Protokoll-Nr. 19/25

19. Wahlperiode Ausschuss für Arbeit und Soziales

Wortprotokoll der 25. Sitzung

Ausschuss für Arbeit und Soziales Berlin, den 5. November 2018, 15:00 Uhr 10117 Berlin, Adele-Schreiber-Krieger-Str. 1 MELH MELH 3.101

Vorsitz: Gabriele Hiller-Ohm, MdB

Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

Einziger Punkt der Tagesordnung Seite 5 a) Gesetzentwurf der Bundesregierung Federführend: Ausschuss für Arbeit und Soziales Entwurf eines Gesetzes über Mitberatend: Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft gesetzlichen Rentenversicherung Haushaltsausschuss (mb und § 96 GO) (RV-Leistungsverbesserungs- und - Gutachtlich: Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung Stabilisierungsgesetz) BT-Drucksache 19/4668

b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Schielke-Ziesing, Federführend: Ausschuss für Arbeit und Soziales , , weiterer Mitberatend: Abgeordneter und der Fraktion der AfD Haushaltsausschuss Anrechnungsfreistellung der Mütterrente beziehungsweise der Rente für Kindererziehungszeiten bei der Grundsicherung im Alter

19. Wahlperiode Seite 1

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BT-Drucksache 19/4843

c) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Federführend: Ausschuss für Arbeit und Soziales Sabine Zimmermann (Zwickau), Doris Achelwilm, Mitberatend: weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Haushaltsausschuss Vollständige Gleichstellung und gerechte Finanzierung der Kindererziehungszeiten in der Rente umsetzen – Mütterrente verbessern BT-Drucksache 19/29

d) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Federführend: Ausschuss für Arbeit und Soziales Sabine Zimmermann (Zwickau), Doris Achelwilm, Mitberatend: weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Haushaltsausschuss Die Erwerbsminderungsrente stärken

BT-Drucksache 19/31

19. Wahlperiode Protokoll der 25. Sitzung Seite 2 vom 5. November 2018

Ausschuss für Arbeit und Soziales

Mitglieder des Ausschusses Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder CDU/CSU Heinrich (Chemnitz), Frank Krauß, Alexander Stracke, Stephan Straubinger, Max Weiß (Emmendingen), Peter Zimmer, Dr. Matthias SPD Gerdes, Michael Hiller-Ohm, Gabriele Kapschack, Ralf Rosemann, Dr. Martin Rützel, Bernd Schmidt (Wetzlar), Dagmar Tack, Kerstin AfD Pohl, Jürgen Kleinwächter, Norbert Schielke-Ziesing, Ulrike FDP Mansmann, Till Vogel (Olpe), Johannes DIE LINKE. Birkwald, Matthias W. Krellmann, Jutta Möhring, Cornelia Straetmanns, Friedrich BÜNDNIS 90/DIE Kurth, Markus GRÜNEN Müller-Gemmeke, Beate

19. Wahlperiode Protokoll der 25. Sitzung Seite 3 vom 5. November 2018

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Ministerien Berger, AR Kay (BMAS) Brall, MRin Dr. Natalie (BMAS) Eggert, ORR Erik (BMAS) Flecken, MD Hans-Ludwig (BMAS) Griese, PStSin Kerstin (BMAS) Köhler, MR Lutz (BMAS) Krebs, RR Martin (BMAS) Fraktionen Beitz, David (FDP) Bußmann, Reinhold (CDU/CSU Conrad, Gerrit (SPD) Dauns, Matthias (FDP) Dossenbach, Markus (AfD) Marko, Joachim (AfD) Peters, Karsten (DIE LINKE.) Popp, Michael (DIE LINKE.) Rogowski, Thomas (CDU/CSU) Bundesrat Moritz, RDin Katja (BE) Otte, Roland (BW) Richter, RAnge Annett (ST) Steinbrenner, RLin Roswitha (TH) Thölken, VA Rosemarie (BB) Sachverständige Bäcker, Prof. Dr. Gerhard Bomsdorf, Prof. Dr. Eckart Börsch-Supan, Prof. Axel Gunkel, Alexander (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) Kundacina, Vedran (Sozialverband Deutschland e.V.) Roßbach, Gundula (Deutsche Rentenversicherung Bund) Schäfer, Ingo (Deutscher Gewerkschaftsbund) Viebrok, Dr. Holger (Deutsche Rentenversicherung Bund) Welti, Prof. Dr. Felix Werding, Prof. Dr. Martin

19. Wahlperiode Protokoll der 25. Sitzung Seite 4 vom 5. November 2018

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Einziger Punkt der Tagesordnung nächst möchte ich die Parlamentarische Staatssek- retärin willkommen heißen. Gegenstand dieser öf- a) Gesetzentwurf der Bundesregierung fentlichen Anhörung sind die folgenden Vorlagen: 1. Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf ei- Entwurf eines Gesetzes über nes Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversiche- gesetzlichen Rentenversicherung rung (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisie- (RV-Leistungsverbesserungs- und - rungsgesetz) - auf BT-Drs. 19/4668 2, Antrag der Abgeordneten Ulrike Schielke-Ziesing, Marc Bern- Stabilisierungsgesetz) hard, Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter BT-Drucksache 19/4668 und der Fraktion der AfD - Anrechnungsfreistel- lung der Mütterrente beziehungsweise der Rente für Kindererziehungszeiten bei der Grundsicherung im Alter - auf BT-Drs. 19/4843, drittens Antrag der Ab- geordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmer- b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Schielke- mann (Zwickau), Doris Achelwilm, weiterer Abge- Ziesing, Marc Bernhard, Stephan Brandner, ordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Vollstän- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD dige Gleichstellung und gerechte Finanzierung der Kindererziehungszeiten in der Rente umsetzen - Anrechnungsfreistellung der Mütterrente Mütterrente verbessern - BT-Drs. 19/29, und vier- beziehungsweise der Rente für tens Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birk- Kindererziehungszeiten bei der Grundsicherung im wald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Doris Achel- wilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Alter LINKE. - Die Erwerbsminderungsrente stärken - auf BT-Drucksache 19/4843 BT-Drs. 19/31. Mit diesem Gesetzentwurf und den Anträgen werden wir uns heute befassen. Die von den Verbänden, Institutionen und Einzel- sachverständigen abgegebenen Stellungnahmen lie- c) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, gen Ihnen auf Ausschussdrucksache 19(11)180neu Sabine Zimmermann (Zwickau), Doris Achelwilm, vor. weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Von Ihnen, den hier anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Verbände, Institutionen und von Vollständige Gleichstellung und gerechte den Einzelsachverständigen wollen wir hören, wie Finanzierung der Kindererziehungszeiten in der Sie die Vorlagen beurteilen. Auch noch einmal Rente umsetzen – Mütterrente verbessern herzlich willkommen und danke, dass Sie heute zu uns gekommen sind. BT-Drucksache 19/29 Zum Ablauf der heutigen Anhörung darf ich fol- gende Erläuterung geben: Die uns zur Verfügung stehende Beratungszeit von 120 Minuten wird nach dem üblichen Schlüssel d) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, entsprechend ihrer jeweiligen Stärke auf die Frakti- Sabine Zimmermann (Zwickau), Doris Achelwilm, onen aufgeteilt. Dabei wechseln die Fragestellerin- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. nen und Fragesteller nach jeder Frage - das heißt also: eine Frage, eine Antwort. Um die knappe Zeit Die Erwerbsminderungsrente stärken möglichst effektiv zu nutzen, sollten möglichst prä- zise Fragen gestellt werden, die konkrete Antwor- BT-Drucksache 19/31 ten zulassen. Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sind Eingangsstatements der Sach- Vorsitzende Hiller-Ohm: Meine sehr verehrten Da- verständigen nicht vorgesehen. Hierzu dienen im men und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, da- Übrigen die vorgelegten schriftlichen Stellungnah- mit wir dann mit unserer Anhörung beginnen kön- men, die Sie alle hier gelesen haben. nen. Ich sehe etwas verwunderte Blicke von den Schließlich noch der Hinweis, dass es heute am Kolleginnen und Kollegen. Da unser Vorsitzender Ende der Befragungsrunden eine so genannte „freie und auch der stellvertretende Vorsitzende verhin- Runde“ von 10 Minuten geben wird - hier können dert sind, fällt mir die Aufgabe als Dienstälteste zu, die Fragen aus allen Fraktionen kommen. Sie heute sicher hier durch die Anhörung zu füh- ren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu der heuti- Ich begrüße nun die Sachverständigen und rufe sie gen öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit dafür einzeln auf: vom Deutschen Gewerkschafts- und Soziales begrüße ich Sie alle sehr herzlich. Zu- bund Herrn Ingo Schäfer, von der Bundesvereini- gung der Deutschen Arbeitgeberverbände Herrn

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Alexander Gunkel, von der Deutschen Rentenversi- gibt, die uns dann auch in der tatsächlichen Umset- cherung Bund Frau Gundula Roßbach und Herrn zung begrenzen. Tag für Tag. Dr. Holger Viebrok, vom Sozialverband Deutsch- Abgeordneter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): land e. V. Herrn Vedran Kundacina. Als Einzelsach- Frau Roßbach, darf ich Sie nochmals fragen? Wir verständige heiße ich ganz herzlich willkommen: Herrn Prof. Dr. Eckart Bomsdorf, Herrn Prof. Dr. haben ja in dem Gesetzentwurf auch diese Auswei- tung der so genannten Gleitzone oder des Über- Martin Werding, Herrn Prof. Axel Börsch-Supan, gangsbereichs mit einer je nach Gehaltsgruppe er- Herrn Prof. Dr. Gerhard Bäcker sowie Herrn Prof. Dr. Felix Welti. mäßigten Abführung von Sozialversicherungsbei- trägen, die im Falle der Rentenversicherung ausge- Wir beginnen jetzt mit der Befragung der Sachver- glichen werden, so dass das eigentlich dem jeweili- ständigen. Dazu bitte ich, dass gleich zu Beginn die gem Arbeitnehmer zustehende Niveau an Renten- entsprechende Institution bzw. der oder die Sach- ansprüchen bei euch verbucht wird. Darf ich Sie verständige genannt wird, an die oder den die Frage mal fragen, wie Sie diese Regelungen zum soge- gerichtet ist. Ich bitte nun die Mitglieder der nannten Gleitzonenübergangsbereich bewerten? Ist CDU/CSU-Fraktion, ihre Fragen in der ersten diese Regelung auch ab 1. 1. 2019 durch die Ren- Runde zu stellen. Da haben wir gleich zu Beginn tenversicherung administrierbar? Herrn Peter Weiß. Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- Abgeordneter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): cherung Bund): Beim Übergangsbereich haben wir Vielen Dank, Frau Vorsitzende. Meine Frage richtet eine doppelte Besonderheit. Wir haben bisher die sich an die Präsidentin der Deutschen Rentenversi- Midi-Jobs bis 850 €. Da zahlen Arbeitnehmer gerin- cherung, Frau Roßbach. Frau Roßbach, mit dem Ge- gere Beiträge, bekommen dann auch geringere Leis- setzentwurf werden unter anderem zwei der Union tungen. Jetzt wird dieser Bereich ausgeweitet auf besonders wichtige Punkte umgesetzt. Es ist einmal 1.300 €. Man zahlt geringere Beiträge, bekommt die verbesserte Berechtigung der Erwerbsminde- aber die vollen Entgeltpunkte. Das ist durchaus rungsrente und zum zweiten die weitere Anpas- eine Umverteilung innerhalb der Rentenversiche- sung der Mütterrente, nachdem wir in der letzten rung, d. h. es wird nicht durch besondere Mittel Legislaturperiode die schon einmal um einen Ent- auch ausgeglichen. Es entspricht nicht so ganz dem geltpunkt erhöht haben. Wie beurteilen Sie den Ge- Äquivalenz-Prinzip, wenn man hier im Grunde ge- setzentwurf insgesamt? Und weil es auch immer nommen bei diesen Leistungen dann eine andere zur Diskussion stand, ist er denn auch pünktlich quasi Entgeltpunktezuschreibung vorsieht. Umset- zum geplanten Inkrafttreten durch die Rentenversi- zen können wir das rein faktisch. Wir sind bereit, cherung administrierbar? zum 1. Januar die dann veränderten Entgeltmeldun- Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- gen, die dort kommen müssen, weil, wie gesagt, jetzt bekommen wir ja weniger Beitrag, zahlen aber cherung Bund): Wir haben, wie Sie gesagt haben, die vollen Entgeltpunkte ins Konto ein, das können im RV-Leistungsverbesserungsgesetz insbesondere die Verbesserung bei der EM-Rente. Wir werden wir ab dem 1. Januar auch entgegennehmen. Da wird es ja dann Entgeltmeldungen der Meldestellen hier nach dem vorgelegten Gesetzentwurf die fik- oder der Arbeitgeber geben und das können wir tive Zurechnung, also den fiktiven Lebenslauf, der dann neuen EM-Rentnern verlängern. Wir werden umsetzen. diese Regelung für alle neuen Renten zum 1. Januar Abgeordneter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): 2019 umsetzen können. Für die Bestandsrentnerin- Ich habe beim zweiten Mal Fragen noch jemanden nen und –rentner werden wir das wie 2014 dann vergessen, nämlich den der neben Frau Roßbach auch nach und nach abarbeiten. Da sind ja fast sitzt, Herrn Gunkel. Ist dann aus der Sicht der Ar- 9,7 Mio. Renten betroffen. Das werden wir schritt- beitgeber dieser Übergangsbereich ab 1. 1. 2019 ad- weise, wie wir in der Stellungnahme auch geschrie- ministrierbar? So dass wir an diesem In-Krafttre- ben haben, dann ab März umsetzen. Wir werden ca. tens-Datum festhalten können? zwei Monate dafür brauchen, um dann rückwir- kend zum 1. Januar für alle Betroffenen auch die Sachverständiger Gunkel (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände): Aus Sicht der Ar- Mütterrente zahlen zu können. beitgeber wird die Neuregelung nicht zum 1. Januar Jetzt bin ich durcheinander gekommen, bei der EM- 2019 umgesetzt werden können. Das liegt nicht am Rente wird die Zurechnungszeit kommen und auch fehlenden Willen der Arbeitgeber, sondern Arbeit- das wird umgesetzt werden. Bei der Mütterrente geber sind verpflichtet, für die Entgeltabrechnung sind wir dankbar, dass es jetzt die 0,5 Entgelt- systemgeprüfte und zertifizierte Entgeltabrech- punkte sind, weil wie ich schon ausgeführt habe, nungsprogramme zu verwenden. Diese werden auf werden wir das auch zum 1. Januar umsetzten keinen Fall zum Jahreswechsel bereitstehen. Es gibt könne für all diejenigen, die dann in Rente gehen normalerweise bei den einschlägigen Programmen und weitere Kindererziehungszeiten bekommen, zwei Updates. Das nächste wäre für den Sommer zu nämlich die 0,5. Für die Bestandsrentnerinnen und erwarten. In einem solchen Update könnten die Ar- -rentner werden wir das dann rückwirkend ab März beitgeber dann auch befähigt werden, solche Mel- schrittweise umsetzen. Weil es einfach Tagesdinge dungen abzugeben. Aber sie sind so schlicht und

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einfach nicht in der Lage, wenn sie sich an gelten- so dass ich die Antwort auf die Frage letzten Endes des Recht halten wollen, diese Meldung abzugeben, offen lassen muss aus meiner Sicht. weil diese systemgeprüfte und zertifizierte Software Sachverständiger Prof. Dr. Werding: Ich habe dem nicht zur Verfügung steht. Außerdem müssen für nicht viel hinzuzufügen und fasse mich daher kurz. eine Umsetzung die Sozialversicherungsträger auch die nötigen Datensatzstrukturen noch anpassen. Die Hier war schon von einer Durchbrechung des Äqui- valenzprinzips die Rede. Da haben wir sicherlich können dann aber erst zum nächsten Jahreswechsel einen gewissen Schritt in die Richtung, der jetzt angepasst werden, zum 1. Januar 2020. Für die Ar- beitgeber wäre es jetzt, da sie nicht zwingend da- nicht so heftig ausfällt wie bei anderen Dingen. In meiner Stellungnahme habe ich vor allem darauf rauf angewiesen sind, diese neuen Datensatzstruk- hingewiesen, dass das finanzielle Gewicht dieser turen zur Verfügung zu haben, ausreichend, wenn zumindest systemgeprüft und zertifizierte Software Regelung auch nicht sonderlich hoch ist. Das heißt, man kann mit Gründen, die Sie genannt haben, vorliegen würde. Das wäre frühestens zum 1. Juli nach der Zielgenauigkeit dieses Ansatzes fragen. des kommenden Jahres der Fall. Das ist kein Wider- spruch zur Aussage von Frau Roßbach. Frau Roß- Die Finanzierung könnte man so oder so regeln. Ich denke, manches spricht dafür, so etwas eher steuer- bach hat ja darauf hingewiesen, dass die Rentenver- zufinanzieren, aber es geht tatsächlich nicht um sicherung immer in der Lage ist, Meldungen anzu- nehmen. Nur kann sie natürlich nur solche Mel- viel. dungen annehmen, die auch die Arbeitgeber in der Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- bereitstehenden Entgeltabrechnungssoftware abge- cherung Bund): Ich habe schon ausgeführt, in der ben können. Tat die reine Anknüpfung an einer Entgeltsumme Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Ich darf bei nicht darunter liegendem Wissen, hat jemand da eine Nebentätigkeit, hat jemand einen Halbtags- gleich bei diesem Komplex der Gleitzone verblei- jobs oder einen Hinzuverdienst, ist es eben die ben. Hier ist ja eine Leistungsausweitung zu Guns- ten der sogenannten Geringverdiener vorgesehen. Frage, welches politische Ziel möchte ich damit er- reichen. Dann ist es eben auch nicht zielgenau. Es Das ist ein sozialpolitisch hehres Ziel. Leider habe ist eine Umverteilung zu Gunsten einer Personen- ich den Eindruck, treffen wir nicht nur Geringver- diener, sondern wir treffen auch viele Halbtagsbe- gruppe, die gering verdient. Das jetzt in den allge- meinen Regeln der Rentenversicherung zu machen, schäftigte, die damit möglicherweise zwar mit ho- ist natürlich schon etwas, was die Beitragszahler hen Stundenlöhnen und relativ hohen Einkommen auf Stundenbasis versehen sind und selbst auch und die Rentner mit belastet, auch den Steuerzah- ler, aber eigentlich nicht dem Äquivalenzprinzip vielleicht diesen Zustand gewählt haben. Wie im entsprechen und daher eher auch mit Steuern zu fi- öffentlichen Dienst ist eine Teilzeitbeschäftigung si- cherlich keine schlechte Bezahlung, aber eine Teil- nanzieren ist aus Sicht der Rentenversicherung. zeitbeschäftigung durchaus als selbstgewählt üb- Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Ich bleibe lich. Da stellt sich bei mir die Frage: Kann es Auf- gleich bei dem Komplex. Es ist vorgesehen in dem gabe der Versichertengemeinschaft sein, diese Bes- Gesetzentwurf, dass diese Vergünstigungen nur Ar- serstellung zu finanzieren? Oder wäre das nicht beitnehmern zu Gute kommen. Jetzt gibt es in der Aufgabe des Steuerzahlers, wenn es unter sozialen gesetzlichen Rentenversicherung aber auch pflicht- Gesichtspunkten gemeint ist, diese Besserstellung versicherte Selbstständige, wie Fahrlehrer zum Bei- dann in der Rentenversicherung, dass das durch die spiel. Die könnten ja auch ein geringes Einkommen Steuerzahler meines Erachtens erfolgen müsste? Ich haben. Wäre es nicht geboten, dass den Selbststän- würde um eine Antwort bitten von Herrn digen mit geringem Einkommen ebenfalls dann Prof. Bomsdorf und Herrn Prof. Werding, bzw. auch diese Aufwertung der Renten in diesem Bereich zu von der DRV Bund. erfolgen hat? Die Frage würde ich ebenfalls an die beiden Professoren stellen, aber auch an den Herrn Sachverständiger Prof. Dr. Bomsdorf: Die Frage ist natürlich schwierig. Was rechnen wir zu den versi- Gunkel. cherungsfremden, oder ich sage lieber versiche- Sachverständiger Prof. Dr. Bomsdorf: Wir haben rungsfernen Leistungen, die vom Steuerzahler zu die Situation der Selbstständigen, vor allem der zahlen wären? Wenn Sie das Äquivalenzprinzip in Solo-Selbstständigen vor, ich glaube, fünf Wochen seiner reinen Form anwenden, dann müssten Sie hier diskutiert. Da ging es auch letzten Endes schon sagen, käme das nicht aus der Rentenversicherung. um solche Punkte, wie weit die in die Rentenversi- Wenn Sie aber das Äquivalenzprinzip so verstehen, cherung hineinkommen sollen bzw. auch den ent- dass sie gewissermaßen sagen, weniger Beitrag auch sprechenden Bedingungen unterliegen sollen. Es weniger Rente, ohne das jetzt alles proportional zu würde sich natürlich anbieten, jetzt bei den Selbst- sehen, kann man das natürlich auch aus der Kasse ständigen, man könnte es auf die Solo-Selbstständi- der Rentenversicherung zahlen. Aber das ist das gen beschränken, die auch einzubeziehen. Wobei grundsätzliche Problem, und das haben wir an an- man natürlich überlegen muss, dass das nicht ganz deren Stellen, die in diesem Gesetzentwurf eine so einfach ist, weil die Selbstständigen dann beide Rolle spielen natürlich noch in größerem Umfang, Beitragszahler, beide Beiträge zahlen müssen, näm- lich den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer: Da ist

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also die Frage, ob man eine Modifikation vornimmt natürlich dem Grundsatz der Gleichbehandlung oder nicht. Aber sonst, wenn man der Meinung ist, nicht widersprechen, aber es kann viele Gründe ge- die Versicherungspflicht für die Selbstständigen be- ben, wenn sie denn verfassungsrechtlich akzeptabel steht, dann wäre es nicht unlogisch, auch weiter sind, die für eine Gleichbehandlung sprechen. Wir das so fortzusetzen, dass da dann auch die entspre- tun das im Rentenversicherungsrecht heute in viel- chende Beitragssatzvergünstigung gilt. facher Weise. Ich will ein Beispiel nennen: Ein Ar- Sachverständiger Prof. Dr. Werding: Ich würde das beitnehmer muss, wenn er ein hohes Einkommen hat, bis zur Beitragsbemessungsgrenze mit seinem unterstreichen. Wir haben im Grunde die Solo- Arbeitgeber zusammen Beiträge zahlen. Ein Selbst- Selbstständigen aus guten Gründen in die Versiche- rungspflicht einbezogen und die Analogie ist relativ ständiger hat dagegen die Möglichkeit, seine Bei- träge auf den sogenannten Regelbeitrag zu be- gut zu ziehen. Herr Bomsdorf hat das angedeutet schränken. Er zahlt also auch, wenn er haargenau mit dem Arbeitgeber-, aber auch dem Arbeitneh- meranteil. Das heißt, man kann die Logik anwen- das gleiche Einkommen hat, einen deutlich niedri- geren Beitrag als Arbeitnehmer und Arbeitgeber be- den. Probleme wird es natürlich mit der Verifizier- zogen auf das Beschäftigungsverhältnis. Es gibt barkeit von Einkommensangaben geben. Das ist bei solchen Selbstständigen natürlich etwas anders als viele weitere dieser Sonderregelungen, die Selbst- ständige im Verhältnis zu Arbeitnehmern anders bei anhängig Beschäftigten. Da müsste man prüfen, heranziehen. Und wenn es hierfür einen sachlich wie weit das hier anwendbar ist. Dann kann man das völlig parallel fahren und sollte es auch tun. nachvollziehbaren Grund gibt, dann halte ich das auch in dem Fall für zu rechtfertigen, dass man Sachverständiger Gunkel (Bundesvereinigung der Selbstständige anders behandelt. Im Übrigen halte Deutschen Arbeitgeberverbände): Eine Ausweitung ich aus den zuvor bereits genannten Gründen, dass der geplanten Midijob-Regelung und der damit ver- es hier um eine Begünstigung geht, die nicht zielge- bundenen Begünstigung auf Selbstständige würde nau ist, weil sie nicht das gesamte Einkommen be- natürlich auch bedeuten, dass die Nachteile dieser rücksichtigt, die Regelung für Arbeitnehmer für Regelung dann auch für Selbstständige gelten wür- nicht geeignet. den. Wir hätten hier eine weitere Durchbrechung Sachverständiger Prof. Dr. Bomsdorf: Herr Gunkel des Äquivalenzprinzips. Wir wissen heute schon, hat nochmal die Zielgenauigkeit zum Schluss ange- dass diejenigen, die von der Midijob-Regelung pro- fitieren werden, ausschließlich Teilzeitbeschäftigte sprochen. Das ist natürlich grundsätzlich etwas, das auch bei anderen Punkten gilt, ob man immer die sind. Personen, die ihr Stundenvolumen – aus wel- notwendige Zielgenauigkeit hat. Ansonsten würde chen Gründen auch immer – reduziert haben bzw. nur im geringen Umfang tätig sind. Bei Selbststän- ich mich ihm anschließen. Es gibt immer Sonderre- gelungen für bestimmte Bereiche. Dass alle wirklich digen wäre dies dann selbstverständlich genauso. über einen Kamm geschoren werden, das ist nicht Da wissen wir auch nicht, ob es Gelegenheitsselbst- ständige sind oder ob das deshalb geringverdie- 100 % gewährleistet. nende Selbstständige sind, weil sie tatsächlich nur Abgeordneter Straubinger (CSU/CSU): Herr Kollege Aufträge bekommen, bei denen ihr Verdienst gering Weiß hat bereits auf die Umsetzung im Koalitions- ist. Technisch möchte ich anmerken, dass es nicht vertrag von Mütterrente hingewiesen. Hier geht es ohne weiteres möglich ist, die geplante Regelung auch um die Finanzierung. Entspricht diese Syste- auf Selbstständige zu beziehen, weil die Begünsti- matik der Umlagefinanzierung, wenn der Bund gung, so wie sie im jetzigen Gesetzentwurf vorgese- heute Beiträge für Zeiten der Kindererziehung hen ist, ausschließlich auf der Arbeitnehmerseite zahlt, für die später Leistungen fällig werden? Das und nicht auf der Arbeitgeberseite vorgesehen ist. geht ebenfalls an Herrn Bomsdorf, Herrn Werding Die Arbeitgeber zahlen für Midi-Jobber auch nach und die DRV-Bund. der vorgesehenen Neuregelung genau die gleichen Vorsitzende Hiller-Ohm: Dann bitte ich um eine Beiträge. Insofern wäre jedenfalls nicht die analoge Beitragsentlastung im gleichen Umfang, jedenfalls kurze Antwort von Herrn Professor Dr. Bomsdorf. ohne technische Veränderung für Selbstständige Sachverständiger Prof. Dr. Bomsdorf: Ganz kurz: umzusetzen. Das müsste man dann modifizieren, Wer heute rentenversichert ist, zahlt natürlich auch sonst wäre es dann jedenfalls in der Wirkung nicht Beiträge für eine Leistung, die er normalerweise gleich. erst in x-Jahren bekommt, weil er eben 30, 40 oder 50 Jahre ist. Insofern entspricht das dem. Man kann Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Da möchte sich natürlich darüber streiten, ob der Bund diese ich aber doch noch tiefer gehen. Ist es nicht ein Ge- bot des Gesetzgebers, Pflichtversicherte – wohlge- Beiträge auch jetzt schon zahlen soll. Eins ist auf je- den Fall nicht falsch, wenn man feststellt, dass in merkt Pflicht - und bestehende Pflichtversicherte in der Vergangenheit die Rücklagen bei der Deutschen der gesetzlichen Rentenversicherung auch im Leis- tungsrecht gleichzustellen? Bitte auch wieder an Rentenversicherung zum großen Teil dadurch ent- standen sind, dass – wenn man es sich genauer an- Herrn Gunkel und an beide Professoren. schaut – die Leistungen/Beiträge für die Kinderer- Sachverständiger Gunkel (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände): Per se kann man

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ziehung gezahlt wurden, die dann aber gewisserma- Abgeordnete Tack (SPD): Meine Frage geht auch an ßen nicht abgerufen wurden. Logischerweise, weil Herrn Professor Dr. Bäcker und an Frau Roßbach. die Kinder in der Rente noch nicht wirksam waren. Wie wirkt sich die Haltelinie für das Rentenniveau Vorsitzende Hiller-Ohm: Punktgenau. Dankeschön. auf die individuellen Renten aus? Dann wenden wir uns jetzt der SPD-Fraktion zu Sachverständiger Prof. Dr. Bäcker: Die Antwort ist und da hatte sich als Erster Herr Kapschack gemel- klar oder auch nicht einfach. Das lässt sich für jede det. Rente nur sehr unterschiedlich berechnen. Ange- Abgeordneter Kapschack (SPD): Meine erste Frage nommen, die Haltelinie wird faktisch nicht wirk- sam, weil es ohnehin bis 2025 nicht zu einem Un- geht an den Deutschen Gewerkschaftsbund und an terschreiten des Rentenniveaus von 48 Prozent Herrn Professor Bäcker. Wie bewerten Sie die Ein- führung einer Haltelinie für das sog. Rentenniveau kommt. Dann gibt es überhaupt keine Unterschiede. Wenn allerdings durch die Mechanismen, die in von mind. 48 Prozent im Vergleich zum bisherigen dem Gesetz angekündigt sind oder wahrgenommen Recht? Ich würde vorschlagen, dass wir mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund anfangen. werden sollen, es dann zu einem höheren aktuellen Rentenwert kommt, als ursprünglich nach der gel- Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- tenden Rentenanpassungsregelung, dann wird jede schaftsbund): Der Deutsche Gewerkschaftsbund be- Rente, jede einzelne Rente im Bestand, wie im Zu- grüßt ausdrücklich, die 48 Prozent zu garantieren. gang um den entsprechenden Eurobetrag steigen. Das fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund schon Punkt. lange. Ebenso jetzt im Gesetz eine Haltelinie einzu- Sachverständiger Dr. Viebrok (Deutsche Renten- ziehen, ist insofern ein richtiger und notwendiger Schritt in diesem Sinne, das Rentenniveau langfris- versicherung Bund): Ein höheres Rentenniveau wirkt sich in der Tat bei allen Renten aus. Der aktu- tig zu stabilisieren. Auch die Umsetzung im Gesetz- elle Rentenwert steigt entsprechend. Man kann entwurf ist aus unserer Sicht an dieser Stelle ge- glückt. Das Rentenniveau kann tatsächlich vorerst auch ungefähr sagen, ein um 1 % höheres Renten- niveau bedeutet bei den Renten etwa 2 % mehr. bis 2025 gehalten und stabilisiert werden. Das be- Also bei einer 1.000-€-Rente hätte man im Prinzip grüßen wir ausdrücklich. 20 € mehr Rente, wenn das Rentenniveau um einen Sachverständiger Prof. Dr. Bäcker: Auch ich halte Prozentpunkt angehoben wird. Das ist etwa die diese Regelung für notwendig, ja sogar für überfäl- Größenordnung, um die es da geht. lig. Sie hat zwei Funktionen: Zum einen hat sie Abgeordneter Kapschack (SPD): Meine Frage geht eine Signalfunktion, dass die bisherige Logik der Rentenanpassungsformel zumindest bis 2025 ausge- erneut an den DGB. Wie bewerten Sie die Forde- rung, das Rentenniveau bei mindestens 48 % zu setzt wird. Sie hat eine reale Funktion, weil nicht stabilisieren? Welche Möglichkeiten sehen Sie, ein auszuschließen ist, dass bis 2025 das Nettorenten- niveau vor Steuern unter die 48 Prozent gesenkt solches Niveau der gesetzlichen Renten nachhaltig zu finanzieren? wird. Dahinter steht im Grunde die Sorge, dass ein dauerhaft absinkendes Rentenniveau auch über Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- 2025 hinaus, wie es beispielsweise in dem Gesamt- schaftsbund): Wie schon eben erwähnt, fordert der konzept des Bundesarbeitsministeriums von 2017 DGB schon länger, das Rentenniveau dauerhaft zu bis 41,8 Prozent beziffert ist, die Liquiditätsgrund- stabilisieren und wieder anzuheben. Insofern ist die lagen der Rentenversicherung akut gefährdet, weil Stabilisierung auf 48 % ein zentraler Punkt unserer man das in den Modellrechnungen ganz gut präzi- Forderung und natürlich aus unserer Sicht sehr zu sieren kann, immer mehr Beitragsjahre erforderlich begrüßen. Auch, das muss natürlich gesagt werden, werden, um überhaupt eine Rente zu erhalten, die wenn eine Stabilisierung allein für uns noch nicht das aktuelle oder zukünftige Grundsicherungsni- weitgehend genug ist an dieser Stelle. Die dauer- veau erreicht. Wenn das nicht mehr der Fall ist, hafte Stabilisierung, und auch das muss, glaube ich, stellt sich natürlich die Frage, warum der Staat in dieser Runde mal gesagt werden, ist, anders als überhaupt Pflichtbeiträge erheben kann, wenn an- von Wirtschaft und ihren Lobbyisten häufig be- sonsten auch für nicht pflichtige Beiträge das glei- hauptet, gerade im Interesse der jungen Menschen che Absicherungsniveau im Alter erhoben wird. In- in diesem Land; denn es geht um ihr Rentenniveau, sofern ist das eine sehr sinnvolle Lösung, die aller- wenn sie 2040, 2050 oder 2060 in Rente gehen und dings das Problem nach 2025 keinesfalls löst. Wir nicht nur die Personen, die heute bereits in Rente wissen aus vielerlei Überlegungen, dass nach 2025 sind. Es geht also in diesem Sinne um Vertrauen, die demographischen Belastungen zunehmen wer- Verlässlichkeit und Versorgungssicherheit. Und in den – Stichwort zu den geburtenstarken Jahrgängen diesem Sinne fordert der DGB auch eine Stabilisie- -, so dass es dann Aufgabe der sog. Rentenkommis- rung des Rentenniveaus. Und gerade deshalb ist es sion sein wird, hier Vorschläge vorzulegen. Aber aus unserer Sicht wichtig, in der ganzen Diskussion die Signalfunktion ist ganz eindeutig und zu begrü- ehrliche und transparente Vorschläge zu machen. ßen. Insbesondere darf das Rentenniveau dabei nicht zu manipulativen Zwecken verändert werden oder

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sozusagen versucht werden, ein Scheinniveau auf- man präziser fragen, was sind sozialversicherungs- recht zu erhalten. Andere hier anwesende Sachver- fremde Leistungen. Die Rentenversicherung ist ja ständige haben einen intelligenten Mix vorschla- keine Privat-Versicherung, die nach deren Kriterien gen, wie Sie es nennen, in dem sie genau damit ar- arbeitet, sondern hat immer das Verhältnis von beiten, indem sie sozusagen das Rentenniveau Äquivalenz, aber auch Solidarausgleich. Letztlich, selbst in ihrer Berechnung im Zeitverlauf verändern lassen Sie mich schon vorab zusammenfassen, gibt und somit fiktiv eine Stabilisierung des Rentenni- es keine abschließende, im Sinne von objektiven veaus produzieren, obwohl es real weiter absinkt. Kriterien. Es ist immer eine normative Frage, wel- Parallel wollen sie dazu dann auch noch die Alters- che Leistungen man dazuzählt oder welche nicht. grenze anheben. Wenn wir das durchrechnen, dann Bei einigen Leistungen ist es einfacher, bei anderen zeigt sich, was das bedeutet. Würde eine 21-jährige schwieriger. Z. B. wenn man historisch betrachtet, Versicherte, die nach diesen Modellrechnungen mit bei den Kriegsfolgelasten waren es in der Tat sozial- 63 Jahren in Rente geht und 43 Entgeltpunkte hätte versicherungsfremde Leistungen, für die die ge- zu diesem Zeitpunkt, würde sie aufgrund der Ab- samte Gesellschaft aufkommen muss. Bei Erwerbs- schläge und des abgesenkten Niveaus kaufkraftbe- minderungsrenten würde man sagen, das gehört reinigt weniger Rente als nach geltendem Recht be- zum Solidarausgleich, der auch aus der Solidarge- kommen. Solche Vorschläge, die so intransparent meinschaft finanziert werden muss. Bei der Mütter- sind und die nur versuchen, den Eindruck zu ver- rente würde man wiederum sagen, da es auch Per- mitteln, es würde etwas getan werden, sind natür- sonen kriegen, die von vornherein nicht dem Versi- lich aus unserer Sicht inakzeptabel. Solche Täu- cherungskreis angehören, handelt es sich wiederum schungsmanöver wollen wir nicht. Das Rentenni- um sozialversicherungsfremde Leistungen. Insge- veau nur optisch zu stabilisieren und den Beitrags- samt ist die Diskussion, glaube ich, letztlich nicht satz real stärker zu dämpfen als nach geltendem Ge- abschließend führbar. Deswegen wird ja auch in der setz kann nicht Grundlage dieser Diskussion sein Debatte immer gesagt, die Steuerzuschüsse aus dem und darf aus unsere Sicht auch nicht Teil der Dis- Bundeshaushalt haben auch die Funktion, eine all- kussion in der Rentenkommission werden. Die vor gemeine gesellschaftspolitische Stabilisierung der uns liegende Entwicklung müssen wir ehrlich ana- Rentenversicherung als des stärksten Beins der So- lysieren und an die Herausforderungen einen brei- zialversicherung. Ich glaube, darauf sollte man sich ten gesellschaftlichen Konsens finden. Ein solcher eher einigen, statt mühsam nach Abgrenzungskrite- Konsens kann nicht auf manipulativen Annahmen rien zu suchen, die es letztlich objektiv nicht zu und manipulativen Darstellungen basieren; denn finden gibt. der wird nicht lange halten. Abgeordneter Rützel (SPD): Herr Prof. Dr. Bäcker, Abgeordnete Tack (SPD): Ich bin bei Frau Roßbach wie bewerten Sie, dass mit diesem Gesetzentwurf mit meiner nächsten Frage. Wie bewerten Sie es, nicht bereits jetzt über die Finanzierung des Geset- dass eine Rücklage „Demographievorsorge Rente“ zes nach 2025 entschieden wird? eingeführt wird? Sachverständiger Prof. Dr. Bäcker: Ich halte mich Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- da an die Koalitionsvereinbarung, die das ja expli- cherung Bund): Ich kann dazu nur sagen, dass diese zit ausgeschlossen hat. Natürlich wäre es wün- „Demographievorsorge Rente“ im Grunde genom- schenswert gewesen, nicht bei 2025 stehenzublei- men bisher noch nicht näher beschrieben ist. Es ist ben, weil die kritischen Jahre kommen ja in der Tat etwas zur Stabilisierung der Rentenfinanzen bis erst nachher. Nun ist in der Koalitionsvereinbarung 2025. Das ist natürlich aus Sicht der Rentenversi- entschieden worden, das auf die Rentenkommis- cherung dann auch notwendig, wenn ich im sion zu übertragen. Wie Sie aber in vielen Stellung- Grunde genommen den Mechanismus von Beitrags- nahmen sehen, schließt natürlich die Diskussion satzgestaltung für die Finanzen aufhebe und dann nicht mit 2025 ab, sondern wird sich fortsetzen. Da bis 2025 eine Beitragssatzgarantie einführe. Aber gilt es dann eben, entsprechend von gesamtwirt- uns sind die Mechanismen des „Demographievor- schaftlich eingebundenen Prognosen zu sagen, wel- sorge Fonds“ oder der Demographievorsorge noch che finanziellen Belastungen kommen wahrschein- nicht im Einzelnen bekannt, so dass wir dazu auch lich auf die Rentenversicherung zu? Wie lässt sich keine weiteren Ausführungen machen können. das im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung auf Abgeordneter Rützel (SPD): Meine Frage an Herrn die drei Beteiligten - Beitragszahler, Rentner und Staat - verteilen. Diese Diskussion wird ohnehin Prof. Dr. Bäcker. Es wird immer wieder über die Fi- auch hier im Ausschuss noch intensiv diskutiert nanzierung versicherungsfremder Leistungen dis- kutiert. Können Sie abschätzen, wie groß dieser werden. Dass sie heute nicht diskutiert wird, liegt in der Natur der Sache, der politischen Festlegung. Umfang ist? Lässt er sich überhaupt einwandfrei identifizieren? Vorsitzende Hiller-Ohm: Es sind noch 17 Sekun- den. Aber ich sehe schon, die SPD verzichtet auf Sachverständiger Prof. Dr. Bäcker: Vielen Dank für diese Jahrtausend-Frage. Es ist schon ewig disku- die 17 Sekunden. Dann kommen wir zur AfD. Da hatte Frau Schielke-Ziesing sich zu Wort gemeldet. tiert worden, was sind denn versicherungsfremde Leistungen. Bei der Rentenversicherung müsste

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Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Mein erster Anspruch nehmen. Wobei man hier sagen muss, es Frageblock geht an die Deutsche Rentenversiche- sind auch durchaus unterschiedliche Entscheidun- rung Bund. Da ist es mir egal, ob Frau Roßbach oder gen, die bei den Menschen eine Rolle spielen. Vor- Herr Dr. Viebrok antwortet. Zur Haltelinie. Mit der gezogene Altersrente kann ich mir aussuchen, kann Festlegung der doppelten Haltelinie wird der bishe- ich wählen. Eine Erwerbsminderungsrente wird e- rige Mechanismus der Anpassung von Beitragssatz her etwas sein, wo ich auf Grund großer gesund- und Rentenniveau an die Einnahmen und Ausga- heitlicher Beeinträchtigungen mich quasi genötigt ben außer Kraft gesetzt. Kann man jetzt sagen, dass sehe, dann auch einen entsprechenden Antrag zu die bisherige Steuerung über die Höhe der Nachhal- stellen. Ich würde jetzt auch nicht von einem ho- tigkeitsrücklage durch eine Defizithaftung des Bun- hen Anreiz sprechen. Wir befürchten auch nicht des ersetzt und damit die Rentenfinanzierung hohen Verwaltungsmehraufwand, sondern wir ha- grundsätzlich neu geregelt wird? Hat die Nachhal- ben darauf hingewiesen, dass es durchaus Men- tigkeitsrücklage eigentlich jetzt noch eine Bedeu- schen geben wird, die auf Grund gesundheitlicher tung? Beeinträchtigungen die heute quasi gar keine Not- wendigkeit sehen, sich hier entscheiden zu müssen, Sachverständiger Dr. Viebrok (Deutsche Renten- versicherung Bund): Grundsätzlich wird die Finan- dann durchaus auf Grund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen einen solchen Antrag stellen zierung nicht geändert. Es ist nach wie vor so, dass werden. Das kann dann eben auch zu Verwaltungs- so lange die Haltelinien jetzt nicht greifen, nach wie vor die Verteilung der Lasten zwischen Arbeit- mehraufwand führen. Wir können natürlich in der Tat noch nicht absehen, wie viele Menschen das nehmern und Rentnern und Bund im Prinzip nach sein werden. Wir wissen, dass 50.000 Menschen, der alten Formel passiert. Erst dann, wenn die Halt- elinien greifen, ändert sich da etwas. Die Nachhal- die bisher eine Rente wegen Schwerbehinderung in Anspruch nehmen konnten, durchaus Antragsteller tigkeitsrücklage ist nach wie vor wichtig, weil sie werden könnten. Das werden wir dann in der Ver- natürlich einen Teil der Ausgaben finanziert in den nächsten Jahren. Solange die Nachhaltigkeitsrück- waltung bearbeiten. Es kann dann durchaus und das ist das, worauf wir hinweisen wollen, auch in lage nicht bei der Mindestrücklage angekommen einer ersten Phase zu mehr Ablehnungen kommen, ist, entlastet sie natürlich auch die Beitragszahler. Von daher würde ich jetzt nicht sagen, bei einer Re- weil natürlich die Menschen eine Krankheitsbeein- trächtigung mit einer Erwerbsminderung nicht gelung, die ja explizit nur bis zum Jahre 2025 gilt, gleichsetzen. Das wird natürlich gerade im sozial- würde ich jetzt nicht davon sprechen, dass man grundsätzlich eine Änderung vorgenommen hat. medizinischen Begutachtungsverfahren dann auch eine große Rolle spielen, das auch mit den Men- Wie es dann weiter geht, das ist letzten Endes die schen zu besprechen, dass nicht jede Krankheitsbe- Aufgabe der Rentenkommission, dafür Konzepte zu entwerfen und das weiterzuentwickeln. Da ist eher einträchtigung auch gleichzeitig zur Erwerbsminde- rung führen wird. Darauf haben wir nochmals hin- die politische Diskussion. Bei dieser Regelung, die weisen wollen, damit man einfach auch dann, jetzt wie gesagt, befristet bis 2025 gilt, würde ich jetzt nicht von einer grundsätzlichen Änderung wenn die gesetzliche Regelung so kommen sollte, weiß, was dann auch gegebenenfalls bei den Men- sprechen. schen für Handlungsoptionen, die dann bestehen, Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Dann wieder auch greifen können. Aber ich sage ganz bewusst, die Rentenversicherung Bund zur Erwerbsminde- auch bei Menschen, die eine hohe gesundheitliche rungsrente. Bei der Erwerbsminderungsrente erge- Beeinträchtigung haben und dementsprechend ben sich durch die neuen Zurechnungszeiten für dann auch eine solche Rente beantragen können. die Zugangsrentner deutliche Verbesserungen. Sie weisen darauf hin, dass durch die Besserstellung Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Jetzt geht es mir um die Gleitzone. Wieder Frage an die Renten- bei der Erwerbsminderungsrente im Bereich der Al- versicherung Bund. Wir hatten eben schon mal et- tersgruppe 60+ ein hoher Anreiz geschaffen wird, statt einer vorgezogenen Altersrente eine Erwerbs- was gehört zu den Entgeltmeldungen der Meldestel- len. Welches Gehalt wird hier gemeldet, das fiktive minderungsrente zu beantragen. Sie befürchten oder das echte? Wie wird das im Rentenkonto hin- durch diese Verhaltensänderungen hohen Mehrauf- wand für die Verwaltung. Wie könnte aus Ihrer terlegt? Ist es hinterher noch nachvollziehbar, was jetzt das fiktive Gehalt ist? Sicht hier eine Lösung aussehen, um Fehlanreize zu verhindern bzw. zu begrenzen? Sachverständiger Dr. Viebrok (Deutsche Renten- versicherung Bund): Jetzt im Moment wird tatsäch- Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- cherung Bund): Wir haben in der Tat in unserer lich das fiktive Entgelt gemeldet. Es funktioniert so, dass bei den Midijobs in der Gleitzone nicht der Stellungnahme auf die Wirkung des Gesetzes hinge- Beitragssatz reduziert wird, sondern dass die Bei- wiesen - dass natürlich bei Menschen, die eine Er- werbsminderungsrente beantragen, weil sie gesund- tragsbemessungsgrundlage, also das, was bei der Beitragsbemessung zu Grunde gelegt wird und ge- heitlich beeinträchtigt sind, durch die neuen Rege- nau diese Beitragsbemessungsgrundlage individu- lungen andere Mechanismen greifen werden, wie bei Menschen, die eine vorgezogene Altersrente in ell, die wird auch uns gemeldet. Das wird man dann in diesem Fall tatsächlich umstellen müssen.

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Wenn man jetzt tatsächlich auch das reale Entgelt Bundessozialgericht einmal vor etlichen Jahren zu bei der Rentenberechnung berücksichtigen will, diesem Ergebnis gekommen ist; bei bestehender dann wird man tatsächlich beides melden müssen. Rechtslage die richtige Auslegung. Das ist – wie Sie Aber im Moment wird die reduzierte Beitragsbe- vielleicht wissen – damals sehr umstritten auch in messungsgrundlage gemeldet. der Rechtswissenschaft gewesen und dann vom Bundessozialgericht anders entschieden worden. Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Nach dem Ge- setzentwurf sollen die Geringverdiener bei den Bei- Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Meine Frage trägen entlastet werden. In Ihrer Stellungnahme geht wieder an Prof. Dr. Welti. In Ihrer Stellung- wird auf die Probleme mit dem Äquivalenzgrund- nahme entwickeln Sie die Idee einer Entkopplung satz, die Ungleichbehandlung mit Vergleichsgrup- von Erwerbsminderungsrenten und Altersrenten. pen und die fehlenden sozialpolitische Zielgenauig- Die Erwerbsminderungsrente soll als eigenständige keit hingewiesen. Bestehen in Ihrem Haus mit Blick Lohnersatzleistung mit Einkommensersatz und auf die Ungleichbehandlung gegenüber Selbststän- Grundsicherungskomponente geführt werden. Kön- digen und Mindestlohnempfängern in Vollzeit nen Sie dieses Modell erläutern, insbesondere im nicht Bedenken hinsichtlich des rechtlichen Be- Hinblick auf die Finanzierung und im Verhältnis standes einer solchen Regelung? zur bestehenden Rentenversicherung? Wie könnte Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- dort eine Systemumstellung erfolgen? cherung Bund): Das ist in der Tat eine schwierige Sachverständiger Prof. Dr. Welti: Die Idee ist insbe- Frage, die man einfach so nicht beantworten kann. sondere unterlegt durch international verglei- In der Tat führen die Regelungen zu unterschiedli- chende Forschungen. Wir haben dabei festgestellt, chen Auswirkungen. Aber all die Personengruppen dass in einer zunehmenden Anzahl von Ländern jetzt irgendwie gleichsetzen zu wollen, ist irgendwo die Verkopplung von Alterssicherung und Invalidi- auch relativ schwierig. So ganz in der Tiefe kann tätssicherung nicht oder nicht mehr besteht, weil ich das ehrlich gesagt hier nicht beantworten. sich hier die sozialpolitischen Steuerungsmechanis- men einfach auseinanderentwickelt haben. Das Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Meine nächs- scheint auch in Deutschland der Fall zu sein, wes- ten Fragen gehen an Prof. Dr. Welti. Sie führen in der Stellungnahme aus, dass die Rentenabschläge wegen wir ein besonderes Armutsproblem im Be- reich der Erwerbsgeminderten haben, dass alle bei Erwerbsminderungsrenten systemwidrig seien. Steuerungsgrößen, die für das Niveau der Alterssi- Können Sie das bitte mal erläutern. cherung hier eingeführt worden sind, für das Ni- Sachverständiger Prof. Dr. Welti: Das ist ein alter veau der Erwerbsminderungssicherung zu inakzep- Streit bei der Bewertung der Abschläge, ob die tablem Ergebnissen geführt haben und wir deswe- sozusagen systemkonform sind, weil sie, gleichlau- gen hier auch schon zum dritten Mal in überschau- tend mit den Altersrenten herbeiführen sollen - wie barer Zeit zusammensitzen um das nachzusteuern. es die DRV-Bund auch ausführt. Ob sie deswegen Aus diesem Grund ist darüber nachzudenken, ob systemwidrig sind, weil sich - wie auch zahlreiche man nicht sagt, dass das Risiko grundsätzlich ver- Stellungnahmen betonen - die Erwerbsgeminderten gleichbar ist mit Risiken, wie sie beim Krankengeld nicht aussuchen können, ob sie erwerbsgemindert oder beim Arbeitslosengeld abgesichert sind. Das sind und es in einem objektiven Verfahren geprüft heißt, man braucht eine Lohnersatzleistung für eine wird, ob sie erwerbsgemindert sind. Die DRV-Bund vielleicht auch befristete Zeit. Dieser systematische hat nun auch nochmal darauf hingewiesen bei dem Aspekt wird auch deutlich dadurch, dass der Regel- jetzt durch die Erhöhung der Zurechnungszeiten er- fall der Erwerbsminderungsrenten die befristete Er- höhten Rentenniveau, welche Effekte eintreten werbsminderungsrente ist. Wir haben ein zuneh- könnten für Personen, die - ich sage mal - 60+ in mendes Problem mit Personen, die früh im Lebens- Rente gehen. Daher habe ich in meiner Stellung- verlauf in die Erwerbsminderungsrente gehen und nahme angedeutet, es wäre sinnvoll zu überlegen, weder auf ihrem Rentenkonto, noch erst recht nicht die Abschaffung der Abschläge auf Personen zu be- auf ihrer privaten Vorsorgeseite etwas ansammeln schränken, die wesentlich früher in Erwerbsminde- konnten, was ihnen dann hilft. Die Logik, die in der rungsrente gehen, weil bei diesen die verhaltens- Alterssicherung Einzug gehalten hat, das Siche- steuernde und verzerrende Wirkung nicht eintreten rungsniveau werde in einer Gesamtbetrachtung ge- kann. Also nicht derjenige, der mit 62 in Rente sehen von gesetzlicher Rente, betrieblicher und pri- geht, ist hier zu adressieren, sondern derjenige, der vater Vorsorge, das funktioniert bei Erwerbsminde- mit 42 oder 52 erwerbsgemindert wird. Bei diesen rung auch nicht. Das ist ein Grund zu sagen, dass Personengruppe gibt es keine Wirkung der Ab- das möglicherweise entkoppelt werden müsste. schläge in der Gestalt, dass sie noch bis 63 warten Dann könnte man auch konsequenter auf die Befris- wird oder so. Für diese Personengruppe scheint es tung setzen, sowie es etwa die Niederlande tun mit mir systemwidrig zu sein, ihnen diese Abschläge zu einem ganz anderen System, einem höheren Siche- geben. Deswegen der Vorschlag, im Rahmen eines rungsniveau, aber wesentlich klarere Herangehens- grundsätzlicheren Nachdenkens über die Erwerbs- weisen, auch durch Rehabilitation und Prävention, minderungsrente gestaffelte und degressive Lösun- das Risiko zu verhindern. gen einzuführen. Am Rande sei erwähnt, dass das

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Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Ich hoffe, Pro- zahlen müssen, aber auch auf die Rentenbezieher fessor Dr. Welti kann das ganz kurz beantworten. im Sinne einer Dämpfung der laufenden Rentenan- Wie stellen Sie sich die Finanzierung dort vor? passung. Da gibt es eine zentrale Stellschraube; das Sachverständiger Prof. Dr. Welti: Das scheint mir ist ein Faktor, der irgendetwas zwischen 0 und 1 liegen kann. Der steht auf 0,25 und das heißt, ein geeignet für eine Beitragsfinanzierung. Gerechnet Viertel der Last wird den Rentnern auferlegt und habe ich das noch nicht, aber es gibt nun eine Kom- mission, die das machen könnte. Dreiviertel den Beitragszahlern. Als diese Regelung eingeführt wurde, galt das als sehr modern, mit den Vorsitzende Hiller-Ohm: Dann wechseln wir jetzt der weltweit entwickelten Volkswirtschaften beste- zu der FDP-Fraktion und da hatte sich Herr Kollege henden Herausforderung des demographischen Vogel gemeldet. Wandels umzugehen mit solchen Automatismen, die es einem ersparen, jedes Jahr neu den Streit zu Abgeordneter Vogel (FDP): Ich will als erstes auf die kurzfristigen Effekte dieses Gesetzes blicken führen, darüber, wie man die Rentenbeiträge her- aufsetzen muss oder das Rentenniveau evtl. dämp- und eine Frage an die DRV, Frau Roßbach stellen. fen muss. Wie hoch wäre denn nach Ihren aktuellen Berech- nungen exakt der Beitragssatz im nächsten Jahr Als diese Regelung eingeführt wurde, galt das als ohne dieses Rentenpaket und wieviel macht das in sehr modern, mit der weltweit in entwickelten Milliarden aus? Volkswirtschaften bestehenden Herausforderung demographischer Wandel umzugehen mit solchen Sachverständiger Dr. Viebrok (Deutsche Renten- versicherung Bund): Ohne dieses Rentenpaket rech- Automatismen, die es einem ersparen, jedes Jahr neu den Streit zu führen, darüber wie man die Ren- nen wir im Moment - das ist jetzt das Ergebnis mit tenbeiträge heraufsetzen muss oder das Rentenni- dem Datenstand von Oktober und einem Beitrags- satz von 18,2 Prozent nach geltendem Recht - unge- veau evtl. dämpfen muss in seiner Entwicklung, sondern das eben einem solchen regelbasierten Au- fähr pro ein Zehntel Beitragssatz Punkt mit 1,5 tomatismus zu überlassen. Davon weicht man jetzt Mrd. Euro. Also sind wir jetzt bei 6 Mrd. Euro bei den Beitragseinnahmen. ab auf eine Weise, die jetzt natürlich auch noch nicht sofort greift. Das ist ja mehrfach betont wor- Abgeordneter Vogel (FDP): Meine nächste Frage den. Im Grunde wird es im Zeithorizont, der jetzt geht an Herrn Professor Dr. Werding. In Ihrer Stel- überhaupt zu verhandeln steht bis 2025 gegen lungnahme schreiben Sie, dass durch dieses Ren- Ende, wenn sich die Dinge so entwickeln, wie man tenpaket einer der zentralen Mechanismen der Ren- das überwiegend erwartet, dass die Abweichung tenreform von 2004 außer Kraft gesetzt wird, näm- von diesem Faktor einen Unterschied macht. Die lich der Nachhaltigkeitsfaktor. Könnten Sie noch- entscheidende Frage würde ich sagen, und das mal erläutern, weshalb der Nachhaltigkeitsfaktor so steht hier, glaube ich, auch im Raum, ist die Frage, wichtig ist? Würden Sie mit mir übereinstimmen, wie man nach 2025 mit dem dann erst so richtig an- dass das langfristig betrachtet eigentlich der verhee- steigenden Druck des demographischen Wandels rendste - vielleicht mit Ihren Worten, damit Sie das umgehen will. Im Hinblick darauf hat das, was jetzt offen beantworten können -, bedenklichste Teil des bis 2025 etabliert wird, natürlich Signalwirkung. Rentenpakets ist? Ich meine aber auch derart, dass es falsche Erwar- tungen weckt. Ich meine, da gehört sehr grundsätz- Sachverständiger Prof. Dr. Werding: Die Rentenre- form 2004 gehört in eine Serie von Reformschritten, liches und sehr gründliches Nachdenken dazu. Das ist eine Aufgabe, die man zu Recht einer Kommis- mit denen die Empfehlungen der Rürup-Kommis- sion übertragen hat, der man auch Zeit gegeben hat. sion Stück für Stück abgearbeitet wurden. Nicht, dass man auch das Rentenalter hoch setzt, das war Insofern dieser Selbststeuerungsmechanismus, die Frage wo führt der uns hin? Ist die Lastverteilung 2003/2004 zunächst noch nicht so klar, das hatte so, wie sie jetzt noch im Gesetz angelegt ist, das, man 2007 nachgesteuert. Dieser Nachhaltigkeitsfak- tor als Element der Rentenanpassungsformel, mit was wir als Gesellschaft wirklich wollen? All das kann man fragen. Aber jetzt schon so zu tun, als der jedes Jahr zum 1. Juli der neue aktuelle Renten- wäre es ohne weiteres möglich, das Rentenniveau wert ausgerechnet wird, orientiert sich an den Brut- tolohnsteigerungen, orientiert sich an den Ände- bei 48 % einzufrieren bis 2030 oder 2040, das halte ich für zumindest sehr bedenklich. rungen der Belastungen der Rentenversicherten zur Altersvorsorgezwecken, also durch Rentenbeiträge Abgeordneter Vogel (FDP): Genau da würde ich und dann auch durch Privatvorsorge. Im Anfangs- gern weiter machen; denn der politische Konnex ist bereich stieg auch die Belastung dadurch noch an ja klar. Immerhin hat der Vizekanzler exakt das ge- und dann als zusätzliche Komponente dieser Nach- fordert, dieser Regierung. Und deshalb die Frage an haltigkeitsfaktor. Der hat eine automatische und Sie, Herr Prof. Börsch-Supan. Sie haben ja ausge- stabilisierende oder selbststeuernde Wirkung – nen- rechnet, was genau diese Maßnahme kosten würde nen wir das so –, wo demographische Alterung und über 2025 hinaus, 2030, 2035 etc. Diese Rechnung dadurch resultierende Anspannung im Rentensys- wird von Kollegen im Ausschuss durchaus kriti- tem aufgeteilt wird auf aktiv Versicherte als Bei- siert. Vielleicht können Sie erstens noch einmal tragszahler, die also entsprechend höhere Beiträge

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ausführen, auf Basis welcher Daten Sie diese Rech- Altersarmut hat, sondern dass es dafür weit zielge- nung gemacht haben und zweitens mir beantwor- nauere Lösungen gibt. Ich würde erstens Sie fragen, ten, der eben angesprochene Finanzminister hat ja ob Sie sich dieser Aussage des Kollegen anschlie- öffentlich erklärt, das sei langfristig dadurch zu fi- ßen und zweitens, welche Maßnahmen dieses Ren- nanzieren, da ja auch der Bundeshaushalt wachsen tenpakets denn überhaupt nach Ihrer Auffassung würde, für wie fundiert Sie diesen politischen wirklich zielgenau gegen Altersarmut helfen? Schluss halten. Sachverständiger Prof. Börsch-Supan: Eigentlich Sachverständiger Prof. Börsch-Supan: Ich darf viel- sehr wenig. Wir warten ja noch auf ein weiteres leicht nur einmal die Signalmunition. Wir reden ja Rentenpaket. Meine Präferenz wäre gewesen, man hier über ein Gesetz, was bis 2025 gilt. Eigentlich hätte sich erst einmal um die Altersarmut geküm- nicht über die Zeit drüber hinaus. Aber wir reden mert z. B. über ein in sich konsistentes Grundren- doch über die Zeit darüber hinaus, gerade wegen tenmodell und dann den Rest der Rente beackert. der Signalfunktion, die sowohl Kollege Bäcker, als Man hat sich anders entschieden. auch eben Kollege Werding gesagt hat. Es wird Abgeordneter Vogel (FDP): Ich habe noch viele Fra- nicht so einfach sein, von diesen aufgebauten Er- wartungen, die man jetzt herstellt, wieder runter zu gen. Die nächsten beiden würde ich an Herrn Gun- kel stellen wollen von der BDA. Erstens, die Bun- kommen. Der kritische Zeitpunkt ist so um die desregierung sagt dass dieses Rentenpaket keine fi- 2023/2024 da fängt es an, teuer zu werden. 2025 steht es im Gesetzentwurf drin, bei 5 Milliarden nanzwirksamen Maßnahmen rechtlicher Art über 2025 hinaus hat. Über die politische Implikation und rechnet sich dann hoch. Die Rechnung, die ich haben wir gerade schon gesprochen. Stimmt es, gemacht habe, mein Institut gemacht hat, gehen von den demographischen Annahmen des Statistischen dass es allein rechtlich finanzwirksam nicht über 2025 hinaus wirkt dieses Paket oder nicht? Zweite Bundesamtes aus und von den Erwerbstätigkeits- Frage, der DGB hat eben ausgeführt, es sei gerade prognosen, die in dem Rentenkonzept 2017 von Frau Nahles waren. Das sind mehr oder weniger im Interesse der Jungen, dieses Rentenpaket zu ma- chen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der klassische Daten. Die Mehrbelastung, die jetzt Auffassung sind, dass damit eigentlich der einmal dadurch entsteht, dass man die Beiträge nicht über die 20 % anheben und das Rentenniveau nicht un- getroffene Konsens im Deutschen , der getroffene Konsens der Nuller-Jahre, nämlich dass ter die 48 % sinken kann, die dann durch Steuern die Lasten der Demographie fair über die Generatio- getragen werden muss, die folgen dann mehr oder weniger der Demographie. Und die Demographie nen zu verteilen sind, ob der nicht aufgelöst oder mindestens abgeschwächt wird? geht langsam hoch bis 2025, aber dann steigt sie noch einmal sehr kräftig an bis 2035 und geht dann Sachverständiger Gunkel (Bundesvereinigung der auf dem hohen Niveau nur noch allmählich hoch. Deutschen Arbeitgeberverbände): Die Wirkungen Wir reden im Jahr 2036 von einer zusätzlichen Be- des Gesetzentwurfes werden sich keineswegs nur lastung zu dem jetzigen Bundeszuschuss von unge- auf die Zeit bis 2025 beschränken, sondern auch fähr 90 Milliarden Euro. Das wären, wenn man auf die Jahre danach, weil die Fortschreibung der beide zusammennimmt 180 Milliarden Euro. Wenn Renten auf dem dann erhöhten Niveau ab dem Jahr man davon ausgeht, dass die Renten im Wesentli- 2026 stattfinden wird. Das zeigt sich auch in den chen so wachsen wie die Löhne, weil der Nachhal- Zahlen des Gesetzentwurfes. Danach wird dann der tigkeitsfaktor ja ausgehebelt worden ist, wird auch Beitragssatz, der nach geltendem Recht bei 20,1 % der Bundeshaushalt parallel dazu ungefähr genauso im Jahr 2026 liegen würde, nach dem Gesetzent- groß wachsen. Im Augenblick haben wir einen Bun- wurf bei 20,9 % liegen. Auch das Sicherungsniveau deshaushalt von 335 Milliarden Euro. Die Rente wird deutlich höher ausfallen. Statt 47,0 % wird es nimmt davon im Augenblick ungefähr 90 Milliar- bei 47,9 % liegen. Diese Wirkung wird sich natür- den Euro in Anspruch. Also etwas weniger als ein lich in den nächsten Jahren dann auch fortsetzen, Drittel. 2036 wäre das dann die knappe Hälfte, d. h. auch über 2025 hinaus wird der Gesetzentwurf wenn der Bundeshaushalt entsprechend größer finanzielle Folgen haben. Wir sehen es in der Tat wird, aber eben 180 Milliarden Euro daraus in die so, dass der Konsens jetzt aufgegeben wird, dass die Rente geht. Das hat natürlich massive Effekte, also Belastungen aus insbesondere der Demographie wenn fast die Hälfte des Bundeshaushaltes der gleichmäßig zwischen allen Beteiligten aufgeteilt Rente zugewiesen werden soll, übt das einen enor- werden sollten. Das zeigt insbesondere die Wirkung men politischen Druck auf die anderen Dinge aus, des Gesetzentwurfs, wenn in den Jahren bis 2025 die man auch mit dem Bundeshaushalt finanzieren werden zu Gunsten der Rentner, der Älteren das will. Rentenniveau auf dem heutigen Niveau von 48 % Abgeordneter Vogel (FDP): Ich würde gern bei festgeschrieben wird, steigt der Beitragssatz von 18,6 % deutlich an auf 20 %. Dort wird er dann ge- Ihnen bleiben, Herr Prof. Börsch-Supan und nach- deckelt. Aber diese Haltelinie wäre gar nicht nötig, fragen. Herr Prof. Werding hatte in seiner schriftli- chen Stellungnahme ausgeführt, dass eine Fixie- wenn man den Gesetzentwurf so nicht verabschie- den würde. Denn dann würde der Beitragssatz rung des Rentenniveaus keine nennenswerten Aus- deutlich geringer ausfallen. Zu Gunsten der Rentner wirkungen auf das Risiko von zukünftig steigender

19. Wahlperiode Protokoll der 25. Sitzung Seite 14 vom 5. November 2018

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wird hier eine Haltelinie eingeführt, aber die Bei- Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Die Frage tragszahler werden tatsächlich im gleichen Zeitab- geht wieder an Herrn Kundacina, zur Finanzierung. lauf deutlich mehr belastet. Mit der Einführung der Beitragssatzbremse, also Vorsitzende Hiller-Ohm: Sie haben noch Zeit für 20 % bis 2025, wird unter der Voraussetzung, dass auch nach 2025 das Rentenniveau nicht weiter ab- eine weitere Frage. gesenkt werden wird, die gesetzliche Rente in zu- Abgeordneter Vogel (FDP):Die Minute kriegen wir nehmenden Maße steuerfinanziert werden müssen. noch gewinnbringend gefüllt. Ich würde den Ball Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht das Einfrieren vielleicht nochmals zu Prof. Börsch-Supan zurück- des Beitragssatzes auf 20 %? spielen wollen. Ich ahne, dass gleich Kollegen von Sachverständiger Kundacina (Sozialverband der linken Seite des Hauses hier Fragen stellen wer- den, die mehr oder minder darauf hinauslaufen, Deutschland e. V.): Unter diesen Prämissen, wir ha- ben es auch in der Diskussion mitbekommen, ist das sei alles gar kein Problem, weil wir wären so ein dauerhaftes Einfrieren dieses Beitragssatzes auf eine reiche Volkswirtschaft. Bezogen auf das Brut- toinlandsprodukt können wir uns das alles leisten. 20 % sicherlich nicht haltbar. Das sehen wir auch so. Da kommen große Aufgaben auf diesen Punkt zu Ich überspitze ein bisschen, aber der Kollege Birk- bzw. es wird nicht dabei verbleiben können, dass er wald verzeiht mir das, wie ich gerade an seinem Blick sehe. Herr Prof. Börsch-Supan, was ist von dabei haltbar sein wird. Bedenkenswert deswegen auch, dass eine moderate Anhebung nicht tabu sein dem Argument zu halten, eine reine BIP-Betrach- sollte. Also generell sollten wir uns davon wegbe- tung würde das alles lösbar machen? wegen, das wir immer sagen, alles ändert sich, aber Vorsitzende Hiller-Ohm: Herr Börsch-Supan, bitte dieser Beitragssatz ändert sich nicht. Vor allem eine ganz kurze Antwort. wenn diese Beitragssatzerhöhung dem Versicherten Sachverständiger Prof. Börsch-Supan: Das wäre verkraftbar erscheint und angesichts der Verbesse- rungen, die mit der Verbesserung beim Leistungsni- vielleicht so, wenn wir nicht altern würden. Also veau auch verbunden sind, dass es eine allgemeine wenn wir es schaffen, die Alterung abzustellen, dann können wir uns das Rentensystem leisten. Akzeptanz finden kann. Das denken wir schon, dass das den Leuten auch vermittelbar ist und auch Aber die Verdoppelung des Alters-Quotienten steht insgesamt für die gesetzliche Rente in Ordnung nun mal im Raum. Und dann stehen wir schon an der Weltspitze, was den Anteil der Rentenversiche- wäre. rung am Bruttoinlandsprodukt angeht, werden wir Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Alle guten lediglich noch von Italien und Japan überholt. Dinge sind drei, Herr Kundacina. Eine der größten Gerechtigkeitslücken, die wir wie viele der heute Vorsitzende Hiller-Ohm: Wir kommen jetzt zur Fraktion DIE LINKE. Da hat sich als erstes Herr Kol- hier anwesenden Sachverständigen ja auch kritisie- ren, ist, dass nun auch bei der 3. Reform der Er- lege Birkwald gemeldet. werbsminderungsrente die Bestandsrentnerinnen Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Meine erste und –rentner wieder einmal komplett leer ausgehen Frage geht an den SoVD, an Herrn Kundacina. Herr werden und damit vor allem die Rentenjahrgänge, Kundacina, es wird ja oft argumentiert, dass das die vor 2014 in Rente gingen, dauerhaft von ihren Rentenniveau nichts darüber aussage, wie hoch die Armutsrenten werden leben müssen. Darum meine Rente in Zukunft ausfallen werde und ob die ge- Frage: Welchen Vorschlag hat der SoVD um diesem setzliche Rente vor Armut schütze. Wie sieht der Missstand abzuhelfen? Sozialverband Deutschland das und welches Ren- Sachverständiger Kundacina (Sozialverband tenniveau halten Sie für lebensstandardsichernd? Deutschland e.V.): Aus unser Sicht ist es dringend Sachverständiger Kundacina (Sozialverband geboten, die Bestandsrentnerinnen und –rentnern Deutschland e. V.): Wir haben schon in der Debatte bei den Leistungsverbesserungen einzubeziehen, gesehen, grundsätzlich sagt das Rentenniveau also bei Erwerbsminderungsrenten und hier wirk- schon in erster Linie etwas über die Wertigkeit der lich schnell eine Lösung zu finden. Die Menschen gesetzlichen Rente aus. Ein lebensstandardsichern- können es wirklich nicht verstehen, dass sie er- des Rentenniveau sorgt aus unserer Sicht für eine neute, also zum dritten Mal in Folge, ausgeklam- adäquate Teilhabe von Rentnerinnen und Rentnern mert werden. Wir kriegen das auch in der Rechtsbe- an der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung ratung gut mit, dass die Menschen das wirklich und die nimmt ja auch zu. Aus Sicht des SoVD ist nicht nachvollziehen können. Also sie sagen, wir dieses Niveau bei 53 % netto vor Steuern gegeben. haben uns die Situation nicht freiwillig ausgesucht Die gesetzliche Rente hat es bisher immer ganz gut und müssen dann auch mit den Abschlägen leben, geschafft, die Menschen vor Altersarmut zu schüt- den sozial ungerechten Abschlägen, die auch aus zen. Sie schafft es nicht komplett. Das ist aber auch unserer Sicht sozialpolitisch nicht zu rechtfertigen nicht in erster Linie ihre erste Aufgabe. In erster Li- sind. nie geht es um Lebensstandardsicherung. Aber die Abgeordnete Möhring (DIE LINKE.): Ich habe eine gesetzliche Rente hat es sehr gut geschafft, bisher auch die Menschen vor Altersarmut zu schützen. Frage an Herrn Schäfer vom DGB. Lieber Kollege Schäfer, von Seiten der Rentenversicherung wird in

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jüngster Zeit häufiger gewarnt, dass es durch die ehrenamtlichen Rentenberatung bestätigen. Das se- verlängerte Zurechnungszeit vermehrt Versicherte hen wir aber auch in den Zugangszahlen. Denn – geben würde, die dann versuchen würden, statt ei- wie schon eben erwähnt – nur ungefähr 3 % der Er- ner vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen lieber werbsminderungsrenten werden im Alter von 63 eine Erwerbsminderungsrente zu erhalten. Und ich Jahren bewilligt und das wohl kaum, weil die Leute würde Sie gern fragen, wie Sie diese Warnung und ab dem 63. Geburtstag gesund werden. Dahinter das Ausmaß beurteilen und für welche Fallkonstel- steht der Wunsch nach einem planbaren Übergang lationen das aus Ihrer Sicht zu treffen würde? Wür- statt einem aufgrund der Prüfung und medizini- den Sie sagen, dass dann, etwas überspitzt ausge- schen Begutachtung langwierigen Verfahren. Zu- drückt, Sie darin auch einen Missbrauch erkennen sammenfassend ist dieser Vergleich sozialpolitisch würden oder erkennen könnten? unsinnig. Damit wird die dringend nötige Verbesse- rung bewusst in schlechtes Licht gerückt und den Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- schaftsbund): Vergleicht man unmittelbar zu einem Betroffenen indirekt sogar ein Missbrauch unter- stellt. Jene Beschäftigten werden damit sozusagen gegebenen Alter der Person einer Erwerbsminde- in den Missbrauchsverdacht gestellt, die aufgrund rungsrente mit einer Altersrente für langjährig Ver- sicherte, ergibt sich tatsächlich rechnerisch ein Vor- schwerster körperlicher oder seelischer Beeinträch- tigung objektiv nicht mehr arbeiten können. Sie alle teil im Extrempunkt ab dem Jahr 2027 für 1964 ge- haben das unabdingbare Recht prüfen zu lassen, ob borene Personen, die mit 63 genau – also zum frü- hestmöglichen vergleichbaren Zeitpunkt – in Rente ihnen eine Rente wegen Erwerbsminderung zu- steht. Die Rentenversicherung hat auch hier vorhin gehen, läge der tatsächlich bei sechs Entgeltpunk- in ihrer Stellungnahme zu der Frage deutlich da- ten. Bei anderen Altersrenten liegt er deutlich nied- riger und auch zu anderen Zeiten. Aber - und das rauf hingewiesen, dass es nicht darum geht, diese Fragestellung der Zurechnungszeiten hier aufzu- ist glaube ich an dieser Stelle wichtig – dieser Ver- rechnen. Die Debatte - und das ist aus unserer Sicht gleich ignoriert – das wurde hier schon mehrfach angesprochen – ganz deutlich, dass die Versicher- wichtig – lenkt hier ab von dem eigentlichen Prob- lem: Das eigentliche Problem sind aus unserer Sicht ten kein Wahlrecht haben. Ich kann nicht das eine die Personen, die zu gesund für eine Erwerbsmin- oder das andere beantragen, sondern eine Erwerbs- minderungsrente ist ein medizinisch objektiv fest- derungsrente, aber deutlich zu krank für den Ar- beitsmarkt sind. Arbeitnehmerinnen und Arbeit- gestellter Tatbestand, den ich erfülle oder nicht. nehmer, die nach jahrzehntelanger Arbeit verschlis- Dieser Vergleich ignoriert auch, dass es Sinn und Zweck der Zurechnungszeit ist, die Erwerbsunfä- sen und verbraucht sind, für die die Arbeitgeber keine Verwendung mehr haben, werden zum Job- higkeit zu kompensieren und eine höhere Rente center geschickt und mit dem Existenzminimum auszuzahlen als tatsächlich an Rentenansprüchen eingezahlt ist. Dies war schon immer Sinn und abgespeist, weil wir aus medizinischer Sicht sagen, dass sie noch erwerbsfähig sind, auch wenn sie am Zweck der Zurechnungszeiten. Diese Überholvor- Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben. Die Le- gänge sind also sozialpolitisch erwünscht. Dieser Vergleich ignoriert auch, dass der Vorteil bei noch bensleistung dieser Menschen wird dann mit Füßen getreten. Wir sollten uns in der Debatte diesen jüngeren Personen sogar deutlich größer wäre, näm- Problemgruppen zuwenden und nicht die Frage der lich dann, wenn ich keine Altersrente beziehen kann, geht es nicht nur um die Differenz zwischen Überholvorgänge diskutieren. beiden Renten, sondern dann kann die ganze Rente Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Meine sozusagen als Vorteil betrachtet werden. Dann re- nächste Frage geht an die verehrte Frau Präsidentin. den wir schnell über 40 Entgeltpunkte an Vorteil. Liebe Frau Roßbach, ich bin froh, dass die Renten- Das heißt, die Diskussion, eine Person, die mit 62 versicherung eine Präsidentin hat, sodass wir hier Jahren und 11 Monate keine Altersrente beziehen jetzt einer Frau eine Frage stellen können. Frau Prä- könnte, macht kein Ausweichverhalten, wenn sie sidentin, wenn wir einen Beschäftigungsbeginn mit Erwerbsminderungsrente beantragt mit 63, weil sie 25 Jahren unterstellen und einen durchschnittli- auch eine Rente beantragen könnte, würde dann chen Gesamtleistungswert von 0,8 Entgeltpunkten, plötzlich ein Ausweichverhalten vorliegen. Das welche volle Erwerbsminderungsrente würde sich zeigt, dass das durchaus eine abwegige Diskussion dann bei einer Versicherten ergeben, bei der die ist, zumal 95 % aller Versicherten einer Altersrente EM-Rente im Jahr 2018 oder im Jahr 2019 beginnt? ihre Erwerbsminderungsrente vor dem 63. Lebens- Ich frage das, damit wir mal ein lebensnäheres Bild jahr bekommen. Dieser Vergleich ignoriert auch, von den Auswirkungen der längeren Zurechnungs- wenn man schon anreiztheoretisch argumentiert, zeiten bekommen. der Lohn wäre noch viel höher, also wäre der An- Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- reiz weiterzuarbeiten eigentlich viel größer als in cherung Bund): Ich fasse noch einmal zusammen. eine sozusagen tendenziell geringere Altersrente zu wechseln. Und dieser Vergleich ignoriert auch, dass Ab dem 25. Lebensjahr unterstellt man 0,8 Entgelt- punkte, Rente beginnt mit 50 Jahren und dann habe wir bereits heute ein Ausweichverhalten haben, al- ich einen Abschlag von 10,8 %. Dann haben wir im lerdings in Altersrenten. Dies kann ich aus meiner Jahre - also wenn wir die Bruttohöhe anschauen – 2018 ungefähr 850 €, im Jahr 2019 – wenn die neue

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Regelung kommen würde – hätten wir 930 €, sprich in den Jahren ab 2001 unter neuem Recht in die ein Plus von ca. 80 €. Rente gegangen sind, häufig verfehlt wird. Wir wis- sen auch, dass hier nicht nur die Zahlbeträge der Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Eine kurze Frage, dann machen wir das anders. Dann frage ich Renten niedrig sind, sondern auch in vielen Fällen der Haushaltskontext prekär ist. In vielen Fällen ist jetzt den Deutschen Gewerkschaftsbund nochmal keine andere Vorsorge möglich gewesen, betriebli- und möchte gerne vom Deutschen Gewerkschafts- bund wissen, warum Sie den neuen Einstiegsbe- che Vorsorgesysteme konnten das nicht abdecken und eine private Vorsorge war nicht möglich. Ich reich und die Gleitzone, wie sie jetzt vorgesehen würde sagen, hier ist auf jeden Fall eine Maß- ist, kritisieren? Was haben Sie als Gegenvorschlag? nahme, die das Ziel der Armutsvermeidung angeht. Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- Dadurch, dass man aber nur die Neurenten neu re- schaftsbund): Ein Teil der Kritik unsererseits ist gelt, entsteht eine große Lücke für diesen großen vorhin schon angeklungen mit dieser sog. Gleitzo- Personenkreis, der in den letzten knapp 20 Jahren nenregelung. Wie sie bisher ist, wird nur der Über- in Erwerbsminderungsrente gegangen ist. Das führt gang von den versicherungsfreien Minijobs in die zu mehreren Problemen. Politisch gesehen, ist das volle Sozialversicherungspflicht abgemildert. Er ist ein großes Verständnisproblem, das heißt, der posi- von der Strukturidee gar nicht dazu gedacht, Ge- tive Aktivitätsnachweis des Gesetzgebers wird bei ringverdiener zu entlasten. Das Ziel, die Geringver- vielen Menschen nicht so ankommen. Rechtlich ge- diener zu entlasten, teilt der Deutsche Gewerk- sehen kommen wir auch langsam in die Gleichbe- schaftsbund durchaus. Die Diskussion hier ist eine handlungsproblematik hinein. Normalerweise ist lobenswerte. Der Bruttolohn ist aber denkbar das Recht da, das Verfassungsrecht ist relativ hart- schlecht dafür geeignet, weil er den Haushalt nicht leibig, was die Stichtagsregelungen betrifft. Da war mit einbezieht. Er stellt nicht die Frage, ob Kapital- kaum jemand je erfolgreich. Die Studierten können einkünfte o. a. Einkünfte vorliegen. All diese Dinge ein Lied davon singen – BaFöG wurde alle paar werden durch den Bruttolohn nicht berücksichtigt. Jahre geändert. Das hat das Bundesverfassungsge- Die Ausgestaltung ist außerdem so, dass insbeson- richt alles für verfassungsgemäß gehalten. In die- dere Einkommen subventioniert werden, je niedri- sem besonderen Fall hätte ich da allerdings als Ju- ger sie sind. Das heißt, die Förderung ist bei 451 rist meine Zweifel, weil es nicht nur darum geht, Euro am höchsten und nimmt in Richtung 1.300 dass eine bestimmt Kohorte von Geburtsjahrgängen Euro permanent ab. Natürlich wird der Sozialversi- anders behandelt wird als andere, sondern hier cherung massiv Beiträge entzogen, was wir auch werden die Leute anders behandelt, bei denen sich nicht sinngerecht finden. Wir schlagen deshalb vor, das Risiko am Stärksten verwirklicht. Also die be- das ganze Verfahren im Steuersystem zu verankern, sonders starken Erwerbsgeminderten sind diejeni- wo man im Rahmen des Haushaltskontextes tat- gen, die einmal in die Rente gehen und nicht wie- sächlich nach Haushalten suchen kann, die geringe der rauskommen. Andere sind vielleicht 2003 in Einkünfte haben. Dann kann man sozial- und ge- Rente gegangen, waren befristet und sind nach drei sellschaftspolitisch eine Förderung entscheiden. oder sechs Jahren wieder raus gekommen. Andere sind vielleicht 2003 in Rente gegangen, waren be- Vorsitzende Hiller-Ohm: Danke Herr Schäfer, das fristet und sind nach drei oder sechs Jahren wieder war fast punktgenau. Wir kommen zur Fragerunde der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Da hatte rausgekommen, können jetzt unter neuen Bedin- gungen vielleicht auch von den Wohltaten des Herr Kollege Kurth Fragebedarf angemeldet. neuen Rechts profitieren. Aber diejenigen, die wirk- Abgeordneter Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lich dauerhaft von schlechtem Gesundheitszustand Ich hätte zunächst gerne den Komplex Erwerbsmin- sind, die behindert sind, haben hier keine Chance, derungsrente erörtert und habe eine Frage an Pro- von der Neuregelung zu profitieren. Das ist ein fessor Dr. Welti. Die Bundesregierung macht jetzt, Problem. Deswegen denke ich, hier wird etwas ge- wie Sie bereits ausgeführt haben, zum dritten Mal tan werden müssen. Wie man an anderen Renten eine Verbesserung für die Zugangsrentnerinnen sieht, wenn nicht bei dieser Reform, dann bei der und -rentner. Sehen Sie denn ein Problem bei den nächsten. Dann kann man es aber auch vielleicht Bestandsrentnerinnen und -rentnern? Und sehen schon bei dieser machen. Sie eine Ungleichbehandlung? Abgeordneter Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sachverständiger Prof. Dr. Welti: Erfreulicherweise Jetzt hat die Deutsche Rentenversicherung auch uns steht diese Reform und Diskussion insgesamt im gegenüber, auch Abgeordneten gegenüber ausge- Zeichen der Frage, ob die gesetzliche Rentenversi- führt, dass das sehr kompliziert ist, das Ganze jetzt cherung ihre Sicherungsziele erfüllt und ob Armut auf die Bestandsrentner 1:1 zu übertragen, weil es im Alter und bei anderen Sicherungszielen vermie- ja jeweils unterschiedliche Rechtslagen gibt. Hiel- den wird. Aus den Zahlen, die die gesetzliche Ren- ten Sie das denn für praktikabel und sinnvoll, eine tenversicherung selbst erhoben hat, aber auch aus pauschale Zuschlagslösung zu machen, die viel- der Armuts- und Teilhabeberichterstattung der leicht nicht dann in jedem Fall passgenau ist, die Bundesregierung wissen wir, dass dieses Ziel bei aber leicht zu administrieren wäre – entweder in den Erwerbsminderungsrentnern, insbesondere, die Form eines pauschalen Zuschlages, dessen Höhe

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politisch, auch fiskalisch zu bestimmen wäre, oder ren. Das müssten wir dann auch versicherungsma- eines prozentualen Aufschlages auf die Bestands- thematisch durchrechnen. Das ist aber auch eine rente? Frage wieder von verschiedenen anderen Gerechtig- Sachverständiger Prof. Dr. Welti: Also zunächst keitsfragen, die sich dann wieder aufwerfen wer- den. möchte ich sagen, dass aus mehr als 100-jähriger Erfahrung man großes Vertrauen in die Administra- Abgeordneter Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tionskraft der Deutschen Rentenversicherung haben Ich wechsle jetzt mal die Baustelle und möchte kann, auch schwierige Dinge umzusetzen. Ich Prof. Dr. Eckart Bomsdorf eine Frage stellen. Und glaube auch, dass wir dem Gesetzgeber grundsätz- zwar geht es um die Änderung der Rentenformel. lich zutrauen können, hier eine gerechtere Lösung Jetzt soll ja die Stabilisierung des Niveaus bis 2025 zu finden zum Beispiel in Form eines prozentualen durch eine Niveauschutzklausel temporär erreicht Zuschlages auf die Bestandserwerbsminderungsren- werden. Keinesfalls wird ja dauerhaft dort der dort ten, die ab einem bestimmten Stichtag, z. B. 2001 der Nachhaltigkeitsfaktor außer Kraft gesetzt. Sie bewilligt worden sind. Als Problem, wenn ich es haben jetzt einen interessanten Vorschlag gemacht richtig verstanden habe, werden hier ja besonders zur Änderung der Rentenformel, in dem ein Alters- die Altersrenten angeführt, in die die Erwerbsmin- vorsorgeanteil anders gerechnet wird. Vielleicht derungsrenten irgendwann überführt werden, weil können Sie das ganz kurz systematisch auch erklä- man denen nicht mehr ansieht, dass sie mal Er- ren und begründen, soweit das noch geht. werbsminderungsrenten waren. Hier haben ver- Sachverständiger Prof. Dr. Bomsdorf: Sie spielen schiedene Gruppen auch schon vorgeschlagen, dass auf den Beitrag an, den ich vor einem halben Jahr man sagt, hier müsste man möglicherweise eine Lö- sung vorsehen, die den Zuschlag erst auf Antrag, veröffentlicht habe. Da ging es um zwei Dinge. In der Rentenanpassungsformel, hat man jetzt die d. h. auf Einzelfallprüfung gewährt und dann etwas Riester-Rente drin - und zwar mit einem Wert von längere Übergangsfristen gewähren. Natürlich ist hier die Frage, prozentualer Zuschlag ist näher am 4, so dass statt 100 96 bei der Berechnung heraus- kommt. Für die Fachleute ist das klar, was dahinter Äquivalenzprinzip, berücksichtigt die Vorleistung steht. Man könnte einerseits sagen, das war unrea- stärker. Ein Sockelbetrag würde stärker das Ziel der Armutsvermeidung hier einsetzen. Vielleicht kann listisch, weil die Riester-Rente, die sowieso nur das Loch stopfen sollte, was sie erst gerissen hat, weil man auch eine Mischung von beiden Regelungen die bei weitem nicht so angenommen wurde, wie finden. man gedacht hat. Das wäre die eine Sache, die man Abgeordneter Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): in der Rentenanpassungsformel ändern könnte. Das Ich hätte gerne die Frau Roßbach gefragt, was Sie würde dann je nachdem, wie man es ausgestalten denn von dem Vorschlag hält, den Herr Welti jetzt würde, ich will jetzt nicht in Details gehen, das hier in der Anhörung gemacht hat, die Abschläge würde dann zu einer etwas höheren Steigerung füh- bei der Erwerbsminderungsrente abzustaffeln, je ren. Die zweite Sache, die möchte dann, auch wenn nach Lebensalter, in dem die Erwerbsminderung Sie sie nicht direkt angesprochen haben, auch noch eingetreten ist? mit ansprechen. Es wird immer die Veränderung des Beitragssatzes insgesamt zur Rentenversiche- Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- cherung Bund): Wir hatten auch schon hier im Aus- rung genommen. Dabei zahlt der Arbeitnehmer ja nur den halben Beitragssatz. Da ist die Frage, ob schuss die Diskussion, was mache ich bei den Er- man bei dieser Anpassung die Veränderung des werbsminderungsrentnern? Eine fiktive Verlänge- rung der Lebensarbeitszeit, wie es jetzt vorgesehen halben Beitragssatzes in die Rentenanpassungsfor- mel eingehen sollte. Das würde auch zu einer etwas ist, quasi der Lebenslauf verlängert wird, oder dann Verbesserung des Rentenwertes führen. Wie die eben auch eine Veränderung bei den Abschlägen auf die Renten. Und wir haben auch hier gesessen Zahlen im Einzelnen sind, mag man nachlesen im Ifo-Schnelldienst irgendwann im Mai-Juni diesen und alle Sachverständigen haben sich dafür ausge- Jahres. sprochen, es kann eigentlich nur das eine oder das andere geben bei den Erwerbsminderungsrenten. Vorsitzende Hiller-Ohm: Meine Damen und Her- Das würde ich auch heute noch so vertreten. Bei ren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die den Abschlägen für die Jüngeren, die jetzt noch ein- erste Fragerunde erfolgreich abgeschlossen und tre- mal hier in die Diskussion gekommen sind, müsste ten sofort in die zweite Fragerunde ein. Da hat von man sich auch noch einmal genau anschauen, was der CDU/CSU Herr Alexander Krauß Fragebedarf hat das dann auch für Effekte auf welche Jahrgänge angemeldet. Bitte, Herr Krauß. und wie kann ich das im Grunde genommen dann Abgeordneter Krauß (CDU/CSU): Meine Frage rich- auch noch einmal mit dem Äquivalenzprinzip be- tet sich an den Kollegen Schäfer vom DGB. Sie ha- werten. Das ist jetzt ein Vorschlag, den man so ein- fach jetzt für alle Kohorten so auch gar nicht beant- ben auf Ihrer Stellungnahme Seite 14 die Rege- lungslücke angesprochen bei den unter Tage Be- worten kann, welcher Abschlag wäre da sinnvoll o- schäftigten der Bergsicherungsunternehmen. Kön- der wo würde man Abschläge dann auch reduzie- nen Sie das Anliegen kurz ausführen, was Sie da vorschlagen?

19. Wahlperiode Protokoll der 25. Sitzung Seite 18 vom 5. November 2018

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Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- Personen auch pflichtig geworden, die Hartz-IV- schaftsbund): Tatsächlich geht es hier um einen re- Leistungen bezogen haben, die mit sehr niedrigen lativ spezialisierten Bereich in der Knappschaftli- Anwartschaften in die Rentenversicherung gekom- chen Rentenversicherung. Vereinfacht gesagt, geht men sind. Die haben natürlich auch keine Anwart- es darum, wenn die gleiche Tätigkeit wird abhängig schaften erwerben können, die substantiell über das davon, ob das Unternehmen, das den Beschäftigten hinausragen, was in der Grundsicherung auch ge- anstellt, als Bergwerksbetrieb gilt oder eben nicht währt wird. Also insgesamt ist es ein sehr viel- mehr als Bergwerksbetrieb gilt. Wird diese Person schichtiges Problem. Die Versicherungszeiten insge- in der Knappschaft rentenversichert oder eben samt waren auch sehr niedrig. Im Rentenbestand, nicht. Das kann tatsächlich dazu führen, dass die insbesondere bei den Altersrenten, haben wir eine Kollegen, wenn sie versetzt werden oder wenn der ganze Reihe von Renten, bei denen die Zurech- Betrieb wechselt. Es gibt Stati-Wechsel des Arbeit- nungszeit auch noch weit unter den 65 und sogar gebers, die dazu führen, dass die Person plötzlich 60 waren. Das ist mehrfach geändert worden. Ur- in die Versicherungspflicht hineinfällt oder aus der sprünglich waren es 55. Dann ist es angehoben wor- Versicherungspflicht herausfällt. Die arbeiten wie den um zwei Drittel, dann auf 60 auf 62 jetzt auf 65. die Kollegen im aktiven Abbau auch unter Tage. Und diese ganz alten Renten, die haben eben noch Sind den gleichen Risiken und Belastungen ausge- sehr niedrige Zurechnungszeiten. Das führt auch setzt, befinden sich technisch gesehen nur in der dazu, dass die Leistungen entsprechend niedrig Nachsicherung eines abgeschlossenen Bergwerkes. ausfallen. Da geht um eine überschaubare Anzahl an Personen an der Stelle, die sich aber relativ oft schwierig o- Sachverständiger Prof. Dr. Bomsdorf: Ich kann mich dem direkt anschließen. Man muss einfach se- der schlecht behandelt fühlen und die gerne auch hen, dass die Struktur der Personen, die in Er- in den Versicherungsschutz rein wollen. Auch die Arbeitgeber sind dort bereit, das aufzunehmen und werbsminderungsrente gehen müssen, doch eine andere ist, als die, ich sage mal normalen Erwerbs- den Versicherten hier den Schutz zu geben. Allein leben. Wir haben natürlich dann das Problem, was das Gesetz verbietet es beiden, freiwillig der Knappschaftlichen Rentenversicherung beizutreten. jetzt indirekt nur angesprochen wurde, dass wenn wir die Höherbewertung auf Bestandsrenten, so Insofern würden wir gern das Gesetz an der Stelle sehr die wünschenswert vielleicht ist, wenn wir die für diese spezielle Gruppe öffnen. durchführen, dass sie vielen in der Summe nichts Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Ich hätte bringt, weil sie aus anderen Töpfen eventuell etwas eine Frage an die Deutsche Rentenversicherung bringt. Wir haben aber auch ein grundsätzliches Bund, also an die Präsidentin Frau Roßbach, aber Problem, was wir ja sehen gerade bei den Erwerbs- genauso an den Herrn Prof. Bomsdorf. Es wurde minderungsrenten und sogenannten Mütterrenten, vorhin ja das Thema Erwerbsminderung sehr breit dass wir immer gerne möchten, dass wenn es Ver- diskutiert und insbesondere für die, die bereits in besserungen gibt, das die auch rückwärts wirken. Erwerbsminderungsrente sind, also für die Vergan- Wenn es Verschlechterungen gibt, sollen die natür- genheit. Mir wäre es schon noch wichtig, warum. lich nicht rückwärts wirken. Ich darf bloß an die Wir machen die Verbesserungen, weil wir feststel- Rentenreform, die am 9. November 1989 beschlos- len das 12-13 % derer die in Erwerbsminderung sen wurde, erinnern. Da waren einige Verschlechte- müssen, auf Grundsicherung angewiesen sind und rungen drin, die wollte natürlich keiner derjenigen somit eine Besserstellung unter dem Gesichtspunkt haben, die damals in Rente waren. Wir haben also ist. Aber was sind die Gründe, dass hier signifikant letzten Endes bei diesen Sachen, darüber muss man höhere Leistungen aus der Grundsicherung notwen- sich immer im Klaren sein, wenn man solche Best- dig sind gegenüber denen, die in Altersrente gehen? immungen ändert, so eine Art Meistbegünstigungs- Da haben wir 3 % Grundsicherungsempfänger. Gibt klausel, das Beste für Alle auch in der Vergangen- es da spezifische Gründe? Wie setzen sie sich zu- heit. sammen? Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Gleich an- Sachverständiger Dr. Viebrok (Deutsche Renten- schließend an den Komplex und ebenfalls dann versicherung Bund): Das ist gar nicht so einfach zu wieder an die Wissenschaft. Der Kollege Birkwald beantworten. Das ist in der Tat sehr vielschichtig, hat vorher für mich einen etwas unrealistischen gerade das Zugangsgeschehen bei den Erwerbsmin- Verlauf dargestellt; denn erst mit dem 25. Lebens- derungsrenten. Also grundsätzlich kann man schon jahr mit der Einzahlung zur Rente zu beginnen, mag sagen, dass die Bezieher von Erwerbsminderungs- es durchaus alles geben. Die Realität ist eigentlich renten eher aus einem Einkommenssegment, einem immer, dass ich mit 16, 17 Jahren die Lehre beginne Lohnsegment kommen, wo sie durchschnittlich we- und nicht mit 25 vielleicht oder möglicherweise niger verdienen. Wer weniger verdient, erwirbt auch vorher noch lange Studienzeiten. Aber sei es auch weniger Entgeltpunkte in der Rentenversiche- egal. Bedeutet es nicht, wenn ich und es geht jetzt rung, so dass entsprechend auch die Renten niedri- immer um die Diskussion dann, den Bestand, die ger ausfallen. Also es ist ein Problem sicherlich der Zukunft aber auch, den Bestand zu verbessern. Es unteren Einkommensgruppen. Dann gibt es noch so wird oft dargestellt, dass es eine Bekämpfung von ganz spezielle Fälle. Zum Beispiel sind zeitweise Altersarmut wäre. Unterstellt bis 2002 waren ja

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keine Abschläge fällig. Wäre es für die jetzt ab habe: Nicht die Herausforderungen sind riesig, so- 2002, die mit Abschlägen in die Erwerbsminde- dass man sehr genau überlegen muss, was man jetzt rungsrente gingen, eine Besserstellung in der Um- noch über das hinaus, was 2014, 2017 und 2018 stellung auf die Altersrente. Würde dies dann die schon getan ist, noch passieren kann in dem Be- Situation für die einzelnen Betroffenen verbessern, reich. wenn wir daran dächten es möglicherweise außer- Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Ich möchte ordentlich aufzubessern und damit nicht rückwir- doch nochmal, weil es heute noch gar nicht so in- kend, sondern für die Zukunft zu arbeiten. tensiv diskutiert worden ist, auf die Frage der Aner- Sachverständiger Prof. Dr. Bomsdorf: Um kurz auf kenntnis von Kindererziehungszeiten kommen. Es das einzugehen, was Herr Birkwald brachte mit sei- gibt heute immer wieder die Forderungen– und wir nem Beispiel. Ich würde sagen, das Beispiel kann j werden hier etwas mit vorsehen – Adoptiveltern mit den 25 Jahren realistisch sein, aber dann nicht mit einzubeziehen. Auch Adoptiveltern werden mit den 0,8 Entgeltpunkten. Denn dann hoffe ich, jetzt durch die Neuregelung begünstigt. Welche Be- dass die Personen eine entsprechend gute Ausbil- sonderheiten müssen hier gelten? Diese Frage dung haben, wenn sie dann da hinein gehen. Bei würde ich gerne an die Frau Präsidentin Roßbach den 16- bis 20-Jährigen würde ich das dann eher se- richten. hen. Mit den Abschlägen ist es natürlich unheim- Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- lich schwierig jetzt zu sagen, wer sich womit besser stellt. Und ich selbst bin mittlerweile der Meinung, cherung Bund): Es ist nach der Regelung 2014 im Moment noch folgender Regelungssachstand. Es dass man, wenn man die Abschläge in der Erwerbs- hatten für die Bestandsrentner alle diejenigen einen minderungsrente nicht hätte haben wollen, bei der Erwerbsminderung und bei der Zurechnungszeit Zuschlag bekommen, die im zwölften Monat die Kinder erzogen haben. Und dann gab es eben einen nicht bis 65 und so und so viel, also bis an das ge- Zuschlag von einem Entgeltpunkt auch für die setzliche Rentenzugangsalter gehen sollte, sondern in dem Bereich sein sollte, wo es dann auch mit der nächsten 12 Monate. Wir haben dann in der Folge erlebt, dass durchaus Adoptiveltern kamen und Altersrente abschlagsfrei geht. Aber man kann eben sagten: Ich habe im 14. oder 15. Monat des Alters nicht alles haben und da muss ich nur nochmal das Wort von der Meistbegünstigungsklausel eben neh- des Kindes die Adoption vollzogen und habe dann ab diesem Zeitpunkt das Kind erzogen. Ich be- men. Es ist im Einzelfall vielleicht immer nicht komme jetzt keinen Zuschlag und ich bekomme die günstig, vielleicht auch nicht gerecht, aber wir müs- sen doch generell die Sache sehen und dabei müs- Kindererziehung nicht honoriert. Da ist jetzt im Ge- setzentwurf vorgesehen, dass hier Adoptiveltern sen wir betrachten, dass man eben jetzt mit der Er- dann auch diese Kindererziehungszeiten bekom- werbsminderungsrente wirklich eine maximale Lö- sung hat. Wie es mit dem Bestand aussieht, da ist men können. Das ist dann auch etwas, dass dann auf Antrag geschehen soll, dass diese Adoptiveltern die maximale Lösung sicher noch nicht gefunden. eben jetzt auch in den Genuss der Kindererzie- Aber das werden wir vielleicht auch noch hinbe- kommen oder besser gesagt, Sie natürlich. hungszeiten kommen können. Sachverständiger Prof. Dr. Werding: Wenn jemand Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Sollte aus Ihrer Ansicht der Nachteilsausgleich für die DDR- meine schriftliche Stellungnahme aufmerksam gele- Straftat im SGB VI, statt in einem beruflichen Reha- sen hat, dann steht da drin, dass die Rentenversi- cherung vor großen finanziellen Herausforderungen Gesetz geregelt werden? steht, die nach 2025 sehr schnell spürbar werden. Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- Dass man also sehr genau abwägen muss, was man cherung Bund): Das mache ich sehr gerne. Es ist tut. Und wenn man dann weiterliest, hat vielleicht auch die Frage gewesen einer weiteren Personen- auch jemand gemerkt, dass ich ein Herz für Er- gruppe. So ist es bei gesetzlichen Regelungen, wo werbsminderungsfälle habe, weil ich fest davon dann auch einfach die Personengruppen sich dann ausgehe, dass wir Rechtsstand vor 2014 da eine Rie- nicht begünstigt fühlen. Hier geht es um Menschen, senbaustelle in unserem Alterssicherungssystem die zur DDR Zeit in Haft saßen und politisch ver- hatten. Und da ist einiges passiert, das würde ich folgt waren und ihre Kinder eben nicht erzogen ha- im Kern begrüßen auch für diesen Schritt, dass man ben. Da ging es darum, ob auch diejenigen eine Zeit da vielleicht unter Umständen nicht die Zugangs- für die Kindererziehung, also quasi eine fiktive Zeit rentner jetzt bis an die Grenze dessen - glaube ich -, bekommen sollen. Das hat man jetzt so vorgesehen, wie man sie besserstellen sollte, führt, sondern und zwar will man diesen Ausgleich im berufli- dann eben auch noch für den Bestand was tut. Es chen Rehabilitierungsgesetz vornehmen. Das halten könnte sein, dass da eine andere Abwägung wün- wir auch für richtig, weil es im SGB VI keine Mög- schenswert gewesen wäre. Da würde ich sagen, lichkeit der Honorierung der Kindererziehung gibt, bleibt dann im Grunde noch ein bisschen Nachbes- wenn man nicht tatsächlich die Kinder erzogen hat. serungsbedarf im Hinblick auf den Rentenbestand, Wenn man hier einen solchen Nachteilsausgleich der von 2001 aus bis ungefähr 2015 in eine Er- für die Menschen, die verfolgt wurden und in Haft werbsminderungsrente eingetreten ist. Allerdings saßen, dann auch nachvollziehen möchte, dann fin- gilt dann doch wieder das, was ich als erstes gesagt

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den wir es richtig, das im beruflichen Rehabilitie- Das hat sich aber mit den deutlichen Leistungsaus- rungsgesetz vorzunehmen, diesen Nachteilsaus- weitungen jetzt geändert und bereits im letzten Jahr gleich dann auch zu bestimmen und die entspre- hatten wir den Zustand, dass die Rentenversiche- chenden Kindererziehungszeiten anzuerkennen, rung mehr für Kindererziehungsleistungen ausgege- um hier nicht eine weitere Ungerechtigkeit gegen- ben hat, als sie auf der anderen Seite Beiträge vom über dieser Personengruppe vorzunehmen, weil die Bund bekommen hat und selbstverständlich, wenn auch glaubhaft versichern konnten, sie hätten sich dieser Gesetzentwurf jetzt so umgesetzt wird, dann um ihre Kinder gekümmert, hätten diese erzogen, wird dieses Missverhältnis sich weiter auswirken. wenn sie nicht durch ihre Haft daran gehindert Das heißt, die Rentenversicherung wird noch mehr worden wären. Von daher können wir diese Rege- Leistungen zusätzlich erbringen müssen für Kinder- lung gut nachvollziehen und finden das auch in ei- erziehungszeiten und der Abstand zu den Beiträ- ner richtigen Art und Weise geregelt. gen, den sie vom Bund bekommen wird, wird grö- Abgeordneter Straubinger (CDU/CSU): Dann darf ßer werden in den folgenden Jahren. Wir kritisieren als Arbeitgeber, dass genauso die Arbeitnehmer mit ich nochmals zurückkommen zur Finanzierung der uns mit den Beiträgen hier für eine Leistung eintre- Kindererziehungszeiten, die immer ein politisches Kampffeld sind. In der Behauptung, sie sei nicht ten müssen, die auch Personen bekommen, die nie- mals in die Rentenversicherung einen Beitrag ge- richtig finanziert und das müssten die Beitragszah- zahlt haben. Auch dann bekommen die Versicher- ler leisten - zumindest höre ich das immer von Ar- beitgeberseite, wie auch von der Arbeitnehmerseite. ten eine Kindererziehungszeit zugerechnet, für die dann Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Ich hatte zuerst eine Frage gestellt von der Systema- eintreten müssen. tik her, ob man das unterstreichen kann. Trotzdem würde mich interessieren, wie derzeit die Lage ist, Vorsitzende Hiller-Ohm: Dankeschön. Damit ist die ob die Beiträge, die aus dem Bundeshaushalt zur Redezeit der CDU/CSU abgelaufen und wir kom- gesetzlichen Rentenversicherung für diese Leistung men zur SPD Fraktion. Da hat Herr Kollege Gerdes gezahlt werden, ausreichend sind für die zu erbrin- Fragebedarf angemeldet. Bitte schön, Herr Gerdes. gende Leistung. Da hätte ich eine Bitte, dies von der Abgeordneter Gerdes (SPD): Das ist jetzt die zweite Frau Präsidentin beantwortet zu bekommen, ebenso von Herrn Gunkel. Runde. Da wiederholen sich vielleicht die Fragen, aber die Adressaten nicht unbedingt. Ich hab die Sachverständiger Dr. Viebrok (Deutsche Renten- Frage an den DRV Bund. Die im Gesetzesentwurf versicherung Bund): Sie spielen darauf an, dass wir vorgesehenen Verbesserungen bei den Erwerbsmin- auf der einen Seite Leistungen tatsächlich für die derungsrenten setzen ja, wie wir gehört haben, bei Kindererziehungszeiten auszahlen, aber auf der an- den Zurechnungszeiten an. Können Sie vielleicht deren Seite auch Beiträge bekommen. So ein Sys- noch einmal kurz erläutern, welche Zielsetzung mit tem ist eine Umlage, aber es ist so, dass die Bei- diesen Zurechnungszeiten verfolgt wird und ob sie träge, die im Moment gezahlt werden, die Anwart- diese grundsätzlich für sachgerecht oder gar gebo- schaften begründen, die dann erst im Rentenfall ten halten? Und wie wird sich die vorgesehene Ver- auch tatsächlich zu Renten führen, im Rentenbe- längerung der Zurechnungszeiten für den Einzel- stand aber eine ganze Reihe von Kindererziehungs- nen prozentual oder betragsmäßig auswirken? Kön- leistungen noch enthalten sind, die nicht auf die nen Sie dazu etwas sagen? Beiträge zurückgehen. Worauf Sie immer anspielen, ist eine Umlageverfahren, wenn Beiträge gezahlt Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- cherung Bund): Wir haben schon die Absicherung werden und mit diesen Beiträgen man auch die der Erwerbsminderung. Sie ist ja quasi seit Einfüh- Leistungen finanzieren kann. Diese Leistungen, die wir heute auszahlen, sind zum größten Teil nicht rung der Rentenversicherung eines ihrer Kernele- mente. In der Tat, es nannte sich früher Invaliden- beitragsgedeckt. Wir bekommen tatsächlich Bei- rente und hatte damals eine noch größere Bedeu- träge, die etwas niedriger sind als die Leistungen, die wir insgesamt auszahlen. Das ist schon richtig, tung als die Altersrente. Wir haben im Grunde ge- nommen, dann wenn ein Versicherter in der Er- aber der Zweck ist ein vollkommen anderer. Das werbsphase, erwerbsgemindert oder erwerbsunfä- sind Beiträge für zukünftige Rentenansprüche, die wir im Moment bekommen. hig wird und er an der weiteren Erwerbstätigkeit gehindert ist, bekommt er gegebenenfalls eine Er- Sachverständiger Gunkel (Bundesvereinigung der werbsminderungsrente. Ich hatte ja auch schon aus- Deutschen Arbeitgeberverbände): Zur Systematik geführt, dass wir durchaus auch sagen, ein Erwerbs- hat Herr Dr. Viebrok gerade schon einiges gesagt. Es tätiger gibt seine Erwerbstätigkeit in der Regel nicht war in der Tat viele Jahre so, dass weil die Kinder- aus freien Stücken auf. Wenn er gesundheitsbedingt erziehungsbeiträge, die der Bund leistet, erst 1992 nicht weiterarbeiten kann, sondern er soll dann ja eingesetzt haben und die Leistungen für Kinderer- in der Rentenversicherung einen sozialen Aus- ziehungszeiten in den Folgejahren aufgewachsen gleich bekommen, als ob er eben bis zur Altersrente sind, dass zunächst die Rentenversicherung deut- weitergearbeitet hätte. Das in der Tat erreichen wir lich mehr Beiträge bekommen hat, als sie Leistun- durch die Zurechnungszeiten. Es ist hier ja auch gen für Kindererziehungszeiten erbringen musste. schon dargestellt worden, man hatte hier auch in

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der Vergangenheit durchaus immer wieder unter- machbar, auch technisch, denken wir, relativ ein- schiedliche Modelle zu sagen, wie weit soll dieser fach umsetzbar. Eine Diskussion, die wir haben, ist soziales Ausgleich erfolgen. Es gab eben ja auch mit den Bestand- und Folgerenten. Da gibt es im- mal die Regelung bis zum 55. Lebensjahr, dann aber mer die Frage, soll die Rentenversicherung alle die Rente ohne Abschläge. Jetzt hat man quasi die- Konten durchprüfen oder macht man ein Antrags- sen gesamten fiktiven Lebensverlauf nachvollzogen recht. Da kann man auch Varianten betreiben. Die und wird das anpassen an die Weiterentwicklung Kosten hängen dementsprechend ein bisschen von oder der Anpassung der Regelaltersgrenze und der Ausgestaltung davon ab. Aber man kann es, dementsprechend auch diesen sozialen Ausgleich sage ich mal, ab 1,5 Milliarden Euro ungefähr pro mehren. Wir sagen auch, das ist der Rentenversi- Jahr wäre man dabei und nach oben kann man mit cherung immanent und auch sachgerecht, weil wir 2,3 Milliarden Euro in den meisten Fällen rechnen. natürlich hiermit dann auch eine Lohnersatzfunk- Wenn man sozusagen überall sehr viel ausschüttet, tion für den einzelnen Erwerbsgeminderten anbie- kommen wir natürlich auch wahrscheinlich in die ten können. Das ist in der Tat so, wenn wir uns die Größenordnung von 5 bis 7 Milliarden Euro, das Erwerbsminderungsrentner anschauen, es ist eben hängt etwas von der Ausgestaltung ab. Aber das schon einmal angesprochen worden, wir haben im- wäre, salopp gesagt, der Korridor. Das, was wir für mer erst eine befristete Erwerbsminderungsrente, die Kindererziehungszeiten jetzt in der Summe aus- die wir zahlen. Aber wir müssen feststellen, dass werfen, bewegt sich auf jeden Fall deutlich darüber. die Betroffenen dann fast zu 98 % auch dauerhaft Würden wir die steuerfinanzieren, könnten wir in der Erwerbsminderungsrente bleiben. Da kann ohne Probleme was für den Bestand in den EM- man gar nicht sagen, das ist eine absolute Minder- Renten tun. heit, die dann wieder in den Arbeitsmarkt kommt, Abgeordneter Kapschack (SPD): Meine Fragen ge- was in der Tat daran liegt, dass der Arbeitsmarkt immer noch verschlossen ist für Menschen, die we- hen an den DGB und an Herrn Prof. Bäcker. Durch die Frage vom Kollegen Vogel und die Antwort von niger als sechs Stunden, aber durchaus mehr als Herrn Prof. Börsch-Supan ist der Eindruck erweckt drei Stunden arbeiten können. Und hier die Ren- tenversicherung auch noch die Ersatzfunktion für worden, als wäre der langjährige Konsens, die Las- ten des demografischen Wandels gerecht zwischen den Arbeitsmarkt aufnimmt. Auch hier werden wir den Generationen zu verteilen, durch die vorliegen- immer wieder von der Bundesagentur darauf hinge- wiesen, dass diese Menschen nicht vermittelt wer- den Vorschläge aufgekündigt worden. Mich würde interessieren, wie Sie dazu stehen? den können. Dementsprechend kommt dann die komplette Erwerbsminderungsrente zum Tragen Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- und das auch dauerhaft. Sie hatten ja heute Morgen schaftsbund): Ich kann erst einmal für unsere 6 Mil- auch noch eine Anhörung, wie man Langzeitar- lionen Mitglieder sprechen, die sich an diesem beitslosen die Rückkehr in das Erwerbsleben gestal- Konsens nicht beteiligt fühlen. Insofern würde ich ten kann. Dazu muss man dann wirklich den Ar- sagen, eine doch nicht unerhebliche Gruppe dieser beitsmarkt betrachten. Der ist in der Tat im Moment Gesellschaft teilt nicht die Auffassung, dass damals noch verschlossen für Menschen, die teilweise er- ein Konsens gefunden worden ist, der tatsächlich werbsgemindert sind und keinen Arbeitgeber mehr gesamtgesellschaftlich tragfähig ist. Ich glaube haben. Dementsprechend ist es durchaus sachge- auch, das spiegelt sich maßgeblich in der Debatte recht, dass man diesen Menschen in der Rentenver- mit, dass die Menschen sich eben nicht in einen sicherung eine entsprechende Rente zukommen Konsens eingebunden gefühlt haben. Das ist etwas, lässt. was Deutschland anders gemacht hat, als viele an- dere Länder, die Reformen durchgeführt haben, die Abgeordneter Gerdes (SPD): Meine nächste Frage tatsächlich im Konsens entschieden wurden, wo geht an den DGB, an Herrn Schäfer. Welche Mög- lichkeit gäbe es auch Verbesserungen für den Ren- auch Arbeitnehmerinteressen, Arbeitgeberinteresse in einem gemeinsamen dialogischen Prozess ausge- tenbestand zu realisieren aus Ihrer Sicht? Vielleicht arbeitet wurden. Das ist aus unserer Sicht ganz of- können Sie auch was über die finanzielle Größen- ordnung sagen? fenkundig und wenn ich mir Vorschläge angucke, wie vorhin schon angesprochen. Herr Börsch-Su- Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- pan selber unterbreitet den Vorschlag, die Alters- schaftsbund): Es ist vorhin schon angeklungen, eine grenze auf 69 anzuheben, das Rentenniveau real der praktikabelsten Formen wäre, analog wie wir weiter abzusenken, aber durch einen technischen das bei den Kindererziehungszeiten machen, einen Rentenkniff offiziell 48 % auszuweisen, bedeutet Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten an dieser das bei gleichem Rentenzugangsalter gegenüber Stelle für die betroffenen Personen zu definieren. dem heutigen Recht weniger Rentenniveau sozusa- Dann kann man diskutieren, die Vorschläge sind gen weniger Rentenanspruch. Insofern wird der auch schon angeklungen. Man nimmt nur die ab Konsens sicherlich aus Sicht einiger hier aufgekün- 2002 oder man macht es abhängig davon, wann sie digt. Aber der Vorschlag, der jetzt zum Teil auf dem gegangen sind, weil die Zurechnungszeiten zwi- Tisch liegt, würde eine weitere Verschärfung des schendurch auch angepasst worden sind. Da kann aus unserer Sicht nicht tragfähigen Konsenses be- man viele Facetten diskutieren. Das wäre alles deuten.

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Sachverständiger Prof. Dr. Bäcker: Konsens hin o- aus Pflichtbeitragszeiten. Es wird schwierig sein, zu der her, entscheidend ist, dass bei der damaligen vermitteln gerade denjenigen, die natürlich auf Modifikation der Rentenanpassungsformel hinsicht- Grund eigener Beitragsleistungen da keine Sonder- lich des Nachhaltigkeitsfaktors davon ausgegangen behandlung in der Grundsicherung bekommen. worden ist, dass das absinkende Versorgungsniveau Ausweisen können wir das natürlich mit den Ent- der gesetzlichen Rentenversicherung quasi uno acto geltpunkten, aber ich denke sozialpolitisch muss ausgeglichen wird durch ergänzende private und man das ganz besonders anschauen. betriebliche Altersvorsorgeformen. Diese Erwartung hat sich bis heute so nicht erfüllt, so dass man sa- Vorsitzende Hiller-Ohm: Herr Kapschack noch eine ganz kurze Frage. Sie verzichten, dann treten wir gen muss, wenn es bei der gegenwärtigen Anpas- jetzt in die freie Fragerunde ein. Da hat sich als ers- sungsformel bleiben sollte, vor allem wegen der Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors, werden wir tes schon Herr Kollege Birkwald gemeldet. ein Absinken des Rentenniveaus auf 41,6 % bis Abgeordneter Birkwald (DIE LINKE.): Das war, als 2045 haben. Ich wiederhole noch einmal, dieses Herr Vogel mich so nett angesprochen hat. Deswe- Gesamtkonzept der Alterssicherung vom BMAS aus gen frage ich jetzt Herrn Prof. Börsch-Supan. Herr dem Jahr 2016 würden wir erreichen und eine sol- Börsch-Supan, ich hoffe, Sie halten das aus, dass che Regelung wäre, aus meiner Sicht bezogen auf ich eine kritische Eingangsbemerkung mache; denn die finanzielle Folgewirkung, für viele Einzelne ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie in Ihrer und für das Gesamtsystem der Rentenversicherung Stellungnahme auf den konkreten Gesetzesentwurf schlichtweg desaströs, weil immer mehr Rentner überhaupt keinen Bezug nehmen und auf die drei trotz jahrzehntelanger Beitragszahlung eben keine Anträge aus der Opposition auch keinen Bezug Rente erhalten würden, die oberhalb des Grundsi- nehmen und sich dazu nicht äußern. In dem Ge- cherungsniveaus liegt. Wobei man berücksichtigen setzentwurf, der heute von der Bundesregierung muss, das zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre hier unsere Grundlage ist, ist ja weder von einer und auch künftige Erwartungen, dass das Grundsi- Festschreibung eines dauerhaften Rentenniveaus cherungsniveau einschließlich der Kosten der Un- von 48 % oder des Beitragssatzes von 20 % bis terkunft stärker steigen wird als die Anhebung der 2060 die Rede. Aber das haben Sie alles berechnet, Renten an die Anhebung der Entgeltpunkte, so dass nun denn. Ich will an der Stelle einmal, lieber Kol- sich diese Schere immer weiter öffnet. Insofern lege Johannes Vogel sagen, dass wir auch gerechnet kann es eigentlich kein Fortbestehen eines ver- haben. Wir haben festgestellt, dass das, ich darf das meintlichen Konsenses geben, sondern man muss selber entscheiden Markus, reale Wachstum des überlegen, wie man die Rentenversicherung bezo- Bruttoinlandsproduktes bis 2060 mit 1,5 % jähr- gen auf die Menschen tragfähig gestalten kann, so- lich, wie Herr Prof. Börsch-Supan rechnet, dann wohl hinsichtlich des Ziels Altersarmut zu vermei- auch 6,2 Billionen Euro ergeben wird und dass den. Das wird nicht allein durch das Rentenniveau dann die Haltelinie, über die wir ja heute reden, erreicht, völlig klar, als auch auf das Ziel Lebens- dieses unterstellt, gerade mal 2,9 % des Bruttoin- standardsicherung im weiteren Sinne zu ermögli- landsprodukt zusätzlich ausmachen wird. Das mal chen. Deswegen halte ich es nach wie vor für sinn- um das Ganze einzuordnen. Jetzt meine Frage. Herr voll, diesen sogenannten Konsens aufzubrechen Prof. Börsch-Supan, ist denn dann Ihre Berechnung und weiter zu entwickeln in eine neue Formation, anknüpfend an das, was ich gerade gesagt habe, be- wie man die Rentenanpassungsformel nach 2025 zogen auf Ihr Referenzszenario mit dem steigenden modifizieren und ergänzen kann. Beitragssatz und bei Ihren Annahmen bezüglich der Abgeordneter Kapschack (SPD): Die Frage geht an Inflationsentwicklung im Jahr 2030 und im Jahr 2060 - zu welchem Durchschnittseinkommen kom- die Deutsche Rentenversicherung. Die Frage lautet: men Sie dann? Wie hoch wird das Durchschnitts- Wie bewerten Sie den Vorschlag, die Mütterrente künftig bei der Grundsicherung nicht anzurechnen? einkommen dann sein? Heute haben wir ein Durch- schnittseinkommen von 3.156 Euro. Wo läge es Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- 2030, wo läge es 2060? Und was mich vor allen cherung Bund): Im Grunde genommen ist es eine Dingen interessiert: Wie hoch wäre dann die mo- Frage, die in der Grundsicherung zu lösen wäre. natliche Mehrbelastung eines Durchschnittsverdie- Wir können die Leistungen natürlich ausweisen, nenden für ein Rentenniveau von 48 %? Und daran ganz konkret wie viele Entgeltpunkte sich auf Kin- anknüpfend – damit man das volkswirtschaftlich dererziehungsleistungen beziehen. Es wird sozial- seriös bewerten kann: Wie würde sich denn der zu- politisch schon schwierig, wenn man jetzt noch- sätzliche Bedarf aus dem Steueraufkommen am mals trennt zwischen quasi selber erworbenen An- Bruttoinlandsprodukt bis 2060 entwickeln? sprüchen, für die ich auch Beiträge bezahlt habe, die dann nicht freizustellen in der Grundsicherung, Vorsitzende Hiller-Ohm: Herr Kollege Birkwald, das war eine sehr lange Frage. Wir müssen sehen, aber eine Leistung, für die ich Beiträge erhalten es haben noch mehrere Kolleginnen und Kollegen habe vom Bund, dann freizustellen. Wir erleben in der Tat heute auch schon die Nachfrage, warum Fragebedarf angemeldet. Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Prof. Börsch-Supan, jetzt ziemlich kompakt Renten aus freiwillig bezahlten Renten in der antworten können. Ich bitte darum. Grundsicherung freigestellt werden, aber nicht die

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Sachverständiger Prof. Börsch-Supan: Ja, das lässt eine sozialpartnerschaftliche Rentenversicherung sich gut tun, weil die Rechnung eigentlich relativ mehr haben, sondern eine steuerfinanzierte. Die einfach ist. Da wird 3 % nominales Wachstum zu- Mehrzahl der Einnahmen wird zu dieser Zeit – wir grunde gelegt und zwar für sämtliche dieser Grö- reden jetzt über 35, also wirklich die lange Frist – ßen. Wenn man jetzt eine sozusagen greifbare Zahl aus Steuermitteln kommen. Das setzt natürlich alle hat, wie das den Haushalt mehr belasten würde, möglichen Gouvernment-Mechanismen in Gang. dann liegt die 2035 bei ungefähr 7 % zusätzlicher Ich habe eben schon über den Bundeshaushalt gere- Mehrwertsteuerbelastung. Ob das viel oder wenig det. Das wird sehr viel mehr eine Rente nach Kas- ist, überlasse ich Ihnen. senlage als wir sie im Augenblick haben. Im Augen- Vorsitzende Hiller-Ohm: Das war eine kurze Ant- blick haben wir eine Dreierparität sozusagen. Die Sozialpartner sind sehr stark vertreten. Es ist eine wort. Dankeschön. Dann kommen wir zu Herrn selbstverwaltete Rentenversicherung. All das wird Kollegen Vogel. Sie wollten auch noch eine Frage stellen. natürlich geändert, wenn im Wesentlichen der Bun- deshaushalt die Rente finanzieren wird. Ich denke, Abgeordneter Vogel (FDP): Ich würde Herrn Prof. dass diese langfristigen Wirkungen, was die Natur Werding als erstes gerne fragen: Wir haben eben der Rentenversicherung angeht, dass man über die von Prof. Börsch-Supan gehört, dass er unterstellt, sehr viel mehr nachdenken muss, als wir das bis man würde die sogenannte doppelte Haltelinie wei- jetzt getan haben. Ein anderer Gesichtspunkt, über ter fortsetzen, es gäbe keine Anpassung beim Bei- den wir auch wenig geredet haben: Bis jetzt war die tragssatz und keine Anpassung beim Rentenein- Systematik der Rentenversicherung im Großen und trittsalter, wenn man 2036 von der Hälfte des Bun- Ganzen – da haben wir eben kurz drüber diskutiert deshaushalts notwendigen Bundeszuschuss aus- – dass die eigentlichen Aufgaben der Rentenversi- geht. Frage: Sie machen die Tragfähigkeitsberech- cherung durch Beiträge finanziert werden, die Um- nung für das BMF. Ich weiß nicht, ob Sie es auf die verteilungswirkung aber durch Steuermittel. Das Zahl genau sagen können, aber kommt Ihnen das wird natürlich dann auch auf den Kopf gestellt, als plausible Rechnung vor und 2) was heißt das weil wir einen großen Teil der eigentlichen Rente denn für den Charakter der Rentenversicherung? wie eine Rentenzahlung des normalen Beitragszah- Weil in der Rentenversicherung dann auch der lers aus der Steuer bezahlen, was zunehmend die Steueranteil sehr viel höher im Vergleich zum Bei- Systematik der Rentenfinanzierung verworren tragsanteil sein wird als heute. Zu Letzterem würde macht. Die Mütterrente wird aus Beiträgen finan- ich auch gerne die Einschätzung von Herrn Prof. ziert, sollte aber eigentlich durch Steuern finanziert Börsch-Supan hören, wenn ich darf. werden. Anteile der Armutsgefährdungsvermei- dung wird aus Rentenversicherungsbeiträgen finan- Sachverständiger Prof. Dr. Werding: Ich werde jetzt nicht ganz schnell irgendwelche Zahlen raus- ziert. Aber genuine Rentenzahlungen aus Steuer- mitteln. All das wird den Charakter und die inter- zaubern. Der nächste Tragfähigkeitsbericht muss nen Diskussionen in der Rentenversicherung deut- auch erst noch erarbeitet werden. Die Größen, die Herr Kollege Börsch-Supan in den Raum gestellt lich verändern und das sollte man sich eigentlich gut überlegen. hat, sind absolut plausibel. Nicht, weil der Bundes- zuschuss sowieso immer dann extra angehoben Vorsitzende Hiller-Ohm: Dankeschön. Jetzt wird es wird, wenn der Beitragssatz steigt, ist im geltenden sehr eng. Ich habe jetzt noch Herrn Kurth und Frau Recht schon mit einem stark überproportionalen Schielke-Ziesing auf der Liste. Wir haben dann Anstieg der Bundesmittel für die Rentenversiche- noch 2 ½ Minuten. Herr Kurth, schaffen wir es mit rung bezogen auf andere Posten Bundeshaushalt zu einer kurzen Frage? rechnen. Und wenn man den Beitragssatz ab- Abgeordneter Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): klemmt, ist dieser Automatismus zwar unterbro- chen, aber wenn die ganze Differenz im Grunde aus Wir werden ein paar Minuten hinten dranhängen, schlage ich vor. Denn wenn hier der Kollege Birk- laufenden Bundesmitteln kommen muss, dann wald erst einmal zwei Minuten Vorträge hält und kommt die Größenordnung absolut hin. Was das für den Charakter der Rentenversicherung in dem dann außerdem zwei Sachverständige auf eine Frage antworten dürfen, was nicht unseren Gepflo- rechtlichen Sinne bedeutet, sollte man wahrschein- genheiten in der freien Runde entspricht, sehe ich lich einen Sozial- und Verfassungsrechtler fragen, ob eine so ausgebaute Steuerfinanzierung den Cha- nicht ein, dass dann zwei Abgeordnete am Ende hinten runterfallen. Das sei mir gestattet. Kurze rakter des Systems da nicht verändert. Jetzt rein po- Frage, und zwar weil jetzt doch nochmal über die litisch ist es natürlich schon ein starkes Abrücken von langjährigen Prinzipien, das Gestaltungsmög- Finanzierung die Rede war, an den Sozialpartner Deutscher Gewerkschaftsbund, der hier angespro- lichkeiten eröffnet, die wir bisher nicht genutzt ha- chen war. Haben Sie das Gefühl, dass Sie aus der ben. Im Grunde kann man das System dann auch auf eine Grundrente runterfahren. Finanzierung gedrängt werden, dass der Steueran- teil zunimmt? Für wie hilfreich halten Sie eigent- Sachverständiger Prof. Börsch-Supan: Ich kann da lich Simulationen mit einer Menge exogener Vari- gleich anschließen. Die Gouvernments wird sich ablen und großer Unbekannten, um sozialpolitische natürlich extrem ändern, wenn wir nicht primär Voraussagen zu treffen?

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Sachverständiger Schäfer (Deutscher Gewerk- Vorsitzende Hiller-Ohm: So, jetzt aber hat Frau schaftsbund): Die Argumentation geht natürlich in Schielke-Ziesing noch die Möglichkeit, eine Frage der Simplizität fehl. Die Bundesmittel sind bei zu stellen. Leibe kein Bundeszuschuss. Ganz erhebliche Teile Abgeordnete Schielke-Ziesing (AfD): Ich mache es davon sind Beitragszahlungen, die der Bund über- nimmt, sind also originär Beitragszahlungen, kön- auch wirklich ganz kurz. Zum Thema Mütterrente nochmal an die Deutsche Rentenversicherung nen also in der Frage darüber, ob der Charakter der Bund. Bei der Mütterrente II kann es in bestimmten Versicherung dadurch zerstört wird oder nicht, überhaupt nicht zur Diskussion gestellt werden. Konstellationen zu Friktionen kommen. Neben den Voraussetzungen für § 262 SGB VI, da sind die Dadurch relativiert sich die ganze Diskussion schon Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt einmal sehr erheblich. Der echte Zuschuss, den wir heute überhaupt nur als Zuschuss haben, macht un- entfallen. Gegebenenfalls verringert sich dadurch die Rentenanwartschaft. Von dem Problem sollen gefähr ein Viertel der Rentenversicherungsausgaben nur künftige Zugangsrentner betroffen sein. Wie aus. Das andere sind Beitragszahlungen. Und dar- über hinaus ist in diesem Viertel des Zuschusses groß ist etwa dieser Personenkreis? Können Sie das benennen? auch eine Erstattung von Altleistungen drin, unter anderem der Auswanderungsausgleich zur Knapp- Sachverständige Roßbach (Deutsche Rentenversi- schaftsversicherung von sieben Milliarden Euro cherung Bund): Ich versuche es ganz kurz zu beant- und andere Dinge. Das heißt, der echte Zuschuss worten. Der Personenkreis ist dann diejenigen, die liegt bei ungefähr 20 % - jetzt mal roundabout- o- wirklich mindestens 35 Jahre mit rentenrechtlichen der noch niedriger. Darüber kann man streiten. So- Zeiten haben und einen Durchschnittswert an Ent- lange eine Versicherungsleistung – sage ich mal sa- geltpunkten von unter 75 %. Da kann ich natürlich lopp – der Zuschuss bei unter 50 % bleibt, kann die erste Voraussetzung mit der Mütterrente II man erstmal juristisch – vermute ich jedenfalls – leicht erfüllen, aber es kann durchaus passieren, von einem Zuschuss noch reden. Und davon sind dass ich dann durch die Mütterrente II einen höhe- wir noch sehr weit entfernt. Und wir als Sozialpart- ren Durchschnittswert bekomme, der über 75 % ner, wir vor allen Dingen auch als Gewerkschafts- liegt, sodass dann eben auch die Anwendung der bund, sagen hier klipp und klar, dass wir uns hö- Mindestentgeltpunktregelungen entfalten wird. Wir here Beitragssätze wünschen und fordern da die schätzen, dass es eher weniger Fälle sind. Wir kön- geltende Rechtslage. Und das, was Herr Börsch-Su- nen aber das nicht näher beziffern. Es wären auf- pan vorschlägt, was letztlich auch nur eine höhere wendige Simulationsrechnungen erforderlich, aber Beitragszahlung ist mit dem einzigen Unterschied, es ist eher ein kleiner Personenkreis. die Beschäftigten sollen die Beiträge alleine zahlen Vorsitzende Hiller-Ohm: Herzlichen Dank, meine anstatt paritätisch über die gesetzliche Rentenversi- Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle- cherung. Mein Kollege von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sieht das natur- gen. Wir sind am Ende der Anhörung angelangt. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Expertinnen gemäß anders, aber wir sagen natürlich, die Kosten und Experten. Sie haben dazu beigetragen, dass wir für die ältere Bevölkerung müssen wir so oder so aufbringen. Es sind Scheinlösungen, die wir jetzt viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen haben. Da- für bedanke ich mich herzlich. Ich wünsche Ihnen hier machen, als könnte man die durch Privatisie- eine gute Heimreise. Ich bedanke mich herzlich rung wegzaubern. auch bei den Gästen auf der Tribüne, dass Sie hier Vorsitzende Hiller-Ohm: Dankeschön, Herr Schä- dieser wichtigen Anhörung beigewohnt haben. fer. Herr Kollege Kurth, ich hoffe, Sie waren jetzt Herzlichen Dank dafür. Ich bedanke mich bei den auch einverstanden. Ich möchte nur sagen, klar ma- Kolleginnen und Kollegen für die Disziplin, die Sie chen wir das in der freien Runde immer so, dass heute aufgebracht haben und natürlich bedanke ich nur ein Sachverständiger befragt wird, aber Herr mich auch ganz herzlich beim Ausschusssekreta- Kollege Vogel hatte sich gleich zweimal auf die Re- riat, die mich hier sicher durch die Anhörung ge- deliste setzen lassen und da habe ich ihn einmal ge- führt haben. Ich wünsche uns allen einen schönen strichen und ihm gestattet, dass zwei Sachverstän- Abend. Dankeschön und auf Wiedersehen. dige antworten dürfen. Abgeordneter Vogel (FDP): Ich hatte es nicht mehr präsent, mea culpa. Ende der Sitzung: 17.11 Uhr.

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