13. Jahrgang Auflage 7 000 Stück Dezember 1991 MEDIZIN UND IDEOLOGIE Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion

HERODES HEUTE ?

Christnacht an der Zeitenwende - Kann man noch Dein Heil verkünden? Geht Dein Lichterglanz zu Ende? - Droht Dein Stern uns zu entschwinden?

Wenn die Mächtigen den Funken Gottes - statt ihn anzubeten - von der eignen Allmacht trunken suchen völlig auszutreten!

Wenn sie über Gut und Böse selber sich zum Maßstab setzen und im Wahne hohler Größe opfern Gottes Welt den Götzen!

Wenn Sie aus den satten Sesseln Mißgunst, Neid und Habgier wecken, Krieg und Aufstände entfesseln mit totalen Terrors Schrecken!

Wenn sie geile Lust verheißen triebbesessenen Männern, Weibern - Ungeborene zerreißen in vieltausend Mutterleibern!

Wenn sie - wie Herodes Horden - blutbefleckt dem höchsten Herren suchen durch ihr Kindermorden Seinen Weg zur Welt zu sperren! -

Wer will Einhalt dem gebieten? - daß die Mutter mit dem Kinde, daß der wahre Christnachtfrieden eine Bleibe bei uns finde? -

Daß der Engelchöre Scharen diese Stätte neu bewegen und das Wunder wir erfahren: Heut kommt Christus uns entgegen!

S. ERNST

Bild: Der Kindermord des Herodes Glasfenster von Hans Acker von Ulm, 1430 n. Chr., Besserer-Kapelle im Ulmer Münster. Ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gnadenreiches neues Jahr Neue Vorträge: Vorträge vom Internationalen Kongreß der WORLD FEDERATION OF DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE in Dresden vom 20. bis 23. September 1990.

Für Lebensrecht und Zukunft Europas!

Eröffnung des Kongresses Prof. Dr. Roland Süßmuth, Stuttgart-Hohenheim * Dr. Gunning - Dr. Ernst AIDS - mehr als eine Herausforderung Dr. med. Siegfried Hummel, Dresden Dr. Rudolf Ehmann, Stans (Schweiz) * Die Lager in der DDR Probleme der Geburtenregelung Dr. med. Karel Gunning, Rotterdam * Frau Dr. med. Magdalene Furch * Die Komplementarität von Naturwissenschaft, Die psychischen Folgen der Abtreibung Glauben und medizinischer Ethik Dr. med. Siegfried Ernst Roland Rösler MdL, Wiesbaden * Die Entwicklung der modernen Ideologien Bevölkerungskontrolle oder das Spiel mit Menschen Dr. Karl Philberth, München * Johanna Gräfin von Westfalen * Seite A Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde Abtreibungsfreigabe, Hilfe für Frauen? Alexander Papsthart, Bamberg Seite B Prof. Dr. Bruno Vollmert, Karlsruhe Juristische und Staatsrechtliche Situation bei der Evolution und Schöpfung aus naturwissen- Wiedervereinigung Deutschlands zum § 218 schaftlicher Sicht Dr. med. Wolfgang Furch, Bad Nauheim * Seite A Prof. Dr. Max Thürkauf, Basel * Auswirkung der Abtreibungsfreigabe auf die ärzt- Die Endzeit des Marxismus liche Standesethik Prof. Dr. Hans Lubsczyk, Erfurt Peter Pioch, Schwendi Seite B Das Lebensrecht jedes Menschen in der Bibel Biogenetisches Grundgesetz - Der Irrtum Haeckels Dr. Bruno Hügl, Eichstätt Prof. Dr. Paul Marx, Washington Seite A Fortpflanzungstechnik - Angriff auf den Menschen? Abtreibung als Weltproblem Dr. med. Anatolj Korjagin, Zürich Seite B Prof. Dr. Hermann Schneider, Heidelberg Die Medizin als Objekt und Mittel der Staatspolitik Kann Leben vom Selbst entstehen? Dr. med. Peggy Norris, Liverpool Seite A Prof. Gerard Memeteau, Frankreich Euthanasie und Experimente an Embryonen in Die rechtliche Lage des Lebensschutzes in Europa England Prof. Dr. Heribert Berger, Innsbruck * Walter Ramm, Abtsteinach * Seite B Abtreibung aus der Sicht des Kindes Familienplanung in der Bundesrepublik P. Otto Maier SAC, Abtsteinach * Grußwort Juristenvereinigung Lebensrecht, Köln + Das Ende einer Epoche erfordert einen neuen Grußwort Prof. Dr. mit Antwort von Denkansatz Dr. S. Ernst Prof. Dr. Lothar Bossle, Würzburg * Das Gesundheitswesen vor dem Sozialisierungs- * auch gedruckt ca. DM 2,- bis DM 3,- tod Tonkassette DM 5,--

Inhaltsverzeichnis

Editorial Dr. med. Alfred Häußler Boykottaufruf der EUROPÄISCHEN ÄRZTEAKTION 18 Wer abtreibt, den bestraft das Leben Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels 5 Protest gegen europäische Euthanasiebestrebungen 21 Stellungnahme zur Früheuthanasie Universität zu Köln 6 Tötung auf Verlangen = Homizid Dr. med. Georg Götz 26 Abtreibungspolitik der Union Ermin Brießmann 8 Dokumentation: Briefwechsel Berufsauftrag und schutzwürdiges Leben / Dr. med. S. Ernst 29 Dr. med. Lothar Dinkel 12 Süssmuth überflüssig Christa Meves 38 Die Pille RU 486 Dr. med. Martin Reichlin 13 Pressespiegel 39 HUMAN LIFE INTERNATIONAL Medienliste 42f zu RU 486 Prof. Dr. Paul Marx 16 Impressum 44

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Editorial Die Mißachtung der Geschichte Aus der Geschichte lernen!

Von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831), der Apostel Paulus, der größte Theologe aller Zeiten, 1816 Professor der Philosophie in Heidelberg und im 2. Brief an Timotheus Kapitel 4, Verse 3 und 4: von 1818 ab philosophischer Lehrstuhlinhaber in „Denn es wird eine Zeit kommen, in der man die Berlin, wo er als „preußischer Staatsphilosoph" zum gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach Vollender des Deutschen Idealismus wurde, stammt eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die der Satz: „aus der Geschichte können wir lernen, den Ohren schmeicheln, und man wird der Wahrheit daß die Völker aus der Geschichte nichts ler- nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien nen." Zwar wiederholt sich die Geschichte in allen zuwenden". Einzelheiten nicht, auch dies lehrt die Geschichte. Aber das eine ist jedenfalls erwiesen, daß wir aus Die Lehren der Geschichte des zu Ende gehenden Jahrhunderts aus unserer geschichtlichen Vergangenheit nichts gelernt haben, und was noch viel schlimmer ist, daß wir aus unserer Geschichte in diesem Jahr- Auch wenn die Diktaturen des Nationalsozialismus hundert auch gar nichts lernen wollen! Wir sind nicht und Kommunismus als menschenverachtende, weil bereit, aus unserer Geschichte die notwendigen im Grunde atheistische Ideologien „auf dem Müllhau- Konsequenzen zu ziehen. fen der Geschichte" landeten, so muß man dennoch heute feststellen, daß wir eben nichts aus diesen Zu- Geschichtsvergessenheit sammenbrüchen gelernt haben. „Wer aber aus den schrecklichen Erfahrungen nichts lernt, kann ge- Wie wäre es sonst erklärbar, daß der Gesetzgeber zwungen werden, diese Erfahrungen zu wieder- des wiedervereinigten Deutschlands, nämlich der holen". Dieses Wort des amerikanischen Philoso- Deutsche , Gesetze zu beschließen sich phen Santaya (1863 - 1952) steht im Konzentrations- anschickt, die genau das fundamentalste Menschen- lager Dachau und sollte eine Mahnung sein an die recht überhaupt, das Recht auf Leben und körperli- heute lebenden Menschen, die vergangenen Fehler che Unversehrtheit, mißachten. Vertreten damit un- nicht zu wiederholen. Die Hauptschuld aber beider ser Parlament und die in ihm beschließenden Par- untergegangener Systeme, des Nationalsozialismus teien und Abgeordneten nicht die gleichen lebens- wie des Kommunismus, ist der millionenfache Mord feindlichen Einstellungen, welche die Unrechtsdikta- an unschuldigen menschlichen Leben. Dies konnte turen des Nationalsozialismus und des Kommunis- nicht gutgehen und mußte zum Untergang beider mus zu ihrem unmenschlichen Verhalten bestimmt Ideologien führen. Denn schon im alten Testament haben? Im sogenannten Dritten Reich war es die steht im Buch der Sprichwörter Salomons, des Sohn Wertetrennung in rassisch wertvolles und in rassisch Davids, des Königs von Israel, im Kapitel 6, Vers 16 „unwertes" Leben, welches die Nationalsozialisten in und 17: „Sechs Dinge sind dem Herrn verhaßt, sie- ihrem Rassenwahn meinten, ausrotten zu müssen. ben sind ihm ein Greuel (unter anderem v.V.): Und in den Staaten des real existierenden Sozialis- Hände, die unschuldiges Blut vergießen". mus ging es darum, die Gesellschaft zu verändern auf ein nach unten nivelliertes gleichmachendes Ein- Das Vergießen unschuldigen Blutes kommen. Nur der Staat verfügte über Kapital. Privat- vermögen wurde nicht geduldet, ein Recht auf Ei- Haben wir vergessen, wie millionenfach unschuldi- gentum gab es nicht. Um die erstrebte Weltrevolu- ges Blut vergossen wurde in den Konzentrationsla- tion voranzutreiben, wurden gewaltsam die Besitz- gern und in den Vernichtungslagern des unseligen verhältnisse beseitigt, Grund- und Bodenbesitz und Dritten Reiches, in den Straflagern Sibiriens, im Ar- Besitz an allen Produktionsmitteln enteignet und bei chipel GULAG, bei der Kulturrevolution in China un- Widerstand rücksichtslos Menschenleben vernichtet, ter Mao? Es scheint so zu sein, daß wir dies verges- oder in Zwangsarbeitslagern wurde versucht, eine sen haben! Denn anders ist es nicht erklärbar, daß in Umerziehung der Menschen zu schweigsamen Be- den alten Bundesländern Deutschlands seit 1976 fehlsempfängern einer omnipotenten Staatsmacht jährlich ca. 300.000 ungeborene Kinder meist mit der durchzusetzen. für eines der reichsten Länder dieser Erde nicht glaubhaften und auch rechtlich nicht beweisbaren Das Scheitern falscher Ideologien Begründung der „sozialen Notlage" zerstückelt, zer- fetzt, unschuldig und ohne gerichtliche Nachprüfung Beide Diktaturen, die nationalsozialistische und die in den Mülleimer irgendeiner Anstalt oder der Medizi- sozialistische sind kläglich gescheitert und zusam- ner, die sich für's Töten ungeborener Kinder herge- mengebrochen wegen ihrer Mißachtung der funda- ben, geworfen werden. Diese Kinder finden kein mentalsten Menschenrechte, dem Recht auf Leben Grab! Namenlos werden sie verbrannt. So werden und dem Recht auf Eigentum sowie der Mißachtung Menschen mit einem schon ausgebildeten Leib, mit der von Gott für den Menschen geschaffenen Le- einem schon vorhandenen Gehirn und sensiblem bensordnung, zu der sich der Mensch in seinem Ge- Nervensystem und mit einer unsterblichen Seele, wissen als Stimme Gottes in seinem Innersten ver- von Gott gerufen und bestimmt zum Leben, zu ei- pflichtet fühlt und gegen die er auf Dauer nicht han- nem Wegwerfartikel oder zu einer Ware entwürdigt. deln kann. Es ist die eigentliche Tragik der menschli- Worin besteht hier der Unterschied zu den verbürg- chen Gesellschaft die ganze Menschheitsgeschichte ten Vorkommnissen auf der Bahnhofsrampe von hindurch, daß Menschen immer wieder versuchen, in Auschwitz? Dort wurden im Jahre 1942 bei Aufent- ihrem Denken und Handeln gegen ihr Gewissen an- halten von Truppentransportzügen des Deutschen zugehen und in ihrem Irrtum neue Wege menschli- Heeres wegen notwendigen Lokwechsels von SS- chen Zusammenlebens zu suchen. Darum schreibt Wachmannschaften Geldbeutel aus Menschenhaut

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 und Brieftaschen ebenfalls aus frisch gegerbter Men- Föten beladen war, überprüft. Die Ladung war zur schenhaut als besondere Rarität in Zigaretten- Produktion von Schönheitsprodukten in Frankreich währung an Soldaten angeboten! Der Schreiber die- bestimmt und zu exorbitanten Preisen verkauft wor- ser Zeilen weiß, wovon er berichtet. Noch im glei- den. Die Frachtpapiere enthielten lediglich die Be- chen Jahre fiel Stalingrad und mit seinem Verlust zeichnung: ,Schwangerschafts-Abfälle'". (Unterschrift) nahm die Kriegsniederlage Deutschlands ihren An- fang. Die Soldaten des genannten Truppentransport- geschrieben in Paris, 12. März 1986 zuges haben im weiteren Verlauf des Krieges erfah- Claude Jacquinot ren müssen, wozu die frevelhafte Entwürdigung des (Adresse) Menschen durch eine unmenschliche Ideologie führt. Die Verantwortung für die uns nachfolgenden Generationen Die Verpflichtung des wiedervereinigten Deutschland Unsere Kinder und Enkelkinder fragen uns heute im- mer wieder, warum wir der nationalsozialistischen Jedes Unrecht des Menschen an seinem Mitmen- Gewaltherrschaft nicht entschieden genug und nicht schen darf sich nie mehr wiederholen, am allerwe- frühzeitig genug Widerstand geleistet haben. Auch nigsten im wiedervereinigten Deutschland, in dessen die uns nachfolgenden Generationen werden einmal Namen so viel Unrecht begangen wurde und auf fragen, warum wir heute Lebenden es zuließen, daß dessen Schuldkonto all das Unrecht überall in der Gesetze beschlossen werden, die das Töten unge- Welt verbucht wird. Daher müßte es für dieses wie- borener Kinder in den ersten drei Monaten ihres Le- dervereinigte Deutschland eine besondere Verpflich- bens straffrei lassen. Seien wir daher unserer Ver- tung sein, in der Rolle der Vorbildfunktion vor aller antwortung bewußt und lernen wir aus der Ge- Welt zu demonstrieren: Wir haben aus unserer schichte! Denn „Wer Unheil sät, der erntet es schlimmen geschichtlichen Vergangenheit gelernt auch" (Hiob 4,8)! und sind daher bereit, aus eben dieser Vergangen- heit heraus die notwendigen und von allen erkennba- Schon zeichnet sich ab, daß die Saat des Tötens un- ren Konsequenzen zu ziehen. Wenn auch alle Län- geborener Kinder aufgeht in der Tötung alten, kran- der um uns herum die Tötung ungeborener Kinder ken und behinderten Lebens. Die Euthanasie wird gesetzlich freigeben, wir aber nicht - müßte die De- bereits gefordert! Die Verantwortung für beides, vise sein! Diese Einstellung würde dem Deutschen das Töten ungeborener Kinder und das Töten alten, Bundestag bei seiner Beschlußfassung sehr wohl zu kranken und behinderten Lebens liegt bei uns allein, hohem Ansehen beitragen und dem gesamten Deut- hier und heute. Keine Schuldzuweisung an andere, schen Volk zur Reputation dienen. Zu dieser Einsicht an vermeintliche Notlagen kann uns von unserer müßten eigentlich auch alle unsere Bundestagsab- Verantwortung befreien. Sie ist uns auferlegt. Wer- geordneten, unsere Bundesregierung und nicht zu- den wir uns dieser Verantwortung bewußt und kämp- letzt der Deutsche Bundespräsident kommen. fen wir für das unantastbare Recht auf Leben aller Menschen, der Geborenen und der Ungeborenen. Die Entwürdigung des Menschen zur Ware Lassen wir daher nicht wieder zu, „daß ein Mensch herrscht, sondern das Recht" (Aristoteles), das Mit Recht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die SS Recht auf Leben! für eine verbrecherische Organisation erklärt. Denn sie hat massenhaft Verbrechen verübt. Das oben an- Alfred Häußler geführte Beispiel des Handels mit Gebrauchsgegen- ständen aus frisch gegerbter Menschenhaut auf der Bahnhofsrampe von Auschwitz zeigt, zu welchen Auswüchsen die Entwürdigung des Menschen führt. Man tötete Menschen nicht nur, weil sie als „minder- wertig" bezeichnet wurden, man beutete sogar die Opfer von Verbrechen noch aus und degradierte sie zur Ware, mit der man noch Geschäfte zu machen versuchte. In diesem Zusammenhang sei auf ver- Geiger kritisiert Heuchelei bei 218- gleichbare Vorkommnisse an der französisch- Diskussion schweizerischen Grenze hingewiesen, deren Kennt- nis ich dem hessischen Landtagsabgeordneten WESSELING (KNA). Als „pure Heuchelei" hat der Herrn Roland Rösler verdanke. Denn nicht nur in frühere Bundesverfassungsrichter Willi Geiger Kla- Auschwitz wurden Geschäfte mit menschlichem Ge- gen von Politikern aller Parteien bezeichnet, es fehle webe gemacht, sondern auch fünfzig Jahre nach das Rechtsbewußtsein im Volk, das notwendige Vor- Auschwitz wird getötetes menschliches Leben zu aussetzung für eine Senkung der Abtreibungszahlen kommerziellen Zwecken mißbraucht. sei. Die Politiker könnten sofort und ohne Kosten den Satz „Schwangerschaftsabbruch ist als Tötung So berichtete im März 1986 der französische Jurist eines Unschuldigen rechtswidrig" ins öffentliche Be- am Appeltionsgericht in Paris Claude Jacquinot von wußtsein rufen, sagt Geiger in der jüngsten Ausgabe einem Vorfall an der französisch-schweizerischen der im Auftrag der CDU-nahen Konrad-Adenauer- Grenze und gab über diesen in französischer Spra- Stiftung in Wesseling bei Köln herausgegebenen che eine „Attestation", deren deutscher Text lautet: „Zeitschrift zur politischen Bildung". Erst nach die- sem ersten Schritt könne man über die Zurück- nahme der Strafdrohung diskutieren. Der Jurist plä- Bestätigung diert für ein Netz von Häusern in der ganzen Bun- Der Unterzeichnende, Claude Jacquinot, bestätigt, desrepublik, in denen Schwangere und Mütter „Un- im März 1981 einen Telefonanruf eines Verantwortli- terkunft, Versorgung, Hilfe durch ausgebildete chen der französischen Zollverwaltung erhalten zu Kräfte" erhalten könnten, bis sie auf eigenen Füßen haben, der mir erklärte: „Wir haben an der franzö- stehen könnten. Außerdem solle ein „Beauftragter sisch-schweizerischen Grenze einen Kühllastwagen, für die Wahrnehmung der Interessen des Ungebore- der aus Zentral-Europa kam und mit menschlichen nen" ernannt werden. DT, 5.9.91

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Wer abtreibt, den bestraft das Leben

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels

Es kommt einem schon alles irgendwie bekannt vor. der privaten „Gewissensentscheidung" ausgeliefert Schon die Wortwahl ist verräterisch. Verharmlosend sind. Wie sozial ist ein Sozialstaat, der alle mögli- redet man von „werdendem Leben", nicht etwa von chen sozialen Ansprüche deckt, aber eine „psycho- ungeborenen Menschen; von Schwangerschafts- soziale" Indikation als Entschuldigungsgrund für Tö- unterbrechung", als ob man danach die Schwanger- tung zuläßt? Mit dem Zauberwort „psychosozial", das schaft fortführen könnte; auch von Schwanger- offensichtlich keiner amtlichen Definition bedarf, sind schafts-„Abbruch", der aber nur die Beendigung ei- wohl Berufskarriere, Wohlstand, Freizeit und Part- nes Zustandes der Frau, die keine Mutter mehr sein nerschaft gemeint, auf die man nicht verzichten mag. will, zum Ausdruck bringt, nicht aber die gewaltsame Und wie legitim ist ein Rechtsstaat, der alle mögli- Tötung eines unschuldigen Menschen. chen Rechtsgüter strafrechtlich schützt, nur nicht das fundamentale Rechtsgut des Lebens? Hierzulande Emanzipierte Frauen pflegen darüber hinaus die Lei- werden Gegenstände des Privateigentums, auch besfrucht als Privateigentum, Bestandteil ihres eige- Tiere, besser geschützt als Menschen. Relativ harm- nen Körpers und beliebige Verfügunsmasse anzuse- lose Verkehrssünder werden gnadenlos bis nach hen, welche Mentalität, die in der zynischen Behaup- Flensburg verfolgt, während man ungestraft kleine tung gipfelt: Mein Bauch gehört mir. Nur so konnte Menschen töten darf. Ein solcher Rechtsstaat wird es geschehen, daß der Frau und/oder dem Arzt das künftig wohl kaum in der Lage sein, das Lebensrecht Recht eingeräumt wurde, über Leben und Tod zu alter, kranker, geistesgestörter Menschen wirksam entscheiden, daß das vermeintliche Selbstbestim- zu schützen. mungsrecht der Frauen höher eingeschätzt wurde Zynisch ist in diesem Zusammenhang auch der Aus- als das Lebensrecht des Kindes. Welche Möglichkei- spruch: Helfen statt strafen. Dieser Satz wird seltsa- ten gibt es nun, das Lebensrecht der Ungeborenen merweise nur auf die Abtreibung bezogen, betrifft nachdrücklich zu schützen, nachdem der Rechtsweg aber keine Eigentumsdelikte und andere Straftaten. so gut wie ausgeschlossen ist und die Privatjustiz Natürlich muß geholfen werden. Die Rettung eines ihren Lauf nimmt? Kindes sollte dem Staat einiges wert sein. Einem 1. Die Natur hat den Frauen das Gebärmonopol ein- Staat, der schließlich im großen Umfang Geiseln und geräumt, also eine Macht zugebilligt, die wie jede an- politische Häftlinge freigekauft hat. Kinderreiche Fa- dere mißbrauchbar ist. Männer können bekanntlich milien sind dreifach benachteiligt: sie haben ein we- keine Kinder kriegen, was wenige von ihnen bedau- sentlich geringeres Einkommen, müssen dieses ern, die meisten aber begrüßen, denn die Lust wäre noch durch X teilen - und die Eltern erhalten später sonst mit Last verbunden. An der naturalen Vorgege- eine geringere Rente. Dafür aber haben sie jene auf- benheit dieses ungleichen „Rollenspiels" läßt sich gezogen, welche zum Dank auch noch die Mittel für einstweilen nichts ändern, es sei denn durch medi- die Versorgung der Kinderlosen aufzubringen haben. zintechnische „Fortschritte", die aber aus Männern Das alles in einer absterbenden Gesellschaft, die so keine besseren Mütter machen. Zu überlegen wäre zynisch ist, sich das mühselige und entbehrungsrei- höchstens, wie man ein Kind, statt es abzusaugen che Verlustgeschäft des Kinderkriegens von Auslän- und zu zerstückeln, schonend verpflanzen könnte. dern besorgen zu lassen, die dann auch noch, wenn Im Mittelalter - es muß eine vergleichsweise humane sie unsere Alten pflegen und unsere Rente bezah- Epoche gewesen sein - hat man die unerwünschten len, diskriminiert werden. Mangelnde soziale Ge- Kinder wenigstens noch ausgetragen und vor einer rechtigkeit kann durch das Strafrecht nicht kompen- Klosterpforte abgelegt. An interessierten Adoptivel- siert werden. Also bereinige man zunächst die so- tern gäbe es auch heute noch kaum einen Mangel. zialmoralischen Defizite! 2. Die Selbstorganisation der Ungeborenen zur Kinder werden hierzulande als Last empfunden, von machtvollen Verteidigung ihrer Lebensinteressen ist der man sich emanzipieren möchte. Das gilt auch für leider unmöglich. Aber stellvertretend müßten die Er- pflegebedürftige alte Menschen. Auch die können ih- wachsenen, die alle einmal so winzig klein angefan- res Lebens nicht mehr froh und sicher sein, denn gen haben, vor allem diejenigen, die trotz der „psy- das alte Gespenst der Euthanasie steht bereits wie- chosozialen" Notlage ihrer Mütter das Licht der Welt der vor der Tür, verkleidet im Gewand der Barmher- erblickt haben und nicht durch Selbstmord aus dem zigkeit. Man wird ja wohl noch - vorerst rein theore- Leben geschieden sind, sich organisieren und für die tisch - diskutieren dürfen, - freilich unter einem Durchsetzung dieser elementaren Lebensinteressen Schatten, den die gewaltige Alterspyramide voraus- kämpfen. Das wären sie schon dem kategorischen wirft. Der rechtsfreie Raum eröffnet sich dann später Imperativ von Kant schuldig, wenn man sich nicht von selber. Als Erwerbs- und Pflegepersonal für die mehr an die Goldene Regel der Bibel halten will. Erst Alten fehlen uns später genau die Leute, die wir ab- durch die Verstärkung der Erwachsenen könnte der treiben ließen. Merke: Wer abtreibt, den bestraft das Überlebensschrei der Ungeborenen nicht länger Leben - auch ohne Strafrecht. 6/91 überhört werden. Zeitschrift der RCDS-Bundesvereinigung 3. Der dem Gemeinwohl verpflichtete Staat muß vor Freundes- und Förderkreis e.V., Erlangen allem für die Menschenrechte jener eintreten, die ihre Rechte nicht selber zur Geltung bringen können. Dazu gehört heute vor allem die verfolgte Minderheit Der Autor, Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels, lehrt katho- der Ungeborenen, die faktisch recht- und schutzlos lische Sozialethik an der Universität Trier.

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 UNIVERSITÄT ZU KÖLN, HEILPÄDAGOGISCHE FAKULTÄT SONDERERZIEHUNG UND REHABILITATION DER KÖRPERBEHINDERTEN Sondererziehung und Rehabilitation der Geistigbehinderten

An den 5000 Köln 41, den 12.11.90 Petitionsausschuß des Deutschen Frangenheimstraße 4 Bundestages Telefon: 4 70 (1)49 63 An die Lehrstuhl für Pädagogik Fraktionen der CDU, FDP, SPD Prof. Dr. S. Wulfes und Grünen Lehrstuhl für Pädagogik der Geistigbehinderten Prof. Dr. Th. Hofmann Betr.: Stellungnahme zur Früheuthanasie und „Liegenlassen" von behinderten Neugeborenen erstellt von Hochschullehrern und wissenschaftlichen Mitarbeitern an Universitäten der BRD.

Die unter den Begriffen der Früheuthanasie, Fetozid, führt, welche Fehlbildungen bei Neugeborenen nach Embryozid von Ärzten diskutierten und praktizierten einem „für den Arzt bestehenden Beurteilungsrah- Tötungen von behindertem Leben, die nach unserem men" (IV), die ärztliche Behandlungspflicht äußer Verständnis vom Grundgesetz der BRD als schwerer Kraft setzen, zugunsten einer „Basisversorgung des Rechtsverstoß gesehen werden müssen, veranlas- Neugeborenen" (VIII, 1). „Eine abschließende Auf- sen zu dieser Stellungnahme: zählung aller denkbaren Fallgestaltungen und ihrer rechtlichen Bewertung ist nicht möglich" (VI,2). Das im Grundgesetz zugesicherte Recht auf Schutz Bisher ist bereits deutlich zum Ausdruck gekommen, des Lebens wurde in einem jahrelangen Prozeß, der zumindest für ungeborene und neugeborene Behin- 1. daß Ärzte ihrer Meinung nach das Recht und die derte einen vorläufigen Gipfel erreicht hat, außer Pflicht haben, über den Einsatz lebenserhaltender Kraft gesetzt, ohne daß die Bundesregierung darauf Maßnahmen nach eigenem Ermessen zu entschei- reagiert hätte. den. Die neue Bioethik, von einigen Philosophen vertre- 2. Weder die human-ethischen Beurteilungskriterien ten, und „das Medizinrecht" (Name der Zeitschrift) noch der bestehende Beurteilungsrahmen werden haben sich selber eine Rechtsordnung gegeben, die exakt definiert. Damit wird indirekt der individuellen die Beseitigung von behindertem Leben fordert und Beurteilung außerordentliche subjektive Varianz zu- praktiziert. gestanden. Am 29. Juni 1986 wurden „Grenzen der ärztlichen Der Sarkasmus, der allein darin liegt, daß Ärzte ge- Behandlungspflicht bei Schwerstgeschädigten Neu- schädigten Neugeborenen unter human-ethischen geborenen" als Empfehlung der DGMR (Deutsche Aspekten ihr Recht auf Leben absprechen, steigert Gesellschaft für Medizinrecht) als Ergebnis des 1. sich durch die Aussage, daß sich der Arzt bei seiner Einbecker Expertengesprächs verabschiedet. Entscheidung über Aufnahme oder Einstellung der Durch unsere Arbeit in Praxis, Forschung und Lehre Behandlungspflicht an „vergleichbaren Ausfaller- seit nun mehr als 40 Jahren konnten wir die Entwick- scheinungen bei Erwachsenen" (VI, 1) orientieren lung von Kindern unterschiedlichster Behinderungs- soll. Ein durch Sport- oder Verkehrsunfall Quer- formen und -schwere längsschnittlich verfolgen und schnittgelähmter wird unabhängig von der Höhe der die Erfahrung gewinnen, daß sie - auch als Erwach- Schädigung nach allen Regeln der ärztlichen Kunst sene - ein sinnerfülltes Leben führen, wenngleich ih- rehabilitiert. Dagegen hat ein Spina bifida-Kind (an- nen die Gesellschaft bei der Eingliederung nicht sel- geborene Querschnittlähmung) keinen Anspruch auf ten erhebliche Schwierigkeiten entgegensetzt. operative Hilfe, es stirbt durch „Liegenlassen". Hier Es erfüllt uns mit großer Sorge, aber auch mit erhebt sich zwangsläufig die Frage: Wie lange noch, Empörung, daß Lebensrecht überhaupt zur Diskus- wenn Vergleichbarkeit zum Entscheidungsprinzip sion gestellt werden kann. Nach den Einbecker- wird. (Vgl. H.-D. Hiersche, G. Hirsch, T. Graf-Bau- Empfehlungen wird Kindern mit den gleichen körper- mann: „Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht bei lichen Behinderungen das Anrecht auf Leben verwei- Schwerstgeschädigten Neugeborenen".) gert, für die u. a. seit Mitte der 50er Jahre Frühför- Seit Beginn der Nachkriegszeit sind mehrere hundert derzentren, Kindergärten und Schulen eingerichtet Einrichtungen für Kinder geschaffen worden, die zu wurden. einem erheblichen Teil jene Fehlbildungen und Dabei wird in Punkt I, 1 nicht nur das Grundgesetz, Schädigungen aufwiesen, die unter die „Grenzen der Artikel 2, Absatz 2, angesprochen, sondern die Er- ärztlichen Behandlungspflicht" (Überschrift) fallen haltung des Lebens als „vorrangige ärztliche Auf- würden, so z. B. Kinder mit Myelocelen wie auch gabe" hervorgehoben. Kinder mit schwersten cerebralen Bewegungsstörun- In IV, 2 jedoch erfolgt eine deutliche Einschränkung gen und An- bzw. schwerer Dysarthrie; diese dieser staatlichen Pflicht wie auch der ärztlichen Auf- schwerst hirngeschädigten Kinder haben zweifellos gaben, wenn ausgesagt wird, daß nun die ärztliche bei ihrer Geburt nicht erkennen lassen, daß sie in Behandlungspflicht „nicht allein durch die Möglichkei- späteren Jahren Fähigkeiten zur Kommunikation mit ten der Medizin bestimmt ...", sondern „ebenso an der Umwelt entwickeln würden (V,2), wenn nicht human-ethischen Beurteilungskriterien und am Heil- durch Sprechen, so doch in einer großen Anzahl auftrag auszurichten" ist. durch Symbolsprache, Schriftsprache und zuneh- Eine Definition human-ethischer Kriterien unterbleibt. mend durch elektronische Hilfsmittel. Stattdessen wird im folgenden beispielhaft aufge- Zieht man hier noch einmal die in VI, 1 getroffene

6 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Aussage heran, daß der Arzt sich bei seiner Ent- sation wie die „Auswahl" der Behinderten betreffend, scheidung über seine Behandlungspflicht an Er- wiederum Ärzte mit verantwortlich-leitender Tätigkeit wachsenen orientieren soll, ist offenbar übersehen beauftragt. worden, daß durch schwere Hirnschädigungen in Durch die Einbecker-Empfehlungen aufmerksam ge- Folge apoplektischer Insulte, von denen zunehmend worden, sichteten wir medizinische Publikationen nicht nur alte Menschen, sondern auch Menschen je- und mußten feststellen, daß in den letzten 4 bis 5 den Lebensalters betroffen werden können, wodurch Jahren eine große Anzahl von einschlägiger Literatur z. T. schwere cerebrale Bewegungsstörungen eintre- publiziert wurde, die wiederum ihrerseits auch zu ten, die die Betroffenen vollpflegebedürftig machen; zahlreichen juristischen Kommentaren veranlaßte. daneben entstehen in vielen Fällen sensorische oder motorische Aphasien und Dys- oder Anarthrien, wo- Die Auswirkungen sind bereits unübersehbar. Be- durch die Kommunikationsfähigkeit erheblich einge- stimmte Behinderungsarten sind in einem solchen schränkt wird oder verloren geht, soi daß eine Le- Maß betroffen, daß die Kinder in Frühförderungszen- benssituation entsteht, wie sie bei schwer hirnge- tren, Kindergärten und den ersten Schulbesuchsjah- schädigten Neugeborenen zwar gegeben sein kann, ren kaum noch in Erscheinung treten, d. h. daß ent- in diesem Alter jedoch hinsichtlich ihrer Auswirkun- sprechende Schwangerschaftsunterbrechungen und gen auf die Kommunikationsfähigkeit nicht diagnosti- die Früheuthanasie in aller Stille - für die Bevölke- zierbar ist. rung so unmerklich wie möglich - ihren Lauf nehmen. Hätten die in Einbeck tätig gewordenen Ärzte (und Um exaktes Zahlenmaterial zu diesem Problem Juristen) sich nicht als die alleinigen Experten in der bemühen wir uns derzeit. Einige Fernsehsendungen, Zuständigkeit dieser schwerwiegenden Entschei- z. B. „Panorama", haben aufmerksam gemacht. Die dung gefühlt und statt dessen ein Consilium einberu- Verbände betroffener Jugendlicher und Erwachsener fen, an dem Fachvertreter der verschiedenen Reha- der gleichen Behinderungsformen sind zutiefst er- bilitationsberufe beteiligt gewesen wären, die in Pra- schüttert und planen massive Gegenmaßnahmen. xis und Forschung Gelegenheit hatten, das Leben Stellungnahmen einzelner Elternverbände liegen be- auch Schwerstbehinderter Kinder längsschnittlich zu reits vor. Noch werden sie in eigenen Verbandsorga- begleiten, wären die hier zugrunde liegenden Fehl- nen mitgeteilt zur gegenseitigen Information. Dabei einschätzungen der Entwicklungsmöglichkeiten ge- wird es nicht bleiben. schädigter Neugeborener korrigierbar gewesen und Wir, die jetzt amtierenden Hochschullehrer und wis- nicht in dieser Weise als Empfehlungen formuliert senschaftlichen Mitarbeiter dieses Fachgebietes worden. gehören zum Teil der Nachkriegsgeneration oder der Auch wäre die zeitweilige Anwesenheit erwachsener Generation an, die nach 1945 ihr Studium aufnahm. Behinderter, die zu dem definierten Personenkreis - Wir haben damals unsere Angehörigen und deren zählen, erforderlich gewesen, um bestehende Vorur- Freunde gefragt, wie Eugenik, Euthanasie unwerten teile und Informationsmängel auszugleichen. Lebens und Massenvernichtung möglich waren, wie Wenn nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für derartige Denkkategorien auszuhalten waren, ohne Medizinrecht über den Anspruch auf Leben trotz mit aller Macht dagegen zu kämpfen. - Wir lebten Grundgesetz überhaupt diskutiert werden kann, so anschließend in dem Irrtum, dieser Abschnitt deut- hätte es mit mehr Sachkenntnis über den Lebens- scher Geschichte sei unwiederholbar. Das Grundge- weg so betroffener Menschen geschehen müssen. setz gab uns Vertrauen und Sicherheit. Heute zeigt Wir sehen allein schon die Außerachtlassung dieser sich in aller Deutlichkeit, wie wenig die deutsche Ver- Informationsgewinnung als einen Verstoß gegen die gangenheit in Wirklichkeit bewältigt worden ist; ihre Pflichten von Wissenschaftlern an. Ebenso sehen wir Inhalte sind mit zum Teil abgenutzten, zum Teil einen Rechtsverstoß darin, daß staatlich verantwort- neuen Argumenten und neuer Nomenklatur erneut liche Stellen weder eine Korrektur noch ein Verbot lebendig geworden. Zwei Argumentationen unter vie- entsprechender Praktiken herbeigeführt haben. len erweisen sich als dominant: Hätte man in einem renomierten kinderärztlichen Or- gan die Einbecker-Empfehlungen als Anregung zur 1. Bestimmten Gruppen von körperbehinderten Meinungsbildung und zum Erfahrungsaustausch for- Kindern sei ein Leben voller Leid zu ersparen; - muliert, so wäre es in Fachkreisen zu Diskussionen ebenfalls ihren Eltern. gekommen. Dies sollte offenbar vermieden werden. Unsere Antwort: Es gibt keine leidfreie Gesell- In einem demokratischen Rechtsstaat hat auch die schaft. Betroffene der angesprochenen Behinde- breite Öffentlichkeit ein Anrecht auf Transparenz. rungsformen verwahren sich gegen dieses Argument. Stattdessen wird ohne Wissen der breiten Öffentlich- Eine Gesellschaft, die sich auf das Grundgesetz be- keit vielerorts im Sinne der Einbecker-Empfehlungen ruft, sollte sich verstehen als Solidargemeinschaft, verfahren. Die hier vorgeschlagene Form der Eu- innerhalb derer die stärksten Mitglieder den thanasie an Kindern ist bereits in vollem Gange, und schwächeren helfen, - anstatt sie zu beseitigen. es erhebt sich die furchtbare Frage, wie lange noch 2. Die Kosten-Nutzenrechnung gehe nicht auf. die „vergleichbaren Erwachsenen" von diesen Prakti- Es trifft zu, daß viel Volksvermögen insbesondere in ken verschont bleiben. der Frühphase der Kinder, aber auch weiterhin zu ih- Es ist für uns als in der Rehabilitation tätigen Ärzte, rer Rehabilitation aufgebracht werden muß. Psychologen und Pädagogen nicht nachzuvollzie- Unsere Antwort: Dieses Argument kann in einem hen, daß eine solche Bewegung wiederum von Ärz- Land, das an der Spitze der Wohlstandsgesellschaf- ten ausgeht, ebenso wie es seit der Weimarer Repu- ten steht, nicht ernsthaft diskutiert werden. Der Wert blik um die Jahrhundertwende bis zur Vernichtung oder Unwert menschlichen Lebens kann in einer lebensunwerten Lebens („Aktion Gnadentod") im 3. wohlhabenden Kulturnation nicht an benötigten me- Reich der Fall war. dizinischen Kosten und sozialer Hilfeleistung bemes- sen werden. Diese lebensfeindliche Grundhaltung war bereits durch zahlreiche ebenfalls überwiegend ärztliche Au- Heute sind wir die Generation, die von jungen Men- toren breitgestreut infiltriert worden, so daß der NS- schen gefragt wird, - nicht nur die Bundesregierung, Staat die Euthanasie ungehindert praktizieren auch alle Bürger dieses freien demokratischen Staa- konnte. Bei den Aktionen waren, sowohl die Organi- tes und nicht zuletzt wir, die wir die Erziehung und

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 die gesellschaftliche Akzeptanz und Integration be- fen - wie auch Süßmuth - am Vorrang des Selbstbe- hinderter Kinder in Praxis, Forschung und Lehre zu stimmungsrecht der Frau vor dem Lebensrecht des vertreten haben, und noch können wir auf die drän- Kindes festhalten, kleidet der Entwurf der Union im genden Fragen nicht antworten. Widerspruch zu zahllosen Erklärungen und Beteue- rungen das gleiche Ziel in ein erbärmliches und Wir verlangen daher die Sicherung behinderten Le- heuchlerisches Gewand. Die christlichen Politiker bens in jeder Entwicklungsphase durch die Bundes- wissen um das Unrecht ihrer „Lösung"; denn noch ist regierung und ihre Organe. die Klage des Freistaates Bayern zum Bundesver- Prof. Dr. Siglinde Wulfes Prof. Dr. Th. Hofmann fassungsgericht nicht zurückgenommen, mit der die Kassenfinanzierung in Fällen der Indikation der all- gemeinen Notlage als verfassungswidrig angepran- gert wird. Für Christen wird die Abtreibungspolitik bei der ge- Stellungnahme des Vorsitzenden des gebenen Identität der Schein-Indikationenlösung der Landeskomitees der Katholiken Union mit der Fristenlösung anderer kein Unterschei- dungsmerkmal zwischen politischen Parteien mehr in Bayern, Ermin Brießmann, liefern. Unter dem Kriterium der Glaubwürdigkeit zur Abtreibungspolitik der Union manövriert sich die Union zielstrebig an die letzte Stelle. Das ist bedauernswert angesichts der Tradi- (München, 24.9.1991) Mit ihrem mühsam zustande tion der christlichen Parteien und besonders für ei- gekommenen rechtspolitischen Gesetzesentwurf nige - heute als „Lebensschützer" diffamierte - Politi- zum Schwangerschaftsabbruch „bessern" die Uni- ker der Unionsparteien, die sich aufrichtig um Le- onsparteien die 1975 so sehr bekämpfte Indikatio- bensschutz und Menschenwürde und um Achtung nenlösung der sozial-liberalen Koalition in ganz ent- der Verfassung bemüht haben. Ich rufe die Politiker, scheidenden Punkten auf: Das Kind soll sein verfas- die den Unionsentwurf mittragen wollen zur Besin- sungsmäßig verbürgtes Lebensrecht nicht erst dann nung auf, daß sie sich nicht durch die billigen Paro- verlieren, wenn eine „allgemeine Notlage" tatsächlich len der anderen oder auch aus eigenen Reihen bluf- gegeben ist, sondern schon dann, wenn die Schwan- fen lassen, daß sie endlich nachzudenken anfangen, gere eine „von subjektiven Elementen geprägte" wann denn ein ungeborenes Kind wirklich sein Le- „psychosoziale Notlage" selbst „darlegt". Nachprü- bensrecht verlieren kann. Finden die christlichen fung des Konflikts durch Arzt oder gar Justiz ist so Parteien nicht die ethische und geistige Kraft zu ei- ausgeschaltet. ner verfassungsgerechten Bewältigung der Abtrei- Haben wirklich alle politisch Verantwortlichen ver- bungsfrage, gehören sie auf den Scherbenhaufen gessen, daß wir aus dem Erlebnis des Dritten Rei- der Geschichte. Das Wort „christlich" noch im Na- ches in unserer Verfassung Menschenwürde und Le- men zu führen, ist dieselbe Heuchelei, wie bei dem bensrecht für jeden Menschen dadurch garantieren vorliegenden rechtspolitischen Entwurf von „Lebens- wollten, daß der Staat das Leben eines jeden einzel- schutz" zu sprechen. nen so gut wie möglich vor den Angriffen Dritter zu schützen hat, daß weiter aber der Staat selbst unter Ermin Brießmann gar keinen Umständen einem Menschen ans Leben Vorsitzender des Landeskomitees gehen oder an einem solchen Angriff teilnehmen, ihn der Katholiken in Bayern fördern oder unterstützen darf? Nun verteilen auch „christliche" Parteien Rechte zur Entscheidung über Leben und Tod, wie sie nach der Verfassung niemandem zustehen können. Wählen Mutter und Arzt nach „Darlegung" eines psycho-so- Bad Homburg, den 20.9.91 zialen Konflikts den Tod des ungeborenen Kindes, sorgt der Staat in den ersten 12 Wochen - bei mögli- An die cher Behinderung des Kindes bis zur 20. Woche - für Europäische Ärzteaktion die fachärztlich sachgerechte und selbstverständlich Postfach 1123 kostenlose Tötung. 7900 Ulm Begreifen auch „christliche" Politiker in der Mehrheit nicht, daß das verfassungsmäßige Recht des Kindes Öffentlicher Brief auf Leben nicht dadurch verloren gehen kann, weil einer Gruppe von Frauen, die sich stellvertretend für es vielleicht behindert zur Welt kommt oder weil es Tausende von Frauen zu Wort melden, da diese aus seine Eltern in belastende, persönliche oder finanzi- bekannten Gründen keine Chance haben, in den elle Konflikte stürzt? Medien ihre Vorstellungen über die Neuregelung des Das schlechte Gewissen gegenüber dem Bundes- § 218 einzubringen. 380.000 Abtreibungen pro Jahr verfassungsgericht verwehrt den Formulierern des haben gezeigt, daß keine der bisherigen Regelun- Unionsentwurfes, Recht und Unrecht der Tötung of- gen, weder die in den alten Bundesländern geltende fenzulegen. Sie reden nicht davon, daß die Tötung Indikationsregelung noch gar die in der ehemaligen nach Darlegung einer psycho-sozialen Notlage DDR praktizierte Fristenregelung, das Leben der un- „rechtens" sei. Wie die frühere sozial-liberale Koali- geborenen Kinder wirksam zu schützen vermag. Wir tion belassen sie es dabei, die Abtreibung als „nicht fordern deswegen, daß unsere aus der Praxis her- strafbar" zu bezeichnen. Sie wollen aber die Tötung vorgegangenen Vorschläge zu mindestens bedacht, als rechtmäßig behandeln, sollen doch die Kranken- wenn nicht in eine Neuregelung des §218 einge- kassen die Vollstreckung in öffentlich finanzierten bracht werden. Krankenanstalten bezahlen. Die sich hier abzeichnende Politik der Unionspar- 1. Aus unserem Gesetz muß die einfache und klare teien zum Schwangerschaftsabbruch kann nur er- Aussage hervorgehen, daß schon der ungeborene schüttern und abstoßen. Während SPD und FDP ei- Mensch Menschenrechte besitzt und daß aus die- nen Anlauf auf ihre für verfassungswidrig erklärte Fri- sem Grund Abtreibung Unrecht und damit verboten stenlösung erneuern und im Grunde genommen of- ist.

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 2. Die Bevölkerung muß aufgeklärt werden über Be- Europäische ginn und Entwicklung menschlichen Lebens, da nur Ärzte-Aktion die Konfrontation unserer Gesellschaft mit der Exi- Postfach 1123 stenz des ungeborenen Menschen ihn wirksam schützen kann. 7900 Ulm 3. Die Abtreibung eines Kindes muß außer bei der Sehr geehrte Damen und Herren, medizinischen Indikation unter Strafe gestellt wer- den. In einer säkularisierten Welt wird gerade das die Diskussion um den § 218 ist wieder in vollem Strafgesetz eine zunehmende Bedeutung erhalten, Gange. da eine pluralistische Gesellschaft für ihr Verhalten nur dieses anerkennt. Als entschiedene Gegnerin der Abtreibung möchte 4. Personen aus dem sozialen Umfeld der Schwan- ich das Gewissen der betroffenen Frauen wachrüt- geren, die diese zur Tötung ihres Kindes drängen, teln und sie dazu bewegen, ihr Kind auszutragen. müssen ebenfalls unter Strafandrohung gestellt wer- Als Frau, die selbst einmal abgetrieben hat, kenne den. Zur Zeit treiben 50% der Frauen auf Druck ihrer ich die entsetzlichen Schuldgefühle, die sich wahr- Umgebung ab. scheinlich bei jeder Frau einmal einstellen, späte- 5. Die abtreibungswilligen Frauen müssen über die stens auf dem Sterbebett; wenn es um die Frage häufigen körperlichen und seelischen Folgezustände geht: mit was für einem Leben, mit was für einem einer Abtreibung aufgeklärt werden. Laut einer Un- Tun, trete ich vor den heiligen Gott? tersuchung der Psychologin Dr. Maria Simon an der Ich habe ein Gedicht geschrieben, das ich Ihnen in Würzburger Universitätsfrauenklinik leiden 60% der der Anlage beifüge. Es heißt „Kinderschrei". Wenn Frauen psychisch an den Folgen einer Abtreibung. Sie es für Ihre Arbeit verwenden können und für Wir schaffen uns bei 380.000 Abtreibungen pro Jahr weite Verbreitung sorgen würden, wäre ich Ihnen ein Heer von Neurotikerinnen. äußerst dankbar. 6. Die Ärzte dürfen nicht zu Erfüllungsgehilfen der Gesellschaft degradiert werden. Bei der Erstellung Mit freundlichem Gruß Doris Stenken der sozialen Indikation, nach der heute 85% der Ab- P.S.: Ich habe mich dazu entschlossen, auch mein treibungen erfolgen, ist der Arzt eindeutig überfor- Gedicht „Todeszelle Bauch" zur Veröffentlichung dert, da er in dieser Richtung nie ausgebildet wurde. freizugeben, welches ich Ihnen ebenfalls in der An- Er läßt sich zu Handlungen verleiten, die dem hippo- lage beifüge. kratischen Eid nicht entsprechen. Damit werden die moralischen und geistigen Grundlagen des Arzttums zerstört, und die Ärzteschaft als ganzes verliert die Kinderschrei Glaubwürdigkeit und das Vertrauen unseres Volkes. Mama!!! Ich will leben!!! 7. Die Finanzierung der Abtreibung auf Kranken- Ahnst Du was Du tust??? schein muß ein Ende haben. Jährlich werden weit Ich - von Gott gegeben!!! über eine Viertelmilliarde DM aus Sozialversiche- Gern von Dir umschmust!!! rungsmitteln für Abtreibungen bereitgestellt, obwohl Muß nun grauenvoll erleben, damit Handlungen finanziert, die nach Aussagen von Wie das Böse in Dir fußt!!! Fachleuten rechtswidrig und nicht verfassungskon- form sind. Leider willst Du nicht begreifen, 8. Das Beratungssystem muß flächendeckend aus- Wie mein Denken, Fühlen ist! gedehnt werden, aber nicht um Beratungsscheine Laß' den Mord nicht weiterreifen, auszustellen, sondern um großzügig finanzielle Hil- Der an meinem Leben frißt! fen zu vermitteln. Höre doch die große Bitte: 9. Einrichtungen müßten ausgebaut werden, die Gib mir Leben, Leben, Leben !!! Schwangere und Mütter mit Säuglingen aufnehmen, Lade Gott in Deine Mitte! die mit der Last einer Schwangerschaft und der fol- Er will als Geschenk mich geben! genden Mutterschaft alleine nicht fertig werden. 10. Die hohen Abtreibungszahlen müssen gestoppt Ich will leben, Gott zu preisen, werden, da der Staat verpflichtet ist, das Wohl des Und Du sollst mich zu Ihm führen! gesamten Volkes zu berücksichtigen. Zur Zeit ha- Darfst mich nimmer aus Dir reißen ben wir 1/3 weniger Geburten als wir zu reinen Be- Und das Leben mir abschnüren!!! standserhaltungen unseres Volkes bräuchten. Eine Mama!!! Darf ich leben??? kinderfeindliche Gesellschaft hat zu einer umgekehr- Ahnst Du, was Du tust??? ten Alterspyramide mit all den sich daraus ergeben- Ich - von Gott gegeben!!! den Schwierigkeiten geführt. Gern von Dir umschmust!!! Soll jetzt grauenvoll erleben, Daß das Böse in Dir fußt??? Unterschriften: Doris Steenken Todeszelle Bauch Dr. med. Ingeborg Schwab Die Mutter spricht: Dr. med. Teresa Kaufeler Der Bauch ist mein!!! Dr. jur. Gunhild Loh Und hält Gericht Wie damals Kain! Karoline Gräfin Kageneck Gibt keine Chance dem neuen Leben Dr. jur. Daniele Berglar Und will sich über Gott erheben, Der alles schuf. Auch Dich und mich! Med. dent. Daniela Auner Er denkt an uns, Mama an sich! Johanna Gräfin von Westphalen Doris Steenken

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT THEMEN DER ZEIT Der Arzt und sein Ethos Berufsauftrag und schutzwürdiges Leben

Der Verfasser verteidigt in diesem Beitrag eine (nur auf den ersten Blick) provozierende These: es gibt kein spe- ziell ärztliches Ethos, denn das Ethische trennt nicht zwischen Beruf und Privatleben. Der Arzt ist weder der Ge- bieter noch der Gehilfe des Patienten. Er darf sich auch nicht zum unwürdigen Handlanger der Gesellschaft ma- chen. Anstatt einer verzweifelten Mutter durch einen Schwangerschaftsabbruch zu „helfen", sollte besser die je- weilige „soziale Indikation" beseitigt werden. Der Mensch hat wohl zu allen Zeiten empfunden, des Staatsanwaltes ist es, für unsere Fehler Bestra- daß Sollen und Wollen nicht wesensgleich sind. Im fung anzustreben, zum Wohle des Gemeinwesens - Wollen sah er sein Bedürfnis, im Sollen einen Impe- und auch dies alles von Berufs wegen. Viele folgen rativ, der an ihn herangetragen wird. Darüber hinaus daher dem Sarg des Arztes, nur wenige haben Trä- aber fühlte er sich zu bestimmtem Handeln gedrängt, nen für den Hüter des Gesetzes. Und doch fordert ohne um einen Befehl zu wissen, bedauerte sein dessen Amt nicht weniger Anstand als das des Arz- Verhalten, ohne gegen Zweck oder Order verstoßen tes, vielleicht sogar mehr; denn Beifall macht blind. zu haben. Es blieb neben allem Schulden von etwas Das Ethische im Menschen kennt keine Unter- Bestimmtem an einen Bestimmten dennoch immer schiede nach Gewerbe, Herkunft, Macht und Vermö- ein solches ohne Objekt, ein Schulden ohne Bezug gen. Es trennt auch nicht zwischen einfältig und klug, übrig: die Schuld. Der Mensch wußte sich schuldig erst recht nicht zwischen Beruf und Privatleben. vor sich selbst, eine Entdeckung, die wohl seine un- Schon deshalb kann es kein speziell ärztliches Ethos heimlichste und folgenreichste war. Sie zu ergründen geben. Ethos gründet nicht auf Lehren und Leitsät- oder ihr zu entfliehen ging er viele Wege und Irr- zen, auch nicht auf weltanschaulichen oder politi- wege, suchte dieses unbehagliche Wunder erklärbar schen Mehrheiten oder auf demokratischem Pluralis- und damit faßbar und verkraftbar zu machen, es aus mus, es ist auch nicht zweckgerichtet und kompro- ungeschriebenen Gesetzen, aus Sitte und Brauch- mißfähig. Seine Forderung ist und bleibt vielmehr zu tum (griechisch: ethos oder äthos) abzuleiten. allen Zeiten und für alle Menschen immer dieselbe, wie vieldeutig sie für uns auch erscheinen mag. Die Achtung gilt dem Können des Arztes Keine gesonderte ethische Präambel So entstanden Gebots- und Verbotstafeln, Riten und Rituale, unsere Sitten und Gesetze, die vor der ge- Das Sittengesetz im Menschen ist ein Grundsatz heimnisvollen Schuld bewahren sollten, indem sie ohne Grundsätze, ein Gesetz ohne Paragraphen. unser Handeln in gute und schlechte Taten schie- Wir können nicht mit ihm argumentieren, denn es den. Man entdeckte die Tugend des Menschen als vermittelt niemals Kenntnisse, sein Inhalt ist wissen- etwas ihm Eigentümliches, das ihm seine Götter schaftlich nicht faßbar, und in diesem Sinne ist nichts nicht vorlebten. Verbindliches aus ihm ableitbar. Sein Ursprung liegt Immanuel Kant wagte dieses Wunder beim Namen im Dunkeln. Es gibt keine Experten in Sachen Ethos. zu nennen, ohne es zu zerstören. Er sprach von der „Und was kein Verstand der Verständigen sieht, das sittlichen Freiheit des Menschen und einem ihm ei- übet in Einfalt ein kindlich Gemüt", sagt Schiller von gens innewohnenden „Kategorischen Imperativ". Da- der Tugend. Und gerade dieses Gemüt, Stiefkind mit waren Sittlichkeit und Religion als etwas Selb- unserer Zeit, ermöglichte jenen unumgänglichen ständiges voneinander geschieden. Der Mensch hat Konsens, der unsere ganze Rechts- und Gesell- nicht nur ein religiöses, sondern auch ein sittliches schaftsordnung trägt und allein zu tragen imstande Bedürfnis: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer ist. Einen wissenschaftlichen Bezug für die Richtig- neuer Bewunderung und Ehrfurcht .. Der bestirnte keit unseres Handelns und damit auch unserer Ge- Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir" setze kann es nicht geben. Auch „Ethos-Kommissio- (Kant). Nicht das Handeln, die Tat an sich also, ist nen" können nie sagen, was ethisch ist und was edel, sondern die Gesinnung, aus der sie entspringt. nicht. Das Ethos läßt sich weder befragen noch be- Dessen ungeachtet hält der Mensch bis heute am lehren. Es ist weder Schulmeister noch Schüler. Begriff der „guten Tat" fest. Ethos muß ihm meßbar, Es gibt kein „hohes ärztliches Ethos", sondern es muß „demonstrierbar" sein. Taten sind dies, nicht gibt nur ein solches, das alle bindet. Wie viele an- aber die Gesinnung. Taten fordern Anerkennung und dere, so haben auch viele Ärzte ein hohes Ethos, Lohn, ein sittliches Bedürfnis genügt sich selbst. aber nicht weil sie Ärzte sind. Es kann keine geson- Kaum ein Stand ist so sehr auf die Anerkennung derte ethische Präambel für unseren Berufsstand ge- „seines" Ethos aus wie der ärztliche. Helfen gilt im- ben. Auch wir können nur geloben, was anderen oh- mer als gute Tat. Und das Bewahren vor körperli- nehin selbstverständlich ist. Was nur „in diesen heili- chem Schmerz oder gar Tod ist des Menschen be- gen Hallen" der ärztlichen Zunft gelten soll, kann nie gehrteste Hilfe überhaupt. Aber das Dankesbedürf- ethischen Ursprungs sein. Es wird zur bloßen, auf nis, etwa wenn ein beängstigender Knoten als be- Nutzen gerichteten Spielregel, mit der jedes Ge- nigne erkannt wird, überträgt sich nur auf den Arzt werbe seinen Bestand zu sichern trachtet. Der soge- als „greifbaren" Zeugen dieses naturgegebenen nannte Hippokratische Eid liefert dafür ein beredtes Glücksfalles, an dem er kein Verdienst hat. Zeugnis. Aber auch dort, wo das Heil oder Heilen tatsächlich Und dennoch brauchen wir Berufsordnungen. Sie eine Folge ärztlichen Sachverstandes ist, gilt die müssen aber ein praktisches, kein ethisches Berufs- Achtung nicht dem Helfen, sondern dem Können des ziel vorgeben und darauf achten, daß diese Zielset- Arztes. Berufliches Helfen ist im Grunde überhaupt zung erfüllbar ist und nicht mit sich selber in Wider- kein Helfen im ethischen Sinne, da es entlohnt wird. spruch geraten kann. Berufsfremdes muß klar aus- Der Arzt lindert immer von Berufs wegen, der Geistli- gegrenzt werden. Logik also ist gefordert, nicht Ethik; che tröstet immer von Berufs wegen. Die Aufgabe denn diese kann nie Inhalt, sondern nur Vorausset-

10 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 zung des beruflichen Handelns sein. Berufsrechtli- Im übrigen sind wohl die wenigsten Frauen primär che Verpflichtungen zu „ethischem Handeln" löschen auf die Tötung ihres Kindes, sondern vom Grundsatz deshalb ebenso wie Zunftschwüre und Gelöbnisse her nur auf die Trennung von diesem, auf dessen das Ethos aus; denn sittliches Handeln hat immer Entfernung aus dem eigenen Körper oder Lebens- die sittliche Freiheit des Menschen zur Vorausset- kreis aus, auch wenn sie sich oft bewußt bleiben zung. Mancher mag besorgt sein, unser Standesan- müssen, daß das eine das andere unumgänglich sehen im allgemeinen Anstand der Menschheit auf- macht. Dies ist ein zwar feiner, aber äußerst bedeut- gehen zu sehen. Doch Selbstbescheidung wird uns samer Unterschied. Nicht selten wurden früher uner- niemals Abbruch tun. Unser hohes Ansehen beruhte wünschte Kinder ausgesetzt, obgleich ihre prä- oder stets darauf, daß Arzttum ein schöner, ein be- postnatale Vernichtung leichter und endgültiger ge- glückender Beruf ist, nicht ein schwerer oder gar wesen wäre. Darin läßt sich nicht zuletzt ein tief in- ethischer. nerlicher Wunsch vieler Frauen erblicken, das ei- gene Kind, von dem sie sich vermeintlich trennen Arzt kein Gehilfe seines Patienten müssen, möge doch noch auf wunderbare Weise ge- rettet werden. Heilen setzt Leben voraus. Der Arzt heilt aus Bedürf- Einen solchen Wunsch läßt das Verhalten des be- nis, aber nie aus eigener Ermächtigung, sondern im- troffenen Arztes und auch des Gesetzgebers nicht mer nur im Auftrag seines Patienten. Er handelt da- sichtbar werden. Sonst müßte nicht für eine mög- gegen stets aus eigener Verantwortung, der Patient lichst frühe, sondern für eine möglichst späte Inter- hat niemals ein Verfügungsrecht über ihn. ruptio eingetreten werden, die dem Kind die Chance Der Arzt ist weder der Gebieter noch der Gehilfe sei- des Überlebens und der Adoption bietet. Es kann nes Patienten. Verlangt es jemanden, aus dem Le- auch nicht als Rücksicht, sondern muß als unver- ben zu scheiden, so bestimmt der Leidende nur für zeihliche Täuschung der bedrängten Frau gesehen sein Ich über Leben und Tod. Es ist ein Irrtum, daß werden, wenn im „Gespräch" der Eingriff des Arztes der Arzt, der einem solchen Patienten auf Wunsch nicht unmißverständlich „vor Augen" geführt, son- das natürliche Lebenslicht ausbläst, ihm nur als dern beschönigend von „Ausräumung" gesprochen Fachmann „helfe", seine eigene Entscheidung zu wird, als sei hier die „räumliche" Verlagerung das verwirklichen. Tatsächlich hat der Patient mit dieser Wesentliche. Welch gesundes Entsetzen und Erwa- Bitte oft unbewußt die Entscheidung über Sein oder chen, wenn die Frau ihr Kind nach dem Eingriff se- Nichtsein von sich weg- und dem Arzt zugeschoben. hen würde. Doch Abschied und Bestattung sieht das Für viele ist nämlich der Arzt so etwas wie eine Gesetz nicht vor. Nach dem Vater fragt es schon gar höhere sittliche Instanz, die für's erste der quälenden nicht. Auseinandersetzung mit den eigenen Bedenken ent- Der Arzt befindet sich nie in der Notlage der hebt. Schwangeren. Ihm kann sie deshalb zur Rechtferti- Tatsächlich bleibt es in solcher Lage allein am Arzt gung nicht dienen. Wird ein Arzt gefragt, warum er hängen, ob der Patient stirbt oder nicht. Plötzlich dennoch einen Abbruch vornahm, so wird er sofort also eine Entscheidung über Leben und Tod eines antworten, er habe der Schwangeren helfen wollen. anderen! Daran sollten alle Ärzte denken, die darin Helfen wollen, aber nicht als irgendein Mensch - das nur gutgemeintes Helfen zur Linderung des Sterbens würde er sogar heftig ablehnen -, sondern Helfen als sehen. Aus den erwähnten Gründen kann solche Arzt und Helfen bei seiner Patientin. Damit ist ein- „Euthanasie" nie unser Berufsauftrag sein, sondern deutig, daß er dieses Vorgehen, dieses Helfenmüs- in jedem Einzelfall eine berufsunabhängige, schwere sen aus seinem Beruf ableitet. ethische Entscheidung jedes Menschen in seinem eigenen Innern. Wer wirklich allein aus ethischem Keine sittliche Richterfunktion Bedürfnis handelt, wird deshalb wohl auch immer die sittliche Kraft haben, sich anschließend den gelten- Was ist aber nun der Sinn unseres Berufes? Das er- den Gesetzen zu unterwerfen, auch wenn ihm damit ste Anliegen jeden Berufes ist die Erwerbstätigkeit; sein Handeln Nachteile bringt. denn der Mensch muß sich und die seinen ernähren. Wie verhält es sich nun, wenn der Arzt drittes Darüber hinaus hat jeder Beruf noch seine ihm ei- menschliches Leben auf Bitten seiner Patienten ver- gene gemeinnützige Aufgabe, die ihn gegen andere nichten soll? Berufe abgrenzt und dadurch überhaupt erst zu ei- Wenn sich eine Schwangere ihres Kindes entledigen nem bestimmten Beruf macht. Der Sinn jeder Berufs- zu müssen glaubt, dann ist das etwas völlig anderes, ordnung ist daher zum einen die Arbeits- und Gewal- als wenn ein Arzt ein Kind im Mutterleib tötet. Denn tenteilung als Abgrenzung gegen andere Berufs- die Frau sieht sich in einer echten oder vermeintli- zweige, zum anderen die Qualitätssicherung zum chen Notlage. In jedem Fall berührt die Existenz des Schutze des Bürgers als Kunde schlechthin. Solches Kindes ihre eigenen Bedürfnisse, da sie an das Kind ist nur möglich, wenn das Betätigungsfeld des ein- leiblich gebunden ist. Ihr Begehren mag unethisch zelnen Berufes zwar vertieft, aber damit auch be- erscheinen und vielleicht auch sein. Da jedoch das wußt eingeengt wird. Dies ist eine Angelegenheit der Ethos keine Verbotstafeln bestimmter Handlungen Logik, nicht der Ethik. Berufe unterscheiden sich nie- kennt, diese vielmehr ebenso wie deren Beweg- mals nach ihrem größeren oder kleineren Gehalt an gründe nichts Ethisches erweisen, sondern dies le- Ethos. diglich die lautere Gesinnung selbst könnte, so ver- Was ist nun der berufliche Inhalt des Arzttums? Viele mögen wir bestenfalls bei uns selbst zu prüfen, was Ärzte sagen: Das Helfen. Aber das trifft den Kern an uns ethisch ist, nicht aber bei anderen. Daran än- nicht. Denn auch Pfarrer, Rechtsanwälte, Gepäckträ- dern alle Morallehren nichts. ger und überhaupt alle, die sich mit ihrer Arbeit dem Wohl des Nächsten widmen, helfen. Und dennoch Abtreibung als Hilfe des Arztes? können sie sich nicht als Ärzte bezeichnen. Das Besondere des Arztes ist nicht, daß er hilft, son- Wenn wir darüber befinden wollen, ob abtreibungs- dern daß er heilt. Seine berufliche Aufgabe ist, von willige Frauen unmoralisch sind, so sollten wir uns den Leidenden, wenn sie es wünschen, Krankheit immer vor Augen halten, daß dies keine ärztliche und Tod abzuwenden. Diese berufliche Tätigkeit ist Frage ist. Ärzte haben keine sittliche Richterfunktion. folglich in ihrem Auftrag eindeutig zum Leben hin ge-

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 11 richtet, unabhängig davon, wie reif oder würdig die- Äußerungsmöglichkeit außer Frage. Vormundschaft- ses Leben ist. Für den Arzt ist demnach schon aus lich jedenfalls könnten bei einer solchen Tötung auf Gründen der Logik die Vernichtung menschlichen elterlichen Wunsch ohnedies weder die Eltern noch Lebens kein Therapeutikum zum gesunden oder er- der Arzt auftreten, da beide befangen sind. füllten Leben des ihm anvertrauten einzelnen. Für Entscheidet sich der Arzt allein für die Mutter als eine Richterfunktion über Leben und Tod kann kein seine Patientin, gibt ihm sein Beruf nicht das Recht, . Platz sein. als uneingeschränkter „Helfer" dieser Patienten auf- Wenn also die Gemeinschaft aus ihrer unsteten zutreten. So wenig ein Arzt den Ehegatten, Chef Weltanschauung heraus Vernichtung menschlichen oder Nachbarn, in dem er den Auslöser einer schwe- Lebens zugunsten einzelner oder der Gesamtheit für ren Lebenskrise seines Patienten sieht, aus medizi- unumgänglich hält, so kann diese Tötung keinesfalls nischen Gründen angreifen oder gar töten darf, so dem Arzt obliegen. Das gebietet schon die Logik. muß er auch bei einer Schwangeren die Vernichtung Der Rechtsanwalt kann aus dem gleichen Grund ihm nicht anvertrauten Lebens unterlassen. nicht Staatsanwalt, der Richter nicht zugleich Anwalt, ein Beichtvater nicht beiläufig als Kriminaldetektiv Kein Handlanger der Gesellschaft tätig werden, obgleich gerade sein Beruf ihn vermut- lich besonders fündig werden ließe. Der Arzt als An- Ob und wann ein Arzt keimendes menschliches Le- walt des Lebens hat auch niemals zugleich als Rich- ben als „Mensch" anerkennt, bleibt hier völlig ohne ter, erst recht nicht als Exekutive fungiert, und soll Belang, da das Wort Mensch aus sich selbst gar dies jetzt ausgerechnet im Zeitalter der Gewaltentei- keine verbindliche Definition seiner selbst hergibt. lung! Solche Aufgaben fallen anderen Berufen zu, Wesentlich bleibt: Ein Foet ist kein krankhafter Tu- was jedoch keineswegs eine ethische Klassifizierung mor, und ein Foet ist kein tierischer Parasit. bedeutet. Wo wirklich menschliches Leben durch menschli- ches Leben bedroht wird, ist allein der Richter gefor- Auch ist „humanes" Töten gar nicht so sehr und aus- dert und zuständig, gegebenenfalls auch der Sach- schließlich an medizinische Kenntnisse gebunden, verstand eines allein dem Gesetz, nicht dem Patien- sondern vielmehr an die Fähigkeit zur Rücksicht, wie ten verpflichteten Mediziners, keinesfalls der Arzt im leider auch die reihenweise vorgenommene Tötung eigentlichen Sinne. Wenn die Gesellschaft Tötung keimenden Lebens lehrt. Wo aber ausnahmsweise fordert, soll der Staat dies als Amtshandlung in eige- einmal eine Tötung oder die Entscheidung dazu me- ner Regie und Verantwortung tun. Wir können jeden- dizinischen Sachverstand zu erfordern scheint, da falls unser Handeln nicht mit einem bequemen Fin- kann dies nur durch einen Mediziner kraft Amtes, gerzeig auf die Unvernunft des Gesetzgebers recht- aber keinesfalls im Rahmen eines Arzt-Patienten- fertigen. Er hört seine innere Stimme nicht weniger Verhältnisses zulässig sein. Richter haben es nie mit als wir und weiß sehr wohl, daß er sein natürliches ihrer Kundschaft zu tun. Unbehagen nicht per „Regelung" durch von ihm fest- gesetzte, folglich anderswo anders lautende Fristen, Abwendung sozialer Indikationen d. h. willkürliche Grenzen zwischen Gut und Böse Darf hier aber vielleicht unser Mitleid wirken? Mitleid beseitigen kann. Wer mag es ihm verübeln, wenn ist die am wenigsten verläßliche Richtschnur für un- auch er sich bei solcher Not in die kindliche Ehrfurcht ser ärztliches Handeln. Mitleid mit der Mutter auf Ko- vor dem „hohen ärztlichen Ethos" flüchtet, indem er sten ihres Kindes? Bekanntlich stützen sich die Kriti- entscheidet: Was bei der bedrängten Mutter unsitt- ker der Vernichtung keimenden Lebens ebenso ge- lich und strafwürdig bleiben muß, verklärt sich unter zielt auf ihr Mitleid mit dem Foeten. Mitleid also auf der Hand des Arztes zum Heil. beiden Seiten und deshalb kein Ersatz für die unum- Für uns kommt das einer Nötigung gleich, die uns gängliche und unbestechliche Logik, die echtem Mit- zum unwürdigen Handlanger (und späteren Prügel- gefühl keineswegs im Wege steht, wie manche sich knaben!) der Gesellschaft macht, wenn wir die Men- einreden, denen Menschlichkeit eine Art ausglei- schen nicht schleunigst von ihrem durch uns selbst chende Ergänzung zum Arzttum zu sein scheint. genährten Glauben an unsere ethische Sonderstel- Wer Unbestechlichkeit für Unmenschlichkeit hält, lung heilen und damit endlich wieder bescheiden und geht gar gefährliche Wege. frei zu uns selbst finden können. Wer Mitleid empfindet, der sollte nicht das keimende Leben, sondern besser die jeweilige „soziale Indika- Anschrift des Verfassers: tion" beseitigen, die Mutter und Kind bedroht. Es ist jedem unbenommen, die sozialen Nöte einer wer- Dr. med. Lothar Dinkel denden Mutter durch persönliche Opfer wirksam zu Kaiserstr. 12 lindern und der seelischen Ausweglosigkeit durch 7100 Heilbronn Einbettung des Neugeborenen in eigene oder vermit- telte Obhut zu begegnen, wenn anders er seines Dt. Ärztebl., 14.2.91 verständlichen Mitleids oder seines Gewissens nicht Herr wird. Es bliebe abzuwarten, ob unter solchen Umständen die Einschätzung der sozialen Indikation nicht um ein Vielfaches strenger und enger ausfiele. Echtes Mitgefühl mißt sich allein an der Opferbereit- schaft. Alles andere verdient diesen Namen nicht. So fallen nun für den ärztlichen Berufsstand zwang- los alle ethischen Hüllen. Es bleibt dem Arzt nur, sein Handeln mit seiner Berufspflicht zu rechtferti- gen. Sieht er im Foeten nicht seinen Patienten, ist je- der Eingriff an diesem berufswidrig. Nimmt er ihn aber als Patienten, bedarf ein Eingriff der Einwilli- gung dieses Patienten. Bei einem gesunden Kind steht der Wille zum Leben und damit das Nein zum tödlichen Eingriff wohl auch bei fehlender verbaler

12 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Die Pille RU 486 Einführungsreferat

Die Bezeichnung RU weist auf die Herstellerfirma Weltweit sollen sie in Frankreich, China, Indien, Roussel-Uclaf in Paris. Schweden, Ungarn und in den USA millionenfach Das Folgende ist ein Mosaik aus verschiedenen vorgenommen worden sein. Zeitschriften und Zeitungsmeldungen. Ergänzungen Über die Tauglichkeit der Methode hat sich Prof. wird man vielleicht im Anschluß an die „Internatio- Herrmann eher skeptisch geäußert. nale Tagung für Familienplanung" erfahren, die in Wie andere schätzt er die Versagerquote auf 10 - diesem Monat in Bangkok stattfinden soll. Um die 35, im Durchschnitt ca. 20 %. Er weist auf die Freigabe der Pille ist z. Zt. ein heftiger Kampf im Schwierigkeit hin, daß viele Frauen ihre Schwanger- Gang. schaft erst 3 - 4 Monate nach Beginn feststellen. In Die RU 486 ist anders als die sog. „Verhütungspil- den ersten 8 Tagen ist sie auch ärztlich nur durch len" der letzten knapp 30 Jahre. Diese enthielten als Schwangerschaftstest feststellbar. Ovulationshemmer Hormone, um Eireifung und Ei- Je länger aber eine Gravidität fortgeschritten ist, sprung zu verhindern. - Zusätzlich waren aber die umso größer ist der abortive Blutverlust. Er könne meisten Nidationshemmer, d. h. sie wirkten subsi- bis zu einem Liter betragen. Dadurch seien die diär, abortiv. Frauen ernstlich gefährdet. Man rechnet in ca. 5 % Diese Pillen stießen zunehmend auf Ablehnung, mit der Notwendigkeit von Bluttransfusionen. Dabei einmal wegen nachteiliger Nebenwirkungen, nicht ergibt sich heute die Möglichkeit einer Hepatitis- oder zuletzt wegen der Krebsgefahr; dann aber auch, weil AIDS-Virus-Übertragung. sie fast täglich konsumiert werden mußten. Schwerere eitrige Infektionen sind im Anschluß an Die in den 80er Jahren angebotene „Pille danach" einen Abort nicht selten und verlangen meistens eine war „notfalls" nach ungeschütztem Verkehr innerhalb Spitalbehandlung. 48 Stunden einzunehmen, ohne zu wissen, ob eine Eine Kontraindikation für die Abtreibungspille ist das Befruchtung erfolgt war oder nicht. Bestehen einer Extrauterin-Schwangerschaft. Mit diesem Frühabortivum suchte man dem Strafge- Diese kann aber im Frühstadium kaum, vor allem setz auszuweichen, das dem Embryo von der Nida- nicht von der Frau selbst, festgestellt werden. tion an einen bedingten Schutz gewährt. Von den Frauen selbst wird der bis zu 12 Tagen Die RU 486 kann ähnlich wie die Pille danach ver- dauernde Abtreibungsprozeß mehrfach mißbilligt. wendet werden. Auch wenn sie jeden Monat einmal Bleibt nach Einnahme der Pille ein Abort aus, be- genommen wird, hat ein Embryo keine Entwick- steht für das Kind die Möglichkeit der Mißbildung. lungschance. Eine tägliche Einnahme ist nicht mehr Von Prof. Alexander, der für Werbung und Verkauf nötig. Zusätzlich kann diese Abtreibungspille nach der Pille zuständig ist, wurden in einem Interview bereits festgestellter Gravidität bis zum 2. oder 3. Mißbildungen bei Tierversuchen mit Kaninchen zu- Monat nach Beginn der Schwangerschaft verwendet gegeben. werden. Die Befürworter der Abtreibung hoffen da- Ob die Pille langfristig die Entwicklung von Carcino- her, die RU 486 werde ohne neue Initiative die Fri- men begünstigt, wird erst die längere Erfahrung er- stenlösung verwirklichen. geben. Bei so vielen, z. T. erheblichen Risiken, dürfte die Die Pille enthält zwei wirksame Komponente: Pille RU 486, wenn überhaupt, nur ärztlich verordnet 1. Ein Anti-Progesteron. Das Körperhormon Proge- abgegeben werden. steron fördert und erhält die Gebärmutterschleim- Man fragt sich, wie das in den Entwicklungsländern haut, als Existenz- und Versorgungsbasis für den funktionieren soll. Die Weltgesundheits-Organisation eingenisteten Embryo. betrachtet als Hauptzweck dieser Abtreibungspille Das neu entwickelte Antiprogesteron hebt diese die Geburtenkontrolle. Diese Anwendung sei legitim, Schutzwirkung auf. Dadurch kommt es innert 2-4 Ta- hieß es, sofern die Wertskala der betreffenden Be- gen zu einer Abbruchblutung und zum Absterben völkerung dafür spreche (mit anderen Worten: vox des Embryos. populi, vox dei). 2. Die zweite Komponente der Pille ist das Hormon- Ethisch steht fest, daß mit dieser Abtreibungspille ähnliche Prostaglandin. Es löst wehenartige Kon- unschuldiges, menschliches Leben absichtlich getö- traktionen der Uterusmuskulatur aus, so daß inner- tet werden soll. halb von 6 -12 Tagen die Frucht ausgestoßen wird. Aufschlußreich ist in einem Artikel die Bemerkung, Diese Vorgänge und das Resultat unterscheiden das Forscherteam, das die Pille entwickelt habe, stu- sich äußerlich nur wenig von einer spontan eingetre- diere auch die natürliche Familienplanung, eine Me- tenen Fehlgeburt. thode, so heißt es wörtlich, „die vom katholischen Der Prozeß könnte daher diskret, ohne Spitalaufent- Dogma zugelassen sei" (vielleicht eine Verwechs- halt, ohne Narkose und ohne operativen Eingriff ab- lung der Begriffe „Dogma" und „Doktrin"). laufen. Damit lassen sich Komplikationen wie opera- Die Frage, ob mit dem Wegfall operativer Eingriffe tive Uterusperforation, Entzündungen der Gebärmut- auch das moralische Schuldbewußtsein schwinde, ter und Eileiter, Verwachsungen, sekundäre Sterilität wurde von Psychologinnen offen gelassen. Vermut- usw. vermeiden. - Das hört sich verführerisch an. lich wird die individuelle, körperliche und geistige Ro- Diese Pille wird daher als „unendlich humaner" ange- bustheit ausschlaggebend sein. priesen und der Erfolg als etwa 95 %ig vorausge- Sollte die neue Pille die Angst vor einer Schwanger- sagt. Manches daran stimmt - wenigstens theore- schaft reduzieren, ist die Möglichkeit vermehrter se- tisch. xueller Freizügigkeit und AIDS-Ausbreitung nicht In den Jahren 1980 - 82 hat Prof. Walter Herrmann, ausgeschlossen. der Chefarzt der Genfer Maternité, an 30 freiwilligen Juristischen Überlegungen möchte ich nicht vor- Frauen die ersten klinischen Testversuche in der greifen. Daß die Pille auch für die Zeit nach der Schweiz durchgeführt, denen seither ca. 2.000 wei- Nidation vorgesehen ist, ergibt vielleicht Möglichkei- tere folgten. ten rechtlicher Beschränkung.

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 13 Finanziell verspricht die RU 486 ein spektakuläres Revolution auf dem Abtreibungs-Sektor, die einem Geschäft. Für die Entwicklungsländer, wo sie ihre perfektionierten Holocaust der Ungeborenen gleich- volle Wirkung entfalten könne, sei ein Speziaipreis kommt, der seinesgleichen in der Geschichte sucht! vorgesehen. (Prof. J. Lejeune, Paris). Von Reaktionen der Öffentlichkeit gegen die Pille Frau Dr. med. A. Grüniger wird mehrfach berichtet. Kantonsspital Nidwaiden, CH-6370 Stans Nach Mitteilung der Zeitschrift „Bild der Wissen- schaft" sollen in den USA Anhänger von Recht auf Leben gedroht haben, in Millionenzahl die Firmen zu boykottieren, welche die Abtreibungspille verkaufen. Weltweit sterben Frauen durch legale In Frankreich wurden Protestschreiben an Parla- Abtreibungen mentarier adressiert. Frankreich: Der französische Gesundheitsminister In Wirklichkeit ist diese Pille so wenig ein Heilmittel, verlautbarte am 8. April, daß eine 31jährige schwan- wie die Schwangerschaft eine Krankheit ist; sie ist gere Mutter kürzlich während einer Abtreibung unter ein Giftstoff, der den Embryo tötet und die Mutter Anwendung des Präparates RU 486 verstarb. Der nicht selten gefährdet. Tod trat im „Lens Allgemein-Krankenhaus" in Pas- Prof. Lejeune sieht als Folge der Pille einen Holo- de-Calais, in Nord-Frankreich ein. Die Frau hatte RU caust, schlimmer als der von Stalin, Hitler und Mao 486 Tabletten eingenommen und eine Injektion eines zusammen. Die Leichen seien zwar kleiner, es brau- Prostaglandins, genannt Sulprostone, erhalten, als che weniger Verbrennungsöfen, aber die Zahlen sie einen Herzanfall erlitt, der sie tötete. In einem er- werden niederschmetternd sein. - Und dies, obschon sichtlichen Versuch, Vorwürfen für den Tod der Frau 1984 eine Konvention gegen die Fabrikation und La- (einfügung d. Übers.: Mitverantwortung zu tragen) zu gerhaltung von biologischen Waffen und Giftmitteln entkommen, sagte der Gesundheitsminister den unterzeichnet worden sei. Journalisten, daß die Frau „eine starke Raucherin" Dr. med. Martin Reichlin, Luzern gewesen sei und zum 13. Male schwanger. Deutschland: In Folge des RU 486 Todesfalles in Frankreich verlautbarte das französische Büro des Stellungnahme in der "Ärzte-Zeitung" Pharma-Konzerns Schering, welcher Sulprostone zu RU 486 unter dem Namen ,Nalador' vermarktet, daß in vier weiteren Fällen bei Abtreibungen unter Verwendung RU 486 - hergestellt von der HOECHST-Tochter- dieses Präparates Herzinfarkte aufgetreten seien. In firma RUSSEL-UCLAF - ist eine weiteres Glied in einem Fall starb eine 37jährige deutsche Frau an ei- der Kette der Entwicklung familienplanerischer Mittel, nem Herzanfall, nachdem man ihr Nalador zur Einlei- die in zunehmendem Maße abtreibend wirken. tung der Abtreibung verabreicht hatte. Die anderen Diese Mittel - vorerst ausschließlich als empfängnis- drei Fälle ereigneten sich in Frankreich, wobei zwei verhütend geplant - reichen über Pille, Minipille und in Verbindung mit RU 486 standen. Spirale zur „Pille danach". (Durch Dosisreduktion, In- Australien: Während einer Abtreibung im vergange- terferenzen und durch eine ganze Reihe weiterer nen Februar erlitt eine 30jährige Mutter aus Neu- Faktoren bedingt, wirken heute ja die meisten Ovula- Süd-Wales ernsthafte Hirnschädigungen. Es hat den tionshemmer zunehmend abortiv). Anschein, daß sie durch einen anästhetischen Zwi- Das Steroid RU 486 (Mifespristone/Mifegyne) ist schenfall zu Schaden kam. Die Abtreibung war noch als Progesteron-Antagonist in der Lage, mittels kom- nicht beendet, als die Frau auf schnellstem Wege in petitiver Bindung an die peripheren Progesteron-Re- das Hospital von Sidney verbracht wurde. Tests im zeptoren die Früh-Schwangerschaft mindestens bis Hospital zeigten, daß das ungeborene Kind, welches zur 8. Woche abzubrechen. In Kombination mit Pros- sie trug, gestorben war. Am 12. März wurde dem taglandinen wird seine Abortivwirkung perfektioniert, Landesparlament von Neu-Süd-Wales mitgeteilt, daß da die „Erfolgsrate" von RU 486 allein lediglich bei die Mutter wahrscheinlich nicht überleben wird. Eine 60 - 85 % liegt. Untersuchung der Beschwerdeabteilung des Ge- In entsprechende Richtung zielt der in den USA ent- sundheitsministeriums ist derzeit im Gange. wickelte Progesteron-Synthesehemmer Epostane, Ebenfalls in Australien: Von zwei Frauen wird berich- der ebenfalls abtreibende Wirkung hat. Auch er soll tet, daß sie unter Anästhesie während eines In-vitro- ev. mit RU 486 kombiniert werden, um beider Versa- Fertilisationsverfahrens starben und eine andere gerquote zu reduzieren. durch einen Schlaganfall gelähmt wurde, während Ferner steht eine Antibaby-Impfung in Testung - als sie Fruchtbarkeits-Präparate einnahm. Eine Abtrei- Anti-HCG auch dies ein Abortivum. bung befürwortende Forscherin der Deakin Univer- Auch hier zeigt sich also die Maxime „lieber verhüten sität, Dr. Renate Klein, erklärte, daß Frauen zu er- als abtreiben" Lügen gestraft! Zur chirurgischen In- kehnen beginnen, dasß IVF ein „grundsätzlich terruptio besteht lediglich ein methodischer Unter- falsches und gefährliches Verfahren" ist. schied, der aber seinerseits - auch medizinisch nicht USA: Am 25. Februar entließ der Gesundheitsamts- einfach unbedenklich ist, wie dies gewisse Medien leiter des Staates New York den Manhattener Abtrei- glaubhaft machen wollen: Schwere Blutverluste und ber Andre Nehorayoff wegen „grober Fahrlässigkeit postabortive Infekte, das Übersehen einer EUG, und und plumper Unfähigkeit". Es ist bekannt, daß zwei nicht zuletzt auch der tagelange Abort-Verlauf wer- Frauen starben und vier andere auf schnellstem den negativ vermerkt. Und im Versagensfalle besteht Weg in das Stadtkrankenhaus verbracht wurden, eine hohe Mißbildungsgefahr, vor der Prof. W. Herr- nachdem Nehorayoff ihre Abtreibungen verpfuschte. mann, Genf, gewarnt hat. Puerto Rico: Im Oktober 1990 starb Deborah Rivera Zur Zeit wird deshalb die Einschränkung auf streng Gotay, ein 17 Jahre altes Mädchen, infolge von ärztliche Verabreichung und Kontrolle gefordert. Daß Komplikationen während einer legalen Abtreibung in- diese bald einmal umgangen - und ein Schwarz- einer puertoricanischen Abtreibungsklinik. Ihr Tod ist markt sich entwickeln wird - ist mehr als wahrschein- der jüngste Zwischenfall an dieser Klinik, welche mit lich! Unterstützung der Polizei und des örtlichen Gerich- Die mögliche Freigabe von RU 486 bedeutet eine tes, trotz dokumentierter Verletzung der Anordnun-

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 gen der örtlichen Gesundheitsbehörde, geöffnet HUMAN LIFE INTERNATIONAL blieb. Kanada: Ein Mädchen, welches den Abtreibungsver- Wahrheitstrupp entlarvt RU 486 such durch seine Mutter überlebte, aber schwer ver- Falschmeldung letzt wurde und jetzt schwer behindert ist, erhielt am 4. Dezember durch den obersten Gerichtshof von Lassen Sie mich zuerst einen Aspekt unserer Konfe- Britisch Kolumbien eine Entschädigung von $ renz betonen, der zwar immer von Bedeutung ist, 600.000 zuerkannt. Ihre Mutter wird ebenfalls rund $ dieses Jahr aber besonders in den Blickpunkt rückte: 300.000 erhalten. das in Erscheinung treten des Wahrheits-Trupps. Frankreich: Der französische Gesundheitsminister Seit vielen Jahren haben die Propagandisten der Ab- gab bekannt, daß Abtreibungen in Verbindung mit treibung, der Anti-Lebens-Technologien, der Se- RU 486 bei bestimmten Kategorien von Frauen nicht xual„erziehung" und Bevölkerungskontrolle ungezü- mehr durchgeführt werden sollten und modifizierte gelter Zugang zu den Medien. Ihnen wird kaum erwi- die Verfahrensvorschriften für RU 486 Abtreibungen. dert. Auf unserer Konferenz wurde ihnen aber nicht Die Erklärung vom 20. April war Konsequenz aus nur geantwortet, sondern sie wurden vor aller Welt dem jüngsten Todesfall einer Schwangeren während vorgeführt. Unsere Fakultät wirkt als ein Wahrheits- einer RU 486 Abtreibung. Sie verbietet RU 486 Ab- Trupp. treibungen bei Frauen, die regelmäßig seit mehr als Zum Beispiel: Planned Parenthood (PP - Familien- zwei Jahren rauchen oder über 35 Jahre alt sind. An- planungsverband) und seine Verbündeten erklärten deren Frauen ist das Rauchen während der Abtrei- in den letzten Jahren, daß RU 486 nicht nur eine Ab- bung und für eine unbestimmte Zahl von Tagen da- treibungspille sei. Sie behaupteten, es gäbe andere, nach verboten. Die in Verbindung mit RU 486 ver- begründete Anwendungen: die Behandlung von wendete Menge von Prostaglandin ist zu halbieren. Brustkrebs, Meningioma (Hirn-Tumor), der Cushing- Eine Sprecherin des Ministeriums, Helene de Boi- Krankheit (eine Störung der Hypophyse und Neben- sieu, erklärte, daß eine Entscheidung getroffen nierenrinde), verschiedener anderer Krebserkran- wurde, „neue Anwendungsformen von Prostaglandin kungen und möglicherweise sogar AIDS. Ich war mir zu erforschen". selbst gegenüber in Schwierigkeiten darüber, wie wir Am 8. April eröffnete der RU 486 Förderer vor der RU 486 von unserem Land fernhalten könnten, wenn französischen Akademie der Wissenschaften ein diese anderen Anwendungen in Erscheinung träten. neues Verfahren für RU 486 Abtreibungen. Es er- möglicht sowohl für das Präparat RU 486 als auch Bis zum Auftreten von Dr. Bernard Nathanson. Er das Prostaglandin die Einnahme mit dem Mund. Das sprach zu uns am Samstagmorgen; und sein Vortrag in diesem Zusammenhang verwendete Prostaglan- war eine Offenbarung. Es sieht so aus, daß all diese din ist Misoprostol. Es wird derzeit in Frankreich von Behauptungen über die Nützlichkeit von RU 486 ei- den Searle Laboratorien vermarktet, hauptsächlich ner einzigen gelehrtenhaften Quelle entstammen - zur Behandlung von Magengeschwüren. einem Artikel im Journal der Medizinischen Gesell- schaft Amerikas (August 1990) von einem Dr. Wil- Mutter und Kind starben während einer RU 486 liam Regelson. Dieser JAMA (Journal of the Ameri- Abtreibung in Frankreich. Der französische Ge- can Medical Association) Artikel verwies in Fußnoten sundheitsminister erklärte am 8. April, daß eine auf wissenschaftliche Studien, auf welchen die Be- 31jährige werdende Mutter während einer RU 486 hauptungen angeblich basierten. Damit wurden Re- Abtreibung starb. Der Todesfall ereignete sich An- gelsons Fußnoten der und der einzige Weg, auf wel- fang dieses Monats in dem „Lens-Allgemein-Kran- chem Zweifler die vorgeblichen Nutzen (von RU 486) kenhaus" in Pas-de-Calais, Nordfrankreich. Die Frau nachprüfen konnten. hatte die RU 486 Tabletten eingenommen und es wurde ihr eine Injektion mit einem ,Sulprostone' ge- Gott sei Dank war Dr. Nathanson ein Zweifler. Er nannten Prostaglandin verabreicht, als sie einen folgte jeder einzelnen Fußnote, die oftmals obskuren „cardio-vaskulären Unfall" erlitt, der sie tötete. Die Journale aufspürend, in welchen die ursprüngliche Erklärung des Gesundheitsministeriums besagt, daß Forschung erschien, jeden Artikel selbst nachlesend. die Frau eine ;starke Raucherin' und zum 13. Mal Das Ergebnis? Jede einzelne Behauptung Regels- schwanger war. (Siehe auch: Le Monde, 10.4.91; Le ons war eine „schamlose Schlamperei", ungestützt Figaro, 9.4.91) durch des Doktors eigene Fußnoten! Gemäß Re- Das französiche Büro der Pharma-Gesellschaft gelsons eigener Quellen: Schering, welche Sulpostrone unter dem Namen - RU 486 heilte nicht Brustkrebs, hatte keine Wirkung „Nalador" vertreibt, erklärte, daß vier weitere cardio- bei dessen Metastasen und half keinem einzigen Pa- vasculäre Unfälle während Abtreibungen mit diesem tienten, länger zu leben; Präparat auftraten. In einem Fall starb eine 37 Jahre - die Studie über Meningiome erwähnt RU 486 nicht alte deutsche Frau an einem Herzanfall, nachdem ihr einmal, berichtet aber, daß die Ergebnisse bei ver- Nalador zur Einleitung der Abtreibung verabreicht gleichbaren Drogen „unschlüssig bis enttäuschend" worden war, aber ohne RU 486 genommen zu ha- waren; ben. Die drei anderen Fälle ereigneten sich in Frank- - das Experiment über die Anwendung von RU 486 reich, wobei zwei davon in Verbindung mit RU 486 zur Behandlung der Cushing-Krankheit wurde von standen. IRLF NEWSLETTER Sommer 1991 niemandem weiter verfolgt, weil der ursprüngliche Versuch zu wenig erfolgversprechend war, wie der Oben zitierte Meldungen sind nicht Bestandteil Autor selbst zugab; der HOECHST-Veröffentlichung 2Jahresthemen - kein Beweis unterstützt irgendeine Behauptung ei- 1990". nes Nutzens in der Behandlung irgendeiner Krebs- Übersetzung: Roland Rösler art, welche auch immer; und eines der Papiere, wel- ches Regelson „zitiert" existiert nicht einmal; und - nicht ein einziges wissenschaftliches Papier der medizinischen Weltliteratur legt nahe, daß RU 486 in irgendeiner Weise bei AIDS helfen könnte.

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 15 (Eine Woche nach diesem Gespräch sagte mir Dr. Wiederholern in ihrem Programm. Es gibt aber keine Jerome Lejeune, der berühmte französische Geneti- wissenschaftlichen Daten zu dieser Frage. ker, in Bratislawa: „RU 486 kann nur eins: ungebo- rene Kinder töten.") Ziemlich drohend offenbaren Studien an Kaninchen, daß RU 486 Geburtsschäden verursachen kann, wie Nachdem Dr. Nathanson seine intellektuelle LANCET, das BRITISH MEDICAL JOURNAL 1987 Detektivarbeit uns mitgeteilt hatte, stellte er die Be- berichtete. Wie dem auch sei, Dr. Etienne-Emile weggründe der Täuschungskampagne der Familien- Baulieu, der französische Arzt, der RU 486 ent- planer dar: Die Abtreiber hoffen, die Gesundheits- deckte, schrieb vergangenen Monat in einem behörde dazu zu bewegen, RU 486 aus einem nicht Science-Magazin-Artikel, daß die Kaninchen-Tester- abtreibungsbezogenen Grunde zuzulassen, damit gebnisse bei Ratten und Affen nicht erzielt werden die Lebensrechtler es in dem Glauben, eine Zulas- konnten. Die Droge hat eine dreidimensionale Struk- sung für Abtreibungszwecke komme nicht in Be- tur, vergleichbar jener von DES, dem Medikament tracht, nicht bekämpfen. Dies aber ist der Trick: gegen Fehlgeburten, welches mit Gebärmutterhals- wenn dieses Präparat einmal für irgendeine Anwen- und Vaginal-Krebs bei einigen Töchtern der Frauen dung zugelassen ist, kann die Anwendung für einen in Verbindung gebracht wird, die es genommen ha- anderen Zweck nicht untersagt werden. Die Behörde ben. : hat keine Macht, irgendeine Anwendung der Droge zu untersagen, wenn sie erst einmal im Land ist. Alle Studien, die veröffentlicht wurden, empfehlen, Wußten Sie das? Ich wette, nicht einer von hundert daß Frauen, an welchen sich die Droge als unwirk- Lebensrechtlern wußte dies! sam erwiesen hat, die Schwangerschaft nicht austra- Sonderbericht Nr. 81, Juni 1991, ISSN 0899-420X gen, sondern sich einer operativen Abtreibung unter- ziehen. Die jetzige Schreckenstatistik: Abtreibungs-Streit(fälle) für Nationen und für Die Pille wird in den USA - legal oder illegal - Frauen in weniger als 2-5 Jahren erhältlich sein. Versuchskaninchen für eine gruselige Die Gefahr von Geburtsschäden, eine sichere Quelle Pille für Prozesse, ist einer der Gründe dafür, daß die Von Charlotte Low Allen pharmazeutische Industrie der USA darauf zusteu- Nach einer Durchsicht der etwas kärglichen eng- ert, sich von RU 486 zu lösen. lisch-sprachigen medizinischen Literatur über RU Trotzdem mag man sich fragen: Warum sich über- 486, stellt sich die französische Abtreibungspille als haupt Gedanken über diese Droge machen? Einige eines der gruseligsten Gebräue im Umkreis heraus. Abtreibungsbefürworter (advocates - Anwälte im Dies nicht nur, weil es die Ungeborenen tötet - ein Orignal, Anm. d. Ü.) haben sich selbst diese Frage Job, bei dem es noch nicht einmal herausragend gestellt. RU 486 „stellt möglicherweise einen techni- wirksam ist, nur 50 bis 85% von ihnen fertigma- schen Fortschritt auf einem Gebiet dar, wo keiner chend, abhängig davon, welche Studie man liest benötigt wird - zumindest nicht sonderlich", sagte (Prostaglandin, genommen in Verbindung mit der Phillip Stubblefield, Präsident des Nationalen Abtrei- Pille treibt die Rate auf 95%). Zum Kontrast, opera- bungs Verbandes (National Abortion Federation), auf tive Abtreibung ist zu 99% wirksam. der Fortpflanzungs-Gesundheitskonferenz 1986. Viele Ärzte haben Betroffenheit über die starken Blu- Abtreibung durch die Pille ist in weit größerem Maße tungen zum Ausdruck gebracht, die sogar dann auf- eine Tortur als die herkömmliche operative Abtrei- treten, wenn die Droge bei der Einleitung einer Ab- bung. Sie ist zeitaufwendig (der Abtreibungsvor- treibung versagt. gang allein dauert drei Tage und der klinische Teil umfaßt Arztbesuche von einer Woche), blutig (in ei- Gegenwärtig verbietet das Health and Human Servi- nem schwedischen Versuch benötigte eine Frau eine ces Department dem Nationalen Gesundheitsinstitut, Transfusion, obwohl es in den meisten Fällen einer Abtreibungsforschung als Teil seines 8 Millionen Menstruationsperiode mit durchschnittlich 10 Tage Dollar Empfängnisverhütungsprogramms mit Mitteln dauernder Blutung ähnelt) und schmerzhaft (viele zu unterstützen. Aber der Population Council, eine Frauen benötigen schmerzlindernde Spritzen, um ih- 37 Jahre alte, 20 Millionen Dollar gemeinnützige nen die Vorgang zu erleichtern). Übelkeit und Erbre- (non-profit im Original, Anm. d. Ü.) Organisation, die chen sind andere allgemeine Nebeneffekte. die Rückenstärkung der Rockefeller- und Mellon-Stif- tung hat und gegenwärtig die meisten US Forschun- Timing ist für RU 486 von entscheidender Bedeu- gen über Empfängnisverhütung unterstützt, hat tung. Es ist am wirksamsten, wenn es ungefähr eine jüngst für US Studien an RU 486 gezahlt; mit der Er- Woche nach dem Ausbleiben der Menstruation, bis laubnis des französischen Herstellers, Roussel- zur siebten Schwangerschaftswoche genommen Uclaf, eine Unterstützungsleistung für die deutsche wird, danach es markant weniger wirksam ist. Dies Pharma Gesellschaft Hoechst und die französische ist typischerweise ein dreiwöchiges Fenster. Regierung. Bisher kamen alle Studien zu der Schlußfolgerung, Seit dem Jahr, da die Pille auf den Markt kam, haben daß RU 486 „sicher" ist. Aber "sicher" in der Defini- die Nationale Frauenorganisation und ihr Ableger, tion von Marie Bess von dem Fortpflanzungs-Ge- ehemals NOW Präsident Eleanor Smeals Fond für sundheits Technologie Projekt (Reproductive Health eine Feministische Mehrheit, versucht, die US-phar- Technologies Project), bedeutet es: „bisher hat es mazeutische Industrie einzuschüchtern, darin ver- noch keinen Beleg für Sterblichkeit gegeben." Nie- wickelt zu werden. (Ihre schreckensstatistische Pro- mand hat die Langzeitwirkungen von RU 486 auf die phezeiung: die Pille „wird legal oder illegal in nicht Gesundheit oder Fruchtbarkeit einer Frau erforscht. mehr als 2 - 5 Jahren in den USA erhältlich sein.") Die Droge scheint die Ovulation für drei bis sieben Komplexe Konsequenzen Monate nach der Einnahme zu unterdrücken. Einige Frauen haben offensichtlich keine Schwierigkeiten, Im Gefolge des feministischen und Bevölkerungs- wieder zu empfangen: Die Studien berichten von kontroll-Beispiels gibt es eine im allgemeinen

16 MEDIZIN «IDEOLOGIE DEZEMBER 91 EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION IN DEN DEUTSCHSPRACHIGEN LÄNDERN E.V. Angeschlossen der WORLD FEDERATION OF DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE General Secretary: Ph. Schepens MD Serruyslaan, 76-B 8400 Ostend (Belgium) Aktionsbüro für die Bundesrepublik Deutschland Postfach 1123 D-7900 Ulm/Donau Telefon 0731 / 72 29 33 1. Vorsitzender Dr. med. Siegfried Ernst, Ulm 2. Vorsitzender Dr. med. Georg Götz, Augsburg-Neusäß

Die EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION, angeschlossen der WORLD FEDERATION OF DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE, protestiert in aller Schärfe gegen die Aufwertungen der Euthanasie der Na- zis durch das Europäische Parlament. Die Durchführung derartiger Forderungen würde die Rehabili- tation der deutschen „Ärzte" zwingend notwendig machen, die im 3. Reich „nutzloses Leben" unter den Bedingungen eines totalen Krieges vernichtet haben und deshalb von internationalen und nationalen Gerichten zum Tode bzw. zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Die Feststellung der UNO, daß es zu viele alte Menschen weltweit gibt, berechtigt die Regierungen noch lange nicht, sich seiner angeblich „nutzlosen Esser" zu entledigen. Nachdem man weltweit die Endlösung der Jugendfrage durch die Freigabe der Abtreibung geregelt hat wird nun die „Endlösung der Altenfrage" angegangen. Die Beseitigung der Kranken ist erst der Anfang. Hier wird am ehesten durch Manipulation der mitleidige Bürger zu fassen sein.

Dies ist der "Stein des Anstoßes": Auszug

Europäische Gemeinschaften EUROPÄISCHES PARLAMENT SITZUNGSDOKUMENTE Ausgabe in deutscher Sprache

30. April 1991 A3-0109/91 Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz über Sterbebegleitung

Berichterstatter: Herr Leon Schwartzenberg In der Sitzung vom 11. September 1989 gab der Präsident des Europäischen Parlaments bekannt, daß er den Entschließungsantrag von Frau Van Hemeldonck zur Sterbebetreuung todkranker Patienten gemäß Artikel 63 der Geschäftsordnung an den Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz überwiesen hat.

A. A. Die Grundlage menschlichen Lebens ist die Würde und die Spiritualität; die menschliche Exi- Entschließungsantrag stenz läßt sich daher nicht auf die Körperfunktio- zur Sterbebegleitung nen, d. h. die vegetativen Lebensvorgänge reduzie- ren. - unter Hinweis auf den Entschließungsantrag von B. Das Erlöschen der Hirnfunktion bedeutet den Tod Frau Hemeldonck zur Sterbebetreuung todkranker des Individuums, selbst wen die biologischen Funk- Patienten (Dok. B3-0006/89), tionen fortbestehen. - unter Hinweis auf seine Entschließung vom C. Die Gehirntätigkeit bestimmt die Bewußtseins- 19.01.19841 zu einer „Europäischen Charta für die ebene, und die Bewußtseinsebene ist es, was den Rechte des Kranken", Menschen ausmacht. - unter Hinweis auf seine Entschließung vom D. Man muß sich davor hüten, um jeden Preis zu 13.05.19862 zu einer „Europäischen Charta für Kin- heilen zu versuchen, wenn die Krankheit nach dem der in Krankenhäusern", derzeitigen medizinischen Wissensstand unheilbar - in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Um- ist, und eine aussichtslos gewordene Behandlung weltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz sollte nicht mit aller Gewalt fortgesetzt werden, wenn (A3-0109/91), dadurch die persönliche Würde des Kranken verletzt - in Erwägung folgender Gründe: wird.

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 21 E. In der Europäischen Charta für die Rechte des drücklich und unablässig fordert, daß Existenz, Kranken sollte das „Recht auf einen würdigen Tod" die für ihn jede Würde verloren hat, ein Ende ge- (Ziffer 3 Buchstabe o) verankert werden. setzt wird, und wenn ein hierfür eingesetztes Kolle- F. In der Europäischen Charta für Kinder in Kranken- gium von Ärzten feststellt, daß es unmöglich ist, häusern sollte „das Recht, vor unnötigen medizini- neue spezifische Behandlungen anzuwenden, diese schen Behandlungen sowie vermeidbaren physi- Forderung befriedigt werden muß, ohne daß auf schen und psychischen Leiden bewahrt zu werden" diese Weise die Achtung vor dem menschlichen Le- (Ziffer 4 Buchstabe I), verankert werden. ben verletzt wird; G. Körperliche Schmerzen sind sinnlos und unheil- 9. fordert, daß auf Veranlassung der Europäischen voll und können die Menschenwürde verletzen. Gemeinschaft die moralischen, politischen und medi- H. Der Schmerz muß mit allen Mitteln und insbeson- zinischen Autoritäten zu Rundtischgesprächen zu- dere durch Vorschriftsmäßige Verabreichung geeig- sammenkommen, um über die Achtung, die wir dem neter Medikamente wie Morphium und Morphiumde- Kranken am Ende seines Lebens schulden, umfas- rivate bekämpft werden. send nachzudenken; I. Leider sterben heute in den Krankenhäusern viele 10. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entsch- Menschen allein. ließung der Kommission und dem Rat zu übermit- J. Es ist unbedingt erforderlich, den Kranken jede teln. sogenannte palliative Behandlung zukommen zu las- sen, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist und Auszug aus der Begründung: die spezifische Therapie nicht mehr wirkt. (...) Was das Menschenleben ausmacht, ist die K. Diese palliative Behandlung ist nicht nur die Auf- Würde, und wenn ein Mensch nach langer Krankheit, gabe medizinischer Einrichtungen, sondern auch die gegen die er mutig angekämpft hat, den Arzt bittet, der Familie des Kranken, seiner Umgebung, seiner ein Dasein zu beenden, das für ihn jede Würde ver- Freunde und der Gesellschaft insgesamt. loren hat, und wenn sich der Arzt dann nach bestem L. Das Verlangen, für immer einzuschlafen, bedeutet Wissen und Gewissen dafür entscheidet, ihm zu hel- nicht die Verneinung des Lebens, sondern die For- fen und ihm seine letzten Augenblicke zu erleichtern, derung, ein Dasein zu beenden, dem die Krankheit indem er es ihm ermöglicht, friedlich für immer einzu- letztlich jede Würde genommen hat. (...) schlafen, so bedeutet diese ärztliche und menschli- 8. (...) ist der Meinung, daß beim Fehlen jeder kurati- che Hilfe (die manche Euthanasie nennen) Achtung ven Therapie und nach dem Fehlschlagen von psy- vor dem Leben. chologisch wie auch medizinisch korrekt angewand- ter palliativer Behandlung, und jedes Mal, wenn ein in vollem Bewußtsein befindlicher Kranker nach- (Hervorhebungen durch M & I-Redaktion)

Nie wieder - never again Wir schließen uns der nachfolgenden Begründung des NEDERLANDS ARTSENVERBOND vollinhaltlich an und weisen danach auf die Ausführungen unseres langjährigen 2. Vorsitzenden Dr. med. Georg Götz hin:

Kommentar des Niederländischen Ärzteverbandes zum Vorschlag einer Entschließung bzgl. der Pflege/Behandlung von unheilbar kranken Patienten, A3-0109/91, dem Europäischen Parlament vorgelegt am 30.04.91

1. Der Vorschlag gliedert sich in zwei Teile: Die meisten werden mit diesen Teil der Resolution Der erste Teil (Vorschläge 1-7) befaßt sich mit der befürworten. Auch wir stehen von ganzem Herzen Palliativen Pflege/Behandlung. Der zweite Teil betrifft hinter diesem Teil. die Euthanasie (Vorschlag 8). 1.2 Entschließung bzgl. Euthanasie (Vorschlag 8) 1.1 Entschließung bzgl. palliativer Pflege (Vor- Vorschlag 8 befaßt sich mit Euthanasie, d. h. mit schläge 1-7) dem vorsätzlichen Töten eines Patienten durch sei- Dieser Teil, der in der Absicht mit der von Fr. van nen Arzt. Dieser Vorschlag stützt sich auf die ersten Hemeldonck vorgeschlagenen Resolution überein- fünf und die letzte Überlegung (A, B, C, D, E und L, stimmt, beschäftigt sich mit der Notwendigkeit einer s. Punkt 4). Vorschlag 8 unterscheidet sich unter an- adäquaten und effektiven Behandlung einer unheil- derem von Art. 2 der Europäischen Konvention zu baren und tödlichen Krankheit, eine Behandlung ge- den Menschenrechten: nannt „Palliative Medizin" (d. h. mehr als nur „2.1 Das Leben eines jeden Menschen ist durch das schmerzstillende Behandlung). Diese Behandlung Gesetz zu schützen. Niemandem darf das Leben ge- zielt nicht auf Heilung, sondern darauf, dem Patien- nommen werden, es sei denn, er wird von einem Ge- ten quälende Symptome wie z. B. Schmerzen, Mü- richt für schuldig befunden, eine Tat begangen zu digkeit, Dyspnoea, Darmbeschwerden etc. zu neh- haben, für welche die Todesstrafe ausgesetzt ist. men. Tatsächlich müssen Schmerzen nicht sein; sie 2.2 Der Tod soll nicht als auferlegt betrachtet werden isolieren den Patienten nur noch zusätzlich von sei- bei Verstoß gegen diesen Artikel, wenn dieser Ver- ner Umgebung. Dank der Pionierarbeit der britischen stoß von einer Gewaltmaßnahme herrührt, die abso- Hospiz-Bewegung können wir heute Schmerzen und lut notwendig ist: andere quälende unheilbare Symptome ziemlich ef- a. bei Verteidigung einer jeden Person gegen unge- fektiv bekämpfen. Die Vorschläge 1-7 stützen sich setzliche Gewalt; auf die fünf letzten Überlegungen (G, H, I, J und K). b. um eine gesetzliche Verhaftung durchzuführen,

22 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 schwerfällige (im Original: bovine - kann auch mit: RU 486 träge, dumm übersetzt werden. Anm. d. Ü.) Presse. Details des Planned Parenthood Europa Treffens Ein Artikel im ,Mother Jones'-Magazin vom Juni 1988 zu RU 486 ist typisch für das allgemeine Niveau der Unwissen- heit der Medien. „Für eine Frau, deren Periode sich Die europäischen Mitglieder der International Plan- verspätet, bedeutet die Einnahme von RU 486 kein ned Parenthood Federation trafen sich am 2. De- Warten, kein Anstellen bei einer Abtreibungsklinik zember 1989 in Frankfurt/Main, um über die Abtrei- und kein Füße in die Steigbügel heben zur Opera- bungsdroge RU 486 zu diskutieren. Ein jüngst erhal- tion", plappert die Gesundheits-Schreiberin Laura tener Bericht über das Treffen beinhaltet die folgen- Fraser. „Es bedeutet auch, sie braucht niemals zu den Punkte: | wissen, ob sie tatsächlich schwanger war." Falsch, in Über die Kampagne, welche half, RU 486 in Frank- jeder Hinsicht, Frau Fraser. reich erhältlich zu machen: RU 486 ist in Frankreich nur unter strenger Kontrolle - die französische Familienplanungsbewegung, und in der Anwesenheit eines Arztes zugelassen. MFPF, „spielte eine wichtige Rolle bei der Koordinie- (Roussel hat, wie berichtet, jede Pille markiert und rung der feministischen Kampagne zur Erhältlichma- gezählt, um sicherzustellen, daß keine auf den chung des Produkts"; und Schwarzen Markt gelangen.) So müßte eine Frau, - „Wenn RU 486 erst einmal öffentlich als ein Pro- welche RU 486 benutzte um abzutreiben, dreimal dukt betrachtet und diskutiert wird, welches Frauen den Weg über jene Grenzlinie in die Klinik gehen; ein vor gesundheitlichen Problemen bewahren kann, einleitender Besuch zur medizinischen Untersu- werden nur wenige Ärzte darauf vorbereitet sein, da- chung (Frauen mit Anämie und solche gegen zu Felde zu ziehen... Die Beschreibung der mit früheren Schwangerschaftsproblemen werden Gesundheit der Frau als die Schlüsselfrage sei ent- ausgeschlossen) und zur Einnahme der Pille, ein scheidend, weil dies bedeute, daß Abtreibung nicht zweiter Besuch, 48 Stunden später, zur Verabrei- länger im Zentrum der Auseinandersetzung stünde." chung des Prostaglandin, entweder durch Injektion oder Vaginal-Zäpfchen, und ein dritter Besuch, eine Über die Erhältlichkeit von RU 486 anderswo: Woche später, zur Sicherstellung, daß sie auch voll- - Roussel Uclaf, der Hersteller von RU 486, hat seine ständig abgetrieben hat. Zulassungsbewerbung zum vermarkten in Schweden und den Niederlanden zurückgezogen; und Darüberhinaus wird sie - weil das Terminieren mit - Roussel Uclaf ist nicht länger bereit, RU 486 für RU 486 so schwierig ist - durch eine Untersuchung neue Forschungs-Studien zur Verfügung zu stellen, des Beckens und Ultraschalluntersuchung nicht nur obwohl sie die Versorgung der Welt-Gesundheitsor- erfahren, daß sie schwanger ist, sondern wie genau ganisation fortsetzen." sie schwanger ist. Kein Arzt, der die Haftung für eine Fehlbehandlung fürchtet, würde voraussichtlich eine Über die Möglichkeit, daß IPPF Mitglieder RU 486 in nicht schwangere Patientin dem Risiko eines Blut- Europa vermarkten: sturzes aussetzen. Viele Frauen mögen sogar den - ,IPPF Region Europa' wurde empfohlen, einen Fra- toten Embryo sehen, den sie ausgestoßen haben, gebogen an ihre Mitglieder zu versenden, um Unter- eine Ansicht, welche die operative-Abtreibungs-lndu- suchungen darüber anzustellen, „wie die Zulas- strie ihnen typischerweise erspart. In der siebten sungsbedingungen in ihrem Land sind" und „ob Woche ist ein Embryo ungefähr 2 Zentimeter groß Prostaglandine in ihrem Land erhältlich sind"; und erkennbar Mensch. - „Der Durchführbarkeit der Errichtung eines europäi- schen Konsortiums als Verwaltungsapparat zur brei- Auf ,Geheiß' der ,Freiheit-der-Wahl'-Mitglieder des teren Erhältlichkeit für RU 486 sollte nachgegangen amerikanischen Kongresses beinhaltet jetzt ein nach werden." vier Jahren der Bestätigung bedürftiges Gesetz (Ent- - „Es wurde vorgeschlagen, daß in Ländern, wo die wurf) für ,Tittel X Staatliche Familienplanungshilfe' pharmazeutische Gesellschaft, welche über das Pa- eine 10 Millionen Dollar Zuwendung zur „Entwick- tent von RU 486 verfügt und dieses nicht ausnutzt, lung, Bewertung und Vermarktung neuer und ver- die FPGs (Familienplanungs Gesellschaften) in der besserter Empfängnisverhütungsmittel, -drogen und Bildung einer anderen Gesellschaft tätig werden -methoden." Dies könnte auch die Regierung in das könnten, um dies zu tun." RU 486 Geschäft bringen, was feministische Bestür- zung darüber befriedigen würde, was von ihnen als Über andere Weise in welcher IPPF und ihre Mitglie- Kleinmütigkeit in der Privat-Bereich-Drogen-Industrie der helfen können, RU 486 zu fördern: angesehen wird. - der IPPF Generalsekretär wurde gebeten, „mit Roussel Uclaf zu verhandeln ... so daß Frauen in so Wir wissen nicht, ob RU 486 ebenso verheerend viel Ländern wie möglich Zugang zu RU 486 haben"; sein wird, wie einige der früheren Fruchtbarkeitskon- - ,IPPF Region Europa' wird seine Mitglieder mit Ar- trollmethoden, freigegeben zu unreflektierten, unkriti- gumentationsmaterial versorgen, „zum Überzeugen schen Hochrufen von gebildeten Menschen, die es von Regierungen und der allgemeinen Öffentlichkeit, eigentlich hätten besser wissen müssen. (Erinnern daß der Zugang zu dem Produkt notwendig und Sie sich an Dalkon Shield und frühen Geburts-Kon- wichtig ist"; und troll-Pillen?) Wir werden es nicht wissen, bis die er- - ,IPPF Region Europa' wird seinen Mitgliedern einen ste Generation weiblicher Versuchskaninchen - alle Fragebogen für die Untersuchung der Verbindungen von ihnen werden mehr als glücklich sein, sich frei- zwischen den Mitgliedern und Abtreibungs-Versor- willig für diesen Job zu bewerben - die Abtrei- gern senden, zur „Erforschung von Informationen bungspille durch die Zeit der klinischen Teste ge- über die Erwünschtheit unterschiedlicher Methoden bracht zu haben. der Früh-Abtreibung". Mrs. Allen ist Senior-Editor des Insight Magazin. Di- (Quelle: Bericht über das Treffen, erhalten am 17. ser Artikel wurde nach einem Artikel in der Oktober- April 1991, IRLF Weekly Review, Nr. 26, 10. Mai Ausgabe des American Spectator verfaßt.) 1991, S. 5f) Roland Rösler THE WALL STREET JOURNAL / EUROPE, 1.11.1989 Roland Rösler

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 17 nachtsgeschichte? Weihnachtsgedanken 1991 Es stimmt natürlich, daß es irgendwo erstaunlich ist, daß die ganzen Weihnachtsgeschichten in Lukas 1 und 2 nur bei Lukas aufgeschrieben sind, mit Ausnahme der Ge- Liebe Freunde und Mitarbeiter! schichte vom Traum des Josef und dem Kommen der Sterndeuter aus dem Osten, dem Kindermord des Hero- Hat unser Kollege Lukas eine falsche Anamnese auf- des und der Flucht nach Ägypten bei Matthäus. Aber genommen und ist deshalb seine Diagnose und The- auch er betont, daß Maria vor der Ehe mit Josef rapie auch falsch? „schwanger war von dem Heiligen Geist". Es gibt zwei Ärzte im Altertum, die unsere heutige Welt Alle anderen Schreiber des Neuen Testamentes wie Pe- mit am stärksten beeinflußt haben. Der erste ist der grie- trus, Judas, der Verfasser des Hebräerbriefes, Johannes chische Arzt Hippokrates, den man als Begründer der ei- und Markus sind sich zwar darin einig, daß Jesus der gentlichen medizinischen Wissenschaft und insbeson- „Sohn des Höchsten", der „Sohn Gottes", war, sie dere der Ethik des abendländischen Arzttums bezeich- berühren aber die Frage nach dem "Wie" mit keinem nen kann und der bereits 400 Jahre vor Christus lebte. Wort. Und der Apostel Paulus erwähnt diesen Sachver- Sein hippokratischer Eid ist der lebendige Beweis dafür, halt nur an einer einzigen Stelle im Galaterbrief Kap. 4, daß es sich bei unserem Kampf gegen die Abtreibung Vers 4, wo er schrieb: „Als aber die Zeit erfüllt war, noch nie etwa um die „Durchsetzung einer katholischen sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau...". Da- Moral" handelte, sondern immer um die Auseinanderset- bei deutet diese Betonung der Geburt von Gottes Sohn zung um die menschlichen und rechtlichen Grundlagen durch eine Frau, statt des sonst im Alten und Neuen Te- des Arzttums und unserer gesamten Welt. stament üblichen Hinweises bei allen Abstammungsfra- gen auf die Entstehung des Kindes durch die „Zeugung" Dazu paßt natürlich die Geschichte des zweiten Arztes, durch den Vater auf die Besonderheit der in diesem Fall der uns mindestens so sehr bis heute beeinflußte, Lukas, vorliegenden Mutterschaft und die Gottessohnschaft der ebenfalls Grieche war, und der durch sein Lukase- Jesu, also auf die Jungfraugeburt hin. Wenn dem aber vangelium und seine Apostelgeschichte vor allem auch auch nach der Meinung des Paulus so ist, dann muß es unserem deutschen Weihnachtsfest nun jahrtausen- doch einen Grund geben, warum ausgerechnet nur der delang seinen Inhalt und seine Schönheit gab. Sein Be- griechische Arzt Lukas so detailliert auf Empfängnis und richt in den ersten beiden Kapiteln seines Evangeliums Geburt von Jesus eingeht. Dafür sind nach meiner Über- prägte das Bild der „Heiligen Familie", das zum Leitbild zeugung zwei Gründe ausschlaggebend: unserer abendländischen Kultur wurde. In seiner Er- zählung über die Begegnung der beiden schwangeren 1) Lukas war „Naturwissenschaftler" und Arzt und ihn in- Frauen Maria und Elisabeth erkennt der sechs Monate teressiert deshalb viel mehr als die anderen die Frage, alte Johannes (der „schon vom Mutterleib an erfüllt wird die er Maria in den Mund legt: „Wie mag so etwas zuge- mit dem Heiligen Geist") im Leib seiner Mutter bereits hen, da ich von keinem Manne weiß?" Wenn Lukas ei- den vielleicht vier Wochen alten Jesus, und Elisabeth nen Mythos hätte erfinden wollen im Sinne der griechi- sagt zu Maria: „Als ich die Stimme Deines Grußes hörte, schen Göttergeschichten, dann hätte er doch Gott in ei- hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe!" Für Chri- ner menschlichen oder tierischen Gestalt erscheinen las- sten müßte damit eigentlich jede Diskussion über die sen und wie bei Europa mit dem Stier, Leda mit dem Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens been- Schwan, der Meeresgöttin Thetis mit Peleus oder bei ei- det sein. Denn für Lukas und die Bibel ist Jesus von an- nem Herakles und anderen Heroen auch Jesus durch ei- fang an der verheißene Erlöser und kein namenloser nen Zeugungsakt entstehen lassen. Und die Frage nach Embryo der noch keine Person ist, und Johannes war dem „Wie" dieser göttlichen Zeugung hätte er gar nicht schon „im Mutterleib" erfüllt mit dem Heiligen Geist. Und gestellt. Statt dessen heißt es: „Du wirst schwanger wer- Elisabeth, die "hoch betagt" war, hätte nach unseren den durch den Heiligen Geist"! Das aber ist etwas völlig heutigen Vorstellungen altershalber Grund zu einer „eu- anderes! „Der Logos - also das gestaltende Wort - ward genischen Indikation" gehabt, wie auch Maria zu einer Fleisch!" sagt Johannes dazu. Wir könnten mit modernen „psychosozialen"! Aber natürlich in unserer Zeit mit den wissenschaftlichen Begriffen auch sagen: Die in der Na- gegenteiligen Vorstellungen richten sich gegen Lukas tur überall vorkommende Möglichkeit der „Parthenoge- und die ersten beiden Kapitel seines Evangeliums die nese", also der Entwicklung einer Keimzelle ohne Be- Hauptangriffe aller historisch-kritischen Aufklärer, die ei- fruchtung durch „Information" und ihre höchste Form der nes der zentralen Dogmen des christlichen Glaubens die „Inspiration" ist heute nicht mehr undenkbar, nachdem es sog. „Parthenogenese", also die Jungfraugeburt des gelungen ist, durch feine elektrische Impulse z.B. unbe- „Sohnes Gottes" in Frage stellen. Man greift diese These fruchtete Truthahneier oder Froscheier zur Entwicklung mit den abenteuerlichsten Behauptungen an: Jesus sei zu bringen und die Möglichkeit der Parthenogenese der Sohn eines germanischen Söldners, oder doch nur selbst beim Menschen bejaht wird. Handelt es sich dabei einfach der Sohn Josefs, „für den er" laut Lukas Kap. 3, vielleicht um etwas ähnliches, wie bei der aktiven Tätig- Vers 23 „gehalten wurde". Man sagt: die ganze Ge- keit unseres Gehirns, bei der auch elektrische Ströme als schichte sei typisch für einen Griechen, der mit seiner Ausdruck geistiger Einflüsse entstehen? Mythologie aufwuchs, in der die Götter zu den Menschen Offensichtlich wirkt doch unser Ich auch durch elektri- kamen und Halbgötter zeugten. Und so gut ein Kaiser sche Impulse und die Elementarteilchen, Atome, Mo- Augustus dem Dichter Vergil in dieser Zeit den Auftrag leküle und Zellen sind reaktionsfähig auf „Information" gab, die Äneissage zu schreiben, um damit seine göttli- also auch auf geistige Einwirkungen. Dies soll nicht das che Abstammung zu beweisen, oder die Priester des Wunder der Menschwerdung Christi erklären, sondern le- ägyptischen Gottes Ammon Alexander den Großen zum diglich sagen, daß man seine Möglichkeit wissenschaft- Sohn des Gottes erklärten, so mußte doch auch die Ab- lich nicht mehr wirklich bestreiten kann und daß die Vor- stammung von Jesus, dem Messias, mythologisch aus- stellung von Lukas, daß der Heilige Geist die Entwick- gestaltet werden, wenn ein Grieche daran ging seine Ge- lung einer Keimzelle bewirken und ihren In- schichte zu schreiben. Indem man dann die Entstehung formationsgehalt verändern kann, jedenfalls realistischer des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte ein- ist, als manche mythologischen Vorstellungen der Grie- fach auf das Jahr ca. 80 nach Christus datiert, glaubt chen, bei denen es keine Neuschöpfung durch den Geist man, diese Mythenbildung in den vorausgegangenen 50 Jahren mündlicher Erzählungen ohne Schwierigkeit er- gibt. klären zu können. Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, werden vielleicht verstehen, daß ich als Arzt eine Vor- 2) Der zweite Grund scheint mir zu sein, daß Lukas im liebe für unseren berühmten Kollegen habe und deshalb Unterschied zu all den anderen jüdischen Schriftstellern seine „Anamnese" („von Anfang an"), seine Geschichten des Neuen Testaments ein typischer Arzt und Grieche und die modernen Angriffe dagegen besonders aufmerk- ist. Für ihn gibt es hier keine Tabus, wie bei den Juden, sam mir ansah. Vielleicht interessiert es doch einige von etwa bei Paulus. Lukas scheut sich nicht diesem Ge- Ihnen, zu welchen Ergebnissen dieses "Laienstudium" heimnis Gottes auf den Grund zu gehen und darum hat bei mir geführt hat: er vermutlich Maria persönlich aufgesucht, um „alles von Warum berichtet nur Lukas so ausführlich die Weih- Anfang an zu erkunden!" Paulus als strenggläubiger Pha- risäer dagegen wird sicherlich durch eine heilige Scheu,

18 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 dieses Innerste der „Schöpfungswerkstatt" Gottes zu be- der denselben Maßstab an den Wahrheitsgehalt der Be- treten, abgehalten, darüber viel zu reden und zu schrei- richte seiner Informanten anlegte, wie an die eigenen ben. Der Naturwissenschaftler, Arzt und Grieche kennt Reiseschilderungen. diese Scheu nicht. Es ist darum gerade für uns moderne So geht aus der Apostelgeschichte ganz klar hervor, daß Menschen, die alle Geheimnisse hinterfragen wollen, er Paulus auf der zweiten Missionsreise in Troas traf und wichtig, daß das Neue Testament nicht nur von jüdischen dann mit ihm nach Philippi reiste, denn diesen Reiseab- Verehrern von Jesus geschrieben wurde, sondern auch schnitt schildert er genau als persönlichen Bericht und von einem sozusagen von außen kommenden griechi- gebraucht deshalb das Wort „Wir". Nach dem Abschied schen Beobachter der Szene. von Paulus und Silas aus Philippi ist sein Bericht wieder die Wiedergabe der Berichte anderer, er war also offen- Gibt es noch andere Hinweise auf eine Begegnung sichtlich in Philippi zurückgeblieben. Dann kommt Paulus mit Maria? auf der dritten Missionsreise wieder nach Philippi und Haben wir indirekte Hinweise, daß Lukas Maria persön- von da ab erfolgt der Bericht wieder in der Wir-Form. lich kennen lernte? Nun, in Kapitel zwei betont Lukas an Also hat ihn Paulus von dort wieder auf dem Weg nach zwei Stellen (Vers 20 und Vers 51), daß Maria „alle diese Jerusalem mitgenommen. Worte behielt und sie in ihrem Herzen bewegte"! Das Interessant ist dabei, daß Lukas zweimal schreibt, daß heißt doch für jeden nicht böswilligen Leser, daß diese Paulus seinen ursprünglichen Plan einige kleinasiatische Geschichten von Maria selbst weitergegeben wurden. Es Städte zu besuchen aufgeben mußte, weil es „der Geist gibt aber noch andere Hinweise: Jesu nicht zuließ". Diese Feststellung gibt für sich allein Seit man vor ein paar Jahren in den Qumrampapieren ei- keinen Sinn, wenn man sie nicht vom persönlichen nen Papyrusschnitzel aus dem Markusevangelium fand, Schicksal des Lukas her versteht, der dadurch dann die der schon vor dem Jahr 50 geschrieben wurde, besteht entscheidende Begegnung mit Paulus hatte, die seinem keinerlei Grund mehr gegen die Annahme, daß Lukas, ganzen Leben eine andere Richtung gab. Denn sie wäre als er von 58 - 60 mit Paulus in Cäsarea war, das Marku- nicht erfolgt, wenn Paulus seiner ursprünglichen Absicht sevangelien neben anderen Quellen vorliegen hatte, als entsprechend die anderen Städte besucht hätte. Lukas er daran ging sein Lukasevangelium zu verfassen. Es läßt damit durchblicken, daß sein Zusammentreffen mit scheint mir völlig sicher zu sein, daß er in diesen beiden Paulus durch eine direkte Führung des Heiligen Geistes Jahren des Wartens von Woche zu Woche auf die Frei- geschah. lassung von Paulus, die Zeit benützte, um möglichst viele der Menschen aufzusuchen, die die Ereignisse um Jesus Es erscheint mir ferner ein kompletter Unsinn zu sein, noch selbst miterlebt hatten und ihre Aussagen aufzu- wenn einige neun mal schlaue Schriftgelehrte versuchen, schreiben und zu sammeln, wie er es ja in der Einleitung das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte des Lu- zu seinem Evangelium selbst ausdrücklich betont. Er hat kas auf die Zeit nach der Zerstörung Jerusalems und der deshalb sicher eine ganze Anzahl von Informanten, die neronischen Christenverfolgung zu verlegen, nur des- etwa Matthäus oder Markus nicht hatten. Wir haben des- halb, weil Jesus die Zerstörung Jerusalems prophezeite. halb eine ganze Reihe von Gleichnissen, die nur Lukas Wenn man nicht glauben will, daß Jesus dieses Ereignis berichtet oder auch Abweichungen vom Bericht der bei- voraussehen konnte, trifft man natürlich schon eine ma- den anderen Synoptiker, die zeigen, daß er Informanten terialistische Vorentscheidung gegen die „Gottessohn- hatte, deren Aussagen er noch größeres Gewicht bei- schaft". Außerdem halte ich es für völlig ausgeschlossen, legte, als denen von Markus. Vermutlich war ein Haupt- daß dann in der ganzen Apostelgeschichte nirgends eine grund dafür, daß er ein eigenes Evangelium schrieb, die Andeutung von der späteren Hinrichtung des Paulus und Tatsache, daß er bei seinen Befragungen vieler Augen- Petrus erscheinen würde, wie das etwa im zeugen der Geschehnisse feststellen mußte, daß viele Johannesevangelium, Kap. 21, im Hinblick auf den Mär- Geschichten und Details, nicht niedergeschrieben waren, tyrertod von Petrus geschieht. Der Abbruch der Apostel- die ihm berichtet wurden; und das, trotz der „vielen, die geschichte zwei Jahre nach dem Aufenthalt von Paulus es schon unternommen haben, Bericht zu gegen von und Lukas in Rom beweist ja, daß sie tatsächlich etwa im den Geschichten, die unter uns geschehen sind, wie uns Jahr 62 von Rom aus abgesandt wurde und das Lukase- das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gese- vangelium also schon vorher an Theophilus abgeschickt hen haben..." Das zeigt sich schon bei seinem Bericht wurde. Nachdem in der neronischen Radiaklvernichtung über den Besuch von Jesus in seiner Heimatstadt Naza- der Christen in Rom sicher auch alle schriftlichen Zeug- reth. Der Bericht darüber ist wesentlich detaillierter und nisse versteckt oder vernichtet wurden, verdanken wir exakter, als in den anderen Evangelien. Von wem hatte vermutlich dieser Tatsache, daß das Lukasevangelium er diese ausführlichere Schilderung, wenn nicht von Ma- und die Apostelgeschichte bereits vorher von dort abge- ria? Oder, warum weicht Lukas bei seinem Bericht über schickt wurden, daß sie uns erhalten blieben. die Kreuzigung Jesu von Markus ab, der schreibt, daß Daß bei Berichten nach fast 60 Jahren (Weihnachtsge- „die Frauen und die Jünger von ferne standen" und daß schichte) in der Erinnerung der Erzählenden manche beide Mörder ihn „gelästert" hätten! Lukas aber berichtet kleinen Details nicht mehr exakt in der Erinnerung festge- die ergreifende Geschichte von der Bekehrung des einen halten wurden, erscheint mir eigentlich selbstverständ- Schächers und dem Gespräch, das sie am Kreuz hatten. lich. Aber die wichtigsten Ereignisse bleiben dennoch hi- Wenn ihm diese Geschichte glaubwürdiger erschien, als storische Fakten, die in ihrem innersten Sachverhalt der Bericht des Markus, dann hat er sie doch von jeman- wahrheitsgetreu berichtet sind. dem, der unter dem Kreuz stand und nicht nur „von Ich meine deshalb, daß wir die gründliche „Anamnese", ferne" ungefähr hörte, sondern genau das vernahm, was „Zeitdiagnose" und Mitteilung der „Therapie" unseres Kol- von den Gekreuzigten gesprochen wurde. Das aber kann legen Lukas durchaus auch heute noch als glaubwürdig wiederum nur seine Mutter, Johannes oder Maria Mag- ansehen können und deshalb über die Weihnachtsge- dalena gewesen sein. schichten nach wie vor, wie in unserer Kindheit, staunen und uns freuen dürfen an dem „Es begab sich aber zu Auch aus dem Lobgesang der Maria in Lukas 1 geht je- der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus aus- denfalls hervor, daß sie schon in der Urgemeinde verehrt ging, daß alle Welt geschätzt würde..", und an der Bot- wurde, wenn sie sagt: „Künftig werden mich selig preisen schaft: „Fürchtet Euch nicht! Siehe ich verkündige Euch Kinder und Kindeskind!" große Freude, die allem Volk widerfahren wird! Denn Wie glaubwürdig sind seine Berichte? Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus Wenn man die Exaktheit der eigenen Reiseberichte von der Herr in der Stadt Davids!" Und das Gloria der Engel Lukas in der Apostelgeschichte ansieht, kann man sich will auch heute noch den Lärm unserer Tage und ihrer überhaupt nicht vorstellen, daß er bei seinen Interviews Menschenvergottung durchdringen mit dem „Ehre sei bei den Augenzeugen nicht auf dieselbe Korrektheit Wert Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen gelegt hätte. Auch die genaue Unterscheidung, die er die Gott sich erwählt!" macht zwischen den Erlebnissen, bei denen er selbst Au- Möge es uns allen gelingen, uns dieser Weihnachtsbot- genzeuge war, und den Berichten, die er von anderen schaft neu zu öffnen! bekam, zeigt daß er kein frommer Märchenerzähler war, sondern ein in der besten Tradition griechischer Schrift- steller und Historiker aufgewachsener gebildeter Arzt, Mit herzlichem Weihnachtsgruß! Ihr Siegfried Ernst

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 19 Wie dämlich sind die Damen? Abtreibungspille RU 486 Gemessen am SÜMU-IQ Frauen-Union für offene Diskussion In den siebziger Jahren gab es Frauengruppen, die gegen Prostaglandin bei chirurgischen Abtreibungen SAARBRÜCKEN (dpa): Die Auseinandersetzung öffentlich protestierten. Die Frauen erlebten die Ab- über eine Zulassung der Abtreibungspille auch in treibung geburtenähnlich und empfanden den Ein- Deutschland hat neu begonnen. satz von Prostaglandinen als Machtmittel der Män- Die stellvertretende Vorsitzende der Frauen-Union, ner als Gynäkologen gegen die Frauen. Die Frau- Doris Pack (CDU), forderte angesichts des bevorste- enärzte dagegen benutzten die Prostaglandine um henden EG-Binnenmarktes eine offene Diskussion den Gebärmuttermund zu „erweichen" und damit über die Zulassung des als RU 486 bekannten Ab- eine Überdehnung der Muskeln zu verhindern und treibungsmedikaments in der Bundesrepublik. Nach feinste Geweberisse zu vermeiden.* Von daher ver- 1993 könne „niemand mehr daran gehindert werden, wundert es sehr, daß jetzt bei einem Treffen der Ge- diese Pille auch in Frankreich an sich auszuprobie- sundheitsminister der Länder die Forderung erhoben ren", sagte sie am Samstag. Die Pille ist auch in wurde, eine „klinische Erprobung" (Frauen als Ver- Österreich und England zugelassen. suchskaninchen) zuzulassen, weil es sich um eine Nach den Worten von Frau Pack hat die Abtrei- „sehr viel schonendere Methode der Abtreibung" bungspille, da sie nur in den ersten Wochen ange- handele. Die nachfolgenden Meldungen verschwei- wendet werden könne, „für die Mutter und auch für gen, daß Frau Süßmuth, ihres Zeichens Bundes- das Kind ,Vorteile'". Heilbronner Stimme, 28.10.91 tagspräsidentin, Frauenunionsvorsitzende, (CDU) Abgeordnete, und Angela Merkel, CDU Ministerin, die Abtreibungspille mehr oder weniger befürworten. Die Saat die sie säen, werden sie ernten.

* Quelle: Vilmar befürwortet die Abtreibungs- „Wir wollen nicht mehr nach Holland fahren" rororo 1978 S. 122 „Die Macht der Frauenärzte" Fischer S. 118 pille Roswitha Schröder KÖLN (dpa). Der Präsident der Bundesärztekammer, Vilmar, hat sich für die Zulassung der umstrittenen Abtreibungspille in Deutschland ausgesprochen. In einem Interview der Kölner Tageszeitung „Express" forderte Vilmar das Bundesgesundheitsamt auf, dem Hersteller des Abtreibungsmittels RU 486, der Hoechst AG (Frankfurt), „grünes Licht für den Ver- Empfehlung für Erprobung der Ab- trieb dieses Medikamentes bei uns " zu geben. Vilmar wies darauf hin, daß der Deutsche Ärztetag treibungspille vorgelegt sich bereits im Mai dieses Jahres „für die Erprobung Kritik an einem Beschluß der Gesundheitsmini- der medizinischen Wirksamkeit und Verträglichkeit ster der Länder eines schonenden und nicht-chirurgischen Schwan- gerschaftsabbruchs ausgesprochen und als Beispiel WIESBADEN (KNA). Das umstrittene Abtreibungs- das Medikament RU 486 erwähnt" habe. Erst vor medikament RU 486 soll nach dem Willen der Län- wenigen Tagen hatte auch die Konferenz der Ge- der-Gesundheitsminister in Deutschland klinisch er- sundheitsminister und -Senatoren der Bundesländer probt werden. Diese Empfehlung sprachen die Mini- empfohlen, die Abtreibungspille in der Bundesrepu- ster in Wiesbaden aus. blik klinisch zu erproben. Die Frauen-Union forderte Die derzeitige Vorsitzende der Konferenz, die hessi- eine Diskussion über die Zulassung von RU 486, das sche Gesundheitsministerin Blaul (Die Grünen), be- bereits in Frankreich, England und Österreich erhält- gründete die Empfehlung zur klinischen Erprobung lich ist. Deutsche Tagespost, 31.10.91 von RU 486 damit, daß es eine „sehr viel schonen- dere Methode zur Abtreibung" sei als sein chirurgi- scher Eingriff. Sie sagte, eine derartige Erprobung als „ein erster Schritt zur Zulassung" dürfe nur im Rahmen „jeweils bestehender rechtlicher Festset- zungen legaler Abtreibungen" geschehen. Bundes- gesundheitsministerin Hasselfeld kritisierte, daß erst- Schwangerschaftsabbrüche um fünf mals in der Geschichte der Hersteller eines Medika- Prozent gestiegen mentes sich vor einem Antrag auf Zulassung der Er- probung „politische Rückendeckung holen" wolle. KÖLN. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben Zugleich sagte Frau Hasselfeld, daß die gesell- 1990 insgesamt 88.384 Schwangerschaftsabbrüche schaftspolitischen Konsequenzen einer möglichen nach den Nummern 195 und 197 BMÄ/E-GO gemel- Zulassung nicht außer acht gelassen werden dürf- det, die im Rahmen der kassen- und vertragsärztli- ten. chen Versorgung vorgenommen wurden. Gegenüber Der Pressereferent im Sekretariat der Deutschen Bi- 1989 entspricht dies einer Zunahme um 5,3 Prozent schofskonferenz, Rudolf Hammerschmidt, kritisierte (1989: 83.924 Abbrüche). 1990 wurden etwa 86 Pro- den Beschluß der Gesundheitsminister als Entschei- zent der Schwangerschaftsabbrüche ambulant in der dung gegen das Leben. Die Kirche lehne RU 486 mit ärztlichen Praxis durchgeführt und circa 14 Prozent aller Entschiedenheit ab. Hammerschmidt vertrat die stationär-belegärztlich. Auffassung, daß RU 486 kein Medikament sei, da Dem Statistischen Bundesamt wurden dagegen für die Einnahme keine therapeutische Maßnahme, son- 1990 von den Ärzten insgesamt nur 78.808 Schwan- dern ein Mittel zur Abtreibung sei. gerschaftsabbrüche gemeldet. Das sind 4,7 Prozent Deutsche Tagespost, 29.10.91 mehr als im Vorjahr. Dt. Ärzteblatt 88, 5.8.91

20 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 oder um die Flucht einer gesetzlich zu bestrafenden „die neue Ethik, die sich mehr an relativen als an ab- Person zu verhindern; soluten und gleichberechtigten Werten orientiert, c. bei gesetzlichen Aktionen die einen Aufruhr oder letztendlich die Oberhand gewinnen wird". Aufstand niederschlagen sollen." Es ist offensichtlich, daß der Wert des menschlichen Es ist klar, daß auch diese hier aufgeführten Aus- Lebens in einer solchen Gesellschaft, die eher einer nahmen ihre Grenzen haben. Zuchtfarm gleicht als einer menschlichen Gemein- schaft, immer weiter sinkt. Wir sind radikal gegen diese Teil der Resolution. Spezielle palliative Pflege ist immer möglich und 3. Die Überlegungen A-E sind inconsistent. nimmt Euthanasie somit jedwede Grundlage. Die Darüber hinaus ist der Vorschlag 8 selbst sowie die Respektierung menschlichen Lebens schließt beab- unterstützenden Argumente unvereinbar, da nicht sichtigte Tötung aus. Das Reden über Leben, wel- daraus hervorgeht, auf welchem Konzept des Men- ches seine Würde verloren hat, gefährdet das Leben schen sie aufbauen, auf dem materialistischen oder eines jeden behinderten oder unheilbar kranken auf dem realistischen Konzept. Menschen. Da die Ärzte auf das Vertrauen ihrer Pati- Die wissenschaftlichen Entdeckungen der letzten enten angewiesen sind, sollten sie nie das Recht ha- Jahrhunderte waren in der Hauptsache nur möglich, ben, einen Patienten vorsätzlich töten zu dürfen. Er- weil wissenschaftlich vorgegangen wurde, d. h. es fahrungen zeigen, daß der Wert des Lebens immer müssen objektive Beweise vorliegen, bevor eine mehr sinkt, wenn menschliches Leben keinen abso- Theorie anerkannt werden kann. Objektiv in diesem luten, sondern nur noch einen relativen Wert hat. In Zusammenhang heißt: Wahrnehmbar für unsere Holland bekommen immer mehr Patienten der ver- physikalischen Sinne. Da diese Sinne nur auf physi- schiedensten Kategorien eine „lebensbeendende" kalische Reize reagieren, ist klar, daß mit dieser Me- Behandlung. thode auch nur physikalische Realität entdeckt wer- den kann. Demnach gibt es zwei Möglichkeiten: ent- 2. Zwei Arten von Ethik weder nur die Materie existiert, oder es gibt neben Wir werden uns entscheiden müssen, welche der der Materie noch eine andere Realität, im allgemei- beiden Ethik-Arten wir wählen: die am Menschen nen „Geist" genannt. Ausgehend von der ersten An- oder die am Nutzen orientierte. nahme erhalten wir ein materialistisches Bild vom 2.1 Menschliche Ethik Menschen und dem Universum; die zweite Annahme Nach dem 1. Weltkrieg, in dem es Millionen von To- führt uns zu einem Bild vom Menschen und vom Uni- ten zu beklagen gab, verabschiedete die Hauptver- versum, das man als ein realistisches bezeichnen sammlung der Vereinten Nationen einstimmig die könnte. Die wissenschaftliche Methode kann nicht Allgemeine Deklaration der Menschenrechte. Laut nachweisen, welche der beiden Annahmen nun die ihrer Präambel können Frieden, Freiheit und Gerech- richtige ist. Beide sind gleich wissenschaftlich oder je tigkeit in der Welt erst erreicht werden, wenn wir an- nachdem - beide gleich spekulativ. Ein wirklich wis- erkennen, daß jeder Mensch die gleiche Würde und senschaftlicher Ansatz verlangt eine Gegenüberstel- dieselben unveräußerlichen Rechte hat. Um diese lung der beiden Konzepte. Rechte zu stärken, verabschiedeten die Europäer Laut dem materialistischen Konzept ist der später die Europäische Convention über die Men- Mensch ein rein physikalisches Lebewesen, beste- schenrechte. Das erste menschliche Recht ist das hend aus einem Körper, der sich wiederum aus den Recht auf Leben. Dieses Recht ist bedroht, wenn der Atomen des Universums zusammensetzt. Da es kei- Arzt das Recht hat, einen Patienten zu töten. nen fundamentalen Unterschied zwischen einem 1948 veröffentlichte auch die Weltorganisation der Menschen, einem Tier und einer Sache gibt, gibt es Ärzte die Genfer Deklaration, in der sie in moderner auch keinen Grund, weshalb der Mensch eine Sprache den 24 Jahrhunderte alten HIPPOKRATI- Würde haben soll, ebensowenig wie ein Tier oder SCHEN EID neu formulierte: „Ich werde nieman- eine Sache eine Würde hat. Bewußtsein, Denken dem eine tödliche Droge verabreichen, auch und die Erfahrung von Schmerzen sind Produkte wenn es von mir verlangt werden sollte." des Gehirns, hervorgerufen durch Prozesse, die im Sowohl die Allgemeine als auch die Genfer Deklara- Gehirn ablaufen und die unterbrochen oder unter- tion sind Ausdruck einer humanitären Ethik, bei der drückt werden, wenn das Gehirn beschädigt ist. Mit die Rechte und Bedürfnisse des einzelnen eine zen- dem Tod des Körpers hört der Mensch auf, zu sein. trale Rolle spielen und wo das Leben des einzelnen Solange jedoch der Gehirntod noch nicht eingetreten respektiert wird, ungeachtet seiner Verfassung oder ist (Gehirntod kann ganz sicher durch bestimmte, seines Nutzens. präzise definierte Kriterien festgestellt werden), lebt der Mensch, selbst wenn es durch einen Gehirn- 2.2 Am Nutzen orientierte Ethik schaden kein Zeichen von Bewußtsein mehr anzeigt. In den letzten Jahrzehnten wurde die humanitäre Da für den Materialismus keine geistliche (nicht-phy- Ethik nach und nach und fast unmerklich durch die sikalische) Realität existiert, ist der Ausdruck der am Nutzen orientierte Ethik ersetzt, in der Qualität „Spiritualität" (Argument A) ein wenig verwirrend. und Nutzen des Lebens eines Individuums für die Man sollte besser von mentaler Aktivität sprechen. Gesellschaft im Vordergrund stehen. Laut realistischem Konzept ist der Mensch eine Was diese Art von Ethik letztendlich für eine Bedeu- Person, d. h. eine geistlich-physikalische Einheit, mit tung für die Gesellschaft hat, ist recht deutlich in ei- dem physikalischen Aspekt, seinem Körper und dem nem Editorial des Sprachorgans der CALIFORNIAN spirituellen Aspekt, seinem Ich oder seiner Per- MEDICAL ASSOCIATION vom September 1970 be- sönlichkeit oder Seele oder seines Geistes. Be- schrieben worden, das den Titel „Eine neue Ethik für wußtsein, Denken und Erfahrung von Freude und Medizin und Gesellschaft" trägt. In diesem Editorial Schmerz sind geistiges Vermögen, welche durch das heißt es, daß wir in Zukunft jene eliminieren werden Gehirn ausgedrückt werden können, weil das Gehirn müssen, deren Lebensqualität nicht bestimmten me- auf das reagiert, was im Geist steckt. Beim Tod des dizinischen Kriterien entspricht. Laut Artikel werden Körpers hört der Mensch auf, geistig-physikalische wir neben Geburtenkontrolle auch noch Sterbekon- Einheit zu sein, wohingegen aber der Geist, der nicht trolle haben. Die Gesellschaft wird die Euthanasie an Raum und Zeit gebunden ist, weiter existiert mit gezwungenermaßen und freiwillig akzeptieren, da all seinem Vermögen. Beim Gehirntod ist die geistig-

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 23 physikalische Einheit endgültig gebrochen, so daß ten, daß der Mensch bei Anästhesie aufhören würde, der Mensch tatsächlich aufhört, zu sein. Solange je- Mensch zu sein. Nicht der Bewußtseinsgrad als sol- doch der Gehirntod nicht eingetreten ist, lebt der ches wird von der Hirnfunktion bestimmt, sondern Mensch, selbst wenn dieser aufgrund eines Gehirn- Stillstand einer bestimmten Hirnfunktion kann bedeu- schadens kein Lebenszeichen mehr von sich gibt. ten, daß es auch bei gründlicher Untersuchung keine Anzeichen von Bewußtsein gibt (s. 4.1). 4. Analyse der Argumente A-L Nach Untersuchung sowohl des materialistischen als 4.4 Argument D auch des realistischen Standpunktes, kommen wir Behandlung kann sowohl heilender (völlige Gene- zu folgendem Schluß: sung) als auch lindernder Art (Bekämpfung und Aus- schaltung von Symptomen) sein. Eine heilende Be- 4.1. Argument A handlung durchzuführen, wenn Heilung vom Die Unterscheidung in Argument A zwischen Würde menschlichen Aspekt her unmöglich ist, ist offen- und Spiritualität auf der einen und natürliche Funk- sichtlich keine gute Medizin. Doch der Ausdruck un- tionen (= Funktionen der vegetativen Existenz) auf erbittliche Behandlung (engl.: inexorable treatment; der anderen Seite ist künstlich. Gemäß sowohl mate- frz. achamement therapeutique) ist verwirrend, denn rialistischem als auch realistischem Konzept sind ve- er könnte auf der einen Seite den täglichen Ge- getative Funktionen, die vom vegetativen Nervensy- brauch von Insulin einschließen, was Diabetes nicht stem kontrolliert werden und die zum Erhalt des Kör- heilt, sondern lediglich einige seiner Symptome aus- pers und aller mentalen Aktivitäten notwendig sind. schaltet, könnte auf der anderen Seite dazu ver- Man kann nicht von einer vegetativen Existenz spre- führen, auf eine palliative Behandlung zu verzichten, chen, da weder die An- noch die Abwesenheit men- da diese Methode nicht heilt, sondern nur Schmerz- taler Aktivität bestimmt werden kann, wenn der Pati- faktoren ausschaltet. Es wäre ratsam, eher von einer ent nicht in der Lage ist, zu kommunizieren. Die Tat- Behandlung zu sprechen, die nicht im Interesse des sache, das bei einem Patienten nur vegetative Funk- Patienten liegt, oder von einer nicht angemessenen tionen festgestellt werden können (Herzschlag und Behandlung, d. h. eine Behandlung, deren zu erwar- Atmung) besagt nicht, daß überhaupt keine mentale tende Ergebnisse in keinem Verhältnis stehen zu Aktivität besteht. Es gibt Patienten, die dem Arzt den dem Patienten zugemuteten Unannehmlichkei- nach einer solchen Phase genau berichten können, ten. Hinsichtlich der Einwände bzgl. der Würde des daß sie in jedem Augenblick bei Bewußtsein gewe- Einzelnen siehe 4.1 und 4.5. sen sein müssen bzw. eine mentale Aktivität bestan- den haben muß. Wenn alle Funktionen des Gehirns 4.5 Argument E stillstehen (Gehirntod), werden auch die vegetativen Um das Recht auf einen würdigen Tod zu be- Funktionen nicht mehr zentral gesteuert, d. h. das schreiben, sollten wir wissen, was ein unwürdiger Leben hat aufgehört, zu sein. Tod ist. Sterben unter unwürdigen Umständen wie in Weder vom materialistischen noch vom realistischen Konzentrationslagern, wo der Sterbende absichtlich Standpunkt aus gesehen können wir sagen, daß das geschändet und tödlicher Gefahr ausgesetzt wurde, menschliche Leben sich auf Würde begründet. ist kein Vergleich zum Sterben in einem noch so Würde ist eine menschliche Eigenschaft, die gemäß schlechten Krankenhaus, wo zumindest die Absicht der Präambel der „Allgemeinen Deklaration über da ist, helfen zu wollen. Sterben während einer Infu- Menschenrechte" als unantastbar für jedes Mitglied sionsbehandlung oder künstlichen Beatmung ist der Menschenfamilie anerkannt werden muß, wenn nicht unwürdig. Unwürdig ist es, wenn der Arzt diese wir ein bestimmtes Ziel erreichen wollen, besonders Behandlung fortsetzt, obwohl er weiß, daß damit der die Verwirklichung von Frieden, Freiheit und Gerech- sich schnell nähernde Tod nicht vermeiden läßt. Wie tigkeit auf der ganzen Welt. Würde ist also eine Ei- schon zuvor gesagt: Anwendung einer unnötigen Be- genschaft, die nie verloren (Argument L) oder zer- handlungsmethode ist schlechte Medizin. Es wird stört werden kann (Argument D). Nicht mal jene, wel- daher vorgeschlagen, vom „Recht auf gute medizini- che unter höchst unwürdigen Umständen in Konzen- sche und pflegerische Behandlung bis zum Tod" zu trationslagern umgekommen sind, haben ihre sprechen, anstatt vom „Recht auf einen würdigen menschliche Würde verloren. Tod". Man könnte versucht sein zu fragen, wie lange Ebensowenig kann gesagt werden, daß sich es dauern wird, bis dieses Recht zur Pflicht wird. menschliches Leben auf Spiritualität begründet (mentale Aktivität). Die Aktivität des Geistes, welcher 4.6 Argument F als solches vom Verlust der natürlichen Funktionen Bzgl. unnötige Behandlung s. 4.5 unbeeinflußt bleibt, kann sich nur dann ausdrücken, 4.7 Argument G-K wenn diese natürlichen Funktionen - einschl. der ve- All diesen Argumenten zur Untermauerung der Vor- getativen Funktionen - dies dem Geist ermöglichen. schläge 1 -7 stimmen wir voll und ganz zu. Schmerz ist tatsächlich vermeidbar (Argument G), da 4.2 Argument B gute palliative Pflege auch schon Schmerz verhin- Der Gehirntod ( = völliger Stillstand sämtlicher Ge- dern kann. Dennoch verstößt Schmerz nicht gegen hirnfunktionen einschl. des Hirnstammes, von dem die menschliche Würde, welche unantastbar ist; er aus die vegetativen Funktionen gesteuert werden) isoliert den Patienten jedoch von seiner Umgebung kann exakt mittels einer Anzahl von Kriterien be- und kann ihn vom Denken abhalten. stimmt werden, eine davon das Aussetzen des auto- Wir würden es begrüßen, wenn ein weiteres Argu- matischen Herzschlags, der automatischen Atmung. ment im Anschluß an Argument I folgenden Inhalts Wenn in solch einem Fall Herzschlag und Atmung eingeschoben werden könnte: künstlich aufrecht erhalten werden, verwirrt die Aus- „wohingegen palliative Medizin nicht nur Schmerz sage, daß die biologischen Funktionen weiterbeste- und andere quälende Symptome bekämpft, sondern hen, da es sich nicht mehr um ein lebendes (biologi- auch den geistigen Bedürfnissen des Patienten und sches) Lebewesen handelt. seiner Umgebung gerecht wird und so weit wie mög- 4.3 Argument C lich einen einsamen Tod verhindert." Die Aussage, daß der Bewußtseinsgrad einen In Argument J verwirrt der Ausdruck „spezielle medi- Menschen ausmacht, ist falsch. Dies würde bedeu- kamentöse Behandlung", da auch palliative Pflege

24 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 spezielle Behandlung bedeutet. Es wird vorgeschla- 7. Woche gen, einen Punkt hinter „unmöglich" (engl.: impossi- Bestellnummer 1 ble) zu setzen und den letzten Teil des Satzes zu streichen. 4.8 Argument L Dieses Argument ist nicht gut formuliert. Krankheit kann einen Menschen nicht seiner Würde berauben, welche dem Menschen eigen ist (s. 4.1). Tatsächlich ist der Wunsch zu sterben keine Verneinung des Le- bens, aber dieser Wunsch ist auch kein Verlangen nach Euthanasie, was das Verlangen nach absichtli- cher Tötung wäre. Das Verlangen nach Euthanasie sollte als Aufforderung zur richtigen palliativen Be- handlung aufgefaßt werden. 8. Woche Bestellnummer 2 5. Zusammenfassung Die Analyse der Argumente (A-F und L), welche Vor- schlag 8 stützen, führt zu dem Schluß, daß keines davon haltbar ist. Weder das materialistische noch das realistische Konzept vom Menschen rechtfertigt den Schluß, daß das menschliche Leben auf Würde und Geistigkeit begründet ist. Gemäß beider Kon- zepte ist das biologische Leben (einschl. der vegeta- tiven Funktionen) Vorbedingung für Geistigkeit (men- tale Aktivität). Der Mensch läßt sich nicht durch den Bewußtseinsgrad definieren. Bewußtsein ist ohne die Präsenz jedweden wahrnehmbaren Zeichens von Bewußtsein möglich. Anstatt „unerbittliche Be- 9. Woche handlung" wird der Begriff „unverhältnismäßige Be- Bestellnummer 3 handlung" vorgeschlagen. Gute Medizin schließt un- angemessene oder sinnlose Behandlung aus. An- statt vom Recht auf einen würdigen Tod zu sprechen wird vorgeschlagen, vom Recht auf gute medizini- sche und pflegerische Betreuung bis zum Tod zu Farbfoto 20 x 30 sprechen. Das Verlangen nach Euthanasie sollte als Siehe auch Seite 42 Aufforderung zur richtigen palliativen Behandlung aufgefaßt werden. Selbst wenn in einem speziellen Fall ein Verlangen nach Euthanasie als einem ech- ten Wunsch getötet zu werden festgestellt wird, so darf dies dem Arzt nicht das Recht geben - weder moralisch noch legal -, den Patienten tatsächlich zu Chorionzottenhülle in töten. der sich der kleine Mensch befindet. Ge- Übersetzung aus dem Englischen: nau dieses wird von Friederike Schröder den Menschenfeinden innerhalb und außer- halb der Medien als Schwangerschaftsge- Bundestagsaktion „Der stumme Schrei" webe bezeichnet und dargestellt! Am 5. September 1991 haben wir allen 662 Abge- ordneten des DEUTSCHEN BUNDESTAGES einen Videofilm Der stumme Schrei zugesandt. Bis heute bekommen wir vielfältige Reaktionen der Abgeordneten. Ein Teil hat die Annahme der Sen- dung verweigert, ein großer Teil nicht reagiert, aber die erhaltenen Reaktionen reichen von begeisterter Zustimmung bis hin zu totaler Ablehnung. Wird die Chorionzot- Leider wird besonders deutlich, daß nur sehr wenige tenhülle geöffnet, sieht erkennen, daß ein Schutz des ungeborenen Lebens man das Kind. Hier in auch durch das Strafgesetz erfolgen muß. Viele mei- der 4. Woche. Dies nen, daß durch Verbesserung der „flankierenden aber zeigen die Abtrei- Maßnahmen" allein ein besserer Schutz der ungebo- ber nicht im Fernse- renen Kinder gewährleistet sei. Die Tatsache, daß hen. der Schutz des ungeborenen Kindes eine Seite, die Hilfe für die Mütter die andere Seite der Medaille ist, wird nur von wenigen erkannt. In der nächsten Ausgabe werden wir Sie mit einer vollständigen Auswertung über den Verlauf der Ak- tion informieren. Sollten Sie Ihren Abgeordneten auf diese Aktion hin angeschrieben und Antworten be- kommen haben, bitten wir Sie, uns diese zukommen zu lassen.

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 25 "Tötung auf Verlangen" bleibt Homizid Von Dr. med. Georg Götz I. Der Entschließungsantrag A. Offizielle Stellungnahmen Gegenwärtig wird in den Parteien und Medien über Zunächst eine unvollständige Aufzählung gesetzli- die Neufassung des Tötungsparagraphen 218 StGB cher oder berufsständischer Verordnungen und Ent- heftig diskutiert. Vor Jahren habe ich in einem Vor- schließungen, wogegen der zur Debatte stehende trag über „Sterbehilfe aus ärztlicher Sicht" die Be- Antrag eindeutig verstößt: fürchtung ausgesprochen; „Wer über den Paragra- 1. Paragraph 216 (Tötung auf Verlangen) im StGB phen 218 diskutiert, hat bald den unheilvollen Para- der Bundesrepublik Deutschland besagt: „1.1. Ist je- graphen 216 StGB, d. h. die „Tötung auf Verlangen", mand durch das ausdrückliche und ernstliche Ver- im Hause. langen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, In der Tat, die Wellen der Euthanasiebewegung so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu schlagen immer höher: Vor mir liegen die Sitzungs- fünf Jahren zu erkennen. 1.2. Der Versuch ist straf- dokumente des Europäischen Parlaments vom bar." 30.4.1991 (A 3 - 0109/91, Ausgabe in deutscher 2. Die Deutsche Bundesärztekammer hat im Jahre Sprache), aus denen hervorgeht, daß in drei Sitzun- 1989 das aktive Töten mit aller Schärfe abgelehnt. gen ein Entschließlungsantrag von Frau van Hemel- Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Dr. Oden- donck zur Sterbebetreuung todkranker Patienten ge- bach äußerte: „Zwischen der Vereinigung von Sa- prüft wurde. Berichterstatter war Herr Leon Schwart- men und Eizelle und dem Hirntod steht für uns nichts zenberg. In der letzten Sitzung am 25. April 1991 zur Disposition." verabschiedete der Ausschuß für Umweltfragen, 3. Beim 87. Deutschen Ärztetag in Aachen sagte bei Volksgesundheit und Verbraucherschutz einen ent- der Eröffnungsveranstaltung der Präsident der Bun- sprechenden Entschließungsantrag zur Sterbebe- desärztekammer Dr. Karsten Vilmar u. a.: „Es ist gleitung mit 16 Stimmen bei 11 Gegenstimmen und falsch, die Forderung nach legalisierter aktiver Ster- 3 Stimmenthaltungen, also mit einer knappen Mehr- behilfe zu erheben. Was dann zu erwarten wäre, heit, und beauftragte den Präsidenten des Europäi- zeigt in ebenso dringlicher wie abstoßender Weise in schen Parlamentes, diese Entschließung der Kom- diesen Tagen die „Hackethalsche Zyankali-Tötungs- mission und dem Rat zu übermitteln. show mit Euthanasiepromotion in einigenMedien". In den Punkten A-L bzw. 1 bis 10 werden zunächst 4. Die Berufsordnung der Deutschen Ärzteschaft einige unliebsame Zustände und organisatorische enthält ein Gelöbnis, in dem es heißt: „Ich werde je- Mängel auf dem Gebiet der Sterbebegleitung formu- dem Menschenleben von der Empfängnis an Ehr- liert, die dann in Empfehlungen, Verbesserungsvor- furcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung schläge und konkrete Forderungen münden. Vieles meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den davon ist zweifelsohne nützlich, wenn es dem Wohl Geboten der Menschlichkeit anwenden." Leben er- des Kranken dient. Ärzte und Krankenhäuser mit halten - Leben schützen - Wiederherstellung und Lin- ihrem Pflegepersonal sind angesprochen. derung von Leiden gehöre zu den Grundprinzipien Dann jedoch kommt klar und deutlich aus dem Inhalt ärztlichen Handelns. von Punkt 8 des Entschließungsantrags und aus Teil 5. Der ehemalige Bundesjustizminister Engelhard B (Begründung) die Forderung nach aktiver Eu- (FDP) der Bundesrepublik Deutschland hat sich thanasie zum Ausdruck. Ich zitiere im Wortlaut: nachdrücklich 1987 gegen eine gesetzliche Rege- Punkt 8: „Das Europäische Parlament ist der Mei- lung der Freigabe der aktiven Euthanasie ausge- nung, daß beim Fehlen jeder kurativen Therapie und sprochen. Er betonte, es dürfe an der gesetzlichen nach dem Fehlschlagen von psychologisch wie auch Strafvorschrift, die eine Tötung auf Verlangen verbie- medizinisch korrekt angewandter palliativer Behand- tet, nicht gerüttelt werden. lung und jedesmal, wenn ein in vollem Bewußtsein 6. In einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts befindlicher Kranker nachdrücklich und unablässig der BRD vom 16.4.1964 heißt es u. a.: „Die Vernich- fordert, daß seiner Existenz, die für ihn jede Würde tung menschlichen Lebens - bei Kranken auch die verloren hat, ein Ende gesetzt wird, und wenn ein Herbeiführung des Todes - verstößt gegen die hierfür eingesetztes Kollegium von Ärzten feststellt, Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und zwar auch daß es unmöglich ist, neue spezifische Behandlun- dann, wenn die Tat aus Mitleid begangen wird. gen anzuwenden, diese Forderung befriedigt werden Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen kann die Tö- muß, ohne daß auf diese Weise die Achtung vor tung eines Menschen durch normales Gesetz weder dem menschlichen Leben verletzt wird." gestattet noch geduldet werden." Begründung (S. 8 unten): „ Was das Menschenleben 8. Eine regionale Ärztekammer in Frankreich hatte ausmacht, ist die Würde, und wenn ein Mensch nach 1990 gegen Prof. Leon Schwartzenberg, der einige langer Krankheit, gegen die er mutig angekämpft Tage lang Gesundheitsminister war, ein einjähriges hat, den Arzt bittet, ein Dasein zu beenden, das für Berufsverbot ausgesprochen, weil er in einer Zeitung ihn jede Würde verloren hat, und wenn sich der Arzt berichtete, einer unheilbar Kranken zu einem sog. dann nach bestem Wissen und Gewissen dafür ent- „sanften Tod" verholfen zu haben, was im Einver- scheidet, ihm zu helfen und ihm seine letzten Augen- ständnis mit der Patientin geschehen sei. Präsident blicke zu erleichtern, indem er es ihm ermöglicht, Mitterand hatte ihn wegen seiner Empfehlung, an friedlich für immer einzuschlafen, so bedeutet diese Süchtige durch den Staat Drogen zu verteilen, ent- ärztliche und menschliche Hilfe (die manche Eu- lassen. Prof. Schwartzenberg ist nun Mitglied des thanasie nennen) Achtung vor dem Leben." Europäischen Parlamentes und Berichterstatter des Gegen den Inhalt dieses Entschließungsantrags Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit müssen schwerste moralische Bedenken angemel- und Verbraucherschutz über Sterbebegleitung! det und Protest erhoben werden. Er ist völlig unak- zeptabel, da er ein klares Bekenntnis zur aktiven 9. Der Europarat mit seinen 18 Mitgliedsstaaten hat Euthanasie im Sinne der Tötung auf Verlangen nach zweijähriger Vorarbeit im Jahre 1976 fünf darstellt. Grundrechte der Kranken präzisiert, wobei nach- drücklich betont wird, daß der Arzt nicht das Recht habe, absichtlich den Tod eines Menschen zu be- II. Begründung des Widerstandes gegen diesen schleunigen, geschweige denn, den Tod durch ak- Antrag tive Euthanasie herbeizuführen.

26 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 10. Fragen der ärztlichen Ethik sind in den „Deklara- zu müssen. tionen" von Genf (1948), Helsinki (1964), Sydney 3. Veröffentlichte Meinungen mit dem Versuch, die (1968), Oslo (1970), Tokio (1975) erörtert und im po- moderne Intensivmedizin mit ihrer scheinbar seelen- sitiven Sinne (d. h. gegen eine Tötung auf Verlan- losen Apparatetechnik pauschal oder einseitig zu dif- gen) entschieden worden. famieren, zerstören das Vertrauensverhältnis zwi- 11. Ohne Wenn und Aber verurteilte der Weltärzte- schen Patient und Arzt. Einzelne Presseberichte bund am 5.10.1987 in Madrid die aktive Sterbehilfe werden als abschreckende Beispiele der medizini- einstimmig als unethisch. schen Behandlung hochgespielt, die angeblich eine 12. Noch immer fühlt sich ein verantwortungsbewuß- Lebensverlängerung um jeden Preis und eine Lei- ter Arzt dem Eid des Hippokrates (um 460 v. Chr.) densverlängerung über jedes Maß zur Folge hat. im Gewissen verpflichtet. Dieser Eid ist die älteste 4. Der Gnadentod als Akt der Barmherzigkeit aus Magna Charta der Pflichten für uns Ärzte. Er lautet: Nächstenliebe wird bis in die Alten- und Pflegeheime „ ... ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum hinein propagiert. Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und mei- 5. Ein weiteres Angstmotiv, das vorwiegend kranke, nem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie gebrechliche und alte Leute bewegt, ist das Gefühl, zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden. seinen Angehörigen und der Gesellschaft zur Last Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel ge- fallen zu können und als überflüssig zu gelten. (Die ben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und Suizidgefahr ist daher eine ernstzunehmende Tatsa- werde auch niemanden dabei beraten; auch werde che.) ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben." 6. Die dem Alleinschöpfer schuldige Ehrfurcht ist im Aus vorstehenden ärztlichen und juristischen Stel- Schwinden. Der Mensch möchte sich selbst auf den lungnahmen könnten die Politiker lernen. Dabei sind Thron des Schöpfers setzen, um über sich und an- in dieser Aufzählung die zahlreichen Erklärungen dere bestimmen zu können. und Hirtenworte der Kirchen nicht einmal berücksich- Der Wunsch eines unheilbar Kranken nach aktiver tigt. Euthanasie kann also nicht absolut als freier Ent- schluß gewertet werden. Viele Kranke sind darüber B. Die Todeshypothek nicht vergrößern hinaus in einer depressiven Stimmungslage. Ihr Wir alle wissen, daß die Bundesrepublik Deutsch- Wunsch ist vielmehr Ausdruck von Lebensmüdigkeit land mit einer unermeßlichen, blutigen Hypothek des (von jeder Müdigkeit kann man sich wieder erholen), Todes aus den Jahren 1939 bis 1945 belastet ist. von Vereinsamung (Isolation oder Desolation) und Wenn wir den Forderungen nach aktiver Euthanasie der Ruf nach stärkerer menschlicher Zuwendung sei- Folge leisten, vergrößern wir diese Todeshypothek ner näheren Umgebung. Im übrigen: Wer vermag nur noch, und unser Volk müßte an der Schuldenlast schon zu beurteilen, in welchem Maße ein Todkran- zugrundegehen. Gott läßt seiner nicht spotten! (Gal., ker, der nach Abkürzung seines Leidensweges ver- 6,7). Die Wahrheit klar beim Namen nennen und langt, noch bei ungestörtem Bewußtsein ist? Jeder äußersten Widerstand leisten sind die Erfordernisse Arzt sollte die einzelnen Stadien, die ein zum Tode der heutigen Zeit, in der der Geist des Materialismus, bestimmter Kranker durchmacht, kennen. Liberalismus und Pluralismus herrscht. Mitleiden ist oft schlimmer als selbst leiden. Es ist daher durchaus verständlich, daß nicht der Kranke, C. Der Mensch ist nicht gleich Bewußtsein sondern seine Angehörigen ein baldiges Ende her- Unter Punkt C in Teil A des Entschließungsantrags beisehnen. Diesem Wunsch nachzugeben, geht je- heißt es: „Die Gehirntätigkeit bestimmt die Bewußt- doch auf keinen Fall an. Ich habe auch Fälle erlebt, seinsebene, und die Bewußtseinsebene ist es, was wo Sterbenskranke ihren Angehörigen noch Trost den Menschen ausmacht." und Stärke gaben, der Vater seinem Sohn, die Mut- Dies ist eine falsche Aussage mit weitreichenden ter ihren Kindern. Konsequenzen. Wenn der Mensch erst dadurch zum Menschen würde, daß er eine wie auch immer defi- E. Sind Schmerzen wirklich sinnlos? nierte „Bewußtseinsebene" erreicht, sind Embryo- Im Teil A (unter Punkt G) liest man den Satz: „Kör- nen, Föten, Neugeborene, Menschen mit Hirnschä- perliche Schmerzen sind sinnlos und unheilvoll." den, insbesondere komatöse Patienten etc. nicht Dazu ein Kommentar: Kein Mensch will leiden, aber länger als Menschen anzusehen. er muß es bisweilen. Aber gibt es hierfür nicht einen Das Gegenteil ist richtig: Die naturwissenschaftliche, Freund, Tröster und Helfer - den Arzt? Die Schmerz- genetisch nachweisbare Zugehörigkeit zur Gattung stillung gehört neben der Angstbekämpfung und psy- Mensch und der göttliche Funke, der in jedem Men- chischen Führung zu den Grundprinzipien ärztlichen schen wohnt, reichen für sich alleine aus, ihn als Handelns. (Außerdem ist der Schmerz zunächst ein Menschen anzusehen, wie gestört die „Bewußtseins- Warnsignal. Wenn eine Wurmfortsatzentzündung ebene" des Menschen zu einem gegebenen Zeit- ohne Schmerz verliefe, würde er durchbrechen und punkt auch sein mag. eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung verur- sachen.) D. Woher kommt der Todeswunsch? Wenn schon der Schmerz einen Sinn hat, so auch Ich komme nun zu der Frage, welches die Grundmo- die Krankheit. „Krankheit ist nicht ein Segen, aber ihr tive sind, die zu dem Wunsch eines Menshen nach Dasein kann zum Segen gereichen", sagt der „Tötung auf Verlangen" mit den bestechenden berühmte Arzt Paracelsus. Ein einfaches Beispiel ist Schlagwörtern „sanftes Sterben", „sanfter Tod", das des Kettenrauchers, der nach einem Herzinfarkt, „Gnadentod", „erlösende Spritze", „menschenwürdi- den er glücklich überstanden hat, zum Nichtraucher ges Sterben", „menschenwürdiger Tod" führt, wobei geworen ist. die Begriffe geradezu ins Gegenteil pervertiert wer- Ein anderes Beispiel: Tausende von Menschen kön- den. Man muß nach der Kausalität forschen, die den nen davon berichten, wie ernsthafte Erkrankungen Gedanken an aktive Euthanasie suggestiv erzeugt. sie zur Erkenntnis des Wertes ihres Lebens geführt 1. Es ist die Verfälschung der Begriffe von „Recht haben, oftmals belegt durch Äußerungen wie: „Ich und Freiheit", das so oft zitierte Wort „Selbstbestim- lebe jetzt viel bewußter, ich bin dankbar für jeden mungsrecht" in einer liberalisierten und manipulierten neuen Tag." Gesellschaft. 2. Es ist die vitale Angst eines Menschen, in Siech- F. Sterbebegleitung tum zu verfallen und mit permanenten, quälenden Sterbebegleitung ist ein schön klingendes Wort, Schmerzen seinem irdischen Ende entgegensehen wenn sie tatsächlich bis zum Ende eines menschli-

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 27 chen Lebens praktiziert wird. Der „gefährdete Arzt" Wo bleibt bei diesen Forschungsergebnissen eine so darf aber nicht durch eine abrupte Tötungshandlung eklatante Mehrheit von euthanasiewilligen Sterbens- diese Begleitung plötzlich aufgeben! Der Arzt ist kranken? dann nicht mehr Sterbebegleiter, sondern Erfüllungs- In meiner Allgemeinpraxis habe ich keinen einzigen gehilfe eines Wunsches vonseiten seines Patienten, Fall erlebt, der mich nachdrücklich und unablässig der ihm die Vollstreckung eines Todesurteils zumu- mit der Bitte um die erlösende Spritze bedrängt tet. Wer das Antlitz eines Sterbenden nicht zu ertra- hätte. Bei aufopfernder körperlicher, seelischer und gen vermag, möge entweder seine Approbation psychologischer Betreuung, an der nicht nur der Arzt zurückgeben oder den Auftrag, einen Sterbenden und die Pflegeperson, sondern auch die Angehöri- wirklich bis zu seinem letztem Atemzug zu begleiten, gen und der Seelsorger beteiligt sind, kann das Ster- einem anderen Kollegen übertragen. ben eines unheilbaren Kranken, der lange Zeit ans Leben zu erhalten und durch eine entsprechende Krankenbett gefesselt ist, zum „Meisterstück" des Therapie menschenwürdig zu gestalten, ist ein ärztli- Patienten und seiner Betreuer werden. ches Postulat. Ein Arzt mit Wissen und Gewissen kennt aber die Grenzen der wissenschaftlichen 1. Menschenwürde Technik und wird sein Handeln (Aktivität) bzw. seine In dem Entschließungsantrag ist einleitend in Teil A Inaktivität nach ärztlich ethischen Grundsätzen aus- von der Würde und der Spiritualität als Grundlage richten. Er wird kein Interesse daran zeigen, Leiden menschlichen Lebens die Rede. Das deutsche und Schmerzen durch lebensverlängernde Maßnah- Grundgesetz fordert in Artikel 1.1.: „Die Würde des men zu verlängern, die von vornherein zum Schei- Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu tern verurteilt sind. schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Was die Verfasser des Antrags unter „Spiritualität" G. Stichwort: Organtransplantation verstehen, erläutern sie mit keinem Wort. Um so we- Ich möchte darauf hinweisen, daß es in der Bundes- niger kann man zulassen, daß dieser Begriff dazu republik Deutschland im Gegensatz zu anderen Län- benutzt wird, die Menschenwürde zu relativieren und dern noch kein spezifisches Transplantationsgesetz somit anzutasten. gibt. Die Arbeitsgemeinschaft der Transplantations- Der Mensch hat sich nicht selbst erschaffen, er hat zentren fordert, daß der näher zu definierende einen Schöpfer, dem allein es zusteht, das Leben Hirntod nach entsprechenden Kriterien von zwei Ärz- seines Geschöpfes im Tod wieder zurückzufordern. ten festgestellt werden muß. Das Gesetz soll den na- Das Verfügungsrecht steht ihm und keinem anderen hen Angehörigen das Recht zusprechen, die Organ- zu, mag er noch so großen Einfluß haben und Macht entnahme abzulehnen. besitzen. Auch eine demokratische Mehrheit kann Mit dem Bestreben nach aktiver Euthanasie, einer die Autorität des Schöpfers nicht in Frage stellen und vorzeitigen Lebensbeendigung, einem vorprogram- mißachten. Über den Begriff der Menschenwürde mierten unnatürlichen Tod wächst auch die Gefahr (auch im Zusammenhang mit „menschenwürdigem eines Mißbrauchs. Man muß ernstlich an die Versu- Sterben") herrschen oft keine klaren Vorstellungen. chung denken, den Tod eines Menschen zum Die Menschenwürde wird nicht vom Menschen ver- Zwecke der vorzeitigen Organgewinnung herbeizu- liehen, sondern entstammt dem Schöpferwillen und führen. Laut einer dpa-Meldung vom 27.8.91 ermit- dem Plan Gottes selbst. Gott hat den Menschen als telt die Staatsanwaltschaft in dieser Hinsicht gegen sein Ebenbild erschaffen (Gen. 1). Gott hat den Men- eine Ostberliner Klinik. schen unsterblich erschaffen (Ws, 2,23). Die Würde des Menschen besteht in seiner Bestimmung zum H. Taktik der Übertreibung ewigen Leben (Phil. 3,21). Vor der Legalisierung der Abtreibung in den USA Der Strafrechtler Walter Leisner gibt eine vortreffli- war eine raffinierte, lügnerische Propaganda am che Definition: „Würde behält auch der Mensch in Werk. Es wurden bewußt astronomisch hohe Abtrei- Ketten. Würde hat er bereits im Mutterleib, im Sarg bungszahlen in allen Medien verbreitet. Diese Tatsa- noch immer, wo alle Freiheit aufhört; denn die Würde che geht aus dem nachträglichen Selbstgeständnis des Menschen ist, sie handelt nicht, sie existiert von Dr. Nathanson, dem damaligen Chefarzt an der auch dann, wenn in geistiger Umnachtung die Frei- größten Abtreibungsklinik in New York hervor. heit sich selbst aufhebt." Hierzulande wenden die Medien seit 1975 die glei- Tötung auf Verlangen mißachtet die jedem Men- che Taktik bei der Euthanasiekampagne an, indem schen innewohnende Menschenwürde. Die Forde- sie die von der Deutschen Gesellschaft für humanes rung nach Freigabe der aktiven Tötung auf Verlan- Sterben (DGHS) angegebenen, überhöhten Prozent- gen spiegelt das Denken vieler Menschen wider, es zahlen angeblicher Euthanasiebefürworter (57% bis gäbe keinen Gott. Wenn es aber keinen Gott gibt, ist ca. 80%) publizieren. Die jüngste Zahl gibt Herr alles erlaubt, auch die aktive Tötung auf Verlangen. Atrott für das vereinte Deutschland mit 63% an, die sich für die aktive Euthanasie entscheiden würden, K. Zusammenfassung falls ein diesbezüglicher Vorschlag zur Legalisierung Tötung auf Verlangen, ein Homizid, darf weder von gemacht würde. In Wirklichkeit sind diese Zahlen einem Arzt noch von einer Pflegeperson praktiziert Zerrbilder, die unserer Gesellschaft vorgegaukelt werden. Es wäre Verrat am Ethos eines Berufsstan- werden, da bei diesen Meinungsumfragen lauter ge- des, der damit in Verruf kommt. Der Entschließungs- sunde (!) Leute befragt werden, bei denen der antrag und die nicht überzeugende Begründung „Ernstfall Sterben" noch gar nicht akut ist. kommt einem Attentat auf das menschliche Leben In diesem Zusammenhang sind die wissenschaftli- gleich, zudem ein Arzt dazu legitimiert werden soll. chen Untersuchungen des Sterbeforschers Dr. Wit- Der vornehmste Auftrag des Arztes - „Heilen und zel (ehem. Universität Erlangen), die mit äußerster Helfen" - wird dadurch zu einem „zum Tod Verhel- Sorgfalt durchgeführt wurden, interessant. Das Fazit fen", zum Töten pervertiert. Dahinter steht eine tod- seiner Untersuchungen fasse ich in zwei Kernsätzen bringende Ideologie, die dem christlichen Men- zusammen: schenbild widerspricht. Denken wir Ärzte an das Ge- 1. Je näher der Tod, um so mehr weicht die Angst setz Gottes und an das Grundgesetz, in dessen vor dem Sterben (Angst hatten anfangs 48%, zuletzt Präambel steht: „In der Verantwortung vor Gott" - in der Nähe des Todes nur noch 2%. niemals aktive Euthanasie! 2. Je näher der Tod, um so mehr wächst der Glaube an ein Fortleben nach dem Tod (anfangs nur 37%, in Dr. med. Georg Götz der Nähe des Todes 84%). 2. Vorsitzender der EUROPÄISCHEN ÄRZTEAKTION

28 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 DOKUMENTATION EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION IN DEN DEUTSCHSPRACHIGEN LÄNDERN E.V. Angeschlossen der WORLD FEDERATION OF DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE General Secretary: Ph. Schepens MD Serruyslaan, 76-B 8400 Ostend (Belgium) Aktionsbüro für die Bundesrepublik Deutschland Postfach 1123 D-7900 Ulm/Donau Telefon 0731 / 72 29 33 1. Vorsitzender Dr. med. Siegfried Ernst, Ulm 2. Vorsitzender Dr. med. Georg Götz, Augsburg-Neusäß

In Trauer um Deutschland Ein offener Brief an den F.D.P. Vorsitzenden Graf Lambsdorff

von Dr. med. Siegfried Ernst

Ulm, den 16. 7. 1991 der schwarzen Bevölkerung Afrikas und auch Süd- amerikas hat? An den Ministerpräsident Buthelezi erklärte mir bereits 1985 Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei, in Südafrika, als ich ihn danach fragte, woher es Herrn Graf Lambsdorff, komme, daß die Geschlechtskrankheiten unter den Thomas-Dehler-Haus, 5300 Bonn. schwarzen Frauen sich in nur zehn Jahren verzehn- facht haben (inzwischen ist die Syphilis schon bei etwa 30 Prozent der schwangeren Frauen festzustel- Betr.: Ihre Stellungnahmen zur Abtreibungsgesetz- len!), daß eine der Hauptursachen die Kontrazep- gebung und Ihre Angriffe auf Papst Johannes Paul II. tionspropaganda und die Verteilung von Antibabypil- len sei. Denn dadurch wurden die schwarzen Frauen erst recht zum reinen Gebrauchsgegenstand der se- xuellen Ausbeutung der Männer. Es entstand da- Sehr geehrter Graf Lambsdorff, durch eine so generalisierte Promiskuität, daß diese Männer jährlich wenigstens 50 Frauen verbrauchen. vielleicht erinnern Sie sich noch an mich, als ich Ih- Nun haben das manche Leute des feudalen Adels, nen nach einer Rede im Kornhaus in Ulm Informati- wie Ludwig XIV. oder August der Starke und andere onsmaterial der EUROPÄISCHEN ÄRZTEAKTION Feudalherren, die sie nachahmten, natürlich auch zum Thema der Abtreibung gab und Sie verspra- schon gemacht. Nur gab es damals noch keine Aids- chen, es durchzusehen. Erkrankung. Aber in Afrika verdoppelt sich deshalb So gut und ausgereift Ihre Ausführungen im wirt- die Aids-Infektion alle acht Monate (auch in Süd- schaftlichen Bereich meistens sind, so kindlich und afrika!) naiv und total uniformiert sind Ihre Äußerungen zur Hier ist der Wortlaut der Ausführungen des FDP-Vorsitzenden Frage der Kontrazeption und der Abtreibungsgesetz- Graf Lambsdorff, auf welche Dr. Siegfried Ernst in seinem of- gebung, ja ich möchte als langjähriges Mitglied der fenen Brief eingeht. Graf Lambsdorff tat die Äußerungen auf dem Parteitag der nordrhein-westfälischen FDP in Aachen Evangelischen Landessynode von Württemberg Ihre (22/23.6.1991; DT v. 30.4.1991) mehr als billigen Angriffe auf Papst Johannes Paul II. „Wir brauchen als Liberale nicht zu betonen, daß wir Lessings auf dem FDP-Parteitag in Aachen als eine Affen- Nathan verstanden haben. Wir treten für das Grundrecht auf schande für Sie selbst und Ihre Partei bezeichnen. freie Religionsausübung ein. Und wir haben uns Cavours klas- sische Formel „Freie Kirche im freien Staat" zum Programm Ihre „Bemühungen auf eine Begrenzung des Bevöl- gemacht. Wir sollten diese Forderung nicht vergessen. Wir kerungswachstums", die Sie offensichtlich auch dem fordern nicht nur die Freiheit in den Kirchen, wir fordern auch deutschen Volk gegenüber betreiben, das nur noch Trennung von Kirche und Staat. Das wird in einer Zeit dogma- drei Fünftel der Geburten hat, die es nur zur Be- tischer Kirchenpolitik der katholischen Amtskirche immer wich- tiger. Was sollen wir eigentlich zu einer Amtskirche sagen, de- standserhaltung benötigt, und das am schnellsten ren Oberhaupt und deren Lehrmoral unsere Bemühungen zur sterbende Volk der Welt geworden ist, sind schlicht- Begrenzung des Bevölkerungswachstums derart fundamental weg kriminell, denn sie verstoßen fundamental ge- behindert? Sollen wir eine Lehrmoral unwidersprochen lassen, gen Ihren Eid „Schaden vom deutschen Volk abzu- die uns um die Früchte unserer Entwicklungspolitik bringt? Die Angst des Papstes vor Pille und Präservativ schadet uns al- wehren"! len. Kardinal Ratzinger hat kürzlich vor dem Kardinalskolle- Haben Sie eigentlich niemals darüber nachgedacht, gium in Rom auch im Zusammenhang mit Empfängnisverhü- daß der Papst keinerlei Einfluß hat auf die Bevölke- tung von einem „Krieg gegen das Leben" gesprochen. Der Mensch erlaube sich durch Verhütungsmittel „aus dem Ge- rungsexplosion in Indien, China, den ganzen mo- heimnis des Seins zu flüchten". Wer so etwas sagt, ist gelinde hammedanischen Staaten und leider durch den gesagt, dabei, aus der Wirklichkeit moderner Gesellschaften wachsenden Einfluß von „Liberalen" und Sexapo- zu flüchten. Wer im Aids-Zeitalter gegen Präservative predigt, steln des Westens auf Afrika? Und haben Sie nie et- handelt unverantwortlich. Wenn kirchliche Moral zum Moralis- mus wird, dann wird die Kirche ein Gegner der Vernunft. Wir was davon gehört, welch verheerende Wirkungen werden laut sagen, daß wir gegen eine Kirche von gestern die Ausgabe von Antibabypillen und die Zerstörung sind." aller moralischen Ordnungen im Sexualbereich unter

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 29 Und die Kondompropaganda unserer Regierung und „Stern", „Spiegel" oder Fernsehen zu dieser Frage Politiker ist ein übler Betrug, weil sie den Leuten „Si- sagen. Das Urteil des BVG vom 25. 2. 1975, das die cherheit" vorgaukelt, obwohl die Aids-Krankheit kei- Fristenlösung eindeutig als verfassungswidrig kenn- neswegs nur durch Sexkontakte weitergegeben wird zeichnete, interessiert Sie offensichtlich nicht im ge- und die Kondome gegen Aids noch weniger schüt- ringsten. zen als gegen eine Schwangerschaft. Sie brauchen Man mußte keineswegs „katholisch" oder christlich sich also keinen Kummer zu machen wegen der Be- oder Mohammedaner sein, um über die völlige Irra- völkerungsexplosion in Afrika. Es stirbt aus, weil die tionalität und Widersprüchlichkeit Ihrer Stellungnah- Herren Politiker und auch Protestantische Theologen men den Kopf zu schütteln und insbesondere Ihr of- statt der periodischen Enthaltsamkeit und natürlichen fensichtlich sehr gebrochenes Verhältnis zum Recht Familienplanung mit vorehelicher Enthaltsamkeit und und zur demokratischen Verfassung unserer Bun- ehelicher Treue Antibabypillen und Kondome propa- desrepublik und zu unserer abendländischen Tradi- gieren! Sollte ein Papst wirklich das Aussterben Afri- tion zu erkennen. Denn der griechische Arzt Hippo- kas betreiben, wie manche Herrn Politiker, die ihn krates lebte bereits 400 Jahre vor Jesus Christus wegen seinem Einsatz für das menschliche Leben und 1000 Jahre vor Mohammed. Es handelte sich für reaktionär und dumm beschimpfen? also keineswegs um katholischen „Moralismus!" Und Lesen Sie doch endlich auch einmal die wirklichen bis zu dem Zeitpunkt, als Marxisten, Liberalisten, Na- Folgen der Antibabypillen! Ich lege Ihnen das Büch- tionalsozialisten und andere Materialisten dem lein des Schweizer Gynäkologen Dr. Rudolf Ehmann menschlichen Leben seine gottgegebene Würde und darüber bei! Wer, Herr Graf, ist denn wirklich reak- sein Lebensrecht absprachen, war der Hippokrati- tionär und „Gegner der Vernunft"?! Und wer „bringt sche Eid eine der wichtigsten Grundlagen nicht nur uns um die Früchte unserer Entwicklungspolitik"? des ärztlichen Handelns, sondern unserer gesamten Derjenige, der den Trend zur Promiskuität und damit abendländischen Kultur. das Aussterben an Aids, und die Abtreibungsfrei- Natürlich gab es die der Abtreibung zugrunde lie- gabe, wie Ihre Partei und Sie selbst, fördert, oder gende negative Einstellung zum Kind nicht erst seit derjenige, der weiß daß eine geistige und moralische heute. Die Kanaaniter im Alten Testament kannten Gesundheit und Selbstbeherrschung der Menschen mit ihren Sexorgien im Moloch- und Baalskult (der auf der ganzen Welt die primäre Voraussetzung je- Opferung und Verbrennung neugeborener Kinder) der erfolgreichen Entwicklungspolitik ist? diese Form der Bevölkerungspolitik und übertrugen Das hat ja inzwischen sogar Ihr Leibund Magenblatt, sie auf die Israeliten, so wie heute die DDR ihr Ab- der „Spiegel", gemerkt, dessen Inhaber, Herr Aug- treibungsunrecht auf die Bundesrepublik überträgt. stein, den Papst wegen seiner Stellungnahme gegen Nachdem zunächst der Versuch dieser „Fristenlö- Pillen und Antikonzeption immer verdummen und sung" 1975 am Bundesverfassungsgericht geschei- verteufeln wollte. Ich lege Ihnen die letzte Seite des tert war, machte die SPD zusammen mit der FDP fast 30 Seiten langen Berichtes über „Sex und Aids 1976 ein Gesetz zur straffreien Ermöglichung der in Afrika" bei (17.6.91), damit Sie dem Papst Abbitte Tötung ungeborener Kinder mit einer „Indikationslö- für Ihren Unsinn tun können. Wenn der „Spiegel" sung" in dem den Ärzten zugemutet wird, eine soge- heute plötzlich entdeckt, daß gegen Aids in Afrika nannte „Notlagenindikation" festzustellen. Sie sollen „im Ernst nur eine rigorose Umkehr im Sexualverhal- aber diese Feststellung treffen, ohne die sonst bei je- ten, ein augustinisches Wandlungswunder zur Leib- dem kleinen Vergehen vor einem normalen Gericht feindlichkeit und Abstinenz helfen könne, das nicht selbstverständliche Möglichkeit der Überprüfung der einem Menschen widerführe, sondern 230 Millionen im „Prozeß" gemachten Aussagen zu haben. sexaktiven Schwarzafrikanern auf einmal. Was den (Siehe dazu das Urteil des Bayerischen Obersten Missionaren nicht glückte, was weder dem Christen- Landesgerichts vom 26.4.1990, in dem an diesem tum noch dem Islam gelang, müßte nun Aids voll- Gesetz die Unmöglichkeit einer Feststellung der bringen: Die Furcht vor der Epidemie müßte die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch durch schwarze Sexualität bremsen, müßte sie domestizie- den Arzt gerügt wird, der in seiner Entscheidung ren und eindämmen, um die Seuche unter Kontrolle restlos auf die subjektiven Aussagen der betreffen- zu bekommen... Aber zu einem Lustopfer, das den den Frau angewiesen sei, weil ihm „weder ein Ermitt- Dämon Aids besänftigen könnte, ist die überwälti- lungsrecht noch eine zureichende kontrollierende gende Mehrheit der Männer nicht bereit. Im Gegen- Bewertungsfähigkeit zur Seite stehen!" (Seite 20, Ab- teil ..." schn. 5, CC).) Und Sie, Herr Graf, beschimpfen den Papst, wenn er Um dann zu verhindern, daß die Wahrheit eventuell zu vorehelicher Enthaltsamkeit und ehelicher Treue zugunsten des Lebensrechtes des ungeborenen Kin- aufruft und sich gegen die Enthemmung der Sexua- des doch ans Licht kommen kann, geben nun lität durch Antibabypillen und Kondome wendet. „An- führende SPD- und FDP-Politiker Stellungnahmen gesichts der" - laut Ihrer Stellungnahme - „wirklichen „Gegen jede Form der Schnüffelpraxis" von sich. Lage in den modernen Gesellschaften und im Aids- (SPD-Fraktionsvorsitzender Dieter Spoerri, Landtag Zeitalter" hat nun selbst der „Spiegel" erkannt, daß Bad.Württemberg und FDP-Bundesvorstand). Sie dies die einzige Chance zum Überleben für wollen also bei einem nach wie vor von Verfassung Schwarzafrika wäre. Aber Sie, Herr Graf, haben es und Strafgesetz als „Verbrechen gegen Leib und Le- immer noch nicht gemerkt! Ich hätte Sie, offen ge- ben" eingestuften Tatbestand von vornherein jede standen, für intelligenter gehalten! . gründliche Untersuchung unmöglich machen und die 17.7. 1991. Emittlungen ausschalten. Inzwischen geben Sie ja als Parteivorsitzender unun- Der Arzt soll also nach Ihrer Forderung das Todesur- terbrochen Erklärungen für die Einführung einer Fri- teil über das ungeborene Kind völlig unbesehen fäl- stenlösung mit Zwangsberatung ab. Ich sehe aus Ih- len und dabei auf jede echte Überprüfung der Anga- rer völligen Unkenntnis der wirklichen Fragen, daß ben von dessen Todfeinden verzichten. Wenn ein Sie es nicht notwendig hatten, unsere Untersuchun- normaler Richter so handeln würde, wäre er ein Ver- gen und Stellungnahmen zu diesen Problemen, die brecher, der selbst vor Gericht gehört. Der Arzt wird ich Ihnen vor zwei Jahren in Ulm übergab, anzuse- dadurch zum Killer. Aber wir Ärzte sollen entspre- hen. Ihnen genügt offensichtlich, was Ihre Damen, chend der Forderung einiger von logischem Rechts-

30 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 denken völlig unberührten Damen und Herrn Ihrer Partner weckt, der die Abtreibung erzwungen hat. Parteiführung solche Verbrecher spielen! Wir sollen Die stark erhöhte Zahl der Ehescheidungen nach uns dabei nicht um Artikel 1 des GG - Menschen- Abtreibung ist dafür Beweis genug. würde auch des ungeborenen Kindes und um Artikel 2 GG - Recht auf Leben des Ungeborenen - küm- 4) Nützt die Abtreibung dem Vater des Kindes? mern und ja nicht die in einer Frage von Leben und Die Tötung des eigenen Kindes zerstört das Gewis- Tod besonders dringlich gebotene Sorgfaltspflicht er- sen und jedes Verantwortungsbewußtsein und bruta- füllen! lisiert den Vater in allen Bereichen seines Wir sind über derartige „Politikerinnen" und „Politiker" Menschseins. Es macht ihn gemeinschaftsunfähig. und ihren grenzenlosen Zynismus, ja ihre Frechheit, Natürlich mag z.B. ein Politiker oder irgend ein ande- auch mit dem Ärztestand umzugehen, offengestan- rer im öffentlichen Leben stehender Mann es als für den fassungslos. Sie befördern mit einer Selbstver- seine Position „nützlich" ansehen, wenn das Kind ständlichkeit und totalen Irrationalität die entschei- seiner Sekretärin straffrei „weggemacht" werden denden geistigen und moralischen Grundlagen des kann, sodaß es keinen öffentlichen Skandal gibt oder Arzttums und des gesamten Gesundheitswesens zu- er selbst erpreßbar wird. Dennoch ist er dann kein sammen mit den zerfetzten ungeborenen Kindern freier Mann mehr, weil immer ein paar Menschen da- auf den Wohlstandsmüll ihrer ach so „freiheitlichen" von wissen und die heutigen Massenmedien fast im- Konsumgesellschaft! Und haben die Damen von mer Mittel und Wege finden, um sein Vergehen ans SPD und FDP eigentlich jedes Schamgefühl verlo- Licht zu bringen, oder ihn zu erpressen. ren, wenn sie ausgerechnet die deutsche Wiederver- 5) Beruhigt die Straflosigkeit das Gewissen der einigung als Hebel für die Abtreibungsfreigabe Abtreibenden? benützen! Verständlicherweise haben die meisten Frauen und Der Preis für das Ja zum Staatsvertrag war die Aner- Männer, die abgetrieben haben, das zwingende Be- kennung der Fristenlösung auch für die Frauen im dürfnis, daß die öffentliche Verurteilung und Bedro- Westen, wenn sie in der DDR abtreiben lassen! Also hung ihres Verhaltens durch das Strafgesetz und die Tausende von zerfetzten ungeborenen Kindern mehr Gerichte aufgehoben wird und ihr Verbrechen legali- als Morgengabe für die DDR und den Staatsvertrag! siert wird. Sie scheinen zu glauben, daß Abtreibung Und selbstverständlich sollen die Krankenkassen dann kein Verbrechen mehr sei. Wie groß dieses Be- auch noch diese Abtreibungen bezahlen, weil sie ja dürfnis nach Rechtfertigung ihrer Schuld durch Be- nun durch Parlamentsbeschluß zweieinhalb Jahre seitigung des Strafgesetzes ist, kann man an dem lang in der DDR „nicht rechtswidrig" seien! Kann krankhaften hysterischen Fanatismus erkennen, mit man überhaupt noch tiefer sinken? Welch ein ehrlo- dem sie gegen alle Lebensrechtsgruppen kämpfen. ser Haufen sind unsere Parlamentarier geworden? Ihre Schuld aber werden sie niemals dadurch los. Als Preis für die Zustimmung zur Wiedervereinigung fordern sie die freie Ermordung von ungeborenen 6) Nützt die Abtreibung den Ärzten? deutschen Kindern ! Natürlich gibt es Mediziner, wie den Herrn Theissen Ist es wie in jedem Kriminalfall, daß wir die Frage aus Memmingen, die sich durch Abtreibungen ein stellen müssen: „Cui bono?" Wem nützt dieses krimi- Vermögen erworben haben. Die Ärzteschaft als nelle Theater eigentlich? Ganzes aber verliert durch die Duldung dieser Em- Wir wollen diese Frage bei allen Beteiligten einmal bryonenkiller in ihren Reihen als „Kollegen" ihre Ein- untersuchen: heit, ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Öf- fentlichkeit und der Patienten. Dies umso mehr als 1.) Nützt die Abtreibungsfreigabe dem Kind? die Tötungsfreigabe am Beginn des menschlichen Das wird doch wohl niemand ernsthaft behaupten Lebens auch immer zur Freigabe der Tötung am wollen! Daß das Getötetwerden jemandem nützt! Ende des Lebens, also zur „Euthanasie" führt. In Selbst das behinderte Kind will leben und gerade die Holland wächst deshalb die Angst vieler alter Men- Behinderten sehen in der derzeitigen Abtreibungs- schen vor den Ärzten, weil es bereits Tausende von praxis gegenüber behinderten Kindern eine nazisti- Euthanasiefällen dort gibt. Eine Ärzteschaft ohne sche Degradierung ihres Menschseins und ihres Standesethos und Standesehre verliert automatisch Rechtes auf Leben. auch ihre besondere Stellung in einem Volk und wird 2) Nützt die Fristenlösung der schwangeren dann zum Gesundheits- und Tötungsfunktionär, im Frau? Sinne der kommunistischen Ideologie. Deutschland Das kann wiederum nur derjenige behaupten, der stirbt deshalb an seinen lebensverhindernden, Pillen von den Konsequenzen einer Abtreibung für die be- verschreibenden und abtreibenden Medizinern. troffenen Frauen keine Ahnung hat oder haben will. Damit stellt sich die nächste Frage: Da sind nicht nur die 25 - 35% Komplikationen beim Eingriff auch in den Kliniken, sondern auch die teil- 7) Nützt die Abtreibungsfreigabe der Volksge- weise schweren psychischen Folgen bei ca 80% der sundheit und dem Leben unseres Volkes, oder betreffenden Frauen, die manchmal erst nach Jah- wird der Politiker am Ende meineidig, der geschwo- ren und Jahrzehnten sichtbar werden. Dabei weiß ren hat „Schaden vom Deutschen Volk abzuwen- niemand vorher, welche Frau davon betroffen sein den", wenn er für die Freigabe der Abtreibung ein- wird, oder ob etwa das junge Mädchen, bei dem man tritt? eine Abtreibung durchführt, dadurch zeitlebens steril Angesichts der Tatsache, daß wir durch Pillenknick wird. Die Geburt des Kindes ist auf jeden Fall das und Abtreibung ein Drittel Geburten zu wenig haben, kleinere Risiko. Ich habe in über 50 Jahren ärztlicher um nur den Bestand unseres Volkes zu erhalten, Tätigkeit zwar schon sehr viele schwer geschädigte braucht man diese Frage nicht mehr zu diskutieren! Frauen gesehen, aber noch keine einzige, der eine Wenn der Nationalsozialismus aus falschen Motiven Abtreibung wirklich ihre Probleme gelöst hätte. heraus „Bevölkerungspolitik" machte, ist dies kein Grund das Gegenteil zu tun! Die Ersetzung des Sat- 3) Nützt die Abtreibung der Beziehung der Part- zes „Gemeinnutz geht vor Eigennutz" durch die Pa- ner zueinander? role „Eigennutz geht vor Gemeinnutz" und „Mein Das Gegenteil ist der Fall, weil sie die Achtung vor- Bauch gehört mir!" ist um kein Haar besser, im Ge- einander zerstört, ja in vielen Fällen Haß auf den genteil.

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 31 8) Einen offenkundigen Vorteil gene falsche Verhalten zur öffentlichen Norm ma- versprechen sich allerdings alle materialistischen chen, um sich selbst rein zu waschen? - Oder wollen Ideologen von der Abtreibungfreigabe: sie aus ideologischen Gründen ein antichristliches Ihr gemeinsamer Kampf gegen den Glauben an den Menschenbild durchsetzen im liberalistischen, kom- Schöpfergott der Bibel braucht den sichtbaren Be- munistischen oder nationalsozialistischen Sinn? weis, daß der Mensch nicht zum „Ebenbild Gottes" Bei einer genauen Analyse bleibt also nur die per- erschaffen wurde, sondern lediglich „eine Art Him- sönliche Befangenheit jener Politikerinnen und Politi- beere oder wuchernde Substanz" (ehem.Präsident ker, die für die Freigabe der Tötung von jährlich jetzt des BVG Zeitler) „ein molchähnliches Gebilde" schon 400.000 deutschen Kindern kämpfen! Und die (Verch, Sexualkunde) eine „Art Qualle oder Kaul- ideologischen Zielsetzungen der Atheisten... Oder quappe" (Sebastian Hafner im Stern), „Schwanger- können Sie mir ehrlicherweise irgend einen anderen schaftsgewebe" (Uta König im Stern), „Denkende vernünftigen Grund für die Genehmigung dieses Materie" (Josef Stalin), „Kloß" oder „Zellklumpen" Wahnsinns nennen? - usw. sei. Und dann gestatten Sie mir die Frage: Was ist der Wenn man eine Mutter und den Vater des ungebo- Unterschied zwischen Ihrem Kampf für die Freigabe renen Kindes veranlasst, ihr Kind abradieren oder der Massenliquidation an ungeborenen Kindern und absaugen zu lassen und es in den Abfalleimer zu be- den Massenmorden der Nazis? Etwa nur der, daß fördern, so führt man ihnen diesen materialistischen diese ihre Morde streng geheim machten in einer to- Gedanken sichtbar vor Augen und macht, daß sie talen Diktatur in einem totalen Krieg, und daß Sie eine Todsünde gegen den Schöpfer begehen und selbst jedermann die gesetzliche Erlaubnis zu Mas- sich dadurch von ihm radikal sondern (Sünde). Der sentötungen (Mediziner) demokratisch parlamenta- Mensch ohne Gott aber verliert jede Orientierung risch in aller Öffentlichkeit geben. und den Sinn seines Lebens und wird von anderen Oder glauben Sie, man könne das Menschsein mit total abhängig. Er verliert nach der inneren Freiheit dem Meterstab messen, und ein ungeborenes Kind auch die äussere. Dies ist eine der Wurzeln jeder sei deshalb noch kein Mensch, weil es klein ist? Von Diktatur. wieviel Zentimeter ab ist es dann ein Mensch? - Wir Mit Pornographie und Abtreibung beseitigt man des- fordern Sie deshalb zu einer öffentlichen Diskussion halb am schnellsten das christliche Menschenbild mit uns Ärzten auf, die sich mit dieser Frage auf Wel- aus den Völkern und ersetzt es durch das marxi- tebene seit über zwanzig Jahren beschäftigten. stisch-liberalistische oder auch nazistische Bild vom Insbesondere fordern wir eine klare Antwort auf fol- Menschen als Grundlage der Gesellschaft. gende Fragen: Das ist der eigentliche Grund, daß die Abtreibung in a) Ist das ungeborene Kind ein Mensch oder ein allen Ländern freigegeben wird, in denen eine sozia- Spulwurm, den man auf Krankenschein als „Krank- listische Regierung die Macht ergreift. Darum soll heit" abtreiben darf? Waren Sie einmal „eine Art auch das Kernstück des kommunistischen Men- Qualle oder Kaulquappe" oder immer Sie selbst? schen- und Weltbildes - der Mensch ein Stück Mate- b) Wenn Sie zugeben, daß der Mensch von Anfang rie - nun mit Hilfe der DDR bei uns zur Grundlage an nur Mensch ist, hat er dann einen vollen An- unserer Gesetze gemacht werden. spruch auf das Recht auf Leben oder nicht? Der rassistische-nationalsozialistische Grund für die c) Hat die schwangere Frau ein Anrecht auf gesetz- Freigabe der Abtreibung ist die bewusste Dezimie- lichen Schutz gegen jede Erpressung, den ihr der rung und Vernichtung anderer Völker und Rassen. frühere § 218 bot, hinter dem sie sich und ihr Kind im Deshalb wollte Hitler und Bormann die Abtreibung Notfall verschanzen konnte mit dem Hinweis an die und Kontrazeption in den besetzten slawischen Ge- Erpresser: „Ich lasse mich doch euretwegen nicht bieten Osteuropas einführen und Kaltenbrunner er- einsperren!" ließ im Juni 1943 den Erlaß über die Freigabe der d) Hat das deutsche Volk und die Öffentlichkeit ein Abtreibung bei Frauen aus Rußland und Polen, die Recht auf ein Gesundheitswesen, das nach klaren bei uns zum Arbeitseinsatz deportiert waren. ethischen Normen die Menschen behandelt und Und betonte in der Weihnachtsaus- heilt, oder müssen sich die Patienten vor geldschin- gabe des Spiegel 1987 („Ein Stellvertreterkrieg"): denden medizinischen Killern, für die es keine Maß- „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen stäbe von Recht und Unrecht mehr gibt, fürchten? die Fristenlösung ist schon deshalb unverständlich, (Ein „Killer" ist ein Mann, der auf Bestellung gegen weil ja in USA die Fristenlösung eingeführt wurde, Bezahlung Menschen tötet!) nicht zuletzt wegen der zu vielen schwarzen Babies." e) Ist das absichtliche Krankmachen und Krank- ...Sicherlich ist dies auch bei manchem der ausländi- schreiben einer vorher kerngesunden Frau und die schen Verfechter und Förderer der Fristenlösung für Finanzierung dieser „Krankheit" mit Krankenkassen- die Dezimierung des Deutschen Volkes mit Hilfe ih- beiträgen und Arbeitgebergeldern Versicherungsbe- rer deutschen Kollaborateure ein durchaus verständ- trug oder nicht? licher Grund für die öffentliche Propagierung der Fri- f) Hat auch der Vater ein Anrecht auf das Leben sei- stenlösung. nes Kindes? Mit dem Schicksal „armer Frauen", denen man an- g) Hat das deutsche Volk als Ganzes auch ein Recht ders meistens helfen könnte, hat dies alles aber auf Kinder und auf Zukunft? nicht das geringste zu tun! Cui bono? In wessen In- h) Glauben Sie tatsächlich, daß der Mensch ein rei- teresse sind die Damen und Herrn der FDP und SPD nes Zufallsprodukt - nach Josef Stalin nur „Den- also bereit, selbst den Einigungsvertrag platzen zu kende Materie" - ist, und was denken Sie demzu- lassen, wenn man ihre verfassungswidrige Forde- folge über Sinn, Würde und Lebensrecht Ihrer eige- rung auf mindestens zeitweise Außerkraftsetzung nen „Zufalls"existenz? Sind Sie sicher, daß Sie Ihr unseres Grundgesetzes und Strafgesetzes nicht er- Dasein nicht ebenso, wie ein Sebastian Bach (14. füllt? Kind = soziale Indikation) oder ein Beethoven (gene- Wollen sie gewählt werden von den Abtreibern? Und tische und medizinische Indikation) und viele andere, sind sie deshalb bereit die Zukunft von „Deutschland auch heutige Politiker, dem Abtreibungsverbot ver- einig Vaterland" auf dem Altar ihres Parteiegoismus danken? im wahrsten Sinne zu opfern? Oder wolle sie das ei- i) Sollte aber der Mensch auch nach Ihrer Meinung

32 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Geschöpf eines- nicht unbedingt von der Kirche defi- was zu diesem Thema in I.Mose 9, Vs 6; 3.Mose 18, nierten - Schöpfers sein, glauben Sie dann nicht Vs 21; 3.Mose 20, Vs 1 - 5; 5.Mose 27, Vs 25; 1 .Kö- auch, daß dieser Schöpfer ein Anrecht auf das Le- nige 11, Vs 7; 2.Könige 16, Vs 3; 2.Könige 21, Vs 6; ben seines Geschöpfes besitzt und wir es deshalb 2.Könige 24, Vs 4; Psalm 139, Vs. 16; Sprüche 31 , nicht einfach in den Wohlstandsmüll befördern dür- Vs 8 und 9; Jesaja 57, Vs 5; Jeremia 1, Vs 5; Jere- fen? mia 7, Vs 31; Jeremia 19, Vs 3 - 5 und Vs 9; Jere- j) Wenn aber bei einer Abtreibung das ungeborene mia. 32, Vs 35 und ff; Hesekiel 16, Vs 35 ff; Hese- Kind der Vater, der Arzt, das Volksganze, und der kiel 20, Vs 26 und 31; Apostelgesch.7, Vs 43 steht! Schöpfer außer der schwangeren Frau noch existen- Und Jesus selbst hat nirgends ein so scharfes Urteil, tiell beteiligt sind, wieso haben Sie die Frechheit, so wie gegen jene, die die Kleinen schädigen. „Ihnen zu tun, als ob die Abtreibung nur die Frau anginge gehört ein Mühlstein um den Hals und sie müßten im und deshalb ausschließlich eine „Frauenfrage" sei. Meer ersäuft werden, wo es am Tiefsten ist!" Was gibt Ihnen das Recht, im Namen aller Frauen (Matth.18, Vs 6 und 7) und die Offenbarung Johan- Ihre gesetz- und verfassungswidrigen Forderungen nes ist voll vom Gericht über die Mutter aller Greuel, in die Welt hinauszuposaunen und damit alle wirkli- die Hure Babylon usw. chen Mütter und Frauen kollektiv zumindest als po- Wie wäre es, wenn Frau Funcke, Frau Däubler Gme- tentielle Abtreiberinnen zu diskriminieren?! lin, Frau Adam Schwätzer, usw. einmal eine Bibelar- Diese Anmassung als Sprecherinnen der Frauen beit über diese Stellen halten würden und ihren Be- aufzutreten ist eine groteske Lüge, die sich Millionen zug zum Schicksal Israels und auch der jüngsten von Frauen auch heute noch schärfstes verbitten. Es deutschen Geschichte herstellen würden! ist auch eine Beleidigung gegen Ihre Mütter, die Sie Was aber wird mit unserem ganzen Volk und Eu- selbst zur Welt gebracht und Sie nicht abgetrieben ropa, wenn diese Zusammenhänge nicht aus der haben. Luft gegriffen wären. Denn man kann ein neues ge- Sie haben mit der Frage der Deutschen Wiederverei- meinsames europäisches Haus mit einem neuen nigung, die jedem Deutschen eines der wichtigsten deutschen Stockwerk weder auf einem pornographi- Anliegen ist, die verfassungs- und gesetzwidrige schen Misthaufen noch auf den zerstückelten Lei- Freigabe der Abtreibung auch für die Frauen der chen von jährlich 500.000 ungeborenen Kindern auf- Bundesrepublik im wahrsten Sinne erpresst. Das ist bauen! Wie dumm, verkommen und erpressbar muß zu tiefst widerwärtig und schmutzig und offenbart man eigentlich sein, um eine solche Wiedervereini- den primitiven „Charakter" der Erpresserinnen und gung noch zum Nationalfeiertag zu machen, wenn Erpresser, aber auch den inneren Zustand derjeni- der „Zorn Gottes" der Preis ist, den wir dafür erneut gen, die sich erpressen lassen!. Es spielt dabei keine zu bezahlen haben?! grundsätzliche Rolle, ob diese Aufhebung des Dieser Fluch aber wird uns alle und unsere Kinder Grundgesetzes für zwei oder fünf Jahre beschlossen und Enkel treffen, wenn wir nicht bereit sind zur radi- wurde. kalen Umkehr! Sind wir eigentlich nicht mehr fähig Sie haben damit jedenfalls das unschuldige Blut von die Zeichen auf der Erde und am Himmel zu erken- Tausenden ungeborener westdeutscher Kinder und nen, daß es bereits 12 Uhr ist?! - ihre zerfetzten Körperchen zur Grundlage der deut- Ich bin der letzte, der eine arme Frau in Verwirrung schen Wiedervereinigung gemacht und diese Wie- und Not, die von ihrer Umgebung dazu gedrängt dervereinigung damit von vorne herein mit Gottes wurde, ihr eigenes Kind töten zu lassen, verurteilen Fluch beladen. würde. Die erpressenden Erzeuger und die die Tö- Zwei der Hauptvertreterinnen der Abtreibungsfrei- tung gegen Geld durchführenden Killerärzte sind viel gabe geben sich in der Öffentlichkeit als evang. Chri- schuldiger und müssten vor allem hart bestraft wer- stinnen aus: Frau Anneliese Funcke (FDP) war lange den. So lange aber falsches Parken bestraft wird, Jahre Mitglied der EKD-Synode und Frau Herta muß auch die Tötung eines Menschen bestraft wer- Däubler Gmelin, SPD Vizepräsidentin hält Bibelstun- den, wenn sich unsere gesamte Rechtsordnung den auf dem Deutschen Evang.Kirchentag. Wenn nicht ad absurdum führen soll. Dies umso mehr als die beiden Damen die Bibel einmal gelesen hätten, in einer pluralistischen Gesellschaft allein das Straf- würden sie feststellen können, daß der bereits er- gesetz noch als Verhaltensnorm respektiert wird, an wähnte Kult des Götzen Moloch und Baal als dama- dem man das eigene Verhalten - auch aus Furcht lige Sexualkulte, die genau wie der heutige Sexkult vor der Strafe - ausrichtet. Wenn man durch „Bera- zur Vernichtung des Lebens der ungewollten Kinder ten" allein ein richtiges Verkehrsverhalten erzeugen führten (die man damals nach der Geburt dem Göt- könnte, bräuchte man keine Verkehrsgesetze und zen in die glühend gemachten Arme legte) als der Strafen bei falschem Verhalten. Das gilt aber für alle schlimmste Greuel, der überhaupt möglich ist, ge- Lebensbereiche. Darum haben wir ein Grundgesetz kennzeichnet wurde, um dessentwillen Gottes Zorn und die darauf fussenden Strafgesetze. und Gericht über Israel kam, so wie die Massen- Unser einziger Wunsch ist es von Männern und morde und die Verneinung des Rechtes auf Leben Frauen regiert zu werden, die entsprechend dem im Dritten Reich das Gericht über uns heraufführten. Grundgesetz in der Verantwortung vor Gott ihre Ent- Unter den mindestens 30 Stellen in der Bibel, die scheidungen treffen und die sich für Lebensrecht diese Aussage machen, möchte ich nur die von und Zukunft Europas entscheiden entsprechend je- Psalm 106 erwähnen, wo es ab Vers 38 heißt: ner für alle Völker gültigen Forderung in der Bibel: (5. „...Und sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den Mose 30, Vs.19und20:) bösen Geistern und vergossen unschuldiges Blut, „Ich nehme Himmel und Erde über Euch zu Zeugen: das Blut ihrer Söhne und Töchter, die sie opferten Ich habe Euch Leben und Tod, Segen und Fluch vor- den Götzen Kanaans, sodaß das Land mit Blut- gelegt, damit Du das Leben erwählst und am Leben schuld befleckt wurde. Sie machten sich unrein mit bleibst, du und deine Nachkommen, indem ihr den ihren Werken und wurden abtrünnig durch ihr Tun. Herrn euren Gott liebt und seiner Stimme gehorcht Da entbrannte der Zorn des Herrn über sein Volk und ihm anhanget!.." und sein Erbe wurde ihm zum Abscheu. Er gab sie in Ich habe mich lange gescheut, diese Botschaft in al- die Hand der Heiden..." ler Schärfe den Verantwortlichen in Deutschland im Vielleicht nehmen Sie sich die Mühe und lesen nach, Auftrag und Namen Gottes zu sagen. Denn ich

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 33 hasse alles falsche und schwärmerische Propheten- Fristenlösung - wenn auch angeblich nur für zweiein- tum, das sich ein solches Amt anmaßt. halb Jahre - wenden. Wir glauben, daß jene letzten Nachdem ich aber die Führung und Bewahrung Worte Josuas an das Volk Israel auch immer noch Gottes in meinen 76 Jahren in einer so überwältigen- für das deutsche Volk und Europa Gültigkeit haben, den Weise und auch für meine ganze Umgebung er- wenn er in Josua Kapitel 24, Vs 14 sagt: „So fürchtet kennbaren Art erfahren habe und auch der „Fluch" nun den Herrn und dient ihm treulich und rechtschaf- Gottes und Christi in so schrecklicher Weise sich an fen und laßt fahren die Götzen, denen eure Väter ge- unserem Volk in der vergangenen Katastrophe er- dient haben jenseits des Euphratstroms und in Ägyp- füllte, muß ich Ihnen und Ihrer Partei das sagen, was ten, und dient dem Herrn. Gefällt es euch aber nicht ich heute morgen beim Aufschlagen meiner Bibel im dem Herrn zu dienen, so wählt euch heute, wem ihr Propheten Hesekiel, Kapitel 3, Vers 17-19 fand, wo dienen wollt: Den Göttern, denen eure Väter gedient es u.a. heißt: haben jenseits des Stroms oder den Göttern der „Du sollst sie in meinem Namen warnen. Wenn ich Amoriter in deren Land ihr wohnt!" Übersetzt auf un- den Gottlosen sage: Du mußt des Todes sterben! sere Zeit heißt dies: den modernen Sexual- und Ab- Und Du warnst ihn nicht, und sagst es ihm nicht, um treibungsgötzen! Das neue Deutschland hat im den Gottlosen vor seinem gottlosen Weg zu warnen, Staatsvertrag mit der Annahme des Tötungsgeset- damit er am Leben bleibe - so wird der Gottlose um zes erneut den Tod gewählt! Wir aber möchten uns seiner Sünde willen sterben, aber sein Blut will ich an jenen Worten Josuas ausrichten: von Deiner Hand fordern. Wenn Du aber den Gottlo- „Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen!" sen warnst und er sich nicht bekehrt von seinem gottlosen Wesen und Wege, so wird er um seiner In tiefer Trauer um Deutschland und seine Politiker! Sünde willen sterben, aber Du hast Dein Leben er- i.A. der WORLD FEDERATION OF DOCTORS rettet!" WHO RESPECT HUMAN LIFE Dies ist der tiefste Grund, der mich und viele meiner Freunde veranlaßt, wenn wir uns gegen jene Ent- Dr.Siegfried Ernst scheidung für das kommunistische Mordgesetz der Vizepräsident (Ulm)

Antwort

Dr. Otto Graf Lambsdorff gegen Bevölkerungsexplosion Ihr eigenes gedankli- Bundesvorsitzender der F.D.P. ches Konstrukt. Herrn Leider sind die ganzen elf Seiten Ihrer Ausführungen Dr. med. Siegfried Ernst von Polemiken dieser Art durchzogen, die der Wich- WORLD FEDERATION OF DOCTORS tigkeit der Fragen des Schutzes von ungeborenem WHO RESPECT HUMAN LIFE Leben nicht angemessen sind. Postfach 1123 Ich möchte Sie mit diesen wichtigen Zeilen darauf 7900 Ulm Bonn, den 31.7.1991 hinweisen, daß unser Gesetzentwurf zur Reform des mb-hk § 218 auf die Verhinderung von Abtreibungen zielt. Wir setzen an die Stelle moralischer Verurteilung Sehr geehrter Herr Dr. Ernst, und Strafe konkrete Hilfestellungen für die Frau im haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 16. Juli Schwangerschaftskonflikt. Dazu gehört die Bera- tungspflicht, dazu gehört aber auch ein Rechtsan- 1991. spruch auf einen Kindergartenplatz und vieles an- Gerne erläutere ich Ihnen die von Ihnen angespro- dere mehr. chenen Ausführungen zur katholischen Kirche in meiner Rede auf dem Landesparteitag der F.D.P. in Ich bin der Auffassung, daß Ihre Begriffe wie „Mord- Aachen. Ich habe dort kritisch Stellung bezogen ge- gesetz" weder in der Sache zutreffen, noch von Dia- gen die generelle Ablehnung von Verhütungsmitteln logbereitschaft und Toleranz zeugen. in der Moraltheologie der katholischen Amtskirche. In Ihrem Eifer haben Sie dabei übersehen, daß ich da- Mit freundlichen Grüßen bei gar nicht zu den Fragen des Schutzes des unge- borenen Lebens gesprochen habe. So ist der ab- surde Vorwurf, ich beträchte Abtreibung als ein Mittel Lambsdorff

Auszug aus dem 2. Schreiben an den Vorsitzenden der FDP Dr. Otto Graf Lambsdorff:

Zum Abtreibungsgesetzentwurf der F.D.P. Tötungen eintreten kann. Denn die Fristenlösung ist Ulm, den 10.9.1991. in der ehemaligen DDR längst zum Mittel der Gebur- tenkontrolle geworden, sodaß manche Frauen 2 bis 3 mal im Jahr abtreiben lassen! Ich bin allerdings der Meinung, daß man nicht gleichzeitig mit einem Gesetzentwurf, wie dem der Man kann einen derartigen Zustand nicht mehr durch FDP, den Sie mir dankenswerter Weise zusandten, soziale Hilfen allein ändern.'MAN BRAUCHT HIER sowohl für die völlige Freigabe der Tötung der unge- DAS STRAFGESETZ, wenn man sich nicht lächer- borenen Kinder, als auch für die Verhinderung dieser lich machen will!

34 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Ehrlicher Dialog statt semantischer Betrüge- Kinder auf die Welt kommen! reien! Wie wäre es, wenn der Bundestag nicht nur das Ich erlaube mir, Ihnen ein Exemplar der „Ulmer Ärz- Geld für den folgenfreien Sexkonsum zur Verfügung tedenkschrift" zur Frage der Geburtenkontrolle aus stellen würde, sondern auch uns Ärzten noch das dem Jahr 1964 beizulegen, die immerhin von 45 Uni- Recht geben würde, eine Flasche Pikkolo zur Steige- versitätsprofessoren und 400 Ärzten unterzeichnet rung des Vergnügens mit aufzuschreiben! Sekt galt wurde, darunter 90% der Frauenklinikchefs von Ba- bei uns bei bestimmten Erkrankungen immer schon den-Württemberg, also der führenden Frauenärzte. auch als Arzneimittel! Sie sehen daraus, daß wir diesen „Dialog" um Kon- Diese Schizophrenie ist allerdings nicht nur ein trazeption und Abtreibung schon seit 27 Jahren Kennzeichen der FDP Politik in dieser Frage, in der führen. Da aber alle unsere Argumente und die in- es um die Degradierung der menschlichen Zweige- zwischen übererfüllten Prognosen einfach in den schlechtlichkeit zum reinen Lustkonsumartikel geht, Papierkorb wanderten, weil die Verantwortlichen sich sondern gilt genau so für weite Kreise in der CDU: nie die Mühe machten, diese Fragen einmal wirklich durchzudenken, sondern fast immer mit Allgemein- Man will auch in der CDU die Wahrheit nicht wis- floskeln und Schlagworten, wenn überhaupt, antwor- sen! teten, bitte ich Sie zu verstehen, daß dann auch auf Beim Bundesparteitag der CDU in Wiesbaden 1989 unserer Seite sich an manchen Stellen eine „polemi- wurde beispielsweise 10 Stunden über die Abtrei- sche" Reaktion einstellt, wenn wir immer dieselben bung diskutiert, ohne daß man einen einzigen wirkli- unwahren Parolen und semantischen Betrügereien chen wissenschaftlich legitimierten Fachmann spre- zu hören bekommen. Wir mußten in diesen 27 Jah- chen ließ. Da die Redezeit auf 3 Minuten begrenzt ren zwangsläufig zur Überzeugung kommen, daß in war, konnte auch niemand die ganze Problematik in solchen, auch jeden Politiker persönlich berührenden ihrem Gesamtzusammenhang aufzeigen. Mein An- Fragen, die persönliche Befangenheit, so verbreitet trag als Vizepräsident der WORLD FEDERATION ist, daß ein ehrlicher „Dialog", der, wie Sie schreiben, OF DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE, die „der Wichtigkeit der Fragen des Schutzes von unge- jetzt mit insgesamt etwa 350.000 Ärzten in 63 Län- borenem Leben angemessen ist" gar nicht mehr ge- dern vertreten ist, und als stellvertr. Delegierter des führt werden kann, zumal es der FDP, wie ich aus Kreises Ulm sprechen zu dürfen (ein Delegierter aus dem Gesetzesantrag sehe, ja gar nicht um einen ef- dem Kreis hatte den Parteitag verlassen müssen), fektiven „Schutz" für die ungeborenen Kinder geht, wurde besonders durch Herrn Geißler und Späth tor- sondern lediglich um soziale „Hilfen", was etwas völ- pediert, sodaß kein einziger Arzt zu der Thematik in lig anderes ist, als strafgesetzlicher „Schutz". Denn zehn Stunden sprechen konnte. Das Parteivolk re- eine Caritasstelle kann niemals dem ungeborenen dete deshalb völlig uninformiert und ohne wirkliche Kind „Schutz" gewähren und Pro Familia erst recht Sachkenntnis mit den üblichen Schlagworten. Herr nicht, nachdem sie ja eng liiert ist mit der amerikani- Wallmann, Herr Geißler, Herr Späth und auch Herr schen Abtreibergesellschaft „Planned Parenthood", Kohl, genau so, wie Frau Süßmuth und andere Da- die für 1,5 Millionen Tötungen in USA im Jahr mit men waren überhaupt nicht daran interessiert, daß verantwortlich ist. die volle Wahrheit in dieser Frage auf den Tisch In dem beiliegenden Flugblatt habe ich einige der se- kam, die die Partei evtl. zu Konsequenzen gezwun- mantischen Betrügereien vom Wort „Schwanger- gen hätte. Wenn dies aber schon „am grünen Holz schaftsabbruch", angefangen bis hin zum Wesen geschieht" bei den „Christdemokraten, was soll des ungeborenen Menschen, dargelegt: dann erst „am dürren Holz" der Liberalen Vernünfti- ges in dieser Frage passieren? Ein weiterer Betrug der Öffentlichkeit. Es ist ein zusätzlicher Betrug der Öffentlichkeit, Bundestagshearing als unabdingbare Vorausset- wenn man ständig versucht mit der Parole „helfen zung eines Gesetzes! statt strafen" einen Gegensatz und eine falsche Al- Ich bin auch bereit mich für evtl. unsachliche Polemi- ternative zu konstruieren, die es gar nicht geben ken in meinem Brief zu entschuldigen, wenn uns die kann, da auch das Strafgesetz für die Frau und ihre FDP den Beweis für die Ehrlichkeit ihres Bemühens - Umgebung eine wesentliche Entscheidungs-„hilfe" die Zahl der Abtreibungen zu verringern, und nicht darstellt, und das durch das Strafgesetz entschei- im Gegensatz dazu, die Abtreibungen nur, wie bei dend mit bestimmte öffentliche und persönliche Un- der Gesetzgebung 1976, möglich zu machen - gibt, rechtsbewußtsein der mit wichtigste „Schutz"-faktor indem sie bereit ist, zu einem ausführlichen Hearing für das ungeborene Kind ist. zu dieser Frage mit internationalen Fachleuten und Denn selbstverständlich braucht es Hilfe und Wissenschaftlern. Denn seit dem Hearing 1974 sind Schutz! Alle sozialen Hilfen, die jeder vernünftige immerhin 17 Jahre vergangen und wir hatten damals Mensch will, bleiben immer nur „Hilfen" aber sind ja längst nicht die Erkenntnisse und Erfahrungen niemals ein gesetzlicher „Schutz". Die bewußte Ver- auch auf internationaler Ebene, die wir heute haben. wechslung dieser Begriffe ist ein grober semanti- Und ausserdem sind nur noch wenige der Abgeord- scher Betrug, den eigentlich jeder intelligente neten im Bundestag, die das damalige Hearing mit- Mensch bemerken müßte! erlebten! Man könnte damit diese Lebensfrage unse- res Volkes und der ganzen westlichen Welt von ei- Auch die Behauptungen über eine Verringerung nem reinen Parteigezänk wegverlagern und „ver- der Abtreibungszahlen in den Niederlanden sind sachlichen". Wer über Leben und Tod einzelner frei aus der Luft gegriffen! Menschen und des ganzen Volkes zu entscheiden Denn erstens gibt es dort keinerlei genaue Statisti- hat, muß mehr als in jeder anderen Frage wissen, ken über die Abtreibungszahlen und zweitens läuft um was es in Wirklichkeit geht. Dazu gehört auch, ein großer Teil der Abtreibungen dort unter der Dia- daß man sich eine Abtreibung z.B. im Ultraschallbild gnose „Menstruations-Regulierung"! Die unentgeltli- einmal ansieht und sich nicht vor solchen Bildern che Abgabe von Antibabypillen usw. zeigt die ganze drückt. Darum müßte der Film des früheren Chefs Schizophrenie dieser lebensfeindlichen Sex-Ge- der größten Abtreibungsklinik der westlichen Welt, sellchaft auf: Professor Dr. Bernhard Nathanson , New York, Der Denn, auf der einen Seite will man Milliarden aufwen- stumme Schrei, von jedem Abgeordneten ange- den, um mehr Kinder zu bekommen und auf der an- schaut werden. deren Seite Milliarden dafür bezahlen, daß weniger Wir haben deshalb allen Abgeordneten eine Video-

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 35 kassette des Filmes zugesandt. zusätzlich abtreibenden Frauen offensichtlich doch In einer solchen Anhörung müßte der führende Mole- früher mit dem Strafgesetz davon abhalten! kularbiologe Europas, Professor Jerôme Lejeune, Oder können Sie mir irgend einen anderen sachli- Univ. Paris, wenigstens eine halbe Stunde sprechen chen Grund sagen, wieso solche für die Entschei- können über das Wesen des Menschen (ab wann ist dung grundlegenden Untersuchungen bewußt nicht ein Mensch ein Mensch). Ebenso müßte Professor gemacht werden? Pierre Chaunu aus Paris als Historiker und führender In meiner über 50jährigen Beratungspraxis habe ich, europäischer Professor für Statistik zu den rein be- solange das Strafgesetz noch existierte, manches völkerungspolitischen Fragen gehört werden. Sein Kind damit gerettet, daß ich der Frau klar machte, hervorragendes Buch „Die verhütete Zukunft" im daß sie sich zu allen übrigen Schädigungen und Ri- Seewaldverlag müßte von jedem Abgeordneten erst siken auch noch strafbar mache. Und die Frau einmal gelesen werden, ehe er über diese Fragen konnte dann dem Erpresser gegenüber erklären: „Ich Reden hält. Dann gehören klare Zahlen auf den laß mich doch wegen Dir nicht einsperren!" Und Tisch über die Entwicklung der Abtreibungszahlen diese Frauen haben es mir alle hinterher, als das seit dem Beginn der Diskussion über die Liberalisie- Kind da war, gedankt. Ich habe einige glückliche Pa- rung des 218. tenkinder dank dieser „Nötigung". Die Parole von der Der Dozent und frühere Chef der Frauenklinik Bre- Unwirksamkeit, ja Schädlichkeit des Strafgesetzes merhaven, Dr.Schultze, bewies ja bereits 1972, daß ist nur eine von den verlogenen Behauptungen, die man die sog. Dunkelziffer der Abtreibungen ziemlich alle sehr schnell zu widerlegen sind, aber trotzdem genau feststellen kann, wenn man nur die in die Kli- von denselben Leuten immer wiederholt werden niken von außen eingelieferten Abtreibungskompli- nach der Goebbelschen Methode, daß jede Lüge, kationen vergleicht mit den Komplikationen, die bei die ständig wiederholt wird, schließlich von der Abtreibungen in den Kliniken selbst fast genau so Masse geglaubt wird. Wie wäre es denn nach Besei- häufig entstehen, wie bei den sog. Engelmachern, tigung des alten § 218 StGB 1972 - 1976 zu einer die nach Untersuchungen der II. Univers.Frauenkli- Vervierfachung der Abtreibungszahlen gekommen, nik Wien sowieso zu 86% aus Ärzten und 8% aus wenn das Gesetz vorher wirkungslos gewesen Hebammen usw. bestanden. Die Behauptung, daß wäre?! Die sozialen Verhältnisse haben sich doch ein Strafgesetz keinen Wert habe und man an die seit 1971 entscheidend verbessert, aber die Abtrei- „Stelle moralischer Verurteilung und Strafe konkrete bungen aus „sozialer Indikation" haben sich verviel- Hilfeleistungen mit Beratungspflicht, Kindergarten- facht!? platz usw. setze" ist doch durch die Vervierfachung der Abtreibungszahlen seit 1971 als üble Augenwi- Ist Abtreibung Mord? scherei widerlegt. Die am 30.11.1972 im Deutschen Natürlich ist die Abtreibung nach der von den Nat. Ärzteblatt veröffentlichte Untersuchung von Dozent Sozialisten in unserem StGB 1941 geänderten Defi- Dr. Schultze, der 1971 gut hochgerechnet auf eine nition des „Mordes" kein Erwachsenenmord, sondern Dunkelziffer von 73.000 Abtreibungen kam, wurde ja ein Embryonalmord. Die erste Strafkammer des bei der Frage nach den voraussichtlichen Kosten der Landgerichts Ulm gestattete mir ausdrücklich in dem Abtreibungsliberalisierung von der SPD und Ihren Beleidigungsprozeß, den der DGB gegen mich Parteifreunden zur Grundlage ihrer Berechnungen führte, in seinem Urteil 1984 die vom DGB geforder- genommen und nicht die Phantasiezahlen der Bild- ten „überkonfessionellen Modellzentren nach dem zeitung und der Frau Funcke, Süßmuth, Geißler, Vo- Bremer Modell von Pro Familia" als „Embryonalmord- gel, Däubler Gmelin usw. Warum hat denn nicht institute" zu bezeichnen! Aber das kommunistische längst ein Gesundheitsminister an Hand der in die Fristentötungsgesetz ist Kernstück der kommunisti- Kliniken eingelieferten Abtreibungskomplikationen, schen Mordideologie, nach der der Mensch nur eine (z.B. unstillbare Blutungen, Gebärmutterhalsrisse „denkende Materie" ist (Stalin). Im Namen dieses oder Uterusdurchbohrungen, Embolien, schwere In- Menschenbildes wurden dann nicht nur Zig-Millionen fektionen usw), die doch keiner der Abtreiber einfach erwachsener Menschen, sondern auch viele Millio- zu Hause sterben ließ (weil er sonst im Gefängnis nen ungeborener Kinder liquidiert. Ein Gesetz, das gelandet wäre), auch an anderen Stellen die „Dun- nun nach der Wende in der ehemaligen DDR zu ei- kelziffern" hochrechnen lassen, um dadurch ein noch nem rasanten Anstieg der Abtreibungszahlen führte - breitere Ausgangsposition zu schaffen? Denn laut auch deshalb, weil der Mediziner nun dafür bezahlt Untersuchung von Dozent Dr. Schultze beherrschen wird, und Abtreibung ein gutes Geschäft wurde, die sog. Engelmacher ihr Handwerk ebenso gut, wie während er vorher ohne „Honorar" abtreiben mußte ihre „Kollegen" in den Kliniken! Darum ist der Rück- und ihm deshalb der Zwang zur Abtreibung wider- schluß aus den Abtreibungszahlen der Kliniken und wärtig war -, ein solches Gesetz das nun zur ihren Komplikationen durchaus korrekt und gibt die Schließung vieler geburtshilflichen Abteilungen in Möglichkeit, die Dunkelziffern ziemlich exakt hochzu- Mitteldeutschland führte, weil die Zahl der Geburten rechnen! ständig sinkt (nun auch durch die Pillen!), ist und bleibt ein „kommunistisches Mordgesetz". Demge- Warum will man die wahren Zahlen nicht wissen? genüber darf es genau so wenig eine „Dialogbereit- Was , Herr Graf, ist wohl der Grund, daß man diese schaft oder Toleranz" geben, wie gegenüber der Ju- wirklichen Zahlen überhaupt nicht wissen will, um denliquidation in Auschwitz. Man kann nicht die „To- dadurch uns alle mit Phantasiezahlen, auch über die leranz und Dialogbereitschaft" der meisten Deut- Zahl der Todesfälle, weiter für dumm verkaufen zu schen von gestern gegenüber den können!? - Konzentrationslagern und den Liquidierungen der Geisteskranken verurteilen und sie heute für die Solange dies nicht geschieht, sind für mich all diese Massentötung der ungeborenen Kinder fordern! Wir Politiker, die behaupten, daß das Strafgesetz keinen vertreten hier keine kirchlichen Dogmen, sondern Wert habe und keine Frau sich durch das Strafge- ganz einfach das natürliche Recht auf Leben jedes setz von einer Abtreibung abhalten lasse, entweder Menschen, unsere hippokratische Medizin und die Dummköpfe oder bewußte Lügner, die ganz andere Anwendung der Logik und Vernunft, die die Grund- Ziele verfolgen, als sie vorgeben! Denn, wenn sich lage alles friedlichen Zusammenlebens ist. ein Viertel der abtreibunswilligen Frauen auch früher durch das Gesetz nicht vom Abtreiben abhalten ließen, konnte man die anderen drei Viertel der nach Wer ist eine unzumutbare Belastung? - der Beseitigung der Strafbarkeit der Abtreibung nun Es hat mir in allen wichtigen Städten der westlicher

36 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Welt und in zahlreichen des Ostblocks oder auf der Sie werden aber verstehen, daß für uns die Glaub- Bevölkerungskonferenz der UNO in Bukarest bisher würdigkeit eines Politikers sich daran entscheidet, ob niemand eine Antwort geben können auf die Frage er die Wahrheit und Wirklichkeit so sehen will, wie nach dem prinzipiellen Unterschied zwischen der Tö- sie ist, oder ob er sich, wie alle menschenfeindlichen tung eines schwer Geisteskranken, weil er für die All- Diktatoren mit Wunschträumen und Luftschlössern gemeinheit in einem totalen Krieg eine „unzumutbare die Wahrheit nach seinem Gusto zurechtbiegt. Belastung" war, und der Tötung eines gesunden un- geborenen Kindes, weil es angeblich ebenfalls eine Jetzige Indikationenregelung = Fristenlösung „unzumutbare Belastung" darstelle. Diese „Bela- durch die Hintertür! stung" durch das Kind, das dann später die inzwi- Wenn in dem FDP Antrag völlig richtig festgestellt schen „unzumutbar gewordene Belastung" der alt wurde, daß das derzeitige Indikationsgesetz der und krank gewordenen Abtreiber von heute tragen Bundesrepublik das Leben der ungeborenen Kinder könnte, ist auf jeden Fall eine tausend mal geringere nicht schätzen konnte, so stellen Sie nur das fest, Belastung, als der Geisteskranke! was wir in allen unseren Analysen und Protesten ge- Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Graf, wenn Sie mir gen dieses Gesetz,- das ja gemacht wurde, um jede darauf eine Antwort geben könnten! Abtreibung in Wirklichkeit möglich und sie vor allem auch völlig unkontrollierbar zu machen -, immer ge- Es müßte bei einem Hearing im Bundestag weiter sagt haben. Denn in Wirklichkeit ist dieses Gesetz gehört werden die Frau Dr.Maria Simon von der psy- auch schon deshalb verfassungswidrig, weil es die chiatrischen Klinik der Universität Würzburg über die Frauen im Gegensatz zur Forderung des BVG Ur- schweren psychischen Schädigungen nach Abtrei- teils vom 25.2.75 grundsätzlich von Strafe befreite, bungen. Ebenso die Psychagogin Frau Christa Me- den Ärzten die Entscheidung zuschob über soziale ves aus Uelzen. Dann müßte der mit bekannteste Indikationen, ihnen aber gleichzeitig alle Kontroll- Strafrechtler Professor Dr.Tröndle, Waldshut/Univ. möglichkeiten vorenthielt, und außerdem den Freiburg gehört werden zu den Auswirkungen auf Mißbrauch der Krankenkassengelder zum Töten das gesamte Strafrecht, ebenso der Bonner Profes- statt zum Heilen anordnete und damit dem Arztberuf sor, Dr. jur. Isensee, zu der Frage der Verfassungs- und dem gesamten Gesundheitswesen seine ethi- widrigkeit der Krankenkassenfinanzierung, und der sche hippokratische Grundlage zerschlug. Freiburger Richter und Vorsitzende der „Juristenver- einigung für das Leben", Bernward Büchner. Dann müßte der amerikanische Soziologieprofessor Dr. „Wir werden das Gesetz bis an die Grenzen aus- Paul Marx gehört werden, der in über hundert Län- schöpfen!" dern die Abtreibungsfrage untersucht hat. Ebenso Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Dr. Mischnik, er- der Präsident der WORLD FEDERATION OF DOC- klärte ja damals, daß die sozialliberale Koalition die TORS WHO RESPECT HUMAN LIFE, Dr. Karel Möglichkeiten, die das BVG Urteil gelassen habe, Gunning aus Rotterdam, der über die tatsächliche „bis an die Grenzen ausschöpfen" würde. Das hieß Lage auch in Holland in der Abtreibungs und Eu- doch ganz klar schon bei der Abfassung des „refor- thanasiefrage berichten müßte und die Märchen im mierten" § 218 StGB, daß man mit äusserster Raf- FDP Antrag durch Aufklärungsunterricht beantworten finesse alle noch bestehenden Möglichkeiten für die könnte. Der bekannteste Staatsrechtler der Schweiz, straflose Ermöglichung der Tötung der ungeborenen Professor Werner Kägi, Zürich oder Professor Dr. Kinder, und nicht ihres Schutzes, „ausschöpfen" Waldstein Salzburg müßten ebenfalls gehört werden. werde. Der Münchner Philosophieprofessor Dr. Spaemann Und so kam ein Gesetz zustande, eine Fristenlö- müßte über die anthropologisch-philsosphische Pro- sung durch die Hintertür, wie der deutsche Juri- bleme der Abtreibungsfreigabe sprechen. Dann stentag feststellte - von dem nur Dummköpfe glau- müßte die Psychotherapeutin Frau Dr. Furch aus ben konnten, daß es einen Schutz für die ungebore- Bad Nauheim über die psychischen Schädigungen nen Kinder darstellen würde! Deshalb ist die ganze berichten und evtl. ihr Mann der stvtr. Präsident der Folgerung, die die FDP nun aus dieser Tatsache des Hessischen Ärztekammer und Frauenklinikchef in Nichtfunktionierens des weit über die Grenzen des Bad Nauheim, Dr.WoIfgang Furch, zur Frage der ge- BVG Urteils ausgeschöpften „Indikationsmodells" in ihrem Antrag zieht, eine verlogene Heuchelei! Denn • meldeten 80.000 Abtreibungen zu den tatsächlich vorgenommenen ca. 300.000 bzw. jetzt 400.000, um man hat ja 1976 gewollt, daß dieses Gesetz so im die Illusionen des FDP Antrages, daß hier nur einige Detail gemacht wird, daß es gar- nicht greift und so im Ausland vorgenommene Abtreibungen noch dazu weitmaschig ist, daß jeder Abtreiber ungestraft kommen, mit der Realität in Einklang zu bringen! Hat durchschlüpfen kann. die FDP tatsächlich noch nie etwas von den allein drei mal so hohen, von den Kassen finanzierten Ab- Abtreibungshearing ist Test auf Glaubwürdigkeit treibungszahlen gehört? Und dann müßte das Mit- der FDP! glied der Bayerischen Ärztekammer, Dr.Ernst Theo- Darum entscheidet sich für uns der Glaube auch an dor Mayer, Universitätsnervenklinik München, zu der das ehrliche Wollen der FDP daran, ob sie bereit ist, enormen Steigerung von bestimmten Diagnosen, die ein solches Hearing im Bundestag zu fordern und die Abtreibung verschleiern, gehört werden. Eine mitzutragen, und ein wirklich besseres Gesetz zu Vertreterin des Verbandes der abtreibungsgeschä- schaffen und einzusehen, daß das Gesetz von 1976 digten Frauen (RAHEL), müßte ebenfalls sprechen. ein Betrug war, den man dieses Mal ehrlich korrigie- Die Vorsitzende der CDL, Johanna Gräfin von West- ren will! falen, könnte zu der Frage Stellung nehmen: „Ist die Was, Herr Graf, könnte ein ehrlicher Politiker gegen Abtreibungsfreigabe nur ein Frauenproblem?" Dies eine umfassende Information in einem Hearing ein- ist nur ein Minimum an Fachleuten, denen man Ge- zuwenden haben? legenheit geben müßte, den Abgeordneten die Sie würden der Sache und dem inneren Frieden und Wahrheit zu sagen und sie wirklich über die Proble- der Demokratie in unserem Lande einen großen matik in ihren ganzen Ausmaß zu informieren. Wir Dienst erweisen, wenn Sie sich unsere Forderung zu wären jederzeit bereit Ihnen noch Zig weitere Namen eigen machen würden..." internationaler Kapazitäten zu nennen. Aber ich fürchte die FDP ist an der Wahrheit ebensowenig in- Dr.med.Siegfried Ernst, Ulm teressiert, wie große Teile der CDU oder der SPD und erst recht der Grünen! 1 .Vorsitzender der EUROPÄISCHEN ÄRZTEAKTION in den deutschsprachigen Ländern

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 37 Süssmuth überflüssig

Das ist ein neuer Paukenschlag unserer katholi- dem sie ihr Kind verliert, erleben? Jede Frau mit nor- schen CDU-Bundestagspräsidentin: Kaum ist die kli- malem Verstand weiß durch unseren hohen Informa- nische Erprobung der französischen Abtreibungspille tionsspiegel heute über das Geschehen in einem in der Bundesrepublik Deutschland in der Diskus- schwangeren Leib Bescheid. Jede weiß heute, daß sion, da prescht Frau Süssmuth vor und weiß zu be- dort von der Zellkernverschmelzung ab ein einmalig kunden, daß man sich ihrer Zulassung hier kaum neuer Mensch wächst, daß es Kindstötung ist, was wird verschließen können. Sie hält Linie, die Profes- durch Abtreibung passiert. Mit RU 486 wird das bald sorin der Pädagogik; denn kaum, daß sie 1986 zur voraussichtlich wirklich die Entscheidung der Frau Familienministerin ernannt war, hatte sie bereits in ganz allein werden, ihr Konflikt allein, ihre Gewis- einem Interview mit Alice Schwarzer ihr Votum für sensnot allein, ihr Eingriff, ihr Weinen, ihre Verant- die uneingeschränkte Selbstbestimmung der Frau - wortung allein. Was weiß Rita Süssmuth über die gerade und besonders auch im Hinblick auf das un- durch den verwundeten Körper zerquälte Seele der geborene Kind betont. „Lovely Rita", wie sie deshalb Frauen. zärtlich von der feministischen Avantgardistin ge- Bedenkt Rita Süssmuth als Kämpferin für die nannt wurde, ist damit nicht allein. Frauen, was da neu an Not heraufkommt? Dächten Der in den Startlöchern stehende Konzern Hoechst Psychotherapeuten merkantil wie Hoechst, dann AG, der auf einen Riesengewinn hofft, wie auch der könnte ihnen dieser neu eingeläutete „Fortschritt" zur Ärzteschaft unter Karsten Villmar arbeitet sie damit weiteren Zunahme schwerer langfristiger psychi- zu, die sich nur allzu gern der ihr immer wieder an- scher Folgekrankheiten nur willkommen sein. getragenen alleinigen Verantwortung und ihres Und ein Paradoxon tritt durch diese Tendenz ans Ta- schlechten Gewissens zu entwinden hofft. Ja, sie geslicht: Wenn die Inhaberin des zweithöchsten Am- steht damit sogar einer mehrheitswilligen Rechtspre- tes in unserem Staat Zielgerade Lebensformen an- chung nahe, die mit RU 486 und einer bereits ange- strebt, in denen grundsätzlich erlaubt ist, was gefällt, strebten Fristenregelung der jetzigen mißlichen Si- führt sie die Notwendigkeit einer Regierung damit tuation um den § 218 durch einen neu geschaffenen nicht geradezu ad absurdum? Die Existenzberechti- rechtsfreien Raum enthoben sein würde. gung von Staat setzt ein Menschenbild voraus, das Und dennoch blieben bange Fragen: Ausdrücklich Lenkung zum Wohl aller als eine überpersönliche als Maßnahme für die Frauen wird deren Selbstbe- Aufgabe nötig macht, weil das erforderliche Ausmaß stimmung über den Fötus schließlich von der Vorsit- an Vernunft und Gemeinsinn vom einzelnen nicht er- zenden der Frauenunion aufgefaßt. Aber haben wartet werden kann. denn nicht die vielen neuen Seelenkrankheiten als Mit der Unterstützung der Abtreibungspille RU 486 Folge von nicht zu verarbeitenden Abtreibungen be- macht sich Frau Süssmuth zumindest als Staatsbe- reits das Gegenteil bewiesen? Und was wird denn amtin einer CDU-Regierung selbst überflüssig. wohl erst in der Psyche einer Frau vorgehen, wenn man ihr eines Tages zubilligt, die Handhabung der Christa Meves Abtreibungspille allein in ihre Regie zu nehmen? Wie wird sie den starken, schmerzhaften Blutstrom, mit Münchner Merkur, 6.11.91

Abtreibungspille:Unionspolitikerinnen stoßen parteiintern auf Kritik „Christdemokraten für das Leben": Rita Süss-muth verstößt gegen ihren Amtseid

F r e i b u r g (idea) - Führende Politikerinnen der ähnliche schonende, sanfte Methode für Alte und Unionsparteien, die sich für die Abtreibungspille unheilbar Kranke gefordert wird?" Auf Anfrage von ausgesprochen haben, sind parteiintern auf har- idea erklärte sie, daß sich ihre Kritik ebenfalls an sche Kritik gestoßen. Einen „Skandal" nannte die Bundesfamilienministerin Angela Merkel (CDU) baden-württembergische Landesvorsitzende der richte. Bedauerlich sei auch, daß sich Bundesge- Initiative „Christdemokraten für das Leben" (CDL), sundheitsministerin (CSU) in der Julia Schützle (Freiburg), Voten einiger Frauen aus Öffentlichkeit nicht deutlich gegen das umstrittene der Führungsspitze von CDU und CSU für die Zu- Mittel ausgesprochen habe. Den Gesundheitsmini- lassung des Präparates RU 486, das sie als „Tö- stern der Länder und dem Präsidenten der Bunde- tungsmittel" bezeichnete. In einer Presseerklärung särztekammer, Karsten Vilmar (Köln), wirft Frau warf sie besonders Bundestagspräsidentin Rita Schätzle vor, mit ihrer Befürwortung einer Freigabe Süssmuth vor, „den Mutterschoß noch raffinierter von RU 486 „für einen weiteren Verfall des Be- und unbemerkter zum Vernichtungsort der eigenen wußtseins, daß menschliches Leben unantastbar Kinder machen zu wollen". Damit verstoße die ist", mitverantwortlich zu sein. zweithöchste Repräsentantin des Staates gegen ihren Amtseid, Schaden vom deutschen Volk abzu- Hoechst-Bedenken wegen NS-Vergangenheit: wenden. Die Forderung nach Einführung des be- Vernichtungsgas Zyklon B geliefert reits in Frankreich, Großbritannien und Österreich Die ethischen Bedenken, die die Herstellerfirma zugelassenen Präparats widerspreche sowohl dem Hoechst (Frankfurt/Main) bei einem Antrag auf Zu- Grundgesetz, das jedem Menschen ein Recht auf lassung der Abtreibungspille in Deutschland zö- Leben zusichere, als auch Parteitagsbeschlüssen gern ließen, hängen - so Frau Schätzle - mit der der Unionsparteien, die den Schutz der ungebore- Vergangenheit des Unternehmens zusammen. Die nen Kinder bekräftigt hätten. Firma habe den Nationalsozialisten das Giftgas Zy- klon B zum Massenmord an Juden geliefert. Die Kritik auch an Familien- und Gesundheitsmini- CDL umfaßt rund 4.000 Mitglieder von CDU, CSU sterium und Junger Union, darunter mehr als 70 Bundes- Frau Schätzle greift besonders die Empfehlung des und Landtagsabgeordnete. In Baden-Württemberg Abtreibungspräparates als „sanftes und schonen- hat die Vereinigung rund 500 Mitglieder. des" Mittel an: „Wie lange wird es dauern, bis eine 7.11.91

38 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Evangelikaien würden von der evangelischen Kirche Pressespiegel als eine „fundamentalistische Sekte" angesehen. Das ist schlicht unwahr. Verwunderlicher schon, daß Keine Lust, die Dame aufzuwerten sie als eine der profiliertesten „Fundis" anderen aus- gerechnet den Fundamentalismus um die Ohren Zu „Ulmer/Neu-Ulmer Szene" (4. Oktober) und schlagen will. Schlimmer noch ihre Äußerungen zum "Der Parteitag tanzt und die Polizei singt" (7. Ok- Schwangerschaftsabbruch. Zwei Abtreibungen in ei- tober): nem 20jährigen Geschlechtsleben hält sie für relativ Vielen Dank für Ihre Glosse über den Versuch von wenig, so brüstete sie sich schon früher. Im „heißen Fräulein (sie ist ja bisher nicht verheiratet) Jutta Ditt- Stuhl" setzte sie noch eins drauf: Mehrfach stritt sie furth, mich als „Neo-Faschist" in meiner Abwesenheit - unterstützt durch zynisches Minenspiel - jegliches in der Sendung „Explosiv" von RTL-plus anzupöbeln. Schuldgefühl ab. Vor Menschen aber, denen die Meine Frau hatte recht, als sie Ihrer Redaktion ge- Fähigkeit, Schuld zu empfinden, abhanden gekom- genüber erklärte, ich habe etwas wichtigeres zu tun, men ist (und das bei der Tötung von Menschenle- als mich mit dieser Dame herumzuschlagen! ben) - vor solchen Menschen kann man nur erschau- Nachdem Sie aber die Katze aus dem Sack gelas- ern. Zudem vertritt die Politikerin ein rücksichtsloses sen haben, möchte ich bei den Ulmer Lesern doch Selbstbestimmungsrecht, das nicht einmal halt den Fall klar stellen: Die Sendeleitung von RTL-plus macht vor dem Lebensrecht anderer: Das ist der hatte mich angeschrieben, ob ich bereit wäre, bei ei- Stoff, aus dem Tyrannen sind. ner Sendung mit dem „heißen Stuhl" mit einigen be- kannten Persönlichkeiten gegen Frau Dittfurths The- Da paßt ins Bild, daß sie der stellvertretenden Bre- sen mitzumachen. Später wurde mir dann das mer CDU-Vorsitzenden und evangelischen Publizi- Thema mitgeteilt: „Die Kirche terrorisiert die Frauen!" stin Elisabeth Motschmann rechtsradikale Tenden- Ich sagte daraufhin wieder ab, weil ich erstens das zen anhängen wollte, weil - man höre und staune - Thema saudumm fand, zweitens außerdem der Mei- ihr Schwager angeblich einer solchen, aber völlig un- nung war, daß wenn schon, dann eine Frau darauf bekannten Organisation nahestehe. Was die Ex- antworten müßte. Drittens schaute ich mir daraufhin Grüne hier versuchte, ist Sippenverfolgung, wie sie einige Sendungen des RTL-plus-Senders an und in Deutschland bisher nur in der Nazi-Zeit von der mußte feststellen, daß er ausgesprochen negative Gestapo und in der DDR vom Stasi bekannt war. und teilweise pornographische Sendungen bringt, so Dennoch hatte Frau Ditfurth einen schweren Stand, daß es falsch wäre, sich daran zu beteiligen. Vier- nicht nur gegen Frau Motschmann, den Oldenburger tens hatte ich keine Lust, eine zu diesen Sendungen Pfarrer Hans-Joachim Jürgens und die katholische durchaus passende Dame öffentlich aufzuwerten, Theologin Michaela Freifrau Heeremann (Meerbusch die sich ihres „lustvollen" außerehelichen „Sexualle- bei Düsseldorf). Aus dem fünfzigminütigen Schlag- bens" rühmt und ihrer verschiedenen Abtreibungen. abtausch ging die baptistische Ärztin und Psychothe- Es gibt bekanntlich das sogenannte „Post-Abortion- rapeutin Madalena Furch (Bad Nauheim) klar als Syndrom", also eine psychiatrische Fehlreaktion Siegerin nach Punkten hervor. Sie wußte sowohl die nach Abtreibungen, die dann durchaus dazu führen Verharmlosung der Abtreibung, als auch die Be- kann, daß man diejenigen, die sich für das Lebens- hauptung vom angeblich unterdrückerischen Macht- recht der ungeborenen Kinder einsetzen, als „Neo- instrument Kirche überzeugend zu kontern. Nicht ir- Faschisten" beleidigt im Sinne einer „Haltet-den- gendeine Kirchenhierarchie ist nach protestanti- Dieb!"-Reaktion. schem Verständnis für einen Christen entscheidend, Dazu gehört natürlich ihr Haß gegen die EUROPÄI- sondern schlicht „Gottes Wort". Und darin steht nun SCHE ÄRZTEAKTION, die sie als „rechtsradikal be- einmal: „Du sollst nicht töten." Übrigens, im Grund- schimpfte, weil wir das Lebens„Recht" des Kindes gesetz steht es auch, nur mit mehr Worten. idea „radikal" verteidigen. In diesem Sinne sagen Kinder und Toren ja manchmal die Wahrheit! Da es schwierig ist zu klären, ob sie infolge des • Post-Abortion-Syndroms für ihre Äußerungen voll Nordelbien: Bischof Wilckens prote- verantwortlich gemacht werden kann, werden wir stiert gegen „Frauenaktionstag" doch ihrem Wunsch entsprechend diese Frage vom "Kränkende Geschmacksverirrung" - Kirche muß Gericht klären lassen müssen. für Ungeborene einstehen Dr. Siegfried Ernst, Ulm Südwest-Presse Ulm Lübeck (idea) - In scharfer Form hat der evangeli- sche Bischof von Holstein-Lübeck, Ulrich Wilckens, gegen einen „Frauenaktionstag" zur Abschaffung Fernsehkritik . des Paragraphen 218 StGB protestiert. In einer Er- klärung bezeichnet er die Veranstaltung als politisch Jutta Ditfurth und die Abtreibung: einseitig und in der Form als „kränkende Ge- schmacksverirrung". Das Evangelische Frauenwerk Der Stoff, aus dem Tyrannen sind Lübeck hatte zu dem Treffen unter dem Motto „Mit Zur Sendung "Explosiv - Der heiße Stuhl" in RTL- Wut und Trauer - Frauen für das Leben" am Natio- plus am 1. Oktober, 22 Uhr nalfeiertag, dem 3. Oktober, in die Lübecker St.-Pe- Wolfgang Polzer tri-Kirche eingeladen. Die Teilnehmerinnen sollten Um starke Worte ist die frühere Grünen-Politikerin entweder in Schwarz gekleidet und mit Besenstiel Jutta Ditfurth nie verlegen gewesen, und deshalb ausgestattet oder in Rot und mit Trommeln ihre „Wut hatte sie wohl auch der Kölner Privatfernsehsender und Trauer" über die „Kriminalisierung" von Frauen RTL plus auf seinen „heißen Stuhl" gebeten. Doch durch den Paragraphen 218 ausdrücken. Als Refe- mit welcher Unverfrorenheit die bekennende Femini- rentin war die Leiterin des Frauenreferates der Nord- stin und Öko-Sozialistin dort ihre These „Die Kirche eibischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Pastorin terrorisiert die Frauen" zu untermauern suchte, das Rut Rohrandt (Bordesholm bei Kiel), eingeladen. konnte selbst den sitzfestesten Zuschauer aus dem Wilckens, der sein Amt am 4. Oktober seinem Nach- Sessel hauen. Harmlos noch ihre Behauptung, die folger, Karl-Ludwig Kohlwage, übergab, hält es für

MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 39 unglaubwürdig, daß mit einem solchen „Mummen- Frauen und Kindern durch die Ermöglichung von schanz" Frauen „für das Leben" demonstrieren woll- Abtreibungen gerecht zu werden. Er fragt: „Soll dem ten. Bedürfnis eines Kindes, das ja kein anderes als das nach Leben ist, durch seine Tötung Rechnung getra- Bischof: Rücksichtslosigkeit gegenüber Mitchri- gen werden?" Bei der Frauenarbeit liege ein „totales sten Mißverständnis" hinsichtlich der Aufgabe eines Kran- Wilckens: „Es kann nicht Sache eines Werkes der kenhauses und der christlichen Seelsorge vor. Ihr Kirche sein, in solcher Rücksichtslosigkeit gegen Auftrag bestehe nicht darin, die Gewissen zu beruhi- viele andersdenkende Mitchristinnen und Mitchristen gen und die „Mißachtung des göttlichen Gebots zu eine so einseitige politische Forderung zu propagie- fördern". Hahn zollt in dem Brief den katholischen ren." Sache der Kirche sei es, für die Schwächeren Bischöfen „hohen Respekt". Sie stellten sich in der einzutreten. Darum sei der Schutz ungeborener Kin- Abtreibungsproblematik „in klarer Kenntnis des Mei- der ihr besonderes Anliegen. Ebenso setze sie sich nungstrends gegen den Strom". Die badische Syn- für Schwangere in Not ein und weise die Männer auf ode wird sich auf ihrer Herbsttagung vom 20. bis 25. ihre Pflichten hin. Der Bischof: „Immer wird die Kir- Oktober in Bad Herrenalb mit der Frage der Schwan- che dafür Sorge tragen, daß das Fünfte Gebot ,Du gerschaftsabbrüche befassen. sollst nicht töten' öffentlich in Geltung bleibt." Der Frauenaktionstag war zuvor schon bei evangelikalen Organisationen auf Protest gestoßen. Die Kirchliche Bayern: Pietisten fordern Korrektur Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Nordelbien der "Rosenheimer Erklärung" nannte das Treffen ein „Heidenspektakel", und die Über 5.000 Unterschriften gegen umstrittene Bekennende Gemeinschaft in Norddeutschland Synodenäußerung zur Abtreibung meinte, die Veranstalterinnen griffen auf mittelalterli- che Methoden zurück, die für evangelische Gruppen Nürnberg (idea) - Mit einer Unterschriftenaktion nicht akzeptabel seien. haben die pietistischen Gemeinschaftsverbände Bayerns die Korrektur eines umstrittenen Beschlus- ses der Landessynode zur Abtreibung gefordert. Mit einer Liste von 5.150 Unterschriften verlangen sie Forderung nach Abtreibung in kirch- Änderungen im zweiten Teil der im April verabschie- lichen Kliniken stößt auf Ablehnung deten „Rosenheimer Erklärung". Darin wird unter an- Diakonie-Einrichtung übt scharfe Kritik an evan- derem die Herausnahme der Abtreibungsgesetzge- gelischer Frauenarbeit bung aus dem Strafgesetzbuch befürwortet und der Frau die letzte Entscheidung über einen Schwanger- Karlsruhe (idea) - Eine Kontroverse hat eine schaftsabbruch zugesprochen. So wird aber nach Stellungnahme der Leitung der evangelischen Frau- Ansicht der pietistischen Verbände das Leben unge- enarbeit in Baden zur Abtreibungsproblematik aus- borener Kinder „entschieden zu wenig geschützt". gelöst. Das Papier war an die Teilnehmerinnen eines Auch in anderen Bereichen seien Strafgesetze nötig, Frauenforums geschickt worden, das Anfang Sep- um menschliches Leben zu bewahren, heißt es zur tember von der landeskirchlichen Frauenarbeit in Begründung in einem Schreiben an den Präsidenten Karlsruhe veranstaltet wurde. In dem Votum wird die der bayerischen Landessynode, den früheren SPD- badische Landessynode gebeten, „ihre Verantwor- Bundesminister Dieter Haack (Erlangen). Ferner plä- tung für das Leben so wahrzunehmen, daß durch fa- dieren die pietistischen Verbände dafür, daß nicht milien- und sozialpolitische Maßnahmen den beson- nur die Frau, sondern auch ihr Partner zur Verant- deren Bedürfnissen von Kindern und Frauen Rech- wortung gezogen wird. nung getragen wird". In diesem Zusammenhang plä- diert die Frauenarbeit dafür, „Schwangerschafts- Kritik: Abtreibungsdiskussion wird getrennt vom unterbrechungen" in evangelischen Krankenhäusern biblischen Zeugnis geführt oder in Einrichtungen anderer Träger zu ermögli- Man werde die entsprechenden Passagen der Ro- chen, „die eine seelsorgerlicher Begleitung der senheimer Erklärung keineswegs hinnehmen und Frauen gewährleisten können". Diese Forderung beantrage, daß dieses Thema auf der Herbstsynode weist der Leiter der Diakonissen-Anstalt Karlsruhe- vom 24. bis 29. November in Kulmbach erneut be- Rüppur, Pfarrer Otto W. Hahn, zurück. Zu der Anstalt handelt wird. Hinter der Unterschriftenaktion stehen gehört das Akademische Lehrkrankenhaus der Uni- der Landeskirchliche Gemeinschaftsverband in Bay- versität Freiburg. Hahn stellt in einem Schreiben an ern, der Hensoltshöher Gemeinschaftsverband, der den Präsidenten der badischen Landessynode, Hans Liebenzeller Gemeinschaftsverband - Region Bay- Bayer (Weinheim), fest, daß das Diakonissen-Kran- ern, der Christliche Jugendbund in Bayern und der kenhaus generell Schwangerschaftsabbrüche ab- Kreisverband Bayern des Südwestdeutschen EC- lehnt. Wörtlich schreibt er: „Als christliches Werk ha- Verbandes. Sie beklagen - wie der Geschäftsführer ben wir nicht danach zu fragen, was im Sinne der öf- des Landeskirchlichen Gemeinschaftsverbandes, fentlichen Meinung opportun ist, auch nicht danach, Peter Jahn (Puschendorf bei Nürnberg), im Auftrag was im politischen Sinn mehrheitsfähig ist, sondern der anderen Organisationen schreibt -, daß die Dis- was Gottes Wille ist." Im Falle einer anderen Ent- kussion um die Abtreibung „in Kirche und Synode scheidung „würden wir unsere Existenzberechtigung getrennt vom biblischen Zeugnis über Ehe und Fami- als konfessionelles Haus verlieren", so Hahn. lie sowie der Praxis der Sexualität geführt" werde. Ausdrücklich begrüßen die pietistischen Verbände Diakonissen-Anstalt: Ärzte sollen Leben retten - jene Abschnitte der Rosenheimer Erklärung, in de- nicht töten nen gesellschaftliche Veränderungen zugunsten von Es dürfe nicht sein, daß Ärzte und Schwestern, die Kindern und Familien gefordert werden und in denen zur Rettung von Menschenleben angestellt seien, die Abtreibung als „Tötung menschlichen Lebens" „gegen Bezahlung ihr berufliches Wissen und Kön- bezeichnet wird. nen zur Vernichtung menschlichen Lebens einset- zen". Nach Ansicht Hahns klingt es wie Hohn, wenn Der Synode liegen 70 Anträge auf Rücknahme die Frauenarbeit fordere, den Bedürfnissen von der Rosenheimer Erklärung vor

40 MEDIZIN & IDEOLOGIE DEZEMBER 91 Insgesamt liegen der Landessynode 70 Anträge auf schuß. Wie die Sprecherin der Gruppe, Christa Hei- Rücknahme der Rosenheimer Erklärung vor. Präsi- nel, zur Begründung schreibt, sind die durch Abtrei- dent Haack kann sich jedoch, wie er auf einer Veran- bung geschädigten Frauen bestürzt, mit welcher Un- staltung in Bayreuth sagte, einen solchen Schritt kenntnis die Diskussion um den Schwangerschafts- nicht vorstellen. Die Glaubwürdigkeit des „Kirchen- abbruch auch von Parlamentariern geführt werde. parlamentes" werde sonst tief erschüttert: „Jede Die psychosozialen und medizinischen Folgeschä- nächste Erklärung würde dann von der Öffentlichkeit den bei Frauen, die abgetrieben haben, würden so nicht mehr ernstgenommen." Doch sollten auf der gut wie nie berücksichtigt. Hingegen werde der Ein- Herbstsynode die Absichten der Erklärung noch ein- druck erweckt, als ob alle Frauen ein Recht auf mal verdeutlicht werden. In den Diskussionen hat Schwangerschaftsabbruch verlangten. Die Tötung man sich nach Haacks Ansicht zu sehr auf die eine ungeborenen Lebens werde meist als „eigenverant- Passage beschränkt, die der Frau die letzte Ent- wortlicher Gewissensentscheid" deklariert. Doch scheidung über eine Abtreibung zugesteht. Zu wenig handele es sich bei jeder Abtreibung um einen „Ge- beachtet werde hingegen die breite Zustimmung waltakt wider die Natur, der uns Frauen in unserer zum Schutz des ungeborenen Lebens und zu gesell- weiblichen Würde und Gesundheit schwer schädigt", schaftlichen Hilfen für die Familie. argumentiert die Selbsthilfegruppe. Sie nennt eine Reihe in- und ausländischer Experten, die die Bun- destagsabgeordneten über diese Aspekte informie- Aktion gegen Abtreibung: Plastik- ren könnten, etwa der Freiburger Embryologe Prof. Embryos für Parlamentarier Erich Blechschmidt. Die Selbsthilfegruppe „RAHEL" Ostdeutsche Lebensschützer richten Appell an ist im Rhein-Main-Gebiet vertreten. Eine Anhörung Abgeordnete über die Folgen der Abtreibung hat auch die Unionsi- Weimar (idea) - Mit einer ungewöhnlichen Aktion nitiative „Christdemokraten für das Leben" (CDL) be- haben Abtreibungsgegner im Osten Deutschlands antragt, der nach eigenen Angaben rund 2.000 Mit- die Bundestagsabgeordneten gebeten, sich für einen glieder von CDU und CSU angehören, darunter Bun- besseren Schutz des ungeborenen Lebens einzuset- des- und Landtagsabgeordnete. zen. Die thüringische Regionalgruppe der christli- chen Lebensrechtsorganisation KALEB schichte an jeden der 662 Parlamentarier eine originalgetreue Spektakuläre Aktion gegen die Abtrei- Plastiknachbildung eines zehn Wochen alten Kindes bung: Eine Frau stellte sich tot im Mutterleib. In diesem Zeitraum geschähen die Schriftstellerin: "Die-In" von der Friedensbewe- meisten Schwangerschaftsabbrüche, heißt es in ei- gung übernommen nem Begleitschreiben der Regionalgruppe mit Sitz in Bad Waldsee (idea) - Ihre spektakulären Aktio- Weimar. Hinsichtlich der Diskussion um ein gesamt- nen gegen die Abtreibung während einer Podiums- deutsches Abtreibungsrecht appellieren die Lebens- diskussion im oberschwäbischen Bad Waldsee hat schützer an die Abgeordneten: „Im Sinne der Hilflo- die Hamburger Schriftstellerin Karin Struck gegenü- sesten und Schwächsten unserer Gesellschaft bitten ber idea verteidigt. Unter anderem hatte sie sich wie wir Sie, bei der bevorstehenden Gesetzesabstim- tot auf den Boden gelegt, um gegen den an der Ver- mung zur Problematik Schwangerschaftsabbruch anstaltung beteiligten Memminger Frauenarzt Horst bzw. Schutz ungeborener Kinder vor Gott und den Theissen zu protestieren, der 1989 wegen unerlaub- Menschen die rechte Entscheidung zu treffen." Die ter Abtreibungen zu zweieinhalb Jahren Haft verur- Lebensrechtsorganisation KALEB lehnt sowohl die in teilt worden war. Durch dieses „Die-In", das Frau der früheren Bundesrepublik geltende Indikationsre- Struck nach eigenen Angaben von der Friedensbe- gelung als auch die Fristenlösung in den neuen Bun- wegung übernommen hat, wollte sie auf die vielen- desländern ab. Nach Ansicht der Initiative ist die Ab- Kinder hingewiesen, die, wie sie sagte, „der Abtrei- treibung als „Tötung eines vollwertigen Menschen" bungsarzt Theissen umgebracht hat". Gegenüber grundsätzlich abzulehnen. Ein Schwangerschaftsab- idea kritisierte sie, daß Veranstaltungsleiter Manfred bruch löse kein Problem, sondern schaffe neue. Gerbracht nicht nach den Gründen für ihr Verhalten gefragt habe. Sie wandte sich unter anderem gegen Theissens Ausführungen, Juristen und „Kirchenmän- Schwangerenberatung ner" hätten kein Recht, Frauen vorzuschreiben, wie Die katholische Kirche wird ihre Schwangerschafts- sie sich bei einer ungewollten Schwangerschaft zu konfliktberatung unabhängig von der Entscheidung verhalten hätten. Außerdem behauptete er - so Frau zur rechtlichen Neuregelung des Abtreibungspara- Struck -, ein Kind sei erst ab seiner Geburt ein Kind. graphen 218 StGB in vollem Umfang aufrechterhal- Als Reaktion zertrümmerte sie eine schwere Vase ten. Das kündigte der Vorsitzende der Deutschen Bi- vor dem Podium. „Das war ein für mich unerträgli- schofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, an. cher Aufruf zur Tötung von Menschen. Theissens Kirchenzeitung Köln, 41/91 Logik schloß nicht aus, daß ein Arzt notleidenden Frauen auch dabei helfen solle, Kinder im achten oder neunten Schwangerschaftsmonat umzubrin- gen", begründete sie die Aktion. Frau Struck, die Abtreibung: Frauen fordern An- selbst vor 16 Jahren eine Abtreibung vornehmen hörung über psychische Folgen ließ, äußerte vor den 1.800 Besuchern die Befürch- Selbsthilfegruppe: Schäden kaum bedacht - tung, daß es bald Schwangerschaftsabbrüche „in Weibliche Würde leidet Sonderangebot" gebe. Die beteiligten Ärzte seien Frankfurt/Main (idea) - Frauen, die unter den „potentielle Mörder", und die Frauenbewegung lasse psychischen Folgen eines Schwangerschaftsab- „Leichen von Kindern auf ihrem Weg zurück". Die 47 bruchs leiden, fordern eine Anhörung des Deutschen Jahre alte Schriftstellerin befürwortete ferner die Bundestages zu diesem Thema vor der Neuregelung strafrechtliche Verfolgung von Abtreibungen. Sie war der Abtreibungsgesetze. Die Selbsthilfegruppe „RA- im Juni von der Münchener Stiftung „Ja zum Leben" HEL" (Hofheim bei Frankfurt/Main) richtete jetzt ei- mit einem Preis für den Schutz ungeborener Kinder nen entsprechenden Eilantrag an den Petitionsaus- ausgezeichnet worden.

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