Ascher, Lehár, Straus.

Franz Lehár, – 150 Jahre • Reto Parolari: Ein Nachruf Ankündigung: OPERETTE! Sonntag Nachmittagskonzert mit dem Franz Lehár-Orchester

Heft 45 / Jänner 2020

LIEBE LEHÁRIANER*!1

Sehr herzlich begrüßen wir Sie mit unserer bereits 45. Ausgabe in den „neuen Zwanziger- jahren“! Mögen Sie voller „Lehármonie“ sein! 2019 ging mit einer sehr geselligen Weihnachtsfeier zu Ende, die im charmanten Café Prückel stattfand. Unsere Präsidentin Helga Papouschek begrüßte die Gäste, einige Mitglieder trugen Texte vor, junge Sänger und Sängerinnen erfreuten mit Lehár-Melodien und nach gemütlichem Plausch ging die Feier mit gemeinsam gesungenen Weihnachtsliedern stimmungsvoll zu Ende. Ein Höhepunkt im Herbst 2019 war das „Kálmániana“–Konzert anlässlich des 90. Geburtstages von Charles Kalman. Die Solisten und das Franz Lehár-Orchester wurden im gutbesuchten MuTh lebhaft akklamiert, wie auch Dirigent Reto Parolari. Unvorstellbar, dass er ein Monat nach dem Konzert einem Herzinfarkt erlegen ist. In einem Nachruf gedenken wir Reto Parolari, dem wir nicht nur als Chefdirigent des Franz Lehár-Orchesters, sondern als leidenschaftlichem Operettenspezialisten viel zu verdanken haben. Anlässlich des 150. Geburtstags von Franz Lehár und Oscar Straus beschäftigt sich der Artikel „Schweig‘, zagendes Herz“ mit dem letzten Lebensjahrzehnt „unseres“ Meisters. Ein weiterer Beitrag gilt den Höhen und Tiefen des Lebens des „Weltbürgers der Musik“ Oscar Straus. Das Jahr 2020 ist ja (auch) ein Jahr der Wiener Operette, denn neben den erwähnten Jubiläen gedenken wir auch des 140. Geburtstags von Robert Stolz und Leo Ascher, sowie des 150. Todesjahrs von Josef Strauss. Beiträge in den nächsten „LEHÁRIANA“ – Ausgaben werden sich mit diesen Meistern beschäftigen, aber auch zahlreiche Konzerte und Veranstaltungen, die Sie auf der „Termine“-Seite finden. Ganz besonders wollen wir Sie auf das nächste Sonntag Nachmittagskonzert der IFLG mit dem Franz Lehár-Orchester hinweisen: „OPERETTE! – 150 Jahre Franz Lehár und Oscar Straus, 140 Jahre Leo Ascher und Robert Stolz“, am Sonntag, 22. März 2020, 15:00 Uhr, im Wiener Konzerthaus. Wiener Operettenlieblinge werden mit ihrer Meisterschaft ebenso dabei sein wie „Stars von morgen“ des Lehrganges Klassische Operette der MUK und auch die frischen jungen Stimmen der Kinderchöre der Stadt Wien – Singschule. Es ehrt uns, dass Frau Prof. Birgit Sarata den Ehrenschutz über dieses einzigartige Konzert übernommen hat! Freuen Sie sich darauf, erfreuen Sie Ihre Familien und Freunde damit und sichern Sie sich Karten! Damit sich die IFLG dieses Konzert und andere Tätigkeiten und Veranstaltungen leisten kann, bedürfen wir dringend Ihrer Unterstützung und wir danken Ihnen, dass Sie möglichst bald ihren möglichst über den Mindestbeitrag von € 25,- hinausgehenden Mitgliedsbeitrag überweisen. So bleiben wir für heute wie immer mit lehármonischen Grüßen Ihre LEHÁRIANA

1 * Liebe Lehárianer, „Leháriana“ verwendet einheitliche, geschlechtsneutrale Schreibweise.

Leháriana 2 SCHWEIG‘, ZAGENDES HERZ Franz Lehár und die „1000 Jahre“ seines letzten Lebensjahrzehnts Wolfgang Dosch

„Resignation“ nannte Franz Lehár eine seiner betörendsten und so typisch „lehárianischen“ Melodien. Diese Tenor-Arie aus „DAS FÜRSTENKIND“ (1909, Johann Strauß-Theater, Wien), die mit Victor Léons Worten „Schweig‘, zagendes Herz“ beginnt, war wohl auch eine seiner liebsten Melodien. Denn bei dem Konzert, das er mit am 5. Juni 1946 in Zürich gab und das ihr legendäres „Abschiedskonzert“ werden sollte, überredete er ihn, diese Arie, die Tauber nur einmal 1932 aufgenommen hatte, nun zum ersten - und auch zum letzten Mal in seinem Leben – live zu singen. Und Taubers hochsensible und intelligente Interpretation - mit dem sechsundsiebzig jährigen Franz Lehár am Pult - lässt den Atem stocken. Zwei Jahre später starben kurz hintereinander Richard Tauber am 28. Januar 1948 und Franz Lehár am 24. Oktober 1948. „Schweig‘, zagendes Herz“ könnte auch als Motto über dem letzten Lebensjahrzehnt Franz Lehárs von 1938 bis 1948 stehen.

1934 Bereits 1934 gerät auch Franz Lehár ins Visier der nationalsozialistischen Politik. Er selbst weiß damals nichts von der Denunziation durch den Deutschen Musikverlag in Wien, der die Reichssendeleitung des NS-Rundfunks informiert hatte, dass Lehár „nichtarisch“ verheiratet sei. Immer wieder gerät Lehár in Schwierigkeiten mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik im Deutschen Reich und wird zum „strittigen Problem“. Das Propagandaministerium antwortet am 27. November 1934 auf Anfrage des Ortsverbandes der NS-Kulturgemeinde Halle/Saale zu Franz Lehár: Franz Lehár ist für die Kulturpolitik des Dritten Reiches ein strittiges Problem (…) Seine Librettis (sic.) stammen ausnahmslos von Juden. Mit seinen jüdischen Mitarbeitern und Richard Tauber dazu, bewegt er sich ausschließlich in jüdischen Kreisen. Der Aufbau seiner Operetten zeigt eine gewisse internationale Kitsch-Schablone. Die von Lehár vertonten Texte entbehren, von Juden geliefert, jeglichen deutschen Empfindens. (…) Seine nach langjähriger Bekanntschaft vor einigen Jahren geheiratete Frau soll jüdisch sein. Lehár selbst hat mit einem Schreiben vom 16. August 1933 der Reichsleitung des Reichsverbandes Deutsche Bühne e. V. seine eigene arische Abstammung versichert. Trotzdem ist eine Abnahme von Aufführungswerken Lehárs für die NS-Kulturgemeinde nicht tragbar. Unterstellt, dass die schwer überprüfbare Behauptung der nichtarischen Verheiratung sich nicht bestätigen sollte, hat Lehár sich durch seinen ständigen Umgang mit Nichtariern, seine seit Jahren bestehende Zusammenarbeit mit Juden, seine enge Freundschaft mit Richard Tauber, nicht zuletzt durch hämische Bemerkungen zum

3 Heft 45, Jänner 2020 Nationalsozialismus außerhalb des Kreises der Mitarbeiter an der Kulturpolitik des Dritten Reiches gestellt, soweit von einem Werturteil über sein musikalisches Schaffen abgesehen werden kann.

1936 Lehár war sich mittlerweile zweifellos seiner Gefährdung an unterschiedlichsten Fronten bewusst. Er erwähnt eifrig sein Ariertum ebenso wie seine ungarische Staatsangehörigkeit und folgt so 1936 einer Einladung zum NS-Komponisten- und Autorenkongress nach Berlin und knüpft Kontakte zu höchsten Parteikreisen bis hin zu Goebbels. Einige Wochen später kommt es bei der Jahrestagung der NS-Kulturkammer zu einem persönlichen Zusammentreffen mit Hitler, der den Komponisten seiner Lieblingsoperette „DIE LUSTIGE WITWE“ (1906, ) sogar in die Reichskanzlei Abbildung 1: Karikatur zur Gründung des Glockenverlags. lädt. Augenzeuge Albert Speer berichtet in seinen „Spandauer Tagebüchern“, dass Hitler auch „Tage danach noch beglückt über dieses bedeutungsvolle Zusammentreffen“ war, denn Lehár war „für den Führer allen Ernstes einer der größten Komponisten der Musikgeschichte. Seine Lustige Witwe rangierte gleich neben den schönsten Opern“. Nur drei Tage nach diesem Treffen dirigiert Lehár im Theater am Nollendorfplatz die Premiere der Neuproduktion seines „ZAREWITSCH“ (1927, Deutsches Künstlertheater, Berlin), bei der Hitler und Goebbels Ehrengäste sind. Goebbels vermerkt in seinem Tagebuch am 30. November 1936 über den Führer: Er ist ein wahres Genie. Er versteht von allem das Wesentliche. Das ist das Bewundernswerte an ihm. Abends gehen wir mit ihm in den Zarewitsch. Lehár dirigiert. Ein richtiges Schmalz für Auge und Ohr. Das Publikum ist begeistert. Das ist auch schön so. Wir alle haben viel Spaß daran, und Lehár ist ganz glücklich. Mehr noch, Lehár darf sich und also auch seine Frau Sophie Pasckis, verehelichte Meth, in Sicherheit hoffen und ist natürlich durchaus auch als Künstler glücklich auf allen Bühnen des Reiches „persona grata“ des Führers zu sein.

1938 Als allerdings die Nationalsozialisten in Österreich einmarschieren, zieht sich die Schlinge um Sophie Lehár enger. Gerne kommt Lehár daher der Aufforderung von Walther Funke, seit Februar 1938 Hitlers Reichswirtschaftsminister, zuvor Staatsminister in Goebbels‘ Propagandaministerium und Vizepräsident der Reichskulturkammer, nach, dem Führer zu seinem 49. Geburtstag am 20. April 1938 mit einem der ‚Als Erinnerung an die 50. Vorstellung

Leháriana 4 der „Lustigen Witwe“ am 17. Februar 1906‘ gedruckten kleinen Notenheftchen eine Freude zu machen: Staatssekretär Funke sagte mir, dass Hitler, als er in Wien war und kein Geld hatte, immer auf der Galerie war, um „Die lustige Witwe“ zu hören … „Haben Sie noch so ein Programm?“ und er gab mir den Rat, es einbinden und oben am Rand ein Hakenkreuz anbringen zu lassen. Wie unerfahren ich damals war, bezeugt, dass am Titel die beiden Hauptdarsteller Mizzi Günther und Louis Treumann (ein Jude) abgebildet waren. (Lehár, zitiert nach Bernhard Grun, „Gold und Silber“, Langen–Müller, München, Wien, 1970).

Fünf Wochen nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich muss Lehár seine und vor allem die Existenz seiner Frau wachsender Gefahr ausgesetzt sehen und so scheint es, wie u. a. auch Peter Herz (jüdischer Librettist und Freund Franz Lehárs) in mehreren Publikationen schreibt, nachvollziehbar, dass er dieses Geschenk an Hitler als einfaches Mittel sah, sich die Gunst und auch den Schutz des Führers für sich und seine Gattin weiterhin zu sichern. Dieses kleine Heftchen wurde nach 1945 in Hitlers Berghof gefunden und von Medien als Sympathiebeweis Lehárs für Hitler und den Nationalsozialismus ausgeschlachtet. Peter Herz zitiert Lehár: Sympathiebeweis? Am Titelblatt dieser Noten ist Louis Treumann als Danilo zu sehen. Hitler hat von mir sicher das einzige Bild eines Juden bekommen, mit Freude entgegengenommen und in Ehren gehalten. Es war mein Verdienst, daß ich ihm das Bild des Juden Treumann unterschob. (Schreiben von Franz Lehár, Zürich, 14. März 1947; zitiert nach Bernhard Grun, „Gold und Silber“) Peter Herz, der in zahllosen Publikationen stets vehement gegen die Verunglimpfung Lehárs als „Freund des Nationalsozialismus“ eingetreten ist, berichtet auch, dass sich Lehár beim Führer um die Freilassung von Louis Treumann, Uraufführungsinterpret des Danilo und vieler anderer Lehár-Rollen, aus dem Ghetto verwendet haben soll, doch von Hitler mit der Feststellung abgespeist wird: „Treumann ist in Theresienstadt, dort geschieht ihm nichts.“ (Peter Herz: Da ging er ins Maxim, Gedenken an Louis Treumann, Illustierte Neue Welt, März 1985)

VERMÖGENSABGABE FÜR JUDEN UND DEREN EHEGATTEN Und tatsächlich vermag die Leidenschaft Hitlers für Lehár-Musik, aber auch die Einsicht des Propagandaministeriums und der Reichstheaterkammer, dass Franz Lehár ein für das Reich unverzichtbarer Komponist ist, sein relativ ungestörtes Überleben in Wien und zumindest für einige Jahre zu sichern. Dies belegt bereits der Schriftverkehr zwischen Hans Hinkels, SS-Sturmbannführer, als Staatsrat zuständig für Theater in Berlin, und Minister Goebbels. Aktennotiz Hinkels an Goebbels am 29. August 1938: Franz Lehár, dem ich in den vergangenen Monaten alle Schwierigkeiten, die seine Arbeitsmöglichkeiten beschränken könnten, aus dem Wege räumte – wendet sich soeben eiligst mit der Bitte an mich, ihm in folgender Angelegenheit behilflich zu sein:

5 Heft 45, Jänner 2020 Lehár ist nach den allgemein geltenden Bestimmungen bekanntlich verpflichtet, sein und seiner katholisch getauften volljüdischen Frau Vermögen bis zum 30. September anzugeben. Davon wird er und seine Gattin auch nicht durch die Inhaberschaft des ungarischen Staatsbriefes befreit. Lehár fühlt sich durch diese Vermögensanmeldepflicht für Juden und deren Ehegatten außerordentlich bedrängt – sein Rechtsvertreter mußte ihm erklären, daß nur ein von kompetenter Seite kommendes Wort ihn von dieser Pflicht befreien kann – und fragt recht verzweifelt um Rat. Ich habe ihn sogleich beruhigt und ihm versprochen, umgehend dem Herrn Minister zu berichten. Ich möchte ergebenst vorschlagen, daß der Herr Reichswirtschaftsminister Funk, der ja Franz Lehár sehr gut kennt, ersucht wird, Herrn und Frau Lehár von dieser Pflicht zu entbinden bzw. ihm einen Ausweg zu zeigen. Ich darf noch dazu bemerken, daß die Vermögensverhältnisse des Ehepaares Lehár schon deshalb sehr kompliziert liegen, weil Franz Lehár als ungarischer Staatsbürger die bekannten Besitzungen in Wien und Bad Gastein [sic! WD.] und eine weitere Besitzung in Ungarn unterhält. Dazu kommen seine großen Tantièmenansprüche an die deutsche Stagma und die bisherige AKM in Wien, sodaß eine Vermögensaufstellung für den Künstler tatsächlich mit allerlei Komplikationen verbunden ist.

Goebbels stimmt zu und Staatsrat Hinkel schreibt acht Tage später, am 8. September 1938, an Wirtschaftsminister Funk: Herr Reichsminister Dr. Goebbels würde es begrüßen, wenn durch Ihr Ministerium veranlasst werden könnte, daß Lehár von der Verpflichtung der Vermögensabgabe befreit oder ihm ein Ausweg gezeigt wird. Ich darf deshalb die Bitte aussprechen, daß Sie, sehr geehrter Herr Reichsminister, Ihrem persönlichen Referenten, Herrn Oberregierungsrat Walter, entsprechende Anweisung geben.

Die Anweisung wird erteilt. Franz Lehár war sich also sehr wohl der Bedrohung bewusst, die ihm und seiner Gattin erwachsen können, lebte auf des Messers Schneide und versuchte auf allen Wegen, Unheil von ihr abzuwenden.

Derartige Vorgänge verführen auch Fritz Löhner-Beda, mit dem Lehár beispielsweise „FRIEDERIKE“ (1928, Metropol-Theater, Berlin), „DAS LAND DES LÄCHELNS“ (1929, Metropol- Theater, Berlin) und auch seine letzte Operette „GIUDITTA“ (1934, Wiener Staatsoper) geschrieben hatte, sich in Sicherheit zu wiegen, unwissend, dass auch er bereits 1934 durch Rainer Schlösser als Zionist verleumdet worden war. (Vgl. Schlösser an Goebbels, 12. September 1934. In: Schaller, Wolfgang [Hrsg.]: „Operette unterm Hakenkreuz“, Staatsoperette Dresden, 2007, S. 15). „Der Hitler liebt meine Lieder, der wird mir nichts tun“, hatte Löhner-Beda vor dem „Anschluss“ gesagt, und selbst als nach 1933 in Deutschland alle seine Operetten, die er für

Leháriana 6 jüdische Komponisten wie v. a. Paul Abraham geschrieben hatte, verboten wurden, wollte er noch glauben „es wird schon nicht so schlimm werden“. Als dann 1937 sogar seine Operetten, die er für Lehár geschrieben hatte, von den deutschen Spielplänen verschwinden und alle deutschen Tantièmen ausbleiben, schreibt der Geschäftsführer des „Glocken-Verlages“ im April 1937 an Lehár, dass Beda „sehr mit seinen Nerven fertig zu sein“ scheint. Bereits am 13. oder 14. März 1938, also am unmittelbar nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich, wird Löhner-Beda ins Polizeigefängnis in die Elisabethpromenade (im Volksmund „Lisl“ genannt) abgeführt. Das „Dachau-Lied“, das er für Hermann Leopoldi, der das KZ überleben kann, schreibt, wird einer seiner letzten Texte bleiben.

ERPRESSUNG! Am 1. November 1938 wendet sich Lehár, bedroht von mehrmaligen Erpressungsversuchen des Regisseurs Paul Guttmann, der u. a. auch Librettist seiner „WO DIE LERCHE SINGT“ (1918, Theater an der Wien) war, in einem Schreiben an Staatsrat Hinkel. Dieses Schreiben, das 1945 auf mysteriösem Weg der „Basler Zeitung“ zugespielt wird, ist durch den eher „preußischen“ Stil und vor allem durch das mehrmalige Verwenden des Wortes „jüdisch“ völlig untypisch für die uns durch alle andere Korrespondenz bekannte liebenswürdig „kakanische“ Wortwahl Lehárs. Dieser Umstand wie vor allem auch die Tatsache, dass in diesem Brief irrtümlicherweise anstatt von Paul Guttmann von dessen Bruder Arthur (mit beiden war Lehár jahrelang persönlich bekannt) die Rede ist, hat den deutschen Regisseur und Lehár-Biografen Otto Schneidereit zu der Überzeugung geführt (die er auch bei einem Lehár-Symposion, Bad Ischl 1978) vertrat, dass dieser Brief Lehárs an Hinkel eine Fälschung sein müsse. Dr. Stefan Frey, der fundierteste Lehár-Forscher unserer Tage, konnte diese Behauptung Schneidereits allerdings widerlegen, denn das Original dieses Briefes fand sich in der Akte „Lehár“ des seit kurzem geöffneten „Berlin Document Center“. Wenn wir heute davon ausgehen müssen, dass Lehár dieses Schreiben tatsächlich verfasst hat, dann erkennen wir darin den verzweifelten Versuch eines fast siebzigjährigen Mannes, der sich von verschiedenen Seiten bedroht fühlt, sein und vor allem das Leben seiner jüdischen Gattin mit zweifellos „unkorrekten

Abbildung 2: Adolf Hitler trifft Franz Lehár. Mitteln“ zu retten:

7 Heft 45, Jänner 2020 3. November 1938, Franz Lehár an Staatsrat Hinkel, Berlin: Hochverehrter Herr Staatsrat! Es betrifft eine Erpressungsanzeige gegen den jüdischen Schauspieler Artur Guttmann und seinen jüdischen Rechtsanwalt Doktor Samuely. […] Der Vertreter dieser zwei Juden ist der jüdische Advokat Dr. Eitelberg. Artur Guttmann und Dr. Samuely werden bestimmt verurteilt – sie wollen aber eine große Affäre daraus machen und dazu wollen sie Dr. Eitelberg benutzen, der der berüchtigtste jüdische Advokat Wiens ist. Dr. Eitelberg wollte, daß ich ihn heute zwischen vier und sechs Uhr anrufen soll. Das darf ich doch nicht tun. Der Tatbestand ist folgender: Artur Guttmann, der schon wiederholt an mir Erpressungen verüben wollte, wandte sich seinerzeit schriftlich an Dr. Samuely, er möge ihn gegen mich vertreten. Dr. Samuely willigte ein, aber nachdem er mir einen Brief schrieb, aus dem ich klar die Situation übersah, zeigte ich die schon berüchtigten Herren beim Landesgericht an. Die zwei Juden wurden sofort in Haft gesetzt. Die Sache ruhte längere Zeit – es kam der Umbruch [die Verwendung des in Österreich damals völlig unüblichen Begriffes „Umbruch“ schien Schneidereit ebenfalls Beleg für die Fälschung. Anm. WD.] – es kamen die Gerichtsferien, nun kam die Nachricht von der angesetzten Verhandlung für Montag, Dienstag, Mittwoch!!! Der berüchtigte Advokat Dr. Eitelberg hat nun die Sache in der Hand, und daß eine dreitägige Verhandlungsdauer angesetzt wurde, beweist, dass er seinen wahrscheinlich nahe bevorstehenden Abgang mit einem Knalleffekt erster Ordnung bewerkstelligen will [Diese eher „berlinerische“ Formulierung ist ebenfalls völlig unüblich für Lehár. Anm. WD.]. […] Sie ersehen, wie früher anerkannte Künstler von jüdischen Advokaten und Konsorten als Freiwild betrachtet werden konnten …

In einem Fernschreiben von Hinkel an das RPA, das sich mit der „Arisierung der kulturwirtschaftlichen Betriebe“ zu befassen hatte, heißt es: Franz Lehár war durch die Mitteilung, dass in diesen Tagen der Termin gegen Guttmann steigen sollte, sehr aufgeregt, weil er als Zeuge geladen war. Ich bin der Meinung, dass wir an der Fortführung dieses Prozesses kein Interesse haben können, weil er Franz Lehár durch in- und ausländische Berichterstatter mehr schaden würde als nützen. […] Aus diesem Grunde habe ich vorerst fernmündlich den genannten Staatsanwalt veranlasst, die Verhandlung zu vertagen.

Dieses in offensichtlicher Not verfasste und zweifellos „unsaubere“ - allerdings auf mehrmalige Erpressungsversuche reagierende - Schreiben Lehárs hat also Erfolg. Es bewahrt ihn einerseits tatsächlich vor einem Gerichtsverfahren gegen seine Erpresser und bestätigt ihm andererseits auch die Wichtigkeit als Künstler, die er für die Nationalsozialisten hatte. In einem Brief vom Juli 1939 erhielt der „Liebe Meister Lehár“ eine Mitteilung von Hinkel persönlich, wonach er „auch diesbezüglich beruhigt arbeiten“ könne.

Leháriana 8 1939 Am 12. Januar 1939 präsentiert das Deutsche Operettenhaus, Berlin Charlottenburg, eine Neuaufführung der „LUSTIGEN WITWE“, die Lehár dirigiert. Hitler lässt ihn in seine Loge kommen und überreicht ihm eine Auszeichnung. Zu dieser Neufassung steuert der Wiener Kabarettist und Schriftsteller Rudolf Weys Texte bei, der 1943-1945 eine Neubearbeitung des „RASTELBINDER“ (1902, Carltheater, Wien) erstellen wird und der ebenfalls wie Lehár mit einer Jüdin verheiratet ist und den Lehár durch seine Zustimmung zu dieser Bearbeitung ausdrücklich zu schützte weiß. (Zu dieser Bearbeitung, die im Auftrag der Reichsstelle für Musikbearbeitungen entsteht, finden Sie mehr in dem Kapitel „Der Rastelbinder – arisiert“.)

LEHÁR SCHÜTZT LÉON Aber Franz Lehár schützt nicht nur den Bearbeiter des „RASTELBINDER“, sondern auch dessen Original-Librettisten Victor Léon, mit dem er unter anderem auch „DIE LUSTIGE WITWE“ (1905) geschrieben hatte. Franz Marischka, Enkel Victor Léons, der die Nazi-Zeit in London überlebte, berichtet in seinem Buch „Immer nur lächeln“ (Amalthea, Wien, München, 2001), dass die – arische – Freundin Léons, Anna Stift, die Victor und seiner Gattin Ottilie liebevoll den Haushalt führte, 1939 zufällig erfährt, „dass die Großeltern auf einer Liste der Gestapo standen und abgeholt werden sollten. Sie informierte sofort Franz Lehár, der beim damaligen Gauleiter Bürckel erreichen konnte, dass Victor Léon und seine Frau von der Liste gestrichen wurden.“

Marischkas Darstellung deckt sich mit einer eidesstattlichen Erklärung, die besagte Anna Stift am 7. Februar 1972 zu Gunsten von Franz Lehár abgibt: Als Universalerbin des (jüdischen) Schriftstellers und Operetten- Librettisten Victor Léon kann ich nachstehenden Vorfall bezeugen, aus dem sich die Hilfsbereitschaft für seine (Lehárs) jüdischen Freunde auch zur Zeit des Naziregimes ergibt: Anfang 1939 wurde der damals 80-jährige kranke Victor Léon von der SS aufgefordert, binnen drei

Abbildung 3: Victor Léon, Miss Austria Lisl Goldarbeiter, Franz Lehár. Wochen seine Villa in Wien XIII, Wattmanngasse 22, samt seiner Lebensgefährtin Ottilie Popper zu verlassen. Da die beiden alten Leute entschlossen waren, sich eher das Leben zu nehmen, als sich diesem Befehl zu fügen, begab ich mich zu Franz Lehár und bat ihn um Hilfe. Lehár versprach trotz der eigenen Belastung mit

9 Heft 45, Jänner 2020 seiner jüdischen Gattin, alles zu versuchen, um der bedrohten Familie zu helfen. Seine Intervention hatte auch vollen Erfolg. Victor Léon konnte bis zu seinem Tod im Jahr 1940 und Ottilie Popper bis zu ihrem Ableben 1942 unangefochten in ihrer Villa bleiben. (Zitiert nach Barbara Denscher, „Victor Léon“, transcripit - verlag, Bielefeld, 2017; Léon-Nachlass 37/3.21.)

1940 BUDAPEST. GRÜSSE AUS MEINER HEIMAT An Rudolf Weys schreibt Lehár am 19. Februar 1940 aus Budapest, Hotel Hungaria, eine Postkarte, die Aufschluss darüber gibt, welcher Nation er sich tatsächlich zugehörig fühlt: „Herzliche Grüße aus meiner Heimat! Dirigierte hier am 11. 2. im Radio 2 Stunden. Das Konzert wurde auch von Wien übernommen. Haben Sie es gehört?“

70. GEBURTSTAG – LEHÁR UND „DIE MINDERWERTIGEN MAGYAREN“ Nicht nur diese Affinität seines Herzens und seiner Musik zu Ungarn, sondern natürlich auch offensichtlichere Gründe, erwiesen sich besonders problematisch in Anbetracht des bevorstehenden 70. Geburtstages, bei dem das Propagandaministerium beabsichtigte, Franz Lehár als „seinen“ größten Operettenmeister gebührend zu feiern. So wandte sich die Abteilung T. des Propagandaministeriums mit Bedenken an Minister Goebbels, Berlin 5. April 1940 (BA-R55/1136, S. 301-303): „Die in Aussicht genommene ‚Goethe-Medaille‘ dürfte sich in Hinblick auf „FRIEDERIKE“ nicht empfehlen“, andererseits würde er durch die vorgeschlagene Verleihung des „Ordens vom deutschen Adler“ als Ausländer abgestempelt. Franz Lehár ist ungarischer Staatsbürger deutscher Abstammung. Die Magyaren führen einen erbitterten Kampf um den Nachweis, dass Lehár Magyar sei. […] Es liegt außerordentlich viel daran, zu erreichen, dass […] Franz Lehár dem deutschen Volk und der Welt gegenüber als Deutscher hingestellt wird […] Die Magyaren beabsichtigen ferner, Franz Lehár die Ehrenbürgerschaft der Stadt Ödenburg zu geben […], seit Jahrhundert ein Streitobjekt zwischen Deutschen und Magyaren. […] Es ist deshalb zu überlegen, ob Lehár auf geeignete Weise die Ablehnung dieser Ehrenbürgerschaft plausibel gemacht werden soll. Dazu wäre allerdings notwendig, ihm […] die Aufführung seiner Operette „FRIEDERIKE“ freizugeben. Seitens des Reichsdramaturgen sind gegen die Operette eine Reihe Bedenken geäußert worden. […] Wir sind es uns und unserem Volke schuldig, einen Komponisten wie Lehár, der sich zum Deutschtum bekennt und dessen Operetten vom Führer außerordentlich geschätzt werden, nicht kampflos in die Hände minderwertiger Magyaren abgehen zu lassen.

Das Propagandaministerium erlässt am 27. April 1940, drei Tage vor Lehárs Geburtstag, ein diesbezügliches Presse-Rundschreiben NR. II/279/40 Berlin: Anlässlich des 70. Geburtstages von Franz Lehár am 30. 4. 1940 soll ihm eine besondere Ehrung zuteilwerden. Da die Ungarn wegen der Ungarischen Staatsangehörigkeit Lehárs ihn für sich beanspruchen, er aber tatsächlich deutschstämmig ist, soll in der

Leháriana 10 Presse nicht etwa von dem „ungarischen“ Komponisten Lehár gesprochen werden, sondern von dem Meister der deutschen Operette. Jede Polemik in Bezug auf Lehárs Musik und Person ist selbstverständlich unerwünscht.

Zu seinem 70. Geburtstag wird ihm schließlich dennoch die „Goethe-Medaille“ verliehen, Regierungspräsident Jung überreicht ihm im Namen von Gauleiter Bürckel am 3. Mai 1940 im Wiener Rathaus den „Ehrenring der Stadt Wien“. Lehár bedankt sich mit der Neukomposition einer großen Ouverture zu „DIE LUSTIGE WITWE“, die wenig später von den Wiener Philharmonikern uraufgeführt wird. In einem Kaufhaus findet eine Ausstellung statt. Bei der Eröffnung führt der Meister selbst die Gäste, darunter Hubert Marischka und Willy Seidl, Direktor des Raimundtheaters. Das „Neue Wiener Tagblatt“ vom 4. Mai 1940 schreibt, dass der Lehár so viele Glückwünsche erhalten hat, „dass der Briefbote mehrmals täglich mit einem Wäschekorb vor seiner Wohnungstür erschien. Der Meister sieht sich außerstande, Allen die seiner gedachten, persönlich zu danken und bittet uns deshalb, […] auf diesem Weg seinen herzlichsten Dank abstatten zu können.

Lehár selbst verbringt seinen Geburtstag jedoch weder in Wien noch in Bad Ischl, sondern in „seiner Heimat“ Budapest. Zu seiner Verbundenheit zu Ungarn kommt die Tatsache, dass die Budapester Königliche Oper „DAS LAND DES LÄCHELNS“ anlässlich seines Geburtstages auf den Spielplan setzt und dass auch seine Schwester Emmy Papházay in Ungarn lebt. Aber zweifellos fühlte sich Lehár, entgegen aller Beschwörungen des Propagandaministeriums, doch als Ungar. Und er nimmt auch, entgegen dem Willen des Ministeriums, sehr wohl die Ehrenbürgerschaft von Ödenburg an und verkündet in seiner Dankesrede, die die „Oedenburger Zeitung“ am 3. Mai 1940 abdruckte: Mein ungarisches Herz dankt für diese ehrende Feier, bei der ich besonders durch den Umstand gerührt war, dass alle Redner auf mein Ungartum hingewiesen haben, das ich am überzeugendsten dadurch dokumentiere, dass ich das Gebet zum Himmel emporsende: Gott erhalte den ersten Ungarn, Nikolaus von Horthy!

LEHÁR-FEIER 30. MAI – 1. JUNI 1940 UND STADTERHEBUNG BAD ISCHLS Bad Ischl lässt sich die Ehrung des Meisters, der diesen Ort zu seiner Wahlheimat erkoren hat, besonderes Anliegen sein, vor allem auch, da dieser Geburtstag mit der Stadterhebung zusammenfällt. Am 1. Juni 1940 berichtet das „Kleine Volksblatt“: „Bad Ischl im Zeichen Meister Lehárs – Die Perle des Salzkammergutes wird zur Stadt erhoben. Der Name Franz Lehár ist im Reiche der deutschen Musik ein festumrissener Begriff geworden. Mit besonderer Freude ist der Gau Oberdonau an die Inszenierung dieser Lehár-Festtage gegangen, weil viele der schönsten Werke des Meisters hier in der Perle des Salzkammergutes, in Bad Ischl, entstanden sind […] Die Veranstaltung beweist, dass das Reich in dem sicheren Gefühl auf den Sieg trotz des Krieges sein Kulturleben fördert und pflegt.

11 Heft 45, Jänner 2020

Die ihm seitens der Politik erwiesenen Ehrungen und vor allem die ihm von der Bevölkerung entgegengebrachte Anerkennung erfüllen ihn zweifellos mit Genugtuung. Dennoch geht sein Herzenswunsch, die Aufhebung des Aufführungsverbotes seiner „FRIEDERIKE“, trotz intensiver Bemühungen nicht in Erfüllung. In einem Interview für den Reichssender Wien sagt er charakteristischerweise, „FRIEDERIKE“ sei das „Deutscheste unter meinen allen möglichen Nationen angehörenden Kindern (eines ist sogar ein Chinese geworden).“ Am 17. September 1940 versucht er Goebbels erneut umzustimmen. Dieser schreibt in sein Tagebuch: Privataufführung … von ‚FRIEDERIKE‘ im Theatersaal durch das ‚Theater des Volkes‘. Text und Vorwurf etwas kitschig. Aber musikalisch von einem unendlichen Reichtum des Einfalls und der Melodienfreudigkeit. Ich bin schwankend, ob man das Stück freigeben soll. Goethe ist nicht taktlos behandelt, aber schließlich ist er Goethe. Ich werde nochmal mit dem Führer sprechen. (Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 4, 17. September 1940) Ob das Gespräch stattgefunden hat, wissen wir nicht, wenn ja hat es nichts bewirkt, denn „FRIEDERIKE“ bleibt „1000 Jahre“ verboten.

Obwohl Lehár es versucht zu vermeiden, scheinen die Politik und der Kriegsalltag ihn als Künstler zu blockieren. So beantwortet er in einem Interview für Radio Wien anlässlich der Neuproduktion der „LUSTIGEN WITWE“ 1940 in Berlin die Frage, ob die Anwesenheit des Führers bei der Premiere nicht „eine stolze Genugtuung“ für ihn bedeute, diplomatisch und ausweichend: Gewiss. Die Berliner Aufführung der „LUSTIGEN WITWE“ war grandios. Etwas noch nie Dagewesenes, Einmaliges. Das Interesse des Führers verpflichtet mich zu tiefstem Dank. Ich möchte aber die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, allen jenen zu danken, die mir und meiner Kunst durch ein Menschenalter die Treue gehalten haben. Was ich zu bieten hatte, war stets ehrlich empfunden und kam vom Herzen. Ich habe mein ganzes Leben nie etwas anderes gekannt als meine Kunst, meine Musik. Ihr habe ich mich restlos hingegeben. ‚Immer nur lächeln!‘, ‚Was geh’n mich an die Leute‘, ‚Resignation‘ im ‚FÜRSTENKIND‘, das Lied an die Geige des ‚PAGANINI‘ sind Selbstbekenntnisse. Meine Lebensaufgabe aber sehe ich darin, den grauen Alltag meiner Mitmenschen zu verschönern.

Lehár ist wohl auch schmerzlich bewusst, dass er seit 1934 keine Muße und auch keine geeigneten Mitarbeiter mehr findet, um das zu tun, wofür er sich als Künstler berufen fühlt –

Leháriana 12 zu komponieren und neue Werke zu schaffen. „Nichts Schlimmeres gibt es, als aus der Arbeit herausgerissen zu werden Es ist anfangs, als ob einen ein Rausch überkäme. Wird man gestört, ist dieser Rausch vorbei und die Arbeit, die vorher mühelos war, bedeutet plötzlich eine Anstrengung“, sagt er der „Kronenzeitung“ am 28. April 1940.

1941 und 1942 Im September 1941 erreicht ihn der Auftrag für die Kompositionen eines Marsches zu einem Film über Oberst Gerloch, Ritterkreuzträger und Kommandant eines Panzerregiments. Lehár versucht, sich dieses Auftrages zu entledigen, unter Hinweis auf die Kurzfristigkeit des Auftrages, seiner Arbeit an einer Neufassung des „GRAF VON LUXEMBURG“ (1909, Theater an der Wien) für eine Berliner Produktion und auch auf die Unerfahrenheit des Librettisten, Ernst A. Welisch, Sohn von , der gemeinsam mit Rudolf Schanzer u. a. Librettist von Oscar Straus und Leo Fall („MADAME POMPADOUR“, 1922, Berliner Theater, u. a.) war. Am 20. September 1941 schreibt Lehár aus Bad Ischl an den Geschäftsführer seines „Glocken- Verlages“, Friedrich Fleischer: „Wenn Welisch das Husarenstück vollbringt, mir postwendend einen zündenden Text zu schicken, so schreibe ich den Marsch gern […] Welisch soll zeigen, was er kann – und ich – ich, ich steh‘ bloß meinen Mann.“ Ernst A. Welisch liefert einen Text, der als propagandistisch und kriegstreiberisch zu bezeichnen ist – und Lehár, der nichts damit zu tun haben will, unterlegt ihn mit einer merkbar lustlos aus dem Handgelenk geschüttelten „Allerwelts-Marschmusik“. Es handelt sich bei diesem „Marsch der Kanoniere“ um die tatsächlich einzige Komposition Lehárs im Sinne der Nationalsozialisten und ihres Krieges. Auf einem Druckexemplar dieses Marsches findet sich eine unvollständige und undatierte Widmung an Gauleiter Bürckel, der Lehár öfters in schwierigsten Situationen, vor allem in Zusammenhang mit seiner Gattin, behilflich ist. In all diesen Jahren komponiert Franz Lehár lediglich kurze Einzeltitel wie die Konzertouverture zu „DIE LUSTIGE WITWE“ für die Salzburger Festspiele 1940 oder auch das Walzerlied „Wien, Du bist das Herz der Welt“, das am 15. Januar 1942 im Wiener Konzerthaus anlässlich des Winterhilfswerkes 1941/42 uraufgeführt wird und das er „Den Wiener Philharmonikern zur Jahrhundertfeier 1842 – 1942 herzlichst gewidmet!“ hat.

Das „Kleine Volksblatt“ berichtet am 16. Januar 1942 über dieses „Wehrmachtskonzert mit Lehár“: Das seit vielen Tagen völlig ausverkauft gewesene vierte Großkonzert der Wehrmacht stand gestern nicht nur im Zeichen des Meisters der modernen Operette Franz Lehár, sondern war auch sozusagen der Geburtstag der jüngsten Schöpfung des Komponisten des Wiener Liedes „Wien, du bist das Herz der Welt!“. Die feschen, leicht dahinfließenden Verse des Liedes, die Ernst A. Welisch schrieb, kleidete Lehár in eine beschwingte, echt wienerische Melodie, die den tausenden Zuhörern so gefiel, daß nicht nur Staatsopernsänger Karl Friedrich und Staatsopernsängerin Esther Réthy das Lied im Solo singen, sondern dann auch noch im Duett wiederholen mussten. […] Über allen stand Franz Lehár als ewig junger Dirigent.

13 Heft 45, Jänner 2020 OSCAR STRAUS - 150 JAHRE Wolfgang Dosch, Dirk Schortemeier

In Ischl bewundert man bis heute die „Villa Vielweib“ in der Wiesingerstraße Nr. 1, nahe dem Kurpark gelegen. Oscar Straus wohnte und arbeitete dort in seinen letzten Lebensjahren. 1948, aus der amerikanischen Emigration heimgekehrt, trifft er seinen kranken Freund Lehár; er selbst erfreut sich einer besseren Gesundheit, wirkt frisch und tatenfroh. 1876, als sechsjähriger Junge ist Straus erstmals nach Ischl gekommen und wird einer der treuesten Bürger der Stadt. Viele Werke entstehen eben hier, niedergeschrieben in aller Liebenswürdigkeit und Leichtigkeit. Er selbst gibt sich eher mürrisch, arrogant und abweisend, mehr noch als seine Operettenkollegen Kálmán und Fall, mit denen ihn eine herzliche Freundschaft verbindet. Eine Schönheit ist er nicht, dieser dürre, baumlange, doch charmante und amüsante Künstler: scharf geschnittenes Gesicht, hohe Stirn und große Nase, selten ohne Zigarette und dennoch vital bis ins hohe Alter. Ein Hasardeur, ein Spieler, ein Pokerface, geboren am 6. März 1870 in Wien als Oscar Nathan Strauss, noch mit zwei „s“. Seine Eltern Louis und Gabriele, geborene Stern, sind Mitglieder großbürgerlicher, gebildeter jüdischer Familien. Bis heute besteht eine große Affinität, ja Verehrung in Frankreich, gerade für diesen Komponisten. Fast alle seine Werke wurden ins Französische übersetzt und dort allenthalben aufgeführt. Das hat Gründe, schwärmt doch Oscar Straus für Léo Delibes, weltberühmter Opern- und vor allem Ballettcompositeur und Professor am Conservatoire von Paris. Also: Auf nach Paris! Einen Tag vor der Ankunft von Straus an der Seine verstirbt Delibes! Was tun? Der Ausweg ist der in Berlin lehrende Max Bruch. Also Umsiedelung nach Berlin im Jahre 1891, aus dem beschützenden, gemächlichen Wien in die pulsierende preußische Hauptstadt. Die Liebe ist nicht allzu groß, weder zum Lehrer noch zur Stadt und so kehrt Straus nach Wien zurück und komponiert, zumeist „ernste Musik“. 1895 heiratet er Nelly Irmen, eine Geigerin, die Eltern sind nicht einverstanden und enterben ihn. Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor: Louis, gefallen 1917, Leo, Theaterdirektor, 1944 in einem Konzentrationslager in Polen gestorben. Schließlich Tochter Kitty, sie stirbt 1982 in Laxenburg. Straus verdingt sich als Kapellmeister in Brüx, Pressburg, Hamburg, Mainz und anderswo. Nebenbei schreibt er Kammermusik sowie erste Bühnenwerke.

Leháriana 14 1898 dann Übersiedlung nach Berlin, Arbeit bei verschiedenen Theatern und der Beginn seiner fruchtbaren Arbeit bei Varieté und Kabarett. Ab 1900 bei Ernst Freiherr von Wolzogen als musikalischer Leiter und Hauskomponist in seinem Kabarett „Überbrettl“. Trotz europaweitem Ruhm zerbricht sowohl die „Nudelbühne“ wie auch seine Ehe und lässt Straus 1904 nach Wien zurückkehren. Dort erzielt er mit seinem Einakter „COLOMBINE“ einen kleinen Erfolg. Es folgen „MAM’SELL COURAGE“ 1906 und „DER FRAUENMÖRDER“, 1907. Mit Dr. Fritz Oliven, gen. Rideamus, schreibt er zwei Operetten: „DIE LUSTIGEN NIBELUNGEN“, „HUGDIETRICHS BRAUTFAHRT“, beide fast eine Offenbach-Nachfolge. Viel wichtiger für ihn ist der weltweite Erfolg der „LUSTIGEN WITWE“, 1905. Ein Jahr später komponiert er seinen „WALZERTRAUM“ und hinterlässt folgende Zeilen: „Als ich den „WALZERTRAUM“ schrieb, tat ich es in der direkten, bewussten, offen gestandenen Absicht, den Weltrekord der „LUSTIGEN WITWE“ zu erreichen, ihn womöglich zu übertreffen.“ Er bringt ihm Weltruhm. Im März 1907 am Carl-Theater in Wien uraufgeführt, erlebt das Stück 1927 dort die tausendste Aufführung. Der danach tantiemenreiche Komponist schafft sogar eine Version für den Stummfilm. Ein Jahr später dann die Uraufführung zu einem zweiten bahnbrechenden Werk: „DER TAPFERE SOLDAT“. Eine Komödie von George Bernhard Shaw stand Pate, ein Stück mit literarischem Anspruch. Viele Imponderabilien waren dazu angetan, dieses Werk NICHT zum Erfolg zu führen. Kritiker bemängeln: „Die Musik entspricht nicht dem literarischen Vorwurf“. An der Besetzung krittelt man ebenso herum wie an den „politischen“ Fakten. Zar Ferdinand von Bulgarien verlangt höchstpersönlich, alle Operetten-Handlungen aus Bulgarien nach Serbien zu verlegen, all das dämpft den Drang des Wiener Publikums sich die Novität anzusehen. Nach gut 60 Aufführungen ist Schluss. Anders im Ausland: London verkündet einen Riesenerfolg, Amerika einen noch größeren. Alle wollen den „CHOCOLATE SOLDIER“ erleben, in der Schweiz den „PRALINÉ SOLDAT“. Der zu Geld gekommene Straus heiratet 1908 die Sängerin Clara Singer; nach aufwendiger Hochzeitsreise u. a. nach Monte Carlo kauft der Komponist eine Villa in der Augartenstraße. Eine Gedenktafel findet sich in der Oberen Donaustraße.

Wenig ist darüber zu lesen, dass Oscar Straus nach seinen Kabarett-Erfolgen beim „Überbrettl“ in Berlin nun auch Kontakte zur „Fledermaus“ in Wien pflegt (500 Kabarettlieder insgesamt). Diese Kontakte gilt es deshalb zu erwähnen, da sie auf seine Werke, die Auswahl seiner Themen und deren literarischen und somit auch musikalische Behandlung großen Einfluss haben. Parodie, Persiflage, kritisches Aug‘ und Ohr, Zeitbezogenheit, Ironie sind Tugenden, die sich in vielen diese Werke finden lassen. Die Auswahl seiner Librettisten ist, ähnlich wie bei seinem Namensvetter Richard „S“, symptomatisch: Arthur Schnitzler mit dem „TAPFEREN CASSIAN“ (1912) oder dem „MÄRCHEN VOM BÖSEN WOLF“ nach Franz Molnár, „DIE LUSTIGEN NIBELUNGEN“ und „HUGDIETRICHS BRAUTFAHRT“ mit Texten von Rideamus. Nicht immer ist ein guter Musiker auch ein guter Theaterchef, nach nur einem Jahr beendet Straus 1916 seine Direktion des Ronachers in Wien und geht wieder nach Berlin, feiert abermals einen Riesenerfolg: 1920 in Wien mit „DER LETZTE WALZER“.

15 Heft 45, Jänner 2020 Die Dynamik dieser beiden Städte in den 1920ern haben auch andere Komponisten gespürt, so Lehár und Stolz. Die Premiere wird der Anfang einer lebenslangen Freundschaft mit Fritzi Massary, die ihren Höhepunkt 1932 mit der Premiere von „EINE FRAU, DIE WEISS WAS SIE WILL“ erlebt. Auf Grund seiner Erfolge übersiedelt Straus mit seiner Frau Clara nach Berlin in eine Villa am Kaiserdamm und wird der gesellschaftliche Mittelpunkt seiner Zeit (was ihm nach seiner Emigration in die USA sehr zugute kommt, etwa durch die Hilfe seines „alten Berliner Bekannten“, Albert Einstein). 1928 ist Paris der Uraufführungsort von „MARIETTA OU COMMENT ON ÉCRIT L’HISTOIRE“ nach Sacha Guitry, in der Hauptrolle dessen prominente Frau Yvonne Printemps („MARIETTA“ erzielt auch in Deutschland einen großen Erfolg). Der Film war wohl „schuld“, dass Straus mehrere Reisen in die USA unternimmt, unabhängig davon, dass er Konzerte mit eigenen Werken dirigiert. Hollywood wird für ihn eine Enttäuschung, wie für so viele, etwa auch für Franz Grothe, der die Filmmusik zum Film „HELDEN“, dem Thema des „PRALINÉ SOLDATEN“, schreibt. Zur Uraufführung seines „THE SMILING LIEUTENANT“ startet er zu seiner 3. USA-Reise. Er wird von Hauptstar Maurice Chevalier in New York empfangen. Das ist für den Komponisten nach einem Riesenerfolg die „carte d’ entrée“ für Amerika. Die Wirren der Jahre nach 1933 veranlassen ihn Berlin als Wohnort aufzugeben, ebenso Ischl, wo er eine Sommerresidenz eingerichtet hat. Holland und England sind Länder für Gastspiele, auch die Schweiz, wo 1935 in Zürich „DREI WALZER“ das Licht der Operettenbühne erblickt. Als „TROIS VALSES“ wird es ein Welterfolg, der 1938 auch verfilmt wird. 1936 folgt die Uraufführung des Filmes „“ mit Richard Tauber in London. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 bleibt ihm erst Zürich, dann Paris, dort erhalten er und seine Gattin die französische Staatsbürgerschaft. 1940, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris, flüchtet er weiter nach New York. In Hollywood gibt er Galas, wiederum mit konzertanten Aufführungen seines „CHOCOLATE SOLDIER“. In den Folgejahren führen Tourneen den Komponisten durch die USA, Kanada und Mexico. 1945, zu seinem 75. Geburtstag, gibt er ein großes Konzert in der Carnegie Hall in New York: „Von Strauß zu Straus“. 1948 wird ihm die US- Staatsbürgerschaft verliehen, im gleichen Jahr kehrt er nach Europa zurück, über England, Frankreich, die Schweiz – und schließlich zurück Abbildung 4: Straus mit Sohn und Frau bei der nach Ischl. Ausreise.

Leháriana 16 Es beginnt eine europäische Konzerttätigkeit: Deutschland, Österreich, Skandinavien, Rundfunk-Arbeit. Und es gibt auch wieder Operettenuraufführungen: 1948 „DIE MUSIK KOMMT“, später als „IHR LETZTER WALZER“ an verschiedenen Theatern gespielt. 1952 dann „BOZENA“, fast ein Pendant zur „VERKAUFTEN BRAUT“. 1950 gelingt Oscar Straus noch einmal ein Welterfolg: seine Musik zu dem Max Ophüls- Film „DER REIGEN“ (1950). Ein unruhiges Leben für den Hochbetagten, der 1953 schreibt: „Wie ich es heute sehe, bin ich in Wien zur Welt gekommen, in Berlin berühmt geworden, in Amerika konnte ich viel Geld verdienen, Paris hat mich freundlich aufgenommen, aber zu Hause bin ich doch in Ischl.“ Abbildung 5: Die Straus-Gedenktafel in der Oberen Augartenstraße. Dort stirbt er am 11. Januar 1954.

In Wien erinnern heute ein „Oscar Straus-Park“ und eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus in der Oberen Augartenstraße an ihn, den „Weltbürger der Musik“.

„Es ist wahr, ich schreibe Gassenhauer – aber nur für die allerfeinsten Gassen.“

Auszug aus „Der Stürmer“, Nr. 24, 16. 6. 1934: Die „Wiener“ Operette – ein Bollwerk des Judentums. Aus dem Tagebuch eines abgebauten Operettenstars

Er schreibt sich „Straus“ mit einem s. Seine Laufbahn begann er wie jeder brave Jude als „ernster“ Künstler. Er komponierte, um ein zweiter Meyerbeer zu werden, versuchte sich auch als Operndirigent, bis er zu der Erkenntnis kam, dass er auf diese Art nicht viel Geld verdienen könnte. (Welcher echte Jud nimmt denn das Opfer schicksalshafter Entbehrungen auf sich?!) Er ging also zum Überbrettl Ernst von Wolzogens über und versah Gedichte Liliencrons mit klingendem Gemauschel. Sein bekanntestes „Werk“ war die Vertonung des Gedichtes „Die Musik kommt“. Deutlich hört man das sarkastische Jüdeln aus seinen Tönen, besonders zu den Worten „da kommt schon der Hauptmann“. Man empfindet mit unverkennbarer Plastik die Freude, mit der Straus dem Herren Hauptmann einen feisten, dicken Bauch dazu komponiert. Ganz offenbachisch. Nun, wenn man – wie ein jüdisches Witzwort sagt – seinem Vorbild äußerlich so zum Brechen ähnlich sieht, wie Straus nach Anbringung eines entsprechenden Umhängebartes seinem Kollegen Offenbach, kann man sich das erlauben. Straus versucht es weiter mit parodistischen Operetten. Hatte Offenbachs Gottesgeissel die abstrakte Sphäre des Humanismus als Spottobjekt ausgesucht, so ging Straus auf das lebendige Kunstideal der Deutschen los und schrieb „Die lustigen Nibelungen“. Als es auch damit nicht recht ging, entdeckte dieser Jude flugs sein Wienertum und schrieb den „Walzertraum“. In mehr schlechter als rechter Stilkopie, erfand er da einige Weisen, die dank der einseitigen Propaganda der jüdischen Verleger ihren Weg machten, aber heute trotz anstrengender Wiederbelebungsversuche kein Glück mehr vor den gequälten Zuhörern finden. Und so geht es fort in ansehnlicher Geschäftstüchtigkeit bis zu den jüngsten Kindern der neun Schmusen dieses Meisters.

17 Heft 45, Jänner 2020 RETO PAROLARI (1952 – 2019): EIN NACHRUF Wolfgang Dosch

„Lieber Reto!“ „Servus, Burli!“ Wie wir uns auch gegenseitig nannten, ich möchte mich heute aufrichtig bei Dir bedanken! Seit über zwanzig Jahren habe ich die Freude und Ehre gehabt, unter Deinem Dirigat singen zu dürfen. Im Brucknerhaus in Linz, im Wiener Konzerthaus, aber zumeist bei Deinem 1991 gegründeten groß- und tatsächlich einzigartigen „Festival für gehobene Unterhaltungsmusik“ in Winterthur. Du hast dieses Festival gegründet, weil es so etwas nicht gab und Du hast es zu einer wahrhaften Börse vor allem für Operette gemacht. So haben wir gemeinsam – wie Du sagtest – „rauf und runter Operette“ gemacht. Und mit Dir und Deinen verschiedenen Orchestern, vor allem dem ORP (Orchester Reto Parolari, 1973 von Dir gegründet) war es immer ein Fest auf der Bühne zu sein! Du hattest wunderbare und von Dir hochgeschätzte Lehrmeister, u. a. Prof. Max Schönherr in Wien, Du warst immer präzisest vorbereitet und hast Dir Deine unbändige Musizierlust behalten. Du hattest jahrelange Erfahrungen, hast besten Tradition vertraut. Du wusstest also, wie es geht, „das schwere Leichte“. Und mit Dir ging es immer ganz „natürlich“ und „wie von selbst“. Und Du liebtest uns, Deine Musikerinnen und Musiker und vor allem Deine – unsere – Komponisten und pflegtest freundschaftliche Kontakte zu ihnen und ihren Familien. Auch das verband uns – glückliche Stunden mit den Familien von Nico Dostal, Fred Raymond, Robert Stolz, Emmerich Kálmán und vielen anderen. Vor allem und immer wieder verband uns unser geliebter Meister Charles Kalman, der uns vor 20 Jahren zusammenbrachte. Du warst Uraufführungs- dirigent und Widmungsträger vieler seiner Kompositionen, die Du auch in Deinem einzigartigen, wichtigen Verlag betreutest. Da es keinen seriösen Verlag für „gehobene Unterhaltungsmusik“ gab, so musstest Du eben selbst einen gründen, um an einwandfreies Aufführungsmaterial zu kommen, sei es im Original oder in Arrangements.

Und ein hervorragender Arrangeur warst Du auch! Erstens ein „Studierter“ und zweitens ein aus jahrzehntelanger Aufführungspraxis Kommender: Du wusstest, wie eine bestimmte Orchesterformation am besten zum Klingen kommt, welche Verdoppelungen in

Leháriana 18 Orchesterstimmen wegfallen können und müssen, damit Sänger nicht zugedeckt werden, welche Auftakte besser „die Bühne“ alleine macht, da es mit dem Orchester meist nur schwer zusammenzubringen ist und obendrein weniger Spannung hat, Du wusstest, welches Rubato beste Tradition und welches nur Schlamperei ist. In den, nach dem Rückzug von Prof. Gabriel Patocs im Jahr 2015, schwierigen Zeiten für die Internationale Franz Lehár Gesellschaft (IFLG), konnte ich Dich für die Leitung des Franz Lehár- Orchesters (FLO) gewinnen. Mit der Dir eigenen „intellektuellen Leidenschaft“ hast Du großartige Aufbauarbeit geleistet und die Arbeit der IFLG wesentlich unterstützt. Es ist uns gelungen, die einige Jahre unterbrochene Tradition der „Sonntag Nachmittagskonzerte“ im Wiener Konzerthaus von Prof. Eduard Macku erfolgreich wiederaufzunehmen. Durch Deine souveräne, kenntnisreiche und „klare Liebenswürdigkeit“ hast Du immer wieder bewiesen, was mit perfekter Vorbereitung und stilsicherer Führung in oft knapper Probenzeit zu erreichen ist: stilistisch einwandfreie, unsentimentale, geschmackvolle und musikantische (Operetten-)Interpretation! Das FLO, ein Orchester, dem dieser Stil noch vertraut ist, und Du, ihr „habt Euch gefunden“, ihr habt eine Sprache gesprochen. Eine Sprache, die heute nicht mehr oft gehört werden kann. Am 19. November 2019 standen wir das letzte Mal gemeinsam auf der Bühne. Genau am 90. Geburtstag unseres Meisters Charles Kalman war uns das „Kálmániana“- Konzert der IFLG und des FLO im MuTH, Theater der Wiener Sängerknaben, ein besonderes Anliegen. Seine letzte Komposition „All Aboard For Nice“, die wir bei einem Konzert im Dezember 2014 zu Kalmans 85. Geburtstag uraufgeführt haben, hatte er dem FLO und Dir gewidmet. Nach dem Konzert dankte Dir Charles damals in einem berührenden Schreiben für Deinen jahrzehntelangen Einsatz für seine Werke:

Wien, 20. 12. 2014

Lieber Reto! Vom „Festival Walzer“ bis „All Aboard“ war es ein sehr langer Weg. Ich danke Gott, dass ich ihn mit Dir und Deinem Können und Deiner Einfühlsamkeit machen durfte. Und wünsche, dass es noch viele solche Treffpunkte geben wird. Herzlichst!

Dein Charles

Du sagtest mir, dass Du diese Zeilen damals bereits als „Abschied“ Charlys empfunden hast. So sollte es auch werden, denn zwei Monate später, im Februar 2015, hat er uns verlassen.

Als ich diesen Brief nun im November 2019 bei unserem „Kálmániana“-Konzert dem Publikum vorlas, konnte niemand ahnen, dass wiederum nur ein Monat später, am 15. Dezember 2019, auch Du von uns gehen wirst! Umso größer sind die Fassungslosigkeit und Ohnmacht dem gegenüber, was man Schicksal nennt!

19 Heft 45, Jänner 2020 Ohne Dich zu sein, ist unmöglich vorzustellen – für Deinen hochbetagten Vater, der so stolz war, dass Du 2019 den „Kulturpreis der Stadt Winterthur“ erhieltest, mit dem auch er vor vielen Jahren ausgezeichnet wurde; für Deine nicht einmal zwanzigjährige Tochter, die nun auf ihren eigenen Beinen stehen muss; für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Deines großen und wichtigen Verlages „Swissmusic“ in Winterthur; für all die Organisationen, in denen Du entscheidende Funktionen hattest; für alle Musikerinnen und Musiker Deiner Orchester, vor allem des ORP, Deines Orchesters beim Zirkusfestival in Monaco und natürlich für uns in Wien: das Franz Lehár-Orchester und die IFLG. Und mir ist ein Bruder abhandengekommen, ein Bruder, mit dem ich mit Herz, Hirn und Humor spielen, für „unsere Sache“ kämpfen kann, dem ich vertrauen kann, weil ich weiß, dass er weiß, was er tut.

Reto Parolari war einer der Letzten, der um „die Sache der Operette“ in Theorie und Praxis ganz genau Bescheid wusste, besser als die meisten der so ernsthaften Besserwisser. Sein Platz bleibt unbesetzt - in der Welt der Operette und in meinem Herzen. Tröstlich soll uns sein, dass sein Abschied von dieser Welt ein plötzlicher und vermutlich schmerzfreier war und vor allem, dass er nun jenen nahe ist, die ihm wohl tatsächlich am nächsten waren: unseren großen Meistern! Servus, Burli, sei bedankt. Und richte bitte uns‘re Grüße aus!

Reto Parolari Aus einer Musikerfamilie stammend. Als Dirigent, Verleger, Komponist, Arrangeur anerkannter Fachmann für gehobene Unterhaltungsmusik. Ausbildung an der Musikhochschule Winterthur/Schweiz, in Hannover (Ernst Hildebrand), Stuttgart (Heinz Buchold) und Wien (Prof. Max Schönherr). 1973 Gründung des „Orchester Reto Parolari“ (ORP), zur Pflege und Erhalt der gehobenen Unterhaltungsmusik. Theater und Konzert: Fünf Jahre Dirigent für Operette und Musical am Stadttheater St. Gallen, sowie 14 Jahre am Theater Carré (Amsterdam). Regelmäßige Zusammenarbeit mit Orchestern und Rundfunkanstalten in Europa, Russland, Amerika. Zahlreiche TV- und Radioproduktionen. Über 35 CDs. 1991 Gründung „Internationales Festival der Unterhaltungsmusik“ (Winterthur), das jährlich durchgeführt wird und sich zur Börse für gute U-Musik entwickelt hat. Tätigkeit als Zirkusdirigent: Sechs Jahre beim „Schweizer Nationalcircus Gebr. Knie“; drei Jahre musikalischer Oberleiter bei „Circus Krone“ in München; seit 1997 Chefdirigent beim „Internationalen Circusfestival“ in Monte Carlo. Als Komponist und Arrangeur: Verfasser mehrerer Hundert Werke im Bereich E- und U- Musik. Auszeichnungen: Seit Juni 2007 Vorstandsmitglied der SUISA. 2004 Anerkennungspreis der SUISA-Stiftung für sein langjähriges Wirken als Interpret, Urheber und Verleger. 2015 Carl- Heinrich-Ernst Kunstpreis für sein Lebenswerk. 2019 Kulturpreis der Stadt Winterthur.

Leháriana 20 OPERETTE! Sonntag Nachmittagskonzert mit dem Franz Lehár – Orchester Franz Lehár, Oscar Straus - 150 Jahre Leo Ascher, Robert Stolz - 140 Jahre

Wiener Konzerthaus, Berio-Saal, Lothringerstraße 20, 1030 Wien Sonntag, 22. März 2020, 15:00 Uhr KS Ulrike Steinksy (Sopran), Vincent Schirrmacher (Tenor), Gerhard Ernst (Bariton)

Lehrgang Klassische Operette / MUK Wiener ABChöre, Wiener KinderChor, Stadt Wien Musikschulen - Singschule Franz Lehár - Orchester, László Gyükér, Dirigent

2020 ist - auch - ein Jahr der Wiener Operette! Die Internationale Franz Lehár Gesellschaft und das Franz Lehár-Orchester feiern den 150. Geburtstag von Franz Lehár und von Oscar Straus, ebenso den 140. Geburtstag von Leo Ascher und Robert Stolz! Es ist uns eine besondere Freude und liebevolle Verpflichtung, die großartigen, mitreißenden, beglückenden Werke dieser Meister in bester Tradition aufzuführen und in Wien lebendig zu erhalten! Sie sind, wie die Wiener Operette überhaupt, schillernder Bestandteil des bunten Mosaiks unserer österreichisch-mitteleuropäischen Kultur. Ihre Komponisten sind Meister des so schweren „Leichten“, der Beglückung, der Harmonie.

Auf der Bühne vereinen sich große Wiener Operetten-Stars und leidenschaftliche junge „Stars von Morgen“ mit den bezaubernden frischen Stimmen der Stadt Wien Musikschulen und dem einzigartigen Franz Lehár-Orchester zu einem wunderbaren Konzert mit „unseren Meistern“! Operette!!!

Was ich suche und immer wieder suche, ist die Melodie! Es ist eine Arbeit, glauben Sie mir! Franz Lehár

Karten Konzerthaus, Lothringerstraße 20, 1030 Wien: 01 242 00-0; Email: [email protected] IFLG-Reservierung: Frau Haidler, Tel.: 0676 3340569; Email: [email protected] (IFLG-Ermäßigung gegen Vorlage der Zahlungs- bestätigung des Mitgliedsbeitrags)

21 Heft 45, Jänner 2020 BÜCHER

FRANZ VON SUPPÈ: Mensch, Mythos, Musiker, Ehrenbürger von Gars Andreas Weigel, Zeitbrücke-Museum, Gars Begleitpublikation zur gleichnamigen Jubiläumsausstellung des Zeitbrücke-Museums Gars Mit Beiträgen von Andreas Weigel, Anton Ehrenberger, Ingrid Scherney und Christine Steininger. ISBN 978-3-9504427-4-8; € 25,-.

Als Nachtrag zum Suppè – Gedenken des Jahres 2019 möchten wir verspätet, aber desto dringender auf diese umfassende Biografie des als „Vater der Wiener Operette“ bezeichneten Meister-komponisten hinweisen. Es handelt sich hier um ein umfangreiches, in jeder Hinsicht „schwergewichtiges“, aber umso leichter zu lesendes 400 Seiten starkes Buch, das als Begleitpublikation zu einer Jubiläumsausstellung des „Zeitbrücke-Museums“ in Gars entstanden ist. Vier wunderbare Autoren lassen, trotz oder gerade wegen ihrer „natürlichen“ stilistischen Verschiedenheit, ein lebendiges, buntes, vielseitiges Bild des Komponisten und seines Umfeldes erstehen. Das Buch entstand nach offensichtlich umfassendster seriöser und liebevoller Recherche und erfreut durch ansprechendstes Layout und zahllose farbige Abbildungen. Das Anliegen der Autoren und Autorinnen - eine grundlegenden Korrektur der Lebensgeschichte Suppès und seiner Vorfahren - gelingt anschaulich und überzeugend. Lebendig erhebt sich seine Jugendzeit in Zadar, die Zeit seiner Ausbildung und sein Berufseinstieg als Musiker in Wien. Im Weiteren erfährt der faszinierte Leser ausgewählte Fakten über Suppè und seine Familie während seiner Zeit am Theater an der Wien. Der zauberhaften sommerlichen Wahlheimat des Ehepaares Suppè, Gars am Kamp, widmet sich ein liebevolles Kapitel. Von besonderem Interesse ist zweifellos die Beziehung von Franz und Sofie von Suppè zu der späteren Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner, deren Werk ihn zu der Komposition eines Gedichtes „Nieder die Waffen“ inspirierte. Wir lernen den Komponisten als wahren Humanisten und Pazifisten kennen. Eine einzigartige umfangreiche genealogische Darstellung der Familie Suppè und ausgewählter Weggefährten beschließt dieses wunderbare Buch. Die Lektüre ist eine beglückende Bereicherung für Liebhaber von Suppè, von Operette und ihrer Zeit. Für Lehárianer ein „Musshaben“ – und nicht nur wegen des „Schnäppchens“ von € 25,- für ein derartiges Buch!

Leháriana 22

23 Heft 45, Jänner 2020 TERMINE

Samstag, 25. Januar 2020, 19:30 Uhr: Die Rose von Stambul, Operette von Leo Fall, Bühne Baden (Premiere)

Samstag, 29. Februar 2020, 19:00: Der Zigeunerbaron, Operette von Johann Strauss, Wiener Volksoper (Premiere)

Sonntag, 22. März 2020, 15:00 Uhr, OPERETTE! – Sonntag Nachmittagskonzert im Konzerthaus mit dem Franz Lehár-Orchester. 150 Jahre Franz Lehár und Oscar Straus, 140 Jahre Leo Ascher und Robert Stolz, Konzerthaus Wien, Berio- Saal Solisten der Wiener Volksoper, Lehrgang Klassische Operette / MUK, Kinderchöre der Stadt Wien Musikschulen - Singschule Franz Lehár-Orchester, Dirigent: László Gyükér Karten: Konzerthaus, Lothringerstraße 20, 1030 Wien, Tel.: 01/24200-0, Email: [email protected] IFLG-Reservierung: Frau Haidler, Tel.: 0676 3340569; Email: [email protected] (IFLG-Ermäßigung)

Mittwoch, 1. April 2020, 19:30 Uhr: OPERETTE-SICH-WER-KANN!? 1 – Walzerträume im Land des Lächelns, Bockkeller des Wiener Volksliedwerkes, Gallitzinstraße 1, 1160 Wien Lehrgang Klassische Operette / MUK Karten: Wiener Volksliedwerk, Tel.: 01 4162366, Email: [email protected] (IFLG-Ermäßigung)

Ab Freitag, 3. April 2020, 19:30 Uhr: Drei Walzer, Operette von Oscar Straus, Bühne Baden (Premiere)

Donnerstag, 7. Mai 2020, 19:00 Uhr: Buchpräsentation Stefan Frey: „Franz Lehár-Biographie“, Wienbibliothek, Musiksammlung, Bartensteingasse 9, 1010 Wien Dr. Stefan Frey, Lehrgang Klassische Operette / MUK, Christian Koch, Klavier. EINTRITT FREI!

Freitag, 15. Mai 2020, 18:00 Uhr: PODIUM OPERETTE – 140 Jahre Leo Ascher und Robert Stolz, MUK – Podium, Johannesgasse 4a, 1010 Wien Lehrgang Klassische Operette / MUK Karten: MUK, Tel.: 01 5127747 255, Email: [email protected] (IFLG-Ermäßigung)

Sonntag, 7. Juni 2020, 16:00 Uhr: DIE GANZE WELT IST HIMMELBLAU. Robert Stolz – Programm anlässlich seines 140. Geburtstages, Haus Hofmannsthal, Reisnerstraße 37, 1030 Wien Von und mit Wolfgang Dosch, Harumichi Fujiwara (Klavier) Karten: Haus Hofmannsthal, Tel.: 01 7148533 (IFLG-Ermäßigung)

Montag, 22. Juni 2020 bis Donnerstag, 25. Juni 2020, 19:30 Uhr: DIE LUSTIGE WITWE, Operette von Franz Lehár, anlässlich seines 150. Geburtstages, TAG, Gumpendorferstraße 67, 1060 Wien Lehrgang Klassische Operette / MUK Karten: MUK, Tel.: 01 5127747 255, Email: [email protected] (IFLG-Ermäßigung)

IMPRESSUM Leháriana-Nachrichten der Internationalen Franz Lehár Gesellschaft, c/o Rechtsanwaltskanzlei Dr. Alfred Roschek, Jasomirgottstraße 6, 1010 Wien. ZVR 091289063, Heft 43 / Juni 2019. Redaktion: Univ.-Prof. Wolfgang Dosch (W. D.), Mitarbeit: Irmgard Schäfer. Layout: Jürgen Neckam. Email: [email protected]

Leháriana 24