Politik Und Wirtschaft Im Krieg
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HANS ULRICH JOST POLITIK UND WIRTSCHAFT IM KRIEG DIE SCHWEIZ 1938-1948 CHRONOS Umschlag: Fritz Ritzmann Foto: Archiv für Zeitgeschichte ETH, Sammlung Bildarchiv Keckeis © 1998 Chronos Verlag Zürich ISBN 3-905312-82-4 Eingelesen mit ABBYY Fine Reader INHALT 1. STRUKTURLINIEN UND -ENTWICKLUNGEN 7 Krieg und Wirtschaftswachstum 8 Gewinne und Verluste 11 Der Aussenhandel, die strategische Lebensader 12 Kriegswirtschaft und Staatshaushalt 14 Finanz- und Steuerpolitik 17 Der Babyboom 19 Gesellschaftliche Schwerpunkte 21 Post Skriptum 1 26 2. AUFMARSCH ZUM KRIEG (1938-1939) 29 Kriegserklärungen 29 Abwehr der Fremden 37 Kulturelle Landesverteidigung 41 Politischer Rauhreif 44 Aufbau der Kriegswirtschaft 50 Mobilisation 54 Dienst und Arbeit 57 Post Skriptum 2 60 3. 1940: VERDREHUNGEN UND VERWIRRUNGEN 63 1. Akt: La gloire qui chante 64 2. Akt: Ernüchterung und Verwirrung 67 3. Akt: Demobilisation und Einsatz der Wirtschaft 71 4. Akt: Ein eidgenössischer Landammann? 79 5. Akt: Erneuern und Anpassen 84 6. Akt: Demokratie im Abseits 89 Post Skriptum 3 96 4. KRIEGSWIRTSCHAFT, VOLLBESCHÄFTIGUNG UND NEUE ORDNUNG (1940-1943) 99 Aussenhandel und Kriegswirtschaft 101 Gold und Kredite 106 Die äussere Front 115 5 Aussenpolitische Gesten und Flüchtlingspolitik 118 Wirtschaftspolitik und innere Ordnung 128 Politische Öffentlichkeit im Réduit 134 Post Skriptum 4 141 5. KRIEGSENDE: ÄUSSERER DRUCK, INNERE KRISEN, ISOLATION (1944-1946) 147 Nahkampf an der Wirtschaftsfront 150 Diplomatische Nebenschauplätze 156 Flüchtlinge, humanitäre Aktionen und Auslandshilfe 159 Innenpolitische Wirrnisse 166 Moskau und Washington, die letzten Schlachten 171 Rechtfertigungsrituale und Imagepflege 177 Post Skriptum 5 181 6. ANPASSUNG AN DIE ATLANTISCHE PERSPEKTIVE (1946-1948) 185 Normalisierung und Rückkehr zur Ordnung 186 Der innenpolitische Nachkriegspakt 193 Die Wendung zur atlantischen Perspektive 199 Wahrung der Tradition in Kultur und Gesellschaft 205 Post Skriptum 6 210 7. DIE GESCHICHTE DES ZWEITEN WELTKRIEGS IN DER POLITISCHEN STRATE- GIE DER NACHKRIEGSZEIT 213 Geschichte als Spielball der Politik 213 Fragmentierte Geschichte 220 Geschichte als politische Strategie 225 Post Skriptum 7 229 ANMERKUNGEN 231 BIBLIOGRAPHIE 255 Dokumente und Quellen 255 Zeitgenössische Schriften 256 Literatur 258 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 272 NAMENREGISTER 273 6 1. STRUKTURLINIEN UND -ENTWICKLUNGEN «Die mächtige Totenhand der Kriegsrüstung musste mithelfen, die Schweiz aus dem beklemmenden Tal der Wirtschaftsdepression herauszuführen.»1 Mit die- sen Worten hat Hans von Greyerz den Ausstieg aus der Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre beschrieben. Ähnliche Erklärungen für die Überwindung der Weltwirtschaftskrise finden sich heute bei vielen Historikern. «If rearmament was important in Britain, in Hitlers Germany it was crucial in stimulating and sustaining economic growth», schreibt beispielsweise der englische Historiker Peter Clark.2 Dies gilt ebenfalls für die Mehrzahl der europäischen Länder und sogar für die USA. Will man dem Jahrzehnt 1938-1948 gerecht werden, so muss man die brutale Logik der Wechselwirkung von Wirtschaft und Krieg als Para- digma akzeptieren. Obwohl ich in diesem einführenden Kapitel in erster Linie wirtschaftliche Per- spektiven entwickle, darf nicht vergessen werden, dass im Jahrzehnt 1938-1948 eine grundsätzliche Konfrontation antagonistischer gesellschaftspolitischer Dogmen stattgefunden hatte. Faschismus, Nationalsozialismus und autoritäre Herrschaftsformen der Rechten waren bestrebt, den liberalen Demokratien ein Ende zu bereiten. Es handelte sich jedoch nicht allein um einen frontalen Kampf zweier Weltanschauungen – im Stalinismus der Sowjetunion manifestierte sich eine dritte Option, die weder mit der liberalen Demokratie noch mit dem Fa- schismus kompatibel war. Historisch entscheidend war dann aber, dass sich die Alliierten und die Sowjetunion zum gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus und den Nationalsozialismus fanden. Die politische Kultur der Schweiz war von diesen Antagonismen in starkem Masse geprägt. Die verschiedenen Positionen grenzten sich jedoch nicht immer deutlich voneinander ab. Im Spiel der demokratischen Kräfte nistete sich vieler- orts der – wie die autoritäre Versuchung damals genannt wurde – «Zeitgeist» ein. Die von einem Bürgerblock dominierte helvetische Demokratie entging nicht der Versuchung, im Kampfe gegen den Kommunismus und den Sozialis- mus mit den rechtsextremen Antidemokraten anzubändeln oder sie gewähren zu lassen. Die Gewissheit eines Sieges der Alliierten, ab 1943, bewirkte dann aller- dings eine Änderung der Orientierung. 7 Ein letzter grundsätzlicher Strukturwandel darf nicht unerwähnt bleiben. Die hier angesprochene Epoche führte in einer Mehrzahl der Länder, bei Siegern wie bei Besiegten, zu einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Modernisierung. Tradi- tionelle gesellschaftliche Hierarchien kamen ins Wanken; die Frauen, im Rah- men der Kriegswirtschaft massiv mobilisiert, hatten am Ende der 40er Jahre ei- nen andern Bezug zu Gesellschaft und Öffentlichkeit; die Jugend, auf deren Ein- satz man angewiesen war, begann nach dem Krieg nach neuen Lebensformen Ausschau zu halten. In der Schweiz kamen solche Modernisierungsprozesse ebenfalls in Gang, wenn auch die traditionellen Wertstrukturen und Hierarchien nur langsam in Bewegung gerieten. Bezeichnenderweise wiesen die helveti- schen Männer am Ende des Krieges einmal mehr das Frauenstimmrecht zurück. Trotz dieser zentralen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen standen die wirtschaftlichen Probleme im Vordergrund. Nicht nur die Weltwirtschafts- krise der 30er Jahre, deren Überwindung offenbar alles andere als gesichert war, sondern auch die noch nie gesehene wirtschaftliche Mobilisierung im Krieg bil- deten die dominierenden Problemkreise dieser Zeit. KRIEG UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM Wie stark das Wirtschaftswachstum in Nazi-Deutschland mit den Rüstungsan- strengungen verbunden war, lässt sich an der rasanten Steigerung der Militär- ausgaben ermessen. Der Anteil der Armeeausgaben stieg von 4% im Jahre 1933 auf 18% im Jahre 1934 und erreichte 1938 schliesslich 50% der öffentlichen Ausgaben. Diese staatliche Ausgabenpolitik beruhte auf einer expansiven, aber gut verschleierten Staatsverschuldung; zwar konnte dadurch die Wirtschaft nicht wirklich gesunden, aber es resultierten doch, bei stagnierenden Stundenlöhnen, Vollbeschäftigung und neue Profite für die Unternehmer. Die Überwindung der Krise in der Schweiz beruhte ebenfalls in starkem Masse auf einer rüstungsorientierten Konjunktur. Wohl hatte der Bundesrat 1936 den Franken um 30% abgewertet und sich damit der von den meisten Staaten ergrif- fenen Krisenpolitik angeschlossen. Die Abwertung hatte bestenfalls zur Folge, dass sich die Schweiz besser, d.h. mit konkurrenzfähigen Preisen, am Auf- schwung des Welthandels beteiligen konnte. Der Aussenhandel brachte tatsäch- lich einen entscheidenden Impuls für den Ausstieg aus der Depression. Die Ex- 8 Graphik i: Volkseinkommen und Bundesausgaben Reales Nettosozialprodukt (in Mio. Franken, linke Skala) und reale Ausgaben des Bundes (in Mio., rechte Skala). Quelle: Jakob Tanner, Bundeshaushalt, Währung und Kriegswirtschaft. Eine finanzsoziologi- sche Analyse der Schweiz zwischen 1938 und 1953, Zürich, Limmat Verlag, 1986, 373-420; Historische Statistik der Schweiz, hg. von Heiner Ritzmann-Blickenstorfer, Zürich, Chronos, 1996. porte stiegen von 882 Mio. Franken im Jahr 1936 auf 1‘286 Mio. im Jahr 1938. Zusätzlich wuchsen in der Schweiz, ähnlich wie in Deutschland, die öffentlichen Ausgaben, am stärksten beim Militär. 1935 lagen die Militärausgaben auf einem Tiefststand; sie waren auf beinahe 90 Mio. Franken gesunken, und auch ihr An- teil an den Gesamtausgaben, 19%, hatte den tiefsten Wert erreicht. Dann began- nen die Ausgaben aber zu steigen und erreichten 1939 beinahe 200 Mio. Fran- ken. Hinzu kam eine Anleihe von 235 Mio. Franken, die 1936 für die Bewaff- nung der Armee gezeichnet wurde. Es handelte sich um einen ausserordentlich hohen Kredit (beinahe die Hälfte der Bundesausgaben von 1936).3 Die Vorbereitung auf einen Krieg, dies steht ohne alle Zweifel fest, trug auch in der Schweiz wesentlich zur Überwindung der hartnäckigen Weltwirtschaftskrise bei. Und nach dem so lange ersehnten Take-off der Vorkriegskonjunktur war der 9 Krieg dann der dominante Faktor der Wirtschaftsentwicklung, die von der Welt- wirtschaftskrise zur neuen Konjunkturwelle der 1950er und 1960er Jahre führte. Wohl kam es im Krieg zu einem momentanen Rückgang des Aussenhandels und des Volkseinkommens, doch die Binnenwirtschaft hielt sich relativ stabil, und die Arbeitslosigkeit war praktisch ausgemerzt. 1943, als Göbbels den totalen Krieg ausrief, zählte man in der Schweiz nur 8’000 Arbeitslose, d.h. knapp 0,6% der aktiven Bevölkerung. Man konnte somit von «totaler» Vollbeschäftigung sprechen. Die ab 1939 auf Hochtouren laufende Kriegswirtschaft, bei der die Kriegsmaterialausfuhren eine zentrale Rolle spielten, schuf auch beste Voraus- setzungen für den neuen Aufschwung nach Kriegsende. Die Unternehmen ver- mochten gegenüber den 30er Jahren von 1939 bis 1945 ihre Selbstfinanzierungs- quote zu verdoppeln. Betrachtet man demnach die Epoche 1938-1948 insge- samt, so muss trotz der kriegsbedingten regressiven Momente von einem erfolg- reichen Ausstieg aus der Depression der 30er Jahre gesprochen werden. Diese positive Entwicklung wurde in einem Rundschreiben des Politischen Departe- ments aus dem Jahre 1946 wie folgt zusammengefasst: «La Suisse, heureuse- ment, se trouve dans une position privilégiée