383 Zurzach zur Zeit des Nationalsozialismus'

WALTER LEIMGRUBER «Der Frontenfrühling sprang auf unser Land über und schoss bald mächtig ins Kraut. Manch ein später Honoriger war in seinen damals noch jungen Jahren unschlüssig, und in den einen und andern unter ihnen frass sich der Wurm des nationalsozialistischen Gedankengutes [ ... ] »*

Am 7. Februar 1935 wurde der Zurzacher Unternehmer Karl Mallaun in Deutschland verhaftet unter der Beschul­ digung, den deutschen Devisenbestimmungen zuwiderge­ handelt zu haben. Mallaun wurde in Berlin festgenommen und am 15. Februar von zwei Beamten nach Waldshut gebracht, wobei «die Fahrtkosten 2. Klasse zu seinen Las ­ ten» fielen, wie der Aargauer Polizeichef Oberst Oskar Zumbrunn in seinem Schreiben an die Polizeidirektion fest­ hielt. In hatte der Zug Aufenthalt, ein Begleiter riet Mallaun, auszusteigen und zu verschwinden. Dieser woll­ te nicht: «Ich habe nichts ungesetzliches begangen und brauche deshalb die Flucht nicht zu ergreifen .>>2 Nach ei­ nigen Monaten Untersuchungshaft in Waldshut sah Mallaun die Sache anders. Am 4. August 1935 floh er aus dem Gefängnis und schlug sich in die Schweiz durch. Mallaun betrieb in Zurzach mit seinem Bruder ein Bauge­ schäft, das 1933 in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Die Baufirma wurde vorerst weiterbetrieben, befand sich im Moment der Verhaftung aber in der Phase der Liquidati­ on. Mallaun war auch in Deutschland aktiv. Zusammen mit dem deutschen Architekten Adolf Mildenberger, der ebenfalls verhaftet wurde,3 besass er dort Liegenschaf­ ten, «die grössere Werte repräsentieren». Die beiden

* PAUL HAUSHERR, Feldgraue Tage , Erinnerungen aus den Jahren 1935- 1945, Baden 1975, S. 9. 1 D as Kapitel bas iert auf den umfangreichen Akten des N achrichten­ dienstes der Aargauer Polizei in Aarau (in den Anmerkungen ge­ kennzeichnet mit «PK AG ND 2.WK» = «Polizeikommand o Aar­ gau, N achrichtendienst Zweiter W eltkrieg» und der entsprechen­ den Dossiernummer) und den Akten der Schweiz. Bundesanwalt­ schaft (BA) in Bern (BAR [= Bundesarchi v], E 4320[8] [Bestand] und A ngaben zu den einzelnen Dossiers). Allerdings lassen sich aus diesen Akten nicht alle Vorgänge vollständig rekonstruieren. Doku­ mente aus Deutschland, die aber 1945 zum grössten Teil vernichtet worden sind, und Unterlagen weiterer Behörden oder von Pri vat­ pers onen könnten das hier gezeichnete Bild allenfa lls abrunden. 2 Abschrift vom Schreiben Zumbrunns an die Polizeidirektion A arau vom 24.4.35 , Beilage zu Brief der Abtei lu ng für A uswärtiges, Eidge­ nössisches Politisches Departement (in der Folge: EPD), an die BA, 6.5.3 5, BA R, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.12.82. 3 Verhandlung vor Staat sanwaltschaft des Kantons Aargau, in A nwe- 384 Zurzach zur Zeit des Nati o na lsozialis mu s

waren auch im Exportgeschäft aus Deutschland tätig, lie­ den frühen l 930er-Jahren mit den Fronten sympathisiert ferten Hopfen und Kohle in die Schweiz. Diese Geschäfte hatte. wurden mit der Bewilligung der Devisenstellen in Karlsru­ Die Angehörigen Mallauns waren davon überzeugt, dass he und Berlin getätigt. Es habe sich nicht um «unerlaubte seine Verhaftung aufgrund einer Denunziation erfolgt war. oder unreelle Geschäfte» gehandelt, war Zumbrunn über• Der deutsche Zollfahnder Brill habe gegenüber dem Bru­ zeugt. Mallaun verfügte über gute Beziehungen zu deut­ der, Josef Mallaun, bestätigt, dass «etwas von Zurzach schen Behörden. Offenbar war es aber in der Devisen­ gekommen» sei. 8 Verdächtigt wurde gleich eine ganze stelle Karlsruhe zu Unregelmässigkeiten gekommen, mit Reihe von Personen, darunter einige wichtige Zurzacher denen man auch ihn in Verbindung brachte. Die deutschen Persönlichkeiten. An oberster Stelle stand der deutsche Behörden ermittelten gegen zwei Beamte der Devisen­ ' "Architekt Paul Heinrich Petry. Er war von Mallaun 1932 stelle, von denen der eine Selbstmord beging. 4 als Teilhaber in das Geschäft aufgenommen worden. Als Einen Teil der Exportgewinne mussten Mildenberger und die Firma 1933 in Konkurs ging, verlor Petry seine Einlage Mallaun gemäss Abkommen mit der Reichsdevisenstelle von Fr. 10'000.-. Seither bestand Feindschaft zwischen den Berlin für Sanierungsarbeiten in Deutschland verwenden. beiden. Zumbrunn war überzeugt, dass Petry den deut­ Das Geld lag auf einem Konto, das auf Mallauns Namen schen Behörden Material geliefert hatte.9 lautete, bei der Schweizerischen Bankgesellschaft Zürich. Petry war mit den bekannten Zurzachern Werner Ur­ Gleichzeitig gewährte die SBG Mallaun und Mildenberger sprung und Martin Keusch befreundet. «Dr. Ursprung ist Hypothekarkredite in der Höhe von 1,35 Mio. Franken Nationalsozialist und verkehrt sehr oft in deutschen na­ auf Fabrikwohnungen im süddeutschen Raum. An diese tionalsozialistischen Kreisen. Er ist Mitglied des Turnver­ Kredite band die SBG die Bedingung, dass 300'000 Fran­ eins Tiengen und bekleidet dort die Charge eines Stan­ ken davon in der Schweiz zur Verfügung gestellt würden, dartenträgers. Dieser saubere Eidgenosse hält es nicht was einer speziellen Genehmigung der Devisenstelle Ber­ unter seiner Würde, in Deutschland eine Hitlerstandarte lin bedurfte. Diese wurde erteilt mit dem Vorbehalt, dass zu tragen. Er steht mit nationalsozialistischen Würdenträ• Kreditgeber wie -nehmer, also die SBG einerseits sowie gern in steter Verbindung, was von uns bewiesen werden Mildenberger und Mallaun andererseits, bei diesem Ge­ kann », schrieb Polizeichef Zumbrunn an die aargauische schäft keine Nebenabkommen treffen durften. Die ent­ Polizeidirektion. Ob Ursprung in Mallauns Verhaftung ver­ sprechende Erklärung wurde beidseitig unterzeichnet. Kurz wickelt war, wusste die Polizei allerdings nicht. Keusch war darauf, im Oktober 1933, schlossen die SBG und Mallaun ebenfalls oft in Deutschland. «Er ist nationalsozialistisch dennoch einen Spezialvertrag. Die Reichsbank erfuhr da­ eingestellt und steht mit SA-Funktionären in Verbindung.» von und beschaffte sich eine Kopie. Mallaun verdächtigte Auch bei ihm war unklar, ob er etwas mit der Sache zu sofort die SBG, da es hier schon früher zu Indiskretionen tun hatte. 1° Für den Bruder des Verhafteten war das kei­ gekommen war. Der Zusatzvertrag spielte bei der Ver­ ne Frage: «[ .. .] die engen Beziehungen dieses Herrn [Ur­ haftung Mallauns und auch bei der am 27. Dezember 1936 sprung] zu den politischen deutschen Stellen sind einwand­ erfolgten Verurteilung von dessen Partner Mildenberger frei erwiesen. [ ... ] Er ist von meinem Bruder schon lange in Waldshut eine wichtige Rolle. 5 Dieser wurde wegen vor seiner Verhaftung verdächtigt worden, da er von sei­ Erschleichung von Devisengenehmigungen zu fünf Jahren nen Denunzierungen ihm gegenüber längst Kenntnis hat­ Zuchthaus, 650'000 Reichsmark Geldstrafe und 325 '000 te, diesen Intrigen aber keine grosse Bedeutung beimass. Reichsmark Wertersatzstrafe verurteilt, später wurde das Ursprung ist deshalb auch in Zurzach allgemein als Spitzel Strafmass etwas reduziert. 6 bekannt, gefürchtet und gemieden.» Auch Keusch kam für Oberst Zumbrunn charakterisierte Mallaun in einem Josef Mallaun als Denunziant infrage. Dieser hatte zu Dritt­ Schreiben an die Polizeidirektion als «ausgezeichneten personen gesagt: «Dem Mallaun seine deutschen Geschäf• Familienvater und Ehemann». «Als Bürger ist er geachtet, te sind jetzt fertig, dem haben wir dafür gesorgt resp. wir weil er stets die Interessen unseres Landes vertritt und in haben ihm den Riegel gestossen.» Und Josef Mallaun wei­ der Öffentlichkeit die Bescheidenheit selbst ist. Als Ge­ ter: «Über die Charaktereigenschaften etc. dieses Herrn schäftsmann ist er aber, wie man zu sagen pflegt, ein ge­ dürften Sie von angesehenen und glaubwürdigen Persön• rissener Kerl. Hier lässt er seinen Fähigkeiten die Zügel lichkeiten von Zurzach ausreichend Auskunft erhältlich frei und ist stets auf seinen Vorteil bedacht.>>7 Andere sa­ machen können.» 11 hen in Mallaun vor allem den Geschäftemacher und schätz• Nach Zurzach zurückgekehrt, verdächtigte auch Karl ten seine patriotische Haltung weniger hoch ein, da er in Mallaun selbst verschiedene Zurzacher, ihn in Deutsch- Walter Le imgruber 385 land denunziert zu haben. Zudem fühlte er sich bedroht rierte den vom «Keil Zurzach» ges pendeten «Landes­ und behauptete, man habe seit seiner Flucht mehrmals ehrenwein». Zur Erinnerung an die Tagung wurde am versucht, ihn erneut über die Grenze nach Deutschland Gasthof «Zum Achenberg» eine Marmortafel mit der In­ zu locken. Anfang 1936 erstattete er Anzeige, weil ihm schrift « 1. Bundesfeiertreffen der Nationalen Front 1932» mitgeteilt worden war, dass in Kreisen der Nationalsozia­ enthüllt. Einige Jahre später verschwand die Tafel wieder. listischen Partei in Waldshut davon die Rede sei, man Am 3 1. Mai 1933 fand in Zurzach eine Kundgebung der werde sich den entflohenen Mallaun wieder holen. Damit Nationalen Front statt. Ein Marsch der Musikgesellschaft löste er eine gross angelegte Untersuchung der aargau­ Zurzach eröffnete den Abend in der voll besetzten Turn­ ischen und der Bundespolizei aus. 12 Im März 36 teilte das , «Harstleute» aus Brugg, Klingnau und Zurzach in Grenzwachtkorps des II. Schweizerischen Zollkreises mit, weissem Hemd mit schwarzer Krawatte sorgten für Ord­ man habe ebenfalls Hinweise, dass die Mallaun nung. Es sprachen Landesführer Dr. Biedermann und Dr. tot oder lebendig wieder nach Deutschland bringen wol­ Niederer aus Zürich. Leiter der Ortsgruppe Zurzach war le. 13 Einige Tage später erliess die Bundesanwaltschaft in­ der Möbelfabrikant Gottfried Rudolf. 17 Das Kampfblatt terne, nicht veröffentlichte Haftbefehle gegen verschie­ der nationalen Front, der wöchentlich erscheinende «Ei ­ dene Deutsche, die aber nicht vollstreckt werden konn­ serne Besen», wurde 1932/33 in der Buchdruckerei «Zum ten.1 4 Adler» in Zurzach hergestellt. Deren Besitzer Karl Wol­ bold war gleichzeitig auch Verleger und Redaktor des frei­ sinnig-demokratischen «Zurzacher Volksblattes» und Vi ­ Ein «bekannter Frontist»15 zepräsident der freisinnigen Ortspartei. Die Auflage der Fronten-Zeitung soll im November 1932 etwa 10'000, im Im Zentrum der Untersuchung stand der Fürsprech Dr. März 1933 rund 25'000 Exemplare betragen haben. Werner Ursprung. Er war der Sohn des Bundesrichters In dieser Phase waren die bürgerlichen Parteien, die ihren Albert Ursprung und betrieb eine Anwaltspraxis, nach­ Hauptfeind in der Sozialdemokratie sahen, den Fronten dem er in den Krisenjahren Sekretär des Aargauischen wohlgesinnt und räumten ihnen auch in ihren Medienbrei­ Baumeisterverbandes gewesen war. Im Militär bekleidete ten Raum ein. An manchen Orten traten Fronten und er den Rang eines Hauptmannes der Justiz. Schon in den Bürgerliche gemeinsam gegen die Linken auf. Es kam zu frühen Dreissigerjahren war er als engagierter Fröntler turbulenten Versammlungen, die nicht selten aufgelöst bekannt geworden. «Dr. Ursprung galt damals schon [ 1930] als Nationalsozialist und er nahm hie und da an se nh eit von Herrn Bezirksamtman n Vögeli , Zurzach, in Aarau, Mallaun Karl, 4.2.38, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.12.82. Versammlungen der Nationalsozialisten im Badischen teil. 4 Abschrift vom Schreiben Zumbrunns an die Polizeidirektion Aarau In seiner Begleitung befanden sich oftmals Eichmeister vom 24.4.35, Beilage zu Brief der Abteilung für Auswärtiges, EPD, Bühler und Ammann Keusch Martin von Zurzach. Als die an die BA, 6.5. 35, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.12.82. 5 Abhörungsprotokoll Mallaun Carl , Zurzach, 10.3.38, BAR, E 4320(8) Fronten in unserem Land aufkamen, gehörte Ursprung 1984/29, Bd. 78, C.12.82. immer noch der nationalsozialistischen Richtung an und 6 Hohe Zuchthausstrafe für den Vo lksschädling, in: Der Alemanne, er konferierte eifrig mit dem bekannten Nationalsozialis­ 18.5.1938, PK AG ND 2.WK, 18305A. 7 Abschrift vom Schreiben Zumbrunns an die Polizeidirektion Aarau ten Wirz von Landenberg ob Sarnen. Die nationalsozialis­ vom 24.4.35, Beilage zu Brief der Abteilung für Auswärtiges, EPD, tische Richtung konnte sich aber im Aargau nicht behaup­ an die BA, 6.5.35, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.12.82. ten und es erfolgte dann der Zusammenschluss mit der 8 Brief der Abteilung für Auswärtiges, EPD, an die BA, 6A.35, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.I2.82. Nationalen Front», berichtete die aargauische Polizei 9 Abschrift vom Schreiben Zumbrunns an die Polizeidirektion Aarau 1933. 16 Unter dem Eindruck der Machtübernahme Hit­ vom 24.4.35 , Beilage zu Brief der Abteilung für Auswärtiges, EPD, lers erlebten diese Erneuerungsgruppen im gleichen Jahr an die BA, 6.5.35, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.12.82. 10 Ebd. eine erstaunliche Blüte. Die «Nationale Front» errang vor 11 Brief der Abteilung für Auswärtiges, EPD, an die BA, 6.4.35, BAR, allem in der Nordostschweiz politische Anfangserfolge. E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.12.82. 12 In ihrer Landesleitungsassen neben anderen auch die Aar­ Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau an di e BA, Bern, 7.2.38, BAR, E 4320(8) 1984/ 29, Bd. 78, C.12.82. gauer , Eduard Rüegsegger und Werner Ur­ 13 Grenzwachtkorps des II. Schweiz. Zollkreises an den Sektorchef der sprung. Dieser hatte am 30./31. Juli 1932 die erste gesamt­ eidg. Grenzwache in Zurzach, 12.3.36, PK AG ND 2.WK, 18305A. 14 schweizerische Frontentagung auf dem Achenberg ob BA an PK AG, 18.3.36 und 30.3.36, PK AG ND 2.WK, I8305A. 15 Bri ef Zumbrunns an PK Zürich, 10.2.37, PK AG ND 2.WK, 17984. Zurzach organisiert. Bei dieser Gelegenheit hielt er als 16 PK AG an Bund esanwalt, 31 .7.33, PK AG ND 2.WK, 15868. «Führer des Standes Aargau» eine Ansprache und offe- 17 Zurzacher Volksblatt, 29.5. und 3.6. 1933. 386 Zurzach zu r Zeit d es N atio nalsozia li smu s

werden mussten oder in wüsten Tumulten endeten. In bestellte ihn die Witwe von , dem in Brugg etwa wurde im März 33 eine Versammlung der Davos ermordeten Landesgruppen-Leiter Schweiz der Nationalen Front zuerst von den Sozialdemokraten ge- NSDAP, zu ihrem Anwalt im Mordprozess vor dem bünd• sprengt. In der Folge wurde die Versammlung wiederholt, nerischen Strafgericht.26 diesmal war sie von den bürgerlichen Parteien und den Ursprung war ein Mann, der überaus gerne provozierte. Fronten gemeinsam organisiert.18 Erst als sich zeigte, dass Der Fürsprech beschwor bewusst kritische Situationen die Popularität der Fronten beim Stimmvolk wesentlich herauf, um sich über Polizei und Behörden lustig zu ma­ kleiner als erwartet war, distanzierten sich die bürgerli- chen und sie zu ärgern. Immer wieder kam es zu Vorfäl• chen Parteien. 19 Aber auch ehemalige Sozialdemokraten len, die von der Polizei registriert und untersucht wurden. traten zu den Fronten über. So berichtete ein Einsender ""Im Februar 1934 vermerkten die Zollbehörden, dass er des «Zurzacher Volksblattes» im Mai 1935 begeistert von die Grenze nach Deutschland passierte mit schweizeri­ Übertritten von Sozialisten zu den Fronten:«[... ] ein kräf• schen Zeitschriften, die in Deutschland verboten waren tiges ! Willkommen in unseren Reihen!»20 und die unter anderem Artikel enthielten, die Göring be­ Im Mai 1933 wurde Ursprung an einer Versammlung der leidigten.27 Am 2. Januar 1935 reiste er nach Informatio­ Frontisten zum Gauführer des Aargaus gewählt, aber noch nen der Aargauer Pol izei sogar in den Schwarzwald, um im gleichen Jahr abgelöst von Alfred Disch aus Othmar­ Propagandaminister Goebbels zu treffen. Dieser musste singen, auf den dann Eduard Rüegsegger aus Brugg folg­ aber plötzlich nach Berlin zurückkehren, sodass das Tref­ te. 21 Später wechselten Ursprung und der Zurzacher fen offenbar nicht zustande kam. 28 Die aargauische Kan­ Möbelfabrikant Gottfried Rudolf zum «Volksbund», einer tonspolizei machte deshalb keinen Hehl daraus, wie sie «Kampfgemeinschaft für Schweizerische Nationale und Ursprung einschätzte. Auf der Registrierkarte von Ur­ Soziale Erneuerung», die sich im Herbst 1933 unter Lei­ sprung fand sich neben den persönlichen Daten der Ver­ tung von Major , Oberstdivisionär Emil merk: «Nazifreund, ganz unzuverlässig, Spitzel; korrespon­ Sonderegger und Hans Bosshard von der Nationalen Front diert unter dem Decknamen als Frontist mit abgespaltet hatte. Ursprung bekleidete hier offenbar das den Nazis (Fleischhauer etc.) (Fall Mallaun).» 29 Am 19. Amt eines .22 Danach wechselte er zu weiteren Dezember 1937 teilte Zumbrunn der Bundesanwaltschaft Nachfolgeorganisationen. Im Mai des folgenden Jahres sogar mit, Ursprung sei bis Ende 1934 Agent der deut­ wurde registriert, dass er ein Referat vor der Ortsgruppe schen Sicherheitspolizei gewesen und habe «zweifellos Olten der «Volksfront» gehalten hatte.23 intensiv für Deutschland gearbeitet».30 Ursprung verstand es besonders gut, junge Leute in sei­ nen Bann zu ziehen. Mitte 1934 notierte die Bundesanwalt­ Die Bundesanwaltschaft wollte mehr über Ursprungs Ver­ schaft, er habe seine Gefolgschaft von etwa zehn Burschen bindungen nach Deutschland wissen. In Waldshut bestand als SA-Gruppe (Sportabteilung) der Nationalen Volksfront im Gebäude der NSDAP eine Zentrale, die den Zweck organisiert.24 In Zurzach und im Bezirk höre man oft über verfolgte, in der Schweiz befindliche deutsche Bankgutha­ ihn klagen, stellte die Polizei 1935 in einer Abklärung über ben ausfindig zu machen. Sie versuche, mithilfe von «ab­ nationalsozialistische Bewegungen fest: «Man verurteilte gebauten, unzufriedenen und noch in Stellung befindlichen sein Vorgehen, insbesonders, weil meistens der Schule schweizerischen Bankbeamten» Namen von deutschen entlassene Knaben und Lehrlinge sich dieser Gesellschaft Einlegern zu erhalten, und bringe auf diese Weise Deutsch­ anschlossen. Ihnen wurde der Kopf voll geschwatzt und land Millionen zurück.31 Der Leiter der Zentrale, ein Dr. die Eltern konnten mit ihren Söhnen fast nichts mehr an­ Wilhelm Gutmann, war zugleich Bürgermeister von Tien­ fangen. Die Klagen folgten erst im Momente, als sich die gen und Parteigruppenleiter der NSDAP. Und er war eng Partei im h. Bezirk auflöste.» Zwar war es nach den ers­ mit Ursprung befreundet. Gutmann verkehrte auch mit ten Anfangserfolgen der Fronten wieder ruhiger gewor­ Gemeindeammann Keusch, «der ein guter Freund Ur­ den um Ursprung. Die Polizei misstraute dieser Ruhe al­ sprungs ist und als charakterloser Kerl zu ihm passt». Gut­ lerdings: «Er spielt nach meiner Ansicht der Vorsichtige mann hielt sich oft in der Schweiz auf. Er und Ursprung und lässt die andern die Kastanien aus dem Feuer holen», wurden immer wieder von der Polizei beobachtet, für die hielt der Zurzacher Polizist Baldinger fest.25 Einer gesamt­ es keinen Zweifel gab: «Dr. Ursprung ist zweifellos der schweizerischen Öffentlichkeit war Ursprung durch sein Gehilfe des Dr. Gutmann. Dieser Mensch ist zu allem fä• Auftreten im Prozess über die «Protokolle der Weisen hig.»32 Gutmann wurde im September 1945 vom Territo­ von Zion» ( 1934/35) bekanntgeworden. Und Mitte 1936 rial Gericht 2 B wegen w iederholtem und fortgesetztem Wa lter Le imgru be r 387

Nachrichtendienst, wiederholtem und fortgesetztem mi­ chen. Im Flecken streute er das Gerücht aus, sieben bis litärischem Nachrichtendienst, wirtschaftlichem Nachrich­ zehn Jahre seien dem Unternehmer sicher. Danach mel­ tendienst, wiederholter verräterischer Verletzung militä­ dete sich Ursprung nicht mehr bei der Familie, auch nach rischer Geheimnisse, wiederholtem Nachrichtendienst Mallauns Flucht nahm er keinen Kontakt mit ihm auf. 37 gegen fremde Staaten im Zeitraum 1941--43 zu 12 Jahren Mallaun berichtete der Polizei nach se iner Flucht aus Zuchthaus und 15 Jahren Landesverweisung verurteilt.33 Deutschland, dass Ursprung genau über seine Verträge 1947 verurteilte ihn das Landgericht Waldshut wegen mit der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) informiert Gewährenlassen der Bevölkerung bei Ausschreitungen war. Zu wiederholten Malen hatte dieser bereits 1934 gegen Juden zu eineinhalb Jahren Gefängnis. 34 entsprechende Bemerkungen fallen lassen. In «A ktenno­ Nach dem Krieg wurde Gutmann von der Bundesanwalt­ tizen» hatte Mallaun diese Äusserungen festgehalten und schaft in Waldshut befragt. Er bestätigte dabei, dass Ur­ sie der SBG unterbreitet. Ursprung hatte ihm gegenüber sprung sich vor dem Krieg fast täglich in Tiengen aufgehal­ auch erwähnt, dass andere ebenfalls von diesen Dingen ten und dort viele Leute gekannt habe. Er selber sei durch wüssten, und zwar durch einen kleinen Angestellten der Ursprung mit der AST (Abwehrstelle) in Kon ­ SBG. 38 Mallauns Demarchen bei der Bankgesellschaft in takt gekommen. Ursprung habe ihm mitgeteilt, ein ihm Zürich verliefen jedoch ergebnislos, man verweigerte ihm bekannter schweizerischer Oberst, , wün­ jede nähere Auskunft über die mutmasslichen Zusammen­ sche zu den deutschen Behörden Beziehungen aufzuneh­ hänge und Hintergründe. Er erfuhr lediglich, dass ein Pro­ men. Fonjallaz, Führer der faschistischen Bewegung in der kurist, der als Frontist tätig war, in ein anderes Ressort Schweiz, wollte Geldmittel für seine Partei. Als Gegenleis­ tung bot er Beweismaterial über deutsche Guthaben bei 18 BELART, Nationale Front, S. 1 19- 126. 19 schweizerischen Banken an . Ursprung wirkte als Vermitt­ Zu den Fronten vg l. : GLAus, N ationale Front; WOLF, Fasc hismus, so- wie den Beitrag von W. Wolf, S. 377 ff. ler. Er überbrachte Gutmann ein schriftliches Angebot von 20 Zurzacher Volksblatt, 25.5. 193 5. Fonjallaz und verhandelte mit der Zollfahndungsstelle Frei­ 21 BELART, N ationale Front, S. 129 f. 22 burg. 1935 traf Gutmann Fonjallaz erstmals in Zürich, auch Schrei ben der Oberzolldirektion an BA, 14.2.34, BAR, E 4320 (8) 1984/29, Bd. 78, C. 12.82. Ursprung war anwesend. Fonjallaz lieferte eine Dokumen­ 23 Schreiben derSo\othurner Polizei, 5.5.34, BAR, E 4320(8) 1984/29, tation ab und erhielt dafür 5000 Franken. Einen Teil der Bd . 78, C.I2.82. 24 Sch reiben des PK AG, 17. und 27.7.34, BA R, E 4320(8) 1984/29, Unterlagen übergab Ursprung Gutmann. Die Dokumenta­ Bd. 78, C. 12.82. tion war laut Gutmann aber praktisch wertlos, das meiste 25 PK AG an die Bezirksunteroffiziere, 15.4.35; Baldinger, Z urzach, war den deutschen Stellen schon bekannt. 18.4.35, PK AG ND 2.WK, l 8489B. 26 Zurzacher Volksbl att, 17.8. 1936. Ursprungs ausgezeichnete Verbindungen in Deutschland 27 Schreibe n der O berzolldirektion, 14.2.34, BAR, E 4320(8) 1984/ waren immer wieder Gegenstand von Abklärungen. Die 29, Bd. 78, C. 12.82. Untersuchungen lieferten aber keine juristisch verwert­ 28 Schreiben des PK AG, 12.3.35, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd . 78, C.12.82. baren Ergebnisse. Immerhin war Ursprung so verdächtig, 29 PK AG ND 2.W K, 17984. dass die Bundespolizei seinen Pass einzog und ihn au.eh 30 BA R, E 4320(8) 1984/ 29, Bd. 78, C.1 2.82. nach Einsprache seines Anwaltes nicht herausgab. Grenz­ 31 BA, Schreiben an PK AG, 23. 1.3 7, PK AG ND 2.WK, 17984. 32 35 Schreiben vom 25 . 1.37 an BA, PK AG ND 2.WK, 17984. passierscheine hingegen konnte der Fürsprech lösen. 33 Ter.Ger. 2 B, 3. und 6. 9.45 , Urteils-Auszug fü r BA, 7.12.46, PK AG ND 2.WK, 22848. Mallaun und Ursprung w aren befreundet gewesen und 34 A ktennotiz, 12. 1 1.47, PK AG ND 2.WK, 22848. 35 Polizeikorps des Kantons ZH an das PK Z ürich in Sachen PK AG, hatten Anfang der Dreissigerjahre ähnliche politische Ideale Auftrag: Müll er Hans, von Lengnau AG, Buchh alter in Zürich, über gehabt. Mit der Zeit kühlte sich das Verhältnis der beiden polit. Tätigkeit Dr. Ursprungs befragen, 21 .6.38; Stadtpolizei Zürich aber ab, offensichtlich vor allem aufseiten Mallauns.36 Als an PK AG, 7.9.37, PK AG an PK Stadtpolizei Z ürich, 26.10.37; Staats­ an waltschaft des Kantons Aargau an Fürsprech A. Hagmann, Olten, er im Februar 1935 nach Berlin reiste, erhielt er vier Tage 23.3 .38, PK AG ND 2.WK, 17984. vorher einen Anruf von Ursprung. Dieser erfragte alle 36 Verhandlung vor Staatsanwaltschaft des Kantons A argau, in A nwe­ Details der Reise und bedauerte, nicht mitreisen zu kön­ senheit von Herrn Bezirksamt mann Vögeli , Zurzach , in A arau, Mallau n Karl, 4.2.38, BA R, E 4320(8) 1984/29, Bd . 78, C.12.82. nen. Nach der Rückkehr aus dem Gefä ngnis musste Mal­ 37 A bhörungsprotokoll Mallaun Carl, Zurzach, 10. 3.38, BA R, E 4320(8) laun dann erfahren, dass sich Ursprung bereits am Tage 1984/29, Bd. 78, C.1 2.82. 38 der geplanten Rückkehr bei seiner Frau erkundigt hatte, Verfügung in der Strafsa che gegen Ursprung Werner, betreffend Zuw iderhandlung gegen den BB betr. Schutz der Sicherheit der Eid­ ob er zu Hause sei. D ie gleiche Frage wiederholte er am genossenschaft, 29. 10.38, BA R, E 4320(8) 1984/ 29, Bd . 78, folgenden Tag, am dritten Tag befragte er das Dienstmäd- C. 12.82. 388 Zurzac h zur Zeit des N a ti o nalsozi a li sm us

versetzt wurde, vermutlich wegen dieser Angelegenheit.39 te immer in finanziellen Nöten. Jöhl vermutete sogar, dass Der zwischen Mallaun und der SBG geschlossene Neben­ er sie wegen Devisenvergehen denunziert habe, um sie vertrag wurde von den schweizerischen Behörden als loszuwerden.47 Geschäftsgeheimnis betrachtet, dessen Verrat oder Über• Keusch verfügte über gute Beziehungen zu Mallauns ehe­ mittlung an deutsche Amtsstellen unter Art. 4 des Spitzel­ maligem Teilhaber Petry. Er versuchte, die Ausreise­ gesetzes fiel. Die Polizei fand zwar einen der Informanten verfügung gegen diesen rückgängig zu machen. Das Aar­ Ursprungs, nicht jedoch das direkte Leck bei der SBG.40 gauer Polizeikommando hielt den Tierarzt als Gemeinde­ Von der Bundesanwaltschaft befragt, wusste Ursprung von ammann für untragbar: «Dr. Keusch geniesst in Zurzach nichts. «[ .. .] von irgendeiner Vertragsabschrift und Pho­ kein grosses Ansehen. Er wird aber bei der nächsten Wahl tokopien von Bankkonti betreffend die Bankgesellschaft ' zweifellos wieder als Gemeindeammann gewählt. Wir in Zürich sowie Mallaun, die sich in deutschen Händen haben mit gut bürgerlich gesinnten Leuten Rücksprache befinden sollen ist mir absolut nichts bekannt, wie mir genommen und die Stimmung erforscht. Man ist nicht überhaupt ganz allgemein nichts von solchen Sachen be­ damit einverstanden, dass Keusch stets mit deutschen kannt ist oder je war.»41 Persönlichkeiten verkehrt. Wir haben die Auffassung, dass Keusch als Ammann einer Grenzgemeinde nicht mehr gewählt werden sollte. Es sind Bestrebungen im Gange Intrigen ihn unmöglich zu machen. Bis anhin haben die Sozi ihm immer gestimmt, obschon auch in diesen Kreisen bekannt Der zweite Verdächtige war Gemeindeammann Martin ist, dass er stets mit deutschen Funktionären zusammen Keusch, Tierarzt, der für die Bauern-, Gewerbe- und Bür• ist. »48 gerpartei (BGB) 1927 bis 1933 im Grassen Ratsass und Mallaun erfuhr im Gefängnis, dass Keusch, mit dem er im Militär den Rang eines Majors bekleidete. Seit 1926 vorher keine engeren Beziehungen unterhalten hatte, sich war er Zurzacher Gemeindeammann. Mehrere Zeugen gegenüber den deutschen Behörden ungünstig über ihn hatten gehört, wie er gesagt hatte: «Dem Mallaun haben geäussert habe. Nach seiner Rückkehr begann er deshalb, wir den Riegel gestossen.» Keusch sei als Nazifreund längst Material gegen den Gemeindeammann zu sammeln. In der bekannt, berichtete die aargauische Polizei der Bundes­ Gemeindeversammlung vom 27. Dezember 1935 mach­ anwaltschaft auf deren Frage, wie sich Keuschs Haltung te er ihm schwerste Vorwürfe und forderte ihn gleichzei­ mit einem öffentlich-rechtlichen Amt vertrage.42 Er gehe tig auf, ihn vor den Richter zu ziehen. Erst im April 1936 unter dem Vorwand, Kunden zu besuchen, was nicht stim­ reichte Keusch eine entsprechende Ehrverletzungsklage me, fast täglich nach Deutschland. Man wisse, wo er ein­ ein. An diese schlossen sich weitere Verfahren wegen Ehr­ und ausgehe. Seit längerer Zeit gebe es Verbindungen mit verletzung und Falschaussage diverser Beteiligter an. 49 SA-Funktionären, zudem «Weiberbekanntschaften».43 Mallaun war überzeugt, dass Keusch der schweizerische Keusch war, so berichtete später seine deutsche Geliebte Drahtzieher war beim Versuch, ihn nach seiner Flucht noch Ella Jöhl der Polizei, «so mein Eindruck, ein überzeugter einmal nach Deutschland zu locken. Eine wichtige Rolle Nationalsozialist. Er sagte z.B. K. besuchte in Dtl. zahlreiche Veran­ hatte ihr Ende 1935 nach Meersburg geschrieben und um staltungen der NSDAP mit Schweizern aus Zurzach. Mit ein Treffen gebeten, weil er glaubte, die Jöhl habe «ihre mir war er einmal in Schwenningen, wo Hitler auftrat, das Beziehungen mit Keusch gebrochen [ ... ] und zwar insbe­ war vor der Machtübernahme, 1932. K. war begeistert sondere wegen Auseinandersetzungen finanzieller Natur». von solchen Veranstaltungen. [ ... ] Keusch war auch mit Dies traf allerdings nicht zu . Ella Jöhl spielte offensichtlich Gutmann eng befreundet. Keusch war in Tiengen bekannt ein Doppelspiel. Denn Mallauns Briefe an sie landeten bei als Schürzenjäger und schlechter Schweizer.»44 «Als wir Keusch. Mallaun gegenüber gab sich Jöhl allerdings stets 1937 / 38 über einen möglichen Krieg sprachen und da­ den Anschein, sie sei zu einer Zusammenkunft bereit. Es von, dass die Schweiz in Mitleidenschaft gezogen werden kam aber nie dazu. Vorschläge, sich in Deutschland zu tref­ könnte, sagte er: Wollte sich of­ gen in die Schweiz befolgte Frau Jöhl nicht oder sagte erst fensichtlich Dtl. zur Verfügung stellen.»45 Keusch habe bei zu, um dann nicht zu erscheinen. Gleichzeitig nahm Jöhl in verschiedenen Gelegenheiten mit «Heil Hitler» gegrüsst Briefen an das Bezirksgericht Zurzach für Keusch Stellung.50 und diesem auch einmal geschrieben.46 Der Tierarzt steck- Mallauns Verdacht gegen Keu sch wurde bestätigt durch Wa lt er Leimgr u ber 389 eine Aussage des Zurzacher Fürsprechs Minet. Dieser tisten und Sozialdemokraten gekommen. Bereits damals erklärte als Zeuge, dass ihm Keusch gestanden habe, es war ein Z urzacher in W aldshut verhaftet worden. Der sei versucht worden, Mallaun über die deutsche Grenze einundzwanzigjährige Schreiner Otto Keel, Oberturner des zu locken, was am Bodensee oben beinahe gelungen sei . Arbeiterturnvereins Zurzach, besuchte am Sonntagnach­ Im gleichen Sinne äusserte sich Keusch auch gegenüber mittag, 16. Juli 1933, «mit seiner angeblichen Braut das Minets Mutter. Den Aussagen dieser Zeugin zufolge er­ Lichtspieltheater Albrecht in Waldshut». Kurz nach Vor­ wähnte Keusch auch, dass Ursprung mitbeteiligt sei . Ge­ stellungsbeginn wurde er aus dem Kino gerufen und ver­ stützt auf diese Aussagen, ordnete die Bundesanwaltschaft haftet. Auf dem Wachtlokal erklärte man ihm, er sei an­ eine Hausdurchsuchung bei den Verdächtigen an. 51 Diese geklagt von zwei Mitgliedern der Nationalen Front in bestätigte den Verdacht gegen Keusch . Der Gemeinde­ Zurzach, gesagt zu haben: «Heil Moskau und der Hitler ammann hatte Mallaun und die bei ihm verkehrenden Per­ isch e Drecksau.» Keel bejahte diese Angaben. Ferner wur­ sonen offenbar durch einen Gemeindepolizisten überwa• de er beschuldigt, in Zurzach «Hitlerbande» ausgeteilt zu chen lassen. Von Ella Jöhl, die ebenfalls einvernommen haben, «was ich wiederum nicht in Abrede brachte». Die wurde, erfuhr die Polizei , dass die Gestapo die Briefe von Anschuldigung, ein Schweizer Kommunist zu sein, der Mallaun abgefangen, bei ihr eine Zimmerdurchsuchung Material sammle von deutschen Kommunisten fü r den vorgenommen und die Korrespondenzen beschlagnahmt «Freien Aargauer», verneinte er hingegen. Die Polizisten habe. Die Gestapo habe ihr dann vorverfasste Briefe an erklärten, sie hätten drei Zeugen dafür. Keels Begleiterin Mallaun vorgelegt, um diesen nach Deutschland zu locken. kehrte in die Schweiz zurück und informierte den Unions­ Jöhl musste diese Briefe abschreiben. Der Versuch, Mallaun präsidenten der Sozialdemokraten des Bezirks, Gerichts­ auf diese Weise über die Grenze zu bringen, sei aber ge­ schreiber Schmuziger. Keel wurde ins Bezirksgefängnis scheitert. Als Bote und Briefüberbringer in der ganzen Waldshut gebracht. «Die Behandlung war recht, geges­ Geschichte war auch Robert Wanner tätig, der Leiter der sen habe ich nicht, das Nachtlager einer Strohmatratze Zurzacher Zweigstelle der Firma Spiesshofer & Braun. 52 war hart. Schläge habe ich keine erhalten.» Am nächsten Nach dem Krieg, 1947, wurde EllaJöhl nochmals von der Tag wurde er freigelassen .54 Schweizer Polizei verhört. Sie erklärte, auch Keusch habe 1935 von der Berlinreise Mallauns gewusst. «Ich ahnte, dass K. bei der Verhaftung Hand im Spiel hatte, er hatte

Mallaun mehrmals als bezeichnet. Bekam von 39 Verhandlung vor Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, in Anwe­ K. aber nie Antwort auf die Frage, er schmunzelte nur. » senh eit von Herrn Bezirksa mtmann Vögeli, Zurzach, in A arau, Mallaun Karl , 4.2.38, BA R, E 4320(B) 1984/29, Bd. 78, C.1 2. 82. Jöhl hatte auch einen Hinweis darauf, dass Keusch die 40 Verfügung in der Strafsach e gegen Ursprung Werner, betreffend Gestapo über den Briefwechsel zwischen ihr und Mallaun Zuwiderhandlung gegen den BB betr. Schutz der Sicherheit der Eidge­ informiert hatte: «Kurze Zeit, nachdem ich Briefe von nossenschaft, 29. 10.38, BAR, E 4320(B) 1984/ 29, Bd. 78, C.12.82. 41 BA, Abhörungs protoko ll Dr. ju r. Wern er Ursprung, 2.3.38, BA R, Mallaun an Dr. Keusch übergeben hatte, erschien Gesta­ E 4320(B) 1984/29, Bd . 78, C.1 2.82. po in Meersburg bei mir und durchsuchte das Zimmer 42 BA an PK AG, 23. 5.3 5; PK AG an BA, 7. 7.3 5, PK AG N D 2.WK, nach Briefen. Ich dachte sofort, dass K. die deutsche Poli­ 18305A. 43 PK AG an BA, 7.7.3 5, PK AG ND 2.W K, 18305A. zei auf Briefe Mallauns aufmerksam gemacht hatte. Ge­ 44 Abhörungsprotokoll, Jöhl Ella, 25. 6.47, PK AG ND 2.WK, 18305A. stapo beschlagnahmte einige Briefe von Mallaun, aber auch 45 Abhörungsprotokoll , Frau Jöhl , Konstanz, 2.12.47, PK AG N D 2.WK, solche von Keusch, die ich erhalten hatte. Ein Gestapo­ 18305A. 46 BA, Bericht Inspektor Meyer in Sachen Keusch Martin, 7.3.38, BA R, Beamter bemerkte, , woraus E 4320(B) 1984/29, Bd . 78, C.12.82. ich den Schluss zog, dass Keusch fü r Mitteilungen an Ge­ 47 Abhörungsprotokoll , Frau Jöhl, Konstanz, 2. 12.47, PK AG ND 2.WK, stapo das gleiche Papier verwendete. Ich hatte das Ge­ 18305A. 48 PK AG an BA, 7.7.35, PK AG ND 2.WK, 18305A. fühl, K. arbeite mit der Gestapo zusammen.» Konkrete 49 Verhandlung vor Staatsanwaltschaft des Kan tons Aargau, in Anwe­ Beweise hatte Jöhl allerdings keine: «Dr. Keusch hat mir in senheit von Herrn Bezirksamtmann Vögeli , Zurzach, in Aarau , dieser Hinsicht nie etwas anvertraut, trotzdem ich damals Mall aun Karl , 4.2.38, BAR, E 4320(B) 1984/29, Bd. 78, C.12.82. 50 Ebd. mit ihm sehr intim w ar.» Keusch und Jöhl kannten sich seit 51 Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau an die BA, 7.2.38, BA R, 1929.53 E 4320(B) 1984/29, Bd. 78, C.1 2.82. 52 BA, Bericht In spektor Meyer in Sachen Keusch Martin, 7.3.38, BA R, E 4320(B) 1984/29, Bd. 78, C.1 2.82. 1933, als die Fronten ihre grössten Erfolge fe ierten, w ar 53 Abhörungsprotokoll , Jöhl Ell a, 25.6.47, PK AG ND 2.WK, 18305A. es mehrmals zu Auseinandersetzungen zwischen Fron- 54 PK AG an Bundesanwalt, 31 .7.33 , PK AG N D 2.WK, 15868. 390 Zurzac h zur Zeit des N a t iona lsozia li s mus

Keel erklärte der Polizei, er sei ein eifriges Mitglied der alle anderen. Er bezog als Einziger die schweizerischen sozialistischen Partei und habe sich tatsächlich schon über Fronten mit ein, weil sie für ihn auf der gleichen Ebene Hitler und sein Regime in abfälliger Weise geäussert. Die­ standen wie die deutschen Organisationen, von denen es se Äusserungen seien aber alle auf Schweizerboden ge­ zu dieser Zeit im Bezirk keine mehr gab. «Wohl hat es tan worden, in Deutschland habe er immer den Mund aber fast in allen Gemeinden des Bezirks, noch viele An­ gehalten. Er behauptete, er sei von Mitgliedern der Na­ hänger dieser pol. Richtung in allen Ständen, die Tätigkeit tionalen Front, Ortsgruppe Zurzach, denunziert worden. einzelner Mitglieder besteht darin, Zuwachs zur noch in Am Tage seiner Verhaftung sah er die Zurzacher Fröntler der Schweiz bestehenden Partei zu erhalten, damit man August Bühler, Messerschmied und Bezirkseichmeister, zur Macht komme. [ ...] Immerhin darf ruhig gesagt wer- Louis Messerli, Hilfsarbeiter, und Wilhelm Josef Zando­ . den, dass die angeführte , wie auch die Werbe­ nello in Waldshut. Sie bestritten kategorisch, Keel denun­ tätigkeit für den Nationalsozialismus, auf schweiz. Boden, ziert zu haben. «Es erweckt aber doch den Anschein, dass wenigstens im Bezirk Zurzach, fruchtlos verlaufen ist. Viele­ die deutschen Nationalsozialisten eine Spitzeltätigkeit auf her ist zu konstatieren, dass die Anhänger dieses Systems schweizerischem Gebiet ausüben und schweizerische in h. Gegend eher ab als zugenommen haben. [ ... ] Beto­ Frontisten ihnen dabei behilflich sind », stellte die Polizei nen muss ich aber, dass die Grenzbewohner dieser Agita­ fest. In Deutschland könne sie sich bei den Behörden kaum tion nicht mehr soviel Gehör schenken, seit das System in noch informieren, «denn die bisherigen deutschen Ver­ Deutschland durch einige Zeitungen, aber insbesonders trauensleute sind ausserordentlich zurückhaltend gewor­ durch einzelne Grenzgänger, näher beleuchet wurde.» den. Sie stehen unter einem derartigen Drucke, dass sie Baldinger empfahl eine bessere Überwachung und nöti• sich kaum zu regen wagen. Es kommt hinzu, dass die Ge­ genfalls Auflösung dieser Organisationen, da sie ihm heime Staatspolizei ihre Agenten überall hat und die eige­ «staatsfeindlich» erschienen.59 nen Staatsbeamten in ganz intensiver Weise überwacht.»55 Auch wenn der eigentliche Frontenfrühling von relativ Im Bericht an die Bundesanwaltschaft hielt das Aargauer kurzer Dauer war und auch Leute wie Baldinger davon Polizeikommando fest: «Keel ist zweifellos durch Mitglie­ überzeugt waren, die Werbung der Fronten sei fruchtlos der der nationalen Front, Ortsgruppe Zurzach, denun­ verlaufen, blieb das Klima in Zurzach angespannt. Immer ziert worden, obschon dies in Abrede gestellt wird.» 56 wieder kam es zum Schlagabtausch zwischen Frontenan­ Vier Tage später wurde Keel angezeigt, weil er von einem hängern und -gegnern, etwa kurz nach dem erwähnten deutschen Automobil einen kleinen Hakenkreuzwimpel Bericht bei einer Kundgebung am 26. Mai 1935 zur linken weggerissen und dabei nicht nur am Wimpel, sondern auch Kriseninitiative, die auch von den Bürgerlichen abgelehnt am Fahrzeug Schaden verursacht hatte. Während der Fah­ wurde. Die Gewerbetreibenden Bäcker Giger und Wein­ rer im Gasthaus zum Rad in Zurzach einkehrte, «führte händler Grütter bezeichneten die Fronten als hitlerisch Keel der ein verhetzter Bursche ist, die Sachbeschädigung und wurden dafür verspottet.60 Zurzach wurde von der aus».57 «Der Schaden wurde mit 5 Mark bewertet.» Der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland Wimpel wurde Keel kurz darauf von der Polizei wieder besonders stark betroffen. Die Beziehungen über den abgenommen «und dem Eigentümer sofort zurückgege• Rhein waren noch immer vielfältig, es gab zahlreiche wirt­ ben».58 schaftliche, verwandtschaftliche und freundschaftliche Ban­ de, Grenzgänger pendelten tagtäglich zwischen hüben und Im April 1935 startete das Polizeikommando in Aarau eine drüben, man kannte sich, verkehrte miteinander. Umfrage über nationalsozialistische Organisationen im Die Behörden fürchteten 1933 und 34 allerdings weniger Aargau, um Aufschluss über die Anzahl der Mitglieder, il­ die Fronten als die Linke. Sie wollten kommunistische und legale Tätigkeiten, Belästigungen deutscher Landsleute und sozialistische Kundgebungen an der Grenze verhindern, zweckmässige Massnahmen zu erhalten. Baden, wo viele um Deutschland nicht zu provozieren, und verboten ent­ Deutsche arbeiteten, und Brugg meldeten die Existenz von sprechende Versammlungen . Die Grenzüberwachung NSDAP-Stützpunkten. Einige Bezirke wie Laufenburg, wurde verstärkt. Auch von deutscher Seite wurde der Rheinfelden und Muri stellten lakonisch fest, dass es sol­ Grenzverkehr nun massiv kontrolliert. Eine Ausreise war che Organisationen bei ihnen nicht gebe und sich die Be­ nur mit Visum, dem so genannten «Sichtvermerk», mög• antwortung der Fragen deshalb erübrige. Die ausführlichs• lich. te Antwort kam aus dem Bezirk Zurzach. Bezirksu nter­ offizier Baldinger antwortete wesentlich detai llierter als Walter Leimgruber 391

Eine weitere Verhaftung Frau von Senger und Frl. Zuberbühler angebahntes Ge­ schäft. 62 Am 6. März 1936 wurde im benachbarten deutschen Leonie von Senger war eine Tochter des Fabrikanten Ja­ Rhein heim eine weitere Zurzacherin verhaftet, Leonie von kob Zuberbühler, der in Zurzach bis zur Weltwirtschafts­ Senger-Zuberbühler. Es wurden ihr u. a. Devisenvergehen krise einen grossen Textilbetrieb besessen hatte, der dann zur Last gelegt, wobei sich der einvernehmende Zollbe­ in Konkurs geraten war. «Nach dem Ableben der Eltern - amte auf ein Schriftstück berief, das von dem in Zurzach sie besassen ausser der Fabrik ca. 40 Häuser auf denen wohnhaften Gustav Hofer unterzeichnet, von Ursprung keinerlei Hypotheken lasteten - musste um das Erbe pro­ ausgestellt und vom Gemeindeschreiber Müller in Zurzach zessiert werden. Es ist mir nur noch in Erinnerung, dass beglaubigt war. Wegen persönlicher Differenzen mit Ur­ wir durch das Eingreifen eines Juden ca. 1 Million verlo­ sprung hegte auch Frau von Senger den Verdacht, dass ren . Die Angelegenheit endigte schliesslich mit dem Ver­ ihre Verhaftung auf dessen Denunziation zurückzuführen lust des Millionenvermögens. Dies war im Jahre 1923.»63 sei. Sie verklagte ihn und Keusch in einem Schadenersatz­ Leonies Mann, der Architekt Hugo Rudolf, genannt Alex­ prozess, in dem sie behauptete, die beiden hätten sie bei ander, von Senger, war schon früh Nationalsozialist. Das den deutschen Behörden angeschwärzt.61 In ähnlicher Ehepaar war in den Dreissigerjahren Mitglied des Volks­ Weise, wie Ursprung bei Mallauns Frau nachgefragt hatte, bundes und der Polizei «als Freunde der Nationalsozialis­ ob dieser aus Berlin zurückgekommen sei, erkundigte sich tischen Deutschen Arbeiterpartei bekannt». 64 Sowohl den Möbelfabrikant Rudolf nach erfolgter Verhaftung der Leo­ Bahnhof St. Gallen, den von Senger erbaute, als auch sein nie von Senger bei ihrer Schwester, Antonia Zuberbühler Haus in Zurzach schmückte er mit einem Hakenkreuz.65 in Zurzach, ob Erstere nach Hause zurückgekehrt sei. Spä­ In Reden und Schriften bekämpfte von Senger vor allem ter rief er nochmals an. Als Vorwand diente ihm ein mit die moderne Architektur und insbesondere Le Corbusier als bolschewistisch. Dieses Engagement trug ihm die Sym­ 1 Hintereingang zur pathien deutscher Nazigrössen ein, die ihn 1933 an die Wohnung der von Sengers Technische Hochschule in München beriefen. Seine Frau im ehemaligen Kaufhaus. Über dem Spruch «PER blieb in Zurzach zurück. Wie Mallaun waren auch die von CRUCEM AD LUCEM ll (Durchs Sengers mit Ursprungs befreundet. Ursprung und von Kreuz zum Licht) ein in Senger begannen sich in den frühen Dreissigerjahren aber Hakenkreuzform gezwängter Adler. Auch das Schwert in zu streiten, wer von ihnen die richtige nationalsozialisti­ einem de r Wappen am sche Idee vertrete und in Zurzach die führende Rolle spiele; rechten Tü rp ilaster we ist dies elbe Form auf.

55 Festnahme Keel Otto, 1912, Schreiner, in Waldshut, PK AG ND 2.WK, 15868. 56 PK AG an Bundesanwalt, 31.7.33, PK AG ND 2.WK, 15868. 57 Polizeistation Zurzach, Einvernahme Keel , 29.7.33, PKAG ND 2.WK, 15868. 58 Baldinger an Bezirksamt, 24.7.33, PK AG ND 2.WK, 15868. 59 PK AG an die Bezirksunteroffiziere, 15.4.1935; Baldinger, Zurzach, 18.4. 1935, PK AG ND 2.WK, l 8489B. 60 Zurzacher Volks blatt, 25.5. und 29.5. , 21.8.1935. 61 Eidesstattliche Erkl ärung zu Handen des Bezirksamtes Zurzach und zur gefl . Weiterl eitung an di e BA, sig. Hermann Albrecht, Tiengen, 10.2.38; Verfügung in der Strafsache gegen Ursprung Werner, be­ treffend Zuwiderhandlung gegen den BB betr. Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft, 29.10.38, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, C.I2.82. 62 Verhandlung vor Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, in Anwe­ senheit von Herrn Bezirksamtmann Vögeli , Zurzac h, in Aarau, Mallaun Karl, 4.2.38, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd . 78, C.I2.82. 63 Einvernahme der Leonie v. Senger durch Polizei -lnspektorat Zürich, Det. Stadtmann , 21 .-25.3.1943, BAR, E 4320(8) 1971 , Bd. 31, C.2.27.26. 64 PK Zürich an PK AG, 17.1.38, und Antwort PK AG (Zumbrunn), 3.2.38, PK AG ND 2.WK, 17975. 65 Zeitungsartikel in: Freiheit, Nr. 30, 6.2.1937, BAR, E 4320(8) 1984/ 29, Bd. 78, C.12.82. 392 Z urzach zu r Z eit des N atio nalsoziali sm us

von Senger nahm für sich in Anspruch, innerhalb der «Be­ kel wurde nicht abgedruckt, sondern mir zugeschickt. Per wegung» eine der ersten Personen zu sein. Als er im Ok­ Charge-Brief vom August 1932 kündigte ich Ursprung die tober 1933 von Ernst Leonhardt aufgefordert wurde, Mit­ Freundschaft und verbat mir jeglichen Verkehr mit ihm.» glied des «Volksbundes» zu werden, zögerte er vorerst Major Dr. Keusch sympathisiere wohl seit einem Jahrzehnt und teilte ihm mit, «dass der Grund meiner Bedenken Dr. mit der Bewegung und bringe auch Opfer dafür, hielt von Ursprung sei und dass eine Bewegung, wo ein Dr. Ur­ Senger fest. Ursprungs Tätigkeit lasse sich in die Formel sprung eine Rolle spielt, mit mathematischer Sicherheit fassen: «Verleumdung, Diskreditierung und Kaltstellung der einem unrühmlichen Untergang geweiht sei ». Leonhardt wirklich senkrechten alten Kämpfer einerseits, rücksichts• teilte die Bedenken, versicherte ihm aber, «Ursprung wür• volle Schonung der Todfeinde der Bewegung andererseits. de im VB. mit der Zeit abgebaut werden, er sei zum Teil ' 'Diese ganz eindeutige Tätigkeit wird durch billige Mätz• bereits kaltgestellt». Als von Senger beitrat, veranlasste chen vertarnt, wie Stiftung einer seidenen Hakenkreuz­ Ursprung jedoch noch im gleichen Monat den Ausschluss fahne an die SA Tiengen, bezahlte Trinkgelage für die SA des Architekten. Er beantragte diesen nicht direkt, son­ und SS, Arrangierung eines Wohltätigkeitsfestes mit dern «indem er seine Kreaturen und Kumpane aus dem Theatersängerinnen für die deutsche Winterhilfe in Aargau, meistens junge und harmlose Leute, zusammen­ Tiengen, Intimitäten mit deutschen Ministern, öffentliche trommelte, sie wie üblich anlog und gegen mich [ von Sen­ Überreichung von Blumenbouquets an deutsche Reichs­ ger] aufhetzte» mit «Lügen und Verleumdungen». Von redner oder Herrn Oberstdivisionär Sonderegger.»66 Senger verlangte eine Untersuchung und eine «Konfron­ Ursprung blieb von Senger nichts schuldig: «Wir verkehr­ tation mit den Elementen, die meinen Austritt durchset­ ten zunächst auf gutem Fusse miteinander, weil sich unse­ zen wollen», und lieferte eine lange Liste von Verfehlun­ re Weltanschauungen in verschiedenen Punkten deckten. gen Ursprungs. «Anfangs August 1932, zur Zeit als er sich Insbesondere auf dem Gebiete des Antisemitismus und mein Freund aufspielte [sie] schickte er der nat.soz.ober­ der Freimaurerfrage. Indessen entpuppte sich dann von badischen Zeitung einen Artikel, wo er den seit Jahren Senger immer mehr als Psychopath. Er wurde der Schweiz nat.soz. eingestellten Gemeindeamtmann [sie] Keusch von gegenüber in seinen Ausfällen aggressiv. Er sagte, nur blon­ Zurzach verdreckte und ihn lächerlich machte. Der Arti- de Leute seien vollwertig. Diese sollte man als Zuchtstie­ re bzw. -stuten staatlich in Zuchtanstalten verwenden und 2 Portalmalerei von 1920 am Haus <> alle Nichtblonden kastrieren. [ ... ] In Deutschland hetzt er nach einem Entwurf ebenfalls furchtbar gegen mich und tischte die tollsten Alexander von Sengers. Greuelmärchen auf. »67

3 Detail aus Abb. 2: ein mittlerweile entferntes, in Als von Senger 1936 seine Ferien in Zurzach verbrachte, einer Rosette verstecktes teilte er einem Zollbeamten vertraulich mit, er wisse aus Hakenkreuz. zuverlässiger Quelle, dass Ursprung vom deutschen Pro­ pagandaminister Dr. Goebbels in Audienz empfangen worden sei . Vor etwa vier Wochen habe zwischen Hitler und Dr. Ursprung eine vertrauliche Besprechung stattge­ funden; das genauere Datum und den Ort der Zusam­ menkunft konnte Herr von Senger nicht angeben. Ob die Besprechungen in Zusammenhang standen mit dem Gust­ loff-Prozess, in dem Ursprung engagiert war, oder einen anderen Inhalt hatten, wusste von Senger nicht. Die Grenz­ beamten in Zurzach hielten die Mitteilung für wahrheits­ getreu, obwohl ihnen bekannt war, «dass letzterer wegen der Gunst, die Dr. Ursprung bei führenden Personen in Deutschland geniesst, erbost ist und die Rache seines frü• heren Freundes fürchtet».68 Von Senger behauptete auch, er habe in Deutschland Schriftstücke gelesen, aus denen ersichtlich war, dass Ursprung 1934/ 35 Vertrauensmann des Deutschen Sicherheitsdienstes gewesen sei. Er sei je- Walter Leimgr u b er 393

derzeit bereit, diese Aussage vor den Untersuchungs­ ramen- und Ansichtsskizzen, Raketenpistolen und Leucht­ behörden zu bestätigen.69 raketen; es gab keine Telefonverbindung zur Aussen ­ In München wurde Alexander von Senger per 1. Januar beobachtung, und bei einzelnen Bunkern fehlten sogar die 1938 zum ordentlichen Professor für Baugestaltung in der Panzertüren sowie die Verpflegungsvorräte. 73 Geschichte, Denkmalpflege und Bauaufnahme an der Fa­ kultät für Bauwesen der Technischen Hochschule ernannt. Anfang Juli 39 fällte das Bezirksgericht Muri die Urteile in Im Kommentar des schweiz. Generalkonsulates zur Er­ der so genannten Spitzelaffäre. Die Vorwürfe gegen Gott­ nennung ist eine gewisse Bewunderung zu spüren: «Wenn fried Rudolf hatten sich wie diejenigen gegen Ursprung auch bei der Ernennung des Herrn v. Senger zum Profes­ nicht erhärten lassen. «Dagegen liegt auf Seiten der An­ sor seine politische Einstellung in starkem Masse mitge­ geschuldigten Keusch & Jöhl ein Vergehen im Sinne des spielt haben dürfte, so scheint doch ausser Zweifel zu ste­ Art. 1 des BB betr. Schutz der Sicherheit der Eidgenos­ hen, dass er eine künstlerisch begabte und im Berufe durch­ senschaft vor (Versuch bzw. Vorbereitung der Entführung aus befähigte, aber etwas eigenwillige Persönlichkeit ist.»70 Mallauns) . Die Angelegenheit wird jedoch nicht dem Schwurgericht, sondern dem für Zuchtpolizeidelikte zu­ ständigen Bezirksgericht überwiesen», hatte die Bundes­ Keuschs Rücktritt und Kriegsbeginn anwaltschaft befunden. 74 Keusch und Ella Jöhl war vorge­ worfen worden, sich gegen das Spitzelgesetz vergangen Als ein Krieg immer wahrscheinlicher wurde, nahm man zu haben, indem sie versuchten, den Baumeister und Prä­ die Vorbereitungen im Grenzort Zurzach sehr ernst. Be­ sidenten des Aargauischen Baumeisterverbandes, Mallaun, reits 1937 und 38 waren, wie überall in der Schweiz, die 1936 über die Grenze zu locken, um ihn den deutschen Alarmsirenen installiert worden. Und schon Mitte April Behörden in die Hände zu spielen. Ella Jöhl erhielt vier 1939 gab der Gemeinderat bekannt, dass beim Bauamt Monate Zuchthaus und Landesverweis. Bei Keusch gab es Sandsäcke bezogen werden könnten und dass einmal pro Beweisschwierigkeiten, weil deutsche Zeugen nicht aus­ Monat die Sirene getestet werde. Am 5. Mai 1939 fand in sagen konnten. Er wurde von der Anklage wegen Zuwi­ der Turnhalle Zurzach ein Vortrag von Oberleutnant R. derhandlung gegen das Spitzelgesetz zwar freigesprochen, Unruh vom Schweizerischen Luftschutzverband statt: wegen falscher Anschuldigung, Zuwiderhandlung gegen «Wie schütze ich mich gegen den Krieg aus der Luft?» das Motorfahrzeuggesetz und Vergehens gegen die öffent• Der Kriegsausbruch zeigte, dass all diese Vorbereitungen liche Sittlichkeit aber zu drei Wochen Gefängnis unbedingt nicht zwecklos gewesen waren. Die unbeliebten Ver­ verurteilt.75 Die «Neue Zürcher Zeitung» schrieb in ei­ dunklungsübungen bekamen plötzlich einen Sinn.71 Auch nem Kommentar: «Wenn es auch nicht gelungen ist, ge­ zur geistigen Landesverteidigung trug der Flecken bei. genüber Keusch einen lückenlosen Schuldbeweis zu er­ Musiklehrer und Komponist Alfred L. Gassmann gestalte­ bringen, so ist es doch gelungen, seinen Charakter und sei­ te vor und zu Beginn des Krieges populäre Musiksendun­ ne Gesinnung aufzuweisen: Mangel an Schweizerart [ ... ]»76 gen im Radio, in denen Lieder des Jodel-Doppelquartetts «Am Rhy» und Geschichten aus der Region Zurzach zu 66 Beschwerde von A. von Senger an Ernst Leonhardt, Landesleiter des «Volksbunds», z. H. des Untersuchungs- und Schlichtungsaus­ hören waren: «Wenn amenen Ort, so bruucht's do a der schusses (der NSDAP), Basel, 4. 12.33, PK AG ND 2.WK, 17975. Gränze gueti Eidgenosse, ass mer si im Ärnstfall au cha 67 BA, Abhö rungsproto ko ll Dr. jur. W erner Ursprung, 3.3.38, BAR, E druuf verloh.»72 4320(8) 1984/29, Bd . 78, C.1 2.82. 68 Di rekti on des II. Schweiz. Zo ll kreises, Direktor Schaad, an Ober­ Die militärische Abwehrbereitschaft wurde al s recht gut zolldirekti o n: Dr. Ursprung. Zurzach , Verkehr mit Nationalsozia­ beurteilt. Allerdings erwies sich die Gefechtsfähigkeit ein­ listen in Deutschl and, 15 .9.36, BAR, E 4320(8) 1984/29, Bd. 78, zelner Bunker noch vierzehn Tage vor Kriegsausbruch als C.1 2.82. 69 Verhandlung vor Staatsanwaltschaft des Ka ntons Aargau, in Anwe­ recht mangelhaft. Gemäss Rapport eines inspizierenden senheit vo n Herrn Bezirksamtmann Vögeli, Zurzach, in Aarau, Abschnittskommandanten fehlte in den Maschinengewehr­ Mall aun Karl , 4.2.38, BAR, E 4320(8) 1984/ 29, Bd. 78, C.1 2.82. Bunkern im Raume Zurzach-Rümikon Mitte August 1939 70 Schweiz. Generalko nsul at München an das Eidg. Po litische Departe- ment, 27.4.38, BAR, E 4320(8) 1971 , Bd . 3 1, C.2.27.26. folgendes Material: die Handgranatenwerfer, die Hülsen­ 71 GAZ 1833: Luftschutzakten, 1934-1941 , 1. , II. abfuhrschläuche zu den Maschinengewehren, die Filtrier­ 72 ALFRED L. GASSMANN, Poetisch Alt-Zurzach, o. 0 ., o. J., S. 2. 73 büchsen der Gasmasken, die Instruktionen für die Bedie­ GAUTSCHI , Geschi chte, S. 354. 74 Schreiben der Bund esanwaltschaft, BAR, E 4320(8) 1984/ 29, Bd. nung der Ventilations- und W asserversorgungsanlage; für 78, C. 12.82. das Schiessen bei Nacht und Nebel fehlten überall Pano- 75 NZZ, 3.7. 1939. 394 Zurzach zur Z e it des Nationalsozialismus

Keusch war als Behördenmitglied untragbar geworden, ging ein erbitterter und giftiger Wahlkampf voraus. Ein hielten viele Zeitungen fest. Wegen der Affäre mit «viel Artikelschreiber in der «Botschaft» etwa wurde als «Aus­ Schmutz» hatte ihn auch die Offiziersgesellschaft Zurzach bund von einem Menschen» bezeichnet. Eine Flut von ausgeschlossen.77 Keusch musste als Gemeindeammann Flugblättern, die für Keusch Propaganda machten, über­ zurücktreten. schwemmte die Gemeinde. Sozialdemokraten und Frei­ Die Kriegsjahre brachten für die gesamte Bevölkerung sinnige schlugen als Nachfolger Keuschs gemeinsam Leo Angst und Unsicherheit, für viele auch wirtschaftliche und Fürrer, Buchdrucker und Herausgeber des «Zurzacher existenzielle Probleme. Die Versorgung musste wie über• Volksblattes», vor. Auch die Konservativen hatten nichts all eingeschränkt und rationiert werden. Immer wieder gegen diese Nomination und beschlossen Stimmfreigabe. erliessen die Behörden Aufrufe, Vorräte anzulegen. 78 1m ersten Wahlgang erzielte jedoch kein Kandidat das ab­ Fleischlose Tage wurden eingeführt. Im November 1941 solute Mehr. Fürrer kam auf 172, Keusch, der eigentlich dementierten die Metzger das Gerücht, dass ein dritter demissioniert hatte, auf 1 19 Stimmen. Ein Artikel sprach fleischloser Tag pro Woche vorgesehen sei, was einige von einem Kesseltreiben gegen Fürrer. Die Wahlen in Aufregung verursacht hatte.79 Die schwierige Situation Zurzach erregten auch ausserhalb des Ortes einiges Auf­ förderte aber auch die Solidarität. In der Schuhfabrik sehen. Immerhin ging es in einer für die Schweiz heiklen Zurzach AG etwa verzichteten sämtliche Mitarbeiter auf Kriegssituation darum, ob ein bekannter Freund Deutsch­ zwei Prozent ihres Lohnes; die Firma verdoppelte die Sum­ lands wiedergewählt wurde oder nicht. Ein Döttinger be­ me. Damit wurde ermöglicht, dass die verheirateten und merkte in einem Brief an Zumbrunn, der «Flecken» mit die unterstützungspflichtigen ledigen Soldaten während seinen vielen blinden Stimmbürgern werde immer mehr ihres Dienstes rund 60 Prozent ihres bisherigen Verdiens­ zu einem «Klecks». 84 Ob Zurzach schon «nazistisch» sei, tes erhielten, die übrigen Soldaten etwa 20-25 Prozent.80 wollte jemand wissen. Der Bestürzung folgten Appelle zur Im «Roten Haus» des Elektrikers Schmid errichtete die Einigkeit. Die Konservativen unterstützten im zweiten Sektion Zurzach des Schweizerischen Gemeinnützigen Wahlgang offiziell Fürrer, der mit 239 Stimmen knapp ge­ Frauenvereins eine Soldatenstube, um den militärischen wählt wurde, Keusch erhielt mit 226 Stimmen aber prak­ Alltag etwas zu erleichtern.8 1 tisch gleich viel Unterstützung.85 Die Grenze war mit wenigen Ausnahmen nicht geschlos­ Am 1. April 1940 trat Keusch seine dreiwöchige Gefäng• sen, auch während des Krieges herrschte an den Über• nisstrafe an. Kaum wurde er aus dem Gefängnis entlas­ gängen ein reges Treiben. Es machte den Behörden et­ sen, zeichnete die Abteilung Presse & Funkspruch des welche Sorgen, dieses einigermassen zu kontrollieren. Als Armeestabes ein Telefongespräch zwischen ihm und Ur­ Grenzort zog der Flecken zudem allerlei Leute an, die von sprung auf. Ihm sei heute von der Heerespolizei verboten der speziellen Situation profitieren wollten und auf die eine worden, mit dem Auto «auf Praxis zu gehen», teilte Keusch oder andere Weise ihr Glück zu machen versuchten. mit. Er dürfe nirgends durchfahren, wo gesperrte Strassen Grenzorgane und Polizei hatten sich mit einer Vielzahl von seien. Seine Praxis sei damit erledigt. Ursprung riet ihm, kleinen Gaunern, Glücksrittern und Verehrern Deutsch­ mit Eugen Bircher8 6 oder Fürsprech Abt zu reden. Keusch lands zu beschäftigen, die sich verdächtig machten oder war sich offenbar bewusst, dass das Telefon abgehört wegen des einen oder anderen Vergehens vor dem Rich­ werden könnte («die Chaibe können zuhören oder nicht»). ter verantworten mussten. Zudem versuchten immer wie­ Ursprung beruhigte ihn: «Dir tut doch niemand etwas», der Flüchtlinge, sich über den Rhein in die Schweiz zu ret­ und versprach, mit Abt zu sprechen.87 Rund zwei Wo­ ten. Viele bezahlten ihren Fluchtversuch mit dem Leben. 82 chen später teilte Keusch Ursprung erregt mit, er müsse sein Dienstbüchlein einsenden und werde offenbar aus der Mitte Oktober 1939 verfügte das Armeekommando, ge­ Armee entlassen, da er zahlungsunfähig und vorbestraft stützt auf die Verordnung über die Wahrung der Sicher­ sei. 88 Im Oktober 1940 lehnte das Polizeikommando eine heit des Landes vom 22.9.39, gegen den Oberstleutnant Aufhebung der Ausreisesperre Keuschs ab, auch das Ver­ a. D. und gew. (gewesenen) Gemeindeammann Keusch bot des kleinen Grenzverkehrs und der Benutzung von eine Ausreisesperre. Der Pass wurde von der Polizei ein­ für den zivilen Autoverkehr gesperrten Strassen blieb be­ gezogen, auch der kleine Grenzverkehr verboten.83 Dass stehen. Es handle sich um eine militärische, vom Spio­ aber noch immer erhebliche Sympathien für die Frontisten nageabwehrdienst der Armee veranlasste Angelegenheit, und insbesondere für Keusch vorhanden waren, zeigten in der zivile Behörden nichts tun könnten. Zuständig sei 1940 die Ersatzwahlen für den Gemeinderat. Der Wahl das Territorialkommando 5. Wenn Keusch sein Gesuch Walte r Le im g rub e r 395

«mit zweideutigen Anspielungen und versteckten Drohun­ sassen neben ihm Rudolf Hawranek, ein Schuhmodelleur, gen» garniere, wie das beim vorliegenden der Fall sei, als Aktuar, der Kaufmann Adolf Roder als Kassier sowie werde er nichts erreichen.89 die Hilfsarbeiter Otto Utz und Franz Baschnagel als Ein­ Um Ursprung wurde es ruhiger. Am 2. August 1940 tele­ züger, alle in Zurzach wohnhaft.95 Wichtigster Spender fonierte er mit einer Zürcher Nummer und sprach mit der Deutschen Kolonie in Zurzach war Spiesshofer, der einer Schauspielerin, die nach Nürnberg fahren wollte. regelmässig grössere Beträge überwies. Kleinere freiwilli­ Ursprung trug ihr auf, sie solle dem Gutmann in Tiengen ge Beiträge auf das Konto der Reichsdeutschen Gemein­ herzliche Grüsse von ihm schreiben, aber erst jenseits der schaft kamen von ansässigen Deutschen.96 Die Kolonie Grenze. Er hoffe, dass es bald losgehe gegen England. Er traf sich, um sich Ansprachen von bekannten Deutschen sei schon über ein Jahr nicht mehr draussen gewesen. «Das aus der Region oder von Gästen aus Deutschland anzu­ will was heissen, besonders für Dich», bemerkte die Schau­ hören, veranstaltete Filmvorführungen mit Spiel- und Pro­ spielerin.90 Genau ein Jahr später teilte das Polizeikom­ pagandafilmen oder feierte Kameradschaftstreffen sowie mando der Bundesanwaltschaft mit, dass «der bekannte spezifisch deutsche Feste und führte Ausflüge durch. Fröntler und Nationalsozialist Dr. Werner Ursprung» am Der Bundesrat hatte am 9. Juli 1940 beschlossen, politi­ Tag zuvor im Alter von 48 Jahren nach längerer Krankheit sche Versammlungen überwachen zu lassen. Alle öffentli• gestorben sei.91 Ursprung könne «somit auf der Liste der chen und geschlossenen Veranstaltungen bedurften der Vaterlandsfeinde gestrichen werden», freute sich die Poli­ Genehmigung, konnten bei Gefahr für Sicherheit und zeistation Zurzach.92 Die deutsche Zeitung «Alb Bote» Neutralität verboten werden und wurden einer polizeili­ vermeldete am 13. August 1941 den Tod des als «alter chen Kontrolle unterworfen. In Zurzach holte Wanner je­ Freund unserer engeren Heimat überall bekannte[n] Dr. weils die notwendige Bewilligung ein.97 In den Akten des Ursprung, [ ... ] ein unerschrockener Freund des neuen Aargauer Polizeikommandos befinden sich daher die je­ Deutschlands, was ihm in seiner Schweizer Heimat man­ weiligen Anträge der Kolonie und die Berichte der über• ches Unangenehme eintrug.[... ] Ehre seinem Andenken».93 wachenden Polizisten, die meist zu zweit oder zu dritt in Zivil anwesend waren. Die Aufgabe der Polizei war eine mehrfache. Einerseits wollte sie wissen, was lief und wer Die Deutsche Kolonie in Zurzach auftrat, andererseits war zu verhindern, dass Schweizer an den Veranstaltungen teilnahmen (was verboten war). Zurzach gehörte zu den Gemeinden im Aargau, die eine beträchtliche Deutsche Kolonie hatten. Nach der Macht­ 76 NZZ, 6.6.1939. 77 Zurzacher Volksblatt, 27 .1 .1940. übernahme der Nationalsozialisten wurden diese Koloni­ 78 Zurzacher Volksblatt. 29 .1.1940. en nach und nach straff organisiert und dienten in der Folge 79 Zurzacher Volksblatt, 15.1 1.1941. einerseits als Auslandswerbemittel für das nationalsozialis­ 80 Zurzacher Volksblatt, 7.1 1.1939. 81 Zurzacher Volksblatt, 9.9.1939. tische Deutschland, andererseits als Kontrollorgan für eine 82 Vgl. auch: Gedenkschrift Grenz-Regiment 50, 5. 74-76. möglichst lückenlose Erfassung der Deutschen und ihrer 83 Verfügung Armeekommando, 14.10.39, und Meldung Polizei, politischen Einstellung. In Zurzach wurde die Kolonie of­ 17.10.39, PK AG ND 2.WK, 18305A. 84 Brief an Zumbrunn, 6.2.40, PK AG ND 2.WK, 18305A. fenbar erst spät organisiert. Die Polizei meldete im Juli 85 Zurzacher Volksblatt 13.1., 15. 1., 24.1. und 29.1.1940. 1941 eine Versammlung von ca. 140-150 Deutschen zur 86 , Nationalrat BGB, Divisionär, Gründer der Schweiz. «Neugründung der Gemeinschaft Zurzach und Umgebung Vaterländischen Vereinigung und des Aargauischen Vaterländischen Verbandes. der Deutschen Kolonie in der Schweiz». Diese Formulie­ 87 4.5.40, PK AG ND 2.WK, 17984. rung lässt die Vermutung zu, dass es schon früher eine 88 Armeestab, Abt. Presse & Funkspruch, Telefonat Ursprung - Keusch, ähnliche Organisation gegeben habe. Über eine solche fin­ 21 .5.40, PK AG ND 2.WK, 17984. 89 PK AG , 2.10.40, PK AG ND 2.WK, 18305A. det sich allerdings in den Akten des Nachrichtendienstes 90 Armeestab, Abt. Presse & Funkspruch, 2.8.40, PK AG ND 2.WK, der Aargauer Polizei nichts. An dieser Versammlung wur­ 17984. 91 den alle Deutschen aufgefordert, der Gemeinschaft bei­ PK AG an BA, 7.8.41, PK AG ND 2.WK, 17984. 92 Polizeistation Zurzach an PK AG , 8.8.41 , PK AG ND 2.WK, 17984. zutreten. Wer nicht beitrete, riskiere, dass seine Papiere 93 PK AG ND 2.WK, 17984. nicht verlängert würden. Zum Gemeinschaftsleiter der 94 Überwachungsbericht des Bezirksunteroffiziers an PK AG , 15.7.41 , Deutschen Kolonie für den Bezirk Zurzach war Robert PK AG ND 2.WK, 24917B. 95 Zurzach an PK AG , 21.11.42, PK AG ND 2.WK, 24917B. Wanner, Geschäftsleiter der Firma Spiesshofer & Braun, 96 Quittungen, PK AG ND 2.WK, 14109. ernannt worden.94 In der Leitung der Deutschen Kolonie 97 Zumbrunn an Bezirksunteroffiziere, 4. 9 .40, PK AG ND 2.WK, 23959. 396 Z u rzac h zur Z eit des Nationalsozia lism us

Und schliesslich ging es ihr auch darum, Unruhen oder Zusammenkünfte bestimmen?», fragte das Kommando Störungen der Veranstaltungen z. B. durch antifaschisti­ verärgert. 108 sche Schweizer zu verhindern, um Ärger mit Deutschland 1941 hatten an den meisten Veranstaltungen der Deut­ zu vermeiden.98 Während Schweizern die Teilnahme un­ schen Kolonie zwischen 80 und 120 Personenteilgenom­ tersagt war, durften Italiener die Veranstaltungen besu­ men. 1942 und 1943 sank die Zahl kontinuierlich. Es gehe chen; in einigen Fällen, z. B. bei Filmvorführungen, mach­ um Sein oder Nichtsein, erklärte Wanner und zeigte da­ ten sie bis zu zwei Drittel des Publikums aus.99 mit einen langsam einsetzenden Stimmungswandel an . Kameradschaftstreffen und deutsche Feste enthielten als 1943 wurden die Anwesenden aufgerufen, die Deutschen wesentliche Elemente in der Regel eine Rede, die häufig !~ Ausland müssten jetzt alles zum Sieg beitragen. Wer von Wanner gehalten wurde, und das Absingen von Lie­ abkömmlich sei, solle ins Reich zurückkehren, um in der dern wie «Deutschland, Deutschland über alles» und das Rüstungsindustrie zu arbeiten, appellierte die Leiterin der «Horst-Wessel-Lied», schliesslich Sieg-Heil-Rufe. 100 Bis­ Frauenschaft in Zurzach, Frau Hawranek, an die Frauen.109 weilen kam es zu «gehässigen Ausführungen», etwa als Und die Frauen sollten mehr Kinder bekommen, forderte ein aus Berlin angereister SS-Oberführer namens Zerf eine Wanner in der Muttertagsansprache 1943. 11 0 An der scharfe Attacke gegen die Auslandspresse ritt. 101 Die Po­ Weihnachtsfeier 1943 nahmen gerade noch 30 Erwach­ lizisten vemerkten aber nicht nur solche Ausfälle, sondern sene und 35 Kinder teil. Mit der Feier zum 55 . Geburtstag notierten durchaus auch Positives, etwa wenn Wanner des Führers am 20. April 1944 enden die Akteneintra­ über den Tag der «Nationalen Arbeit» und den «Mutter­ gungen zur Deutschen Kolonie in Zurzach. Sie bestand tag» sprach, «und zwar in nicht anstössiger Weise».102 An aber offensichtlich weiter. Per 3 1. 12. 1944 meldete sie ei­ der Weihnachtsfeier 1942 stellte der Berichterstatter et­ nen Mitgliederbestand von 104 Personen an das Deut­ was überrascht fest, dass sich im Saal «nebst der Deut­ sche Konsulat in Bern.111 schen auch die Schweizerflagge» befand.103 Die Leiter der Deutschen Kolonien waren die Verbin­ Die Veranstaltungen fanden 1941 immer im Hotel Solbad dungsleute zum Konsulat. Sie reichten Anträge für Pass­ Ochsen statt. Im März 1942 stellte Wanner der Polizeidi­ verlängerungen ein, lieferten Leumundsberichte und infor­ rektion den Antrag, eine Versammlung im «Kaufhaus» in mierten über alle Vorgänge in der Deutschen Kolonie. Das Zurzach abhalten zu dürfen. Da dieses aber ein Privat­ Konsulat holte bei der Erneuerung von Dokumenten und haus war, wurde der Antrag abgelehnt, weil hier eine po­ anderen Anträgen systematisch die Beurteilung der lizeiliche Überwachung nicht möglich war. 104 Im Juni be­ Kolonieleiter ein. Für Zurzach und Umgebung tat es dies antragte die Gemeinschaft Zurzach der Deutschen Kolo­ bei Wanner. Das betraf schweizerische und deutsche nie in der Schweiz aber dennoch die Einrichtung einer Staatsangehörige. «Deutschen, die politisch nicht einwand­ Geschäftsstelle. Und zwar eben im «Kaufhaus». Dieses frei sind , werden die Papiere prinzipiell nicht erneuert. war im Besitze der Erben Zuberbühler und wurde von Diesen Leuten bleibt dann nur noch die Rückwanderung Frau Leonie von Senger-Zuberbühler, Frau Alice Mathilde übrig. Hievon sind in letzter Zeit hauptsächlich Dienstbo­ Zuberbühler und diversen Mietern bewohnt. Das Polizei­ ten betroffen worden», beobachtete der Polizist, der die kommando beantragte eine Ablehnung des Gesuches, Post kontrollierte. 112 Auch in Telefongesprächen machte konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Es gab trotz Wanner dem Konsulat Mitteilung, welche Leute aus Zur­ Bedenken keine Möglichkeit, die Einrichtung einer Ge­ zach und Umgebung Befehlen nicht nachgekommen sei­ schäftsstelle zu verhindern. 105 Im September konnte Wan­ en . Das Konsulat holte bei ihm zudem Informationen ein ner rund 40 Personen zur ersten Versammlung im neuen über Firmen aus der Region oder aus der Branche, in der «Deutschen Heim, Zurzach» begrüssen, rügte aber zu­ er selbst tätig war. 11 3 Es kamen auch Meldungen über gleich den schlechten Besuch der Veranstaltungen.106 Drei Gefallene. 11 4 Ab 1942 häuften sich die Fälle, in denen Monate später informierte er das Polizeikommando über Deutsche dem Einberufungsbefehl nicht nachkamen. Auch die regelmässigen Zusammenkünfte. 107 Doch drei Veran­ in Zurzach weigerten sich Einzelne einzurücken. Gegen staltungen pro Woche waren der Polizei zu viel, so viele sie wurde jeweils ein Verfahren zur Aberkennung der deut­ könnten nicht überwacht werden, beschwerte sie sich bei schen Staatsangehörigkeit eingeleitet. 115 der Polizeidirektion. «Oder ist es so gemeint, dass die Es gab, wie dies auch die Postkontrolle des Deutschen Schweizer Behörden und die Polizei bereits als Sklaven Konsulates zeigte, Deutsche, die sich gegen den N ational­ der Deutschen Kolonie gelten, dass sie also nur noch ja sozialismus wehrten und sich weigerten, in dessen Orga­ und amen zu sagen haben, wenn die Gemeinschaftsleiter nisationen mitzumachen. 1941 setzte sich in Zurzach Po- Wa lter Leimgruber 397 lizist Baldinger für Coiffeurmeister Friedrich Watter ein. Mit dem Kriegsende waren die Auseinandersetzungen Dieser solle angeblich «auf dem verschlossenen Namens­ nicht vorbei. Manch offene Rechnung war nun zu beglei­ verzeichnis der Nationalsozialisten, die bei einem eventl. chen. Als die Behörden darangingen, unerwünschte Aus­ Kriegsausbruch sofort verhaftet werden», figurieren. Be­ länder auszuweisen, gerieten auch verschiedene Deutsche kanntlich liege dieses Verzeichnis auf «hiesigem Bez. aus Zurzach auf die Listen . Einige wurden ausgewiesen, Polizeiposten» auf. Watter, der in Zurzach ein Geschäft die meisten kamen mit der Androhung der Ausweisung besass, sei ein alter, gedienter deutscher Unteroffizier, aber davon. Am 8. Mai 1945 (!) wurde Robert Wanners Haus mit Bestimmtheit kein Anhänger des gegenwärtigen deut­ durchsucht. Eine Woche vorher, am 1. Mai, hatte der Bun­ schen Regimes. Nach Baldingers Meinung gehörte er aus desrat beschlossen, die NSDAP Landesgruppe Schweiz dem Verzeichnis gestrichen. Dass er kein Nazi sei, zeige und die ihr angeschlossenen Organisationen aufzulösen. sich immer deutlicher. Er trete ganz öffentlich gegen das Die Polizei beschlagnahmte u. a. Mitgliederverzeichnisse, System auf und habe dadurch seinem Geschäft schon stark Kassenjournal und Korrespondenz.119 Wanner erklärte, geschadet. Baldingerfühlte sich veranlasst, «Ihnen dies zur gefl . weitern gutfindender Verfügung zu rapportieren». 11 6 98 Zumbrunn an Zurzach, 9.7.41; vgl. auch Bericht zum Erntedankfest Auch Watter, seit 1903 niedergelassen, wurde «angerem­ vom 8.10.41 , PK AG ND 2.WK, 24917B. 99 Berichte der Polizei vom 31 .7.4 1 und 20.9.41 , PK AG ND 2.WK, pelt», der Deutschen Kolonie beizutreten. Wanner kam 24917B. zu ihm, um ihn und seinen Sohn zu überzeugen. Letzterer 100 Ka meradschaftstreffen 7.9.41 , Bericht vom 8.9.41 ; Weihnachtsfeier erklärte, er werde sich in der Schweiz einkaufen. Watter 26.12.41 , Bericht vom 27.12.41, PK AG ND 2.WK, 24917B. 10 1 Bericht zum Erntedankfest vo m 8.10.41 , 1 1.10.41 , PK AG ND 2.WK, wollte ebenfalls nicht mitmachen. Wanner sagte ihm dann 24917B. wörtlich, er «komme nicht als Privatmann zu mir, son­ 102 Versammlung 10.5.42, Beri cht vom gleichen Tag, PK AG ND 2.WK, dern als Beamter», worauf Watter erwiderte, er solle zu­ 24917B. 103 W eihnachtsfeier 20. 12.42, Bericht 2 1. 12.42, PK AG ND 2.WK, erst einmal Dienst leisten für das Vaterland. Wanner droh­ 24917B. te, bei einem Nein werde Watter innert acht Tagen aus­ 104 Po lizeidirektio n an Polizeiposten Zurzach, Wanner, 10.4.42, PK AG gebürgert. «Diese Worte erzürnten mich derart, dass ich ND 2.WK, 24917B. 105 Schreiben der BA an den Chef des eidg. Po li zeidienstes in Bern, diesem Agenten an den Kopf schleuderte, wenn es zu ei­ 11.7.42, Schreiben der Po lizeidirektion an BezirksamtZurzach, 7.8.42, ner Ausbürgerung nicht mehr brauche als soviel , so sei es PK AG ND 2.WK, 24917B. 106 Bericht der Versammlung vom 18.9.42, PK AG ND 2.WK, 24917B. mir gleich, heute schon ausgebürgert zu werden und nicht 107 Wanner an PK AG, 6.12.42, PK AG ND 2.WK, 24917B. erst in acht Tagen .» Wanner betitelte den Coiffeurmeister 108 KP AG an Po lizeidirektion, 10. 12.42, PK AG ND 2.WK, 24917B. mit «Hallunke» und drohte mit Prügeln. «Ich stellte aber 109 Weihnachtsfeier 20.12.42, Be richt vom 21 . 12.; Jahrestag de r natio nalsoz. Machtübernahme, 30.1.43; Bericht von der Versamm­ sofort meinen Mann und sagte, er solle nur eines Hauen, lung vom 13.2.43; Bericht von der Frauenschaft der Reichsdeutschen dann werde er mich erfahren. Zu einer Rauferei kam es Gemeinschaft, 7.3.43; Berichte der Versammlungen vom 7.3 ., 14.3. aber nicht.» 11 7 Friedrich Watter jun. wurde mit Ehefrau und 4.5.43, PK AG ND 2.WK, 24917B. 110 Bericht zur Ve rsammlung vom 16.5.43, PK AG ND 2.WK, 24917B. und zwei Kindern 1942 in Zurzach eingebürgert. 111 Be ri chte von den Versammlungen vom 9. 1., 30. 1., 27.2., 18.3. und 20.4.44, PK AG ND 2.WK, 249 17B; Postko ntroll e Fri tz O sthoff, Deutsches Ko nsul at, Bern , PK AG ND 2.WK, 142 1. 112 Vgl. Notiz 26.8.42, Akten zum Deutschen Ko nsul at in Basel, PK AG Kriegsende und Nachkriegszeit ND 2.WK, 651 . 11 3 Armee, Abt. Presse & Funkspruch, Sektion Tel epho n und Telegraph, Gegen Ende des Krieges stieg die Gefahr, bombardiert zu Abschrift Gespräch Konsul at mit Wanner, 12.5.43; vgl. auch Noti z 27.2.42, PK AG ND 2.WK, 651. werden. In der Zeit ab Neujahr 1945 kam es mehrmals 114 Postkontro ll e Fritz O sthoff, Deutsches Ko nsulat, Bern, PK AG ND zu Fliegeralarm in Zurzach. Einmal schlug eine verirrte 2.WK, 1421. 11 5 Fliegerbombe gegenüber der Schuhfabrik im Rheinbord Notiz Postko ntro ll e gegen Deutsches Ko nsul at Basel, 27.7.42; No­ tiz 9.2.43, Akten zum Deutschen Ko nsul at in Basel, PKAG ND 2.WK, ein und liess eine Reihe von Scheiben in die Brüche gehen. 651 . Im Februar45 wurde Koblenz bombardiert. Die Zurzacher 116 Rappo rt Zurzach, Baldinger, an PK AG, 3.3.41 , PK AG ND 2.WK, befürchteten, dass dem Flecken Ähnliches passieren könn• 24596. 117 Po lizeiposten Zurzach gegen Wanner Ro bert, betreffend staatsfeind­ te. Als die französischen Truppen dem Rhein entlang vor­ li che Umtriebe, Entzug der Niede rl assungsbewilligung als Ausländ er, rückten, wechselten viele deutsche Soldaten in die Schweiz Po lizeistatio n Zurzach, als Zeuge einverno mme n: Watter Friedrich, über. Und im Fluss schwammen massenhaft Hakenkreuz­ 27.8.41 , PK AG ND 2.WK, 24596. 118 Zurzacher Vo lks blatt, 3.1. und 17.2. 1945; Im Rückspiegel, S. 157; fahnen und nationalsozialistische Embleme, die man noch Gedenkschrift Grenz-Regiment 50, S. 80-86. schnell loswerden wollte. 118 119 Beri cht Zurzach, 8.5 .45, PK AG N D 2.WK, 249 17. 398 Z u rzach zu r Z e it d es N a ti o na lsozia li s mu s

die Leitung der Deutschen Kolonie gegen seinen Willen weisung von weiteren 3 1 Personen. Unter den Ausgewie­ auf Anordnung Spiesshofers übernommen zu haben. Es senen befand sich aus Zurzach neben Wanner auch das habe in Zurzach keine selbstständige NSDAP-Organisati­ Ehepaar Hawranek. 126 Ermittelt wurde auch gegen Spiess­ on gegeben, diese sei Brugg und Baden unterstellt gewe­ hofer, gegen den 1944 eine Einreisesperre verhängt wor­ sen. Die Deutsche Kolonie sei keine Gliederung der den war. Nach dem Krieg wurde die Sperre mehrmals NSDAP. Wanner selbst war Mitglied der NSDAP, wie eine aufgehoben und wieder in Kraft gesetzt, je nachdem, was Karteikarte zeigte, was er aber dennoch abstritt. 120 die polizeilichen und gerichtlichen Abklärungen gerade Am Antrag der Bundesanwaltschaft, Wanner aus der zutage gebracht hatten.127 Im Februar 1946 schrieb das Schweiz auszuweisen, wurde festgehalten; er habe Druck Polizeikommando an die Polizeidirektion, man wisse, dass auf Deutsche ausgeübt und für das Deutsche Konsulat 'Spiesshofer nicht Mitglied der NSDAP gewesen sei. Er Erkundungen über schweizerische Firmen eingeholt. 121 habe es seinem Teilnehmer Braun überlassen, der Partei Der Ausweisungsbeschluss führte in Zurzach zu einer beizutreten und der Firma so das Wohlwollen der Partei­ heftigen Kontroverse. «Arbeiter und Angestellte der Fa. instanzen zu sichern. Spiesshofer solle den Betrieb an Spiesshofer und Braun, Zurzach» machten sich im «Zur­ schweizerische Interessenten verkaufen, schlug das Poli­ zacher Volksblatt» und in einer Eingabe an den Gemein­ zeikommando vor. Er habe aber einmal geäussert, «dass derat für Robert Wanner stark und lobten seine Leistun­ eher alles verrecken soll als die Fabrik in Zurzach in schwei­ gen als Vorgesetzter. Vor zwölf Jahren sei der Betrieb mit zerische Hände zu geben». Obwohl auch der Regierungs­ 16 Näherinnen aufgenommen worden, während der rat eine Übernahme des Betriebes durch Schweizer als Belegschafts-Höchstbestand 21 0 Personen betragen habe. wünschenswert erachtete, da Spiesshofer auf der schwar­ Gute Löhne, unübertroffene Teuerungszulagen, Extra­ zen Liste der Alliierten stehe, befürwortete er dessen An­ Herbstzulage, Weihnachtsgratifikation, bezahlte Ferien bis wesenheit in Zurzach und stellte beim EJPD einen ent­ zu zwölf Arbeitstagen, arbeitsfreier 1. Mai und 1. August sprechenden Antrag. Im März 1946 wurde die Einreise­ und gute Arbeitsbedingungen seien das Verdienst des sperre aufgehoben.128 Der Gemeinderat von Zurzach Mannes, über den nun «gewissenlose Hetzer» herziehen setzte sich ebenfalls für Spiesshofer ein. Dieser sei nun würden. Demgegenüber rief ein weiterer Einsender das auch im Stadtrat von Heubach und gehöre derjenigen Benehmen Wanners gegenüber «verhassten Schweizer­ Kommission an, die im Auftrag der Amerikaner über die bürgern» während der Blütezeit des Nazitums in Erinne­ Nazizugehörigkeit der Gemeindeangehörigen entscheiden rung und sprach von Erpressung gegenüber deutschen müsse. Das seien Beweise, dass er nie ein Nazi gewesen Landsleuten, die sich nicht den Nazis anschliessen woll­ sei . 129 Die Spruchkammer Schwäbisch Gmünd allerdings ten. Eine ganze Reihe von weiteren Artikeln folgten.122 verurteilte Spiesshofer am 14.1 . 1947 als «Minderbelaste­ Der Gemeinderat unter Gemeindeammann Fürrer sah die ten» zu einem Jahr Sonderarbeiten und zog einen Viertel Anwesenheit von Wanner als nicht mehr notwendig an. seines Vermögens (2,2 Mio. Reichsmark) wegen Agenten­ Polizeichef Zumbrunn fügte hinzu , die Bevölkerung warte tätigkeit für die Gestapo ein. Unter anderem hatten zwei «mit Ungeduld auf seine Ausreise». 123 In einem Telegramm ehemalige Mitglieder der Gestapo erklärt, nur wer Agent nach Bern forderte er rasches Handeln, da W anner mit sei, erhalte diese Art der Ausreisebewilligung. Spiesshofer allen Mitteln versuche, die laufenden Unterhandlungen auf konnte ab 1940 ausreisen, ohne dass vorher die Einwilli­ Übernahme der Firma Spiesshofer & Braun durch eine gung der Gestapo eingeholt werden musste. Laut Zeu­ schweizerische Leitung zu sabotieren; «er streut auch genaussagen war dies ein einmaliger Vorgang im Kreis ueberall aus, der betrieb werde nach seiner ausreise ein­ Schwäbisch Gmünd.130 Damit war das Verfahren aber nicht gestellt, wodurch dem geschaeft schaden erwachsen abgeschlossen. Im Berufungsprozess wurde Spiesshofer kann». Sein Gesuch habe aufschiebende Wirkung und freigesprochen, das erste Verfahren sei nicht korrekt müsse daher sofort behandelt werden.124 Eine Woche durchgeführt worden, die Beweislage ungenügend, ein Teil später lehnte der Bundesrat Wanners Wiedererwägungs­ der Aussagen unglaubwürdig. Die Prozesse waren geprägt gesuch ab. Am 10. August 1945 verliess der Fabrikleiter von der sich verändernden politischen Lage. Immer mehr mit seiner Familie Zurzach. «[ .. .] nun endlich abgereist. rückte der Kalte Krieg in den Vordergrund. Je länger die Recht so!», frohlockte das «Aargauer Tagblatt».125 Verfahren dauerten, desto stärker konnten die Angeklag­ Bis zum 1 1. Juni 1945 mussten 294 Personen die Schweiz ten auf milde Richter hoffen, denn nun musste Deutsch­ verlassen, darunter 16 aus dem Aargau. Der aargauische land gegen den Ko mmunismus verteidigt werden. 1950 Regierungsrat und die Fremdenpolizei verfügten die Aus- bat Spiesshofer das schweizerische Konsulat in Stuttgart Wa lt er Leimgrube r 399 um Aufhebung der Einreisesperre, was im Februar 1951 getreten war. Die bürgerlichen Gemeinderäte lehnten es auch erfolgte. 131 ab, für das Amt des Ammanns zu kandidieren. Keusch Robert Wanner vollzog eine überraschende Wende. Im musste bei der Wahl gegen den Sozialdemokraten Jakob Juni 1952 sagte er in Gomaringen, Württemberg, eides­ Schläpfer antreten, der als Verlegenheitskandidat galt. stattlich aus, er sei im Herbst 1942 von der Gestapo an­ Zwar unterstützten offiziell auch die Katholisch-konser­ gefragt worden, ob er für sie arbeiten wolle. Er habe ab­ vative und die Freisinnig-demokratische Partei den SP­ gelehnt. Einige Zeit später habe ihm Spiesshofer an seine Kandidaten. In Wirklichkeit hatte dieser aber nicht einmal Adresse in Dangstetten über Waldshut umfassende Auf­ den Rückhalt seiner eigenen Partei. Das zeigen die am glei­ tragsmaterialien geschickt für Spionage in der Schweiz: chen Tag durchgeführten Ständeratswahlen. Der dort kan­ technische Daten von Waffen, Informationen über Befes­ didierende SP-Vertreter erhielt in Zurzach mehr Stimmen tigungsanlagen, Zusammenkünfte von ausländischen Di­ als Schläpfer in der Ammannwahl. 137 Die Meldung von der plomaten und anderes. Wanner habe diese Unterlagen Wahl Keuschs löste denn auch in der ganzen Schweiz Kopf­ Frau Babette Teufel im Gasthaus zum Adler in Dangstetten schütteln aus. Die «Nation» sprach in ihrer «Pranger»­ zur Aufbewahrung übergeben. Als die Alliierten anrück• Kolumne vom unkeuschen Keusch und von der «politi­ ten, habe er seine Frau geschickt, die Dokumente zu ver­ schen Unreife» der Zurzacher. Als Erklärung sah sie die brennen, da diese sonst zur Anklage gegen ihn und Möglichkeiten, dass andere Kandidaten noch weniger fä- Spiesshofer geführt hätten. Wanners Frau bestätigte die­ se Angaben. 132 Doch am 20. Dezember 1952 starb Paul

Spiesshofer, die eingeleitete Untersuchung wurde einge­ 120 Abhörungsprotokoll Wanner, Zurzach, 8.5.45, PK AG ND 2.WK, stellt. 133 24917. 121 Ausweisungsantrag an die BA z. H. des Bundesrates, 17.5.45, PK AG ND 2.WK, 24917. Drei Jahre nach dem Kriege gelang Martin Keusch ein 122 Zurzacher Volksblatt, 2.6., 4.6. 6.6. und 9.6. 1945; Schreiben von Comeback, 134 das etliches Aufsehen erregte. Im Frühjahr Angestellten und Arbeitern der Firma Spiesshofer an den Gemein­ 1948 wurde er neuerdings zum Gemeindeammann ge­ derat, 4.6.45, PK AG ND 2.WK, 24917. 123 Schreiben von Zumbrunn an die Polizeidirektion, 5.7.45, PK AG ND wählt- gegen die Koalition der grossen Parteien. Vergeb­ 2.WK, 24917. lich war in die Flugblättern auf Keuschs unrühmliche 124 Telegramm Zumbrunns, 13.7.45, PK AG ND 2.WK, 24917. 125 Taten aufmerksam gemacht worden. 135 Die Wahl charak­ Auszug aus dem Protokoll, Sitzung des Schweiz. Bundesrates, 20. 7.45; Erklärung PK AG, sig. Wanner, 24.7.45, und Bericht Zurzach, 10.8.45, terisiere «die typische politische Anschauung gewisser PK AG ND 2.WK, 24917; Aargauer Tagblatt, 27.8.1945. hiesiger Bevölkerungsschichten», hielt Polizist Hofmann in 126 Zurzacher Volksblatt, 9.6., 11 .6. und 19.9.1945. 127 Brief PK AG an Polizeidirektion, 1 1.12.45; Be richt Wo., Zürich, seinem Bericht fest. Etwas seltsam war allerdings, dass 6.1 1.45; Personenblatt Spiesshofer Pau l Alfred des Aarg. Polizeikom­ Keusch jetzt als Linker eingestuft wurde: « Nach dieser mandos, PKAG ND 2.WK, 14109. Wahl darf die politische von Zurzach als offizi­ 128 Auszug aus dem Protokoll des RR: Einreisebewilligung Spiesshofer, 15.2.46; Meldung von Wo., 22.3.46, PK AG ND 2.WK, 14109. ell linksgerichtet betrachtet werden, der alle Aufmerksam­ 129 Schreiben von Gemeinderat Zurzach an Landammann Dr. Siegrist, 136 keit geschenkt werden muss.» Diese Formulierung zeigt Aarau, 22.3.46, PK AG ND 2.WK, 14109. (neben einer Portion politischer Naivität des Polizisten) 130 Spruchkammer Schwäbisch Gmünd, Aktenzeichen X IV / 12/ l 20 1, 14.l.47,PKAGND2.WK, 14109. einerseits, dass die Zeit des Zweiten Weltkrieges dem 131 Spiesshofer an sc hweiz. Konsulat in Stuttgart, 4.9.50; PK AG an BA, Kalten Krieg gewichen war und die Gefahr jetzt von links, 12.2.51 ; BA an Gemeinderat Zurzach, 20.2.51; Personenblatt nicht mehr von rechts zu kommen hatte; andererseits Spiesshofer Pau l Alfred des Aarg. Po lizeikommandos, PK AG ND 2.WK, 14109. belegt sie aber in der Tat, dass die schillernde Figur Keusch 132 Aussage Wanners in Go maringen, Württemberg, 21.6.52, PK AG auch in Arbeiterkreisen Unterstützung gefunden hatte, ND2.WK, 14109. zumeist in solchen, die sich seit der Krise der Dreissiger­ 133 Dass ein deutscher, in der Schweiz tätiger Unternehmer gleichzeitig politischer Handlanger war, war übrigens kein Einzelfall , wie eine jahre von den Linken und Gewerkschaften nicht mehr sehr ähnliche Geschichte aus einer Nachbargemeinde zeigt. Do rt vertreten sahen und ihre Hoffnung auf andere «Erneue­ all erdings war es den schweizerischen Behörden gelungen, den Fa­ rer» setzten. Der populistische Keusch verstand es, seine brikbesitzer zu überführen und zu verurteilen. Seltsamerweise wur­ de dieses Urte il aus Rücksicht auf die betreffende Person aber nie nationalsozialistische Haltung und seine engen Beziehun­ veröffentlicht. Als diese später eingebürgert wurde, war die Kartei­ gen zu Deutschland rhetorisch so zu verzieren, dass seine ka rte auf dem Polizeiposten «frei von jeder belastenden Eintragung». 134 Botschaft auch für die Arbeiter akzeptabel war. Sein Come­ Zum Comeback von M. Keusch vgl. GAUTSCH!, Geschi chte, S. 494 f. 135 Po lizeistation Zurzach an PK AG , Gemeinderatsersatzwahlen in back war möglich geworden, weil der bisherige Gemeinde­ Zurzach vom 21./22.2.48, 22.2.48, PK AG ND 2.WK, 18305A. ammann überstürzt und ohne Nachfolgeregelung zurück- 136 Ebd. 400 Zu rzach zur Zeit des Nationalsozia lismus

hig seien oder aber die Zurzacher «jeder politischen Rei­ fe und demokratischen Gesinnung» entbehren würden. «Auf jeden Fall wäre eine politische Entmündigung am Plat­ ze.» Keusch blieb bis 1957 Gemeindeammann.

137 Aargauer Tagblatt, 15.3.1948. Vorabdruck dieses Kapitels unter dem Titel: Zwischen den Fronten. Alltagsdynamik in einer schweizerischen Grenzgemeinde am Rhein ( 1933- 1945), in: Schweizerisches Archiv für Volks kunde 96, 2000, S. 55-89.