. Einmal wurde Schweizer Bürgerrecht ablegen wollte und Bezirksbanne, Bannschaften, mit Kleinkaliberwaffen geschossen. er nicht. Seine Frau war die Tochter Ortsbanne und Kameradschaften zu- Der weltanschaulichen und politi- des Generalfeldmarschalls von Blom- sammen. Im Vordergrund stand die schen Schulung dienten Vorträge berg, er selbst stieg zum Ratgeber politische Schulung, die anhand Hit- über Vererbung und Rassenlehre, Heinrich Himmlers für schweizeri- lers «Mein Kampf» betrieben wurde. grossgermanische Geschichte, Ger- sche Fragen auf – und fiel Ende 1943 Für jedes BSG-Mitglied war ausser- manenkunde, Nationalsozialismus, in Ungnade. Da ging er an die Front. dem die Lektüre eines Buches mit Marxismus, Bolschewismus, Libera- Nach dem Krieg wurde er in einem dem Titel «Eidgenossenschaft und lismus, Katholizismus, Judentum, umstrittenen Prozess wegen politi- schen Landesverrats in Abwesenheit

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«Mein eigener Vater seinem Pazifismus zutiefst verletzt. Er sen Parks an einer der besten Wohnla- zeigte mich an!» verbot mir, im Militär weiterzumachen. gen der Stadt. Eigentlich mehr eine ge- Ich konnte es mir finanziell nicht lei- pflegte Pension als eine Kaserne! Ein «Ich heisse Robert Mauch (Name ge- sten, gegen meinen Vater aufzubegeh- Schweizer, der sich als Heimsekretär ändert), Jahrgang 1919, gelernter Ma- ren: eine unsichere Stelle und monate- Alfred Tanner vorstellte, empfing mich schinenzeichner. Mit einer einzigen lange Aktivdienstzeit... Ich musste die freundlich und wies mir ein Bett in ei- Bemerkung, die ich unbedacht aus- Enttäuschung schlucken. nem Dreierzimmer zu. An meine Zim- sprach, habe ich mein ganzes Leben Enttäuschung, geistige Verwirrung, merkameraden erinnere ich mich nicht verpfuscht. vermeintliche historische Entschei- mehr. Wir waren etwa dreissig Schwei- Nach der Rekrutenschule las ich zuviel dungszeit, falsch verstandene Ideale, zer. Im Gedächtnis haftengeblieben ist Nietzsche. Seine Hymnen an den Romantik und jugendliche Opposition: mir nur ein Ingenieur aus Genf, der den Übermenschen drängten mich zur Tat: Das waren die Beweggründe für mei- ganzen Tag an der Schreibmaschine zum freiwilligen Eintritt in die Waffen- nen freiwilligen Eintritt in die Waffen- sass und, wie die Kameraden ehr- SS. Hätte mich nicht mein eigener Va- SS. Ich wurde, noch ehe ich in furchtsvoll flüsterten, wichtige Berichte ter bei der Polizei angezeigt, so wäre Deutschland war, zu einem Fanatiker. für den Nachrichtendienst tippte. ich vielleicht mit einem blauen Auge Anzuwerben brauchte mich niemand; Am zweiten Tag lernte ich Dr. Hutten davongekommen. So aber verbrachte es hat's auch keiner versucht. Aus kennen. Er war der Heimleiter. Erst ich die schönsten Jahre meiner Jugend freien Stücken sprach ich beim deut- heute weiss ich, dass er in Wirklichkeit im Zuchthaus. Heute bin ich allein. schen Generalkonsulat in Zürich vor. Alfred Nikles hiess. Er fragte mich über Nicht verbittert, aber sehr, sehr nach- Der Beamte namens Kolb war sehr meine Familie aus. Besonders nach- denklich. freundlich zu mir und überreichte mir haltig interessierte er sich für die inter- Mit ehrlichem Gewissen darf ich sagen: eine Planskizze vom Rafzerfeld, auf nationalen Verbindungen der Glau- Ich war kein Nazi und kein Fröntler. Als dem ein sicherer Weg über die grüne bensgemeinschaft, der mein Vater an- ich meine Berufslehre – als Zweitbe- Grenze eingezeichnet war. Ausserdem gehörte. Fast beiläufig erkundigte er ster meines Jahrgangs übrigens – be- gab er mir die Adresse der Gestapo- sich nach meiner militärischen Eintei- endet hatte, warf ich mich mit der un- Zentrale in Singen und des Panorama- lung, nach den Orten, an denen ich zu- gezügelten Leidenschaft der Jugend heimes in Stuttgart: Panoramastrasse letzt Dienst geleistet hatte, und nach auf alle geschichtlichen und ge- 11. Eines Nachts im Dezember 1941 den Einzelheiten unserer Bewaffnung. schichtsphilosophischen Werke, deren brach ich auf. Natürlich sagte ich ihm alles. ich habhaft werden konnte. Ich las Wie erwartet, lief ich den deutschen Alle 14 Tage, immer am Sonntag, mehr, als ich verdauen konnte. So wie Grenzwächtern in die Hände. Ohne viel konnten sich die Pensionäre im Pan- die Jugend von heute ihre Popsänger zu fragen, brachten sie mich zum oramaheim bei der SS-Aushebungs- vergöttert, schwärmte ich für ge- Hauptquartier der Geheimen Staatspo- stelle freiwillig melden. Ich ergriff die er- schichtliche Gestalten wie Kaiser lizei nach Singen. Dort musste ich war- ste Gelegenheit dazu. Bei der Aushe- Friedrich I. (Barbarossa). Allen Ernstes ten. Im gleichen Korridor waren zwei bung erhielt ich ein verschlossenes träumte ich von einer Renaissance des Frauen, offensichtlich Jüdinnen. Als Kuvert, mit dem ich mich beim Stuttgar- Heiligen Römischen Reichs Deutscher der Chef erschien, wandte er sich zu- ter SS-Hauptquartier im Hotel Mar- Nation. Für Adolf Hitler war ich nicht erst an mich. Ich zeigte ihm meinen quardt melden musste. Dort hiess es: einmal sonderlich begeistert. Ich sah Schweizer Pass und bat ihn, mich nach Vorläufig haben wir genug Leute an der ihn damals als einen sympathischen Stuttgart Weiterreisen zu lassen. ‚Kein Front, du musst warten. Ich begann als Erneuerer, der etwas Wichtiges tat, Problem‘, antwortete er freundlich. ‚Wir Speditionsgehilfe bei der Deutschen statt nur zu reden wie unsere schwei- gehen nachher einen Kaffee trinken Verlagsanstalt zu arbeiten. zerischen Politiker: Er zog gegen den und besprechen alles.‘ Der Betrieb im Heim war keineswegs Bolschewismus zu Felde. Die beiden Jüdinnen dagegen, die militärisch; es war eher eine geordnete In der Fabrik und am Stammtisch hörte kaum zu lispeln wagten, brüllte er mit Pension mit festen Essenszeiten und ich damals viele senkrechte Zürcher den unflätigsten Worten an; er zertram- guter Kameradschaft. So war es für Bürger, vor allem wohlhabende Ge- pelte ihre Papiere und liess sie in einen mich selbstverständlich, dass ich an ei- werbler und Fabrikanten, sagen: mannshohen Käfig sperren. nem freien Nachmittag im Januar 1942 ‚Wenn ich jünger wäre, würde ich mit Für einige Augenblicke war ich ernüch- für einen Kollegen, der anderes zu tun Hitler in den Osten marschieren!‘ tert und erbost. Aber dann sagte ich hatte, die Telefonwache übernahm. Ich Zur gleichen Zeit erlebte ich die erste mir, wie ich es mir angelesen hatte und hatte mich mit meinem damaligen Lieb- grosse Enttäuschung meines Lebens. wie ich es in meiner heiligen Einfalt da- lingsbuch, Alfred Rosenbergs ‚Mythos Ich hatte die Infanterie-Rekrutenschule mals auch wirklich felsenfest glaubte: des 20. Jahrhunderts‘, in die Ecke des hinter mich gebracht und hatte ehrlich Reg dich nicht auf, das sind ja nur Ju- geräumigen Büros zurückgezogen, als Freude am Militär. Als ich mit dem Vor- den, Untermenschen... Sekretär Tanner mit einem Schweizer schlag für die Unteroffiziersschule Im Panoramaheim in Stuttgart verlebte Panzerkorporal ins Zimmer kam und nach Hause kam, gab es Krach; mein ich zwei ruhige Monate. Es war eine eine förmliche Einvernahme begann, Vater, Laienprediger in einer freikirchli- schöne alte Villa inmitten eines gros- chen Glaubensgemeinschaft, war in

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Mindestens 800 Schweizer meldeten sich ‚Sag, was du willst‘, erwiderte ich. ‚Ich funden worden sei. freiwillig zur Waffen-SS. Sie wurden nach gehe trotzdem.‘ An der Grenze bei Ba- Das Urteil traf mich wie ein Keulen- ihrer Rückkehr von der Front zu empfindli- sel schnappten sie mich; mein Vater schlag: 1 3 Jahre Zuchthaus! chen Strafen verurteilt. Ihre Schicksale und hatte die Polizei verständigt! Die erste Zeit glaubte ich noch, naiv Beweggründe sind noch wenig erforscht. Die Verhöre bei der Spionageabwehr wie ich war, die Deutschen würden den waren endlos. Ich weigerte mich mona- Krieg gewinnen, die Schweiz erobern die er fortlaufend an der Schreibma- telang, die Namen meiner Freunde und und mich herausholen; in Regensdorf schine protokollierte. Es ging um tech- die Standorte der Unterkünfte, die ich durften wir damals keine Zeitungen nische Daten eines Schweizer Pan- beschafft hatte, zu verraten. halten. Das einzige, was zirkulierte, zers. Nach jeder ergebnislosen Einver- war ein frommes Wochenblatt mit einer Spalte Zeitgeschehen. Die Unterhaltung war aber auch nicht nahme lächelte der Untersuchungs- Im Herbst 1950, als ich zwei Drittel so ernst, dass ich es – aus Langeweile, richter: ‚Dann halt in ein paar Monaten ich weiss nicht mehr recht – nicht ge- meiner Strafe verbüsst hatte, wurde ich wieder, Herr Mauch!‘ Und zurück ging's mit 370 Franken in der Tasche entlas- wagt hätte, eine zerstreute Frage ins in den Basler Lohnhof. Später brachten Gespräch zu werfen: ‚Wie schnell fährt sen. Ich war 31. sie mich nach Regensdorf. denn so ein Panzer?’ Den richtigen Tritt im Leben habe ich Nach 934 Tagen Untersuchungshaft, ‚Etwa 60 in der Stunde‘, antwortete der nie mehr gefunden. Ich gebe nieman- im Juli 1944, machten sie mir endlich desertierte Korporal. Ein paar Wochen dem die Schuld daran. Ich versuchte später erfuhr ich, dass mich diese den Prozess. Vor Divisionsgericht und mich in zahlreichen Stellen. Als ich Frage fast neun Jahre meines Lebens unter Ausschluss der Öffentlichkeit, im zwanzig gewesen war, war für mich kosten sollte! Ich brannte auf den Ein- Obergerichtsgebäude in Zürich. Er klar gewesen, dass ich einmal heiraten satz an der Front. Schliesslich gaben dauerte nur knapp zwei Stunden. und Kinder haben würde; ich tat es sie mir im Hotel Marquardt einen Er- Die Anklage hörte ich im Gerichtssaal nicht mehr: Offenbar war ich durch die satzauftrag: Ich sollte nach Zürich zu- zum erstenmal; Akteneinsicht hatte ich Haft zu stark vereinsamt. rückkehren und ein geeignetes Quartier nie bekommen. Meinen Verteidiger Mit mehr als fünfzig Jahren kam ich für zwei Spione besorgen. Ein Major lernte ich in der Verhandlungspause nochmals für zweieinhalb Jahre hinter der Wehrmacht brachte mich an die kennen. Er klopfte mir auf die Schultern Gitter. Diebstahl! Grenze bei Basel, die ich mühelos und erklärte mir, er habe die Akten erst Heute bin ich als Faktotum in einer klei- überschritt. vor zwei Tagen erhalten und nicht recht nen Zürcher Firma tätig. Mein Chef Meinen sprachlosen Eltern erklärte ich Zeit gehabt, sie zu lesen. Sein Plä- weiss über mich Bescheid. In meiner nur, ich wolle warme Kleider holen. doyer dauerte drei Minuten. Er legte Freizeit bin ich zur grossen, verirrten Liebe meiner Jugend zurückgekehrt: Mein Vater, der nie mehr als drei, vier besonderen Wert darauf, dass ich nicht zum Studium der Geschichte, der Phi- Sätze mit mir sprach und mir auch nur auch noch wegen Missbrauchs und selten die Hand gab, verbot mir, wieder losophie und der Theologie. Ab und zu Verschleuderung von Material verur- veröffentliche ich einen Aufsatz dar- nach Deutschland zu gehen. teilt würde, und wies nachdrücklich Ich war gut 22 Jahre alt, fanatisch und über. darauf hin, dass meine militärische unheimlich selbstbewusst. Ich habe viel gelernt.» Ausrüstung in bestem Zusand vorge- Robert Mauch

55 zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt. zutraute, im Rahmen der nationalso- Der Mann, der einmal Sekretär eines zialistischen Ideologie ein gewisses katholischkonservativen schweizeri- nationales Eigenleben führen und schen Bundesrats gewesen war, kehr- eine gewisse Eigenart bewahren kön- te nie mehr in die Heimat zurück und nen. Im Kampfblatt «Die Aktion» liess sich als Arzt in München nieder. umschrieb Ried weg sein politisch- Die Lebensgeschichte des Dr. Franz weltanschauliches Credo wie folgt: Riedweg (geb. 1907) ist ein schillern- «Europäisch-kontinental ist der des Stück schweizerischdeutscher Raum, nordisch-germanisch die Sub- Zeitgeschichte. Aus dem entschiede- stanz der Revolution des 20. Jahrhun- nen Antikommunisten wurde ein Eu- derts, die das Gesicht kommender ropäer, der Hitler und dem National- Jahrhunderte gestalten wird. Diese sozialismus die Kraft zu traute, den Erkenntnis ist grundlegend und Kontinent zu einigen und gegen Os- zwangsläufig für alle, die wesenhaft ten zu stärken. Als einflussreicher mit dem heutigen schöpferischen Ge- Obersturmbannführer der SS (Oberst- schehen verbunden, d.h. germani- leutnant) wirkte er zeitweise in Berlin schen Blutes sind. Immer klarer und als Türöffner und Bürge für mächtige deutlicher ersteht eine politische Ein- Der Luzerner Arzt Dr. Franz Riedweg entwik- schweizerische Geschäftsleute, die kelte sich vom Katholisch-Konservativen zum heit, innerhalb deren blutmässige und mit den Nazis und in deren besetzten überzeugten Europäer und schliesslich zum bodenständige Eigenart einzelner Gebieten Geschäfte machen wollten; Nationalsozialisten. Er war der ranghöchste Räume und Stämme ihre Geltung be- es mag offenbleiben, ob er nicht auch Schweizer in der Waffen-SS. wahren, wo aber aus der Verbunden- gleichzeitig, wenigstens gelegentlich, heit aller dieser Menschen im Wesen- dem Schweizer Nachrichtendienst haften eine Gemeinschaft des Schick- Die Germanische Leitstelle der SS geholfen hat. Anderseits gründete sals sich gründet, die für Jahrhunderte Riedweg mit dem Panoramaheim in Die SS verstand sich als Vortrupp und unzertrennlich und unlösbar sein Stuttgart die Auffangstelle für Speerspitze der Nazi-Ideologie. wird.» Schweizer, die freiwillig in der Waf- Deshalb gliederte ihr Reichsführer Bedeutend leichter zu verstehen ist, fen-SS Dienst leisten wollten; zu- Himmler 1940 dem SS-Hauptamt die was der Schweizer Arzt in der Uni- gleich war das Panoramaheim die «Germanische Leitstelle der SS» an, form des Schwarzen Korps praktisch Zentrale der gegen die Schweiz ge- die sich mit den Verhältnissen in den und konkret tat, um diesem ahnungs- richteten SS-Spionage. germanischen, noch nicht ins Reich vollen Raunen Gestalt zu verleihen. Nach dem Medizinstudium war der «zurückgekehrten» Ländern beschäf- - Seinen Freund und späteren Mitar- Hotelierssohn aus Luzern vorerst Se- tigen und deren «Anschluss» vorbe- beiter, den ausgebürgerten Zürcher kretär des konservativen Bundesrates reiten sollte. Innerhalb dieses Amtes Rechtsanwalt Dr. Heinrich Büeler, Jean-Marie Musy geworden, der noch gab es ein Amt VI, später «Amts- veranlasste Riedweg, in der Schweiz 1942 in einem Artikel in der Zeit- gruppe D» genannt, deren stellvertre- eine «Fechtgemeinschaft» zu grün- schrift «La Jeune Suisse» kaum ver- tender Chef Riedweg wurde; er be- den, die nach den Prinzipien der SS hüllt dafür warb, «sich dem grossen treute das «Referat Schweiz». Dabei arbeiten sollte. Riedweg setzte Büeler Werk anzuschliessen, dem auszuwei- handelte es sich, da sich die SS selber das Ziel, bis zum 1. Juli 1941 etwa chen keiner mehr das Recht hat». Ge- ja als einen Orden sah, um eine ge- dreihundert Mann zu sammeln, die meint war der Feldzug Hitler- mischte militärisch-politisch-weltan- erst wehrsportlich, später auch solda- Deutschlands gegen Sowjetrussland. schauliche Aufgabe. tisch und politisch ausgebildet wer- Dies nur als Hinweis darauf, dass Im Gegensatz zu Franz Burri, der die den sollten. Das traf sich gut, denn der Riedweg, der später zum Inbegriff Schweizer ohne Einschränkung als überzeugte Nazi Othmar Maag hatte des schweizerischen Landesverräters Germanen und folglich die Schweiz schon ein paar Wochen früher mit werden sollte, ursprünglich auf dem als natürlichen Bestandteil des Deut- Büeler einen verblüffend ähnlichen gleichen weltanschaulich-politischen schen Reiches sah, hing Riedweg im- Plan besprochen. Maag und Büeler Boden stand wie weite Kreise des mer der Auffassung an, die Schweiz koordinierten ihre Bestrebungen; so schweizerischen Bürgertums in der würde im kommenden «neuen Eu- Zwischenkriegszeit. ropa», dem er föderalistische Züge

56 entstand die Sportschule Maag in fen-SS, stellvertretender Leiter des Schweizer Jugend leider darstellt, in Kilchberg bei Zürich – mit deutschem Panoramaheims und Pressebetreuer nationalsozialistischem Sinne erzie- Geld, das Büeler von Riedwegs in der Leitstelle wieder auf. hen und führen könnt. Es genügt Dienststelle über das deutsche Gene- - Riedweg in seiner Germanischen nicht, wenn zur gegebenen Zeit eine ralkonsulat (d.h. die Beamten Dr. Leitstelle war der eifrigste Werber für neue, vielleicht deutschfreundliche Gröbl und Dr. Ashton, die auch in den illegalen Eintritt von Schweizer Regierung an die Spitze unseres Vol- zahlreichen anderen Affären wichtige Freiwilligen in die Waffen-SS. Dem kes gestellt wird. (...) Ihr müsst Euch Rollen spielten) beschaffte. Ashton Aufruf folgten mindestens ebenso immer und immer wieder vor Augen soll über einen Kredit von 45’000 viele Schweizer, wie auf republikani- halten, dass es kein ‚Schweizer Volk‘ Franken verfügt haben. scher Seite im Spanischen Bürger- und keine ‚schweizerische Nation‘ Vom 15. bis zum 21. März 1941 fand krieg gekämpft hatten, nämlich acht- gibt. Die Schweiz ist ein Glied des in Feldkirch ein Kaderkurs für zu- hundert. Etwa dreihundert von ihnen Grossdeutschen Reiches und muss künftige SS-Führer in germanischen dürften an der Ostfront gefallen sein, den Weg zu diesem wieder zurückfin- Randstaaten statt, der von zehn einzelne wurden als Deserteure stand- den. Und diesen Gedanken der heran- Schweizern, darunter drei in Deutsch- rechtlich erschossen. wachsenden Jugend in die Herzen zu land wohnhaften, besucht wurde. - Auch Riedwegs Dienststelle führte brennen, ist Eure vornehmste Auf- Kursleiter Riedweg liess über The- Karteien über nationalsozialistische gabe.» men wie «Die Alpen als deutscher und deutschfreundliche Schweizer, - Riedweg war häufig als Referent Grenzraum», «Das Reich, die deren besondere Fähigkeiten und in der SS-Junkerschule Tölz und in Schweiz und England» und «Grund- Ausbildungsgänge. Für den Fall der anderen Ausbildungsstätten tätig; er anschauungen über den Nationalso- Machtübernahme in der Schweiz, an gab Zeitschriften und Broschüren her- zialismus» referieren. Riedweg eröff- der Riedweg wohl kaum zweifelte, aus. nete den zehn Schweizern, er sei von war bereits eine provisorische Regie- - Das von Riedweg gegründete Pan- Himmler beauftragt, in der Schweiz rung mit führenden Fröntlern wie Dr. oramaheim entstand in den ersten eine illegale SS zu gründen, die sich Max Leo Keller, Büeler, Hersche, Monaten des Jahres 1941 in einer ge- als Tarnung «Schweizerischer Sport- Zander, Wechlin und natürlich Ried- räumigen Villa an der vornehmen bund» nennen müsse. Sie solle später, weg selber vorbereitet. Büeler sollte Panoramastrasse in Stuttgarts bestem wenn die politische Erneuerung Polizeichef, Riedweg Leiter der Stadtteil. Im Dezember 1943 wurde komme, den Grundstock für die Neu- schweizerischen SS werden. Ander- es nach Strassburg und um Ostern organisation bilden. Mit Handschlag seits führte die Leitstelle auch Kar- 1944 nach Bregenz verlegt, wo es nahm Riedweg von jedem Einzelnen teien über schweizerische Freimaurer «Planettaheim» hiess. Hier wurden il- ein strenges Geheimhaltungsverspre- und andere Nazigegner, «um sie nach legal nach Deutschland eingereiste chen entgegen. der Errichtung der nationalsozialisti- Schweizer und Liechtensteiner aufge- Unter den sorgenden Händen von schen Herrschaft zu unterdrücken und nommen und verpflegt, bis sich ihre Büeler und Maag wuchs diese «Sport- zu beseitigen», wie es in einem Be- weitere Verwendung – Waffen-SS, schule» sehr rasch. Jeden Samstag richt des Bundesrates vom 30. No- Arbeitsdienst usw. – geklärt hatte. Als fanden in Kilchberg militärisch straffe vember 1948 heisst. Hauptmotiv zur Gründung gab Ried- Übungen (Turnen, Leichtathletik, Bo- - 1943 liess Riedweg frontbewährte weg an, die illegal Einreisenden seien xen, Marschieren usw.) statt. Orts- Schweizer Waffen-SS-Männer zu- von den Grenzbehörden und von der gruppen bestanden in Zürich, Win- rückkommen, um sie zu Führern der militärischen Abwehr oft wochenlang terthur, St. Gallen, Rorschach, Hitler-Jugend zu machen und später in Gefängnissen zurückgehalten wor- Azmoos, Romanshorn, Schaffhausen, in der Schweiz einzusetzen. Einer der den, und dies habe er unterbinden Baden, Luzern, Basel, Bern, Genf und ersten, die auf Veranlassung Ried- wollen. Die offizielle Berichterstat- Sitten. Einzelne Gruppen hatten wegs die Reichsjugendführerschule tung des Bundesrates, die sich auf Ge- Alarmpläne. Am 10. Juni 1941, nach- besuchten, belehrte seine Kameraden richtsurteile stützt, betrachtet das dem ein Ausmarsch der «Sport- in einem Zirkular über den Hinter- Panoramaheim aber als Werbezen- schule» ins Eigental grosses Aufsehen grund ihrer zukünftigen Tätigkeit: trale für die Waffen-SS. Die Heimin- erregt hatte, wurden die Organisation «Ihr müsst so weit kommen, dass Ihr sassen wurden ausgiebig ausgefragt. aufgehoben und die Hauptbeteiligten eine demokratisch-liberalistisch ver- Dazu der Bericht des Bundesrates: verhaftet. Dr. Büeler entkam und seuchte Jugend, wie es die heutige «Es bestand ein Frageschema des SD. tauchte später als Offizier der Waf- Die politischen Angaben, z.B. ob be-

57 stimmte Schweizer oder in der gekommen war, wollte nicht am Lu- Schweiz. Er war im August 1943 un- Schweiz wohnende Personen zerner Prozess teilnehmen, weil er das ter der Leitung von Riedwegs Nach- deutschfreundlich oder deutschfeind- schweizerische Einreisevisum erst folger Spaarmann Leiter des Referats lich seien, vermerkte das Referat VI zwei Tage nach Prozessbeginn erhal- Schweiz geworden und hatte den be- des SD-Leitabschnittes oder der AAK ten hatte. Eigenen Erklärungen zu- rüchtigten «Plan S» entworfen. Dieser in seiner Kartothek, während die mi- folge hatte er sich vorher monatelang sah im Wesentlichen vor, einerseits litärischen Nachrichten an die Ab- vergeblich um das Dokument bemüht, Schweizer Nationalsozialisten und wehrstelle der Wehrmacht (AST), weil ihm an sich daran gelegen gewe- deren Familien nach Deutschland zu später an das RSHA weitergemeldet sen sei, sich zu rechtfertigen. evakuieren, anderseits Schweizer SS- wurden. In geeigneten Fällen begab Anders der Journalist Benno Schäppi Führer von der Front abzuziehen, um sich ein Beauftragter des SD oder der (geb. 1911). Er ging schwarz über die sie als schnell mobilisierbare Reserve AST zur Befragung ins Heim oder Grenze und stellte sich wenige Stun- für den politischen Einsatz in der un- liess sich die Abzuhörenden durch den nach der Eröffnung des Verfah- terworfenen alten Heimat zur Hand zu den Heimleiter zuführen. (...) Im Auf- rens zur allgemeinen Überraschung haben. Sodann wurde der Zusammen- trag des SD stellte er (d.h. Heimleiter seinen Richtern! Der Sohn aus zerrüt- zug aller Schweizer SS-Freiwilligen Nägele) den Heiminsassen nach ei- teten Familien Verhältnissen, den und der zuverlässigen nationalsoziali- nem Frageschema mehr als 50 Fragen Fehlspekulationen seines Vaters um stischen Schweizer im Reich – immer über politische und militärische Ver- das ersehnte Studium gebracht hatten, mit der gleichen Stossrichtung – vor- hältnisse in der Schweiz. Darunter be- fand Mitte der dreissiger Jahre, als er bereitet. Die Germanische Leitstelle fanden sich z.B. Fragen nach den po- kaufmännischer Angestellter in Zü- Schweiz sollte als zentrales politi- litischen Parteien der Schweiz, ihrer rich war, in Dr. Hans Oehler, dem sches Führungsorgan ausgestaltet Stärke, ihren Zielen, ihrem Verhältnis Herausgeber der einst angesehenen werden. Als Punkt 6 des Plans figu- zueinander, ihren Führern, nach und dann immer frontistischer wer- rierte – Originalton von Benz – «mit deutschfeindlichen Zeitungsredakto- denden «Nationalen Hefte», einen vä- RSHA zusammen Vernichtung aller ren, nach deutschfreundlichen höhe- terlichen Freund, der ihm zum Journa- Reichsfeinde». Das bedeutete, dass ren Schweizer Offizieren, nach der lismus riet. 1939 ging er nach nach dem deutschen Einmarsch in die Lage und der Organisation der zentra- Deutschland; der kurzsichtige HD Schweiz die als antinazistisch einge- len Verteidigungszone der Schweiz, meldete sich 1941, wohl auch aus stuften Persönlichkeiten teils auf der nach Lage, Bau und Ausstattung Gründen der Selbstbestätigung, frei- Stelle erschossen, teils in Konzentra- schweizerischer Festungswerke, nach willig zur Waffen-SS. Nach zahlrei- tionslager eingesperrt werden sollten. der Organisation schweizerischer chen Fronteinsätzen wurde er Kriegs- Die entsprechenden schwarzen Listen Truppenteile (Flugwaffe, Fliegerab- berichterstatter. Dann holte Riedweg mussten verfeinert und vervollstän- wehr, motorisierte Truppen), nach der seinen Landsmann als Pressechef in digt werden. Diese Arbeit besorgte Stärke der Armee und der aufgebote- die Germanische Leitstelle der SS, ausgerechnet ein ehemaliger prote- nen Truppen, nach ihrer Bewaffnung, später, im Oktober 1943, wurde stantischer Pfarrer namens Werner nach dem Zustande der schweizeri- Schäppi Leiter des Panoramaheims. Wirth (geb. 1886), der seiner Familie schen Strassen.» Leidenschaftlich bestritt er noch lange davongelaufen und nach Deutschland nach seinem Prozess die Anklage, er gegangen war. Der ehemalige Kom- sei nachrichtendienstlich tätig gewe- munist, der zum Nazi geworden war, sen, habe insbesondere Neuankömm- gründete im Frühsommer 1944 in Ra- Pfarrer führt Genickschusslisten linge ausgehorcht und sie zum Eintritt dolfzell das «Oberdeutsche Arbeits- in die Waffen-SS gedrängt. Das Ge- büro». Er sollte eine Denkschrift über Unter den 19 Angeklagten im grossen richt hielt diese Anklagen indes für er- die politische Lösung der «Schweizer Prozess um die Germanische Leit- wiesen und verurteilte den Journali- Frage» ausarbeiten. Sie sollte zum stelle der SS vor Bundesstrafgericht sten zu sechzehn Jahren Zuchthaus, Beispiel Vorschläge über die Verwen- in Luzern (Dezember 1947) befanden von denen er neun in Regensdorf ab- dung beschlagnahmten jüdischen Be- sich ausser Riedweg und Büeler noch sass. sitzes, über die Erfassung der Schwei- viele weitere Männer mit eigenartigen Der ehemalige Zürcher Bankange- zer Jugend, über die Liquidierung von Lebensläufen und ungewöhnlichen stellte Paul Benz (geb. 1920) glaubte Parteien, Gewerkschaften und Zeiun- Schicksalen. bis zuletzt an die Möglichkeit einer Franz Riedweg, der in ein englisches gewaltsamen Unterwerfung der Kriegsgefangenenlager bei Nürnberg

58 gen, über die Behandlung der Kirchen Rechtsanwalts in der Schweiz das- und über den Umbau der Verwaltung selbe wie der Name des hingerichte- umfassen. Wirth kam freilich nicht ten Quisling in Norwegen: den Inbe- mehr dazu, sein Memorandum auszu- griff des Verrats. händigen. Was er aber wirklich ab- Der gebürtige Österreicher (geb. gab, waren eigentliche Genickschuss- 1900) kam 1924 als Lungenpatient listen! nach Davos und beschloss, hier zu Das Bundesstrafgericht stellte in sei- bleiben. Ohne Prüfung wurde ihm, nem Urteil fest, dass Wirth aus einer obwohl seine österreichischen Stu- Kartei, die ihm Benz übergeben hatte, dienausweise zweifelhaft waren, das etwa 200 Karten über Reichsfeinde in Bündner Anwaltspatent verliehen. der Schweiz an den SD in Stuttgart Nicht viel mehr Umstände machte die abgeliefert hatte. Und weiter, wört- kleine Gemeinde Schmitten, als sie lich nach dem Bericht des Bundesra- Barwirsch 1931 einbürgerte. tes vom 30. November 1948: Dieser Werdegang Barwirschs zeigt «Er erstellte Karteien über die SS- auf, warum der Kurort Davos zu einer Schweizer, die Neuschweizer, die Ju- der Hochburgen des Nationalsozialis- denfreunde. In einer anderen Kartei mus in der Schweiz geworden ist: Die vermerkte er Namen, Sitz, Vorstand vielen in deutscher Hand befindli- Vidkun Quisling! Der Name dieses norwegi- und Mitgliederzahl der grösseren schen Faschisten wurde nach dem Krieg zum chen Heilstätten zogen Patienten an schweizerischen Vereine, Verbände, Synonym für Landesverrat schlechthin. sich, die sich später nicht mehr von Gewerkschaften usw. Sie sollten bei der prachtvollen, gesunden Land- der Umgestaltung der Schweiz zur schaft trennen mochten. Auch der Da- Mitarbeit aufgerufen werden. (...) Das Publikum beschimpfte und be- voser Fremdenverkehr war seit je Anfang Februar 1945 schickte Wirth drohte die Verurteilten und bewarf sie stark nach Deutschland orientiert. seinen Bürogehilfen nach Badisch- mit Unrat und Steinen. Die Polizei Noch im Mai 1945, bei Kriegsende, Rheinfelden und zur Gestapo nach musste sie vor der Wut der Menge figurierten in der beschlagnahmten Lörrach. Er beauftragte ihn, aus der schützen. Kartei der Deutschen Kolonie in Bern Schweiz Listen über nationalsoziali- 389 NSDAP-Mitglieder mit Wohn- stische Schweizer, Deutschfeinde, Ju- sitz in Davos, bedeutend mehr als in denschweizer, Judenhelfer, Emigran- Eine Art schweizerischer ungleich grösseren Städten wie Ba- ten, Neuschweizer und über verfolgte Quisling den, Biel, Freiburg oder Winterthur. Nationalsozialisten zu beschaffen.» In Davos hatte auch der Schweizer Wenige Tage vor dem Einmarsch der «Dass die Reichsmark Schweiz durch Landesgruppenleiter der NSDAP, Franzosen in Radolfzell sorgte Wirth die Hand des Führers sich zur Heimat , gelebt, der am 4. für die Vernichtung seiner Akten. Es taste, ist unser Bekenntnis und mehr: Februar 1936 vom jugoslawischen heisst, er habe auf seine schwarzen Unser Glaube!» Medizinstudenten David Frankfurter Listen auch die Namen von Leuten erschossen worden war. gesetzt, mit denen er private Rech- Dr. Josef Franz Barwirsch in einer Denk- Barwirsch trat politisch in Davos nie nungen zu begleichen hatte. Der zur schrift an Reichskommissar Dr. Arthur besonders hervor; nur seine hochfah- Zeit des Prozesses 61 Jahre alte Mann Seyss-Inquart rende und wenig loyale Art in der Be- erhielt zehn Jahre Zuchthaus. Ried- sorgung von Rechtsgeschäften regte weg wurde in Abwesenheit zu sech- Vidkun Quisling zuweilen Kollegen und Behörden auf. zehn, Büeler zu acht Jahren verurteilt. Der Name dieses norwegischen Gene- Erst nach dem Krieg stellte sich her- Als die Verurteilten nach Schluss des ralstabsoffiziers, der schon 1933 eine aus, dass er schon dem Kreis um Prozesses aus dem Rathaus am Korn- faschistische Partei gegründet hatte Gustloff angehört und als einer der markt in der Luzerner Altstadt in die und in den letzten drei Kriegsjahren «Männer der ersten Stunde» wieder- bereitstehenden Gefangenen wagen als Ministerpräsident von Hitlers holt Geld zur Unterstützung von SA- geführt wurden, kam es zu einem Tu- Gnaden mit den Besatzern gemein- Leuten gespendet hatte. Leisten mult: same Sache machte, ist in der Weltge- konnte sich Dr. Barwirsch solches schichte der neuesten Zeit zum Syn- ohne Weiteres: Zwar ist über die Art onym für den Verräter schlechthin ge- worden.

Dr. Josef Franz Barwirsch Eine Zeitlang bedeutete der Name dieses eingebürgerten Davoser

59 seiner Geschäfte wenig bekanntge- und psychologisch wirksamste Art Barwirsch und bezeichnete ihn gegen- worden, doch lebte er in solidem bür- der Behandlung der deutschschwei- über Himmler und Heydrich 1940 als gerlichem Wohlstand. In seinem Cha- zerischen Bevölkerung legte. «zurückhaltenden, offenbar sehr klu- let «Rhenania» arbeiteten gleich zwei Über den in Wien als Anwalt tätigen gen Mann, der einer Politik mit Holz- Dienstmädchen. überzeugten Nationalsozialisten Dr. hammer und Schnauze abgeneigt ist Im Gegensatz zu seinen 17 erschosse- Ernst Hoffmann kam Barwirsch 1939 und im Stadium der Zwischenlösun- nen Gesinnungsfreunden hielt sich mit dem später in Nürnberg gehäng- gen eine Hilfsrolle spielen kann». der hagere Anwalt nicht damit auf, ten Reichskommissar Dr. Arthur Bunkerstellungen und Talsperren aus- Seyss-Inquart in Verbindung, der zu In drei Schritten heim ins Reich zukundschaften; er arbeitete vielmehr jener Zeit Reichsstatthalter in Wien detaillierte Pläne und Denkschriften war. Seit dem Frühjahr 1940 arbeitete Nichts in Barwirschs zahlreichen Be- für den politischen Anschluss der Barwirsch auch für den ebenfalls in richten an die erwähnten Nazigrössen Schweiz an das Reich aus, wobei er Nürnberg hingerichteten SS- und Po- deutet freilich darauf hin, dass sich der besonderes Gewicht auf die klügste lizeiführer Ernst Kaltenbrunner; wei- Davoser Anwalt lediglich mit einer tere Kontaktpersonen waren SS-Ge- Hilfsrolle hätte begnügen wollen; neral Schellenberg und der allgegen- vielmehr entwickelte er in der selbst- Streng bewacht geht der Anwalt Dr. Josef Franz Barwirsch in den Churer Gerichtssaal. wärtige, für die Schweiz zuständige gewählten Rolle einer geschichtspoli- Wäre er früher erwischt worden, hätte man ihn Stuttgarter Spionagechef Dr. Klaus tischen «grauen Eminenz» einen Drei- wahrscheinlich erschossen. Hügel. Seyss-Inquart hielt viel von stufenplan für die Heimkehr der Schweiz ins Deutsche Reich – einen Plan, der später vom Bundesstrafge- richt gerade deshalb als besonders ge- fährlich beurteilt wurde, weil er zu- mindest in Äusserlichkeiten sorgfältig das bedächtige politische Tempera- ment des Schweizervolkes berück- sichtigte und – im Gegensatz etwa zu den flammenden Tiraden Burris – ver- traute Züge helvetischer Realpolitik aufwies. - Barwirsch ging davon aus, dass die deutsche Schweiz eigentlich nur durch eine geschichtliche Fehlentwicklung vom Deutschen Reich entfremdet worden war. Der erste der drei Schritte sollte folglich darin bestehen, «den Alemannen von Basel bis zum Gott- hard» ihre «deutsche Aufgabe» durch sorgfältig dosierte Propaganda be- wusstzumachen. Der Anschluss sollte den Schweizern nicht als erzwungene Lösung, sondern als Erfüllung eines eigentlich von jeher bestehenden, aber verschütteten Wunsches erscheinen. Barwirsch empfahl den Nazis, bei der Wahl der Propagandamethoden von der üblichen unbekümmerten Laut- stärke abzurücken und – so wörtlich – «dem deutschen Schweizer in jedem einzelnen Buchstaben und in jeder

60 Äusserung mit Achtung, Liebe und Verstehen» zu begegnen. - In einer zweiten Phase (Ende 1939/ Anfang 1940) sollte die Schweiz nach Barwirsch dann durch zahlreiche Ein- zelmassnahmen «in das aussenpoliti- sche deutsche Kraftsystem einbezo- gen werden». Dazu sollte nicht nur eine schweizerische SA-Formation dienen, sondern zum Beispiel auch eine deutsch-schweizerische Han- delsbank und eine besondere Stelle für die Ausgleichs Wirtschaft zwi- schen den beiden Ländern. - Erst in einem dritten Schritt (Ende 1940 und 1941) wäre nach Bar- wirschs Stufenplan die eigentliche Machtergreifung durch einen natio- nalsozialistischen Putsch gefolgt.

Aber selbst dann hätte der mit den Verhältnissen seiner neuen Heimat Er erhielt Barwirschs Berichte: Reichskommis- haftung habe Barwirsch Beschwerden ausgezeichnet vertraute Taktiker zu- sar Dr. Arthur Seyss-Inquart (links), hier beim eingereicht, dann habe er die Verset- mindest für eine Übergangszeit den Besuch einer «Reichsschule». Seyss-Inquart zung in ein Gebirgssanatorium ver- Kantonen ihre Funktion noch belas- wurde in Nürnberg gehängt. langt, obwohl sein Gesundheitszu- sen wollen: Der «Gau Schweiz» hätte stand dies nicht erfordert habe. Bald nach seinen Vorstellungen eine halb- mal in dem ihm eigenen schwülstigen habe er begonnen, den ‚Geisteskran- souveräne Stellung unter einheitli- Stil so formuliert hatte: ken zu spielen‘, und zwar derart, dass cher, Hitler direkt unterstellter Füh- «Wie Streue im Drusch soll die ge- im Januar 1946 die Anordnung einer rung erhalten sollen. Säuberung der ringe Hülle dieser unserer staatlichen psychiatrischen Begutachtung erfor- Parlamente, ihre Ablösung durch das Gegenwart davonstieben vor dem derlich gewesen sei. Zeitweise habe Führerprinzip und Umbau des stählernen Handgriff in die Radspei- er ununterbrochen gehustet, aber nur Rechtssystems wären die wichtigsten che des europäischen Schicksals und so lange, bis ihm ein Aktenstück ver- Schritte gewesen. Ein neues zentrales für den Einbau der deutschen Schweiz lesen worden sei, das ihn besonders Berufungsgericht mit Sitz in Luzern in das Sinngewebe des Reiches.» interessiert habe. Schliesslich habe hätte sämtliche Strafurteile nach Barwirsch das ‚Schreiben verlernt’; er «staatspolitischen Gesichtspunkten» Barwirsch leugnet alles habe nach Stil und Orthographie ‚wie überprüfen sollen. Im Zivilrecht wä- ein Erstklässler’, aber zur gleichen ren sogleich und vorbehaltlos die na- Im Bundesstrafprozess, der kurz vor Zeit – unbewacht – ganz normal ge- zistischen Rassengesetze eingeführt Weihnachten 1946 in Chur durchge- schrieben. Der Bezirksanwalt bestä- worden. Die Kantone wären von Kan- führt wurde, bestritt Dr. Barwirsch tigte, dass er Barwirsch einmal in ei- tonsführern geleitet worden, die von hartnäckig, der Verfasser dieser Be- nem Verhör erklärt habe, er gehöre an Amtes wegen gleichzeitig die natio- richte zu sein, obwohl sie teilweise die Wand gestellt – ‚das habe ich auf- nalsozialistische Kantonalpartei ge- seine Unterschrift trugen. Er setzte richtig gemeint‘.» führt hätten – Verbindung von Staat damit die Taktik fort, die er schon in und Einheitspartei als Muster totalitä- der Untersuchung angewandt hatte. rer Herrschaft! Barwirsch empfahl Im Prozessbericht der «Neuen Zür- Ferienhungrige Amis liefern die schliesslich eine politische Säuberung cher Zeitung» heisst es: «Bezirksan- Beweise der Bundesverwaltung und die «Si- walt Dr. Gloor schilderte das Verhal- Wäre nicht einer dieser unglaublichen cherstellung» des Bundesrates, was ten Barwirschs in der Untersuchung, Zufälle eingetreten, die bisweilen das immer dies heissen mochte. Alles das er als das Widerlichste bezeich- Leben von Menschen völlig verän- nach dem Motto, das Barwirsch ein- nete, das ihm in seiner dreissigjähri- gen Tätigkeit als Untersuchungsrich- dern, wären die Umsturzpläne des Dr. ter begegnet sei. Sofort nach der Ver- Josef Franz Barwirsch möglicher- weise nie ans Tageslicht gekommen,

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und der Anwalt hätte die Nachkriegs- schlagnahmt hatten. Sofort hatte er men. In der Nähe von Salzburg sties- zeit nebst Hochkonjunktur unbehel- sich anerboten, in die Schweiz zu sen die Schweizer Bundespolizisten in ligt im bekömmlichen Davoser Hö- fahren. Sein Chef hatte nichts dage- einem Militärlager ebenfalls auf den henklima geniessen können. gen gehabt – die Bundespolizei, Rechtsanwalt Dr. Ernst Hoffmann, Schweizer Grenzposten Thayngen von den Schaffhauser Grenzern ei- über den viele Barwirsch-Berichte an SH: Es war der frühe Morgen des 14. lig verständigt, selbstverständlich Seyss-Inquart gelaufen waren. Hoff- November 1945. Am Schlagbaum auch nicht; denn in den Akten be- mann, der im Gegensatz zu Barwirsch stoppte ein amerikanisches Militär- fanden sich die Berichte des Dr. Jo- zur Besinnung gekommen und darauf auto, in dem zwei uniformierte Feld- sef Franz Barwirsch. An der Echt- bedacht war, seine Haut zu retten, polizisten sassen. «Wir möchten in heit des Materials hegte die Bun- sagte ausführlich gegen seinen frühe- die Schweiz, wir haben wichtige Ak- despolizei keinen Zweifel. Sechs ren Freund aus. ten bei uns», sagte der eine in fliessen- Tage später wurde der Anwalt ver- Das Bundesstrafgericht verurteilte Dr. dem Deutsch. haftet, als er im Zürcher Haupt- Barwirsch am 20. Dezember 1946 zur Nicht so sehr die Entlarvung eines bahnhof dem Churer Schnellzug Höchststrafe von zwanzig Jahren niederträchtigen Verräters trieb ihn, entstieg. Zuchthaus. sondern die Aussicht auf ein paar an- Natürlich schickte die Bundespolizei genehme Urlaubstage in der wohlver- sofort ein paar Inspektoren nach sorgten Schweiz und bei seinen Ver- Deutschland und Österreich, um wei- Dr. Max Leo Keller – der wandten in Zürich. Der Feldpolizist teres Material sicherzustellen. Die Mann im Hintergrund war dabeigewesen, als die Amerika- Engländer und die Amerikaner schei- ner kurz zuvor auf Schloss Hof bei nen sie dabei grosszügig unterstützt Der 1897 geborene Ingenieur und Salzburg das geheime Privatarchiv zu haben. Bei diesen Nachforschun- Energieexperte Dr. Max Leo Keller von Seyss-Inquart entdeckt und be- gen wurde auch die Spur des vorüber- war der letzte grosse Landesverräter, gehend verschollenen Landesverrä- der in der Schweiz verurteilt wurde. ters Franz Burri wiederaufgenom- Mit dem Mittagsglockenschlag des 3. Juli 1948 verlas Bundesstrafgerichts- präsident Ernst das Urteil: zwölf Jahre Barwirsch will 1,69 Millio- Flucht hätten die Schweizer Behörden Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust nen Entschädigung! seine Wiedereinbürgerung in Österreich als Zusatzstrafe zu einem früheren Ur- hintertrieben. teil eines Militärgerichts. Der Urenkel Etwas mehr als sieben Jahre verbrachte In der Tat erkundigte sich der österreichi- Dr. Josef Franz Barwirsch im Strafvoll- sche Botschafter in Bern 1960 vorsichtig, des aargauischen Staatsmannes und zug. Dann erkrankte der damals 54jäh- wie eine Wiedereinbürgerung des verur- Kulturkämpfers Augustin Keller rige Ex-Anwalt aus Davos an akuter Tu- teilten Verräters durch Österreich von der (1805-1883) war der grosse stille berkulose und wurde ins Sanatorium Schweiz aufgenommen würde. Das Eidge- Mann im Hintergrund der von Macht- Walenstadtberg verlegt. nössische Politische Departement wies Am 9. April 1954 sollte Dr. Barwirsch darauf hin, dass Barwirsch, wäre er noch kämpfen, Intrigen, von immer wieder- zum Zahnarzt. Unverständlicherweise zur Zeit des Aktivdienstes entlarvt worden, kehrenden Neugründungen und von liessen ihn seine Betreuer unbegleitet wahrscheinlich mit der Todesstrafe hätte Abspaltung bewegten schweizeri- gehen. Barwirsch nützte die Gelegen- rechnen müssen. Seine Rückbürgerung schen Frontistenszene. 1944 wurde er heit und floh nach Österreich. könnte in der Schweiz zu ungehaltenen Von dort aus bombardierte er Behörden, Pressereaktionen führen und die freund- schliesslich von den massgebenden Gerichte und alle erdenklichen Persön- schaftlichen Beziehungen zu Österreich deutschen Stellen als Schiedsrichter lichkeiten des öffentlichen Lebens in der belasten. Auf eine zweite Rückfrage und Liquidator der rivalisierenden Schweiz mit Briefen, Bittschriften und (1965) hiess es, die eidgenössischen Be- Schweizerbünde eingesetzt. schliesslich mit Strafanzeigen. Als nie- hörden würden die Rückbürgerung zwar mand darauf reagierte, verklagte er die nicht als unfreundlichen Akt auffassen, Schweizerische Eidgenossenschaft auf doch wären Reaktionen in der Öffentlich- Hess als Protektor Schadenersatz in der Höhe von 1,687 keit denkbar; Barwirsch hätte überdies Millionen Franken. Zur Begründung auch als Österreicher mit der sofortigen Sein Protektor in der Reichsführung machte er geltend, die von den Amerika- Verhaftung zu rechnen, wenn er Schwei- nern der Schweiz übergebenen Schuld- zer Boden betreten sollte. war Rudolf Hess, der Stellvertreter beweise seien völkerrechtswidrig be- Österreich verstand den Wink und liess die Hitlers. Nachdem Keller im Juni 1940 schafft worden; in der Haft sei die Aus- Sache auf sich beruhen. Im Juni 1975 wies die «Nationale Bewegung der heilung seiner Tuberkulose systema- das Bundesgericht die Klage des Dr. Bar- Schweiz» (NBS) als Sammelbecken tisch verhindert worden, und nach seiner wirsch ab. der zersplitterten und zerstrittenen

62 Fronten gegründet hatte, nahm er zu- den Anhängern einer «organischen sammen mit Ernst Hofmann von der Lösung» und zu den «Verständi- «Eidgenössischen Sozialen Arbeiter- gungspolitikern». Keller hat sich an- partei» und dem nationalsozialisti- scheinend vorgestellt, die Schweiz schen Schweizer Dichter Jakob könne als unabhängiger, aber natio- Schaffner an der heftig umstrittenen nalsozialistischer Staat in einem kom- Frontistenaudienz bei Bundespräsi- menden europäischen Staatenbund dent Pilet-Golaz teil. In dieser Zeit si- Bestand haben. Gleichzeitig gab er im cherte Rudolf Hess dem Zürcher In- Prozess ausdrücklich zu, mit Hilfe genieur zu, dass Deutschland keine deutscher Amtsund Dienststellen die die Schweiz betreffende Entschei- Umwandlung der Schweiz in einen dung fällen werde, ohne Keller Gele- nationalsozialistischen Staat betrie- genheit zu geben, dazu seine Mei- ben zu haben. Einschränkend fügte er nung zu äussern. hinzu, er sei des ehrlichen Glaubens Mit so viel Autorität ausgerüstet, gewesen, dies wäre für die Schweiz nahm Keller auf Veranlassung von die einzige vernünftige Lösung gewe- Dr. Franz Riedweg an der von Dr. sen, und er habe für sein Land immer Klaus Hügel geleiteten Münchner Ei- nur das Beste gewollt. nigungskonferenz vom 10. Oktober Die strafbare Tätigkeit Kellers ereig- 1940 zwischen den verschiedenen nete sich vor allem in den Jahren zwi- Schweizerbünden teil. Die Mission schen November 1941 und Kriegs- verlief erfolglos, trug aber dazu bei, ende, als er in Deutschland als Ver- Keller definitiv die führende Stellung trauensmann für Schweizer Fragen tä- innerhalb der NBS zu sichern. tig war und damit Landesverrat Bei der Grossrazzia der Bundespoli- Dr. Max Leo Keller verstand es, sich im Hin- beging. Ausserdem erstellte er zu zei auf die Schweizer Nazis vom Juni tergrund zu halten. Gegen Ende des Krieges Händen verschiedener deutscher 1940 wurde auch Dr. Keller verhaf- wollte er die Nazibewegungen einigen und Amtsstellen ausführliche, wenn auch tet, doch reichten die Schuldbeweise «Führer» der Schweiz werden. grösstenteils falsche Berichte über die damals für eine Verurteilung nicht schweizerische Elektrizitätswirt- aus. Hängen blieb freilich ein militär- Keller zum Direktor der kantonalber- schaft, in denen behauptet wurde, die gerichtliches Verfahren, das mit einer nischen Zentralstelle für die Einfüh- Schweiz sträube sich auf Betreiben Verurteilung zu sechs Jahren Zucht- rung neuer Industrien auf. 1939 eröff- der Alliierten, der Juden und der Lo- haus endete. Als das Urteil erging, nete er in Zürich ein Büro für Wirt- gen gegen den Export ihrer über- war Dr. Keller aber bereits nach schaftsberatung. Dr. Max Leo Keller schüssigen elektrischen Energie an Deutschland geflohen und dort als galt als ausgezeichneter Kenner der das stromhungrige Deutschland. Kel- verfolgter Gesinnungsfreund mit al- schweizerischen Wasser- und Elektri- ler beriet die deutschen Stellen auch, len Ehren empfangen worden. Ein zitätswirtschaft. Seit 1933 war er akti- wie man die Schweiz – zum Beispiel reicher Schweizer Nazi hatte die ver Fröntler. durch Drosselung der Kohlelieferun- Kaution gestellt und verfallen lassen. gen – unter Druck setzen könnte, um Dr. Max Leo Keller war im Gegen- eine Änderung dieser Exportpolitik zu satz zu vielen anderen Schweizer erzwingen. Die Vorschläge wurden Der höchste Schweizer Frontenführern ein ausgezeichnet von den deutschen Experten wegen Nationalsozialist ausgebildeter und taktisch geschickt offensichtlich falscher Grundannah- operierender Mann. Nach dem Be- Durch seine Einigungsversuche, aber men nicht ernst genommen. such des Technikums in Winterthur auch sein geschicktes Taktieren mit Mit dem Urteil gegen Dr. Max Leo wurde er Elektroingenieur und er- höchsten deutschen Führungsstellen Keller war die endlose Reihe der Lan- warb sich noch den Dr. rer. pol. aus dem Hintergrund stieg Keller ge- desverräterprozesse in der Schweiz hinzu. Nach einem längeren Ameri- gen Ende des Krieges in der Gunst der beendet. Mit spürbarer Erleichterung kaaufenthalt und einer beratenden deutschen Spitzen immer höher. Nach schrieb der Gerichtsberichterstatter Tätigkeit in der Privatindustrie stieg einem weiteren Einigungsversuch im der «Neuen Zürcher Zeitung»: August 1944 war Keller praktisch der höchste Schweizer Nationalsozialist. Dabei zählte er – ähnlich wie sein Freund Riedweg und im Gegensatz zu seinem scharfen Rivalen Burri – zu

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«Als von den Kirchen Luzerns die Volkes, das treu und opferbereit zur schweizerischen Unabhängigkeit die Mittagsglocken läuteten, schloss unbedingten Freiheit und Unabhän- Macht erringen wollte. Die Urteile Bundesrichter Ernst die Sitzung. (...) gigkeit der Heimat als eines demo- des Bundesstrafgerichts sollen als Die Urteile des Bundesstrafgerichts kratischen Rechtsstaates stand, bildet Dokumente der Wachsamkeit im Ge- gegen die politischen Landesverräter das Grüpplein der Abtrünnigen eine dächtnis bleiben, um aus ihnen zu ler- von gestern gehören auch im Jubilä- verschwindende Minderheit, aber nen, welche Gefahren der Heimat umsjahr der Eidgenossenschaft zu eine gefährliche Minderheit, weil sie drohen, wenn ein anderes Grüpplein den wertvollen Dokumenten. Im Ver- in Erkenntnis ihrer Schwäche mit Abtrünniger auf ein Erlahmen der hältnis zur machtvollen Einheit des fremder Hilfe und unter Preisgabe der Wachsamkeit spekulieren sollte...»

«Die Zweihundert» – Friedrich (Zürich), der Mittelschullehrer kannten und berüchtigten Vorgehen Legende und Wirklichkeit Heinrich Frick, der Versicherungsdirek- der konstitutionswidrigen Wiederauf- tor Andreas von Sprecher und der Pfar- nahme gerichtlicher Verfahren durch Am 15. November 1940, als die rer Rudolf Grob. 1946 gab der Bundes- neue Gerichte, die nicht von der Ver- Schweiz wie ein Ei in der gepanzerten, rat die Namen sämtlicher Unterzeich- fassung vorgesehen waren, und der ganz Europa umklammernden Faust ner bekannt. Im Entrüstungssturm der Verfolgung der Richter, die das erste Nazideutschlands lag, richteten ein- vom jahrelangen Druck befreiten politi- Urteil gefällt hatten. Fraglos musste flussreiche schweizerische Politiker, schen Öffentlichkeit kam es zu brutalen sich die Erfüllung dieser undemokrati- Militärs, Wirtschaftsführer und Intellek- Vergeltungsmassnahmen. Verschie- schen, nur mit den Mitteln des totalitä- tuelle eine Petition an den Bundesrat, dene Unterzeichner wurden aus ihren ren Staates durchführbaren Forderun- die in acht konkreten Forderungen gip- Beamtungen verjagt, mussten politi- gen im Sinne der Einordnung in die felte. Diese Forderungen umfassten sche Ämter niederlegen. Der Glarner neue weltpolitische Konstellation aus- u.a. Ständerat Dr. Joachim Mercier erlitt ob wirken.» — Einflussnahme auf die Presse, d.h. der Anfeindungen eine Herzattacke, Aber Prof. Bonjour fügt auch mildernde Durchsetzung einer deutschfreundli- der er erlag. Ein Oberstleutnant und Umstände hinsichtlich der Motive der cheren Haltung; Entfernung betont Unterzeichner nahm sich das Leben, Unterzeichner hinzu: «Diese Akademi- deutschfeindlicher Journalisten (ge- ein Aargauer Notar ging ins Wasser, ker, Industriellen, Finanzleute, Berufs- meint waren die Chefredaktoren Bret- wurde aber gerettet. offiziere, Bauern – darunter Mitglieder scher/NZZ, Oeri/Basler Nachrichten Schon die Tatsache, dass aus den 1 73 der eidgenössischen Räte – waren be- und Schürch/Bund); Ausmerzung von Unterzeichnern in der öffentlichen Mei- stimmt keine Landesverräter, wie eine Presseorganen, die im Dienst fremder nung einfach «die Zweihundert» wur- überbordende Presse 1946 behaup- politischer Gedanken standen; straffe den, deutet zumindest auf Ungenauig- tete, sondern anständige, ehrliche Pa- behördliche Überwachung der Schwei- keiten und Vergröberungen in der Dis- trioten, die aber eine andere als die gel- zerischen Depeschenagentur; kussion von damals hin. Fest steht tende politische Auffassung vertraten, — Überprüfung aller politischen Pro- heute, dass den meisten Unterzeich- eine falsche, ja verhängnisvolle, wie zesse und Strafverfahren, «die zu Be- nern falsche Motive unterschoben wor- die Nachwelt weiss. Damals aber war anstandungen Anlass geben können»; den sind. Nachdem die Historiker Prof. die Furcht, Hitler könnte sich durch Edgar Bonjour und Gerhart Waeger die Ausfälle der Schweizer Presse zu Ge- Rehabilitation der Betroffenen, Bestra- Geschichte dieser Eingabe und ihrer walttaten provozieren lassen, weit ver- fung der Verantwortlichen; Unterzeichner in ausführlichen Studien breitet. Die Initianten der Eingabe — Entfernung jener Personen aus ver- gründlich untersucht haben, ist klar, wähnten, im Interesse der schweizeri- antwortlichen Stellen des Staates, «de- dass «die Zweihundert» keinesfalls schen Unabhängigkeit und Selbstän- ren politische Tätigkeit sich offenkundig Landesverräter gewesen sind. Zutref- digkeit der Stimmung Deutschlands für das Land als nachteilig erwiesen fen dürfte vielmehr das Urteil von Prof. gegenüber der Schweiz Rechnung tra- hat»; Bonjour: gen zu sollen, ‚während ihre Bereit- – sorgfältige Pflege der Beziehungen «Auch aus der historischen Distanz er- schaft in Wirklichkeit geeignet war, die zu allen Nachbarvölkern, Lösung der scheint die Eingabe mehr als bedenk- innere Selbständigkeit der Eidgenos- letzten Bindungen an den Völkerbund. lich. Beim Eindringen in alle Untiefen senschaft zu gefährden. Die Zielrich- In drei Schüben wurden insgesamt 173 des gefährlichen Schriftstücks erkennt tung der Eingabe ging nicht auf eine vorwiegend prominente Unterschriften man, dass hier staatsstreichartige Ein- Unabhängigkeitsverletzung, sondern unter diesen Forderungen eingereicht. griffe verlangt wurden, wie sie soeben es sollte mit den verlangten Regie- Federführend waren der Aargauer in Europa vor aller Augen stattgefun- rungsmassnahmen eine solche Ge- Staatsarchivar Hektor Ammann, der In- den und zu katastrophalen Folgen ge- fährdung – vermeintlich – gerade ver- dustrielle Caspar Jenny, der Berufsoffi- führt hatten. Ihrem ganzen Charakter mieden werden’ (so der Bundesanwalt zier Fritz Rieter, der Bankier Ernst nach waren die Forderungen von an den Vorsteher des Eidgenössischen deutschnationalem Denken geprägt. Justiz- und Polizeidepartements am (...) Das alles glich jenem sattsam be- 31. Januar 1946).»

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Verbotene Propaganda Zwei prominente Genfer Journalisten, (geb. 1896) und Paul Bonny (geb. 1908), wurden am 14. November 1947 zu je drei Jahren Zuchthaus verurteilt, weil ihre in Frank- reich ausgeführte Propagandatätigkeit zugunsten Hitlers als Angriff auf die Unabhängigkeit der Eidgenossen- schaft beurteilt wurde. Oltramare hatte als fürstlich dotierter Chefredaktor der Tageszeitung «La France au travail», die zeitweilig 250’000 Exemplare absetzte, sowie als Radiosprecher das nationalsozialisti- sche Gedankengut verbreitet und Bonny nach Paris geholt, der als Über- setzer und Journalist für mehrere Pro- pagandasender und -Zeitungen tätig war. Am publizistischen Kampf gegen Juden, Freimaurer und Angelsachsen beteiligte sich als Redaktor des «Pilori» auch René Fonjallaz (geb. 1907), Sohn des 1941 verurteilten Obersten Arthur Fonjallaz; er hatte sich aus enttäusch- tem literarischem Ehrgeiz und aus Zorn über das Urteil gegen seinen Vater in die Hitler-Propaganda einspannen las- sen. Drei Genfer Publizisten stellten sich im besetzten Frankreich in den Dienst der Hitler-Pro- paganda. 1947, beim Prozess in der Schweiz, mussten sie ihre Nacken beugen wie Georges Oltramare (oben). Verurteilt wurden auch der Sohn des Mussolini-Freundes Arthur Fon- jallaz, René Fonjallaz (links), und Paul Bonny (rechts).

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Mutige Männer Gefährliche Operationen

Erlebnisberichte aus stürmischer Zeit

hr Kopf wird rollen. Machen Sie sich nur ja keine Illusio- nen. Aber von Ihrem Verhalten vor Gericht kann es ab- I hängen, wie Sie sterben müssen. Wenn Sie sich anstän- dig aufführen vor dem Volksgerichtshof, kann ich vielleicht auf eine mildere Todesart plädieren. Vielleicht auf Erschiessen. Der amtliche Verteidiger zum Schweizer Doppelagenten Jakob Leonhard im August 1944.

Geheimtelegramm, Agentenbericht, Chiffrierschlüssel: Dokumente als Spuren gefährlicher Schweizer Geheimdienstoperationen im Zweiten Weltkrieg! 61 Nicht nur die Kinogefahr – Verhaf- Einfache Männer aus dem Volk wie Namentlich die Deutschen misstrau- tung, Gericht, Zuchthaus, Peloton – Leonhard, Baumann und Hungerbüh- ten diesen Beteuerungen des kleinen droht den Kriegführenden an der laut- ler, aber auch Beamte und Bezie- Nachbarn; sie misstrauten insbeson- losen Front; wer sich in die kompli- hungsagenten wie Mörgeli und Mey- dere General Guisan, den sie – wohl zierten Intrigen des Geheimdienstes er haben sich während des Aktivdien- nicht zu Unrecht – als betont franzo- einspinnen lässt, riskiert auch, das stes in beträchtliche persönliche Ge- sen- und alliiertenfreundlich einstuf- ganze diffizile Geflecht zu beschädi- fahr begeben, um der Schweiz zu hel- ten. gen. Was einem selber passieren fen. Die Geschichten dieser fünf kann, lässt sich meist zur Not noch Männer können hier nur stellvertre- Zwei Kisten – eine Hypothek überblicken. Weit unschärfer, aber tend für Dutzende von anderen, wahr- nicht weniger bedrohlich ist die Ge- scheinlich noch viel dramatischeren Diese Einschätzung ging auf einen fahr für die andern: für den nichtsah- Taten stehen, die nie erzählt und auf- Zwischenfall während der deutschen nenden Gewährsmann, den bewus- geschrieben worden sind, Taten, de- Frankreichoffensive im Juni 1940 zu- sten Überzeugungstäter, den wendi- ren aktenmässige Spuren am 8. Mai rück. Als das französische Oberkom- gen Nachrichtenverkäuf er. Geheim- 1945 im Feuerkessel des Freiburger mando unter dem Druck der rasch dienst leisten bedeutet auch mit frem- Gaswerks vernichtet wurden. Minde- vorstossenden deutschen Wehrmacht den Schicksalen hantieren, mit Le- stens acht Schweizer Nachrichten- an die Loire zurückweichen musste, bensläufen wie mit Leben. Der Ge- leute haben ihren Einsatz im Ausland blieben beim überstürzten Aufbruch heimdienstler nimmt, was ihn selbst mit dem Leben bezahlt. Die Heimat zwei Aktenkisten liegen. Sie kamen betrifft, ohnehin die Gefahr auf sich, hat ihnen kein Denkmal gesetzt. Ihre nicht mehr im ersten Transport nach vor seinen Auftraggebern und vor der Schicksale sind im Schweigen der Vichy mit, sondern sollten erst in der Geschichte im Zwielicht zu stehen. Geschichte versunken. Nacht zum 16. Juni mit einem zwei- Denn oft kann er seine Handlungs- ten, aus vier Zügen bestehenden Kon- weise nur nachträglich erklären, nicht voi nachgeschoben werden. Aber die- aber umfassend belegen. Brigadier SS-Führer wickelt ser Transport erlitt stundenlange Ver- Roger Masson ist durch seine Kon- Masson ein zögerungen, weil die fliehende Zivil- takte mit dem SS-General Schellen- bevölkerung mitfahren wollte. Am berg zu einem tragischen Beispiel da- Wer mit dem Teufel Suppe essen Abend des 16. Juni 1940, als der Zug für geworden, dass nirgends mehr als will, muss einen langen Löffel haben. mit den beiden Kisten im Bahnhof des im Geheimdienst vom bösen Schein In seinen Kontakten mit dem Chef der kleinen Orts La Charité-sur-Loire ste- des Verdachts immer etwas hängen- deutschen Auslandsspionage, dem henblieb, waren die deutschen Pan- bleibt. SS-Brigadeführer Walter Schellen- zerspitzen schon da. Die Akten fielen Es gilt das zynische Gesetz des Le- berg, hatte der schweizerische Nach- genau in die Hände, für die sie unter benskampfs: Erfolg schafft Rechtfer- richtenchef Roger Masson offensicht- keinen Umständen bestimmt waren. tigung. Dem grundehrlichen, aber lich den kürzeren Löffel. Auch Gene- Es waren Protokolle, Pläne und Auf- naiven Masson ist der Erfolg versagt ral Guisan liess sich auf ein Gespräch zeichnungen über geheime Kontakte geblieben, der grundehrliche, aber mit dem rätselhaften Deutschen im zwischen dem schweizerischen und raffiniert kluge Max Waibel hat ihn Range eines Brigadegenerals ein, dem französischen Generalstab für schliesslich doch noch errungen, als dem man direkten Zugang zu Hitler den Fall eines deutschen Angriffs auf er auf eigene Faust und ohne Wissen nachsagte. Ein Schaden für die die Schweizer Westgrenze im Raum seiner Vorgesetzten die deutschalli- Schweiz entstand nicht, aber das hatte Gempen/Basel; auf Befehl von Gene- ierten Waffenstillstandsverhandlun- mehr mit Glück als mit Planung zu ral Guisan hatte der schweizerische gen für die Südfront in der Schweiz tun. Verbindungsoffizier Bernard Barbey ankurbelte. Was wäre geschehen, Während des ganzen Aktivdienstes unmittelbar vor dem Kriegsausbruch wenn dieses waghalsige Geheimun- hatte die Schweiz ein grosses Pro- und in den ersten Kriegsmonaten ei- ternehmen gescheitert, wenn es vor- blem: Sie musste ihre Neutralität nen Abgesandten des französischen zeitig bekanntgeworden wäre? Auch nach allen Seiten glaubwürdig ma- Generalstabs zahlreiche Male getrof- Waibel wäre in die Wüste geschickt chen und die kriegführenden Parteien fen und mit ihm wie auch mit franzö- worden, das internationale Aufsehen davon überzeugen, dass sie sich ge- sischen Generälen viele Einzelheiten wäre von äusserster Peinlichkeit ge- gen jeden Eindringling, woher er einer französisch-schweizerischen wesen! auch kommen möge, verteidigen Waffengemeinschaft beim befürchte- würde.

68 ten Durchstoss deutscher Einheiten Nach Deutschland zurückgekehrt, be- auf Meyers Schloss Wolfsberg ob Er- durch schweizerisches Gebiet geklärt richtete der zweifellos auch als Agent matingen (16.-18. Oktober 1942), im und abgesprochen. Auch wenn es eingesetzte Eggen seinem Chef, dem «Bären» zu Biglen und – bei der glei- nicht zu einer juristisch verbindlichen SS-Brigadegeneral und Leiter der chen Gelegenheit – an einem Skiren- Vereinbarung gekommen war, be- Auslandsspionage Walter Schellen- nen in Arosa (3.-10. März 1943) so- deuteten die Dokumente eine schwe- berg, von seinem neuen Bekannten, wie im Oktober 1943 nochmals auf re Hypothek für das deutsch-schwei- der den Wunsch geäussert hatte, die- Schloss Wolfsberg. zerische Verhältnis. sen gleichrangigen Offizier mit analo- Natürlich ging es Schellenberg bei gem Aufgabenbereich (in Himmlers diesen Treffen um seinen eigenen Stab) kennenzulernen. Masson infor- Barackenhändler legt die Leitung Vorteil. Es ist gut denkbar, dass die- mierte Guisan über seinen Kontakt; ser scharfsinnige und intelligente Ge- Die Möglichkeit, einen Teil des deut- der General stimmte einer Zusam- heimdienstmann schon damals wuss- schen Misstrauens gegen die Schweiz menkunft zu. te, dass Deutschland den Krieg verlie- auszuräumen, schien sich dem Gene- Am 8. September 1942 überschritt der ren würde und dass er sich für diesen ral Guisan bedingungslos ergebenen Schweizer Nachrichtenchef zu Fuss Fall mit Hilfe von Freunden in der Brigadier Masson zu bieten, als er die Rheinbrücke bei Laufenburg. Auf Schweiz rückversichern wollte. den deutschen Kavalleriemajor und der deutschen Seite erwartete ihn ein Fest steht ausserdem, dass er Masson späteren SS-Sturmführer Hans W. Abgesandter Eggens mit einem Auto, einen regelmässigen deutschschwei- Eggen im Dezember 1941 kennen- das Masson in ein kleines Restaurant zerischen Nachrichtenaustausch vor- lernte. Eggen leitete im Zivilberuf in der Nähe von Waldshut führte. schlug. Offenbar hoffte Schellenberg, eine Import-/Exportfirma und war Dort wartete Schellenberg. auf diesem Wege schweizerische Ge- mit den Gepflogenheiten des interna- Masson hat später darauf hingewie- heimdienstnachrichten über alliierte tionalen Handels wie auch mit Devi- sen, dass er für Schellenberg eine Invasionsvorbereitungen zu erhalten. sentransaktionen vertraut. spontane Sympathie empfunden und Masson lehnte ab. Er gab nichts preis. Den Kontakt zwischen Masson und den Eindruck gehabt habe, mit ihm Sein Fehler bestand vielmehr darin, Eggen stellte der Schriftsteller und «auf gleicher Wellenlänge», von Of- fortan zu glauben, Schellenberg sei Rechtsanwalt Dr. Paul Meyer- fizier zu Offizier, sprechen zu kön- ein verlässlicher Freund der Schweiz, Schwertenbach, Schlossherr von nen. Aber dem geradlinigen, von mi- und vor allem, diesem Irrglauben ge- Wolfsberg ob Ermatingen, her. Mey- litärischen Tugenden wie Treue, Ka- mäss zu handeln. er-Schwertenbach vertrat das meradschaft und Offenheit geprägten Schweizerische Holzsyndikat in ei- Schweizer Brigadier stand ein durch- General Guisan trifft Schellenberg nem grossen Geschäft mit Deutsch- triebener und in allen Ränken der Ge- land, nämlich der Lieferung von heimdienstintrige bewanderter Schel- Als Schellenberg Anfang März 1943 Holzbaracken für die Waffen-SS. lenberg gegenüber – ein gebildeter, nach Bern kam, brachte Masson ihn Gleichzeitig tat er als Offizier Dienst freundlicher und verbindlicher Mann, aus Anlass eines Nachtessens im in Massons Nachrichtendienst. Mit in der überhaupt nicht dem Prototyp des Gasthof Bären in Biglen mit General dem Geschäft, das sich durch illegale forschen SS-Bonzen entsprach. Guisan zusammen, der immer noch Provisionsforderungen deutscher Un- Auf dem folgenden Waldspaziergang den Schock von La Charité in den terhändler verzögerte, war auch eine und bei einem anschliessenden be- Knochen hatte. Guisan blieb bei die- Extroc SA in Lausanne, deren Ver- scheidenen Imbiss begab sich Masson ser Begegnung freundlich, aber aus- waltungsrat vom August 1941 bis auf gefährliche Pfade: Er überschritt gesprochen zurückhaltend, bis die August 1942 Oberst Henri Guisan, die Grenze zwischen Nachrichtenbe- Rede auf die Neutralität der Schweiz der Sohn des Generals, angehörte. schaffung und politischem Meinungs- kam. In einem ersten Gespräch beklagte austausch, der in Richtung eigentli- Hier ist ein Seitenblick auf die dama- sich Masson bei Eggen über die cher inoffizieller Verhandlungen lige Kriegslage notwendig. Professor masslosen Angriffe von Franz Burris führte. Masson betonte den unbeding- Bonjour fasst sie in seinem Bericht IPA gegen General Guisan und regte ten Widerstandswillen der Schweiz über die schweizerische Neutralität an, der deutsche Offizier möge sich gegen jeden Angreifer, wer er auch bündig zusammen: für eine Einstellung dieses Presse- sein möge. «Wegen des Nachlassens der russi- dienstes verwenden, der damals in In der Folge trafen sich Masson und schen Winteroffensive bekamen die der Schweiz anhaltende Empörung Schellenberg noch dreimal: auslöste.

69 Deutschen gerade damals Kräfte im hätten als kleine Nachbarn des mäch- de Schweiz. Dank der Topographie Osten frei. Sie erwogen, ob sie ihre tig aufstrebenden Deutschland ge- unseres Landes sind wir besonders in Truppen nach Italien werfen sollten, meinsame Interessen. Seit dem Ein- der Lage, unsere Alpenfront zu vertei- um den zerfallenden Faschismus zu marsch der Deutschen in Prag musste digen. Komme, was auch wolle, diese stützen und im Süden eine Abwehr- Masson befürchten, dass auch dieses Zusicherung ist unerschütterlich und front gegen die bald zu erwartende al- Dokument in falsche Hände geraten unabänderlich. Darüber kann nie ir- liierte Invasion aufzubauen. In dieser war. So hatte er, wie Guisan, allen gendein Zweifel entstehen, weder Lage konnten sie keine Schweiz dul- Grund, den Deutschen gegenüber die heute noch morgen.» den, die eventuell die Angelsachsen schweizerische Neutralität und den Obwohl es sich um einen hochpoliti- hereinliess; eine so schwere Gefähr- unbedingten schweizerischen Wider- schen Kontakt handelte, hielt ihn dung im Rücken musste unbedingt standswillen bei jeder Gelegenheit Guisan vor dem Bundesrat geheim. vermieden werden. Man wusste in der glaubhaft zu machen. Beim Zusam- EMD-Chef Karl Kobelt erfuhr von Schweiz, dass zugleich mit dem mentreffen Guisan / Schellenberg am Dritten vom Zusammentreffen. neuen deutschen Wunsche nach ita- Abend des 3. März 1943 in Biglen er- Schliesslich missbilligte der Gesamt- lienischer Zustimmung zu einem kundigte sich Schellenberg, ob die bundesrat, dass Guisan ihn nicht vor- deutschen Grosskampfeinsatz in Ita- Schweiz den Alliierten, den Feinden her gefragt hatte, anerkannte aber lien die dadurch aufgeworfene Hitler-Deutschlands, den Durch- seine guten Absichten und stimmte deutschitalienische Transportfrage, marsch gestatten würde. Guisan ent- mit seinen Erklärungen überein. Die das heisst die eventuell gewaltsame gegnete: «Die Frage, die Sie mir stel- oberste Landesbehörde bestand indes Sicherung der durch die Schweiz füh- len, ist eine Beleidigung für uns; denn darauf, dass nur sie befugt sei, auslän- renden Transitwege, zwischen den sowohl der Bundesrat wie ich haben dischen Persönlichkeiten gegenüber beiden Achsenpartnern diskutiert immer mit aller Deutlichkeit erklärt, staatspolitische Erklärungen abzuge- wurde. Ein unwiderruflicher Ent- dass wir uns gegen jedermann vertei- ben. scheid des Oberkommandos der digen werden, was übrigens der Wille Wehrmacht – so nahm man in der des gesamten Schweizervolkes ist.» Hat Schellenberg einen Angriff auf Umgebung Guisans an – hange davon Schellenberg wünschte, wie er sagte, die Schweiz verhindert? ab, ob über den Willen der Schweiz zu Händen des «Führers» eine schrift- zur Aufrechterhaltung der Transport- liche Bestätigung dieser Auskunft. Auf der von Major Waibel aufgebau- wege kein Zweifel bestehe. Für die Guisan verwies auf ein Interview, das ten und über einen Basler Kaufmann Deutschen war es von höchster Wich- er ein paar Tage zuvor einer schwedi- laufenden Wiking-Linie kam am 18. tigkeit, sich zu vergewissern, dass schen Zeitung gegeben hatte. Der März 1943 eine Alarmmeldung in die Guisan, dem sie seit dem Aktenfund Text musste noch ins Deutsche über- Schweiz: Im Führerhauptquartier sei von La Charité-sur-Loire immer noch setzt werden, und General Guisan si- die Schweiz ins Gespräch und somit stark misstrauten, die schweizerische cherte Schellenberg zu, er werde ihm in Gefahr gekommen; in einer oder Neutralität auch gegen die Alliierten das Schriftstück am 6. März in Arosa zwei Wochen solle berichtet werden verteidigen würde.» aushändigen, wo er zum Schweizeri- können, ob konkrete Pläne gefasst Masson wusste zudem, dass die schen Skirennen, einer grossen halb- worden seien. Die Wiking-Linie ge- Schweiz noch eine andere, wenn auch militärischen Wintersportveranstal- noss zu Recht hohes Vertrauen: Sie lässliche Neutralitätssünde begangen tung, eingeladen war. Dort unter- hatte schon im Frühjahr 1940 den hatte: 1936 hatte der damalige zeichnete er den deutschen Text sei- deutschen Angriff auf Dänemark und schweizerische Generalstabschef ner an die schwedische Zeitung abge- Norwegen sowie den Beginn des Labhart die Tschechoslowakei be- gebenen Erklärung und händigte das deutschen Westfeldzugs zuverlässig sucht und im Anschluss daran Mas- Papier Schellenberg aus. angezeigt. Es ist heute bekannt, dass son befohlen, den Tschechen einen In diesem hiess es u.a.: «Wer auch die Meldungen dieser Nachrichtenli- schweizerischen Geheimdienstbe- immer in unser Land eindringt, wird nie zum Teil direkt aus dem Führer- richt über die Organisation, die In- automatisch unser Feind. Dieser aber hauptquartier stammten. struktion und die taktischen Verfah- wird eine in höchster Potenz geei- Am nächsten Tag wurde die Warnung ren der deutschen Wehrmacht nach nigte Armee und ein von einem Wil- von einer zweiten, von der Wiking- Prag zu schicken, weil Labhart der len durchdrungenes Volk finden. In Linie unabhängigen Quelle bestätigt. Auffassung gewesen war, die diesem Moment gibt es nur noch eine Diese Meldung sprach von heftigen Schweiz und die Tschechoslowakei von einem Willen beseelte kämpfen-

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Ein Beweis für die Gefährdung der Schweiz: Im sammenhang als Kommandant w ge- In der Tat hatte Schellenberg, gestützt Herbst 1945 berichtete Bundesrat Karl Kobelt nannte Gebirgsspezialist General Dietl auf seine ersten beiden Unterredun- vor dem Nationalrat über deutsche Überfall- pläne und zeigte eine von den Deutschen er- nicht in Deutschland, sondern in Lapp- gen mit Masson, Hitler auf die Bereit- stellte Schweizer Eisenbahnkarte. land war, wo er die Abwehr des erwar- schaft der Schweiz hingewiesen, ihre teten russischen Grossangriffs vorbe- Neutralität gegen jeden Angreifer mit Meinungsverschiedenheiten über den reitete. Brigadier Masson freilich Waffengewalt zu verteidigen. Doch Angriff auf die Schweiz in der Umge- glaubte noch nach dem Krieg, die Ab- das war schon am 6. Januar 1943, bung Hitlers und enthielt die War- sage dieses angeblichen deutschen zweieinhalb Monate vor dem März- nung, allen allfälligen Verhandlungen Angriffsplans sei von Schellenberg alarm, gewesen. Der Militärhistoriker zu misstrauen, da der Überfall erfah- bewirkt worden, der in der General- Hans Rudolf Kurz, der als einziger rungsgemäss mitten in solchen Ver- stabssitzung vom 19. März Hitler habe Einblick in die Originaldokumente handlungen erfolgen könne. Gleich- umstimmen können und sogar sein Eh- hatte, betrachtet es als sehr unwahr- zeitig stellte der Schweizer Nachrich- renwort für die Neutralität und die scheinlich, dass Schellenberg in der tendienst auffällige Truppenkonzen- Verteidigungsbereitschaft der von ihm nach Kriegsende behaupte- trationen in Bayern fest. Am 27. März Schweiz verpfändet habe. Diese Ent- ten Art zum «Retter der Schweiz» ge- kam wieder auf der Wiking-Linie die hüllung, die Masson im September worden ist. Vielmehr steht nach sei- Entwarnung: Die deutschen Reserven 1945 in einem Interview dem Korres- ner Auffassung fest, dass Schellen- seien doch nicht gross genug, der An- pondenten des «Daily Telegraph» ge- berg die Schweiz zur kritischen Zeit griff sei abgeblasen. währte, erregte in der Schweiz grös- nicht gewarnt hat, wiewohl man heute Fest steht, dass die zweite Quelle mit stes Aufsehen. Der Bundesrat massre- weiss, dass der Märzalarm auch nicht dem der Schweiz angeblich so wohl- gelte Masson mit einem Verweis – bloss eine vom Führerhauptquartier gesinnten SS-Führer Schellenberg nicht seiner Kontakte mit Schellen- erfundene Kriegslist gewesen ist, um nichts zu tun hatte. Fest steht auch, berg, sondern dieser Indiskretion we- die Reaktion der Schweiz zu testen. dass die deutsche Wehrmacht damals gen, die zu einer erregten Debatte im Kurz vermutet, dass dem Märzalarm nicht über ausreichende Reserven Nationalrat geführt hatte, wo der sonst 1943 die deutsche Absicht zugrunde verfügt hätte, um die Schweiz anzu- ausgesprochen pressefeindliche Mas- lag, die ins Stocken geratenen greifen, und dass der in diesem Zu- son auf das Heftigste angegriffen und deutsch-schweizerischen Verhand- der Naivität bezichtigt worden war. lungen um neue Handelsverträge

71 durch zusätzlichen Druck auf die nung zu einer unerträglichen Kom- Gefälligkeiten (Zurückbindung Bur- Schweiz wieder in Fahrt zu bringen. promittierung der Schweiz geführt. ris, Freilassung der Familie Giraud Immerhin hat Schellenberg der Ausserdem wussten diese Offiziere, usw.) seinen vermeintlich guten Wil- Schweiz auch wirkliche Dienste ge- wie arglos, bis zur Vertrauensselig- len bekundet hatte. leistet. Obwohl auch hier der Ablauf keit, Masson sein konnte und wie raf- Der Gründer und Betreuer der Wi- nicht klar ist, darf angenommen wer- finiert Schellenberg zu Werke ging. king-Linie, Max Waibel, schildert den, dass seine Intervention zur Be- Immerhin führten dessen Unterge- Massons gefährlichen Fehler in einem freiung des überführten Schweizer bene einen gnadenlosen Spionage- bisher unveröffentlichten Bericht vom Spions Mörgeli beigetragen hat. Bur- krieg gegen die Schweiz, während die 15. September 1947: ris Hasskampagne gegen General Chefs freundlich miteinander plau- «Oberstbrigadier Masson hatte leider Guisan schwächte sich nach den Mas- derten. tatsächlich Hptm. Paul Meyer damit son/ Schellenberg-Kontakten ab. Der Scharf kritisiert wurde, dass die bei- beauftragt, beim SS-Brigadegeneral geplante Handstreich auf den Militär- den Nachrichtenoffiziere Meyer- Schellenberg abzuklären, was an der flugplatz Dübendorf zur Zerstörung Schertenbach und Paul Holzach, ein Wiking-Meldung richtig gewesen einer dort zur Landung gezwungenen Zürcher Kaufmann, nicht nur mit war. Hptm. Paul Meyer hatte in Aus- Me-110 mit modernstem Nachtjagd- dem undurchsichtigen Agenten und führung dieses Auftrages nicht nur gerät unterblieb; nach längeren Ver- Dunkelmann Eggen in Verbindung nach Berlin telefoniert, sondern war handlungen wurde die Maschine in standen, sondern gleichzeitig auch dorthin gereist und hat mit Schellen- Dübendorf durch deutsche und mit ihm Geschäfte machten. Haus- berg und dessen Verbindungsmann, schweizerische Experten gesprengt. amann wusste von Allan Dulles, dass SS-Sturmführer Eggen, konferiert. Masson blieb bis ans Ende seines Le- die Amerikaner über die schweize- Ich hörte von dieser Angelegenheit bens dabei, dass Schellenberg ausser- risch-deutschen Kontakte ziemlich erst ca. Ende März/Anfang April dem dazu beigetragen habe, englische genau im Bilde waren und dass 1943, nachdem Hptm. Meyer aus Ber- und amerikanische Offiziere, die Fa- Schellenberg drei schweizerische Ge- lin zurückgekommen war und mir milie seines ehemaligen Kriegsakade- währsleute unter den Decknamen sagte, er gratuliere mir zu meinem gu- mie-Lehrers General Giraud und an- Senner I, Senner II, und Senner III ten Nachrichtendienst, denn die Wi- dere in deutscher Hand befindliche führte. Unter diesen Namen wurden king-Meldungen seien richtig gewe- Kriegsgefangene zu befreien – immer Nachrichten klassiert und weiterge- sen. Er, Meyer, hätte dies in Berlin auf Fürbitten Massons hin. Eine ent- leitet, deren Quellen Masson, Holz- selbst abgeklärt. Zuerst traute ich mei- sprechende schriftliche Erklärung ach und Meyer waren – so wenigstens nen Ohren nicht, dann hielt ich die Massons vom 10. Mai 1948 trägt den nach Darstellung Schellenbergs in Aussage Meyers über seine Berliner handschriftlichen Zusatz: «Ich bestä- seiner Einvernahme beim Nürnberger Mission für einen schlechten Scherz, tige die vorliegende Erklärung und Kriegsverbrechertribunal. Nach dem und als ich endlich einsehen musste, insbesondere die Dienste, die uns W. Krieg wurden entsprechende Unter- was geschehen war, richtete ich eine Schellenberg erwiesen hat.» suchungen durchgeführt, die aber erste Mahnung und Beschwerde in Unterschrift: General Guisan! keine Anhaltspunkte für verbotenen schriftlicher Form an den Chef des Nachrichtendienst durch Masson, Nachrichtendienstes. Meyer oder Holzach zu Lasten der In dieser Beschwerde wies ich von Meinungskonflikt im Schweiz zutage förderten. Neuem auf die verhängnisvollen Fol- Nachrichtendienst gen der Verbindung Schellenberg/ Massons Kontakte mit Schellenberg Masson gefährdet die Masson hin und betonte, dass es nun waren im Kader des Nachrichtendien- Wiking-Linie keines weiteren Beweises mehr dafür stes heftig umstritten. Hausamann, bedürfe, dass Schellenberg der Waibel, Ernst, Mayr von Baldegg und Das deutlichste Indiz für Massons Schweiz – und damit auch Masson – andere erfahrene Nachrichtenoffi- Naivität und Vertrauensseligkeit war gegenüber nicht aufrichtig sei. Denn ziere warnten ihren Chef vergeblich die Art, wie er die erste Märzalarm- Schellenberg hatte uns keinerlei War- vor Schellenberg. Sie kritisierten, warnung nachprüfte, die auf der Wi- nung zukommen lassen und erst nach- dass Masson persönlich diese Kon- king-Linie in die Schweiz gekommen träglich – auf Meyers Anfrage hin – takte pflegte, denn wenn sie aufgeflo- war. Massons Vorgehen beweist, wie behauptet, dass dank seiner Interven- gen wären, hätte dies nach ihrer Mei- sehr er Schellenberg vertraute, nach- tion bei Himmler die Besetzung der dem ihm dieser mit untergeordneten

72 Schweiz unterblieben sei. Das konnte Dr. Mörgeli beschattet das natürlich jeder sagen. Panoramaheim Aber es war noch viel schlimmer: Schellenberg hat auf Grund der von Das Panoramaheim in Stuttgart war Hptm. Meyer übermittelten Informa- nicht nur die Zentrale der gegen die tionen der Schweiz schaden wollen. Schweiz gerichteten Spionage, son- (...) Kurz nach der Mission Meyers dern auch das Auffanglager für die wurde eine der Schlüsselpersonen der Schweizer, die sich freiwillig zur Linie Wiking in eine Untersuchung Waffen-SS gemeldet hatten. Es ist wegen Landesverrats gezogen und klar, dass der Schweizer Nachrichten- fünf Wochen lang verhört. Ich habe in dienst das Geschehen in dieser ge- meiner bereits zitierten Beschwerde heimnisvollen Villa besonders auf- an den Chef des Nachrichtendienstes merksam beobachten wollte. Zu die- klargestellt, dass die Rückfrage Mey- sem Zweck wurde zu Beginn des Jah- ers in Berlin letzten Endes doch res 1940 Dr. Ernst Mörgeli (geb. ‚Himmler gehorsamst gemeldet‘ hät- 1914), damals Leutnant der Schwei- te, dass der Schweizer Nachrichten- zer Armee, nach Stuttgart geschickt. dienst ins OKW reiche und dass die Er wurde offiziell als Mitarbeiter des Folgen für die Linie Wiking nicht dortigen Schweizer Konsuls akkredi- ausbleiben würden. tiert, nahm aber in Wirklichkeit nach- Die einzige Chance, dass die Linie richtendienstliche Aufgaben wahr. Wiking dem Zugriffe Himmlers- Der nachmalige prominente Journa- Schellenbergs entging, lag noch im list, Fernsehkommentator und Umstande, dass die Wiking-Linie ei- Pressechef des Eidgenössischen Mili- nes der am strengsten gehüteten Ge- tärdepartements wurde am 17. März heimnisse war und dass ausser mir 1942 in Leipzig von der Gestapo ver- nur noch zwei weitere Personen in der haftet, neun Monate lang gefangenge- Schweiz die Namen unserer braven halten, vermutlich gefoltert und und beherzten Wiking-Leute kannten. schliesslich gegen unbekannt geblie- Die Kenntnis dessen, was wir über bene deutsche Agenten ausgetauscht. Deutschland wussten, war für die Dr. Mörgeli wurde freilich entgegen deutsche Spionage ebenfalls ausseror- seinen eigenen Erklärungen nicht dentlich wichtig, und die Preisgabe zum Tode verurteilt, sondern viel- solcher Kenntnisse an einen SS-Füh- mehr im Konzentrationslager von rer – und ausgerechnet an den Leiter Welzheim an der Lein ohne Urteil

des Amtes VI des Reichssicherheits- festgehalten. Nach seiner Freilassung hauptamtes – bezeichnete ich als fahr- am Vorweihnachtstag 1942 benötigte lässigen Landesverrat. Dr. Ernst Mörgeli kurz nach seinem Spionage- er vier Monate, um sich von der qual- Abenteuer (oben) sowie als Fernsehjournalist Ebenso wie ich und meine Kamera- und EMD-Pressechef (unten). vollen Haft zu erholen. den in der Schweiz waren unsere Ver- Immerhin geht aus den Akten, die in trauensleute in Berlin konsterniert Es war eine der tragischsten Erfah- Deutschland zu diesem Fall zu finden über diese neue Auswirkung der Ver- rungen des Nachrichtendienstes im sind, hervor, dass Mörgeli nach deut- bindung Masson/ Schellenberg und Aktivdienste, dass eine grosse Lei- scher Auffassung «so schwer belastet hatten schwere Bedenken, weiterhin stung, wie sie die Wiking-Linie un- (war), dass bei seiner Verurteilung unserem Lande zu nützen, weil sie be- entgeltlich und freiwillig vollbrachte, durch ein deutsches Gericht mit ei- fürchteten, dass durch die Linie von schweizerischer Seite durch die nem Todesurteil gerechnet werden Schellenberg die Wiking-Nachrichten Mission Meyer aus Unüberlegtheit an kann». Dass ein Urteil im Gegensatz nach Berlin zurückgeleitet und einmal den Rand des Abgrundes gebracht zu Mörgelis späteren Behauptungen doch zur Katastrophe führen würden. wurde.» nie ergangen ist, bedeutet nicht allzu- Noch aufgebrachter war der nachma- viel; Tausende sind in den damaligen lige Oberstkorpskommandant Alfred Zeiten in Deutschland auch ohne Ur- Ernst, Leiter des Büros Deutschland: Er liess sich schliesslich vom Gene- ralstabschef versetzen und schied un- ter Protest aus dem Nachrichtendienst aus.

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nachrichtenmässig für das Konsulat zu arbeiten; er könne so seine Strafe wegen Fahnenflucht ab verdienen.» Über die Haftbedingungen, denen die beiden Schweizer in Nazideutschland ausgesetzt waren, gibt eine Aktenno- tiz des deutschen Gesandten in Bern, Otto Carl Köcher, vom 13. Mai 1942 Auskunft, nachdem Brunner gegen ei- nen in der Schweiz verhafteten deut- schen Spion namens Geiger ausge- tauscht worden war. «Minister Feldscher teilte mir gestern mit, dass Brunner, der gegen Geiger ausgetauscht worden sei, bei seiner Rückkehr in die Schweiz erklärt habe, er sei nach seiner Verhaftung in Stutt- gart in eine Gefängniszelle gesperrt worden mit vier oder fünf Personen zusammen, während eigentlich nur für zwei Personen Platz darin gewe- sen sei. Es habe von Ungeziefer ge- wimmelt; in der ersten Nacht habe er gleich an die hundert Wanzen getötet. Er habe dann Angina bekommen, dem Wärter mitgeteilt, dass er Fieber habe und krank sei, worauf er lediglich As- pirin bekommen habe. Erst als die Mit diesem Telegramm meldete das Auswärtige schweizerischen Konsulats in Stutt- Drüsen stark angeschwollen gewesen Amt in Berlin der deutschen Botschaft in Bern gart, am 17. d. M. in Leipzig wegen seien, habe man ihn in das Spital zur die Verhaftung der Schweizer Spione Dr. Ernst Verdachts des Landesverrats zum Mörgeli und Gustav Brunner. sachgemässen Behandlung gegeben.» Nachteile Deutschlands festgenom- Monatelang ging der Notenwechsel men worden. Mörgeli hat durch einen über die Heimschaffung Dr. Mörgelis teil zu Tode gebracht worden. Beauftragten, den schweizerischen zwischen Berlin und Bern hin und her. Dr. Ernst Mörgeli hat sich nie über die Deserteur Karl Tanner, in Stuttgart Im Gegensatz zu den übrigen be- näheren Umstände seiner Verhaftung und in Böblingen laufend Erkundun- kanntgewordenen Austauschgeschäf- und seiner Gefängniszeit geäussert. gen über Truppentransporte, Ausrü- ten fällt die lange Dauer des Verfah- Da auch der Bonjour-Bericht seinen stung, Bekleidung und Bewaffnung rens auf. Der Fall Mörgeli war auch Fall nur am Rande erwähnt, sind die der Fallschirmspringer, die Beschaf- eines der Haupttraktanden des ersten im Politischen Archiv des Auswärti- fenheit von Panzerwagen und deren Treffens zwischen Masson und Schel- gen Amtes in Bonn greifbaren deut- Inneneinrichtung sowie die Flug- lenberg in Waldshut. Dieses Treffen schen Akten die einzige zugängliche zeugtypen auf dem Flugplatz Böblin- fand am 8. September 1942 statt. Ver- Quelle. gen eingezogen. Mörgeli hat Tanner mutlich im Sinne eines Entgegenkom- In einer Aktennotiz, die einen Tag auch beauftragt, gegebenenfalls Foto- mens an die Schweiz verlangte Schel- nach Mörgelis Verhaftung zu Händen grafien herzustellen, und ihm einen lenberg – freilich erst am 15. Dezem- des Freiherrn von Dörnberg, des da- kleinen Fotoapparat, den er unsicht- ber 1942 –, unter dem Aktenzeichen maligen Protokollchefs im Auswärti- bar am Hosengürtel anbringen könn- VI/V. 3043/42, Geheime Reichssa- gen Amt, angefertigt worden ist, te, ausgehändigt. Weiterhin hat Mör- che, vom Unterstaatssekretär im Aus- heisst es: «Nach einer fernmündli- geli eine andere Person beauftragt, wärtigen Amt, Luther, bei der Gesta- chen Mitteilung des SD sind der Pläne aus Rüstungsgebieten zu be- schweizerische Konsulatssekretär Dr. schaffen, und dafür 200- RM bezahlt. Ernst Mörgeli und der Kanzlist Gu- Brunner hat einem anderen schweize- stav Brunner, beide Beamte des rischen Deserteur ebenfalls gegen Geldzahlungen den Auftrag gegeben,

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po «die abgesprochene Intervention ständig. In der benachbarten französi- (zur Freilassung Mörgelis) zu betrei- schen Grenzstadt Pontarlier baute er ben». In dem wie üblich mit «Heil einen kleinen Familienbetrieb auf, in Hitler» schliessenden Schreiben dem er Metallwaren, vor allem Bau- heisst es weiter: beschläge und Haushaltartikel, her- «Die Freilassung Mörgelis auf dem stellte. Baumann wurde kein reicher vorgetragenen Wege erfolgt aus nach- Auslandschweizer, aber er konnte richtendienstlichen Gründen, bei wel- seine Familie und sich anständig chen militärische Gesichtspunkte eine durchbringen. besondere Rolle spielen.» Die erste Kriegsmobilmachung zer- Über der ganzen Affäre liegt ein störte diese bescheidene und harterar- Schleier des Geheimnisses, wobei un- beitete Existenz. Werner Baumann erfindlich bleibt, warum die Haupt- musste zurück in die Schweiz und als person noch 35 Jahre später schweigt. Fliegersoldat einrücken. Seine Frau Fest steht, dass sich Dr. Mörgeli in und die beiden kleinen Kinder wollte schwerer Zeit mutig auf vorgeschobe- er nicht allein in Frankreich zurück- nem, gefährlichem Posten in den lassen. Den Betrieb musste er schlies- Dienst des Landes gestellt hat. Profes- sen. Das gesamte Inventar ging verlo- sor Bonjour merkt an, der schweizeri- ren, die Baumanns hatten in der sche Nachrichtenoffizier habe sich Deutschschweiz ganz von vorn anzu- «in selbstlosem Dienst für sein Land fangen. zu weit vorgewagt». 1941 trat Werner Baumann, inzwi- Aufgrund privater und heute nicht schen 36 Jahre alt, als Zivilangestell- mehr überprüfbarer Auskünfte kann ter in den Dienst des Eidgenössischen angenommen werden, Mörgeli sei das Militärdepartements. Nicht einmal Opfer eines Verrats geworden. Ein seine engsten Angehörigen wussten Schweizer, der damals in Stuttgart genau, um welche Art von Arbeits- lebte, erinnert sich, dass kurz vor der stelle es sich handelte, und Baumann Verhaftung Mörgelis in die Räume sprach nie darüber. Er zog mit seiner des Schweizer Konsulats eingebro- Familie in die Romandie, nach La chen worden sei. Sind dabei den Na- Côte-aux-Fées nahe Yverdon. zis kompromittierende Unterlagen in Erst nach dem Krieg gab der zurück- die Hände gefallen? haltende und zähe Aargauer seinen engsten Verwandten und Freunden seinen wirklichen Auftrag preis! Da er die Juragrenze wie seine Hosenta- sche kannte und vor dem Krieg im na- hen Ausland ausgezeichnete Bezie- Beispiel für eine A uftragsliste, wie sie ein hungen angeknüpft hatte, war der Agent in Basel von der Aussenstelle «Pfalz» ehemalige Fabrikant von Massons der NS 1 erhielt. Mit Hilfe verschwiegener Nachrichtendienst eingespannt wor- Freunde wurden die Wünsche erfüllt. den. Sein direkter Vorgesetzter, mit Werner Baumanns und Besonnenheit entging Baumann dem ihn freundschaftliche Beziehun- Flucht aus dem einem schlimmen Schicksal, als ihn gen verbanden, war Oberst Cuénod zu Beginn des Jahres 1945 eine gewesen. Später erklärte Werner Wehrmachtgefängnis Wehrmachtsstreife in Pontarlier ver- Baumann mit Nachdruck, er habe nur haftete. unter der Bedingung in die Zusam- Entlang der schweizerisch-französi- Drei Dinge zeichneten den unauffälli- menarbeit mit dem Nachrichtendienst schen Grenze arbeiteten etwa 25 gen Mann aus: Zurückhaltung, Zähig- eingewilligt, dass er nicht selber als Agentenführer als Meldeköpfe eige- keit und Zivilcourage. Als er 1925 aktiver Spion tätig werden müsse. ner kleiner Nachrichtennetze für Mas- seine kaufmännische Lehre beendet sons Schweizer Nachrichtendienst. hatte, zog Werner Baumann in den Einer von ihnen war der aus dem Kan- Jura, um in der Uhrenindustrie eine ton Aargau stammende Metallwaren- Stelle anzunehmen. Mitten in der fabrikant Werner Baumann (1905- trostlosen Depression der frühen 1971). Nur dank seiner Kaltblütigkeit dreissiger Jahre machte er sich selb-

75 Schuhe gegen Nachrichten methoden der deutschen Grenzorgane lier marodierende Truppen der Waf- in jener Gegend lassen sich aber ge- fen-SS, wahrscheinlich Freiwillige Baumann hielt die Verbindung mit wisse Schlüsse ziehen. So war be- aus der Ukraine in Bataillonsstärke, schätzungsweise vier bis sechs Agen- kannt, dass bei Passantenkontrollen gesichtet worden seien. Diese berüch- ten im benachbarten Grenzland auf- immer zuerst die Geldbeutel peinlich tigten Gesellen, denen Mord, Verge- recht. Es handelte sich, wie er immer genau durchsucht wurden. Die Ver- waltigung und Plünderung nachge- betonte, ausschliesslich um aufrechte mutung liegt nahe, dass der Schwei- sagt wurden, sollten die Absicht be- und ehrenhafte Bürger, Feinde der zer Nachrichtendienst mit Geheim- kundet haben, auf schweizerisches Nazis und Freunde der Schweiz, die tinte, die auf Leder anwendbar war, Gebiet einzudringen. Masson bat für ihre Dienste nie bezahlt wurden. arbeitete. Nach den Erklärungen Baumann, nach Pontarlier zu gehen Der Schweizer Nachrichtendienst, Baumanns betrafen die auf diesem und Genaueres in Erfahrung zu brin- der selbst in seinen besten Zeiten über Weg in die Schweiz gelangten Agen- gen. Die Bitte muss drängend, die Ge- ein Jahresbudget von nur 750’000 tenmeldungen vor allem die Stand- fahr gross gewesen sein; entgegen Franken verfügte, hätte auch kein orte grenznaher deutscher Truppen seiner ausdrücklichen und akzeptier- Geld für Agentenhonorare gehabt, mit Einzelheiten über Mannschaft ten früheren Bedingung willigte Bau- eine Not, die zur Tugend wurde; denn und Bewaffnung. mann ein. so geriet der Nachrichtendienst nicht Nicht einmal seine Frau wusste ge- in die Gefahr, geldgierigen Zuträgern nau, weshalb er sich anderntags als Kaltes Blut in der Falle aufzusitzen, die um einer Belohnung Bauer verkleidete und über die Gren- willen Nachrichten erfanden. Ein einziges Mal wagte sich Werner ze nach Frankreich ging. Es ist anzu- Entschädigt wurden die verschwiege- Baumann weiter vor – und prompt nehmen, dass es ihm dank seiner aus- nen Mitarbeiter des Schweizer Nach- wäre es um ein Haar schiefgegangen. gezeichneten Beziehungen innert we- richtendienstes lediglich mit Natura- Zu Beginn des Jahres 1945 rief ihn niger Stunden gelang, die gewünsch- lien, insbesondere mit Schuhen, Klei- ganz entgegen dem üblichen Dienst- ten Auskünfte zu beschaffen. Aber dern und Lebensmitteln. Gelegentlich weg Masson direkt an. Etwas Unge- gegen Abend hatte Werner Baumann durften sie in die Schweiz kommen, wöhnliches war geschehen: Auf einer Pech. Jemand musste ihn trotz der um sich hier zu erholen und wieder anderen Nachrichtenlinie hatte der Verkleidung auf der Strasse erkannt einmal anständig zu essen. Werner Schweizer Nachrichtendienst erfah- und denunziert haben. Eine Streife Baumann nahm solche Gäste auch bei ren, dass in der Gegend von Pontar- der Wehrmacht verhaftete ihn und sich zu Hause auf. Sonst war er, wie warf ihn ohne Verhör in ein Keller- zuverlässige Gewährsleute berichten, Dieser Brief beendete das monatelange Marty- verlies, vor dem die ganze Nacht eine in seinen Bewegungen immer ausge- rium des zum Tode verurteilten Schweizer Agenten Jakob Leonhard. Kurze Zeit später Schildwache patrouillierte. sprochen vorsichtig. Er vermied es, wurde «Leo» bei Bregenz ausgetauscht. Kein Zweifel: Die zurückweichenden seine Gewährsleute persönlich zu Deutschen hätten damals, als alles in treffen. Die Nachrichten wurden ver- mutlich in toten Briefkästen an ver- schiedenen Stellen auf dem freien Feld deponiert und dort nächtlicher- weile abgeholt; auf dem gleichen Wege erreichten die schweizerischen Wünsche und Aufträge die Agenten jenseits der Grenze. Trotz dieser Vor- sichtsmassnahmen sind, wie Bau- mann nach dem Krieg andeutete, Ein- zelne seiner Mitarbeiter enttarnt und hingerichtet worden! Über die genauen Übermittlungs- und Schmuggelmethoden hat sich Werner Baumann auch seinen engsten Ver- trauten gegenüber nie näher geäus- sert. Aus den Kontroll- und Verhör-

76 Scherben fiel, mit spionageverdächti- Wieder lauschte der Gefangene auf konnte daran nichts ändern. Wie Dut- gen Unbekannten ohne Ausweispa- die Schritte seiner Bewacher, zählte zend andere musste Baumann seine piere kurzen Prozess gemacht. Wer- sie – und rollte mit aller Kraft den riskanten Dienste für die Schweiz ner Baumann war sich darüber im kla- mächtigen Schachtdeckel gegen die schliesslich noch mit empfindlichen ren. In seinem improvisierten Keller- Tür. Ein Krachen und Splittern – sie materiellen Einbussen entgelten und gefängnis legte er an den Tag, was gab nach, Baumann rannte davon und am eigenen Leib einen alten Grund- schon seine Mitschüler immer an ihm gelangte aus dem Haus. Natürlich satz erfahren: Geheimdienstleute bewundert hatten: So still dieser Wer- schlugen die Wachen Alarm. Aber braucht man, aber man liebt sie nicht! ner Baumann war, so couragiert und Werner Baumann, der schliesslich nervenstark erwies er sich, wenn es jahrelang in dieser Stadt gewohnt hat- ernst galt. Und dieses Mal war es ern- te, kannte Pontarlier besser als seine Agent «Leo» in Deutschland ster als damals in der Schule, als es Verfolger. In einem sicheren Versteck zum Tode verurteilt! um zerbrochene Fensterscheiben wartete er bis zur Morgendämme- beim Fussballspielen und Bubenstrei- rung, dann schlich er auf einem seiner «Leo, Haus Manessestrasse 2 über- che im Klassenzimmer gegangen sein Schmugglerpfade wieder über die wachen!» mag... Grenze, in die Sicherheit der Schweiz. «Leo, Breitingerstrasse 24 (?) muss Vor dem Kellerfenster hörte Bau- Der Auftrag war erfüllt. Engländer wohnen, wie heisst er, sei- mann die Schildwache in monotonem Unverdrossen baute Baumann nach ne Umgebung, seine Tätigkeit?» Trott auf- und abgehen. Er begann die dem Krieg zum zweitenmal – diesmal «Leo, ist der Brasilianer Leroy (Name Schritte zu zählen, die sich langsam in La Côte-aux-Fées – seine Firma geändert) identisch mit Levy S., entfernten und ebenso langsam und auf. Aber als Geschäftsmann sollte er Scheuchzerstrasse 18?» «Leo, Lorenz regelmässig zurückkehrten. Er merkte noch lange an den Folgen seiner Ge- Grenacher (Name geändert), Zolli- sich den Rhythmus der Ablösungen heimdiensttätigkeit zu tragen haben. kon, wie ist seine wirtschaftliche und die Augenblicke, da die Bewa- Aus Gründen, die wir nicht kennen, Lage? Er will in Deutschland Arbeit – cher am weitesten von seinem Ge- setzten ihn die Franzosen auf die hat er vielleicht Verbindungen mit fängnis weg waren. Dann untersuchte schwarze Liste; die Einreise nach dem feindlichen ND?» er seine Zelle. In den Betonboden war Frankreich und der Export seiner Er- «Leo» hier, «Leo» dort, «Leo» über- ein Schacht eingelassen. Der schwere zeugnisse dorthin blieben ihm jahre- all! Jakob Leonhard (geb. 1897), Ver- gusseiserne Deckel liess sich abhe- lang verwehrt. Auch das Eidgenössi- treter, war der Spitzenagent der Ge- ben. Was war mit der Tür? – Es müs- sche Politische Departement, das zu stapo in Zürich. Dachte die Gestapo ste gehen! Baumanns Gunsten intervenierte, drei Jahre lang... In der Nacht vom 19. auf den 20. April 1944 wurde der Handelsrei- sende Leonhard in einem Hotel nahe Strassburg von einem SS-Kommando aus dem Bett geprügelt, am 22. Au- Das war Jakob Leonhard, als er sich auf das Das war der gleiche Mann nach zehn Monaten gust des gleichen Jahres vom Volks- gefährliche Doppelspiel mit den Deutschen unmenschlicher Haft: Die Folter hat unaus- einliess und Agent in Zürich wurde. löschliche Spuren hinterlassen! gerichtshof in Zweibrücken zum To- de verurteilt – und am 2. März 1945 gegen einen unbekannten, in der Schweiz gefangenen deutschen Spion bei Bregenz ausgetauscht. «Leo» war ein Doppelagent. Dass er das geworden war, hatte er dem Spa- nischen Bürgerkrieg zu verdanken. Und dem «schönen Emil». «Leo» erlebte in den dreissiger Jahren die Krise der Lebensmitte. Der ge- lernte Kaufmann war als Herrschaft- schauffeur eines bedeutenden Ban-

77 kiers in ganz Europa herumgekom- mit Schimpf und Schande aus der Ar- vertraut, seines Zeichens Chef des men. Seine erste Ehe war früh ge- mee – ich würde mich gar nicht wun- Zürcher Büros der militärischen Spio- schieden worden, weil seine Frau dern, wenn du jetzt noch eine Höllen- nageabwehr. Was Leonhard nicht Schulden gemacht hatte. Die Tochter wut im Leibe hättest...» wissen kann: Obwohl er rückhaltlos lebte in Deutschland. Auch die zweite Unter der Maske von Emils freund- ausgepackt hat, erwirkt Bleiker sofort Ehe war zerrüttet. Später erzählte schaftlicher Teilnahme spürt Leon- eine Postkontrolle gegen ihn. Alle «Leo». «Die Scheidung wollte ich hard deutlich den Unterton der lau- Briefe Leonhards werden fortan von nicht einreichen, denn es widerstrebte ernden Berechnung. Ob ich auf das der Abwehr heimlich mitgelesen. mir, meine Frau vor Gericht anzukla- Spiel eingehen soll? überlegt er sich. Ein Mittelsmann in Basel, Reichs- gen. So packte ich eines Tages das Auf jeden Fall ist «Leo» neugierig ge- bahnangestellter im Badischen Bahn- Nötigste in einen Koffer und setzte worden! hof natürlich, funktioniert als Verbin- mich in die Eisenbahn.» Die Fahrt Emil zeigt Leonhard seine Minox- dungsstelle und Kurier. ging über Paris und Port-Bou nach Kamera, die nicht grösser ist als ein Mit Wachtmeister Bleiker spricht Ja- Barcelona. Nicht weil er überzeugter Feuerzeug. Damit soll er, so lautet der kob Leonhard jede Einzelheit der Antifaschist gewesen wäre, sondern erste Auftrag, alle militärischen Bau- Antworten ab. Dafür öffnet der Be- um der täglichen Hölle zu entfliehen, ten fotografieren, an die er heran- amte auch geheime Dossiers der Poli- wurde Leonhard wie 800 andere kommt. Jakob Leonhard kassiert ei- tischen Polizei; denn natürlich wollen Schweizer zum Spanienkämpfer auf nen fürstlichen Vorschuss von 500 die Nazis erst einmal die Zuverlässig- der Seite der Republikaner. Er wurde Franken. Spanienfahrer Leonhard ist keit ihres neuen Mitarbeiters testen. schwer verwundet, kehrte in die zum Gestapo-Agenten «Leo» gewor- Viele Adressen, die sie ihm geben, Schweiz zurück, wurde zu sieben den. Beiläufig erwähnt der ‚schöne gehören deutschen Agenten. Die Monaten Gefängnis verurteilt, degra- Emil‘, er habe bei einer Frau B. an der Spione müssen sich gegenseitig kon- diert und aus der Armee ausgeschlos- Badenerstrasse in Zürich eine Waffe trollieren. «Leo» muss damit rechnen, sen. und Munition versteckt, für alle Fälle. dass auch auf ihn einer angesetzt ist. Das wusste auch der «schöne Emil», Wenige Wochen später reist Leon- Längst trifft er sich mit Bleiker nicht ein Freund aus alten Tagen, der nach hard bereits zum erstenmal zu seinen mehr in der Stapo-Hauptwache: Blei- Frankreich ausgewandert war und neuen Chefs nach Strassburg. Emil ker ist ein erfinderischer und vorsich- dort ein blühendes Transportunter- erwartet ihn am Bahnhof und stellt tiger Mann. Als Leonhard die Sache nehmen aufgebaut hatte. Im Septem- ihn zwei Herren vor, die sich Dr. Mar- mit dem Schwarzsender am Mythen- ber 1941 warf er einen Zettel in den tin und Dr. Baumeister nennen. Na- quai abklären soll, erhält er einen Briefkasten des eher schlecht als türlich sind die Namen falsch. Es han- Ausweis als Monteur des Telefon- recht dahinlebenden Staubsaugerrei- delt sich um zwei Führungsoffiziere, amts. Die Suche verläuft negativ. Bei senden Jakob Leonhard. Auf dem mit denen Leonhard nun drei Jahre anderen Aufträgen tritt «Leo» als In- Zettel stand: «Der ‚schöne Emil‘ aus lang kutschieren soll. spektor des Elektrizitätswerks auf. Paris ist wieder da.» Ein paar Tage Obwohl die nach Strassburg und Stuttgart gelieferten Informationen später trafen sich die beiden. Gefährliches Doppelspiel vom Büro HF sorgfältig gefiltert wer- Auf schweizerischer Seite übernimmt den und sich viel Spielmaterial (Er- «Leo» wird angeworben die gleiche Aufgabe der legendäre findungen des schweizerischen Nach- Bei einer guten Flasche Rotwein in Wachtmeister Bleiker vom Büro HF richtendienstes zur Irreführung des einem verschwiegenen Beizli am Zu- der Zürcher Stadtpolizei – HF ist die Gegners) darunter befindet, sind die gersee tauschen sie Erinnerungen aus. Abkürzung für Hüni und Frei, die Na- SS-Offiziere mit «Leo» ausserordent- Leonhard merkt schnell, dass Emil men der beiden Männer, die der lange lich zufrieden. nicht aus Heimweh in die Schweiz Arm der Bundespolizei in Zürich sind Die Vergütungen, die er jeweils im zurückgekommen ist, sondern etwas und trotz geringsten Beständen viele Kreuzgang des Basler Münsters vom ganz Bestimmtes will. In seinen Erin- grosse Erfolge in der zivilen Spiona- bewussten Reichsbahnangestellten nerungen gibt Leonhard die entschei- geabwehr erzielt haben; Jakob Leon- entgegennimmt, werden immer denden Äusserungen Emils wieder: hard hat sich nach seiner Rückkehr grosszügiger, die Aufträge immer «Dir haben sie’s ja auch dreckig ge- aus Deutschland nämlich der Schwei- zahlreicher und gewichtiger. macht, Köbi, nicht wahr? Jagen dich zer Polizei und Hauptmann Gyr an-

78 Doppelagent «Leo» fliegt erst auf, als infolge der Schlamperei eines Basler Untersuchungsrichters ein aufgrund seines Hinweises verhafteter deut- scher Agent während der Besuchszeit seiner Frau bedeuten kann, er sei von Leonhard hereingelegt worden. Blei- ker ahnt etwas: Er rät Leonhard drin- gend ab, nochmals nach Deutschland zu fahren. «Leo» geht trotzdem. Da wird er verhaftet. Er durchleidet die Hölle der deut- schen Gefängnisse. Wird halbtot ge- prügelt. Man lässt ihn hungern. Der Prozess vor dem Volksgerichtshof ist nichts als ein Theater – das Urteil steht zum vornherein fest: der Tod! Aber die Hinrichtung lässt sechs qual- volle Monate lang auf sich warten. Der Austausch, der nach dieser fürch- terlichsten Zeit im Leben des Jakob Leonhard die Erlösung brachte, war – wie Wachtmeister Bleiker später in aller Gemütlichkeit erklärte – nichts Besonderes: «Solche Dinge wurden damals unter der Hand erledigt», sagte er, «ohne grosses offizielles Aufsehen und viele Akten. Man ei- nigte sich einfach auf die Person, den Ort und den Zeitpunkt. ‚Oben’ wollte man solche Dinge gar nicht so genau wissen, weder bei uns noch bei den Deutschen. Hauptsache war ja, man hatte das Leben eines der eigenen Leute gerettet.»

Paul, Sondrio und Anna an Nummer 11

Der Basler Typograph und AZ-Re- daktor Werner Hungerbühler (geb. 1905) hatte sich im Januar 1941 ge- rade von einem Nabelbruch erholt, den er als Korporal des Landwehrin-

Zwei Dokumente für den kargen Dank des Va- terlandes, den Jakob Leonhard entgegenneh- men durfte: Die nach seinem Spanienabenteuer ausgesprochene Degradierung wurde zurück- genommen (Dienstbüchlein oben), für zehn Monate Haft in Todesangst zahlte der Bund nach langem Hin und Her 6’000 Franken.

79 Zu Hunderten lieferte Werner Hungerbühler Als aktiver Gewerkschafter und Jour- keit ein von glühendem Hass gegen solche Geheimdienstberichte ab. Sie gaben nalist hatte Hungerbühler ausgezeich- das Dritte Reich erfüllter Demokrat Auskunft über Transport- und Versorgungs- nete, über die Grenzen reichende Be- und Freimaurer. Einer seiner Bekann- probleme, über die Stimmung im Volk usw. ziehungen zu den Eisenbahnern im ten war Übersetzer im deutschen Ge- fanteriebataillons 53 erlitten hatte, da Elsass und im Badischen; das mochte neralstab in Rumänien und trug das erreichte ihn ein Aufgebot für «Büro- einer der Gründe für die merkwürdige Seine an Nachrichten bei; dienste». Im dritten Stock des Kirsch- Einberufung gewesen sein. Korporal - «Sondrio» war ein deutscher Prähi- gartenmuseums in Basel musste er Hungerbühler liess fortan seine Uni- storiker und Archäologe, der sich «zu sich an einer Tür melden, die kein form im Schrank hängen. Tagsüber Forschungszwecken» jederzeit frei Schild trug. Hinter dieser Tür arbeite- ging er zur Tarnung seinem Beruf als im Gelände bewegen durfte und dies ten zwischen zwanzig und dreissig Redaktor der Basler «Arbeiterzei- natürlich vor allem im deutsch- Mann, vorwiegend alte Bekannte des tung» nach, in der Nacht wurde er un- schweizerischen Grenzgebiet tat. Er jungen sozialdemokratischen Politi- ter dem Kennzeichen «Nr. 11» zu ei- gab auch den Hinweis auf einen alten kers. Es waren in erster Linie Ge- nem von vielen Agentenführern des Freund, der dem schweizerischen schäftsleute mit internationalen Be- schweizerischen Nachrichtendien- Nachrichtendienst zum Geheimcode ziehungen und auffallend viele stes. der deutschen Luftwaffe an der West- Rechtsanwälte. Als Chef fungierte Hungerbühler hielt die Verbindung front verhalf; der spätere Strafgerichtspräsident und zu zwei Nachrichtenlinien – ins El- - «Anna» war ein beziehungsreicher damalige Hauptmann Emil Häberli. sass und ins Badische – aufrecht. Es Geschäftsmann aus Mülhausen; Die diskrete Firma war nichts anderes gab vier Hauptagenten, die ihrerseits - der vierte im Bunde besass keinen als die Basler Aussenstelle «Pfalz» wieder Informanten hatten, von de- eigenen Decknamen und arbeitete als der NS 1. Werner Hungerbühler hat nen die Schweizer nichts wussten und Meldekopf und Anlaufstelle für Paul nie erfahren, wie diese verschwiegene nichts wissen wollten: und Sondrio und deren Helfer. Er war Truppe ausgerechnet auf ihn auf- - «Paul» war ein höherer Beamter der ein biederer sozialdemokratischer merksam geworden ist. Deutschen Reichsbahn in Lörrach/ Weil, nach aussen ein angepasster un- auffälliger Funktionär, in Wirklich-

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Diese Auftragsliste zeigt, mit welcher Genauig- fende Wiking-Linie und der NZZ- sten Morgenstunden hinein men- keit sich der Schweizer Nachrichtendienst In- Korrespondent Dr. Johann C. Meyer schenleer war. Der Nachtwächter war formationen über deutsche Truppenbewegun- eingeweiht und hatte Hungerbühler gen im Grenzraum beschaffte. alias «Sx.», in Erfahrung gebracht hat- ten. zu einem Nachschlüssel für einen Ne- Posthalter im Südschwarzwald, der Die Drehscheibe dieses diskreten beneingang verholfen. So konnte er laufend die genauen Jahrgänge der Nachrichten Verkehrs war der für ge- sich fast jede Nacht mit «Paul» treffen Einberufenen meldete. heimdienstliche Aktivitäten aller Art und dessen Berichte entgegenneh- Diese Männer erkundeten das Ge- ausgesprochen durchlässige Badische men. Ausserdem bediente er sich des schehen im Dreiländereck in allen Bahnhof, der jeweils um Mitternacht Streckentelefons, um mit seinen Hel- Einzelheiten. Besondere Aufmerk- geschlossen wurde und bis in die er- fern im Elsass in Verbindung zu tre- samkeit widmeten sie dem militäri- ten. Denn diese Leitungen wurden nie schen Eisenbahnverkehr, insbeson- Am Tag Redaktor, in der Nacht Geheimagent, abgehört. Man konnte sogar Klartext dere allem, was nach Truppen Ver- daneben Fluchthelfer und antinazistischer Agi- tator: der Journalist Werner Hungerbühler. reden. Niemand verlangte von Hun- schiebungen aussah. Aus den immer gerbühler, er solle der Versuchung stärker werdenden Transporten von widerstehen, in den nächtlicherweile der Westfront in östlicher Richtung verlassenen Bahnbüros herumlie- schlossen die Auswerter des schwei- gende Dokumente mitzunehmen. Er zerischen Nachrichtendienstes er- eilte jeweils mit diesen Papieren – staunlich früh auf den bevorstehenden Sonderfahrplänen, Dienstanweisun- Angriff gegen die Sowjetunion. Of- gen usw. – auf das Basler Polizeide- fensichtlich lieferten die Informatio- partement, fotokopierte sie dort und nen des Netzes Hungerbühler Teilbe- brachte sie ebenso heimlich zurück. stätigungen dessen, was andere, in höchsten politischen, militärischen Ergiebiger Ausflug nach Marseille und wirtschaftlichen Führungsgre- Es lag in der Natur von Hungerbüh- mien angesiedelte Nachrichtenquel- lers Zivilberuf, dass er überall in Eu- len wie die ebenfalls über Basel lau-

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Je weiter der Krieg fortschritt, je bedrängter die Lage der Deutschen Flüchtlinge, namentlich Juden, wurden an der Grenze zurückgewiesen wurde, desto schwieriger wurde die Situation an den Schweizer Grenzen. und in den sicheren Tod geschickt. Uniformen und menschliches Elend Internierte Soldaten (grosses Bild links) und Flüchtlinge (oben) begehr- standen sich oft am Schlagbaum unversöhnt gegenüber (unten). ten Einlass. Doch in der Schweiz hiess es: «Das Boot ist voll!» Viele 83 ropa Bekannte und Kollegen hatte, so auch in Marseille, das zur Osterzeit 1942 noch unbesetzt war. Der Freund war ein Journalist, der vor den Deut- schen aus Strassburg südwärts geflo- hen war und in Marseille Freund- schaft mit dem Chef der deutschen Kontrollkommission geschlossen hat- te. Hungerbühler bekam ein Zeichen, dass dieser Gewährsmann an wichtige wehrwirtschaftliche Unterlagen her- angekommen war. Aber es wäre zu auffällig gewesen, al- lein nach Marseille zu reisen. So stell- te Hungerbühler mit einem befreun- deten Zahntechniker und einem Wirt – beide nichtsahnend wie neugebo- rene Kinder – eine kleine Reisegesell- schaft zusammen, die zur österlichen Vergnügungsreise nach Südfrank- reich aufbrach. Was er, auf Seidenpa- pier getippt und in den Schuhsohlen versteckt, über die Grenze in die Schweiz zurückbrachte, bewies, dass die Deutschen – nach aussen noch auf der Höhe ihrer militärischen Erfolge – schon damals wirtschaftlich auf dem Zahnfleisch liefen; denn der geheime Text war nichts weniger als ein Proto- koll von der Tagung des Führungssta- bes Wirtschaft in Karlsruhe vom 2. Februar 1942, in dem ungezählte ge- heime Einzelheiten über die Versor- gung des Reichs mit Rüstungs- und Verbrauchsgütern aufgeführt waren. In dem Bericht stand zum Beispiel, dass nur die Hälfte des Friedensbe- darfs an Schuhen gedeckt werden könne, dass grössere Stilllegungen von Textilbetrieben bald unvermeid- lich seien, dass die natürlichen Roh- stoffreserven für die Seifenproduk- tion erschöpft seien, dass nur

In geheimen Druckereien des Schweizer Nach- richtendienstes wurden deutsche Lebensmittel- karten (oben und Mitte) gefälscht. Damit wur- den Schweizer Agenten in Deutschland unter- stützt. Ein anderes Mittel für die Nachrichten- beschaffung war Nescafé, wie der Brief unten beweist.

84 noch behelfsmässig gebaut werden durch und durch helvetische Organi- könne, dass dem deutschen Bergbau sation, die von ihren Mitarbeitern ver- 178’000 Arbeitskräfte fehlten usw. langte, vor der Einholung kostspieli- Was der Schweizer Nachrichten- ger Informationen – d.h. solcher, die dienst – zumindest offiziell – nicht nur bei einem gemeinsamen Nachtes- wissen durfte, war, dass Hungerbüh- sen mit dem Informanten im Kosten- ler und seine Helfer am laufenden betrag von 20 oder 30 Franken zu ha- Band politisch Verfolgte, Deserteure, ben waren – «vorher anzufragen, ob Juden und andere aufs Höchste ge- Informationen unter diesen Umstän- fährdete Menschen auf den bewähr- den einzuziehen sind» (undatierter ten Schleichwegen des Badischen Brief von Hptm Mayr von Baldegg an Bahnhofs in die Schweiz schmuggel- Sx.). ten und heimlich gedruckte antinazi- stische Kampfschriften nach Milizsystem macht den Deutschland verbrachten. So durch- Nachrichtendienst stark stöberte einer der Helfer beispiels- weise das Amtsblatt der Deutschen Der Nachrichtendienst des Armee- Reichsbahn nach den Adressen der kommandos nutzte aus, was unsere

Angehörigen der als gefallen gemel- Armee stark macht: das Milizsystem, Masson und Waibel, vom freiwilligen deten Eisenbahner; diese Angehöri- Der Zürcher Wirtschaftsjournalist Dr. Johann gen erhielten dann in verschlossenen Conrad Meyer war dank seiner erstklassigen, Patrioten Hausamann schon einschlä- Umschlägen Flugblätter gegen den weitreichenden Beziehungen einer der erfolg- gig unterstützt, rekrutierten systema- Hitler-Krieg und mit Aufrufen zum reichsten Agenten. tisch Dienstpflichtige, die sich in ihrer Widerstand. zivilen Tätigkeit wertvolle Auslands- Werner Hungerbühler durfte den kontakte geschaffen hatten: Industri- Dank des schweizerischen Vaterlan- elle, Wissenschafter, Rechtsanwälte, des ernten: Zwei Monate vor dem internationale Kaufleute und Journali- Meyer alias Sx. wies schon am 7. De- Waffenstillstand wurde er zum sten wie Dr. J.C. Meyer. zember 1940 auf den deutschen An- Wachtmeister befördert... Dieser Mann mit dem unauffälligsten griff gegen die Sowjetunion hin, der aller Namen war 1936 nach Berlin ge- am 22. Juni 1941 begann. Als Hitler kommen. Als Wirtschaftskorrespon- Der Mann mit dem mit diesem Wahnwitz die Welt schok- dent der international angesehenen fotografischen Gedächtnis kierte, lieferte Sx. bereits detaillierte «Neuen Zürcher Zeitung» hatte er Angaben über die Versorgungssch keine Mühe, unverdächtig mit höch- wierigkeiten der Wehrmacht und über sten Behördenstellen, Konzernherren, Wenn Dr. Johann Conrad Meyer die lawinenartig anwachsenden Pro- (geb. 1907) in Berlin für die Schweiz einflussreichen Anwälten und gutin- bleme der deutschen Kriegswirt- spionierte, schrieb er nie ein Wort formierten Diplomaten Kontakte zu schaft. auf: Der freundliche, gesellige pflegen. Meisterspion Sx. verkörpert in beson- Schweizer, der offiziell als Wirt- Mit einem der letzten Züge kehrte Dr. derem Masse den Typus des schwei- schaftskorrespondent der «Neuen Meyer im September 1939 in die mo- zerischen Nachrichtenmannes im bilisierende Schweiz zurück, um als Zürcher Zeitung» arbeitete, besass ein Zweiten Weltkrieg, nämlich das totale fotografisches Gedächtnis. Er konnte Korporal in der Stabskompanie des Gegenteil des Abenteurers und Tau- sich aufs Mal Dutzende, ja Hunderte Gebirgsschützenbataillons 109 Dienst sendsassas, der in tausend Masken un- von Zahlen, Informationen und Bil- zu leisten. erkannt zwischen den Hauptquartie- dern merken und sie noch nach Tagen Der damalige Hauptmann im Gene- ren hin- und herpendelt. fehlerfrei wiedergeben – dann näm- ralstab Max Waibel, Chef der Nach- Wie hätte der schweizerische Nach- lich, wenn er wieder in der Schweiz richtensektion (NS 1), hielt ein schar- richtendienst auch nur die Spesen ei- war. Unter der Tarnbezeichnung fes Auge auf solche Rückkehrer. Be- nes solchen Playboys berappen wol- «Sx.» war Dr. Meyer einer der besten reits nach ein paar Wochen wurde der len! Dieser Nachrichtendienst, der Gewährsleute von Geheimdienstchef Journalist, der schon lange durch selbst seine Spitzenagenten anwies, Roger Masson. seine in der ‚NZZ‘ publizierten für Bahnreisen Transportgutscheine bei der zuständigen Kantonspolizei zu beziehen und die Telefongespräche mit Gutscheinen zu bezahlen, diese

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lich durchschlagen musste. Bis zum Herbst 1945 setzte er seine Tätigkeit für den Nachrichtendienst fort – zum Gradsold eines Wachtmeisters von 58 Franken im Monat! Er war als freier Mitarbeiter der Zür- cher Aussenstelle «Uto» von NS 1 zu- geordnet. Natürlich flossen die Quel- len von Sx. weiter, denn immer lieber kamen viele deutsche Diplomaten, Journalisten, Industrielle, Anwälte und Beamte aus allen Schichten der Wehrwirtschaft, der Rüstungsindu- strie, der Wehrmacht, der Reichsre- gierung und der Partei in die friedli- che Schweiz – unter ihnen der spätere CDU-Bundesminister Lemmer, der unter dem Decknamen «Agnes» auch für die Roessler-Rado-Linie arbeitete. Männer wie Lemmer informierten Sx. bewusst. Andere taten es, ohne es Wie bescheiden der Schweizer Nachrich- dent nach Berlin zurück. Doch seiner zu merken, wenn der gesellige und tendienst haushalten musste, beweist diese ungeschminkten und nicht eben kultivierte Pressemann wie zufällig Spesenrechnung des Spitzenagenten alte Bekanntschaften auffrischte. Tag Meyer. deutschfreundlichen Zeitungsberich- te wegen wurde er schon an Ostern für Tag tippte Dr. Meyer seine Be- scharfsinnigen Lageanalysen auf- 1940 endgültig aus dem Deutschen richte, manchmal Dutzende von eng- gefallen war, zum Armeestab um- Reich ausgewiesen. Er verlor auch beschriebenen Seiten. Er war auf dem geteilt. seine Stelle bei der NZZ. Laufenden über die immer prekärer In Zürich wurde Dr. Meyer freier werdende Versorgungslage der in Journalist, der sich mit wirtschaftli- Russland blockierten Truppen. Er Sx. aus Berlin ausgewiesen! chen Beiträgen, mit Publikationen für kriegte früh Wind von den zerstöreri- schen V-Raketen in Peenemünde und Auf Waibels Wunsch kehrte Banken und Verbände eher kümmer- von den geheimen Atomplänen Hit- Meyer nochmals als Korrespon lers, die aber nie über das For- schungsstadium hinausgerieten? Krach um Dr. Meyers Zivilrichter, eilte Botschafter Wacker zum Über seine hochgestellten Berliner Erbe Nachrichtendienst der Zürcher Kantonspo- Gewährsleute erfuhr er auch Peinli- lizei, die vom damaligen Bundesanwalt Dr. ches für die Schweiz, so zum Bei- Hans Fürst kurzerhand den Befehl erhielt, spiel, dass einflussreiche Parteien- Wie viele Schweizer Nachrichtenleute die Akten «wegen dringenden Verdachts und Regierungsstellen am liebsten behielt auch Sx. alias Dr. Johann Con- der missbräuchlichen Verwendung» zu rad Meyer die Doppel seiner Berichte beschlagnahmen. den deutschfreundlichen Korps- – insgesamt Tausende von enggetipp- Die Polizeiaktion in der Wohnung des kommandanten Ulrich Wille als ten Seiten – bei sich zurück. Kurz vor Journalisten und die Kompetenzüber- Schweizer Botschafter in Berlin ge- seinem Tod 1966 übergab er dieses schreitung des Bundesanwalts erregten habt hätten. Material seinem guten Freund, dem grösstes Aufsehen; sie waren ein Beweis Es war Dr. Meyer, der – sozusagen als Zürcher Journalisten Kurt Emmen- mehr für die anhaltende Tendenz des Bun- egger, und erlaubte ihm, einige Ko- desrates und von Teilen der Verwaltung, Nebenprodukt seiner stark wirtschaft- pien dem Nachrichtenmagazin «Spie- die Erforschung der jüngeren Geschichte lich – rüstungstechnisch orientierten gel» auszuhändigen. nur den der Regierung genehmen Histori- Nachrichtentätigkeit – die Schweizer Da starb Dr. Meyer. Noch vor seiner kern und Publizisten zu gestatten. Spionageabwehr früh vor gefährli- Beerdigung forderte sein Stiefsohn, Übrigens war die Razzia bei Emmenegger chen Agenten und Landesverrätern der Diplomat Alfred Wacker, als Erbe ein Schlag ins Wasser: Der erfahrene diese Dossiers zurück. Emmenegger Journalist hatte die Akten natürlich recht- warnte. wollte wenigstens die Beerdigung ab- zeitig kopieren lassen. Die Mikrofilme wur- warten. Statt – wie bei erbrechtlichen den nie gefunden. Auseinandersetzungen üblich – zum

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Gegen Ende des Krieges kam es zu zahlreichen «Unternehmen Warte- ni waren es weitere 84. In diesen bei- Fehlbombardierungen schweizerischer Sied- gau» – So platzt den Monaten wurden insgesamt 82 lungen durch alliierte, insbesondere amerikani- Schweizer Jagdpatrouillen zu 41 sche Flugzeuge. Die verheerendste war die von Görings Sabotageplan Schaffhausen. Rätselhaft geblieben ist aber die Einsätzen kommandiert. Die Schwei- Zerstörung einer Häuserzeile an der Froh- Die wache Aufmerksamkeit des SBB- zer Patrouillen schossen etwa ein hal- burgstrasse nahe dem Milchbuck in der Stadt Zugführers Albert Stöckli vereitelte bes Dutzend Maschinen vom Typ He- Zürich. Galt der Angriff in Wirklichkeit der im Juni 1940 einen in der engsten 111 und Me-110 ab; einige weitere etwa anderthalb Kilometer entfernten Waffen- Umgebung von Reichsmarschall Her- Flugzeuge wurden zur Landung ge- fabrik Bührle? Oder stimmen die hartnäckigen Gerüchte, wonach die Amerikaner eine deut- mann Göring ausgetüftelten Sabota- zwungen oder mit schweren Beschä- sche Spionagezentrale in einem dieser Häuser geplan. Wäre dieser Plan geglückt, digungen aus dem schweizerischen vernichten wollten? Augenzeugen versichern, hätte die noch im Aufbau begriffene Luftraum gejagt. Drei Schweizer bei den Aufräumarbeiten sei unter den Trüm- Schweizer Flugwaffe einen gefährli- Flieger fanden bei diesen Luftkämp- mern eine Hakenkreuzfahne zum Vorschein ge- chen Rückschlag erlitten! fen den Tod, wobei es am 8. Juni zu kommen. Als die deutsche Wehrmacht am 10. einem besonders empörenden Zwi- Mai 1940 die Westoffensive gegen schenfall kam. Eine schweizerische Holland, Belgien und Luxemburg C-35, die sich auf einem Grenzüber- Nicht immer scheint die sonst überaus auslöste, kam es im Jura zu zahlrei- wachungsflug befand, wurde von tüchtige Spab prompt reagiert zu ha- chen rücksichtslosen Verletzungen sechs deutschen Flugzeugen ange- ben: Schon 1941 hatte Sx. schriftlich des schweizerischen Luftraums durch griffen und in der Nähe von Alle ab- auf das kuriose Treiben des Davoser deutsche Bomber und Jagdflugzeuge. geschossen, ohne dass sich die Besat- Rechtsanwalts Dr. Josef Franz Bar- Die Schweizer Flugwaffe musste den zung zur Wehr setzen konnte. Die wirsch aufmerksam gemacht; er Eindringlingen mit Waffengewalt beiden jungen Fliegeroffiziere fanden wurde in Ruhe gelassen und erst nach entgegentreten. Allein im Mai 1940 den Tod. Kriegsende durch einen Zufall als ei- ereigneten sich 113 Grenzverletzun- Göring war über die Schweizer Flug- ner der übelsten Landesverräter ent- gen durch deutsche Flugzeuge, im Ju- waffe erbost und befahl einen Sabo- larvt!

87 tageangriff auf ihre Bodenstützpunk- Der Auftrag der Saboteure 50 Reichsmark gehörten ebenfalls zur te. Zehn Freiwillige, darunter zwei Ausrüstung. Die zehn Mann hatten den Befehl, in Auslandschweizer, wurden auf einem Die Details, in denen bekanntlich der der Nacht vom 16. zum 17. Juni 1940 Flugfeld in der Nähe von Berlin in ei- Teufel steckt, verrieten aber, dass der Flugzeuge und Flugplatzanlagen in nem Blitzkurs in die Kunst des Spren- Sabotageplan offensichtlich übereilt Spreitenbach, Payerne, Biel-Bözin- gens von Flugzeugen und Hangars und im Zorn entwickelt worden war: gen und Lausanne durch Sprengla- eingeführt und unter Androhung der Die Saboteure und ihre Hintermänner dungen mit Zeitzündern zu zerstören. Todesstrafe auf eisernes Stillschwei- begingen derart plumpe Fehler, dass Hätten schweizerische Bewachungs- gen vereidigt. Am 12. Juni wurde das es nur eines aufmerksamen und muti- mannschaften eingegriffen, wären Sabotagekommando von deutschen gen Bahnbeamten bedurfte, um sie diese erdolcht oder erschossen wor- Grenzwächtern auf Schleichwegen ausser Gefecht zu setzen. den. bei Lottstetten/Jestetten, Kreuzlingen Jeder der zehn Saboteure war mit ei- und Martina/ Vinadi im Unterengadin Zugführer Stöckli greift ein nem falschen Pass, einem Rucksack in die Schweiz geschmuggelt. mit Sprengladung, mit Landkarten, Fehler Nummer 1: Obwohl jedem der Kompassen, Drahtzangen, Taschen- Saboteure ein bestimmter Flugplatz Schweizer Soldat auf der Wacht an der mit Sta- lampen, Verdunkelungsmaterial und zugeteilt war, reisten vier von ihnen cheldrahtverhau gesicherten Nordgrenze bei Lebensmitteln ausgerüstet. Bewaff- im gleichen Zug, wenn auch in ver- Thayngen SH. Bekanntgewordene Sabotage- pläne führten oft zu Grossalarmen. net war jeder mit einer Pistole und 25 schiedenen Abteilen, von Kreuzlin- Schuss Munition sowie mit einem gen nach Zürich. Stellmesser. 500 Franken in bar und

88 Fehler Nummer 2: Die Berliner Pla- «Operation Sunrise» – Ge- nungsgruppe im Hauptquartier Gö- heimdienst für den Frieden rings hatte sich nicht über die Eigen- heiten des schweizerischen Eisen- bahnverkehrs informiert. So kam es, Es begann beim Forellenessen in ei- dass jeder der vier Männer ein abge- nem stillen Restaurant am Vierwald- laufenes und somit ungültiges Billett stättersee. Am Tisch sassen der als besass und nachzahlen musste. amerikanischer Diplomat in Bern ak- Fehler Nummer 3: Jeder zahlte mit kreditierte US-Geheimdienstchef für nagelneuen Fünfziger- und Hunder- Mitteleuropa, Allan Dulles, dessen ternoten. engster Mitarbeiter Gero von Gaever- Fehler Nummer 4: Um sich, wie sie nitz und der schweizerische Nachrich- glaubten, besonders gut zu tarnen, tenoffizier Max Waibel. Es war Sonn- sprachen alle vier Französisch, aber tag, der 25. Februar 1945. Seit ihrer so schlecht, dass Zugführer Stöckli Landung auf dem italienischen Fest- sofort merkte, dass hier etwas faul land bei Anzio vor einem Jahr quälten sein musste. sich die alliierten Truppen durch Ita- Noch bevor der Zug im Zürcher lien nordwärts. Der deutsche Wider- Hauptbahnhof zum Stehen gekom- stand war stärker, als sie angenom- men hatten. Jetzt stand die Front an men war, sprang der beherzte SBB- Beamte ab und eilte zu Wachtmeister der «Gotenlinie» (La Spezia – Apen- Joseph Torti in den Polizeiposten. Er nin – Rimini). brauchte die Verdächtigen nicht lange Am Vormittag des gleichen Tages zu suchen, denn die Spionageabwehr hatte Waibel Besuch von einem alten hatte aus Berlin einen Tip bekommen; Bekannten bekommen, Dr. Max Hus- Steckbriefe für zwei der vier merk- mann, Leiter des international renom- würdigen Fahrgäste lagen bereits auf mierten Knabeninstituts Montana auf dem Posten aus. In der Chüechliwirt- dem Zugerberg. Mit Husmann war ein schaft des Bahnhofbuffets entdeckte hagerer, kahler Italiener gekommen: der Detektiv die beiden Gesuchten. Baron Luigi Parrilli, Geschäftsmann; Torti: «Ich ersuchte sie, sich auszu- ein Verwandter von ihm hatte Hus- weisen. Der eine wurde totenblass. manns Schule besucht und die Ver- Ich spürte, dass er entweder fliehen bindung hergestellt. Parrilli hatte in oder eine Waffe ziehen würde, und Oberitalien den SS-Obersturmführer befahl: ‚Hände auf den Tisch!’ Die Guido Zimmer kennengelernt, einen Pistolen der beiden hatte ich mit zwei überzeugten Katholiken, der befürch- Griffen aus den Taschen. Dann wollte tete, die SS würde demnächst aus Ber- ich ihre Pakete öffnen. Zuoberst lagen lin den Befehl zur Zerstörung Oberi- als Tarnung pazifistische Flugblätter. taliens samt seiner grossen Industrie- Da fiel mir einer in den Arm und anlagen, der Häfen und der vielen un- brüllte: ‚Nicht aufmachen, sonst flie- ersetzlichen Kunstschätze und Bau- denkmäler erhalten. Parrilli hatte vor- gen Sie in die Luft!’» Diese beiden Männer vereitelten Görings Sa- Eine Stunde später waren sämtliche botageplan gegen die Schweizer Flugwaffe, erst auf eigene Faust beschlossen, die Schweizer Militärflugplätze in höch- der als «Unternehmen Wartegau» bezeichnet Alliierten zu warnen. ster Alarmbereitschaft. Am Abend wurde: Zugführer Albert Stöckli (oben) und Dulles schickte v. Gaevernitz zu einer waren sechs, am nächsten Morgen Polizeidetektiv Joseph Torti (unten). ersten Fühlungnahme mit den beiden zwei weitere Saboteure hinter Schloss merkwürdigen Friedensboten ohne und Riegel. Einer ging bei Martina ins Bündner Polizei verhaftet, doch irr- Auftrag und blieb sehr reserviert, Garn, als er über die Grenze zurück tümlicherweise aufgrund eines echt denn Friedensfühler dieser Art waren ins angeschlossene Österreich wollte, aussehenden brasilianischen Reise- ihm schon viele untergekommen. Die einer entkam. Zwar hatte ihn die passes wieder laufenlassen. Die neun Verhafteten wurden zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt und bis auf die beiden Auslandschweizer, die die volle Strafe abzusitzen hatten, in den fünfziger Jahren abgeschoben.

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SS-General Karl Wolff Herr über SS und fe er bei Chiasso jederzeit wieder in Frontgebiet Italiens». Seine Aufgabe Wehrmacht in Oberitalien, wusste, dass die Schweiz einreisen konnte; ent- war es, SS und Wehrmacht in Oberi- Deutschland den Krieg verloren hatte. Um sprechende Weisungen erteilte er den talien zu koordinieren und die Ruhe nicht Tausende von Menschenleben und uner- messliche Werte zu gefährden, trat er hinter dortigen Schweizer Grenzwächtern. aufrechtzuerhalten. In der Folge er- Himmlers und Hitlers Rücken in Friedensver- Von Zimmer erfuhr der direkt Himm- wies sich Wolff als realistischer handlungen ein. ler unterstellte SS-General Karl Mann, der wusste, dass er auf verlo- Wolff von den über Parrilli in die renem Posten stand, und dem es nun Aussprache blieb im Unverbindli- Schweiz und zu den Alliierten beste- vor allem darum ging, sinnlose Opfer chen stecken; offensichtlich glaubten henden unverbindlichen Kontakten. an Menschenleben und die von Hitler nur Waibel und Dr. Husmann wirk- Wolff trug den Titel «Höchster Poli- ins Auge gefasste Zerstörung Oberi- lich, dass etwas daraus werden zei- und SS-Führer»; gleichzeitig war taliens zu verhindern, wie Dulles könnte. Für jeden Fall gab Waibel er «Bevollmächtigter General der rückblickend bestätigte. Parrilli ein Codewort, mit dessen Hil- Wehrmacht für das rückwärtige

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Als alliierte Gesprächspartner Wolffs bei den von Waibel arran- Airey (unteres Bild, rechts) auf. Um unerkannt in die Schweiz zu gierten geheimen Friedensverhandlungen von Ascona traten die gelangen, zogen sie Unteroffiziersuniformen an und gaben sich Generäle Lyman L. Lemnitzer (oberes Bild, links) und Terence S. als harmlose Soldaten auf Urlaub. 91 Riskante Reise

Nur fünf Tage nach der ersten Be- gegnung zwischen v. Gaevernitz und Parrilli erfolgte eine neue Fühlungnahme, dieses Mal in Lu- gano. Wieder hatte Waibel in aller Stille die Grenzübertritte ermög- licht. Auf deutscher Seite war au- sser Zimmer nun auch der einfluss- reiche SS-Standartenführer Eugen Dollmann zugegen, der ausseror- dentliches diplomatisches Ge- schick besass und früher als Hit- lers persönlicher Beobachter in Rom geweilt hatte; Dollmann be- sass das Vertrauen Wolffs. Von den Amerikanern war bei diesem Treffen, das im ersten Stock des Luganeser Nobelrestaurants Biag- gi stattfand, ein anderer Mitarbei- ter Dulles’, Paul Blum, gekom- men. Er und Dollmann verstan- den sich, wenn auch – schliesslich waren sie Feinde – nur auf der Basis äusserster Zurückhaltung. Blum verlangte, General Wolff solle als Zeichen seines guten Wil- lens und als Beweis seiner Be- fehlsgewalt die inhaftierten Parti- sanenführer Ferruccio Parri und Antonio Usmiani freilassen. Dul- les liess diese Forderung als Ver- suchsballon steigen; er glaubte im- mer noch nicht recht an die Ernst- haftigkeit dieser Kontakte. Am 8. März aber waren die beiden erbit- terten Nazigegner frei. Waibel liess sie in die Schweiz schaffen. Zwei Stunden nach den Freigelas- senen überquerte auch General Wolff in Zivil die italienisch- schweizerische Grenze und fuhr samt Gefolge nach Zürich. Welch ein Sicherheitsrisiko! Das einzige, was Waibel für den Fall, dass Wolff erkannt würde, vorkehren konnte, war die Erfindung eines Märchens: Wolff fahre in die Schweiz, um über die Benützung des Hafens Genua durch schwei- zerische Handelsschiffe zu ver- handeln. Die Gruppe reiste in zwei geschlossenen Abteilen mit Oben: Feldmarschall Sir Harold Alexan- Rechts: Kriegspremier Sir Winston Chur- vorgezogenen Vorhängen. Aber der (links) blieb Wolff gegenüber miss- chill bezeichnete die geglückte Geheim- auf der Gotthardstrecke war eine trauisch und blockierte zeitweise die Frie- dienstoperation für den Frieden als einzig- densverhandlungen in der Schweiz. artig in der Kriegsgeschichte. 92

Lawine niedergegangen. Wohl oder Am 29. April 1945, fünf Wochen Waibel schildert diese dramatischen übel musste Wolff mit den anderen nach dem geheimen Treffen von As- Stunden: Reisenden über den Lawinenkegel cona, wurde in Caserta bei Neapel die «Während in Italien der Kampf mit zum Ersatzzug steigen. Das Glück bedingungslose Kapitulation der in den Waffen erbittert weitertobte und stand ihm bei. Niemand erkannte ihn. Italien stehenden deutschen Truppen sich steigerte, rangen wir in Luzern Noch am gleichen Abend sass er in unterzeichnet. Natürlich haben Wai- mit der ganzen Kraft unserer Seele, der Zürcher Absteige des US-Ge- bel und Husmann auch im Interesse unseres Geistes und unseres Herzens heimdienstes, einer Villa an der Gen- der Schweiz gehandelt, denn ein un- um die Beendigung des Krieges. Als ferstrasse, zum erstenmal Allan Dul- geordneter Rückzug der in Italien lie- Offizier wusste ich, was hinter jeder les am flackernden Kaminfeuer ge- genden geschlagenen deutschen alliierten Siegesmeldung für blutige genüber. Truppen hätte ohne Zweifel Tausen- Opfer standen: Am 23. April wurden de, vielleicht Zehntausende von ver- der Po erreicht und die Brückenköpfe Hindernislauf zum Frieden sprengten Soldaten in die Schweiz ge- über den Strom geschlagen. Einen schwemmt oder, schlimmer noch, Tag später stiess die Fünfte US-Ar- Was dann geschah, ist Weltgeschichte deutsche Unterführer dazu verleiten mee bei Ferrara über den Po vor. La geworden. Als die auf beiden Seiten können, sich gewaltsam einen Weg Spezia fiel am gleichen Tag. Auf- mit äusserster Vorsicht und unter durch unser Land zu bahnen. Im Ver- stand der Widerstandsbewegung in strengster Geheimhaltung geführten lauf der Vorverhandlungen hatte ganz Oberitalien!» Verhandlungen konkret wurden, ent- Waibel von Wolff ausserdem die Zu- Schliesslich liess sich der hart po- sandte das alliierte Oberkommando in sicherung erhalten, dass die bereits kernde Dulles vom unermüdlichen Caserta bei Neapel die Generäle angeordnete Zerstörung der für die Waibel überzeugen. Dulles sandte Lyman L. Lemnitzer und Terence S. Schweiz wichtigen Häfen von Genua Alexander ein Telegramm mit der Airey zu Geheimverhandlungen nach und Savona sowie der nach dem Gott- Bitte, das Verbot zurückzunehmen. Ascona. Die beiden hohen Militärs hard und dem Simplon führenden Alexander gab nach. Waibel brachte kamen, als harmlose Unteroffiziere Bahnlinien unterbleiben würde. die beiden deutschen Unterhändler auf Urlaub getarnt, in die Schweiz. Waibel musste übrigens auch mit nach Annecy, von wo sie nach Caser- Das Treffen fand in der Villa des Dulles in Luzern hartnäckig um den ta fliegen und die bedingungslose Ka- Grossindustriellen Edmund Stinnes Erfolg der Mission kämpfen, die er zu pitulation unterzeichnen konnten. statt. Waibel brachte General Wolff seiner Herzenssache gemacht hatte; Nach dem Urteil von Sachverständi- nebst Gefolge über die Grenze. Wai- denn noch eine Woche vor der Unter- gen hat diese Unterschrift den Krieg bels Vorgesetzte wussten von den zeichnung des Waffenstillstands wa- in Europa um sechs bis acht Wochen Kontakten ebensowenig wie Heinrich ren die Verhandlungen auf einem to- abgekürzt. Industrie und Landwirt- Himmler und Adolf Hitler von der ei- ten Punkt angelangt. Wolff war zu schaft in Oberitalien blieben produk- genmächtigen Mission der Mensch- Hitler und Himmler nach Berlin geru- tionsfähig, Häfen und Eisenbahnli- lichkeit, die sich ihr Untergebener fen worden. Seine Schweizer Kon- nien intakt, unermessliche Kunst- Karl Wolff auferlegt hatte. Zu seiner takte waren ruchbar geworden, doch schätze wurden gerettet, und der ge- Rechtfertigung schrieb Waibel später: er hatte sie den misstrauisch geworde- plante blutige Rachefeldzug der ge- «Weder der Bundesrat noch der Ober- nen obersten Führern plausibel ma- schlagenen Deutschen gegen die ita- befehlshaber der Armee hätten solche chen können. Es sei ein Versuch im lienischen Partisanen fand nicht statt. Verhandlungen billigen dürfen. Aber Sinne Hitlers gewesen, die westlichen In seiner Rede vor dem britischen Un- das war für mich gar keine Frage; ich Alliierten und die Russen auseinan- terhaus sagte Premier Sir Winston musste meinem Gewissen folgen und derzubringen. Churchill am 2. Mai: gegen den Befehl (die Neutralität zu Das nicht minder misstrauische alli- «In der Geschichte des Krieges steht wahren) handeln.» ierte Oberkommando unter dem briti- diese Kapitulation einzig da, durch schen Feldmarschall Sir Harold Alex- die neben einer riesigen Armee, die Dieses hitlerfeindliche Flugblatt, das bei den ander untersagte die Weiterführung aus dem Feldzug ausscheidet, ein deutschen Truppen unter Lebensgefahr verteilt der Verhandlungen mit den friedens- ausserordentlich weites und höchst und gelesen wurde, war genau den Wehr- willigen Deutschen, zumal es Wolff wichtiges Gebiet befreit wird. Diese machtsmitteilungen nachempfunden. Der Ur- nicht gelungen war, die Wehrmacht- Kapitulation wird sich zweifellos sprung dieses Musters ist nicht klar. Viele sol- cher Flugblätter wurden in der Schweiz ge- generäle auf seine Seite zu ziehen. günstig auf den Gang der weiteren Er- druckt. eignisse auswirken.»

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Die grossen Fälle der Nachkriegszeit Von Dubois zu Jeanmaire

Auch einem wirksamen Staatsschutz sind in einer Demokratie wie der unseren Grenzen gesetzt, die ein Polizeistaat nicht kennt. Wir sind aber kein Polizeistaat und wollen es auch nicht werden. Die Vorstellung beispielsweise, jeder Geheimnisträger sei ständig zu überwachen, ist unserer auf Vertrauen basierenden Gesell- schaftsordnung fremd und unwürdig. Wir haben im Bereich des Staatsschutzes die Aufgabe, durch sorgfältiges Abwägen aller Werte eine Synthese zwischen den Interessen der staatlichen Ordnung und der Freiheit des Einzelnen zu finden. Bundesrat Kurt Furgler am 7. Oktober 1976 vor dem Nationalrat

Das Ende einer Geheimdienstaffäre: Auf dem Genfer Flughafen Cointrin wird der Sarg des ermordeten kamerunischen Exilpolitikers Dr. Felix Moumié zum letzten Flug in die Heimat verladen. Moumié wurde vermutlich vom französischen Geheimdienst umgebracht.

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Von 1948 bis 1977 wurden in der bens gehortet. Die Verkehrs- und personal- und zeitintensive Erhebun- Schweiz etwa 170 Spionagefälle auf- Nachrichtenverbindungen sind über- gen miteinander anfallen. gedeckt, in die gegen dreihundert Per- durchschnittlich leistungsfähig und Die Weltoffenheit dieses hochzivili- sonen verwickelt waren. Nahezu ein zuverlässig. Der hohe Ausländeran- sierten Landes macht es zum Tum- Drittel waren Diplomaten. Zwei Drit- teil an der Bevölkerung und der rege melplatz der Agenten; seine Staats- tel der Fälle betrafen verbotene Hand- Fremdenverkehr erleichtern die Tar- maxime der Neutralität beschwört, lungen von Spionen des kommunisti- nung. wie der tragische Fall des Bundesan- schen Machtbereichs, der Rest entfiel Und was zur Spionage ebenfalls ver- walts René Dubois beweist, oft heikle auf westliche oder westlich orientierte locken dürfte: die Abwehr ist – wenn Situationen und besondere Gefahren Staaten. auch mit auffallend tüchtigen Leuten herauf. Bis vor Kurzem hat denn auch Was hat sich gegenüber der Nazi- besetzt – zahlenmässig schwach. die Öffentlichkeit nur von jedem drit- spionage während des Aktivdienstes Obwohl es nie offiziell zugegeben ten aufgedeckten Spionagefall geändert? Viel und wenig zugleich! würde, ist es ein offenes Geheimnis, Kenntnis erhalten, die anderen zwei Wenig insofern, als sich die Spionage dass die Bundesanwaltschaft wich- Drittel wurden hinter den gepolster- nach wie vor für alle Lebensbereiche tige vorsorgliche Massnahmen, zum ten Türen der internationalen Diplo- interessiert, überall eindringt, allge- Beispiel die Durchleuchtung von Be- matie erledigt. genwärtig und vielfach gerade dort werbern für hohe Vertrauensstellen Die Mutmassungen ernsthafter deut- präsent ist, wo man sie am wenigsten in Armee und Verwaltung, nicht mit scher und amerikanischer Fachleute vermutet. Der Verrat des Brigadiers der wünschbaren und in anderen gehen dahin, dass auf jeden aufge- Jean-Louis Jeanmaire ist der schla- westlichen Demokratien üblichen deckten Fall zehn verborgene kom- gendste Beweis dafür. Gründlichkeit durchführen kann und men. So gesehen ist das, was an die Viel hat sich geändert, weil die Spio- dass sie in ernsthafte Verlegenheit Öffentlichkeit dringt, nur die Spitze nage professioneller geworden ist und gerät, wenn gelegentlich mehrere des Eisbergs! sich aller technischen Mittel, ein- schliesslich des Computers, bedient. An die Stelle des Agenten, der mit der Minox das Gelände nach Tanksperren und Bunkern durchstreift, ist der ge- kaufte Programmierer getreten, der die Magnetbänder kopiert – was aber Wer ist Igor Mürner? fand: Monatelang beobachteten von hier nicht heisst, dass es den Mann mit der aus Inspektoren der Bundespolizei das Kommen und Gehen im Haus. Post und Minox nicht mehr gibt! Im Oktober 1974 verurteilte das Straf- Telefon wurden überwacht, Peilgeräte in- Noch weit mehr als während des amtsgericht von Bern einen Mann, des- stalliert – aber in neun Monaten wurde nur Zweiten Weltkriegs ist die Schweiz sen richtigen Namen kein Mensch einmal während zweieinhalb Minuten eine zur Drehscheibe des internationalen weiss. Er nannte sich Igor Mürner und rätselhafte Funksendung festgestellt. Nachrichtenhandels geworden. Im gab an, 1927 als Kind von Ausland- Als sich Anhaltspunkte dafür ergaben, schweizern in Sinajewo (Russland) ge- dass das Paar in Wien ein anderes Ge- Zentrum Europas gelegen, bietet un- boren worden zu sein. schäft übernehmen wollte, griff die Bun- ser Land den Männern und Frauen in Der angebliche Mürner kam 1969 von despolizei zu. Sie fand bei der Durchsu- geheimer Mission offenkundige Vor- Österreich her in die Schweiz und liess chung von Wohnung und Effekten eine teile: Ein- und Ausreise sind denkbar sich zuerst in Zollikofen, später in der Menge belastender Indizien, aber keinen einfach, die Pass- und Visabestim- Stadt Bern nieder. Hier übernahm er die schlüssigen Beweis. Im Kugelschreiber Führung eines Radio- und Fernsehge- Mürners zum Beispiel wurden die Adres- mungen gehören zu den liberalsten schäfts mit Reparaturbetrieb und er- sen von Leuten, die der Bupo als Sowjet- der Welt. Als Sitz vieler internationa- warb sich einen ansehnlichen Kunden- agenten bekannt waren, aufbewahrt. Der ler Organisationen, bedeutender und kreis. Frau Mürner half wacker im Büro Beweis, dass Mürner verbotenen Nach- stark forschungsorientierter Hoch- mit; der Wohlstand mehrte sich, so dass richtendienst betrieben hatte, wurde je- schulen und Konzerne, als Asylland, häufige Auslandsreisen unternommen doch nicht erbracht. Umgekehrt sprach Finanzplatz und internationaler Treff- werden konnten. nichts für die Annahme, Igor Mürner sei Natürlich sagt die Bundespolizei auch der wirkliche Name des merkwürdigen punkt hat die Schweiz eine riesige in diesem Fall nicht, wie sie dem fal- Mannes, so dass er wegen Widerhandlung Fülle wissenswerter Informationen schen Auslandschweizer auf die Spur gegen das Ausländergesetz und der Er- aus allen Bereichen des modernen Le- gekommen ist. Tatsache ist, dass in der schleichung falscher Beurkundungen zu Mansardenwohnung über der Heim- zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. stätte des verdächtigen Ehepaares ein Die Ehefrau wurde aus Mangel an Bewei- relativ häufiger Mieterwechsel statt- sen freigesprochen.

98 Fälle, die verborgen bleiben ner K. in den Diensten der sowjeti- 07843 88981 3275o schen Militärmission in Frankfurt am Wie war das mit Professor R., der Main stand. Die am 5. Oktober 1952 1948 aus Ostberlin in die Schweiz 44577 000I7 43268 in Basel durchgeführten Verhaftun- kam, mit hiesigen Kommunisten Ver- gen verhinderten, dass die kompletten bindung aufnahm und junge Schwei- 32443 87901 87935 Messergebnisse, Versuchsresultate zer Physiker für Anstellungen in der und Berechnungen nebst einem Be- DDR zu gewinnen suchte? 43548 78220 12487 richt der Schiessschule Walenstadt Wie war das mit seinem ungarischen 65477 86895 93201 über die Sichtergebnisse bei der Be- Kollegen Professor G., der nach sei- obachtung militärischer Anlagen mit ner Landung in Zürich einen Profes- 26418 65735 36370 Infrarotgeräten in die Hände der So- sor der ETH aufsuchte, ihm eröffnete, wjets gerieten. H. hatte einen Nach- er habe den Auftrag, sein Institut aus- 32759 81651 75666 schlüssel zum Aktenschrank anferti- zuspionieren, wolle aber abspringen? gen lassen, in dem diese Unterlagen Professor G. wurde diskret nach aufbewahrt wurden; nach Büroschluss Amerika weitergereicht. Auf einem nur punktgrossen Mikrofilm steht eine verschlüsselte Nachricht. Der Mikro- hatte er zu fotokopieren gepflegt. Was ist aus der englischen Studentin punkt wird unter Briefmarken transportiert. Im chemischen Forschungslaborato- S. geworden, die 1950 mit seltsamem rium von Bührle in Oerlikon konnte Eifer in der Festungsgegend von Sar- sich Johann N. etwa fünfzig geheim- gans Fotos machte und Skizzen anfer- gehaltene Formeln für Elektroden In Bönigen bei Interlaken liessen tigte und, als sie gestellt wurde, mit nebst der Zusammensetzung einiger zwei Offiziere einen geheimen der Empfehlung eines ETH-Profes- Stoffe und den Namen ihrer Lieferan- Plan der Flugplatzverbindungen in sors angab, sie wolle eine Doktorar- ten beschaffen. Er stahl unbemerkt einem Restaurant liegen. Als sie beit über die geologischen Verhält- 472 Elektroden von 37 verschiedenen ihren Fehler bemerkten, erstatteten nisse im Seeztal schreiben? Typen, 57 Muster von Mineralien und sie keine Anzeige, sondern fahnde- Oder wie war das mit dem deutschen einen Plan für eine neue Versuchs- ten auf eigene Faust. Als die Poli- Studenten, der sich bedeutende Un- presse. N. bot diese Beute der ungari- zei dann schliesslich doch eingrei- terlagen über die Elektrizitätsversor- schen und der sowjetrussischen Bot- fen musste, fand sie das Papier im gung der Schweizerischen Bundes- schaft in Bern für 20’000 Franken Zimmer eines österreichischen bahnen verschaffen konnte, die ihm zum Kauf an. Am 19. Januar 1954, als Kellners, der sich inzwischen ins angeblich ebenfalls für eine wissen- N. verhaftet wurde, riefen gerade die Ausland abgesetzt hatte. In Gstaad schaftliche Arbeit dienten, gleichzei- Russen aus Bern an, um ihre Interesse wurde im Herbst 1950 ein Öster- tig aber militärische Geheimnisse ent- zu bekunden. hielten? reicher namens D. verhaftet, weil Vier von vielen Dutzend Fällen, wie er den Flugplatz Saanen und die sie das tägliche Brot der Schweizer Befestigungsanlagen in der Nähe Militärattachés als legale Spione fotografiert hatte. Er stand in Ver- Abwehr in den Nachkriegsjahren wa- Im aufsehenerregenden Prozess vom bindung mit einer tschechischen ren und es – mit den zeitbedingten Juni 1977 hat Brigadier Jean-Louis Agentin, die kurz darauf mit einem Änderungen – wohl heute noch sind! Jeanmaire zu Protokoll gegeben, er falschen österreichischen Pass in Fälle, in denen es beim Verdacht sei sich darüber im klaren gewesen, die Schweiz kam. Die beiden soll- blieb, die nie zu einem Gerichtsver- dass das Sammeln von Nachrichten zu ten nach Tanger in Marokko Wei- fahren führten und die in keinem bun- den Pflichten der Militârattachés ge- terreisen, wo sie ein gegen Spanien desrätlichen Geschäftsbericht auf- hörte. gerichtetes tschechisches Spiona- tauchten. Wie wahr! Schon kurz nach dem genetz aufzubauen hatten. Ein Di- Wer die richtigen Leute fragt und an Krieg verlangte die Schweiz die Ab- visionsgericht verurteilte den Ös- den richtigen Orten nachschaut, stösst berufung des tschechischen Militârat- terreicher zu drei Jahren Zucht- auf Dutzende von Fällen, die verbor- tachés Oberst Bilek, der sich nicht nur haus, die Tschechin beging Selbst- gen geblieben oder längst vergessen für tschechische Emigranten in der mord. worden sind. Schweiz, sondern auch für Atomfor- In der chemischen Fabrik Ciba in schung, für Flugplätze, Befestigungs- Basel kamen geheime Forschungs- bauten, Munitionsfabriken und -lager, ergebnisse über eine neue Infra- rottarnfarbe für militärische Zwe- cke abhanden. Sie fanden sich wie- der in der Aktenmappe des 22jäh- rigen Laboranten Oskar H., der zu- sammen mit dem Kaufmann Wer-

99 Raketenversuche, Flabgeschütze und arbeit gezwungen wurden, indem mals 46jährige Junggeselle ganz in Waffen Verkäufe stärker interes- man ihnen erklärte, nur so könnten Gedanken versunken über einem sierte, als ihm guttat. Ein Gehilfe sei- die Pensionsansprüche ihrer in Un- Wust winziger Zettelchen, die er ord- nes Nachfolgers warb zwei Schwei- garn lebenden Eltern gesichert wer- nete und auf die er die Beobachtun- zer zu Spionagediensten an, die ihm den. Eine in Ungarn aufgewachsene gen des Tages notiert hatte: Gesprä- gegen 2‘500 Franken Entschädigung Schweizerin wurde bei einem Besuch che mit Kollegen, beiläufige Bemer- Pläne des 20-mm-Geschosses der in Budapest mit der Drohung gefügig kungen von Vorgesetzten, Zahlen, Oerlikoner Kanone und eines franzö- gemacht, man lasse sie sonst nicht in Daten, technische Werte von Pan- sischen Maschinengewehrs lieferten; die Schweiz zurückreisen. Aufgrund zern, Flugzeugen sowie Fliegerab- der Beamte stellte den beiden dieser Fälle wurde im Dezember wehr- und Artilleriegeschützen der Schweizern eine monatliche Entschä- 1956 der Zweite Sekretär der ungari- Schweizer Armee. digung von 2‘500 bis 3’000 Franken schen Botschaft in Bern, Mate Vegh, Praktisch jede freie Minute hatte Ger- plus Spesen in Aussicht, wenn sie ihn ausgewiesen. ber an diesem Tisch im billigen Pen- über den Aufbau der schweizerischen sionszimmer verbracht. Mit den Jah- und der französischen Armee, die po- ren hatte er sich in eine eigentliche litische Einstellung von Truppenfüh- Sammelleidenschaft hineingesteigert. rern beider Länder, Erfindungen auf Kaum ein Wort, das er vernommen militärischem Gebiet, Flugplatzpläne hatte, war unaufgezeichnet geblieben. und die schweizerische Bazooka auf Der Mann, der jedes Wort Als das Zimmer geräumt wurde, fand dem Laufenden hielten. verkauft die Bundespolizei rund 1650 Zettel Ähnliche Interessen vertrat der im mit verbotenen Aufzeichnungen. März 1952 akkreditierte tschechische Alles, was ich erfahre, schreibe ich Militârattaché Sochor, der im blühen- auf einen Zettel; den stecke ich in den Geheimnisverrat aus Arglosigkeit den Alter von 24 Jahren bereits den Briefkasten der Botschaft, die mir am Rang eines Oberstleutnants bekleidet meisten dafür bezahlt... Willi Gerber arbeitete als junger Me- hatte und mit 26 zu seinem Posten ge- So stellt sich der kleine Moritz den chaniker in Frankreich und Holland. kommen war. Er versuchte Einzelhei- Spion vor, und genau so ist der Me- Dort lief er einem Ingenieur über den ten über die neue Truppenordnung, chaniker Willi Gerber (geb. 1903) Weg, der in Wirklichkeit Offizier im das Reglement über die Truppenfüh- vorgegangen. Er verriet Tausende französischen Nachrichtendienst war. rung, die Mobilmachungspläne und von Einzelheiten aus den Eidgenössi- 1931 kehrte Gerber in die Schweiz verschiedene Waffen und Geräte wie schen Konstruktionswerkstätten in zurück und war froh, in dieser Krisen- zum Beispiel die ferngelenkten Bühr- Thun und wurde dafür im Februar zeit eine sichere Stelle bei den Eidge- le-Raketen und -Kanonen in Erfah- 1950 zu zwanzig Jahren Zuchthaus nössischen Konstruktionswerkstätten rung zu bringen. verurteilt. zu finden. Auch Ungarn war nicht untätig! 1954 Gerber beweist eine Selbstverständ- In dieser Mehrzweck-Waffenschmie- versuchte dessen Geschäftsträger lichkeit: Auch die Alliierten haben de blieb er all die Jahre hindurch der Emerich Pehr Einzelheiten über Waf- während und nach dem Aktivdienst unauffällige, zuverlässige Facharbei- fenlieferungen schweizerischer Fir- nicht nur in der Schweiz, sondern ter. Einer seiner Kollegen, der damals men, darunter von Bührle und Con- auch gegen die Schweiz spioniert, in der Flugkontrolle tätige Max Burk- traves, an Jugoslawien und an die und sie tun es bis auf den heutigen hard, erinnert sich an seine vier Jahre Staaten des Atlantikpakts zu ergrün- Tag. an der Seite des Spions: den. Die Nachrichten wurden nach al- Gerber war das genaue Gegenteil des «Er war Mechaniker bei der Ge- len Regeln der Kunst über tote Brief- romanhaften, smart-verwegenen schützmontage. Wir hielten ihn für ei- kästen weitergeleitet. Wenn an einem Agententyps: ein sparsamer Klein- nen harmlosen, etwas wunderlichen Baumstamm in der Nähe ein blauer bürger mit geregeltem Tageslauf, un- älteren Knaben, der uns vor allem Reissnagel steckte, war die Luft rein; tergeordnetem Aufgabenbereich und durch seinen Geiz auffiel: Wenn er ein roter Reissnagel bedeutete Ge- kleinen Lastern; eine graue Maus, die sich einmal hundert Gramm Bier- fahr. Es wurden Fälle bekannt, da in Augen und Ohren weit aufsperrt und wurst zum Znüni kaufte, reichte das der Schweiz lebende Ungarn zur Mit- mit Bienenfleiss alles zusammen- ihm für drei Tage. Nie sah man ihn in trägt, was im Entferntesten nach einer Wirtschaften. Nach Feierabend ging 100 verwertbaren Information aussah. Als Bundespolizeiinspektoren die Tür zu Gerbers bescheidenem Pensionszim- mer in Thun aufrissen, sass der da- er sofort in sein Zimmer. Es heisst, er Der Mechaniker spionierte auch die habe seine Pensionswirtin heiraten Dornier-Werke in Altenrhein aus, lie- wollen; aber kurz vorher wurde er ferte Informationen und Skizzen über verhaftet. Als ich als Zeuge einver- schweizerische Befestigungsanlagen nommen wurde, fiel ich aus allen im Wallis, im Tessin, am Brünig und Wolken, denn da waren in der Tat alle an der Luziensteig. Bei der Divisions- Gespräche, die wir als Arbeitskolle- gerichtsverhandlung hinter verschlos- gen miteinander geführt hatten, genau senen Türen stellte sich heraus, dass und richtig notiert. Ich wunderte seine Skizzen und Notizen auch Trup- mich, wie viele brauchbare Informa- pen, Flugwaffe, Munition, Panzer, tionen Gerber aus diesen Kollegen- Panzerjäger, alle möglichen Waffen, plaudereien herausgefiltert hatte. technische Versuche usw. betrafen. Eine Zeitlang hatte ich richtiggehend Vorsichtig, wie er nun einmal war, Angst, ich könnte auch noch dran- hatte Gerber den für die damaligen kommen!» Zeiten sehr hohen, aus Spionagelohn Genau so ist es! Die meisten Geheim- geäufneten Betrag von 40’000 Fran- nisse werden nicht aus bösem Willen ken sicher bei einer Bank in New verraten, sondern aus Leichtfertigkeit York angelegt. Weitere 30’000 Fran- und in kleinen Stücken. Gerber mimte ken lagen auf Konten von acht einfach den interessierten Handwer- Schweizer Banken, aber nicht irgend- ker, der die Leistungen seiner Kolle- welchen beliebigen! Gerber hatte sein gen bewunderte und ihnen mit dieser Geld nur Kantonalbanken anvertraut, Bewunderung zu schmeicheln ver- die im Reduitgebiet lagen. Sicher ist stand. Max Burkhard: «Von mir hatte sicher... er zum Beispiel erfahren, dass ich ein begeisterter Segelflieger war. So ka- men wir ganz unverfänglich über die Wenn der Jäger Fliegerei ins Gespräch. Gerber ver- zum Wild wird stand es, unmerklich für ihn wichtige Fragen einfliessen zu lassen, zum «Verzeih mir, ich bin unschuldig. Beispiel über die Beschaffenheit be- Man kann keinem Menschen mehr stimmter Flugplätze und ihre Aufnah- trauen. René.» mefähigkeit. Häufig machte er sich Unfassbar! Diesen Abschiedsbrief auch an Lehrlinge in anderen Abtei- schrieb ein Mann auf dem Höhepunkt lungen heran. Die waren natürlich seines beruflichen Erfolges. René hocherfreut, dass sich ein Erwachse- Dubois war 49 Jahre alt, sah blendend ner für ihre Arbeit interessierte – und aus, war glücklich verheiratet und vor schon wusste er wieder etwas!» Ein Spion der Nachkriegszeit: Willi Gerber zwei Jahren auf einen der einfluss- Bald arbeitete Gerber nicht mehr al- verriet unzählige Informationen aus den Eidg. reichsten Posten berufen worden, die lein für die Franzosen. Er verkaufte Konstruktionswerkstätten in Thun. Er belie- die Eidgenossenschaft zu vergeben die gleichen Informationen den Eng- ferte in erster Linie die Franzosen und die hat. Und jetzt das! Am späten Vormit- ländern und den Amerikanern. Ein- Amerikaner. tag des 23. März 1957, einem Sams- zelne Berichte gingen ausserdem an tag, kritzelte dieser Mann die Worte die Schweden, die Türken und die Ju- warf und naiverweise sogar seine der Verzweiflung in sein Notizbuch. goslawen. richtige Adresse dazuschrieb. Die als Dann legte er sich auf dem Dachbo- Diplomaten getarnten Agenten lies- den seines Hauses den Lauf der Offi- sen sich nicht zweimal bitten! Wie- zierspistole an die Schläfe und drück- Spionagelohn auf Reduitbanken derholt liess sich Willi Gerber auch te ab. Mit den Amerikanern zum Beispiel für Ferienreisen ins Ausland anwer- Dieser verhängnisvolle Schuss kam er in der Tat ins Geschäft, indem ben. Er bevorzugte dafür das Velo, schreckte die ganze Schweiz auf. er unaufgefordert einen Bericht in den mit dem er bis nach La Spezia kam, «Eine Säule stürzt», hiess die Schlag- Briefkasten ihrer Berner Botschaft wo die nichtsahnenden italienischen zeile im Berner «Bund». Matrosen der Landratte aus der Schweiz viel mehr sagten und zeig- ten, als für sie gut war.

101 nen Bruder als Vertreter des engli- schen Rüstungskonzerns Vickers- Armstrong empfohlen und sich an Provisionen für die von der Schweiz erworbenen Centurion-Panzer berei- chert. Der Chef des Auslandschwei- zerbüros hatte, des Vertrauensbruchs bezichtigt, Selbstmord begangen. Auch in der Weltpolitik brodelte es. Noch schwelte in den freien Ländern der Zorn auf Moskau wegen seines brutalen Überfalls auf Ungarn im Spätherbst 1956. Der kalte Krieg und die Sorge um die zu Tausenden her- eingeströmten Ungarnflüchtlinge be- wegten die Herzen des Volkes. Gleichzeitig herrschte in Algerien die Revolution, und um den Suezkanal kam es um ein Haar zu einem Krieg:

Der Aufstand gegen die französische Kolonialmacht in Algerien hatte al- lein auf französischer Seite schon über 10’000 Soldaten und Zivilisten das Leben gekostet. Nachdem die Ägypter aus Zorn über verweigerte amerikanische Hilfe zum Bau des As- suan-Damms den Suezkanal verstaat- licht hatten, griffen britische und französische Fallschirmjäger die Ka- nalzone an. Amerika liess seine Atombomber aufsteigen, Moskau drohte mit Fernraketen. Da zogen die Truppen ab. Diese beiden Ereignisse bildeten den Hintergrund zur Tragödie von René Dubois, denn wie immer, wenn die Welt in Aufruhr war, wurde das ru- hige Bern zu einer der wichtigsten in- ternationalen Nachrichtendrehschei- ben. Massenverhaftungen in Constantine (oben), un- wiegendste in einer Reihe von Affä- gezählte Bombenanschläge auf Ladengeschäfte ren, die 1956 und 1957 das Vertrauen in Algier (unten). Der Algerienkrieg wurde des Schweizervolks in seine Verwal- Bundesanwalt auf glitschigem aber auch im schweizerischen Untergrund aus- Parkett getragen. tung ernsthaft erschütterten. Ein Jahr zuvor hatte der ehemalige Oberzolldi- Die ägyptische Botschaft in Bern war Gestürzt war Dr. René Dubois, Bun- rektor wegen Amtsmissbrauchs, Be- als Nassers Vorposten im Westen be- desanwalt, höchster Staatsschützer trugs und weiterer Delikte vier Jahre kannt. Über das herrschaftliche Bot- und Ankläger der Eidgenossenschaft, Zuchthaus erhalten. Gegen den Chef schaftsgebäude an der Taubenstrasse durch ein Gewirr von heimtückischen der Finanzabteilung der Generaldi- liefen eine chinesische 20-Millionen- Fussangeln, das noch zwei Jahrzehnte rektion PTT lief eine Strafuntersu- Anleihe an Nasser und fast der ge- nach der Tragödie nicht ganz entwirrt chung wegen Verdachts auf ähnliche samte internationale Zahlungsver- ist. In einer weltpolitisch ausseror- Vermögensdelikte. Drei Monate zu- kehr Ägyptens, einschliesslich seiner dentlich heiklen Zeit war der Jäger im vor war der schweizerische Militârat- Dickicht der internationalen Spionage taché in Washington in eine Untersu- zum Wild geworden! Der Selbstmord chung verwickelt worden; er hatte sei- des Bundesanwalts war die schwer-

102 umfangreichen Waffenkäufe. Gleich- Freund Mercier wahrscheinlich Ein- Mit der Meisterschaft des professio- zeitig war die ägyptische Botschaft blick in die Abhörprotokolle, die für nellen Agenten spielte nun Mercier eine Anlaufstelle und Organisations- Frankreich im Vorfeld der Suezkrise die heftig verfeindeten Beamten ge- zentrale des Waffennachschubs und und als bedrängte Kolonialmacht in geneinander aus. Indem er freund- der Nachrichtentätigkeit der algeri- Algerien natürlich von unschätzba- schaftliche Beziehungen zu beiden schen Befreiungsbewegung. rem Wert waren. unterhielt, brachte er ihre Schwächen Mitten in diesem undurchdringbaren Bundesrat Markus Feldmann bestä- in Erfahrung, die er dann hemmungs- Geflecht stand René Dubois. Er sollte tigte: «Dubois hat nicht nur im Nach- los ausnützte. Dubois, der welsche die Neutralität der Schweiz durchset- richtenaustausch mit Attaché Mercier Sozialdemokrat, war ausgesprochen zen und die ungesetzlichen geheimen den legalen Rahmen erheblich über- temperamentvoll und trug häufig das Umtriebe bekämpfen, gleichzeitig schritten, sondern er hat auch durch Herz auf der Zunge, wenngleich er als aber lebenswichtige Nachrichten für Auslieferung interner Aktenstücke zupackend, energisch und intelligent die Schweiz beschaffen, denn und von Weisungen des Departe- galt. Ulrich dagegen war der katho- schliesslich hingen Sicherheit und ments in der Untersuchungssache ge- lischkonservative Vertrauensmann Versorgung unseres Landes eng mit gen Ulrich eine schwere Verletzung der Innerschweiz in der Bundesan- der Entwicklung des Suezkonflikts des Amtsgeheimnisses begangen.» waltschaft, seit mehr als zwanzig Jah- zusammen. Diese Doppelaufgabe Stichwort Max Ulrich (geb. 1906), In- ren ein routinierter und gefürchteter war ein Widerspruch in sich, denn spektor der Bundespolizei seit deren Bupo-Inspektor, fanatischer Anti- Nachrichten erhält nur, wer anderen Gründung im Jahre 1936. Dubois und kommunist und – wie frühere Vor- Nachrichten gibt. Ulrich hatten sich nie gemocht, zu fälle bewiesen – nicht immer fähig, Dazu kam, dass jeder Schritt des Bun- verschieden waren ihre Naturelle. Ul- seine Amtstätigkeit von privaten In- desanwalts von einem seiner eigenen rich war schon früher in den Verdacht teressen und Gefälligkeiten sauber zu Untergebenen, der sein Feind war, geraten, seinerseits geheime Akten trennen. mit Sperberaugen verfolgt wurde. der Bundesanwaltschaft an Attaché Mercier tat alles, um die Feindschaft Und René Dubois wusste, dass er sich Mercier geliefert zu haben. Eine Un- zwischen Dubois und Ulrich zu schü- um jeden Preis bewähren musste: tersuchung gegen ihn lief. ren, indem er dem einen nachteilige Zwei Jahre zuvor, bei seiner überra- Informationen über den andern zu- schenden Wahl, hatte es an verhalte- spielte, im Austausch von beiden ner Kritik nicht gefehlt; zum ersten- wertvolles Geheimmaterial aus Bun- mal war ein Sozialdemokrat Bundes- desanwaltschaft und Bundespolizei anwalt geworden! erhielt und zugleich noch genügend Bundesanwalt Dr. René Dubois wurde das Opfer einer teuflischen französischen Geheim- Beweise für Amtspflichtverletzungen in die Hände bekam, um alle beide Mercier, der Meister der Intrige dienstintrige. Als er keinen Ausweg mehr sah, beging er Selbstmord. damit zu erpressen. Im Hintergrund, getärnt als harmloser So erzählte Mercier seinem alten Be- Attaché bei der französischen Bot- kannten Ulrich, Dubois habe – ob schaft, spann Oberst Marcel Mercier wahr oder nicht, sei dahingestellt – ei- (geb. 1911) eine kunstvolle Intrige. nen internationalen Geschäftsmann Mercier war in Wirklichkeit ein Offi- namens Grigori Messen früher bei zier des französischen «Service de den Franzosen als Nazikollaborateur Documentation extérieure», d.h. des denunziert; Mercier wusste genau, Auslandsnachrichtendienstes. dassdMessen ein langjähriger Freund Obwohl der Bundesrat in seinem spä- Ulrichs und Pate dessen Sohnes war. ter erschienenen Bericht über die Af- Nun wollte Ulrich natürlich von Mer- färe diese Kernfrage elegant umgeht, cier das belastende Beweismaterial darf als sicher angenommen werden, haben, denn er hoffte, seinen verhas- dass die Bundesanwaltschaft die Te- sten Chef damit aus dem Sessel heben lefonleitungen der ägyptischen Bot- zu können. Als Gegenleistung lieferte schaft angezapft hatte. Bundesanwalt der Bupo-Inspektor dem durchtriebe- Dubois gab seinem vermeintlichen nen Mercier ganze Monatsberichte der Bundesanwaltschaft, Fernschrei-

103 ben und Rapporte kantonaler Poli- hatte Bundesrat Feldmann aus ver- zeikorps über verdächtige Algerier schiedenen Quellen Hinweise auf un- usw. dichte Stellen an der Spitze der Bun- Man darf durchaus vermuten, dass desanwaltschaft erhalten. Ihm fiel Mercier seinen inzwischen zum Bun- auf, dass der sonst so energisch zu- desanwalt aufgestiegenen Freund packende Bundesanwalt bei der Ab- Dubois mit den gleichen alten Ge- klärung dieser Vorwürfe ungewöhn- schichten zu neuen Gefälligkeiten er- lich passiv war. presst hat. In der Tat hatte Dubois, als Schon seit längerer Zeit hatte der da- er noch Sachbearbeiter der Bundesan- malige Bupo-Chef Dr. Fritz Dick sei- waltschaft gewesen war, in einem nen Untergebenen Ulrich beschatten Routine-Untersuchungsfall, wirt- lassen. Fünf Tage vor dem Selbst- schaftlichen Nachrichtendienst betref- mord Dubois’ hatten die Beschatter fend, einen Sündenfall begangen: Die gesehen, wie Ulrich in die französi- Lausanner Firma Matisa SA, die Ge- sche Botschaft geschlichen war. Dar- leisestopfmaschinen mit abgelaufenen auf wünschte Mercier, der vom Ver- Patenten herstellte, geriet in Streit mit dacht Wind bekommen haben musste, ihrem früheren Generalvertreter Mes- von sich aus eine Unterredung mit Dr. sen, weil dieser die gleichen Maschi- Arnstein. Der Attaché fürchtete of- nen bei einer deutschen Firma billiger fensichtlich um seine gute Quelle Ul- bauen liess. Es war ein Wirtschafts- rich. Mit der berühmten Drohung ge- kampf bis aufs Messer. Dubois gab gen Dubois glaubte Mercier das Auf- Prozessakten pflichtwidrig der Matisa fliegen der Affäre verhindern zu kön- zur Einsicht; Ulrich mischte gleich- nen. zeitig auf der Seite Messens mit, in- dem er in Missbrauch seiner amtli- Dramatische Sitzung chen Stellung Erhebungen durch- im Bundeshaus führte. An diesem Samstagmorgen fand eine der dramatischsten und schicksalhaf- Die Affäre fliegt auf testen Sitzungen statt, die es im Bun- Als die ganze Intrige dann aufflog, deshaus je gegeben hatte. Inzwischen glaubte Mercier genügend Material zu war die Affäre ruchbar geworden: besitzen, um sich selbst aus der Am Mittwoch hatte die amerikani- Schlinge zu ziehen. Vom nachmali- sche Agentur «Associated Press» eine gen Bupo-Chef Dr. André Arnstein Meldung über die Untersuchung ge- zur Rede gestellt, antwortete Mercier gen Ulrich veröffentlicht; die Quelle selbstbewusst: «Wir Franzosen haben blieb unbekannt. In einer Sitzung zwi- genug in der Hand, um den Bundesan- schen Feldmann und seinen Chefbe- walt auf fliegen zu lassen.» amten (Dubois, Dick und Hänni vom Dieser höhnische Satz fiel am Morgen Rechtsdienst des EJPD) war am Frei- des Samstags, 23. März 1957. Die Un- tagabend die Verhaftung Ulrichs er- tersuchung war inzwischen ausge- wogen worden. Dubois, der an dieser dehnt worden, denn seit drei Monaten Besprechung wiederum ungewöhn- lich passiv gewirkt hatte, hatte sich bereit erklärt, nötigenfalls den Haft- Für den späteren Bupo-Chef Dr. André Arn- stein (oben) und Bundesrat Dr. Markus Feld- befehl zu unterzeichnen. Am näch- mann (Mitte) wurde die Affäre Dubois zu einer sten Morgen wollte er dies plötzlich Belastungsprobe. Den Schlussstrich unter den nicht mehr tun. Da kam Dr. Arnstein Fall zog das Bundesstrafgericht im Prozess ge- zurück und berichtete seinem Chef gen Inspektor Max Ulrich zum Teil hinter ge- Dick von der Unterredung mit Mer- schlossenen Türen (unten). cier. Die Bundespolizisten waren sich

104 darin einig, dass Bundesrat Feldmann und verliess daraufhin – zum letzten- Die Leiche des Bundesanwalts wurde zu verständigen sei. In diesem Augen- mal – das Bundeshaus, ohne mit je- erst nach 24stündiger Suche gefun- blick betrat Bundesanwalt Dubois das mandem mehr Verbindung aufge- den. Büro von Bupo-Chef Dick. Der Be- nommen zu haben. Am 23. März ge- richt des Bundesrats hält fest: gen Mittag empfing der Vorsteher des Bupo-Inspektor weint vor seinen «Letzterer forderte Dr. Arnstein auf, Justiz- und Polizeidepartements den Richtern seinen Bericht über die Unterredung Chef der Bundespolizei und seine mit Attaché Mercier zu wiederholen, Mitarbeiter, welche ihn über die Aus- Die Affäre hatte den einen das Leben was mit einer gewissen Zurückhal- sagen des Attachés Mercier orientier- gekostet, den andern kostete sie die tung geschah. Bundesanwalt Dubois ten; der Bundesanwalt, welcher an Stelle und die bürgerliche Existenz. erklärte sich in offensichtlicher Auf- dieser Besprechung auch hätte teil- Am 5. Mai 1958, nach einjähriger regung mit der unverzüglichen Orien- nehmen sollen, war nicht mehr auf- Untersuchungshaft, musste Bundes- tierung des Departementschefs ein- findbar.» polizeiinspektor Max Ulrich im Assi- verstanden, entfernte sich jedoch un- Besonders muss Dubois erschüttert sensaal des Berner Amtsgerichts vor vermittelt von seinen Mitarbeitern haben, dass Mercier gegenüber Dr. dem Bundesstrafgericht Rechen- Arnstein erklärt hatte, er habe wohl schaft ablegen. ter Drahtzieher in der Affäre Dubois/ Ulrich vertrauliche Akten aus der Bundesan- Nach vier Verhandlungstagen, als er blieb unbehelligt: «Attaché» Marcel Mercier, in Wirklichkeit ein französischer Geheim- waltschaft erhalten, aber nicht von das Recht zum letzten Wort erhielt, dienstoffizier, verschwand diskret. Ulrich, sondern «legal und offiziell». kam der bitterste Augenblick im Le- ben des 52jährigen hünenhaften und

105 harten Polizeimannes. Ulrich weinte. schaft hatte Ulrich rund hundert Fern- Er vergrub sein Gesicht in den Hän- schreiberkopien mit mindestens 550 den. Er bat seine Richter, sie möchten Einzelmeldungen kantonaler und auch an seine Frau und seine drei Kin- städtischer Polizeibehörden sowie Po- der denken, um die er sich infolge sei- lizeirapporte, Fahndungsblätter und nes Berufes nicht so habe kümmern dergleichen an Mercier geliefert. Sie können, wie er es gerne getan hätte. betrafen vor allem algerische Rei- Das Bundesstrafgericht verurteilte sende und Emigranten sowie als kom- Max Ulrich am 9. Mai 1958 zu zwei- munistisch verdächtigte Organisatio- einhalb Jahren Zuchthaus wegen fort- nen in der Westschweiz. In der Ge- gesetzten und wiederholten politi- richtsverhandlung erklärte Ulrich, er schen Nachrichtendienstes sowie we- habe dafür von den Franzosen Hun- gen fortgesetzter und wiederholter derte von weit wertvolleren und für Verletzung des Amtsgeheimnisses. die Schweiz bedeutenderen Berichten Ulrich wurde seines Postens enthoben namentlich über die kommunistische und auf zehn Jahre als nicht wählbar Wühlarbeit in Europa erhalten. Wört- für ein Amt erklärt. Der einzige, der lich fügte er hinzu: «Ich erkläre Ihnen schadlos aus der Affäre hervorging, Verhandlungspause im Bundesstrafprozess heute feierlich, dass ich alles, was ich war Oberst Marcel Mercier: Als der gegen Bupo-Inspektor Max Ulrich (links). tat, im Interesse meines Landes ge- Bundesrat auf diplomatischem Wege Der Angeklagte berät sich mit seinem Verteidi- macht habe und nie hätte glauben seine Ausreise verlangte, war Mercier ger Dr. Georges Brunschvig (rechts). können, dadurch mit bundesstraf- bereits weg. Er tauchte später in rechtlichen Bestimmungen in Kon- Deutschland wieder auf und ging flikt zu kommen.» braucht das Land Männer wie Ulrich, dann in Pension. Den menschlichen Schwächen des doch sind sie gerade wegen ihrer Ei- Beamten Ulrich standen aber auch of- genschaften, die sie für diesen Beruf fensichtliche organisatorische Män- Die Moral von der Geschieht’ geeignet machen, auch wiederum ge- gel und Unklarheiten innerhalb der fährdet.» Wenn es in dieser unmoralischen Ge- Bundesanwaltschaft gegenüber. Je- Ganz anderer Meinung war der da- schichte doch eine Moral gibt, dann denfalls erliessen der Bundesrat und mals als ausserordentlicher Bundes- die, dass im lautlosen Krieg der Ge- das Justiz- und Polizeidepartement als anwalt auftretende Dr. Hans Fürst: heimdienste mit Anstand und Treue Lehren aus dem namentlich in den «Der Angeklagte hat seine Delikte aus kein Blumentopf zu gewinnen ist. Um Entwicklungsländern stark beachte- Feindschaft zu Bundesanwalt Dubois seinen Staat zu schützen, muss man- ten Dubois/Ulrich-Skandal zwei Ver- begangen und für Grigori Messen, sei- cher Agent dann und wann genau das ordnungen. In der einen wird das Ver- nen langjährigen Freund und Paten tun, was dieser gleiche Staat verboten hältnis zwischen Bundesanwaltschaft seines Sohnes, in einer für seine Stel- hat: lügen, betrügen, verleumden, de- und Bundespolizei geregelt. In der an- lung unverantwortbaren Intensität nunzieren, stehlen und gelegentlich deren werden Vorschriften über die Partei ergriffen, die ihn bis zur Preis- morden. Die Zehn Gebote sind ausser Erteilung von Auskünften an auslän- gabe strenggehüteter Geheimnisse der Kraft, es gilt nur das «elfte»: Du sollst dische Amtsstellen aufgestellt, die Bundesanwaltschaft führte.» dich nicht erwischen lassen! Und ihre Bedeutung über Jahre hinweg be- Es liegt in der widersprüchlichen und wem das dennoch passiert, dem halten haben. Eine der wichtigsten mit bürgerlichen Ehrbegriffen schwer ergeht es wie Max Ulrich, der an die- Bestimmungen lautet: «Von den fassbaren Natur der Geheimdienste, sem Maitag in Bern vor seinen Rich- Grundsätzen der schweizerischen dass wahrscheinlich beide Auffassun- tern stand. Neutralitätspolitik darf nicht abgewi- gen bis zu einem gewissen Grad zutra- «Er ist ein Opfer seines Berufes», rief chen werden. Insbesondere dürfen ei- fen. Das Gericht jedenfalls schien sein Verteidiger Dr. Georges Brun- nem fremden Staat keine gegen ihn dies, wenn auch unausgesprochen, an- schvig aus. «Ulrich gehörte zu den gerichteten Vorgänge zur Kenntnis zuerkennen, indem es den auf vier Leuten, welche beruflich Nachrichten gebracht werden, welche schweizeri- Jahre Gefängnis lautenden Strafantrag austauschen müssen. In diesem sche Interessen nicht unmittelbar be- ganz wesentlich herabsetzte. Dschungel des Nachrichtendienstes rühren.» Der Tatbestand war klar: Neben den Monatsberichten der Bundesanwalt-

106 Divisionärssohn mit Sex Kommandant der Offiziersschule den wo sich der Bräutigam um die Aus- verführt offensichtlich unfähigen Aspiranten reisebewilligung für die Braut und hatte entlassen wollen, der promi- deren Sohn aus erster, angeblich Hans-Ulrich Berli, geboren 1931, war nente Vater gestorben war; da habe durch Tod des Gatten beendeter Ehe der Sohn des ehemaligen Waffen- man den jungen Mann eben aus bemühen sollte. chefs der Infanterie und Kommandan- menschlichen Gründen behalten. Der naive Schweizer merkte nicht, ten der 7. Division. Der junge Mann Mutter Berli war froh, dass ihr Sohn dass ihn die gewiegte Gefährtin nicht kannte keine Geldsorgen. Aber als er endlich einen ordentlichen Beruf ins Aussenministerium, sondern ins 26 Jahre alt war, hatte er noch nicht hatte. Als Belohnung schenkte sie ihm ehemalige bischöfliche Palais diri- einmal seine kaufmännische Berufs- Geld, damit er erneut zu Ilse nach gierte, wo eine Abteilung der Staats- lehre abgeschlossen. Dafür war er Prag fahren konnte. Das war Anfang polizei untergebracht war. Am ersten Oberleutnant der Schweizer Armee! April 1958. Bei dieser Gelegenheit Tag waren die Herren sehr freundlich. Ein junger Mann, voll von Selbst- kam das blonde Schätzchen zur Sa- Der Hochzeit stehe nichts im Wege, zweifeln und Minderwertigkeitskom- che. Ilse und Hans-Ulrich beschlossen der Schweizer solle morgen noch- plexen, aber mit Zugang zu wichtigen zu heiraten. Schon am zweiten Tag mals kommen. Dann aber folgte die militärischen Geheimnissen. Derart führte sie ihn ins Aussenministerium, unvermeidliche Überraschung: Man ideale Zielpersonen bleiben den Ge- sehe es natürlich nicht gerne, wenn heimdiensten nicht lange verborgen! Tschechinnen ins kapitalistische Aus- Einmal mehr waren es die Tschechen, land heirateten, vor allem dann nicht, die sich durch besonderen Eifer her- wenn es sich um so qualifizierte Mit- vortaten. Letzter Auftritt in Uniform: Der mit Sex ver- arbeiterinnen wie Ilse Stieberova führte Oberleutnant Berli verlässt das Ge- Der Weg Berlis ins Verhängnis führte richtsgebäude in Zürich. Nach dem Prozess handle. Man müsse da schon über Ge- über das Bett eines schönen blonden wurde er aus der Armee ausgeschlossen. gendienste reden. Natürlich nichts, Mädchens, das sich Ilse Stieberova was sich gegen die Schweiz richte, nannte und als Reiseleiterin des staat- nur ein paar wirtschaftliche Meldun- lichen tschechischen Reisebüros Öe- gen... dok auftrat. Die beiden lernten sich Da beging Hans-Ulrich Berli die kennen, als Hans-Ulrich Berli mit sei- grösste Dummheit seines Lebens: Die ner Mutter eine Autobusreise nach glückliche Zukunft mit Weib und Prag unternahm. In der letzten Nacht Kind vor Augen, unterschrieb er eine vor der Rückreise verriet die schöne Verpflichtung, «für die Tschechoslo- Ilse dem entflammten Schweizer, sie wakische Republik zu arbeiten». Die sei in Wirklichkeit eine Agentin und Falle war zugeschnappt. müsse über sämtliche Reiseteil- nehmer Bericht erstatten. Die junge Akten aus Vaters Schrank Frau liess aber durchblicken, sie würde sich gerne aus den Fängen des Am 10. Mai 1958 um 15 Uhr traf sich Geheimdienstes befreien und in der Berli mit seinem Kontaktmann in der Schweiz ein neues Leben anfangen. Schweiz, dem dritten Sekretär der Dieser Trick, obwohl schon seit dem tschechischen Gesandtschaft, Ja- Turmbau zu Babel bekannt, verfing roslav Antos, beim Zytgloggeturm. bei Berli, der sich bei seiner Ritter- Als Erkennungszeichen trug er das lichkeit gepackt sah. Er lud Ilse zu internationale Segelfliegerabzeichen sich nach Bern ein. Dann, mit 27 Jah- im Revers. Die beiden Männer ren, schloss er endlich seine kaufmän- tauschten zur Sicherheit eine in Prag nische Lehre ab. Das war der erste vereinbarte Parole aus. wirkliche Erfolg seines Lebens. Offi- Sechs Wochen später lieferte Berli zier war er nur geworden, weil – so bereits – Treffpunkt: Perron 1 des wenigstens lautete die offizielle Ver- Bahnhofs Thun – die Namen und sion – just in dem Augenblick, als der Adressen von zwölf Instruktions- und Truppenoffizieren, einschliesslich

107 schliesslich denjenigen seiner eigenen Antos wurde immer begehrlicher: Wer hat Felix Moumié Regiments- und Bataillonskomman- Jetzt musste Berli den Nachlass sei- vergiftet? danten. Kurzfutter für Spione! Aber nes Vaters nach militärischen Unter- was wichtiger war: Nun zappelte der lagen durchforschen. Er fand eine «Merkwürdig», sagte der Arzt und Oberleutnant im Netz. Hätte er ab- 60seitige Denkschrift über Probleme Politiker Dr. Felix Moumié (geb. springen wollen, hätte ein anonymer des Instruktionsdienstes, die vermut- 1926) aus Kamerun zu seiner blonden Anruf an die Bundespolizei genügt. lich intime Angaben eines Kenners Schweizer Freundin. «Der zweite Berli war fortan unbegrenzt erpress- über Schwachstellen der Schweizer Pernod heute Abend hat so bitter ge- bar. Er musste alles tun, was Antos Armee enthielt. Dieses Dokument schmeckt.» Dann legte sich der Mann befahl. dürfte sich heute noch in einem Pra- in seinem Genfer Hotelzimmer zur Schon zwei Wochen später übergab er ger Geheimarchiv befinden. Die Ruhe. Aber an Schlaf war nicht zu ihm in Freiburg die Aufmarschpläne Tschechen, die Berli dafür vorerst nur denken. «Es fing mit einem Brennen einer Division und einer Brigade so- hundert Franken bezahlt hatten, dop- in den Füssen an», berichtete später wie Dokumente über Zusammenset- pelten später mit weiteren dreihundert die attraktive Liliane. «Ich massierte zung und Gliederung eines Schützen- nach, weil die Lieferung so interes- ihm die Beine, aber die Schmerzen bataillons mit detaillierten Angaben sant und wertvoll gewesen war. krochen unaufhaltsam höher.» Später über die Bewaffnung. Es waren Infor- In einer schwachen Stunde zog Berli, fielen dem blendend aussehenden mationen, die Berli aus den Lehrmit- der sein Elend nun durchschaut hatte, Afrikaner die Haare und die Zähne teln der Offiziersschule abgeschrie- einen Kollegen ins Vertrauen. Kurze aus. Die Ärzte waren machtlos. Nach ben hatte. Zeit später wurde er verhaftet. Er er- 17 Tagen war Felix Moumié tot: Rat- hielt vier Jahre Zuchthaus und wurde tengift! Umgeben von Leibwächtern, verharrt die aus der Armee ausgeschlossen. Der Das Rätsel um diesen Agentenmord Witwe des ermordeten Dr. Moumié (links Bundesrat ersuchte Jaroslav Antos, ist ungelöst geblieben. Alle Ver- aussen) einige Augenblicke auf dem Genfer innert 24 Stunden aus der Schweiz zu Friedhof Plainpalais. Sie behauptete, auch auf dachtsmomente sprachen gegen die sie sei in Genf ein Attentatsversuch verübt verschwinden. französische Terrororganisation «Ro- worden. te Hand» und deren zeitweiligen

108 Schweizer Mitarbeiter William Bech- und Ghana den Guerillakrieg seiner Was will William Bechtel? tel, der sich als Chemiker und Journa- Anhänger gegen die Franzosen. Mou- list tarnte. Als aber die Genfer Polizei mié erfreute sich sowjetischer Unter- Als Journalist und Inhaber einer im September 1976, 16 Jahre nach stützung. Nach Genf war er gekom- aussenpolitisch orientierten Genfer dem Mord an Moumié, diesen inzwi- men, um Waffen zu kaufen, Spenden Presseagentur getarnt, traf sich Wil- schen 82 Jahre alt gewordenen Kämp- zu sammeln, Bankkonten einzurich- liam Bechtel, damals schon 66 Jahre fer für das koloniale Frankreich end- ten und sich mit konspirativen Ge- alt, am Abend des 15. Oktobers 1960 lich am Wickel hatte, fehlten die letz- währsleuten zu treffen. Auf einem mit Dr. Moumié im Restaurant Le ten schlüssigen Beweise. William seiner Konten lagen bereits rund drei Plat d’Argent in Genf zum Nachtes- Bechtel wurde auf freien Fuss gesetzt. Millionen Franken, möglicherweise sen. Fest steht: Nach diesem vom be- Gelder, die Moskau zur Unterstüt- wussten bitteren Pernod eingeleiteten Guerillaführer und Lebemann zung des kamerunischen Guerilla- Mahl begann es dem Afrikaner Es war das erklärte Ziel des Dr. kriegs überwiesen hatte. schlechtzugehen. Fest steht ferner: Moumié, aus seiner Heimat Kamerun Aber der von seiner Frau getrennt le- William Bechtel war kein Mann der ein sozialistisches Land zu machen. bende junge Arzt liess auch Sinn für Presse; er wurde vielmehr als franzö- Die Franzosen wollten dies verhin- das angenehme Schweizer (Nacht- sischer Fallschirmoberst, Wider- dern; als Präsident der «Union des Po- )Leben erkennen. Er verliebte sich in standskämpfer, Veteran von Dien pulations Camerounaises» lenkte die 26jährige Genferin Liliane F. Bien Phu sowie mutmasslicher Agent Moumié nämlich von seinen wech- Schon nach den ersten zärtlichen des «Deuxième Bureau» und der «Ro- selnden Hauptquartieren in Guinea Stunden schärfte er ihr ein: «Wenn ten Hand» identifiziert. mir etwas zustossen sollte, dann Als französisch-schweizerischer Frau Moumié lässt in Genf das Gepäck ihres bringe meine Papiere sofort zur Bot- Doppelbürger reiste er häufig mit dem ermordeten Mannes verladen. Hinter ihr ein Bruder und der Sekretär des Ermordeten. schaft von Guinea nach Paris.» Dr. Schweizerpass Nr. 2380219, wobei Dieser Geheimdienstmord blieb unaufgeklärt. Moumiés letztes afrikanisches Haupt- die Vermutung naheliegt, der franzö- quartier hatte in Conakry, der Haupt- sische Geheimdienst habe ungeachtet stadt dieses Staates, gelegen. seines Pensionsalters jeweils auf

109 Bechtel zurückgegriffen, wenn es bekannten auf die Papiere des Ermor- knifflige Aufgaben zu erledigen galt. deten abgesehen gehabt. Obwohl Bechtel seine zwei Wochen Bechtel, von Moumié auf dem Sterbe- vor dem Nachtessen mit Moumié ge- bett des Mordes bezichtigt, hatte nicht mietete Villa in Chêne-Bourg zum einmal mehr die Zeit gehabt, alle Spu- Voraus bezahlt hatte, verschwand er ren zu verwischen: Bei der Haussu- spurlos aus Genf, als Felix Moumié chung fand die Polizei den Anzug, unter peinigenden Schmerzen ins den er am Abend des Treffens mit Kantonsspital eingeliefert wurde. dem Afrikaner getragen hatte. Es wa- Weisungsgemäss setzte sich auch Li- ren Mikrospuren von Thallium dran, liane F. mit allen Papieren nach Paris dem gleichen Gift, an dem das Opfer ab. Der Sterbende, den eine schlei- gestorben war. Ausserdem wurden im chende Lähmung befallen hatte, zurückgelassenen Gepäck des hoch- konnte nur noch flüstern: «Es war die dekorierten Fremdenlegionärs Mi- ‚Rote Hand’.» nox-Fotos gefunden, die Moumié, Später gab die Witwe des Ermordeten schweizerischfranzösische Zollge- zu Protokoll, ihr Mann habe am lau- bäude auf dem vorgesehenen Flucht- fenden Band Todesdrohungen per Te- weg und andere verräterische Einzel- lefon erhalten. In Léopoldville habe heiten zeigten. Ausserdem gab es man ihn zu entführen versucht, und in Aufnahmen von Häusern, in denen der kamerunischen Heimat sei er polizeibekannte Agenten und Sympa- mehreren Attentaten nur knapp ent- thisanten der algerischen Befreiungs- kommen. bewegung FLN wohnten. Kaum aus Paris zurückgekehrt, stiess 14 Jahre lang blieb es still um die my- auch Liliane F. Merkwürdiges zu, steriöse Affäre Moumié/Bechtel. Die ohne dass sie es vorerst merkte. Er- internationale Ausschreibung des schöpft und verzweifelt hatte sie eine Verdächtigten wurde aber aufrechter- Überdosis Schlaftabletten genommen halten. Natürlich war Bechtel in und war in eine Klinik eingeliefert Frankreich trotzdem sicher. Im Herbst worden. Eines Nachts, als die Patien- 1974 wagte sich der inzwischen 80 tin schon auf dem Weg der Genesung Jahre alt gewordene Exagent jedoch war, umrundete ein schwarzes Auto nach Belgien – und wurde aufgrund mit französischen Kontrollschildern des schweizerischen Fahndungsersu- das Klinikgebäude. Zwei Männer chens prompt festgenommen und stiegen aus und suchten Einlass. Dann nach Genf ausgeliefert. Im Prozess im aber, wahrscheinlich bei ihrem Ein- September 1976 leugnete der Ange- bruchsversuch gestört, flohen sie ha- klagte eisern. Das gerichtsmedizini- stig. Die Polizei bewachte die Zeugin sche Gutachten kam ihm zu Hilfe. Es darauf. Vermutlich hatten es die Un- lautete dahin, das tödliche Gift müsse Oben: Der mutmassliche Mörder von Moumié, schon lange vor der Einnahme des der schweizerisch-französische Doppelbürger merkwürdig bitteren Pernod in und Geheimdienstoffizier William Bechtel. 14 Moumiés Körper gelangt sein. Eine Jahre nach dem Mord wagte sich Bechtel aus frühere Begegnung zwischen Bechtel Frankreich heraus, wurde verhaftet und an die und Moumié – angeblich hatte ein er- Schweiz ausgeliefert. Aber die Tat konnte ihm trotz schwerwiegender Indizien nicht nachge- ster Kontakt bei einem «Interview» in wiesen werden. Mitte: Der ermordete Exilpoli- Accra stattgefunden – war weder aus- tiker Dr. Felix Moumié. Unten: Auf der Aus- zuschliessen noch zu beweisen. Das sichtsterrasse des Genfer Flughafens verfolgt Verfahren wurde eingestellt, und Liliane F. (hinten) den Abtransport des Sarges, Bechtel reiste unbehelligt nach Paris in dem ihr Geliebter ruht. zurück.

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Die falschen Ostblock immer häufiger einen be- Die angebliche Auslandschweizerfamilie Auslandschweizer sonderen und schwer erkennbaren Schwarzenberger besucht das Haus ihrer an- Agententyp ein, den «schlafenden» geblichen Grossmutter in der Schweiz (Szenen- bild aus dem ZDF-Film «Ein Schweizer wie be- Agenten, auch Perspektivagent ge- stellt» der Sator-Film Hamburg). Es gibt vier Prototypen von Agenten: nannt. den kühlen Profi, der seinen Auftrag Als Flüchtlinge oder Rückwanderer «schlafenden» Agenten sind ange- ausführt und dann wieder verschwin- kommen unauffällige Menschen in wiesen, durch eigenes Können und ei- det – wie William Bechtel; den Di- den Westen, suchen sich hier – meist gene Leistung Karriere in Schlüssel- plomaten oder Mitarbeiter einer inter- mit öffentlicher Hilfe – Arbeit und positionen zu machen. Ihr Einsatz ist nationalen Organisation, der oft unter Wohnung und bauen sich vermeintli- eigentlich erst für den Krisenoder den Augen oder wenigstens unter cherweise eine neue Existenz auf. Kriegsfall vorgesehen. dem Verdacht der Abwehr jahrelang Ihre «Legenden» (Lebensgeschich- seine Fäden spinnen kann – wie ten) sind meist Schicksalsromane von Frolov/Modin und die vielen diplo- verlorener Heimat und zerbrochener Sogar die Eheringe passen matischen Spione Nazideutschlands; Familie; ihre Papiere machen einen Der 29. Oktober 1953 war als Hoch- den kompromittierten Spion, der für authentischen Eindruck und halten zeitsdatum in die Ringe von «Otto» Geld arbeitet (wie Gerber) oder aus auch kritischer Überprüfung stand; und «Ludmilla» graviert. Selbst die- den verschiedensten Gründen, wie se- denn nicht selten laufen diese Agen- ses Detail war genau auf die Legende xuellen Fehltritten, Bestechlichkeit, ten unter einem Namen, dessen Trä- zugeschnitten, die das tschechische Geschwätzigkeit usw., erpressbar ist ger ahnungslos und ohne die Mög- Berufsagentenpaar Eva und Otto – wie Berli oder Jeanmaire; seit dem lichkeit der Ausreise und des Protests Schwarzenberger für seine Langzeit- Beginn der sechziger Jahre setzt der weiter im Ostblock lebt. Diese mission in der Schweiz entgegenzu-

111 nehmen hatte. Alles ausser dem Vor- namen des Mannes war erfunden: der rührende Schicksalsroman des Aus- landschweizer-Ehepaars Baltensper- ger, seine Mittellosigkeit, seine Ab- scheu vor dem Kommunismus, sein Wille, in der alten Heimat ein neues Leben anzufangen. Es war wirklich eine ergreifende Ge- schichte, die der damals 31jährige Otto Schwarzenberger alias Balten- sperger dem Beamten in der Schwei- zer Gesandtschaft zu Prag erzählte. Vor einem Jahr, so Schwarzenberger, habe sich bei der allgemeinen Erneue- rung der Personalausweise in der Tschechoslowakei zu seinem grös- sten Entsetzen herausgestellt, dass er ja gar kein richtiger Tscheche sei, sondern Schweizer; seine Pflegeel- tern hätten ihm immer verschwiegen, dass er der uneheliche Sohn der ost- wärts ausgewanderten Emma Balten- sperger von Brütten ZH sei. Jetzt hät- ten ihm die tschechischen Behörden nur einen Ausweis für Staatenlose ge- geben. Trotz seines abgeschlossenen Studiums sei er in ein Bergwerk ge- schickt worden und müsse als Hilfs- arbeiter seine Frau und die beiden Kinder durchbringen. Er habe nun keinen sehnlicheren Wunsch, als in Gottes Namen in seine unbekannte Schweizer Heimat auszuwandern. Der Gesandtschaftsbeamte blieb vor- sichtig. Der Besucher hatte zwar ein- wandfreie Papiere, die seine Legende stützten; aber natürlich waren zuerst Nachforschungen in der Schweiz an- zustellen. Als sich in Brütten bestä- tigte, dass es wirklich eine Emma Baltensperger gegeben hatte, deren Verbleib infolge Auswanderung un-

Oben: Otto Schwarzenberger (links) und Vlastimil Glaser (rechts) warten vor dem Gerichtssaal auf ihren Prozess. Unten links: Die Spionageausrüstung der Familie Schwar- zenberger. Rechts: Eva Schwarzenberger, bewacht von einem Polizeibeamten, im Korri- dor des Gerichtsgebäudes in Aarau.

112 bekannt war, begannen die Schweizer zurückkehrenden Auslandschweizern an diese ungewöhnliche Story zu üblich ist, zu einer Nachrekrutierung glauben. In der Tat war diese Frau aufgeboten. Weil er perfekt Tsche- nach der Tschechoslowakei ausge- chisch sowie gut Russisch und Pol- wandert, aber zeit ihres Lebens kin- nisch sprach und die Gesinnungsan- derlos geblieben: Die Fälscher vom gaben auf dem Fragebogen («demo- Geheimdienst hatten ihr einfach, als kratisch», «antitotalitär», «vaterlän- sie schon lange unter der Erde lag, ei- disch») durch nichts zu widerlegen nen unehelichen Sohn unterschoben, waren, wurde der Bock gleich zum um einen ihrer Agenten in die Gärtner gemacht: Baltensperger wur- Schweiz zu schleusen. de als HD in eine geheime Spezialab- Der Trick gelang! Am 19. Januar teilung des Armeestabs eingeteilt. Ein 1959 reiste die Familie in die Schweiz Jahr später, drei Monate vor seiner ein, wurde in Zürich fürsorglich emp- Verhaftung, absolvierte der Tsche- fangen und auf Kosten der Heimatge- chenspion als Dolmetscher und Über- meinde – rund 1‘600 Franken – setzer in der Schweizer Militärspio- vorerst in einem Heim untergebracht. nage einen zehntägigen Einführungs- Dann besorgte das Zürcher Sozialamt kurs. Dabei muss er sich freilich den falschen Baltenspergers eine durch sein Benehmen verdächtig ge- Wohnung in Zürich-Schwamendin- macht haben. Jedenfalls erstatteten gen. Otto Baltensperger wurde Büro- zwei misstrauische Kameraden eine list in der Schokoladenfabrik Lindt & Meldung. Sprüngli in Kilchberg. Schon vier Möglicherweise wäre nach dieser An- Monate nach ihrer Einreise konnte zeige noch nicht viel passiert, wenn sich die Familie einen Volkswagen nicht einen Monat später ein anderer leisten, mit dem sie zahlreiche Aus- aufmerksamer Bürger den Weg Bal- flüge in der neuen Heimat unternahm. tenspergers gekreuzt hätte: Ein Arbei- Um sich in Zürich besser einzuleben, ter fand bei Grabungen in der Nähe belegte das Ehepaar Kurse in Schwy- des Schiessstandes Probstei in Zü- zerdütsch. rich-Nord einen vergrabenen Funk- Am 1. September 1960, anderthalb empfänger. Die Kantonspolizei Zü- Jahre nach der erschwindelten Ein- rich begann ihre Pendenzen durchzu- reise, erreichte Otto Schwarzenberger sehen und zu kombinieren. Die Fund- alias Baltensperger ein erstes Ziel: stelle lag auffallend nahe bei der Nach systematischer Lektüre der Wohnung der Baltenspergers. Beim Stellenanzeigen in der «Neuen Zür- Funkgerät handelte es sich eindeutig cher Zeitung» wechselte er vom Per- um eine Anlage, wie sie die tschechi- sonalbüro der Schokoladenfabrik in sche Spionage als Reserveausrüstung die Betriebsbuchhaltung von Bührle abgab. Jetzt wurden die Ausland- in Zürich, wobei es sicherlich kein schweizer mit der merkwürdigen Zufall war, dass er sich ausgerechnet Vergangenheit beschattet. Wochen- diesen stark rüstungsorientierten Be- lang geschah nichts. Aber die Fahn- trieb aussuchte. der gaben nicht auf. Erst am 4. Januar 1961 benahm sich Otto Schwarzenberger alias Balten- Ostagent wird sogar Soldat sperger auffällig. Um 18 Uhr kaufte Vom ersten Tag an gaben sich er am Kiosk Ecke Bahnhofstras- Ludmilla und Otto Baltensperger als se/Rennweg in Zürich eine ‚NZZ‘, senkrechte und dankbare Schweizer. klemmte sie unter den Arm und hielt Im November 1959 wurde das Ober- eine Viertelstunde lang Ausschau. haupt der Agentenfamilie, wie das bei Dann spazierte er zum Lindenhof,

113 wartete dort kurz und kam, ständig rückwärts blickend, zurück. An- schliessend begab er sich zum Werd- mühleplatz, telefonierte dort und stieg direkt vor der Stadtpolizei-Hauptwa- che in seinen parkierten VW, um nach Hause zu fahren. Abermals dauerte es fast drei Wo- chen, bis die inzwischen verstärkte Beschattung Erfolg hatte. Wieder wartete Schwarzenberger um 18 Uhr mit der NZZ unter dem Arm vor dem gleichen Kiosk. Wieder stieg er zum Lindenhof empor. Da tauchte ein Un- bekannter mit Schnauz und Tirolerhut auf, der Baltensperger folgte und sei- nerseits misstrauisch nach Verfolgern Ausschau hielt. Bei der Pfalzgasse stiess ein zweiter Unbekannter auf das Gespann. Die beiden unterhielten sich kurz. Baltensperger verliess den Lindenhof, gefolgt von den zwei Männern. In scheinbar sinnlosem Zickzackkurs durchstreiften die drei etwa ein Dutzend Strassen und Gas- sen im Rennwegquartier; offensicht- lich sollten allfällige Verfolger abge- schüttelt werden. Aber die durch Bupo-Inspektoren verstärkten Zürcher Detektive brauchten nicht hinterherzurennen, sie hatten überall ihre Beobachtungs- posten, die durch Funk miteinander in Verbindung standen. Die drei Männer wurden verhaftet. Der Verdacht be- stätigte sich. Es war ein – freilich recht laienhaft inszenierter – Agen- tentreff gewesen. Vlastimil Glaser und Bohuslav Pavlik besassen tsche- chische Diplomatenpässe, ohne aber in Bern ordnungsgemäss akkreditiert zu sein. Otto Schwarzenberger wurde zu zwölf, seine Frau Eva zu sechs Jah- ren Zuchthaus verurteilt. Glaser wur- de trotz der wütenden Proteste aus Prag ebenfalls vor Gericht gestellt und kassierte fünf Jahre. Pavlik, der der gleichen Geheimdienststelle an- gehört hatte, wurde vor dem Prozess gegen zwei in der Tschechoslowakei zu Unrecht festgehaltene Schweizer

114 ausgeliefert, zumal er an unheilbarem Treffs und noch vieles andere, das in denstrasse 23 in Effretikon ZH. Die Krebs litt. Kurz nach seiner Rückkehr jeden Spionagefilm passen würde. Nachbarn lächelten und freuten sich, nach Prag starb er. Der tote Briefkasten war meist eine denn sie und er waren beide schon an leere Zigarettenpackung der Marke die fünfzig Jahre alt. Ihre Fünfein- Ein Fall wie aus dem Büchlein Parisiennes, die zwischen einer Sand- halbzimmerwohnung hatten die bei- kiste und dem Brückengeländer ein- den Jungverheirateten bürgerlich ein- Noch heute veranschaulicht der Fall geklemmt sein musste. Das Vorsi- gerichtet, und in der Garage stand ein Schwarzenberger ausgezeichnet Tak- gnal, mit dem der Spion seinem Füh- silbergrauer Toyota. Das Schmuck- tik, Organisation und Technik des be- rungsoffizier anzeigte, ob etwas abzu- stück aber war die antike Truhe im sonders aktiven tschechischen Ge- holen sei, war ein abgebrochener Na- Wohnzimmer. Als die Bundespolizi- heimdienstes. Das Verfahren, das gel an einem Wegweiserpfahl. Zeigte sten an der richtigen Stelle zogen, er- hinter verschlossenen Türen statt- der Nagel nach unten, war nichts da. wies sie sich als ein wahres Schatz- fand, gab Aufschluss über die Rekru- Als Vorsignal diente auch ein be- kästlein, denn darin kam neben einem tierung, Einschleusung und den Auf- stimmter Telefonbuchband in einer der insgesamt vier Geheimsender des gabenbereich der Agenten, ein- nahen Telefonkabine. Wenn dort auf Ehepaars ein einmaliges Geheim- schliesslich ihrer Einsatzmethoden, dem Vorsatzblatt die Nummer 167 dienstdokument zum Vorschein: der bis in alle Einzelheiten. Da waren tote eingekreist war, gab es etwas abzuho- allgemeine Auftrag für den Aufbau Briefkästen (bei Kloten und an der len. der Residentur Schweiz, den die Gessnerbrücke bei der Zürcher Sihl- Die Nummer 167 steht sinnigerweise freundlichen Eheleute von Effretikon post), Mikrofilme, konspirative für Nachrichtendienst... zu erfüllen hatten. In dem Papier wur- Links oben: Was von aussen wie eine normale den die Spione u.a. zu einer «kontinu- alte Truhe in einer bürgerlichen Wohnung aus- Wölfe im Schafspelz ierlichen Lieferung von Informatio- sah, enthielt ein Geheimversteck des Ehepaars nen» über Planung, Organisation und Wie zwei frisch Verliebte gingen sie Wolf (unten links). Ausser Führungsbefehlen Erprobung der schweizerischen Lan- jeden Morgen händchenhaltend aus fand die Polizei darin auch einen Sender (un- desverteidigung, über die Auswir- ten). dem Achtfamilienblock an der Lin- kung neuer Waffentechniken, über das Rüstungswesen, insbesondere über Artillerie und Flab, über die mi- litärische Zusammenarbeit mit ande- ren neutralen und mit benachbarten Staaten, insbesondere mit der Bun- desrepublik Deutschland, aufgefor- dert. Auf diesem von den Führungs- offizieren in Ostberlin diktierten Wunschzettel standen ausserdem An- gaben über die Massnahmen der Schweiz zur Wahrung der Neutralität, über ihre Haltung zur europäischen Sicherheitskonferenz und zur Aner- kennung der DDR, ferner über innen- politische Entwicklungen. Das stets verliebte Ehepaar in reifen Jahren war der Inbegriff schweizeri- scher Biederkeit: 61’000 Franken versteuertes Einkommen, ein biss- chen Vermögen und eine Lebensfüh- rung, die so solid war, dass die Kolle- gen den Mann manchmal hänselten, weil er nicht einmal zum Feierabend- bier mitkommen mochte.

115 Die beiden Menschen, die im Haus und bei den Nachbarn durch ihre Lie- benswürdigkeit geradezu auffielen, nannten sich Kälin, hiessen aber Wolf und waren sozusagen Wölfe im Ein- siedler Schafspelz. Im September 1973 wurden sie ver- haftet, 1975 erhielten sie vom Bun- desstrafgericht je sieben Jahre Zucht- haus. Die für Friedenszeiten unge- wöhnliche Höhe dieser Strafe lässt darauf schliessen, dass das Gericht die Gefährlichkeit und die Schuld der beiden als ausgesprochen hoch ein- schätzte. Hans-Günter Wolf und seine Frau Gi- sela waren von der «Verwaltung für Koordination» des Ministeriums für Nationale Verteidigung der Deut- schen Demokratischen Republik nach Effretikon entsandt worden, um dort eine sogenannte illegale Residentur aufzubauen: den Meldekopf für ein ostdeutsches Spionagenetz! Denn niemand anders als der militärische Geheimdienst der DDR steckt hinter dem nichtssagenden Amtsnamen. Wie acht Jahre zuvor die Tschechen Eva und Otto Schwarzenberger waren auch die Wolfs als heimwehkranke Auslandschweizer aus dem Ostblock zurück in die liebe alte Heimat ge- reist. Auch Hans-Günter und Gisela hatten einwandfreie Papiere präsen- tiert: nicht weniger als 19 perfekt ge- fälschte Schweizerpässe, Personalur- kunden, Zeugnisse, Diplome und Scheidungsurteile.

Kälins zweites Ich Die Scheidung der Ehe musste sein, denn die Wolfs bedienten sich des Namens eines in der DDR lebenden Schweizers namens Hans Kälin (geb.

Die bürgerliche Tarnung des Ehepaars Wolf / Kälin war perfekt. Zum Schein heirateten die beiden nochmals (oben). In einem unauffälli- gen Wohnblock mieteten sie sich ein (Mitte), und im Tennisklub von Effretikon war der fal- sche Herr Kälin (unten, Spieler links) sehr be- liebt.

116 1922). Dieser Hans Kälin, Bergmann von Beruf, verheiratet und Vater von drei Kindern, wurde mit seiner garan- tiert echten Einsiedler Biografie un- wissentlich zum zweiten Ich des Hans-Günter Wolf, der nach einem Doppelstudium als Maschineninge- nieur und Wirtschaftswissenschafter einen fünfzehn Monate dauernden Agentenkurs mit Fotografieren, Chif- frieren und konspirativem Verhalten absolviert hatte und Offizier der Na- tionalen Volksarmee geworden war. Über das Schicksal des richtigen Hans Kälin konnte die diplomatische Ver- tretung der Schweiz in Ostberlin trotz wiederholter Bemühungen nichts in Erfahrung bringen. Hans-Günter und Gisela Wolf hatten sich noch in der Hitler-Jugend ken- nengelernt und 1949 geheiratet – was sie aber nicht hinderte, den Trauungs- akt unter dem neuen, biederen Ein- siedler Namen in Illnau-Effretikon vor einem nichtsahnenden Standesbe-

amten nochmals zu vollziehen. Nur sie selber können wissen, ob die all- morgendliche Verliebtheit echt gewe- sen ist – oder ob sie ebenfalls bloss zur sorgfältig aufgebauten Legende gehörte. Tatsache ist: Maschineningenieur Wolf wurde schon kurz nach seiner Einreise in die Schweiz bei Sulzer in Winterthur in der Abteilung Arbeits- studien beschäftigt. Seine Leistungen «entsprachen den Anforderungen», wie die Firma später erklärte. Ehefrau Gisela, die die DDR getrennt von ihrem Mann verlassen hatte, ver- dingte sich als angeblicher Flüchtling unter dem falschen Namen Ursula Meissner vorerst bei der «Badischen Zeitung» in Freiburg im Breisgau als Journalistin und Hilfsredaktorin. Das Zeug dazu hatte sie ohne Zweifel, denn zehn Jahre lang war sie eine wichtige Mitarbeiterin einer linien- treuen Parteizeitung in Halle gewe- sen. Von einer echten Flucht konnte

Was sich hinter den biederen Kälins versteckte, In den ausgehöhlten Stielen der Haarbürsten fand die Polizei bei der Hausdurchsuchung fanden sich geheime Aufzeichnungen, ähnlich heraus. Im Beauty Case von Frau Gisela wie auf den Musterbildern (Mitte und unten). (oben) waren raffinierte Verstecke eingebaut. 117 frierunterlagen, eine Minox-Kamera- ausrüstung, Taschenmikroskope, Ta- bletten für die Herstellung von Lösun- gen zum Lesen geheimer Tinten usw. gefunden hatte. All diese Dinge wa- ren in raffinierten «Containern» ver- steckt gewesen, zum Beispiel im Griff eines Tennisrackets, in einer Haarbür- ste und in Kosmetikabehältern.

Jeanmaire: Die Chronik einer Tragödie

«Als Angehöriger der Abteilung für Luftschutztruppen, zu deren Chef Jean- Louis Jeanmaire auf den 1. Januar 1969 aufstieg, verfügte er über umfassende Kenntnisse hinsichtlich dieser Truppen- gattung. Er gab diese in bedeutendem Umfang an seine Auftraggeber weiter. Reglemente und Unterlagen ver- schiedenster Art, von der geschichtli-

chen Entwicklung bis zu Schemen über die Gliederung der verschiedenen Ein- Beim Prozess in Lausanne waren die beiden überführten DDR-Spione Gisela und Hans-Günter heiten, gelangten so, begleitet von hand- Wolf, wie es sich für Geheimdienstprofis gehört, krampfhaft bemüht, ihre Gesichter vor den Fo- tografen zu verbergen. Trotzdem gelangen den Reportern diese beiden Schnappschüsse. Beide schriftlichen Aufzeichnungen und Spione wurden zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. mündlichen Informationen, in die Hände der UdSSR. Das Interesse der russischen natürlich keine Rede sein; der nahe sela Wolf hatte die Polizei sodann Agenten galt aber nicht nur diesem Teil der Schweiz angesiedelte Alibiposten eine von ihrem Mann verfasste Notiz unserer Armee, sondern der Gesamtver- diente nur dazu, ihren angeblichen über hängige Grossaufträge gefun- teidigung schlechthin. Unter anderem «Jugendfreund» Hans-Günter, der in den; diese Botschaft hatte offenbar machte Jeanmaire Angaben über die Wirklichkeit ihr Mann war, eines Ta- nicht mehr nach Ostberlin gefunkt Territorialzonen und über die Organisa- tion der Gesamtverteidigung. Auch aus ges «zufällig» wiederzusehen und ihn werden können. Das Paar hatte auch dem Bereich der Kriegsmobilmachung vom Fleck weg zu heiraten. Meldungen über die Sulzer-For- hat Jeanmaire geheimste Unterlagen und Als die beiden stillen Spione nach schung im Motorenbau, über die Zu- Informationen geliefert.» fünfjähriger und für die Auftraggeber sammenarbeit mit der Bundesrepu- Bundesrat Kurt Furgler am 7. Oktober sicherlich segensreicher Tätigkeit blik und über die Marktstrategie des 1976 vor dem Nationalrat aufflogen, beeilte sich der Winterthu- stark exportorientierten Konzerns rer Maschinenbaukonzern zu versi- weitergegeben. Die Herren sprachen leise, und die chern, weder Wolf alias Kälin noch Im Lichte dieser Dokumente und Be- Handschellen klickten unhörbar, als seine Gattin hätten Zugang zu irgend- weise glaubte kein Mensch im dunkel der pensionierte Brigadier Jean-Louis welchen geheimen Projekten, zu Ver- getäferten Lausanner Bundesge- Jeanmaire (geb. 1910) am Morgen trauensunterlagen, zu Forschung und richtssaal die Unschuldsbeteuerun- des 9. August 1976 unweit des Lau- Entwicklung und zu bestimmten ver- gen der beiden Agenten, wonach sie sanner Bahnhofs verhaftet wurde. Der traulichen Geschäftsentscheiden ge- ihre Residentur nur für den Kriegsfall Donner, der diesem Blitzschlag folg- habt. aufgebaut und die gesamte nachge- Im Prozess war dann freilich zu erfah- wiesene Nachrichtentätigkeit im ren, dass die beiden – obwohl in un- 14 Jahre lang bewegte sich Brigadier Jean- Frieden nur als Übungen durchge- Louis Jeanmaire als Sowjetspion in den fein- tergeordneter Stellung und ohne Vor- führt hätten. Dem widersprach auch sten Kreisen, zum Beispiel inmitten von höch- gesetztenfunktionen – sich ein Be- die Tatsache, dass die Polizei in der sten Offizieren, Politikern und Chefbeamten an schlussprotokoll und eine Liste wich- Effretiker Wohnung ausser den ei- einer Landesverteidigungsübung (oben, Pfeil) tiger Bestellungen zu verschaffen ge- gens für Geheimdienstzwecke gebau- oder an gediegenen Cocktail-Empfängen (un- wusst hatten. Im Beauty Case der Gi- ten Sendern auch komplette Chif- ten).

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te, rollte mit fünftägiger Verzögerung auszuüben. In den dreissiger Jahren durch die Schweiz und halb Europa. wurde er Instruktionsoffizier der In- Der Fall Jeanmaire erschütterte nach- fanterie und machte eine mittlere Kar- haltig das Vertrauen vieler Schweizer riere. Sie war keineswegs so unbedeu- Bürger und Wehrmänner in die Zu- tend, wie dies immer dargestellt verlässigkeit ihrer höchsten Führer, wurde! Immerhin brachte es Jean- löste eine anhaltende Diskussion über maire zum Brigadier mit einem Jah- die Beförderungspraxis in der Armee reseinkommen von über 100’000 aus, bewog das Militärdepartement zu Franken. 1962 wurde er von der Infan- bedeutend schärferen Bestimmungen terie zum Luftschutz versetzt, um des- über den Umgang schweizerischer sen Auf- und Ausbau er sich unbestrit- Geheimnisträger mit fremden Diplo- tene Verdienste erwarb. Prominente maten und führte schliesslich – vom Entlastungszeugen, darunter der Neu- 14. bis 17. Juni 1977 – zum umstrit- enburger Staatsrat François Jeanneret, tensten Prozess in der Geschichte der hoben seine fachliche Tüchtigkeit und schweizerischen Militärgerichtsbar- seine Hingabe an den Dienst hervor. keit. Das Verfahren endete mit einer Auch die Qualifikationen seiner Vor- Strafe von 18 Jahren Zuchthaus für gesetzten, einschliesslich des damali- den Brigadier und einem Freispruch gen Generalstabschefs Johann Jacob für seine kranke Ehefrau. Vischer, lauteten durchaus nicht un- Als der weisshaarige, gedrungene günstig, wenngleich nicht besonders Luftschutzgeneral mit dem Voll- begeistert. Jeanmaire war eben ein mondgesicht hinter den Toren des Polterer und Haudegen, der mit jeder- Lausanner Gefängnisses von Bois- mann, ob hoch oder niedrig, per du Mermet verschwand, waren im EMD verkehrte, mit seiner abfälligen Mei- immer noch Dutzende von Beamten nung über die Bürogeneräle in Bern damit beschäftigt, die von Jeanmaire nicht hinter dem Berg hielt und als er- verratenen geheimen Dispositionen klärter Freund der gepflegten Tafel der Schweizer Armee für den Ernst- und des roten Weines galt. fall abzuändern, soweit dies möglich 1962, als er gerade von der Infanterie ist. Was aber hat der Brigadier wirk- zum Luftschutz umgeteilt worden war lich verraten? Der Prozess, der mit und als Sektionschef zu amten begann, Ausnahme der Vorfragen und des Ur- lernte er den damaligen sowjetischen teils unter Ausschluss der Öffentlich- Militärattaché Wassili Denissenko in keit durchgeführt worden ist, hat diese Bern kennen. Dieser blendend ausse- wichtigste Frage offengelassen. Die hende, hochgewachsene Offizier mit vom Gericht bestellten Informations- den perfekten Umgangsformen, der in offiziere, die am Abend jedes Prozess- Als Diplomaten getarnte Sowjetspione hat es schon immer gegeben. Vor Wassili Denissen- diplomatischen Kreisen der Bundes- tages sorgsam gefilterte Informatio- ko (oben), der Jeanmaire anwarb, musste zum stadt den Ruf eines hervorragenden nen an die Presse Weitergaben, Beispiel der Diplomat Savine (unten) die Pianisten und erlesenen Salonlöwen schwiegen sich zu diesem Thema aus. Schweiz verlassen (1970). genoss, machte dem ungeschliffenen Nicht einmal Bundesrat Furglers Aus- Haudegen einen ungewöhnlichen Ein- sage im Nationalrat wurde bestätigt. druck: Denissenko erschien dem Bri- Ein Haudegen läuft ins Messer Das Volk muss politisch mit diesem gadier als «Grand Monsieur», als Ver- Tief schlag fertig werden; es muss Jean-Louis Jeanmaire, Bürger von körperung des alten zaristischen Offi- auch den Preis für Jeanmaires Verrat Les Brenets und Mont-Tramelan, zierstyps, der ausserdem über Kriegs- bezahlen – aber es darf nicht einmal wuchs, wie Zeugen im Prozess aus- erfahrung verfügte und «für meine Ar- so viel wissen, wie dem sowjetischen sagten, unter dem starken Druck sei- beit ein Interesse zeigte, das ich bei militärischen Geheimdienst GRU nes autoritären Vaters auf, für den er meinen Vorgesetzten vermisste», wie längst bekannt ist! grenzenlose Hochachtung empfand, was aber nicht ausreichend in Form von väterlicher Liebe erwidert wurde. Mitten in den Krisenjahren schloss Jeanmaire ein Studium als Architekt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ab, ohne diesen Beruf je

120 Richter: Richter: Major Richter: Oberst Grossrichter: Oberst Richter: Richter: Richter: Gefreiter Major Georges Jean- Pierre Ri- Pierre Christe, Bertrand Hou- riet, Adj Uof Bernard Fourier Bernard Jean Guinand, Oelsberg Neuenburg Roubaty, Villars Voirol, Chaux-de- Neuenburg Corpataux, vara Genf Fonds Ecuvillens s.Gläne

wollte nicht foto- grafiert werden

Angeklagte Marie- Angeklagter: Alt Louise Jeanmaire Brigadier Jean- wollte (61) Louis Jeanmaire nicht foto- (67) Verteidiger: Maitre grafiert Verteidiger: Roger werden Oberstlt Jean- Fe- Auditor (Ankläger): Courvoisier, lix-Paschoud, Oberst Pierre Dinichert, Lausanne (für Frau Lausanne (für JL. Genf Jeanmaire) Jeanmaire)

Richter, Verteidiger und Gerichtssaal im In der Rückschau erscheint die An- Schweiz sei doch in Wirklichkeit gar Jeanmaire-Prozess. Er wurde so geheimgehal- werbung Jeanmaires als Bilderbuch- kein neutrales Land. Zugleich kom- ten, dass im Saal während des Verfahrens nicht promittierte er die Jeanmaires mit Ge- einmal fotografiert werden durfte... beispiel sowjetischer Geheimdienst- taktik. Zuerst schmeichelte sich De- schenken: Schmuck, Zinngeschirr, sich Jeanmaire im Prozess ausdrück- nissenko kraft seiner gewinnenden Wodka. Als zusätzliche Sicherung te. Persönlichkeit in das Vertrauen des diente das Verhältnis mit Frau Jean- Auch Ehefrau Marie-Louise Jean- sich verkannt fühlenden Schweizer maire. Kaum hatte Jeanmaire die er- maire (geb. 1916) war von Denissen- Berufsoffiziers ein. Aus der Bekannt- sten, wahrscheinlich unverfänglichen, ko beeindruckt. Ihre Eltern hatten, als schaft wurde eine private Freund- aber eben doch als vertraulich oder sie ein Jahr alt war, aus der von der schaft mit Einladungen und gemein- gar geheim klassifizierten Informatio- Oktoberrevolution erschütterten Sow- samen Nachtessen. Unmerklich für nen und Dokumente aus der Hand ge- jetunion in die Schweiz zurückkehren den Brigadier entwickelte sich der ge- geben, wurde er erpresst: Wenn du müssen und dabei erheblichen Ver- duldete und möglicherweise auch für nicht weiter lieferst, bist du selbst ge- mögensschaden erlitten. Marie-Loui- die Schweiz nützliche Meinungs- und liefert... se Jeanmaire fühlte sich zu diesem Erfahrungsaustausch zum verbotenen 1964 verabschiedete sich Denissenko Offizier der alten Schule hingezogen, Nachrichtendienst. Wenn Jeanmaire von der Schweiz, nicht ohne seinem so dass es später zu einem intimen zögerte, provozierte ihn Denissenko Lausanner Freund noch anonym ei- Verhältnis kam. gekonnt mit der Bemerkung, die nen Fernsehapparat als Abschiedsge-

121 schenk zukommen zu lassen. Bargeld, das ihm Denissenko einmal bündel- weise angeboten hatte, hatte Jean- maire empört zurückgewiesen. «Ich verkaufe mein Land nicht», habe er Denissenko damals angeschrien. Spä- testens in diesem Augenblick musste der Brigadier geahnt haben, dass er unrettbar in den Fängen des sowjeti- schen Geheimdienstes zappelte. Die Sowjets wussten das natürlich auch. Denissenkos Nachfolger Wladi- mir Strelbitzki war schon weniger kultiviert. Jeanmaire: «Er machte mir Angst. Er setzte mich unter Druck. Ich lieferte weiter, um die Verbindung aufrechtzuerhalten; denn ich scheute einen fatalen Abbruch der Beziehun- gen.» Der zum Verräter gewordene Patriot, der der Truppe gegenüber im- mer seinen strengen Antikommunis- mus zur Schau getragen hatte, wurde von Attaché zu Attaché weiterge- reicht wie ein Wanderpreis. Es folg- ten Victor Issajew und Wladimir Da- vidoff. Allein die Liste der von Jean- maire preisgegebenen Dokumente umfasste mehrere Schreibmaschinen- seiten: «Es waren ganze Pakete», sagte der Presseoffizier im Prozess. Der Chef der Sektion für Geheimhal- tung im Generalstab brauchte mehr als anderthalb Stunden, um mit dem Gericht die Bedeutung dieser Liefe- rungen Punkt für Punkt durchzuge- hen.

Schwere Schuld – harte Strafe Am späten Nachmittag des 17. Juni 1977 sprach das Divisionsgericht 2 im Palais de Montbenon zu Lausanne nach ganztägiger Beratung sein Ur-

Der Prozess gegen Jeanmaire stiess trotz Ge- heimhaltung auf grösstes öffentliches Interesse. Oben: Die Richter verlassen das streng über- wachte Gebäude (Mitte), in dem das Verfahren stattfand. Unten: Die rund hundert Journali- sten mussten sich mit den zensurierten Vorträ- gen der Informationsoffiziere begnügen. Das Misstrauen blieb.

122 teil: 18 Jahre Zuchthaus für Jean- strafe (20 Jahre) gingen, hing mit dem maire in die Schweizer Generalität Louis Jeanmaire, Degradierung und Rang des Angeklagten und seiner aufrücken konnte. Im Anschluss an Ausschluss aus dem Heer. Der 67jäh- Funktion als Chef von rund 30’000 das Bekanntwerden des Falls wurde rige Soldat nahm den Spruch aufrecht schweizerischen Wehrmännern zu- von vielen Seiten heftige Kritik an stehend und völlig regungslos entge- sammen, sodann erklärtermassen der Beförderungspraxis in der gen – in einer Haltung und einer Tap- auch mit der Tatsache, dass Jean- Schweizer Armee geübt: Sie stütze ferkeit, die, hätte er sie früher an den maire als Mitglied eines Divisionsge- sich zu starr auf Dienstjahre und un- Tag gelegt, ihn vor diesem Augen- richts während Jahren andere Wehr- geschriebene Gesetze; charakterliche blick der Schande hätte bewahren männer für ungleich leichtere Delikte Eignung und fachliche Qualifikation können. hatte verurteilen helfen, während er spielten nur eine untergeordnete Grossrichter Oberst Bertrand Houriet selber fortgesetzt in schwerster Weise Rolle. Im Nationalrat wurde kritisiert, betonte in seiner kurzen Urteilsbe- Verbrechen beging. dass Kriecher und Anpasser allemal gründung, dass ohne die militärischen die besten Chancen hätten und dass Beziehungen sowie das richtige Par- Verdienste des Brigadiers die Höchst- Wie ist so etwas möglich? strafe ausgesprochen worden wäre. teibuch und die passende geographi- Aus den Erwägungen des Gerichts Noch vor dem Prozess wurde eine un- sche Herkunft zu stark gewichtet ging weiter hervor, dass die von den ter der Leitung von Nationalrat Dr. würden. In seiner grossen Jean- mai- Verteidigern vorgebrachte Einrede Alfons Müller-Marzohl (Luzern) ste- re-Rede vom 7. Oktober 1976 bestritt der Verjährung keine Rolle spielte, da hende parlamentarische Arbeits- Bundesrat Furgler nicht das Versagen alle Handlungen von einem einheitli- gruppe eingesetzt, die vor allem ab- des Qualifikations- und Beförde- chen Vorsatz ausgingen und somit der klären muss, wie ein Mann wie Jean- rungssystems in diesem Einzelfall, Zeitpunkt der letzten Tat massgebend wies aber die grundsätzliche Kritik an Auf den Arm ihres Sohnes gestützt, geht die war. Freigesprochen wurde der Briga- schwerkranke Marie-Louise Jeanmaire ins diesem Verfahren zurück. dier lediglich vom Vorwurf der passi- Gericht. Sie wurde freigesprochen. ven Bestechung. Trotz ihres erhebli- chen Wertes betrachtete das Gericht die vom Ehepaar Jeanmaire entge- gengenommenen Geschenke nicht als Entschädigungen für den Nachrich- tendienst, sondern als noch übliche Gefälligkeiten unter Freunden. Das Gericht anerkannte, dass Jeanmaire weder aus Geldgier noch aus politi- schen Motiven gehandelt habe; viel- mehr seien seine Beweggründe in Charakterschwäche, vermischt mit Geltungssucht, Stolz und Frustration, zu suchen. Entgegen den Annahmen der Zeugen betrachtete es das Gericht als erwiesen, dass Jeanmaire die Ver- setzung von der Infanterie zum Luft- schutz eben doch als Schmach emp- funden habe. Zu seinen Gunsten wurde in die Waagschale geworfen, dass Jeanmai- re seinem Land während vieler Jahre wertvolle Dienste geleistet hatte. Dass die Richter trotzdem weit über den Antrag des Anklägers (12 Jahre) und in unmittelbare Nähe der Höchst-

123 Die Sache mit den NATO- tritt zu geheimsten schweizerischen Geheimnissen Verteidigungsanlagen. Mittlere und höhere schweizerische Berufsoffizie- Obwohl eine Bestätigung natürlich re besuchen Lehrgänge an deutschen, fehlt, darf als sicher angenommen französischen und amerikanischen werden, dass die schweizerische Kriegsschulen. Wer mag angesichts Spionageabwehr nicht von sich aus der bis zum Fall Jeanmaire oft sehr dem verräterischen Brigadier auf die breit gestreuten Aktenverteiler im Spur gekommen ist, sondern von ei- EMD und im Generalstab ausschlies- nem ausländischen Geheimdienst – sen, dass nicht die eine oder andere vermutlich den Deutschen oder den Information aus solchen Kontakten Amerikanern oder von beiden – einen auch auf dem Schreibtisch Jeanmaires Hinweis erhalten hat. An diese ziem- und damit im Briefkasten der Sowjet- lich offenkundige Tatsache wurden in botschaft gelandet ist? Die Frage der Öffentlichkeit Spekulationen ge- muss offenbleiben, denn wenn es knüpft, wonach Jeanmaire auch inof- wirklich solche Papiere gegeben hat, fizielle und neutralitätswidrige Kon- war der Bundesrat im Landesinteresse takte, eventuell sogar Absprachen verpflichtet, dies auch gegen besseres zwischen der Schweiz und dem atlan- Wissen zu bestreiten. tischen Verteidigungsbündnis NATO, Wie aufmerksam und betreten das verraten haben könnte, was der Ver- westliche Ausland auf die Enttarnung trauenswürdigkeit der Schweiz des Sowjetspions in der Generalität schweren Schaden zugefügt hätte. reagiert hat, bewiesen Schwierigkei- Diese Behauptungen wurden von ten bei den laufenden Beschaffungs- Bundesrat und EMD wiederholt und verhandlungen für das Tiger-Kampf- kategorisch bestritten, weil es keine flugzeug und die Panzerabwehr- solchen Absprachen gebe und folglich Lenkwaffe Dragon mit Amerika: auch nichts verraten werden könne. Korpskommandant Kurt Bolliger, Dass es Kontakte zwischen der Kommandant der Flieger- und Flab- Schweiz und der NATO – in welcher truppen, bestätigte schon im Novem- Form auch immer – gegeben hat und ber 1976, dass er persönlich im Pen- weiter geben wird, ist aufgrund der tagon Bedenken über die Zuverlässig- militärischen Praxis anzunehmen. Die keit der schweizerischen Geheimhal- Schweiz hat wichtige Waffensysteme tung habe entgegentreten müssen; die in NATO-Ländern gekauft: das Mira- Tatsache, dass die Amerikaner in- ge-Kampfflugzeug in Frankreich, die folge eines sprachlichen Missver- Bloodhound-Raketen in Grossbritan- ständnisses den Luftschutzgeneral nien, das Kampfflugzeug Tiger und Jeanmaire als «Fliegergeneral» bzw. das Luftüberwachungssystem Florida Luftwaffen-Kommandanten betrach- in den Vereinigten Staaten. Gerade im teten, hatte sofort zur Frage geführt, Kampfflugzeugbereich finden auf der ob denn die Sowjetunion über die

Ebene der technischen und operatio- Schweiz an geheime Einzelheiten des nellen Chefs regelmässige internatio- Tiger-Projekts herankommen könnte. Ein historisches Dokument: In strammer Hal- nale Konferenzen der Anwenderstaa- Diese Bedenken konnten indessen tung nimmt Brigadier Jeanmaire am frühen Abend des 17. Juni 1977 das unerwartet harte ten statt, bei denen im Interesse der zerstreut werden. Urteil entgegen: 18 Jahre Zuchthaus! Das Bild Flugsicherheit ziemlich rückhaltlos wurde mit einer eingeschmuggelten Minox-Ka- Daten und Erfahrungen ausgetauscht Sensationelle Blossstellung der mera gemacht. werden. Zwecks Service und Repara- Sowjets turen haben Beauftragte ausländi- sprengte, ging insbesondere aus den scher Firmen zwangsläufig auch Zu- Dass der Fall Jeanmaire nicht nur in Reaktionen der Sowjetunion hervor, der Schweiz den Rahmen der ge- die durch die Aufdeckung des Verrats wohnten Spionageaffären bei Weitem einmal mehr als Spionage-Auftragge- berin entlarvt wurde. Ein eiserner Grundsatz des Geheimdienstes lautet, dass der auftraggebende Staat, was immer auch geschehen möge, die

124 Kontakte zu seinem Spion bestreitet Beziehungen zum KGB unterhalten zu werfen». Als «Drahtzieher» hinter und diesen gnadenlos fallenlässt. Die- habe (was, wörtlich genommen, dieser Kampagne bezeichnete die ses brutale Branchenprinzip brachen stimmte, denn er arbeitete ja für den Zeitung den deutschen Bundesnach- die Sowjets in diesem Fall, woraus militärischen Geheimdienst GRU). richtendienst. man schliessen kann, dass die Enttar- Der Fall Jeanmaire war nach Lesart Kurz vor dem Prozess gewährte der nung Jeanmaires ihnen ungewöhnlich dieses sowjetischen Blattes «ein inzwischen pensionierte und mit der peinlich gewesen sein muss. Glied in der Kette der von den Frie- Rosenzucht im Kaukasus beschäf- Schon im Februar 1977 liess sich die densfeinden in verschiedenen Län- tigte Ex-Attaché Denissenko einem «Literaturnaja Gaseta» in einer Stel- dern inszenierten antisowjetischen Vertreter der «Tribune de Lausanne» lungnahme vernehmen, die nicht Operationen». Ziel dieser Machen- in Moskau ein Interview, das durch ohne Billigung oder gar Mitwirkung schaften sei es, im Hinblick auf die die Vermittlung der Sowjetbotschaft hoher sowjetischer Stellen erschienen KSZE-Kontrollkonferenz von Bel- und des Artikelverfassers in der «Li- sein konnte. In dem Artikel wurde grad im Herbst 1977 «Schatten auf teraturnaja Gaseta» zustandegekom- rundweg bestritten, dass Jeanmaire je die friedliebende Politik der UdSSR

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Privatkrieg unter rege Kontakte mit der DDR-Botschaft Schweizer Spionen in Bern pflege. Sein unmittelbarer Vor- gesetzter, Divisionär Richard Ochsner, Weniger als ein Jahr nach der Aufdek- erklärte demgegenüber, es habe sich kung der Jean mai re-Affäre wurde im um eine einzige, einwandfrei begrün- militärischen Nachrichtendienst der dete Dienstreise nach Ostberlin gehan- Schweiz ein schwerer Konflikt bekannt: delt; ausserdem verbürge er sich hun- Untergebene von Sektionschefs be- dertprozentig für die Armee- und Staat- haupteten Ende Juli 1977, ihre Vorge- streue dieses Obersten. setzten unterhielten unzulässige nach- Der Konflikt, der Gegenstand von Un- richtendienstliche Verbindungen zum tersuchungen nach Beamtenrecht, der Ostblock, namentlich zur Deutschen Militärjustiz und der parlamentarischen Demokratischen Republik. General- Jeanmaire-Kommission bildet, offen- stabschef Hans Senn bestätigte, dass bart tiefgreifende Meinungsverschie- mehrere Untersuchungen im Gange denheiten und Unzulänglichkeiten im seien. Gleichzeitig betonte er, die Vor- militärischen Nachrichtendienst der würfe seien in persönlicher Unverträg- Schweiz. Altgediente, aus der Praxis lichkeit und in enttäuschten Karriere- hervorgegangene Allroundbeamte hoffnungen einzelner Beamter begrün- empfinden sich offensichtlich als unter- det. bewertet: Oben versperren ihnen In- Der Krach brach genau in der beson- struktionsoffiziere den Karriereweg, ders geheimen Abteilung «Spezial- von unten drängen ehrgeizige junge dienst» des Nachrichtendienstes aus, Akademiker nach. Seit dem Jeanmai- in der Brigadier Jeanmaire monatelang re-Konflikt wird im Nachrichtendienst mit einem Scheinauftrag beschäftigt vermehrt auf die Arbeitsteilung zwi- worden war, damit man seine Aus- schen Nachrichtenbeschaffung und landsverbindungen besser unter Kon- -auswertung geachtet; etliche Beamte trolle hatte halten können. Eine der strit- fühlen sich dadurch zurückgesetzt. tigen Fragen lautete: Hat Jeanmaire in Das hat zu Spannungen, Machtkämp- dieser Zeit, da er Gespräche, Konferen- fen und Unzufriedenheit geführt, zumal zen und sogar die Identität schweizeri- Nachrichtenleute, wie es ein Kenner scher Gewährsleute mitbekommen der Szene formulierte, «nicht unbe- konnte, sein Wissen den Sowjets wei- dingt sind wie andere Leute, sondern tergegeben? Aufgeworfen wurde auch von Berufs wegen misstrauisch, die Frage, ob einer der Sektionschefs, manchmal übereifrig, für ihre Aufgabe der eine Ostdeutsche zur Frau hat, häu- bis zum Fanatismus engagiert – kurz- fige Reisen in die DDR unternehme und um: ziemlich eigenwillige Typen...»

men war. Denissenko war zu dem die Erklärungen Denissenkos im Interview eigens 2‘000 Kilometer Prozess Lügen gestraft. weit nach Moskau geflogen. Er be- Ein offizieller Kommentar der stritt rundweg, mit Jeanmaire je Nachrichtenagentur TASS oder ei- über militärische Geheimnisse ge- nes anderen sowjetischen Nach- sprochen und mit ihm andere als richtenorgans zum Jeanmaire-Ur- normale gesellschaftliche Kon- teil ist nie bekanntgeworden, ob- takte unterhalten zu haben. «Es wohl der Genfer TASS-Korre- gibt keinen Fall Jeanmaire», be- spondent Petr Egorov den Prozess tonte Denissenko, der ausserdem vom ersten bis zum letzten Tag lachend zu bedenken gab, das 240- verfolgt und jedes Wort der refe- Millionen-Volk der Sowjetunion rierenden Informationsoffiziere und seine Rote Armee hätten es, auf Tonband aufgenommen hatte. falls wirklich ein Überfall auf die Oben: Als gebrochener Mann verlässt Schweiz geplant wäre, nicht nötig, Jeanmaire nach der Urteilsverkündung das sich zuerst die schweizerischen Gerichtsgebäude. Die Uniform durfte er Mobilmachungspläne zu beschaf- nur im Saal tragen. Unten links: Der Ge- fen. fangenenwagen stoppt vor der Lausanner Strafanstalt Bois-Mermet. Von Polizisten Wenige Tage nach der Veröffent- bewacht, steigt der Verräter aus und ver- lichung dieses Interviews wurden schwindet im Zuchthaustor.

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Die Spionage der Zukunft Wirtschaftsspionage und die Allmacht der Computer

an scheint sich im Kreise der Selbstzufriedenen heutzutage kaum noch dessen bewusst zu sein, M dass niemand sicher ist, bevor nicht alle sicher sind – vor dem übereifrigen Polizisten, dem übermässig ehrgeizigen Ermittler und dem allzusehr schnüffelnden Bürokraten. Totalitarismus beginnt typischerweise, wenn ein Möchtegern-Tyrann – sei es ein Hitler oder ein Castro –, die Ängste der Mehrheit eines Volkes benutzt, um gegen weniger geachtete oder unbequeme Minderheiten Zwangsmassnahmen einzuführen. Mit der Zeit werden die Härtemassnahmen – vielleicht zwangsläufig – auf immer grössere Teile der Bevölkerung ausgedehnt. Vance Packard

Die Spionage der Zukunft wird vor allem in den klimatisierten Schalträumen der grossen Computerzentralen ausgetragen. Der weltweite Wirtschaftskampf hat zu einer gnaden- losen Jagd nach den Erfindungen und Erkenntnissen der Konkurrenz geführt. 129 Nachrichtendienst hat längst aufge- fünfzig kommen, die unbekannt blei- Ratenkäufe, die er tätigt. Die Firmen hört, ein Gewerbe zu sein, das sich auf ben... speichern die Personalakten ihrer Mit- Hauptquartiere und Chefetagen be- Der Handel mit Informationen aller arbeiter, viele gehen bei Neueinstel- schränkt. Die hochspezialisierte ar- Art ist zum Geschäft geworden. Die lungen zu ausführlichen Fragebogen beitsteilige Wirtschaft ist zu einem anhaltende und rasend schnell fort- tests über, von privaten Nachrichten- der Hauptangriffsziele der permanen- schreitende technische Revolution organisationen mit politischen Ziel- ten Spionage geworden, und mit der auf dem Gebiet der elektronischen setzungen, wie sie im Fall Ernst Wirtschaft – direkt oder indirekt, frü- Datenverarbeitung hat reale Möglich- Cincera / Demokratisches Manifest her oder später – jeder für diese Wirt- keiten geschaffen, die faszinierend (1976/77) auch in der Schweiz ins öf- schaft arbeitende Mensch. und beängstigend zugleich sind. Es fentliche Gespräch gekommen sind, Die auseinanderlaufenden Entwick- beginnt damit, dass jeder, der dafür ganz zu schweigen. lungen im leistungs- und wettbe- bezahlt, von spezialisierten Unter- Es wäre eine Horrorvision, sich vor- werbsorientierten Wirtschafts- und nehmen Adressen beziehen kann, die zustellen, was geschehen könnte, Zivilisationssystem haben Gefahren nach verfeinerten kommerziellen Ge- wenn ein paar dieser öffentlichen und für die Rechtsgüter geschaffen, auf sichtspunkten aussortiert sind. Dabei privaten Datenbanken durch einen denen jedes freiheitliche System be- handelt es sich zum Beispiel nicht nur technisch ohne Weiteres möglichen ruht: das Recht auf Privatsphäre, die um Anschriftenpakete nach Berufs- Computerverbund gekoppelt und die Meinungsfreiheit, den Schutz vor und Einkommensgruppen, um Jung- Informationen unbeschränkt ausge- Willkür – kurz, die Freiheit und die vermählte, Alleinstehende usw.; wer tauscht würden! Die Vorschriften zum Würde des Individuums. will, kann sich auch Adressen von Schutze des Bürgers, die solches ver- Der Konkurrenzkampf auf den welt- Menschen besorgen, die Probleme hindern sollen, und die Kontrollen, weiten Märkten wird mit jedem Tag mit der Figur haben, von Männern, die solche Vorschriften durchsetzen, härter. Für immer mehr Betriebe wird die schon einmal Mittel zur Steige- sind weit davon entfernt, optimal zu es lebenswichtig, die Absichten der rung ihrer sexuellen Leistungsfähig- sein. Datenschutz ist in der Schweiz Konkurrenz zu kennen und ihnen zu- keit gekauft haben, von Hausbesit- kein öffentliches Thema, wiewohl die vorzukommen. Den Konkurrenz- zern, Kinderreichen, jungen Müttern Gefahren eines systematischen, gross- kampf aber besteht nur, wer in For- usw. Kreditbanken führen gemein- technisch organisierten Datenmiss- schung, Entwicklung und Vermark- same Register von Darlehensneh- brauchs reiner gesellschaftspoliti- tung am weltweiten Informationsaus- mern. Handelsauskunfteien notieren scher Sprengstoff sind. tausch teilnimmt. Von diesem interna- Schuldner, die Verlustscheine ausge- Dies ist eben die Kehrseite der not- tionalen Erfahrungs- und Nachrich- stellt oder Betreibungen, Nachlass- wendigen Abwehr nachrichtendienst- tenaustausch lebt die Weltwirtschaft. verträge, Konkurse und dergleichen licher Umtriebe: die Gefahr für die Ungezählte Faktoren, zum Beispiel hinter sich haben. Kreditkartenorga- Persönlichkeitsrechte, die Einengung die grenzüberschreitende Forschung, nisationen verfügen über das Daten- des individuellen Freiheitsraums. die multinationalen Konzerne, die so- material, das – bei theoretisch denk- Diese Gefahr zu erkennen und der Er- ziale Mobilität, der rege Kongressbe- barer systematischer Auswertung – kenntnis gemäss politisch zu handeln, trieb, das vielfältig verflochtene und detaillierte Auskunft über Konsum- wird für jedermann immer wichtiger. unüberschaubare Patent- und Lizenz- gewohnheiten, vom Lieblingsrestau- Nur: Die totale Sicherheit gibt es so wesen sowie die sich ständig weiter- rant bis zum Reiseziel eines beliebi- wenig wie die totale Freiheit! entwickelnde Publizistik auf allen Ge- gen Kunden, geben kann. Banken, bieten und Ebenen haben eine Grau- Steueramt, Strassenverkehrsamt, zone geschaffen, in der erlaubter In- Strafverfolgungsbehörden, Einwoh- Lange Finger, lange Ohren formationsaustausch und verbotener nerkontrolle, Fürsorgeamt, Passbüro, wirtschaftlicher Nachrichtendienst Sozialversicherung, Krankenkasse, Zwischen 1967 und 1976 hat die nur noch schwer auseinanderzuhalten Polizei... alle haben ihre Karteien und schweizerische Bundesanwaltschaft sind. Wirtschaftsspionage! Kein nach- Register, die zu einem beträchtlichen 59 Verfahren wegen wirtschaftlichen richtendienstliches Gebiet ist un- Teil in Computern gespeichert sind. Nachrichtendienstes gegen insgesamt durchschaubarer, keines hat eine Jeder Mensch ist hundertfach regi- 94 Beschuldigte eröffnet. Von diesen grössere Dunkelziffer. Amerikanische striert, einschliesslich der Bücher, die 94 Verdächtigten wurden aber nicht und deutsche Experten vermuten, dass er sich in der Bibliothek holt, der Te- weniger als 68 freigesprochen, oder auf einen aufgedeckten Fall etwa lefongespräche, die er führt, und der das Verfahren gegen sie wurde bereits

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In den Eingeweiden der Elektronenrechner sind 13 Jahren spionierte er im Auftrag der benötigt wird. Der Fall flog angeblich die Geheimnisse der Gegenwart gespeichert. Deutschen Demokratischen Republik auf, weil die Ingenieure einer Kon- Immer häufiger werden die Fälle von unerlaub- private Computerprojekte, Einzelhei- kurrenzfirma, die vom Erfolg des tem Abzapfen solcher Anlagen. ten der öffentlichen Verwaltung und Hattori-Manövers erfahren hatten, bei im Untersuchungsstadium eingestellt! militärische Geheimnisse der Bundes- der Grenchener Herstellerfirma vor- Allein diese Angaben weisen schon republik Deutschland aus. Am 3. Fe- sprachen und die Pläne ebenfalls kau- auf die besondere Schwierigkeit hin, bruar 1977 wurde er verhaftet. Ein fen wollten. Der Prozess vor dem Wirtschaftsspionage zu erkennen und Routinefall, der sich nur dadurch von Amtsgericht Biel endete mit Freisprü- zu verfolgen. Oft trügt der Schein, andern unterscheidet, dass er eigent- chen; einzelne Tatbestände waren manchmal werden Firmenintrigen und lich sehr klar ist. verjährt, für andere gab es zwar Ver- Konkurrenzkämpfe ausgetragen, in- dachtsgründe, aber keine Beweise. dem vermeintlich belastendes Mate- Wie soll ein Schweizer Amtsgericht Konkurrenzmanöver und schon feststellen, wann welche Pläne rial in Umlauf gesetzt wird – und am Kriminalität häufigsten schweigen die geschädig- und Informationen in Tokio die Hand ten Firmen aus Angst vor der Blamage Viel typischer für die häufige Unklar- gewechselt haben? und vor dem Misstrauen der Kund- heit vermuteter Tatbestände des wirt- Im März 1976 konnte der Von-Roll- schaft. schaftlichen Nachrichtendienstes war Konzern mit knapper Not den Ver- Es war einmal ein Schweizer namens der Versuch des japanischen Hattori- kauf von Plänen für eine Neuentwick- Louis L., 50 Jahre alt und begeisterter Konzerns (Seiko-Uhren), sich Pläne lung bei Kehrichtverbrennungsanla- Radioamateur. Er arbeitete im Archiv für eine in der Schweiz entwickelte gen an eine deutsche Konkurrenz- der Computerabteilung der Schweize- Platinbearbeitungsmaschine zu be- firma verhindern. Die fraglichen Plä- rischen Bankgesellschaft. Während schaffen, die in der Uhrenherstellung ne waren auf der Baustelle eines Un-

131 terlieferanten heimlicherweise ko- piert und zum Kauf angeboten wor- den. Es handelt sich um eine während Jahren mit hohen Kosten entwickelte Neuheit. Wäre der Plan geglückt, hätte ein Geschäftsbereich mit rund 100 Millionen Franken Umsatz, von denen 80 bis 90 Prozent auf Export- märkten erzielt werden und die einige hundert Arbeitsplätze bedingen, enor- men Schaden gelitten. Der Täter wurde verhaftet. Schon immer waren die Schweizer Banken bevorzugte Ziele der Wirt- schaftsspionage. In der Nazizeit wur- den Bankbeamte bestochen, damit sie Auskunft über illegale Konten deut- scher Staatsbürger, insbesondere von Juden, preisgäben. Im März 1972 wurde bekannt, das britische Schatz- amt unterhalte einen eigentlichen Spitzeldienst, um kapitalflüchtigen Untertanen Ihrer Majestät auf die Schliche zu kommen: Gegen Geld versuchten die Agenten, von zwei Angestellten einer Genfer Finanzge- sellschaft Angaben über britische Konteninhaber zu erhalten. In diesem Zusammenhang musste der Erste Se- kretär der britischen Botschaft in Bern, Peter Latham, die Schweiz ver- lassen. Leiter der Operation war der Chef der Devisenkontrollabteilung des britischen Schatzamtes, der ehe- malige Scotland-Yard-Inspektor Stanley Little. Er hatte monatelang in Genf gelebt. Vorsichtige Bankkunden im Tessin, vor allem, wenn sie aus Italien kom- Der Lauscher im Äther, der Lauscher an der kommt: Statt zuzugreifen, verständig- men, vermeiden es, im eigenen Wa- Wand, der Lauscher in der Telefonleitung. .. te sie die Polizei. gen vorzufahren oder den Hauptein- Jüngste Spionagefälle beweisen die Allgegen- wart der langen Ohren (Fotomontage). gang zu benützen: In Lugano und Lo- Fast nichts ist unmöglich carno haben sich über Jahre hinweg Gerüchte und Indizien gehalten, dass Nicht immer liegen die Dinge so ein- Nur Laien glauben, dass die Wände der Publikumsverkehr bestimmter fach wie bei dem Schacher um ge- von Banken und Büros undurchdring- Banken von unbekannten Spitzeln im heime Kalkulationsgrundlagen eines lich und die Schalträume von Tele- Auftrag des italienischen Fiskus kon- bestbekannten deutschen Versand- fonzentralen unzugänglich seien. Wie trolliert werde. Die Gerüchte schei- hauskonzerns, den die Zürcher Kan- entschlossene, professionelle Agen- nen immerhin so begründet zu sein, tonspolizei im November 1971 auf ten vorgehen und wieviel sie errei- dass die Bankbeamten ihre einschlä- dem Flughafen Kloten verhinderte. chen können, wurde im Juni 1974 gige Kundschaft zur Vorsicht zu mah- Ein 27jähriger Angestellter der beim «Prozess der langen Ohren» in nen pflegen. Firma, der in finanziellen Nöten Genf offenkundig. steckte, wollte die Unterlagen für den Vier Privatdetektive, ein Geschäfts- neuen Sommerkatalog gegen 75‘000 mann, zwei Feuerwehrleute und ein Franken der Konkurrenz verkaufen. Beamter hatten sich zusammengetan, Diese tat etwas, was eher selten vor- um Material über mögliche Verbin-

132 dungen von Finanzinstituten, nament- «Die Blumen sind verwelkt» lich der berüchtigten IOS, und einiger – der Fall Frauenknecht Genfer Geschäftsleute zur Mafia zu beschaffen: Die internationale Investi- Der aufsehenerregendste Fall von tionsfirma Gramco hegte den Ver- wirtschaftlichem Nachrichtendienst dacht, einer ihrer leitenden Angestell- mit brisantem welt- und militärpoliti- ten stehe insgeheim mit der IOS in schem Einschlag war die Operation Kontakt und verrate ihr Geschäftsge- des israelischen Geheimdienstes zur heimnisse. Gramco setzte eine spezia- Beschaffung der Triebwerkpläne für lisierte Londoner Wirtschaftsdetektei das Mirage-Kampfflugzeug. Haupt- auf den Fall an. Diese nahm mit dem personen waren der Sulzer-Ingenieur Genfer Privatdetektivbüro Verbin- Alfred Frauenknecht (geb. 1926), der dung auf, dessen Mitinhaber früher israelische Geheimdienstoberst Ne- Polizeidetektiv gewesen war. Die hemiah Kain (alias «Abel») und der Londoner Firma schickte einen Spe- Direktor der israelischen Luftfahrtin- zialisten mit Telefonabhörgeräten, dustrie Al Shwimmer (alias «Bader»). Minisendern und entsprechenden Als der biedere Prokurist aus Aadorf Empfängern nach Genf. Nachdem ein TG an die Tür des komfortablen Ap- Versuch misslungen war, die zur partements im stillen Zürcher Hotel Wohnung des Verdächtigen führende Ambassador klopfte, das die beiden Telefonfreileitung anzuzapfen, dran- Israeli bewohnten, hoffte er noch, die gen die Schnüffler mit einem Nach- Herren seien an Generatoren, Turbi- schlüssel in die Telefonzentrale von nen und Pumpen des Hauses Sulzer Anières ein und brachten dort ihre interessiert. Kain und Shwimmer Wanze an. Der UKW-Minisender wollten kaufen, aber etwas ganz ande- übermittelte die Gespräche auf einen res als das, was Frauenknecht an die- mit einem Tonbandgerät gekoppelten sem ganz gewöhnlichen Werktags Empfänger in einem Nachbarhaus. Vormittag anbot! Die Praktiken der Genfer Detektive 17 Monate später, an einem ebenso platzten erst, als sie einen ähnlichen gewöhnlichen Montagmorgen, stand Trick bei einer in Scheidung stehen- Alfred Frauenknecht wie immer früh den Frau probierten. Dabei passierte auf. Er duschte und rasierte sich, früh- ein Missgeschick: Die angepeilte Te- stückte mit seiner Frau und verliess lefonabonnentin hörte, sobald sie den um 7.30 Uhr sein einfaches Haus im Hörer abhob, ein ständiges starkes Grünen am Steuer seines Opel Re- Brummen. Der Störungsdienst fand kord in Richtung Winterthur. schnell heraus, dass die Leitung bei ei- Alfred Frauenknecht war der Inbe- nem Verteilerkasten im Haus ange- griff des fleissigen und erfolgreichen Bürgers: zurückgezogen und unpoli- zapft war: Der Sender samt Antenne Dies sind die beiden Männer, die Alfred Frau- befand sich im Dachstock, der Emp- enknecht als Spion für Israel anwarben: Ge- tisch, vom einfachen Handwerker fänger im Büro der Detektei. Die bei- heimdienstoberst Nehemiah Kain (oben) und Al über das Technikum ins mittlere Ka- den Inhaber erhielten je anderthalb Shwimmer, Gründer und Leiter der staatlichen der aufgestiegen, 4‘500 Franken brut- Jahre Gefängnis bedingt, ebenso ein israelischen Flugzeugwerke (unten). In Zürich to im Monat, 43 Jahre alt und reelle Genfer Polizeibeamter, der ihnen ge- wurde der Handel perfekt. Aussichten auf eine baldige Beförde- gen ein Honorar von 10‘000 Franken rung zum Vizedirektor. Material aus den Abhörakten der Poli- ten die Privatdetektive auch zu fünf Alfred Frauenknecht hatte alles aus zei und Angaben über amerikanisches Beamten im Genfer Betreibungsamt eigener Kraft erreicht und durfte mit Fluchtkapital zweifelhafter Herkunft unterhalten, die ihnen unerlaubterwei- sich zufrieden sein. Als Prokurist und geliefert hatte, das auf Genfer Banken se Informationen hatten zukommen Leiter des technischen Dienstes der deponiert war. Gute Beziehungen hat- lassen. Schliesslich wurde den beiden Abteilung Düsentriebwerk der Welt- Nachrichtenhändlern nachgewiesen, dass sie für ihr Archiv 450 Polizei- dossiers über zweifelhafte Genfer Un- ternehmen, Gold- und Drogen- schmuggler sowie Prostituierte kopiert hatten.

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firma Sulzer in Winterthur war er Ex- Die Blumen sind verwelkt: Das war ihn Frauenknecht für den nächsten perte für Flugzeugantriebe. Er hatte das verabredete Alarmsignal. Es war Morgen zu einer Besprechung ein. Hunderte von Detailänderungen des schief gegangen! Hau ab, Alfred Der Experte, der vor dem Sulzer- Ghost-Triebwerks in den guten alten Frauenknecht! Noch hast du Zeit. Mann längst keine Geheimnisse mehr Venoms entwickeln helfen. Ausser- hatte, erwiderte ganz arglos: «Wissen dem war er als Mitglied der Untersu- Gewarnt und nicht geflohen Sie, morgen geht es nicht. Ich muss chungskommission des ersten dringend nach Kaiseraugst, um Mate- Schweizer Mirage-Absturzes bei Aber der Hausbesitzer, Familienvater rial zu identifizieren. Da ist etwas Buochs gerade stark in Anspruch ge- und Berufsmann Frauenknecht war Teufels passiert...» nommen. nicht der Mann, der sich der Verant- Jetzt wusste Frauenknecht genug! Er An diesem Montagmorgen klingelte wortung entzog; er wusste, dass er für entschloss sich, zu seinem Generaldi- gegen neun Uhr das Telefon auf Frau- etwas geradestehen musste, was er rektor und zu einem massgebenden enknechts Schreibtisch. Auf der di- bisher nicht einmal seiner Frau er- Mann in der GRD zu gehen und alles rekten Linie des Prokuristen meldete zählt hatte. zu erzählen; vielleicht liess sich die sich grusslos eine Englisch sprechen- Am Nachmittag dieses 22. September Affäre wenigstens ohne Skandal aus de Männerstimme. 1969 rief Frauenknecht vorsichtshal- der Welt schaffen. Der Prokurist wus- «Is that Alfred Frauenknecht?» ber einen Experten der Gruppe für ste, dass es um seine Stelle und all die «Yes!» Rüstungsdienste (GRD) in Bern an, schönen Zukunftsaussichten gesche- «The flowers have been spoiled.» mit dem er seit 15 Jahren eng vertraut hen war. Aber seine beiden Vertrau- Klick! war. Als Vorwand für den Anruf lud ensleute waren im Ausland. Da fuhr Frauenknecht nach Bern und weihte einen untergeordneten Beamten in der GRD ein. Dieser versprach, am näch- sten Morgen sofort seinen Chef zu in- Schweizer Spionage – ständen. Ausserdem sind ihr Nachfor- formieren. Er kam zu spät! Als er sich schungen über politische Flüchtlinge, Ein- Schweizer Abwehr im Vorzimmer meldete, sass im Büro bürgerungskandidaten usw. anvertraut. des Chefs bereits Bundesanwalt Hans Der Bundesanwaltschaft obliegen In den zwei obersten Stockwerken des Walder. neuen Verwaltungshochhauses an der schliesslich das Schweizer Sekretariat der Taubenstrasse in Bern residiert eine Interpol, verschiedene Zentralstellen zur An diesem Morgen fuhr Frauen- der verschwiegensten und mächtigsten Bekämpfung des Drogenhandels, der un- knecht zu einer Besprechung in die Behörden der Eidgenossenschaft: die züchtigen Veröffentlichungen und des ille- Eidgenössische Materialprüfungsan- Bundesanwaltschaft mit der Bundespo- galen Waffenhandels, schliesslich das stalt nach Dübendorf. Es ging um die lizei. Zentralstrafregister, die Gefangenenkartei und der Erkennungsdienst des Schweize- Analyse eines Details aus dem Mi- Nachrichtendienst und Spionageab- rage-Absturz von Buochs. Schon wehr sind aber bei Weitem nicht die ein- rischen Zentralpolizeibüros. zigen Aufgaben dieser dem Eidgenös- Dieser Fülle von Pflichten stehen reichlich zwanzig Minuten nach dem Beginn sischen Justiz- und Polizeidepartement wenig Mitarbeiter gegenüber. Die geringe der Sitzung reichte ihm eine Sekretä- unterstellten Dienstabteilung. Als personelle Dotierung der Bundesanwalt- rin einen Zettel über die Schultern: Staatsanwalt der Eidgenossenschaft schaft und ihres Polizeidienstes wird bei «Sie werden draussen verlangt!» Mit jedem grossen Spionagefall wieder aufge- hat der Bundesanwalt in Bundesstraf- einer gemurmelten Entschuldigung verfahren die Anklage zu vertreten und rollt. nötigenfalls Rechtsmittel gegen die Ur- Analoge Aufgaben im militärischen Be- verliess der Ingenieur den Raum. Vor teile kantonaler und eidgenössischer reich nimmt die Untergruppe Nachrichten- der Tür warteten fünf Herren mit stei- Gerichte einzulegen, in Auslieferungs- dienst in der Generalstabsabteilung wahr. nernen Mienen. Frauenknecht verfahren vor Bundesgericht Anträge zu Und bei der Nachrichtenbeschaffung brauchte nicht erst zu fragen: Kan- schöpft diese Dienststelle zu 80 bis 90 stellen und in Verwaltungsstrafprozes- tonspolizei! Bundespolizei! sen (z.B. Zoll- und Steuersachen) zu in- Prozent aus offenen Quellen: Publikatio- tervenieren. Dem Bundesanwalt ist ein nen, diplomatischen Berichten, zugängli- «Herr Frauenknecht, Sie sind verhaf- Polizeidienst unterstellt, die Bundespo- chen Dokumenten, die erst in der Kombi- tet!» lizei. Sie hat gerichtspolizeiliche Aufga- nation und der kundigen Auswertung be- Die Blumen waren in der Tat ver- ben und amtet als politische Polizei. In sonderen Wert gewinnen. Regelmässig welkt. Vier Tage später schrien es die findet ein Informationsaustausch mit den enger Zusammenarbeit mit den ent- Schlagzeilen von allen Titelseiten: sprechenden Spezialisten in den Poli- Nachrichtendiensten der anderen Neutra- zeikorps der Kantone und der Städte len in Europa, namentlich mit Schweden Spionage bei Sulzer! Mirage verra- führt sie als Koordinationsorgan die Er- und Österreich, statt. mittlungen bei einschlägigen Tatbe-

134 ten! Ingenieur verkaufte den Israeli geheime Pläne! «Der grösste Spionagefall seit dem Zweiten Weltkrieg», sagte der dama- lige Bundesanwalt Walder vor der Presse.

Der Trick mit dem Abfall Um rund 10‘000 Franken zu sparen, hatte Ingenieur Frauenknecht bei Sul- zer durchgesetzt, dass die rund 140‘000 Werkzeugmaschinen- und Herstellungspläne für das begehrte Mirage-Triebwerk, das in Winterthur in Lizenz gebaut wurde, auf Mikro- filme aufgenommen und die Origi- nale vernichtet wurden. Das wenig- stens war der Vorwand, um die zum Teil leintuchgrossen Originalpläne überhaupt freizubekommen. Doppelt zu filmen wäre nicht gegangen; Sul- zer hatte ein zu gutes Sicherheitssy- stem. Jede Aufnahme musste genau identifiziert und begründet werden. Es war die Zeit, als General de Gaulle aus Wut über einen israelischen Ver- geltungsschlag auf den Flughafen Beirut das Waffenembargo gegen Is- rael verhängt hatte. Nicht einmal die bereits bezahlten, aber noch nicht ausgelieferten Mirages, auch nicht die dringend benötigten Ersatzteile durften Frankreich verlassen. Be- waffnete Truppen blockierten die be- reits beladenen Schiffe und Fracht- flugzeuge. In dieser für sie verzweifelten Lage erinnerten sich die israelischen Kampfflugzeugexperten an den klei- nen freundlichen Schweizer, den sie bei den regelmässigen Zusammen- künften aller Mirage-Lizenznehmer in Paris kennengelernt hatten. Dabei wurden in stundenlangen Fachge- sprächen Erfahrungen bis in alle Ein-

Oben: Mirage-Spion Alfred Frauenknecht vor der gemieteten Garage, in der die geheimen Pläne gegen Makulatur ausgetauscht wurden. Unten: In der Kehrichtverbrennungsanstalt von Winterthur wurden die falschen Pläne ver- nichtet.

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zelheiten ausgetauscht. Die Israeli ke, eilends zu einer Begegnung nach raeli über den Ernstfalleinsatz der Mi- merkten bald, dass Frauenknecht leb- Zürich flogen. rage erhalten könnte; immerhin hatte hafte Sympathien für ihr Land emp- Frauenknecht versuchte nach dem er- bisher kein anderes Land das neue fand. Jetzt gaben sie ihrem Geheim- sten Treffen im Hotel Ambassador Schweizer Kampfflugzeug im dienst den Hinweis auf diesen Mann. zunächst, «den Israeli auf legalem Kriegseinsatz und unter Extrembe- So geschah es, dass Nehemiah Kain, Weg zu den Plänen zu verhelfen», dingungen erprobt. Natürlich winkte Geheimdienstchef für Westeuropa wie er sagte. Seine Überlegung ging das Eidgenössische Militärdeparte- mit Sitz in Rom, und Al Shwimmer, dahin, dass die Schweiz im Gegenzug ment aus Neutralitätsgründen sofort Gründer und Generaldirektor der die besonderen Informationen der Is- ab. Dann, nach langer Bedenkzeit, staatlichen israelischen Flugzeugwer- entschied sich Alfred Frauenknecht für das gewagte illegale Manöver. Was tun, wenn Sie sonen für die Weiterleitung von Nachrich- Zuerst schaffte er die rund 2‘000 Plä- betroffen sind? ten an Deckadressen im Ausland. Ziel der ne für die einzelnen Triebwerkteile Bestrebungen dieser Nachrichtendienste aus dem Haus. Das ging problemlos: ist es vor allem, Besucher aus der Schweiz Frauenknecht entlieh sie einfach aus Jeder kann mit Spionage in Berührung im kommunistischen Machtbereich anzu- der Planbibliothek und trug sie in der kommen oder in eine Nachrichtenaffäre sprechen und für eine nachrichtendienstli- verwickelt werden. Hier sagt ein Spezia- che Mitarbeit zu verpflichten. Nicht selten Aktentasche weg. In regelmässigen list der schweizerischen Bundesanwalt- werden dabei Charakterschwächen oder Abständen flog Nehe-miah Kain aus schaft, worauf es ankommt und wie man fehlerhaftes Verhalten in der Vergangen- Rom ein. Die beiden Herren träfen sich verhalten soll. heit ausgenützt und die anzuwerbenden sich jeweils in Zürich zum Nachtes- «Der Staatsschutz hat die Erhaltung der Personen unter Druck gesetzt. Sehr oft fin- sen, mal in der «Kronenhalle», mal demokratischen Einrichtungen und die den nun angesprochene Personen aus Gewährleistung der persönlichen Frei- Furcht vor Sanktionen nicht den Mut, sich im Zunfthaus Rüden. Ohne jedes kon- heit des Einzelnen zum Ziel und soll Ge- in der Schweiz den Polizeiorganen anzu- spirative Geheimdiensttheater wech- währ dafür bieten, dass dem Bürger in vertrauen, obschon sie hier die nötige Hilfe selten die Planpakete den Besitzer. unserem Staat ein Leben in ruhigen und finden würden, um sich aus einer Zwangs- Frauenknecht gab Kain die neuen geordneten Verhältnissen möglich sei. lage zu befreien. Wer also selber von ei- Pläne, Kain gab das Paket mit den fo- Dieser Staatsschutz obliegt von Geset- nem fremden Dienst angegangen worden zes wegen grundsätzlich dem Staat und ist oder weiss, dass Personen aus dem tokopierten Unterlagen vom letzten- seinen Organen, was jedoch nicht besa- Bekanntenkreis mit Blick auf eine eventu- mal zurück. Insgesamt fanden etwa gen will, dass sich nicht auch der verant- elle nachrichtendienstliche Tätigkeit ange- zwanzig solcher Treffen statt. wortungsbewusste Staatsbürger damit sprochen worden sind, möge sich der Po- Schwieriger war es mit den rund befassen soll. Die Polizei ist nicht nur lizei anvertrauen, welche in derartigen Fäl- 140‘000 Zeichnungen von Werkzeu- bei der Verbrechensbekämpfung, son- len nicht zuerst ans Strafen, sondern an dern weit mehr noch im Bereich der Ab- eine Hilfe für die Betroffenen denkt und un- gen und Vorrichtungen zur Herstel- wehr von Spionage und andern staats- ter Umständen wertvolle Erkenntnisse ge- lung dieser Trieb werkteile: Das wa- feindlichen Bestrebungen auf eine Mit- winnen kann. Schliesslich ist auch darauf ren zum Teil «Leintücher» im Format arbeit der Bevölkerung angewiesen. hinzuweisen, dass in zahlreichen Betrie- 3x2 Meter, zusammen wohl an die Der einzelne Bürger soll daher wach- ben von Industrie, Privatwirtschaft und zwei Tonnen Papier! Frauenknecht sam sein und ernst zu nehmende ver- Verwaltung den Agenten die Arbeit durch liess sie mikrofilmen und nahm die dächtige Wahrnehmungen den zustän- bedenkliche Sorglosigkeit sehr leicht ge- digen Polizeistellen zur Kenntnis brin- macht wird. Wer sich mit geheimen oder Originale an sich, um sie, wie er im gen. vertraulichen Unterlagen zu befassen hat, Betrieb sagte, unter höchstpersönli- Die Erfahrung zeigt sodann, dass die sollte stets darauf achten, dass solches cher Aufsicht und Verantwortung zu Nachrichtendienste der Oststaaten be- Material Unbefugten und Nichteingeweih- vernichten. trächtliche Anstrengungen unterneh- ten nicht zugänglich gemacht wird. Dies Alle paar Wochen beförderte er an men, um sowohl in der Schweiz als bedeutet, dass klassifizierte Dokumente – auch im Ausland Agenten anzuwerben. sei es in der Endfassung oder in Entwür- Bord eines von seinem nichtsahnen- So wird einerseits versucht, Geheimnis- fen, in Originalen oder Kopien – stets unter den Cousin Josef Frauenknecht ge- träger in Industrie, Wirtschaft und Ver- Verschluss zu halten sind und bei Vernich- steuerten VW-Busses diese Pläne pa- waltung zu rekrutieren; anderseits geht tung nicht einfach in den Papierkorb gehö- ketweise aus dem Winterthurer es den fremden Diensten darum, in un- ren; es ist vielmehr eine Vernichtungsme- Werkgelände – angeblich zur städti- serem Land Stützpunkte zu errichten thode angezeigt, welche Drittpersonen etwa mit der Vermittlung von Unter- keine Möglichkeit der Einsichtnahme bie- schen Kehrichtverbrennungsanlage. schlüpfen für einreisende Führungsoffi- tet.» Unterwegs, in einer eigens gemiete- ziere oder mit der Gewinnung von Per- ten Garage, vertauschte Frauenknecht

136 diese Pakete mit genau gleich ausse- Frauenknecht: Auch nicht. Erst nach henden anderen Paketen, die belang- der Strafverbüssung bin ich überhaupt lose Makulaturpläne enthielten. Die zum erstenmal nach Israel gekom- wanderten ins Feuer. Die Mirage- men, auf Einladung von Privatleuten. Pläne dagegen kamen jeweils am Schon in meiner Jugend und während Samstagmorgen nach Kaiseraugst. der Studienzeit, als ich mit Kommili- Dort übernahm sie der israelische tonen aus Israel in Berührung kam, Agent Hans Strecker, Angestellter war ich von diesem mutigen kleinen der Maschinenfabrik Rotzinger. In Staat tief beeindruckt. Ausserdem seinem Mercedes brachte er das wert- wusste ich: Wir Schweizer haben uns volle Papier problemlos über die während des Zweiten Weltkriegs den Grenze nach Deutschland. Als tägli- jüdischen Flüchtlingen gegenüber cher Grenzgänger wurde er nie kon- schlecht benommen. Wir haben an der trolliert; die Grenzbeamten wussten Grenze Tausende in den sicheren Tod ja, dass die Firma Rotzinger auf der zurückgeschickt. Wir haben an den deutschen Seite ein Zweigwerk be- Juden viel gutzumachen. sass, so dass täglich Pläne hin- und Die Israeli haben Sie aber, als Sie ver- hergeschoben werden mussten. In der haftet wurden und vor Gericht kamen, Nähe von Stuttgart startete jeweils gnadenlos fallenlassen. Haben sich unverzüglich eine Cessna-Sportma- Ihre Gefühle für sie inzwischen geän- schine nach Brindisi, wo schon ein Alfred Frauenknecht, flankiert von einem dert? Extraflugzeug der El-Al wartete. Bewacher, vor dem Bundesstrafgericht in

Bei einem der letzten Transporte flog Lausanne. Hier erhielt er 4 ½ Jahre Zucht- Frauenknecht: Vom israelischen haus. das perfekt eingefädelte Unterneh- Volk bin ich in keiner Weise ent- men auf. Einer der Betriebsinhaber täuscht. Weniger begeistert bin ich Exklusivinterview vom April 1977 wunderte sich, dass Strecker am ar- natürlich vom Verhalten der Stellen, berichtet Alfred Frauenknecht, wie er beitsfreien Samstag auf dem Werkge- mit denen ich damals direkt zu tun das schaffte und wie er in genügender lände war und, als er seines Chefs an- hatte. Aber ich weiss, dass ich mich zeitlicher Distanz über seine Tat sichtig wurde, plötzlich grusslos und nicht beklagen darf; wer sich in ge- denkt. überstürzt davonfuhr. Der misstrau- heimdienstliche Aufträge einlässt und isch gewordene Chef fand das Ver- Fühlen Sie sich als Spion? auffliegt, wird fallengelassen wie eine steck. Da Strecker ein Flüchtling aus Frauenknecht: Juristisch ja, mora- heisse Kartoffel. Ostdeutschland war, argwöhnte er, es lisch nein. Was ich tat, tat ich für Is- Blenden wir zurück in die Zeit, als Sie könnte sich um ein Geheimdienstun- rael, aber nicht gegen die Schweiz. noch niemand im Verdacht hatte. Der ternehmen zugunsten des Ostblocks Plan war so perfekt; wie in aller Welt handeln, und verständigte die Polizei. Würden Sie dasselbe nochmals tun? konnten Sie oder Ihre Verbindungs- Frauenknecht wurde vom Bun- Frauenknecht: Das kann ich weder leute einen so schweren Fehler ma- desstrafgericht im April 1971 zu vier- mit Ja noch mit Nein beantworten. Se- chen, die Pläne in Kaiseraugst in einer einhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. hen Sie: Damals haben mich die Is- Firma zu lagern, deren Inhaber von Hans Strecker verschwand. Niemand raeli fast auf den Knien beschworen, nichts wussten? weiss, wohin. ihnen die Pläne zu geben. Sie haben gesagt, ich sei der Einzige, der ihnen Frauenknecht: Die gleiche Frage helfen könne. Heute weiss ich, dass habe ich mir auch schon hundertmal Frauenknecht: «Ich glaube, ich bin das nicht wahr gewesen ist. Aber bei gestellt. Eine Antwort habe ich bis ein guter Schweizer!» mir hatten sie es eben am leichtesten. heute nicht gefunden. Damals wusste Angeblich wegen Fluchtgefahr muss- Warum denn? Sind Sie Jude? ich nichts von diesem Sicherheitsri- te Mirage-Spion Alfred Frauenknecht siko. Kain und ein anderer Israeli fuh- seine Zuchthausstrafe in der Rückfäl- Frauenknecht: Nein, ich bin Katho- ren eines Tages mit mir nach Kaiser- ligenanstalt Regensdorf ZH verbüs- lik. augst. Sie stellten mir Strecker vor sen. Als er 1972 entlassen wurde, Oder haben Sie längere Zeit in Israel und rieten mir: Fragen Sie nichts. Je musste er, 46 Jahre alt, nochmals gelebt? weniger Sie wissen, desto besser. Na- ganz von vorn beginnen. In diesem

137 türlich glaubte ich, Rotzinger gehöre so leicht, das unauffällig zu tun. Aber Prokurist in einem Lieferwagen, das auch zu unserem Verein. ich wollte nicht riskieren, dass, wenn wäre aufgefallen! Über ein Jahr lang ging alles gut. Sie in der Verbrennungsanstalt zufällig Warum haben Sie eigentlich diese und Ihr Cousin müssen ja unheimlich einmal ein Paket platzen sollte, etwas rund zwei Tonnen schweren und vo- genau und vorsichtig gearbeitet ha- anderes als wirkliche Pläne zum Vor- luminösen Pläne ausgeliefert und ben... schein kämen. Nach den ersten paar nicht einfach einen zweiten Mikro- Malen war zwar meist kein Arbeiter Frauenknecht: Allerdings! Ich kaufte film herstellen lassen? der Verbrennungsanstalt mehr dabei; einen VW-Bus, um nicht mit einer mein Cousin und ich erklärten uns be- Frauenknecht: Weil dies nicht mög- Dauermiete aufzufallen. Ich liess am reit, das Papier selber in den Ofen- lich gewesen wäre. Es ist im An- Wagen Fensterabdeckungen anbrin- schacht zu werfen. Das sah wie eine schluss an meinen Fall immer wieder gen, damit niemand hineingucken freundliche Geste aus, hielt uns aber gesagt worden, die Sicherheitsvor- konnte. Als Chauffeur engagierte ich in Wirklichkeit Zeugen vom Leib. kehren bei Sulzer seien ungenügend. meinen Cousin, dem ich unbedingt Wenn am Samstagvormittag wieder Das ist nicht wahr. Dass mein Cousin vertrauen konnte. Dann suchten wir Pläne zu transportieren waren, liess und ich am Portier vorbei ungehindert das genau gleiche Packpapier und die ich meinen Cousin, der ja keine Ah- das Werkareal verlassen konnten, genau gleichen Schnüre, wie sie bei nung hatte, mit dem VW-Bus nach hing nur mit meiner Stellung als Ab- Sulzer zum Einpacken verwendet Rheinfelden fahren. Ich fuhr mit mei- teilungsleiter zusammen. Der Pfört- werden. Schliesslich musste mein nem Opel dorthin. Auf dem Parkplatz ner wusste eben: Das ist Herr Frauen- Cousin bei Altstoffhändlern im gan- vor dem Bahnhof übernahm ich den knecht, also ist die Sache in Ordnung. zen Land herumreisen und alte Pläne, VW-Bus und fuhr zu Strecker nach Erstens konnte man überhaupt nicht die als Makulatur abgeliefert wurden, Kaiseraugst. Von Winterthur aus sel- ohne Ausweis in die Mikrofilmabtei- zusammenkaufen. Es war gar nicht ber mit dem VW-Bus wegzufahren, lung; zweitens wurde eine genaue Kontrolle über alle hergestellten Ko- April 1975: Israels damaliger Premier Rabin konnte ich nicht riskieren; ein Sulzer- weiht den ersten «Kfir» ein. Er ist stark der pien geführt: Mirage nachempfunden.

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Jeder Mikrofilm musste vom Emp- und anständig die allermeisten Leute fänger quittiert werden. Wenn ich Mi- zu meiner Familie und zu mir sind. krofilme von 132‘000 Plänen doppelt Die Nachbarn hier in Aadorf waren hätte anfertigen lassen, hätte das – von von der ersten Stunde der Verhaftung diesen Kontrollen abgesehen – fünf an grossartig: Sie haben meiner Frau Leute während Monaten zusätzlich beigestanden, haben mich im Gefäng- beschäftigt, und das wäre auf gefallen. nis besucht. Heute ist das Verhältnis Daher verfiel ich auf die Idee, wenig- wieder wie früher. Aber auch ge- stens die Mikroverfilmung durchzu- schäftlich habe ich eigentlich wenig setzen; Sulzer konnte damit übrigens Nachteiliges erlebt. Natürlich wissen rund 10‘000 Franken Aufbewahrungs- alle Bescheid, ich heisse halt Frauen- kosten sparen. So wurden die Origi- knecht und nicht Müller... nale entbehrlich. Fühlen Sie sich sicher? Inzwischen haben die Israeli ihren Ab- Frauenknecht: Ja, durchaus. Ich sel- fangjäger «Kfir» fertiggestellt, aber es ber bin nie bedroht worden. Aber nach ist kein Snecma-Atar-Triebwerk drin, der Verhaftung haben meine Eltern sondern ein amerikanisches. War Ihre anonyme Anrufe erhalten, in denen ganze Arbeit für die Katze? In keinem Abenteuerfilm wohnt der Meister- eine angebliche «Palästinensische Be- Frauenknecht: Keineswegs! Aus mei- spion so bürgerlich: Alfred Frauenknechts be- freiungsfront» drohte, ihr Haus in die nen Unterlagen konnten die Israeli scheidenes Reihenhaus in Aadorf TG. Luft zu sprengen. Die Polizei nahm teures und zeitraubendes Know-how das ernst und bewachte das Haus. An ziehen. Sie wurden im Bereich der Er- ich, das Schweizer Bankgeheimnis sei den Kellerfenstern wurden Gitter satzteile für ihre Mirages unabhängig. in jedem Fall undurchdringlich. montiert. Doch passiert ist nichts. Ich Ausserdem hatten sie in den politi- Liechtenstein wäre übrigens auch habe zur Sicherheit eine Pistole im schen Verhandlungen über die ameri- falsch gewesen: Die Bundesanwalt- Haus. Aber ich habe keine Angst. kanischen Triebwerklieferungen ein schaft hat nach meiner Verhaftung Was hat Sie bei der ganzen Affäre am starkes Argument: Gut, wenn ihr uns nicht nur sämtliche Banken in der meisten getroffen? keine Triebwerke liefert, bauen wir sie Schweiz, sondern auch in Liechten- Frauenknecht: Dass mich das Bun- selber, die Pläne haben wir ja... stein mit Zirkular angefragt, ob ich desstrafgericht auch des militäri- bei ihnen ein Konto unterhalte. Und Sie haben 200‘000 Dollar verlangt schen, nicht nur des wirtschaftlichen die Liechtensteiner haben – Souverä- und erhalten, zum damaligen Kurs wa- Nachrichtendienstes schuldig befun- nität hin oder her – brav Auskunft er- ren das rund 860‘000 Franken. Sie sa- den hat. Ich wollte meinem Land, der teilt. gen, das sei die «Rückversicherung» Schweiz, nie schaden, Ehrenwort! Ich für Ihre Existenz, für Ihre Familie ge- Wie geht es Ihnen heute? wusste, dass ich gegenüber der Firma, wesen für den Fall, dass Sie aufflie- Frauenknecht: Wirtschaftlich musste der ich viel zu verdanken hatte, einen gen. Aber warum um alles in der Welt ich natürlich wieder völlig von vorne schweren Vertrauensbruch beging; haben Sie das Geld auf der Bank Leu anfangen. Ich bin jetzt als selbständi- angesichts der Not, in der sich die Is- in Zürich angelegt, wo es auch prompt ger beratender Ingenieur tätig und raeli befanden, glaubte ich dies indes beschlagnahmt wurde, und nicht auf habe ein paar recht erfolgreiche Erfin- verantworten zu können. Meine Über- einem sicheren Konto im Ausland, dungen gemacht, zum Beispiel einen legung war: Wer wird eigentlich ge- zum Beispiel in Liechtenstein? Papierbinder für den Haushalt, ein schädigt? Meine Firma? Nein. Die Frauenknecht: Nachher ist man im- Bürolesegerät, einen gewerblichen Schweiz? Eigentlich auch nicht. Wa- mer gescheiter. Damals aber war ich Autokühlschrank und einen hydrau- rum also soll ich es nicht tun? Es war völlig ahnungslos. Ich war Techniker, lisch verstellbaren Präzisionswerk- ein Gewissensentscheid, von dem kein Finanzexperte. Ich hatte doch nie tisch. Es geht mir finanziell anständig. nicht einmal meine Frau eine Ahnung mit solchen Problemen zu tun gehabt. Aber ich darf nicht mehr daran den- hatte. Gut, ich habe einen Fehler be- In meiner Ahnungslosigkeit glaubte ken, dass ich heute gut und gerne Vi- gangen. Aber trotzdem glaube ich, zedirektor bei Sulzer mit 100‘000 dass ich ein guter Schweizer bin! Franken im Jahr sein könnte. Und wie reagieren die Leute, die Nachbarn, die Geschäftspartner? Frauenknecht: Ich war immer über- rascht und bin es heute noch, wie nett

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Überblick über die Sulzer-Werke in Winter- schen Diplomaten in Bern und bei in- illegale Residenten in der Schweiz der thur. Zweimal stand diese Weltfirma im ternationalen Organisationen in Genf, Spionage überführt werden. Mittelpunkt grosser Spionageaffären: in den die nach zuverlässig scheinenden Fällen Kälin/Wolf und Frauenknecht. Auskünften dem CIA angehören. Die Diplomatie im Brennpunkt Nachricht wurde nie dementiert, von Ausweisungen wurde nichts bekannt. General Richard Gehlen, der frühere Ebenfalls 1976 stellte sich heraus, Chef des deutschen Bundesnachrich- Das Spiel geht weiter dass die Geheimpolizei Savak des tendienstes, hat einmal erklärt: «Min- Schahs von Persien ihr europäisches destens 40 Prozent des Personals der «Die geheime Nachrichtenermittlung ist Hauptquartier in Genf aufgeschlagen Botschaften, Handelsmissionen oder selbst im Fall von befreundeten Ländern hatte. Von dort aus wurden u.a. in Eu- sonstigen Vertretungen kommunisti- weder zu tadeln noch aussergewöhn- ropa studierende junge Iraner sowie scher Staaten gehören dem sowjeti- lich.» schen Komitee für Staatssicherheit William E. Colby, Chef des amerikani- im Exil lebende Oppositionelle über- schen Geheimdienstes CIA (1974) wacht und zum Teil bedroht. Der Bü- (KGB) bzw. den anderen Geheim- rochef musste die Schweiz verlassen; diensten der betreffenden kommuni- Einige werden erwischt, die meisten aber das Büro existiert weiter. stischen Staaten an.» Amerikanische schlüpfen durch die Maschen und Alle paar Monate werden Jugoslawen Schätzungen lauten sogar auf 60 Pro- spionieren weiter. 1976, als der ame- enttarnt, die ihre in der Schweiz le- zent. rikanische Geheimdienst Central In- benden Landsleute bespitzeln. Und In der Tat ist es kaum anders als durch telligence Agency (CIA) weltweit so sicher, wie das Amen in der Kirche nachrichtendienstliche Obliegenhei- wegen seiner fragwürdigen Praktiken ist, so sicher ist, dass auch in Zukunft ten zu erklären, weshalb viele Staaten ins Gerede kam, veröffentlichte das Diplomaten des Ostblocks wie deren in Bern und Genf so viele Diplomaten Nachrichtenmagazin «L’Espresso» stationiert haben. Im ersten Halbjahr die Namen von dreissig amerikani-

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1977 waren am Berner Kalcheggweg Mitarbeiter tätig sein, denn nach 1977 waren in Bern je zwölf Ostdeut- nicht weniger als 17 Diplomaten Tag einer Faustregel kann man die sche, Polen und Südafrikaner, 18 für Tag, von früh bis spät, um gute Zahl der Erstklassdiplo- maten mit Amerikaner, neun Ungarn, sechs Bul- Beziehungen zwischen der Schweiz drei bis fünf multiplizieren, um garen und 23 Sowjetrussen akkredi- und der Volksrepublik China bemüht. auf den tatsächlichen Personalbe- tiert. Dabei handelte es sich nur um die im stand zu kommen. Dazu kommen erfahrungsgemäss ge- Verzeichnis des Eidgenössischen Po- So ergeben sich auch für andere heimdienstlich geschulte Leute in den litischen Departements aufgeführten Länder Belegschaftszahlen, die Handelsmissionen, staatlichen Reise- Diplomaten Erster Klasse. Insgesamt mit der Grösse dieser Nationen büros, Fluggesellschaften, Presse- dürften in der Berner Chinesenbot- und der Intensität ihrer Beziehun- agenturen, Banken und Firmennie- schaft ständig zwischen 50 und 100 gen zur Schweiz nur schwer zu er- derlassungen. Immer wieder blitzen klären sind: Im ersten Halbjahr in der Weltpolitik Schlaglichter auf, die auf die intensive geheimdienstli- che Tätigkeit in Berner und Genfer Scharf auf Ausweise Blanko-Identitätskarten. Ausserdem Diplomatenkreisen hindeuten. Im arbeitete er als Kurier und leerte regel- Sommer 1958 meldeten amerikani- Dass die Geheimdienste aus aller Welt, mässig tote Briefkästen in Freiburg im sche Zeitungen unter Berufung auf insbesondere die östlichen, die Schweiz Breisgau, Sitten und Lugano. Der über- Geheimdienstkreise, der Staatsstreich auch in Zukunft als Operationsbasis zu zeugte Marxist bezog für diese langjäh- benützen gedenken, geht aus zwei rige Tätigkeit total bloss 1‘900 Franken, im Irak sei von kommunistischen recht ähnlichen Fällen hervor, in denen was ihm im Prozess angerechnet Agenten in Bern ausgebrütet worden. es den Russen gelang, Blankoformulare wurde: Er kam mit 15 Monaten Gefäng- Im November 1964 wurde in Oslo der von schweizerischen Ausweispapieren nis bedingt überraschend günstig da- Kapitän der norwegischen Luftwaffe zu beschaffen; diese waren offensicht- von. Kristen Gjöen als Sowjetspion ver- lich für neue Agenten bestimmt. Immer Buttex fiel der Bupo auf, als diese – wie wieder fällt auch auf, dass ertappte sie das regelmässig tut – sich an die haftet. Im Verhör erkärte er, er hätte Spione ausführliche Berichte über die Fersen bestimmter Beamter der sow- gerade an einem Spionagekurs teil- Einzelheiten des Lebens in der Schweiz jetrussischen Botschaft in Bern heftete, nehmen sollen, den die Sowjetbot- liefern mussten: über die Funktion der die sich mit dem treuen Mitarbeiter tra- schaften in Wien und Bern regel- Einwohnerkontrolle, des Steuerwesens, fen. Monatelang wurden Buttex und mässig, mit Vorliebe über die Weih- der Post und der öffentlichen Verkehrs- seine Führungsoffiziere beobachtet. In betriebe, der Sozialversicherung usw. der gleichen Fahndung fiel auch die nachtstage, durchführten. Bei den Tschechenspionen Schwarzen- Zürcher Beamtin Lilly Selmair (geb. Unklar ist, ob ein Gastland wie die berger zum Beispiel wurde eine Auf- 1924) auf. Sie arbeitete von 1962 bis Schweiz rechtliche Möglichkeiten tragsliste gefunden, laut der u.a. zu er- zu ihrer Verhaftung in verschiedenen hat, die Zahl der ausländischen Di- kunden waren: die Sprache und die Ver- Kreisbüros der städtischen Einwohner- plomaten zu beschränken. Selbst schiedenheit der Mundarten, Gebräu- kontrolle Zürich, wo sie ungehinderten wenn es diese Möglichkeit aber gäbe, che beim Mieten von Zimmern und Zugang zu Ausweispapieren und For- Wohnungen, Strassenverkehr und Au- mularen hatte. Diese lieferte sie zuerst würde nach der Meinung des Eidge- tokontrolle, Warenhäuser, Migros, Spei- dem sowjetischen und später auch nössischen Politischen Departements serestaurants, Vereinsleben, Nachtle- dem rumänischen Geheimdienst. eine Bestandsverminderung mit Si- ben, Funktionsweise des Telefons usw. Den Russen lief die alleinstehende cherheit die Falschen treffen und nur Im Februar 1970 griff sich die Bundes- Frau, die mit ihrer Mutter häufig weite unnötige Vergeltungsmassnahmen polizei in Verbindung mit den kantona- Reisen unternahm, ins Garn, als sie len Spezialabteilungen zwei Beamte in sich wegen eines Gelddiebstahls in ei- der betroffenen Staaten gegen die Zürich und Lausanne, die dem als Leiter nem Bus bei Taschkent beschwerte. Schweiz auslösen, die im Ausland der Konsularabteilung bei der Sowjet- Sterlikov brachte Frau Selmair dazu, ohnehin nur mit einem Minimum von botschaft in Bern auftretenden KGB-Of- Fotos vom Militärflugplatz Dübendorf Diplomaten arbeitet. Nach Ansicht fizier Alexej Sterlikov ins Garn gegan- und von der Schöllenenschlucht anzu- des Bundesrates, der im Anschluss an gen waren. fertigen; damit bekam er sie in die Der städtische Beamte Marcel Buttex Hand. Der als Zweiter Sekretär beim den Fall Jeanmaire entsprechende (geb. 1914) in Lausanne, Mitglied ver- Handelsdienst der rumänischen Bot- parlamentarische Anfragen zu beant- schiedener kommunistischer Organisa- schaft in Bern tätige Ian Croitoru wurde worten hatte, sind die gegenwärtigen tionen und Parteien seit 1945, lieferte in der Geliebte der vom Leben hart ge- Personalbestände in den ausländi- 70 Begegnungen zwischen 1962 und beutelten Frau und erreichte so seine schen Botschaften nicht übersetzt. 1970 nicht nur zahlreiche Berichte nachrichtendienstlichen Ziele. Lilly Sel- (auch über Ungarnflüchtlinge und ehe- mair wurde zu drei Jahren Gefängnis So oder so: Das Spiel wird weiterge- malige Spanienkämpfer), sondern auch verurteilt. hen ...

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Personenverzeichnis Cincera Ernst, 11/130 Guisan Henri (Oberst), 11/69 Labhart Jakob, 1/65,11/70 Claudel Paul, 1/86 Gustloff Wilhelm, 1/59, 63,11/59 Lang Hellmuth, 1/77 Colby William E„ 11/140 Gut Theodor, 1/119 Langie André, 1/37, 39 Croitoru Ian, 11/141 Gutzwiller Richard, 1/119 Lansing Robert, 1/104 Lehmann Albin, II/42ff Danner Martin, I/50ff Häberli Emil, I/57ff, 11/80 Lemberger Erwin, 11/32 Davidoff Wladimir, 11/122 Hagen Ulrich, I/68ff Lemmer Ernst, 11/86 Denissenko Wassili, II/120ff, 125ff Haller Karl Ludwig von, 1/12 Lemnitzer Lyman L., 11/95 Dick Fritz, II/ 104ff Hamel Edmond-Charles, I/96ff, 100 Leonhard Jakob, II/67ff, 77ff Dickmann Fritz, 1/102 Hamel Olga, I/96ff, 100 Leonhardt Ernst, 1/46, 49, II/46ff, Diederichs Günther, 1/77 Harrison Benjamin, 1/104 50, 52 Dietl Eduard, 11/71 Haupt Christian, 1/25 Levy Abraham, 1/28 Dindo Richard, 11/20 Hausamann Hans, 1/65, 85ff, 90ff, Lienhard Otto Alfred, 11/53 Dinichert Paul, 1/58 108ff, 110, U6ff, 121, 124ff, Lindt August, 1/119 Accoce Pierre, 1/93 Dollfus Roger, 11/16 128,11/72, 85 Little Stanley, 11/132 Airey Terence S. 11/95 Dollmann Eugen, 11/92 Hedin Sven, 1/83 Ludwig Carl, 1/58 Albert Fritz, I/76ff Dreyfus Alfred, 1/21 Heilig Gottlob, 1/77 Lüthi Werner, 1/31,11/53 Alexander Harold, 1/113,11/95 Droz Numa, 1/26, 28 Henlein Konrad, 11/27 Lutz Balthasar Anton, I/25ff Allgöwer Walter, 1/119 Dübendorf er Rahel, I/88ff, 96ff, 99 Henne Rolf, 1/45, 48 Lützelschwab Willy, 11/46 Ammann Hektor, 11/64 Dubois René, II/97ff, 10lff Hess Gerhard, 11/52 Arnstein André, II/ 104ff Hess Rudolf, 1/48,11/48, 62ff Dulles Allan W., 1/72, 103ff, 112, Maag Othmar, II/56ff Antos Jaroslav, II/107ff Heydrich Reinhard, 1/5 Iff, II/51ff, 11/72, 89ff, 92, 95 Mann Erika, 1/49 Ashton Georg, 1/77,11/57 Dulles John F., 1/104 60 Hilty Carl, 1/24 Mann Thomas, 1/85 Dürrenmatt Peter, 1/38 Manz Joachim, 1/54, 57 Baldwin Stanley, 1/86 Himmler Heinrich, 1/75, 105, 11/46, Mao Tse-tung, 1/17 Baileng Karl, 1/54, 58 48, 51, 53, 56ff, 60, 69, 73,90, 95 Eggen Hans W., 1/128,11/69, 72 Masson Roger, I/64ff, 105, 108ff, Baltensperger Emma, 11/112 Hinkel Hans, 1/86 Egli Karl, I/39ff 113, 117ff, 124, 127ff, II/68ff, 85 Barbey Bernard, 11/68 Hitler Adolf, I/43ff, 52, 59, 65, 67, Egorov Petr, 11/126 Matt Alphons, 1/128 Barth Karl, 1/119 72, 74ff, 80, 82, 90, 117, 124ff, Eichmann Adolf, 1/21 Mayer Rudolph, 1/33, 36 Barwirsch Josef Franz, II/59ff, 87 128, 11/26, 32, 48, 50, 53ff, 59, Eisele Helmut, 1/77 Mayr von Baldegg Bernhard, 1/87, Baumann Johannes, 11/48 6Iff, 64ff, 71, 85ff, 90, 92, 95, Eisenhower Dwight D., 1/104 90ff, 11/72, 85 Baumann Werner, 11/68, 75ff 129 Emmenegger Kurt, 11/86 Meienberg Niklaus, 11/20 Baumer Emil, I/26ff Hoffmann Ernst, 11/60,62 Ernst Alfred, 1/108, 111, 118, 125ff Melani Aldo, 1/36 Bechtel William, II/ 109ff Hofmann Ernst, I/47ff, 11/63 Ernst August, 11/64, 72ff Melani Giuseppe, 1/36 Mercier Joa- Benz Paul, II/58ff Holzach Paul, 1/128,11/72 Eugster Jakob, II/17, 22 chim, 11/64 Mercier Marcel, II/ Berdjajew Nikolai, 1/86 Houriet Bertrand, 11/123 103ff Berli Hans-Ulrich, II/ 107ff, 111 Feldmann Markus, 1/52, II/ 103ff Huber Jakob, 1/50, 74, 76, 107, Messen Gregori, II/103ff Bibra Hans Sigismund von, 1/63 124,11/24, 34ff, 37, 39 Fischer Jakob, I/25ff Metternich Klemens Wenzel Biedermann Ernst, 1/45 Huber Max, 1/40 Fischer Theodor, 1/46 Lothar von, 1/13, 28 Bini Livio, I/34ff Fonjallaz Arthur, 1/46, 49, 51, Hügel Klaus, 1/48, 76, 11/50, 52, Meyer Carl, 11/16 Bismarck Otto von, 1/23, 25ff 11/42, 65 60, 63 Meyer Johann Conrad, I/124ff, Blomberg Werner von, 11/53 Fonjallaz René, 11/65 Hungerbühler Werner, 11/68, 79ff, 11/81, 85ff Blum Paul, 11/92 Foote Alexander Allan, 1/87, 94, 96, 84ff Meyer-Schwertenbach Paul, 1/127, Boettcher Paul, 1/88ff, 96 99 Hurter Friedrich, 1/13 II/68ff, 72ff Bögemann Josef, 1/77,11/19 Husmann Max, 11/89, 95 Fouché Joseph, 1/21 Minelli Ludwig A., 1/88 Bohle Ernst Wilhelm, 1/76 Franco Francisco, 1/82 Minger Rudolf, 1/65, 117 Bolli Margrit, 1/82, 96ff Ilsemann Ivan, II/3Iff Frankfurter David, 1/59,11/59 Modin Nicolai, II/111 Bolliger Kurt, 11/124 Frauenknecht Alfred, II/133ff Issajew Victor, 11/122 Molden Fritz, I/100ff Bonjour Edgar, 1/24, 40, 58ff, 123, Frauenknecht Josef, 11/136 Jacob Berthold Salomon, 1/54, 57ff, Mörgeli Ernst, 1/110,11/68, 72ff 11/64, 69, 74ff Frei Hans Emil, 11/53 64 Morstadt Max W., 1/59 Bonny Paul, 11/65 Frick Heinrich, 11/64 Jaquillard Robert, 11/34, 36, 38 Motta Giuseppe, I/58ff Bormann Martin, 1/94,11/48 Friedrich Ernst, 11/64 Jeanmaire Jean-Louis, II/97ff, 111, Moumié Felix, II/ 108ff Böswald Josef, II/32ff, 37 Frolov Boris, II/111 118, 120ff, 141 Mühlen von und zur Walrat, 1/76 Bovet George, 11/48 Fromm Friedrich, 1/95 Jeanmaire Marie-Louise, II/ 120ff, Müller-Marzohl Alfons, 11/123 Bretscher Walter, 11/64 Furgler Kurt, 11/97, 118, 120, 123 123 Müller Werner, II/34ff Briand Aristide, 1/110 Fürst Hans, 11/51,86, 106 Jeanneret François, 11/120 Mürner Igor, 11/98 Bringolf Walter, 1/119,11/18 Jenny Caspar, 11/64 Mussolini Benito, 1/46, 104,11/48 Bronzin Remigio, 1/35 von Gaevernitz Gero, 11/89, 92 Joset Camille, 1/40 Musy Jean-Marie, 11/56 Brünker Thias, I/85ff Ganz Anton Roy, 1/58 Jung Edgar, 1/86 Brunner Ernst, 1/113 Gaulle Charles de, 1/73, 79, 11/135 Brunner Gustav, 11/74 Gehlen Reinhard, 1/94,11/140 Kain Nehemiah, 11/133, 136ff Nasser Gamal Abdel, 11/102 Brunschvig Georges, 11/106 Gerber Willi, Il/100ff, 111 Kalenbach Peter Adam, 1/28 Nietzsche Friedrich, 11/16, 54 Bubenberg Adrian von, 1/10 Giraud Henri, 1/110,11/72 Kälin Hans, 11/117 Nikles Alfred, 11/54 Büeler Heinrich, II/56ff Gisevius Hans Bernd, 1/101 Kaltenbrunner Ernst, 1/76, 11/51, 60 Bülow Bernhard Wilhelm von, 1/58 Gjöen Kirsten, 11/141 Kaufmann Friedrich, II/52ff Ochsner Richard, 11/126 Bülow Otto von, 1/26, 28 Glaser Vlastimil, 11/114 Keller Augustin, 11/62 Oehler Hans, l/47ff, 11/53, 58 Burkhard Max, II/100ff Goebbels Joseph, 1/52 Keller Max Leo, 1/48,11/57, 62ff Oeri Albert, 11/64 Burri Franz, I/46ff, 11/46, 48ff, 56, Göring Hermann, 1/52, 86, 11/87, Knecht Charles, 1/96 Oltramare Georges, 11/65 60, 62ff, 69, 72 89 Knüttel Emil, 1/77 Oprecht Hans, 1/119 Buttex Marcel, 11/141 Grob Rudolf, 11/64 Kobelt Karl, 1/110, II/10, 70 Gröbl Wilhelm, 11/23, 57 Köcher Otto Carl, 11/74 Canaris Wilhelm, 1/68, 74ff, 78, Guisan Henri (General), 1/72, 105, Könitz Hans von, 11/31 Packard Vance, 11/129 11/16, 18, 39 108, 110ff, 118, 124, 127, 11/38, Krause Gustav, 1/54 Pagnutti Evaristo, 1/32 Canevascini Giuglielmo, 1/49 42, 46, 48ff, 68ff, 72 Kurz Hans Rudolf, 1/71, 90ff, 94, Papen Franz von, 1/86,11/48 Castro Fidel, 11/129 123,11/71 Papini Natale, I/35ff Christlein Hans, II/ 132ff Paris Anselmo, 1/32 Churchill Winston S., 11/95 Parri Ferrucio, 11/92

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Parrilli Luigi, II/89ff, 92 Stöckli Albert, II/87ff Bernard Barbey: «Von Hauptquar- J. 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Bildquellen

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