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Volkswirtschaft und Theater: Ernst und Spiel, Brotarbeit und Zirkus, planmäßige Geschäftigkeit und Geschäftlichkeit und auf der anderen Seite Unterhaltung und Vergnügen! Und doch hat eine jahrhundertelange Entwicklung ein Band, beinahe eine Kette zwischen beiden geschaffen, gehämmert und geschmiedet. Max Epstein1 The public has for so long seen theatrical amusements carried on as an industry, instead of as an art, that the disadvantage of apply- ing commercialism to creative work escapes comment, as it were, by right of custom. William Poel2 4. Theatergeschäft Theater als Geschäft – das scheint heute zumindest in Deutschland, wo fast alle Theater vom Staat subventioniert werden, ein Widerspruch zu sein. Doch schon um 1900 waren für die meisten deutschen Intellektuellen Geschäft und Theater, Kunst und Kommerz unvereinbare Gegensätze. Selbst für jemanden, der so inten- siv und über lange Jahre hinweg als Unternehmer, Anwalt und Journalist mit dem Geschäftstheater verbunden war wie Max Epstein, schlossen sie einander letztlich aus. Obwohl er lange gut am Theater verdient hatte, kam er kurz vor dem Ersten Weltkrieg zu dem Schluss: „Das Theatergeschäft hat die Bühnenkunst ruiniert“.3 In Großbritannien hingegen, wo Theater seit der Zeit Shakespeares als private, kommerzielle Unternehmen geführt wurden, war es völlig selbstverständlich, im Theater eine Industrie zu sehen. Der Schauspieler, Direktor und Dramatiker Wil- liam Poel bezeugte diese Haltung und war zugleich einer der ganz wenigen, der sie kritisierte. Wie auch immer man den Prozess bewertete, Tatsache war, dass Theater in der Zeit der langen Jahrhundertwende in London wie in Berlin überwiegend kom- merziell angeboten wurde. Zwar gilt dies teilweise bereits für die frühe Neuzeit, erst im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aber entwickelte sich das Theater zu einer Industrie, die in Form von GmbHs und Aktiengesellschaften organisiert war, Interessenvertretungen besaß und große Gewinne, aber auch spektakuläre Pleiten verzeichnete. Unter all den Umwälzungen, die das Theater im Laufe des 19. Jahrhunderts, insbesondere seit seinem letzten Drittel erlebte, war seine Kommerzialisierung die auffälligste und die einschneidendste. Das fol- gende Kapitel spürt dieser Entwicklung nach, indem es nach ökonomischen Ak- teuren, Praktiken und Strukturen fragt. Sie sind der Gegenstand des ersten Unter- kapitels, das den Unternehmern und Unternehmen, den Einnahmen und Ausga- ben, der zunehmenden Konzentration der Theaterindustrie und der Konkurrenz 1 EPSTEIN, Theater und Volkswirtschaft, S. 3. 2 POEL, What is Wrong with the Stage, S. 9. 3 EPSTEIN, Theater und Volkswirtschaft, S. 17. 294 4. Theatergeschäft von Kino und Radio nachgeht. Das folgende Unterkapitel behandelt dann, aus- gehend von der um 1900 verbreiteten Vorstellung einer ‚Industrialisierung‘ des Theaters, die Veränderungen auf der Ebene der Produkte (der Texte und Auffüh- rungen) sowie den internationalen Austausch von Stücken und Inszenierungen. Das Theater ‚erlitt‘ die Kommerzialisierung aber nicht; es war aktiv an ihr betei- ligt, war selbst ein Motor für die Transformation von Unterhaltung in eine markt- förmige Ware und bildete so die Ökonomisierung der Gesellschaft ab. Darauf geht das letzte Kapitel ein, das die Repräsentation von Kommerz und Konsum in Form von Reklame, Warenhaus und Mode auf der Bühne zum Gegenstand hat. 4.1 Unternehmen 295 Die meisten Schauspielunternehmer […] werden von der Spekula- tion getrieben, […] das materielle Interesse ist die Haupttriebfeder ihrer Unternehmungen. C. A. I. Gesell4 I am, first and of all, a business man. I am out to make money for my old age, if I am spared. Sir George Alexander5 4.1 Unternehmen Wie unterschiedlich die Sichtweisen auf das Geschäftstheater in Berlin und Lon- don waren, lässt sich auch daran ablesen, dass deutsche Theaterunternehmer nicht selten als geldgierige Spekulanten verunglimpft wurden, während ein an- gesehener britischer actor-manager wie Sir George Alexander sich offen dazu bekannte, dass er sich als ein Geschäftsmann verstand, der mit Unterhaltung Geld verdiente, ohne dass die Öffentlichkeit daran Anstoß nahm. Tatsächlich stand der „Betrieb eines größeren Theaters […] an Kompliziertheit und Vielgestaltigkeit keinem industriellen nach“.6 Insofern sie nach Gewinn strebten, gehorchten die Theaterbetriebe dem Prinzip der Gewinnmaximierung; insofern sie einer natür- lichen oder juristischen Person gehörten dem Prinzip des Privateigentums; inso- fern sie selbstständig und unabhängig wirtschaftlich tätig waren dem Autonomie- prinzip – und damit den drei Elementen, die definitionsgemäß ein Unternehmen konstituieren.7 Überdies waren sie organisiert wie andere Unternehmen auch, beschäftigten Arbeiter und Angestellte und produzierten Unterhaltung für eine wachsende Zahl von Konsumenten. Auf der Ebene der Unternehmer ist allerdings zwischen verschiedenen Funktionen zu unterscheiden: zwischen dem Besitzer eines Theaters (owner oder proprietor), dem Mieter (lessee), dem Konzessionär (licence holder), dem Direktor (manager) und dem Regisseur (stage manager, spä- ter director).8 Alle diese Funktionen konnten sich in einer Person vereinigen und taten dies bis ins 20. Jahrhundert hinein häufig, vor allem in Großbritannien, wo der actor-manager zugleich Hauptdarsteller, Regisseur und Geschäftsführer war. Mit der Zeit jedoch gingen diese Funktionen auf verschiedene Personen über. An die Stelle von Familienbetrieben traten erst GmbHs und Aktiengesellschaften, später Theaterkonzerne, die mehrere Bühnen gleichzeitig bespielten und die sich nach dem Ersten Weltkrieg oft zu Trusts zusammenschlossen, womit die Kom- merzialisierung ihren Höhepunkt erreichte. Diese Entwicklung zeichnet das 4 GESELL, Die Übelstände, S. 16. 5 Sir George Alexander, THE REFEREE, 17. 3. 1918, zit. nach CARTER, The New Spirit, S. 19. 6 ENGEL-REIMERS, Die deutschen Bühnen, S. 42. 7 Vgl. PIERENKEMPER, Unternehmensgeschichte, insbes. S. 13–54; BergHOFF, Moderne Unter- nehmensgeschichte, insbes. S. 7–12. 8 Vgl. DAVIS, The Economics, S. 166. 296 4. Theatergeschäft folgende Kapitel nach, indem es Unternehmer, Besitzverhältnisse, Unternehmens- formen und die Konkurrenz durch neue Medien in den Blick nimmt. Unternehmer Das britische Theater der edwardianischen Zeit war immer noch dominiert von der Institution des actor-manager. Sie lässt sich zurückverfolgen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, als mit David Garrick der erste Starschauspieler die Leitung eines Theaters übernommen hatte. Der Schritt vom Schauspieler zum Direktor war in den meisten Fällen ökonomisch motiviert, denn als Mitglied eines Ensembles hatte ein Schauspieler nur begrenzten Einfluss auf seine Rollen und sein Gehalt. Nur wenn er sich als Manager selbstständig machte, konnte er selbst die Stücke auswählen, in denen er auftreten wollte, sich die besten Rollen sichern und seinen Gewinn maximieren.9 Mit der Zeit entwickelte sich das Sys- tem dann zum Selbstläufer. Wollte ein Schauspieler zur ersten Garde seiner Pro- fession gehören, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als ein Theater zu überneh- men, wie Johnston Forbes-Robertson in seinen Memoiren berichtet: „several ac- tors, younger than I, had taken up management very much earlier in their careers, and there was nothing for it but to take a theatre if I was to maintain my place“.10 Die Vorzüge dieses Systems waren zugleich seine Nachteile, denn die Leistung des Ensembles konnte unter der Dominanz seiner Stars leiden.11 An ihr Ende kam die Herrschaft der actor-manager spätestens mit der ökonomischen Krisenphase der Zwischenkriegszeit: „The days of the great actor-managers had gone for ever, and a new financial spirit had come into being“, beklagte 1934 Daphne du Maurier, die Tochter eines der letzten Repräsentanten des alten Systems.12 Die Kombination von Hauptdarsteller, Regie und Direktion in einer Person war in erster Linie ein britisches Phänomen. Selbst in den USA erlangte der actor- manager nie die Bedeutung, die er in London besaß. In Deutschland, wie über- haupt auf dem Kontinent, sucht man eine vergleichbare Institution vergeblich; nicht einmal eine passende Übersetzung des Begriffs steht zur Verfügung. Den- noch führte der Weg zur Leitung eines Theaters auch in Berlin in den allermeis- ten Fällen über die Ausbildung zum Schauspieler und die mehrjährige Ausübung dieses Berufes. So hatten die meisten der zwischen 1880 und 1930 in Berlin täti- gen Theaterdirektoren ihre Karriere als Schauspieler begonnen, wie etwa Richard Schultz, Max Reinhardt, Victor Barnowsky, Leopold Jessner, Rudolf Bernauer und Erwin Piscator – aber für sie alle war der Wechsel von den Bühnenbrettern in den Direktorensessel ein endgültiger. 9 Vgl. BOOTH, Theatre, S. 31; zum actor-manager siehe ebd. S. 55–57; sowie PEARSON, The Last Actor-Managers; DONALDSON, Actor-Managers. 10 FORBES-ROBERTSON, Player, S. 164 f. 11 Vgl. NICOLL, English Drama, S. 48. 12 DU MAURIER, Gerald, S. 205 f. 4.1 Unternehmen 297 Einem actor-manager noch am ähnlichsten war Ludwig Barnay. Nachdem er seinen Abschied vom Meininger Hoftheater genommen hatte, beteiligte er sich an der Gründung des Deutschen Theaters, ehe er 1888 das Berliner Theater baute, das er bis 1894 führte. Im Gegensatz zum Gros seiner Kollegen trat er auch dann noch als Schauspieler auf.13 Dasselbe gilt für die Gebrüder Herrnfeld, die nicht nur die Stücke für ihr eigenes Theater schrieben, sondern auch die Hauptrollen in diesen verkörperten.14 Eine dritte Ausnahme war Bernhard Rose, der 1906 das Ostend-Theater übernommen und in Rose-Theater umbenannt