Deutscher Drucksache 19/17255

19. Wahlperiode 18.02.2020 Vorabfassung

Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, , , Dr. , , Gökay Akbulut, , Lorenz Gösta Beutin, Heidrun Blum-Förster, , , Dr. Birke Bull-Bischoff, Jörg Cezanne, Sevim Dagdelen, ,

Dr. , Anke Domscheit-Berg, , , Sylvia -

Gabelmann, , Dr. , Dr. André Hahn, Heike Hänsel, wird Matthias Höhn, , , , Dr. , , , , , , , , , Dr. Gesine Lötzsch, ,

Pascal Meiser, Cornelia Möhring, , Norbert Müller, Zaklin Nastic, durch Dr. Alexander S. Neu, , , Sören Pellmann, , Tobias Pflüger, , , , Eva-Maria Schreiber, Dr. , Helin , , , Dr. , , , , Dr. , Andreas Wagner, , Katrin die Werner, , , Sabine Zimmermann (Zwickau) und der Fraktion DIE LINKE. lektorierte

Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Fassung

Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) bietet gegenüber den meisten priva- ten Angeboten auf dem Markt erhebliche Vorteile und steht zu Recht im Zentrum der Alterssicherungspolitik. Sie ist besser als ihr Ruf, sichert aber in Deutschland gegenwärtig nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter ab – alle anderen Erwerbstätigengruppen bis auf wenige Ausnahmen nicht. Hierzu bedarf es eines grundlegenden Kurswechsels in der Rentenpolitik, um die Gesetzliche Renten- versicherung (GRV) langfristig auf stärkere Beine zu stellen. ersetzt. Auf dem Weg hin zu einer Erwerbstätigenversicherung, in der alle Erwerbstätigen mit ihrem jeweiligen Erwerbseinkommen (also zum Beispiel ohne Kapital- und Mieteinnahmen) in der GRV versicherungspflichtig sein werden, werden in einem ersten, auch symbolischen, Schritt die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Bevölkerung im Deutschen Bundestag in die Gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen. Erst im weiteren Verlauf werden Ministerinnen und Minister, Drucksache 19/17255 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Staatssekretäre und Staatsekretärinnen, Richterinnen und Richter, Beamte und - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Vorabfassung Beamtinnen, Landtagsabgeordnete, Landwirte und jene Selbstständigen, Freibe- ruflerinnen und Freiberufler und weitere Berufsgruppen folgen, die gegenwärtig noch nicht über die Gesetzliche Rentenversicherung abgesichert sind. In unserem Nachbarland Österreich wurde die Erwerbstätigenversicherung bereits mit anhal- tend großem Erfolg eingeführt.

II. Der Deutsche Bundestag richtet eine interfraktionelle Arbeitsgruppe ein, die einen Gesetzentwurf ausarbeitet und vorlegt, um

1. ab dem Beginn der 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages die künftige Altersversorgung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in die Gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden somit spätestens vom Herbst 2021 an auf ihre Abgeordnetenentschädigung („Diäten“) Beiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung in Höhe des halben Beitragssatzes zahlen. Die verblei- bende Hälfte (den sogenannten Arbeitgeberanteil) führt der Deutsche Bun- destag für die Bundestagsabgeordneten an die jeweiligen Rentenversiche- rungsträger ab. Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird sichergestellt, dass bis zum Ende der 19. Wahlperiode nach dem Abgeordnetengesetz (Ge- setz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages) erworbene Ansprüche auf Altersentschädigung unverändert erhalten bleiben. Ansonsten ersetzt die Gesetzliche Rentenversicherung anschließend die Al- tersversorgung für Abgeordnete nach dem Abgeordnetengesetz. Ab dem Be- ginn der 20. Wahlperiode, also spätestens ab Herbst 2021, werden demzu- folge keine neuen Ansprüche nach altem Recht mehr entstehen; 2. den Bundestagsabgeordneten ab Beginn der 20. Wahlperiode die freiwillige Möglichkeit zu eröffnen, über den VBLU (Versorgungsverband bundes- und landesgeförderter Unternehmen e.V.) nach denselben Regeln Anwartschaf- ten der betrieblichen Altersversorgung zu erwerben, die heute schon für ihre persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzent- wurf vorzulegen, um

1. die Beitragsbemessungsgrenze zur allgemeinen Rentenversicherung (im Jahr 2020 sind das 6.900 Euro im Westen und 6.450 Euro im Osten) in einem ersten Schritt zum 1. Januar 2021 auf die dann zu diesem Zeitpunkt geltende Beitragsbemessungsgrenze der knappschaftlichen Rentenversicherung (ab 2020 8.450 Euro brutto pro Monat, ab 2021 etwas höher) deutlich anzuhe- ben. In einem zweiten Schritt wird die Beitragsbemessungsgrenze zur allge- meinen Rentenversicherung ab dem 1. Januar 2022 auf das 3,5fache der je- weils geltenden Bezugsgröße angehoben (2020 entspricht das 11.147,50 Euro im Westen und 10.535 Euro im Osten). Seit dem 1. Juli 2019 beträgt die Entschädigung der Bundestagsabgeordneten - häufig „Diäten“ genannt – 10.083,47 Euro brutto.) In einem dritten Schritt wird die Beitragsbemes- sungsgrenze ab dem 1. Januar 2023 dauerhaft und zunächst unbefristet auf das 4,3fache der jeweils aktuell geltenden Bezugsgröße angehoben. Dies ent- spricht einer Verdopplung der heute geltenden Beitragsbemessungsgrenze (in Werten von 2020 wären das 13.800 Euro); 2. ab dem 1. Juli 2024 eine „Beitragsäquivalenzgrenze“ einzuführen, nach der Rentenanwartschaften aus verbeitragten Einkommen, die nach erfolgter Ge- samtleistungsbewertung beim Übergang in die Rentenbezugsphase das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/17255

2,07fache des Durchschnitts überschreiten, im höchsten verfassungsmäßig - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Vorabfassung zulässigen Maße dauerhaft und unbefristet degressiv abgeflacht werden.

Berlin, den 11. Februar 2020

Amira Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Begründung

Untersuchungen zur Erwerbstätigenversicherung zeigen, dass mit einer solchen Ausweitung die gesetzliche Ren- tenversicherung auch auf mittlere Sicht deutlich stabilisiert werden würde. Je nach Ausgestaltung und Zeitpunkt der Umstellung würde der Beitragssatz bis ins Jahr 2040 gegenüber aktuellen Kalkulationen sinken, das Siche- rungsniveau hingegen würde deutlich steigen (Buslei, Geyer, Haan, Peters: Ausweitung der gesetzlichen Renten- versicherung auf Selbstständige. DIW Wochenbericht 10/2016). Vor allem für die Zeit ab Mitte der 2020er Jahre, wenn die Babyboomer in Rente gehen werden, bis hin ins Jahr 2040, wäre nach den Modellrechnungen der dämpfende Effekt einer Erwerbstätigenversicherung erheblich und eine deutliche Stabilisierung der GRV zu erwarten: Schon allein die Einführung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) für neue Selbstständige würde ohne irgendwelche ergänzenden Maßnah- men im Vergleich zur aktuellen Rechtslage den Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,6 Prozentpunkte sen- ken und gleichzeitig das Rentenniveau um 0,7 Prozentpunkte erhöhen. Auch ein Blick in unser Nachbarland Österreich zeigt den stabilisierenden Effekt einer Erwerbstätigenversiche- rung in der öffentlichen Rentenversicherung. Dort gilt im Prinzip schon seit 1958, dass Selbstständige in der GRV abgesichert sind. In den Jahren 2000 bis 2006 wurden letzte Lücken bei der Erwerbstätigenversicherung geschlos- sen (https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2016/4/oesterreichs-alterssicherung-vorbild-fuer-deutschland/). Nicht zuletzt wegen der deutlich breiteren Versichertenbasis steht die Rentenversicherung in Österreich auf we- sentlich stabileren Beinen als hierzulande – und bietet darüber hinaus erheblich höhere Rentenleistungen. Daher sind nach der Überführung der Bundestagsabgeordneten im weiteren Verlauf auch in Deutschland Minis- terinnen und Minister, Staatssekretärinnen und Staatsekretäre, Richterinnen und Richter, Beamtinnen und Beam- tinnen, Landtagsabgeordnete, Landwirte und jene Selbstständigen, Freiberuflerinnen und Freiberufler und weitere Berufsgruppen in die GRV einzubeziehen, die gegenwärtig noch nicht über die GRV abgesichert sind. Unser Grundgesetz schreibt unmissverständlich vor, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Anspruch auf „eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung“ haben (GG Art. 48 Abs. 3). Gegenwärtig erwerben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages pro Jahr der Zugehörigkeit einen monatlichen Rentenan- spruch von 252,09 Euro brutto. Die höchstmögliche Altersversorgung für einfache Abgeordnete ist aktuell auf 65 Prozent der Abgeordnetenentschädigung, also derzeit auf 6.554,34 Euro brutto, begrenzt und wird erst nach 26 Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag erreicht. Diesen Höchstanspruch erwerben jedoch nur die aller- wenigsten Abgeordneten, da die meisten von ihnen dem Deutschen Bundestag nur für zwei bis drei Wahlperioden angehören (dies entspräche derzeit 2.016,70 Euro brutto bzw. 3.025,08 Euro brutto). Abgeordnete, die dem Prä- sidium des Bundestages angehört haben, können höhere Ansprüche erwerben. Im Vergleich dazu erwerben Ver- sicherte in der allgemeinen Gesetzlichen Rentenversicherung pro Beitragsjahr, in dem sie das sozialversiche- rungspflichtige Durchschnittsentgelt erhalten (vorläufiges Durchschnittsentgelt 2019: 40.551 Euro), Rentenan- wartschaften von monatlich 33,05 Euro in den alten Bundesländern bzw. 31,89 Euro in den neuen Bundesländern (bis zum 30. Juni 2020). Maximal sind derzeit monatlich 68,31 Euro in den alten Bundesländern bzw. 65,91 Euro in den neuen Bundesländern bei einem Jahreseinkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze oder darüber möglich. 2020 sind das 82.800 Euro im Westen und 77.400 Euro im Osten. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben für die Altersversorgung der Bundestagsabgeordneten und ihrer Hinterblie- benen im Jahr 2018 auf 45,7 Millionen Euro. Für 2019 sind 49,2 Millionen Euro und für 2020 51,35 Millionen Euro angesetzt (Entwurf des Bundeshaushalts 2020, Einzelplan 2, Titel 411 12). Drucksache 19/17255 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Im Vergleich zu den Rentenausgaben der allgemeinen Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2018 mit einem - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Vorabfassung Volumen von rund 242 Milliarden ist dieser Betrag zwar ausgesprochen gering, gemessen aber an der Zahl der Bezieherinnen und Bezieher von Altersrenten zeigt sich der deutliche Unterschied: Zum 31.12.2018 bezogen et- was mehr als 21 Millionen Menschen Alters, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten aus der Gesetzli- chen Rentenversicherung (Statistikportal der Rentenversicherung). Aus der Altersversorgung des Deutschen Bun- destages erhielten im Jahr 2018 nur 1187 Personen Leistungen. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Rentnerinnen und Rentner betrug der durchschnittliche Zahlbetrag über (fast) alle Rentenarten aus der Gesetzlichen Rentenver- sicherung am 31.12.2018 1.000 Euro im Monat. Aus der Altersversorgung des Bundestages lag der durchschnittliche monatliche Zahlbetrag aufgrund höherer Ansprüche im Bestand bei rund 3.200 Euro, allerdings brutto, das heißt, dass davon noch Beiträge zur Kranken- versicherung und Pflegeversicherung sowie Steuern gezahlt werden mussten, denn die Altersentschädigung muss zu 100 Prozent versteuert werden. Die gesetzliche Rente wurde im Jahr 2018 zu 74 Prozent besteuert. Derzeit sind es 80 Prozent. Um die vollständige Höhe der Entschädigung der Mitglieder des Bundestages (MdB) und anderer Versicherter mit ähnlichen und höheren Gehältern zu verbeitragen, muss die Beitragsbemessungsgrenze entsprechend ange- hoben werden. Dies sollte schrittweise erfolgen, um der Deutschen Rentenversicherung Bund und den Kranken- kassen die technische Umstellung zu ermöglichen, eventuelle, heute nicht vorhersehbare, Negativeffekte mög- lichst klein zu halten und den Beschäftigten, den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie den Verwaltungen Zeit zu geben, sich in mehrfacher Hinsicht auf die höheren Beiträge einzustellen. Darum wird die drastische An- hebung der Beitragsbemessungsgrenze in drei Schritten vollzogen: zunächst auf die Höhe der Beitragsbemes- sungsgrenze der knappschaftlichen Rentenversicherung, in einem zweiten Schritt auf die Höhe des 3,5fachen der jeweils geltenden Bezugsgröße (West). Und in einem dritten Schritt auf das 4,3fache der jeweils geltenden Be- zugsgröße (West). Dies entspricht einer Verdoppelung der heutigen Beitragsbemessungsgrenze. Damit würden auch sehr hohe Versicherteneinkommen jenseits der Abgeordnetenentschädigung verbeitragt. Langfristig wird eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze bei Beibehaltung der degressiven Abflachung der Leistungen im höchsten verfassungsmäßig zulässigen Maße angestrebt. Dies wird jedoch erst nach der erfolgten erfolgreichen Evaluation des dritten Schrittes und nach einem angemessenen Zeitraum gesetzlich in die Wege geleitet werden können. Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze wird trotz der degressiven Abflachung bei Renten aus verbeitragten Einkommen, die das 2,07fache des Durchschnitts überschreiten, zu höheren Renten als bisher führen und dadurch die eklatanten Verluste der Altersversorgung der Bundestagsabgeordneten etwas abmildern. Durch die Abfla- chung der Ansprüche wird die Gesetzliche Rentenversicherung von allen besserverdienenden Versicherten jedoch zusätzliche Finanzmittel erhalten, für die später keine Ansprüche entstehen werden. Die Gesetzliche Rentenver- sicherung wird dadurch also finanziell gestärkt werden. Und darauf kommt es ebenso an, wie darauf, dass die Volksvertreterinnen und Volksvertreter in dasselbe Alterssicherungssystem einzahlen wie die große Mehrheit der Menschen in dieser Republik, die von ihnen vertreten werden und darauf, dass die Bundestagsabgeordneten als erste symbolisch auf dem Weg einer Versicherung für alle Menschen mit Erwerbseinkommen vorangehen. Für die Zeit bis zum Ende der 19. Wahlperiode muss Vertrauensschutz gewährt werden, weil sonst zu erwarten stünde, dass bei einer Einbeziehung der MdB in die GRV in der laufenden Legislaturperiode das Bundesverfas- sungsgericht das entsprechende Gesetz als verfassungswidrig beurteilen könnte. Dies muss vermieden werden. Den Abgeordneten wird nach den aktuell geltenden Werten ihre Altersversorgung um bis zu 72,9 Prozent gekürzt werden. Darum muss die Möglichkeit eingeführt werden, dass die MdB freiwillig Ansprüche über die betriebliche Altersversorgung ihrer persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu exakt denselben Konditionen erwerben können. Dies wird für einen gewissen Ausgleich sorgen, allerdings werden die Abgeordneten dazu auch weitere Beiträge aus ihrer Abgeordnetenentschädigung leisten müssen. Nach Abschluss des gesamten Prozesses werden die Bundestagsabgeordneten zu denselben oder sehr ähnlichen Bedingungen Alterssicherungsansprüche erwerben wie viele Millionen ihrer Wähler und Wählerinnen. Das ist sozial gerecht.