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Plenarprotokoll 12/216

Deutscher Bundesta g

Stenographischer Bericht

216. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Inhalt:

Gedenkworte für die Opfer des Attentats Ulrich Irmer F.D.P 18594D, 18601B auf das Amtsgericht in Euskirchen . . . 18589 A CDU/CSU . . . . . . . . 18595 C Wahl des Abgeordneten Dr. Bertold Rei- Uta Würfel F D P. nartz als ordentliches Mitglied in den Wahl- 18597 A prüfungsausschuß 18589 B Dr. PDS/Linke Liste . . 18598 C

Erweiterung der Tagesordnung 18589 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18599 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 und 10 18589 D Peter Kittelmann CDU/CSU 18602 A Dr. Gerald Thalheim SPD 18603 D Zurückverweisung eines Gesetzentwurfs an den Haushaltsausschuß sowie nachträg- Dr. Gero Pfennig CDU/CSU 18605 A liche Überweisungen von Gesetzentwürfen an weitere Ausschüsse 18590 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 18606A

Begrüßung von Mitgliedern der Staatsver- Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ sammlung der Republik Sloweniens . 18601 D CSU 18608 B

Zusatztagesordnungspunkt 2: Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Erklärung der Bundesre- a) Zweite und dritte Beratung des von den gierung: Bericht der Bundesregierung Fraktionen der CDU/CSU, SPD und über die Erweiterungsverhandlungen F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines der Europäischen Union mit Österreich, Gesetzes zur Umsetzung des Beschlus- Schweden, Finnland und Norwegen ses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Ein- in Verbindung mit heit Deutschlands (Berlin/Bonn-Ge- setz) (Drucksachen 12/6614, 12/6993, Zusatztagesordnungspunkt 3: 12/6994) Beratung der Beschlußempfehlung und b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses zu der des Berichts des Ältestenrates zum drit- Unterrichtung durch das Europäische ten Zwischenbericht der Konzeptkom- Parlament: Entschließung zur Erweite- mission des Ältestenrates zur Umset- rung der EG (Drucksachen 12/5536, zung des Beschlusses des Deutschen 12/6653) Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands Dr. , Bundesminister AA . . 18590 C zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . 18593 A Dr. Hans Modrow, Dr. und

II Deutscher — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

der Gruppe der PDS/Linke Liste: Umzug Gerd Wartenberg (Berlin) SPD (Erklärung der Bundesregierung und des Deut- nach § 31 GO) 18628B schen Bundestages Editha Limbach CDU/CSU (Erklärung nach zu dem Antrag der Abgeordneten Hans § 31 GO) 18629A Martin Bury, Simon Wittmann (Tännes- Dr. Immo Lieberoth CDU/CSU (Erklärung berg) und weiteren Abgeordneten: Um- nach § 31 GO) 18629C setzung des Beschlusses des Deutschen Birgit Homburger F.D.P. (Erklärung nach Bundestages vom 20. Juni 1991 fiber § 31 GO) 18629D den Umzug von Parlament und Bundes- regierung nach Berlin Tagesordnungspunkt 4: zu dem Entschließungsantrag der Abge- ordneten Angela Stachowa und der Aktionsprogramm III für mehr Wachstum Gruppe der PDS/Linke Liste zur Be- und Beschäftigung schlußempfehlung des Ältestenrates a) Erste Beratung des von den Fraktionen (Drucksache 12/2850) zum zweiten Zwi- der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten schenbericht der Konzeptkommission Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Ältestenrates zur Umsetzung des des Planungsverfahrens für Magnet- Beschlusses des Deutschen Bundesta- schwebebahnen (Magnetschwebe ges vom 20. Juni 1991 zur Vollendung bahnplanungsgesetz) (Drucksache der Einheit Deutschlands (Drucksachen 12/7006) 12/6615, 12/6618, 12/6623, 12/2886 b) Beratung der Unterrichtung durch die [neu], 12/6993) Bundesregierung: Bericht über das Finanzierungskonzept der Magnet- c) Beratung der Großen Anfrage der Abge- schwebebahnverbindung Berlin-Ham- ordneten Angela Stachowa und der burg (ØSRAPID) (Drucksache Gruppe der PDS/Linke Liste: Verwirkli- 12/6964) chung der Entscheidung des Deutschen c) — Zweite und dritte Beratung des von Bundestages vom 20. Juni 1991 (Druck- der Bundesregierung eingebrachten sachen 12/2146, 12/3045) Entwurfs eines Gesetzes zur Verein-- CDU/CSU 18610B heitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts (Arbeitszeitrechts- Peter Conradi SPD 18610D, 18625B gesetz — ArbZRG) (Drucksache 12/5888) Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . . 18612A — Zweite und dritte Beratung des von Helmut Esters SPD 18612B den Abgeordneten Ottmar Schrei- ner, , , F.D.P. 18615 A weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 18616D wurfs eines Arbeitszeitgesetzes Dr. BÜNDNIS 90/DIE (Drucksachen 12/5282, 12/6990) GRÜNEN 18617D in Verbindung mit Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . 18618B Zusatztagesordnungspunkt 4: Hans-Eberhard Urbaniak SPD 18618D Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundes- Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 18619A regierung zu Punkt 16 „Mehr Teilzeit- Dr. R. Werner Schuster SPD 18619C arbeit" des Aktionsprogramms für mehr Wachstum und Beschäftigung Dr. Jürgen Starnick F D P 18620 D (Drucksache 12/6983) Karl-Josef Laumann CDU/CSU 18632B Dr. Franz Möller CDU/CSU 18621 C Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . 18632D Wolfgang Lüder F D P 18622 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . . 18633B, Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU 18623A 18648A SPD . . . 18634A, 18647 C Ortwin Lowack fraktionslos 18624 A SPD 18634 C Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 18625 C Renate Rennebach SPD 18635 C Ingrid Matthäus-Maier SPD (Erklärung Paul K. Friedhoff F D P. 18638A nach § 31 GO) 18626B Dr. PDS/Linke Liste 18639C Hans Martin Bury SPD (Erklärung nach § 31 Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GO) 18627 C GRÜNEN 18641D, 18660C, 18663D

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 III

Ottmar Schreiner SPD 18643 C d) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . 18646A Neuregelung der Bundesfinanzhilfen Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 18646 D für den sozialen Wohnungsbau: Woh- Manfred Reimann SPD 18648 C nungsbaufinanzierungsgesetz 1993 (Drucksache 12/6880) Dr. CDU/CSU 18649 D e) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Klaus Daubertshäuser SPD . . 18651A, 18656B, gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 18659D, 18660 B Änderung des Einführungsgesetzes Dr. CDU/CSU 18652 B zum Gerichtsverfassungsgesetz (Druck- sache 12/6915) Dr. Klaus Röhl F.D.P. 18652 C f) Erste Beratung des von der Bundesre- F.D.P 18653 A gierung eingebrachten Entwurfs eines Horst Gibtner CDU/CSU 18655 D Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Juli 1993 über den Rechtsstatus des Dr. Klaus Röhl F.D.P. 18657 A Internationalen Suchdienstes in Arol- Eckart Kuhlwein SPD . . . 18658A, 18661C, sen (Drucksache 12/6824) 18666 C g) Erste Beratung des von den Abgeordne- Elke Ferner SPD 18658B ten (Emstek), Norbert CDU/CSU 18659 C Geis, Dr. Walter Franz Altherr und wei- teren Abgeordneten eingebrachten Ent- Horst Friedrich F.D.P. 18660 A wurfs eines Gesetzes zur Neufassung Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister des Abtreibungsstrafrechts und zur Re- BMFT ...... 18660D, 18664 A gelung der staatlichen Obhut unter Berücksichtigung des Urteils des Bun- Wolf-Michael Catenhusen SPD . . . 18662A desverfassungsgerichts vom 28. Mai Klaus Daubertshäuser SPD 18663 A 1993 (Drucksache 12/6944) Bärbel Sothmann CDU/CSU 18664 A h) Beratung des Antrags des Bundesmini- steriums der Finanzen: Einwilligung Josef Vosen SPD 18664 D gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushalts- Siegfried Scheffler SPD . . . 18665B, 18667A ordnung zur Veräußerung der von den britischen Streitkräften freigegebenen Dr. Berndt Seite, Ministerpräsident des bundeseigenen Wohnsiedlung in Soest Landes Mecklenburg-Vorpommern . . . 18665D (Drucksache 12/6879) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 18668C i) Beratung des Antrags der Fraktion der Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 18669 C SPD: Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (Drucksache F D P 18670 D 12/6394) Namentliche Abstimmung 18672 A j) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Dr. Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß Ergebnis 18672B (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Rehabilitierung, Ent- Tagesordnungspunkt 21: schädigung und Versorgung für die Überweisungen im vereinfachten Verfah- Opfer der NS-Militärjustiz (Drucksache ren 12/6418) 18674B a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes Tagesordnungspunkt 12: über das Kreditwesen und anderer Vor- Erste Beratung des von der Bundesre- schriften über Kreditinstitute (Drucksa- gierung eingebrachten Entwurfs ei- che 12/6957) nes Gesetzes zur Anpassung kranken- b) Erste Beratung des von der Bundesre- versicherungsrechtlicher Vorschriften gierung eingebrachten Entwurfs eines — GKV-Anpassungsgesetz — (Drucksa- Zweiten Gesetzes zur Änderung des che 12/6958) 18675B Lebensmittel- und Bedarfsgegenstän- degesetzes (Drucksache 12/6992) c) Erste Beratung des von der Bundesre- Zusatztagesordnungspunkt 5: gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom Weitere Überweisungen im vereinfachten 25. September 1991 zum Chlorid Verfahren (Drucksache-übereinkommen/Rhein a) Erste Beratung des von den Abgeordne- 12/6971) ten Herbert We rner (Ulm), Hubert IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Hüppe, und weiteren Abgeordneten schriften unter Berufung auf die Bundes- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ärztekammer zum Schutz der ungeborenen Kinder (Drucksache 12/6988) MdlAnfr 15, 16 Uta Würfel F.D.P. b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann- Gesetzes zur Änderung von Kostenge- Pohl BMG 18633A, B setzen und anderen Gesetzen: Kosten- ZusFr Uta Würfel F.D.P. . . . . . 18677A, C rechtsänderungsgesetz 1994 (Drucksa- che 12/6962) Ausarbeitung von Projektbewertungsdos- c) Beratung des Antrags der Abgeord- siers für alle in der Beschlußempfehlung neten Wolf-Michael Catenhusen, und den Protokollerklärungen zum Bun- Dr. Helga Otto, weiterer Abgeordneter desschienenwegeausbaugesetz genannten und der Fraktion der SPD: Förderung Einzelprojekte der Industrieforschung in den neuen MdlAnfr 19, 20 Ländern (Drucksache 12/6745) . . . . 18675B SPD Antw StSekr Dr. Wilhelm Knittel BMV 18678A, C Tagesordnungspunkt 22: ZusFr Rudolf Bindig SPD 18678B, D Abschließende Beratungen ohne Ausspra- che Kulturförderung im deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenzgebiet a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- MdlAnfr 40, 41 wurfs eines Zehnten Gesetzes zur Ände- Dr. Klaus Rose CDU/CSU rung des Häftlingshilfegesetzes und Antw PStSekr BMI . 18679A, C anderer Gesetze (Drucksachen 12/5834, 12/7030, 12/7031) ZusFr Dr. Klaus Rose CDU/CSU . . . 18679B, C b) Zweite und dritte Beratung des vom ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD .- . 18680A Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung ZusFr Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . 18680A des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 12/6586, 12/7003) Kulturförderprogramm für das deutsch- tschechische und deutsch-polnische Grenz- c) Beratung der Beschlußempfehlung und gebiet des Berichts des Ausschusses für Bil- dung und Wissenschaft zu der Unter- MdlAnfr 42, 43 richtung durch das Europäische Parla- Bartholomäus Kalb CDU/CSU ment: Entschließung zur Beseitigung Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18680B, C des Analphabetismus in den Mitglied- staaten der Europäischen Gemeinschaft ZusFr Bartholomäus Kalb CDU/CSU . 18680B, C (Drucksachen 12/4976, 12/6670) ZusFr Dr. Klaus Rose CDU/CSU 18680 D d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Um- ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 18681A welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundes- Bezeichnung von Deutschland als Einwan- regierung: Vorschlag für eine Richtlinie derungsland durch die Ausländerbeauf- des Rates über die integrierte Vermei- tragte der Bundesregierung dung und Verminderung der Umwelt- MdlAnfr 44 verschmutzung (Drucksachen 12/6430 Claus Jäger CDU/CSU Nr. 2.1, 12/6952) Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 18681B e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelüber- ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 18681 C sicht 144 zu Petitionen (Drucksache 12/6948) 18675D ZusFr Wolfgang Lüder F.D.P. 18681 D ZusFr Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP 18682 A Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Fortsetzung) ZusFr Dr. F.D.P. . . . 18682 A — Drucksache 12/6965 vom 4. März ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 18682 B 1994 — Sperrung von Unterlagen der Gauck- Streichung der hämatogenen Oxydations Behörde durch den Generalbundesanwalt therapie (HOT) vom Index der Beihilfevor wegen eines Strafverfahrens gegen den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 V früheren parlamentarischen SPD-Frak- Tagesordnungspunkt 5: tionsgeschäftsführer, Karl Wienand a) Zweite und dritte Beratung des von der MdlAnfr 53, 54 Bundesregierung eingebrachten Ent- Joachim Hörster CDU/CSU wurfs eines Gesetzes über die Berufe in Antw PStSekr BMJ 18682C, 18684 B der Physiotherapie: Masseur- und Physiotherapeutengesetz (Drucksachen ZusFr Joachim Hörster CDU/CSU . . . . 18682 D 12/5887, 12/6998, 12/6999) ZusFr Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . 18683 A b) Beratung der Beschlußempfehlung und ZusFr Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) des Berichts des Ausschusses für Ge- FDP 18683 B sundheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Neuordnung der Berufe in der ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 18683 C Physiotherapie (Drucksachen 12/5912, ZusFr Norbert Gansel SPD 18683 D 12/6998) ZusFr Wolfgang Lüder F.D.P. 18684 A Sigrun Löwisch CDU/CSU 18689B ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 18684 A Regina Schmidt-Zadel SPD 18690 C Strafverfahren wegen Tötung ungeborener Dr. Dieter Thomae F.D.P. 18692 B Kinder (§ 218 StGB) im Jahre 1993 (vor und nach dem 16. Juni); Anzahl der Bestrafun- Regina Schmidt-Zadel SPD 18693 A gen und der Freisprüche Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 18693A MdlAnfr 55 Claus Jager CDU/CSU Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse- kretärin BMG 18693 D Antw PStSekr Rainer Funke BMJ . . . 18684 C ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 18684 D Tagesordnungspunkt 7: ZusFr Wolfgang Lüder F.D.P. 18685 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Nutzung der Ermächtigung gemäß Außen- wurfs eines Elften Gesetzes zur Än- wirtschaftsgesetz zur Beschränkung des derung dienstrechtlicher Vorschriften Post- und Fernmeldegeheimnisses zur Ver- (Drucksachen 12/6479, 12/7005) hinderung illegaler Kriegswaffenexporte Otto Regenspurger CDU/CSU 18695 B MdlAnfr 56, 57 Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. Fritz Rudolf Körper SPD 18696B Antw PStSekr Dr. Joachim Grünewald Manfred Richter (Bremerhaven) F.D.P. 18697 C BMF 18685C, 18686 B ZusFr Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 18685C, 18686 B Tagesordnungspunkt 8: ZusFr Norbert Gansel SPD 18686 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Anklagen nach dem Außenwirtschaftsge- wurfs eines ... Strafrechtsänderungs- setz im Zusammenhang mit dem Bau einer gesetzes — §§ 175, 182 StGB (Druck- Giftgasanlage in Tarhuna/Libyen sachen 12/4584, 12/7035) MdlAnfr 58 Norbert Gansel SPD in Verbindung mit Antw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 18687 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Antw StMin BK . . 18687C — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- ZusFr Norbert Gansel SPD 18687 A nes Gesetzes zur Änderung des Sexual- ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 18687 D strafrechts (§§ 175, 176a, 182 StGB) ZusFr Regina Schmidt-Zadel SPD . . . 18688B (Drucksache 12/4232) — Zweite und dritte Beratung des von der Information der Strafverfolgungsbehörden Abgeordneten Christina Schenk und über Verstöße gegen das Außenwirtschafts- der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesetz im Zusammenhang mit dem Bau der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Giftgasanlage in Tarhuna/Libyen zum Schutz der psychosexuellen Ent- MdlAnfr 59 wicklung von Jugendlichen — Strei- Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD chung der §§ 175 und 182 StGB, § 149 StGB/DDR (Drucksache 12/1899) Antw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 18688 B — Zweite und dritte Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste einge- Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 18689A brachten Entwurfs eines Gesetzes zur ZusFr Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . 18688 C Rechtsgleichstellung von Homosexuali- VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

tät und Heterosexualität im Strafrecht Tagesordnungspunkt 11: der Bundesrepublik Deutschland (Se- a) Erste Beratung des von den Abgeordne- xualgleichstellungsgesetz) (Drucksa- ten Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Günter chen 12/850, 12/7035) Graf, weiteren Abgeordneten und der Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 18698 D Fraktion der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Reform CDU/CSU 18699 C des strafrechtlichen Sanktionensystems Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 18701C (Drucksache 12/6141) b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Horst Eylmann CDU/CSU 18702 C gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Jörg van Essen F.D.P. 18703 B Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ordnungswidrigkei- Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten (Drucksache 12/6484) NEN 18704 A c) Beratung des Antrags der Abgeordne- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun- ten Hermann Bachmaier, Dr. Hans de desministerin BMJ 18707 D With, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Harmonisierung der Tagesordnungspunkt 9: Strafrahmen (Drucksache 12/6164) a) Beratung des Antrags der Abgeordne- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 18717C ten Marion Caspers-Merk, Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) frak- 18718D der Fraktion der SPD: Eckpunkte für tionslos eine ökologische Stoffwirtschaft und Heinrich Seesing CDU/CSU 18719C ein neues Abfallrecht (Drucksache Jörg van Essen F.D.P 18721 A 12/6250) b) Zweite Beratung und Schlußabstim- Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 18722B mung des von der Bundesregierung ein- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu desministerin BMJ 18723B dem Basler Übereinkommen vom 22. März 1989 über die Kontrolle der Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU -18725B grenzüberschreitenden Verbringung Johannes Singer SPD 18725C gefährlicher Abfälle und ihrer Ent- 18726D sorgung (Zustimmungsgesetz zum Bas- Dr. Rudolf Krause (Bonese) fraktionslos ler Übereinkommen) (Drucksachen 12/5278, 12/7032) Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Großen Anfrage der Abge- c) Zweite und dritte Beratung des von der ordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Gün- Bundesregierung eingebrachten Ent- ter Graf, weiterer Abgeordneter und der wurfs eines Ausführungsgesetzes zu Organisierte Krimi- dem Basler Übereinkommen vom Fraktion der SPD: nalität in der Bundesrepublik Deutsch- 22. März 1989 über die Kontrolle der (Drucksache 12/4948) 18727 C grenzüberschreitenden Verbringung land gefährlicher Abfälle und ihrer Ent- Tagesordnungspunkt 13: sorgung: Ausführungsgesetz zum Bas- ler Übereinkommen (Drucksachen Erste Beratung des von der Bundesre- 12/6351, 12/7032, 12/7033) gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Durchführung ver- Steffen Kampeter CDU/CSU 18706D sicherungsrechtlicher Richtlinien des Susanne Kastner SPD 18708B Rates der Europäischen Gemeinschaf- ten (Drittes Durchführungsgesetz/EWG Dr. Klaus Töpfer CDU/CSU 18708C zum VAG) (Drucksache 12/6959) . . . 18727 D Steffen Kampeter CDU/CSU 18709B, 18713A Tagesordnungspunkt 14: Birgit Homburger F D P 18709 D Erste Beratung des von der Bundesre- Marion Caspers-Merk SPD . 18710C, 18716B gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überwachung des Ver- Susanne Kastner SPD 18710D kehrs mit Grundstoffen, die für die un- Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 18711C erlaubte Herstellung von Betäubungs- mitteln mißbraucht werden können: Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE Grundstoff überwachungsgesetz GRÜNEN 18712A (Drucksache 12/6961) Birgit Homburger F.D.P. . . 18712C, 18714 A Detlef Parr F.D.P. 18728A Marion Caspers-Merk SPD 18713C Johannes Singer SPD 18729B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU 18714 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 18731 A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 VII

Tagesordnungspunkt 15: über Ordnungswidrigkeiten, c — Antrag: Erste Beratung des von der Bundesre- Harmonisierung der Strafrahmen) gierung eingebrachten Entwurfs eines Hermann Bachmeier SPD 18736* A Gesetzes über den Verkehr mit Medi- zinprodukten (Medizinproduktegesetz) Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/ (Drucksache 12/6991) 18731B DIE GRÜNEN 18737' A

Tagesordnungspunkt 16: Anlage 5 Beratung des Antrags der Abgeordne- Zu Protokoll gegebene Reden zum Tages- ten Evelin Fischer (Gräfenhainichen), ordnungspunkt 7 (Große Anfrage: Organi- (Cochem), weiterer Abge- sierte Kriminalität in der Bundesrepublik ordneter und der Fraktion der SPD: Deutschland) Förderung und Intensivierung der „deutsch-deutschen" Jugendbegeg Dr. Hans de With SPD 18738* A (Drucksache 12/5415) 18731 C nung CDU/CSU 18738* D

Tagesordnungspunkt 17: Dr. Burkhard Hirsch F D P 18740* C Erste Beratung des von der Gruppe der Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/ PDS/Linke Liste eingebrachten Ent- DIE GRÜNEN 18741* A wurfs eines Gesetzes über Straffreiheit bei Straftaten des Landesverrats und der PDS/Linke Liste 18741*C Gefährdung der äußeren Sicherheit Hans-Peter Kemper SPD 18742*A (Spionageamnestiegesetz) (Drucksache 12/6370) 18731 C CDU/CSU 18743* B Jörg van Essen F D P. 18744* A Nächste Sitzung 18731 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD ...... 18744 * D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 18746* A Anlage 1 -

Liste der entschuldigten Abgeordneten . 18733* A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Anlage 2 nungspunkt 13 (Drittes Durchführungsge- setz/EWG zum VAG) Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ältesten- CDU/CSU 18747* A rates zum Berlin/Bonn-Gesetz und zu wei- teren in Tagesordnungspunkt 3 aufgeführ- Marita Sehn F.D.P. 18748* B ten Vorlagen Kurt Palis SPD ...... 18749* B Martin Grüner F.D.P...... 18733' C Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekre tär BMF 18750* D Lothar Ibrügger SPD 18734' A Walter Schöler SPD 18735' A Anlage 7 Dr. Uwe Holtz SPD 18735' A Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 14 (Grundstoffüberwachungs-- Anlage 3 gesetz) Editha Limbach CDU/CSU 18751* D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Herbe rt Werner Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse (Ulm), Theo Magin, Jürgen Augustinowitz, kretärin BMG 18752* A Dr. Walter Franz Altherr, Alois Graf von Waldburg-Zeil, Johannes Nitsch (alle CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf Anlage 8 des Arbeitszeitrechtsgesetzes (Tagesord- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 4 c) 18735* C nungspunkt 15 (Medizinproduktegesetz) Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) CDU/ Anlage 4 CSU 18752* D Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Detlef Parr F.D.P. 18753* D nungspunkt 11 (a — Gesetzentwurf zur Dr. PDS/Linke Liste . . 18754* C Reform des strafrechtlichen Sanktionensy- stems, b — Gesetzentwurf zur Änderung Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse des Strafgesetzbuches und des Gesetzes kretärin BMG 18755* A VIII Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Anlage 9 Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Forderung einer zusätzlichen amtsärztli- nungspunkt 16 (Antrag: Förderung und chen Bescheinigung von Frauen nach Intensivierung der „deutsch-deutschen" Erwerb des Busführerscheins Jugendbegegnung) MdlAnfr 21, 22 — Drs 12/6965 — Evelin Fischer (Gräfenhainichen) SPD . 18756' B Antje-Marie Steen SPD Kersten Wetzel CDU/CSU 18757' B SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 18767* C Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. 18758' A Petra Bläss PDS/Linke Liste 18759' A Anlage 15 Überlegungen der Hamburger Elektrizi- , Parl. Staatssekretärin tätswerke zum Bau eines Wasserkraftwerks BMFJ 18759' C in der Elbe bei Geesthacht; Folgen eines Staus der Elbe um weitere 1,05 Meter Anlage 10 MdlAnfr 23, 24 — Drs 12/6965 — Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Klaus Harries CDU/CSU nungspunkt 17 (Spionageamnestiegesetz) SchrAntw StSekr Dr. Wilhelm Knittel Hartmut Koschyk CDU/CSU 18761* A BMV 18768* A Dieter Wiefelspütz SPD 18762* B Anlage 16 Jörg van Essen F D P. 18762* D Anzahl der Ein- und Auswanderungen in Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . . 18763* D den Jahren 1992 und 1993; Veröffentli- Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ . 18765* D chung des Wanderungssaldos nach Inkraft- treten des geänderten Artikels 16 GG und der entsprechenden Begleitgesetze Anlage 11 MdlAnfr 45, 46 — Drs 12/6965 — Pflicht zur eindeutigen Kennzeichnung Joachim Tappe SPD sämtlicher gentechnisch hergestellter Le- bensmittel; Durchsetzung der Forderung SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18768' B des Europäischen Parlaments bei der Bera- tung der Novel-food-Verordnung im Bin- nenmarkt-Rat Anlage 17 Abschiebung von Kriegsdienstverweige- MdlAnfr 13 — Drs 12/6965 — rem und Deserteuren aus dem ehemaligen Lieselott Blunck (Uetersen) SPD Jugoslawien SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg- MdlAnfr 47 — Drs 12/6965 — mann-Pohl BMG ...... 18766* C Horst Kubatschka SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18768* D Anlage 12 Einsatz von Aktivkohlepulver zur Bekämp- fung von Pflanzenschutzmitteln in Trink- Anlage 18 wassertalsperren; Verbot der Herbizide Einladung der „Vereinigung der Verfolg- Chlortoluron und Isoproturon; Gefährdung ten des Naziregimes — Bund der Antifa- der Gewässer und der Trinkwasserressour- schisten" (VVN-BdA) zur offiziellen Eröff- cen durch den Einsatz von Totalherbiziden, nungsfeier der Zentralen Gedenkstätte der wie z. B. Diuron Bundesrepublik Deutschl and in Berlin am 14. November 1993 MdlAnfr 14, 27 — Drs 12/6965 — Susanne Kastner SPD MdlAnfr 48 — Drs 12/6965 — Wilfried Böhm (Melsungen) CDU/CSU SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg- mann-Pohl BMG 18766' D SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18769* A

Anlage 13 Anlage 19 Finanzierung der Instandsetzung der Bun- Entwicklung der Kriminalität bei Auslän- desbahns trecke Cloppenburg-Friesoythe dern mit kurzer Verweildauer in Deutsch- land; Stärkung der inneren Sicherheit MdlAnfr 17, 18 — Drs 12/6965 SPD —Günter Graf MdlAnfr 49 — Drs 12/6965 — Jürgen Augustinowitz CDU/CSU SchrAntw StSekr Dr. Wilhelm Knittel BMV 18767' B SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18769* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 IX

Anlage 20 Anlage 26 Klärung der Frage der hoheitsgebietlichen Verpflichtung der Elektrizitätsversor Zuordnung des Bodensees gungsunternehmen zur Abnahme von Strom aus Hackschnitzel-Biomasse-Kraft- MdlAnfr 50 — Drs 12/6965 — werken; Strompreis Dr. F.D.P. SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18769' C MdlAnfr 64 — Drs 12/6965 — Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU Anlage 21 SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb Herausgabe einer Akte mit personenbezo- BMWi 18771* C genen Unterlagen über Dr. Schalck-Golod- kowski an den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen durch „Minister des Bun- des" im Mai 1993 Anlage 27 MdlAnfr 51 — Drs 12/6965 — Kenntnis der Bundesregierung über den Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bau einer Kampfstoffanlage in Tarhuna/ SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . -Libyen18769' D

MdlAnfr 65 — Drs 12/6965 — Anlage 22 Norbert Gansel SPD Bedenken gegen die Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB hinsichtlich der Prügel- SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb strafe für Kinder BMWi 18771' D MdlAnfr 52 — Drs 12/6965 — Ortwin Lowack fraktionslos SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 18770* B Anlage 28 Stellungnahme der Bundesregierung zum Anlage 23 Bau einer Giftgasanlage in Tarhuna/ Nutzung der Ermächtigungen gemäß Au--Libyen ßenwirtschaftsgesetz in bezug auf das Post- und Fernmeldegeheimnis im Zusammen- MdlAnfr 66 — Drs 12/6965 — hang mit dem Bau einer Giftgasanlage in Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD Tarhuna/Libyen MdlAnfr 60 — Drs 12/6965 — SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD 2:v1Wi 18772' A SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 18770* C Anlage 29 Anlage 24 Warnung der Bundesregierung vor einer Nutzung der ab Sommer freiwerdenden Beteiligung am Bau der Giftgasanlage in Wohnungen der alliierten Streitkräfte in Tarhuna/Libyen Berlin MdlAnfr 67 — Drs 12/6965 — MdlAnfr 61, 62 — Drs 12/6965 — Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD Siegfried Scheffler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMF 18770* C BMWi 18772* B

Anlage 25 Veröffentlichung eines schon 1992 geplan- Anlage 30 ten Registers über unlautere Geschäfts-- praktiken von Versicherungsunternehmen, Haltung der Bundesregierung zur Bana- insbesondere in den neuen Bundesländern, nen-Marktordnung der Europäischen gemäß Urteil des Berliner Verwaltungsge- Union angesichts der Frage der Vereinbar- richts keit mit den GATT-Regeln MdlAnfr 63 — Drs 12/6965 — MdlAnfr 68, 69 — Drs 12/6965 — BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ingrid Köppe Peter Conradi SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 18771* A SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 18772* C X Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Anlage 31 Anlage 34 Verzögerung der Auftragsvergabe für die Verdienstausfall der Beschäftigten im Erhöhung der zweiten Warft auf der Hallig Baugewerbe bei Schlechtwetter wegen Langeneß fehlender Anrechte auf Lohnersatzleistun- gen MdlAnfr 70 — Drs 12/6965 — Werner Ringkamp CDU/CSU MdlAnfr 74, 75 — Drs 12/6965 — Achim Großmann SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 18773* A SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 18774* C

Anlage 32 Anlage 35 Möglichkeiten der Stromgewinnung aus Hackschnitzel-Biomasse-Kraftwerken; För- Konsequenzen aus der Zuordnung der dermöglichkeiten Werkvertragsabkommen mit Polen zu den verschiedenen Regelungsbereichen MdlAnfr 71 — Drs 12/6965 — MdlAnfr 76, 77 — Drs 12/6965 Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU — Hans Büttner (Ingolstadt) SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 18773* B SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 18774* D

Anlage 33 Anlage 36 Verdienstausfall der Beschäftigten im Bau- Berücksichtigung der in Artikel 41 des gewerbe wegen Wegfalls des Schlechtwet- Europa-Abkommens mit Polen vorgesehe- tergeldes im Monat März und Fehlens von nen Arbeitsmarktlage bei der Erleichterung Lohnersatzleistungen; Inanspruchnahme des Zugangs zur Beschäftigung polnischer von Arbeitslosengeld Arbeitnehmer MdlAnfr 72, 73 — Drs 12/6965 — MdlAnfr 78, 79 — Drs 12/6965 — Konrad Gilges SPD Dr. Rudolf Schöfberger SPD SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 18773* D SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 18775* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18589

216. Sitzung

Bonn, den 10. März 1994

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen 4. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: und Kollegen! Ich darf Sie bitten, sich kurz von Ihren Bericht der Bundesregierung zu Punkt 16 „Mehr Teilzeitar- Plätzen zu erheben. beit" des Aktionsprogramms für mehr Wachstum und Beschäftigung — Drucksache 12/6983 —

Mit Bestürzung haben wir die Nachricht vom gestri- 5. weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren gen brutalen Attentat auf das Amtsgericht in Euskir- chen aufgenommen. Der Täter hat mit sich selbst a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Herbert Wer- ner (Ulm), Hubert Hüppe, Claus Jäger und weiteren sechs Menschen in den Tod gerissen, acht weitere Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Teil schwer verletzt. Menschen, die dem Recht, zum Schutz der ungeborenen Kinder (GSuKi) — Drucksa- dem öffentlich gesprochenen Recht und damit dem che 12/6988 — Schutz aller Bürgerinnen und Bürger in unserem Staat b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- gedient haben, haben diesen Dienst gestern mit ihrem ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Kostenge- Leben bezahlt. Wir gedenken der Ermordeten mit setzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsge- großer Trauer und nehmen Anteil am Leid ihrer setz 1994 — KostRÄndG 1994) — Drucksache 12/6962 — Familien. Wir verneigen uns in Achtung und D ank vor c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolf-Michael dem Dienst, den die Opfer dem Rechtsstaat und damit Catenhusen, Dr. Helga Otto, Angelika Barbe, weiterer uns allen geleistet haben. Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern — Drucksache Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen 12/6745 — erhoben; ich danke Ihnen. 6. — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat einge- Ich komme nun zu den amtlichen Mitteilungen. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Sexualstrafrechts (§§ 175,176 a, 182 StGB) — Drucksache 12/4232 — Aus dem Wahlprüfungsausschuß ist die frühere Kollegin Dr. Hedda Meseke als ordentliches Mitglied — Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten ausgeschieden. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt Christina Schenk und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE als Nachfolger den Kollegen Dr. Bertold Mathias GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der psychosexuellen Entwicklung von Jugendli- Reinartz vor. Sind Sie damit einverstanden? — Dazu chen — Streichung der §§ 175 und 182 StGB, § 149 höre ich keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege StGB/DDR — Drucksache 12/1899 — Dr. Bertold Mathias Reinartz für die Dauer der Wahl- periode als ordentliches Mitglied in den Wahlprü- — Zweite und dritte Beratung des von der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes fungsausschuß gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungs- zur Rechtsgleichstellung von Homosexualität und Hetero- gesetzes gewählt. sexualität im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland

(Sexualgleichstellungsgesetz) — Drucksachen 12/850, Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- 12/7035 — dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in 7. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Jürgen der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: Meyer (Ulm), Günter Graf, Dr. Hans de With, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Organisierte Krimi- 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE nalität in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache GRÜNEN: Abschiebung von Flüchtlingen und Deserteuren 12/4948 — nach Rest-Jugoslawien über Rumänien (In der 215. Sitzung bereits erledigt) Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll — so weit erforderlich — abgewichen werden. Soweit 2. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Erweiterungsverhandlungen der bei den Tagesordnungspunkten 9 b und c — Basler Europäischen Union mit Österreich, Schweden, Finnland Übereinkommen — von der Frist abgewichen werden und Norwegen soll, wird darüber erst vor Aufruf dieses Tagesord- nungspunktes entschieden. Weiterhin ist vereinbart 3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des EG-Ausschusses (24. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch worden, die Tagesordnungspunkte 6, Regelungen zu das Europäische Parlament: Entschließung zur Erweiterung Pauschalreisen, und 10, Verjährung von Sexualstraf- der EG — Drucksachen 12/5536, 12/6653 — taten, abzusetzen. 18590 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Sodann ist interfraktionell vereinbart worden, den Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung Entwurf der Bundesregierung zum Fünften Gesetz zur hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Änderung der Bundeshaushaltsordnung auf Drucksa- Kinkel. che 12/5835 sowie die dazu vorliegende Beschluß- empfehlung und den Be richt des Haushaltsausschus- ses auf Drucksache 12/6612 zur federführenden Bera- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: tung an den Haushaltsausschuß zurückzuverweisen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! und den Gesetzentwurf zusätzlich an den Verkehrs- ... eingedenk der historischen Bedeutung der ausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Überwindung der Teilung des europäischen Kon- Außerdem mache ich auf nachträgliche Überwei- tinents und der Notwendigkeit, feste Grundlagen sungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk- für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaf- sam: fen Der in der 210. Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. 2. 1994 — so die Präambel des Vertrages von Maastricht —, überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem wurde die Europäische Union gegründet. Sie ist offen Haushaltsausschuß gem. § 96 der GO überwiesen werden: für europäische Demokratien, die sich zu den Zielen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur der Union bekennen. Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und Die jetzige Erweiterung um vier EFTA-Länder, anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) — Drucksa- che 12/6853 — nämlich Schweden, Finnland, Norwegen und Öster- reich, ist die erste seit dem Ende des Kalten Krieges. Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. 2. 1994 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Ihr Beitritt zur Europäischen Union wird endgültig den Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: Wettbewerb von zwei westeuropäischen Konzepten zur künftigen Gestaltung unseres Kontinents been- Gesetzentwurf der Bundesregierung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit Arbeitsschutzrahmengesetz den. — ArbSchRG — Drucksache 12/6752 — Das mit gemeinsamen Institutionen versehene jet- Der in der 213. Sitzung des Deutschen Bundestages am 3. März 1994 zige Modell der Europäischen Union hat sich gegen überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Aus- die Idee einer einfachen Freihandelszone durchge- schuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur setzt. Dies ist für die künftige europäische Ordnung Mitberatung überwiesen werden: von ganz überragender und wichtiger Bedeutung. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Sicherung des Einsat- zes von Steinkohle in der Verstromung und zur Änderung des (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Atomgesetzes — Drucksache 12/6908 — SPD) Der in der 213. Sitzung des Deutschen Bundestages am 3. März 1994 Die Europäische Union bildet bereits heute den überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Haushalts- Anker der Stabilität auf unserem Kontinent und ausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: verhindert zuverlässig eine Rückkehr in das Europa Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. Aktions- der Nationalstaaten unter wechselnden Koalitionen. programme SOKRATES und LEONARDO — Drucksache 12/6939 — Sie steht für einen großen Binnenmarkt, der den Wohlstand aller Mitgliedstaaten mehrt und ihre inter- Sind Sie mit den Änderungen zur Tagesordnung, nationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht; und sie steht den zusätzlichen Ausschußüberweisungen und der für ein solidarisches Europa, für das sie sich zum Ziel Rückverweisung einverstanden? — Das ist der Fall. gesetzt hat, das Leistungs- und auch das Wohlstands- Dann werden wir so verfahren. gefälle im Inneren der Union allmählich zu harmoni- sieren. Das sind Gründe genug dafür, daß viele europäische Demokratien in diese Union drängen. Die Ich rufe die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: jetzige Erweiterungsrunde wird und darf daher nicht ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- die letzte sein. rung ' (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Bericht der Bundesregierung über die Erwei- sowie bei Abgeordneten der SPD und der terungsverhandlungen der Europäischen PDS/Linke Liste) Union mit Österreich, Schweden, Finnland Ihr Abschluß wird den Beweis dafür liefern, daß die und Norwegen Union auf der Grundlage des am 1. November 1993 in ZP3 Beratung der Beschlußempfehlung und des Kraft ge tretenen Vertrages handlungsfähig ist. H and- Berichts des EG-Ausschusses (24. Ausschuß) zu lungsfähig sein heißt auch, Konsens herzustellen, um der Unterrichtung durch das Europäische Par- auf unserem Kontinent Frieden in Freiheit und Wohl- lament stand zu sichern. Entschließung zur Erweiterung der EG Die Erweiterung wird — das ist ganz wichtig — auch — Drucksachen 12/5536, 12/6653 — ein ermutigendes Signal an die Reformdemokratien Berichterstattung: in Mittel- und Osteuropa geben, daß die Union eben Abgeordnete Peter Kittelmann keine geschlossene Gesellschaft der Reichen und der Heidemarie Wieczorek-Zeul Sicheren ist. Dr. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sowie bei Abgeordneten der SPD und der die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese- PDS/Linke Liste) hen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir Damit ist auch klar: Das vereinte Deutschland wird können so verfahren. nicht das östliche Grenzland der Europäischen Union Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18591

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel bleiben; es rückt auch politisch wieder in die Mitte sel, sie in knapp einem Jahr mit drei Staaten praktisch Europas. abgeschlossen zu haben und bei Norwegen kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Wenn die Ratstagung am (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU kommenden Dienstag dieses Ziel erreicht — die sowie bei Abgeordneten der SPD) Bundesregierung wird erneut alles, was in ihren Meine Damen und Herren, die Aufnahme der drei Kräften steht, tun, damit wir dieses Ziel erreichen —, nordischen Staaten und Österreichs in die Union ist dann besteht eine gute Chance, daß alle vier Länder ein wesentlicher Schritt auf dem Weg, die Balance in zeitgerecht — wie wir es uns vorgenommen haben — Europa wiederherzustellen. Die Bundesregierung hat zum 1. Januar 1995 in die Europäische Union aufge- sich nie mit einem Konzept der Westunion oder einer nommen werden können. Südwestunion identifiziert; sie hat sich stets zum ganzen Europa bekannt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich möchte ausdrücklich feststellen: Alle vier Län- So wie wir uns in den achtziger Jahren als Anwalt der sind Deutschland als enge Partner in der erweiter- der Süderweiterung betätigt haben und uns nach- ten Europäischen Union herzlich willkommen. drücklich — ich betone das aus besonderem Grund: nachdrücklich — (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der (Bundeskanzler Dr. : Sehr SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ gut!) NEN) für die Beitritte Spaniens, Portugals und Griechen- Sie bereichern und sie stärken die Union. lands eingesetzt haben, unterstützten wir von Anfang Mit der gebotenen und auch notwendigen Beschei- an den Beitrittswunsch Österreichs, Schwedens, Finn- denheit möchte ich feststellen, daß wir ohne den lands und Norwegens tatkräftig. Die jetzige Erweite- Beitrag der Bundesregierung sicher nicht so weit rungsrunde geht nicht zu Lasten der südlichen Länder wären. Europas. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD — Bundes Ich fühle mich bestätigt und gerechtfertigt darin, daß kanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!) wir auf das Tempo gedrückt und so das notwendige Diese werden ebenso wie alle übrigen Mitgliedstaa- Momentum erzeugt und weiterge tragen, daß wir ten und die neuen Mitglieder davon profitieren, daß vermittelt und geholfen haben. Ich möchte bei dieser die Europäische Union politisch, wirtschaftlich und Gelegenheit all denjenigen in der Bundesregierung kulturell durch Hinzutreten von vier erprobten demo- und auch darüber hinaus danken, die daran mitge- kratischen Staaten mit leistungsfähigen, dem freien wirkt haben, daß es so weit gekommen ist. Wir haben Welthandel verpflichteten Volkswirtschaften gestärkt ja in den letzten Wochen Marathons hinter uns wird. gebracht, die selbst für Brüsseler Verhältnisse einma- lig waren. Richtig ist, daß die Beitritte die Gemeinschaft inner- lich stärker ausbalancieren. Es ist offensichtlich — das Das Ziel ist greifbar nahe. Es darf einfach nicht sein, haben wir in Brüssel bei den Verhandlungen gesagt; daß diese für ganz Europa so wichtige Erweiterung an ich sage es auch hier —, daß dies für Deutschland in einigen Tausend Tonnen Kabeljau scheitert. Das kann seiner Mittellage einen nicht unerheblichen Gewinn nicht richtig sein. darstellt. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der Meine Damen und Herren, die Bundesregierung SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ ließ sich bei den anstehenden Verhandlungen vor NEN sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke allem von dem Interesse leiten, die Europäische Union Liste) und die Stabilität ganz Europas zu stärken. In diesen Fragen sind deutsche und europäische Interessen Ich habe in der Nachtverhandlung erklärt, daß es deckungsgleich. Deutschlands Zukunft ist in Eu- wirklich nicht richtig sein kann, daß wir hier über ropa. Dimensionen verhandeln und sprechen, die 2, 3, 4 Millionen ECU ausmachen. Daran darf der Beitritt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Norwegens nicht scheitern. sowie bei Abgeordneten der SPD) Sicherheit und Wohlstand unseres Landes sind (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der untrennbar mit der europäischen Einigung verbun- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ NEN) den. Ein Scheitern dieser Verhandlungen,- ein Stek- kenbleiben der europäischen Einigung auf halbem Es darf auch nicht sein, daß der Prozeß der europäi- Wege würde allen Europäern schaden. schen Einigung auf Grund interner Probleme unter (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der den Altmitgliedern einen schweren Rückschlag erlei- CDU/CSU) det. Niemand soll sich täuschen: Ein Scheitern der Beitrittsverhandlungen würde eine ernste Krise für Die Beitrittsverhandlungen haben am 1. J anuar Europa auslösen. 1993 bzw. im Fall Norwegens am 1. April 1993 begonnen. Es ist eine wirklich große Leistung aller Ich appelliere deshalb von dieser Stelle an die beteiligten Regierungen und der Kommission in Brüs- spanische und vor allem auch an die britische Regie- 18592 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel rung, konstruktiv daran mitzuwirken, daß wir das so trittsländern oder die Zustimmung des Europaparla- nahe Ziel am Dienstag erreichen. ments gefährdet werden. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Das wäre z. B. dann der Fall, wenn die Schwelle für sowie bei Abgeordneten der SPD) die Sperrminorität im Rat so niedrig angesetzt wird, Meine Damen und Herren, die erweiterte Europäi- daß Mehrheitsentscheidungen erheblich erschwert sche Union wird den größten Markt der Welt darstel- werden. Wir wollen am 15. März die Verhandlungen len, mit 370 Millionen Menschen und einer deutlich mit allen vier Ländern förmlich abschließen und höheren Wirtschaftskraft als die USA oder Jap an. hoffen, daß alle anderen Partner im gleichen Geiste Zwei von drei deutschen Arbeitsplätzen im Export handeln. hängen vom Handel in diesem Wirtschaftsraum ab. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Ich sage nochmals, auch hier im Deutschen Bundes- sowie bei Abgeordneten der SPD) tag: Es gibt kein großes Indust rie- und Wirtschaftsland auf dieser Erde, das vergleichbar so wie Deutschland Die Zeit drängt, wollen wir noch den 1. J anuar 1995 wirtschaftlich von einer einzigen Region, nämlich für den Beitritt erreichen. Ehe die Verträge unter- Europa, abhängig ist. Auch das muß man den Deut- zeichnet werden können, muß das Europäische Par- schen immer wieder sagen. lament zustimmen. Ich appelliere ebenfalls von hier (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU aus an seine Abgeordneten, der politischen Bedeu- sowie bei Abgeordneten der SPD — Karsten tung der Erweiterung Rechnung zu tragen und unge- D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das müßten Sie achtet der bevorstehenden Neuwahl und ohne Forma- vor allen Dingen auch Herrn Stoiber lismus das Vertragswerk zügig zu behandeln. sagen!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Die Erweiterung ist aus deutscher Sicht auch vor- sowie bei Abgeordneten der SPD) teilhaft, weil die Vorstellungen der beitretenden Län- Ich bin sicher — das muß auch das Europäische der in Fragen des Umweltschutzes und der sozialen Parlament wissen und beachten —, daß dies für die Sicherung weitgehend unseren eigenen entspre- Glaubwürdigkeit der Europapolitik gerade vor den chen. europäischen Wahlen am 12. Juni sehr bedeutsam Außerdem werden drei Beitrittsländer, vielleicht ist. auch Finnland, Nettozahler sein. Das wird anfangs nicht voll zu Buche schlagen, weil die Union bei der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Überwindung der schwierigen Anfangsprobleme Hil- sowie bei Abgeordneten der SPD) festellung leistet, aber es wird in der späteren Zeit Voraussetzung für den Beitritt zum 1. Januar 1995 wichtig sein. Der Beitritt wirtschaftsstarker europäi- ist neben der Zustimmung des Europäischen Parla- scher Nachbarn wird auf mittlere Sicht zu unserer, zur ments sowie der Ratifizierung der Beitrittsverträge ein deutschen Entlastung beitragen. positiver Ausgang der Volksabstimmungen in den Meine Damen und Herren, einen wichtigen Vorteil Beitrittsländern. Auch das sollten und dürfen wir nicht wird die Mitwirkung der vier Länder an der Entwick- vergessen. Das muß bei den Gesprächen am 15. März

lung einer gemeinsamen AuBen - und Sicherheitspo- vor allem von unseren Partnern im Hinterkopf behal- litik der Europäischen Union darstellen. Auch die ten werden. bisher neutralen Staaten Österreich, Schweden und Finnland akzeptieren — das ist ganz wichtig — ohne Ich bin hier Optimist. Die nordischen Länder und Wenn und Aber den außenpolitischen Besitzstand der Österreich haben sorgfältig abgewogen. Sie wissen, Union und verpflichten sich auf die im Vertrag festge- daß ihre Zukunft in der Europäischen Union liegt. Sie legten Ziele. wissen auch, daß sie keinen Verlust an nationaler Eigenheit und heimischer Lebensweise befürchten (Beifall des Abg. Dr. [CDU/ müssen. CSU]) Die Europäische Union steht für ein Europa der Sie verfügen im übrigen — das darf auch nicht Vielfalt, für ein Europa der Bürger und der Regionen. vergessen werden — außenpolitisch vor allem in den Ich möchte dem Deutschen Bundestag ausdrücklich friedenswahrenden Aktionen Vereinten Nationen bei für die kontinuierliche Unterstützung der Verhand- über ein ganz hohes Profil und sehr große Erfahrung. lungsführung der Bundesregierung Dank sagen. Das Das wird der Union und der Entwicklung ihrer eige- Bewußtsein, gerade bei so schwierigen Verhandlun- nen Identität gerade in diesem Bereich zugute kom- gen — sie waren und sind schwierig — auf der men. Grundlage eines breiten politischen Konsenses han- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU deln zu können, bedeutet Stärke. sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Ich hoffe, daß auch der Deutsche Bundestag, der den Beitrittsverträgen zustimmen muß, das Seine tun Die Bundesregierung geht am 15. März mit dem wird, damit wir das Zieldatum erreichen. Es wäre festen Willen nach Brüssel, um für Norwegen den wichtig für Europa, und es wäre auch wichtig für Durchbruch und in allen sonstigen offenen Fragen Deutschland. Deshalb hoffen wir darauf, daß am einen Konsens zu erzielen. Ihre Kompromißbereit- Dienstag der endgültige Durchbruch gelingt. schaft — das möchte ich allerdings auch deutlich und ganz ruhig und sachlich sagen — findet aber dort (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der Grenzen, wo der Erfolg der Referenden in den Bei- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18593

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächstes spricht uns gerichtet möchte ich sagen: Daß sie Mitglied die Abgeordnete Heide Wieczorek-ZeuL werden, ist auch im Interesse der Bevölkerung in den zwölf EU-Mitgliedstaaten.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kollegin- (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) nen und Kollegen! Daß die Aufnahme Norwegens in Durch Finnland, Norwegen, Schweden und Öster- die Europäische Union am 8. März noch nicht hat reich würde die Europäische Union gewinnen. Sie zustande kommen können, ist unverzeihlich. Die würde nämlich an neuer, positiver Qualität gewinnen. Süderweiterung 1986 um Spanien und Po rtugal war All diese Länder haben wichtige sozialstaatliche Tra- vor allem auch deshalb von zentraler Bedeutung, weil ditionen, die helfen werden, aus einer wirtschaftslasti- Länder, die Jahre davor noch Diktaturen waren, in die gen Europäischen Union eine Sozialunion zu machen. Familie der europäischen Demokratie zurückkehr- Das ist gut für die Europäische Union. ten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die sogenannte Norderweiterung, die jetzt ansteht DIE GRÜNEN) und die am 1. Januar 1995 kommen soll und muß, ist deswegen von zentraler Bedeutung, weil sich West- Sie helfen, die sozialen Standards zu erhöhen, sowohl europa damit endgültig politisch zusammenschließt bei den Rechten für Arbeitnehmer und Arbeitnehme- und die Verbindung der Mitgliedstaaten der Europäi- rinnen als auch bei denen der Frauen. schen Union mit den ehemaligen EFTA- Staaten end- (Beifall bei der SPD) gültig wird. Es geht also, liebe Kolleginnen und Kollegen, um eine Jahrhundertentscheidung und Ich erinnere daran, daß z. B. Österreich und Norwe- nicht um Fisch oder Fleisch. gen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in ihren Ländern wichtige Erfolge erzielt haben und daß sie bei (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und dem der Arbeitslosenquote unter dem Durchschnitt der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundesrepublik und vor allen Dingen auch der Euro- Haben die Mitgliedsregierungen der Europäischen päischen Union liegen. Union am 8. März bedacht, welche längerfristigen Ich erinnere daran: Diese Länder haben hohe fatalen Auswirkungen das Gezerre um den norwegi- Umweltstandards. Sie helfen, aus der wirtschaftslasti- schen Beitritt zur Europäischen Union in einem Land gen Europäischen Union eine Umweltunion zu wie Norwegen haben könnte, dessen Bevölkerungs- machen, und das ist gut für unser Land und die mehrheit 1972 gegen die Aufnahme votiert hat und Bevölkerung in unseren Ländern. dessen Regierung sich in den Verhandlungen dieser Woche sehr konstruktiv auch gegenüber Kompromis- (Beifall bei der SPD) sen gezeigt hat? Ich nenne nur das Beispiel des sogenannten Alpen- Ich möchte an Sie appellieren, liebe Kolleginnen transits für Österreich. Dieses sollte ebenso wie das und Kollegen: Wir alle müssen ein Interesse daran Schweizer Votum endlich Anlaß für die Europäische haben, daß die Verhandlungen mit diesen vier Bei- Union und ihre Mitgliedsregierungen sein, ihre Ver-- trittsländern so geführt werden, daß anschließend die kehrspolitik zu verändern. Schwerlastverkehr muß Bevölkerung in diesen vier Ländern ein positives auf den weiten Strecken auf die Schiene, und es ist Votum abgeben kann; denn ein negatives Votum, höchste Zeit, daß hier in der Europäischen Union auch nur in einem von ihnen, schon gar in allen vier, umgesteuert wird. Wir werden davon alle profitie- würde auch die Stabilität der Europäischen Union ren. nicht unbeeinträchtigt lassen; denn die Europäische (Beifall bei der SPD — Ul rich Irmer [F.D.P.]: Union ist in ihrem Innern — das hat das Beispiel des Finnland — Schienenverkehr auf den Schlit Maastricht-Ratifizierungsprozesses ja gezeigt — weiß ten!) Gott noch weit davon entfernt, die Akzeptanz der Bevölkerung für ihre politischen Entscheidungen zu Es ist gut, daß sich die Europäische Union gegen- haben. über Österreich in dieser Frage kompromißbereit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gezeigt hat. Sie hat sich damit aber nicht nur gegen- DIE GRÜNEN — Zuruf von der F.D.P.: Weil über den Interessen der österreichischen Bevölkerung es keiner versteht!) kompromißbereit gezeigt: Das ist auch im Interesse der deutschen Bevölkerung. Bei uns will auch nie- Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, daß Finn- mand, daß sich der Schwerlastverkehr, der im Rah- land, Schweden und Österreich Mitglied der Europäi- men des EG-Binnenmarkts in den nächsten Jahren schen Union werden sollen und daß die Verhandlun- dramatisch anwachsen wird, über die Autobahnen gen — jedenfalls bis zur letzten Woche — zu einem und die Straßen schleppt. Wir wollen, daß diese vorläufig guten Ende geführt wurden. Wir erwarten Verkehrslasten auf der Schiene befördert werden. und verlangen aber, daß allerspätestens nächste Woche auch der Beitritt für Norwegen endgültig wird (Beifall bei der SPD) und damit alle vier Länder in die Europäische Union Deshalb muß die Europäische Union aus Anlaß der einbezogen werden. Erweiterung auch ihre eigene Verkehrspolitik än- (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) dern. An die Menschen in den vier Beitrittsländern Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische gerichtet, möchte ich von dieser Stelle aus sagen: Wir Union würde durch die Erweiterung reicher. Diese werben darum, daß Ihre Länder Mitglied in der vier Länder haben — Herr Außenminister Kinkel hat Europäischen Union werden. An die Menschen bei es erwähnt — eine lange demokratische und zivile 18594 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Heidemarie Wieczorek-Zeul Tradition. Sie werden helfen, die wirtschaftslastige können, und verzögern Sie die entsprechende Europäische Union zu einer demokratischen Union zu Abstimmung in keiner Weise! entwickeln, die ihr Verhältnis zu den Entwicklungs- Wir selbst sollten aus den jetzigen Verhandlungen ländern des Südens nach dem Prinzip der Partner- und ihren Begleiterscheinungen Lehren für die Wei- schaftlichkeit gestaltet. terentwicklung Europas ziehen: Letztlich: Ihr Beitritt würde Europa insgesamt rei- Erstens. Die Europäische Union braucht spätestens cher machen; denn nur ein handlungsfähiges Westeu- nach der Erweiterung eine Reform an Haupt und ropa bringt die Stärke auf, um a ll die Hilfe zu leisten, Gliedern. Wenn Sie sehen, wie schwierig es schon die ost- und mitteleuropäische Länder brauchen, jetzt ist, zwischen den Regierungen entsprechende damit die demokratischen und sozialen Reformen bei Ergebnisse zu erzielen, dann wird klar: Es ist notwen- ihnen selbst gelingen können. Auch deshalb ist die dig, daß die Entscheidungsprozesse in der Europäi- Erweiterung notwendig. schen Union zukünftig effektiver, demokratischer und Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Erweite- vor allen Dingen für die Bevölkerung durchschauba- rungsverhandlungen schlägt aber auch die Stunde rer werden. der Wahrheit für die Mitgliedstaaten und Regierun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen der Europäischen Union selbst, eine Wahrheit, die der F.D.P.) noch bei den Maastricht-Verhandlungen beiseite Zweitens — ich weiß, daß dies nicht jeder so sieht, gedrängt wurde, nämlich die Frage: Welches Europa aber ich finde, daß wir in diesen Fragen uns allen soll eigentlich gestaltet werden; ein Europa, das auf gegenüber ehrlich sein müssen —: Die Vorstellung, dem Prinzip der bloß nationalen Zusammenarbeit die Europäische Union könne nach allen Seiten belie- seiner Regierungen und auf einer Freihandelszone big wachsen, ist eine gefährliche Illusion. Wer die EG basiert, oder ein Europa, das wirtschaftlich, sozial, zu einer „Mega"-Europäischen Union entwickeln ökologisch und politisch gestaltet und deshalb auch möchte, macht sie zu einer „Kleinen Konferenz für Mehrheitsentscheidungen akzeptieren muß und sich Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" und ver- nicht von einigen wenigen Regierungen lähmen las- dammt sie damit zu einer gewissen Handlungsunfä- sen darf? higkeit. Er würde damit die einzige Ins titution, die die (Beifall bei der SPD) Kraft hat, Mittel- und Osteuropa zu stützen und abzusichern und damit auch die entsprechenden Deshalb appellieren wir an diesem Tag an alle Prozesse dort zu finanzieren und abzustützen, nämlich Mitgliedsregierungen der Europäischen Union: Seien die Europäische Union, schwächen. Sie sich der Verantwortung für die Zukunft Europas (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das habe ich nicht bei den Beratungen nächste Woche bewußt. Wir verstanden!) appellieren an die englische Regierung: Sie haben sich immer für eine Erweiterung engagiert. Verhin- — Der Kollege Irmer hat etwas nicht verstanden. Mit dern Sie jetzt nicht über Verfahrensfragen oder Sperr- Erlaubnis der Frau Präsidentin erkläre ich es noch minoritäten, daß diese wegweisende Entscheidung einmal: Eine unbegrenzte Erweiterung der Europäi- zustandekommt. schen Union — von manchen offensichtlich so verstan- den — würde nicht im Interesse der beteiligten Länder (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei und der Europäischen Union liegen, weil wir die Abgeordneten der CDU/CSU) Europäische Union in ihrer Entscheidungsfähigkeit Wir appellieren an die spanische Regierung: Wir jetzt stabilisieren und stärken müssen. haben uns alle mit Ihnen, mit dem spanischen Volk, 1986 dafür engagiert, daß Spanien Mitglied der Euro- päischen Gemeinschaft hat werden können. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Kollegin Wiec- zorek-Zeul, Herr Kollege Irmer hat eine Frage an (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Sie. Gegen schwere Widerstände!)

Wir appellieren deshalb an die spanische Regierung Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Bitte, Herr Kol- — ich bin sicher, die spanische Bevölkerung wird lege Irmer. unseren Appell gut verstehen —: (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Macht das einmal auf Ulrich Irmer (F.D.P.): Verehrte Frau Kollegin, ich Genossenebene!) habe es immer noch nicht verstanden. Sie reden von Engagieren Sie sich jetzt mit ganzem Herzen dafür, einer „Mega"-Union, die sicher niemand will. Sie daß Norwegen die Ch ance ergreifen kann, die Ihnen müßten uns aber schon genau sagen, welche Länder die anderen Länder Europas 1986 eröffnet haben. Sie damit gemeint haben. Wollen Sie ausschließen, daß die Länder östlich von uns, z. B. die Visegrad- (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Staaten, eines Tages Mitglieder der Europäischen Abgeordneten der CDU/CSU) Union werden? Ich teile Ihre Auffassung, daß es keine Wir appellieren an das Europäische Parlament: „Mega" -Union mit uferloser Beitrittsmöglichkeit wer- Wenn die Verhandlungen in der nächsten Woche den den darf. Aber Sie wissen doch, daß im Vertrag steht: — wie wir hoffen — endgültigen Erfolg bringen, Jedes europäische L and kann Mitglied werden. — Ich schaffen Sie dann mit Ihrer Zustimmung die Voraus- möchte von Ihnen ganz präzise wissen, ob Sie nicht setzungen dafür, daß die vier Länder noch am 1. Ja- auch der Meinung sind, daß z. B. Ungarn, Polen und nuar 1995 Mitglied der Europäischen Union werden die Tschechische Republik, um nur einige zu nennen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18595

Ulrich Irmer in absehbarer Zeit — und zwar sehr bald — Mitglieder Karl Lamers (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ver- der Europäischen Union werden sollten. ehrte Kolleginnen und Kollegen! Zwar haben wir (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne keinen Grund zur uneingeschränkten Freude, aber ich finde schon, daß wir uns über den Erfolg freuen ten der CDU/CSU) sollten, den Europa durch den erfolgreichen Abschluß der Beitrittsverhandlungen für drei wichtige und uns sehr liebe Länder, für Finnland, Schweden und Öster- (SPD): Lieber Herr Kol- Heidemarie Wieczorek-Zeul reich, erreicht hat. lege Irmer, Ihre Frage zeigt, daß Sie die vorliegende Beschlußempfehlung, die der Deutsche Bundestag (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heute annehmen soll, nicht gelesen haben. Darin steht Es ist, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, nämlich die entsprechende Antwort, die von uns allen keine Pflichtübung — ich glaube, das nimmt mir auch nach den Beratungen im EG-Ausschuß gegeben wor- die Opposition ab —, wenn ich an dieser Stelle ein sehr den ist. Was ich hier sagen will, bet rifft etwas, von dem herzliches und aufrichtiges Wort des Dankes an den ich weiß, daß es auch in Ihren Fraktionen ein Diskus- Bundesaußenminister richte. sionspunkt ist — ich habe gesehen, wie der Kollege Lamers, der bei mir selten zustimmend nickt, an dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Stelle zustimmend genickt hat —: Lieber Herr Kinkel, Sie haben soeben gesagt, die (Zuruf von der F.D.P.: Was immer das bedeu Verhandlungen haben in der Tat erst im April des tet!) vergangenen Jahres begonnen. Mit Spanien hat das Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dafür, daß alles in allem zehn Jahre gedauert, und deswegen ist wir keine unrealistischen Erwartungen wecken, son- das schon ein ungeheurer Erfolg, auch von dem dern mit Beitrittskandidaten realistisch sprechen, sol- Zeitrahmen her, der eingehalten werden konnte. Was len damit Länder in Zukunft nicht enttäuscht werden, Sie dabei im einzelnen getan haben, das wissen wir die in einem solchen Fall mit entsprechenden Auswir- nicht alles, aber das, was wir wissen, ist wirklich ein kungen auf ihre innere Diskussion zu rechnen hätten. Grund, zu sagen: Das hat sich gelohnt, und wir danken Dies ist meine Auffassung dazu. dafür. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jetzt hat mich der Kollege Irmer vorhin noch von Ich glaube, niemand wird besser als der Bundesau- dem letzten Punkt abgelenkt, den ich am Schluß mit ßenminister verstehen, wenn ich sage: Die starke Kraft ansprechen will. im Hintergrund und zuweilen auch im Vordergrund, Wie Europa weiter gebaut und ausgestaltet werden derjenige, der das alles erst auf den Weg gebracht und soll, darf, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht in in dieser Form ermöglicht hat, war der Bundeskanz- Beamtenstuben und in den Denkstrukturen der bishe- ler. rigen Europapolitik entwickelt und vorbereitet wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge - den. Wir warnen deshalb an dieser Stelle davor, die ordneten der F.D.P.) Konferenz, die Maastricht 1996 überprüfen soll, wie- der auf dem alten Wege vorzubereiten. Das nächste Er ist europäische Erfolge gewissermaßen gewohnt, Jahr, 1995, nach dem — hoffentlich dann erfolgten — das ist wahr; aber nichtsdestoweniger besteht aller Beitritt der vier genannten Länder, sollten wir für eine Anlaß, auch ihm noch einmal sehr herzlich zu dan- große, öffentliche Debatte in unserem Land über die ken. weitere Entwicklung Europas nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Das Ziel dieser Debatte muß vor allen Dingen sein, ordneten der F.D.P.) eine bessere Beteiligung von Bürgern und Bürgerin- Weshalb ist das eigentlich ein Erfolg, meine Damen nen an Entscheidungen zu erreichen. Jede neue und Herren? — Zuerst wird immer gesagt, das sind vertragliche Regelung für die Europäische Union muß einem Votum der Bevölkerung in Deutschland unter- Nettozahler. Aus der Sicht dieser Länder ist das worfen werden. Auch das muß deutlich sein. Eine sicherlich nicht das Wichtigste, im Gegenteil. Es ist ein Erfolg, weil diese Länder in die Europäische Union sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wird damit eine derartige Initiativen ergreifen. wollen und diese Union Bereicherung erfährt, und zwar zunächst einmal in kultureller Hin- (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist im sicht, wie ich meine. Jahre 2000 x!) Erstens freuen wir uns über diese Bereicherung Brüssel muß der Ort sein, an dem zukünftig nicht nur durch die Eigenarten dieser Länder, die Europa, das Meinungen der Regierungen, sondern auch Meinun- Europa der Europäischen Union, erzielt. gen der Bevölkerung ausgetauscht werden, damit Europa eine Zukunft hat. Zweitens freuen wir uns aber auch darüber, daß diese Länder ein politisches Europa wollen. Frau Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerk- Kollegin Wieczorek-Zeul, da sind wir einig. Sie wollen samkeit. ein politisches Europa und keine Freihandelszone, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Uta Würfel [F.D.P.]) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht und das ist, glaube ich, mindestens genauso wichtig, der Kollege Karl Lamers. wenn nicht noch wichtiger. 18596 Deutscher Bundestag — 1'2. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Karl Lamers Drittens freuen wir uns natürlich auch, weil Wir brauchen den festen Kern in Europa, sonst werden Deutschland auf diese Weise in vielen kritischen wir eine Gruppe Süd-West unter der Führung von Fragen zuverlässige und gute Partner gefunden hat Frankreich und eine Zone Nord-Ost unter der Füh- und weil diese Länder sicherlich an unserer Seite rung von Deutschland haben. Das wäre im Grunde stehen werden, wenn es um die Erweiterung der eine Wiederkehr des alten Systems im Vorkriegs- Gemeinschaft um die Reformländer im östlichen Teil deutschland, das viel Elend über alle Länder, vor allen unseres Kontinents geht. Dingen aber über unser eigenes Land, gebracht hat. Aber, meine Damen und Herren, die Verhandlun- gen und vor allen Dingen das, was noch offensteht, (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Aber die B riten müssen haben auch gezeigt, daß wir nach der Erweiterung doch auch dabei sein!) — nach der hoffentlich bald stattfindenden Erweite- — Die Briten müssen wir auch dabei haben. Aber sie rung — durch die genannten Länder in keiner leichten müssen, lieber Kollege Irmer, selber wollen, und zwar Lage sind. in einer bestimmten Weise wollen. Die spanische Position ist vielfach kritisiert worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich will gleich hinzufügen: Das, was von spanischer der SPD) Seite gesagt worden ist, ist nur zum geringsten Teil akzeptabel. Aber wir sollten die Sorgen der Spanier Sie dürfen nicht wollen, was wir eben nicht wollen ernst nehmen, Herr Minister. Spanien hat sich immer können, nämlich ein Freihandelseuropa. Das kommt als ein außergewöhnlich konstruktives Mitglied der in dem, was sich jetzt im Zusammenhang mit der Gemeinschaft erwiesen, gerade wenn es um die sogenannten Sperrminorität abspielt, leider zum Aus- Politik ging. Wir sollten schließlich auch nicht verges- druck. sen, daß Spanien doppelt so viele Einwohner wie ganz Des weiteren müssen wir jetzt die institutionelle Skandinavien zusammengenommen hat. Auch das ist Reform, die Regierungskonferenz von 1996, intensiv ein Faktor, den man bei aller Freude über die neuen vorbereiten. Sie wissen alle, daß nicht nur ich persön- Mitglieder nicht vergessen darf. lich, sondern viele Kollegen meiner Fraktion Beden- ken gegenüber dem Beschluß von Lissabon hatten. Ob Was die spanische Position in der Frage des Min- derheitenquorums angeht, so ist sie so nicht akzepta- er letztlich richtig war, ist noch nicht endgültig bewie- bel. Aber der Grundansatz, nämlich eine doppelte sen. Ich hoffe sehr, daß meine Skepsis widerlegt und Mehrheit — sowohl von Staaten wie auch von Bevöl- der Optimismus der Bundesregierung bestätigt wird. kerungen —, ist ein guter Ansatz, den nicht nur ich, Aber die Regierungskonferenz 1996 — das macht die sondern beispielsweise auch französische Politiker für Diskussion über die Sperrminorität nur allzu deut- lich — zeigt: Es wird nicht leicht sein. Deswegen die institutionelle Reform, die vor uns steht, öfters vorgeschlagen haben. müssen wir diese Diskussion vor allen Dingen hierzu- lande führen. Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, da sind Nicht akzeptabel — das sage ich mit allem Nach- wir einer Meinung: Wir müssen sie hier führen. druck, Herr Minister — ist die Position Großbritan- Ich glaube, daß wir in den zentralen Fragen hier niens. Ich kann nicht sagen, daß ich enttäuscht bin, einer Meinung sind. Alle wesentlichen Institutionen denn das würde heißen, daß ich mich getäuscht hätte; der Gemeinschaft müssen reformiert werden, nicht das habe ich nicht. Es ist leider eine Bestätigung zuletzt das Parlament. Weil hier so viel an das Euro- meiner Befürchtungen, die ich immer gehabt habe. päische Parlament appelliert worden ist, will auch ich Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie dieser das tun. Ich will aber auch hinzufügen, Herr Minister: Position nicht nachgibt. Denn der Preis wäre ganz Die Art und Weise, wie das Europäische Parlament entschieden zu hoch. Das würde in der Tat der Anfang jetzt entscheiden muß, kommt für ein Parlament, das des Wegs zur Verwässerung der Gemeinschaft zu seinen Auftrag ernst nimmt — ich sage es vorsichtig — einer Freihandelszone sein. Das kann nicht die Politik einer Zumutung nahe. der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesre- gierung sein. (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das ist nicht unsere Schuld!) Deswegen kommt es jetzt sehr darauf an, daß wir die richtigen Schritte tun. Was müssen wir in der Zukunft — Das ist nicht unsere Schuld; das ist wohl wahr. Aber tun, um die Gemeinschaft zusammenzuhalten? Mit es ist vor allen Dingen nicht die Schuld des Parla- der Vergrößerung ist sie auch spannungsreicher ments. Auch das muß man sagen. Wenn wir das geworden; das ist keine Frage. Da möchte ich Parlament unsererseits ernst nehmen wollen, dann zunächst sagen, daß vor allen Dingen wir Deutschen dürfen wir es eigentlich nicht in eine solche Lage die Aufgabe haben, Europa zusammenzuhalten. Das bringen. ergibt sich aus unserer Lage, von der Sie, Herr Gerade Finnland, Schweden und Österreich werfen

Minister, soeben zu Recht gesprochen haben. Aber ich neue Fragen in der Außen - und Sicherheitspolitik auf. will in aller Deutlichkeit gleich hinzufügen: Wenn wir Sie wollen, habe ich soeben gesagt, gottlob ein es alleine versuchten, würden wir es nicht schaffen. politisches Europa. Sie wollen in die Europäische Wir schaffen es nur zusammen, vor allen Dingen mit Union nicht zuletzt aus sicherheitspolitschen Gründen Frankreich. Nach meiner festen Überzeugung ist die — aus sicherheitspolitischen Gründen im weitesten Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutsch- Sinne —, aber unter Einschluß auch militärischer land noch wichtiger geworden, als sie es vorher Sicherheit. Sie warten auf unsere Initiativen. war. Wir werden Mitglieder in der Europäischen Union (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben, die nicht Mitglied in der NATO sind. Das kann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18597

Karl Lamers auf Dauer nicht gutgehen. Deswegen müssen wir den hochentwickelten Volkswirtschaften stärken. Dies europäischen Pfeiler in der Allianz schaffen und auch kommt allen Mitgliedstaaten zugute. diesen Ländern den Weg in die NATO über die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne europäische Integration der Verteidigung ebnen. Da ten der CDU/CSU) müssen wir uns jetzt mit aller Macht drangeben. Auch das wiederum ist nicht zuletzt eine Frage deutsch- Ich bin überzeugt, der Beitritt der EFTA-Staaten französischen Einvernehmens. wird der Europäischen Union neue Impulse geben. Dies haben auch die Erfahrungen aus der Vergangen- Ich weiß, hier gibt es auch in Teilen der Regierung heit gezeigt; denn die Erweiterung der EG in der manchmal gewisse Schwierigkeiten, wenn es um die Vergangenheit hat nicht nur in den neu hinzugekom- Konkretisierung der Idee vom europäischen Pfeiler menen Ländern einen Wachstumsschub ausgelöst, geht. Es gibt dazu keine Alte rnative, wenn die Allianz sondern auch in den alten Mitgliedstaaten. Es kann Zukunft haben soll, und sie muß und soll Zukunft deshalb nicht oft genug gesagt werden: Die Erweite- haben. Ob sie das hat, das hängt nicht zuletzt von rung der Europäischen Union bedeutet gerade für uns Deutschland, von unserer Politik ab. Ich fordere uns größere Absatzmärkte für unsere Produkte. Sie also auf, daß wir das tun, was Europa so dringend erlaubt größere Produktvielfalt, stärkeren Wettbe- braucht wie irgend etwas und was wichtiger ist als werb, intensivere Arbeitsteilung, und sie bringt damit alles andere, nämlich dafür zu sorgen, daß Europa mehr Arbeitsplätze und einen gesicherten Wohl- Erfolge hat. Das ist das Wichtigste, auch gegenüber stand. der internen Kritik in unserem L ande. Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dies ist leider nicht jedem bei uns bekannt. sowie bei Abgeordneten der SPD) Offensichtlich haben wir — Politiker, Medien — in der Kommunikation mit den Bürgern in der Vergan- genheit Fehler gemacht. Es muß in den vor uns Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste nimmt liegenden Wochen und Monaten gelingen, der Bevöl- das Wort die Kollegin Uta Würfel. kerung zu vermitteln, daß wir Europa brauchen, daß nur die Gemeinschaft der europäischen Staaten im Zeichen sich weltweit verschärfender wirtschaftlicher Uta Würfel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- Konkurrenz und weltpolitischer Wirren eine gesi- ginnen und Kollegen! Im Namen der F.D.P.-Fraktion cherte Zukunft und Frieden gewährleistet. danke ich unserem Bundesaußenminister, Dr. Kinkel, (Beifall bei der F.D.P.) für seinen großartigen persönlichen Einsatz. Gerade vor diesem Hintergrund ist der Abschluß (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der Beitrittsverhandlungen ein großer Erfolg. Die ten der CDU/CSU) Europäische Union hat ihre Handlungsfähigkeit unter Sie waren es, Herr Dr. Kinkel, der unermüdlich Beweis gestellt. Sie hat den Zweiflern bewiesen, daß- auseinanderdriftende Positionen wieder zusammen- sie auch unter schwierigen Bedingungen und bei allen geführt hat. Ihrer Zähigkeit und Ihrem Verhandlungs- unterschiedlichen Interessenlagen in der Lage ist, geschick ist dieses Ergebnis maßgeblich zu verdan- Entscheidungen von historischer Tragweite zu treffen. ken. Das ist gut so; denn Europa hat Erfolge dringend nötig. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Norwegen ist noch nicht mit im Boot. Wir Freien ten der CDU/CSU) Demokraten hoffen, daß es gelingt, in der nächsten Es ist schon bemerkenswert, liebe Kolleginnen und Woche zu einem positiven Abschluß zu kommen. Dies Kollegen, wie groß die Anziehungskraft der Europäi- ist auch notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen, schen Union für Außenstehende wie die beitrittswilli- um im Zeitplan bleiben zu können, der als geplanten gen EFTA-Staaten oder die Reformstaaten Mittel- und Beitrittstermin für alle vier Staaten den Anfang näch- Osteuropas ist. Dieses Begehren anderer Staaten, der sten Jahres vorsieht. Bis dahin bleibt noch viel zu Europäischen Union angehören zu dürfen, steht im tun. krassen Gegensatz zu der Stimmungslage in unserem Die Beitrittsverträge müssen in allen Mitgliedstaa- Lande, ten der Europäischen Union ratifiziert werden. Dar- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist sehr rich über hinaus sind in den Beitrittsländern Referenden tig!) vorgesehen. Die Verträge bedürfen auch noch der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Die Vor- die durch Äußerungen von Bedenkenträgern und bereitungen hierfür kosten selbstverständlich Zeit, Miesmachern veranlaßt und gekennzeichnet ist. und diese Zeit wird mit fortschreitender Dauer der (Dr. Wolfg ang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Verhandlungen mit Norwegen immer knapper. Die Leider wahr!) erfolgreiche Erweiterung — auch die Vorredner Wir Liberale sagen unseren Bürgern: Es gibt kein haben das bestätigt -- der Europäischen Union ist ein Zurück aus der europäischen Integration, wenn wir nicht zu unterschätzender Meilenstein für die euro- wirtschaftlich und politisch in Europa und in der Welt päische Einigung. Die neuen Länder werden die unseren Platz behaupten wollen. Gemeinschaft durch ihre demokratische Kultur, aber auch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ihre (Beifall bei der F.D.P.) 18598 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Uta Würfel Wir haben zur Fortsetzung der europäischen Integra- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht tion keine Alternative. Viele Menschen wissen inzwi- der Abgeordnete Dr. Hans Modrow. schen, daß die Umweltverschmutzung weder in der Luft noch in den Gewässern an den Grenzen halt- (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- macht. Sie wissen, daß die Globalisierung der Märkte Dr. Hans Modrow tin! Meine Damen und Herren! Gegen eine unaufhaltsam voranschreitet und daß das organisierte Erweite- rung der Europäischen Union ist gewiß nichts einzu- Verbrechen — leider — längst europaweit h andelt. wenden. Im Gegenteil, sie ist zu begrüßen. Die PDS/ Dieser Sachverhalt alleine schon macht ein gemeinsa- Linke Liste will, daß sich die Europäische Union mes europäisches Zusammengehen unabdingbar. öffnet, daß an europäischer Integra tion möglichst Vielen Menschen ist bewußt — allerdings nicht Herrn viele Staaten teilnehmen, daß Gesamteuropa gestaltet Stoiber —, daß der Nationalstaat alter Prägung auf wird. Und wir verstehen die Freude der Bundesregie- vielen Gebieten nicht mehr in der Lage ist, die rung darüber, daß endlich einige Nettozahler hinzu- ökologischen, ökonomischen und die innen- und kommen. außenpolitischen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Zugleich sind diese Beitrittsverhandlungen äußerst lehrreich, vor allem für jene, die einen Beitritt anstre- Wir haben am Ende dieses Jahrhunderts die große ben oder in Erwägung ziehen. Obwohl es sich in Chance zu einem friedlichen Zusammenwachsen diesem Fall um hochentwickelte Industriestaaten unseres europäischen Kontinents erhalten. Wir dürfen handelt, die bereits im sogenannten Europäischen uns diese günstige Gelegenheit nicht entgehen las- Wirtschaftsraum verbunden sind, ist die Bereitschaft sen; wir dürfen sie nicht verpassen. auf seiten der Union deutlich eingeschränkt, bei der (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Aufnahme neuer Staaten spezifische Aspekte ihrer ten der CDU/CSU) Interessen zu beachten. Und nicht nur das. Die Europäische Union schreibt Deshalb wollen wir, daß auch die Reformstaaten vor, wie der Maßanzug für jedes beitrittswillige L and Mittel- und Osteuropas, mit denen die Europäische auszusehen hat. Um wieviel anders werden die Vor- Union Europaverträge abgeschlossen hat, möglichst gaben ausfallen, wenn es sich um die ost- und bald der Europäischen Union beitreten können. — Da südosteuropäischen Länder handeln wird! Ebenso ist unterscheiden wir uns offensichtlich von Ihrer Auffas- abzusehen, daß sie ihren Anzug — um im Bild zu sung, Frau Wieczorek-Zeul. — Das Ergebnis der bleiben — erst irgendwann im nächsten Jahrtausend Verhandlungen mit den EFTA-Staaten ist hierfür ein bekommen werden. Ihre Probleme und die Europas positives Signal. Ich erwarte, daß die europäischen müssen aber heute gelöst werden. Abgeordneten bei der Abstimmung des Europäischen Parlaments im Mai der Erweiterung zustimmen wer- Unbestritten ist wohl auch, daß diese Verhandlun- den und daß sie noch zögernde europäische Kollegen gen mit ehemaligen EFTA-Staaten lange nicht so überzeugen. ausgegangen wären, wie geschehen, hätte nicht allen Beteiligten die Öffentlichkeit im Nacken gesessen, da Natürlich haben wir alle Verständnis für die Sorgen ja überall Volksabstimmungen durchgeführt werden- des Europäischen Parlaments bezüglich der Hand- müssen. Österreich setzte damit die volle Laufzeit lungsfähigkeit der Europäischen Union nach ihrer seines Transitabkommens durch. Für Schweden Erweiterung. Die Erweiterung der Union um weitere wurde ein Fonds für die dünnbesiedelten Gebiete Mitglieder darf natürlich nicht dazu führen, daß Mehr- geschaffen, weil es ansonsten blanker Nettozahler heitsentscheidungen im Rat in Zukunft schwieriger geworden wäre und damit bei der Volksabstimmung werden. Dies wäre kein Fortschritt für die europäische niemals eine Chance gehabt hätte. Einmal mehr zeigt Integration, sondern ein Rückschritt. sich, wie berechtigt und aktuell unsere Forderung ist, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) bei wichtigen europapolitischen Weichenstellungen auch in der Bundesrepublik Volksbefragungen durch- Die F.D.P.-Frak tion unterstützt daher die Bundesre- zuführen. gierung in ihrem Bemühen, bei der Festlegung der Meine Damen und Herren, diese Beitritte sind auch Mehrheitsverhältnisse im Rat an den bisherigen pro- in anderer Richtung lehrreich. Es ist offensichtlich, daß zentualen Relationen festzuhalten und diese für die die Europäische Union à la Maastricht als ein auf erweiterte Union festzuschreiben. Westeuropa begrenzter Interessenblock gestaltet (Beifall bei der F.D.P.) wird: schneller Weg zur Wirtschafts-, Währungs- und Politischen Union unter Einschluß einiger relativ star- Wir Liberale sind der Auffassung, daß das Europäi- ker west- und nordeuropäischer Länder, aber unter sche Parlament bei der Folgekonferenz zu Maast richt Ausschluß Osteuropas. im Jahre 1996, in der vor allem die institutionellen Fragen der Europäischen Union behandelt werden, (Vorsitz : Vizepräsident Helmuth Becker) stärker beteiligt werden sollte. Den weltwirtschaftlichen Konkurrenzinteressen der starken westeuropäischen Staaten und ihrer Wirt- Im Namen der F.D.P.-Fraktion wünsche ich unse- schaftskreise wird absolute Priorität eingeräumt. Die rem Außenminister, Herrn Dr. Kinkel, am nächsten Frage, ob die so seit Jahrzehnten gewachsenen inne- Dienstag den Durchbruch bei den Verhandlungen mit Norwegen. ren Strukturen, Regeln und Zielsetzungen unter den veränderten gesamteuropäischen Bedingungen nicht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne grundsätzlich überprüft und geändert werden müß- ten der CDU/CSU und der Abg. Heidemarie ten, wird gar nicht erst zugelassen, geschweige denn Wieczorek-Zeul [SPD]) ernsthaft diskutiert. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18599

Dr. Hans Modrow So wird auch verdeckt, daß in der Umbruchsituation sei. In diesem Licht besehen relativiert sich, was als der letzten fünf bis zehn Jahre die Chance zu einer historisch, als großer Sieg für Europa ausgegeben Diskussion über vernünftige Zukunftsmodelle für wird. Europa, für seinen Platz in der Welt, für seine Rolle auf Meine Damen und Herren, die Menschen im Lande dem Weg in das 21. Jahrhundert vertan wurde. durchschauen solches nicht nur, sie lassen sich eine Genauer gesagt, sie wurde weggeschoben, verhin- solche Wertung nicht länger bieten. Die Ergebnisse dert, nicht zuletzt mit beträchtlichem Zutun auch der der Referenden in Dänemark, in Frankreich, der Bundesregierung. Denn wer spricht heute noch vom Volksabstimmung in der Schweiz widerspiegeln das gesamteuropäischen Haus, von einer europäischen ebenso wie die in Deutschland bei verschiedenen Friedensordnung, auf die die Bundesregierung Umfragen festgestellte Europa-Müdigkeit. angeblich immer hingearbeitet hat? Waren das nur Die Bundesregierung muß endlich Europa als Zweckerklärungen, oder war es wirkliche Absicht? gesamteuropäischen Integrationsraum akzeptieren, Im gegenwärtigen Europakonzept der Bundesre- in dem eine wachsende Vielfalt von Kooperations- gierung kommen das Zusammenwachsen von Ost und und Integrationsformen nebeneinander bestehen und West und damit Gesamteuropa für die nächsten 10 bis zusammenarbeiten. Die unabdingbare Debatte über 20 Jahre lediglich als Nebenschauplätze vor. Zumeist die Veränderung der Europäischen Union muß aus sind es Worthülsen ohne praktische Gestaltung. unserer Sicht mit einer Debatte über Wege und Wenn dieser Kurs weiterverfolgt wird, dann zerfällt Formen der gesamteuropäischen Integration verbun- Europa unweigerlich in mehrere Klassen: die obere den werden. Klasse, die die Konvergenzkriterien erfüllt und zu der Dabei ist klar, daß sich ein solcher gesamteuropäi- auch die jetzt neu aufgenommenen Länder gehören scher Integrationsraum weder ausschließlich nach sollen. Das erklärt zugleich die besondere Eile der dem EU-Modell noch nach irgendeinem abstrakten Verhandlungen wie das deutsche Engagement. Modell entwickeln kann, sondern sowohl aus heute vorhandenen als auch neuen bzw. im Keim sich Es gibt eine zweite Klasse, die diese Kriterien nicht entwickelnden Strukturen gebildet werden muß. Und erfüllen kann und folglich an der Währungsunion lebensfähig wird er nur sein, wenn die innere Vielfalt nicht teilnehmen wird. Europas gewahrt und weiterentwickelt wird. Es entsteht eine dritte Klasse, die nicht nur an der Auch die KSZE könnte, wenn alle ihre Körbe Währungsunion nicht teilnimmt, sondern der die ver- modernisiert und weiterentwickelt würden, dazu schiedensten Sonderbedingungen, also abgestufte einen wesentlichen Beitrag leisten. Rechte und Pflichten, gewährt wurden. Auch wenn die Europäische Union sich erweitert, Schließlich gibt es die vierte, unterste Klasse von wird die Gestaltung Europas als Ganzes als historische europäischen Staaten, denen für längere Zeit oder Aufgabe bestehenbleiben. immer die Tore der EG wie einer gegenseitig vorteil- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) haften Zusammenarbeit verschlossen bleiben. Hier liegen das Hauptproblem und der Hauptkonflikt aus gesamteuropäischer Sicht, auch wenn allen Klassen Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und der Keim von Auseinandersetzungen und Kon flikten Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Konrad in Wirklichkeit immanent ist und auch bleibt. Weiß das Wort. Damit ist klar: Die jetzt erfolgte Erweiterung, die viele andere Probleme außer acht läßt, wird die Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): inneren Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die die ohnehin schon be trächtlichen Verteilungskämpfe, Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt es nach- die Differenzierung in mehrere Klassen von Europä- drücklich, daß die Verhandlungen der Europäischen ern noch verstärken. Die stark technokratisch und Union über die Aufnahme Österreichs, Schwedens nach dem Recht des Stärkeren funktionierenden inne- und Finnlands erfolgreich abgeschlossen werden ren Strukturen und Entscheidungsmechanismen der konnten. Wir würdigen, Herr Außenminister, Ihre Maastricht-Union werden diesen Entwicklungsten- konstruktiven und energischen Bemühungen, hierfür denzen nicht gerecht. die Voraussetzungen zu schaffen. Zugleich bedauern Diese Erweiterung wird Folgeprobleme mit sich wir, daß es noch nicht gelungen ist, die Aufnahme bringen, und zwar nicht nur jene, die bei den Ver- Norwegens in die Europäische Union zu vereinbaren. handlungen zur Sprache kamen und mit deutschem Das vorläufige Scheitern dieser Verhandlungen ist Druck überspielt wurden. enttäuschend, zumal hierdurch auch die baldige Auf- nahme der drei anderen Staaten wieder in Frage Die Beitrittsverhandlungen haben gezeigt, daß der gestellt sein könnte. Beitritt zur Europäischen Union für keine Seite zum Die egoistische Haltung Spaniens und Großbritan- Nulltarif zu haben ist. Er kostet die Union, wie aus niens, die eine Einigung mit Norwegen verhindert Brüssel zu hören ist, etwa 3,6 Milliarden ECU allein an haben, ist antiquiert und wird den politischen Erfor- höheren Verwaltungsaufwendungen. dernissen am Ende dieses Jahrhunderts nicht gerecht. Und niemand kann behaupten, daß mit dieser Es mag berechtigt sein, nationale Interessen so vehe- Erweiterung die Handlungsfähigkeit der Europäi- ment einzufordern und zu verteidigen, aber ein paar schen Union bei der Einbeziehung der osteuropäi- Schiffsladungen Fisch sind eher eine kuriose Bar riere. schen Länder in einen engeren wirtschaftlichen und Da sollte sich doch wirklich ein Kompromiß finden politischen Integrationszusammenhang gewachsen lassen. 18600 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Konrad Weiß (Berlin) Problematischer ist zweifellos die Veto-Arithmetik, die deutsche Einheit aufgebracht haben. Ich bin das zweite entscheidende Hindernis. Wenn Großbri- überzeugt, daß die baldige Integration der osteuropäi- tannien und Spanien aber die Erweiterung der Euro- schen Bruderländer — ich benutze ganz bewußt päischen Union wirklich wollen, müssen sie sich in diesen Begriff hier — auch den Integrationsprozeß dieser Frage bewegen. Die Forderung des Europäi- innerhalb Deutschlands befördern würde. schen Parlaments, das Vetorecht in der Europäischen (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Da bekommen Sie Union an die neue Lage anzupassen, die mit der Aufnahme weiterer Länder entsteht, ist jedenfalls Ärger mit Ihren Emanzen! „Schwesterlän vernünftig und angemessen. der" heißt das!) (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Richtig!) — Bruder- und Schwesterländer, okay. Bruder- und Schwesterländer deshalb, weil wir, die Ostdeutschen, Das Beispiel der anderen Beitrittskandidaten zeigt die Polen, die Ungarn, die Tschechen und die Slowa- doch auch, daß Kompromisse möglich sind. ken, Wir fordern die Bundesregierung auf, in ihren (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: Bemühungen um eine Lösung für Norwegen nicht Vielleicht könnte man auch „Geschwister nachzulassen und die starrsinnigen und sturen Part- länder" sagen!) ner, die sich gegen eine Lösung sperren, mit Nach- druck an die politische Vision von einem vereinten vier Jahrzehnte lang das Schicksal einer kommunisti- Europa zu erinnern. schen Diktatur und der sowjetischen Besatzung geteilt haben, weil wir Gemeinsamkeiten im Widerstand und (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Auch richtig!) in unserer Selbstbefreiung haben, die uns tief verbin- Denn natürlich ist jedes Land, das Mitglied in unserer den, uns Ostdeutsche jedenfalls tiefer als mit den Gemeinschaft wird, eine Herausforderung und ein Ländern, die heute zur Europäischen Union gehö- Gewinn für die ganze Europäische Union — politisch, ren. kulturell und früher oder später auch wirtschaftlich. Wir wünschen uns, endlich ganz ohne Zwang (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. — gleichberechtigte und gleichgestellte Partner in einer Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: umfassenden Gemeinschaft der Europäer zu sein. Wenn bei Ihnen schon niemand klatscht, müssen wir das jetzt tun!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Jede nationale Vereinsmeierei ist angesichts dessen Ohne die osteuropäischen Reformstaaten muß die einfach albern. Wir ermutigen die Bundesregierung, Europäische Union fragmentarisch bleiben, ein gut- unbedingt an dem Ziel festzuhalten, die vier Länder gemeinter, aber nicht lebensfähiger Torso. Ich denke, am 1. Januar 1995 in die Europäische Union aufzu- gerade wir Deutschen sollten zu weitreichenden nehmen. Zugeständnissen, die die politische Integration dieser Länder ermöglichen, bereit sein. Meine Damen und Herren, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - NEN erwartet von der Bundesregierung, daß sie sich Mehr noch: Wir müssen dafür Opfer bringen, und mit der gleichen Energie und Hartnäckigkeit auch für wir müssen zur Reduzierung unseres Wohlstands die Mitgliedschaft Ungarns und Polens einsetzt. bereit sein. Gerade gegenüber Polen, das ein mutiger Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie war, haben (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.] — wir eine besondere Verpflichtung. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Alle Anwesenden!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Mit Freude haben wir die Ankündigung dieser F.D.P.) beiden Länder zur Kenntnis genommen, in nächster Nicht zufällig richten sich die Hoffnungen Polens auf Zeit die Aufnahme in die Europäische Union beantra- die bevorstehende deutsche Präsidentschaft im Rat gen zu wollen. Die enge Einbindung der osteuropäi- der Europäischen Union. schen Reformstaaten in die Gemeinschaft der Euro- päer ist für uns ein vorrangiges Ziel. Die soeben Das von Polen angedachte Konzept, die politische angekündigten jährlichen Gipfeltreffen des amtieren- Anbindung vorzuziehen, sollten wir ernsthaft prüfen. den Präsidenten des europäischen Ministerrates und Unser politisches Ziel muß es sein, die Beziehungen des Präsidenten der Europäischen Kommission mit im wirtschaftlichen Bereich so zu intensivieren, daß den Regierungschefs Ungarns, Polens, der Tschechi- die angestrebte volle Mitgliedschaft für Polen und schen Republik, der Slowakei sowie Bulgariens und Ungarn zur Jahrtausendwende vollzogen werden Rumäniens sind ein erster Schritt zur vertieften politi- kann. schen Zusammenarbeit. Unser gemeinsames Ziel Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat immer aber muß es sein, möglichst bald die volle Mitglied- wieder gefordert, daß sich die westlichen Märkte schaft dieser Länder zu erreichen. schnellstmöglich für die europäischen Reformstaaten (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: öffnen müssen und daß wir die egoistische Politik der Richtig!) Abschottung, der Isolation und des Subventionsmus, die wir gegenwärtig auch zu Lasten der osteuropäi- Ich habe oft den Eindruck, daß die Vorbehalte und schen Reformstaaten noch be treiben, aufgeben. Bedenken gegen die Mitgliedschaft der osteuropäi- schen Reformstaaten den Blick auf den Gewinn ver- Es ist von elementarer Bedeutung für die Festigung stellen, den ihre Mitgliedschaft bedeuten würde. Ich der Demokratie und für die wirtschaftliche Stabilisie- wünschte mir hierfür denselben Elan, wie wir ihn für rung dieser L ander, daß sie eine klare und sichere Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18601

Konrad Weiß (Berlin) Perspektive für ihren Weg in die Europäische Union sche Bürgerkriegsflüchtlinge über Rumänien abzu- haben. schieben. Zur Stunde tagen in Wien die Vertreter von (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne sechs europäischen Ländern, darunter der Bundesre- ten der CDU/CSU) publik Deutschland, um eine konzertierte Abschiebe- aktion für Bürgerkriegsflüchtlinge vorzubereiten. Das Hinhalten, das Verzögern, das Vertrösten, die unsere gegenwärtige Politik ausmachen, sind unwür- Soeben haben die Kirchen uns, die Politiker, zu dig und wirken destabilisierend. Wir müssen uns klar Recht und mit Nachdruck aufgefordert, dafür zu darüber sein, daß eine offene, einladende Politik der sorgen, daß jeder Einzelfall sorgfältig geprüft und Europäischen Union das beste Mittel gegen postkom- beim geringsten Zweifel an der Sicherheit der Flücht- munistische Nostalgien, gegen nationalistische Verir- linge in ihrem Herkunftsland die Abschiebung nicht rungen oder resignative Trägheit in den Reformstaa- zugelassen wird. Ausdrücklich zeigten sich die Kir- ten ist. chen beunruhigt und besorgt darüber, wie deutsche Behörden gegenwärtig mit Flüchtlingen umspringen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] Albaner aus dem Kosovo, Christen aus der Türkei, armenische Christen, Flüchtlinge aus Angola und aus [F.D.P.]: Eine wichtige Bemerkung!) dem Sudan und Flüchtlinge aus Bosnien-Herzego- So gesehen ist eine klare Perspektive für den wina sollen, so fordern es die Bischöfe, eine Zeitlang in baldigen Beitritt Polens, Ungarns und anderer osteu- Deutschland Zuflucht und Sicherheit finden dürfen. ropäischer Reformstaaten auch in unserem ureigen- sten Interesse. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat immer wieder eine gemeinsame europäische Flüchtlings- (Beifall bei der F.D.P.) und Einwanderungspolitik angemahnt und es als einen gravierenden M angel der Maastrichter Ver- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Weiß, träge angesehen, daß sich die Europäer dieser Her- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen ausforderung nicht gestellt haben. Aber wir haben Irmer? damit nicht das gemeint, was die Bundesregierung und andere europäische Regierungen nun praktizie- Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ren, nämlich die ausschließliche Kooperation bei der Ja, natürlich. Abwehr von Einwanderern und Flüchtlingen. Ich bin mir gewiß, meine Damen und Herren, daß Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Irmer. die Europäische Union nicht überleben wird und eines Tages wieder in antike Nationalstaaten zerfallen muß, wenn wir nicht in einer gemeinsamen Kraftan- Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Kollege Weiß, vor dem Hintergrund dessen, was Sie über die Perspektive des strengung zu einer humanen und großzügigen Ein- Beitritts der mittelosteuropäischen Länder zur Euro- wanderungs- und Flüchtlingspolitik finden. Oder aber das vereinte entartet zu einem hypertrophen päischen Union — dies teile ich voll — gesagt haben, Europa - möchte ich Ihnen die Frage stellen: Wie halten Sie es Nationalstaat, der sich nach außen hin radikal und aggressiv abschotten muß. denn mit dem Wunsch dieser Länder, auch der NATO beizutreten? Ich frage dies vor dem Hintergrund der Wir erwarten von der Bundesregierung eine verant- Beschlüsse, die vorletztes Wochenende auf dem Par- wortliche Europapolitik, die sich nicht vor diesen teitag der GRÜNEN gefaßt wurden, nämlich daß zugegebenermaßen außerordentlich schwierigen und Deutschland aus der NATO austreten solle. komplizierten Problemen drückt. Ich danke Ihnen. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie wissen, Herr Kollege Irmer, daß es — das ist (Beifall bei der F.D.P.) legitim — in dieser Frage innerhalb unserer Partei unterschiedliche Positionen gibt. Ich darf hier bemer- ken, daß die Bundestagsgruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht identisch ist mit der Partei, sondern Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und daß uns 1990 andere Menschen gewählt haben, unter Herren, bevor ich weiter das Wort erteile, begrüße ich anderen Bedingungen, und daß wir diese Interessen auf der Ehrentribüne vier Kollegen aus der Staatsver- zu vertreten haben. sammlung Sloweniens. Sie sind hier, um sich über die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Was zu informieren. heißt das?) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der abschließend noch auf einen anderen Aspekt der F.D.P. und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ europäischen Integration eingehen, der unbedingt NEN) auch Gegenstand einer gemeinsamen europäischen Wir freuen uns über Ihren Besuch und wünschen Politik werden muß: eine humane Einwanderungs- Ihnen und Ihrem Land, der Republik Slowenien, eine und Flüchtlingspolitik. Es ist doch beschämend, daß gute Zukunft in europäischer Nachbarschaft. die Kooperation der europäischen Staaten heute vor (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der allem in der Suche nach den besten Abwehrmecha- F.D.P.) nismen und Abschiebewegen besteht. Wir haben gestern in der Aktuellen Stunde nachdrücklich den Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist Versuch von Bund und Ländern kritisiert, jugoslawi- unser Kollege Peter Kittelmann. Bitte sehr. 18602 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Peter Kittelmann (CDU/CSU): Herr Präsident! verdanken dies entscheidend auch der europäischen Meine Damen und Herren! Die Freude, ja zum Teil Integration. sogar die spürbare Eupho rie vor allen Dingen in den Augen der Schweden und der Österreicher über den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und erfolgreichen Abschluß der Beitrittsverhandlungen der F.D.P.) mit Osterreich, Schweden und Finnland haben Sie hat dazu beigetragen, alte Rivalitäten und Kon- bewiesen: Europa hat noch nicht die Fähigkeit verlo- flikte zwischen beteiligten Nationen zu überwin- ren, sich wieder freuen zu können. den. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Viele vergessen auch zu leicht, daß wir durch den Dieser großartige Sieg der Vernunft wird von den Prozeß der europäischen Einigung unsere Kräfte in Europa zum gegenseitigen Vorteil bündeln konn- relativ kleinlichen Problemen beim Beitritt Norwe- ten. gens überschattet. Das ist hier mehrfach erwähnt worden. Sie stehen in keinem Verhältnis zu unserem Es sind wieder Länder außerhalb der Europäischen großen Erfolg der zu Ende gebrachten Verhandlun- Union, die uns in diesen Tagen die großen Vorteile der gen. Mitgliedschaft in der Europäischen Union vor Augen führen. Der erfolgreiche Abschluß der Beitrittsver- Dieser Erfolg ist so, Herr Bundesaußenminister, daß handlungen mit Österreich, Finnland und Schweden wir Ihnen mehrfach danken können. Die CDU/CSU ist sehr zufrieden und glücklich darüber, daß es Ihnen ist ein Beweis für die hohe Attraktivität und Anzie- hungskraft dieser Europäischen Union. gelungen ist, hier Erfolg zu haben. Wir wünschen Mit ihrem Beitritt rechnen sich diese Staaten vorteilhafte, inter- Ihnen dieses Glück des Tüchtigen auch in den näch- sten Wochen. essante und vielversprechende Chancen und Mög- lichkeiten in Wirtschaft und Politik aus. Ihr Wille, ein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Teil der Europäischen Union zu werden, ist ein überzeugendes Beispiel für Hoffnung, Zuversicht und Meine Damen und Herren, wir werden uns diesen Vertrauen in die Zukunftschancen des gemeinsamen Erfolg durch das Nichteinigsein über einige Tonnen Europas. Fisch und durch eine wichtige offene Frage bei der Stimmenverteilung im Ministerrat nicht in Frage stel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und len lassen. So wichtig dies im Detail auch ist, es geht der F.D.P.) jetzt schließlich um eine herausragende Chance in der Ich bitte uns als Parlamentarier, als Deutscher Geschichte des europäischen Einigungsprozesses. Bundestag — die große Übereinstimmung in dieser Der europäische Kontinent kann durch eine schnelle Diskussion ist ja hier auch spürbar —, dieses auch im Erweiterung nach Nord- und Mitteleuropa weiter Gespräch mit dem Bürger in Deutschland stärker als stabilisiert werden. bisher zu vermitteln. Das ist übrigens auch ein positi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ves Bekenntnis für mehr Demokratie, Bürgernähe und Subsidiarität. Es geht um die Chance einer Neuorientierung und Neuordnung in Europa. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich fordere deshalb für die CDU/CSU alle beteilig- ten Verhandlungspartner auf, die letzten Stolper- Meine Damen und Herren, der Wunsch zum Beitritt steine für eine Aufnahme aller vier Beitrittskandida- ist eine Bestätigung für uns Europäer und, Herr ten zum 1. Januar 1995 schnellstmöglich beiseite zu Bundeskanzler, auch ein Beweis für die erfolgreiche räumen. Europapolitik der Bundesrepublik Deutschland. Da- für gebührt Ihnen unser Respekt und unser herzlicher (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dank. Die CDU/CSU erwartet auch vom Europäischen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Parlament — auch wenn richtig gesagt worden ist, diesem Parlament wird jetzt viel zugemutet —, diesem Wir sollten uns daran erinnern, daß wir der Europäi- Beitritt schnellstmöglich zuzustimmen. schen Gemeinschaft ein nie zuvor gekanntes Maß an Wohlstand verdanken. Viele wollen das einfach nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mehr wahrhaben. Knapp drei Viertel unseres Expo rts Der Schaden, der anderenfalls entstehen würde, wäre gehen in den Europäischen Wirtschaftsraum, rund in keiner Weise zu rechtfertigen. zwei Drittel unserer Importe kommen von dort. Diese Tatsachen werden von Gegnern der europäischen Wir sollten uns daher auch im Bundestag bemühen Einigung häufig bewußt verdrängt. Wer daher heute — und dies, wie wir vorhin gehört haben, in voller für „weniger Europa" plädiert, setzt viele Millionen Übereinstimmung mit der Bundesregierung —, das Arbeitsplätze aufs Spiel, die durch die Verflechtung Ratifizierungsverfahren über den Beitritt im Deut- mit unseren Partnern in Europa gesichert werden. schen Bundestag spätestens im Juni 1994 abzuschlie- ßen. Die Idee Europa lebt aber nicht nur von der Wirt- schaftspolitik. Europa braucht täglich ein Stück Emo- Wir erfahren es täglich im Gespräch mit den Bür- tionalität. Es ist durchaus richtig und sehr treffend gern: Bei vielen von ihnen ist mittlerweile in Verges- formuliert, wenn Jacques Delors behauptet, m an senheit geraten, wo die Ursachen liegen, daß wir seit könne sich nicht in einen Binnenmarkt verlieben. Die 40 Jahren im westlichen Europa in Frieden leben. Wir Betonung einer emotionalen oder visionären Seite ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18603

Peter Kittelmann deshalb überaus wichtig. Ohne sie werden es die heit und Wohlstand in Freiheit und Frieden geben Bürger schwer haben, Europa zu verstehen. — heute und morgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Vor allen Dingen müssen wir die Jugend für die ordneten der F.D.P.) enormen Herausforderungen und Möglichkeiten des gemeinsamen Europas gewinnen. Meine Damen und Herren, wir alle wissen — und es wird noch gesagt werden —: Der Beitritt ist mit vielem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU verbunden, auch mit einer besseren Finanzausstat- sowie der Abg. Uta Würfel [F.D.P.]) tung, auch mit mehr Ausgewogenheit und Vielfalt in Europa. Wir spüren es doch: Die jungen Menschen haben ein Als Berliner möchte ich sagen: Ich freue mich auch sehr viel größeres Interesse an dem neuen Europa, an darüber, daß Deutschland mit seiner Hauptstadt Ber- den Herausforderungen, als viele es wahrhaben wol- lin näher in die geographische Mitte der Europäischen len. Geben wir diesen Jungen eine Chance für die Union rückt. Berlin erhält damit wieder seinen histo- Zukunft, indem wir heute unsere Aufgaben positiv rischen Platz im Herzen Europas. erledigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ordneten der F.D.P.) der F.D.P.) Die Europäische Union hat ohne Zweifel ihre Vor- teile und ihre Anziehungskraft bewiesen. Die Chan- Die Vision eines gemeinsamen Europas ist notwen- cen, Möglichkeiten und Perspektiven bestehen da rin, dig, weil wir wissen, daß nur im Verbund die anste- daß die Europäische Union mehr zu bieten hat, als henden Probleme zu lösen sind. Die Vision eines viele glauben. Diese Fähigkeiten, diese Stärken und Europas, das die Staaten in der Union vereint, ohne diese Überzeugungskraft der Europäischen Union nationale Identitäten zu verwischen, in dem wir alle gilt es zu bewahren und weiterzuentwickeln. Dieses voneinander lernen, ohne unsere berechtigten Inter- — das ist unsere Pflicht in den nächsten Monaten und essen aufzugeben, diese Vision muß mit Leben erfüllt Jahren — muß auch dem Bürger deutlicher als bisher und fest verankert werden. vermittelt werden. Häufig nicht bewußt, hat Europa heute einen posi- Schönen Dank. tiven Rang im Leben eines jeden einzelnen Bürgers. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Manche Bürger werden sich dessen erst bewußt, wenn man sie darauf anspricht, daß das, was sie an persönlichen Erfolgen in ihrem Leben zu verzeichnen Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und haben, auch mit Europa zusammenhängt. Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Gerald Thalheim das Wort. Vor diesem Hintergrund ist der Beitritt Österreichs und der skandinavischen Länder so wichtig. Er ist ein - Zeichen dafür, daß sich die Europäische Union nicht Dr. Gerald Thalheim (SPD): Sehr geehrter Herr abschottet, sondern offen ist und offen bleibt. Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem erfolgreichen Abschluß der Beitrittsverhand- Die Neuaufnahme ist auch ein Signal der Hoffnung lungen mit Österreich, Schweden und Finnland rückt und der Zuversicht für einen künftigen Beitritt für die Erweiterung der Europäischen Union in greifbare Staaten in Mittel- und Osteuropa. Polen und Ungarn Nähe. Noch vor wenigen Jahren wäre die Erweite- haben bereits angekündigt, in Kürze das formelle rung mit Jubel begrüßt worden. Heute, in einer Zeit Gesuch um Mitgliedschaft in der Europäischen Union zunehmender „Europamüdigkeit", sind die Reaktio- zu präsentieren. Die jetzt neu aufzunehmenden Län- nen in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend. Das ist der werden sicherlich gute Weggefährten für Han- um so unverständlicher, als von der Erweiterung der delserleichterungen und für eine rasche und echte Union eine Stabilisierung zu erwarten ist. Das gilt Marktöffnung der Europäischen Union für Produkte sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer aus Mittel- und Osteuropa sein. Sie werden auch treue Hinsicht. Verbündete für eine mögliche spätere Osterweiterung Deshalb ist es schwer zu verstehen, daß die starre der Europäischen Union sein. Haltung einiger Mitgliedsländer zur Unterbrechung der Beitrittsverhandlungen mit Norwegen geführt Wenn auch diese weitere Öffnung nach Osten noch hat. Damit wird — was nach meiner Auffassung noch nicht in greifbare Nähe rückt, so ist die klare Beitritts- schwerer wiegt — das Gesamtvorhaben der Erweite- perspektive für die Länder Mittel- und Osteuropas ein rung in Frage gestellt. Diese Haltung ist um so Lebenselexier. Sie schöpfen daraus Kraft, und die fragwürdiger, als es sich bei den beitrittswilligen gewaltigen Anstrengungen für einen grundlegenden Staaten um Länder handelt, die auf eine lange demo- Wandel werden sie nur meistern, wenn sie diese kratische Tradition zurückblicken können und mit Hoffnung von uns immer wieder bestätigt bekom- denen die Länder der Union historisch, kulturell, men. politisch und geographisch eng verbunden sind. Nach dem stürmischen Umbruch in Gesellschaft, Wenn die politische Dimension der Beitrittsver- Politik und Wirtschaft dieser Staaten ist dort heute handlungen weder von den Medien noch von den eine neue Aufbruchstimmung spürbar, die nach fester Bürgern angemessen wahrgenommen wurde, so liegt Orientierung und erhöhter Sicherheit strebt. Wir müs- das nach meiner Auffassung auch daran, daß in der sen diesen Staaten eine faire Chance für mehr Sicher- öffentlichen Diskussion kaum über die Chancen der 18604 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Gerald Thalheim Erweiterung, sondern vordergründig über Detailfra- Beitritt dieser Länder mit Nachdruck verfolgt werden gen der Fischerei und der Landwirtschaft berichtet müssen. wurde. Auch bei einer grundsätzlich positiven Bewertung (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der des Verhandlungsergebnisses werden meines Erach- F.D.P.) tens die Grenzen der gegenwärtigen Agrarpolitik aufgezeigt. Mit der Erweiterung nimmt die Vielgestal- Diejenigen, die sich damit nur am R ande befassen, tigkeit der Landwirtschaft zu. Das wirft die Frage auf, mögen darin ein Indiz dafür sehen, daß die politischen ob für alle Regionen, vom Polarkreis bis zur Ägäis, Folgen des Beitritts nur gegenüber den Partikularin- nach dem gleichen Regelwerk Landwirtschaft und teressen einer Berufsgruppe abgewogen werden. Agrarpolitik betrieben werden können. Ich bin der Sowenig eine solche Bewertung für gleichgelagerte Überzeugung, daß eine stärkere Regionalisierung vor Fragestellungen innerhalb der Union zutrifft, sowenig allem vor dem Hintergrund des Beitritts dieser Länder gilt das auch für die Erweiterung. unumgänglich sein wird. Die Frage der Zukunft von Fischerei und Landwirt- (Beifall bei der SPD) schaft ist eng mit der Zukunft ländlich geprägter, oft strukturschwacher Regionen verbunden. Die Art der Von einer Erweiterung der Europäischen Union um landwirtschaftlichen Nutzung hat gerade in den skan- Österreich und die skandinavischen Länder ist eine dinavischen Ländern und in Österreich charakteristi- größere Sensibilität für die Entwicklungen in Osteu- sche Kulturlandschaften geprägt. In der Landwirt- ropa zu erwarten. Zum Beispiel hat bei einem Beitritt schaft spiegeln sich jahrhundertealte Traditionen von Finnland die Europäische Union eine gemein- wider, die in den Ländern oft identitätsstiftenden same Grenze mit Rußland, von der Brückenfunktion Charakter haben. Finnlands zu den baltischen Republiken ganz zu schweigen. Die Beitrittsländer haben in der Vergan- Auch wenn Landwirtschaft und Fischerei in den genheit einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Beitrittsländern heute bei weitem nicht mehr die Ost-West-Verständigung geleistet. Diese Entwick- wirtschaftliche Bedeutung haben wie in der Vergan- lung muß sich mit den Reformländern Osteuropas genheit, werden die Konditionen dort bei den Bei- fortsetzen. trittsverhandlungen mit über die Referenden zum Beitritt in die Union entscheiden. (Beifall bei der SPD) Vor diesem Hintergrund ist es positiv zu bewerten, Wo in der Vergangenheit Europa durch den Kalten daß es im Rahmen der Beitrittsverhandlungen, mit Krieg gespalten wurde, gibt es heute eine tief ein- Ausnahme von Norwegen, gelungen ist, einen fairen schneidende Wohlstandsgrenze. Ziel europäischer Kompromiß zu finden. Dabei resultierten die Pro- Politik muß es sein, diese Grenze, das Wohlstandsge- bleme nicht wie bei vorangegangenen Beitrittsver- fälle Schritt für Schritt zu überwinden. Von einer handlungen aus der Überproduktion von Agrarer- Erweiterung werden dazu wesentliche Impulse aus- zeugnissen, sondern aus dem hohen Außenschutzni- gehen. veau und dem sehr hohen inneren Stützpreisniveau Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die der Beitrittsländer. Es ist ein Verhandlungserfolg der Beitrittsverhandlungen, mit Ausnahme von Norwe- Union, daß es trotzdem zu einer binnenmarktkonfor- gen, erfolgreich abgeschlossen wurden, so ist das men Lösung gekommen ist, d. h. zu einer sofortigen nach meiner Auffassung das Ergebnis einer behutsa- Integration der Beitrittsländer in die gemeinsame men Verhandlungsführung und der Kompromißfähig- Agrarpolitik. keit der Union, ohne dem Druck nachzugeben, in Beliebigkeit zu verfallen. Die Politik der Beitrittsver- (Beifall bei der SPD) handlungen muß in der Behandlung dieses Themas Die dadurch notwendig werdenden Beihilfen für bis zu den Referenden und danach bei der weiteren die Landwirtschaft sind national zu gewähren, wobei Integration dieser Länder ihre Fortsetzung finden. für die Übergangszeit ein agrarbudgetärer Ausgleich Von der Gemeinschaft müssen klare Signale ausge- vereinbart wurde. Das bedeutet, daß die Zahlungsver- hen, daß in einem fairen Prozeß die europäischen pflichtungen an die Union mit dem Beihilfeanspruch Länder und Nationen Schritt für Schritt enger zuein- für die eigene Landwirtschaft verrechnet werden. andergeführt werden, ohne daß nationale Interessen Ähnlich positiv sind die Regelungen für die skandi- verleugnet oder die Identität aufzugeben wären. navische und die alpenländische Landwirtschaft, ein- Die Einigung Europas ist keine politische Aufgabe schließlich der Milchquoten, zu bewerten. Danach für Legislaturperioden, sondern für Generationen. wurde Schweden eine Aufstockung eingeräumt und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der den Ländern Norwegen, Finnland und Österreich die F.D.P.) Möglichkeit eröffnet, die Milchproduktion in Höhe von 550 000 t wiederaufzunehmen. Trotzdem sind für Die Menschen und Völker dürfen in diesem Prozeß den Milchmarkt keine zusätzlichen Belastungen zu nicht überfordert werden. erwarten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uta Eine gleiche Einschätzung kann für den Rind- Würfel [F.D.P.]) fleischsektor, für Zucker und Getreide gegeben wer- den. Allerdings ist umgekehrt auch nicht mit einer Entlastung des gemeinsamen Agrarmarktes zu rech- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und nen. Das heißt, die Aufgabe, auf ein stärkeres Markt- Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Gero gleichgewicht hinzuwirken, wird auch nach dem Pfennig. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18605

Dr. Gero Pfennig (CDU/CSU): Herr Präsident! Teilausschnitt aus der zu erstellenden Konzeption für Meine Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich die die künftige Größe der Europäischen Union und die Europäische Union am 1. März 1994 mit Schweden, dafür erforderliche Struktur. Finnland und Österreich in fast allen Sachfragen auf Andere Fragen, wie z. B klare Abgrenzung der die Bedingungen für den Beitritt geeinigt hat, treten im Zusammenhang mit den stockenden Verhandlun- Zuständigkeiten der Union von denen der Mitglied- gen mit Norwegen wieder zwei Probleme in den staaten, Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, An- passung der Einnahmen und Ausgaben an die Aufga- Vordergrund, die die damaligen Altmitglieder der Europäischen Gemeinschaft schon bei den Beitritts- ben der Union und Mitentscheidung des Europäi- schen Parlaments in allen Bereichen, sind weit wich- verhandlungen mit Spanien und Portugal vor eine tigere Strukturfragen. Zerreißprobe gestellt haben: das institutionelle Gleichgewicht im Entscheidungsverfahren und die Ich hoffe, daß die Bundesregierung Großbritannien finanzielle Ausgeglichenheit. überzeugen kann, das Thema auf 1996 zu vertagen. Ich behaupte: Daß die Verhandlungen am 15. März Ansonsten droht nämlich die Vertagung des Beitritts 1994 mit Norwegen fortgesetzt werden müssen, liegt aller vier Länder auf 1996, was doch wohl niemand weniger an Norwegen als an den Unionsmitgliedern will. selbst. Unter ihnen hat wieder einmal das altbekannte Die zweite aktuelle Hürde für den Beitritt ist wieder Spiel begonnen: Wie sichere ich mir möglichst viele einmal die Frage der finanziellen Belastung und Vorteile aus dem Beitritt schon jetzt und schließe Geldverteilung unter den Mitgliedstaaten. Die Union etwaige spätere Nachteile von vornherein aus? ist in der glücklichen Lage — wie es schon mehrere Dabei waren sich ursprünglich alle Unionsmitglie- Redner vor mir gesagt haben —, mit den vier Beitritts- der untereinander und auch mit dem Europäischen ländern vier wirtschafts- und finanzstarke, wenn auch Parlament einig, in gleicher Weise wie bei den Bei- bevölkerungsschwache Mitglieder hinzu zu bekom- trittsverhandlungen mit Spanien und Portugal vorge- men. Alle vier Länder sind sogenannte Nettozahler. hen zu wollen: zunächst Erweiterung der Union und Die jetzt gefundene Finanzlösung sieht allerdings danach Vertiefung der Integration. Der beschlossene eine vierjährige Übergangsfrist vor, in der die Zeitplan — Beitritt zum 1. J anuar 1995, Revision der Zuflüsse in den EG-Haushalt nur relativ gering aus- Verträge im Jahre 1996 — ist bei gutem Willen aller fallen werden. Man rechnet mit knapp 500 Millionen Unionsmitglieder und des Europäischen Parlaments DM Mehrzufluß pro Jahr. Deshalb erscheint es mir auch jetzt noch einhaltbar. unmöglich, schon jetzt über die Verteilung zukünftig Diesen guten Willen haben der Außenminister und vielleicht entstehender Mehreinnahmen zu reden, der Bundeskanzler angemahnt. Für mich scheint die wie dies Spanien mit Blick auf den Kohäsionsfonds deutsche Regierung wieder einmal — wie schon will und Frankreich mit Blick auf das Agrarsubven- 1985 — die Bürde übernehmen zu müssen, die Mit- tionssystem versucht hatte. gliedstaaten zur Einhaltung des Zeitplans für die Ich denke, gerade Spanien sollte sich daran erin- Erweiterung überreden zu müssen. Wir, der Deutsche nern, wie wenig gut es das Verhalten der alten Bundestag, wünschen, daß die Bundesregierung auch Mitglieder der EG in dieser Frage bei den Beitrittsver- diesmal Erfolg hat, Herr Außenminister. handlungen mit Spanien und Portugal Anfang der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. 80er Jahre fand, das die Beitritte ja um Jahre verzögert sowie bei Abgeordneten der SPD) hatte, sehr zum Ärger und zum Verdruß Spaniens. Wir sind dem Präsidenten des Europäischen Parla- Spanien sollte jetzt bei den neuen Beitrittsverhand- ments für seine Ankündigung, alles für eine rechtzei- lungen nicht das gleiche tun. tige Ratifikation der Beitrittsverträge vor der Europa- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der wahl im Juni 1994 tun zu wollen, dankbar. Damit SPD) könnte die Bevölkerung in den vier Beitrittsstaaten im zweiten Halbjahr 1994 über die Verträge abstimmen Wir unterstützen die Haltung der Bundesregierung, und die Europäische Union bei positivem Ausgang am die Finanzmechanismen derzeit im Prinzip unverän- 1. Januar 1995 fast das ganze westliche Europa dert zu lassen und die finanzielle Vorausschau nur umfassen. insoweit zu ändern, wie dies im Hinblick auf den Beitritt selbst notwendig ist. Sollten tatsächlich erheb- Erst damit sind die Voraussetzungen für Beitritts- liche Mehreinnahmen entstehen, wird man sie 1996 verhandlungen mit mittelosteuropäischen Staaten zur Entlastung der derzeit am meisten belasteten wie Ungarn, Polen und Tschechien gegeben, deren Mitgliedstaaten heranziehen müssen. Zu diesen am Beitritt der Union und den in ihr zusammengeschlos- meisten belasteten Mitgliedstaaten zählt übrigens senen Demokratien endlich ein mehr kontinentales auch Deutschland. Gefüge geben würde. Im übrigen sollte die Bundesregierung für die Revi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sion der Finanzregeln der Union im Jahre 1996 auch der F.D.P. — [CDU/CSU]: daran denken, daß sowohl der Finanz- als auch der Sehr gut, Gero!) Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages Die aktuellen Schwierigkeiten unter den zwölf hierzu bereits vor längerer Zeit klare Vorstellungen Mitgliedstaaten sollten angesichts des Ziels über- entwickelt haben, nämlich klare Aufteilung der zu windbar sein. Die Frage der Sperrminorität bei Mehr- finanzierenden Aufgaben zwischen Union und Mit- heitsentscheidungen im Ministerrat gehört in den gliedstaaten, klare Trennung bei der Gesetzgebung Katalog der Revisionsthemen für 1996. Sie ist nur ein und Steuerertragshoheit, wirksame Beschränkung 18606 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Gero Pfennig des Zugriffsrechts der Union auf das Steuereinkom- Was Großbritannien betrifft, so stehen sie ja men der Mitgliedstaaten, Zuweisung eigener fester sowieso immer unter dem leichten Vorverdacht, daß Einnahmen an die Gemeinschaft auf Grund von sie die Europäische Gemeinschaft in ihrer Handlungs- Steuerarten oder daran festgelegten Anteilen. fähigkeit nicht stärken, sondern schwächen wollen. Die Union darf nicht Kostgänger der Mitgliedstaa- Wenn man unter einem solchen Vorverdacht steht, ten sein, diese dürften aber auch nicht Kostgänger der dann sollte man nichts tun, was diesen Verdacht auch Union sein. Nur wenn die Union über echte eigene noch bestärkt und begründet. Einnahmen verfügt, gilt das Prinzip, daß sie ihre (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Karl Ausgaben auch nach ihren Einnahmen ausrichten Heinz Hornhues [CDU/CSU]) muß und sich nicht mehr oder minder auf Beiträge der Ihre Verhaltensweise jetzt bei den Abstimmungs- Mitgliedstaaten zur Deckung der Ausgaben verlassen rechten zeigt eindeutig, daß sie weniger daran inter- kann. essiert sind, Entscheidungen zu ermöglichen, als viel- Meine Europaerfahrung sagt mir, daß dieses mehr daran, Entscheidungen blockieren zu können. Reformthema genauso wichtig ist wie alles andere. Das ist kein Beitrag zur Stärkung der Europäischen Alle wirtschaftlichen, politischen, sozialen und sonsti- Union, sondern das ist ein Beitrag zur Schwächung der gen Vorteile, die die Union ihren Bürgern bringt — sie Europäischen Union. Deshalb sagen wir: Laßt die sind hier dargestellt worden —, müssen auch auf Finger davon, verfolgt eine andere Politik, verhaltet finanzieller Ausgeglichenheit beruhen, damit das euch proeuropäisch und nicht insular. Ganze für die Bürger akzeptabel ist. Das haben uns übrigens gerade wieder einmal auch die Wünsche der (Beifall bei der SPD, der F.D.P. sowie bei Beitrittskandidaten vor Augen geführt. Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Insgesamt ist die Norderweiterung der Europäi- sowie bei Abgeordneten der SPD) schen Union ein großer Gewinn — das ist schon gesagt worden — für die Demokratie, für die soziale Substanz und für die Umwelt. Ich meine, daß eine solche Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und erweiterte Europäische Union auch mehr Kraft hat, Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Karsten den Wunsch der osteuropäischen Partner auf Mit- Voigt das Wort. gliedschaft zu befriedigen, (Beifall der Abg. Uta Würfel [F.D.P.]) Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Herr Präsident! weil nämlich die Voraussetzung für die Stabilisierung Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns in Osteuropa durch die innere Kraft der Europäischen sind die neuen europäischen Partner, die bisherigen Union dann auch verbessert wird. EFTA-Staaten, nicht nur Partner einer Vernunftehe, sondern auch einer Liebesheirat. Ich fordere unsere Ich bin natürlich mit Herrn Lamers einer Meinung, Freunde in Spanien und in Großbritannien auf, sich daß wir eine europäische sicherheits- und verteidi- nicht wie egoistische Tanten zu verhalten, sondern gungspolitische Identität brauchen. Aber er irrt -in wie großzügige Mitglieder einer erweiteren Großfa- einem Punkt: Es geht nicht darum, daß wir erst milie, die wissen, daß die anderen sowieso reinkom- handlungsfähig werden, wenn alle, die der Europäi- men und daß die künftigen Beziehungen einen schen Union beitreten, Mitglied der NATO und der schlechten Start haben, wenn man so mickerig verteidigungspolitischen Identität sind. Das heißt, es beginnt. geht nicht darum, daß sie dies werden müssen, son- dern es geht hier um „können"; denn z. B. Finnland (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) hat als Mitglied der Europäischen Union auch wenn es Deshalb möchte ich meine spanischen Freunde nicht der NATO beitritt, schon indirekt eine stabilisie- — und wenn Sie so wollen: Genossinnen und Genos- rende Wirkung für die baltischen Staaten. sen — daran erinnern, daß sie damals, als sie sich um den Beitritt in die Europäische Gemeinschaft bewor- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) ben haben, auf den heftigen Widerstand von einigen Deshalb sollte man, wenn m an an Sicherheit denkt, Mitgliedstaaten der damaligen kleineren Gemein- nicht nur immer an Panzer und an irgendwelche schaft stießen. Damals gab es Demons trationen in Militärs denken — das sage ich als jemand, der sonst Südfrankreich, z. B. von den viticulteurs, den Wein- in diesem Bereich gar nicht so schüchtern ist —, bauern, die aus durchaus verständlichen Gründen (Heiterkeit und Zustimmung bei der Abg. gesagt haben: Das entspricht nicht unseren Interes- Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) sen. sondern man muß eben primär an die sicherheitspoli- Dann haben wir sehr gedrängt, und die Franzosen tische Wirkung von ökonomischer Stabilität und von sind letzten Endes über diese engstirnige Sicht ihrer Vernetzung denken. Interessen gesprungen, und Spanien wurde Vollmit- glied der Europäischen Gemeinschaft. Wir erwarten (Beifall bei der SPD) nichts anderes von unseren spanischen Freunden, als Herr Lamers, ich habe nichts gegen die Erweiterung daß sie sich genauso langfristig und großzügig und der NATO, nichts gegen eine verteidigungspolitische perspektivisch verhalten, wie andere Staaten es getan Identität, aber verwechseln Sie nicht die militärische haben, als sie Mitglied der Europäischen Gemein- Komponente, die auch unvermeidlich ist, mit der schaft werden wollten. gesamten Substanz. Das ist eine solche Sicherheitspo- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der litik nicht. Die ist primär ökonomisch und auf Vernet- F.D.P.) zung ausgerichtet, erst sekundär militärisch. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 10. März 1994 18607

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Ich habe Anfang der 70er Jahre in Norwegen als es beitragen, daß alle unsere Nachbarn Freunde auch das erste Referendum dort gab, eine Reihe von Ver- der Deutschen sind. ist so ähnlich zu anstaltungen gemacht. Die Fischfrage Dann tragen wir indirekt auch dazu bei — das rten, als würde man im Ruhrgebiet für die bewe sollten wir auch tun —, daß sie sich untereinander Stillegung der Zechen eintreten. Das ist nicht nur eine vernetzen und miteinander Freundschaft schließen. Frage von Ökonomie, von Prozentsätzen des Brutto- sozialprodukts, sondern das ist eine Frage der Psycho- (Beifall bei der SPD, der F.D.P. sowie bei logie eines Landes und einer Region. Wenn man will, Abgeordneten der CDU/CSU) daß dieses Land in die EU aufgenommen wird, dann Das heißt: Deutschland als Hauptmotor einer europäi- muß man diese Psychologie berücksichtigen. Dann schen Vernetzung und Integration entspricht unseren darf man sich nicht so verhalten, daß m an in Wirklich- Interessen, entspricht aber auch den Interessen der keit abschreckt, statt sich anzunähern. Nachbarn, ist nicht allein durch die geographische Deshalb sage ich, daß diese Fischfrage, die wirklich Lage bedingt und ist in keinem Fall identisch mit ökonomisch für die anderen Staaten der Europäischen früheren Mitteleuropakonzepten, die es in Deutsch- Union soviel nicht bedeutet, wegen ihrer hohen Sen- land gegeben hat und die nicht positiv zu bewerten sibilität In Norwegen bei uns auch mit größerer waren. Kompromißbereitschaft beantwortet werden sollte. (Vorsitz: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) (Beifall bei der SPD — Bundesminister Nun gibt es bei uns im Bundestag — so wie es Dr. Klaus Kinkel: Sehr gut!) scheint — leider keine Einigung über die Europapoli- Daran zeigt sich nämlich, ob m an Kleinkrämer ist oder tik. Die CSU hat heute bisher nicht richtig mitdisku- ob man politische Perspektiven hat. tiert. Man muß diesen Faktor CSU, glaube ich, mit in Ich erwarte einfach, daß m an in der Europäischen die Diskussion einführen, weil man nicht erwarten Union die Erweiterung der EG nicht nur wie die — so kann, daß die CDU ihn von sich aus in die Diskussion wichtig das ist — 22. Ergänzungsnovelle zur Reichs- einführt. Ich sage an die Adresse der CDU/CSU, dabei versicherungsordnung betreibt, sondern daß man sie besonders an die der CDU: Ihre europapolitische als eine Perspektive der Europäer auffaßt, die die Verantwortung, die Sie immer in den Vordergrund Bürger verstehen. Ich verstehe nicht, daß man einer- stellen, gebietet es trotz des Wahlkampfes, daß Sie seits immer sagt, die europäischen Entscheidungen den Mut haben, sich mit der wahnsinnigen Theo rie sollen von den Bürgern verstanden werden — das und den Stammtischparolen von Herrn Stoiber aus- sagen die Spanier und die B riten auch —, daß man sich einanderzusetzen. dann aber bei der praktischen Durchführung so ver- (Beifall bei der SPD — Dr. Karl-Heinz Horn hält, als ginge es um irgendeine technische Ausfüh- hues [CDU/CSU]: Das war eine so schöne rungsverordnung zu einem Detailproblem. Rede; jetzt macht er alles wieder kaputt!) Es geht hier um die generelle Perspektive. Sie sind Herr Kittelmann hat gesagt, die Idee der europäi-- in dieser Frage im Parlament mit uns einer Meinung. schen Vereinigung, die Idee der europäischen Inte- Wir sind alle in diesem Punkt einer Meinung. Das ist gration brauche auch Emotionalität. Das ist richtig. gut so. Aber sie braucht bestimmt keine Emotionalität im Ich glaube aber, daß wir den Deutschen auch sagen Sinne der Stammtischmentalität von Herrn Stoiber. sollten, daß die Osterweiterung später, die Norder- (Beifall bei der SPD — [CDU/ weiterung jetzt deutschen Interessen entspricht. Ich CSU]: Aber Ihre Reden und Ihre Belehrun benutze den Begriff der Mittellage nicht gern. Das ist gen!) immer ein gefährlicher Beg riff in der deutschen Geschichte gewesen. Diese Art und Weise, wie hier an primitive antieuro- päische Instinkte appelliert wird, müssen wir gemein- (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek sam zurückweisen. Zeul [SPD]) (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist unglaublich, Den kann man leicht vermeiden; denn der Begriff von was Sie hier machen!) Mitteleuropa hört sich vom Caféhaus in Wien etwas anders an als von der Reichshauptstadt Berlin. Wenn Dazu müßten Sie in dieser Debatte den Mut aufbrin- wir gar nach Berlin gehen, so bin ich — das sage ich gen. auch immer — hinsichtlich des Beg riffs Mitteleuropa (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Herr Kollege sehr skeptisch. Ich sage bewußt „Reichshauptstadt"; Mayer spricht anschließend und wird Ihnen denn damals gab es in Deutschland ein Mitteleuropa- das sagen!) konzept, das eine Dominanz zum Inhalt hatte. — Entschuldigen Sie, das, was Herr Stoiber gestern in Deshalb sage ich: Wir Deutschen sollten mit den Brüssel gesagt hat, war in bezug auf seine Vision Begriffen Mitteleuropa und Mittellage etwas vorsich- Europas auch nicht viel besser. Dort kamen auch tiger umgehen. Das hört sich bei unseren Nachbarn wieder alte antieuropäische Vorurteile zum Aus- etwas anders an, als wir es vielleicht meinen. Unser druck. Motiv sollte nicht sein, die Mitte Europas zu sein, sondern unser Motiv muß sein, ein stabilisierender (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist über Faktor in Europa zu sein. Wir können nur dann ein haupt nicht wahr! Sie kennen gar nicht den stabilisierender Faktor in Europa sein, wenn wir ganzen Text! Lesen Sie doch einmal den multilateral eingebunden sind, d. h. wenn wir dazu ganzen Text durch!) 18608 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Weil wir nicht möchten, daß in dieser Europade- Edmund Stoiber ein leidenschaftlicher Europäer aus batte die Argumente der Republikaner schon jetzt auf Überzeugung ist. dem Umweg über die CSU im Parlament Eingang (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) finden — wo die Republikaner hoffentlich nie Platz nehmen werden —, müssen wir diesen Ungeist von Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Anfang an zurückweisen und verurteilen. geplante Beitritt Finnlands, Norwegens — hoffent- lich —, Österreichs und Schwedens — dies darf am (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uta Ende einer solchen Debatte ruhig noch einmal gesagt Würfel [F.D.P.]) werden — bringt Vorteile für alle Europäer innerhalb Zum Schluß: Ich glaube, daß die Deutschen insge- und außerhalb der Union. Er dient auch in ganz samt und auch die Bundesregierung — ich lasse die besonderem Maße dem deutschen Interesse. Die Bei- CSU beiseite — einen Konsens gefunden haben, der trittsstaaten sind wirtschaftlich leistungsfähig. Als von unseren Nachbarn als konstruktiv empfunden Nettozahler werden sie Deutschland entlasten. Die wird. Wir sollten in der gleichen Weise fortfahren. Wir Zahl der Länder, die mehr einzahlen, als sie bekom- sollten nicht — wie manche Ihnen, Herr Kinkel, men, wird wachsen. Damit wird auch ihre Posi tion empfohlen haben — mit der Faust auf den Tisch gestärkt. Der Binnenmarkt wird größer und leistungs- schlagen. Wir sollten im Sinne einer konstruktiven fähiger. Das kommt einer Exportnation wie Deutsch- Herangehensweise auf eine Kompromißbildung hin- land in besonderem Maße zugute; das gibt auch wirken und sie möglich machen. Chancen für neue Arbeitsplätze. Ein Deutschland, das nicht nur auf Grund seines (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und großen Gewichts in der Lage ist, mit der Faust auf den der Abg. Uta Würfel [F.D.P.]) Tisch zu schlagen, sondern das auch in der Lage ist, Kompromisse zwischen anderen herbeizuführen, Die Beitrittsstaaten zeichnen sich dadurch aus, daß dient seinen eigenen Interessen am meisten. Ein bei ihnen ähnliche politische Ziele wie bei uns einen solches Deutschland ist partnerfähig, wirbt für neue hohen Stellenwert haben. Ich nenne zwei Beispiele. Partner und erreicht auch, daß wir von allen als Staaten wie Österreich, die schon lange eine Politik Partner angesehen werden. Insofern ist diese Art der Währungsstabilität betreiben, werden auch wich- europäischer Orientierung das, was unseren Interes- tige Partner und Verbündete sein, wenn es darum sen am meisten dient und unsere Nachbarn am geht, letztlich die Europäische Währungsunion zu meisten von uns erwarten und erhoffen, und zwar verwirklichen. besonders nachdem wir vereinigt sind. Ich hoffe, daß (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) wir in diesem Sinne gemeinsam fortfahren. Oder ich nenne den Umweltschutz. Die Hartnäckig- Danke. keit der Österreicher beim Transitabkommen kommt (Beifall bei der SPD) auch den Bürgern Bayerns zugute. Abgasärmere und leisere Lkw, die die Österreicher durchgesetzt haben, führen auch zu besseren Umweltbedingungen in Als letzter spricht in Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bayern und letztlich in ganz Deutschland. dieser Debatte unser Kollege Dr. Martin Mayer. Finnland, Schweden und Österreich haben durch ihre geographische Lage ein ebenso vitales und ele- Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): mentares Interesse wie wir Deutschen, daß den Län- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was der dern in Osteuropa, unseren Nachbarn in Osteuropa Kollege über den bayerischen Minister- geholfen wird und daß sie eine vernünftige politische präsidenten gesagt hat, und wirtschaftliche Entwicklung nehmen können. (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: War (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Uta beleidigend!) Würfel [F.D.P.]) war unter seinem Niveau. Von der geographischen Lage her hat der Beitritt (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Selbst unter Österreichs zur Europäischen Union auch eine beson- seinem!) dere Bedeutung für meine Heimat, für Südbayern. Die Das große Verdienst von Edmund Stoiber ist, daß er deutsche Grenze nach Südosten ist dann nicht mehr die Debatte um Europa in Deutschland in Gang Außengrenze, sondern sie wird eine Binnengrenze. gesetzt hat, (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Der wächst — und hoffentlich kommt Zuruf von der F.D.P.: Aber wie!) Alpenraum auch die Schweiz bald dazu — wieder zu einem und zwar eine allgemeine Diskussion, nicht eine nur einheitlichen Wirtschaftsraum zusammen. in akademischen Stuben. Er hat die Sorgen der Mitbürger aufgegriffen und in die Debatte einge- (Zustimmung bei der CDU/CSU) bracht. Die Bürger werden, wenn die Zoll- und Grenzkontrol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — len wegfallen, unmittelbar spüren, daß sie Vorteile Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war gut davon haben: weniger Stau am Wochenende und bei so!) Urlaubsfahrten. Wer die Reden von Edmund Stoiber genau liest und Italien rückt näher. Von München aus ist Meran in ihn so kennt wie ich — ich kenne ihn aus langjähriger Luftlinie genauso nah wie Erlangen und Venedig gemeinsamer politischer Arbeit —, der weiß, daß genauso nah wie Frankfurt. Das muß man sich einmal Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18609

Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) vor Augen halten. Jahrhundertealte kulturelle und Ich darf zusammenfassend sagen: Mit dem Beitritt wirtschaftliche Beziehungen können wieder lebendi- von neuen Mitgliedstaaten wird es immer dringlicher, ger werden. die Institutionen zu reformieren — mit dem Ziel, die Europäische Union wieder stärker handlungsfähig zu Der Beitritt Österreichs hat auch große Bedeutung machen. Dennoch: Der Beitritt von Österreich, Schwe- für das Gewicht der deutschen Sprache. Die Chance, den, Finnland und Norwegen liegt im deutschen und daß Deutsch als Arbeitssprache in der Europäischen europäischen Interesse. Die Bundesregierung wird Union mehr Gewicht bekommt, ist dadurch, daß ein deshalb gebeten, die Beitritte weiter mit Nachdruck zweiter Staat mit deutscher Sprache in die Union zu fördern, denn Europa ist unsere Zukunft. kommt, einfach besser. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Uta Meine Würfel [F.D.P.]) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Damen und Herren, damit kann ich die Aussprache Der Beitritt von weiteren Staaten hat allerdings schließen. nicht nur eine Schokoladenseite. Er verstärkt auch ein Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- Problem in der Europäischen Union, das bisher schon empfehlung des EG-Ausschusses zu der Entschlie- vorhanden ist und das gewachsen ist: Die Europäische ßung des Europäischen Parlaments zur Erweiterung Union ist schon bisher durch Erweiterungen schwer- der EG. Dazu liegen Ihnen die Drucksachen 12/5536 fälliger geworden. Ursprünglich waren es 6 Staaten und 12/6653 vor. Wer stimmt dieser Beschlußempfeh- mit 4 Sprachen. Jetzt sind wir in der Situation, 12 Staa- lung zu? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Dann ten mit 9 Sprachen zu haben, und nach dem Beitritt ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenom- werden es 16 Staaten mit 12 Sprachen sein. Jeder neu men. aufgenommene Staat vergrößert die Gremien. Jede zusätzliche Sprache erschwert die gemeinsame Mei- Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: nungsbildung, die Entscheidungsfindung und verzö- a) Zweite und dritte Beratung des von den gert den Verwaltungsablauf. Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur In einer Welt, die sich rasch wandelt, ist das ein nicht Umsetzung des Beschlusses des Deutschen hinzunehmender Nachteil. Es ist deshalb höchste Zeit, Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollen- daß wir nach dem Beitritt in Europa wieder zu Struk- dung der Einheit Deutschlands (Berlin/ turen kommen, mit denen wir schneller gemeinsam Bonn-Gesetz) handeln können. Das erfordert letztlich eine grundle- — Drucksache 12/6614 — gende Änderung des inneren Aufbaus der Union. Statt an einer Entscheidung immer mehr Institutionen zu (Erste Beratung 205. Sitzung) beteiligen, müssen wir wieder mehr dazu kommen, aa) Beschlußempfehlung und Be richt des daß die Aufgaben und die Verantwortung deutlicher Ältestenrates getrennt werden. — Drucksache 12/6993 — - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Berichterstattung: der Abg. Uta Würfel [F.D.P.]) Abgeordnete Brigitte Baumeister Ina Albowitz Das gilt sowohl hinsichtlich der Ins titutionen inner- Helmut Esters halb der Gemeinschaft als auch im Verhältnis der bb) Bericht des Haushaltsausschusses Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten und (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- Regionen. In beiden Teilen müssen wir zu einer ordnung deutlicheren Aufgaben- und Verantwortungsteilung kommen. — Drucksache 12/6994 — Berichterstattung: Ich meine beispielsweise, daß sich der Regionalaus- Abgeordnete Dieter Pützhofen schuß sehr wohl die Frage überlegen muß, ob er sich Ina Albowitz zu einer dritten Europäischen Kammer entwickeln Helmut Esters will, die in allen Fragen mitredet, oder ob er sich nicht b) Beratung der Beschlußempfehlung und des besser darauf beschränkt, wirklich der Wächter über Berichts des Ältestenrates zum die Zuständigkeiten der Länder und der Regionen zu sein und damit effektiv und wirksam in seinem dritten Zwischenbericht der Konzeptkom- Bereich zu arbeiten. mission des Ältestenrates zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundesta- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ges vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands (Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cro nenberg) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hans Modrow, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Skan- der PDS/Linke Liste dinavier mit ihrem ungebrochenen, ungezwungenen Umzug der Bundesregierung und des Deut- und natürlichen Verhältnis zu ihren Nationen und die schen Bundestages Österreicher mit ihren bundesstaatlichen Erfahrun- gen werden für uns wichtige Partner sein, wenn es zu dem Antrag der Abgeordneten Hans darum geht, in Europa zentralistische Bestrebungen Martin Bury, Simon Wittmann (Tännes- abzuwehren und ein Europa der Vielfalt zu bauen. berg), Birgit Homburger und weiteren Abgeordneten 18610 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Umsetzung des Beschlusses des Deutschen des Provisoriums. Ohne Zweifel hat Bonn seine Auf- Bundestages vom 20. Juni 1991 über den gaben hervorragend gemeistert. Umzug von Parlament und Bundesregie- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) rung nach Berlin Die Geschichte der Stadt ist aufs engste mit der zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ver- neten Angela Stachowa und der Gruppe der knüpft. Berlin ist Zukunft für unsere Demokratie und PDS/Linke Liste zur Beschlußempfehlung damit sichtbarer Beweis für die deutsche Wiederver- des Ältestenrates (Drucksache 12/2850) einigung. zum zweiten Zwischenbericht der Konzept- Ausdrücklich festgeschrieben — nicht nur im Zwi- kommission des Ältestenrates zur Umset- schenbericht, sondern auch im Beschlußentwurf — ist zung des Beschlusses des Deutschen Bun- das Zeitziel für den Umzug: In der übernächsten, destages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung nämlich der 14. Legislaturperiode möglichst früh, der Einheit Deutschlands spätestens jedoch in der Sommerpause des Jahres — Drucksachen 12/6615, 12/6618, 12/6623, 2000 soll der Deutsche Bundestag — und mit ihm die 12/2886 (neu), 12/6993 — Bundesregierung — die Arbeit in Berlin aufnehmen. Berichterstattung: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Abgeordnete Brigitte Baumeister der F.D.P. — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Ina Albowitz Je eher, desto besser!) Helmut Esters Der eine oder andere Kollege mag mit der Festschrei- c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeord- bung dieses Zeitziels seine Schwierigkeiten haben. neten Angela Stachowa und der Gruppe der Manche mögen auch den Umzug an sich noch in Frage PDS/Linke Liste stellen. Doch die Zustimmung, so hoffe ich, wird all Verwirklichung der Entscheidung des den Zweiflern dadurch erleichtert, daß das Gesetz Deutschen Bundestages vom 20. Juni eine faire Arbeitsteilung zwischen der Bundeshaupt- 1991 stadt Berlin einerseits und der Bundesstadt Bonn — Drucksachen 12/2146, 12/3045 — andererseits festschreibt. Ich weise darauf hin, daß die Gruppe PDS/Linke Dies bedeutet Ansiedlung von Bundesministerien Liste zur Schlußabstimmung über den Entwurf des in Berlin und in Bonn. Mit diesem Kombinationsmo- Berlin/Bonn- Gesetzes namentliche Abstimmung dell soll der Beschluß vom 20. Juni 1991 mit Leben wünscht. Nach unserer Geschäftsordnung kann eine erfüllt und dem oft befürchteten „Rutschbahneffekt" namentliche Abstimmung aber nur von einer Fraktion entgegengewirkt werden. Sowohl Berliner als auch oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglie- Bonner haben also — das wollte ich Ihnen an dieser der des Bundestages verlangt werden. Ob der Antrag Stelle sagen — Kompromisse schließen müssen. Es der Gruppe PDS/Linke Liste die erforderliche Unter- war gut so, daß wir hier gemeinsam zu diesem stützung hat, wird kurz vor der Schlußabstimmung Ergebnis gelangt sind. - festzustellen sein. Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Nach der Vereinbarung im Ältestenrat soll ich Ihnen Herren, noch einige Worte zu der Beschlußempfeh- eine Debattenzeit von einer Stunde vorschlagen. Ist lung sagen, die in der letzten Ältestenratssitzung auf das Haus damit einverstanden? — Das ist offensicht- Wunsch der CDU/CSU-Fraktion noch einige Ergän- lich der Fall. zungen erfahren hat. Ich meine, ein ganz besonders wichtiger Punkt der Beschlußempfehlung findet sich Ich eröffne die Debatte und erteile zunächst der unter dem Buchstaben c wieder. Do rt wird für die Kollegin Frau Brigitte Baumeister das Wort. Bauten des Bundestages und der Bundesregierung das Prinzip der äußersten Sparsamkeit bekräftigt. Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Herr Präsident! Außerdem ist eine Absenkung der Kosten aller Bau- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach maßnahmen anzustreben. langen Diskussionen und zähen Abstimmungsprozes- (Peter Conradi [SPD]: Deswegen die Kup sen liegt Ihnen heute zur zweiten und dritten Beratung pel!) das Berlin/Bonn-Gesetz vor. Auch ein weiterer — der — Nein, Herr Kollege Conradi, die Kuppel ist hier dritte — Zwischenbericht der Konzeptkommission des ausdrücklich nicht explizit erwähnt. Ältestenrats soll heute zustimmend zur Kenntnis genommen werden. Dieses Gesetz, so meine ich, ist (Peter Conradi [SPD]: Ist eine Zwischenfrage ein Meilenstein auf dem Weg zur Umsetzung des erlaubt, Herr Vizepräsident?) Beschlusses vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der — Ich halte einen Augenblick inne, weil ich Sie schon Einheit Deutschlands. gesehen habe, Herr Conradi. Ich würde gerne Ihre (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Zwischenfrage beantworten. der F.D.P.) Beide Städte, Bonn und Berlin, gewinnen nun — ich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte, Herr habe es schon häufig erwähnt — jede für sich die Kollege. gewünschte Planungssicherheit. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Peter Conradi (SPD): Ist die Beschlußlage Ihrer Für Bonn, Sinnbild der deutschen Geschichte seit Fraktion, Frau Kollegin, so zu verstehen, daß der dem Jahre 1949, bedeutet dies das endgültige Ende Reichstag in einer gehobenen Pinselsanierung mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18611

Peter Conradi Kuppel — und das alles zum halben Preis — in wir wollen in Berlin ein Parlament bauen bzw. Ordnung gebracht wird? umbauen, das auch in Zukunft Bestand hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Völliger Unsinn! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Völliger Unsinn! — Peter Kittelmann [CDU/ Im übrigen ist bezüglich der Aufregung gerade aus CSU]: Heute ist nicht der Tag der Polemik, den Reihen der Sozialdemokraten einiges zu bemer- Herr Conradi!) ken. Immerhin werden dort die Zahlen so schnell gewechselt, daß es manchmal schwerfällt zu folgen. (Widerspruch bei der SPD — Zuruf von der Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Ich halte die For- SPD: Wie beim Waigel!) mulierung schon für recht interessant; das muß ich Ich beziehe mich hier auf eine Aussage des Vorsitzen- Ihnen zugestehen. Aber wir haben nie davon gespro- den des Haushaltsausschusses, Rudi Walther, chen, daß das auch mit der Kuppellösung zum halben Preis zu machen sei. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ja, das ist ein dicker Hund! Er hat 100 Milliarden Dieser Punkt der Kostenreduktion hat im übrigen in gesagt, und jetzt sagt er: 2!) der letzten Woche für erhebliche Ir ritationen gesorgt. Ich meine jedoch, wir sollten den so ausgedrückten der entgegen den von ihm ursprünglich genannten Zwang zur Sparsamkeit auch als eine gewisse Chance 50 Milliarden DM in einer namhaften deutschen begreifen. Im Allparteiengespräch beim Bundeskanz- Zeitung jetzt plötzlich von 2 Milliarden DM Umzugs- ler Anfang des Jahres, am 14. Januar, wurde auf kosten spricht. Auch hier täte etwas mehr Seriosität Vorschlag der Bundesregierung eine Obergrenze für gut; denn dies ist eine deutliche Abweichung von den den Umzug in Höhe von 20 Milliarden DM festgelegt. geschätzten Kosten in dem Kostentableau in Höhe Um dieses Ziel zu erreichen, müssen bekanntlich von 20 Milliarden DM und insofern von uns auch nicht weitere Einsparmaßnahmen in Höhe von 1,5 Milliar- ernst zu nehmen. den DM erbracht werden. Der Haushaltsausschuß hat (Zurufe von der CDU/CSU: Das war Populis der Bundesregierung bereits entsprechende Vorga- mus! — Allein die Bonner kriegen ja ben gemacht. Aber ich meine, was für die Bundesre- mehr!) gierung gilt, sollte durchaus auch für den Bundestag fruchtbar sein können. Wo steht denn geschrieben, — Richtig. meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die vom (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Ist ja auch Finanzministerium vorgegebenen Schätzungen für richtig, daß die Bonner mehr kriegen!) Neubauten tatsächlich ausgeschöpft werden müs- sen? Als der Architekt, Sir Norman Foster, im vergange- nen Jahr in der Baukommission seine Kosten in Höhe (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sehr gut!) von 246 Millionen DM präsentierte, hielt damals die Um dies am Beispiel des Reichstages deutlich zu Bauverwaltung dagegen — das ist durchaus so berner-- machen: Auch der Reichstagsumbau darf unserer kenswert, daß man es hier einmal erwähnen muß —, Meinung nach durchaus weniger kosten als die vor- daß sich nach ihren Berechnungen die Kosten des gegebene Kostenschätzung von 605 Millionen DM. Umbaus auf bis zu 700 Millionen DM belaufen wür- den. Einige Mitglieder der Baukommission haben dies Auch im Alltag lehrt uns die Erfahrung — davon damals in Frage gestellt. Man könnte auch formulie- haben wir uns leiten lassen —: Das, was teuer ist, muß ren: Sie wollten es nicht zur Kenntnis nehmen; sie nicht unbedingt besser sein. wollten es nicht hören. (Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/ Diese sehr leichtfertige Aussage des Architekten CSU]) und der gute Glaube an die Richtigkeit einer einmal Insofern, meine ich, ist ein Appell zur Sparsamkeit gemachten Aussage machen uns heute die allergröß- zugleich ein Appell an die Kreativität des Architek- ten Probleme. Die Unterscheidung, die der Architekt ten. vorgenommen hat, nämlich die Trennung zwischen Baugrundkosten und Bauzusatzkosten, ist für den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Laien und damit für viele von uns im Parlament nicht Einem so leistungsfähigen Büro wie dem Büro Foster einfach nachzuvollziehen. Denn am Ende rechnet & Partner traue ich zu, daß es die entsprechenden man zusammen und betrachtet die Gesamtkosten. Einfälle noch haben wird. Schon manche geniale Idee Schließlich möchte ich noch einige Punkte der ist auf Grund eines Kostendrucks entstanden. Beschlußempfehlung zur Wohnraumversorgung und Es gilt auch: Nicht alles, was hier und da gewünscht zu den dienstrechtlichen Maßnahmen für die betrof- wird, muß unbedingt sinnvoll sein. Wir müssen — das fenen Mitarbeiter ansprechen. Wir wollen heute wissen wir alle — in Zeiten der Sparsamkeit in allen erneut bekräftigen, daß die vom Umzugsbeschluß Bereichen sparen, auch in den Bereichen, die den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht Umzug betreffen. Ich füge hinzu: Dabei sollte das schlechter gestellt werden als bisher. Parlament mit gutem Beispiel vorangehen. § 8 des Gesetzes schreibt Regelungen zum Aus- Doch eines sollte auch beim Reichstag sichergestellt gleich von verlagerungsbedingten Belastungen vor — sein: eine bessere Erschließung als die derzeitige. „soweit dies erforderlich und angemessen ist". Dabei Eine gute funktionale Zuordnung muß auch unter geht es nicht um eine ungerechtfertigte Sonderbe- dem Druck der Sparsamkeit gewahrt bleiben; denn handlung der Betroffenen. Das Wort „angemessen" 18612 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Brigitte Baumeister zielt gerade auf die Abwehr möglicher, aber eben erlebt, wie schwierig es ist, in einem Parlament mit nicht angemessener Wunschvorstellungen. Die Aus- 662 Abgeordneten und fast 280 Gremien mit unter- sagen der Zwischenberichte der Konzeptkommission schiedlichstem Wissens- und Informationsstand und zur Sozialverträglichkeit des Umzuges, die das Parla- einer latenten Neigung zum Chaotischen Entschei- ment zustimmend zur Kenntnis genommen hat, sind dungen zu treffen. jedoch für die CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der weiter bindend. CDU/CSU — Ina Albowitz [F.D.P.]: Mach keine Sachen!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Kol- legin Baumeister, der Abgeordnete Dr. Seifert möchte Ein Löwenanteil der gemeinsamen Anstrengungen eine Zwischenfrage stellen. richtete sich weniger darauf, den Stoff zu durchdrin- gen und jeweils präsent zu haben, als vielmehr darauf, Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Ja, bitte. Meinungen in unübersichtlichem Gelände zusam- menzuführen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, Ich halte es daher für besonders bemerkenswert, Herr Dr. Seifert. daß der Deutsche Bundestag die Kraft findet, den seinerzeit unter hohen Emotionen mit knapper Mehr- Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Frau Kollegin heit gefaßten Beschluß vom 20. Juni 1991, der in sich Baumeister, Sie sprechen von der Angemessenheit ein kompliziertes Gleichgewicht widers treitender der Ausgleichszahlungen für nach Berlin ziehende Interessen enthält, aber gerade darum mehrheitsfähig Beamte; sie sollten angemessen sein in dem Sinne, war, so fortzuentwickeln, daß nunmehr die gesetzge- daß es den Beamten nicht schlechter gehen solle als berische und planungssichernde Grundlage für den hier. Aber können Sie mir bitte sagen, ob es in bezug Umzug nach Berlin einerseits und den fairen Aus- auf die Berlinerinnen und Berliner verhältnismäßig gleich für die Region Bonn andererseits abgeschlos- ist, wenn ausdrücklich gesagt wird, daß die Mieten für sen werden kann. die Beamten, die aus Bonn nach Berlin ziehen müssen oder wollen, auf das untere Niveau der Vergleichs- Allerdings war und ist diesèr Prozeß ständig gefähr- miete herabsubventioniert werden, während das für det, weil die von Parlament und Fraktionen mit der Berlinerinnen und Berliner nicht geschieht? Entscheidungsvorbereitung betrauten Kolleginnen und Kollegen sich Machtansprüchen der Hierarchie Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Herr Kollege, ich ausgesetzt sahen, darf Ihnen hier erwidern, daß wir die Details noch (Peter Conradi [SPD]: So ist es!) nicht festgelegt haben. Sie sollten doch zur Kenntnis nehmen, daß wir gerade hinsichtlich der von § 8 die, vornehm formuliert, aus einer Position sachlich geforderten Regelungen noch in Verhandlungen ste- fachlicher Unbefangenheit heraus erreichte Überein- hen und uns sogar erst am Anfang dieser Verhandlun- künfte in Frage stellten gen befinden. Deshalb wurden bislang noch keine (Beifall des Abg. Peter Conradi [SPD]) - definitiven Aussagen zur Konkretisierung weder in oder konterkarierten. Dies allerdings ist von Fraktion die eine noch in die andere Richtung gemacht. zu Fraktion sehr unterschiedlich. Ich komme zum Schluß. Ich möchte betonen, daß eine möglichst weitgehende Gleichbehandlung der (Ina Albowitz [F.D.P.]: Kann man wohl

Fraktions - und Abgeordnetenmitarbeiter mit den sagen!) Bundesbediensteten anzustreben ist. Daß dies in der Das Schielen auf die kurzfristige Tagesschlagzeile, Beschlußempfehlung nicht im Gesetz steht, liegt ein- das teilweise Fehlen eines Gespürs dafür, daß das fach daran, daß eine gesetzliche Festschreibung Parlament in seiner eigenen Angelegenheit Zusam- rechtlich nicht möglich ist. menarbeit braucht, anstatt jeder Pressestimme und Insgesamt haben wir ein Ergebnis erzielt — so hoffe Opportunität nachzulaufen, ich —, das zur Befriedung beitragen wird und auf (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) dessen Grundlage wir Schritt für Schritt voranschrei- ten können, um den Umzugsbeschluß in entschiede- ist ein Krebsschaden, der leider auch heute die zu ner, aber auch verantwortlicher Weise umzusetzen. treffenden Entscheidungen mit Mißklängen beglei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tet. Die Voraussetzungen dafür haben wir mit diesem (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ina Gesetz geschaffen. Ich bitte Sie, dem Gesetz sowie Albowitz [F.D.P.]) dem Zwischenbericht Ihre Zustimmung zu geben. Ihnen liegen Beschlußempfehlung und Be richt des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. federführenden Ältestenrats, das Votum des Innen- sowie bei Abgeordneten der SPD) ausschusses und der Be richt des Haushaltsausschus- ses zum Bonn/Berlin-Gesetz vor, das auf der Grund- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile lage des dritten Zwischenberichts der Konzeptkom- nunmehr dem Abgeordneten Helmut Esters das mission beschlossen werden soll. Ich darf nochmals Wort. auf einige Eckpfeiler hinweisen, auf denen die Verla- gerung des Parlamentssitzes und des Kernbereichs Helmut Esters (SPD): Herr Präsident! Meine Damen der Regierungsfunktionen nach Berlin ruht. Sie lau- und Herren! Wir haben in dieser Legislaturperiode ten: Der Deutsche Bundestag will in der übernächsten, nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit der 14. Legislaturperiode möglichst früh, spätestens Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18613

Helmut Esters in der Sommerpause 2000, seine Arbeit in Berlin gert wird. Wir erwarten und sind uns darüber einig, aufnehmen. daß auch die Bediensteten von Bundesbehörden, die Die Bundesregierung wird gleichzeitig mit der auf Grund der Beschlüsse der Föderalismuskommis- Arbeitsaufnahme des Deutschen Bundestages in Ber- sion ihren Dienstort wechseln, in gleicher Weise eine lin ihre Präsenz dort sicherstellen, um ihrer Verant- Behandlung analog dem § 8 dieses Gesetzes erfahren. wortung gegenüber dem Parlament nachzukom- Ich denke dabei, um ein Beispiel zu nennen, an die men. Mitarbeiter des Umweltbundesamtes, die von Berlin nach Dessau gehen. Die faire Arbeitsteilung zwischen der Bundes- Diese Eckwerte gleichen als Kompromiß die Viel- hauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn gestaltet sich so, daß der Kernbereich von Regierungsfunktio- zahl widerstreitender Interessen der vom Berlin- nen nach Berlin verlagert wird, daß aber — ohne eine Beschluß Be troffenen aus. Sie müssen — und ich bin genaue Zahl zu nennen — auch Ministerien mit ganz sicher, sie werden — verläßliche Grundlage erstem Dienstsitz in Bonn bleiben werden, ferner, daß bleiben. in Bonn Politikbereiche eingerichtet werden, so daß Nach Inkrafttreten des Berlin/Bonn-Gesetzes und ein Großteil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten bleibt der Zustimmung zu den Grundsätzen des dritten und die Verluste durch Behördenverlagerungen nach Zwischenberichtes ist es unser aller Pflicht, auf die Bonn gemäß den Beschlüssen der Föderalismuskom- strikte Einhaltung zu achten. Das gilt auch für das mission ausgeglichen werden. Verfassungsorgan Bundesregierung. So ist auch im Berlin/Bonn-Gesetz als wichtige Es spricht nicht gerade für die Vertragstreue der Ausgleichsmaßnahme für die Region Bonn der Aus- Bundesregierung, bau Bonns als Wissenschaftsstandort und als Standort (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!) für Entwicklungspolitik geplant. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich das von den wenn das Bauministerium und das Finanzministerium Universitäten Bonn, Köln und Aachen vorgestellte im Haushalt bereits bewilligte und vertraglich abge- Konzept „CAESAR plus", das die Errichtung eines sicherte Leistungen an Bonn in Frage stellen. Hier internationalen Forschungs- und Ausbildungszen- wird in einer sensiblen Frage, um es vorsichtig auszu- trums in Bonn vorsieht. drücken, ungeschickt verfahren. Wir bitten herzlich darum, alles zu tun, um hier das Vertrauen wiederher- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zustellen. CDU/CSU) Die Belastungen, unter denen das Berlin/Bonn Wir gehen davon aus, daß mit der Realisierung der Gesetz und der Dritte Zwischenbericht entstanden drei Zentren — des Zentrums für angewandte Na- sind, wurden durch die Finanz - und Haushaltskrise turwissenschaften und Hochtechnologieforschung, außerordentlich vergrößert. Natürlich kann der Um- des Zentrums für Europäische Integrationsforschung zug nicht zum Nulltarif vollzogen werden. Es werden und des Nord-Süd-Zentrums für Entwicklungsfor- aber auch nicht die Gruselkosten entstehen, mit- schung — möglichst bald begonnen werden kann. denen der Umzug temporär torpediert werden (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Sehr richtig! Ein sol- sollte. ches Zentrum ist von großer regionaler, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ nationaler und internationaler Bedeutung!) CSU und der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.] — Dazu kommen Ausgleichsleistungen, über die noch Zurufe von der CDU/CSU: Eine sehr gute vor der Sommerpause Vereinbarungen geschlossen Formulierung! — Das trifft Frau Matthäus werden sollen. Ebenfalls soll der Bund Vereinbarun- Maier!) gen mit Berlin zu den Aufgaben der gesamtstaatli- Dies ist unehrlich und unterläuft die berechtigte chen Repräsentation schließen. Erwartung der Öffentlichkeit, daß die Politik bere- Bis zur Arbeitsaufnahme des Parlaments in Berlin chenbar und verläßlich handeln muß. Mir scheint, daß sind für Abgeordnete, Bedienstete der Bundesverwal- die vom BMF ermittelten Kosten von 20 Milliarden tung sowie Mitarbeiter von Fraktionen und Abgeord- DM, bei Preisstand 1993, verteilt über zehn Jahre, aus neten Wohnungen zu schaffen. Es sind ferner dienst- gegenwärtiger Sicht einen knappen, aber einhaltba- rechtliche und sonstige Maßnahmen zu treffen, um die ren Rahmen setzen. vom Umzugsbeschluß betroffenen Mitarbeiter nicht Der mitberatende Haushaltsausschuß hat in seinem schlechterzustellen als bisher. 96er Bericht einvernehmlich unter den Fraktionen Der § 8 dieses Gesetzes enthält den Anspruch auf festgestellt, daß die Kosten dieses Gesamtvolumen einen Ausgleich von verlagerungsbedingten Bela- nicht überschreiten dürfen, daß sie mit der Haushalts- stungen der Mitarbeiter der Bundesverwaltung. Die lage des Bundes vereinbar sind und daß sie in der Personal- und Sozialkommission unter Vorsitz von Finanzplanung für die Folgejahre entsprechend fort- Herrn Vizepräsident Becker hat in enger Abstimmung geschrieben werden sollen. Der Haushaltsausschuß mit den Personalvertretungen und der Bundesregie- hat aber zugleich darauf hingewiesen, daß die in der rung Analogregelungen für die Mitarbeiter der Frak- Anlage zum Vorblatt wiedergegebenen Einzelpro- tionen und der Abgeordneten entwickelt und wird jekte, aus denen das Gesamtvolumen ermittelt ist, der dies weiter tun. jeweils gesonderten Bewilligung im Zuge eines Haus- In unsere Fürsorgepflicht sind aber auch diejenigen haltsverfahrens bedürfen. einbezogen, die von diesem Berlin/Bonn-Gesetz nicht Im Rahmen dieses Budgetrechts des Parlaments betroffen sind, deren Dienstsitz aber dennoch verla- und des Haushaltsausschusses hat der Haushaltsaus- 18614 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Helmut Esters schuß die Bundesregierung bereits beauftragt, ihr Ich wäre froh, wenn ein sichtbar werdendes Herr- Umzugskonzept mit dem Ziel zu überprüfen, inwie- schaftsgebaren einzelner gegenüber den übrigen weit auf Neubauten verzichtet werden kann. Er Fraktionen langsam auslaufen könnte. drängt ferner darauf, daß über die Nutzung solcher (Beifall bei der SPD) Altbauten des Bundes in Berlin, die nur teilweise oder überhaupt nicht genutzt werden, aber mit hohen Das würde der gemeinsamen Arbeit außerordentlich Kosten unterhalten werden müssen, noch vor der dienlich sein, denn bis jetzt hat der Deutsche Bundes- Sommerpause entschieden wird. tag alle Entscheidungen in diesem Bereich zügig getroffen. Er darf nicht Ursache für Planungsverzöge- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Richtig!) rungen sein, denn das würde auch Verteuerungen bedeuten. Meine Fraktion hätte es im Zuge der Beratungen vorgezogen, wenn dem Plenum zu den Einzelmaß- (Zuruf von der SPD: Ja!) nahmen statt eines pauschalen Bewilligungsvorbe- Nach Auffassung meiner Fraktion kann der Reichs- haltes konkretere Vorgaben hätten erteilt werden tagsumbau mit bestimmten Maßgaben in die Ent- können, z. B. daß die Kosten für den Abriß des Palastes wurfs- und Genehmigungsplanung gehen. der Republik oder den Bau eines nach meiner Auffas- sung überflüssigen Kongreßzentrums jedenfalls nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) umzugsbedingt sind Natürlich wünschen wir größtmögliche Sparsam- keit. Sie ist uns ohnehin vom Haushaltsgrundsätzege- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) setz her vorgeschrieben. und deshalb nicht in die Kostenschätzung hineinge- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das kannst du noch hören. mal sagen, damit es alle wissen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Wir sollten aber nicht an Symptomen kurieren und Abg. Dr. [F.D.P.] — Ina Albo zum Schluß ein Unterbringungschaos für den Deut- witz [F.D.P.]: Gehört auch nicht hinein!) schen Bundestag mit provisorischen, recht oder schlecht funktionierenden Gebäuden produzieren. Wenn meine Frak tion gleichwohl der jetzt vorlie- ( [Köln] [SPD]: Und dann noch zu genden Fassung des Berichtes des Haushaltsaus- teuer!) schusses zustimmt, so in der Annahme, Ani Ende dieser schwierigen Opera tion eines Ber- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Glauben Sie die lin/Bonn-Gesetzes und des dritten Zwischenberichts Zahlen nicht!) möchte ich namens meiner Fraktion allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich danken, aber daß die künftigen Einzelbewilligungen des Haus- auch und vor allem den beteiligten Mitarbeitern der haltsausschusses vom Grundsatz her die von den Bundestagsverwaltung und den beteiligten Ministe- Partei- und Fraktionsvorsitzenden unter Leitung des rien für ihre aktive und konstruktive Arbeit - Bundeskanzlers und unter Mitwirkung der Bundes- tagspräsidentin abgesegneten Entscheidungen be- (Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Mal mehr, achten. Diese Verabredungen sind auch Grundlage mal weniger!) des Berlin/Bonn-Gesetzes und des dritten Zwischen- meinen Dank aussprechen. Für die beteiligten Beam- berichts. ten ist es sicherlich nicht immer leicht gewesen, in den viele Stunden dauernden Sitzungen Fassung zu Nach der durchgängigen Auffassung in meiner bewahren. Fraktion sind das Berlin/Bonn-Gesetz und die wesent- lichen Maßgaben des dritten Zwischenberichts, zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der denen z. B. auch der Umbau des Reichstags zu einem F.D.P.) dauerhaften und belebten Mittelpunkt des Parla- Von hier aus auch meinen allerherzlichsten Dank ments, die Neubauten im Dorotheenblock und am und beste Genesungswünsche an Herrn Staatssekre- Alsenblock sowie die Nutzung der vorgesehenen tär Kroppenstedt vom Bundesinnenministerium, für Altbauten gehören, eine verbindliche Grundlage. dessen Hilfe wir dankbar sind. Er ist zur Zeit Wir sind von Anfang an beschlußtreu gewesen. Zu erkrankt. dem, was 1991 beschlossen wurde und was seither in (Beifall bei Abgeordneten aller Frak tionen den drei Zwischenberichten einvernehmlich entwik- und Gruppen) kelt worden ist, stehen wir. Wir stehen zu dem, was die Meine Frak tion stimmt der Beschlußempfehlung Partei- und Fraktionsvorsitzenden, die Städte Berlin und dem Bericht des Ältestenrats zum Berlin/Bonn und Bonn, die Bundesregierung und die Landesregie- Gesetz, dem Gesetz selbst sowie dem dritten Zwi- rungen von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz schenbericht zu. und Brandenburg und die Bundestagspräsidentin am 14. Januar 1994 verabredet haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich bedaure sehr, daß es speziell in den letzten der CDU/CSU und der F.D.P.) Wochen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion so viele Widersprüche gab.

(Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Eine leben- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile dige Fraktion! Vielfalt in Einheit!) nunmehr der Abgeordneten Ina Albowitz das Wo rt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18615

Ina Albowitz (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr nahmen bei den Bauten, die wir alle nicht wollen und verehrten Damen uiid Herren! Eigentlich könnten wir die unter Umständen erforderlich gewesen wären, jetzt, nachdem Helmut Esters geredet hat, abstimmen. wenn der Umzugstermin als solcher in das Gesetz Es hätte keiner besser machen können, Helmut. Ich aufgenommen worden wäre. bedaure sehr, daß du in den kommenden Jahren, wenn wir uns weiter mit dem Thema befassen, nicht Um einiges weitergekommen sind wir auch in der problematischen Frage der mehr dabei sein wirst. arbeits- und sozialrechtli- chen Belange der vom Umzug betroffenen Mitarbei- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der terinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten und SPD) Fraktionen. Wir haben ihnen gegenüber — das Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute betone ich ausdrücklich — eine ebenso gea rtete den interfraktionellen Entwurf des Berlin/Bonn- Fürsorgepflicht wie gegenüber den Bediensteten in Gesetzes und den dritten Zwischenbericht der Kon- den öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen. Die zeptkommission zur abschließenden Beratung und Problematik liegt in der Verschiedenheit der Dienst- Annahme vor. Damit erfüllt der Deutsche Bundestag verhältnisse. Jeder in diesem Hause weiß, daß die heute — manche würden sagen: endlich — die am Arbeitsverträge mit unseren Mitarbeiterinnen und 20. Juni 1991 übernommene Bringschuld zur gesetz- Mitarbeitern wie auch mit dem größten Teil der lichen Umsetzung des Umzugs von Parlament und Mitarbeiter der Fraktionen privatrechtlicher Natur Regierung nach Berlin. und daher grundverschieden von öffentlich-rechtli- chen Dienstverhältnissen sind. Noch in der ersten Beratung des Deutschen Bundes- tages zu diesem Gesetzentwurf am 20. Januar 1994 Es gibt aber auch keinen Zweifel daran, daß das konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß schon in den ersten beiden Berichten der Konzept- die Diskussion in manchen Zügen einer Wiedervor- kommission aufgenommene Postulat der Sozialver- lage der Debatte vom 20. Juni 1991 glich. Natürlich träglichkeit des Umzugs auch für unsere Mitarbeiter hat das vor zwei Monaten jeder von sich gewiesen, und die der Fraktionen zu gelten hat. Es ist mir daher aber es reicht auch schon ein Blick auf die Anträge, die ein persönliches Anliegen, daß in der vorliegenden parallel zum interfraktionell eingebrachten Entwurf Beschlußempfehlung des Ältestenrates diese morali- vorgelegt worden sind. Sie stellen nach wie vor den sche Verpflichtung ausdrücklich anerkannt wird. demokratisch gefaßten Beschluß von 1991 in Frage und behindern einen wichtigen Teil zur Vollendung (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU sowie der SPD) der deutschen Einheit, der wir uns alle verpflichtet fühlen. Wir haben diese Anträge abgelehnt, genauso Meine Damen und Herren, mit dieser Beschlußemp- wie der federführende Ältestenrat und der mitbera- fehlung richten wir dann aber auch zugleich die tende Innen- und Haushaltsausschuß. Aufforderung an den Ältestenrat und die Fraktionen Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue des Deutschen Bundestages, alsbald die notwendigen mich, daß zwischenzeitlich in der Diskussion über Regelungen zu schaffen, die die Gleichbehandlung unseren Gesetzentwurf und den dritten Zwischenbe- der privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen richt eine der Bedeutung dieser, wie ich sagen möchte, Dienstverhältnisse sicherstellen. Jahrhundertentscheidung angemessene Sachlichkeit Mit dem Berlin/Bonn-Gesetz liegt Ihnen zugleich Platz gegriffen hat. Allen Kolleginnen und Kollegen in als Anlage das Kostentableau der Bundesregierung der Personal- und Sozialkommission sowie in der Bau- mit einem auf 20 Milliarden DM begrenzten Gesamt- und Konzeptkommission und in den beteiligten Aus- volumen vor. schüssen möchte ich dafür ganz herzlich danken. Ich schließe mich ausdrücklich auch dem von Helmut Nun ist ja hinlänglich bekannt, meine Damen und Esters hier vorgebrachten Dank an die Mitarbeiterin- Herren, daß sich spätestens bei den Kosten die Geister nen und Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung an. scheiden, und wir machen da auch keine Aus- nahme. Wir haben im Zuge der Beratungen zahlreiche klärende Gespräche geführt und in wichtigen Punk- Vorab eine positive Bemerkung: Die Ausgleichslei- ten nachverhandelt. Wir legen Ihnen das Ergebnis als stungen für die Region Bonn konnten auf 2,7 Milliar- Beschlußempfehlung vor. Noch in der ersten Beratung den DM deutlich nachgebessert werden, und wir gab es einiges Hin und Her über die von meiner werden heute beschließen, daß diese vereinbarten Fraktion vertretene Auffassung, den Umzugstermin Ausgleichsleistungen für die Region zügig und voll- wegen seiner Bedeutung und der Signalwirkung auch ständig umgesetzt werden. Dabei wird die Bundesre- für die Bevölkerung in das Berlin/Bonn-Gesetz direkt gierung aufgefordert, Bonn als Bundesstadt in dieser aufzunehmen. Ich begrüße es daher ausdrücklich, daß Funktion zu fördern und zu unterstützen. der Ältestenrat heute in seiner Empfehlung dem Die Kehrseite der Kostenmedaille ist hingegen Bundestag vorschlägt, den Passus zu beschließen, daß weniger erfreulich. Bei manchen Diskussionsbeiträ- „der Deutsche Bundestag seine Absicht bekräftigt, in gen bzw. Presseveröffentlichungen der letzten Tage der übernächsten ... Legislaturperiode möglichst konnte man sogar den Eindruck gewinnen, daß der früh, spätestens in der Sommerpause 2000, seine gesamte Umzug wieder einmal in den Kinderschuhen Arbeit in Berlin aufzunehmen". steckt. Wir haben bereits eine breite Geschäftsgrund- Mit dieser zeitlichen Bindung bestätigt der Deut- lage, die im Deutschen Bundestag durch die zustim- sche Bundestag erstmals nach dem 20. Juni 1991, daß mende Kenntnisnahme der ersten beiden Zwischen- er in der 14. Legislaturperiode nach Berlin gehen will. berichte beschlossen worden ist. Um so ärgerlicher ist Er vermeidet damit aber auch terminsichernde Maß- es, wenn heute vereinzelt das seit dem Umzugsbe- 18616 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Ina Albowitz Schluß mühsam erarbeitete Gesamtkonzept der Ver- Das bedeutet für den Reichstag, daß ohne Zwischen- lagerung wieder einmal in Frage gestellt wird. lösung der Ausbau zum Zwecke der dauerhaften Nutzung erfolgen soll. Aus Haushaltssicht sind daher meines Erachtens an dieser Stelle ein paar klarstellende Bemerkungen (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der erforderlich: Es ist viel über die Nutzung von Altbau- SPD — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: ten bzw. die Errichtung von Neubauten in Berlin So ist es, Frau Kollegin!) geredet worden. Damit das Gesamtvolumen des Alles andere, meine Damen und Herren, ist wirklich Umzugs von 20 Milliarden DM gehalten werden kann, Schnee von gestern. Wir wissen doch alle — und das hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundesta- sollten wir in den letzten Jahren daraus gelernt ges am 2. Februar 1994 die Bundesregierung aufge- haben —, daß anfängliche Flickschusterei später dann fordert, im Rahmen einer Neubewertung die Unter- schließlich doch zu einem kompletten Umbau führt, bringung der Bundesregierung in Altbauten zu über- welcher im Ergebnis erheblich teurer ist als das, was prüfen. Es macht auch in der Tat keinen Sinn, wenn wir bisher beschlossen haben. vorhandene bundeseigene Liegenschaften in Berlin (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der nicht zu Umzugszwecken genutzt werden, während SPD) zugleich Neubauten mit einem enormen Kostenauf- Lassen Sie uns daher bitte nicht pinseln, sondern nach wand erstellt werden. vernünftigen Lösungen suchen, die in den finanzpoli- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU tischen Rahmen passen. sowie bei Abgeordneten der SPD — Zuruf Im übrigen möchte ich Sie bei diesem Punkt aber der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke auch noch an ein ganz wichtiges Essential aus dem Liste]) Gründungsverfahren der Bundesbaugesellschaft er- — Ja nun, ganz langsam, ganz langsam. innern. Wir haben dezidiert baubegleitende Planung ausgeschlossen. Das gilt auch für den Deutschen Wir haben allerdings nicht beschlossen, daß bis zum Bundestag, der war nämlich damit gemeint. Wir Jahr 2000 keine Neubauten vorgenommen werden sollten jetzt nicht versuchen, dieses durch die Hinter- können. Zum einen liegt uns die Neubewertung der tür wieder einzuführen. Bundesregierung noch nicht vor, und zum anderen, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der meine Damen und Herren, würde ein angeblich im CDU/CSU und der SPD) Raum stehender so gefaßter Beschluß die bisherigen Entscheidungen, daß wir nicht in Provisorien umzie- Meine Damen und Herren, zum Abschluß: Wir, hen, konterkarieren. meine Fraktion, wollen für Berlin die Herstellung einer Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages Und noch ein Weiteres: Wenn wir heute inzident und der Bundesregierung, die sparsam, aber ange- auch über das Kostentableau entscheiden, so ent- messen ist. Wir wollen für Bonn einen fairen Aus- scheiden wir nur über eine Kostenobergrenze. Alle gleich. Ich glaube, mit der Verabschiedung des heu- den Umzug betreffenden Ausgaben stehen unter tigen Gesetzes und des Zwischenberichtes sind wir Haushaltsvorbehalt, und jede einzelne Finanzmaß- diesem Ziel wieder ein Stück nähergekommen. — Ich nahme wird im Ausschuß gesondert beraten werden danke Ihnen. müssen. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Für den Umbau im Reichstag heißt das aber keines- SPD) falls — und das muß ich im Namen meiner Fraktion ganz ausdrücklich sagen —, daß wir einer sogenann- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort ten Pinselrenovierung oder, wie ich heute morgen hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Modrow. gehört habe, einer gehobenen Pinselrenovierung zustimmen werden. Dr. Hans Modrow (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Meine Damen und Herren! Als die Bundestagsdebatte CDU/CSU) am 20. Juni 1991 mit dem Beschluß über den Umzug Nach der Beschlußfassung am 20. Juni 1991 standen von Parlament und Regierung nach Berlin endete, gab hinsichtlich des Umbaus zwei Möglichkeiten zur Dis- es nicht wenige, die sie als eine Sternstunde des position, nämlich zum einen die Herrichtung mit deutschen Parlamentarismus bezeichneten. Heute, möglichst geringem Kostenaufwand unter Inkauf- knapp drei Jahre später, sind die Sterne wohl verblaßt, nahme einer späteren Sanierung des Gebäudes und und hehre Worte werden schon fast vergessen. zum anderen ein abschließender Umbau des Reichs- Der Beschluß sah vor, bis zum Jahre 1994 die tages, der den Erfordernissen der nächsten Jahr- Arbeitsfähigkeit und innerhalb der nächsten zehn zehnte gerecht wird. Jahre die volle Funktionsfähigkeit für Bundestag und Bundesregierung in Berlin herzustellen. Eine Arbeits- Heute sind wir in der Entscheidungsfindung jedoch fähigkeit ist nicht einmal im Ansatz zu sehen; von der ein beträchtliches Stück weiter; denn schon im ersten Funktionsfähigkeit sind wir zumindest genauso weit Zwischenbericht haben wir uns festgelegt, daß die entfernt wie im Juni 1991. Endloser Streit innerhalb Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bun- der Regierungsparteien, Verzögerungstaktik und einen Umzug in Provisorien aus- destages in Berlin wahltaktische Manöver, Grundstücksspekulationen schließt. und ein Geld und Zeit verschlingender Gigantismus, (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr der jetzt zu einem Teil an den harten finanzökonomi- wahr!) schen Realitäten gescheitert ist, haben den Beschluß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 10. März 1994 18617

Dr. Hans Modrow seines Sinnes entleert und fast in sein Gegenteil wohnern der Stadt und ihren Gästen. „Bürgerforum verkehrt. statt Beamtenfestung" sollte dafür die Devise sein. Das vorliegende Berlin/Bonn-Gesetz widerspiegelt Der Palast der Republik und das Staatsratsgebäude diese Entwicklung, es kehrt sie jedoch nicht um, müssen schnellstens saniert und als öffentliches sondern setzt sie im wesentlichen fort. Diesen Weg Forum der weltweiten Begegnung von Bürgerinnen kann und wird die PDS/Linke Liste nicht mitgehen. und Bürgern wirklich nutzbar gemacht werden. Unser Antrag, der auf einen end lich zügigen, kosten- (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE sparenden und sozialverträglichen Umzug ausgerich- GRÜNEN]: Das hätten Sie vor zehn Jahren tet ist, zeigt eine gangbare und höchst notwendige sagen sollen! — Beifall bei Abgeordneten der Alternative. CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Um jeglichen Mißverständnissen und falschen Aus- Die Abrißbirne wird weder die DDR-Geschichte noch legungen vorzubeugen, die es in anderen Debatten die Identität von Menschen auslöschen, auch meine gab, sei hier festgestellt: Die PDS/Linke Liste war und nicht. ist für Berlin als Sitz von Parlament und Regierung, sie war und ist gegen die Art und Weise des Umzugs, wie Drittens. Der sogenannte Hauptstadtvertrag zwi- sie im vorliegenden Antrag vorgesehen ist. schen der Bundesregierung und dem Berliner Senat vom August 1992 ist aufzuheben bzw. zu kündigen, da Erstens beinhaltet der Gesetzentwurf auch weiter- die Rechte des Landes Berlin und die kommunalen hin eine ungeheure Verschwendung von Steuermit- Selbstverwaltungen der Stadt hier in unver tretbarer teln, und das in einer Zeit, da die Verschuldung der Weise eingeschränkt sind. öffentlichen Haushalte lawinenartig weiter anwächst, Viertens. Im Zusammenhang mit dem Umzug muß und damit sind auch alle Termine, von denen man es Ausgleichszahlungen und sozialverträgliche Re- spricht, fast in Frage gestellt, zumindest bleiben gelungen für die Bonnerinnen und Bonner geben; das Zweifel. ist unumstritten. Aber gleichermaßen müssen Berline- Zweitens können wir dem Gesetz nicht zustimmen, rinnen und Berliner vor Bodenspekulationen, Miet- weil darin zwar Ausgleichsmaßnahmen des Bundes wucher, Verdrängungen und anderen sozialen für die Region Bonn enthalten sind, die sozialen Benachteiligungen geschützt werden. Ein Sozialplan Belange der Berlinerinnen und Berliner aber völlig für Berlin ist für uns unabdingbar. ausgeklammert bleiben. Bereits jetzt zeichnet sich Natürlich, Sie können unsere Forderungen und doch deutlich ab, daß die vorgesehene Art und Weise Vorschläge heute hier verwerfen und ablehnen, Sie des Umzugs den Grundstücks- und Wohnungsspeku- können darüber herfallen; aber auf die Dauer werden lanten dient und Zehntausende Einwohnerinnen und Sie beim Umzug nach Berlin nicht an jenen Menschen Einwohner der Berliner Region aus ihren Wohnungen vorbei regieren können, die davon vor allem be troffen und Grundstücken vertrieben werden sollen. sind. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Unsinn!) (Beifall bei der PDS/Linke Liste) — Wir werden über den Unsinn dann in ein paar Jahren zu reden haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Da sind Sie nicht Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort mehr dabei! — Weitere Zurufe von der CDU/ hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ullmann. CSU) Nicht nur im Interesse der Berlinerinnen und Berli- ner und auch nicht allein in dem der Ostdeutschen, Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß beiden Teilen Deutschlands fordern wir daher: sie immer aufs neue geführt werden muß — wie soeben —, scheint eine Eigentümlichkeit der Berlin/ Erstens. Auf die Errichtung von Neubauten ist nicht Bonn-Debatte zu sein. Denn diese Wiederholungen, nur teilweise, sondern grundsätzlich zu verzichten. meine Damen und Herren, haben nicht erst nach dem Die vorhandenen Einrichtungen des Bundes sowie die 21. Juni 1991 begonnen; schon vor dem Vereinigungs- Gebäude und Büroflächen des ehemaligen Minister- prozeß 1989/90 war Berlin mehr als einmal Thema des rates der DDR sowie der Alliierten stehen zur Verfü- Deutschen Bundestages und mußte es sein. gung und sollten genutzt werden. Das Besondere an der heutigen Debatte ist, daß wir (Zuruf von der CDU/CSU: Sind die Wanzen nicht nur die Modalitäten von Parlaments- und Regie- schon alle ausgebaut?) rungsumzug gesetzlich festzulegen haben, sondern — Ach, wissen Sie, mit den Wanzen: Wissen Sie, wo daß eine Initiative von 47 Abgeordneten einerseits hier überall welche stecken? Prüfen Sie einmal, wie und eine Initiative von der PDS/Linke Liste anderer- viele Wanzen hier liegen! All die Fragen, über die hier seits eine Verschiebung aller Umzüge fordert, und diskutiert worden ist, wo Wanzen einzusetzen sind, zwar im Blick auf die schwierigen wirtschaftlichen möchte ich hier nicht noch einmal darstellen. Umstände unseres Landes und angesichts der immen- sen Anforderungen der Konsolidierung der fünf östli- (Zurufe von der CDU/CSU) chen Länder und Berlins. Zweitens. Die Spreeinsel im Herzen Berlins darf Nicht daß die Endgültigkeit des Umzugbeschlusses kein Standort von Dienststellen des Bundestages und abermals in Zweifel gezogen würde — das wird von der Bundesregierung werden. Sie gehört allen Ein- niemandem und keinem Antrag getan —, lediglich 18618 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Wolfgang Ullmann eine radikale Revision aller Prioritäten des Umzugs ist Deutschlands, da frage ich mich denn doch, wie das das Ziel. wohl im Ausland ankommen mag, wenn man hört, die Ich will jetzt die Motive der Antragsteller nicht in Deutschen debattieren darüber, ob sie reich genug Zweifel ziehen oder diskreditieren, indem ich ihnen sind, um sich die Vollendung der Deutschen Einheit andere unterstelle. Dennoch, meine Damen und Her- leisten zu können. Das ist eben doch in meinen Augen ren, kann ich zwei Kommentare nicht unterdrücken. ein sehr merkwürdiges Bild, und es ist ein ganz Der erste Kommentar bezieht sich auf die Langsam- merkwürdiges Gefühl, wenn ich auf dem leeren keit des Umzugs nach Berlin. Der Staatsvertrag zur Potsdamer Platz stehe und fühle, daß nicht nur die Währungsunion und der Einigungsvertrag — zwei Einwohner Berlins, der ehemaligen Reichshauptstadt Vertragswerke, die viel tiefer in die Substanz unseres und jetzigen Bundeshauptstadt, sondern auch die Landes eingegriffen haben — wurden im Verlaufe von Leute, die aus unseren Nachbarländern dorthin kom- wenigen Monaten erarbeitet und verabschiedet. men, leidenschaftlich darauf warten, daß dort ein (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das Parlament sitzt, das sich darum kümmert, daß die neue Hauptstadtthema war ausgeklammert!) Lebensqualität, die wir im Einigungsprozeß teils erreicht haben und teils noch erreichen wollen, weiter Die rechtlichen Grundlagen für die Verlagerung von ausgebreitet wird, und daß in Berlin eine Regierung Parlaments- und Regierungssitz zu schaffen — dafür sitzt, die, eben nicht mehr abgeschirmt in einer wurden nahezu zweieinhalb Jahre gebraucht. Meine Weltferne, wie wir es hier sind, Damen und Herren, kann mir jemand eine vernünf- tige oder wenigstens eine plausible Antwort darauf (Widerspruch des Abg. Georg Gallus [F.D.P.]) geben, warum das so gegangen ist? dabei ist, nicht nur Breschen zu schlagen in die (Abg. Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU] Mauern des Kalten Krieges, sondern auch in die meldet sich zu einer Zwischenfrage) Mauern, die uns, von wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen gezogen, jetzt noch umgeben. — Ja, das muß ich natürlich zulassen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schlie- (Heiterkeit) ßen mit einer Frage an die Kolleginnen und Kollegen, die den Gruppenantrag eingebracht haben, und die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- der PDS/Linken Liste: Ist denn das eigentlich so geordneter Kansy, bitte schön. schwer einzusehen, daß die Probleme, auf die Sie (Zuruf von der CDU/CSU: In Frageform!) hinweisen und hingewiesen haben, natürlich alle auf das engste mit dem derzeitigen äußerst exzentrischen Sitz von Parlament und Regierung zu tun haben? Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja, anders geht es nicht. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Herr Kollege, sowie des Abgeordneten Peter Conradi darf ich Ihnen die Antwort dahin gehend geben, [SPD]) (Heiterkeit) daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer und der Deutschen Demokratischen Republik im Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Hans- Staatsvertrag versäumt hatten, Berlin als Regierungs- Eberhard Urbaniak das Wort. und Parlamentssitz festzuschreiben. (Widerspruch bei der SPD) Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lege Wert darauf, eine Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- kurze Bemerkung zum § 8 des Gesetzentwurfs zu geordneter Kansy, wenn Sie das in Frageform geklei- machen, der ja insbesondere die Interessen der det hätten, hätten Sie sich geschäftsordnungsmäßig Beschäftigten einbezieht. verhalten. Aber so können Sie, Herr Dr. Ullmann, In der Sozial- und Personalkommission haben wir darauf eingehen. Bitte schön. sehr schnell einen Konsens gefunden, derart, daß die (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: So ein- drei Gruppen, um die es hier geht, gleichbehandelt fach kann die Wahrheit sein und auch die werden. Dies war zu Anfang der Diskussion gar nicht Antwort!) so selbstverständlich. Es ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß wir diese Punkte im Ältestenrat, in Herr Dr. Ullmann, er hat es versucht. der Konzeptkommission und in der Sozial- und Perso- nalkommission mit dem Vorsitzenden des Personalra- Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tes und den Vorsitzenden der Sprechergruppen erör- NEN): Wenn auch nicht ganz erfolgreich, möchte ich tert haben. Es war sehr interessant, daß sie sehr sagen. schnell feststellen konnten, daß die Kolleginnen und Der zweite Kommentar, meine Damen und Herren, Kollegen Abgeordneten doch das Problem erkannt bezieht sich auf die Kostendebatte. Natürlich weiß ich haben, das mit dem Umzug verbunden ist. wie Sie alle, daß verantwortliche Politiker mit Kosten Darum mache ich jetzt darauf aufmerksam, daß nicht leichtfertig umgehen oder gar von ihnen abstra- es darauf ankommt, sehr schnell Punkte für einen hieren können. Aber wenn m an bedenkt, daß es hier Sozialplan zu finden, sich Vorruhestandsregelungen um das geht, was über dem damals angenommenen zu überlegen und Fragen, die sich aus Familienver- Antrag steht, nämlich um die Vollendung der Einheit pflichtungen ergeben, zu regeln. Es muß auch daran Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18619

Hans-Eberhard Urbaniak gedacht werden, daß diejenigen be troffenen Arbeit- Dr. R. Werner Schuster (SPD): Frau Kollegin, wir nehmer, die von Berlin nach Bonn versetzt werden, in haben im Juni 1991 nicht nur den Umzug beschlossen, diesen Prozeß einbezogen werden. Ich sage dieses, sondern wir haben auch beschlossen, über die Mög- weil sich der nächste Bundestag insbesondere mit lichkeiten einer politischen Gestaltung, einer Reform diesen konkreten Punkten beschäftigen muß, und — Stichwort: Verwaltungszentrum —, nachzuden- darum möchte ich mit Nachdruck in das Protokoll ken. geben: Dieses muß gründlich, sachlich und vernünftig Können Sie mir erklären, warum diese sogenannte angepackt werden. vertikale Lösung überhaupt nicht ernsthaft diskutiert (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf worden ist, obwohl sie preiswerter ist, weniger Leute des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]) umziehen läßt und eine Chance geboten hätte, das Gleichgewicht zwischen Parlament und Exekutive neu zu organisieren? Stimmen Sie mir zu, daß mit dem Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort heutigen Beschluß die Reformoption, die einmalige hat nunmehr die Abgeordnete Frau Professor Dr. Rita Chance, endgültig beerdigt ist? Süssmuth.

Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Lieber Kollege, Sie Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Herr Präsident! wissen — und ich verweise dabei auf den inzwischen Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich unserer in Nordrhein-Westfalen tätigen Sozialminister Mün- Debatte soeben gefolgt bin, muß ich mich fragen, wie tefering —, daß wir diese Diskussion um die vertikale wir es trotzdem geschafft haben, heute mit einem Lösung sehr breit geführt haben. Ich erinnere daran: interfraktionellen Gesetzentwurf in die zweite und Sowohl die Entscheidung am 21. Juni als auch die dritte Lesung zu kommen. nachfolgenden machen einen Kompromiß aus. Um (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der diesen Kompromiß ist auch in den nachfolgenden F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Überlegungen immer wieder gerungen worden. Wir GRÜNEN — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/ haben ihn so gefaßt; ich denke, dazu gibt es zu Recht CSU]: Wir sind besser als unser Ruf, Frau Zuspruch und Widerspruch. Präsidentin!) Ich möchte aber noch einen Satz hinzufügen: So, — Das müßte draußen bekannter sein. wie wir die Verwaltungsreform brauchen, brauchen Deswegen ganz kurz zu dem, was wir heute inter- wir auch die Parlamentsreform. Beides gehört auch fraktionell als Bonn/Berlin-Gesetz und mit dem drit- für unsere Arbeitsweisen parlamentarisch und admi- ten Zwischenbericht zur Entscheidung vorlegen: nistrativ, zusammen. Diese stehen auch weiterhin Zunächst ist das, was wir hier als Aufgabe übernom- an. men haben, eine Folge unserer Entscheidung vom (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der 21. Juni 1991. Es ist offenbar in Vergessenheit geraten, PDS/Linke Liste) daß im deutschen Einigungsvertrag nach langen Ver- Aber was hier heute ansteht, ist die Beschlußfas- handlungen festgelegt wurde, daß das Parlament sung zu den zeitlichen Planungen und zu den inhalt- diese Entscheidung treffen sollte und sie dann auch lichen Planungen. Es gehört dazu, Ausgleich zu fin- nach lebhafter und kontroverser Debatte getroffen den. Dazu gehörte auch die gerade gestellte Frage. hat. Denn wenn soeben gesagt wurde: Es ist Schluß mit Das, was wir heute verabschieden, ist mehr als einem Provisorium, dann bewegen wir uns gleichzei- Modalitäten eines planungstechnischen Entwurfs für tig noch in diesem Proviso rium. den Umzug. Ich möchte, daß bei aller kleinen Münze, Herr Ullmann, auch wenn ich als penetr ant die wir ständig hin und her schieben, nicht verloren erscheine; ich sage es zum wiederholten Male: Hier in geht, daß es eine riesige Gestaltungsaufgabe ist und Bonn ist weder provinzielle noch weltabgewandte daß wir vielleicht mehr, auch nach draußen, übermit- Politik gemacht worden. Hier in Bonn ist eine Politik teln sollten, daß es hier um Zukunftsplanung und gemacht worden, -gestaltung far die Politik geht. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Wiedervereinigung und europäische Integra tion Wir vermitteln keinen guten Eindruck, wenn wir bei ermöglicht hat. Ich habe die Hoffnung und denke, wir einfacher oder gehobener Pinselsanierung mit oder alle arbeiten dafür, daß dieser Weg deutscher Politik ohne Kuppel angekommen sind. Das entspricht nicht auch in Berlin unserem Auftrag und der Aufgabe, die wir haben. (Beifall des Abg. Jochen Feilcke [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der CSU]) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unter veränderten Bedingungen in einem erweiterten Europa fortgeführt wird. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) geordnete, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordne- Da wir Erfahrungen mit einem Provisorium gemacht ten Dr. Schuster zu beantworten? haben, gehört auch dazu, daß wir die Fehler nicht zwingend wiederholen, die wir schon gemacht Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Natürlich bin ich haben. bereit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 18620 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Rita Süssmuth Deswegen gehört sowohl zur Parlaments- als auch zur Reichstagsumbau vorgenommen werden sollen; denn Regierungsplanung, daß man die Funktionalität und wir werden daran gemessen, was wir einlösen. Arbeitsweise eines Parlamentes konzentriert und sich (Ina Albowitz [F.D.P.]: Und was wir heute daran erinnert, was wir vom ersten bis zum dritten hier gesagt haben!) Zwischenbericht zu dem Parlament der kurzen Wege, der Arbeitsfähigkeit und Funktionalität gesagt haben. Wenn wir das Stiften von Verwirrung vermeiden Ich bitte darum, daß wir bei den weiteren Planungen wollen, dann sollten wir über Kostenschätzungen Grundsätze nicht wieder verwerfen, die wir einver- nicht mehr als notwendig reden. Wir haben es hier mit nehmlich miteinander beschlossen haben, Schätzungen zu tun. Normalerweise gibt ein Bauherr seine Kosten genau an, wenn er sie weiß. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) (Ina Albowitz [F.D.P.]: So ist es!) und unsere Planungen in diesem Sinne fortführen. Ich denke, für uns gilt der Grundsatz der Sparsam- keit. Dem Gesetz liegen die heutigen Kostenschätzun- gen der Bundesregierung und des Bundesfinanzmini- Ich möchte allen herzlich danken und für meine steriums zugrunde. Wir sagen: äußerste Sparsamkeit, Person sagen: Ich bin froh, daß wir den heutigen Tag Überprüfung der Kosten am Einzelprojekt im Haus- erreicht haben. Er ermutigt mich für die weiteren haltsausschuß, Senkung der Kosten, wo immer mög- Planungen des Umzugs von Bonn nach Berlin. lich. Darüber besteht Einvernehmen. Das ist auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Inhalt unserer Beschlußempfehlung. Ich denke, dem der SPD) sind wir um so mehr verpflichtet, als andere Projekte Ich sage dies auch an die Adresse der Mitarbeiter hart umrungen sind. Ich hoffe, daß der Vermittlungs- und Mitarbeiterinnen, die uns unterstützt haben und ausschuß parallel zu unserer Entscheidung heute zu die sich darauf verlassen, daß dies für alle Teile einer Entscheidung in der Pflegeversicherung — Umziehende von Berlin oder anderen Orten nach kommt. Bonn und umgekehrt — auch sozial verträglich gestal- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., dem tet wird. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ich danke Ihnen. Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Wir wissen, daß die Menschen die Projekte durchaus SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) miteinander vergleichen. Mir ist folgendes wichtig: Wir sollten bei den jetzt anstehenden Schritten darauf achten, daß das heute Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine zu beschließende Berlin/Bonn-Gesetz in allen seinen Damen und Herren, bevor ich Professor Starnick, der Teilen verbindlich umgesetzt wird. Je mehr Verunsi- als nächster Redner sprechen wird, das Wort erteile, cherung — sei es bei den Bonnern, sei es bei den möchte ich Sie über die Geschäftslage informieren. Berlinern — auftritt, desto größer wird die Diskus- Wir haben jetzt noch fünf Debattenredner, eine Kurz- sion. intervention und sechsmal den Wunsch zu einer Was die Frage der Verschiebung betrifft, so muß ich Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung, die ich sagen: Wir brauchen — wie eben schon gesagt auch zulasse. Allerdings werde ich weitere Erklärun- wurde — Planungssicherheit in Bonn und in Berlin. gen nach § 31 nur noch zu Protokoll nehmen oder, Offenhalten bedeutet nicht, daß wir in irgendeiner wenn auf mündlichem Vortrag bestanden wird, erst Weise handlungsfähiger werden und uns sozial ver- nach der Abstimmung zulassen. träglicher verhalten. Ich meine, es ist fair, daß ich dem Hause das vorher mitteile. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Herr Professor Starnick, Sie haben nunmehr das Wort. Sie werden verstehen, daß ich als Vorsitzende der Konzeptkommission für alle Kommissionen sage: Wenn ich bedenke, wie viele Stunden dort investiert (F.D.P.): Herr Präsident! Meine worden sind und wie die gegensätzlichen Positionen Dr. Jürgen Starnick Damen und Herren! Nicht so sehr als Mitglied der zusammengeführt worden sind, dann weise ich einen Vorwurf auf das entschiedenste zurück. Die Kommis- Baukommission und der Konzeptkommission, son- dern als Berliner möchte ich allen mit der Beratung der sionen haben zügig und intensivst gearbeitet. Wir heutigen Vorlagen befaßten Ausschüsse Dank sagen; könnten den Beschluß hier heute gar nicht fassen, denn erstmals erkennen wir in der Beschlußempfeh- wenn gebummelt oder verlangsamt worden wäre. lung des Ältestenrates eine klare Linie im Konsens. Deswegen weise ich den Vorwurf der Verlangsa- mung entschieden zurück. Der Dissens, der bisher vielfach noch im Raum gestanden hat, scheint doch dazu umgeschlagen zu (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der sein, daß wir eine gemeinsame Linie auf der Grund- SPD) lage der Beratungen der Konzeptkommission und Wir haben sehr schnell gearbeitet. Alle haben vorher auch der anderen Kommissionen finden, die sich gesagt: „Das werdet ihr nie schaffen", aber wir haben bemüht haben, den Berliner wie auch den Bonner es geschafft. Deswegen heißt es jetzt auch: keine Belangen gerecht zu werden. Die uns vorliegende Verzögerungen bei den jetzt anstehenden Planungen, Beschlußempfehlung des Ältestenrates nennt zusam- auch bezüglich der Veränderungen, die noch am menfassend die Essentials, unter denen der Umzug Deutscher Bundestag — .12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18621

Dr. Jürgen Starnick nach Berlin zu bewerkstelligen ist und welche Maß- Die Devise „keine Neubauten" sollte jedoch kein nahmen für Bonn vorzusehen sind. Dogma sein. Zwar sind Baukosten pro Quadratmeter Bruttogeschoßfläche in Altbauten bei der Wiederher- Ich hatte in der ersten Lesung die Auffassung richtung in der Regel deutlich günstiger als bei meiner Fraktion hervorgehoben, daß es notwendig Neubauten; beziehen Sie das aber auf die verwend- sei, das Zieldatum, wann Bundestag und Bundesre- bare Fläche, nämlich auf die Hauptnutzfläche, dann gierung ihre Arbeit in Berlin aufnehmen und den stellt sich in vielen Fällen diese Frage anders, weil Umzug auch abschließen, in der Präambel des Berlin/ Altbauten oft mit sehr großen Verkehrs- und Ver- Bonn-Gesetzes zu benennen, da sich hiervon die in schnittflächen versehen sind. dem Gesetz beschriebenen Maßnahmen ableiten. Ich halte den heute vorliegenden Beschlußentwurf des Bei allen kritischen Anmerkungen lautet allerdings Ältestenrates einer solchen von mir geforderten Vor- das Gesamturteil: Endlich besteht durch Benennung gehensweise für gleichwertig und kann für Berlin dieses Umzugsdatums Planungssicherheit. Deshalb sagen, daß Berlin mit einer solchen Beschlußfassung kann Berlin, wie ich schon sagte, mit dem Beschluß zufrieden sein kann. zufrieden sein. Aber auch Bonn kann disponieren und gezielt an seine neuen Aufgaben herangehen. Ich weiß, der Umzug nach Berlin ist nicht billig. Er ist Ich hoffe, daß dieses Gesetz wie auch die Vorlage aber auch kein finanzpolitisch unverantwortbares des Ältestenrates aus diesen Gründen eine breite Unternehmen. Alle, die an der Planung und der Zustimmung findet und bitte darum. Umstrukturierung mitwirken, sind in der Pflicht, die langfristig kostengünstigste Lösung zu suchen. Ich (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne habe mich immer gegen überzogene Raum- und ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND Ausstattungsanforderungen in Berlin gewandt. Des- NISSES 90/DIE GRÜNEN) halb begrüße ich auch den Beschluß des Haushalts- ausschusses, die Zustimmung zum Kostentableau der Bundesregierung im Berlin/Bonn-Gesetz unter den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Vorbehalt der Prüfung der einzelnen Maßnahmen zu hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Franz Möller. stellen. Eine langfristig kostengünstige Lösung kann aber keine solche sein, bei der m an aus opportunisti- schen Gründen heute Pinselsanierung verlangt, wohl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine ahnend, daß man später doppelt soviel Geld braucht Dr. Franz Möller Damen und Herren! „Ich hoffe, daß alle Kolleginnen wie dann, wenn m an heute gleich richtig gehandelt und Kollegen wissen, daß wir mit unserer Entschei- hätte. dung eine Verpflichtung für die Zeit danach für die „Keine Provisorien" war die Forderung des Älte- beiden in Frage stehenden Städte und Regionen stenrates anläßlich des zweiten Zwischenberichts. unseres Landes übernehmen." — Mit diesen Worten Alle anderen Gremien, Konzeptkommission und Bau- formulierte Bundeskanzler Helmut Kohl am 20. Juni kommission, haben dieses ernstgenommen — auch die Verpflichtung zur Bewältigung der Folgen des - die Berliner, die sich auch vielfach Anwürfen in Berlin damaligen Beschlusses. ausgesetzt sahen, weil mit dieser Forderung die Illu- Mit dem vorliegenden Berlin/Bonn-Gesetz versucht sion aufgegeben werden mußte, daß die Arbeitsfähig- jetzt der Deutsche Bundestag, dieser Verpflichtung keit in Berlin in vier Jahren zu erreichen ist. Aber gerecht zu werden. Das Gesetz stellt eine Zäsur in der gelingen kann das nur, wenn wohlabgewogene Pla- Entwicklung der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler nungsentscheidungen Bestand haben und nicht in dar und bemüht sich um eine faire Aufteilung der regelmäßigen Abständen wieder in Frage gestellt Regierungsfunktionen zwischen Berlin und Bonn. werden. Mir ist es nicht leichtgefallen, an der Konkretisie- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der rung und Umsetzung des bindenden Umzugsbe- CDU/CSU und der SPD) schlusses mitzuarbeiten. In der Konzeptkommission wurde während der Beratungen dieses Gesetzentwur- Wir haben immer gefordert: Wir wollen keine bau- fes insbesondere bei den vielfältigen Bemühungen, begleitende Planung. Wir sollten ernsthaft dabei blei- die finanziellen Folgen des Umzuges zu kalkulieren, ben und allen Versuchungen, die uns einreden, wir immer wieder deutlich: Dieser Umzug ist nach wie vor müßten wieder neu anfangen zu überlegen oder überflüssig. Er birgt Risiken für die zukünftige Ent- dieses oder jenes total anders machen, widerstehen. wicklung Deutschlands und ist angesichts der Finanz- Das gilt vor allem für die Herstellung der Arbeitsfä- lage zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum zu verant- higkeit des Bundestages in Berlin und die dafür im worten. Umfeld des Reichstags benötigten Bauten. Das bis Gleichwohl, meine Damen und Herren, nützt es den heute erarbeitete Konzept darf nicht in Frage gestellt Menschen in der Region nichts, wenn wir die Schlach- werden. Dieses Konzept läßt zu, Modifikationen vor- ten der Vergangenheit fortsetzen. zunehmen, schließt aber grundsätzlich Umplanungen aus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das gilt aber auch für Bauten der Bundesregierung. Es ist richtig, daß der Haushaltsausschuß noch einmal Deshalb habe ich mich nach reiflichen Überlegungen eine Prüfung der Alternativen verlangt und insbeson- entschieden, dem Berlin/Bonn-Gesetz zuzustimmen. dere die Frage nach der Verwendung von Altbauten (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem stellt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18622 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Franz Möller Drei Gründe sprechen dafür: Wenn wichtige Elemente des Ausgleichs einfach in Erstens. Die Gestaltung des Umzuges, die Arbeits- Frage gestellt werden, braucht man sich nicht zu teilung zwischen Berlin und Bonn und die Ausgleichs- wundem, wenn sich in der Region erneut Unmut und leistungen für die Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler Mißtrauen breitmachen. werden gesetzlich festgeschrieben. Dies bedeutet (Beifall bei Abgeordneten der SPD) — das ist wiederholt gesagt worden — Planungssi- Meine Damen und Herren, die Menschen in der cherheit für den notwendigen Strukturwandel in Bonn Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler sind bei aller und dem genannten Umfeld. Verbitterung entschlossen, den Blick nach vorn zu Wir sollten uns nicht täuschen: Der Bonner Region richten und bei allen Problemen den Strukturwandel steht ein tiefer Einschnitt bevor, der durch den Verlust zu gestalten, ihn auch als Ch ance zu begreifen. Die ministerieller Arbeitsplätze allein nur unzureichend Verantwortung des Deutschen Bundestages, sie, die beschrieben wird. Deshalb ist es von entscheidender Bürger, dabei zu unterstützen, endet nicht mit diesem Bedeutung für eine kontinuierliche und einigermaßen Gesetz. Ich appelliere deshalb an alle, dieser Verant- berechenbare Entwicklung, daß die Verlagerung von wortung auch über den heutigen Tag hinaus gerecht Bundeseinrichtungen aus Berlin sowie aus anderen zu werden. Ländern nach Bonn, der Verbleib von Bundesministe- Ich danke allen, die an diesem wichtigen Schritt rien in der Bundesstadt und nicht zuletzt die finanzi- mitgewirkt haben — der Föderalismuskommission, ellen Ausgleichsleistungen nicht den Launen der der Konzeptkommission, der Personal- und Sozial- Tagespolitik oder kurzfristigen Haushaltszwängen kommission, der Baukommission, den Mitgliedern des unterworfen sind. Ältestenrates und den unermüdlichen Helfern der (Beifall des Abg. Helmut Esters [SPD]) Bundestagsverwaltung und des Arbeitsstabes Berlin/ Bonn im Bundesinnenministerium unter Leitung von Zweitens. Die Bundesstadt Bonn bleibt Standort von Staatssekretär Franz Kroppenstedt, der leider wegen Bundesministerien. Durch die gesetzliche Festlegung einer plötzlichen schweren Erkrankung nicht hiersein von geschlossenen Politikbereichen, die auf Dauer kann und dem wir von hier aus gute und dauerhafte von Bonn aus wahrgenommen werden, ist sicherge- Genesung wünschen. Ihm und allen gilt unser herzli- stellt, daß Bonn auch in Zukunft neben Berlin politi- cher Dank. sches Zentrum der Bundesrepublik bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Deutschland verfügt damit über zwei politische SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schwerpunkte: Berlin und Bonn. Die mit dem Namen Bonn verbundenen Grundentscheidungen deutscher Politik — die Präsidentin hat es eben dankenswerter- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer weise noch einmal genannt — bleiben das Fundament Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Wolf- deutscher Politik. Die Arbeitsteilung zwischen Berlin gang Lüder das Wort. und Bonn signalisiert, daß wir die Einheit Deutsch- lands und die Rolle Deutschlands in der Welt auf - diesem Fundament fortentwickeln wollen. Wolfgang Lüder (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Drittens. Die in den Verhandlungen mit der Bundes- sehr geehrten Damen und Herren! Als Mitverfasser regierung durchgesetzten Ausgleichsleistungen für des Antrages zur Vollendung der Einheit Deutsch- Bonn und die Region sind ein wichtiger Zwischen- lands, über den wir heute beraten, der an der heutigen schritt auf dem Weg, dem Standort Bonn ein neues Sachdebatte nicht teilnimmt, weil unsere Redner aus Profil als innovativer Dienstleistungs- und Technolo- dem Ältestenrat gekommen sind, möchte ich die gieregion, als Wissenschaftsregion und kulturellem Chance nutzen, ein Wort des Dankes an diejenigen Schwerpunkt zu verleihen. Politikerinnen und Politiker im Hause aus Berliner Ich betone aber ausdrücklich und mit Nachdruck: Sicht zu sagen, die seinerzeit im Juni aus vertretbaren Dies ist nur ein Zwischenschritt. Bei einer Reihe von Gründen für die Bonn-Lösung und gegen den Antrag Erwartungen, die sich auch in diesem Gesetz wieder gestimmt haben, die heute aber zu denen gehören, die finden, fehlen konkrete Ergebnisse. Dies gilt vor allem den Beschluß nicht nur pflichtgemäß erfüllen, sondern für die Verlagerung internationaler und europäischer als Beschluß dieses Gremiums aufnehmen und umset- Einrichtungen nach Bonn. Wir erwarten — ich wieder- zen. hole das — mehr Ideen, mehr Initiativen, mehr Einsatz (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der und mehr Überzeugungskraft der Bundesregierung. CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS Wenn hier die Erfolge ausbleiben, ist ein Ausgleich in SES 90/DIE GRÜNEN) anderer Art und Weise zu schaffen. Nach der Gleichberechtigungsdebatte darf ich viel- Nichts ist für den Strukturwandel — dies gilt überall, leicht ausnahmsweise nur zwei Rednerinnen nennen. aber insbesondere hier bei uns — so wichtig wie das Das, was heute hier z. B. von Frau Präsidentin Süss- Vertrauen darauf, daß eingehalten wird, was zugesagt muth und von Frau Albowitz gesagt worden ist, zeigt, worden ist. Schnellschüsse wie etwa die Spekulatio- daß man auch gegen einen Beschluß sein kann, um nen darüber, die Schürmann-Bauten müßten abgeris- ihn trotzdem dann, wenn er akzeptiert ist, nicht nur sen werden, oder Vorstellungen, der Bonn-Vertrag '90 ertragen, sondern mit Leben erfüllen und umsetzen zu müßte gekürzt werden, müssen künftig unterblei- wollen, und dafür gebührt Dank. ben. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der (Beifall der Abg. Ing rid Matthäus-Maier SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ [SPD]) NEN) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18623

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort des für den März nicht gerade der Weisheit letzter hat nunmehr der Abgeordnete Simon Wittmann. Schluß gewesen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/ Simon Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Herr CSU]: Wer hat denn den Vorschlag ge- Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die macht?) heutige Debatte verfolgt, hat man den Eindruck: Friede, Freude, Eierkuchen. Das heißt, daß das Parla- — Ich kann mich an unsere Fraktionssitzung erinnern. ment den mit PDS-Mehrheit zustande gekommenen — Bei jährlichen Haushaltsmitteln von durchschnitt- Beschluß von 1991 in Einstimmigkeit umsetzen wi ll, lich 2 Milliarden DM für den Berlin-Umzug geben wir obwohl die PDS nicht mehr mitmachen wi ll. pro Tag 5,48 Millionen DM für den Umzug aus. Wir hätten also den Berlin-Umzug nur um 14 Tage ver- (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Wir haben schieben müssen, um das Schlechtwettergeld für aber auch gesagt, warum nicht!) März bis zum Jahr 1996 zahlen zu können. Bei dem Unsinn, den heute auch Herr Modrow hier (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verkündet hat, wäre auch ich fast geneigt gewesen, der Beschlußempfehlung des Ältestenrates zuzustim- Bei der Kommentierung des Antrags von Frau men, weil das ja letztlich der Gipfel war. Homburger, Herrn Bury und weiteren Kollegen auf Drucksache 12/6623 wird der Umzug vom Ältestenrat (Zuruf des Abg. Dr. Hans-Jochen Vogel gebetsmühlenhaft immer wieder als großes Investi- [SPD]) tions- und Konjunkturprogramm bezeichnet. Warum — Sie können bei Gelegenheit mal bei mir Urlaub haben wir dann die Investitionen im Straßenbau, bei machen, in Ostbayern, Herr Vogel. Sie haben da ja der Städtebauförderung, im Rahmen der Gemein- Erfahrung. Sie wollten ja schon immer, daß da mehr schaftsaufgabe usw., usf. zum Teil über das erträgli- Bäume wachsen, wenn ich mich an frühere Wahl- che Maß hinaus gekürzt? Auch dies wäre ein Konjunk- kämpfe erinnere, und dann kann ich Ihnen auch turprogramm gewesen und hätte noch dazu verhin- unseren Dialekt beibringen. dert, daß ein Teil des Geldes nur die Gewinne der Die heute vorliegende Beschlußempfehlung des Grundstücksspekulanten in Berlin vervielfacht. Ältestenrates zum Berlin/Bonn-Gesetz und zu einer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Reihe von Anträgen ist nicht gerade ein Meisterstück an parlamentarischer Arbeit, sondern ist einzig und Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, daß allein darauf fixiert, am Umzugstermin 2000 festzu- die normative Kraft des Faktischen eines Tages dazu halten, und zwar koste es, was es wolle. Dabei hätte führen wird, daß das Parlament von dieser zur Glau- gerade das Berlin/Bonn-Gesetz ohne diese Termin- bensfrage und zur nationalen Frage hochstilisierten ideologie friedensliftend und konsensbildend im Par- Terminfixierung Abschied nehmen wird. Die Diskus- lament und zwischen Poli tik und Bürger sein können, sionen im Wahlkampf und die weiterhin zu erwarten- und es hätte trotzdem die notwendige Sicherheit für den Kostenschätzungen werden hier zur höheren Berlin bedeutet. Einsicht beitragen. Es ist für mich ungeheuerlich, mit welcher Leichtfertigkeit der Architekt Sir Norm an Für mich ist es nach wie vor unver antwortlich, in einer so schwierigen Haushaltslage ohne Kenntnis der an die Kostenschätzungen für den Reichstags- Foster herangeht: im Vorvorentwurf 246 Mi llionen exakten Kosten und Risiken über Milliardenbeträge umbau zu entscheiden. DM, im Vorentwurf 600 Millionen DM. Bei diesem Tempo der Kostensteigerung werden wir allein beim (Beifall bei Abgeordneten der SPD — E rnst Reichstag bald bei 1 Milliarde DM sein. Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Auch die neuen Papiere der Baukommission zum Das erinnert mich fatal an manche Gemeinderatssit- Vorentwurf für den Umbau des Reichstagsgebäudes zung, in der über 100-DM-Beträge heiß gestritten erwecken nicht den Eindruck, daß wir sehr bald wird, aber Millionenbeträge ohne große Diskussion wissen, was wir tun wollen. Manche Formulierungen, und ohne Kenntnis der Details einstimmig beschlos- Herr Kansy, die kurzfristig erstellte unzulängliche sen werden. Vorlage, die noch unentschiedene Raumplanung und (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Da sollten Sie vieles mehr erwecken eher den Eindruck, daß die auch wieder hingehen!) Mitglieder der Baukommission heimlich zu Befürwor- tern unseres Antrags geworden sind. — Warum sind Sie denn so aufgeregt? Haben Sie dabei ein schlechtes Gewissen? (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: So ein (Jochen Feilcke [CDU/CSU: Ich bin ganz Quatsch!) ruhig!) Ähnliches ist beim Alsenblock, wo erst noch ein Haben Sie bei der Abstimmung heute ein schlechtes internationaler Realisierungswettbewerb ausgelobt Gewissen? Sonst wären Sie nicht so aufgeregt. werden muß. Selbst do rt, wo bereits gebaut wird, so habe ich beim Besuch vor kurzem feststellen müssen, ( [CDU/CSU]: Schade, daß ist innerhalb eines Jahres nur der Rost des Baugerü- Sie sich für die Zahlen nicht interessiert stes größer geworden. Die wahnsinnige Schnelligkeit, haben!) mit der die Bundesbaubehörden auf die Hochwasser- In den letzten Tagen ist wieder einmal deutlich schäden beim Schürmann-Bau oder die defekte Laut- geworden, daß die Streichung des Schlechtwettergel- sprecheranlage im neuen Plenarsaal reagiert haben, 18624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Simon Wittmann (Tännesberg) wird uns auch in Berlin so manche Überraschung Liebe Frau Kollegin Baumeister, zu sagen —ich darf bereiten. Sie wörtlich zitieren —, wir sollten der Sparsamkeit (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Da ist eine gewisse Chance geben, das ist eines Parlaments, die Baudirektion nicht mehr zuständig!) das Entscheidungen treffen und den Menschen Sicherheit geben soll, die wir vertreten, sicher nicht Ich bitte Sie daher, die Beschlußempfehlung des würdig. Das ist eigentlich beschämend. Ältestenrates abzulehnen und unserem Antrag zuzu- stimmen. Es bedeutet ein Stück mehr Realismus und Antrag Nr. 3. Ich schlage vor, in § 8 Abs. 1 wird die damit ein Stück mehr Glaubwürdigkeit. Die Vollen- Formulierung am Schluß von „soweit" bis „sollen" dung der Einheit Deutschlands hängt sicher am gestrichen und durch das Wort „schaffen" ersetzt. Umzug, weil er beschlossen ist, hängt aber nicht am Begründung: Da nach dem Gesetzentwurf in keiner Umzugstermin, Weise vorhersehbar ist, welche Geschäftsbereiche, welche Bundesministerien letztlich verlegt werden, (Dankward Buwitt [CDU/CSU]: Märchen bedarf es einer besonders sorgfältigen Überprüfung stunde ist das hier!) der mit der Verlegung von Ministeriumsbereichen sondern muß in den Köpfen der Menschen stattfin- verbundenen dienstlichen und persönlichen Pro- den. bleme der Betroffenen. Auch die Bediensteten des Ich bedanke mich. öffentlichen Dienstes dürfen keiner Willkür unterwor- fen sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Änderungsantrag Nr. 4. Ich schlage vor, § 10 des Gesetzentwurfes wie folgt neu zu fassen: „Das Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates. " Begrün- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort dung: Nach dem Einigungsvertrag haben Bundestag hat nunmehr der Abgeordnete Ortwin Lowack. und Bundesrat die Entscheidung über Parlaments- und Regierungssitz zu treffen. Diese gleichrangige Beteiligung läßt sich nur durch ein Gesetz mit Zustim- Ortwin Lowack (fraktionslos): Verehrtes Bundes- mung des Bundesrates erreichen. tagskollegium! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe zunächst Änderungsan- Der letzte Antrag: Nr. 5. § 11 — neue Fassung — träge nach der Geschäftsordnung vorzulesen. Ich wird wie folgt gefaßt: „Zum Gesetzentwurf findet eine schlage vor, daß m an den Gesetzestitel ändert und das Volksbefragung statt. Das Gesetz tritt frühestens Gesetz heißen soll: „Gesetz über den Sitz von Parla- einen Monat nach Durchführung der Volksbefragung ment und Regierung der Bundesrepublik Deutsch- in Kraft. " Kurzbegründung: Eine lebendige Demokra- land". tie, die auf Konsens zwischen selbstbewußten, freien Bürgern und politischen Entscheidungsträgem auf- Kurzbegründung: Die Entschließung des Deut- baut, verlangt bei der Verlegung der wichtigsten schen Bundestags vom 20. Juni 1991 war eine Zufalls- politischen Institutionen unseres Staates die Beteili-- entscheidung, die vor allem auf einer suggestiven gung des Souveräns, und sei es auch nur in der Rede des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bun- schwächsten Form einer Volksbefragung. Damit destagsfraktion, Dr. Schäuble, beruhte. würde der gravierenden Entfremdung und Selbstiso- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der lierung der politischen Entscheidungsträger vor- F.D.P.) gebeugt. Daß auch unsere Präsidentin von der Entscheidung Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf nicht so angetan war, hat sie damit zum Ausdruck damit zu einer kurzen Stellungnahme, zu einem gebracht, daß ihr der Lapsus unterlaufen ist, vom Debattenbeitrag zu den vorliegenden Entwürfen 21. Juni 1991 zu sprechen. Das Gesetz bezieht sich auf übergehen. Ich möchte mich zunächst sehr herzlich ein anderes Datum. bedanken bei Herrn Wittmann und allen, die den Mut Der Gesetzentwurf gibt in keiner Weise den Inhalt haben, darauf hinzuweisen, daß die unglaubliche der Entschließung wieder, z. B. soweit der Bundes- Hektik, mit der 'diese Entscheidungen durchgeführt kanzler ermächtigt sein soll, die Verteilung der werden, nur schaden kann. Geschäftsbereiche der Bundesminister ohne erkenn- (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Über drei bare gesetzgeberische Maßstäbe zu bestimmen — § 4 Jahre!) des Gesetzentwurfes. Ich habe fast den Eindruck, es soll möglichst in einem Änderungsantrag Nr. 2. Ich schlage vor, daß in § 1 großen Abstand vor der Bundestagswahl entschieden ein Absatz 3 mit dem Wortlaut eingefügt wird: „Die folgenden Festlegungen des Gesetzes (§§ 2 bis 8) werden, damit die Bürger dann bereits vergessen stehen unter dem Vorbehalt, daß sämtliche mit dem haben, was heute hier an Entscheidungen getroffen Umzug verbundenen Kosten den Be trag von 10 Milli- werden soll. Aber das kann doch nicht Maßstab arden DM einschließlich der Finanzmittelbeschaf- politisch weitreichender Entscheidungen sein. Es wird fungskosten nicht übersteigen und höhere Kosten hier etwas mit einer Hektik durchgepeitscht, das weite auch nicht zu erwarten sind." Kurzbegründung: Diese Bereiche offenläßt, die geregelt werden müßten. Garnierung, meine verehrten Kolleginnen und Kolle- Da sind nun einmal die phantastischsten Kostenbe- gen, auf der ersten Seite, auf der man sich für eine rechnungen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Deckelung ausspricht, hat ja nun mit dem Inhalt des Prognos kommt zu dem Ergebnis: Von 50 Milliarden Gesetzentwurfes überhaupt nichts zu tun. Sie wird mit DM an geht es aufwärts. Die Politik sagt: Mir gefällt keinem einzigen Wort im Gesetzentwurf erwähnt. das nicht; es muß etwas anderes her. Ich bekomme Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18625

Ortwin Lowack dann vom Finanzminister die Mitteilung: Es wird Ortwin Lowack (fraktionslos): Es fällt mir schwer, ungefähr 30 Milliarden DM ausmachen. Dann Herr Präsident, aber Sie wissen, ich versuche, Ihnen bekommt der Finanzminister den Auftrag, das zu die Arbeit so leicht wie möglich zu machen. überarbeiten. Dabei kommen 20 Milliarden DM her- aus. Der Gesetzgeber traut sich nicht, das in den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Dann be- Gesetzentwurf mit hineinzunehmen, sondern er danke ich mich im Namen des Hauses. bringt das am Anfang als Einleitung, damit die Kolle- Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Ulrich B riefs das gen offenbar mit dem richtigen Eindruck an die Wort. Debatte herangehen. Wenn m an so verfährt, dann ist festzustellen, daß das ein Weg ist, den man doch nicht gutheißen kann. Haben wir wirklich Geld genug, um Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! uns das leisten zu können? Ich darf auf das Bezug Meine Damen und Herren! Die Unruhe auf der nehmen, was gesagt wurde. Das Staatsvolk ist in der Rechten ist immer ein gewisses Zeichen der Anerken- Sache in keiner Weise gefragt und beteiligt worden. nung. Es sind vor allen Dingen eine Reihe verfassungsrecht- Berlin ist wahrhaftig immer eine Reise wert: Kreuz- licher Fragen offengeblieben. berg, der Prenzlauer Berg, das alte Scheunenviertel Wer wie ich an die Zukunft Deutschlands glaubt, bzw. das, was davon nach dem Naziterror geblieben muß nicht der Überzeugung sein, daß er nach Berlin ist, entwickeln inzwischen ein reiches, buntes Leben, umziehen müsse. Berlin ist die deutsche Hauptstadt; das weit und breit nicht seinesgleichen hat. daran will auch ich festhalten. Wer aber sieht, was sich Doch genau dieses bunte, reiche Leben von Künst- an Arbeit im parlamentarischen und im Regierungs- ler- und Alternativprojekten, von Literaten und Kunst- bereich bewährt hat, der muß doch dafür sprechen, handwerkern, von kleinen Geschäften und Kneipen, daß Bewährtes erhalten bleibt, und für Bewährtes diese schöne, schräge Szene und diese Blüten in dem steht nun einmal Bonn. eigentlich kaputtesten Teil Berlins werden auf ökono- misch kaltem Wege weggeschafft, verdrängt werden. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Es wird wegluxusmodernisiert werden, wenn Berlin geordneter Lowack, erstens haben Sie Ihre Redezeit wieder Hauptstadt wird. Und das wird der Fall sein, deutlich überschritten und zweitens habe ich eine wenn dieses Umzugsgesetz Bonn/Berlin tatsächlich Wortmeldung zu einer Frage des Abgeordneten Con- umgesetzt wird. radi. Ich möchte also bitten, die Frage kurz zu stellen, Nicht nur deshalb und weil die Finanzen dieses die Antwort zu geben und dann zum Ende zu kom- Landes ganz erheblich durch den Umzug von Parla- men. ment und Regierung nach Berlin belastet werden, ist die Entscheidung für Berlin und gegen Bonn als Peter Conradi (SPD): Da Sie jetzt zum wiederholten Regierungssitz, die wir 1991 hier gefällt haben, mit Male eine Volksabstimmung verlangen: Erinnern Sie einer geringen Mehrheit gefällt haben, falsch. sich, daß am 19. Juni, einen Tag vor der Hauptstadt- Wer in Berlin nach diesem überflüssigen Umzug für debatte, die SPD-Fraktion hier eine Volksabstimmung dieses Land Politik machen will, der muß mit der über dieses Thema gefordert hat, die in namentlicher Vergangenheit Berlins als der Hauptstadt des Abstimmung durch das Haus abgelehnt worden ist, unmenschlichsten politischen Systems der gesamten und wie haben Sie damals abgestimmt? Menschheitsgeschichte auf Schritt und Tritt leben. In Berlin, und zwar ausgerechnet dort, wo Parlament und (fraktionslos): Ich habe im Zweifel Ortwin Lowack Regierung mit diesem Umzug wieder hin sollen und hier sogar für den SPD-Antrag gestimmt. Ich will nur hin wollen, sind die größten und die scheußlichsten darauf hinweisen, daß ich noch nicht einmal von Verbrechen der Menschheit geplant und organisiert Volksabstimmung gesprochen habe, sondern von und in den Folterkellern der Gestapo an der P rinz- Volksbefragung, weil mir klar ist, daß die Verfassung Albert-Straße zum Teil auch exekutiert worden. dieses Landes eine Volksabstimmung in diesem Fall nicht zuläßt. Ich habe also versucht, das zu tun, was Was diese Geschichte auch heute noch bedeutet, nach der Verfassung möglich ist. wird gegenwärtig beispielsweise an dem US-ameri- kanischen Film „Schindlers Liste" deutlich. Eine Ich darf auf Wunsch des Herrn Präsidenten zum Besichtigung der Ausstellung „Zur Topographie des letzten Satz kommen. Ich hoffe, daß wir wieder Terrors" — die gibt es nämlich in Berlin, und zwar Vernunft, Augenmaß und Vision in die deutsche direkt neben dem Preußischen Landtag - sollte Politik bekommen, und zwar ohne Entscheidungen, in übrigens für alle Abgeordneten dieses Hauses Pflicht denen man versucht, vermeintliche nationale Kom- sein. pensation anzubieten, an sich nur dafür, daß m an sich leider laufend an der deutschen Geschichte auch Nein, die Entscheidung zum Umzug nach Berlin war gegenüber den Opfern des Krieges und am Gemein- nicht gerade eine Entscheidung von politischer Kul- schaftsbewußtsein der Deutschen versündigt hat. Die- tur. Sie war nicht gerade geprägt von einem besonde- ser Schritt ist mit Sicherheit als Kompensation nicht ren Maß an politischer Sensibilität. Die Chance eines der richtige. symbolischen Bruchs mit der unheilvollen deutschen Vergangenheit wurde durch das Votum für den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Umzug nach Berlin vertan. geordneter Lowack, ich habe Ihre Änderungsanträge Umgekehrt wäre ein Votum für das Verbleiben in jetzt vorliegen. Darf ich Ihr Einverständnis vorausset- Bonn, in dieser zweit-, drittrangigen rheinischen Pro- zen, daß ich über diese in der zweiten Lesung vinzstadt, in der man Militärparaden nicht, sehr wohl geschlossen und nicht einzeln abstimmen lasse? aber große Friedensdemonstrationen veranstalten 18626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Ulrich Briefs kann, ein Votum für ein wirklich anderes Deutschland daß er den Umzugsbeschluß unter politischen wie gewesen. finanziellen Gesichtspunkten für falsch hält, Eines allerdings tröstet, wenn Parlament und Regie- (Zuruf von der CDU/CSU: Totale Überra rung nach dem Umzug wieder in Berlin sind: schung!) (Unruhe bei der CDU/CSU) daß er aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse Nationale Regungen — hören Sie auf der Rechten wegen des zugesagten Ausgleichs der Vorlage einmal gut zu! —, nationale Regungen mit dem zustimmt. entsprechenden Tamtam werden immer wieder damit konfrontiert werden, daß Berlin wie keine andere (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber schi Stadt, auch keine andere Stadt im Ausland, eine Stadt zophren!) der nationalen Niederlagen, eine Stadt der nationalen Ich halte mit ihm die am 20. Juni 1991 getroffene Verlierer, eine Stadt der nationalen Loser ist. Berlin ist Entscheidung über den Umzug von Regierung und die Stadt der nationalen Loser; das darf man nicht Parlament nach Berlin nach wie vor für eine schwer- vergessen. wiegende Fehlentscheidung. Also, meine Damen und Herren von der Rechten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) — und auch die Ewiggestrigen außerhalb dieses Hauses —, Berlin eignet sich mit dieser Geschichte Heute sind wir dabei, auf die eine Fehlentscheidung einfach nicht zu der glänzenden Hauptstadt, wie Sie eine zweite zu setzen. sie für die Zukunft so sehr wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: Ist denn diese Angesichts von Massenarbeitslosigkeit, von zwei Redezeit nicht zu Ende?) Billionen gleich 2 000 Milliarden DM Staatsschulden und zunehmender Wohnungsnot hat Deutschl and Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- jetzt andere Sorgen als einen Umzug. geordneter Dr. B riefs, ich wäre Ihnen dankbar, wenn (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Sie Ihre Redezeit nicht zu sehr überschreiten würden. CSU und der F.D.P.) Nutzen Sie die Großzügigkeit des Präsidenten nicht schamlos aus! Deswegen lehne ich diese Vorlage ab. Ich bin der Ansicht, wir hätten den Umzug um mindestens zehn Jahre verschieben sollen. Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident, ich komme zum Schluß. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Das Umzugsgesetz — insofern ist es positiv — setzt F.D.P.) allerdings für die Schaffung einer glänzenden Haupt- Es soll zwischen Ende 1998 und Mitte 2000 umge- stadt, die Sie sich so sehr wünschen, enge Schranken, zogen werden, und 20 Milliarden DM soll der Umzug und das ist gut so. kosten. Jeder weiß, daß der Umzug am Ende teurer - Übrigens eine letzte kleine Anmerkung: Die PDS werden wird. Das zeigen schon die Erfahrungen mit hätte Gelegenheit gehabt, wenn zehn Abgeordnete großen Bundesbauten, und das zeigen die Erfahrun- mit mir für Bonn und gegen Berlin gestimmt hätten, gen mit Haushaltszahlen dieses Finanzministers, bei noch einmal nachhaltig die deutschen Belange zu denen immer schon geschönt, vertuscht und getrickst beeinflussen. wurde. (Zuruf von der CDU/CSU: Wieviel Redezeit (Zuruf von der CDU/CSU: Alte Platte!) haben Sie denn immer noch, Herr Kol Aber auch 20 Milliarden DM haben wir nicht. lege?) Stellen Sie sich einmal vor, was auf der deutschen Arbeitslosengeld wird gekürzt, Arbeitslosenhilfe Rechten los gewesen wäre, wenn ausgerechnet die wird gekürzt, Kindergeld wird gekürzt, Arbeitsbe- PDS Ihnen die Möglichkeit, — schaffungsmaßnahmen werden gekürzt, Schlecht- wettergeld wird gestrichen. Die Sozialhilfe wird gedeckelt. Die Armut nimmt zu. Allein eine Million Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Kinder sind von der Sozialhilfe abhängig. Dr. Briefs, Ihre Redezeit! (Unruhe bei der CDU/CSU) Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): — sich in Berlin Die Familien mit Kindern kommen unter die Räder. wieder eine glänzende Hauptstadt — analog Paris Die Bürger stöhnen unter der höchsten Steuer- und oder London — zu schaffen, verdorben hätte! Abgabenbelastung aller Zeiten. Real sinken Löhne Herr Präsident, ich danke Ihnen. und Renten, und die Staatsschulden explodieren. Aber 20 Milliarden DM für den Umzug, die sollen da Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Wir kom- sein. Wie denn? Durch weiteren Sozialabbau, durch men nunmehr zu den Erklärungen nach § 31 unserer weitere Steuererhöhungen oder durch noch mehr Geschäftsordnung. Ich erteile zunächst der Abgeord- Staatsverschuldung? Das will mir nicht in den Kopf neten Ingrid Matthäus-Maier das Wort. und den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht. Ein seriöser Finanzminister hätte gegen einen solchen Beschluß sein Veto einlegen müssen. Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg möchte ich einer (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bitte von nachkommen und mitteilen, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18627

Ingrid Matthäus-Maier Wenn der Haushaltsausschuß wörtlich feststellt: Hans Martin Bury (SPD): Herr Präsident! Meine Es ist sicherzustellen, daß dies durch Umschich- Damen und Herren! Nachdem es die Umzugsbe- tungen im Gesamthaushalt sowie durch eine schleuniger hier so eilig haben, daß sie der Minderheit insgesamt sparsame Haushaltsgestaltung er- dieses Hauses, die die Mehrheit der Bevölkerung reichbar wird. Die Vereinbarkeit mit der Haus- vertritt, nicht einmal eine angemessene Redezeit haltslage ist damit gegeben. einräumen, gebe ich eine Erklärung zur Abstimmung ab. dann kann ich nur bestürzt feststellen, daß man mit solchen Begründungen alles als mit der Haushaltslage (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ vereinbar erklären kann. CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer A sagt, muß nicht unbedingt B sagen, er kann auch erkennen, daß Es ist doch offensichtlich, daß dieser Beschluß mit der A falsch war. Der Beschluß des Deutschen Bundesta- Haushaltslage nicht vereinbar ist. ges vom 20. Juni 1991, innerhalb von vier Jahren nach Im Gegenteil: Daß wir in diesem Lande zunehmend Berlin zu ziehen, war offensichtlich falsch. Sie wollen Politik nach dem Motto machen „Heute bestellen, ihn heute revidieren. morgen bezahlen", halte ich für unverantwortlich So wie die blühenden Landschaften von Jahr zu gegenüber unseren Kindern und Enkeln, deren Hand- Jahr erneut versprochen werden, soll jetzt auch ein lungsfähigkeit durch zunehmende Zinszahlungen Umzugskonzept beschlossen werden, das weder ehr- stranguliert wird, meine Damen und Herren. lich noch haltbar ist. Glaubwürdigkeit, die vielzitierte (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Peter und oft vermißte, meine Damen und Herren, entsteht Kittelmann [CDU/CSU]: Unverschämt und nicht dadurch, daß man den ersten unhaltbaren und falsch, was Sie da sagen!) prompt gebrochenen Beschluß durch einen unhaltba- ren zweiten ersetzt. Glaubwürdigkeit setzt Wahrhaf- Über 140 Milliarden DM Zinszahlungen allein im Jahr 1994! Da kann man nicht immer nur einfach tigkeit voraus. weiter draufpacken. Und wenn wir Geld locker Was uns hier als Konzept vorgelegt wird, ist jedoch machen — was dringend nötig ist —, dann für Arbeits- eine Mogelpackung, fast müßte man sagen, ein dop- plätze, bezahlbaren Wohnraum und den Aufbau Ost, pelter Betrug: Den einen wird das Blaue vom Himmel aber doch nicht für neue Repräsentationsbauten in versprochen, für die anderen werden die Belastungen Berlin und für einen Umzug. vernebelt. Da hilft es auch wenig, wenn wir den Wie man es auch dreht und wendet: den Menschen Wunsch beschließen, die Umzugskosten mögen sich auf nicht mehr als 20 Milliarden DM belaufen. Wenn nützt dieser vor allem von Herrn Schäuble mit Hektik betriebene Umzug nicht. Den Menschen in Berlin eine Familie ihre Baufinanzierung für das Eigenheim nicht, weil sie schon genug mit Wohnungsnot, Mieten so auslegen würde, bekäme sie von keiner Bank einen explosion und Verkehrsproblemen zu kämpfen Kredit, und zwar zu Recht. haben. Den Menschen in Bonn und der Region nicht, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - weil man ihnen ohne Not ein Strukturproblem schafft. Auch das Parlament verspielt mit solchen plumpen Und natürlich nützt er auch dem Steuerzahler nicht. Schönfärbereien mehr sicher als langsam seinen Kre- Die Menschen wissen, daß Deutschland heute andere dit. Ich bin immer wieder entsetzt darüber, wie maßlos Sorgen hat als den Umzug. arrogant manche hier die Bevölkerung unterschätzen. (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Sie kämpfen Die Menschen wissen sehr wohl, daß mit dem Geld für um Ihren Wahlkreis, das ist alles!) einen Umzug in den nächsten Jahren vordringlichere Dinge zu finanzieren wären. Den Rechtsanspruch auf Deshalb ist es so bedauerlich, daß die Koalition den von der SPD geforderten einen Kindergartenplatz z. B. zu verschieben, weil die Volksentscheid über den Investitionskosten von 21 Milliarden DM in den näch- Umzug abgelehnt hat. Der Umzug nach Berlin wäre sten Jahren nicht aufzubringen sein sollen, und das Paradebeispiel für einen Volksentscheid gewe- sen. gleichzeitig 20 Milliarden DM für einen Parlaments- und Regierungsumzug auszugeben, ist, vorsichtig Politik ist dazu da, Probleme zu lösen, nicht dazu, formuliert, zynisch. Sind Neubauten für Politiker in neue Probleme zu schaffen. Berlin tatsächlich wichtiger als Plätze für Kinder in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ganz Deutschland? Mit dem heutigen Beschluß schaffen wir aber neue (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf Probleme, statt uns auf die Bekämpfung der Arbeits- von der SPD: Reiner Populismus!) losigkeit, der Wohnungsnot und die Wiederherstel- Wir reden hier ohnehin immer über Geld, das wir nicht lung der sozialen Gerechtigkeit zu konzentrieren. haben. Und die Umzugsbeschleuniger weigern sich Deswegen lehne ich die Vorlage ab, meine Damen bis heute beharrlich, ehrlich zu erklären, wen sie zur und Herren. Kasse bitten wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem Nein, meine Damen und Herren, der Umzug nach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Berlin hat keine Eile, zumal, wenn er national über- höht wird, wie von Wolfgang Schäuble bei der Debatte über die Verhüllung des Reichstagsgebäudes. Es wäre Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort allen eher gedient, wenn wir heute ein Signal für die nach § 31 unserer Geschäftsordnung erteile ich nun- Zukunft setzen würden. Die Einheit ist eine Genera- mehr dem Abgeordneten Martin Bury. tionsaufgabe, und am Ende des Einigungsprozesses 18628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Hans Martin Bury mag der Umzug nach Berlin stehen. Ich wünsche mir, Gesetz verbessert wird, wenn Sie es jetzt ablehnen. daß wir bis dahin auch in der europäischen Einigung Das ist mir schleierhaft. ein gutes Stück vorangekommen sind und daß natio- nalstaatliche Hauptstädte alter Prägung an Bedeu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ tung verlieren. Heute in die alte Reichshauptstadt zu CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/ ziehen wäre ein völlig falsches Signal. DIE GRÜNEN) Ich stimme deshalb gegen die Beschlußempfehlung Meine Damen und Herren, es ist auch legitim, über und für den interfraktionellen Alternativantrag. Die- Geld zu sprechen, aber seien Sie vorsichtig: Es gibt ser akzeptiert den Grundsatzbeschluß des Umzuges viele Politikfelder in unserer Gesellschaft, bei denen und will die Chancen der Veränderung für ein schlüs- es keine Mehrheit in der Bevölkerung für Ausgaben siges Konzept nutzen. gibt, obwohl wir alle es wollen. Denken Sie an Probleme in der Entwicklungspolitik und anderswo! (Ina Albowitz [F.D.P.]: Dann hätten wir aber Es ist ein gefährliches Argument, von vornherein schon nächstes Jahr nach Berlin gemußt!) politisch umstrittene Projekte nur an der Finanzierung Wenn schon Umzug, dann nicht nach dem Motto festzumachen. Das darf man, aber nicht in der Art und „Auf nach Berlin, und dann weiter so wie bisher!", Weise, wie es hier gemacht wird. Das halte ich für sondern erst eine Regierungs- und Verwaltungsre- politisch gefährlich. form — wir brauchen nicht nur einen schlankeren Kanzler, sondern auch eine schlankere Bundesregie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ rung —, CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zurufe von der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, inhaltlich zum Berlin/ Bonn-Gesetz, das, wie heute die „F.A.Z." zu Recht und dann zieht eine auf ihre politischen Aufgaben sagt, ein Bonn-Gesetz ist, weil es Bonn Sicherheit reduzierte Bundesregierung nach Berlin, die diese geben soll: Dieses Gesetz ist eigentlich überflüssig, Aufgaben auch wahrnimmt, und ein Bundestag, der eigentlich macht man so etwas im politischen Kon- sie kontrolliert, aber nicht Heerscharen von Verwal- sens, aber die Bonner haben in all den Kommissionen tungsbeamten. gewünscht, daß ein Gesetz dafür gemacht wird. Wir, Meine Damen und Herren, die Entscheidung für die wir für Berlin waren, sagen: Natürlich ist es unsere eine vernünftige Alternative erfordert nur ein bißchen Verpflichtung, für Bonn einen Ausgleich zu schaffen. Rückgrat, ein kleines bißchen Mut: auszubrechen aus Wenn es in Deutschland über ein Gesetz geregelt 45 Jahren parlamentarischer Verteilungsmentalität, werden muß, dann muß es eben ein Gesetz geben, wie die Einzel-, in diesem Fall Regionalinteressen bedient Herr Fromme heute richtig geschrieben hat. und die Allgemeinheit aus dem Auge verliert. Aber in diesem Gesetz stehen einige Dinge, die man Der Entscheidung über den Umzug kommt in der doch mit Fragezeichen versehen sollte. Erstens. Die Tat — das mag ich anfangs unterschätzt haben — hohe Aufteilung — Kollege Schuster hat darauf hingewie- symbolische Bedeutung zu. Schafft es dieses Haus, sen —, wie sie vorgeschlagen ist, halte ich auf Dauer sich aus der Gefangenschaft falscher Versprechungen nicht für tragfähig. zu lösen, Taktik hintanzustellen und eine politische Entscheidung zu treffen? Viele Menschen in Deutsch- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) land haben die Hoffnung bereits aufgegeben. Enttäu- Ich bedaure, daß die Bonner es so wollten; die Bonner schen Sie doch einmal die Negativerwartungen, Sie sollen es so haben. Franz Müntefering, der nordrhein- ahnen kaum, wieviel wir gewinnen können. westfälische Minister, hätte als Bonn-Befürworter (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zurufe dazu zu Recht eine andere Meinung. Ich hoffe, daß von der CDU/CSU: Ha, ha, ha!) sich das noch ändert, weil die Aufteilung strukturell nicht sehr klug und meines Erachtens auch nicht tragfähig ist, gerade für Bonn. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort (Peter Conradi [SPD]: Am 16. Oktober wird hat nunmehr der Abgeordnete Gerd Wartenberg. das geändert!) Aber wenn die Bonner es wollen, respektiere ich es besonders. Ich sage: Weil ich für Berlin bin und die Gerd Wartenberg (Berlin) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist legitim, Bonner die Kompensation so wollen, dann sollen sie es wenn man sich mit den heutigen Vorlagen kritisch haben. auseinandersetzt. Es ist jedoch peinlich, wenn m an die Der zweite Punkt: Bonn ist der Titel „Bundesstadt" Schlachten von 1991 heute noch einmal schlägt. verliehen worden. Ich habe nichts dagegen; Salzgitter (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ und Mönchengladbach sind auch Bundesstädte. CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) DIE GRÜNEN) Bundesunmittelbare Städte gibt es nicht mehr, Reichs- Dieses Parlament ist mit diesen Vorlagen einen unmittelbarkeit auch nicht mehr. gewaltigen Schritt weitergekommen. Liebe Kollegin Matthäus-Maier, ich verstehe nicht, warum Sie uns Wir beschließen hier ein Gesetz, das einmalig in der stundenlang zum Berlin/Bonn-Gesetz in den Kommis- deutschen Parlamentsgeschichte ist und das einige sionen genervt und dafür gekämpft haben, daß dieses Merkwürdigkeiten enthält. Aber es ist der Wunsch Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18629

Gerd Wartenberg (Berlin) einer be troffenen Gruppe, und deswegen trage ich es Wir entscheiden heute übrigens auch über den mit. Antrag, zu dem der Kollege Wittmann und der Kollege Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt: Der Bury eben gesprochen haben, auf Drucksache Gruppenantrag, der hier eingebracht wurde, ist legi- 12/6623 zur Verschiebung des Umzugs. Ich finde es tim. Nur: Das Moratorium ist einfach unehrlich. Das keine Merkwürdigkeit und halte es auch nicht für ist ein Politikerantrag. Von denselben Leuten höre ich falsch, wenn man sagt: Man braucht Zeit zum Nach- mit strahlenden Augen am Biertisch: in der nächsten denken beispielsweise auch über ein Finanzierungs- Wahlperiode neues Glück, dann werden wir den konzept. Deshalb hätte ich diesen Antrag mit meiner Umzug verhindern. Dann sollte man ehrlich sagen, Stimmabgabe gern deutlich unterstützt. Aber das daß man den Umzug nicht will, aber nicht diese vorgesehene Verfahren der Abstimmung über die Moratoriumsgeschichte. Das ist nicht glaubwürdig, Beschlußvorlage des Ältestenrats läßt ein differenzier- und das mag man auch nicht mehr hören. tes und abgestuftes Stimmverhalten, das ich gern praktiziert hätte, nicht zu. Deshalb muß ich die Recht herzlichen Dank. Beschlußvorlage des Ältestenrats ablehnen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Ich möchte noch hinzufügen, daß mich der Kollege F.D.P.) Stefan Schwarz gebeten hat, mitzuteilen, daß er sich dieser Erklärung zur Abstimmung anschließen will. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das Ebenfalls Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: wird die Republik erschüttern!) nach § 31 hat nunmehr Editha Limbach das Wort.

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Editha Limbach (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen hat nunmehr Professor Dr. Immo Lieberoth. und Kollegen! Ich werde dem Beschlußvorschlag des Ältestenrats zu Tagesordnungspunkt 3 nicht zustim- Dr. Immo Lieberoth (CDU/CSU): Herr Präsident! men. Meine Damen und Herren! Als Berlin-Befürworter Ich verkenne nicht, daß mit dem Ber lin/Bonn- werde ich dem Berlin/Bonn-Gesetz nach Drucksache Gesetz der Versuch gemacht wird, die in dem 12/6614 als Gesamtpaket zwar zustimmen, muß aber Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni trotz des Hinweises des Ältestenrates, die getroffenen 1991 vorgesehene faire Arbeitsteilung zwischen der Sitzentscheidungen nach § 7 des Gesetzes nicht zu Hauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn umzu- unterlaufen, meine wiederholt angemeldeten Beden- setzen und Planungssicherheit für die zukünftige ken gegen einen bestimmten Punkt, nämlich die Entwicklung beider Städte zu schaffen. Finanzie- Verlagerung der Außenstelle Berlin der Bundesan- rungssicherheit ist damit allerdings noch nicht gege- stalt für Geowissenschaft und Rohstoffe nach Bonn, ben, und auch bei der Terminplanung sehen wir ja, nochmals deutlich herausstellen. Alle meine bisheri- daß es große Unterschiede in den Meinungen gibt. gen Einsprüche und Hinweise sind leider nicht akzep- Frau Matthäus-Maier, es war Ihr Parteivorsitzender tiert worden. Scharping, der der Auffassung war, es ginge sogar Diese Einrichtung, in der etwa 130 Mitarbeiter tätig alles noch viel, viel schneller. Das muß man fairer- sind — im wesentlichen aus den neuen Bundeslän- weise auch erwähnen, wenn man über den Zeitdruck dern, diese Verlagerung entspräche also einer Verla- bei anderen Personen berichtet. gerung von Akademikern aus dem Osten in den Westen —, hat vor wenigen Jahren schon eine Evalu- Auf der Grundlage des Umzugsbeschlusses beruht ierung hinter sich gebracht. Mit dieser Verlagerung auch der dritte Zwischenbericht der Konzeptkommis- würde eine 125jährige Tradition zerschlagen, die von sion, an dessen Erarbeitung ich ebenso wie an der der ehemaligen Preußischen Geologischen Landesan- Erarbeitung des Gesetzes als Mitglied der Kommis- stalt ausging, in der Sammlungen bis in die Zeit sion beteiligt war. Nur, Herr Kollege Wartenberg: An Friedrichs des Großen zurückreichen. einer Beschlußlage mitzuwirken, um auf deren Basis etwas Vernünftiges zu erreichen, sagt noch nichts Meine Damen und Herren, ohne Kenntnis der darüber aus, ob man seine Meinung bezüglich der näheren Umstände hat die Föderalismuskommission Grundlage einer solchen Beschlußlage geändert hat. damals eine Einrichtung, die sich in einem unter Ich bin nach wie vor der Meinung, daß eine andere Denkmalschutz stehenden Gebäude befindet, für den Aufgabenteilung zwischen Berlin und Bonn richtiger Umzug nach Bonn bestimmt. Einzig diese Entschei- gewesen wäre. Allerdings kann man auch dann, wenn dung kann ich nicht billigen, und ich kann nur ein Beschluß nach eigener Auffassung falsch ist, daran nochmals dazu auffordern, eine sachbezogene Über- mitwirken, die Umsetzung so zu gestalten, daß die prüfung vorzunehmen. Ergebnisse für alle Beteiligten möglichst günstig Ich danke Ihnen. sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Beifall der Abg. Gerlinde Hämmerle [SPD]) F.D.P. und der SPD) Manche Merkwürdigkeiten, von denen Sie gespro- chen haben, sind dadurch zustande gekommen, daß Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Als letzter im Zuge der großen Bemühungen, einen Konsens zu nach § 31 erteile ich der Abgeordneten Birgit Hom- finden, der eine und der andere nachgeben mußte. burger das Wort. Insofern finde ich es ungerecht, jetzt einzelne Punkte herauszugreifen. Das könnte wahrscheinlich jede Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Meine beteiligte Gruppierung tun. Damen und Herren! Ich halte vorab noch einmal fest, 18630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Birgit Homburger daß über den Umzug von Regierung und Parlament solide Finanzierung des Umzugs angeht, nicht von Bonn nach Berlin bereits im Juni 1991 entschieden gerecht. wurde. Diese Entscheidung stelle ich nach wie vor (Beifall des Abg. Hans Martin Bury [SPD]) nicht in Frage. Auch ein Großteil derer, die mit mir diesen interfraktionellen Verschiebungsantrag hier Ich erinnere mich an die Schwierigkeiten, die wir eingebracht haben, stellt diese Entscheidung nicht in vor kurzer Zeit damit hatten, teilweise minimale Frage. Beträge einzusparen. Da gibt es durch Umschichtung im Gesamthaushalt kaum noch Möglichkeiten, und Herr Kollege Wartenberg, ich möchte schon einmal das Petitum einer insgesamt sparsamen Haushaltsge- klar und deutlich sagen: Ich bin es langsam leid, daß in staltung wird wohl nicht dazu ausreichen, einen diesem Hause nur diejenigen, die für Berlin sind und Betrag von insgesamt 20 Milliarden DM gegenzufi- die für dieses Berlin/Bonn-Gesetz stimmen, hier offen- nanzieren. sichtlich die Wahrheit und Glaubwürdigkeit gepach- tet haben. Herr Präsident, meine Damen und Herren, aus diesen Gründen kann ich es nicht verantworten, dem (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der Berlin/Bonn-Gesetz zuzustimmen, und ich werde CDU/CSU und der SPD) auch die Beschlußempfehlung des Ältestenrates ablehnen. Es gibt auch für die andere Meinung gut durch- dachte Gründe. Es müssen nämlich einige Notwen- Danke. digkeiten berücksichtigt werden. Dazu gehört für (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der mich vor allen Dingen, auch zukünftig die Arbeits- CDU/CSU und der SPD) möglichkeit des Parlaments, besonders auch seine Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung, sicherzustellen. Diesem Ziel läuft die Festlegung einer sogenannten festen Arbeitsteilung zwischen Berlin Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine und Bonn durch Ansiedlung von Bundesministerien in Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Hause Berlin und Bonn entgegen. mitteilen, daß die Abgeordneten Martin Grüner, Unter Achtung der eigenständigen Organisations- Lothar Ibrügger, Walter Schöler und Professor gewalt der Bundesregierung halte ich nochmals fest, Dr. Uwe Holtz ihre Erklärungen nach § 31 schriftlich daß nach meiner Meinung alle Ministerien am Sitz des vorgelegt haben.*) Parlaments sein sollten, um den Austausch mit dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Parlament und eben auch die Kontrollmöglichkeiten SPD, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/ des Parlaments sicherzustellen. DIE GRÜNEN) Darüber hinaus bringen aus meiner Sicht die jetzt Somit können wir nunmehr zu den Abstimmungen vorgesehene Arbeitsteilung zwischen Bonn und Ber- kommen, und zwar in der Reihenfolge der Beschluß- - lin und diese Art der Verteilung der Ministerien einen empfehlung des Ältestenrates. Das heißt, wir stimmen nicht zu begründenden W anderzirkus und damit wei- zunächst über die Beschlußempfehlung des Ältesten tere finanzielle Belastungen mit sich. rates zu dem dritten Zwischenbericht der Konzept- kommission ab. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen Besonders schwerwiegend ist für mich auch die 12/6615 und 12/6993 Nr. 1 vor. Wer dieser Beschluß- Tatsache, daß es nach wie vor keine seriöse Finanz- empfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um planung gibt. Die vorliegende Beschlußempfehlung das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- hält fest, daß die Gesamtkosten auf 20 Milliarden DM tungen? — Bei unterschiedlichem Stimmverhalten in zu begrenzen sind. Wer die Bautätigkeit des Bundes allen Fraktionen und Gruppen ist diese Beschlußemp- — insbesondere des Deutschen Bundestages — in den fehlung mit Mehrheit angenommen. letzten Jahren aufmerksam beobachtet hat, der weiß, daß diese Feststellung nichts als deklaratorische Wir- Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den kung hat. von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung Die Feststellung des Haushaltsausschusses, daß in des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom die fortzuschreibende Finanzplanung des Bundes bis 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutsch- 1998 zusätzlich insgesamt etwa 5,7 Milliarden DM lands, Berlin/Bonn-Gesetz. Das liegt Ihnen auf den aufzunehmen seien und damit bis 1998 rund 10,2 Mil- Drucksachen 12/6614 und 12/6993 Nr. 2 vor. liarden DM der 20 Milliarden DM finanziert werden, Der Abgeordnete Ortwin Lowack hat fünf Ände- läßt nicht nur offen, wie die Finanzierung vernünftig rungsanträge gestellt, die er vorgelesen und begrün- erfolgen soll, sondern auch, wann der restliche Be trag det hat. Er hat sich damit einverstanden erklärt, daß — insgesamt 8 Milliarden DM — finanziert werden über diese Änderungsanträge gemeinsam abge- soll. stimmt wird. So werde ich auch verfahren. Wer den Mit der Feststellung, daß sicherzustellen sei, daß die fünf Änderungsanträgen des Abgeordneten Lowack notwendigen Kosten durch Umschichtungen im Haus- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- halt sowie durch eine insgesamt sparsame Haushalts- chen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Bei gestaltung erwirtschaftet werden, wird keine klare vier oder fünf Enthaltungen sind die Anträge mit der Finanzplanung gegeben. Damit wird der Deutsche Mehrheit aller Anwesenden abgelehnt. Bundestag aus meiner Sicht seiner Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, was eine *) Anlage 2 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18631

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in ges. Sie liegt Ihnen auf Drucksache 12/6993 Nr. 4 der Fassung des Ältestenrates in der zweiten Lesung vor. zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei einigen che 12/6618 abzulehnen. Wer stimmt für diese Enthaltungen und einer erheblichen Zahl von Gegen- Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — stimmen aus allen Gruppen und Fraktionen ist dieser Enthaltungen? — Mit Mehrheit ist die Beschlußemp- Gesetzentwurf in der zweiten Beratung angenom- fehlung angenommen. men. Meine Damen und Herren, bevor wir den Tagesord- Wir kommen nunmehr zur nungspunkt 4 a bis 4 c und Zusatzpunkt 4 aufrufen, dritten Beratung. werden wir einen Wechsel auf dem Stuhl des Präsi- denten vornehmen. Dazu hat die Gruppe PDS/Linke Liste namentliche Abstimmung beantragt. Es muß also jetzt festgestellt (Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker) werden, ob die nach der Geschäftsordnung erforder- (Unruhe) liche Quote von anwesenden 5 % der Abgeordneten dieses wünscht. Wer also namentliche Abstimmung wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und dagegen? — Damit ist klar, daß die 5 % nicht erreicht Herren, ich bitte, die notwendige Ruhe herzustellen, sind. damit wir mit den Beratungen fortfahren können. (Andrea Lederer [PDS/Linke Liste]: Enthal Ich will Sie noch darauf aufmerksam machen, daß tungen!) wir eine gute Stunde im Zeitverzug sind und sich — Das spielt keine Rolle, Frau Abgeordnete, denn die damit die namentliche Abstimmung um etwa eine 5 % haben Sie nicht erreicht. Ich kann Ihnen natürlich Stunde verschieben wird. dieses Vergnügen bereiten. Damit hat der Antrag auf nament liche Abstimmung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 a bis 4 c und den nicht das nötige Quorum erreicht. Zusatzpunkt 4 auf: Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem 4. Aktionsprogramm III für mehr Wachstum und Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, Beschäftigung den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei sehr unterschied- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der lichem Stimmverhalten ist der Gesetzentwurf mit CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- deutlicher Mehrheit angenommen. wurfs eines Gesetzes zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der bahnen (Magnetschwebebahnplanungsge- SPD, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/ setz) - DIE GRÜNEN) — Drucksache 12/7006 — Meine Damen und Herren, Sie müssen noch über etliche Beschlußempfehlungen abstimmen. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr (federführend) Wir stimmen jetzt über die Empfehlung des Älte- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- stenrates zu dem Entschließungsantrag der Gruppe heit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau PDS/Linke Liste zur Beschlußempfehlung zum zwei- Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- ten Zwischenbericht der Konzeptkommission, Druck- genabschätzung sachen 12/2886 (neu) und 12/6993 Nr. 3, ab. Der Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Ältestenrat empfiehlt, den Entschließungsantrag der Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Gruppe PDS/Linke Liste für erledigt zu erklären. Wer Finanzausschuß dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- gen? Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit ange- desregierung nommen. Bericht über das Finanzierungskonzept der Magnetschwebebahnverbindung Berlin- Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Hamburg (ØNSRAPID) Ältestenrats zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Martin Bury, Simon Wittmann (Tännesberg), Birgit — Drucksache 12/6964 — Homburger und weiterer Abgeordneter ab. Sie liegen Überweisung svorschlag: Ihnen auf den Drucksachen 12/6623 und 12/6993 Nr. 3 Ausschuß für Verkehr (federführend) vor. Finanzausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag für erledigt heit zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- genabschätzung Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlung ist Haushaltsausschuß angenommen. Ausschuß für Wirtschaft Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Älte- c) — Zweite und dritte Beratung des von der stenrates zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste Bundesregierung eingebrachten Ent- zum Umzug der Bundesregierung und des Bundesta- wurfs eines Gesetzes zur Vereinheitli- 18632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Helmuth Becker chung und Flexibilisierung des Arbeits- Drittens. Die Rahmenbedingungen für flexible und zeitrechts individuelle Arbeitszeitmodelle sind verbessert wor- (Arbeitszeitrechtsgesetz — ArbZRG) den. — Drucksache 12/5888 — Meine Damen und Herren, dieses neue Arbeitszeit- gesetz erlaubt, daß täglich bis zu zehn Stunden (Erste Beratung 183. Sitzung) gearbeitet werden kann, an sechs Tagen in der — Zweite und dritte Beratung des von den Woche, also 60 Stunden. Abgeordneten Ottmar Schreiner, Gerd (Ottmar Schreiner [SPD]: Besonders gesund- Andres, Angelika Barbe, weiteren Ab- heitsfreundlich!) geordneten und der Fraktion der SPD Dabei muß man allerdings bedenken, daß für die eingebrachten Entwurfs eines Arbeits- einzelnen Arbeitnehmer innerhalb eines halben Jah- zeitgesetzes res ein Ausgleich auf 48 Stunden wöchentlich erfolgen — Drucksache 12/5282 — muß. (Erste Beratung 183. Sitzung) (Ottmar Schreiner [SPD]: 48?) Beschlußempfehlung und Bericht des Diese Regelung gibt den Be triebsräten und den Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Geschäftsleitungen nach unserer Auffassung ausrei- nung (11. Ausschuß) chend Möglichkeiten, die Arbeitszeiten auf die — Drucksache 12/6990 — betrieblichen Erfordernisse auszurichten. Diese Re- Berichterstattung: gelung ist nicht, wie die SPD behauptet, ein gewalti- Abgeordnete Karl-Josef Laumann ger Schritt zurück zum Anfang des Jahrhunderts, Renate Rennebach (Ottmar Schreiner [SPD]: 1910! — H ans Bütt Dr. ner [Ingolstadt] [SPD]: Was denn sonst?) ZP4 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- sondern sie ist die einzig richtige Antwort auf die regierung Erfordernisse einer modernen Industrienation. Bericht der Bundesregierung zu Punkt 16 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und „Mehr Teilzeitarbeit" des Aktionsprogramms der F.D.P.) für mehr Wachstum und Beschäftigung Das neue Arbeitszeitgesetz dient nicht dazu, den — Drucksache 12/6983 — ideologischen Streit auszutragen, ob wir eine 35- Überweisungsvorschlag: Stunden-Woche, eine 30-Stunden-Woche oder eine Innenausschuß (federführend) 40-Stunden-Woche regeln sollen, auszutragen, son- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung dern es soll einen Spielraum eröffnen, damit auch in Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dem Umfang und zu den Zeiten in den Betrieben die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese- gearbeitet werden kann, wie Arbeit anfällt. Es muß für hen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann vernünftige Menschen doch einfach einsichtig sein,- ist das so beschlossen. daß es richtiger ist, daß z. B. ein termingebundener Auftrag durch Mehrarbeit abgewickelt wird und daß Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dann diese Mehrarbeit in den Ausgleichszeitraum von unserem Kollegen Karl-Josef Laumann das Wort. einem halben Jahr auf 48 Stunden ausgeglichen werden kann. Es ist auch sinnvoller, daß man in einem Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Herr Präsident! Betrieb, der sehr starken saisonmäßigen Schwankun- Meine Damen und Herren! Das heute zur Verabschie- gen unterliegt, z. B. in der Landmaschinenindustrie, dung anstehende Arbeitszeitrechtsgesetz ist ein wich- aus der ich komme, im Frühjahr und im Frühsommer tiger Schritt der Bundesregierung sowie der beiden mehr arbeitet als im Winter und daß wir mit diesen Koalitionsfraktionen in ihrem entschlossenen Kampf Ausgleichszeiträumen unter Umständen Kurzarbeit gegen Arbeitslosigkeit und für eine Politik für mehr verhindern können. Das ist gut sowohl für die Arbeit- Wachstum und Beschäftigung. nehmer, weil sie keine Lohneinbußen haben, wie aber auch für die Bundesanstalt für Arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist der einzige Metaller, der das so sieht!) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lau- mann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sie sehen, wir setzen unsere Politik, Rahmenbedin- Seifert? gungen für mehr menschliche Arbeit in diesem Land zu schaffen, energisch fort und auch um. Das hier zur Verabschiedung anstehende Gesetz ist Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Ja, bitte. eine ausgewogene Antwort auf die arbeitszeitrechtli- chen Erfordernisse einer modernen Industriegesell- Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Sei- schaft und auch im Interesse der Arbeitnehmer. fert . Drei große Überschriften dieses Gesetzes könnten sein: Erstens. Der Gesundheitsschutz der Arbeitneh- Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Herr Kollege, sind merinnen und Arbeitnehmer ist wirksam und prakti- Sie nicht eigentlich der Meinung, daß die Arbeitsor- kabel gestaltet. ganisation ureigenste Aufgabe des Unternehmers, Zweitens. Sonn- und Feiertage werden als Tage der desjenigen, der nachher die Gewinne einsteckt, ist Arbeitsruhe und der Erholung gesichert. und nicht die Aufgabe derjenigen, die arbeiten und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18633

Dr. Ilja Seifert die dann, wenn der Unternehmer es schlampig vorbe- sprach, für die Betriebe leichter aufzufangen sind. Die reitet hat, hinterher nacharbeiten müssen? Frage der Nachtarbeit ist von uns so geregelt, daß die Ausgleichszeiträume kürzer sind als bei der Tagar- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Ich bin nicht der beit. Von daher ist dem Gesundheitsinteresse der Meinung, daß es die ureigenste Aufgabe des Unter- Arbeitnehmer Rechnung getragen. nehmers ist, dieses zu organisieren; denn in den Ich hatte gerade gesagt, daß es ohne Zweifel zur Betrieben haben wir in der Frage der Arbeitszeitrege- Schattenseite einer Industrienation gehört, daß wir lung eine Mitbestimmung von Betriebsräten. Das Nachtarbeit haben. Ich glaube auch, daß man einse- halte ich für gut so. hen muß, daß es in unserer jetzigen Wirtschaft in (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: In der vielen Bereichen ohne Nachtarbeit nicht geht. Arbeitsorganisation!) Investitionen in einen Arbeitsplatz von 4 oder 5 Ich denke, Herr Kollege Seifert, wenn Sie einmal Millionen DM in Teilen unserer Industrie machen durch private Betriebe in der Republik oder in Ihrem deutlich, daß diese Maschinen auch nachts genutzt Wahlkreis gehen, dann werden Sie hören, daß es trotz werden müssen. Von daher bleibt dem Gesetzgeber der Rezession, die wir heute haben, in der Praxis heute eigentlich nichts anderes übrig, als die Gefährdungen, sehr oft so aussieht, daß dann, wenn die Firmen einen die durch Nachtarbeit auf die Menschen zu kommen Auftrag bekommen, er in der Regel sehr schnell fertig können, insoweit einzuschränken, daß Nachtarbeiter sein muß und man sehr oft nur noch ganz kurze arbeitsmedizinisch begleitet werden Vorlaufzeiten hat. Das ist dann eben nur mit flexiblen Arbeitszeiten möglich. Ich meine, in einer solchen (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Ein Armuts Situation sollten wir das ermöglichen. Das ist im zeugnis ist das!) Interesse von Beschäftigung. Das muß halt laufen. und daß in bestimmten Zeitabständen Untersuchun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen stattfinden. Wenn diese Untersuchungen zu dem der F.D.P.) Ergebnis kommen, daß die Nachtarbeit bei den betrof- Zu den Schattenseiten der Industrienationen und fenen Arbeitnehmern zu einer Gefährdung der der Arbeitszeiten zähle zumindest ich die Nachtar- Gesundheit führen könnte, soll auch die Möglichkeit beit. Die Nachtarbeit ist — das ist zweifelsohne in der bestehen — wenn es eben zu machen ist —, auf einen Fachwelt, denke ich, unstrittig — Arbeitszeit, die für Tagarbeitsplatz umgesetzt zu werden. die betroffenen Menschen zu einer gesundheitlichen (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Armuts Gefährdung und auch zu gesundheitlicher Beein- zeugnis! — Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: trächtigung führen kann. Dann fliegt der raus!) Diesen Umsetzungsanspruch sieht das Gesetz auch Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lau- dann vor, wenn ein Kind unter zwölf Jahren oder ein mann, gestatten Sie noch einmal eine Zwischenfrage, schwerstpflegebedürftiger Angehöriger versorgt wer- diesmal des Kollegen Büttner? den muß, und im Haushalt des Arbeitnehmers kein- anderer Familienangehöriger ist, der diese Aufgabe Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Aber selbstver- wahrnehmen kann. ständlich. Im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung um dieses Gesetz steht jedoch eine ganz andere Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Bütt- Frage, nämlich der Schutz des Sonntags. Klar ist, daß ner. der arbeitsfreie Sonn- und Feiertag sowohl aus reli- giösen, als auch aus kulturellen und familiären Grün- Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Kollege Lau- den ein hohes und schützenwertes Gut ist. mann, können Sie mir erstens einmal einen Be trieb nennen, der auf Grund der jetzigen Arbeitszeitrege- (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: lung keine Überstunden machen konnte? Und was machen Sie?) (Gerd Anders [SPD]: Nein, kann er nicht!) Das wird durch dieses Gesetz sichergestellt. Niemand Und zweitens: Können Sie mir an Hand der jetzigen in diesem Hause und niemand aus der CDU/CSU w ill, Gesetzesvorlage einmal erklären, wieso die Nachtar- daß der Sonntag ein Werktag wird. beitsmöglichkeit erweitert werden soll, obwohl (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Deswegen Nachtarbeit nach allen wissenschaftlichen Erkennt- wird er im Gesetz dazu gemacht!) nissen gesundheitsschädigend ist? Die Menschen brauchen nicht das Einerlei. So wie das (Siegfried Scheffler [SPDJ: Kann er alles Jahr durch die großen Feste Weihnachten, Ostern und nicht! — Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Pfingsten gegliedert ist, muß auch die Woche durch Auch nach seinen eigenen Aussagen!) den Sonntag gegliedert sein und bleiben. (Ottmar Schreiner [SPD]: Sie wollen ihn doch Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Zunächst einmal: Natürlich läßt auch die jetzige Arbeitszeitordnung durch Ihr Gesetz abschaffen!) Überstunden zu. Der Unterschied ist, daß wir die Unstrittig ist, daß in Bereichen, in denen aus öffent- Ausgleichszeiträume von einem Vierteljahr — wie es lichem Interesse sonntags gearbeitet werden muß, bislang der Fall ist — auf ein halbes Jahr ausdehnen. dieses auch möglich ist. Das ist in diesem Gesetz in Dieses gibt die Möglichkeit, daß gerade die Schwan- 16 Ausnahmeregeln präzise beschrieben. Ich habe kungen, von denen ich eingangs in meiner Rede auch den Eindruck, daß die Ausnahmeregelungen 18634 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Karl-Josef Laumann nicht in einem starken Umfang in der politischen Weil wir uns in der CDU/CSU dazu entschlossen Auseinandersetzung gestanden haben. haben, aus Gründen, aber auch nur aus Gründen der Schwieriger ist die Frage: Wollen wir Sonntagsar- Sicherung von Beschäftigung, Sonntagsarbeit zuzu- beit im produzierenden Bereich aus Gründen der lassen, haben wir durch viele Änderungsanträge Sicherung von Beschäftigung zulassen oder nicht? (Ottmar Schreiner [SPD]: Die Sache noch (Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist eine Schän- verschlimmert!) dung des Sonntags! — Hans Büttner [Ingol- der Koalitionsfraktionen hier eine Lösung gefunden, stadt] [SPD]: Schändung des Sonntags! — die dazu beitragen wird, daß dieses Thema erstens Renate Rennebach [SPD]: Außerdem findet praktikabel gelöst wird und es zweitens zu keiner die Schändung schon im Gesetz statt!) Ausweitung der Sonntagsarbeit kommen wird. Hier gibt es natürlich einige Fundamentalisten, die klar nein sagen. Sie begründen es in der Regel mit Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lau- religiösen, kulturellen oder familienpolitischen Argu- mann, es gibt noch einen Wunsch nach einer Zwi- menten. Ich sage ganz offen, daß ich für diese Argu- schenfrage. mente Verständnis habe. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Ja, bitte. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lau- mann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Wei- Schreiner? ler, bitte.

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Ja. Barbara Weiler (SPD): Herr Kollege Laumann, ist Ihnen aus der Anhörung und den Unterlagen zur Ottmar Schreiner (SPD): Herr Kollege Laumann, da Anhörung bekannt, daß die KAB sehr schlüssig nach- Sie die Fundamentalisten angesprochen haben, gewiesen hat, daß es keine Betriebsschließungen und wollte ich Sie fragen, ob der Bischof von T rier, Herr Arbeitsplatzverluste wegen zu kurzer Betriebs- und Spital, den ich später noch zitieren werde, der Bischof Maschinenlaufzeiten gibt, und ist Ihnen bekannt, daß von Mainz, Herr Lehmann, und der Bundesvorstand die KAB in ihrer Stellungnahme gesagt hat: Wer den der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutsch- Sonntag nicht ehrt, ist unsere Stimme nicht wert? lands, die allesamt erklärt haben, der gegenwärtige Gesetzentwurf sei völlig untragbar, weil er zum Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Frau Kollegin erstenmal mit einem gesellschaftlichen Tabu, nämlich Weiler, wir haben die Sonntagsarbeit mit unseren dem Schutz des Sonntags, aus ökonomischen Grün- Änderungsanträgen zum Regierungsentwurf wesent- den aufräumt, in ihrer Sprache alle Fundamentalisten lich eingeschränkt. sind? (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Erweitert! (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der PDS/ — Ottmar Schreiner [SPD]: Ihr habt sie erwei - Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ tert, ihr komischen Nasen!) NEN) Wir haben damit wesentliche Punkte der KAB über- nommen. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Ich habe von (Beifall bei der CDU/CSU) Fundamentalisten im Bereich der Genehmigung von Wenn Sie hier sagen: „Wer den Sonntag nicht ehrt, ist Sonntagsarbeit gesprochen. Ich werde gleich noch unsere Stimme nicht wert", so sage ich Ihnen: Wir dazu kommen, zu sagen, wo und warum wir Sonntags- ehren den Sonntag. Deswegen haben wir die Ände- arbeit zulassen. Damit wird sich gleichzeitig die rungsanträge eingebracht. Ich wäre froh, wenn ich Sie Beantwortung Ihrer Frage ergeben. einmal an der Seite der KAB, meines Verbandes, (Widerspruch bei der SPD) finden würde, wenn es in diesem Hause um den Ich möchte nur, bevor ich zu diesem Thema in Schutz des ungeborenen Lebens geht. meiner Rede komme, ganz deutlich sagen, daß es (Beifall bei der CDU/CSU — Renate Renne nach meiner Auffassung — vor Ort wird diese Auffas- bach [SPD]: In die Welt setzen und sonntags sung auch von vielen Pfarrern und KAB-Leuten alleine lassen!) geteilt — durchaus auch aus religiösen und familien- Wir haben mit unseren Änderungsanträgen folgen- politischen Gründen sinnvoll ist, in Ausnahmeberei- des erreicht: Sonntagsarbeit ist im produzierenden chen Sonntagsarbeit zur Sicherung von Beschäfti- Gewerbe in diesem Land nur dann möglich, wenn von gung einzuführen und zu nutzen. der Aufsichtsbehörde positiv festgestellt wird, daß (Siegfried Vergin [SPD]: Was?) — erstens -- die gesetzlich mögliche wöchentliche Es ist doch allemal besser, daß ein Textilarbeiter Betriebszeit von 144 Stunden in dem Unternehmen, vielleicht das eine oder andere Mal sonntags arbeitet, das die Sonntagsarbeit beantragt, weitgehend ausge- anstatt seinen Arbeitsplatz zu verlieren, we il er ins nutzt worden ist. Ausland ausgelagert wird und er von Montag bis (Ottmar Schreiner [SPD]: Was heißt denn Sonntag zu Hause ist. „weitgehend ausgenutzt"?) (Ottmar Schreiner [SPD]: Mit dieser Alterna Wir haben „weitgehend" gesagt, weil natürlich klar tive können Sie alles begründen! — Hans ist, daß es in diesen Betrieben, z. B. durch Betriebsur-

Büttner [Ingolstadt] [SPD ] : Was ist das für laub, auch Unterbrechungen von 14 Tagen oder eine Alternative!) 3 Wochen gibt, wodurch die 144 Stunden im Jahres- Deutscher Bundestaa — 12. Walperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18635

Karl-Josef Laumann durchschnitt natürlich nicht erreicht werden. Aber können sich in dieser Frage nicht allein an den 144 Stunden bedeuten, daß mehrschichtig gearbeitet Bischöfen orientieren. werden muß und daß samstags gearbeitet werden (Gerd Andres [SPD]: Du bist ein Sonntagskil muß, bevor überhaupt an den Sonntag herangegan- ler!) gen werden kann. Sie müssen sich auch einmal an den Leuten orientie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — ren, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben. Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist Ihre freie Interpretation! Das steht nicht im Gesetzent Schönen Dank. wurf! ) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Überlegen Sie einmal, wo wir heute diese Schichten Ottmar Schreiner [SPD]: War das das Wort überhaupt haben. zum Sonntag oder was? — Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das ist ein Praktiker!) Zweitens muß positiv festgestellt werden, daß die ausländische Konkurrenz dieses Unternehmens über diese 144 Stunden hinaus arbeitet. Das heißt also, daß Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und bei dem betreffenden Wettbewerber im Ausland an Herren, ich bitte um Ruhe. Ich möchte nämlich der Sonn- und Feiertagen produziert werden muß. Zumin- Frau Kollegin Rennebach das Wo rt erteilen. dest bedeutet es das in der Praxis. (Ottmar Schreiner [SPD]: Redet über den Sonntag und hat die Hände in den Hosenta Renate Rennebach (SPD): Vielen D ank, Herr Präsi- schen!) dent. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lau- mann, ich habe den Eindruck, daß Sie mit Ihren Drittens muß festgestellt werden, daß die Konkur- unter Berücksichti- Änderungsanträgen zu dem Gesetzentwurf, den die renzfähigkeit des Unternehmens CDU/CSU-F.D.P.-Koalition vorgelegt hat, erst recht gung der verfassungsmäßig garantierten Sonn- und Feiertagsruhe in unzumutbarer Weise beeinträchtigt die Fahrkarte nach Mailand für Ihr Unternehmen gekauft haben. Manchmal habe ich auch den Ein- worden ist. druck, daß Sie das Gesetz so behandeln wie das Ich glaube, wenn Sie diese drei Punkte einmal Gesetz hinsichtlich des Schlechtwettergeldes, bei zusammennehmen, dann sehen Sie, daß wir Sonn- dem am nächsten Tag nach Verabschiedung des tagsarbeit nur da zulassen wollen, wo es um die Frage Gesetzes durch das Parlament die CDU-Sozialaus- geht, daß der Arbeitsplatz bei uns in Deutschland schüsse losgegangen sind und gesagt haben, m an verlorengeht, oder wo sehr teure Maschinen, wie z. B. müsse das Gesetz nun wieder abschaffen. in einer Rotorspinnerei, wo wir uns über 6 bis 7 Mil- lionen DM pro Arbeitsplatz unterhalten, auch die (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke 24 Stunden am Sonntag arbeiten müssen. Ich lasse Liste) einfach nicht zu, daß die Menschen in meinem Wahl- Von daher ist ja vielleicht noch Hoffnung bis zum Ende des Jahres gegeben. kreis in der Textilindustrie arbeitslos werden und - diese Arbeitsplätze nach Mailand gehen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie müßten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — einmal im Leben vor den Sozialausschüssen Renate Rennebach [SPD]: Sie haben mit dem stehen!) Gesetz die Fahrkarte nach Mailand gekauft! Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute in — Ottmar Schreiner [SPD]: Was haben Sie zweiter und dritter Lesung über die gesetzliche Neu- gegen Mailand?) regelung der Arbeitszeit. Daß wir dies in Verbindung mit der Debatte über den Transrapid tun — und zwar Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lau- tun müssen, weil die Regierungskoalition dies so mann, der Kollege Walther hat den Wunsch, eine will —, ist an sich schon ein Skandal. Zwischenfrage zu stellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der PDS/ Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Nein, ich habe GRÜNEN) jetzt genügend Zwischenfragen zugelassen. Die gesamte Debatte mit der Magnetschwebebahn zu verbinden — ich meine, der Beitrag von Herrn Lau- Vizepräsident Helmuth Becker: Gut. mann war magnetschwebend — (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Der war her vorragend! Der hatte recht! — Hans-Joachim Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Auf Grund unse- rer sehr vorsichtigen und von einer sehr hohen Ver- Fuchtel [CDU/CSU]: Das ist ein Praktiker!) antwortungsmoral geprägten leichten Öffnung der und auch noch mit der Überschrift „Aktionspro- Sonntagsarbeit weise ich es ganz entschieden zurück, gramm III für mehr Wachstum und Beschäftigung" zu uns der Sonntagsschändung zu bezichtigen. Wir wer- versehen ist geradezu absurd, Kolleginnen und Kolle- den uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gen. dagegen wehren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Ihr schän Es ist aber auch ein Zeugnis dafür, daß die Koalition det den Sonntag!) dieser Frage entweder nur einen untergeordneten Wenn ich vor Ort mit den KAB-Leuten spreche, Stellenwert einräumt — das würde für meine Berner- finde ich für meine Haltung mehr Zustimmung. Sie kung über das Schlechtwettergeld sprechen — oder 18636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Renate Rennebach aber sie dieses Thema deshalb zur Magnetschwebe- Feiertagsarbeit zu unterlaufen. Die Erteilung von bahn packt, um es möglichst unbemerkt vom Tisch zu diesbezüglichen Ausnahmegenehmigungen wird bekommen, weil ihr der eigene Gesetzentwurf pein- nach dem Willen der Regierung nicht nur erleich- lich ist. Letzteres könnte ich im übrigen angesichts tert. dessen durchaus noch nachvollziehen, was die Regie- (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Daß rung an Arbeitnehmerfeindlichkeit und beschäfti- keiner mehr am Wochenende arbeiten gungspolitischem Unsinn den Menschen in unserem muß!) Lande mit diesem Gesetz antun will. Vielmehr sollen die Gewerbeaufsichtsämter per Was die gesetzliche Neuregelung der Arbeitszeit Gesetz zur Erteilung solcher Genehmigungen ange- betrifft, so ist diese mehr als überfällig. Die zur Zeit halten werden. Das ist die Aufforderung zur Arbeit am gültige Arbeitszeitordnung stammt von 1938 und ist Sonntag. insofern historisch wie wirtschafts- und sozialpolitisch nicht mehr zeitgemäß und überholt. Es ist zudem in (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wie diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß inzwi- wahr!) schen auch die F.D.P. hier einen Neuregelungsbedarf Sonn- und Feiertage werden somit für fast alle Arbeit- gesehen hat, wo doch in den vergangenen Legislatur- nehmerinnen und Arbeitnehmer zu potentiellen perioden eine Novellierung stets an ihr gescheitert Werktagen. ist. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Jawohl!) Meine Damen und Herren, wir haben bei der Abstimmung im Anschluß an diese Debatte die Wahl Das Familienleben ist entsprechend der Auftragslage zwischen zwei Gesetzentwürfen. Konkret heißt dies: in den Betrieben zu planen, und die Gelegenheit Wir können unsere Stimme dem Gesetzentwurf der — wie es in unserer Verfassung heißt — zur Arbeits- Bundesregierung geben, ruhe und zur seelischen Erhebung ist bestenfalls noch in Ausnahmefällen gegeben, obwohl es in Ihren Art. 1 (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Wozu ich qua Änderungsantrag eingegeben wurde. raten würde!) Zweitens. In Konsequenz einer völlig falsch verstan- der u. a. die Ausweitung der Arbeitszeit sowie eine denen Gleichberechtigung hat die Bundesregierung verstärkte Sonn- und Feiertagsarbeit vorsieht und der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anlaß in der Summe sogar noch hinter die Arbeitszeitord- genommen, nicht etwa die gesundheitsschädliche nung von 1938 zurückfällt; Nachtarbeit generell abzuschaffen, sondern diese (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: So ist es!) nun auch für Arbeiterinnen zuzulassen. wir können aber auch für den Gesetzentwurf der SPD Darüber hinaus entsprechen die von der Regierung stimmen, der seinem Anspruch gerecht wird, nämlich vorgesehenen Regelungen zur Nachtarbeit, wie Pau- eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit zu schaf- senregelung und Zuschläge, nicht dem Urteil des fen, Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat den Gesetzge- ber verpflichtet, gemäß dem Grundsatz der körperli- (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Über chen Unversehrtheit besondere Regelungen zum den Wolken!) Schutz von Nachtarbeitnehmern zu erlassen. die zeitgemäß ist, sozialpolitisch verträglich, gesund- (Beifall bei der SPD) heitspolitisch angemessen und beschäftigungspoli- tisch sinnvoll. Im Entwurf der Bundesregierung dagegen sind Tag- und Nachtarbeit gleichgestellt. (Beifall bei der SPD) (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Lesen Lassen Sie mich kurz die wichtigsten Punkte der Sie mal den Entwurf!) Gesetzentwürfe nennen. Drittens. Auf Grund des Ignorierens der sozialhisto- Dem Entwurf der Bundesregierung für ein Arbeits- rischen Entwicklung bezüglich der wöchentlichen zeitrechtsgesetz liegt eine scheinbar ökonomische Arbeitszeit seit 1938 ist im Regierungsentwurf keine Perspektive zugrunde und nicht, wie man es hätte Verkürzung der Arbeitszeit vorgesehen. So bleibt es vermuten können, das Ziel einer Verbesserung der nach dem Willen der Regierung beim Grundsatz des Arbeitsbedingungen und eines wirksamen Arbeits- Achtstundentages an sechs Werktagen. Die tägliche schutzes oder gar eine arbeitsmarktpolitische Initia- Arbeitszeit kann bis auf zehn Stunden ausgedehnt tive. werden. Der 60-Stunden-Woche werden Tür und Tor So beabsichtigt die Regierung zum einen, das geöffnet. Arbeitszeitrecht aufzuweichen, um sich den niedrigen (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: So ein Standards in den anderen EG - Ländern anzupassen. Quatsch!) Zum anderen unterliegt sie dem falschen Glauben, durch eine größere arbeitszeitliche Verfügbarkeit der — Das steht aber in Ihrem Gesetzentwurf. Daß es Arbeitgeber über ihre Arbeitnehmer einen Beitrag Quatsch ist, sagen wir auch. dafür zu leisten, die bundesdeutsche Wirtschaft aus (Beifall bei der SPD) ihrer Talsohle herauszuführen. Das ist falsch. Diese exemplarisch dargestellten Elemente des Um diese Ziele zu erreichen, ist nach dem Willen der Regierungsentwurfes waren auch die Hauptkritik- Bundesregierung u. a. vorgesehen, erstens, das punkte, die während der Anhörung im Ausschuß von grundgesetzlich garantierte Verbot der Sonn - und fast allen Seiten vorgetragen wurden. Außer den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18637

Renate Rennebach Arbeitgebern haben sich do rt alle gesellschaftlich Sie sehen, meine Damen und Herren, daß für uns relevanten Organisationen und Verbände, insbeson- bei der Frage der Nachtarbeit der Gesundheitsschutz dere die Kirchen, gegen den Gesetzentwurf der im Vordergrund steht. Unserer Ansicht nach kann und Regierung ausgesprochen, auch wenn Sie, meine darf es nicht sein, daß die erwiesenermaßen bestehen- Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, dies den gesundheitlichen Gefährdungen bei der Nachtar- nicht wahrhaben wollen. beit hinter irgendwelchen ökonomischen Argumen- Berechtigterweise hegten im Anschluß an diese ten zurückstehen sollen, die darüber hinaus auch noch Anhörung auch fast alle die Hoffnung, die Koalition zu kurz greifen und schlichtweg falsch sind. würde ihren Entwurf der K ritik entsprechend verbes- (Beifall bei der SPD) sern; aber weit gefehlt! Drittens. In die gleiche Richtung zielen auch die von (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Nicht lernfä- uns vorgeschlagenen Regelungen zur täglichen hig!) Arbeitszeit. Wir wollen, daß endlich die 40-Stunden- Woche, d. h. im Regelfall der Achtstundentag, gesetz- So legte die Koalition zwar im Ausschuß nach langem lich festgeschrieben wird, nur durch Tarifvertrag der Hin und Her und mehrmaliger Absetzung des Themas Zehnstundentag und darüber hinausgehende Ar- sage und schreibe ca. 36 Änderungsanträge vor, aber beitszeiten nur in ganz beschränkten Ausnahmefällen diese verschlechterten den Entwurf nur noch und und mit behördlicher Sondergenehmigung möglich waren ein geradezu klassisches Zeugnis sowohl für sind. Der entsprechende Ausgleichszeitraum ist bei die völlige Zerstrittenheit der Koalition als auch für uns auf zwölf Wochen festgelegt und nicht auf sechs den Sieg der wirtschaftsliberalen Deregulierer gegen- Monate, wie es im Regierungsentwurf vorgesehen ist. über dem letzten bißchen sozialpolitischen Ver- Wir wollen darüber hinaus den Ausgleich durch stand. Freizeit zwingend festschreiben und keinen finanziel- (Beifall bei der SPD) len Ausgleich zulassen, weil dies aus arbeitsmarkt- und gesundheitspolitischen Gründen das einzig Sinn- Ihr Arbeitszeitrechtsgesetz, meine Damen und Her- volle und Notwendige ist. ren von der Regierungskoalition, ist — um es kurz zu sagen — ein bißchen Wasser in die bisher geltende (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Arbeitszeitordnung; erdacht aus der selbstverursach- Liste) ten wirtschaftlichen Drucksituation heraus, deshalb In einer Zeit dramatischen demographischen W an zu kurz gedacht und kurzfristig durchgepeitscht. -dels, Kolleginnen und Kollegen, in der in naher Zukunft — entgegen der heutigen Praxis — immer Unser Entwurf dagegen ist ausgerichtet am Arbeits- mehr ältere Arbeitnehmer am Arbeitsplatz sein wer- und am Gesundheitsschutz sowie an der diesbezügli- den, den Gesundheitsschutz zu einer Kann-Bestim- chen Entwicklung moderner Volkswirtschaften. Wir mung zu machen, wie Sie dies wollen, meine Damen haben uns an den Bedürfnissen der Menschen, die und Herren von der Koalition, ist wirklich hanebü- davon betroffen sind, und zugleich an den Erforder- chen. Allein schon unter diesem Gesichtspunkt ist Ihr nissen einer zeitgemäßen Arbeitszeitgestaltung Arbeitszeitrechtsgesetz abzulehnen. orientiert. Unser Gesetzentwurf sieht folglich im wesentlichen vor: (Beifall bei der SPD) Erstens. Wir wollen die gesetzliche Garantie von Nur weil den Vertretern der Arbeitgeberverbände zwei arbeitsfreien Sonntagen pro Monat. Darüber und ihren Abgesandten im Bundestag der Gesund- hinaus soll die Sonn- und Feiertagsarbeit nicht auf heitsschutz egal ist und sie diesen aus Kostengründen weitere Berufsgruppen und Branchen ausgeweitet vernachlässigen wollen, ist dies zwar aus deren Sicht werden, wie dies die Koalition möchte, sondern — wie verständlich, aber noch lange nicht politisch in Ord- bisher — nur zur Versorgung der Bevölkerung oder nung. Das Kapital denkt in erster Linie an den Profit; aus technischen Gründen zugelassen sein. Wir wollen die betroffenen Menschen spielen dabei keine die Sonn- und Feiertage weiterhin als Familientage Rolle. schützen. Frau Rönsch müßte darüber sehr glücklich (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ist doch sein. nicht wahr!) (Beifall bei der SPD — Gerd Andres [SPD]: Das ist nicht neu, aber nach wie vor eine gültige Wer ist das?) Tatsache. Dies heißt aber nicht automatisch für eine Regierung, daß sie sich den Mächtigen der Wirtschaft — Sie soll eine Ministerin sein. anschließen muß. Eine Regierung ist für die Menschen Zweitens. Was die Nachtarbeit betrifft, sieht der verantwortlich und muß folglich insbesondere auch Gesetzentwurf der SPD besondere Regelungen vor, deren Schutz im Auge haben. die sich von denen bezüglich der Tagarbeit unter- Meine Damen und Herren, dieser Schutz fiel schon scheiden. So soll Nachtarbeit nur an fünf Tagen mit im Entwurf des Herrn Blüm äußerst spärlich aus. Im jeweils sechs Stunden möglich sein oder durch Tarif- Zuge der Beratungen und der koalitionsinternen Aus- vertragsvereinbarung im Sinne einer eventuell not- einandersetzungen ist er dann letztlich dank der wendigen Flexibilisierung an vier Tagen bis zu jeweils F.D.P. völlig hinten heruntergefallen. acht Stunden. Die Zuschläge sollen in Zukunft aus- schließlich durch freie Tage gewährt werden. Es soll Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke eine den gesundheitlichen Anforderungen entspre- Ihnen. chende besondere Pausenregelung eingeführt wer- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und den. bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18638 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Meine Damen und Herren, eine solche Festlegung Herren, das Wort erhält jetzt unser Kollege Paul stellt einen gravierenden Eingriff in die sonst von Friedhoff. Sozialdemokraten lautstark verteidigte Tarifautono- mie dar. Darüber hinaus scheinen die Autoren über hellseherische Fähigkeiten zu verfügen und bereits Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Herr Präsident! Meine heute die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Damen und Herren! Frau Rennebach, bezüglich des- Menschen in den nächsten 20 Jahren zu kennen. Als sen, was Sie hier gerade gesagt haben, daß nämlich Politiker sollten wir uns wirklich lieber auf die Gestal- der Gesundheitsschutz den Arbeitgebern völlig egal tung von Rahmenbedingungen beschränken und - sei, möchte ich Sie bitten, darüber noch einmal diese von den eigentlich Betroffenen ausfüllen las- nachzudenken, sen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das fällt ihr schwer!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) ob das wirklich das Verständnis in diesem Land ist. In diesem Land gibt es eine ganze Reihe verantwor- Der Gesetzentwurf des Arbeitsministers war dabei tungsbewußter Arbeitgeber, denen Arbeitsschutz ein Schritt in die richtige Richtung, ein erster Schritt. überhaupt nicht egal ist. Nach Ansicht der F.D.P.-Fraktion waren allerdings zu viele Kann-Vorschriften im Gesetzentwurf enthalten, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die den Unternehmen nicht ausreichend Planungssi- Ich finde es eine Zumutung, so etwas hier an dieser cherheit gegeben und sie der Gefahr einer Behörden- Stelle zu behaupten. willkür ausgesetzt hätten. Die parlamentarischen Meine Damen und Herren, die Schaffung eines Beratungen haben erfolgreich zu Verbesserungen des flexiblen Arbeitszeitrahmens muß Arbeitnehmern ursprünglichen Gesetzestextes geführt. und Arbeitgebern den Spielraum zur Ausgestaltung Meine Damen und Herren, besonders hef tig individueller, den heutigen wirtschaft lichen und sozialen Bedingungen entsprechender Arbeitsver- umstritten war die Neuregelung der Vorschriften zur Unisono haben Gewerkschaften, hältnisse geben. Ein solcher Rahmen ist unverzichtbar Sonntagsarbeit. Katholische Arbeitnehmerbewegung und die Kir- für eine hochentwickelte Volkswirtschaft. Was sollen chen, um nur einige zu nennen, ins gleiche Ho rn denn all die Reden und Diskussionen über die Zukunft geblasen. Schon lange wurden nicht mehr so häufig des Wirtschaftsstandortes, wenn wir nicht bereit sind, Verkrustungen zu überwinden und überkommene Grundgesetz und Bibel bemüht wie in den vergange- nen Wochen. Die Modifizierung der Regelungen zur Regulierungen abzuschaffen und die in Deutschland Sonntagsarbeit sei — ich zitiere aus einem Schreiben, vorhandenen Rahmenbedingungen sozialverträglich den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft das ich erhalten habe — „Ausdruck des sozialen anzupassen? Raubrittertums ". Als nächster Schritt werde, so der Vorsitzende des Diözesianverbands der KAB Speyer (Beifall bei der F.D.P.) wörtlich, „die Kinderarbeit wieder eingeführt". Um nichts anderes als darum geht es heute bei der (Zustimmung bei der SPD) Verabschiedung des anstehenden Arbeitszeitrechts gesetzes. Meine Damen und Herren, wir sollten die Kirche Meine Damen und Herren, Einigkeit besteht frak- lieber im Dorf lassen. tionsübergreifend darüber, daß die aus den 30er (Beifall bei der F.D.P.) Jahren stammende starre Arbeitszeitordnung ersetzt werden soll. Das nunmehr in der Ausschußfassung Mit den vorgesehenen Regelungen wird sicherlich vorliegende Arbeitszeitrechtsgesetz ist — anders als nicht der Untergang des christlichen Abendlandes der SPD-Entwurf — in die Zukunft gerichtet. eingeläutet. (Renate Rennebach [SPD]: Ah ja?) (Ottmar Schreiner (SPDJ: Das ist der Koalition So will die SPD beispielsweise die 40-Stunden-Woche auch zuzutrauen! Zu allem fähig und zu als absolute Obergrenze — so wie das hier soeben nichts nutze!) verkündet worden ist — für ewig und drei Tage Tatsache ist vielmehr, daß auch in Zukunft am grund- festschreiben. Ich zitiere § 9 Abs. 1 des SPD-Gesetz- sätzlichen Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit entwurfs: festgehalten wird. Allerdings werden per Gesetz für Die regelmäßige Wochenarbeitszeit beträgt Bereiche wie Not- und Rettungsdienste, Krankenhäu- 40 Stunden. Sie ist grundsätzlich auf fünf Tage ser, Versorgungsunternehmen Ausnahmen festge- — in der Regel von Montag bis Freitag — gleich- schrieben. mäßig zu verteilen. (Dr. Walter Hitschler [F.D.P.]: Das will der Herr Büttner nicht!) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Fried- hoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Darüber hinaus sieht § 13 des Entwurfs Ausnahmege- nehmigungen per Rechtsverordnung vor. Viele dieser Ausnahmen sind nicht strittig. Besonders strittig ist die Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Nein, ich möchte im Bewilligung allerdings, wenn die Konkurrenzfähig- Zusammenhang hier vortragen, wie das auch Frau keit gegenüber dem Ausland nach weitgehender Rennebach soeben konnte; Herrn Laumann war das Ausnutzung der zulässigen Betriebszeiten unzumut- leider nicht möglich. bar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung von Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18639

Paul K. Friedhoff Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesi- Wunsch nach einer Zwischenfrage behandeln, ob Sie chert werden kann. sie eventuell auch ablehnen. Ich muß nach der (Vorsitz : Vizepräsident Helmuth Becker) Geschäftsordnung zwischendurch fragen, was ge- schehen soll. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich folgen- des klarstellen: Ob die Konkurrenzfähigkeit „unzu- Nun erteile ich unserer Frau Kollegin Dr. Dagmar mutbar" beeinträchtigt ist, läßt sich nach dem Ver- Enkelmann das Wort. ständnis der Koalition nur aus der Sicht des jeweiligen Unternehmens entscheiden. (Widerspruch bei der SPD) Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr Wir haben bewußt die Formulierung „weitgehende Präsident! Meine Damen und Herren! Die Katholische Ausnutzung" gewählt, um kein starres, unhandhab- Arbeitnehmer-Bewegung — sie war heute schon bares Modell vorzugeben. mehrfach im Gespräch (Beifall bei der F.D.P. — Hans Büttner [Ingol- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Die Ihnen stadt] [SPD]: Das glauben Sie selber nicht!) besonders nahesteht!) In der Umsetzung dieses Gesetzes vor Ort wird sich — in dieser Frage z. B. ja; näher offensichtlich als zeigen, welche Verwaltungen flexibel und aufge- Ihnen — schlossen gegenüber dem Erhalt von Arbeitsplätzen (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Aber und damit gegenüber den Menschen und den Bedürf- nur in dieser Frage! Das wollen wir einmal nissen der Wirtschaft sind. festhalten!) Meine Damen und Herren, mit diesen Regelungen formuliert ihre Kritik an dem vorliegenden Entwurf wird es sicher nicht zu einem Dammbruch in der Sonn- eines Arbeitszeitrechtsgesetzes der Bundesregierung und Feiertagsarbeit kommen. Bislang sind — daran unter der Losung: „Wer den Sonntag nicht ehrt, ist muß erinnert werden — von ca. 33 Millionen Beschäf- unserer Stimme nicht wert! " Vielleicht bekommen wir tigten fast 3 Millionen teilweise auch an Sonn- und sie dann. Feiertagen tätig. Mit der Neuregelung, so erste Schät- zungen, werden etwa für 300 000 Arbeitnehmer (Ottmar Schreiner [SPD]: Wer den Sonntag — vielleicht — an Sonn- und Feiertagen Arbeitsver- nicht ehrt, ist ein Gauner!) hältnisse möglich werden. Gleichzeitig beobachten Die Bundesregierung hat einen mächtigen Schreck wir, daß in unserem Land der Umfang an Sonn- und bekommen und zur Beruhigung der katholischen und Feiertagsarbeit in der Vergangenheit rückläufig anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer § 1 gewesen ist: von 8,8 % 1989 auf 8,2 % 1991. Dies liegt Nr. 2 des Entwurfs dahin gehend ergänzt, sicherlich an den tarifvertraglich vereinbarten Lohn- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Nach dieser zuschlägen für Sonn- und Feiertagsarbeit und an Rede werden Sie Ehrenmitglied der KAB!) anderen Kompensationsmaßnahmen, die zum Schutz des Sonntags vereinbart wurden, und dies ist richtig daß nunmehr Sonntage nicht mehr nur als Tage der so. Arbeitsruhe, sondern auch als Tage der „seelischen Erhebung der Arbeitnehmer" zu schützen seien. Übri- Die Politik kann und soll nicht über die konkrete gens, im kollektiven Freizeitpark haben diese seeli- Umsetzung des Arbeitszeitrechts in Tarifverträgen sche Erhebung mittlerweile 4 Millionen Arbeitslose, und Betriebsvereinbarungen befinden. Sie muß aber und das nicht nur am Sonntag. ihrer Verantwortung gerecht werden und Arbeitneh- mern und Arbeitgebern einen Rahmen vorgeben, der (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das mit wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen entspre- der seelischen Erhebung war ein Antrag der chende Arbeitsverhältnisse ermöglicht. KAB!) (Beifall bei der F.D.P. — Hans Büttner [Ingol- Nichts hingegen wurde an den vielfältigen Ausnah- stadt] [SPD]: Sie greifen damit in die Tarifver- men des Grundsatzes „heiliger Sonntag" geändert, so träge ein!) daß eben künftig — siehe § 11 des Entwurfs — für viele Dies war und ist unser Bestreben beim vorliegenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Jahr nur Arbeitszeitrechtsgesetz. noch höchstens 15 beschäftigungsfreie Sonntage haben wird. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird dem Gesetz zustimmen. Die Kritik an der Erweiterung der Sonntagsarbeit ist nur eine der vielen, die uns in den letzten Wochen Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. erreichte. Sie benennt auch nur ein Problem des (Beifall bei der F.D.P. — Hans Büttner [Ingol- geplanten Arbeitszeitgesetzes. Klar und deutlich sei stadt] [SPD]: Unternehmerpartei! — Gerd gesagt, daß mit der geplanten Neuregelung die 60- Andres [SPD]: Im übrigen, ein Blick in das Stunden-Woche einschließlich der Sonntagsarbeit Gesetz erhöht den Sachverstand!) wieder möglich wird. Bei der Expertenanhörung des Ausschusses hat der Vertreter der IG Metall ausgerechnet, daß nach dem Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, zur Klarstellung: Zwischenfragen dürfen Gesetzentwurf im Extremfall Beschäftigte über einen gemäß § 27 der Geschäftsordnung gestellt werden. Sie Zeitraum von 48 Monaten 60 Stunden pro Woche zur werden vom Präsidenten zugelassen, wenn der Red- Arbeit verpflichtet werden können. ner sie zuläßt. Es liegt also in Ihrer H and, wie Sie den (Gerd Andres [SPD]: Leider wahr!) 18640 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Dagmar Enkelmann Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben also Der Gesetzentwurf der Regierung nimmt darauf auf der Strecke. Genau das ist wohl die gemeinsame natürlich überhaupt keine Rücksicht. Er zeichnet sich Strategie von Bundesregierung und Arbeitgebern. durch Gummiparagraphen und eine Unzahl von Aus- Letztere agieren mit dem Scheinargument: Je beweg- nahmeregelungen aus. Mit dem Verweis auf das licher wir im Umgang mit der Arbeitszeit sind, um so Gemeinwohl, auf die Abwehr von Gefährdungen und wettbewerbsfähiger sind wir. Als ob da nicht wesent- unverhältnismäßig großen Schäden, aber vor allem lich mehr zu tun wäre! mit den arg strapazierten Scheinargumenten wie Im Rahmen des dritten Aktionsprogrammes für Wettbewerbsfähigkeit, Standort Deutschland oder mehr Beschäftigung soll nun ein Gesetz verabschiedet- wirtschaftliche Interessen des Unternehmens kann werden, das sich ausschließlich an Arbeitgeberinter- jede Arbeitszeitverlängerung, Nacht-, Sonn- und essen orientiert. Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Feiertagsarbeit begründet werden. Der Profit ist eben mer sollen mehr, billiger und möglichst rund um die wichtiger als der Mensch, als seine individuellen und Uhr arbeiten können. Dazu wird angestrebt, die sozialen Bedürfnisse nach Arbeit und Leben. Arbeit ganz flexibel an die Maschinenlaufzeiten anzu- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Es ist ein passen, die Nachtarbeit auszuweiten und die Kosten fach nicht wahr, was Sie sagen!) für Mehrarbeit und Überstunden zu senken. Der Deshalb lehnt die PDS/Linke Liste den Regierungs- Schutzgedanke gerät hierbei völlig unter die Räder; entwurf ab. denn die Gestaltung der Arbeitszeit gehört traditionell zu den sozialen Schutzrechten, die die Beschäftigten (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was Ihr vor gesundheitlicher Überbeanspruchung bewahren System für die Arbeitnehmer get an hat, das sollen. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und wissen wir ja!) dramatisch zunehmender Zahl von Dauerarbeitslosen Herr Präsident, meine Damen und Herren, was aber sind Maßnahmen zur Verlängerung der Arbeitszeit haben nun die Veränderungen des Arbeitszeitrechts auch beschäftigungspolitisch schlicht verantwor- mit dem Transrapid zu tun? Beides behandeln wir tungslos. heute kurioserweise in einer Debatte. Beides kenn- (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Das ist zeichnet wütender Aktionismus unter dem Deckman- richtig!) tel Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutsch- land. Oder sollte man vielleicht besser sagen: Mit Zu Recht bezeichnen die Gewerkschaften deshalb Transrapid-Geschwindigkeit vollzieht die Bundesre- die gegenwärtige Arbeitszeitdebatte als Schritt gierung den Sozialabbau? zurück ins letzte Jahrhundert. Immerhin ist 1918 der Acht-Stunden-Tag erkämpft worden. Die stellvertre- Noch im Januar dieses Jahres antwortete die Bun- tende DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer mutmaßt desregierung auf eine Kleine Anfrage des Kollegen denn auch, daß die geforderte Mehrarbeit zu noch Feige nach dem Vergleich verschiedener Bahnsy- höherer Arbeitslosigkeit führen wird, aber auch zu steme: weiterer Verdichtung der Arbeit — mit allen negati- Im Einzelfall ist unter Zugrundelegung strenger ven Folgen für die Gesundheit. Besonders rückschritt- wirtschaftlicher Maßstäbe zu entscheiden, wel- lich seien diesbezüglich die Regelungen zur Nachtar- che Technik zur Anwendung kommt. beit, für die der Gesundheitsschutz absolut unzuläng- Nachzulesen in der Drucksache 12/6534. — Nur zwei lich ist. Monate später ist das anscheinend alles Schnee von Dem eigenen Anspruch, mit einem neuen Arbeits- gestern. Das Kabinett wischt mit unglaublicher Igno- zeitrecht in erster Linie den präventiv-gesundheitspo- ranz und Arroganz alle Bedenken des Wissenschaftli- litischen Erfordernissen Rechnung tragen zu wollen, chen Beirats und anderer Verkehrs- und Haushaltsex- werden die Mehrheitsfraktionen mit ihren Vorschlä- pertinnen und -experten hinweg und hält es noch gen jedenfalls nicht einmal im Ansatz gerecht. Die nicht einmal für nötig, Antworten auf diese Fragen zu Flexibilisierung der Arbeitszeit ausschließlich im geben. Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Betriebsinteresse ohne Berücksichtigung von Ar- Herren: Diese Wissenschaftsfeindlichkeit erinnert beitszeitpräferenzen und Flexibilisierungswünschen mich verdammt an das Politbüro der SED. der Beschäftigten ist inhum an und geht an ihren sozialen und persönlich-familiären Bedürfnissen vor- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. -- bei. Nur wenn die Beschäftigten selbst über Lage und Joachim Hörster [CDU/CSU]: Kennen Sie Dauer der Arbeitszeit mitentscheiden können, führt sich da aus?) Flexibilisierung tatsächlich auch zu mehr Zeitsouve- Nach wie vor liegt kein Vergleich hinsichtlich ränität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Kosten, Reisezeit und Umweltfreundlichkeit der ver- Nichts davon aber löst der heute zur Debatte ste- schiedenen möglichen Systeme für die Verbindung hende Gesetzentwurf der Regierung ein. Anspruch Hamburg-Berlin vor. und Realität klaffen wieder einmal weit auseinan- (Zuruf von der CDU/CSU) der. — Sie müssen sich das schon einmal anhören. Ich Dagegen gibt es im Entwurf der SPD viele Punkte, weiß, wovon ich rede. — Die Vorteile beispielsweise die wir unterstützen werden. Dazu gehören insbeson- der von ABB entwickelten Neigetechnik wie deutlich dere die Forderungen nach Vereinbarkeit von Fami- geringerer Investitionsaufwand durch Verzicht auf lie und Beruf und nach Teilnahme am gesellschaftli- kostenintensiven Streckenneubau, schonender Um- chen Leben. Erst damit würde das Arbeitszeitgesetz gang mit den Gleisanlagen, vergleichbare Reisezeit eine wichtige familien- und gesellschaftspolitische etc. sollten ernsthaft in die Debatte einbezogen wer- Gestaltungsfunktion erhalten. den. Es bleibt nur zu vermuten, daß die Bundesregie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18641

Dr. Dagmar Enkelmann rung einen solchen Vergleich gar nicht will, offen- Umweltpolitisch sprechen allein schon die weitere sichtlich im Interesse von Siemens. Zerschneidung und der zusätzliche Verbrauch von Flächen gegen das Projekt. Unter ökonomischen Mit dem vorgelegten Finanzierungskonzept für den Gesichtspunkten handelt es sich eher um eine Ver- Transrapid wird — um es noch einmal klar und knüpfung von Wunschvorstellungen als um ein soli- deutlich zu sagen — Exportförderung für ein Produkt des Konzept. Was bleibt, sind Fragen über Fragen. Die betrieben, dessen Marktchancen völlig unklar sind PDS/Linke Liste wird daher im und für das man sich noch nicht einmal die Mühe Verkehrsausschuß eine beantragen, die u. a. die vom Wissen- gemacht hat, eine Marktanalyse zu erstellen. Anhörung schaftlichen Beirat aufgelisteten Fragen klären soll. (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Daß man Die SPD hat sich aus dem Dilemma, sowohl Gegner es nicht so genau weiß, das nennt sich als auch Befürworter des Transrapid in ihren Reihen Markt!) zu haben, gerettet, indem sie — sowohl als auch — den — Das nennt sich also Marktwirtschaft. Genau auf Transrapid in kleinen Dosen fordert. Das jedoch diesen Punkt komme ich noch zurück. Wo Sie mit macht meines Erachtens wenig Sinn. Eine Verbin- staatlichen Mitteln sozusagen einen Investruin för- dung Berlin-zukünftiger Standort Großflughafen Jü- dern, das nennen Sie Marktwirtschaft? — Interes- terbog wäre nichts anderes als eine zweite Teststrecke sant! mit horrenden Investitionen im Verhältnis zu einem mehr als zweifelhaften Nutzen. Mit dem vorgelegten Finanzierungskonzept wird also gegen alle marktwirtschaftlichen Prinzipien gear- Mich wundert allerdings dabei noch etwas anderes, beitet. Die Bundesregierung hat sich auf ein Finanzie- liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Noch gibt es rungskonzept eingelassen, bei dem die Indust rie nämlich keine Entscheidung über den zukünftigen gerade einmal mit 500 Millionen DM dabei ist, bei Standort des Großflughafens Berlin/Brandenburg. einem Volumen von insgesamt 10,4 Milliarden DM. Weiß die SPD offensichtlich schon mehr als die Bun- desregierung? Als besonders süßes Bonbon kommt noch dazu, daß (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das war sämtliche Risiken zu Lasten des Bundes gehen. Das eine gute Frage!) betrifft auch die Kosten für einen möglichen Abriß der Magnetbahn im Falle, daß sich das Projekt wirtschaft- Ich möchte zum Schluß an die Kolleginnen und lich nicht rentiert. — Das ist Marktwirtschaft. — Der Kollegen der SPD appellieren, ihren faulen Kompro- Abriß der Strecke müsse dann aus Steuermitteln miß nicht weiter zu verfolgen. Lassen Sie uns nach finanziert werden; so hat es zumindest der Vorsit- einer Anhörung im Verkehrsausschuß wirklich gründ- zende der Magnetbahn GmbH, Hans-Georg Rasch- lich und sachlich entscheiden, und das ohne Wenn bichler, vor einigen Tagen unmißverständlich erklärt. und Aber! Die Bundesregierung hält sich dazu bislang bedeckt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Haben Sie diesem Ansinnen etwa schon zugestimmt? — Hier müssen wir Ihnen wohl gründlich auf die Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Finger sehen. Herren, wir sind in einer etwas mißlichen Situation, Es ist schon der blanke Hohn; denn ungefähr weil wir zu beiden Themen reden. Das haben wir aber zeitgleich mit dem Beschluß der Bundesregierung, der gemeinsam beschlossen. Die Gründe sind dargelegt ach so notleidenden Industrie — in diesem Fall Thys- worden. Zu beiden Themen hat jetzt das Wort unser sen, Siemens, AEG etc. — unter die Arme zu greifen, Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige. veröffentlichte die Siemens-Verkehrstechnik AG eine Information, in der von anhaltenden „stürmischen Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wachstumsraten" in der Bahntechnik die Rede ist. Ich NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen frage mich, welche Kriterien die Bundesregierung und Henen! Die Themen gehören schon irgendwie zugrunde legt, wenn sie einem Konzern wie Siemens, zusammen. der 22 Milliarden DM auf der hohen Kante hat, eine Exportförderung in dieser Größenordnung zukom- (Ottmar Schreiner [SPD]: Irgendwie gehört men läßt. alles zusammen!) Die Spatzen pfeifen es vom Dach: Die Bundesrepu- Dieser Staat verkommt immer mehr zu einem blik befindet sich in einer ausgeprägten Rezession. Selbstbedienungsladen der großen Konzerne. Wie die am Dienstag veröffentlichten Arbeitslosen- (Dr. Eva Pohl [F.D.P.]: Das mit dem Selbstbe- zahlen verdeutlichen, kollabiert der Arbeitsmarkt dienungsladen haben wir doch in der DDR weiter. Mit mittlerweile über vier Millionen offiziell gesehen!) als Arbeitssuchende registrierten Menschen wurde in der Bundesrepublik ein trauriger neuer Höchststand Das ist überdeutlich beim Grünen Punkt geworden, erreicht. und das ist auch beim Transrapid der Fall. Dabei liegt es doch auf der Hand: Entweder das Magnetbahnsy- Gleichzeitig nimmt die Zahl der Erwerbstätigen ab. stem hat einen Markt in Übersee — in Europa hat es Allein in den neuen Bundesländern sank die Zahl der ihn ja offensichtlich nicht — und wird zu dem Export- sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im letzten schlager schlechthin; dann kann ja wohl von der Jahr um 5,4 %. Es besteht weitgehend Konsens dar- Industrie erheblich mehr eigenes finanzielles Engage- über, daß mindestens sechs Millionen Arbeitsplätze in ment gefordert werden. Oder aber es gibt diesen der Bundesrepublik fehlen. Markt nicht; dann ist jede weitere D-Mark für den Arbeitslosigkeit wird von einem Großteil der Bevöl- Transrapid ohnehin verschleudertes Geld. kerung aber als direkte Bedrohung empfunden. In 18642 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Klaus-Dieter Feige vielen Branchen wird um Arbeitszeitverkürzung in bringen. Die Bundesregierung ließ unlängst den Koppelung mit Arbeitsplatzgarantie gerungen. Ar- schon totgeglaubten Transrapid wieder auferstehen. beitsplatzsicherung und Arbeitsplatzbeschaffung Dem Transrapid wurde durch das Ministerduo Krü- sind derzeit als zentrale politische Forderung zu ger/Wissmann die technische Einsatzreife beschei- sehen. Es ist also mehr als dringend, endlich auch im nigt; doch von einer Marktreife ist er noch weit Arbeitszeitrecht aktiv zu werden, zumal es wohl ein entfernt. Anachronismus ist, daß derzeit immer noch die aus der Entscheidende Komponenten der Serienreife wie Zeit des Nationalsozialismus stammende Arbeitszeit- Gegenverkehr, Lärmbelastung bei über 300 km/h ordnung des Jahres 1938 gültig ist. - oder Führung im Tunnel sind noch nicht abschließend Meine Damen und Herren, der Einigungsvertrag untersucht. Elementarste Sicherheitsforderungen wie verpflichtet die Bundesregierung, ein einheitliches der Zugang von Rettungsfahrzeugen im Falle eines Arbeitszeitrecht zu schaffen. Dem werden die vorlie- Unfalls sind noch nicht einmal Bestandteil der Proj ekt- genden Entwürfe nicht gerecht. planung. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, Der Umweltvorteil des Transrapid bei Lärmemis- daß die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht sion und Energieverbrauch gegenüber der Rad- überschreiten darf. Es wird also von 48 Normalarbeits- Schiene-Technik gilt nur bei Geschwindigkeiten bis zeitstunden ausgegangen. Dies entspricht immer zu 300 km/h, was uns die Koalition bei entsprechen- noch den Regelungen der Arbeitszeitordnung von den Vorführungen tunlichst immer verheimlicht. Sie 1938. Die Arbeitszeit ist auf zehn Stunden ausdehn- lassen in Ihrer einseitigen Argumentation wissentlich bar, wenn ein Ausgleich innerhalb eines halben außer acht, daß auch die Entwicklung der konventio- Jahres erfolgt. nellen Zugtechnik nicht stehenbleibt. Leichtere Züge, Die notwendigen Arbeitsplätze werden so nicht Bremsenergierückgewinnung, Neigetechnik und geschaffen. Ganz im Gegenteil, durch das Abfeiern Einzelradaufhängung führen zu erheblichen Verbes- der Überstunden in Auftragsflauten erhalten zwar die serungen. Unternehmer eine größere Flexibilität. Mit der Ver- Die Bundesregierung hat nun all denjenigen, die ihr schärfung der Konkurrenz werden jedoch erneut Transrapid-Projekt mit Argwohn betrachten, ein Arbeitsplätze eingespart. Auf weitere leidige Mög- neues Prädikat, nämlich „Bedenkenträger", gege- lichkeiten der Öffnung bei den Arbeitszeiten an Sonn- ben. In die Zielgruppe für abfällige Bemerkungen und Feiertagen will ich bier gar nicht erst eingehen. hinsichtlich angeblicher Technikfeindlichkeit wurde Die SPD geht immerhin von einer Wochenarbeits- sogar der Wissenschaftliche Beirat des Verkehrsmini- zeit von 40 Stunden aus. Gleichzeitig werden der sters in übelster und beleidigender Weise einge- Achtstundentag und die gleichmäßige Aufteilung auf schlossen. Montag bis Freitag festgelegt. So weit, so gut. Aber (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Unglaub auch wenn der SPD-Entwurf insgesamt für die lich!) Beschäftigten deutlich bessere Konditionen enthält, so bleibt — mit unterschiedlichem Maß — doch ein Aber Bedenkenträger denken halt noch über das Rest an Nachzubesserndem. nach, was man ihnen da so vorsetzt. Das scheint in der Beide Entwürfe richten die Arbeitszeit, die Möglich- Koalition wohl eher die Ausnahme zu sein. keiten der Schichtarbeit und die Wochenendarbeit Das Gegenteil von Bedenkentragen ist wohl Beden- einseitig an den betrieblichen Produktionsanforde- kenlosigkeit. Was die Bedenkenlosen dem Steuer- rungen aus. Tatsächlich müssen sich Arbeitszeitrege- zahler bei der Finanzierung einer angeblich moder- lungen jedoch mehr als bisher an den Bedürfnissen nen Technologie zumuten, ist wahrlich eine Zumu- der Beschäftigten ausrichten. Es muß klar sein, daß tung. ein Zehnstundenarbeitstag, der mit gesetzlichen (Beifall des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD]) Ruhepausen und Anfahrtswegen problemlos auf einen Vierzehnstundenarbeitstag anschwillt, von tra- Seit dem Förderbeginn des Transrapid-Projekts hat dierten Rollenverteilungen ausgeht, bei denen die der Forschungsminister allein 1,8 Milliarden DM vor- tägliche private Reproduktion von Nichterwerbstäti- gelegt. Trotz der heutigen Anwendungsplanung sol- gen — d. h. in der Regel Frauen — aufgefangen len noch weitere Entwicklungsarbeiten in Höhe von wird. 200 Millionen DM aus dem Etat des BMFT aufgewen- det werden. So ist folglich eine drastische Reduzierung der Arbeitszeit auf 30 Stunden nötig. Die Möglichkeit, Das Finanzierungskonzept für den Fahrweg sieht Überstunden zu erbringen, ist zu unterbinden, zumin- vor, daß das projektierte Investitionsvolumen von dest aber deutlich einzuschränken. Ein Lohnausgleich 5,6 Milliarden DM in zwei Teile gesplittet wird. Ein für untere und mittlere Einkommen versteht sich Teil in Höhe von 2,4 Milliarden DM wird über Kredite hierbei von selbst. Dies wird den Bedürfnissen der der Fahrwegsgesellschaft finanziert. Die Rückführung Beschäftigten und damit der Gesellschaft eher der Kredite soll über ein Nutzungsentgelt erfolgen, gerecht. Gleichzeitig werden auf diese Weise zusätz- das der Fahrwegsgesellschaft von der p rivaten liche Arbeitsplätze geschaffen, und das ist in Zeiten Betriebsgesellschaft ab Betriebsbeginn zufließt. der Massenarbeitslosigkeit — ich spreche als Ostbür- Die Privatwirtschaft erwartet, daß sich ihr Investi- ger, ich weiß, worum es dabei ganz konkret vor Ort tionsanteil während der Bauzeit auf Grund von geht — das Gebot der Stunde. Kosteneskalation und Bauzeitzinsen auf rund 3,7 Mil- Meine Damen und Herren, Arbeitsplätze soll nun liarden DM erhöht; und so weiter, und so weiter. Der auch das neueste Phantasieprodukt des Kabinetts privat finanzierte Fahrweg ist somit völlig abhängig Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18643

Dr. Klaus-Dieter Feige von der Erlössituation der Be treiber. Damit bleibt die Sollte die Strecke Berlin-Hamburg zum „ Wackers- Fahrwegverantwortung letztendlich wieder beim dorf auf Stelzen" werden — und dafür bestehen die Bund, auch wenn Sie uns etwas anderes einreden besten Aussichten —, wird die Magnetschwebetech- wollen. nik als solche in ein äußerst schlechtes Licht gerückt. Auch den zweiten Teil der Fahrweginvestitionen in Das Aus für möglicherweise sinnvolle Transrapid Strecken wäre vorprogrammiert. Höhe von 3,2 Milliarden DM soll der Bund tragen und durch ein Bankenkonsortium vorfinanzieren lassen. (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Rück Auf Grund der Zinsen würde dieser Kredit bis zum wärtsgewandt!) Jahr 2000 unter Planfallannahmen auf rund 4,5 Milli-- Für diese bedenkenlose Politik der Bundesregierung arden DM anwachsen, aber den öffentlichen Haushalt hat die Koalition im Herbst dieses Jahres das Aus erst ab 2001 belasten. Hier gilt analog der privaten verdient, und sie wird es auch erhalten. Vorfinanzierung von Straßen, daß dies die teuerste Finanzierungsvariante ist, die gegen den Grundsatz Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. der wirtschaftlichen Haushaltsführung des Staates (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der verstößt. Das machen wir nicht mit. PDS/Linke Liste) Bitte lügen Sie sich das Projekt hinsichtlich des anvisierten Passagieraufkommens nicht auch noch Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und schön. Über 14,5 Millionen Fahrgäste pro Jahr im Herren, jetzt hat unser Kollege Ottmar Schreiner das Zehnminutentakt ab 2004 wäre eine Steigerung Wort. gegenüber dem heutigen Bahn- und Luftverkehr zwischen Hamburg und Berlin um den Faktor acht. Auch die Attraktivität einer Hochgeschwindigkeits Ottmar Schreiner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- bahn hat ihre Grenze. So haben sich beim TGV leginnen und Kollegen! Man hat zwischenzeitlich den zwischen Lyon und Paris die Fahrgastzahlen mit Eindruck, an einem surrealen Parlamentsereignis teil- der wachsenden Geschwindigkeit lediglich verdrei- zunehmen. Wer auf die Schnapsidee gekommen ist, facht. die Transrapid-Beratungen mit der Arbeitszeitgesetz- Sie lassen bei der Planung des Fahrgastaufkom- gebung zu verkoppeln, möge sich melden und in mens zudem völlig außer acht, daß wir uns bereits jetzt irgendeiner Form kenntlich machen. schon in einer Phase des Wandels des Mobilitätsver- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Damit er haltens der Bürgerinnen und Bürger befinden. Um die auch am Sonntag fahren kann!) Rentabilitätsschwelle der Magnetbahn zwischen Ber- lin und Hamburg auch nur annähernd zu erreichen, Das ist ein Unglück allererster Güte. müßte die Bundesregierung schon die Autobahn von (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Hamburg nach Berlin sprengen lassen, um diese beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mobilität überhaupt garantiert zu bekommen. Nicht einmal ein noch so wild gewordenes Studenten- Trotz der Einbindung der Privatwirtschaft in die parlament würde sich eine derart chaotische Tages- Finanzierungskonzeption des Projekts trägt der Bund ordnung erlauben wie hier der Deutsche Bundes- letztendlich das gesamte Finanzierungsrisiko allein. tag. Wenn denn der Transrapid angeblich so lukrativ (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das kön und umweltfreundlich ist, sollte das Industriekonsor- nen sich nur Geschäftsführer ausdenken!) tium prüfen, ob nicht beispielsweise die Strecke — Nein, unser Geschäftsführer hat gesagt, es sei die Berlin-Warschau-Moskau für den Transrapid besser Idee des Kollegen Rüttgers gewesen, der aus guten geeignet ist, aber sie dann auch voll finanzieren. Laut Gründen jetzt abwesend ist. Es ist wirklich unmöglich, Magnetbahngesellschaft ist eine osteuropäische An- dem Parlament eine derartige Tagesordnung zuzu- bindung ohnehin Bestandteil der erwogenen Zu- muten, wie hier geschehen. kunftsprojekte, nicht auf Kosten der Steuerzahler, sondern mit Hilfe ihrer eigenen Investitionen. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Der macht Pflegeversicherung, Herr Kollege Schreiner, Ich schließe also, wie Sie sehen, trotz meiner Beden- genau wie der Kollege Struck!) ken — ich bin stolz, Bedenkenträger zu sein — gar Das zweite surreale Erlebnis ist die Behauptung, nicht aus, daß es geeignete Anwendungen für den der Arbeitszeitgesetzentwurf der Bundesregierung Transrapid gibt, als Alternative zum unökologischen stünde in einem Zusammenhang mit der Bekämpfung Fliegen sowieso. der Massenarbeitslosigkeit. Der Zusammenhang der Die unübersehbaren Mängel und ungelösten Pro- Arbeitszeitgesetzgebung der Koalitionsfraktionen mit bleme der Transrapid-Strecke zwischen Hamburg der Massenarbeitslosigkeit ist so eng wie der Zusam- und Berlin geraten heute ins Hintertreffen, weil die menhang zwischen der Speisekarte des Bundestags- Bundesregierung den Transrapid für den Einsatz im restaurants und der Bekämpfung der Massenarbeits- Wahlkampf mißbraucht. losigkeit. Das ist wirklich ein zweites surreales Erleb- Eine entemotionalisierte, nüchterne und professio- nis, was man im Rahmen dieser Debatte präsentiert nelle Prüfung des Projekts läßt sich jedoch für eine bekommt. plakative Wahlwerbung sicherlich nicht gebrauchen. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und So werfe ich Ihnen heute mit dem Transrapid-Projekt beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Joa Steuermißbrauch zugunsten Ihrer eigenen Machtsi- chim Hörster [CDU/CSU]: Dieser Vergleich cherungsabsichten vor. hinkt!) 18644 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Ottmar Schreiner Ich will zum Thema Arbeitszeit einleitend darauf zungszeiten in den letzten Jahren in ganz erhebli- hinweisen, daß ohne eine grundlegende Neuorientie- chem Umfange entkoppelt worden, und das gilt in rung und Neuverteilung der Arbeitszeit eine wirk- ganz besonderem Maße, im Gegensatz zu allen Erklä- same Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit nicht rungen der Bundesregierung, gerade auch für die möglich sein wird. Es gibt zwei zentrale Zusammen- Bundesrepublik Deutschl and. hänge, auf die ich hinweisen will, weil ohne diese Zusammenhänge auch die gegenwärtige Arbeitszeit- (Beifall bei der SPD) gesetzgebung nicht begreiflich ist. Der erste Zusam- Zu dem zweiten Zusammenhang, dem Zusammen- menhang ist die Verbindung von individueller hang zwischen individueller Arbeitszeit und der Arbeitszeit und den Maschinenlaufzeiten oder Beschäftigungssituation. Auch dieser Zusammen- Betriebsnutzungszeiten. Der zweite zentrale Zusam- hang, daß Arbeitszeitverkürzungen in der Regel posi- menhang ist die Verbindung von individueller tive Beschäftigungseffekte zeitigen, liegt auf der Arbeitszeit und Beschäftigungspolitik. Hand. Das wurde von der Bundesregierung lange Zeit bestritten, das Gegenteil wurde behauptet. Spätestens Zum ersten Zusammenhang: Noch 1993, also im seit dem sogenannten VW-Modell ist in die allge- vorigen Jahr, hieß es in dem im Bundestag vorgeleg- meine Erkenntnis eingedrungen, daß es enge Zusam- ten Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssiche- menhänge zwischen individueller Arbeitszeitverkür- rung des Standorts Deutschland: zung und Beschäftigungseffekten gibt. Über zehn Die Deutschen leisten sich im internationalen Jahre lang haben die Koalitionsfraktionen dem deut- Vergleich äußerst kurze Arbeits- und Maschinen- schen Volk pausenlos das Gegenteil einzuhämmern laufzeiten. Die durchschnittlichen wöchentlichen versucht. Betriebszeiten sind in Deutschland kürzer als in Ich will das deutlich machen am Beispiel des 1984

allen anderen Industriestaaten. eingeleiteten Einstiegs in die 35 - Stunden - Woche. Der Beschäftigungseffekt der Einstiegsschritte — wir sind In der Folge dieser Feststellungen im Standortbericht ja weit davon entfernt, flächendeckend die 35-Stun- wurde dann massiv öffentlich polemisiert, unter ande- den-Woche zu haben — macht bislang rund 1 Million rem vom Bundeskanzler, aber von vielen anderen Arbeitsplätze aus. Den Einstieg in die 35-Stunden- auch, gegen den sogenannten kollektiven Freizeit- Woche kommentierte der Bundeskanzler damals park Deutschland, und in der Folge wurde gefordert, -- ich rufe das in Erinnerung — als dumm, töricht und nicht nur die Maschinenlaufzeiten zu verlängern, absurd. Bis zur Stunde haben die Regierungsparteien sondern generell die individuellen Arbeitszeiten jeden Schritt in Richtung Arbeitszeitverkürzung ebenfalls zu verlängern. intensiv bekämpft. Statt die Tarifparteien zu ermun- Die Feststellungen im Standortbericht der Bundes- tern, das Tempo der Arbeitszeitverkürzung zu regierung und der daraus abgeleitete politische For- beschleunigen, ist das Gegenteil eingetreten: Sie derungskatalog der Koalitionsfraktionen und der wurden diffamiert und diskreditiert. Regierung sind ein Paradebeispiel für eine bewußte Wenn es bei den gegenwärtigen Stufenplänen oder sorglos unbewußte Irreführung der Öffentlich- bleibt, werden wir im Jahr 2010 flächendeckend die keit auf einem eminent wichtigen ökonomisch-sozia- 35-Stunden-Woche haben. Das ist bei einem Fehlbe- len Feld. stand von 6 Millionen regulären Arbeitsplätzen in Deutschland viel, viel zu spät. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Allein auf Grund einer grundlegend falschen arbeitszeitpolitischen Orientierung hätte die Bundes- Ich will Ihnen das begründen: Während die Bundes- regierung es verdient, im Herbst in den Ruhestand regierung den deutschen Betriebsnutzungszeiten mit geschickt zu werden. unterstellten 53 Wochenstunden die rote Laterne im Europavergleich zuwies, nimmt Deutschland in Wirk- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lichkeit mit 73 Wochenstunden eine Spitzenposition DIE GRÜNEN — Dr. Walter Franz Altherr bei den industriell hochentwickelten Staaten ein. [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern! —Joachim Hörster [CDU/CSU]: Er zweifelt ja selbst (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Aber daran; er sagt: „hätte" ! ) ohne Saarl and! -- Hans Büttner [Ingolstadt] Ein dritter und letzter Punkt. Wenn man die Arbeits- [SPD]: Das sind die Fakten!) zeitpolitik bilanziert, kommt man zu dem Ergebnis, Der tatsächliche Verlauf folgt einem allgemeinen daß die Bundesregierung eine absolut kontraproduk- Trend: je höher das ökonomische Entwicklungsni- tive und rückwärtsgewandte Politik vertreten und veau eines Landes, um so länger sind die Betriebsnut- keine eigenen Initiativen entwickelt hat. Die gegen- zungszeiten. Dieser Trend spiegelt die steigende wärtige Beschäftigungsmisere ist auch ein Resultat Kapitalintensität der Produktion wider und korre- dieser in der Tat reaktionären Arbeitszeitpolitik. Der spondiert gleichzeitig mit einem weiteren Trend in Entwurf zum Arbeitszeitrechtsgesetz paßt genau in den hochentwickelten Industriestaaten: je höher das dieses Bild. Vorgesehen ist eine wöchentliche Regel- ökonomische Entwicklungsniveau eines Landes, um arbeitszeit von 48 Wochenstunden. Wenn das die so kürzer sind in der Regel die individuellen Arbeits- Kohl-Regierung im Jahre 1896 in einen Arbeitszeitge- zeiten. setzentwurf geschrieben hätte, wäre man einigerma- ßen auf der Höhe der Zeit gewesen. Statt dessen Eine erste Schlußfolgerung: In allen hochentwickel- schreibt es die Kohl-Regierung im Jahre 1994 in einen ten Industriestaaten sind die Arbeits- und Betriebsnut- Gesetzentwurf, obwohl bereits bei 98 % aller Arbeits- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18645

Ottmar Schreiner verhältnisse die 40-Stunden-Woche unterschritten vielleicht in mehrere Unterfragen gliedern. Setz dich ist. erst mal wieder hin! Diese Regelungen liegen genau im Trend der eben (Heiterkeit) dargestellten Grundzusammenhänge. Es ist möglich, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über vier Der entscheidende Punkt ist: Es ist ein gesellschaft- Monate hinweg 60 Stunden in der Woche zu beschäf- licher Tabubruch allererster Güte! tigen. Das ist aus Arbeitszeitgründen nicht zu verant- Nun heißt es im Gesetzentwurf der Koalitionsfrak- worten, und es ist schon gar nicht aus gesundheitli- tionen, daß selbst dann aus rein wirtschaft lichen chen Gründen zu verantworten, weil dies nach allem, Gründen sonntags gearbeitet werden darf, wenn die was wir wissen und was uns die Experten sagen, ein Maschinenlaufzeiten außerhalb des Sonntags weitge- unglaublich großer Risikofaktor für langfristige hend — weitgehend! — ausgenutzt sind. — Ja, was Erkrankungen ist. heißt denn das? Bislang waren Ausnahmegenehmi- Die SPD hat in ihren Entwurf geschrieben, daß gungen nur möglich, wenn die 144 Wochenstunden insbesondere bei atypischen Beschäftigungsverhält- optimal ausgeschöpft worden sind. Jetzt wird es nissen — Überstunden, Nachtarbeit — darauf wesentlich darüber hinaus ins Beliehen der Behörden gedrängt werden soll, daß die entsprechenden Stun- gestellt — und der Druck auf die Behörden wird den durch mehr Freizeit ausgeglichen werden. Allein entsprechend organisiert werden —, die Sonntagsar- das Überstundenvolumen in Deutschl and entspricht beit zuzulassen, wenn die Maschinen möglicherweise einem Vollzeitarbeitsvolumen von — rein rechne- 80 oder 90 Stunden pro Woche gelaufen sind. risch — weit über 900 000 Arbeitsplätzen. Wenn es Das Argument der internationalen Wettbewerbsfä- gelänge, auch nur einen großen Teil in tatsächliche higkeit ist überhaupt nicht stichhaltig. Mit dem glei- Arbeitsplätze durch eine Orientierung auf den Frei- chen Argument könnten Sie in der Tat die Kinderar- zeitausgleich hin umzusetzen, wären wir beschäfti- beit wieder einführen, weil wir zunehmend in Wett- gungspolitisch sehr viel weiter. bewerbskonkurrenz zu Schwellenländern treten, wo Im Regierungsentwurf ist dazu weit und breit Fehl- in Teilen die Kinderarbeit möglich ist. anzeige. Gleiches gilt für alle anderen atypischen (Beifall bei der SPD) Beschäftigungsverhältnisse. Dieser Regierungsent- wurf hat nicht in einem einzigen Punkt irgendeinen Als letztes darf ich den von Ihnen so bezeichneten beschäftigungspolitischen oder arbeitsmarktpoliti- „Fundamentalisten" von Trier zitieren, den Bischof schen Effekt, der nachvollziehbar und halbwegs Dr. Spital, der vor wenigen Tagen folgendes zum rechenbar wäre. Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen formuliert hat: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Angesichts der bevorstehenden Beschlußfassung Ein letzter Punkt, nämlich zur Sonntagsarbeit. im Bundestag bitte ich alle Abgeordneten, sich für Nachdem eben von den Koalitionsfraktionen behaup- den Erhalt des Sonntags als gesetzlich geschütz- tet wurde, die deutschen Bischöfe, die sich um den ten Ruhetag einzusetzen. Der Sonntag ist für den Sonntag sorgen, seien Fundamentalisten, und nach- Menschen da, und er ist von unersetzlicher dem Bundesarbeitsminister Blüm vor einigen Wochen Bedeutung für das menschliche Miteinander, für die Kirchensteuer ins Gespräch gebracht hat, hat man einen fruchtbaren zwischenmenschlichen Kon- langsam das Gefühl: Von seiten der CDU/CSU wird in takt und für das Zusammenleben in unseren Deutschland ein neuer Kirchenkampf eröffnet. Das ist Familien. Gerade in der gemeinsamen Feier des eine ganz spannende Perspektive, was da abläuft. Lebens und der Schöpfung sind wir als Menschen angesprochen. (Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU] mel- det sich zu einer Zwischenfrage) Maschinen funktionieren und produzieren im Gleichtakt; der Mensch dagegen lebt in den — Setz dich hin! Rhythmen von Tagen, Wochen, Monaten und Der entscheidende Punkt ist, daß zum erstenmal in Jahren. Eine weitere Einebnung dieser Rhyth- Deutschland aus rein wirtschaftlichen Gründen ein men zugunsten längerer Maschinenlaufzeiten Bruch von gesellschaftlichen Tabus erfolgt, der weit- käme einer weiteren Unterordnung des Men- reichende Auswirkungen auf die Art und Weise des schen und seiner Bedürfnisse unter die Maschi- gesellschaftlichen Zusammenlebens haben wird. nen und deren Technik gleich. Dem muß mit (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Luft Entschiedenheit widerstanden werden. holen!) Machen wir die Technik mehr und mehr dem Menschen zunutze, nicht aber den Menschen der Technik. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Das ist es denn auch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Schreiner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- Es geht nicht nur um religiöse Gründe, die zur legen Laumann? Verteidigung des Sonntags anregen. Gerade auch die sozialen und kulturellen Gründe geben die Möglich- keit, daß sich Menschen in einer Zeit begegnen Ottmar Schreiner (SPD): Ja, der soll zwischenfra- können, in der ohnehin die Ökonomie das Überge- gen. Ich bin gleich am Ende der Sonntagsarbeit, dann wicht hat und im wachsenden Maße das Leben der kann er die Frage zusammenfassend präzisieren und Menschen prägt. 18646 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 Ottmar Schreiner Sie werden nachher Gelegenheit haben, zu den nämlich, wenn die wöchentlich mögliche werk- mahnenden Worten des Bischofs von Trier in nament- tägliche Arbeitszeit von 144 Stunden voll ausge- licher Abstimmung Ihre Position zu beziehen. nutzt wurde. Im Änderungsantrag der Koalitions- Schönen Dank. fraktionen ist nur noch von einer weitgehenden Ausnutzung die Rede. Hierdurch wird nicht nur (Beifall bei der SPD) eine der Zulassungsvoraussetzungen deutlich ausgeweitet, sondern mit dem Wo rt „weitge- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lau- hend" ein gegenüber der alten Fassung mann, die Redezeit war schon abgelaufen. Deswegen frage ich Sie: Wollen Sie von der Möglichkeit- — Ihrer alten Fassung — Gebrauch machen, nach § 27 unserer Geschäftsord- zusätzlicher unbestimmter Rechtsbegriff einge- nung eine Zwischenbemerkung zu machen? — führt. Die unterschiedliche Auslegung dieses Bitte. Begriffes durch die jeweils zuständige Aufsichts- behörde ist vorhersehbar. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Danke schön, Ich will das jetzt kurz machen und nur noch ein Herr Präsident. Ich möchte nur, sehr geehrter Kollege letztes Zitat bringen: Schreiner, darauf hinweisen, daß erstens heute die Wenn die Bundesregierung, aus welchen Grün- Gesetzeslage es nicht mehr hergibt, aus wirtschaftli- den auch immer, von der in der Gewerbeordnung chen Gründen über diese 144 Stunden hinaus zu enthaltenen Ermächtigung zur konkreten Festle- arbeiten. Sie bekommen diese Sondergenehmigung gung entsprechender Produktionsverfahren in nur dann, wenn Sie nachweisen können, daß durch den letzten 30 Jahren keinen Gebrauch gemacht das Abstellen der Maschinen — z. B. in einer Textil- hat, sollte dies kein Anlaß sein, die Bundesregie- fabrik — ein höherer Schaden als 4 % Produktionsaus- rung aus ihrer Verantwortung für die verfas- fall entsteht. Das ist die Wahrheit. sungsrechtlich garantierte Sonn- und Feiertags- (Beifall bei der CDU/CSU — Renate Renne- ruhe zu entlassen. bach [SPD]: Das ist schon schlimm genug, Schönen Dank. aber das wollen wir so lassen!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das ist der Punkt, den wir verändert haben. Wenn DIE GRÜNEN) diese 144 Stunden weitgehend ausgeschöpft sind — weitgehend deswegen, weil wir eingesehen haben, daß irgendwo mal 14 Tage oder drei Wochen Betriebs- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und urlaub sein muß —, kann Sonntagsarbeit genehmigt Herren, wir haben diesen ersten Teil der Debatte werden, aber nur dann, wenn daraus Beschäftigung wesentlich unter dem Schwerpunkt Arbeitszeit gesichert ist und die Konkurrenz im Ausland länger geführt. Deswegen erhält jetzt dazu auch der Parla- arbeitet. mentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Ein weiterer Punkt, Herr Schreiner: Nehmen Sie Arbeit und Sozialordnung, unser Kollege Rudolf bitte auch zur Kenntnis, daß über Arbeitszeiten in den Kraus, das Wort. Betrieben dieses Landes Bet riebsräte und Geschäfts- (Ottmar Schreiner [SPD]: Der ist immer noch leitungen gemeinsam entscheiden. Keiner kann in der da!) Frage der Arbeitszeiten ohne den anderen etwas machen. Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (Beifall bei der CDU/CSU) nister für Arbeit und Sozialordnung: Sie müssen sich Diese beiden Sozialpartner haben jetzt die Möglich- daran gewöhnen, daß ich noch länger da bin. keit der Flexibilisierung, wie dieses Gesetz sie vor- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und sieht. Wieweit die einzelnen Sozialpartner davon Herren! Ich darf mich zuerst zu der Formulierung Gebrauch machen, sollten wir ihnen überlassen und „weitgehend" äußern. Herr Schreiner, wir haben in nicht im fernen Bonn im Deutschen Bundestag ent- den Ausschußbericht genau hineingeschrieben, scheiden. warum wir denken, daß der Beg riff „weitgehend" das (Beifall bei der CDU/CSU) sinnvollere Wort für das ist, was in diesem Zusammen- hang gemeint ist. Hier steht: Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Der Begriff „weitgehend" sei erforderlich, um Herren, nach unserer Geschäftsordnung darf der Kol- bestimmte Stillstandszeiten, z. B. bei Betriebsur- lege Schreiner antworten. Das will er auch. Bitte, laub oder Umrüstungsarbeiten, berücksichtigen Kollege Schreiner. zu können. Es ist also nicht so, daß wir von dem Grundsatz Ottmar Schreiner (SPD): Ich will Ihnen, lieber Kol- abgehen wollten. Sonntagsarbeit ist erst dann erlaubt, lege Laumann, aus der Stellungnahme des Vereins wenn dreischichtig und auch am Samstag gearbeitet Deutscher Gewerbeaufsichtsbeamter, die ja für die wird. Nur dann kann von diesen Ausnahmeregelun- Überwachung vor Ort zuständig sind, zitieren. Hier gen überhaupt Gebrauch gemacht werden. Wir sind heißt es in einem Anschreiben vom 25. Februar also von Ihrer eigentlichen Position letztlich nicht weit 1994: entfernt, weil ich ganz sicher bin, daß natürlich auch Bisherige Praxis der Aufsichtsbehörden ist es, daß Sie unter gewissen Voraussetzungen die Sonntagsar- Sonn- und Feiertagsarbeit nur in äußersten Aus beit, wenn es denn darum geht, Arbeitsplätze zu nahmefällen zugelassen werden dürfen, dann sichern, letztlich zulassen wollen. Dafür gibt es eine Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18647

Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus ganze Reihe von Beispielen auch in SPD-regierten mehr ausreicht, den Lebensstandard zu garantieren, Ländern, wie Sie und ich wissen. den man sich vorstellt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens möchte ich etwas zur Frage der Arbeits- zeitverkürzung sagen. Hier wird uns erzählt, die Bundesregierung habe einen großen Fehler gemacht, Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Kraus, weil sie immer der Meinung gewesen sei, daß Arbeits- Sie gestatten eine Frage des Kollegen Schreiner? Es zeitverkürzung als arbeitsmarktpolitisches Instru- hat sich auch noch der Kollege Büttner (Ingolstadt) ment ungeeignet sei. Herr Schreiner, wir sind in der gemeldet. Tat dieser Meinung, und es gibt, glaube ich, auch gute Gründe, um das jemandem erklären zu können. Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Arbeit und Sozialordnung: Aber gern. Wenn es so wäre, daß man nur die Arbeitszeit um 10 % verkürzen müßte, um 10 % Arbeitslose in Arbeit (SPD): Herr Staatssekretär, wenn zu setzen, wäre das eine feine Sache. Das scheitert Ottmar Schreiner Ihre letzte Äußerung richtig ist, daß zunehmende aber an einer ganzen Reihe von praktischen Din- Arbeitszeitverkürzungen zu dramatischen Problemen gen. auf dem Freizeitsektor führen, stellt sich sofort die Erstens ist jede Art von Arbeitszeitverkürzung Frage, warum die Bundesregierung jetzt in letzter Not natürlich geeignet, das Produkt, das hergestellt, oder eine eigene Teilzeitkampagne propagiert. Das paßt die Dienstleistung, die erbracht wird, tendenziell wie die berühmte Faust aufs Auge. teurer werden zu lassen. Zu dem Kostenargument will ich folgendes fragen: Ist es zutreffend, daß Produktivitätsgewinne bei den (Zuruf des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige Unternehmungen in Form von Reallohnerhöhungen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) oder in Form von Arbeitszeitverkürzungen weiterge- — Aber ganz selbstverständlich! reicht werden können? Ist es richtig, daß in den letzten 20 Jahren die Arbeitszeitverkürzung, die von den Auf Ihrer Seite verwendet man ja immer die Formu- Gewerkschaften favorisiert worden ist, gegen anson- lierung „ohne vollen Lohnausgleich". Das heißt, daß sten mögliche Reallohnerhöhungen eingetauscht natürlich eine Reihe Kosten bestehenbleiben. Ten- wurde, also für die Betriebe selbst kostenneutral denziell wird das Produkt natürlich teurer. Das ist erfolgt ist? ganz selbstverständlich. Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (Abg. Ottmar Schreiner [SPD] meldet sich zu Rudolf Kraus, nister für Arbeit und Sozialordnung: Erstens. Ich habe einer Zwischenfrage) gar nicht richtig verstanden, was Sie hier mit der — Ich möchte zuerst die drei Punkte nennen, und dann Freizeit meinen. werde ich die Frage zulassen. — Damit wird die Das zweite ist: Wenn Sie sagen, daß Produktivitäts- Nachfrage nach dem betreffenden Produkt sowohl im gewinne an die Arbeitnehmer entweder in Form von Inland als auch im Ausland geringer, womit geradezu Reallohnerhöhung oder in Form von Freizeit weiter- ein Beitrag für weniger Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben werden können, ist das natürlich richtig. Sie hier geleistet wird. können sie aber nur einmal weitergeben. Zum zweiten ist es doch so: Die Schultern, die diese Bei uns kommt es jetzt darauf an, daß insgesamt Arbeit übernehmen könnten, sind zum weitaus größ- mehr erzeugt wird, und zwar zu tragbaren Bedingun- ten Teil, aus welchen Gründen auch immer, weder gen. Das heißt, wir brauchen das wirtschaftliche geeignet noch in der Lage, so ohne weiteres diese Wachstum nicht allein für zusätzliche Lohnerhöhun- Arbeit zu übernehmen. Praktische Beispiele finden gen, sondern auch, um die sozialen und die sonstigen wir genügend. Selbst die Industriegewerkschaft Bau- Probleme für unseren Staat abzufedern. Das heißt, Steine-Erden beispielsweise ist der Meinung, daß wir man braucht eine Erweiterung des Beschäftigungsvo- Ausländer in dieser Branche auch in der Zukunft lumens und nicht eine Stagnation mit einer anderen benötigen, weil es eben nicht genügend Deutsche Verteilung der Beschäftigung, z. B. auf mehr Leute. gibt, diese Arbeit zu erledigen. So könnte man für Teilzeitarbeit oder das VW-Modell haben in einer jeden einzelnen Bereich unserer Indust rie und des Übergangszeit natürlich ihren Sinn, wenn ich davon Gewerbes ähnliche Beispiele finden. ausgehe, daß das beispielsweise bei VW eine Art Kurzarbeitsregelung ist, mit der Perspektive, daß, Zum dritten. Die natürliche Grenze der Arbeitszeit- wenn die Nachfrage wieder da ist, die vorhandenen verkürzung — in Ihrem Sinn — liegt dort, wo die Leute Kapazitäten wieder voll ausgefahren werden. Als so viel Freizeit haben, daß sie die Freizeit gar nicht Dauerregelung — und darum geht es bei Arbeitszeit- mehr finanzieren können. Das bewirkt den Drang, die verkürzung; das ist auf Dauer angelegt — ist es Notwendigkeit zum Zweitberuf. natürlich kein vernünftiges Rezept. Was für eine Übergangszeit in bestimmten Situationen sinnvoll ist, (Widerspruch bei der SPD) kann auf Dauer überhaupt keinen Sinn ergeben. Das ist doch eine häufig zu beobachtende Tatsache. Sie können das am besten beurteilen, wenn Sie sich Warum, glauben Sie, gehen denn so viele Menschen einmal die Situation der Rentenversicherung vor einer Nebenbeschäftigung nach? Sie tun es, weil a) Augen halten. Eine Regelung in Form einer Stagna- zeitlich die Möglichkeit dazu besteht und b) das tion oder gar eines Zurückgehens der Löhne auf Einkommen — wenn man kurz genug arbeitet — nicht Grund von permanenter Arbeitszeitverkürzung 18648 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus — z. B. weil man diese Arbeit anders verteilen will — Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- würde nicht nur das laufende Einkommen der Leute nister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, wenn es Spaß schmälern, sondern selbstverständlich auch die von macht, bitte schön. Ihnen befürchtete Nettorentenverschlechterung gera- dezu bewirken. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Herr Kollege (Beifall bei der CDU/CSU — Ottmar Schrei- Reimann. ner [SPD]: VW ist etwas anderes!) Manfred Reimann (SPD): Spaß macht es gerade Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Kraus,- nicht, Sie zu befragen, wenn ich Ihren Ausführungen gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Büttner? folge; aber zur Klarstellung ist es notwendig.

Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Arbeit und Sozialordnung: Aber gern. nister für Arbeit und Sozialordnung: Dann lassen Sie es sein, Herr Reimann. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Bütt- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der ner. F.D.P.)

Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Kollege Manfred Reimann (SPD): Man kann auch etwas tun, Kraus, wie erklären Sie mit Ihrer Wirtschaftstheorie, was keinen Spaß macht, Herr Staatssekretär. daß innerhalb der letzten 25 Jahre — unabhängig von Ihre Kernaussage bestand da rin, daß die Arbeits- der Steigerung des Bruttosozialprodukts — die zeitverkürzungen dazu geführt haben, daß die Frei- Gesamtarbeitszeit in der Bundesrepublik Deutsch- zeit für die Arbeitnehmer nicht mehr finanziell orga- land nahezu immer bei 46 Milliarden Stunden gele- nisierbar ist. Ich schließe daraus: Sie sind mit mir der gen hat, sich nie erweitert hat, sich die Zahl der Meinung, daß die Einkommen der Arbeitnehmer zu Beschäftigten in der gleichen Zeit aber von 23 auf niedrig sind, zuletzt 29 Millionen erhöht hat? Wie wollen Sie das (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Die Netto anders erklären als dadurch, daß die Arbeitszeit löhne; das ist wahr!) individuell verkürzt worden ist, daß damit einem größeren Teil der Menschen Arbeit zugewiesen daß sie angehoben werden müßten und daß Sie das wurde und daß sich die Produktivitätssteigerung, die über die Sonntagsarbeit jetzt zu tun gedenken. sich in der Steigerung des Bruttosozialprodukts nie- derschlägt, nicht in insgesamt mehr geleisteten Rudolf Kraus, Parlamentarischer Staatssekretär Arbeitsstunden auswirken mußte? Wie wollen Sie mir beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: das erklären? Herr Reimann, das habe ich genau nicht gesagt, sondern ich habe gesagt: Die Arbeitseinkommen der Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Arbeitnehmer sind zwischenzeitlich in der Tat so nister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Büttner, Sie niedrig geworden, daß sich in verschiedenen Berei- müssen zwischen zwei Dingen unterscheiden. Das chenjemand mehr Freizeit, also weniger Arbeit, schon eine ist Arbeitszeitverkürzung als Ausfluß des sozia- einfach deshalb nicht leisten kann, weil er sich dann len Fortschritts. Es ist eine gute Sache, wenn man den Lebensstandard, den er haben möchte und den er immer mehr Freizeit hat und wenn man sich das haben muß, nicht mehr leisten kann. Das ist meine leisten kann. Das ist anstrebenswert, und das ist eine Aussage. Ich habe nicht gesagt, das muß durch feine Geschichte. Das ist der eine Punkt. Der zweite Sonntagsarbeit abgelöst werden. Punkt ist, daß wir gerade derzeit ja unter Sparzwang Zur Sonntagsarbeit möchte ich allerdings einiges stehen, d. h. vielen Menschen, die berechtigte Bedürf- sagen. Es gibt hier eine ganze Menge Heuchelei. nisse haben, gar nicht das zukommen lassen können, Erstens einmal sind ja gerade die Politiker die, die am was sie eigentlich bräuchten. Wir können ihnen Sonntag regelmäßig ihrer Beschäftigung nachge- Dienstleistungen und Güter, die sie haben wollen und hen. die sie bräuchten, nicht geben, weil wir sparen müs- Wenn man hört „Kapital denkt nur an den Profit", sen. muß ich dazu aufforde rn: Seien wir doch ein bißchen Unser Bestreben muß also sein, daß nicht weniger ehrlich! Wenn heute von den Mitarbeitern Mehrarbeit gearbeitet wird, sondern daß mehr gearbeitet wird, bis in die Nacht hinein erwartet wird, sind auch große um damit die Bedürfnisse der Menschen befriedigen Massenorganisationen wie Gewerkschaften, Par- zu können. Genau umgekehrt wird natürlich ein teien, vermutlich auch die Kirchen, nicht ohne Schuld. Schuh daraus. In Ihrem System führt weniger Arbeiten Auch darüber sollten wir uns einmal Gedanken und damit weniger Nachfrage logischerweise zu einer machen. Depressionsspirale. Genau das wollen wir nicht. Da Wir sind uns alle ja eigentlich in einigen Punkten, können Sie den Kopf schütteln, wie Sie wollen. Das ist was die Sonntagsarbeit anbelangt, einig. Kein ein einfacher Sachverhalt, den jeder Mensch begrei- Mensch will, daß am Sonntag nicht sichergestellt ist, fen könnte. daß die innere Sicherheit gewährleistet ist — ich (Beifall bei der CDU/CSU) nenne die Polizei —, die Versorgung mit Gas und Wasser und alles mögliche. Die Krankenhäuser müs- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Kraus, sen geöffnet sein. Das ist überhaupt keine Frage. gestatten Sie noch eine letzte Zusatzfrage, diesmal Wir sind uns auch noch einig, wenn es darum geht, vom Kollegen Reimann? in der Produktion bestimmte Produktionsvorgänge Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18649

Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus aufrechtzuerhalten. Wenn sie nicht aufrechterhalten vor, weil die Freizeitgesellschaft größer wird. Das sind würden, könnte das dazu führen, daß die Maschinen aber offenbar zwei Paar Stiefel: die eine Frage bela- und die Gewerke vernichtet bzw. die Arbeitsergeb- stet, und die andere belastet weniger stark. nisse verdorben werden. Das war im Mittelalter übri- (Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist ein Kon gens schon so. Es gibt einen päpstlichen Erlaß aus dem junkturproblem!) Mittelalter, den Bergbau in Sulzbach-Rosenberg betreffend, in dem der Papst ausdrücklich die Sonn- Wenn ich vor die Wahl gestellt werde, eine Schicht zu tagsarbeit erlaubte. Das sage ich im Hinblick auf genehmigen, in der Freitag, Samstag und Sonntag Herrn Schreiner, der offensichtlich gern kirchliche gearbeitet wird und damit 200 neue Arbeitsplätze Worte in seine Überlegungen einbezieht. - geschaffen werden, dann genehmige ich sie. „Die Arbeitslosen würden gem am Wochenende (Ottmar Schreiner [SPD]: Die Päpste damals arbeiten. Keiner hat das Recht, den Leuten, die vier hatten ganz andere Ausschweifungen, ganz freie Tage in der Woche haben wollen und dafür am andere Irrtümer!) Wochenende arbeiten wollen, Steine in den Weg zu — Werden Sie nicht kirchenfeindlich! Sie haben legen, am wenigsten die Kaste von Politikern, die am vorhin einen so guten Eindruck gemacht mit Ihrem Wochenende ständig ihrem Beruf nachgeht." Wissen vehementen Eintreten gegen den Kirchenkampf, und Sie, Herr Schreiner, wer das gesagt hat? Das hat Ihr jetzt plötzlich bringen Sie solche unsachgemäßen Landesvorsitzender Lafontaine gesagt. Es unterschei- Elemente in die Debatte. Ich muß mich über diese det sich gewaltig von dem, was Sie gesagt haben, Äußerung ein bißchen empören. (Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist häufiger der Das dritte ist, daß es ebenfalls unbestritten ist, daß Fall! auch für die Freizeit und das Vergnügen, bis hin zu und es unterscheidet sich auch von dem, was wir hier allen möglichen Dingen, die Sonntagsarbeit erlaubt gesagt haben. Ich meine, dieses große Engagement sein soll. Diesbezüglich habe ich noch keinen beson- könnten Sie zur Überzeugung des eigenen Landesva- deren Ausdruck des Entsetzens von irgendeiner Seite ters einsetzen. mitgeteilt bekommen. (Ottmar Schreiner [SPD]: Mit Ihrer Hilfe wird Wir streiten jetzt über den Bereich, in dem Sonn- mir das gelingen!) tagsarbeit ausnahmsweise gestattet werden soll, Ich bedanke mich. wenn nur dadurch gewährleistet ist, daß Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlagert werden, bzw. erhalten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge bleiben. ordneten der F.D.P.) (Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist Ihre Inter pretation!) Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Wir haben — auch auf Veranlassung der KAB; das Herren zur Geschäftslage möchte ich ein paar Bemer- geben wir gern zu, denn wir sind bereit, im Rahmen kungen machen. Nach den mir jetzt vorliegenden des uns Möglichen auch den berechtigten Interessen Wortmeldungen, die sich wahrscheinlich in erster entgegenzukommen — in Art. 13 Abs. 5 des Gesetz- Linie mit unserem zweiten Thema, Transrapid, entwurfs ausdrücklich klargestellt — das wissen beschäftigen, debattieren wir noch etwa eine Stunde, Sie —, daß keine anderen Gründe als die Sonntagsar- so daß frühestens in einer Stunde mit der namentli- beit im Ausland für die Beurteilung der Wettbewerbs- chen Abstimmung zu rechnen ist. fähigkeit herangezogen werden dürfen. Ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Kurt Faltlhau- ser das Wort. (Beifall des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]) (Ottmar Schreiner [SPD]: Der Arbeitszeitex perte!) Das hat ursprünglich anders darin gestanden; das wissen Sie. Wir haben Ihnen das „weitgehend" vorher erklärt. Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Zusätzlich ist auch hineingeschrieben worden: Es muß Meine Damen und Herren! Herr Schreiner, Sie müs- für den Betrieb unzumutbar sein, die Kostenunter- sen keine Angst haben. Ich glaube, der Kollege Kraus schiede in Kauf zu nehmen. Das heißt, seine wirt- hat genug zum Arbeitszeitgesetz gesagt. Da sind Sie schaftliche Leistungsfähigkeit muß ernsthaft tangiert ganz sprachlos gewesen. sein, wenn hier eine solche Ausnahme gemacht Ich sage zum Thema Transrapid: Endlich ist es so wird. weit, daß dieses technologische Großprojekt aus Wir denken, daß diese Ausnahmeregelung zwei- Deutschland in die entscheidende Realisierungsphase felsohne von einer Art ist, die m an durchaus auch kommt. jedermann zumuten kann. Und wenn wir, Herr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Schreiner, solche Fälle in der Praxis haben, wird heute ordneten der F.D.P.) auch derartiges berücksichtigt. Der Transrapid 07, der seit 1988 seine Kreise auf der Lassen Sie mich abschließend noch zwei, drei Dinge Versuchsstrecke im Emsland zieht, hat eine 60jährige sagen: Die Sonntagsarbeit hat im Bereich der Produk- Vorgeschichte. Denn am 14. August 1934 bereits hat tion in den letzten Jahren abgenommen. Es ist nicht zu der Ingenieur Hermann Kemper das deutsche Reichs- sehen, daß sie dort ansteigt. Im Bereich der Dienstlei- patent Nr. 643316 über eine magnetische Schwebe- stungen liegt allerdings eher eine steigende Tendenz bahn bekommen. 18650 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Kurt Faltlhauser Nach dem Krieg, im Jahre 1968, hat der Bundesver- Konzept zu, dann haben Sie ein ordentliches Kon- kehrsminister dazu eine Studie in Auftrag gegeben. zept. 1971 gab es bei Krauss-Maffei in Ottobrunn schon die (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Dagmar Typennummer 02. Es gab ein Versuchsgelände in Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Das ging total Erlangen, 1974 wurde ein Rekord aufgestellt. Vorher gab es schon in Kassel eine erste personentragende daneben!) Magnetbahn. Es gibt bei einem derartig großen Projekt natürlich 1977 hat sich dann der Bundesforschungsminister Einwände. Das finanzielle Risiko ist ohne Zweifel eine der gewichtigen Fragen, die geprüft werden für die Förderung des bereits erprobten Antrieb- - müssen. Aber ich halte es für illusorisch, daß m an systems entschieden, er hat sich dabei gegen das bei einem Großprojekt dieser Art ohne finanzielles Risiko sogenannte Erlanger Modell entschieden. 1983 star- auskommt. Wer auch ein finanzielles Restrisiko ver- tete der Transrapid 06 auf der Versuchsstrecke im meiden will, verhindert dieses s trategisch wichtige, Emsland. zukunftsorientierte Technologieprojekt. Meine Damen und Herren, ein so langer Vorlauf Dies hat der Finanzminister erkannt. Deshalb braucht einen klaren Schlußpunkt, braucht eine bedanke ich mich ausdrücklich beim Finanzminister, Umsetzung. Die deutschen Forscher, Entwickler und daß er sich über Bedenken seines Hauses hinwegge- Techniker dürfen nicht für den Aktenschrank, nicht setzt und gesagt hat: Für die Zukunft dieses L andes für ausländische Produzenten und nicht für das müssen wir dieses Restrisiko im Finanzierungskon- Museum produzieren. Das müssen wir in diesem Land zept hinnehmen. Das war eine gute Entscheidung. endlich einmal kapieren. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- SPD: Wer ist denn „wir"?) ordneten der F.D.P.) Wenn wir Konzepte für Infrastrukturfinanzierungen Ich habe mit großer Enttäuschung festgestellt, daß in der Zukunft haben wollen, dann sollten wir dieses die Kollegen aus der SPD, die bisher zu diesem Thema intelligente Finanzierungskonzept nicht nur in finanz- gesprochen haben, nicht über den Schatten gesprun- wissenschaftlichen Seminaren diskutieren, sondern gen sind, daß sie zu diesem Projekt nicht ja gesagt es umsetzen. Auch das ist eine Sache mit Zukunft. Da haben. haben wir dann ein gutes Beispiel dafür, wie man so (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das machen eine Finanzierung macht. die aber immer so!) Jetzt gibt es eine Reihe von Einwendungen auf Ich weiß, viele in Ihren eigenen Reihen, meine Damen Grund des Umweltschutzes. Das hat mich immer und Herren von der SPD, sind dafür. besonders erstaunt. Prüfen wir doch einmal, wie das Unter der Regierung Brandt bestieg 1971 der dama- mit den Einwendungen ist. lige Verkehrsminister Georg Leber den Ur-Transra- Energieverbrauch: Der Transrapid verbraucht bei pid. Noch auf der Startrampe verkündete er — ich einer Geschwindigkeit von 300 km/h je Sitzplatz und zitiere —: „Dies ist ein historisches Datum in der Kilometer 38 Wattstunden. Entwicklung der Verkehrsmittel." (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE (Uta Würfel [F.D.P.]: Der hatte Ahnung!) GRÜNEN]: Der fährt aber 400 km/h!) Der spätere Forschungsminister Matthöfer, auch SPD, — Passen Sie ein bißchen auf, ich rede nicht von der zweifelte im Jahre 1976 nicht daran, daß die Magnet- Lärmentwicklung. — Der ICE verbraucht fast das schwebebahn als Verkehrsmittel von morgen eine Doppelte an Energie. Der Energieverbrauch des Stra- große Zukunft hat. ßenverkehrs ist dreieinhalb mal so hoch wie beim Transrapid. Der Energieverbrauch des Kurzstrecken- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) flugverkehrs, der ja weitgehend dadurch ersetzt wer- Liebe Kollegen von der SPD, das waren noch den soll, ist mehr als viermal so hoch wie bei der Sozialdemokraten, die gewußt haben, wie man die Magnetschwebebahn. Schon deshalb müßten alle Zukunft Deutschlands sichern kann, wie m an die Umweltschützer — Sie von der SPD wollen ja auch zu Technologie entwickelt. Sie reden heute verantwor- den Umweltschützern gehören — dieser Magnet- tungslos vom „verkehrspolitischen Tollhaus", wie ich schwebebahn zustimmen. gelesen habe. Ich meine, Ihre ablehnende Haltung ist Geräuschentwicklung: Der Emissionspegel einer ein weiterer Beweis für die Zukunftsunfähigkeit der mit 400 km/h, Herr Kollege Feige, befahrenen Tr an SPD. s- rapidstrecke ist nicht höher als der mit einer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Geschwindigkeit von 250 km/h befahrenen ICE Sie haben jetzt hastig ein neues Konzept vorgelegt. Strecke und sogar niedriger als der einer S-Bahn- Strecke im 100-km/h-Bereich. Alle Vorschriften des Dazu sagt der „Bund Naturschutz" völlig richtig — ich zitiere das einmal; mehr braucht man dazu dann nicht Bundes-Immissionsschutzgesetzes sind erfüllt, um zu sagen —: „Der Transrapid wird mit diesem Konzept den Transrapid auch nachts durch Wohngebiete fah- ren zu lassen. zu einem unverhältnismäßig teuren Vorortzug." Wenn man noch nicht einmal weiß — das ist ja vorhin Was den Flächenverbrauch betrifft, so braucht er schon gesagt worden —, wohin dieser Vorortzug wesentlich weniger Fläche als jeder Schienenverkehr gehen soll, dann wird der Vorschlag besonders lächer- und alle anderen Verkehrsmittel. Unten durchfahren lich. Danebengegriffen! Stimmen Sie hier diesem kann man auch. Auch das ist wichtig, daß die Durch- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18651

Dr. Kurt Faltlhauser lässigkeit da ist, daß keine Bar rieren gebaut werden. und stehen bei dieser Strecke Aufwand und Ertrag in Die hohen Stelzen müssen auch nicht immer sein; die einem angemessenen Verhältnis zueinander? kann man auch tiefer legen. Man kann den Transrapid auch ebenerdig bauen oder unter die Erde verle- (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Jawohl!) gen. Deshalb lassen Sie uns doch dann heute und in den Ich komme zum Schluß. Die Entscheidung, meine nachfolgenden Beratungen über die Zahlen, über die Damen und Herren, für diesen Transrapid ist eine Daten und über die Fakten dieser Referenzstrecke Entscheidung für die Stärkung des Wirtschaftsstand- reden und hier nicht irgendwelche Scheindebatten führen. orts Deutschland, eine Entscheidung für langfristig - gesicherte Arbeitsplätze. Und sie ist eine Entschei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS dung, die geeignet sein wird, die Technikskepsis in 90/DIE GRÜNEN — Dr. Walter Franz Altherr diesem Land, die leider viel zu sehr vorhanden ist, [CDU/CSU]: Sie führen doch die Scheinde abzubauen, weil wir gerade mit diesem greifbaren und sichtbaren Instrument wieder mehr Begeisterung batten!) für Technologie der Zukunft entwickeln. Sie haben ja darauf bestanden, diese Debatte nicht Deshalb bedanke ich mich bei der Bundesregierung in einem verkehrspolitischen oder in einem finanzpo- — an der Spitze beim Verkehrsminister und beim litischen Zusammenhang zu führen, sondern unter Minister für Forschung und Technologie —, daß sie dem Aspekt Industriestandort Deutschland. Das ist mutig diesen Schritt getan haben und endlich, endlich auch gut. den Transrapid auf den Weg bringen. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Schienenfeti Ich bedanke mich. schismus!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir sind seit langem, Herr Kollege Dr. Probst, der Auffassung, daß die Attraktivität des Industriestand- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und ortes Deutschland dringend gesteigert werden muß. Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! —Ja! — Klaus Daubertshäuser. Bravo!) Ihre Regierung hat es seit Jahren versäumt, voraus- Klaus Daubertshäuser (SPD): Herr Präsident! schauende Industriepolitik zu be treiben. Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte geht es heute nicht um Ja oder Nein zur (Beifall bei der SPD) Magnetschwebetechnik, Herr Kollege Faltlhauser. Es geht auch nicht um die Stammtischfrage, ob der Es sind doch gerade Ihre Versäumnisse in der For- Transrapid ein geeigneter Maßstab ist, um die Gruppe schung, in der Bildung und in der Wissenschaft, die der naiv Fortschrittsgläubigen von der Gruppe der verheerende Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der technologiefeindlichen Bedenkenträger zu unter- deutschen Industrie auf den Weltmärkten gebracht scheiden. Es geht ausschließlich um die Frage: Soll haben. eine 285 km lange Transrapid-Referenzstrecke zwi- (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Eure fünfte schen Hamburg und Berlin parallel zum Schienenver- Kolonne probiert das doch aus!) kehr gebaut werden, ja oder nein? Ich sage Ihnen eines: Der internationale Markt für (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Wider- Hochgeschwindigkeits- und für Nahverkehrssy- in der Rad-Schiene-Technik ist doch von Ihnen spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) steme völlig vernachlässigt worden. Es geht um die Frage: Sind die vorgelegten Wirt- schaftlichkeitsberechnungen für diese Strecke so- (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Nein, ein lide, großer Irrtum!) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Bis 1993 — Sie müßten es als ehemaliger Staatssekre- Ja!) tär wissen — be trugen die Zuschüsse für den ICE oder ergeben sich daraus unvertretbare Risiken für gerade einmal ein Dreißigstel der Summe, mit der Sie den Steuerzahler? den Transrapid gefördert haben. Das sind die Fak- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: ten. Nein!) (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Wenn Sie die Unterrichtung der Bundesregierung Eine Erprobung des Transrapid unter Echtbedin- zum Finanzierungskonzept einmal gelesen haben, dann werden Sie eine Vielzahl von Risikobeschrei- gungen im Dauerbetrieb auf einer Anwendungs- strecke kann durchaus sinnvoll sein für eine techni- bungen in Ihrer eigenen Vorlage finden, und zwar ebswirtschaftliche Optimierung des Risiken zu Lasten der Steuerzahler. sche und betri Systems. Das wird nicht bestritten. Aber eine 285 km Es geht um die Frage: Sind die industrie- und die lange, mindestens 9 Milliarden DM schwere Refe- exportpolitischen Erwartungen überhaupt reali- renzstrecke ist doch völlig überdimensioniert. Sie ist stisch, verkehrspolitisch unsinnig, mit ihren finanziellen Risi- (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! — Natür- ken für den Steuerzahler nicht zu vertreten, und sie ist lich!) industrie- und exportpolitisch töricht. Dem Standort 18652 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Klaus Daubertshäuser Deutschland wird mit dieser Entscheidung ein sehr, Bereits wenn alle Planannahmen optimal eintreten, sehr schlechter Dienst erwiesen. belastet allein der Fahrweg dieser Strecke den Steu- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und erzahler mit 5,6 Milliarden DM, und zwar ohne die dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Wal- Einfädelungskosten. Die geplante Fahrzeit von Stadt- ter Franz Altherr [CDU/CSU]: Abwarten!) rand zu Stadtrand beträgt knapp 60 Minuten. Der Ausbau der ICE-Strecke für eine Fahrzeit von 90 Mi- Es ist unsinnig, meine Damen und Herren, eine nuten, aber von Stadtmitte zu Stadtmitte, würde nur derartige Summe, die ja in den nächsten Jahren noch 1,2 Milliarden DM kosten. Dies bedeutet ganz streng erheblich anwachsen wird, in ein einziges, risikobe- gerechnet Mehrkosten in Höhe von 4,4 Milliarden DM haftetes Technologieprodukt zu stecken. Der Bau- ohne einen faktischen Fahrzeitgewinn, ja sogar mit einer im Inland ohne kurzen Anwendungsstrecke einem Fahrzeitverlust für eine technische Insellösung. Konkurrenz zum ICE-Netz wäre deshalb industriepo- Macht denn das wirklich Sinn? Hier habe ich sehr litisch, verkehrspolitisch und finanzpolitisch durchaus starke Zweifel. ausreichend. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Liste) Wo denn?) Eine solche Strecke hätte zudem den Vorteil, in wenigen Jahren fertig zu sein, Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Daubertshäuser, gestatten Sie eine weitere Zwischen- (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Wo frage. — Bitte. denn?) um eben Systemvorteile der Magnetschwebetechnik Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Herr Kollege Daubertshäu- demonstrieren zu können: ser, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Vor- erste wirtschaftlich genutzte deutsche Eisenbahn- schläge!) strecke nicht die Strecke Nürnberg-Fürth war, son- hohes Beschleunigungsvermögen, niedrige Ge- dern die Strecke Leipzig-Dresden mit einer Länge von räuschwerte — da haben Sie durchaus recht; da will 120 km? Das war der Startschuß für die deutsche ich Ihnen überhaupt nicht widersprechen — und Eisenbahn und nicht die Spielzeugstrecke Nürnberg niedrige Energieverbräuche, aber immer nur bis zu Fürth. einer Geschwindigkeit von 250 km/h, nicht aber (Lachen bei der SPD) ausgelegt auf die Maximalgeschwindigkeit. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist Klaus Daubertshäuser (SPD): Herr Kollege Dr. Röhl, doch kein Nahverkehrsmittel!) das nehme ich zur Kenntnis. Aber die Geschwindig- — Herr Kollege Fischer, Sie führen uns doch immer keit der von Ihnen angesprochenen Eisenbahn lag die Japaner vor. Dann werfen Sie doch jetzt bitte damals bei 35 km/h. Wenn Sie die jeweilige Strecken- einmal einen Blick nach Jap an. Die Japaner werden länge und die Technologie in Verhältnis zueinander vermutlich Ihre Magnetschwebebahntechnik in Nah- setzen, ist die Strecke, über die wir jetzt sprechen, bei verkehrssystemen bis 56 Kilometer erproben. Dies weitem zu lang, um als Maßstab genommen zu erscheint mir durchaus vernünftig zu sein. werden. Aber dies soll ja nicht der Maßstab sein. Ich (Beifall bei der SPD — Zuruf von der F.D.P.: sage Ihnen nur, Herr Dr. Röhl, daß noch nie ein Die haben ein ganz anderes System!) verkehrspolitisches Großprojekt, egal in welchem Jahrhundert, auf einer so unsoliden Wirtschaftlich- keitsberechnung, auf so fragwürdigen Prämissen Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie eine beruhte wie dieses Transrapidprojekt. Zwischenfrage des Kollegen Dr. Probst? — Bitte. Nehmen Sie nur einmal die Passagierzahlen. Der Kollege Dr. Feige hat vorhin bereits auf diesen Aspekt Dr. Albert Probst (CDU/CSU): Herr Kollege hingewiesen. Gegenwärtig nutzen 1,58 Millionen Daubertshäuser, glauben Sie, daß wir die Eisenbahn Passagiere jährlich Bahn oder Flugzeug zwischen in der Bundesrepublik oder in Europa im vergange- Hamburg und Berlin und nicht 3 bis 4 Millionen, wie nen Jahrhundert jemals hätten einführen können, der Kollege Wissmann so beharrlich falsch behauptet. wenn man damals mit Ihren heutigen Maßstäben Die Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Transra- gemessen hätte? pidstrecke beruht auf der Annahme, man könne diese (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Passagierzahlen kurzfristig verzehnfachen. Aber es CDU/CSU: Nie!) gibt weltweit kein Vorbild für derart tollkühne Annah- men über die Entwicklung von Fahrgastzahlen.

Klaus Daubertshäuser (SPD): Herr Dr. Probst, wenn (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Der TGV!) Sie das letzte Jahrhundert heranziehen, wissen Sie ja, — Die Passagierzahlen des TGV sind in zehn Jahren daß die erste deutsche Eisenbahnstrecke die von von 6 auf 18 Millionen gestiegen, also nicht um das Nürnberg nach Fürth war. Das war bei weitem keine Zehnfache. Fernstrecke. Das müßten Sie eigentlich wissen. (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Auf 22 Millionen!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Ich sage noch einmal: Die Entscheidung für die Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Referenzstrecke Berlin-Hamburg stürzt den Steuer- Daubertshäuser, gestatten Sie noch die Zwischen- zahier in ein neues finanzpolitisches Abenteuer. frage des Kollegen Friedrich? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18653

Klaus Daubertshäuser (SPD): Ja. Ich trage gern zur Der Steuerzahler müßte jedoch selbst noch für den Aufklärung bei. möglichen Abriß aufkommen, wie wir gerade erst am Wochenende erfahren haben.

Horst Friedrich (F.D.P.): Herr Kollege Daubertshäu- (Beifall bei der SPD — Dirk Fischer [Ham ser, Sie haben erklärt, daß eine ICE-Strecke von burg] [CDU/CSU]: Das sind glatt unwahre Hamburg-Innenstadt nach Berlin-Innenstadt für eine Angaben, die Sie hier machen! Lesen Sie mal Investitionssumme von 1,2 Milliarden DM zu erstellen die Vorlage!) sei. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß selbst nach Sie wissen, ausgeschlossen ist doch die Abbruchper- den Berechnungen der Bundesbahn die Kosten für - spektive nicht. den Ausbau der bestehenden Strecke für die Neige- Weder der Begegnungsverkehr noch die Winter- zugtechnik bei einer Maximalgeschwindigkeit von tauglichkeit, noch die Funktionstüchtigkeit des 220 km/h 1,2 Milliarden DM betragen, während ein Magnetbahnsystems ist z. B. bei Schnee und Eis kompletter Ausbau für die ICE-Technik 5,2 Milliarden bisher gesichert. DM kosten würde? (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Erzäh len Sie doch hier keine falschen Dinge!) Klaus Daubertshäuser (SPD): Nein, das ist falsch. Die Einfädelung in die Innenstädte — auch das wird Sie haben nämlich eine mittlere Posi tion unterschla- hier verschwiegen —, die optimale Verknüpfung mit gen, wie so üblich in der gesamten Finanzierungsdis- den anderen Verkehrsmitteln sind nicht im Finanzie- kussion. Der erste Teil Ihrer Ausführungen war kor- rungskonzept enthalten. rekt. Wenn wir mit der ICE-Technik von Stadtmitte zu Stadtmitte — ich wiederhole mich eine Geschwin- (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Alles digkeit von 220 km/h fahren können, der Transrapid unwahre Behauptungen!) für 5,6 Milliarden DM dagegen nur von Stadtrand zu Sie sind damit ein zusätzliches Risiko für den Steuer- Stadtrand fahren kann, ist der Zug mit der Neigetech- zahler. nik insgesamt gesehen auf dieser Strecke zeitlich schneller. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Un wahre Behauptungen! Sie kennen die Vor (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste lage gar nicht!) — Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!) — Herr Kollege Fischer, wo sollen denn — — Sie haben vergessen, einen Blick in den Bundesver- kehrswegeplan zu werfen. Dort ist bereits eine (Widerspruch des Abg. Dirk Fischer [Ham Summe von 2,4 Milliarden DM für den Ausbau einer burg] [CDU/CSU]) ICE-Strecke veranschlagt. Es ist ernsthaft in den Entschuldigen Sie, Herr Präsident, ich bitte um Unterlagen der Regierung nicht daran gedacht, die Nachsicht. Ich finde es schon außergewöhnlich, wenn 5,4-Milliarden-Super-de-Luxe-ICE-Strecke zu bauen, der Kollege Fischer hier behauptet, dies seien a lles und sie ist auch nie finanzierungsrelevant geworden. unwahre Behauptungen. Wenn Sie auf der Seite 4 Der eigentliche Vergleichsmaßstab müßten dann kor- Ihres Regierungskonzeptes bitte einmal nachlesen, so rekterweise bestenfalls die 2,4 Mil liarden DM für die heißt es da: mittlere Variante sein. Für die in der Kalkulation unterstellten Ansätze (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das ist doch bestehen Kostenrisiken, insbesondere im Zusam- Erbsenzählerei!) menhang mit .. . — Natürlich mag es Erbsenzählerei sein. Das war Und dann werden in Ihrem eigenen Papier die Ein- seine Position. Mein Grundtenor ist, daß es ein finanz- führung des Fahrweges in die Städte einschließlich politisches Risiko ist, Herr Dr. Probst, und das sagt Ihr des notwendigen Grunderwerbs, zusätzliche Maß- CSU-Bundesfinanzminister auch nach wie vor klipp nahmen zur Verbesserung der Verknüpfung mit dem und klar in dieser Vorlage, die uns vorliegt. übrigen Verkehrsnetz, die über die jetzigen Planun- (Beifall bei der SPD) gen hinausgehen, aufgeführt. Ich sage Ihnen noch ein Weiteres dazu. Alle Abwei- (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie chungen von den Planannahmen in diesem Finanzie- kennen den Unterschied zwischen Infra rungskonzept gehen ja zu Lasten des deutschen struktur und Betriebsstrecke nicht!) Steuerzahlers. Es ist ja nicht so, als ob die Privatin- Deshalb: Echauffieren Sie sich nicht so, werfen Sie dustrie hier die Risiken übernehmen würde. Wenn anderen nicht vor, sie würden die Unwahrheit verbrei- sich die Fahrgastzahlen nicht verzehnfachen, wenn ten. Ich zitiere lediglich aus dem Regierungskon- sich zeitliche Verzögerungen aus dem Erwerb von zept. Grund und Boden ergeben, wenn es im Planfeststel- lungs- oder Genehmigungsverfahren klemmt — alles (Beifall bei der SPD — Widerspruch des Abg. das wird die Kosten für den Steuerzahler und nicht das Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]) Risiko der Industrie erhöhen. Das ist natürlich dann eine Bestätigung dafür, (Widerspruch des Abg. Dirk Fischer [Ham wie schlecht dieses Regierungskonzept dargestellt burg] [CDU/CSU]) wurde. — Herr Kollege Fischer, gucken Sie doch bitte in die Die Kosten für die Einfädelung — ich habe es eben Vorlage hinein; das steht doch in Ihrer Vorlage gesagt — und die für die Verknüpfung mit den drin. anderen Verkehrssystemen, Herr Kollege Fischer, 18654 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Klaus Daubertshäuser sind in der Kostenrechnung nicht enthalten. Dann sches oder internationales Konsortium ähnlich dem müssen Sie uns bitte auch sagen, wo denn das Geld Airbus hier zustande zu bringen. überhaupt herkommen soll. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sehr rich (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie tig!) kennen den Unterschied zwischen Infra- Taiwan, Brasilien, China und Korea haben sich in struktur und Betriebsstrecke nicht!) einem Systementscheid gegen die Magnetschwebe- Soll es denn aus dem Verkehrshaushalt kommen, zu bahntechnik und für das Rad-Schiene-System ent- Lasten der Ortsumgehungen? Wollen Sie das zu schieden. Auf absehbare Zeit wird der weltweite Lasten des ÖPNV machen? Wollen Sie das zu Lasten- Markt der spurgebundenen Hochgeschwindigkeits- des Schienenausbaus machen? Oder soll es Kürzun- technologien ganz klar von der Rad-Schiene-Technik gen im Sozialhaushalt zugunsten des Transrapid dominiert werden. Die deutschen Hersteller haben geben? Das übrigens wäre eine Erklärung, warum wir mit dem ICE-System ein Spitzenprodukt anzubieten, diese Frage jetzt im Zusammenhang mit dem Arbeits- übrigens auch im Nahverkehrsbereich. Der rela tive zeitrechtsgesetz diskutieren müssen. Vorteil des TGV beruht doch nicht auf Mängeln des (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und ICE, sondern auf dem sehr viel engagierteren Vorge- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hen der französischen Regierung bei den potentiellen Also Fragen über Fragen. Abnehmem. Meine Damen und Herren, angesichts Ihres Schul- (Beifall bei der SPD) denberges sollten Sie eigentlich mit dem Geld des Wir hätten uns auf den internationalen Märkten mehr Bürgers sorgsamer umgehen. Ihr Transrapidkonzept Enthusiasmus der Bundesregierung bei der Förde- ist ganz einfach nicht entscheidungsreif. rung der Spitzentechnologie in Rad-Schiene-Technik (Anhaltende Zurufe des Abg. Dirk Fischer gewünscht. [Hamburg] [CDU/CSU]) In diesem Zusammenhang eine Bemerkung, Herr Dr. Faltlhauser, in Ihre Richtung, weil Sie es angespro- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege chen haben. Hören Sie doch bitte mit dem Gerede auf, Fischer, es ist ja möglich, Zwischenrufe zu machen, die Rad-Schiene-Technik sei von vorgestern, sie sei aber dies fängt an, störend zu sein. Ich bitte, das nicht morgen erledigt, und nur der Transrapid sei der zu machen. wirkliche Fortschritt! Mir ist unerklärlich, warum Sie die Marktchancen des ICE-Systems hier derar tig in (Beifall bei der SPD) den Keller reden wollen. Das, was Sie hier tun, ist arbeitsmarktschädlich Klaus Daubertshäuser (SPD): Herr Präsident, mich (Beifall bei der SPD) stört das überhaupt nicht. Ich habe das Mikrofon. Wenn Herr Fischer im Unrecht ist, reagiert er immer und sachlich falsch, denn die Rad-Schiene-Technik ist so. keineswegs am Ende ihrer Entwicklung. Schon heute zählen Geschwindigkeiten von 300 km/h im Schie- (Beifall bei der SPD) nenschnellverkehr zum bet rieblichen Alltag. Hochge- Das Transrapidkonzept ist so nicht entscheidungs- schwindigkeitsstrecken werden bereits auf über reif. Wir fordern Sie nachdrücklich auf, mit diesem 400 km/h ausgelegt. Der Geschwindigkeitsrekord Finanzierungstorso keine voreiligen Festlegungen zu — das werden Sie wissen — liegt bei über 500 km/h. treffen. Es ist noch Zeit, daß Sie Abschied von dem Dabei ist, Herr Dr. Röhl, die technische Entwicklung Dinosaurierprojekt Hamburg-Berlin nehmen. des Rad-Schiene-Systems bei weitem noch nicht aus- Wir warnen Sie auch davor, neue finanzwirksame gereizt. Entscheidungen zu treffen nach dem Motto „Nach mir Wenn nur ein Bruchteil der Kosten des Transrapid die Sintflut". Ich sage Ihnen, für eine derar tige Politik zur Förderung des Exports des ICE und für moderne der „verkohlten" Erde haben Sie keine Legitima- Nahverkehrstechnologie eingesetzt würde, dann wä- tion. ren die schon längst weltweit ein Verkaufsschlager. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CSU: Das war stark!) DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, der Wissenschaftliche Auch das gehört zur Diskussion über den Standort Beirat hat bemängelt, daß die industrie- und export Deutschland und die Förderung des internationalen an keiner Stelle plausibel-politischen Erwartungen Wettbewerbs. belegt sind. Ich möchte das ausdrücklich unterstrei- chen. Eine faszinierende Technik macht noch keinen Ich sage Ihnen frank und frei: Verkehrspolitisch Absatzmarkt. Herr Dr. Faltlhauser, der Sprung vom brauchen wir in Deutschl and den Transrapid nicht. Reißbrett zum Industriemuseum ist schon oft ein sehr, Alle Staaten Westeuropas und auch Mitteleuropas sehr kleiner Sprung gewesen. Ich sage Ihnen: Inner- haben Entscheidungen getroffen, künftig am geplan- halb Westeuropas ist der Transrapid nicht verkäuflich, ten europäischen Hochgeschwindigkeitsschienen- denn alle europäischen Staaten verfügen schon über netz zu partizipieren. Eine Insellösung wie der Trans- ein mehr oder weniger leistungsfähiges Schienensy- rapid, der für den Gütertransport nicht geeignet ist, ist stem. in diesem Zusammenhang ein Fremdkörper. Es war übrigens ein entscheidender s trategischer (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Natürlich ist er Fehler, nie ernsthaft versucht zu haben, ein europäi- geeignet!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18655

Klaus Daubertshäuser Der gerade schuldenfreien Bundesbahn wird mit die Hamburger und vielleicht auch die Schweriner dem Bau einer Transrapidstrecke Berlin-Hamburg, aufklären und ihnen reinen Wein einschenken. die parallel zur Bundesbahnstrecke geführt werden (Beifall bei der SPD) wird, ein Bärendienst erwiesen. In Ihrer Kabinettsvor- lage sagen Sie selber: Ausfälle für die Bundesbahn in Ich fasse zusammen: Es hat nichts mit Technikfeind- einer Größenordnung von 200 Millionen DM sind lichkeit zu tun, wenn wir feststellen, daß es Unsinn ist, vorprogrammiert. Der Aufsichtsrat geht von viel grö- im zusammenwachsenden Europa verkehrstechni- ßeren Summen aus. Es ist Ihnen bekannt, daß sich der sche Insellösungen zu fördern. Aber es hat mit solider Aufsichtsrat der Bahn AG dagegen gewehrt hat, der Finanzpolitik zu tun, wenn wir feststellen, daß die Deutschen Bundesbahn einen derartigen Mühlstein - finanziellen Risiken des Transrapid ausschließlich an den Hals zu hängen, die Lufthansa ebenso. dem Steuerzahler aufgebürdet werden. (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Das ist nicht (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Nein, das ist nicht wahr!) wahr! Die will das!) Es hat mit vorausschauender Verkehrspolitik zu tun, — Der Aufsichtsrat der Lufthansa hat nicht zuge- wenn wir feststellen, daß auf Dauer der internationale stimmt. — Eine Alternativlösung, wie die Transrapid Markt für spurgebundene Hochgeschwindigkeitssy- Betriebsgesellschaft ohne einen Finanzbeitrag der steme von der Rad-Schiene-Technik dominiert sein Bundesbahn und der Lufthansa künftig strukturiert wird. Ich sage Ihnen: Es hat mit verantwortlicher sein soll, ist bei weitem noch nicht in Sicht. Herr Verkehrspolitik zu tun, wenn wir daran festhalten, daß Dr. Röhl, das ist ein weiterer Beleg für Ihre schluder- das vorrangige verkehrs- und industriepolitische Ziel haften und unseriösen Finanzvorstellungen. in Europa sein muß, ein leistungsfähiges, ein voll kompatibles gesamteuropäisches Schienennetz zu (Beifall bei der SPD) schaffen. Schließlich, meine Damen und Herren, hat es mit Was Sie hier machen, sind keine Finanzplanungen Vernunft zu tun, das Transrapid-Projekt erheblich und keine Unternehmensplanungen. Das sind vorpro- abzuspecken und damit für den Steuerzahler kalku- grammierte Pannen! Wie wollen Sie eigentlich mit lierbar und letztendlich auch bezahlbar zu machen. einem solchen Konzept weltweit Kunden werben, wenn Sie alle Risiken auf die Steuerzahler abwälzen? Herzlichen Dank. Ich wiederhole: Alles spricht dafür, dieses Ihr Groß- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und projekt auf ein verträgliches Maß mit kalkulierbaren dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Risiken entsprechend abzuspecken. Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos]) (Bundesminister : Also doch Transrapid!) Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Kurzinterven- tion der Kollege Horst Gibtner. Berlin, Hamburg und die neuen Bundesländer dür- fen sich über die Transrapidstrecke übrigens keine Horst Gibtner (CDU/CSU): Danke, Herr Präsident. falschen Hoffnungen machen, denn die regionale Wirtschaftsentwicklung dort ist dringend auf ein effi- Meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß ich auf zientes Verkehrssystem angewiesen, und zwar im einige Behauptungen, die Vorredner hier aufgestellt Güter- und im Personenverkehr. haben, versuche in ganz sachlicher Form, und zwar unter Verwendung des Berichtes über das Finanzie- (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Das blockieren Sie rungskonzept Berlin-Hamburg, Unterrichtung durch doch!) die Bundesregierung, zu antworten. Aber zunächst einmal allgemein: Herr Dr. Feige, Sie — Das blockieren Sie mit dem Transrapid. Das ist die hatten darüber geklagt, daß der Transrapid noch nicht Tatsache. — die Entwicklungsreife erreicht hat, wie sie heute die (Beifall bei der SPD) Eisenbahn hat. Das trifft für jede Erstanwendung von Technik zu. Auch die Postkutsche war bei ihrer Die Transrapidreferenzstrecke wird Berlin und Ham- Erstanwendung noch nicht auf der Höhe der techni- burg nämlich vom europäischen Hochgeschwindig- schen Entwicklung. Die Eisenbahn ist es heute noch keitsschienennetz zumindest teilweise abkoppeln. Es nicht. ist doch ein Fakt, Herr Dr. Röhl, daß die Zugverbin- (Widerspruch bei der SPD) dung zwischen Hamburg und Berlin dreigestückelt wird: Vorortzug Hamburg-Mitte bis Hamburg-Stadt- Ich stimme da Herrn Daubertshäuser zu: Auch ich rand, Umsteigen auf den Transrapid, Vorortzug Ber- glaube, daß das Rad-Schiene-System noch Entwick- lin-Stadtrand bis Berlin-Mitte. Wer dann noch weiter lungspotentiale in sich birgt. Das hat aber nichts damit nach Dresden will, muß noch einmal umsteigen. Die zu tun, daß es nicht weiterführende Technologieent- Transrapid-Entscheidung für diese Strecke bedeutet wicklungen geben soll. auch den Verzicht auf den Hochgeschwindigkeits- Sicher sind auch andere Strecken für den Transra- schienenverkehr zwischen den betroffenen Städten. pid denkbar. Nur sollten wir uns überlegen, was Die parallele Schienenstrecke soll dann ja auch auf machbar ist und wo der Transrapid seine technischen Sparflamme gehalten werden. Über diese Fragen Eigenschaften ausfahren kann. Sicher steht eine sollten Sie die Berliner, Strecke in Richtung Osteuropa, wie sie der Kollege Feige vorgeschlagen hat, gegenwärtig noch nicht zur (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Die wollen das!) Debatte. 18656 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Horst Gibtner Was die Kosten des Fahrwegs und das Risiko für wirtschaftslehre sitzen, auch wenn der Kollege Gibt- den Steuerzahler betrifft, hat Herr Daubertshäuser ner meinte, sie in einer Presseerklärung „herunter- schlicht und einfach nicht recht. Auch er verweist ja schreiben" zu müssen. Ich würde diesen sehr konser- auf dieses Papier. Absatz 6.3, Einnahmen, sagt ein- vativen Volkswirtschaftslehrern, die politisch norma- deutig, daß die Betreibergesellschaft die Verantwor- lerweise in Ihrem Lager stehen, tung für die Abschreibungen in Höhe von 38 Millionen (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: So ist DM pro Jahr in jedem Falle aufzubringen hat, und es!) damit bleibt kein Risiko für den Steuerzahler beim nicht einfach unterstellen — von Professor Abele bis Fahrweg. - Professor Hamm —, sie hätten keine Ahnung. Das ist Es gäbe noch viele Dinge hier zu erwähnen, auch zu einfach. Bitte die Beteiligung der Lufthansa und der Bahn. (Beifall bei der SPD) lesen Sie auch das in diesem Papier nach, Kollege Daubertshäuser. Bahn und Lufth ansa werden in der Dann müssen Sie sich schon mit deren Argumenten auseinandersetzen. M an kann sie nicht einfach nie- Managementgesellschaft tätig sein. Die Lufthansa hat lediglich bei der Betriebsgesellschaft ihre Mitwirkung derschreien. wegen der Kostenbeteiligung zunächst abgesagt. Von daher gibt es diese Risiken. Ich hoffe, wenn Sie wirklich diesen Unsinn machen, daß ich mich (Zurufe von der SPD: Aha! — Ach so!) getäuscht hätte. Nur befürchte ich, daß wir uns in Vielen Dank. dieser schlimmen Befürchtung nicht täuschen, daß (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ also diese unkalkulierbaren Risiken auf uns zukom- CSU) men. Zum Thema „Lufthansa und Bahn AG": — — Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dauberts- häuser zur Beantwortung. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dauberts- häuser, die Zeit ist abgelaufen. (Abg. Eckart Kuhlwein [SPD] meldet sich zu einer Kurzintervention) Klaus Daubertshäuser (SPD): Er hat aber Lufthansa — Es gibt auf Kurzinterventionen keine Kurzinterven- und Bahn AG angesprochen! tionen. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Schade!) Vizepräsident Hans Klein: Kurzinterventionen dau- ern zwei Minuten — und Ende. Klaus Daubertshäuser (SPD): Herr Kollege Gibtner, (Widerspruch bei der SPD — Zuruf von der unabhängig von dem, was Sie jetzt dargestellt haben, SPD: Aber er hat doch eine Rede gehal gibt es in der Tat eine völlig unterschiedliche Ein- ten!) schätzung des Systems. Wir sind wie viele andere in Meine Damen und Herren, eine Kurzintervention diesem Land immer davon ausgegangen, daß Trans- dauert zwei Minuten, rapid bestenfalls als eine Ergänzung zum bestehen- (Zuruf von der SPD: Dann aber bei allen!) den Rad-Schiene-System zu diskutieren ist, während- und dann ist sie beendet. Die Antwort darauf dauert dessen wir nun von der Bundesregierung, auch von ebenfalls zwei Minuten. Ich bitte herzlich um Ver- Ihnen, Herr Minister Wissmann, hören: Sie wollen mit ständnis. Transrapid ein neues, zusätzliches Verkehrssystem schaffen. Das ist nicht unsere Posi tion — damit das klar ist. Klaus Daubertshäuser (SPD): Darf ich den einen Satz noch beenden? Es ist richtig, wie Sie angesprochen haben, daß ein neues System in sich birgt. Aber Chancen und Risiken Ja. die Finanzierungsrisiken liegen ausschließlich beim Vizepräsident Hans Klein: Steuerzahler. Das ist das, was ich hier heftigst kritisiert habe. Klaus Daubertshäuser (SPD): Ich hatte ihn begon- nen und gesagt: Lufthansa und Bahn. Zuständig für (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Für die Entscheidung ist der Aufsichtsrat. In keinem den Fahrweg! Nicht für den Betrieb!) Unternehmen hat der Aufsichtsrat bisher zuge- — Entschuldigung, Herr Kollege Fischer, wenn sich stimmt. alle Parameter betriebswirtschaftlicher Art von den (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Passagieren bis zu den Fahrzeiten nicht realisieren — Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: So ist lassen, dann wird die Betriebsgesellschaft keinen es!) Gewinn und keinen Ertrag einfahren und wird nicht in der Lage sein, die Investitionen für den Fahrweg Es haben sich eine ganze zurückzuzahlen. Vizepräsident Hans Klein: Reihe von Kollegen zu weiteren Kurzinterventionen (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Ihre gemeldet. Meine Damen und Herren, es gibt keine Behauptung!) Kurzintervention auf eine Kurzintervention. Es gibt Folglich bleibt das Risiko bei dem Steuerzahler. nur eine Antwort auf die Kurzintervention. Das ist das Das sagt Ihnen nicht nur die SPD-Bundestagsfrak- erste. tion. Das sagt Ihnen auch der verkehrswissenschaftli- Das zweite ist — das ist auch wich tig, und da bitte che Beirat, in dem ausgewiesene Größen der Volks- ich um Verständnis, sonst kommen wir völlig aus dem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18657

Vizepräsident Hans Klein Rhythmus —: Das Instrument der Kurzintervention durch das BZA München der Deutschen Bundesbahn soll nicht primär dazu dienen, Kollegen Redezeit zu erteilt. Es ist nun unsere unerläßliche Aufgabe und verschaffen, die von der Fraktion nicht gemeldet Pflicht, die hier liegenden großen Chancen durch Bau worden sind. und Betrieb der Anwendungsstrecke zu nutzen und (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der damit die Kraft und Leistungsfähigkeit des Standortes CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Deutschlands unter Beweis zu stellen. Wir müssen auch unsere normale Rednerliste abarbei- Dieser innovative Verkehrsträger ist in allen Eigen- ten. Dafür bitte ich um Verständnis. schaften und technischen Daten der bisherigen Spit- Deshalb hat als nächster unser Kollege Dr. Klaus zentechnologie eindeutig überlegen. Gleichzeitig ist Röhl das Wort. der Transrapid erheblich umweltfreundlicher als die bisherige, schon sehr umweltfreundliche Spitzentech- nologie. Der Fahrweg der Magnetbahn verbraucht, (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Dr. Klaus Röhl gleichgültig, ob „aufgeständert" oder ebenerdig, Damen und Herren! Erst noch ein Wort an den weniger Fläche als die Fahrwege des IC und ICE. Kollegen Daubertshäuser: Wie Sie wissen, hatten wir Zudem sind auch wesentlich kleinere Kurvenradien in der vorigen Woche eine Sitzung des Verkehrsaus- bei vergleichbaren und höheren Spitzengeschwindig- schusses bei der Flughafengesellschaft in Frankfurt. keiten notwendig. Die höhere Steigfähigkeit läßt Da war auch Herr Weber anwesend. Herr Weber hat Dammbauten und Einschnitte in die Landschaft ver- gesagt, der Transrapid ist keine Konkurrenz für die meiden. Damit werden weniger Erdbewegungen Lufthansa, sondern die fördert das Objekt. Sie alle, die beim Bau erforderlich, und die Fahrweginvestitionen im Verkehrsausschuß sind, waren dabei. Das vor- werden damit insgesamt, je Kilometer Doppelspur, neweg. geringer als bei herkömmlichen Technologien. (Widerspruch bei der SPD) — Das ist Fakt. Das können Sie im Protokoll nachle- Der vergleichbare Energieverbrauch beim Betrieb sen. ist um ein Drittel geringer als beim ICE und erreicht erst bei Geschwindigkeiten über 400 km/h die Spit- (Zuruf von der SPD: Das ist doch keine zenwerte des ICE. Aussage! — Dr. Willfried Penner [SPD]: Ist Herr Weber Mitglied des Aufsichtsrates? Er Auch beim vieldiskutierten Lärmpegel erreicht der ist doch kein Aufsichtsratsmitglied! — Wei- Transrapid erst oberhalb 400 km/h die Werte, die der tere Zurufe von der SPD: Das ist so ähnlich, ICE bei 250 km/h und der TGV bei 300 km/h wie. wenn Sie für die Bundesregierung spre- aufweist. chen! —. Röhl spricht für die Bundesregie- rung!) (Uta Würfel [F.D.P.]: Das muß man wissen!) — Er ist der Geschäftsführer, er kann das einschät- Der Transrapid kann mit der Höchstgeschwindigkeit zen. moderner Eisenbahnen in die Innenstädte einfahren

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Röhl, (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Was? Mit gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhl- der Höchstgeschwindigkeit?) wein? und ist dabei nicht lauter als eine Berliner S-Bahn bei Tempo 80. Er kann sich also unterhalb dieser Höchst- Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Ich würde lieber erst mit der geschwindigkeit in die Stadtzentren gewissermaßen Rede beginnen, dann gerne. „einschleichen" . (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Es muß an dieser Stelle ganz klar gesagt werden, Eckart Kuhlwein [SPD]: Herr Daubertshäu- daß jeder, der etwas anderes behauptet, sich entweder ser war Ihnen gegenüber sehr viel zuvorkom- nicht sachgerecht informiert hat oder wissentlich die mender! Das ist unfair!) Unwahrheit sagt. Meine Damen und Herren, wir sind heute in der herausragenden Situation, das Startsignal für eine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) vollkommen neue Verkehrstechnik zu geben. Der Grund: 158 Jahre nach der Jungfernfahrt der ersten Es ist auch vollkommen unverständlich und erweckt deutschen Eisenbahn hat die Rad-Schiene-Technik leider auch den Eindruck von Ignoranz, wenn z. B. der der Eisenbahn den Höhe- und Endpunkt Ihrer Ent- Brandenburger Minister Platzeck und bedauerlicher- wicklungsmöglichkeiten erreicht. Die Shin Kansen-, weise auch einige Kollegen aus der SPD-Fraktion TGV- und ICE-Züge und die Neige-Technik-Züge diese günstigen technologischen und Umwelteigen- sind Beispiele für die erreichte Höhe dieser Entwick- schaften nicht zur Kenntnis nehmen und sich der lung. Eine Weiterentwicklung auf der Grundlage der Anwendung entgegenstellen. Rad-Schiene-Technik ist nur noch in sehr engen (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Grenzen möglich. CDU/CSU) Mit der Magnetschwebebahn Transrapid ist eine völlig neue Bahntechnologie entstanden. Für diesen Meine Damen und Herren, diese Technologie neuen fünften Verkehrsträger, den man mit Fug und ermöglicht es uns, bei einer vorgesehenen Taktfre- Recht als die Bahn der Zukunft bezeichnen kann, quenz von zehn Minuten und einer Fahrzeit von etwa wurde im November 1991 die technische Einsatzreife 55 Minuten — gegenüber eineinhalb Stunden beim 18658 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Klaus Röhl ICE — die zwei größten Ballungszentren Deutsch- bitte zur Kenntnis nehmen, daß Herr Weber gesagt lands zu verbinden. hat: Auf der Strecke Hamburg-Berlin stellt der Tr ans- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Aber nur rapid keine Konkurrenz für die Lufth ansa dar, weil von Bergedorf bis Spandau!) sich Kurzstreckenflüge in dieser Relation nicht loh- nen. Dieses Verkehrssystem macht es außerdem mög- lich, den Regionalflugverkehr einzusparen, erhebli- che Verlagerungen vom Pkw-Verkehr auf das neue Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Das habe ich doch eben System zu erreichen — das ist ja doch das Ziel — und gesagt. die Eisenbahnstrecke Hamburg-Büchen-Berlin für den Interregio, den Personennahverkehr und den Elke Ferner (SPD): Er hat aber nie behauptet, daß Güterverkehr freizumachen. Das berücksichtigen Sie der Transrapid auf dieser Strecke keine Konkurrenz ja nie! für die Schiene sei. Und was die Frage anbelangt, Herr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Röhl, ob die Lufthansa mit einsteigt, ist hier klar Ein ICE-Hochgeschwindigkeits-Kurztaktverkehr und deutlich gesagt worden, daß der Aufsichtsrat eben nicht in die Betreibergesellschaft einsteigt, son- auf dieser Strecke würde entweder — — dern lediglich bereit ist, eventuell in der Manage- mentgesellschaft mitzuarbeiten. Das bitte ich Sie Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Röhl, der Herr Kuhlwein würde gern eine Zwischenfrage stel- wirklich zur Kenntnis zu nehmen. len. Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Sie haben nur meine Aus- Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Ja, hoffentlich rechnen Sie sage bestätigt — — mir das nicht an. Vizepräsident Hans Klein: Entschuldigung, Herr Vizepräsident Hans Klein: Nein. Kollege Röhl! — Frau Kollegin, das war jetzt eine Reihe von Aufforderungen und Appellen, aber keine Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Bitte. Frage. (SPD): Herr Kollege Röhl, ich Eckart Kuhlwein Elke Ferner (SPD): Ich habe ihn gefragt, ob er bereit wollte Ihren Redefluß nicht unterbrechen, aber Sie ist, zur Kenntnis zu nehmen, daß . . . hatten mir ja quasi angeboten, ich könnte, wenn Sie in Ihre Rede eingestiegen sind, dann doch eine Frage stellen. Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Sie haben eben nur meine Meine Frage zielt auf Ihre Eingangsbemerkung ab. Aussage über das bestätigt, was Herr Weber gesagt Ist Ihnen entgangen, daß in der offiziellen Drucksache hat, weiter nichts. der Bundesregierung, 12/6964, auf Seite 5 steht, die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Lufthansa habe inzwischen erklärt, daß sie sich nicht Lachen bei Abgeordneten der SPD) an der Betriebsgesellschaft, wohl aber an der Mana- Kurztaktverkehr auf dieser Strecke würde entweder gementgesellschaft beteiligen will und demzufolge einen zusätzlichen, vollständigen Neubau erfordern keinen Beitrag zu den 300 Millionen DM Gesell- oder bei Ertüchtigung der jetzt im Ausbau befindli- schaftskapital leisten wird? Wie verträgt sich das mit chen Strecke für ICE-Züge diese für langsame Züge Ihrer Aussage von vorhin, der Verkehrsausschuß sei blockieren. informiert worden, daß die Lufthansa alles in Ordnung Auch der Einwand der Insellösung muß zurückge- finde? wiesen werden, denn bei Erfolg des Systems ist eine Verlängerung der Strecke in Richtung Dresden-Prag, Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Es ist eine tatsächliche nach Warschau, wie Herr Feige gesagt hat, nach Aussage des Herrn Weber, daß der Transrapid keine Leipzig-Frankfurt oder von Hamburg in Richtung Konkurrenz für die Lufthansa sei, sondern daß sie es Nordrhein-Westfalen durchaus möglich. begrüßt, wenn sie die unrentablen Kurzflugstrecken einstellen kann. Auch bezüglich der Exportchancen können wir ausländische Interessenten nur durch den Bau und Jetzt würde ich gern weiterreden. Betrieb des Transrapid im eigenen Land vom Wert und von der Leistungsfähigkeit dieses neuen Bahnsy- Eckart Kuhlwein (SPD): Aber dies ist eine offizielle stems überzeugen. Erklärung der Bundesregierung! Oder soll man darauf nichts mehr geben? (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Die machen doch in der Managementgesellschaft mit!) Erste positive Reaktionen sind jetzt schon feststell- bar. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Röhl, die Meine Damen und Herren, auch das hier vorge- Kollegin Ferner würde auch gern eine Zwischenfrage schlagene Finanzierungsmodell — Finanzierung des stellen. Fahrweges durch den Bund, Finanzierung des Betrie- bes durch eine private Gesellschaft und Abtragen der Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Ja, bitte. Fahrwegskosten durch die Bet riebsgesellschaft im Verlauf der Nutzung — ist ein Durchbruch gegenüber Elke Ferner (SPD): Ich war auch bei der Sitzung des alten, erstarrten und festgefahrenen Formen der Verkehrsausschusses in Frankfurt dabei. Würden Sie Finanzierung. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18659

Dr. Klaus Röhl Das der Planung zugrunde gelegte Verkehrsauf- Holstein ist die F.D.P. dagegen! — Gegenruf kommen, die Kosten für Bau und Be trieb und die von der F.D.P.: Das macht nichts!) angenommenen Sensitivitäten wurden in analoger Weise zu den Planungen für die ICE-Strecken ermit- telt. Das Betreiberrisiko wird vollständig durch die Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Privatwirtschaft übernommen. ren, die parlamentarischen Geschäftsführer, zumin- dest eine parlamentarische Geschäftsführerin, bittet Auch für den Bund als Träger des Fahrweges ist der den amtierenden Präsidenten um mehr Liberalität. eingeschlagene Weg nicht risikofrei, aber es ist ein Also werden wir die Debatte jetzt ein Stück verlän- mutiger Schritt nach vorn, der ein Beweis für die - gern. Ich habe drei Kurzinterventionen, die ich jetzt Leistungsfähigkeit des Standortes Deutschland ist. alle drei zulassen werde: erstens die Kollegin Renate (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Blank, zweitens den Kollegen Horst Friedrich, drittens Der vorgelegte Entwurf des Magnetschwebebahn- den Kollegen Klaus-Dieter Feige. — Frau Kollegin planungsgesetzes schließt die Regelungslücke für Blank. diesen fünften neuen Verkehrsträger. Er ist auf den Anwendungsfall der Magnetschwebebahn zuge- (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Herr schnitten und legt das Eisenbahnbundesamt als Plan- Renate Blank Präsident. Ich glaube, daß Kurzinterventionen auch feststellungs-, Anhörungs- und Bauaufsichtsbehörde zur Lebendigkeit der Debatten im Parlament beitra- für die Betriebsanlagen der Magnetschwebebahn gen. fest. Durch Anwenden und Einarbeiten der Bestimmun- (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) gen und Verfahrensweisen des Planungsvereinfa- Deswegen bedanke ich mich ganz ausdrücklich für chungsgesetzes werden die Grundlagen gelegt, die die Zulassung der drei Kurzinterventionen. Wir sollen erforderlichen Planungs- und sonstigen Verfahren ja immer ein lebendiges Parlament gestalten, und das zum Bau der Magnetschwebebahn zügig und kosten- hier ist eine Möglichkeit dazu. günstig durchzuführen und auch Bürgerbeteiligun- (Zuruf: Aber die Zeit ist abgelaufen!) gen sicherzustellen. Das Gesetz enthält weiterhin die — Die Zeit ist noch nicht ganz abgelaufen. Verordnungsermächtigung für eine Magnetbahn-, Bau- und Betriebsordnung. Kollege Daubertshäuser, ich sehe, daß aus Ihren Worten die reine Angst vor neuen Technologien Ich komme zum Schluß. Mit diesem mutigen Start- spricht. Gott sei D ank gab es im Jahr 1833, als die schritt zu einer völlig neuen Bahntechnologie geben Entscheidung für die Eisenbahnstrecke Nürnberg wir den neuen Bundesländern Mecklenburg-Vor- Fürth fiel, pommern und Brandenburg und dem wiedervereinig- ten Bundesland Berlin, aber genauso auch den Bun- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Transra- desländern Schleswig-Holstein und Hamburg grünes pid Nürnberg-Fürth! Sehr gut!) Licht für die Schaffung einer bedeutenden Zahl neuer die SPD noch nicht, sondern eine vorausschauende Arbeitsplätze durch Bau und Betrieb dieser neuen und mutige Bürgerschaft in Nürnberg und Fürth. Sie Bahn. sollten sich ein Beispiel daran nehmen und in die (Beifall des Abg. Dr. Zukunft denken. [CDU/CSU] — Eckart Kuhlwein [SPD]: Wie Damals wurde die Strecke Nürnberg-Fürth übri- war das?) gens zunächst auch nur für den Personenverkehr — So ist das; fragen Sie doch einmal Ministerpräsident ausgerichtet und nicht für Güterverkehr. Seite. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen!) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Sie sind schon ein gutes Stück über Ihre Redezeit. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dauberts- häuser, bitte zur Antwort. Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Ja, ich bin gleich fertig, Herr Präsident. Für die Entwicklung der Infrastruktur in diesen Klaus Daubertshäuser (SPD): Frau Kollegin Blank, Ländern und den damit verbundenen wirtschaftlichen wenn Sie richtig zugehört haben, können Sie die Aufschwung ist dieser Schritt unerläßlich. Die alten Technikfeindlichkeit meinen Ausführungen eigent- Bundesländer rufen wir auf, den Stafettenstab dieser lich nicht entnommen haben, denn wir haben ja für ein neuen Verkehrstechnologie zur Lösung eines gewich- kalkulierbares Risiko auf einer kürzeren Anwen- tigen Teils ihrer Verkehrsprobleme aufzunehmen. dungsstrecke plädiert. Von daher kam gerade die Ich kann nur noch wünschen, daß Mut und Tatkraft Strecke Nürnberg-Fürth in die Diskussion. allen Zweifel und Kleinmut und alles Rückwirtsge- Wenn man im letzten Jahrhundert schon einmal den wandte überwinden. Die F.D.P.-Fraktion befürwortet Fehler gemacht hat, ein Verkehrssystem nur einseitig diesen Gesetzentwurf mit aller Entschiedenheit und auszurichten, muß man nach so langer Erfahrung wünscht dem Unternehmen gutes Gelingen und diesen Fehler nicht im nächsten Jahrhundert wieder- „Glück auf " . holen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Eckart Kuhlwein [SPD]: Also, in Schleswig- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18660 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Hans Klein: Bleiben Sie da, Herr Technik auf eine vertretbare Geschwindigkeit, die Kollege Daubertshäuser, es gibt noch mehr Kollegen, von der Stadtmitte Berlins zur Stadtmitte Hamburgs die Ihnen weitere Redezeit verschaffen wollen. den sehr schnellen Transrapid im „Haus-zu-Haus- Als nächster der Kollege Horst Friedrich, bitte. Verkehr" bereits schlägt. (Zustimmung des Abg. Wolf-Michael Caten Horst Friedrich (F.D.P.): Herr Kollege Daubertshäu- husen [SPD]) ser, man kann über den Transrapid unterschiedlicher Dieses Projekt ist bereits 4,4 Milliarden DM günstiger Meinung sein, aber man sollte bei den Zahlen wenig- als der Transrapid. Von daher war meine Argumenta- stens von der gleichen Basis ausgehen. Sie haben- tion aufgebaut, und die ist durch das, was Sie jetzt vorhin gesagt, ich hätte nur die halbe Wahrheit ausgeführt haben, noch einmal unterstrichen wor- behauptet. den. Als Berichterstatter meiner Fraktion zum Bundes- (Beifall bei der SPD) verkehrswegeplan erkläre ich folgendes: Auf der Strecke von Hamburg nach Berlin ist ein Ausbau auf Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Klaus- 160 km/h für IC - Verkehr beschlossen. Im Schienen- wegeausbaugesetz und im tatsächlichen Bau befindet Dieter Feige, bitte — damit ich bei Ihnen in keinen sich auch nur dieses, keine ICE-Strecke. falschen Ruf komme. (Zurufe von der SPD) Sie haben behauptet, es sei eine ICE-Strecke Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geplant. NEN): Danke, Herr Präsident. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Ich möchte noch einmal auf die Äußerung von Herrn Gibtner eingehen, der offensichtlich nicht damit klar- Es gibt Alternativen. Die erste: ein Ausbau auf kommt, daß wir nicht mehr das Buhmannbild abgeben 220 km/h für Neigezugtechnik mit einer Fahrzeit von wollen, technikfeindlich zu sein. Sie versuchen wei- 90 Minuten mit einem Kostenvolumen von 1,2 Milli- terhin, uns in diese Rolle hineinzubringen. Ihr naives arden DM zusätzlich. Die zweite: der Neubau eines Beispiel von der Postkutsche ist ein direkter Ang riff, 100 km langen Zwischenstücks von Bolzenburg nach der uns unterstellt, daß wir nicht für moderne Tech- Wittenberge nologien sind. Ich kann einfach nur sagen: Zur Zeit der (Zuruf von der SPD: Wie heißt das?) Postkutsche existierte nicht zeitgleich ein ausgebau- mit Investitionen von 2,6 Milliarden DM und einer tes Bussystem. Es handelte sich in diesem Fall um eine Fahrzeit von 82 Minuten bei einer Geschwindigkeit gesellschaftliche Notwendigkeit, die sich aus einem von 300 km/h, die noch nicht realisierbar ist, weil die Transportbedarf ergab. Deshalb hinkt Ihr Beispiel. Rad-Schiene-Technik mit Personenbeförderung ma- Moderne Technologien, die wir ausdrücklich unter- ximal bei 250 km/h aufhören muß. Die dritte Alterna- stützen, brauchen wir im Energiebereich, bei Umwelt- tive: Neubau einer weitgehend kompletten Strecke technologien, im Bereich der Landwirtschaft. Dort für den Transrapid von Hamburg - Bergedorf nach sind Sie diejenigen, die technikfeindlich sind und Berlin - Spandau mit einem Investitionsvolumen von gegen die modernen Technologien auftreten. 5,4 Milliarden DM mit einer Fahrzeit von 61 Minuten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei einer Geschwindigkeit von 350 km/h. Auch da gilt sowie bei Abgeordneten der SPD) das von mir vorhin Eingeschränkte. Ich möchte mich nicht mehr damit abfinden, daß wir Das sind die Zahlen, die den ganzen Berechnungen, als Feinde dieser Technologie hingeste llt werden. Sie auch denen im verkehrswissenschaftlichen Beirat, müssen zuhören. zugrunde liegen sollten und anhand deren wir debat- tieren sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Vizepräsident Hans Klein: Keine Antwort? — Dann erteile ich das Wort dem Bundesminister für For- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dauberts- häuser zur Antwort. schung und Technologie, Dr. Paul Krüger.

Klaus Daubertshäuser (SPD): Herr Kollege F ried- Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister für Forschung rich, das ist sicher richtig zitiert. und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Mit der Entscheidung zur (Zuruf von der F.D.P.: Aha!) Einführung des Transrapid hat die Bundesregierung Sie haben nur einen Städtenamen falsch genannt. Sie in der vergangenen Woche ein wahrhaft neues Kapitel meinen Boizenburg, nicht Bolzenburg. in der Geschichte der Verkehrstechnologien aufge- (Zurufe von der CDU/CSU) schlagen. — Ja, sonst bekomme ich wieder den Vorwurf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gemacht, daß ich hier etwas Falsches unterstützt Das Bundesministerium für Forschung und Technolo- hätte. gie hat in der Verantwortung sozialdemokratischer Herr Kollege Friedrich, wenn Sie bei Ihrer ersten und christdemokratischer Forschungsminister die Variante bleiben, bei den 1,2 Milliarden DM, kom- Entwicklung des Transrapid seit über 20 Jahren men Sie mit relativ wenig Geld in der Rad-Schiene- vorangetrieben. Heute steht ein neues, einsatzreifes Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18661

Bundesminister Dr.-Ing. Paul Krüger und weltweit technologisch führendes Verkehrssy- Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister für Forschung stem zur Verfügung. Die Entscheidung zum Einsatz und Technologie: Ja, wenn Sie es mir nicht auf meine des Transrapid ist sinnvoll in ökonomischer, ökologi- Redezeit anrechnen. scher, regionalpolitischer, industriepolitischer und verkehrspolitischer Hinsicht. Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Bundesminister, wenn (Beifall bei der CDU/CSU) Sie hier darstellen, daß die Bundesregierung die Der Transrapid ist eine gemeinsame Antwort von finanziellen Auswirkungen dieses Konzepts beson- Industrie und Bundesregierung auf eine zentrale Her- ders sorgfältig geprüft habe, wie kommt es denn, daß ausforderung am Industriestandort Deutschland. Die in der offiziellen Drucksache auf Seite 6 unter Entscheidung über den Transrapid ist dabei geradezu Punkt 6.2 — Haushaltsrisiken — steht „Die Kostenri- symptomatisch für Herausforderungen bei der Siche- siken für den Bundeshaushalt sind z. Z. zahlenmäßig rung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit un- nicht abschätzbar"? Halten Sie das für eine solide seres Landes in einer Reihe von Schwerpunkten. Aussage, wenn Sie gleichzeitig zu dem Schluß kom- men, wir bauen das Ding aber trotzdem? Erstens. Deutschland besitzt hervorragende wissen- schaftlich-technische Grundlagen. Diese Grundlagen werden nur ungenügend umgesetzt. Notwendig ist Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister für Forschung — das wissen wir alle — eine schnelle Umsetzung, und Technologie: Herr Kuhlwein, ich halte das des- insbesondere durch das starke Zusammenarbeiten halb für eine solide Aussage, we il wir bei der Einfüh- und Zusammenwirken zwischen Wissenschaft und rung neuer Technologien bereit sein müssen, immer Wirtschaft. Mit der Entwicklung des Transrapid bis wieder — das sage ich besonders an Ihre Adresse — zur Einsatzreife wurde ein Beispiel für die konse- Risiken einzugehen, die vorher nicht kalkulierbar sein quente Umsetzung einer faszinierenden und zugleich werden. zukunftsweisenden technologischen Idee gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dazu ist es höchste Zeit!) Und wenn wir das nicht tun, dann werden wir den Zug der Zeit im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen. Zweitens. Mit dem Bau der Anwendungsstrecke Ich glaube, die Verpflichtung, die die Indus trie bei Hamburg-Schwerin-Berlin wird diese neue Techno- Verkehrsinfrastrukturproj ekten eingegangen ist, logie in die prakische Nutzung überführt, und zwar, wurde bisher in dieser Runde viel zu wenig gewürdigt; Herr Daubertshäuser, von Stadtmitte zu Stadtmitte. denn die Industrie ist diese Verpflichtung erstmals (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) eingegangen, und das auch noch bei einer neuen Technologie. Damit wird ein Beispiel für die Bereitschaft zum kalkulierten Risiko in diesem Land gegeben. Im übrigen würde auch der vollständige Ausbau eines ICE bei gleichem Niveau die hier genannten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 5 Milliarden DM kosten. Fehlende Risikobereitschaft, meine Damen und Her- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: 2,4 Milli ren, wird sonst so häufig zu Recht beklagt. -arden!) Bundesregierung und Wirtschaft haben hierzu ein Drittens: Die Entstehung zukünftiger Arbeitsplätze tragfähiges Finanzierungsmodell entwickelt. Die braucht innovationsfreundliche rechtliche Rahmen- Wirtschaft trägt über die Betreibergesellschaft das bedingungen. Gegenwärtig, meine Damen und Her- volle Risiko des Betriebs des Transrapid. Sie haftet für ren, wirken besonders die zum Teil tatsächlich viel zu dieses Risiko mit Eigen- und Fremdkapital im Umfang langen Genehmigungsfristen auf viele Entwicklungs- von 4,5 Milliarden DM. Das müssen Sie sich vor Augen prozesse hemmend. führen. Sie hat deshalb das Technologie- und Finan- Mit dem Magnetschwebebahnplanungsgesetz wer- zierungskonzept weit intensiver geprüft als manch ein den für diese neue Verkehrstechnik die gleichen vorschneller Kritiker. beschleunigten planungsrechtlichen Verfahren wirk- (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr sam wie bei der herkömmlichen Rad-Schiene-Tech- gut!) nik. Nicht mehr und nicht weniger. Die Wirtschaft hat die Verpflichtung übernommen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) aus den Einnahmen des Betriebs dem Bund die Aber damit, meine Damen und Herren, ist erstmals Investitionen für den Fahrweg sukzessive über die auch eine schnelle Realisierung einer solch neuen Erstattung der jährlichen Abschreibungen zurückzu- Technologie möglich. zahlen. Darüber hinaus wird aus Gewinnen ein erhöh- Viertens: Der Durchbruch neuer Technologien tes Nutzungsentgelt geleistet, das es dem Bund braucht ein hohes Maß an Akzeptanz in der Bevölke- ermöglicht, rund 2,4 Milliarden DM ohne Belastung rung. des Bundeshaushalts zu finanzieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Das Beispiel des Transrapid zeigt, wie diese Akzep- tanz gegenüber einer ganz konkreten Problemlösung zerredet werden soll. Hierfür ist auch die heutige Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, der Herr Kollege Kuhlwein würde gern eine Zwischen- Debatte ein gutes Beispiel. frage stellen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) 18662 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Bundesminister Dr.-Ing. Paul Krüger Hierzu finden sich Bedenkenträger aus verschieden- Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister für Forschung sten Richtungen zusammen. und Technologie: Also, Herr Feige, ich bitte, das nicht (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE als persönlichen Angriff zu werten. Ich möchte nur GRÜNEN]: Besser als bedenkenlos!) den ernstgemeinten Hinweis geben, daß m an nicht immer wieder gegen alles auftreten soll, was neu ist Herr Feige hat heute hier bekannt, daß er ein Beden- und Risiken in sich birgt. kenträger ist. Herr Feige, Sie machen Ihrem Namen alle Ehre. Fünftens: Meine Damen und Herren, wir brauchen für neue Techniken aber nicht nur Akzeptanz, wir (Beifall bei der CDU/CSU — Oh-Rufe bei der - brauchen vor allem mehr Aufgeschlossenheit in der SPD — Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/ Bevölkerung für sie. DIE GRÜNEN]: Sie sind ein Bedenkenlo- ser!) In diesem Zusammenhang, meine Damen und Her- ren, hat es mich besonders nachdenklich gemacht, Mich hat es persönlich ein wenig befremdet, daß daß ich in den Diskussionen, in den Beiträgen und sich der Fachmann Daubertshäuser heute auf die Stellungnahmen der vergangenen Wochen und auch Seite der Bedenkenträger geschlagen hat. in den vergangenen Monaten kaum Stimmen ver- Dabei finde ich — genau wie einige meiner Vorred- nommen habe, die die Ingenieurleistungen würdig- ner — die Bedenken aus Umweltgründen besonders ten, die hier realisiert worden sind und den Transrapid unglaubwürdig. Ich möchte nicht die Argumente möglich machten. wiederholen, die hier genannt wurden. Ich halte sie In den USA, meine Damen und Herren, wäre, für schlagkräftig genug, um nachzuweisen, daß der glaube ich, geradezu ein sportlicher Stolz auf diese Transrapid ein wahrhaft gutes, umweltfreundliches Leistung selbstverständlich gewesen. Die Schaffung Verkehrsmittel ist, das zur Lösung zentraler umwelt- zukunftsfähiger Arbeitsplätze durch Hochgeschwin- politischer Problemstellungen beitragen kann. digkeitsbahnen war dort 1992 ein wich tiges Wahl- kampfthema. Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, der Wissenschaft und Technik wird in der öffentlichen Kollege Catenhusen möchte eine Zwischenfrage stel- Meinung angeblich eine hohe Bedeutung zur Lösung len. von Zukunftsfragen in unserer Gesellschaft beige- messen. Hierzu aber steht im Gegensatz, daß die Zahl der Befürworter von Wissenschaft und Technik bei Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Herr Bundesmini- konkreten Entscheidungen in der politischen Diskus- ster, halten Sie es für geschickt oder angemessen, sion schnell geringer wird. Wir müssen uns der Frage Kollegen dieses Hohen Hauses, die auf Milliarden- stellen, ob wir in dieser Gesellschaft noch bereit sind, Risiken bei diesem Projekt hinweisen oder auch nur Risiken zu tragen. Lothar Späth hat gesagt, die Risi- die Frage stellen, ob es nicht auch sinnvollere kleinere kofeindlichkeit dieser Gesellschaft werde selbst zum Alternativen gibt, mit dem Titel „feige" zu titulieren, Risiko für diese Gesellschaft. wie Sie es beim Kollegen Feige eben durch Ihre nette Wortspielerei in der Sache getan haben? Ich glaube, Herr Daubertshäuser, mit der SPD wird der Sprung vom Reißbrett zum Industriemuseum, den Sie hier zitiert haben, zum Regelfall. Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister für Forschung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge und Technologie: Herr Catenhusen, wenn sich diese ordneten der F.D.P.) Kollegen immer wieder in der gleichen Weise de- struktiv gegenüber neuen Entwicklungen und neuen Die Diskussionen um den Transrapid haben dabei Technologien in diesem Hohen Hause äußern, dann auch in einem weiteren Sinne, nämlich politisch, muß man zumindest überlegen, — — Symbolcharakter. Die Haltungen zum Transrapid ver- deutlichen Unstimmigkeiten in den Reihen der SPD (Widerspruch bei der SPD) und Wankelmut gegenüber konkreten technologie- — Ich habe ja nur die Frage gestellt. Na gut, wir politischen Fragestellungen, wie das auch in der müssen das im Protokoll nachlesen. Aber dann würde Vergangenheit immer wieder der Fall war. ich das, Herr Feige, zumindest als Frage formulieren Besonders aufschlußreich ist hier die Posi tion von wollen, ob Sie Ihrem Namen Ehre machen wollen. Herrn Daubertshäuser, die er in einem Buch, welches 1988 veröffentlicht wurde, dartut. Ich zitiere: Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, Sie Der Stand der Magnetbahntechnik ist nunmehr würden es auch dem Präsidenten in einer jetzt etwas nach der Systementwicklung und der Erprobung zweifelhaften Frage leichter machen, wenn Sie ein- so weit fortgeschritten, daß in absehbarer Zeit fach erklären würden, daß Sie damit den Kollegen ihrer Anwendung in der Praxis, d. h. zunächst auf Feige nicht etwa beleidigen oder der Feigheit zeihen einer Schnellbahnstrecke des Fernverkehrs wollten. — ich bitte zuzuhören — (Unruhe bei der SPD) nichts mehr im Wege stehen sollte. Sie haben das in Zusammenhang gebracht. Die Wort- (Beifall bei der CDU/CSU) spielereien mit Namen, die ja nun weiß Gott keine Erfindung des Ministers Krüger sind — die älteren Kollegen werden sich erinnern, wer da der Weltmei- Vizepräsident Hans Klein: Schon, Herr Bundesmini- ster war —, wollen wir doch bitte nicht weiterfüh- ster, haben Sie den Kollegen Daubertshäuser zu einer ren. Zwischenfrage provoziert. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzuna. Bonn. Donnerstag, den 10. März 1994 18663

Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister für Forschung Die Industrie hat den Vorstellungen, die Sie in und Technologie: Ich möchte gern das Zitat zu Ende Ihrem heutigen Leitantrag entfaltet haben, bereits führen, Herr Daubertshäuser. eine klare Absage erteilt. Seit Jahren fordern Sie eine Neben den bereits genannten Vorteilen wird größere Bedeutung von Forschung und Technologie hierdurch die deutsche Spitzentechnologie welt- und in diesem Zusammenhang auch immer wieder die weit auf einem führenden Stand gehalten bzw. schnelle Umsetzung von technischen Grundlagen. ausgebaut werden können mit all ihren positiven Nun, in einer konkreten Bewährungsprobe, knicken industrie- und beschäftigungspolitischen Aspek- Sie ein. ten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Dank gilt allen Abgeordneten, die sich im Vorfeld der Entschei- dung für den Transrapid eingesetzt haben. Ich bin Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr. sicher, daß sie auch weiterhin für dieses wichtige Produkt und Projekt eintreten werden. Denn wenn Klaus Daubertshäuser (SPD): Herr Minister Krüger, jetzt nicht schnell gehandelt wird, laufen wir Gefahr, ich freue mich natürlich sehr, daß Sie ein Buch von mir daß auch diese Technologie — im wahrsten Sinne des gelesen haben. Wortes — auf das Abstellgleis geschoben wird und (Bundesminister Dr.-Ing. Paul Krüger: Sie daß wir dann später — sehen, ich bin vielseitig!) Darf ich Sie darauf aufmerksam machen und wür- Vizepräsident Hans Klein: Herr Minister, Sie sind den Sie mir bestätigen, daß im gleichen Buch im ein gutes Stück über Ihre Redezeit. gleichen Absatz zu lesen ist, daß diese Strecke nicht in der Konkurrenz zum ICE, zur Rad-Schiene-Technik, realisiert werden sollte? Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister für Forschung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Technologie: — ein weiteres Mal der Konkurrenz hinterherfahren. Bundesminister für Forschung Mit dem Beschluß der Bundesregierung zum Bau Dr.-Ing. Paul Krüger, der Transrapidstrecke Hamburg-Berlin wird ein Weg und Technologie: Herr Daubertshäuser, dazu habe ich eingeschlagen, der technisch machbar, finanziell dar- auch gar nichts gesagt, und das war auch nicht meine stellbar und wirtschaftlich vernünftig ist. Sie sollten Einlassung. Meine Betonung lag auf Ihrer damaligen Einschätzung des Fernverkehrs. Ich muß mich über diesen Beschluß unterstützen. Ihren heutigen Sinnesw andel wundern. Sie haben Vielen Dank. mir, Herr Daubertshäuser, wenn es um Risiken ging, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in Ihrer Rede heute zu oft „wenn, wenn, wenn" gesagt. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Vizepräsident Hans Klein: Jetzt beginnt dieses CDU/CSU: Jawohl, das ist es!) Instrument wirklich ins Wanken zu kommen. Ich habe nämlich hier bereits schriftlich — von der zuständigen Übrigens, Herr Daubertshäuser, mit Ihrer ursprüng- parlamentarischen Geschäftsführerin heraufge- lichen Einschätzung und Position befänden Sie sich bracht — die Wortmeldung für eine Kurzintervention auch heute noch in einer guten Gesellschaft mit vielen der Kollegin Bärbel Sothmann, die schon vor der Rede Ihrer Parteifreunde. Ich nenne hier nur die Namen des Ministers wußte, daß sie nachher eine Kurzinter- Voscherau, Klose und auch Herrn Vosen, der hier vor vention machen will, was aber in diesem Hause nichts mir sitzt. Oder haben Sie inzwischen auch Ihre Mei- Unübliches ist. Ich will hier die Kollegin Sothmann nung geändert, was ich nicht einschätzen kann? nicht vorführen. Mit Ihrem Leitantrag, den Sie vorgelegt haben, vereinen Sie, Herr Daubertshäuser, jetzt die unschlüs- Dann meldet sich jetzt — offensichtlich auch zu sige, ziellose und vielstimmige Haltung der SPD quasi einer Kurzintervention — der Kollege Feige. in einer Person. Dieser Antrag läuft darauf hinaus, zu Frau Kollegin Sothmann, da ich annehme, daß die verzögern, Irritationen hervorzurufen, und er führt Feigesche Wortmeldung in einem noch unmittelbare- letztlich dazu, öffentliche Gelder aus Halbherzigkeit ren Zusammenhang steht, möchte ich dem Kollegen zu vergeuden. Das ist meine feste Überzeugung. Feige zuerst das Wort geben. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Sie geben sie mit vollen Händen aus, Herr Minister!) Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren von der SPD, Sie müssen NEN): Schönen Dank, Herr Präsident. Ich bin Herrn sich schon entscheiden. Ein bißchen schwanger geht Krüger für das Wortspiel mit meinem Namen nicht nicht. böse. Ich muß das korrekt sagen: Es gab schon (Zurufe von der SPD: Ha, ha!) originellere Versionen des Abgeordneten Krause Aus dem Transrapid läßt sich sinnvollerweise keine (Börgerende), der sie sogar in Zeitungen veröffentlicht Vorortbahn machen. Wie wollen Sie mit Ihrer wider- hat. Ich finde das erträglich. sprüchlichen Haltung der Wirtschaft Planungssicher- Was ich viel schlimmer finde, ist, daß ich für Dinge heit geben? Sie verspielen damit Vertrauen der Wirt- angegriffen werde, die ich in meiner Rede nicht schaft in die Politik. gesagt habe, die ich nie in die Öffentlichkeit gebracht 18664 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Klaus-Dieter Feige habe und die hier in Abwesenheit des Ministers Meine Damen und Herren, wir brauchen den Trans- geäußert wurden. rapid schnell, und zwar weil wir eben diesen Techno- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN logievorsprung haben; wir brauchen ihn unter ande- sowie bei Abgeordneten der SPD) rem, weil der Ministerpräsident von Mecklenburg- Vorpommern, der hier sitzt, Arbeitsplätze braucht. Ich finde es viel schlimmer, wenn wir uns bei einer so teuren Sache nicht einmal mehr zuhören und in dieser Hinsicht eine sachliche Diskussion allein dadurch Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, die zwei nicht möglich wird. Minuten sind um. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Das konterkarieren bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Sie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, Sie der F.D.P.) dürfen antworten, wenn Sie wollen. (Widerspruch bei der SPD) Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- ren! Ich möchte gerne folgende Bemerkung machen, weil es hier gerade ein gewisses Maß an Echauffie- Bundesminister für Forschung Dr.-Ing. Paul Krüger, rung gab, als der Bundesminister nicht zuhören und Technologie: Herr Feige, ich bin eben durch konnte. einen Kollegen abgelenkt worden. Vielleicht können Sie den genauen Vorwurf wiederholen. Ich finde es ausgesprochen ärgerlich und wider das geschäftsordnungsmäßige Verhalten, wenn Kollegen, (Widerspruch bei der SPD) die der Bundesregierung nicht angehören, an die Regierungsbank herantreten, dort ihre privaten oder Vizepräsident Hans Klein: Machen Sie das dann im Wahlkreisangelegenheiten besprechen oder sich gar persönlichen Gespräch. dort hinsetzen. Das gleiche gilt — das hat eben eine Bitte, Frau Kollegin Sothmann. Kollegin der SPD vorgeführt — für die Bundesrats- bank. Es macht schon einen gewissen Sinn, daß wir unseren Bundestag haben: Auf der einen Seite sitzt Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Herr Präsident! der Bundesrat, auf der anderen Seite die Bundesregie- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir For- rung. Daß man die Gelegenheit nutzt, bisweilen schungspolitiker haben den Beschluß des Kabinetts schnell etwas abzustimmen, ist in Ordnung. Aber wir mit Nachdruck begrüßt: endlich grünes Licht für den wollen doch unsere Sitzordnung beibehalten und Transrapid. Dieses ist eine Signalwirkung für den dafür sorgen, daß angesprochene Mitglieder des Bun- Technologiestandort Deutschland. desrates oder der Bundesregierung die Gelegenheit Meine Damen und Herren, am gleichen Tag, am haben, zuzuhören. Wie gesagt, das ist keine Frage, die 2. März, hat die SPD die Entscheidung allerdings nur eine Seite betrifft. abgelehnt, um dann gleich einen Alternativvorschlag Als nächster hat das Wort der Kollege Josef zu bringen, nämlich den Bau der Kurzstrecke Berlin- Vosen. Großflughafen bei Jüterbog, ca. 60 km südlich von Berlin. Josef Vosen (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- Meine Damen und Herren, am 8. März ist dieses nen und Kollegen! Ich denke, das Thema interessiert. Alternativkonzept von der SPD dann auch noch Das zeigt die Zahl der Redebeiträge, die größer ist als beschlossen worden. Die Begründung haben wir das, was wir an Zeit zur Verfügung haben. Ich gehört. versuche in fünf Minuten einmal darzustellen — wie es viele Kollegen aus der Fraktion einmütig getan (Widerspruch bei der SPD) haben —: Wir sagen ja zu der Technologie des — So steht es zumindest in der Zeitung; dann nehmen Transrapid, ganz eindeutig. Denn in erster Linie Sie doch bitte einmal dazu Stellung. Denn, meine haben Sozialdemokraten diese Technologie entwik- Damen und Herren, diesem Manöver würden wir kelt, in über 20 Jahren. widersprechen. Dieser Alternativvorschlag macht nämlich überhaupt keinen Sinn. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Es waren natürlich die Techniker und Ingenieure, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — die den Transrapid wirklich entwickelt haben, aber Widerspruch bei der SPD) die politische Verantwortung — ob das jemand gern Ich darf fortsetzen: Ich kann gar nicht verstehen, daß hört oder nicht — lag bei fünf sozialdemokratischen Sie zu einem solchen Vorschlag kommen. Denn wenn Ministern. Das muß einmal festgestellt werden. Sie vom „Großflughafen Jüterbog" sprechen der Nachdem das so ist, können Sie erst über den weder endgültig beschlossen noch vollständig ge- Transrapid d ank sozialdemokratischer Politik reden. plant ist —, dann frage ich Sie: Wann würden Sie diese Sonst könnte man heute nicht darüber reden; sonst Kurzstrecke überhaupt einrichten wollen? Das ist stünde diese Technik nicht zur Verfügung. Nachdem zeitlich gar nicht machbar. Damit degradieren Sie sie zur Verfügung ist, sind wir Sozialdemokraten auch doch praktisch den Transrapid zu einer Vorortgeister- für den Einsatz dieser Technik. Deswegen haben wir bahn. einen Vorschlag gemacht, der realistisch ist. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unterscheidet uns, nämlich die Tatsache, daß wir der F.D.P.) einen Vorschlag machen, von dem wir glauben, daß er Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18665

Josef Vosen auf einer kurzen, aber stark frequentierten Strecke Nun, meine Damen und Herren, komme ich noch schneller verwirklicht werden kann. Ich glaube, daß einmal zu dem, was wir konkret wollen. Denn hier es wichtig ist, daß wir der Welt zeigen können, daß wird immer ein Standort in Berlin ins Spiel gebracht, diese Technik funktioniert und angenommen wird, den wir Sozialdemokraten nicht genannt haben. Die und das möglichst bald. Presse nennt einen Standort. In unserem Papier heißt (Zuruf von der F.D.P.: Vorortbahn!) es eindeutig, daß wir ein solches System sinnvoll demonstrieren wollen, z. B. — wir sagen noch nicht Ich muß ein bißchen lächeln. Der Forschungs- und einmal: der — in einer Verbindung Berlin-Großflug- Wirtschaftsstandort Deutschland hängt jetzt an einer hafen Brandenburg. Wir nennen keinen Standort, Technologie, die nach den Unterlagen erst im Jahre sondern das wollen wir den Berlinern und den Br an werden kann. 2003, also in zehn Jahren, demonst riert -denburgern überlassen, die für die Raumplanung Ich sage: armes Deutschland, das noch zehn Jahre zuständig sind. Ich denke, daß ist Sache der zuständi- warten muß, bis wir beweisen, daß mit dem Industrie- gen Landesregierungen. Deswegen wagen wir es standort Deutschl and noch zu rechnen ist. nicht, hier einen präzisen Vorschlag zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, daß wir ganz eindeutig klar machen Das ist doch kein Argument. müssen, daß ein solches Verkehrssystem große Risi- (Abg. Siegfried Scheffler [SPD) meldet sich ken und große Chancen zugleich bietet. Die Entwick- zu einer Zwischenfrage) lung eines Verkehrssystems ist immer langwierig, wie — Bitte schön, Herr Kollege. die Entwicklung der Eisenbahn, des Autos und des Flugzeugs beweist. (Heiterkeit) Wer glaubt, daß wir mit so langfristig angelegten — Entschuldigung, Herr Präsident, ich wollte nur Strategien, die man dazu braucht, kurzfristig Erfolge mein Einverständnis signalisieren. erzielen kann, kann das nur im Wahlkampf wollen. Das ist vielleicht ein Grund, daß dieses Thema jetzt so Vizepräsident Hans Klein: Aber das Wort erteilt der hochgezogen wird. amtierende Präsident. Aber ich sage Ihnen: Sie hätten besser vor zehn Jahren mehr für die Einführung der Mikroelek tronik Josef Vosen (SPD): So ist es. und anderer technischer Systeme getan. Das wäre sicherlich gut gewesen. Ich gebe natürlich zu, daß Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege Heinz Riesenhuber seinerseits manchen Versuch Scheffler. - gestartet hat, aber insgesamt ist das nicht übergekom- men. Josef Vosen (SPD): Es ist ein sehr sympathischer Ich glaube, daß wir auf vielen Feldern der Techno- Präsident. logie deshalb Boden verloren haben, weil Sie seit zwölf Jahren die Regierung stellen. Ich glaube, das hat Vizepräsident Hans Klein: Küß' die Hand. auch damit etwas zu tun. (Beifall bei der SPD) Siegfried Scheffler (SPD): Vielen D ank, Herr Präsi- dent. Vizepräsident Hans Klein: Ihre Redezeit ist zu Herr Kollege Vosen, stimmen Sie mir zu — da wir Ende. gerade über den Standort Deutschland und die Siche- rung von Arbeitsplätzen reden —, Josef Vosen (SPD): Ich meine, wir sind heute (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!) aufgerufen, nach einem Konsens in der Sache und für dieses System zu suchen. Die Sozialdemokraten sind daß wir, obwohl die Bundesregierung die Option in bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. der Diskussion zum Bundesverkehrswegeplan für den Ausbau der Strecke Hamburg-Berlin auf 160 km/h Herzlich Dank. heruntergehandelt hat, wenn wir die Hochgeschwin- (Beifall bei der SPD) digkeitsstrecke Hamburg-Berlin beginnen, sofort mit der Sicherung der Arbeitsplätze oder Schaffung neuer Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Arbeitsplätze beginnen können und daß wir für den ren, wir werden in gut 20 Minuten zur Abstimmung ICE gerade die regionalen Arbeitsmarkteffekte viel kommen. Bis dahin wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie früher, nämlich schon in den nächsten drei Jahren, den Rednern, die jetzt noch das Wort erhalten, zuhör- hätten? ten. Es gibt zwei Arten der Unruhe. Die eine wird durch den Redner ausgelöst, und die andere findet Josef Vosen (SPD): Das Argument Arbeitsplätze, trotz des Redners statt. Gegen die erste ist nichts Herr Kollege, ist in dem Zusammenhang sowieso ein einzuwenden. Totschlagargument. Denn jedes Verkehrssystem Ich erteile dem Ministerpräsident des Landes Meck- schafft Arbeitsplätze, da gebe ich Ihnen völlig recht. lenburg-Vorpommern, Dr. Berndt Seite, das Wort. Ich denke, daß wir das unter dem Strich auch aus dem Spiel lassen können, denn bei über vier Millionen Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg Arbeitslosen rettet uns der Transrapid nicht. Das Vorpommern): Herr Präsident! Meine sehr geehrten möchte ich eindeutig klarstellen. Damen und Herren! Natürlich birgt jedes Vorhaben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein Risiko in sich. Unser ganzen Leben ist Risiko. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir den Risiken gefolgt wären, die vor der 18666 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg-Vorpomme rn) deutschen Einheit standen, dann hätten wir die Ein- ordnungsverfahren für die drei denkbaren Flughafen- heit Deutschlands noch heute nicht. Das muß man standorte Schönefeld, Jüterbog und Sperenberg im doch auch einmal ganz deutlich sagen. Mai begonnen werden soll. Im Frühjahr 1995 könnte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Standortentscheidung fallen und das Planfeststel- lungsverfahren 1995 beginnen, dessen Abschluß frü- Verehrter Kollege Dr. Feige, wir beide kommen aus hestens 1997 möglich ist. So lange können wir nicht dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Nun warten. sagen Sie doch Ihren Kolleginnen und Kollegen in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diesem Hohen Haus einmal ganz deutlich, was Sie in Mecklenburg-Vorpommem anstellen, indem Sie ge- Ich will ja gar nicht davon reden, daß man die gen den Bau der A 20 sind, indem Sie gegen den Bau erforderliche Referenzstrecke von ca. 60 km weitge- neuer Straßen sind. Sie sind im Grunde genommen hend durch die Berliner Innenstadt führen müßte. doch gegen die wirtschaftliche Entwicklung unseres Dann wäre diese Transrapidstrecke mehr eine S- Bundeslandes. Das kann doch so nicht sein. Bahn-Strecke mit vielen Haltepunkten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Hans Klein: Herr Ministerpräsident, ordneten der F.D.P.) der Kollege Kuhlwein möchte eine Zwischenfrage Mit diesem Vorhaben Transrapid betreten wir Neu- stellen. land. Neu ist nicht die Magnetschwebebahn selbst — Sie können sie im Emsland besichtigen —, neu ist Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg- auch nicht das vorgesehene Planungsverfahren. Das Vorpommern): Ich rede so selten hier vor dem Bun- entspricht weitgehend dem, was in Gestalt des Ver- destag. Könnten wir vielleicht am Ende meiner Rede kehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes im auf Ihre Frage zurückkommen, oder wird das auf Osten erstmals erprobt wurde. Neu ist das Konzept, meine Redezeit nicht angerechnet? das hinter dem Gesetzentwurf steht. Neu ist, daß ein (Zuruf des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD] — technologisch fortentwickeltes Verkehrsmittel nach Zuruf von der CDU/CSU: Das ist keine Frage, dem festen gemeinschaftlichen Willen von Bundesre- sondern nur eine Störung!) gierung und beteiligten Industrieunternehmen jetzt — Herr Kollege, bitte schön, fragen Sie. ohne zeitliche Verzögerung zur Anwendung gebracht werden soll. Neu ist aber auch, daß Industrie und öffentliche Hand nicht nur bei der Erforschung und Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Ministerpräsident Entwicklung, sondern auch bei der praktischen- Seite, ich bin ja als unmittelbarer Anrainer und Umsetzung neuartiger Produkte im Sinne komple- Nachbar des Landes Mecklenburg-Vorpommern die- mentärer Verantwortung zusammenwirken wollen. sem Land durchaus freundschaftlich verbunden und werde mich deswegen bemühen, mich in Ihre Interes- Die Bundesregierung hat mit ihrem Ja zum Bau der senlage hineinzudenken, die dazu führt, daß Sie heute Magnetschnellbahnstrecke Hamburg-Berlin für den hier sprechen. Wirtschaftsstandort Deutschland ein deutliches Zei- Da bekanntgeworden ist, daß Sie Bürgerinnen und chen gesetzt. Dafür gebührt ihr Dank. Bürgern Ihres Landes an vielen Stellen versprochen (Beifall bei der CDU/CSU) haben, durch den Transrapid werde es zusätzliche Unter diesem Gesichtspunkt ist die Frage, wo die Arbeitsplätze geben, frage ich Sie, ob Sie mir — er- erste Anwendungsstrecke entsteht, eigentlich zweit- stens — erklären können, wie durch einen durchrau- rangig. schenden Zug, der möglicherweise einen Bedarfshalt in Parchim oder in Schwe rin hat, in Ihrem L and (Zuruf von der SPD: Auf dem Mond!) zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, und Die SPD will jetzt offenbar den Vorschlag aufgreif en, — zweitens — ob Ihnen entgangen ist, daß natürlich eine Verbindung zwischen Berlin und Jüterbog als sämtliche Aufträge europaweit ausgeschrieben wer- erste Referenzstrecke zu erstellen. Heißt das, daß auch den müssen, so daß überhaupt nicht sichergestellt ist, die SPD nun grünes Licht für den Transrapid geben daß mecklenburg-vorpommerische Firmen oder Ar- will? — Ich bin mir da nicht sicher. Den Verdacht, daß beitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus diesem L and die SPD ihre Zustimmung zu dieser wichtigen Ent- nachher bei diesem Projekt auch wirklich beschäftigt scheidung davon abhängig machen will, daß die werden? Strecke in einem sozialdemokratisch regierten Bun- (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Wir sind ja desland gebaut wird, werden wohl alle zurückweisen. schon im Wahlkampf!) Bleibt der Verdacht, daß die SPD ihre Zustimmung an Bedingungen knüpfen will, deren Erfüllung so rasch Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg nicht zu befürchten ist. Vorpommern): Herr Abgeordneter, hätten Sie mich zu (Beifall bei der CDU/CSU) Ende reden lassen, dann hätte ich Ihnen die Frage durch meinen Redetext beantwortet. Dieser Gedanke drängt sich in der Tat auf, schaut man Natürlich gehen wir davon aus, daß es im Bundes- sich die derzeitigen Verhältnisse an. verkehrswegeplan einen Haltepunkt im Großraum Wir haben beim Transrapid gegenüber den Japa- Schwerin geben wird. Alle Welt weiß doch, daß ein nern — wie bekannt — einen Entwicklungsvorsprung solcher Haltepunkt natürlich Synergieeffekte hat, und von etwa fünf Jahren. Die Zeit müssen wir nutzen. In alle Welt weiß auch, daß dieses Projekt Transrapid bezug auf den Flughafen Jüterbog sieht die Termin- europaweit ausgeschrieben wird, aber daß wir, die planung derzeit so aus, daß das vergleichende Raum- neuen Bundesländer, bzw. unsere Nachbarn auch Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18667

Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg-Vorpommern) davon ausgehen können, daß wir bei der Herstellung Nun mag in Mecklenburg-Vorpommern mancher der Magnetschwebebahn bzw. bei der Vorfertigung lenken, Hamburg und Berlin würden damit zu Vor- von Teilen im Land berücksichtigt werden und daß es Drten von Schwerin. Das ist nicht so. natürlich auch Arbeitsplätze geben wird. Ich bin nicht (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der so vermessen, hier von Hunderttausenden von F.D.P.) Arbeitsplätzen zu sprechen, aber wir werden dabei- Richtig ist, daß sich durch den Transrapid die Raum- sein, genauso wie unsere Nachbarn in Branden- relationen in Norddeutschland verändern werden. burg. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jawohl!) (Beifall bei der CDU/CSU) Zum anderen: Die Strecke Hamburg-Berlin ist des- halb gut gewählt, weil sie in weiten Teilen durch Vizepräsident Hans Klein: Der Herr Kollege Scheff- dünnbesiedeltes Land führt. ler würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Ministerpräsident, ich muß Sie einen Moment unterbrechen. — Meine Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg- Damen und Herren, die Sie da oben stehen und Vorpommern): Ja. Konferenzen abhalten: Bitte, wenn Sie sich unterhal- (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Nein! — Edu- ten wollen, dann gehen Sie doch vor den Saal, damit ard Oswald [CDU/CSU]: Sie brauchen es ein Minimum an Zuhörmöglichkeit im Saal besteht. nicht zuzulassen! — Zuruf von der SPD: (Zuruf von der SPD: Sehr richtig, Herr Präsi Warum denn nicht?) dent!) Wir werden in frühestens 15 Minuten abstimmen. Siegfried Scheffler (SPD): Vielen Dank, Herr Präsi- Bitte, Herr Ministerpräsident, fahren Sie fort. dent! Vielen Dank, Herr Ministerpräsident! Offen- sichtlich sind Sie ein bißchen toleranter als meine Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg- Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Frak- Vorpommern): Natürlich erhofft sich mein Bundes- tion. land Mecklenburg-Vorpommern — bzw. auch unsere Wir hatten ja soeben schon die Frage der Arbeits- Nachbarn — mit seinen wirtschaftlichen Problemen plätze diskutiert. Herr Ministerpräsident, stimmen Sie einen unmittelbaren Vorteil von der Magnetschwebe- mir denn zu, daß genau diese regionalen Arbeits- - bahn. Dabei sind wir mit unseren Erwartungen sehr plätze — wenn wir mit dem Ausbau der Strecke realistisch. Wir wissen, daß die Arbeiten zum Bau des Hamburg-Berlin im Rahmen des europäischen Hoch- Fahrweges europaweit ausgeschrieben werden müs- geschwindigkeitsnetzes sofort beginnen könnten; sen. Gleichwohl rechnen wir damit, daß unsere ein- Rad-Schiene-Technik, also ICE — viel früher gesi- heimischen Stahl- und Betonbauunternehmen auf chert werden könnten Grund ihrer Ortsnähe im Wettbewerb gute Ch ancen (Zurufe von der CDU/CSU) haben werden. und daß wir dann zusätzliche Haltepunkte, nämlich (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jawohl!) für die Verlagerung des Güterverkehrs auch auf diese Die während der Bauphase entstehenden Arbeits- Strecke, realisieren könnten? plätze sind für uns wichtig. Genauso wichtig sind die Dauerarbeitsplätze in den Leitstellen und in den (Zurufe von der CDU/CSU: Aufhören! — Wartungszentren, die wir in mittelständischer Grö- Schluß! ) ßenordnung sehen. Was die Verteilung dieser Arbeitsplätze angeht, gehe ich davon aus, daß die beteiligten Länder jeweils einen angemessenen Ministerpräsident (Mecklenburg- Dr. Berndt Seite Anteil daran haben werden. Vorpommern): Herr Abgeordneter, es geht doch hier urn den Transrapid, um die wirtschaftspolitische Ent- Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die scheidung für den Standort Deutschland. Das ist doch prognostizierten Fahrgastzahlen nur dann zu errei- die Ausgangssituation. chen sind, wenn man mit dem Transrapid in das Herz der Städte Hamburg und Berlin gelangen kann. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wissen, daß die Kosten des Projekts noch einmal Wir können ja nachher gern weiterdiskutieren. Ich gegengerechnet werden müssen, wenn die genaue muß Ihnen sagen: Meine Damen und Herren, wir Trassenführung und die konkrete Bauweise festste- wollen im wahrsten Sinn des Wortes den Zug nicht hen. verpassen. Deshalb brauchen wir die Referenzstrecke (Zurufe von der SPD: Aha! Gehört?) für den Transrapid jetzt und nicht erst in drei oder vier Jahren. Unter diesem Aspekt ist die Verbindung Fest steht jedoch, daß der Transrapid gegenüber Hamburg-Berlin die beste Wahl, und zwar aus meh- den heutigen modernen Rad-Schiene-Verkehrsmit- reren Gründen. teln eindeutig Vorteile aufweist. Zum einen: Die schnellstmögliche Verbindung von (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Metropolen ist die Hauptfunktion des Transrapids. Ich Wer sagt denn das? Da gibt es doch nur gehe davon aus, daß Berlin als Bundeshauptstadt und Vergleiche!) Hamburg als Tor zur Welt selbst ein starkes Interesse Er ist vor allen Dingen umweltfreundlich, wie meine an einer attraktiven Verbindung haben. Vorredner das schon geschildert haben. Ich denke, 18668 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Ministerpräsident Dr. Berndt Seite (Mecklenburg-Vorpommern) wer bei dieser Sachlage nicht zu einem positiven burg 1837, bei dem die Anfrage beim Großherzog Votum und einem klaren Kurs gelangt, der, meine innerhalb von zwei Tagen positiv beschieden Damen und Herren, ist kurzsichtig. wurde. Wer in Sonntagsreden das Hohelied auf den techni- Herzlichen D ank. schen Fortschritt singt, aber dann vor dem Protest (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fundamentalistischer Technologiefeinde und ewiger Bedenkenträger in die Knie geht, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wolfgang (Widerspruch bei der SPD und der PDS/ Börnsen, Sie haben das Wort. Linke Liste) der — das sage ich Ihnen ganz klar; besonders mit (Bönstrup) (CDU/CSU): Herr Blick auf Teile der SPD in Schleswig-Holstein — hat Wolfgang Börnsen Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist keinen Mumm. schon eine epochale Entscheidung, die heute ansteht, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Entscheidung für eine neue Technologie, für einen fünften Verkehrsträger, den es bisher weder bei uns So läßt sich die Zukunft für den Wirtschaftsstandort noch irgendwo anders auf der Welt gegeben hat. Was Deutschland, für das Leben und Arbeiten unserer Sie, die Sozialdemokraten, zur Zeit wollen und for- Bürger nicht gestalten. Wir müssen über das Jahrtau- dern, ist eine zweite Versuchsstrecke mit Kleinbahn send hinaus denken und danach handeln. zuschnitt. Dies läßt sich aber nicht verkaufen. Was sich Meine Damen und Herren, der Transrapid ist für verkaufen läßt, ist eine wirkliche, ernstzunehmende mich nicht zuletzt deswegen ein Hoffnungsträger, Referenzstrecke. Diese wollen wir, und diese ist jetzt weil er trotz aller Neuartigkeit auch für den Bürger notwendig. noch begreifbar ist. Die Chancen und Risiken, die mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) seiner Inbetriebnahme verbunden werden, sind über- schaubar. Ich möchte mich jetzt mit der Brandrede auseinan- dersetzen, die Klaus Daubertshäuser gehalten hat. Ich Zwar hat der TÜV bestätigt, daß der Transrapid nehme sie sehr ernst. Ihr verkehrspolitischer Sprecher leiser als die anderen Massenverkehrsmittel zu Lande hat sich vor sieben Jahren in einem Buch mit der oder in der Luft ist. Aber heute laufen selbst solche Überschrift „Verkehrspolitik für das Jahr 2000" ein- Fakten Gefahr, in der medienunterstützten öffentli- deutig für die Magnetbahntechnik ausgesprochen, chen Diskussion zerredet zu werden. Die Reaktionen- und zwar vehement, ja sogar leidenschaftlich. Er der Transrapidgegner, zu denen ich neben den soge- schrieb bereits in seinem Buch vor sieben Jahren, nannten Umweltschützern auch die „Gralshüter der diese Technik verdiene eine Umsetzung, und zwar auf Eisenbahnschwelle" rechne, geben davon ein bered- einer Schnellbahnstrecke im Fernverkehr. tes Zeugnis. Eine Versachlichung der Debatte ist vonnöten, wenn wir es jetzt nicht bei der Grundsatz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — entscheidung der Bundesregierung bewenden lassen, Klaus Daubertshäuser [SPD]: Ohne ICE-Kon sondern entschlossen an die Umsetzung einer ersten kurrenz!) Transrapidstrecke herangehen wollen. Er, Klaus Daubertshäuser, wollte keine Geister- bahn. Stehen Sie zu Ihren Worten! Meine Damen und Herren, auch wenn ich „Seite" heiße, will ich die gegen den Transrapid vorgebrach- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten Einwände gar nicht auf dieselbe wischen. Aber Weitsichtig, wie Klaus Daubertshäuser nun einmal vielleicht gestatten Sie mir als jemandem, der aus dem ist, hat er gesagt, es gehe nicht nur um eine verkehrs- Osten kommt, hierzu eine Anmerkung: Etliche mei- politische Entscheidung. Man müsse daran denken, nen offensichtlich, dem Transrapidprojekt nur dann daß damit die führende Position des Industriestandor- zustimmen zu können, wenn die zugrunde gelegten tes Deutschland gesichert werde, daß der Arbeits- Prognosen auch sicher eintreffen. So etwas ist für mich markt und die Beschäftigung gesichert würden. Des- kaum faßbar. Die Sicherheit, den Fortschritt gleicher- halb war man bereits vor sieben Jahren für den maßen für sich gepachtet und seine Gesetzmäßigkeit Transrapid. erkannt zu haben, wurde uns in der DDR über vierzig Jetzt hat er kaschiert eine Brandrede gegen den Jahre als historische Errungenschaft erklärt. Aber Transrapid gehalten. jeder konnte die Kluft zur Realität sehen. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Unglaublich!) Meine Damen und Herren, nein, Fortschritt ist so Ich frage mich: Warum ist aus dem Paulus vor sieben einfach nicht zu haben. Er ist vor allen Dingen ohne Jahren heute ein Saulus geworden? Mut zur Entscheidung nicht zu erreichen. Diese Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — scheidung ist verantwortbar. Ein Ja zur Transrapid- Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: strecke Hamburg-Berlin ist ein Bekenntnis zum Tech- Sehr gute Frage!) nologie- und Wirtschaftsstandort Deutschl and. Es kann doch nicht an den verkehrspolitischen Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, mei- Erfordernissen gelegen haben. Im Gegenteil: Die ner Hoffnung Ausdruck zu geben, daß dem Transra- Kapazitätsengpässe auf den Autobahnen und im Flug- pidprojekt unter den heutigen föderalen Bedingun- verkehr sind mehr geworden, und der Transrapid ist gen ein ebenso gutes Schicksal beschieden sein möge eine echte, weil zeitgewinnende Umsteigealterna- wie dem Bau der Eisenbahn von Wismar nach Boizen- tive. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18669

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Oder hat es vielleicht, Klaus Daubertshäuser, an den Vizepräsident Hans Klein: Bitte zum Schluß kom- energiepolitischen Punkten gelegen? — Das kann es men. auch nicht sein. Der Transrapid braucht gegenüber vergleichbaren Verkehrsträgern ein D rittel weniger Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Wir an Energie. kommen dazu, daß wir vor den GRÜNEN Wähler Oder hat es vielleicht an dem umweltpolitischen einkassieren und damit im Wahljahr für uns Profit Gesichtspunkt gelegen? haben. — Ich glaube sehr wohl, daß diese Entschei- dung zwar eine mutige Entscheidung sein muß, aber (Zuruf von der SPD: Am Geld!) eine Entscheidung für den Standort Deutschland ist. Der Stelzenexpress ist geräuschärmer als jeder Sie ist verbunden mit Risiko und Wagnis. Diesen Mut vergleichbare Verkehrsträger. Er ist nicht nur ge- wünsche ich mir auch von denen, die einmal vor räuschärmer; er braucht weniger Landschaft, er zer- sieben Jahren gesagt haben, daß diese Technik ein schneidet nicht wie Bahndamm oder Straße die Land- Vorteil für uns alle ist. Haben Sie Mut, Klaus Dauberts- schaft, und er trägt dazu bei, daß umweltpolitisch häuser! Rücksicht genommen und nicht im Gegenteil Schaden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) angerichtet wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege der F.D.P.) Dr. Ulrich Briefs. Finanzpolitisch kann es auch nicht begründet (Zuruf von der CDU/CSU: Es bleibt einem gewesen sein, denn dieser Verkehrsträger ersetzt das nichts erspart!) Auto, macht den Regionalflugverkehr überflüssig und führt dazu, daß wir eine Chance zur Ergänzung der Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Ich freue mich. Wie Bahn mit einem Verkehrsträger haben, der diesen beim Pokern, wieder einmal Full house. Technologiestandort Deutschland nach vorne Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn bringt. der Transrapid tatsächlich eine 60jährige Vorge- Nicht nur Klaus Daubertshäuser ist gegen den schichte hat, dann gehört er womöglich zum vorigen Transrapid und diese Referenzstrecke; auch in Schles- Kondratieff-Zyklus, nach dem alle 50 bis 60 Jahre eine wig-Holstein gibt es vehemente Gegner, die diese Welle technischer Innovationen kommt. Vielleicht ist Strecke von Hamburg nach Berlin ablehnen, obwohl diese Technik doch nicht so ganz modern. Die Gefahr noch vor zwei Jahren der Wirtschaftsminister von ist nun wirklich groß, daß das Projekt Transrapid eines Schleswig-Holstein zu einer Werbefahrt ins Emsland der typischen Großtechnologie-Prestigeprojekte ist eingeladen hat, zur Werbung für den Transrapid. und sein wird und zu einem weiteren Milliardengrab gerät. Die Entscheidung für Transrapid scheint in (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) jedem Fall eine verhängnisvolle industriepolitische Aber mit der Zunahme der Proteststimmen änderte Fehlentscheidung zu sein und trägt dazu bei, die sich die Meinung, und heute stimmt man gegen den verhängnisvolle Prioritätensetzung zugunsten von Transrapid. High-Tech/High-Speed-Verkehrskonzepten, also Konzepten, die auf Spitzentechnologien und Spitzen- Obwohl — das muß man auch wissen -- eine geschwindigkeiten beruhen, voranzutreiben. Das ist achtjährige Bauzeit Jahr für Jahr 10 000 Arbeitsplätze unökologisch, und das ist, weil viel zu viele Mittel für sichert, obwohl die Inbetriebnahme 1 000 neue Dau- viel zuwenig Arbeitsplätze ausgegeben werden, erarbeitsplätze gewährleistet, obwohl mit dem Trans- zugleich auch unsozial. rapid 3 Millionen weniger Autos zwischen Hamburg Ich will aber noch einige grundlegende Anmerkun- und Berlin verkehren werden, es Tausende von Flug- gen zum Verhältnis von Technologie, Technologie- bewegungen weniger sein werden, obwohl ein ökolo- entwicklung und Arbeitsmarkt machen. Die Novellie- gisch sinnvoller Verkehrsträger eingestellt wird, rung der Arbeitszeitordnung von 1938 ist überfällig. obwohl die Bahn für den Güterverkehr mehr Kapazi- Es ist sicherlich nicht einfach, einschneidende tät bekommt, die Straße entlastet wird, obwohl der Verän- derungen bei den Arbeitszeitregelungen in einer ÖPNV durch bahnzubringende Dienste gestärkt wird, tiefen Wirtschaftsk rise wie derzeit und in Zeiten einer obwohl damit die beiden größten Wachstumstädte Massenarbeitslosigkeit, die selbst die früher gemach- Deutschlands miteinander effektiv und erfolgverspre- ten düsteren Prognosen zur Arbeitslosigkeit inzwi- chend verbunden werden und obwohl damit Nord- schen überholt hat, durchzusetzen. Dennoch ist es deutschland insgesamt ein Indus trie- und technologi- notwendig. Der Entwurf der SPD zu einem Arbeits- sches Aushängeschild par excellence bekommen zeitgesetz, aber auch etliche der hier vorgetragenen wird, sind Niedersachsen und Schleswig-Holstein Vorstellungen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tra- absolut dagegen, trotz der Standortvorteile. Ich frage gen in wesentlichen Punkten den Notwendigkeiten in mich, warum. Warum bleibt man beim Nein? — Es den Betrieben aus der Sicht der betroffenen Arbeiter, gibt, denke ich, eine S trategie, auf die man diese Angestellten und Beamten durchaus Rechnung. Das gesamte Taktik zurückführen kann. sind weitaus mehr als 80 % der Beschäftigten. Diese Die politischen Magnetbahngegner haben kein Notwendigkeiten sind vor allem Ergebnis langfristi- Brett vor dem Kopf, aber sie kalkulieren ganz nüch- ger, zum Teil säkularer Trends in der Veränderung tern: Laßt doch die Koalition die Kastanien aus dem der technischen Ausstattung der Be triebe und bei der Feuer holen. Das machen wir nämlich auf Kosten von Neukonzipierung von Organisationsstrukturen in den Wählern. Betrieben und um die Betriebe herum. 18670 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Ulrich Briefs In über 40 Jahren industrieller Nachkriegsentwick- konzentrieren die bezahlte Arbeitszeit auf die produk- lung hat sich das Verhältnis des Einsatzes von tive Zeit. Unproduktive Zeiten, Pausen, Verteilzeiten Maschinenarbeit zu menschlicher Arbeit in den usw., werden abgebaut. Ergebnis: Noch weniger Betrieben dramatisch geändert. In der Industrie, aber notwendige Arbeitszeit bleibt übrig. Die Arbeitskräfte zunehmend auch im Dienstleistungsbereich und in werden umgekehrt in der verbleibenden Arbeitszeit der Verwaltung kann mit modernen Methoden und stärker in Anspruch genommen. Dabei erreichen Maschinen mit entsprechend entwickelten Roh-, heute bereits nicht einmal die Hälfte der Arbeiter das Hilfs- und Betriebsstoffen heute in einer Stunde soviel frühere traditionelle Rentenalter von 65, ganz über- produziert werden wie Anfang der 50er Jahre in wiegend, weil sie im Arbeitsprozeß verschlissen wor- mehreren Monaten. Der Einsatz der Informa tion- und den sind. Auch bei Angestellten erreichen nur zwei Kommunikationstechnologien hat die Kopfarbeit in Drittel das traditionelle Rentenalter. weiten Bereichen bereits automatisiert. Weitere Ver- änderungen im Zusammenhang mit der sogenannten Vizepräsident Hans Klein: Herr Briefs, Ihre Redezeit systemischen Rationalisierung und mit komplexen ist um. Automationsprojekten vom Typ computer integrated manufacturing z. B. stehen an. Ein erster durchgreifender Effekt — daran lügt sich Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident, ich diese Koali tion immer noch vorbei — ist die weitere komme zum letzten Satz. laufende Verkürzung der gesellschaftlich notwendi- Vor diesem Hintergrund bleibt die Humanisierung gen Arbeitszeit, ein säkularer Prozeß, der so alt ist wie der Arbeit — aber auch dort ist doch diese Koa lition die industrielle Produktionsweise überhaupt. Wer in seit Jahren dabei, zusammenzustreichen und abzu- dieser Situation wie die Koali tion von Arbeitszeitver- bauen — daher nach wie vor eine grundlegende längerung redet, h andelt den Notwendigkeiten zuwi- Aufgabe in guten Zeiten wie in weniger guten Zei- der. Er läßt die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen. ten. (Unruhe) Herr Präsident, ich danke Ihnen.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege B riefs, darf Vizepräsident Hans Klein: Ich höre gerade Unmut ich Sie einen Moment unterbrechen. — Meine Damen wegen Überziehens der Redezeit. Die großen Fraktio- und Herren, Kollege B riefs hat als fraktionsloser nen haben die Redezeiten heute sehr stark in Abgeordneter nun einmal das Schicksal, bei solchen Anspruch genommen, Herr Kollege. Da wollen wir Gelegenheiten als letzter zu reden. gegenüber einem einzelnen ein bißchen toler ant (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Privi- sein. leg!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bitte Sie, in den wenigen Minuten bis zur Abstim- Meine Damen und Herren, ich habe hier eine mung wenigstens ein Minimum an Ruhe zu gewähr- Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung, die zu leisten. Protokoll gegeben wird. Der Abgeordnete Dr. Klaus- Bitte fahren Sie fort. Dieter Uelhoff und eine Reihe weiterer Kolleginnen und Kollegen haben sie zum Arbeitszeitrechtsgesetz Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! Sie verfaßt. * haben vorhin eine Anmerkung über zwei Arten von Nach § 31 hat sich der Kollege Georg Gallus zu Wort Unruhe gemacht. Ich weiß es richtig einzuschätzen. gemeldet. Die Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten macht im Grunde sogar noch zusätzliche Arbeitszeitverkür- Georg Gallus (F.D.P.): Herr Präsident! Meine zungen notwendig. Längere Maschinenlaufzeiten Damen und Herren Kollegen! Auch wenn es Ihnen führen zur Konzentration der Aufträge auf die moder- nicht gefällt, melde ich mich hier zu Wort. Ich habe in nen Anlagen. Bei allgemeinen Überkapazitäten hat meinem ganzen parlamentarischen Leben noch nie heute jeder Betrieb modernere Aggregate mit gerin- eine Rede zu Protokoll gegeben und habe immer frei gerem Bedienungsaufwand und weniger moderne geredet. So steht es nämlich in der Geschäftsordnung Aggregate mit höherem Bedienungsaufwand. Verlän- des Deutschen Bundestages. gerung der Maschinenlaufzeiten bedeutet daher Wegfall von weiteren sonst notwendigen Arbeitsstun- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der den. Daran kann man nicht vorbeigehen. Deshalb SPD) muß eine Verlängerung der Maschinenlaufzeiten von Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich Ihnen weiteren Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung erklären, weshalb ich dem Arbeitszeitrechtsgesetz begleitet werden. nicht zustimmen werde. Ich tue es nicht etwa deshalb, Die Gewerkschaften, unter dem zunehmenden weil ich nicht der Auffassung bin, daß mehr Flexibili- Druck der Arbeitsmarktentwicklung, sind hier aufge- tät auf dem deutschen Arbeitsmarkt und für den schlossener als Staat und Wirtschaft. Sie bieten inzwi- Standort Deutschland stattzufinden hätte. Aber ich schen Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnaus- stimme deshalb dagegen, weil ich glaube, daß in 13 Abs. 5 über das gleich an, und das bei einem monatlichen Nettodurch- bezug auf die Sonntagsarbeit mit § schnittseinkommen von etwas über 2 500 DM je Ziel hinausgeschossen worden ist. Arbeitnehmer. Flexibilisierungsmaßnahmen in bezug (Beifall bei der SPD) auf den Arbeitseinsatz haben ähnliche Auswirkungen wie die Verlängerung der Maschinenlaufzeiten. Sie * Anlage 3 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18671

Georg Gallus Das kann man noch so sehr beschönigen wollen Ich sage: So, wie das gemacht wird, ist es ein —Herr Kollege Laumann, ich nehme Ihnen das nicht direkter Verstoß gegen das dritte Gebot. übel —, aber daß Sie gleich zu Beginn diejenigen, die (Beifall bei der SPD) in dieser Frage anderer Auffassung sind, als Funda- mentalisten bezeichnen Es wird, meine Damen und Herren, auf einer solchen Politik und auf solcher Arbeit auf Dauer kein Segen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ruhen. Scheibchenweise gäben wir unsere christliche BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einstellung einem weltweiten Fundamentalismus und gleichzeitig darauf hingewiesen haben, aus Wett- preis. bewerbsgründen müsse an den Sonntag herangegan- Ich meine, uns Deutschen — im Land Martin Lut- gen werden, das geziemt sich für das Mitglied einer hers — würde es gut anstehen, wenn wir in Europa christlichen Partei nicht. dafür eintreten würden, daß in ganz Europa nur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 144 Stunden gearbeitet wird. Darüber hinaus, meine DIE GRÜNEN) Damen und Herren, haben wir immer noch die Mög- lichkeit, im GATT Regelungen zu finden, daß wir, — Meine Damen und Herren, ich will hier keinen wenn wir den Sonntag achten, auf der anderen Seite Beifall von Ihnen, von der SPD. nicht mit Dumping unterlaufen werden. Haben wir uns denn schon selber in der geistigen internationalen (Heiterkeit — Beifall bei der SPD und dem Auseinandersetzung aufgegeben, meine Damen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herren? Ich kann Sie nicht daran hindern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mir braucht niemand zu erklären, was Sonntag DIE GRÜNEN) bedeutet, auch für den Landwirt, daß nämlich Vieh Ich sage Ihnen: 144 Stunden und die Rückbesinnung gefüttert werden muß, unsere Kranken gepflegt wer- auf unsere christlichen Werte würde uns in der den müssen und daß der Verkehr stattfinden kann Zukunft weiterbringen als das, was heute hier (Große Heiterkeit) beschlossen wird. und manche Forschungsvorhaben fortgeführt werden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ müssen. DIE GRÜNEN) — Entschuldigung, meine Damen und Herren, die Frage ist doch nur die, Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- (Anhaltende Heiterkeit — Dr. Klaus Rose che. [CDU/CSU]: Das ist ein echter Hahn! Gallus der Hahn!) Ich würde Sie gerne über das weitere Verfahren informieren. Interfraktionell wird die Überweisung ob die Erosion des Sonntags jetzt per Gesetz so der Vorlagen auf den Drucksachen 12/6964 und weitergehen soll. Das ist die entscheidende Frage, vor 12/6983 an die in der Tagesordnung aufgeführten der wir stehen. Ausschüsse vorgeschlagen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Magnetschwebebahnplanungsgesetz auf DIE GRÜNEN) Drucksache 12/7006 soll zusätzlich an den Rechtsaus- Man erzählt uns, dies sei aus Wettbewerbsgründen schuß, den Ausschuß für Wirtschaft und an den notwendig, weil alle anderen in Europa das machen. Finanzausschuß überwiesen werden. Es steht ja in diesem Absatz: „wegen längerer Der Bericht über das Finanzierungskonzept für den Betriebszeiten ... im Ausland". Es heißt: Dann ver- Transrapid auf Drucksache 12/6964 soll dem Haus- gleichen wir uns gleich mit China. haltsausschuß, jedoch nur zur Mitberatung, und zusätzlich dem Ausschuß für Wirtschaft überwiesen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden. Denen rennen wir hintendrein und glauben, daß wir Sind Sie damit einverstanden? — Dies ist offensicht- aus einer solchen Entwicklung noch herauskommen, lich der Fall. Dann sind die Überweisungen so ohne daß wir uns total verheddern. Gleichzeitig, beschlossen. meine Damen und Herren, beklagen wir aber in unserem Volk gewaltige Werteverluste. Ich frage: Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung Woran soll man sich eigentlich noch orientieren wenn über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur nicht am christlichen Glauben? Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeits- zeitrechts auf den Drucksachen 12/5888 und 12/6990 Die Beamten müssen dann nachher — das ist ja das Buchstabe a in der Ausschußfassung. Paradoxe an dieser Formulierung — entscheiden, ob das genehmigt wird oder nicht. Wenn sie es prüfen Die Fraktion der SPD hat zu Art. 1 § 13 Abs. 5 sollen, dann dauert das sehr lange. Dann ist diese namentliche Einzelabstimmungen verlangt. Firma sowieso kaputt, die anstatt 144 Stunden Ich rufe zunächst Art. 1 § 1 bis 13 Abs. 4 in der 168 Stunden arbeiten will. Prüfen sie es nicht und Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustim- machen sie es aus der Lamäng heraus, dann ist der men wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt Sonntag kaputt, weil dann am Sonntag zuviel gear- dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die beitet wird — aus Wettbewerbsgründen angeblich. aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. 18672 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Hans Klein Ich rufe Art. 1 § 13 Abs. 5 in der Ausschußfassung Ganz (St. Wendel), Johannes Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W. auf. Die Fraktion der SPD verlangt dazu namentliche Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geiger, Michaela Dr. Lischewski, Manfred Abstimmung. Geis, Norbert Löwisch, Sigrun Ich eröffne die Abstimmung. Dr. Geißler, Heiner Lohmann (Lüdenscheid), Dr. von Geldern, Wolfgang Wolfgang Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Gerster (Mainz), Johannes Louven, Julius seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das ist offen- Gibtner, Horst Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael sichtlich nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstim- Dr. Göhner, Reinhard Götz, Peter Maaß (Wilhelmshaven), Erich mung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung Dr. Götzer, Wolfgang Männle, Ursula zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Gres, Joachim Magin, Theo Ihnen später bekanntgegeben. Grochtmann, Elisabeth Dr. Mahlo, Dietrich Gröbl, Wolfgang Marschewski, Erwin Meine Damen und Herren, wir setzen die Abstim- Grotz, Claus-Peter Marten, Günter mung fort. Ich rufe Art. 1 § 14 bis Art. 19, Einleitung Dr. Grünewald, Joachim Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Frhr. von Hammerstein, Martin und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte Meckelburg, Wolfgang diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- Carl-Detlev Harries, Klaus Meinl, Rudolf chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufge- Haschke (Jena), Udo Dr. Meyer zu Bentrup, rufenen Vorschriften sind angenommen. Hasselfeldt, Gerda Reinhard Haungs, Rainer Michalk, Maria Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentli- Hauser (Esslingen), Otto Michels, Meinolf chen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. Hauser (Rednitzhembach), Molnar, Thomas Müller (Kirchheim), Elmar Hansgeorg (Unterbrechung von 16.39 Uhr bis Hedrich, Klaus-Jürgen Dr. Neuling, Christian 16.46 Uhr) Heise, Manfred Neumann (Bremen), Bernd Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Nitsch, Johannes Dr. Herr, Norbert Dr. Olderog, Rolf Hiebing, Maria Anna Ost, Friedhelm Die unterbrochene Sit- Hinsken, Ernst Oswald, Eduard Vizepräsident Hans Klein: Otto (Erfurt), Norbert zung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim Dr. Päselt, Gerhard Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Dr. Hoffacker, Paul Dr. Paziorek, Peter Abstimmung über Art. 1 § 13 Abs. 5 des Arbeitszeit- Hollerith, Josef Pesch, Hans-Wilhelm rechtsgesetzes auf den Drucksachen 12/5888 und Dr. Hornhues, Karl-Heinz Petzold, Ulrich Hornung, Siegfried Pfeifer, Anton 12/6990 Buchstabe a bekannt. Abgegebene Stimmen: Angelika Hüppe, Hubert Pfeiffer, 533. Mit Ja haben gestimmt: 318. Dr. Jahn (Münster), Dr. Pfennig, Gero Dr. Pinger, Winfried (Beifall des Abg. Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/ Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Pofalla, Ronald CSU] — Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Jeltsch, Karin Dr. Pohler, Hermann Saubere Christen!) Dr. Jobst, Dionys Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd — Die Begeisterungsstürme halten sich in Grenzen. — Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Kahl, Harald Raidel, Hans Mit Nein haben gestimmt: 209. Enthaltungen: 6. Kalb, Bartholomäus Dr. Ramsauer, Peter Kampeter, Steffen Rau, Rolf Peter Harald Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Rauen, Karwatzki, Irmgard Rawe, Wilhelm Kauder, Volker Regenspurger, Otto Endgültiges Ergebnis Bohlsen, Wilfried Kiechle, Ignaz Reichenbach, Klaus Bertold Borchert, Jochen Kittelmann, Peter Dr. Reinartz, Abgegebene Stimmen: 529; Brähmig, Klaus Klein (Bremen), Günter Reinhardt, Erika davon: Dr. Rieder, Norbert Breuer, Paul Klein (München), Hans Erich Brunnhuber, Georg Klinkert, Ulrich Dr. Riedl (München), ja: 315 Bühler (Bruchsal), Klaus Köhler (Hainspitz), Riegert, Klaus Ringkamp, Werner nein: 208 Büttner (Schönebeck), Hans-Ulrich Rode (Wietzen), Helmut Hartmut Dr. Köhler (Wolfsburg), enthalten: 6 Buwitt, Dankward Volkmar Rönsch (Wiesbaden), Carstensen (Nordstrand), Kolbe, Manfred Hannelore Ja Peter Harry Koschyk, Hartmut Romer, Franz Dr. Rose, Klaus Dempwolf, Gertrud Kossendey, Thomas Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU Deres, Karl Kraus, Rudolf Deß, Albert Dr. Krause (Börgerende), Roth (Gießen), Adolf Heinz Dr. Ackermann, Else Diemers, Renate Günther Rother, Dr. Ruck, Christian Adam, Ulrich Dörflinger, Werner Krause (Dessau), Wolfgang Rühe, Volker Dr. Altherr, Walter Franz Doss, Hansjürgen Krey, Franz Heinrich Augustin, Anneliese Dr. Dregger, Alfred Kronberg, Heinz-Jürgen Dr. Rüttgers, Jürgen Augustinowitz, Jürgen Ehlers, Wolfgang Dr.-Ing. Krüger, Paul Sauer (Salzgitter), Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Austermann, Dietrich Eichhorn, Maria Krziskewitz, Reiner Schätzle, Ortrun Bargfrede, Heinz-Günter Engelmann, Wolfgang Lamers, Karl Baumeister, Brigitte Eppelmann, Rainer Dr. Lammert, Norbert Dr. Schäuble, Wolfgang Belle, Meinrad Eylmann, Horst Lamp, Helmut Scharrenbroich, Heribert Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Falk, Ilse Lattmann, Herbert Schell, Manfred Scheu, Gerhard Bierling, Hans-Dirk Dr. Faltlhauser, Kurt Dr. Laufs, Paul Dr. Blank, Joseph-Theodor Feilcke, Jochen Laumann, Karl-Josef Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Blank, Renate Dr. Fell, Karl H. Lehne, Klaus-Heiner Christian Dr. Blens, Heribert Fischer (Hamburg), Dirk Dr. Lehr, Ursula Schmidt (Fürth), Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Bleser, Peter Frankenhauser, Herbert Dr. Lieberoth, Immo Dr. Blüm, Norbert Dr. Friedrich, Gerhard Limbach, Editha Joachim Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Fritz, Erich G. Link (Diepholz), Walter Dr. Schmidt, Christa Bohl, Friedrich Fuchtel, Hans-Joachim Lintner, Eduard Schmitz (Baesweiler), Hans Peter Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18673

Vizepräsident Hans Klein von Schmude, Michael Grüner, Martin Bury, Hans Martin Dr. Niese, Rolf Dr. Schockenhoff, Andreas Günther (Plauen), Joachim Caspers-Merk, Marion Niggemeier, Horst Graf von Schönburg Dr. Guttmacher, Karlheinz Catenhusen, Wolf-Michael Odendahl, Doris Glauchau, Joachim Hansen, Dirk Conradi, Peter Oesinghaus, Günter Frhr. von Schorlemer, Dr. Haussmann, Helmut Daubertshäuser, Klaus Oostergetelo, Jan Reinhard Heinrich, Ulrich Dr. Diederich (Berlin), Nils Ostertag, Adolf Schulhoff, Wolfgang Dr. Hirsch, Burkhard Diller, Karl Dr. Otto, Helga Dr. Schulte (Schwäbisch Dr. Hitschler, Walter Dr. Dobberthien, Marliese Palis, Kurt Gmünd), Dieter Homburger, Birgit Ebert, Eike Paterna, Peter Schulz (Leipzig), Gerhard Dr. Hoth, Sigrid Dr. Eckardt, Peter Dr. Penner, Willfried Schwalbe, Clemens Irmer, Ulrich Eich, Ludwig Peter (Kassel), Horst Schwarz, Stefan Kleinert (Hannover), Detlef Dr. Elmer, Konrad Dr. Pfaff, Martin Dr. Schwörer, Hermann Kohn, Roland Esters, Helmut Dr. Pick, Eckhart Seehofer, Horst Dr. Kolb, Heinrich L. Ewen, Carl Poß, Joachim Seesing, Heinrich Leutheusser-Schnarrenberger, Ferner, Elke Reimann, Manfred Seibel, Wilfried Sabine Fischer (Gräfenhainichen), von Renesse, Margot Sikora, Jürgen Lüder, Wolfgang Evelin Rennebach, Renate Sothmann, Bärbel Lühr, Uwe Fischer (Homburg), Lothar Reschke, Otto Spilker, Karl-Heinz Möllemann, Jürgen W. Formanski, Norbert Reuschenbach, Peter W. Spranger, Carl-Dieter Nolting, Günther Friedrich Fuhrmann, Arne Reuter, Bernd Dr. Sprung, Rudolf Dr. Ortleb, Rainer Ganseforth, Monika Rixe, Günter Steinbach-Hermann, Erika Otto (Frankfurt), Gansel, Norbert Schaich-Walch, Gudrun Dr. Stercken, Hans Hans-Joachim Dr. Gautier, Fritz Schanz, Dieter Dr. Frhr. von Stetten, Paintner, Johann Gilges, Konrad Scheffler, Siegfried Wolfgang Parr, Detlef Gleicke, Iris Schily, Otto Stockhausen, Karl Peters, Lisa Großmann, Achim Schloten, Dieter Dr. Stoltenberg, Gerhard Dr. Pohl, Eva Haack (Extertal), Schluckebier, Günter Strube, Hans-Gerd Richter (Bremerhaven), Karl Hermann Schmidt (Aachen), Ursula Stübgen, Michael Manfred Habermann, Michael Schmidt-Zadel, Regina Dr. Süssmuth, Rita Rind, Hermann Hacker, Hans-Joachim Dr. Schmude, Jürgen Susset, Egon Dr. Röhl, Klaus Hämmerle, Gerlinde Dr. Schnell, Emil Tillmann, Ferdi Schmidt (Dresden), Arno Hampel, Manfred Dr. Schöfberger, Rudolf Dr. Töpfer, Klaus Dr. Schmieder, Jürgen Hanewinckel, Christel Schreiner, Ottmar Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Dr. Schnittler, Christoph Hasenfratz, Klaus Schröter, Gisela Uldall, Gunnar Schüßler, Gerhard Heistermann, Dieter Schutz, Dietmar Verhülsdonk, Roswitha Sehn, Marita Hiller (Lübeck), Reinhold Schulte (Hameln), Brigitte Vogel (Ennepetal), Friedrich Dr. Semper, Sigrid Hilsberg, Stephan Dr. Schuster, R. Werner Vogt (Duren), Wolfgang Dr. Solms, Hermann Otto - Horn, Erwin Schwanhold, Ernst Dr. Voigt (Northeim), Dr. Starnick, Jürgen Ibrügger, Lothar Schwanitz, Rolf Hans-Peter Dr. Thomae, Dieter Iwersen, Gabriele Seidenthal, Bodo Dr. Vondran, Ruprecht Timm, Jürgen Jäger, Renate Seuster, Lisa Graf von Waldburg-Zeil, Alois Türk, Jürgen Janz, Ilse Sielaff, Horst Dr. Warnke, Jürgen Walz, Ingrid Dr. Janzen, Ulrich Simm, Erika Dr. Warrikoff, Alexander Dr. Weng (Gerlingen), Jaunich, Horst Singer, Johannes Werner (Ulm), Herbert Wolfgang Dr. Jens, Uwe Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Wetzel, Kersten Wolfgramm (Göttingen), Jungmann (Wittmoldt), Horst Sorge, Wieland Wiechatzek, Gabriele Torsten Kastner, Susanne Steen, Antje-Marie Dr. Wilms, Dorothee Würfel, Uta Kirschner, Klaus Steiner, Heinz-Alfred Wilz, Bernd Zurheide, Burkhard Klappert, Marianne Tappe, Joachim Wimmer (Neuss), Willy Zywietz, Werner Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Terborg, Margitta Dr. Wisniewski, Roswitha Klemmer, Siegrun Dr. Thalheim, Gerald Wissmann, Matthias Klose, Hans-Ulrich Toetemeyer, Hans-Günther Dr. Wittmann, Fritz Dr. Knaape, Hans-Hinrich Urbaniak, Hans-Eberhard Wittmann (Tännesberg), Nein Körper, Fritz Rudolf Vergin, Siegfried Simon Kolbe, Regina Dr. Vogel, Hans-Jochen Wonneberger, Michael CDU/CSU Kolbow, Walter Voigt (Frankfurt), Karsten D. Wülfing, Elke Koltzsch, Rolf Wagner, Hans Georg Würzbach, Peter Kurt Fockenberg, Winfried Kubatschka, Horst Wallow, Hans Yzer, Cornelia Jäger, Claus Dr. Kübler, Klaus Waltemathe, Ernst Zeitlmann, Wolfgang Kuessner, Hinrich Walter (Cochem), Ralf Zöller, Wolfgang Dr. Küster, Uwe Walther (Zierenberg), Rudi SPD Kuhlwein, Eckart Wartenberg (Berlin), Gerd Lambinus, Uwe Dr. Wegner, Konstanze F.D.P. Adler, Brigitte Lange, Brigitte Weiermann, Wolfgang Andres, Gerd von Larcher, Detlev Weiler, Barbara Albowitz, Ina Antretter, Robert Leidinger, Robert Weisheit, Matthias Dr. Babel, Gisela Bachmaier, Hermann Lennartz, Klaus Weißgerber, Gunter Baum, Gerhart Rudolf Barbe, Angelika Lörcher, Christa Dr. Wernitz, Axel Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Bartsch, Holger Dr. Lucyga, Christine Wester, Hildegard Bredehorn, Günther Becker (Nienberge), Helmuth Maaß (Herne), Dieter Westrich, Lydia Cronenberg (Arnsberg), Becker-Inglau, Ingrid Marx, Dorle Dr. Wetzel, Margrit Dieter-Julius Beucher, Friedhelm Julius Mascher, Ulrike Weyel, Gudrun Engelhard, Hans A. Bindig, Rudolf Mattischeck, Heide Dr. Wieczorek, Norbert van Essen, Jörg Bock, Thea Mehl, Ulrike Wieczorek-Zeul, Heidemarie Dr. Feldmann, Olaf Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Mertens (Bottrop), Wimmer (Neuötting), Friedhoff, Paul K. Börnsen (Ritterhude), Arne Franz-Josef Hermann Friedrich, Horst Brandt-Elsweier, Anni Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Dr. de With, Hans Funke, Rainer Dr. Brecht, Eberhard Mosdorf, Siegmar Wittich, Berthold Dr. Funke-Schmitt-Rink, Büchner (Speyer), Peter Müller (Schweinfurt), Rudolf Wohlleben, Verena Margret Büttner (Ingolstadt), Hans Müller (Völklingen), Jutta Wolf, Hanna Ganschow, Jörg Bulmahn, Edelgard Neumann (Gotha), Gerhard Zapf, Uta Genscher, Hans-Dietrich Burchardt, Ursula Dr. Niehuis, Edith Dr. Zöpel, Christoph 18674 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Hans Klein F.D.P. Poppe, Gerd Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- Schenk, Christina Gallus, Georg Schulz (Berlin), Werner und Bedarfsgegenständegesetzes Dr. Ullmann, Wolfgang — Drucksache 12/6992 — PDS/Linke Liste Weiß (Berlin), Konrad Überweisungsvorschlag: Bläss, Petra Dr. Enkelmann, Dagmar Ausschuß für Gesundheit (federführend) Dr. Fischer, Ursula Fraktionslos Rechtsausschuß Dr. Fuchs, Ruth Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Dr. Gysi, Gregor Dr. Briefs, Ulrich c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Henn, Bernd Dr. Krause (Bonese), rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr. Heuer, Uwe-Jens Rudolf Karl Dr. Höll, Barbara Lowack, Ortwin zes zu dem Zusatzprotokoll vom 25. Sep- Jelpke, Ulla tember 1991 zum Chloridübereinkommen/ Dr. Keller, Dietmar Rhein (Zusatzprotokoll zum Chloridüber- Lederer, Andrea einkommen/Rhein) Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Enthalten — Drucksache 12/6971 — Dr. Schumann (Kroppenstedt), Überweisungsvorschlag: Fritz CDU/CSU Dr. Seifert, Ilja Ausschuß für Umweltwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Stachowa, Angela cherheit (federführend) Brudlewsky, Monika Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Dehnel, Wolfgang BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erler (Waldbrunn), Wolfgang d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Göttsching, Ma rtin brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- Dr. Feige, Klaus-Dieter Dr. Jüttner, Egon regelung der Bundesfinanzhilfen für den Köppe, Ingrid Schmidt (Spiesen), Trudi sozialen Wohnungsbau (Wohnungsbaufinanzierungsgesetz 1993 Damit ist Art. 1 § 13 Abs. 5 angenommen. Damit ist WoBauFinG 1993) auch der Gesetzentwurf in zweiter Beratung insge- — samt angenommen. — Drucksache 12/6880 — Überweisungsvorschlag: Dritte Beratung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (federführend) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plät- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO zen zu erheben. — Gegenprobe! — Wer wünscht sich e) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- seiner Stimme zu enthalten? — Der Gesetzentwurf ist brachten Entwurfs eines Gesetzes zur angenommen. Änderung des Einführungsgesetzes zum Wir kommen zur Abstimmung über den von der Gerichtsverfassungsgesetz Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines — Drucksache 12/6915 — Arbeitszeitgesetzes, Drucksache 12/5282. Der Aus- Überweisungsvorschlag: schuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Rechtsausschuß Drucksache 12/6990 unter Buchstabe b, den Gesetz- f) Erste Beratung des von der Bundesregie- entwurf abzulehnen. rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der zes zu dem Übereinkommen vom 15. Juli SPD auf Drucksache 12/5282 abstimmen. Ich bitte 1993 über den Rechtsstatus des Internatio- diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- nalen Suchdienstes in Arolsen chen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der — Drucksache 12/6824 — Stimme? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung Überweisungsvorschlag: abgelehnt. Auswärtiger Ausschuß (federführend) Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die Rechtsausschuß weitere Beratung. Haushaltsausschuß g) Erste Beratung des von den Abgeordneten Manfred Carstens (Emstek), Norbert Geis, Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21a bis j und 12 Dr. Walter Franz Altherr und weiteren sowie den Zusatzpunkt 5 a bis c auf: Abgeordneten eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Neufassung des Abtrei- bungsstrafrechts und zur Regelung der 21. Überweisungen im vereinfachten Verfahren staatlichen Obhut unter Berücksichtigung a) Erste Beratung des von der Bundesregie- des Urteils des Bundesverfassungsgerichts rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- vom 28. Mai 1993 zes zur Änderung des Gesetzes über das — Drucksache 12/6944 — Kreditwesen und anderer Vorschriften Überweisungsvorschlag: über Kreditinstitute Sonderausschuß Schutz des ungeborenen Lebens (feder- — Drucksache 12/6957 — führend) Rechtsausschuß Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Familie und Senioren Rechtsausschuß Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18675

Vizepräsident Hans Klein h) Beratung des Antrags des Bundesministeri- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- ums der Finanzen rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bun- zes zur Änderung von Kostengesetzen und deshaushaltsordnung zur Veräußerung der anderen Gesetzen von den britischen Streitkräften freigege- (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 — benen bundeseigenen Wohnsiedlung in KostRändG 1994) Soest — Drucksache 12/6962 — — Drucksache 12/6879 Überweisungsvorschlag: —Überweisung svorschlag: Rechtsausschuß (federführend) Haushaltsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO i) Beratung des Antrags der Fraktion der c) Beratung des Antrags der Abgeordneten SPD Wolf-Michael Catenhusen, Dr. Helga Otto, Seerechtsübereinkommen der Vereinten Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter Nationen und der Fraktion der SPD — Drucksache 12/6394 — Förderung der Industrieforschung in den Überwei sungsvo rschlag: neuen Ländern Auswärtiger Ausschuß (federführend) — Drucksache 12/6745 — Rechtsausschuß Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- Ausschuß für Verkehr genabschätzung (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Ausschuß für Wirtschaft heit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- j) Beratung des Antrags der Abgeordneten heit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Dr. Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß (Ber- Ausschuß Treuhandanstalt lin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Haushaltsausschuß NEN Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Rehabilitierung, Entschädigung und Ver- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sorgung für die Opfer der NS-Militärju- zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? — Das stiz ist offensichtlich der Fall. Darm sind die Überweisun- — Drucksache 12/6418 — gen so beschlossen. Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22a bis e auf: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Abschließende Beratungen ohne Aussprache 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur desregierung eingebrachten Entwurfs eines Anpassung krankenversicherungsrechtlicher Zehnten Gesetzes zur Änderung des Häftlings- Vorschriften — GKV-Anpassungsgesetz — hilfegesetzes und anderer Gesetze (GKV-AnpG) — Drucksache 12/5834 — — Drucksache 12/6958 (Erste Beratung 194. Sitzung) —Überweisungsvorschlag: aa) Beschlußempfehlung und Bericht des In- Ausschuß für Gesundheit (federführend) nenausschusses (4. Ausschuß) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 12/7030 — ZP 5 weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Berichterstattung: fahren Abgeordnete: Uwe Lambinus (Ergänzung zu TOP 21) Wolfgang Lüder a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Herbert Werner (Ulm), Hubert Hüppe, bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Claus Jäger und weiteren Abgeordneten schuß) gemäß § 96 der Geschäfts- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ordnung zum Schutz der ungeborenen Kinder — Drucksache 12/7031 — (GSuKi) Berichterstattung: — Drucksache 12/6988 — Abgeordnete: Überweisungsvorschlag: Ina Albowitz Sonderausschuß Schutz des ungeborenen Lebens (feder- Rudolf Purps führend) b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ausschuß für Familie und Senioren Änderung des Bundeswahlgesetzes Ausschuß für Frauen und Jugend — Drucksache 12/6586 — Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO (Erste Beratung 208. Sitzung) 18676 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Hans Klein Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. — Gegen- ausschusses (4. Ausschuß) probe! — Enthaltungen? — Keine. Der Gesetzentwurf — Drucksache 12/7003 — ist damit in zweiter Beratung angenommen. Berichterstattung: Wir kommen zur Abgeordnete Gerd Wartenberg (Berlin) dritten Beratung Franz Heinrich Krey Dr. Burkhard Hirsch und Schlußabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf Berichts des Ausschusses für Bildung und Wis- ist einstimmig angenommen. senschaft (21. Ausschuß) zu der Unterrichtung Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22c: Be- durch das Europäische Parlament schlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Entschließung zur Beseitigung des An- Wissenschaft zur Entschließung des Europäischen alphabetismus in den Mitgliedstaaten der Parlaments zur Beseitigung des Analphabetismus in Europäischen Gemeinschaft den Mitgliedstaaten der EG — Drucksachen 12/4976 — Drucksachen 12/4976, 12/6670 — und 12/6670 —. Wer stimmt für diese Beschlußernp- Berichterstattung: fehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? Abgeordnete Dr. Egon Jüttner — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenom- Dr. Peter Eckardt men. Dirk Hansen Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22d: Be- schlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, d) Beratung der Beschlußempfehlung und Naturschutz und Reaktorsicherheit zu einem Richtli- des Berichts des Ausschusses für Um- nienvorschlag der EG über die Vermeidung und welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Verminderung der Umweltverschmutzung — Druck- (17. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die sache 12/6952 —. Wer stimmt für diese Beschlußemp- Bundesregierung fehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über — Die Beschlußempfehlung ist bei zwei Enthaltungen die integrierte Vermeidung und Verminde- angenommen. rung der Umweltverschmutzung Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22 e: Be- — Drucksachen 12/6430 Nr. 2.1, 12/6952 — schlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Berichterstattung: Drucksache 12/6948. Das ist die Sammelüber- Abgeordnete Dr. Peter Paziorek sicht 144. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Klaus Lennartz — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Die Be- Dr. Jürgen Starnick schlußempfehlung ist angenommen. e) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Sammelübersicht 144 zu Petitionen — Drucksache 12/6948 — Fragestunde — Drucksache 12/6965 — Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Änderung des Häftlingshilfegesetzes und anderer Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ge- Gesetze, Drucksache 12/5834. sundheit. Zur Beantwortung der Fragen ist die Parla- mentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann- Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache Pohl eingetroffen. 12/7030, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um Die Fragen 13, 27 und 14 sollen schriftlich beant- das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? wortet werden. Die Antworten werden als Anlagen — Bei einer Enthaltung ist der Gesetzentwurf in abgedruckt. zweiter Beratung angenommen. Ich rufe die Frage 15 auf, die die Kollegin Uta Würfel Dritte Beratung gestellt hat: Welche Gründe hat die Bundesregierung, sich auf eine nicht und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem zuständige Einrichtung wie die Bundesärztekammer (BAK) in Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Sachen hämatogene Oxydationstherapie (HOT) zu stützen, und welche Hindernisse sieht die Bundesregierung, die HOT vom Wer will den Gesetzentwurf in dritter Beratung ableh- Index der Beihilfevorschrift zu streichen, nachdem mit Drucksa- nen? — Niemand. Wer enthält sich der Stimme? — Der che 12/5268, Anlage 10, die Bundesregierung mitgeteilt hat, daß Gesetzentwurf ist angenommen. es sich bei der HOT nach Mitteilung des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer um kein wissenschaftlich Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bun- allgemein anerkanntes Behandlungsverfahren handelt, und aus desrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung einem Schriftwechsel des Zentrums zur Dokumentation für Naturheilverfahren e. V. (ZDN) mit dem wissenschaftlichen des Bundeswahlgesetzes auf Drucksache 12/6586; das Beirat der Bundesärztekammer (veröffentlicht in der Zeitschrift ist Punkt 22 b der Tagesordnung. Der Innenausschuß Raum & Zeit 63/93, Seite 65) hervorgeht, daß die Bundesärzte- empfiehlt auf Drucksache 12/7003, den Gesetzent- kammer sich für Methodenfragen als nicht zuständig erklärt wurf unverändert zu übernehmen. Ich bitte diejenigen hat? Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18677

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin keine Veranlassung, sich an fachwissenschaftlichen beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Diskussionen zwischen der Hufelandgesellschaft und Würfel, nach § 6 Abs. 2 Satz 1 der Beihilfevorschriften der Bundesärztekammer zu beteiligen. ist der Bundesminister des Innern befugt, wissen- schaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungs- Uta Würfel (F.D.P.): Ist es das? methoden von der Beihilfe ganz oder teilweise auszu- schließen. Von der Ausschlußmöglichkeit hat der Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: Bundesminister des Innern bisher dann Gebrauch Das war's, ja. gemacht, wenn die Wirksamkeit der Methoden nicht hinreichend nachgewiesen ist und/oder die Behand- Vizepräsident Hans Klein: Jetzt haben Sie, wenn wir lung zu einer Gefährdung des Patienten führen die erläuternde Bemerkung wieder rausrechnen, vier kann. Zusatzfragen, aber die müssen nicht alle in Anspruch Wie ich Ihnen auf Ihre Frage in der Drucksache genommen werden. 12/5268 bereits geantwortet habe, kann die wissen- schaftliche Bewertung eines Verfahrens nur von Wis- Uta Würfel (F.D.P.): Ja, Frau Dr. Bergmann-Pohl, der senschaftlern selbst auf der Grundlage von deren Anlaß zu meiner Frage ist, wie ich eben schon darge- Kenntnissen beurteilt werden. Die Bundesregierung stellt habe, der, daß sich die Bundesregierung darauf befragt daher in der Regel den Wissenschaftlichen beruft, die Wirksamkeit dieses Verfahrens sei wissen- Beirat der Bundesärztekammer bzw. die für die jewei- schaftlich nicht nachprüfbar, weil dies der Sachver- lige Frage zuständige medizinische Fachgesell- ständigenrat der Bundesärztekammer behauptet schaft. habe. Auf Nachfrage sagt aber die Bundesärztekam- mer, sie gebe zu diesem Sachverhalt gar keine Stel- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Würfel, lungnahme ab, weil sie sich dazu nicht für befugt eine Zusatzfrage? hält.

Uta Würfel (F.D.P.): Ja. Zunächst einmal, Herr Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: Präsident, eine Feststellung: Diese Frage enthielt ja Frau Würfel, ich kann Ihnen dazu sagen, daß mir diese einen ganz anderen wesentlichen Teil. Kommen Sie Aussage nicht bekannt ist. Die Stellungnahme des zu diesem Teil vielleicht bei der Beantwortung der Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zweiten Frage? hat sehr wohl vorgelegen, und ich würde empfehlen, Es geht ja darum — wenn ich es hier einmal daß wir, um diesen Dissens auszuräumen, diese Frage erläutern darf —, daß diese Wirkungen von einem vielleicht noch einmal dem Wissenschaftlichen Beirat anderen Gremium durchaus hinreichend nachgewie- stellen. Wenn Sie mir das, bitte, schriftlich ins Mini- sen worden sind, der Sachverständigenrat der Bun- sterium schicken, kann ich diese Frage gern weiter- desärztekammer — er war um eine Stellungnahme geben; denn auch für mich ist interessant, daß diese gebeten worden — nun aber gesagt hat, er fühle sich widersprüchlichen Aussagen offensichtlich vorhan- gar nicht in der Lage, sich hierzu zu äußern. den sind.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: Uta Würfel (F.D.P.): Herr Präsident, gestatten Sie? — Herr Präsident, Frau Würfel, wenn Sie es wünschen, Auf der anderen Seite, Frau Staatssekretärin, wäre es würde ich dann erst die zweite Frage beantworten, vielleicht möglich, daß Sie mir diese Stellungnahme dann können Sie Ihre Nachfrage stellen. des Sachverständigenrates, die ja nun eine Bewertung enthalten soll, vorab zusenden? Dann hätten wir diese Vizepräsident Hans Klein: Wir kommen dann zur eine Geschichte schon einmal geklärt. Frage 16 der Abgeordneten Frau Uta Würfel: Worauf ist es zurückzuführen, daß die Bundesregierung in Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: ihren Referentenentwürfen zum AMG, SGB V etc. fachwissen- Wenn Sie das wünschen, werde ich mich bemühen, schaftlich eindeutig Positionen auch zu den besonderen Thera- Ihnen diese Stellungnahme zur Verfügung zu stel- pierichtungen bezieht, andererseits begründete Widerlegungen gegen solche Auffassungen der Bundesregierung mit der len. Begründung nicht diskutieren will, sie wolle sich in fachwissen- schaftliche Diskussionen nicht einmischen (siehe z. B. Drucksa- Uta Würfel (F.D.P.): Herr Präsident, recht herzlichen che 12/5904, Frage 39)? Dank. — Dann würde ich tatsächlich auf Ihre Antwort eingehen und noch einmal schriftlich die Bitte an Sie Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: richten, diesen Sachverhalt, der so unklar ist, gemein- Richtig ist, daß sich Vorschläge zur Änderung und sam mit Ihnen aufklären zu können. Ergänzung gesetzlicher Vorschriften auf fachwissen- schaftlich gesicherte Positionen beziehen. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: Teilweise dienen die angesprochenen Referenten- Das würde ich gerne machen, Frau Würfel. Ich darf Sie entwürfe auch zur Umsetzung von Gemeinschafts- aber vielleicht doch noch einmal in Ergänzung meiner recht. Die Diskussion dieser Referenten- bzw. Gesetz- Ausführungen darauf hinweisen, daß hier natürlich entwürfe geschieht schriftlich oder mündlich in den zwei verschiedene Dinge in Ihrer Frage angesprochen dazu vorgesehenen Verfahren. sind. Das eine betrifft Behandlungsmethoden, das Es ging bei der Antwort auf Ihre Frage 16 im übrigen andere besondere Therapierichtungen. Das wollte ich nicht darum, daß sich die Bundesregierung nicht zur zur Klarstellung nur noch einmal sagen. Widerlegung ihrer eigenen Auffassung äußern wollte, vielmehr sieht die Bundesregierung nach wie vor Uta Würfel (F.D.P.): Danke schön. 18678 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Hans Klein: Herrscht Einigkeit unter gearbeitet wird, obwohl sie doch wohl in einem den Damen? — Frau Parlamentarische Staatssekretä- halben Jahr vorzulegen sind. rin, ich bedanke mich herzlich für die Beantwor- tung. Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Herr Abgeord- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- neter, die Sachlage ist wie folgt: Das Bundesverkehrs- ums für Verkehr auf. Es steht uns Staatssekretär ministerium wartet auf die Vorlage der Prioritäten der Dr. Wilhelm Knittel für die Beantwortung der Fragen Deutschen Bahn AG, weil wir dann gemeinsam über- zur Verfügung. einkommen müssen, in welcher Reihenfolge die Pro- Für die Fragen 17 und 18 ist um schriftliche Beant- jekte für den Dreijahresplan vorgelegt werden. Erst wortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen wenn sich die Deutsche Bahn verantwortlich geäußert abgedruckt. hat, ist es uns möglich, hier die Reihenfolge zu Ich rufe die Frage 19 auf, die unser Kollege Rudolf bestimmen. Ich sage noch einmal, daß nicht a lles Bindig gestellt hat: zugleich bearbeitet werden kann. Es wird dann nach dieser Prioritätenreihung vertieft werden. Arbeitet die Bundesregierung zur Vorbereitung des Dreijah- resplanes gemäß § 5 Satz 2 des Bundesschienenwegeausbauge- setzes — SchWAbG — aktiv daran, für alle in der Beschlußemp- Vizepräsident Hans Klein: Gibt es aus dem Haus fehlung des Ausschusses für Verkehr zum SchWAbG (Drucksa- che 12/5314 S. 14) genannten Einzelprojekte qualifizierte Pro- dazu weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall. jektbewertungsdossiers auszuarbeiten, die entweder — bei Dann rufe ich die Frage 20 auf, die ebenfalls der neugenannten Strecken — erstmals anzufertigen sind oder Kollege Rudolf Bindig gestellt hat. — bei den bereits in den Listen des SchWAbG genannten Projekten — über die allgemein und unspezifiziert gehaltene Wie geht die Bundesregierung mit den in der Drucksache Form des Jahres 1992 hinausgehen, und auf welche Weise 12/5314, S. 15 genannten Protokollerklärungen zum Bundes- werden diese Projektbewertungsdossiers ausgearbeitet? schienenwegeausbaugesetz um, d. h. wird sie für die von den drei Fraktionen des Deutschen Bundestages do rt genannten Bitte, Herr Staatssekretär Knittel. Projekte spezielle Untersuchungen im Sinne des jeweils genannten Anliegens durchführen? Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär im Bundesmini- sterium für Verkehr: Die Beschlüsse zum Haushalt Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Herr Abgeord- 1994 und deren Auswirkungen auf die mittelfristige neter Bindig, im Rahmen der laufenden Verhandlun- Finanzplanung machen es erforderlich, daß zusam- gen mit den Nachbarstaaten sind oder werden die in men mit der Deutschen Bahn AG eine Prioritätenrei- den Protokollerklärungen vom 12. Mai 1993 genann- hung für die einzelnen Schienenprojekte des Schie- ten Strecken in die Untersuchungen einbezogen. Ich nenwegeausbaugesetzes vorgenommen werden muß. möchte, weil Ihnen das vielleicht etwas abstrakt Die Prioritätenreihung wird auch Grundlage für den erscheint, von mir aus hinzufügen, daß wir bezüglich gemäß § 5 Satz 2 des Bundesschienenwegeausbauge- der Querung Fehmarn-Belt hier zusammen mit Däne- setzes aufzustellenden Dreijahresplan. Die Form der mark vor einer Ausschreibung stehen und daß für die Dokumentation der einzelnen Projekte — „Doku- beiden übrigen Strecken, die das Verhältnis zur mentation" ist hier im Sinne Ihres Begriffes „Projekt- Schweiz und zu Frankreich be treffen, die Untersu- bewertungsdossier" gemeint — wird gegenwärtig mit chungen laufen. Bei dem Fall, der Sie besonders der Deutschen Bahn AG abgestimmt. interessieren dürfte, also bei den Strecken Ulm- Friedrichshafen-Lindau und München-Memmingen- Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Bin- Kempten-Lindau, läuft diese Kapazitätsuntersuchung dig. in Abstimmung mit der Schweiz, und ich möchte darauf hinweisen, daß möglicherweise auch hier noch Rudolf Bindig (SPD): Herr Staatssekretär, da uns bei zusätzliche Auswirkungen des Ergebnisses der Volks- allen Straßenprojekten und auch für einige Schienen- abstimmung in der Schweiz zu berücksichtigen sein projekte diese Bewertungsdossiers bereits vorgelegen werden. haben, möchte ich Sie fragen, ob es denn solche qualifizierten Beratungsunterlagen für den Verkehrs- ausschuß des Deutschen Bundestages einmal geben Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage. wird. Rudolf Bindig (SPD): Herr Staatssekretär, zeichnet Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Diese Unterla- sich denn schon ab, wann diese Beratungen und gen werden entsprechend ausgearbeitet. Sie werden dieser Konsultationsprozeß so weit fortgeschritten ständig verfeinert, und sie sind um so umfassender sein werden, daß man darüber auch Ergebnisse erfah- und tiefer, je näher der Verwirklichungszeitpunkt ren kann? rückt. Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär: Sie meinen Rudolf Bindig (SPD): Herr Staatssekretär, darf ich speziell den Fall Baden-Württemberg/Bayern? Sie fragen, ob Sie sich nicht daran erinnern, daß die (Rudolf Bindig [SPD]: Ja!) uns bei der Beratung des Bundesverkehrswegeplanes vorgelegten Projektdossiers derart inhaltsleer und Ich bin gern bereit, Ihnen das in unserer Zeitvoraus- dürftig waren, daß man auf der Basis dieser Unterla- schau schriftlich mitzuteilen. Ich kann Ihnen das im gen gar nicht qualifiziert beraten konnte, und wie Sie Moment nicht detailliert sagen. uns eigentlich qualifizierte Unterlagen liefern wollen, wenn jetzt offensichtlich auf meine Frage erkennbar Rudolf Bindig (SPD): Darum möchte ich bit- wird, daß an diesen Unterlagen gar nicht intensiv ten. — Keine weiteren Zusatzfragen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18679

Vizepräsident Hans Klein: Die Fragen 23 und 24 für den Bereich Kultur, in dem wir auch ganz Ost- sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten deutschland zu versorgen haben — ist es gegenwärtig werden als Anlagen abgedruckt. nicht möglich, ein entsprechendes neues Programm Mit der Frage 25 und der Frage 26 wird nach der zu etablieren. Im übrigen haben wir dazu auch nicht Geschäftsordnung verfahren. Der Kollege Laumann, die Zustimmung des Finanzministeriums erhalten. der die Fragen 28 und 29 gestellt hat, ist ebenfalls nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäfts- Vizepräsident Hans Klein: Keine zweite Zusatz- ordnung vorgesehen. frage. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die Dann rufe ich, Herr Parlamentarischer Staatssekre- Beantwortung. tär, die Frage 41, die ebenfalls unser Kollege Dr. Klaus Rose gestellt hat, auf: Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Wie weit hat die Bundesregierung Vorgespräche mit den des Innern auf. Die Fragen wird uns der Parlamenta- betreffenden Bundesländern zur Kulturförderung im deutsch- rische Staatssekretär Eduard Lintner beantworten. polnischen und deutsch-tschechischen Grenzraum geführt? Wir kommen zur Frage 40, die der Kollege Dr. Klaus Ich bitte um Beantwortung. Rose gestellt hat: Betrachtet die Bundesregierung die Kulturförderung in den Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesre- deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenzgebieten gierung hat durch den Bundesminister des Innern seit mehr unter finanziellen Gesichtspunkten oder mehr als natio- 1992 Verhandlungen mit den Ländern Mecklenburg- nale Aufgabe der kulturellen Begegnung von Nachbarvöl- Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Baye rn zur kern? Schaffung eines Regionalförderprogrammes Kultur Bitte, Herr Kollege Lintner. für die Kreise und Gemeinden an der deutsch-polni- schen und an der deutsch-tschechischen Grenze Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- geführt. Die Verhandlungen sind Mitte letzten Jahres minister des Innern: Herr Kollege Dr. Rose, die Ant- abgeschlossen worden. wort lautet: Die Förderung kultureller Angelegenhei- ten in den Regionen an den deutschen Ostgrenzen Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rose, muß sich in erster Linie auf die Stabilisierung, die bitte. Verbesserung und den Ausbau der erhaltenswerten kulturellen Substanz konzentrieren und neue kultu- Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, es relle Strukturen schaffen. Dies ist vorrangig Aufgabe ist sicher richtig, wenn Sie sagen, daß der Bundesin- der dortigen Kreise und Gemeinden sowie der Bun- nenminister diese Gespräche geführt hat. Ich bin desländer. trotzdem etwas neugierig und möchte wissen, ob es der Bundesinnenminister in Person war oder ob diese Die wünschenswerte kulturelle Begegnung von Gespräche von untergeordneten Personen geführt Polen, Tschechen und Deutschen im Rahmen der wurden und deshalb vielleicht auch nicht zu einem grenzüberschreitenden kulturellen Zusammenarbeit endgültigen positiven Ergebnis gekommen sind. der Kreise und Gemeinden beiderseits der Grenzen ist ohne Zweifel eine Aufgabe von nationaler Bedeutung Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege für die Bundesrepublik Deutschland. Dem steht nicht Dr. Rose, der Bundesminister des Innern in Person war entgegen, daneben auch finanzielle Gesichtspunkte da nicht involviert, sondern es handelt sich um Ober- oder verfassungsrechtliche Gründe zu sehen und legungen und Verhandlungen, die von Vertretern der gegebenenfalls zu berücksichtigen, z. B. also neben zuständigen Sachgebiete angestellt und geführt wor- der allgemeinen Mittelknappheit auch den neu aus- den sind. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß gehandelten Bund/Länder-Finanzausgleich ab 1995. ein solches Programm an sich durchaus auf unsere Sympathie gestoßen wäre, wenn — wie gesagt — das Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rose, eine notwendige Geld dafür hätte aufgebracht werden Zusatzfrage. können.

Herr Kollege Dr. Rose, Sie Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Vizepräsident Hans Klein: wenn Sie selber betonen, daß es auch eine nationale haben eine zweite Zusatzfrage. Aufgabe ist — die ist natürlich nur etwas wert, wenn (CDU/CSU): Die zweite Zusatzfrage, man auch finanzielle Mittel hat, um sie zu erfüllen —, Dr. Klaus Rose Herr Staatssekretär, kann logischerweise nur lauten: dann frage ich Sie, ob wir nicht analog der Debatte, die Wenn alle diese Beratungen auf der höheren Beam- wir vorhin hatten — wo wir durchaus einiges an Geld tenebene stattgefunden haben und offensichtlich für eine nationale Aufgabe, nämlich um den Transra- nicht vom Minister selber geführt wurden: Hat sich der pid zu bauen, hatten —, auch dafür Geld haben sollten Herr Minister persönlich nicht darum gekümmert, und ob in Ihrem Ministe um nachgedacht wird, Geld ri oder wäre es doch positiv ausgegangen, wenn er sich für diesen nationalen kulturellen Zweck einzupla- gekümmert hätte? nen. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Der Minister Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege hat sich persönlich darum gekümmert. Beispielsweise Dr. Rose, ich kann Ihnen versichern: In unserem war es Gegenstand eben der Haushaltsbesprechun- Ministerium ist nachhaltig und intensiv nachgedacht gen auf Ministerebene. Dort ist es angesprochen und auch gesucht worden. Nur, bei der uns auf erleg- worden. Die entsprechende Auskunft des Bundesfi- ten Knappheit der finanziellen Mittel — insbesondere nanzministeriums war leider negativ. Daraus mögen 18680 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner Sie ersehen, daß es nicht am Widerstand des Ministers Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege gescheitert ist. Kalb, das fällt mir sehr schwer. Selbst ein größerer Lottogewinn würde das nicht ermöglichen. Ich sehe Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Büttner, da keine realistische Chance. eine weitere Zusatzfrage. Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage, Herr Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ich habe dazu die Kollege Kalb? — Nein. Frage: Um welchen Be trag handelt es sich denn Dann rufe ich Frage 43, die ebenfalls der Kollege eigentlich, der hier im Raume stand? Hätte er nicht Kalb gestellt hat, auf: innerhalb einer Mittelumschichtung im Etat des Bun- Sieht die Bundesregierung in einem solchen Programm ein desinnenministeriums lockergemacht werden kön- geeignetes Instrument, die grenzüberschreitende kulturelle nen? Zusammenarbeit zu stärken und damit zugleich die vertragli- chen Vereinbarungen mit Polen und der Tschechischen Repu- blik in einem wesentlichen Punkt mit Leben zu erfüllen? Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen Eduard Lintner, Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. den genauen Be trag nicht nennen, weil bestimmte Kriterien aufgestellt worden sind und dann verschie- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesre- dene Projekte hätten zugeordnet werden müssen. Es gierung sieht in einem Regionalförderprogramm Kul- handelt sich aber mit Sicherheit um einen Betrag in tur für die Regionen an den deutschen Ostgrenzen einer Größenordnung, der durch Umschichtung nicht auch ein geeignetes Instrument, die grenzüberschrei- mehr hätte gewonnen werden können. tende kulturelle Zusammenarbeit zu stärken und die in den Verträgen mit Polen und der ehemaligen Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen? — Tschechoslowakei angestrebte Aussöhnung auch auf Herr Kollege Kalb, bitte. kommunaler Ebene nachhaltig zu unterstützen. Wenn hierfür Bundesmittel vorerst nicht bereitgestellt wer- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Darf ich hier in den können, so liegt dies ausschließlich an den Ergänzung der Antwort an den Kollegen Dr. Rose bekannten haushaltsmäßigen Zwängen. folgende Zusatzfrage stellen: Sind denn die Minister- gespräche im Aufstellungsverfahren des Haushalts Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage. 1995 schon abgeschlossen? Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Darf ich aus Ihrer Formulierung „vorerst" schließen, daß der Bundesin- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Zumindest diese Runde ist abgeschlossen. Da also dort die nenminister beabsichtigt, dieses Ziel trotzdem weiter- Auskunft war, daß an die Etablierung neuer Pro- zuverfolgen? gramme nicht zu denken ist, sehe ich im Moment Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Das ,,beabsich- keine Chance für weitere Runden. tigt" geht mir ein bißchen zu weit. Sie sehen, daß wir das inhaltliche Anliegen, das mit diesen Programmen Vizepräsident Hans Klein: Aus dem Kreise des verbunden war, durchaus für förderungswürdig anse- Hauses gibt es dazu weitere Zusatzfragen nicht. hen und deshalb bestrebt sein werden — wenn die Dann, Herr Parlamentarischer Staatssekretär rufe Chance sich bieten sollte —, in der Tat eine solche ich die Frage 42, die unser Kollege Bartholomäus Kalb Förderung vorzusehen. gestellt hat, auf: Zweite Zusatzfrage. Wie weit sind die Überlegungen der Bundesregierung gedie- Vizepräsident Hans Klein: hen, für die Gebiete an der deutsch-polnischen und deutsch- tschechischen Grenze ein regionales Kulturförderprogramm Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Staatssekre- aufzulegen? tär, ist der Bundesregierung hinreichend bekannt, welche Arbeit bereits jetzt von verschiedenen kultu- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege rellen Einrichtungen im Grenzbereich geleistet wird Kalb, die Antwort: Die Bundesregierung hat sich und in welcher Weise diese zum besseren Verständnis wegen der äußerst angespannten Haushaltslage des und besseren Miteinander in der Nachbarschaft füh- Bundes entschieden, die Pläne für die Schaffung eines ren? Regionalförderprogrammes Kultur für die Kreise und Gemeinden an der deutsch-polnischen und an der Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege deutsch-tschechischen Grenze 1995 vorerst nicht wei- Kalb, es ist uns bekannt und war unter anderem Grund ter zu verfolgen. Die Bundesregierung geht dabei dafür, warum wir dieses Projekt trotz einer relativ früh davon aus, daß die Länder Mecklenburg-Vorpom- abzusehenden Aussichtlosigkeit mit Nachdruck wei- mern, Brandenburg, Sachsen und Bayern infolge des terverfolgt haben, allerdings leider im Endeffekt nicht ab 1995 geltenden neuen Bund/Länder-Finanzaus- mit Erfolg. gleichs in der Lage sind, das Progamm auch ohne Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- Bundesbeteiligung finanziell zu tragen. lege Dr. Rose.

Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage? Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, die an sich begrüßenswerte Tatsache, daß auf der ande- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Könnten Sie sich, ren Seite der Grenze Kulturförderung für ehemalige Herr Staatssekretär, vorstellen, daß dennoch eine deutsche Kulturgüter stattfindet, führt im Grenzgebiet Situation eintreten könnte, die es dem Bundesinnen- natürlich zu einer gewissen Rivalität. Ist der Bundes- minister ermöglichen würde, ein solches Programm regierung bekannt, daß diese Rivalität auch nationale aufzulegen, wie zunächst beabsichtigt? Gefühle auslösen kann? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18681

Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Daß Kultur 19. Januar dieses Jahres mit den Stimmen der Koali- immer auch mit nationalen Gefühlen zusammenhän- tion beschlossen hat: gen kann und hängt, ist uns natürlich bekannt. Sie Der Ausschuß betont, daß die Bundesrepublik sprechen einen Aspekt an, der auch ein Grund für Deutschland kein Einwanderungsland ist. unsere Beamten war, über ein solches Programm nachzudenken. Wenn es sich nicht realisieren ließ, Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- dann nicht, weil wir es nicht für sinnvoll erachten, lege Jäger. sondern weil wir es nicht finanzieren können. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß wir Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, die natürlich nach wie vor auch im Westen der Bundesre- Bundesregierung teilt folglich die Auffassung, daß ein publik mit ganz erheblichen Mitteln wertvolle kultu- Einwanderungsland kein Land ist, in dem tatsächlich relle Einrichtungen fördern und — beispielsweise Einwanderungen stattfinden, sondern ein Land, das unter dem Stichwort „Leuchttürme" -- auch künftig solche Einwanderungen aus bevölkerungspolitischen fördern wollen. Dazu zählen auch Projekte entlang Gründen, zur Vermehrung der auf seinem Staatsge- der Grenze, wenn auch natürlich nicht die, die Gegen- biet lebenden Bevölkerung, ausdrücklich wünscht? stand dieses Förderprogramms hätten werden kön- nen. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, das könnte ungefähr die Definition sein. Zusatzfrage, Herr Kol- Vizepräsident Hans Klein: (Konrad Gilges [SPD]: Was heißt hier „unge lege Büttner. fähr"?) Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Staatssekre- Zweite Zusatzfrage. tär, ist der Bundesregierung bekannt, mit welchen Vizepräsident Hans Klein: Mitteln der Freistaat Bayern solche regionale Kultur- förderung betreibt? Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, nach- dem diese Aussage der Frau Kollegin Schmalz-Jacob- sen nun durch die ganze deutsche Presse gegangen Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Hier bin ich nicht kompetent, Auskunft zu geben, selbst wenn es und verbreitet worden ist: Ist die Bundesregierung mir bekannt wäre. bereit, den von Ihnen erfreulich klar vorgetragenen Standpunkt der Bundesregierung der deutschen Vizepräsident Hans Klein: Werden dazu weitere Öffentlichkeit ebenfalls in entsprechender Breite mit- Zusatzfragen gestellt? — Das ist nicht der Fall. - zuteilen? Dann kommen wir zur Frage 44, die der Kollege (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das machen Sie doch schon jetzt durch Ihre Claus Jäger gestellt hat. Herr Kollege Jäger, da sich Ihre Frage auf die Kollegin Schmalz-Jacobsen in ihrer Frage!) Eigenschaft als Ausländerbeauftragte bezieht, muß ich Sie darüber unterrichten — sie hat mich darüber Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege informiert —, daß sie selber heute leider nicht da sein Jäger, ich glaube nicht, daß irgendwelche Unkenntnis kann, weil sie zur gleichen Zeit den Bundeskongreß über den diesbezüglichen Standpunkt der Bundesre- der Ausländerbeauftragten in Hamburg zu leiten gierung in der deutschen Öffentlichkeit besteht. Denn hat. die Bundesregierung hat bei vielen Gelegenheiten, zuletzt in dieser öffentlichen Fragestunde, bekundet, Trifft es zu, daß die Ausländerbeauftragte des Bundes, Co rne- lia Schmalz-Jacobsen, Deutschland als Einwanderungsland daß sie Deutschland nicht für ein Einwanderungsland bezeichnet hat, und wird die Bundesregierung bejahendenfalls hält. unmißverständlich klarstellen, daß für sie Deutschland kein Einwanderungsland ist? Vizepräsident Hans Klein: Eine weitere Zusatzfrage: Ich bitte den Parlamentarischen Staatssekretär um Herr Kollege Lüder. die Beantwortung, soweit das ohne die Be troffene möglich ist. Wolfgang Lüder (F.D.P.): Herr Staatssekretär, ich will nicht auf den Beschluß des Arbeitsausschusses Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege zurückkommen, der vom Innenausschuß nur kurso- Jäger, die Erklärung, Deutschland sei ein Einwande- risch mitberaten wurde, obwohl er für diese Fragen rungsland, hat die Beauftragte nach mir vorliegenden zuständig wäre. Ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit Zeitungsmeldungen angeblich in ihrer Pressekonfe- sind, zu dem zu stehen, was die Bundesregierung renz zur Vorstellung des Berichts bei der Bundespres- kontinuierlich in Europa in der Konferenz der für sekonferenz am 3. März 1994 abgegeben. Das wird Einwanderungsfragen zuständigen Minister — wie es allerdings seitens des Amtes der Beauftragten bestrit- europäisch heißt — vertritt und z. B. im Dokument ten. vom 3. Dezember 1991 festgelegt ist, wo es heißt: Es kann aber auch dahinstehen, ob diese Meldun- Obwohl keiner der Mitgliedstaaten eine Politik gen zutreffen, denn diese Auffassung würde von der betreibt, die auf die Förderung der Zuwanderung als Bundesregierung jedenfalls nicht geteilt. solcher abzielt, muß dennoch festgestellt werden, daß Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf sie alle — Irland ausgenommen — de facto zu Zuwan- hinweisen, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozial- derungsländern — wie das europäisch heißt; Einwan- ordnung des Deutschen Bundestages bei der Behand- derung ist ja dasselbe — geworden sind. Ich frage Sie, lung einer Entschließung des Europäischen Parla- ob Sie bereit sind, wenigstens diese De-facto-Situa- ments zur europäischen Einwanderungspolitik am tion zu bestätigen. 18682 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege rung gibt. So gesehen haben Sie mich richtig verstan- Lüder, wir haben nie bestritten, daß Zuwanderung den. stattfindet. Aber wir haben immer darauf hingewie- (Konrad Gilges [SPD]: Jetzt weißt du, was los sen, daß der Begriff Zuwanderung nichts mit der ist! Dafür ist der doch da!) Definition der Bundesrepublik Deutschland als soge- nanntes Einwanderungsland zu tun hat. Vizepräsident Hans Klein: Sollen weitere sophisti- sche Untersuchungen angestellt werden? — Das ist Herr Kollege Dr. Weng. Vizepräsident Hans Klein: nicht der Fall. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Fra- Staatssekretär, halten Sie es für sinnvoll, eine solche gen 45 und 46 sollen ebenso wie die Fragen 47, 48, 49, Definition auch dann aufrechtzuerhalten, wenn die 50 und 51 schriftlich beantwortet werden. Die Antwor- öffentliche Meinung eine solche Definition nicht ten werden als Anlagen abgedruckt. kennt und auch empfindungsmäßig nicht akzeptieren Ich bedanke mich herzlich für Ihre Beantwortung. wird, sondern im Gegenteil der Auffassung ist, daß die Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- tatsächliche Zuwanderung eine Einwanderung ist? ums der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Funke zur Verfügung. Weng, ich glaube, Sie nehmen jetzt die öffentliche Die Frage 52 soll schriftlich beantwortet werden. Meinung zu Unrecht für Ihre Auffassung in Anspruch. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich glaube sehr wohl, daß zumindest die interessierte Wir kommen Frage 53 des Abgeordneten Öffentlichkeit zwischen einem Einwanderungsland zur Joachim Hörster: oder einem Einwanderungsgesetz, wie es ja gelegent- lich gefordert worden ist, und einer faktischen Zuwan- Treffen Pressemeldungen zu, daß der Generalbundesanwalt Dokumente, die vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des derung zu differenzieren weiß. Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR verwahrt wer- den, wegen eines Strafverfahrens gegen den früheren parla- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege mentarischen Geschäftsführer der Fraktion der SPD, Karl Wie- Dr. Hirsch. nand, für die Öffentlichkeit hat sperren lassen, und wenn ja, aufgrund welcher gesetzlichen Vorschrift? Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Staatssekretär, ohne daß ich auf die feinsinnige Unterscheidung Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- zwischen Zu- und Einwanderung ein- oder zugehen- ministerin der Justiz: Herr Präsident! Herr Kollege will, frage ich Sie: Können Sie uns in diesem Zusam- Hörster, der Generalbundesanwalt hat in dem von ihm menhang sagen, wie viele Menschen etwa in den gegen den früheren Parlamentarischen Geschäftsfüh- letzten 20 Jahren zum dauernden Aufenthalt in die rer der SPD-Bundestagsfraktion Karl Wienand Bundesrepublik gekommen sind und ab wie vielen geführten Ermittlungsverfahren wegen Verdachts Menschen Sie das Wort Einwanderungsland wählen geheimdienstlicher Agententätigkeit am 13. Januar würden? 1994 gegenüber dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehema- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege ligen DDR unter Hinweis auf § 5 Abs. 2 Satz 1 des Dr. Hirsch, das hat weniger mit der Zahl zu tun als mit Stasi-Unterlagengesetzes erklärt, daß eine Verwen- der Art und Weise, wie eine derar tige Zuwanderung dung der dort befindlichen MfS-Unterlagen über die abläuft. Wenn wir jetzt definieren würden, daß wir Zusammenarbeit von zwei Personen mit den Deckna- bestimmte Kontingente von bestimmten Nationalitä- men Streit und Krüger die Durchführung des Verfah- ten, Berufsgruppen oder sonstigen Eigenschaften zu rens beeinträchtigen würde. Deshalb ist auf Grund der akzeptieren bereit sind, so wäre das eine staatlich vorgenannten Bestimmung die Verwendung dieser gewünschte und kontrollierte Einwanderung. Diese Unterlagen für andere Personen zur Zeit nicht zuläs- wollen wir unstreitig nicht. sig. Das, was Sie schildern und was sicherlich Millionen von Menschen in den letzten 20 Jahren bet rifft, war Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- eben kein solcher Vorgang, sondern eine Zuwande- lege Hörster. rung aus diversen Gründen. Joachim Hörster (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Büttner. da die Akten vorher einsehbar waren, da es sich bei dem Gegenstand der Akten doch offenbar um eine Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ihre Antwort auf Person der Zeitgeschichte handelt: Welchen Effekt die Frage des Herrn Kollegen Hirsch verleitet mich zu soll denn die Sperrung der Akten jetzt bewirken? einer weiteren Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, daß die Bundesregierung die Bundesrepublik zwar Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Der General- nicht als kontrolliertes Zuwanderungsland be trachtet, bundesanwalt geht zu Recht davon aus, daß die aber als ein unkontrolliertes Zuwanderungsland? Sperrung der Unterlagen der einwandfreien Ermitt- lung im Strafverfahren dient und hat deswegen die Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sperrung — wenigstens zur Zeit — der Gauck es findet sowohl eine kontrollierte Zuwanderung als Behörde mitgeteilt. Diese Sperrung wird aufgehoben, auch eine unkontrollierte Zuwanderung statt, weil es sobald hier keine weiteren Ermittlungen vom Gene- nämlich illegale Zuwanderung und legale Zuwande- ralbundesanwalt zu erfolgen haben. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18683

Vizepräsident Hans Klein: Eine zweite Zusatz- quenz nicht, daß hier tatsächlich die Frage etwas zum frage. Ausdruck bringt, was nicht Tatsache ist?

Joachim Hörster (CDU/CSU): Könnte die Sperrung Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Das Ermittlungs- auch damit zusammenhängen, daß die Akten erst verfahren — das ist auch eindeutig geklärt, Herr kürzlich aufgefunden und ausgewertet worden sind Kollege Weng — wird im Rahmen der Strafprozeßord- und deswegen eine vorherige Einsehung in die Akten nung geführt. Wenn hinreichende Verdachtsmo- de facto gar nicht möglich war? mente vorliegen, wird Anklage erhoben. Der Generalbundesanwalt hat nunmehr zu untersu- Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege chen, ob im Rahmen seiner Ermittlungen festgestellt Hörster, Sie wissen, daß ich nicht ermittelnder Gene- werden kann, daß hinreichende Gründe für die Eröff- ralbundesanwalt bin. Deswegen halte ich diese Frage nung eines Strafverfahrens vorliegen. Nichts anderes für unzulässig. Ich kann sie Ihnen so nicht beantwor- ist hier im Fall Wienand auch geschehen. ten. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Meine Frage war aber anders!) Vizepräsident Hans Klein: Kollege Jungmann, bitte. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Büttner. Horst Jungmann (Wittmoldt) (SPD): Herr Staatsse- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: kretär, ist es richtig, daß gegen Herrn Wienand kein Darf man, wenn die Frage überhaupt nicht Strafverfahren, wie es in der Frage steht, läuft und beantwortet wird, diese Frage noch einmal deshalb die Akten gesperrt sind, sondern erst ein stellen?) Ermittlungsverfahren? — Das ist dann unser Pech auf seiten des Hauses. Aber das ist auf der anderen Seite die Souveränität der Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Es ist ein Ermitt- Bundesregierung. lungsverfahren, ja. Herr Büttner, bitte. (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Also (Dr. Uwe Küster [SPD]: Hier passieren kein Strafverfahren! — Joachim Hörster Sachen!) [CDU/CSU]: Ein strafrechtliches Ermitt- lungsverfahren!) Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Staatssekre- Ich weiß nicht, wo Sie da Unterschiede machen, - tär, darf ich Sie dann noch einmal ganz konkret Herr Kollege. fragen: Ist nach Auffassung der Bundesregierung ein (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Es steht Ermittlungsverfahren mit einem Strafverfahren in der Frage anders! —Dr. Uwe Küster [SPD]: gleichzusetzen? Der Hörster macht aber Unterschiede! Sonst hätte er es richtig formuliert! — Joachim Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Nein. Das habe Hörster [CDU/CSU]: Ich habe richtig formu- ich auch nicht behauptet. Ich habe hier die stufen- liert!) weise Entwicklung dargestellt. Es wird zur Zeit ermit- telt. Ob es zum Strafverfahren kommt, wird sich auf Vizepräsident Hans Klein: Lassen Sie bitte den Grund dieser Ermittlungen ergeben. Staatssekretär ausreden. (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Also, er hat schon wieder Gift gespritzt!) Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Es ist ein Ermitt- lungsverfahren, und im Rahmen dieses Ermittlungs- — Da ist überhaupt nichts mit Giftspritzen, wenn ich verfahrens wird geprüft, ob ein Strafverfahren anhän- das so sagen darf. gig gemacht werden soll. Ich sehe da also nicht, wo Sie die feinen Differenzierungen machen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Gansel. (Konrad Gilges [SPD]: Das ist aber ein Unter- schied! — Horst Jungmann [Wittmoldt] Norbert Gansel (SPD): Herr Staatssekretär, würden [SPD]: Bei einem Strafverfahren ist Anklage Sie sich noch einmal die Frage 53 des Abgeordneten erhoben!) Hörster ansehen und die Freundlichkeit haben, gegenüber dem Plenum und der Öffentlichkeit klar- Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, keine Kom- zustellen, daß es kein Strafverfahren gibt, sondern es mentierung der Antworten. — Bitte, Herr Kollege sich allenfalls um Ermittlungen des Generalbundes- Dr. Weng. anwalts handelt und die Frage insofern von einer (Konrad Gilges [SPD]: Wenn die Ermittlung falschen Voraussetzung ausgeht? nicht zu einem Strafverfahren führt? — Parl. Staatssekretär Rainer Funke: Das habe ich Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege auch nicht gesagt!) Gansel, wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie festgestellt, daß ich gesagt habe: Er führt ein Ermitt- Dr. Wolfgang Weng (Geringen) (F.D.P.): Herr lungsverfahren wegen Verdachts geheimdienstlicher Staatssekretär, ist es so, daß erst nach Klageerhebung Tätigkeit. Ich habe das Wort „Strafverfahren" nicht von dem Strafverfahren die Rede sein kann und bis zu benutzt. diesem Zeitpunkt von dem Ermittlungsverfahren die (Konrad Gilges [SPD]: Sie hätten dem Fra Rede ist, oder ist es anders? Heißt das in der Konse- geinhalt widersprechen müssen!) 18684 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Parl. Staatssekretär Rainer Funke — Herr Kollege, wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Es ist das Schick- Sie ohne weiteres erkennen können, daß ich nur vom sal von Abgeordneten, aber auch von Mitgliedern der Ermittlungsverfahren und nicht vom Strafverfahren Bundesregierung, daß sie gelegentlich falsch in der gesprochen habe. Presse zitiert werden.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lüder. Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall. Wolfgang Lüder (F.D.P.): Herr Staatssekretär, Dann rufe ich Frage 55 auf, die der Kollege Claus könnte es sein, daß die Begriffe „Strafverfahren" und Jäger gestellt hat: „Ermittlungsverfahren" im Volksmund und damit Wie viele Strafverfahren wegen Tötung ungeborener Kinder auch im Plenum so unscharf voneinander ge trennt (§ 218 StGB) sind im Jahre 1993 — getrennt nach der Zeit vor und sind wie die beiden Begriffe „Zuwanderung" und nach dem 16. Juni — von den Strafverfolgungsbehörden einge- „Einwanderung" und damit die gleiche Problematik leitet worden, und wie viele davon sind jeweils durch ein erstinstanzliches Urteil durch Bestrafung und durch Freispruch betreffen? entschieden worden?

Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lüder, haben Sie bitte Verständnis dafür, daß ich das Jäger, aus den vorhandenen Statistiken der Straf- Hohe Haus nicht bewerten möchte. Es steht mir nicht rechtspflege läßt sich Ihre Frage leider nicht beant- zu, das Haus zu kritisieren, ob es der allgemeinen worten. Angaben über Ermittlungsverfahren werden Sprachregelung folgt oder zwischen Ermittlungsver- in der sogenannten „Zählkartenerhebung in Ermitt- fahren und Strafverfahren differenziert. lungsverfahren und Verfahren nach dem Ordnungs- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr gute Antwort!) widrigkeitengesetz bei den Staats- und Amtsanwalt- schaften", kurz: StA-Statistik, erhoben. Tatbestände, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Jäger. nach denen ermittelt wurde, werden in dieser Sta tistik nicht erfaßt. Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist es Über Verurteilungen und Freisprüche gibt die Straf- jetzt endgültig richtig, wenn ich sage, daß es sich um verfolgungsstatistik Auskunft. Dort sind auch Anga- ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren handelt? ben über Straftatbestände, nach denen angeklagt Denn andernfalls hätten die Unterlagen gar nicht oder verurteilt wurde, enthalten. Die Strafverfol- gesperrt werden dürfen. gungsstatistik wird allerdings nur jährlich erstellt. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Da ist doch kein Monats- oder auch nur Halbjahresangaben über Ver- Honig zu holen!) urteilungen oder Freisprüche sind nach dieser Stati- stik nicht möglich. Zudem erfaßt die Strafverfolgungs- Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Auch dies habe statistik nur rechtskräftig abgeschlossene Verfah- ich Ihnen schon gesagt, allerdings vor zehn Minu- ren. ten. Die Ergebnisse für das Jahr 1993 liegen noch nicht vor. Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen dazu liegen nicht vor. Vizepräsident Hans Klein: Zusatz. Ich rufe die Frage 54 des Kollegen Hörster auf: Für wann ist ggf. mit der Aufhebung dieser Sperre zu rechnen, Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, da so daß die interessierte Öffentlichkeit Kenntnis vom Inhalt dieser Ihnen ja unschwer erkennbar ist, was der Grund Dokumente nehmen kann? meiner Nachfrage ist, nämlich Erkenntnisse darüber Ich bitte Herrn Parlamentarischen Staatssekretär zu gewinnen, wie die Neuregelung des Strafrechts im um die Beantwortung. Kontext des § 218 nach dem Spruch des Verfassungs- gerichts, das eine Übergangsregelung eingeführt hat, Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Nach gegenwär- im Gegensatz zu der Zeit vorher aussieht, als unter- tiger Einschätzung des Generalbundesanwalts schiedliches Recht in den beiden Teilen Deutschlands könnte die sogenannte Sperrerklärung nach Ab- gegolten hat, möchte ich Sie fragen: Hat die Bundes- schluß bereits veranlaßter Vernehmungen und damit regierung nicht selber aus eigenem Interesse, um in absehbarer Zeit aufgehoben werden. diese Erkenntnis zu erlangen, darüber Erhebungen angestellt? Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- lege Hörster. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist hierzu gar nicht in der Lage. Wie Joachim Hörster (CDU/CSU): Ich habe nur eine Sie wissen, sind die Landesjustizverwaltungen Behör- Zusatzfrage — Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit den der Länder. Wir können also insoweit gar nicht die mir darin überein, daß -- bezogen auf die vorhin Statistiken der Länder führen oder sie kontrollieren. erörterte Frage — Grundlage der Fragestellung der Wir haben noch nicht einmal auf diese Statistiken Bezug auf eine Pressemeldung und weder eine Zugriffsmöglichkeiten. Wir können also nicht sagen, Behauptung des Justizministeriums noch eine Be- daß nach einem bestimmten Zeitpunkt, eines Urteils hauptung des Fragestellers war? beispielsweise, eine neue Statistik einzuführen ist. (Konrad Gilges [SPD]: Er hat sie aber unkri- (Vorsitz: Vizepräsidentin ) tisch übernommen! — Horst Jungmann Wir können die Landesjustizverwaltungen auch nicht [Wittmoldt] [SPD]: Und das war ihm genehm! anweisen, bestimmte Statistiken zu führen. Das ist uns Das wollte er!) auf Grund unserer Verfassung verwehrt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18685

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatz- Verhinderung schwerwiegender Kriegswaffen- und Ausfuhrde- likte das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu beschrän- frage. ken?

Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ich Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär beim habe von Anweisen und von einer neuen Zuständig- Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hirsch, keit nicht geredet. Aber wäre es denn nicht im seit Oktober 1992 hat das Zollkriminalamt in insge- Interesse auch der Bundesregierung selber, die sich samt 11 Verfahrenskomplexen Anträge nach §§ 39H. ein zutreffendes Bild machen muß, wie in einem des Außenwirtschaftsgesetzes gestellt. solchen Bereich die Änderung der materiellen Rechts- lage auf die Rechtsprechung wirkt, mit den Ländern Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatz- auf der Basis freiwilligen, gegenseitigen Zusammen- frage. arbeitens zu reden, um auf diese Art und Weise Erkenntnisse zu gewinnen, wie sich gegenüber der Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Haben Sie Unterlagen Zeit vor dem 16. Juni 1993 die Rechtsentwicklung auf darüber, wie viele Anschlüsse davon be troffen wur- Grund der einstweiligen Anordnung des Bundesver- den? Es kann sich ja um Anschlüsse von Einzelperso- fassungsgerichts vollzogen hat? nen oder um Firmenanschlüsse, die eine unbestimmte Vielzahl von Menschen betreffen, handeln. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Auch wenn es wünschenswert wäre, ist dies nicht ohne weiteres für Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Diese die Bundesregierung möglich. Ich habe ja dargelegt, Frage führt, Herr Kollege Hirsch, wenn ich Sie richtig daß die Landesjustizverwaltungen diese Statistiken in verstehe, darauf zurück, was Gegenstand dieser Ver- eigener Verantwortung führen und wir auf diese fahrenskomplexe war. Diese Frage kann ich Ihnen Statistiken keinen Einfluß haben. beantworten. Es waren, wenn ich es richtig sehe, in Was wir machen können, ist, auf Grund des Bun- vier Fällen beabsichtigte Verstöße gegen das Kriegs- desstatistikgesetzes oder anderer begleitender Ge- waffenkontrollgesetz. In den übrigen Fällen ging es setze den Ländern vorzuschreiben, daß sie über um geplante Zulieferungen zu Nuklear- und Raketen- bestimmte Straftatbestände Statistiken zu führen programmen verschiedener sensibler Länder. In haben. Dieses ist im übrigen auch in dem Fraktions- einem weiteren Fall ging es um militärische Güter für entwurf zum Schwangeren- und Familienhilfeände- den Irak. rungsgesetz vorgesehen, der Ihnen bekannt ist. Hier hatte uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Sie bringen mich jetzt daß einzelne Fragen der Statistik genauer zu regeln in eine schwierige Lage, denn Sie haben mich völlig sind, als es in den bisherigen statistischen Vorschriften mißverstanden. Nur, ich frage mich, ob ich, wenn ich der Fall gewesen ist. das Mißverständnis jetzt durch eine weitere Frage aufklären will, meine zulässige zweite Zusatzfrage verbrauche. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Lüder. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Da Sie hier einer besonders großzügigen Präsidentin gegenübersitzen, Wolfgang Lüder (F.D.P.): Herr Staatssekretär, da wir uns in dieser Fragestunde um sprachliche Schärfe dürfen Sie dieses Mißverständnis aufklären, Herr bemühen, frage ich, ob „Tötung ungeborener Kin- Kollege. der" neuerdings die Definition der bundeseinheitli- Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Staatssekretär, chen Statistik ist, unter der Verdächtigungen wegen die Frage bezog sich nicht auf die Art der Delikte, Vergehen gegen § 218 firmieren. sondern auf die Art der abgehörten Anschlüsse. Es können Telefonanschlüsse von Einzelpersonen sein, Parl. Staatssekretär: Ich habe mir Rainer Funke, und es können Telefonanschlüsse von Unternehmen lange überlegt, ob ich zu dieser Formulierung, die sein mit der Folge, daß von der jeweiligen Kontroll- Herr Kollege Jäger gefunden hat, einen Hinweis in maßnahme eine unbestimmte Vielzahl von Personen meiner Antwort geben sollte. Da ich aber meine, daß erfaßt wird. Mein Interesse ist, zu erfahren: Wie viele die Bundesregierung an sprachlichen Formulierun- Menschen, die Telefongespräche führen wollten, gen von Abgeordneten möglichst wenig K ritik äußern haben Sie denn auf Grund dieser Vorschrift erfaßt? sollte, habe ich es unterlassen. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Das Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- kann ich — jedenfalls in dieser differenzierten Frage- fragen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende dieses stellung — nicht beantworten. Aber es waren selbst- Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Herr Staatsse- verständlich Einzelpersonen und auch mehrere. Das kretär. ZKA verfügt, wenn ich es richtig weiß, über die Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Möglichkeit, etwa 150 Fernsprechanschlüsse und nisteriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Fernschreibanschlüsse zu überwachen. Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Joachim Grüne- wald zur Verfügung. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt noch die Ich rufe Frage 56 des Kollegen Dr. Burkhard Hirsch zweite Zusatzfrage. auf: (F.D.P.): Können sie mir sagen, In wie vielen Fällen ist bisher von der Ermächtigung Gebrauch Dr. Burkhard Hirsch gemacht worden, die durch das Außenwirtschaftsgesetz vom in wieviel Fällen, in denen das ZKA auf Grund des 28. Februar 1992 dem Zollkriminalamt gegeben worden ist, zur Außenwirtschaftsgesetzes tätig geworden ist, gleich- 18686 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Burkhard Hirsch zeitig auch die Vorschriften des § 100a StPO ausrei- zugestehen, daß diese Frage im nachhinein schlech- chend gewesen wären, und in wieviel Fällen Sie die terdings nicht zu beantworten ist. Telefonkontrolle wirklich nur mit Hilfe des Außen- (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Oh!) wirtschaftsgesetzes erreicht haben, also Tatbestän- Ich kann Ihnen nur sagen, daß es in einigen Fällen zur den, bei denen noch nicht einmal ein Anfangsver- Einleitung von komplexen Strafverfahren gekommen dacht vorlag? ist. Ich habe Ihnen soeben ein Beispiel bilden dürfen, bei dem ich aus meiner Kenntnis nachweisen konnte, Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich daß diese Vorschriften schon einen Sinn machen, weil kann Ihnen nicht sagen, in wie vielen Fällen. Aber mir es ohne die Instrumente der §§ 39 ff. AWG nicht zum ist aus der Diskussion um die Verlängerung der F rist Verfahren gekommen wäre. bekannt, daß staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nicht weitergeführt worden sind — obgleich es einen Eine zweite begründeten Anfangsverdacht gab —, weil es an Vizepräsidentin Renate Schmidt: Beweismitteln ermangelte, und es erst durch die Zusatzfrage. Möglichkeiten der §§ 39 ff. des Außenwirtschaftsge- setzes zu einer Beweislage gekommen ist, daß die- Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Vielleicht kann ich die selbe Staatsanwaltschaft, die schon vorher tätig Frage noch einmal präzisieren. Es muß doch klar und geworden ist, Ermittlungsverfahren einleiten feststellbar sein und auch Unterlagen darüber konnte. geben —, in wieviel Fällen es zu Strafverfahren wegen (Konrad Gilges [SPD]: Wie viele waren illegaler Waffenexporte gekommen ist, nachdem es das?) eine Telefonmaßnahme auf der Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes gegeben hat, und — im — Ich habe gesagt, ich kann nicht sagen, wie hoch die Vergleich dazu — in wieviel Fällen Strafverfahren bei Zahl war. denselben Deliktsarten eingeleitet worden sind, ohne daß eine Telefonkontrolle nach dem Außenwirt- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- schaftsgesetz — sondern vielleicht eine nach § 100 a fragen — außer durch Zwischenrufe — liegen nicht StPO oder überhaupt keine — nötig war. vor. Ich rufe Frage 57, wiederum vom Kollegen Dr. Burk- Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Den hard Hirsch, auf: ersten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Hirsch, kann ich In wie vielen Fällen haben Post- oder Telefonüberwachungen beantworten und habe ich beantwortet. auf Grund des Außenwirtschaftsgesetzes zur Aufdeckung oder Verhinderung illegaler Expo rte geführt? Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich habe Zweifel, ob es dafür statistische Unterlagen gibt. Ich werde mich aber bemühen, das herauszufinden. Wenn es solche Parl. Staatssekretär: In vier Dr. Joachim Grünewald, statistischen Unterlagen in der von Ihnen angestreb- Fällen, Herr Kollege Hirsch, ist es durch die Überwa- ten Differenzierung gibt, darf ich mir erlauben, sie chungsmaßnahmen nach dem Außenwirtschaftsge- Ihnen nachzureichen. setz zur Aufdeckung oder Verhinderung von illega- len Exporten gekommen. In diesen Fällen konnte im Rahmen der auf Grund der Überwachungsmaßnah- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere men eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsver- Zusatzfrage des Kollegen Gansel. fahren festgestellt werden, daß in den vergangenen Jahren in erheblichem Maße illegale Exporte stattge- Norbert Gansel (SPD): Ist die Bundesregierung funden haben. denn nun bereit, nachdem schon Staatssekretär Kolb Der zweifellos größte Erfolg besteht in der Aus- in der Debatte vom 4. März hier im Bundestag als schaltung des deutschen Hauptlieferanten zum einen Erfolg des neuen § 39 AWG dargestellt hat, daß Nuklearprogramm eines fremden sensiblen Landes man das Nuklearbeschaffungsprogramm eines frem- und der Enttarnung seiner Beschaffungsorganisation den Staates enttarnt und seine deutsche Kauforgani- in Deutschland und in Westeuropa. Die Beschaffungs- sation zerschlagen habe, dem Bundestag und der bemühungen dieses Staates im Bereich der Nuklear- Öffentlichkeit zu sagen, um welches Land es sich technologie wurden ganz empfindlich gestört. handelt und wer die Hauptlieferanten waren? Das sind doch keine Dinge, die unter die Intimsphäre Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatz- fallen. Das sind politische Angelegenheiten. Da muß frage. man uns doch sagen, worum es sich dabei h andelt.

Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Da es mir um die Frage Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Herr der Wirksamkeit dieser Bestimmungen geht und Sie Kollege Gansel, dazu sehe nicht nur ich mich, sondern sagen, in vier Fällen hätten sie zu Erfolgen geführt, sieht sich auch die Bundesregierung — es sind ja auch möchte ich Sie fragen, in wieviel Fällen Strafverfahren andere Ressorts be troffen — außerstande. Sie wissen eingeleitet worden sind, ohne daß Maßnahmen des genau, daß wir für die Maßnahmen nach §§ 39 ff. AWG Außenwirtschaftsgesetzes im Spiel waren. ein Fünfergremium von Abgeordneten haben, dem wir mitteilen, wann wir ins Post-, B rief- und Fernmel- degeheimnis im Ausnahmefall eingreifen müssen. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, Sie wollen mir sicherlich — auch (Norbert Gansel [SPD]: Hier geht es doch aufgrund unserer Begegnungen über viele Jahre — nicht um Abhören!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18687

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- fragen liegen im Moment nicht vor. kanzler: Herr Kollege Gansel, ich will, damit kein Damit kommen wir zur Frage 58 des Kollegen Mißverständnis bleibt, darauf antworten, weil Ihr Norbert Gansel: Fragenkomplex geteilt war und der Kollege Grüne- Trifft es zu, daß im Zusammenhang mit dem Bau der „Gift- wald auf die staatsanwaltschaftliche Ermittlung und gasanlage in Tarhuna/Libyen" vor dem Landge richt Stuttgart die Erfahrung der Bundesregierung aus seinem Res- Anklagen wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz sort, Mai 1993, hingewiesen hat. erhoben worden sind, und wann hat die Bundesregierung Es ist richtig, Herr Kollege Gansel, daß besagter Kenntnis davon erhalten? Vorgang früher als Erkenntnis vorlag, weil Hinweise Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Herr einer Firma an die Bundesregierung darauf hindeute- Kollege Gansel, der Bundesregierung ist bekannt, daß ten, daß es eine Firma geben könnte, die, analog den die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verstoßes Umständen Rabta I, versuchen könnte, entsprechende gegen die Außenwirtschaftsbestimmungen in einem Waren zu liefern. Dabei war dieser Fall Tarhuna nicht Fall, der im Zusammenhang mit einer Anlage zur erkannt. Trotzdem ist die Bundesregierung dieser Herstellung von chemischen Waffen in Libyen stehen Geschichte nachgegangen. Das hat dazu geführt, daß soll — stehen soll! —, gegen mehrere Personen dieses Verfahren, das jetzt besteht, eine andere Aus- Anklage erhoben hat. Ob sich der Tatvorwurf auf eine gangssituation hat, nämlich das Erkennen einer mög- Anlage in Tarhuna bezieht, ist der Bundesregierung lichen Straftat und das Verhindern einer Straftat. nicht bekannt. Trotzdem hat dies ein Verfahren nach sich gezogen, über das der Kollege gesprochen hat. Da Sie zu Recht Die Bundesregierung hat Ende Mai 1993 von dieser vermuten, daß die Hinweise vor 1993 lagen, sage ich Anklageerhebung Kenntnis erhalten. Ihnen, es muß der Zeitraum 1990 gewesen sein, seitdem dieses bekannt war. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage des Kollegen Gansel. Es ist auch richtig, wie in Ihrer Frage bereits vermutet, daß aus Kenntnis des Vorgangs Rabta I eine Norbert Gansel (SPD): Handelt es sich dabei um die Sensibilität entstanden ist für einen ganz sensiblen Fortsetzung des Rabta-Projekts, und gehe ich richtig Teil der Anlage Rabta I. in der Annahme, daß offenbar ein deutsches Unter- nehmen an diesem Projekt möglicherweise weiter Vizepräsidentin Renate Schmidt: Dann kommen wir mitgemacht hat zu der Zeit, als wir hier im Deutschen zur Zusatzfrage des Kollegen Gansel. Bundestag über den Rabta-Skandal diskutiert haben, und daß die Bundesregierung davon erst Ende Mai Norbert Gansel (SPD): Trifft es also zu, daß es dabei 1993 erfahren haben will, obwohl es Presseberichte um die Lieferung eines ProzeBleitsystems und einer über dieses Verfahren gibt, die von Anfang Mai 1993 Steuerungsanlage ging, die zur Steuerung einer Gift- datieren? gasfabrik geeignet war, die von einer deutschen Firma über eine holländische Firma nach Saudi- Arabien und von dort nach Libyen geliefert werden Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Das ist ein Bündel von Fragen, Herr Kollege Gansel. sollte? Ich frage anders: Ist das der klassische Fall, der (Norbert Gansel [SPD]: Zwei!) durch den § 5 c der Außenwirtschaftsverordnung und Zunächst einmal muß ich Ihnen erwidern dürfen, die Länderliste H genehmigungspflichtig und kontrol- daß ich aus rechtlichen Gründen gehindert bin, zu lierbar gemacht werden soll, so wie wir es im Bundes- dem Gegenstand des laufenden Verfahrens, von dem tag beschlossen haben, und sollte dies nicht Anlaß für ich gerade gesprochen habe, Stellung zu nehmen. die Bundesregierung sein, den Forderungen nach Dafür sind das zuständige Ge richt und die Staatsan- Liberalisierung und Auflockerung in diesem Bereich waltschaft zuständig. entschieden entgegenzutreten? Dann haben Sie in einem ganz anderen Komplex eine Brücke zu den abgeschlossenen — beklagens- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege werten — Vorgängen um Rabta geschlagen. Ich kann Gansel, das Instrument, das wir zur Verfügung hatten, Ihnen nicht sagen, ob es hier einen Zusammenhang hat in diesem Fall eindeutig gegriffen: early warning- gibt. Wohl ist zutreffend, daß wir uns darüber Sorge Schreiben, das Aufmerksammachen auf bestimmte gemacht haben, daß es vielleicht irgendwo einen sensible Firmen, die mit sensiblen Gütern handeln. Es zweiten Fall einer solchen C-Waffenanlage geben ist deshalb nicht zu diesem Verfahren gekommen. Das könnte. hätte so sein können, wie Sie es beschrieben haben. Ich will das nicht dementieren. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite Zusatzfrage. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Büttner. Norbert Gansel (SPD): Will der Herr Kollege Schmidbauer darauf antworten? — Dann warte ich Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Da Ihren Ausfüh- noch. Ich kann mir vorstellen, daß Herr Schmidbauer rungen zu entnehmen ist, daß die Bundesregierung noch ergänzen will. über die über Rabta hinausgehenden weiteren Vor- gänge schon seit längerem Bescheid weiß: Wie inter- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es ist ja auch eine pretieren Sie die Aussage des Staatssekretärs Göhner Frage an die Bundesregierung. — Bitte, Herr Schmid- in der Fragestunde vom 3. März 1994, der erklärt hat, bauer. es gebe nur vage Hinweise — obwohl schon damals 18688 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Hans Büttner (Ingolstadt) Anklage erhoben worden ist und obwohl, wie wir von haben die Überwachungsbehörden noch in derselben Ihnen heute erfahren haben, die Bundesregierung Woche die Staatsanwaltschaft unterrichtet. schon wesentlich konkretere Hinweise auf entspre- Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlun- chende Vorgänge hatte? gen haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß das Unternehmen von einer potentiellen sensiti- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, ven Verwendung der gelieferten Waren, bei denen es ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage, denn auch sich um Baumaschinen im weiteren Sinne handelte, das, was der Kollege Göhner gesagt hat, muß genau Kenntnis hatte oder daß die Waren tatsächlich nach nachgelesen werden. Er hatte recht. Er hatte darauf Tarhuna gelangt waren. Das Ermittlungsverfahren hingewiesen, daß es im Jahre 1989/90 vage Hinweise wurde deshalb von der Staatsanwaltschaft einge- auf eine vermutete CW-Kampfgasproduktionsstätte stellt. gab. In der Sensibilität Rabta I gab es vage Vermutun- Auch die übrigen Hinweise im Zusammenhang mit gen, daß dort eine weitere Produktionsstätte entsteht. der möglichen Errichtung einer zweiten CW-Anlage Das ist richtig. in Libyen bzw. in Tarhuna hat die Bundesregierung Ich habe, weil dieses Mißverständnis nicht in der unverzüglich an die zuständigen Behörden weiterge- Welt sein sollte und konnte, erklärt, daß diese Speku- geben. Die zuständigen Behörden sind auch in diesen lation über einen völlig anderen Standort und ähnli- Fällen jedem Hinweis unverzüglich nachgegangen. ches — ich möchte es gar nicht ausführen — dadurch Die diesbezüglichen Recherchen ergaben jedoch konkretisiert wurde, daß wir im August 1992 verifi- keine Anhaltspunkte für Zuwiderhandlungen gegen ziert haben. Es ist eine klare Situation entstanden die Außenwirtschaftsbestimmungen. Insoweit ist nach — übrigens wurde über viele Möglichkeiten speku- Kenntnis der Bundesregierung eine Anzeige bei einer liert und vielen Hinweisen nachgegangen —, und es Staatsanwaltschaft nicht erfolgt. hat am Ende völlig anders ausgesehen, nämlich so, daß 1992 — an anderer Stelle, aber verifiziert — eine Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die erste Zusatz- solche Anlage entstehen sollte. frage, bitte.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich lasse jetzt noch Horst Jungmann (Wittmoldt) (SPD): Herr Staatsse- eine letzte Zusatzfrage zu; auch die Frage 59 wird kretär, vielleicht können Sie in der Antwort auf meine noch beantwortet. Dann schließen wir die Frage- Zusatzfrage noch das Jahr der Weitergabe nennen, stunde. Sie ist von der Zeit her bereits überzogen. weil Sie nur vom Monat gesprochen haben. Bitte, Frau Kollegin Schmidt-Zadel. Sind in diesem Zusammenhang durch die Bundes- regierung Hinweise an das Zolikriminalinstitut und Regina Schmidt-Zadel (SPD): Trifft es zu, daß das Bundesausfuhramt gegeben bzw. Maßnahmen sowohl die Stuttgarter Handelsfirma Rose GmbH wie getroffen worden? Sind von diesen Behörden Be- auch das Ulmer Unternehmen Abakus wegen des triebsprüfungen durchgeführt worden? Wie viele Versuchs der Lieferung einer Steuerungsanlage nach Unternehmen waren beteiligt? Libyen angeklagt worden sind, die für den Bet rieb einer Giftgasanlage geeignet oder bestimmt ist? Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Herr Jungmann, ich darf mich zum ersten Teil Ihrer Frage Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich werde dar- wiederholen. Es ist vielleicht untergegangen: Ich habe auf keine Antwort geben können. Mein Kollege hat exakt das Datum 1. September 1992 als Weiterlei- soeben schon ausgeführt, daß es staatsanwaltschaftli- tungstermin genannt und gesagt, daß die Sache noch che Ermittlungen gibt. Sie können sich aber aus den in derselben Woche an die Staatsanwaltschaft weiter- heutigen Fragestellungen einiges zusammenreimen. gegeben worden ist. Das war der erste Teil. Wenn Sie nähere Auskunft haben wollen, empfehle Zum zweiten Teil: Natürlich sind das Zollkriminal- ich Ihnen, mit einem Kollegen der PKK zu sprechen. amt und der Zollfahndungsdienst, der in der Zustän- Sie können aber auch unmittelbar mit mir Kontakt digkeit des Bundesfinanzministers ressortiert, in die- aufnehmen. sen Bereichen tätig gewesen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die zweite und damit zur Frage 59 des Kollegen Horst Jungmann: letzte Zusatzfrage, bitte. Wann hat die Bundesregierung ihre Informationen über die im Bau befindliche Anlage in Tarhuna/Libyen an die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden weitergegeben, und was Horst Jungmann (Wittmoldt) (SPD): Das ist natürlich ist daselbst veranlaßt worden? schwierig, Frau Präsidentin, denn ich will die Frage nicht ausdehnen, weil Sie so großzügig waren. Aber Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Herr ein Teil meiner Frage ist nicht beantwortet worden. Kollege Jungmann, die Bundesregierung hat alle Hat die Bundesregierung diese Unternehmen im Hinweise unverzüglich an die zuständigen Behörden Rahmen der nach Rabta ergangenen Verordnung als weitergegeben, die den Hinweisen ebenso unverzüg- unzuverlässig eingestuft, so daß in Zukunft keine lich nachgegangen sind. Exporte dieser Unternehmen im genehmigungs- Der erste Hinweis im Zusammenhang mit der mög- pflichtigen Bereich mehr erfolgen können, Herr lichen Errichtung einer zweiten CW - Anlage in Tar- Staatssekretär? huna/Libyen, der sich auf ein deutsches Unternehmen bezog, wurde exakt am 1. September an die zustän- Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich digen Behörden weitergeleitet. Über diesen Hinweis kann die Frage der Einstufung nicht beantworten. Ich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18689

Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald darf fragen, ob der Vertreter des Wirtschaftsministers eingehen will; denn man bräuchte Stunden, um dar- oder der Kollege des Bundeskanzleramtes diese Frage über zu berichten, was alles hier gelaufen ist. beantworten kann. Hätte es nicht den Zwang gegeben, die Rechtsein- heit mit den neuen Bundesländern und die gemein- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim schaftsrechtlichen Vorschriften in der EG zu beach- Bundesminister für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, ten, wären wir heute mit Sicherheit nicht bis zu diesem ich kann nur darauf hinweisen, daß selbstverständlich Gesetzentwurf gediehen. Denn darüber, wie diese alle Unternehmen, in denen Unregelmäßigkeiten auf- Novellierung erfolgen soll, gibt es sehr unterschiedli- treten, in denen sich insbesondere der Exportbeauf- che und strittige Vorstellungen innerhalb der Berufs- tragte ein Verschulden zukommen läßt, entsprechend gruppen. Diese waren sich schon einmal sehr viel markiert werden und dann entsprechende Auswir- näher, aber dieser Konsens ist inzwischen wohl kungen bzw. Ableitungen für die zukünftige Geneh- abhanden gekommen. migungspraxis vorgenommen werden. Unsere Fraktion hat sich bemüht, das Gesetz über Vizepräsidentin Renate Schmidt: Damit sind wir am die Berufe in der Physiotherapie nach folgenden Ende der Fragestunde angekommen. Grundsätzen zu gestalten: Erstens. Durch die Ausbildung muß gewährleistet Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 a und 5 b werden, daß die Patienten eine bestmögliche fachge- auf: rechte Behandlung bekommen. 5. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Zweitens. Das neue Ausbildungsgesetz darf nicht eines Gesetzes über die Berufe in der Phy- von tagespolitischen Problemstellungen, z. B. den siotherapie Auswirkungen des Gesundheitsstrukturgesetzes, überlagert werden, sondern es muß vorrangig die (Masseur- und Physiotherapeutengesetz — Qualität der Ausbildung, die dann auch Grundlage für MPhG) die Qualität der abgegebenen Leistung ist, in den — Drucksache 12/5887 — Mittelpunkt stellen. (Erste Beratung 182. Sitzung) Drittens. Der Übergang vom alten zum neuen aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Gesetz soll so sozialverträglich wie möglich gestaltet Ausschusses für Gesundheit (15. Aus- werden. schuß) -- Drucksache 12/6998 — Wir bleiben bei der bisherigen Eigenständigkeit der beiden Berufe und erteilen dem Einheitsberuf in der Berichterstattung: Physiotherapie eine Absage. Zusammengeführt wer- Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel den sollen die früher getrennten Berufe der Masseure bb) Bericht des Haushaltsausschusses und der medizinischen Bademeister. In diesem (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Zusammenhang legen wir großen Wert darauf, daß schäftsordnung der Zugang zu diesem Beruf für Blinde und stark — Drucksache 12/6999 — Sehbehinderte ohne Einschränkungen weiterhin er- halten bleiben kann; Berichterstattung: Abgeordnete Roland Sauer (Stuttgart) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dr. Wolfgang Weng (Gerungen) der F.D.P.) Helmut Wieczorek (Duisburg) denn ungefähr 2 000 Blinde und stark Sehbehinderte b) Beratung der Beschlußempfehlung und des finden Freude und Anerkennung in diesem Beruf. Berichts des Ausschusses für Gesundheit Und dabei soll es auch bleiben. (15. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Am umstrittensten ist die Frage des Umstiegs der Neuordnung der Berufe in der Physiothera- schon praktizierenden Masseure nach § 12 des neuen pie Gesetzes. Es gab Wunschvorstellungen, die zum Teil illusorisch sind und einfach nicht verwirklicht werden — Drucksachen 12/5912, 12/6998 — können; denn sie beachten nicht, daß Ärzte und Berichterstattung: Patienten sich darauf verlassen können müssen, daß Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel die von den Physiotherapeuten abgegebenen Leistun- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gen dem gewohnten St andard entsprechen, den m an gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- erwarten kann. hen. Gibt es dazu anderweitige Vorstellungen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Für die schon tätigen Masseure und medizinischen Bademeister gibt es für den Übergang abgestufte Ich rufe als erstes die Kollegin Sigrun Löwisch Umstiegsmöglichkeiten: zum ersten in 18 Monaten, auf. dann nach einer Berufserfahrung von 5 Jahren einen Umstieg in 12 Monaten und im günstigsten Fall in Sigrun Löwisch (CDU/CSU): Frau Präsidentin! 9 Monaten. Meine Damen und Herren! Die Novellierung des heute zu verabschiedenden Gesetzes über die Neu- Weil uns immer wieder signalisiert wurde, daß die ordnung der Berufe in der Physiotherapie hat eine überwiegende Zahl der Masseure in großem Umfange lange Vorgeschichte, auf die ich heute gar nicht regelmäßig Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten 18690 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Sigrun Löwisch wahrnahmen, wird diese Verkürzung vielen zugute Dauer der Berufserfahrung der Masseure das Erlernen kommen. und die Praxis bei der Bewegungstherapie fördern? Dieser auf 9 Monate bzw. 1 050 Stunden verkürzte Deshalb gehen wir schon recht weit, wenn wir Umstieg ist umstritten, denn es werden Zweifel ge- einräumen, daß Masseuren nach fünfjähriger Erfah- äußert, und zwar von vielen Stellen, ob diese kurze rung eine verkürzte Umschulung möglich ist und bei Zeit der Nachschulung ausreicht, die bei den Kran- Nachweis entsprechender Fortbildung weitere drei kengymnasten vorausgesetzten theoretischen und Monate erlassen werden. praktischen Grundlagen der Bewegungstherapie Ich denke, daß wir mit diesem novellierten Gesetz in nachzuholen, und zwar in dieser kurzen Zeit. Wir der Physiotherapie neue Chancen gesetzt haben. meinen auch, daß das die unterste Grenze dessen ist, Diese müssen aber am Schopfe gepackt und von den was im Interesse des Wohls der Patienten noch vertre- Physiotherapeuten und den Masseuren wahrgenom- ten werden kann. men werden. Dann kann dieses Gesetz auch für diese ein Gewinn sein. Weil wir die Schwierigkeiten vor allem der selbstän- digen Masseure kennen, haben wir die Möglichkeit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) geschaffen, die Umschulung in Teilzeit zu absolvie- ren. Drei Anträge haben wir in diesem Gesetzentwurf Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- einfließen lassen, die den Umstieg zum Physiothera- gin Regina Schmidt-Zadel das Wort. peuten sozialverträglicher machen.

Das ist einmal der Fernunterricht, denn der gesamte Regina Schmidt-Zadel (SPD): Frau Präsidentin! theoretische Lehrstoff soll im Fernunterricht, also zu Meine Damen und Herren! In dieser Debatte geht es Hause, erlernt werden können. Da muß man keinen um die Verabschiedung eines Berufsgesetzes, das in Schritt vor die Tür setzen. Man kann damit drei modifizierter Form schon in der ehemaligen DDR Monate absolvieren. existierte und in verschiedenen Ländern der Europäi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schen Union längst Praxis ist. Die Berufsbilder alten Rechts, also Masseure, medizinische Bademeister und Eine weitere große Erleichterung wird sicherlich Krankengymnasten, sollen nach den Vorstellungen sein, daß Teilprüfungen möglich sind. Man kann der SPD-Fraktion unter der neuen Berufsbezeichnung zunächst einmal die im Fernunterricht oder im Teil- des sogenannten großen Physiotherapeuten zusam- zeitunterricht erlernten theoretischen Kenntnisse prü- mengeführt werden. fen lassen. Wir haben auch großen Wert darauf gelegt, Frau Kollegin Löwisch, ich bin sehr froh, daß Sie sich daß es keine Festlegung eines Zeitraums gibt, in dem mit unserem Antrag auseinandergesetzt haben. Wir nach der theoretischen die praktische Prüfung abge- wissen, daß dieser Antrag gut ist. Ich will also versu- legt werden muß. Auch das trägt zur Sozialverträg- chen, mich auf unseren Antrag zu konzentrieren. lichkeit dieses Umstiegs bei. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Ein dritter Pfeiler ist, daß die staatliche Prüfung, die CSU]: Das Bessere ist der Feind des abgelegt werden muß, eine Ergänzungsprüfung sein Guten!) wird. Das heißt, alle in der Masseurausbildung schon Die Neuordnung der Berufe in der Physiotherapie abgeprüften Fächer werden nicht noch einmal ergibt sich dabei aus der notwendigen Anpassung an geprüft. die medizinische Fortentwicklung. Ich denke, bis (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dahin sind wir uns einig. Notwendig ist dies aber auch deshalb, weil wir eine Rechtsangleichung an den Eine weitere wichtige Erleichterung für die Mas- europäischen Standard für dringend geboten halten. seure wird sein, daß sie nach dem Ablegen der Diese Umstrukturierung will durch den neuen Beruf Physiotherapeutenprüfung nicht, wie ursprünglich des Physiotherapeuten eine Verzahnung der medizi- vorgesehen, noch einmal zwei Jahre Praxiserfahrung nischen Errungenschaften herbeiführen und die nachweisen müssen, bevor sie eine Zulassung bean- Erfolge der Bewegungstherapie, Massagetherapie, tragen können. Hydro-, Balneo- und Elek trotherapie sinnvoll verbin- Von verschiedenen Seiten vorgelegte Forderungen, den. daß nach zehnjähriger Berufszugehörigkeit ein naht- Die SPD-Fraktion begrüßt daher ausdrücklich die loser Übergang zum Beruf des Physiotherapeuten Absicht der Bundesregierung, die angesprochenen möglich sein soll, sind, schlicht gesagt, abwegig. Wir medizinischen Berufe neuzuordnen. würden einen ganz gravierenden Fehler machen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wenn wir den Schluß zögen, daß Masseure um so eher der F.D.P.) die Qualifikation der Physiotherapeuten erreichten, je — Ich freue mich über Ihren Beifall, aber klatschen Sie länger sie im Beruf der Masseure praktisch tätig sind. nicht zu früh! Jetzt kommt es: Allerdings haben wir in Richtig ist, daß Masseure nach zehn Jahren bessere verschiedenen Bereichen erhebliche Kritik anzubrin- Masseure sind als vorher. Trotzdem wäre es völlig gen. verfehlt, anzunehmen, daß mit der langjährigen Mas- seurtätigkeit die Fähigkeit zur klassischen Kranken- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das kann nicht gymnastik erworben würde. Es fehlte hierzu die wahr sein!) Praxis; denn ich kenne keine Ärzte und auch keine Dies hat uns dazu veranlaßt, einen eigenen Antrag medizinischen Institutionen, die Masseure beauftra- vorzulegen. In den Gesprächen mit den Betroffenen gen, Krankengymnastik zu verabreichen. Wie soll die und mit Vertretern der Interessenverbände der physi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18691

Regina Schmidt-Zadel kalischen Therapie ist unsere Vorlage — nun hören An Ihrem Gesetzentwurf stört uns daher der Mangel Sie gut zu — immer wieder begrüßt und als echte an Differenzierung und die eklatante Ungleichbe- Lösung bestätigt worden. handlung von Masseuren und medizinischen Bade- meistern gegenüber den Krankengymnasten, eine (Beifall bei der SPD — Dr. Walter Franz Ungleichbehandlung, die in dieser extremen Form Altherr [CDU/CSU]: Von wem denn? — Peter nicht gerechtfertigt ist und die Be troffenen vor große Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: soziale Härten stellen kann. Nennen Sie mir einen Physiotherapeuten, der das gemacht hat!) (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Neben dem Ziel, den Einheitsberuf des sogenann- Nehmen wir als Beispiel einen Masseur und medi- ten großen Physiotherapeuten zu installieren, halten zinischen Bademeister mit eigener Praxis, etwa es die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten 55 Jahre alt, 35 Berufsjahre und mit zahlreichen trotzdem für erforderlich, den Beruf des Masseurs und Fortbildungen und Nachqualifikationen. Nach unse- des medizinischen Bademeisters zu erhalten, und ren Vorstellungen könnte dieser Masseur nach Able- zwar für diejenigen — und jetzt spreche ich für die gung einer Ergänzungsprüfung nach dem Vorbild des blinden und sehbehinderten Menschen in diesen Logopädengesetzes die Qualifikation zum Physiothe- Berufen —, die keine Möglichkeit haben, einen ande- rapeuten erhalten. Es ist deshalb aus unserer Sicht ren Beruf zu ergreifen, deren Existenz aber dadurch nicht einzusehen, warum jemand in diesem Alter und gesichert werden kann. Damit wird nicht ausgeschlos- mit dieser Berufserfahrung nach drei Jahrzehnten sen, daß sie den Beruf des „großen Physiotherapeu- noch einmal nachschulen muß und ein Examen oder ten" nicht doch über Nachqualifizierung erreichen ein Zweites Staatsexamen ablegen soll, ganz zu können. Diese Entscheidung liegt jeweils im Einzelfall schweigen von den Kosten, die entstehen, wenn der begründet. Dies muß jeder für sich alleine entscheiden Mann oder die Frau deswegen entweder die Pra xis können. Wichtig ist aber, daß ihnen die Wahlmöglich- schließen oder eine Vertretungskraft einstellen muß. keit erhalten bleibt. Zusammen mit den Lehrgangsgebühren und dem Verdienstausfall kommen nach Schätzung der Berufs- Frau Kollegin, bei dem Stichwort Nachqualifizie- verbände damit an die 110 000 DM zusammen. rung scheiden sich dann allerdings die Geister. (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Er (Uta Würfel [F.D.P.]: Nicht doch, nicht muß sich ja nicht nachqualifizieren! Er kann doch!) auch wie früher arbeiten!) Der Herr Minister ist nicht da. Meine Damen und Herren, das ist für viele der etwa (Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann- 20 000 selbständigen Masseure und medizinischen Pohl: Hier ist die Bundesregierung!) Bademeister nicht zu finanzieren und kann sich oft in der noch verbleibenden Berufszeit nicht amortisie- — Ach, Frau Staatssekretärin, das ist sehr schön. Ich ren. hatte Sie nicht telefonierend bei der F.D.P. vermutet. — Damit keinerlei Zweifel aufkommen, sage ich: Die Dennoch bleibt die Bundesregierung — ich muß SPD ist grundsätzlich der Auffassung, daß die berufli- sagen: leider — bei ihrer harten Linie, weil sie offenbar che Neuordnung im Bereich der physikalischen The- die Gelegenheit nutzen möchte, im Hinblick auf rapie notwendig ist. Darüber besteht zunächst einmal Einsparungen im Gesundheitswesen kein Dissens. Klar ist auch: Die Neuordnung bringt (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na, na!) dards und macht es daher erforderlich, höhere Stan auf einen Schlag eine ganze Reihe von Leistungsan- daß sich alle Beteiligten entsprechend nachqualifizie- bietern loszuwerden. ren. (Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Dieter Hier genau besteht der Unterschied zwischen unse- Thomae [F.D.P.]: Ganz das Gegenteil!) ren Auffassungen. Wir sind der Meinung, daß alle Beteiligten, sowohl die Masseure und medizinischen Ich formuliere das bewußt etwas überspitzt, aber ich Bademeister als auch die Krankengymnasten, Defizite will Ihnen das zu bedenken peben. in ihrer bisherigen Ausbildung haben, Defizite, die bei (Beifall bei der SPD) der Qualifizierung zum Physiotherapeuten ausgegli- chen werden müssen. Wir machen es uns nicht so Wenn man Ihre Aussagen bei verschiedenen Anläs- einfach wie Sie sen noch einmal nachliest, so ist der Eindruck nicht falsch. Herr Minister Seehofer hat bei einem Gespräch (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber gnädige mit Masseuren in Erwitte gesagt: Erstens habt ihr das Frau!) GSG, und zweitens müßt ihr mal überlegen, ob ihr und behaupten nicht pauschal, die Krankengymna- nicht zu viele seid. sten seien quasi die Av antgarde der physikalischen Ins gleiche Horn haben auch Sie, Herr Kollege Therapie und praktisch schon heute das, was sie erst Hoffacker, gestoßen, als Sie bei dem VPT in Reckling- morgen unter der neuen Bezeichnung Physiothera- hausen feststellten: Ihr müßt mal überlegen, ob ihr peut sein dürfen. Wir halten die Masseure auch nicht nicht zu viele seid. Zwei Männer — ein Gedanke. Das durch die B ank für so rückständig, daß die Qualifizie- gibt doch zu denken. rung zum Physiotherapeuten erst unter erheblichen Kolleginnen und Kollegen, Einsparungen bei den Kosten durch eine Nachschulung möglich ist. Gesundheitskosten sind erforderlich. Wir haben auch (Sigrun Löwisch [CDU/CSU]: Das hat mit dazu gestanden. Das gemeinsam verabschiedete GSG rückständig nichts zu tun!) hat hier einiges bewirkt. Es hat den Leistungsanbie- 18692 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Regina Schmidt-Zadel tern und hier eben auch den Masseuren Einschnitte Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem gebracht, die früher die Versicherten getroffen hät- Gesetz Qualität sichern. ten. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das haben die Ärzte gemacht!) Das ist der entscheidende Punkt. Wir dürfen aber jetzt nicht in den Fehler verfallen, Wir wollen zweitens mit diesem Gesetz zwei Mög- von der Neuregelung der Berufe in der physikalischen lichkeiten erhalten: Wir wollen auf der einen Seite das Therapie Steuerungseffekte für die Zahl der Lei- bisherige Berufsbild des Masseurs und des medizini- stungsanbieter zu erwarten. Das kann nicht Sinn und schen Bademeisters erhalten und auf der anderen Zweck dieser Berufsreform sein. Seite den Physiotherapeuten schaffen. Der Physiothe- rapeut muß auf den Weg gebracht werden, weil wir in ( [Nords trand] [CDU/ Europa diese Anforderungen haben, und weil wir CSU]: Das steht auch gar nicht im Gesetz auch den Kollegen in den neuen Bundesländern in drin!) diesem Bereich Sicherheit bieten müssen. Diese Reform muß dazu genutzt werden, auf sinnvolle Weise und sozial gerecht die Berufe der Physiothera- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) pie an die medizinische Entwicklung anzupassen. Von daher wollen wir diesen Weg gehen. Darum geht es bei dieser Reform, Das Entscheidende ist, daß die Qualifikationsanfor- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ derungen im Eingangsbereich sehr unterschiedlich CSU]: Genau das tut das Gesetz!) sind. Ich halte es wirklich für sehr sinnvoll — darum und darauf sollten wir uns konzentrieren. habe ich mich dafür eingesetzt —, daß es Aufstiegs- Die SPD hat daher im Ausschuß mit der Einbringung chancen für die Masseure gibt, daß sie nach einer eines Entschließungsantrages versucht, noch einmal Ausbildung erkennen: Ich kann weiter nach oben Änderungen von Qualitätsstandards für Fort- und aufsteigen und neue Positionen erreichen. Dies ist für Weiterbildungskurse für Lehrkräfte und die Festle- die Koalition ein ganz entscheidender Punkt gewe- gung von Mindestnormen sen. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) CSU]: Sie meinen Senkung des Standards!) Es gab die strittige Frage, wie der Aufstieg organi- in bezug auf die Ausstattung der Schulen zu errei- siert werden kann. Ich denke, hier hat sich die chen. — Hören Sie gut zu, dann wissen Sie, wovon ich Koalition wirklich bewegt. Wir haben hier die Mög- rede. lichkeiten geschaffen, nicht nur in 18 Monaten, son- Des weiteren sollten die Ausbildungs- und Prü- dern für die, die länger als Masseur im Beruf tätig sind, fungsordnungen eine zeitliche Entzerrung der Ab- in zwölf Monaten die Nachqualifikation zu erreichen. schlußprüfungen zulassen. Auch dies wurde mit Ihren Wer als Masseur in der Vergangenheit schon Weiter- Stimmen leider abgelehnt. bildungschancen genutzt hat, kann die Ausbildung um weitere drei Monate verkürzen. Neun Monate Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit der braucht man, um die Qualifikation zu erhalten und SPD wird es keine Benachteiligungen eines Berufsbil- eine gute Qualität zu erreichen. des geben. Die stufenweise Nachqualifizierung ist für beide Berufe unerläßlich und wird letztlich so zum Wir — und auch Sie — reden die ganze Zeit über Erfolg für die medizinischen Berufe führen. Qualitätssicherung in allen Bereichen. Ich bitte Sie ganz herzlich und dringend im Interesse (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der Betroffenen, dem Gesetzentwurf der Bundesre- gierung in dieser Form nicht zuzustimmen Dann muß man Sie auch beim Wort nehmen und fragen: Wie halten Sie es mit der Qualitätssicherung in (Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre ja noch diesem Bereich? Wir sind es auch den Patienten schöner!) schuldig, daß wir hier eine solche Qualifikation anfor- und gemeinsam mit uns über Änderungen nachzu- dern. denken. Außerdem: Fernstudienmöglichkeiten. Hierdurch Danke schön. ist noch einmal eine Verkürzung um drei Monate (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke möglich. Als weiteres Bonbon haben wir die Stufen- Liste) regelung festgelegt, und es gibt kein Endstaatsexa- men, sondern nur die Ergänzungsprüfungen. Auch dies ist eine Erleichterung, die wir bewußt eingebaut haben. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Dieter Thomae. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nach Europa schauen, und lassen Sie uns in die neuen Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Sehr geehrte Präsiden- Bundesländer schauen. Ich hoffe, daß endlich seit tin! Meine Damen und Herren! Ich kann Sie nur bitten, 1958 mit diesem Gesetz eine Qualitätssteigerung den Wünschen von Frau Schmidt-Zadel nicht zu möglich ist. Dies sind wir allen schuldig. Wir möchten, folgen, sondern dem Koalitionsantrag zuzustimmen. daß dieses Gesetz nach so vielen Jahren nun end lich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) über die Rampe kommt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18693

Dr. Dieter Thomae Herzlichen Dank. deutschen Sonder- und Fehlentwicklung verlassen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wurde. Das ist eine Kritik, die sicher in erster Linie den Ausschuß betrifft. Die Chance einer wirklich grundle- genden Neuregelung, die vorrangig an den wissen- Eine Zwischen- Vizepräsidentin Renate Schmidt: schaftlichen und praktischen Erfordernissen der frage der Frau Kollegin Schmidt-Zadel. Berufsentwicklung und weniger an widerstreitenden Gruppenegoismen ausgerichtet ist, wurde hier wieder Regina Schmidt-Zadel (SPD): Herr Dr. Thomae, einmal vertan. sind Sie denn bereit, mir zuzustimmen, daß es in beiden Berufen Defizite gibt, nicht nur im Beruf des Ich denke — natürlich spreche ich hier im Namen Masseurs, sondern auch im Beruf des Krankengymna- der PDS —, für die Zukunftsorientierung der Berufs- sten? angehörigen und für ihre Wettbewerbsfähigkeit auch über die Grenzen dieses L andes hinaus wäre es besser gewesen, den modernen internationalen Entwicklun- (F.D.P.): Ich wäre dann ganz Dr. Dieter Thomae gen gleich richtig Rechnung zu tragen, sicher und könnte Ihre Frage bejahen, wenn wir nicht als Limit die Anforderungen an den Physiotherapeu- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: In ten den Anforderungen an den Krankengymnasten welcher Form?) gleichgestellt hätten. Von daher sind keine Nachqua- die bisherige Trennung der beruflichen Profile aufzu- lifikationen für diesen Bereich notwendig. heben sowie einen komplex ausgebildeten Physiothe- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rapeuten zu schaffen. Trotz mancher gegenteiliger Aussage liegt es übri- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste Red- gens auf der Hand, daß ein Physiotherapeut, der nerin Frau Kollegin Dr. Barbara Höll. sowohl die Bereiche der klassischen Krankengymna- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie reden? Sie stik als auch die der manuellen und physikalischen waren ja noch nie da!) Therapie, also sowohl die stärker aktiven als auch die mehr passiven Methoden beherrscht, letztlich auch für die Kooperation mit den Ärzten ein geeigneterer Dr. Barbara HöII (PDS/Linke Liste): Das stimmt nicht, daß ich noch nie da war. Außerdem arbeite ich Partner ist. natürlich sehr gut mit meiner Kollegin zusammen. Selbstverständlich soll und muß es weiterhin — dar- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ich meine, zu über kann es gar keinen Streit geben — den Beruf des dem Gesetz!) Masseurs und medizinischen Bademeisters mit den entsprechenden Durchstiegsmöglichkeiten geben. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bedeutung physiotherapeutischer Behandlung im Schließlich ist es sehr wichtig, daß der Berufszugang Gesamtkonzept der Medizin steigt weiter an. Das hat für Sehbehinderte und Blinde voll erhalten bleibt. kürzlich die zwar späte, aber nunmehr auch in der Jeder weiß um ihre qualifizierte Arbeit gerade auf Bundesrepublik erfolgte Schaffung eines eigenständi- dem zur Debatte stehenden Gebiet. gen Facharztes für dieses Gebiet unterstrichen. Ange- Abschließend bleibt wiederum festzustellen, daß sichts erweiterter Einsatzfelder nicht nur in der Dia- die Bundesregierung auch mit diesem Gesetz nicht gnostik, Therapie und Rehabilitation, sondern zuneh- den leisesten Versuch gemacht hat, gemeinsam mit mend auch in der Prävention ergeben sich deutlich den Ländern die generellen Mängel und Strukturfeh- gewachsene und zugleich gewandelte Ansprüche an ler der medizinischen Berufsausbildung — sprich: das Profil der entsprechenden mittleren medizini- Schulstandards, Lehrerqualifikation, Ausbildungs- schen Berufe und an das Niveau ihrer Ausbildung. vergütungen und anderes mehr — anzugehen. Die Notwendigkeiten der Anpassung an den euro- Ich danke Ihnen. päischen Wirtschaftsraum und die innerdeutsche (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Dr. Walter Rechtsangleichung haben den Handlungsbedarf im Franz Altherr [CDU/CSU]: Das hört sich a lles Sinne klarerer Berufsbilder und qualitätssichernderer gut an!) Standards noch verstärkt. Was hat die Bundesregierung aus dieser Situation, die bekanntlich schon seit längerem den Gesetzgeber Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht Frau herausfordert, nun gemacht? Sie hat ein Gesetz vor- Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Bergmann- gelegt, das zweifellos Fortschritte und Verbesserun- Pohl. gen bringt. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Prima!) Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Auch im Ergebnis der Arbeit des Ausschusses sind beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsiden- noch positive Korrekturen angebracht worden. — Das tin! Meine Damen und Herren! In den Diskussionen wäre dann ein direktes Lob. — Ich denke hier z. B. an über das Physiotherapeutengesetz wird oft allzuleicht die Möglichkeit, den theoretischen Unterricht bei der übersehen: Es ist ein Berufszulassungs- und Berufs- Durchstiegsqualifikation auch in Form eines Fernun- ausbildungsgesetz. Es betrifft diejenigen, die sich terrichts zu gestalten, oder an die Flexibilisierung der künftig für die Berufe des Masseurs und medizini- vorgesehenen Altersgrenzen für Ausbildungsanfän- schen Bademeisters oder des Physiotherapeuten als ger. Lebensberuf entscheiden. Sie alle brauchen eine an Entscheidender ist allerdings, daß wiederum nicht die Entwicklung angepaßte qualitativ hochwertige das alte Gleis einer einmal historisch entstandenen Ausbildung, damit sie dem schärfer werdenden Kon- 18694 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl kurrenzkampf innerhalb des europäischen Wirt- therapeuten und einen kleinen Masseur zu schaf- schaftsraums besser gewachsen sind und den gestie- fen. genen Anforderungen in der Physiotherapie gerecht (Klaus Kirschner [SPD]: Sie wissen doch gar werden können. Darauf haben auch die Patienten nicht, wie groß der kleine Masseur ist!) einen Anspruch. — Es handelt sich um einen Masseur, der wenig zu tun (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hat, weil er keine Ausbildungsinhalte hat, und der Das, meine Damen und Herren, sind die Ziele des daher auch nicht in der Lage ist, entsprechend quali- Physiotherapeutengesetzes. fiziert zu handeln, lieber Herr Kollege. Meine Damen und Herren, in beiden Berufen wer- Der vorliegende Gesetzentwurf ist weder ein den die Ausbildungen jetzt erheblich verbessert. Die Berufsstatus- noch ein Berufschancengesetz. Es ist Einzelheiten kennen Sie; ich brauche sie hier nicht schon gar nicht ein Gesetz, mit dem bestimmte Rege- noch einmal aufzuzählen. Zwar werden beide Ausbil- lungen des Gesundheits-Strukturgesetzes außer Kraft dungen dadurch vordergründig teurer, am Ende kom- gesetzt werden können. Einziger Maßstab für dieses men sie jedoch für die Berufsangehörigen billiger, Gesetz müssen allein die Anforderungen sein, die sich weil Kenntnisse und Fertigkeiten bereits in der vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren erfolg- Grundausbildung vermittelt werden können, für ten differenzierten Entwicklung an die Berufe in der deren Erwerb bisher zeit- und kostenaufwendige Physiotherapie heute und morgen stellen. Diesen Fortbildungsveranstaltungen besucht werden muß- aktuellen Anforderungen wird der Gesetzentwurf ten. Eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung des gerecht. Wir können es uns nicht leisten, die überfäl- Bundesministeriums für Gesundheit wird dies näher lige Neuordnung in diesem Bereich erneut zu zerre- regeln. Ein Vorentwurf dieser Verordnung hat dem den. Die Neuordnung muß jetzt kommen. federführenden Ausschuß bereits während der Bera- Wir versuchen nun zum dritten Mal, das inzwischen tung des Gesetzentwurfes vorgelegen. 35 Jahre alte Gesetz über die Ausübung der Berufe Ich sage noch einmal: Masseure und medizinische des Masseurs und medizinischen Bademeisters und Bademeister erhalten eine faire Chance, unter medi- des Krankengymnasten durch moderne Regelungen zinisch vertretbaren Bedingungen zusätzlich die Qua- abzulösen. lifikation zum Physiotherapeuten zu erwerben. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Endlich!) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Richtig!) — Genau: endlich. — Jetzt, beim dritten Anlauf, Am Ende dieser Zusatzausbildung steht die staatliche schienen die Gegensätze zwischen den Berufsgrup- Ergänzungsprüfung, die in zwei Teilabschnitten pen endlich überwunden. abgelegt werden kann. Dies ist unter fachlichen Aspekten bereits eine sehr großzügige Regelung, von (Dr. Dieter Thomae [F.D.P].: Aber!) der es keine weiteren Abstriche geben kann. Leider haben aber die Masseure ihren kurz zuvor Ich appelliere hier ganz ausdrücklich an den Bun- erklärten Konsens teilweise wieder aufgegeben. desrat, dies mitzutragen; denn sowohl unter medizi- nisch-fachlichen wie auch unter berufsbildungspoliti- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Warum?) schen Gesichtspunkten werden wir keine günstigere Sie wünschen noch weitere Erleichterungen für den Lösung finden. Erwerb der Zusatzqualifikation zum Physiotherapeu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ich sage in aller Deutlichkeit: Es wird keine Zusatz- Abschluß sagen: Wir sind es den jungen Berufsanfän- qualifikation im Sonderangebot geben. Ein nur drei- gern und den Patienten schuldig, daß wir nun endlich, monatiger Lehrgang würde weder den Patienten noch nach 15jähriger fachlicher und politischer Diskussion, den Masseuren und medizinischen Bademeistern nach drei Anläufen gerecht. Die notwendige fachliche Qualifikation (Dr. Dieter Thomae [F.D.P]: Wie lange?) bliebe bei einem solchen Schnelldurchlauf auf der Strecke. Ärztliche und krankengymnastische Exper- — nach 15jähriger fachlicher und politischer Diskus- ten haben klar herausgestellt, daß eine solche Mini- sion, sowie nach drei Anläufen — und erstmals nach malzusatzausbildung jenseits des medizinisch Ver- 35 Jahren die dringend fällige Neuordnung des antwortbaren läge. Zugangs zu den physiotherapeutischen Berufen vom Tisch bringen. Deshalb hoffe ich, daß Sie heute alle, Auch qualitative Aspekte sprechen dagegen, einen auch Sie von der SPD, dem vorliegenden Gesetzent- physiotherapeutischen Einheitsberuf zu schaffen. wurf zustimmen. Zwar überlappen sich die Tätigkeiten zum Teil in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ihren Kernbereichen, aber sie stellen sehr differen- zierte Anforderungen an den jeweiligen Beruf. Es kann deshalb keinen Einheitsberuf geben. Die Folge Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- wäre, daß der hohe Standard der physiotherapeuti- dungen liegen mir nicht vor. schen Versorgung auf der Strecke bliebe. Wir kommen dann zur Abstimmung über den von In beiden Berufen muß eine ausreichende Lebens- der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf und Existenzgrundlage möglich sein. Schon aus die- über die Berufe in der Physiotherapie auf den Druck- sem Grunde verbietet es sich, den Überlegungen der sachen 12/5887 und 12/6998. Ich bitte diejenigen, die SPD zu folgen und sozusagen einen großen Physio- dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustim- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18695

Vizepräsidentin Renate Schmidt men wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? möglich ist. Die 1969 eingeführte familienpolitische — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzent- Teilzeit und die 1980 erstmals aufgenommene arbeits- wurf in Zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali- marktpolitische Teilzeit sind seitdem kontinuierlich tionsfraktionen angenommen. ausgeweitet worden. So kommt dem öffentlichen Wir kommen nun zur Dienst bereits heute eine Vorreiterrolle bei der Teil- zeitbeschäftigung zu. dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem In den alten Bundesländern waren 1992 18,8 % der Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Beamten, Angestellten und Arbeiter, somit über ben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der 935 000 von fast 5 Millionen teilzeitbeschäftigt. Gesetzentwurf ist damit angenommen. Zusammen mit den neuen Ländern beträgt die Quote 16,3 %. Nahezu jeder fünfte bzw. sechste Beschäftigte Wir stimmen nun ab über die Beschlußempfehlung im öffentlichen Dienst war somit teilzeitbeschäftigt. des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Zum Vergleich: In der gewerblichen Wirtschaft Fraktion der SPD zur Neuordnung der Berufe in der beläuft sich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten auf Physiotherapie auf der Drucksache 12/6998. Der Aus- ca. 9,4 %. schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5912 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Das vom Bundesminister des Inneren initiierte Pro- lung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — gramm zur Schaffung zusätzlicher Teilzeitarbeits- Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. plätze im öffentlichen Dienst sieht als einen besonde- Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt in seiner ren Schwerpunkt die Verbesserung der rechtlichen Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/6998 außer- Rahmenbedingungen von Teilzeitbeschäftigung und dem die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt langfristiger Beurlaubung vor. für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Hier kommt dem vorliegenden Entwurf in der Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschluß- Ausschußfassung eine besondere Bedeutung zu. Im empfehlung einstimmig bei zwei Stimmenthaltungen wesentlichen ist vorgesehen: erstens die Aufgabe der angenommen. Höchstgrenze von 15 bzw. 20 Jahren bei der famili- Ich informiere Sie darüber, daß der Tagesordnungs- enpolitischen Teilzeitbeschäftigung, also künftig punkt 6 abgesetzt ist. unbegrenzte Teilzeitbeschäftigung, solange die fa- milienpolitischen Voraussetzungen vorliegen. Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 7: Zweitens. Es ist die Schaffung einer neuen Fall- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- gruppe von Teilzeitbeschäftigung für Bereiche des desregierung eingebrachten Entwurfs eines öffentlichen Dienstes vorgesehen, in denen ein außer- Elften Gesetzes zur Änderung dienstrechtli- gewöhnlicher Bewerbermangel für das Beamtenver- cher Vorschriften hältnis besteht und deshalb zur Aufrechterhaltung der — Drucksache 12/6479 — Funktionsfähigkeit der Verwaltung ein dringendes Bedürfnis zur Gewinnung von Teilzeitkräften gege- (Erste Beratung 202. Sitzung) ben ist. Beschlußempfehlung und Be richt des Innen- ausschusses (4. Ausschuß) Drittens. Es ist die Aufgabe der Bef ristung — jetzt bis zum 31. Dezember 1996 — von Teilzeitbeschäfti- — Drucksache 12/7005 — gung oder Urlaub bei der arbeitsmarktpolitischen Berichterstattung: Fallgruppe vorgesehen. Damit soll eine beamten- Abgeordnete Fritz Rudolf Körper rechtliche Dauerregelung mit dem Ziel der Entlastung Otto Regenspurger des Arbeitsmarktes sichergestellt werden, z. B. der Heinz-Dieter Hackel Abbau von Arbeitslosigkeit. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Viertens. Es ist die Aufnahme einer Ausnahmerege- dazu Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist lung vorgesehen, nach der älteren Beamtinnen und das so beschlossen. Beamten sowie Richtern ab der Vollendung des 50. Lebensjahres Teilzeitbeschäftigung auch ohne Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem die arbeitsmarktpolitischen Voraussetzungen bewil- Kollegen Otto Regenspurger. ligt werden kann, wenn diese zuvor mindestens 15 Jahre teilzeitbeschäftigt waren und ihnen eine Otto Regenspurger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Rückkehr zur Vollzeitbeschäftigung nicht mehr zuzu- Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! muten ist. Wir beraten heute den Entwurf eines Elften Gesetzes Fünftens. Es ist die Aufnahme eine Regelung vor- zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften. Dahin- gesehen, nach der Beamte, die Teilzeitbeschäftigung ter verbirgt sich die Neugestaltung der dienstrechtli- beantragen, auf die Rechtsfolgen von Teilzeitbeschäf- chen Regelungen zur Teilzeitbeschäftigung und lang- tigung oder Beurlaubung insbesondere bei der Ver- fristigen Beurlaubung im Beamtenverhältnis. Das sorgung hinzuweisen sind. Gesetz ist ein weiterer wich tiger Schritt zur Flexibili- sierung des öffentlichen Dienstrechts. Es war schon Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle immer ein besonderes Ziel der Dienstrechtspolitik der Dienstherrn dürfen auch künftig in ihren Anstrengun- Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, gen für ein vermehrtes Angebot von Teilzeitarbeits- CDU/CSU und F.D.P., Teilzeitbeschäftigung und plätzen nicht nachlassen. Denn Teilzeitbeschäftigung Beurlaubung zu fördern, wann und wo immer es ist eine vollwertige Arbeitsform. Dies wird durch das 18696 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Otto Regenspurger Elfte Dienstrechtsänderungsgesetz noch einmal aus- der Einkommenseinbußen von Vollzeit in Teilzeit drücklich unterstrichen. wechseln möchten, die Zahl derjenigen weit über- Die vom Ausschuß beschlossene Fassung des steigt, die umgekehrt statt ihrer derzeitigen Teilzeit- Gesetzentwurfs ist eine Grundlage für die Bundeslän- stelle lieber eine Vollzeitstelle hätten. der — insbesondere im Kultusbereich —, schon jetzt Dieser Gesetzentwurf beschäftigt sich mit Änderun- Vorbereitungen für die Personalplanung der zweiten gen des Angebots an Teilzeitbeschäftigungen im Jahreshälfte 1994, also zum Beginn des Schuljahres öffentlichen Dienst. Er will sie verbessern und tut es 1994/95 zu treffen. Hier können die Länder die wohl auch. Die bisherigen Regelungen des Beamten- beabsichtigten Regelungen gegebenenfalls bereits im rechts sind deshalb notwendigerweise auszuweiten. Vorgriff auf entsprechende Änderungen des Landes- Nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion muß rechts anwenden. das Angebot für Teilzeitbeschäftigung alle Bereiche Zum Schluß darf ich noch auf eine grundsätzliche und Aufgaben des öffentlichen Dienstes erfassen und Frage eingehen: Bei aller Zustimmung zur erweiterten muß qualifizierte Arbeitsplätze bis hin zur Leitungs- Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung im Beamten- funktion einschließen. Eine Ausweitung der Teilzeit- verhältnis darf nicht unerwähnt bleiben, daß es sich beschäftigung entspricht eindeutig den arbeitsmarkt- hier um einen Ausnahmetatbestand handelt. Das politischen Erfordernissen. Beamtenverhältnis ist und bleibt auf Dauer angelegt und erfordert die volle Hingabe mit allen Pflichten, Den persönlichen Bedürfnissen der Beschäftigten also auch die volle Dienstzeit der Beamtinnen und im Rahmen der dienstlichen Interessen muß möglichst Beamten. weitgehend gerecht entgegengekommen werden. Die CDU/CSU wird an diesen Grundsätzen nicht (Uwe Lambinus [SPD]: Sehr richtig!) rütteln lassen. Wir sind uns der Verantwortung für den Deshalb sind z. B. die Aufnahme von Teilzeitbeschäf- öffentlichen Dienst, dem Dienst für die Bürger, tigung und Rückkehr zur Vollzeitbeschäftigung bewußt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch grundsätzlich so zu regeln, daß sie dem Prinzip der einmal den Bediensteten, die oft im Regen stehenge- Freiwilligkeit Rechnung tragen. lassen werden, für ihre geleisteten Dienste, die ja infolge von Gesetzen und Verordnungen erfolgen, (Beifall bei der SPD) herzlich zu danken. Die bis zum heutigen Tag geltenden Regelungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sind unbefriedigend. Aus diesem Grunde ist es richtig, ordneten der F.D.P.) daß der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregie- rung wesentlich verbesserte Voraussetzungen für Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung im Beamten- CDU/CSU wird dem vorgelegten Entwurf in der recht vorsieht. Ausschußfassung zustimmen. Ich möchte aber auch die Gelegenheit nutzen, auf die stets kollegiale Kritisch will ich hinzufügen, daß die Bundesregie- Zusammenarbeit im Ausschuß hinzuweisen. Es ist rung bedauerlicherweise mit dem Hinweis auf die nicht überall so. Wir haben ein herzliches Verhältnis. hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums Hier geht es um die Sache. daran festhält, Teilzeitbeschäftigung nicht generell Frau Präsidentin, wenn Sie mich loben wollen, weil zuzulassen, ich meine Redezeit nicht ausgenutzt habe, habe ich (Uwe Lambinus [SPD]: Leider!) nichts dagegen. sondern diese nur unter bestimmten Voraussetzungen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und auf familien - und arbeitsmarktpolitische Fallgrup- der F.D.P.) pen beschränken will. Wir hätten es sehr begrüßt, wenn Teilzeitbeschäftigung generell zugelassen wor- den wäre und dies nicht bestimmter Tatbestände Lob und Dank, Vizepräsidentin Renate Schmidt: bedurft hätte. Herr Regenspurger. Als nächster spricht der Kollege F ritz Rudolf Kör- In den Beratungen insbesondere im Bundesrat per. wurde der vorliegende Gesetzentwurf verändert und ergänzt. Wir halten die beabsichtigte Fortführung der bereits jetzt geltenden Regelung zur Altersteilzeit und Fritz Rudolf Körper (SPD): Frau Präsidentin! Meine zum Altersurlaub für richtig. Entsprechend dem Vor- lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Nachfrage nach schlag des Bundesrates halten wir es für die Gewäh- Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen ist außerordent- rung von Altersurlaub für ausreichend, daß in der lich hoch. Die Bundesrepublik Deutschl and liegt im Kombination von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung Angebot an Teilzeitarbeit im internationalen Ver- rechnerisch eine Vollzeitbeschäftigung von 20 Jahren gleich auf einem hinteren Platz. Der Anteil der Versi- vorliegt. cherungsbeschäftigten in Teilzeit, also unter 35 Stun- Ursprünglich war in dem Gesetzentwurf auch vor- den, lag im März 1993 bei nur 12 %. In vielen anderen gesehen, die Altersgrenze beim 55. Lebensjahr zu OECD-Ländern ist der Anteil weitaus höher; bei- belassen. Mit dieser Altersgrenze wurde insbeson- spielsweise in unserem Nachbarland den Niederlan- dere die Problematik derjenigen Beamtinnen und den beträgt er rund 30 %. Beamten nicht gelöst, die nach Ausschöpfung aller Teilzeitarbeit stößt bei vielen Arbeitnehmerinnen Teilzeitmöglichkeiten in der Lebensmitte vor der und Arbeitnehmern auf eine breite Akzeptanz. Befra- Frage stehen, entweder eine Vollzeittätigkeit wieder gungen zeigen auch, daß die Zahl derjenigen, die trotz aufzunehmen oder aus dem Berufsleben auszuschei- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18697

Fritz Rudolf Körper den. Deshalb wurde der Vorschlag gemacht, diese Meine Damen und Herren, wir haben uns in die Lebensaltersgrenze zumindest auf das 50. Lebensjahr Beratungen im Innenausschuß eingebracht. Alterna- zu reduzieren. Diese Änderung wurde auch von seiten tivvorschläge wurden übernommen. Wir stimmen die- des Innenausschusses einstimmig angenommen, was sem Gesetzesvorhaben zu. ein Schritt in die richtige Richtung ist. Schönen Dank. Die Vertreter der Bundesregierung haben im Zuge (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der der Innennausschußsitzung am 2. März 1994 deutlich F.D.P.) betont, daß bei der familienpolitischen Teilzeitrege- lung zukünftig ein Rechtsanspruch bestehen soll. Das bedeutet, daß die Betroffenen nicht von der Genehmi- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- gungspraxis der jeweiligen Behörden abhängig sind. lege Manfred Richter das Wort. Wir halten es für richtig, daß hier keine Kann- Regelung eingeführt worden ist, sondern daß die (Bremerhaven) (F.D.P.): Frau Prä- Soll-Vorschrift Anwendung findet! Manfred Richter sidentin! Meine Damen und Herren! Im öffentlichen Währenddessen enthält der Gesetzentwurf bei der Dienst gibt es derzeit etwa 900 000 Teilzeitbeschäf- arbeitsmarktpolitischen Teilzeitregelung eine Kann- tigte. Der weitaus überwiegende Teil ist im Bereich Bestimmung. Die Praxis muß beweisen, ob diese der Arbeiter und Angestellten tätig. Mit dem jetzt zur Regelung in dieser Form praktikabel ist oder nicht. Verabschiedung vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die Teilzeitmöglichkeiten auch für Beamte weiter Da durch die Teilzeitbeschäftigung und die Beur- verbessern. laubung im öffentlichen Dienst mit Sicherheit Mehr- kosten entstehen, wird unsererseits die Bundesregie- Dies ist notwendig, weil das Berufsbeamtentum rung gebeten, bis zum Juni dieses Jahres in einem nicht aus einer allgemeinen gesellschaftlichen Ent- Bericht einmal klar darzustellen, welche zusätzlichen wicklung abgekoppelt werden darf. Wir müssen mehr Gemein- und Arbeitsplatzkosten sowie Mehrkosten Angebot schaffen, um zu flexibleren Arbeits - und der Beamtenversorgung und Beihilfe entstehen, und Beschäftigungsverhältnissen zu kommen und um den einen Vergleich mit den entsprechenden Kosten bei Veränderungen im Freizeitverhalten der Menschen Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung im Arbeit- Rechnung zu tragen. nehmerverhältnis anzustellen. (Beifall bei der F.D.P.) In diesen Vergleich müssen nicht nur die Kosten für Die Nachfrage nach mehr Teilzeitarbeit ist eben die öffentlichen Haushalte, sondern auch die ander- nicht nur arbeitsmarktpolitisch oder familienpolitisch weitig entstehenden Kosten, so z. B. bei der gesetzli- zu begründen. Deswegen ist es auch besonders zu chen Krankenversicherung, einbezogen werden. Es begrüßen, daß wir mit dem vorliegenden Gesetzent- ist dringend notwendig, dieses Zahlenmaterial für die wurf einen weiteren Schritt unternehmen, in der weitere Beratung zu diesem Thema zu bekommen; Perspektive von bestimmten Fallgruppen, die einen denn mit Sicherheit wird es so sein, daß die Teilzeit- Antrag auf Teilzeitbeschäftigung stellen können, beschäftigung wohl auch im öffentlichen Dienst noch wegzukommen. mehr ausgeweitet werden muß. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einen kritischen Satz hinzu- Ein erster Schritt hierfür ist, daß nunmehr auch für fügen: Wie — na ja — wenig konzeptionell die Bereiche des öffentlichen Dienstes, in denen ein Vorgehensweise in diesen Beschäftigungsfragen ist, außergewöhnlicher Bewerbermangel für das Beam- wird dadurch deutlich, daß wir demnächst im Zusam- tenverhältnis besteht, die Möglichkeit der Teilzeitbe- menhang mit dem Entwurf eines Zwölften Gesetzes schäftigung geschaffen wird. zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften die ver- Wir haben den Gesetzentwurf während der Aus- längerte Lebensarbeitszeit für Beamtinnen und schußberatungen in aus meiner Sicht zwei wesentli- Beamte beraten. Wir haben das ja das letzte Mal von chen Punkten nachgebessert: der Beratung des Innenausschusses abgesetzt. Ich Erstens. Wir haben die bestehenden Möglichkeiten kenne die Geschichte und die Hintergründe dieser für Altersurlaub bei Beamten erweitert. Danach wird Maßnahme. Wenn man aber beide Gesetzentwürfe in die Gewährung von Altersurlaub bei Beamten nicht dieser relativ kurzen zeitlichen Abfolge sieht, dann nur von einer Vollzeitbeschäftigung von 20 Jahren muß man zumindest die Frage stellen dürfen, ob da abhängig sein, es wird ausreichen, daß die Vollzeit- nicht konzeptionell ein gewisser Widerspruch deut- und die Teilzeitbeschäftigung insgesamt 20 Jahre lich wird. lang ausgeübt wurden. Wir fordern die Bundesregierung auf, grundsätzlich (Uta Würfel [F.D.P.]: Das ist wirklich ein zu überlegen, wie ihr arbeitsmarktpolitischer Beitrag Novum!) in der derzeitigen Situation aussehen soll. Zweitens. Wir haben den Vorschlag des Bundesra- Ich möchte noch eine Bitte in diesem Zusammen- tes aufgegriffen, die Altersgrenze auf 50 Jahre herab- hang äußern, nämlich zu prüfen, inwieweit die zusenken. Nebentätigkeitsregelungen den heutigen Erforder- Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist gut, nissen des Arbeitsmarktes noch entsprechen. Uns wenn wir Beamten mehr Freiheit für ihre individuelle liegen Zahlen und Informationen vor, aus denen Lebensgestaltung und mehr Möglichkeiten zur ersichtlich wird, daß die Nebentätigkeit mittlerweile Selbstverwirklichung außerhalb des Berufs geben, einen relativ großen Umfang erreicht hat. und zwar dort, wo der Wunsch besteht, also freiwillig 18698 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Manfred Richter (Bremerhaven) und nicht gezwungenermaßen, wie es sich wohl der Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — saarländische Ministerpräsident vorstellt. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung bei (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zwei Stimmenthaltungen einstimmig angenommen. Insofern habe ich mich, Herr Körper, über Ihre deut- Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 und Zusatz- lichen Worte sehr gefreut. punkt 6 auf: (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Ich bin doch 8. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- bekannt für deutliche Worte!) desregierung eingebrachten Entwurfs eines . . . Strafrechtsänderungsgesetzes — §§ 175, 182 — In der Tat. StGB (... StrÄndG) Es besteht auch gar keine Veranlassung dazu, das — Drucksache 12/4584 — Prinzip der Freiwilligkeit von Teilzeitbeschäftigung (Erste Beratung 153. Sitzung) und Beurlaubung über Bord zu werfen. Ich wünsche mir übrigens noch eine größere Ausweitung der Beschlußempfehlung und Be richt des Rechts- Teilzeitmöglichkeiten. Um die Grundprinzipien des ausschusses (6. Ausschuß) Berufsbeamtentums ist mir dabei, lieber Otto Regens- — Drucksache 12/7035 — purger, nicht bange. Berichterstattung: (Otto Regenspurger [CDU/CSU]: Es darf kein Abgeordnete Horst Eylmann Regelfall werden! — Uwe Lambinus [SPD]: Jörg van Essen „Herkömmliches" !) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) ZP 6 — Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Ich denke, wir sollten über dieses Thema im Gespräch desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- bleiben. Wie immer man es beurteilen mag, auch die setzes zur Änderung des Sexualstrafrechts weiteste Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Und (§§ 175, 176a, 182 StGB) den tun wir heute. — Drucksache 12/4232 — (Uta Würfel [F.D.P.]: So sagen die Chine- (Erste Beratung 153. Sitzung) sen!) — Zweite und dritte Beratung des von der Ich glaube, wir sind uns auch einig, wenn ich sage, Abgeordneten Christina Schenk und der daß man einigen Mißverständnissen in der Erwartung Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- vorbeugen muß. Im Ergebnis darf Teilzeitarbeit natür- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum lich nicht zu einer Erhöhung des Personalkostenan-- Schutz der psychosexuellen Entwicklung teils der öffentlichen Haushalte führen. Das können von Jugendlichen — Streichung der §0 175 wir uns aus haushaltspolitischen Gründen auch gar und 182 StGB, § 149 StGB/DDR nicht leisten. Es ist aber auch nicht wünschenswert, die Zahl der Mindestversorgungsempfänger zu ver- — Drucksache 12/1899 — größern. Mehr Teilzeitbeschäftigung heißt nicht (Erste Beratung 153. Sitzung) zwangsläufig mehr Ausgaben. Es muß vielmehr durch — Zweite und dritte Beratung des von der organisatorische Maßnahmen aufgefangen werden. Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten (Beifall bei der F.D.P.) Entwurfs eines Gesetzes zur Rechtsgleich- stellung von Homosexualität und Heterose- Denn wir sind uns darüber einig, daß der Dienstbe- xualität im Strafrecht der Bundesrepublik trieb nicht beeinträchtigt werden darf. Deutschland (Sexualgleichstellungsge Ich glaube, daß uns in diesem Sinne ein gutes setz) Gesetzeswerk gelungen ist. Ich freue mich, daß wir — Drucksache 12/850 — diese Arbeit heute zum Abschluß bringen können. (Erste Beratung 41. Sitzung) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) — Drucksache 12/7035 — Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Berichterstattung: dungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Abgeordnete Horst Eylmann Aussprache. Jörg van Essen Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Elften Zum Strafrechtsänderungsgesetz liegt ein Ände- Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften rungsantrag der Fraktion der SPD vor. auf den Drucksachen 12/6479 und 12/7005. Ich bitte Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuß- die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vor- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — gesehen. Gibt es dazu Widerspruch? — Das ist nicht Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Der der Fall. Dann ist das so beschlossen. Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei zwei Stimmenthaltungen einstimmig angenommen. Ich rufe als erste Frau Dr. Barbara Höll auf. Wir kommen nun zur Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- tin! Meine Damen und Herren! Der heutige Fall des dritten Beratung § 175 des Strafgesetzbuches bringt eine lange und und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem unheilvolle Geschichte dieses Paragraphen zu Ende. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Bereits im Reichstag des Kaiserreiches brachte die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18699

Dr. Barbara Höll SPD, noch unter Führung von August Bebel, einen Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen Antrag zur ersatzlosen Streichung des § 175 ein, wollen die Rechtssituation in der Bundesrepublik gefolgt von gleichen Anträgen z. B. durch die KPD im verändern. Die Chance, eine gesellschaftliche Diskus- Reichstag der Weimarer Republik. Die Faschisten sion zum Thema Homosexualität und zum Umgang verschärften diese Vorschrift durch § 175a, der in der mit Lesben und Schwulen in dieser Gesellschaft BRD bis 1969 geltendes Recht war. anzustoßen, blieb wie bei der Streichung des § 151 des Strafgesetzbuches der DDR ungenutzt. Heute nun wird eine halbherzige Lösung und natür- lich keine ersatzlose Streichung durch den Bundestag beschlossen werden. Selbst die SPD ist von einer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin, ich ersatzlosen Streichung so weit entfernt wie von der bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Politik August Bebels. Ganz erstaunlich ist der Gleich- klang der Diskussionen — oder eher „Nicht-Diskus- Dr. Barbara HöII (PDS/Linke Liste): Mein letzter sionen" —, den Bürgerinnen der DDR aus der Zeit Satz, Frau Präsidentin. kennen, als der dem jetzigen § 175 Bleichlautende Nicht nur dieses Vorgehen zeigt, wer die eigentli- § 151 des Strafgesetzbuches der DDR gestrichen chen Erben der spießigen SED-Herrschaft in dieser wurde. Beziehung sind. Deshalb sagen wir ein klares Nein zu Das paßt in die Linie einer konservativen Politik, die dieser Änderung der Strafrechtsnorm. die Selbstbestimmung von Menschen völlig an den Ich danke. Rand stellt. Die neue Vorschrift bestraft plötzlich (Beifall bei der PDS/Linke Liste) sexuelle Beziehungen zwischen Frauen unter 21 Jah- ren mit Frauen über 21 Jahren, deren Auswirkung Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster nicht einmal als sozialschädigend bewiesen wurde. spricht der Kollege Horst Eylmann. Auch dies ein Ergebnis der herrschenden patriarcha- lischen Strukturen in der Bundesrepublik. Horst Eylmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ein anderes kritisches Themenfeld ist die Bestra- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem fung von Beziehungen von unter 16jährigen und über § 175 verschwindet ein Paragraph aus unseren 14jährigen gegen Entgelt. Jugendliche Stricher wer- Gesetzessammlungen, der sicherlich der bekannteste den nach Ihrem Entwurf zu Freiwild erklärt, eine aus dem Strafgesetzbuch war, vielleicht sogar der ergebnisorientierte Aids-Prävention unter ihnen fast bekannteste Paragraph überhaupt. Wer auch sonst unmöglich gemacht. Wer angesichts der immer noch keinen Paragraphen zu nennen wußte, den § 175 erheblichen Infektionszahlen in der Bundesrepublik kannte er. Wahrscheinlich, sosehr das auch zu bedau- so vorgeht, handelt verantwortungslos. ern ist, wird er noch ein zähes Leben haben und in der Die Erprobung der eigenen Sexualität muß für Alltagssprache immer dann sein Unwesen treiben, Jugendliche unbelastet von der Befürchtung, in Straf- wenn von Homosexuellen die Rede ist. verfahren verwickelt oder zu Aussagen gegen die Es ist gut, daß er verschwindet, und zwar schon Sexualpartnerin bzw. den Sexualpartner gezwungen deshalb, weil sein Vorhandensein immer wieder die werden zu können, stattfinden. Nehmen Sie doch bitte irrige Auffassung stützte, in der Bundesrepublik wür- zur Kenntnis: Eine neuerliche Jugendschutzvorschrift den homosexuelle Handlungen schlechthin unter steht im krassen Gegensatz zur Lebensrealität der Strafe gestellt. In Wahrheit ist das schon seit über jungen Generation, schränkt das Recht auf freie 20 Jahren nicht mehr der Fall. § 175 des Strafgesetz- Entfaltung der Persönlichkeit ein. buches erfaßte nur homosexuelle Handlungen eines über 18 Jahre alten Mannes mit einem Jugendlichen Die Streichung der §§ 175 und 182 des Strafgesetz- unter 18 Jahren. Diese Vorschrift sollte also nicht buches der BRD und 149 des Strafgesetzbuches der Homosexuelle diskriminieren, sondern Jugendliche DDR und eine damit verbundene realistische, ver- schützen. nünftige und empirisch gesicherte Gesetzgebung in bezug auf den Umgang mit Sexualität würde auch Der Gesetzgeber von 1973 hielt es noch für möglich, einen positiven Einfluß auf deutsch-deutsche Rechts- daß Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren durch angleichung haben. homosexuelle Kontakte in ihrer sexuellen Entwick- lung hin zur Homosexualität gelenkt werden könnten. Unsere Auffassung ist es auch, daß sich die Bundes- Dies hat sich jedoch inzwischen als unrichtig heraus- republik an den Empfehlungen und Entschließungen gestellt. Es ist heute eine weitgehend abgesicherte des Europarates bzw. des Europäischen Parlamentes Erkenntnis, daß die Festlegung auf Hetero- oder von 1981 und 1984 und der weitaus fortschrittlicheren Homosexualität bereits in den ersten Lebensjahren Rechtspraxis anderer europäischer Lander orientieren erfolgt, möglicherweise sogar vererbt wird. Damit gibt sollte. es keinen Grund mehr, Jugendliche vor homosexuel- Und im übrigen: Politischer Handlungsbedarf len Kontakten strafrechtlich stärker zu schützen als besteht wohl genauso zwingend hinsichtlich der vor heterosexuellen. Das ist der entscheidende Grund Gleichstellung von Lesben und Schwulen mit hetero- für die Aufhebung des § 175. sexuell orientierten Menschen in nichtehelichen Er wird ersetzt durch eine einheitliche, für Hetero- Lebensformen, im Einkommens- und Steuerrecht, sexuelle ebenso wie für Homosexuelle geltende Erbrecht, Adoptionsrecht sowie Ausländerrecht. Des- Jugendschutzvorschrift. Mädchen und Jungen unter halb ist die PDS/Linke Liste ja auch in der Verfas- 16 Jahren sollen unabhängig vom Geschlecht des sungskommission so aufgetreten und hat ihren ent- Täters oder Opfers gegen sexuellen Mißbrauch sprechenden Gesetzentwurf eingebracht. geschützt werden. Damit wird zugleich ein Stück 18700 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Horst Eylmann dringend notwendiger Rechtsgleichheit in der Bun- Erscheinungen der jüngsten europäischen Gesell- desrepublik erreicht. In den neuen Ländern gilt näm- schaftsgeschichte. lich zur Zeit auf Grund des Einigungsvertrags immer noch § 149 des Strafgesetzbuchs der DDR mit einer (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Schutzaltersgrenze von 16 Jahren. Im Bereich homo- SPD) sexueller Handlungen eine unterschiedliche Schutz- Haben wir, die Koalitionsfraktionen, uns mit der altersgrenze — hier 18 Jahre, dort 16 Jahre — länger SPD relativ schnell auf die Ausformulierung des ersten bestehen zu lassen wäre verfassungsrechtlich höchst Absatzes des § 182 StGB einigen können, ist Abs. 2 bedenklich und würde auch der inneren Wiederverei- wesentlich intensiver und teilweise auch kontrovers nigung nicht zuträglich sein. diskutiert worden. Dort wird der sexuelle Mißbrauch eines Jungen oder eines Mädchens zwischen 14 und Der neue § 182 StGB, den wir jetzt einfügen und 16 Jahren unter Strafe gestellt, bei dem die fehlende heute beschließen, enthält zwei Tatbestände. Der Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestim- erste Absatz bedroht eine über 18 Jahre alte Person mung vom Täter ausgenutzt wird. Ursprünglich war mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit von der Ausnutzung der Unreife des Opfers die Rede. Geldstrafe, die ein Mädchen oder einen Jungen Die jetzt gewählte Formulierung scheint uns genauer zwischen 14 und 16 Jahren dadurch mißbraucht, daß und konkreter zu sein. sie sie unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt zu sexuellen Handlungen bestimmt. Sicherlich stellt aber auch dieser Begriff den Richter Was diese sexuellen Handlungen also anstößig und vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten. In vielen damit strafbar macht, ist der dabei ausgeübte Zwang Fällen wird zweifelhaft sein, ob denn nun die Fähig- oder die Korrumpierung des Opfers durch das in keit zur sexuellen Selbstbestimmung schon hinrei- Aussicht gestellte Entgelt, wobei nach der im Strafge- chend ausgeprägt war oder nicht. Daß es hier auch setzbuch enthaltenen Legaldefinition unter Entgelt geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, läßt sich jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegen- nicht leugnen. Es gehört zum Allgemeinwissen, daß leistung zu verstehen ist. die sexuelle und die entsprechende psychologische Reifung von Mädchen deutlich früher einsetzt als die Daß Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren durch von Jungen. das Strafrecht dagegen geschützt werden müssen, Trotz der in vielen Fällen nicht zu leugnenden durch solche Mittel zu sexuellen Handlungen Schwierigkeiten, die Erfüllung dieses Tatbestands mit gezwungen oder verleitet zu werden, leuchtet unmit- der erforderlichen Sicherheit festzustellen, läßt sich telbar ein. Es ist schwer zu verstehen, daß die Gruppen nicht leugnen, daß es schlimme Fälle der sexuellen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste Ausbeutung von 14- und 15jährigen Mädchen und diesen strafrechtlichen Schutz ebenso ablehnen, wie Jungen, z. B. Hilfsschülern, gibt, bei denen sich der Interessenvertretungen der Homosexuellen es tun. Reifungsprozeß verzögert hat und die deshalb ohne Man begründet dies damit, daß § 182 StGB gegen das jeden Zweifel noch nicht in der Lage sind, ihre sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Jugendlichen Sexualität selbst zu steuern. Diese Jugendlichen kön- verstoße. Auch 14- und 15jährige müßten das Recht nen und wollen wir nicht ohne strafrechtlichen Schutz haben, sich mit älteren Partnern sexuell auszuleben. lassen. Meine Damen und Herren, wenn homo- oder hetero- sexuelle erwachsene Männer sexuelle Kontakte mit Ausgestaltet ist diese neue Vorschrift als einge- 14jährigen Jungen oder Mädchen haben wollen, dann schränktes Offizialdelikt. Das heißt, in den Fällen des wollen sich in aller Regel nicht diese, die Jungen und Abs. 2 des § 182 StGB wird die Tat nur auf Antrag Mädchen, sexuell ausleben, sondern die älteren Herr- verfolgt, es sei denn, die Strafverfolgungsbehörde schaften. Die Heuchelei, in diesem Zusammenhang bejaht wegen des besonderen öffentlichen Interesses das Interesse der kaum dem Kindesalter entwachse- ein Einschreiten von Amts wegen. nen Jugendlichen auf ungehinderte Betätigung ihrer Sexualität in den Vordergrund zu schieben, ist in ihrer Damit ist dem Bemühen übereifriger Staatsanwälte, Unverfrorenheit kaum zu überbieten. im Sexualleben von Jugendlichen herumzustochern, von vornherein ein Riegel vorgeschoben, wobei ich aber betonen möchte, daß es solche übereifrigen Schon in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs Staatsanwälte nach meinem Eindruck kaum gibt. habe ich auf den Skandal hingewiesen, daß sich z. B. Eher halten sich die Strafverfolgungsbehörden bei der der Bundesverband Homosexualität gegen die inzwi- Verfolgung von Sexualstraftaten zurück, was im schen verwirklichte Absicht der Bundesregierung Grundsatz auch richtig ist, aber nicht dazu führen darf, wendet, Deutsche für Mißbrauch von Kindern im daß die wirklich strafwürdigen Fälle nicht verfolgt Ausland auch dann zur Verantwortung zu ziehen, werden. wenn die beklagenswerten Opfer keine deutschen Kinder sind. Es sei nicht Aufgabe der deutschen Bei der ersten Lesung dieses Gesetzes, meine Strafgerichte, gegen diese physische und psychische Damen und Herren, habe ich die Aussichten als Vergewaltigung ausländischer Kinder vorzugehen, günstig beurteilt, eine von einer breiten Mehrheit meint dieser Bundesverband. Dabei ist, wie wir alle getragene Neuregelung zu finden. Diese Erwartung wissen, der sogenannte Sextourismus europäischer ist im Rechtsausschuß auch keineswegs enttäuscht Männer — die Deutschen spielen dabei zahlenmäßig worden. Der vorliegende Gesetzesentwurf ist dem eine große Rolle — nach Südostasien, der dort zu Plenum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen einem massenhaften sexuellen Mißbrauch von Kin- und der Fraktion der SPD zur Annahme empfohlen dern und Jugendlichen führt, eine der widerlichsten worden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18701

Horst Eylmann Dies war das Ergebnis sehr intensiver und sachbe- — hat er gesagt — zogener Gespräche, wie sie im Rechtsausschuß üblich wenn es denn eines ist, bringt kein Elend in diese sind. Hinter dem Bemühen sich zu einigen, stand wohl Welt. auch die Erkenntnis, daß ein öffentlicher Streit kaum Vorteile für die eine oder andere Seite bringen würde Dem Elend dieser Welt— es gibt genug davon — sollte und der Sache, um die es hier geht, nämlich dem unsere Aufmerksamkeit gelten, nicht der sexuellen Schutz unserer Jungen und Mädchen vor dem sexu- Orientierung unserer Mitmenschen. ellen Zugriff Älterer, wenig nützt. Ich danke Ihnen. Nun hat die SPD plötzlich entgegen ihrer Haltung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. im Rechtsausschuß einen auf die Streichung des sowie bei Abgeordneten der SPD) Absatzes 2 gerichteten Antrag gestellt. Da gibt es offensichtlich außerhalb der Arbeitsgruppe Recht der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat SPD einige selbsternannte Expertinnen oder Exper- der Kollege Dr. Jürgen Meyer das Wort. ten, die schlauer zu sein meinen als die Fachleute im Rechtsausschuß und offensichtlich der Versuchung nicht widerstehen konnten, zuviel Gemeinsamkeit in Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! der Behandlung solcher Dinge für parteipolitisch Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kol- schädlich zu halten. Ich überlasse es diesem Hause lege Eylmann, ich kann Sie beruhigen. Die SPD- und der Öffentlichkeit, daraus die naheliegenden Fraktion wird hier genauso argumentieren und Schlüsse zu ziehen. abstimmen wie im Rechtsausschuß. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Was heißt das Abschluß noch einmal zu § 175 StGB und damit zur konkret?) Homosexualität zurückkehren. Daß wir hier unter Die heute zu beschließende Streichung des § 175 mäßiger Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dieses des Strafgesetzbuches und seine Ersetzung durch eine heikle und an tief verwurzelte Vorurteile rührende einheitliche Jugendschutzvorschrift ist ein bedeuten- Thema in einer ruhigen Atmosphäre debattieren und der Reformschritt. Der Deutsche Bundestag knüpft nach nur 30 Minuten einhellig zu einer Aufhebung damit an die Reformen von 1969 und 1973 an, denen, des § 175 kommen, ist ein Indiz dafür, daß das bei allem Bemühen um Liberalität, wie der Kollege emotionale Potential in den letzten Jahren geringer Eylmann eben zutreffend ausgeführt hat, noch die geworden ist und daß es zugunsten einer sachlicheren Vorstellung zugrunde lag, der männliche Jugendliche und unverkrampften Betrachtung dieses Phänomens könne durch das Strafrecht gegen Störungen seiner zurückgetreten ist. Entwicklung und insbesondere gegen die Verführung Dennoch weiß ich, daß es für manche in diesem zur Homosexualität geschützt werden. Wir wissen Parlament und natürlich auch für manche in der heute, daß die sexuelle Orientierung und damit auch Bevölkerung nach wie vor ein Problem ist, die Homo- die Disposition zur Homosexualität bereits in der sexualität als gleichberechtigte sexuelle Orientierung frühkindlichen Phase und damit lange vor dem 14. Le- zu betrachten. Das sollte urn der Ehrlichkeit wi llen an bensjahr abgeschlossen ist. dieser Stelle nicht verschwiegen werden. (V o r s i t z: Vizepräsident Helmuth Becker)

Aus interessierten Kreisen hört man zuweilen, Die von uns seit langem geforderte Streichung des Duldsamkeit gegenüber den Homosexuellen reiche § 175 beendet die immer wieder und mit Recht nicht aus; die Homosexualität müsse akzeptiert, also kritisierte Diskriminierung homosexueller Manner. angenommen werden. Aber welche Form der Sexuali- Es ist nicht nur ein Grundsatz des liberalen Rechts- tät der einzelne für sich annehmen will, wie er sie staates, daß gewaltfreie und einverständliche sexuelle bewertet, das kann und darf der Staat nicht komman- Handlungen zwischen Erwachsenen den Staat nichts dieren. Denn wenn er sich herausnimmt, alle Lebens- angehen; vielmehr ist der § 175 auch und nicht zuletzt einstellungen seiner Bürger, auch die höchst privaten, durch die Verbrechen der Nazis ein Symbol der in ihrer Totalität beeinflussen und bestimmen zu Unmenschlichkeit geworden. Ich erinnere an die wollen, dann wird er schnell zu einem totalitären Massenverschleppung Homosexueller und ihre Er- Staat. mordung in den Konzentrationslagern. Ich erinnere an (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der 24 447 grausame Strafurteile allein in den drei Jahren F.D.P.) von 1937 bis 1939. Was der Staat einfordern darf und was er auch Diejenigen unter uns, die auch heute noch dazu neigen mögen, homosexuelle Handlungen unter durchsetzen muß, ist Toleranz gegenüber Homosexu- ellen — nicht mehr, aber auch nicht weniger. Kein Berufung auf Justinian oder die mittelalterlichen Homosexueller darf wegen seiner sexuellen Orientie- Gesetzgeber als unmoralisch anzusehen, werden sich rung diskriminiert werden, und natürlich, meine wohl wenigstens die mehr als 200 Jahre alte Erkennt- Damen und Herren, ist auch der Homosexuelle der nis der Aufklärung, beispielsweise Beccarias, zu eigen Nächste, dem unsere mitmenschliche Solidarität gel- machen, daß dies keine Sache des weltlichen Richters ten muß. ist und ein staatliches Strafbedürfnis nicht besteht. Ziel der Reform ist der auch aus unserer Sicht Wem das schwerfällt, den erinnere ich an ein schon notwendige Schutz von Jugendlichen vor sexuellem 1774 geschriebenes Wort des englischen Philosophen Mißbrauch durch Erwachsene, und zwar unabhängig Jeremy Bentham: davon, ob Täter oder Opfer männlichen oder weibli- Dieses Verbrechen, chen Geschlechts sind. Erreichen wir dieses Ziel 18702 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) wirklich durch den heute zur Verabschiedung anste- Bitte schön, Herr Kollege. henden Gesetzentwurf? Gewisse Zweifel sind durch- aus angebracht. Ob sie berechtigt sind, werden die (CDU/CSU): Werter Herr Kollege Erfahrungen in den nächsten Jahren bis zur dann Horst Eylmann Professor Meyer, halten Sie es für möglich, daß das möglicherweise stattfindenden nächsten Reform zei- gen. Justizministerium sich in fachlicher Hinsicht irren kann, oder halten Sie es für unfehlbar? Das würde Die SPD-Fraktion ist bei den Gesetzesberatungen zukünftige Beratungen im Rechtsausschuß sehr ver- vom Entwurf des Bundesrates ausgegangen, der die kürzen. Handschrift der SPD-regierten Bundesländer trägt. Wir haben deshalb dem neuen § 182 Abs. 1 zuge- (Zuruf von der CDU/CSU: Vor allen Dingen stimmt, der Jugendliche unter 16 Jahren gegen zwei erleichtern!) genau beschriebene Formen des Mißbrauchs schützt, nämlich gegen Prostitution und gegen die Ausnut- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Also, Herr Kollege, zung von Zwangslagen, wie sie etwa bei wohnungs- selbstverständlich kann sich das Justizministerium losen oder drogenabhängigen Jugendlichen bestehen irren. Die Gefahr des Irrtums wird deutlich herabge- können. setzt, wenn es nach dem Oktober dieses Jahres unter Ganz anders verhält es sich mit dem umstrittenen anderer Leitung stehen wird. neuen Absatz 2 von § 182, dessen Streichung wir, wie (Heiterkeit — Zuruf von der CDU/CSU: Da ist schon in den Ausschußberatungen, auch heute noch- der Wunsch der Vater des Gedankens!) mals beantragen. Durch diese Vorschrift sollen Aber nun wieder ernsthaft — nach der ja auch etwas Jugendliche unter 16 Jahren vor sexuellen Handlun- gen von oder mit Personen über 21 Jahre geschützt scherzhaft gemeinten Zwischenfrage —: Meine sehr werden, sofern diese die fehlende Fähigkeit des geehrten Damen und Herren, es müßte eigentlich die Kolleginnen und Kollegen von der CSU, die den Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzen. umstrittenen § 182 Abs. 2 mit besonderem Nachdruck Was damit gemeint ist, geht aus dem Gesetzestext nicht hervor. Die Formulierung ist dem in der Literatur gefordert haben, nachdenklich stimmen, wenn ich sie als uferlos kritisierten DDR-Tatbestand nachempfun- an die ablehnende Stellungnahme erinnere, die das Kommissariat der Deutschen Bischöfe, Katholisches den, der von der „Ausnutzung der moralischen Büro Bonn, und der Rat der Evangelischen Kirche Unreife" spricht. In den Ausschußberatungen haben gemeinsam am 22. Oktober 1993 abgegeben haben. Sprecher von CDU und F.D.P. durchaus eingeräumt, daß durch eine solche Norm die Schleuse zu Gutach- Im Anschluß an die von mir bereits genannten terprozessen geöffnet werden könnte, deren Objekt Argumente wird in dieser Stellungnahme ein Gegen- das jugendliche Opfer werden könnte. Aber man hat konzept vorgeschlagen, das sich mit dem von der SPD die Erwartung ausgesprochen, daß der Tatbestand in den Ausschußberatungen vertretenen Konzept nur ganz selten angewandt werden würde. Überzeu- deckt. Ich zitiere aus der Stellungnahme der beiden gender war da schon die knappe Feststellung auf Kirchen: Seite 7 der Auswertung der Sachverständigenanhö- Dem Grundgedanken des strafrechtlichen Ju- rung durch das Bundesministerium der Justiz vom gendschutzes gegen sexuellen Mißbrauch, näm- 26. November 1993 — ich zitiere —: lich dem Einfluß als bestimmend empfundenen Paragraph 182 Abs. 2 neu StGB sollte aus fachli- fremden Willens entgegenzuwirken, entspricht cher Sicht ganz entfallen. es vielmehr, das qualifizierende Merkmal beim Warum, meine sehr geehrten Damen und Herren, Täter oder der Täterin zu suchen, dem sich entscheiden wir nicht auch einmal aus fachlicher der/die Jugendliche aus Vertrauen, Respekt oder Sicht? auch aus Furcht vor nachteiligen Folgen fügt. Vorwiegend von der Täterstellung her sollte Ich erinnere weiter daran, daß ein wesentlicher daher das in der Begründung des Regierungsent- Einwand gegen die neue geschlechtsneutrale Ju- wurfs bezeichnete Machtgefälle zwischen den gendvorschrift doch darin bestand, daß sie auch Beteiligten beurteilt werden, das auch nach Frauen als Täterinnen einbezieht und neuerdings Ansicht der Kirchen diesen Straftatbestand kenn- heterosexuelle oder lesbische Kontakte unter be- zeichnen sollte. stimmten Voraussetzungen mit S trafe bedroht, obwohl insoweit, ausweislich der Sachverständigen- Genau das, meine sehr verehrten Damen und Her- anhörung, ein Strafbedürfnis aus kriminologischer ren, ist auch unser Konzept. Wir schlagen statt des Sicht eigentlich nicht besteht. umstrittenen § 182 Abs. 2 eine Präzisierung des § 174 vor, der den sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohle- nen regelt. Wir schlagen weiter vor, dies mit dem Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege zwingend erforderlichen besseren Schutz anvertrau- Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- ter Personen in therapeutischen Beziehungen zu ver- gen Eylmann? binden. Ich habe schon in der ersten Lesung der Gesetzent- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Noch ein Satz, dann würfe ausgeführt: Wer mit dem Verfassungsrang des gerne. Jugendschutzes Ernst machen will, darf nicht überse- Um wieviel schwerer müssen derartige Bedenken hen, daß Jugendliche nicht selten im Rahmen von wiegen, wenn die Neupönalisierung von Frauen nun Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnissen struktu- über einen geradezu uferlosen Straftatbestand vorge- reller Gewalt und sexuellem Mißbrauch ausgesetzt sehen werden soll? sind. Der insoweit durch § 174 vorgesehene Schutz ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18703

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) bekanntlich höchst unzureichend. Er sollte deshalb die sich ihre naturgegebene Sexualität nicht haben verstärkt werden. verbieten lassen und dafür im KZ geendet sind. Der Bundesgerichtshof hat beispielsweise einen Ich weiß, daß die heute beschlossene Regelung da Berufsschullehrer, der sich an eine Schülerin der und dort zu Kritik führen wird. Aber auch Kritiker Berufsschule heranmachte, freigesprochen, weil er sie müssen einräumen: Es gibt endlich kein Sonderrecht nicht mehr unterrichtete, so daß kein Obhutsverhält- mehr für homosexuelle Männer. Wir haben dies nicht nis mehr bestand. Dasselbe geschah bei einem Beicht- durch schrillen Aktionismus, sondern durch ruhige vater, der an zwei Mädchen sexuelle Handlungen Sacharbeit erreicht. vornahm; Begründung: Die Beichte sei kein Betreu- ungsverhältnis. Ähnliches soll für den Fahrlehrer im Wir beschränken uns auf das Selbstverständliche: Verhältnis zu jugendlichen Fahrschülerinnen gelten die Strafbarkeit des Verhaltens, das wirklich strafwür- oder für den Direktor oder Meister eines Industriebe- dig ist. Weder das Ausnutzen einer Zwangslage noch triebs gegenüber einem oder einer Auszubildenden die Zahlung eines Entgelts führt zu einer freiwilligen im selben Betrieb, wenn die Ausbildung in der Ver- Entscheidung des jungen Menschen zum Ge- antwortung eines anderen Ausbilders stattfindet. Das schlechtsverkehr. Und weder das Geschlecht des Gemeinsame dieser Fälle ist der Mißbrauch struktu- Täters noch das der jugendlichen Person ist dabei von reller Macht- oder Überlegenheitsgefälle. Interesse. Die Kritik am Regierungsentwurf, es wür- Bei der Anhörung des Bundesrates im März 1992 hat den die normalen Begegnungen unter Jugendlichen deshalb die Mehrheit der Sachverständigen gefordert, in Zukunft strafrechtlich pönalisiert, entbehrt daher den Schutz Jugendlicher vor sexuellen Übergriffen im jeglicher Grundlage. Rahmen von Autoritätsverhältnissen zu verbessern. Diese Forderung hat auch bei der Sachverständigen- Ich verschweige nicht: Wir haben uns in den Ver- anhörung des Rechtsausschusses Unterstützung ge- handlungen mit unserem Koalitionspartner dafür ein- funden. gesetzt, auf den Abs. 2 des § 182 StGB zu verzichten. Natürlich kann sehr wohl darüber diskutiert werden, Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir freuen ob das Ausnutzen der mangelnden Fähigkeit zur uns, daß diese Vorschläge der SPD nunmehr Inhalt sexuellen Selbstbestimmung strafwürdiges Verhalten eines einstimmig vom Rechtsausschuß zur Annahme ist. Ich bin sicher, daß die meisten meiner Kollegen in empfohlenen Entschließungsantrages geworden sind. der Staatsanwaltschaft den hohen Aufwand bei der Deshalb ist mein letzter Satz: Dies und die Tatsache, Einschaltung von Sachverständigen scheuen werden daß die von uns geforderte Möglichkeit, von S trafe und deshalb die Vorschrift in der Praxis leerlaufen abzusehen, in den neuen § 182 eingefügt worden ist, kann. Daher kann m an es sich leicht machen und ermöglicht uns heute die Zustimmung zum vorliegen- sagen: Abs. 2 wird sowieso kaum angewandt werden. den Gesetzentwurf in der abschließenden Lesung. Aber wenn man das schon weiß, muß man sich fragen Das Gesetz bringt uns eine Reform, die manche lassen, ob man dann nicht besser auf die Vorschrift Wünsche offen läßt. Aber es ist ein Reformschritt in die ganz verzichtet. richtige Richtung. Danke. Aber ich sehe auch, daß es strafwürdige Fälle gibt, und der Kollege Eylmann hat einige Beispiele hier (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ genannt. Wir werden deshalb dem Änderungsantrag DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der SPD nicht zustimmen. F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Ich freue mich sehr, daß meine Anregung, ob m an Herren, nächster Redner ist unser Kollege Jörg van nicht die Absehensklausel des bisherigen § 175 StGB Essen. in das neue Recht übernimmt, positiv beantwortet worden ist. Insbesondere die Bedenken gegen den Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Regierungsentwurf, die aus der Arbeit mit jugendli- Damen und Herren! Die F.D.P. hat es endlich chen Strichern und Prostituierten geäußert worden geschafft. Über viele Legislaturperioden hinweg sind, verlieren damit ihre Begründung. Es gibt keinen haben wir in den Koalitionsverhandlungen, erst mit Rückschritt mehr. Gegenüber der bisherigen Rechts- der SPD, dann mit der CDU, vergeblich versucht, zu lage ändert sich nichts. Auch das ist für mich ein einer weiteren notwendigen Reform in diesem wichtiger Punkt bei der Ablehnung des Änderungs- Bereich zu kommen. Erst nach der Bundestagswahl antrages der SPD. 1990 waren wir erfolgreich. Die F.D.P. freut sich über die Abschaffung des § 175 Der Wegfall des § 175 StGB kommt spät, vielleicht StGB, gibt sich mit dem heutigen Gesetz aber nicht zu spät, aber er kommt. Wir haben zu diesem Thema zufrieden. Wir sind für weitere Reformschritte offen. nur eine Kurzdebatte: vielleicht gut so, weil wir ein Für uns gehört zu einem weiteren Abbau der offen- Thema behandeln, bei dem viele lieber aus dem kundigen Diskriminierung von homosexuellen Män- Bauch als aus dem Kopf reagieren, aber gleichzeitig nern und Frauen auch, daß es möglich sein muß, schade, weil die heutige Debatte vielfältig Anlaß zum registrierte Partnerschaften einzugehen. Wir beraten Nachdenken geben muß. bereits innerhalb der Partei intensiv über dieses Wie wenige andere Vorschriften ist dieser Para- Thema und werden dazu sicherlich in absehbarer Zeit graph für hunderttausendfaches Leid, für Folter und Vorschläge für die verschiedenen Gruppierungen Mord verantwortlich. Es gilt, heute an die zu erinnern, machen. 18704 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Jörg van Essen Der Kollege Meyer hat die Therapie- und Abhän- den Fähigkeit, selbst über die eigene Sexualität zu gigkeitsverhältnisse angesprochen. Ich bin ihm sehr bestimmen, gedemütigt wird. Lesbische Mädchen, dankbar, daß er uns im Rechtsausschuß darauf auf- deren sexuelle Orientierung ohnehin schon immer als merksam gemacht hat. Wir haben das in den Ent- ein Zeichen von Unreife abgetan worden ist, sind schließungsantrag aufgenommen, der heute auch zur durch die neue Vorschrift besonders bedroht. Abstimmung vorliegt. Für ebenso schädlich halte ich die Vorschrift, nach Die heutige Debatte gibt Anlaß zur Zufriedenheit, der bestraft werden soll, wer sexuelle Handlungen daß eine schlimme Vorschrift endlich, nach 120 Jah- mit, von oder an Personen unter 16 gegen Entgelt ren, aus dem Strafgesetzbuch verschwindet. Es gibt vornimmt. Wer die Sozialarbeit mit jugendlichen wieder eine Rechtseinheit in Deutschland. Ich freue Prostituierten und Strichern verhindern will, wer sie mich besonders darüber, daß wir das mit breiter kriminalisieren und abdrängen will, fernab jeglicher Mehrheit beschließen werden. Fürsorge und Prävention, der muß genau dieses Vielen Dank. Gesetz verabschieden. Er sollte dann allerdings ehrli- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU cherweise nicht von einer Jugendschutzvorschrift, sowie bei Abgeordneten der SPD) sondern von einem jugendgefährdenden Gesetz reden, von einem Gesetz zur Verbreitung von Rechts- unsicherheit unter Jugendlichen und deren Abdrän- Vizepräsident Helmuth Becker:Meine Damen und gung in die Illegalität. Herren, die nächste Wortmeldung kommt von Frau Christina Schenk. Sie hat jetzt das Wort. Wer hingegen den Schutz der sexuellen Selbstbe- stimmung tatsächlich will, muß die Reform der §§ 174 sowie 177 bis 179 StGB endlich in Angriff nehmen. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Christina Schenk Insofern bin ich sehr froh, daß Herr Professor Meyer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heu- das hier ausführlich erwähnt hat. tige Tag hätte ein wahrhaft historisches Datum wer- den können, wenn der § 175, der während der letzten Ich möchte noch eines in aller Klarheit sagen: Ich hundert Jahre die gesetzliche Grundlage für die halte es für vollkommen wirklichkeitsfremd, den Verfolgung schwuler Männer und die Ursache für Schutz der sexuellen Selbstbestimmung an neuen unendliches Leid war, endlich da gelandet wäre, wo er Altersgrenzen festmachen zu wollen und den eigent- hingehört, nämlich auf den Müllhaufen der Ge- lichen Hintergrund sexueller Gewalt, nämlich die schichte. Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen bzw. von Hierarchien, weitgehend außer acht zu lassen. Leider ist das nicht der Fa ll. Der § 175 wird nicht- gestrichen, ohne daß die Bundesregierung für einen Wer hier untätig bleibt, Ersatz gesorgt hat, für eine Hintertür, mit deren Hilfe (Jörg van Essen [F.D.P.]: Wir bleiben es ja nicht nur schwule Beziehungen, sondern jegliche nicht! — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Form nonkonformer sexueller Kontakte zwischen [CDU/CSU]: Haben Sie den Gesetzentwurf Personen unter 16 und solchen über 21 weiterhin nicht gelesen?) gesetzlich verfolgt werden können. muß sich sagen lassen, an einem wirksameren Schutz (Horst Eylmann [CDU/CSU]: Das ist Heuche- der sexuellen Selbstbestimmung kein Interesse zu lei!) haben. Daß Schwule und von nun an auch Lesben als erste (Beifall bei der PDS/Linke Liste) dazu prädestiniert sind, durch den neuen Paragra- phen bedroht zu werden, liegt auf der Hand. In der Beantwortung mehrerer Anfragen, die ich an die Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- Bundesregierung gestellt habe, konnte die Bundesre- ten Damen und Herren, am Schluß der Debatte zu gierung die Notwendigkeit der neuen sogenannten diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Bundesju- Jugendschutzvorschrift in keiner Weise plausibel stizministerin, unsere Kollegin Sabine Leutheusser- machen. Insbesondere die Notwendigkeit der Neu- Schnarrenberger, das Wort. pönalisierung von lesbischen und nichtlesbischen Frauen in einer Situation, in der fast 99 % — wer es genau wissen will: 98,7 % — aller Straftaten gegen das Bundesmi- sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Kindern und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, nisterin der Justiz: Herr Präsident! Meine sehr verehr- Jugendlichen nach §§, 174 und 176 StGB von Männern ten Damen und Herren! Das ist heute doch ein begangen werden, konnte weder durch Zahlen noch historischer Tag durch andere Argumente belegt werden. Die nun vorgeschlagene Ersetzung des in diversen (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber aus ande Anhörungen nahezu einhellig kritisierten Beg riffs der ren Gründen!) „Unreife" durch den Beg riff des Fehlens der „Fähig- und sehr wichtig für verantwortungsbewußte liberale keit zur sexuellen Selbstbestimmung" verbessert den Rechtspolitik. Denn endlich kommen wir heute dazu, Gesetzentwurf in keiner Weise. Er erzeugt, ebenso den — von allen Rednern eindeutig so bezeichne- wie die zuerst zum Kriterium erhobene „Unreife", ten — historisch belasteten § 175 StGB abzuschaffen. Rechtsunsicherheit und wird bei prozessualen Aus- Mit ihm — auch das ist hier schon mehrfach betont einandersetzungen immer dazu führen, daß die worden — verbindet sich die schlimme Erinnerung an betroffene jugendliche Person, die zum Opfer einer an die Massenverschleppung von Homosexuellen, selbstgewählten Liebesbeziehung degradiert wird, ihre Ermordung in Konzentrationslagern. Damit ist er vor Gericht auch noch wegen der vermeintlich fehlen- ein Symbol der Unmenschlichkeit. Ich glaube, das Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18705

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kann man am heutigen frühen Abend in dieser wird nur ein echtes kriminelles Fehlverhalten gegen- Debatte gar nicht oft genug wiederholen. über Schwächeren. (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr gut!) Die Neuregelung ist gleichzeitig ein wich tiges Stück deutsch-deutscher Rechtsangleichung. Auch Ab jetzt gibt es nicht nur mehr Freiraum für homo- das ist in dieser Debatte betont worden. Ich glaube, sexuelle Handlungen; der Staat macht auch deutlich, daß es wichtig ist, hier nicht Schluß zu machen, daß ihn gewaltfreie und einverständliche sexue lle sondern deutlich zu machen, daß das ein erster, sehr Handlungen zwischen Erwachsenen und Fast- wichtiger Schritt ist. Der Ke rn liegt darin, daß der § 175 Erwachsenen nichts angehen. abgeschafft wird, daß wir uns auf einen so fairen und vernünftigen Kompromiß verständigen konnten und Was bleibt und bleiben muß, ist der Jugendschutz. daß selbstverständlich überlegt werden muß, wie es in Dies war Gegenstand der intensiven, nicht leichten diesem Bereich zu weiteren vernünftigen Regelungen Beratungen nach den Anhörungen der Sachverständi- auch im Interesse des Schutzes der Jugendlichen vor gen. Der sexuelle Mißbrauch von Jugendlichen muß sexueller Ausbeutung kommen kann. zum Schutz vor nachteiligen Folgen ihrer psychologi- schen und sozialen Entwicklung weiterhin mit S trafe Vielen Dank. bedroht sein. Durch das Konzept eines Jugendschutz- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tatbestandes, bei dem das Geschlecht des Täters und des Opfers keine Rolle mehr spielt, wird endlich die strafrechtliche Ungleichbehandlung von Homo- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und sexualität und Heterosexualität beseitigt. Auch das ist Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich ein eminent wichtiger Beitrag zum Abbau von Vorur- schließe die Aussprache. teilen und gesellschaftlichen Diskriminierungen ge- Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der genüber Homosexuellen. Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Straf- Der neue § 182 StGB führt auch keineswegs dazu, rechtsänderungsgesetzes auf den Drucksachen wie teilweise behauptet wird, daß künftig über allen 12/4584 und 12/7035 Buchstabe a). sexuellen Kontakten von und mit Jugendlichen unter Dazu liegt ein Änderungsantrag der Frak tion der 16 Jahren das Damoklesschwert der Strafbarkeit SPD auf Drucksache 12/7044 vor, über den wir zuerst schwebt. Mit Strafe werden drei Fallgruppen bedroht, abstimmen. in denen nachteilige Folgen für die Entwicklung von Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer Jugendlichen zu befürchten sind. Sie sind nach sorg- stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der fältiger Auswertung der Sachverständigenanhörun- Änderungsantrag ist bei Gegenstimmen von der SPD gen im Bundesrat und im Bundestag entwickelt wor- und Enthaltungen bei der Gruppe PDS/Linke Liste den. abgelehnt. Es ist bei der Formulierung der Vorschrift bewußt Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der darauf geachtet worden, jugendtypische Beziehun- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- gen nicht zu erfassen. Das gilt auch für den § 182 zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- Abs. 2 StGB, an dem sich die sehr sachlichen Gesprä- gen? — Bei Gegenstimmen aus der Gruppe BÜND- che entzündet haben. Mit der Festschreibung eines NIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS/Linke Altersunterschieds von mindestens fünf Jahren zwi- Liste und von Herrn Abgeordneten Dr. Krause (Bo- schen Täter und Opfer ist deutlich gemacht worden, nese) ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange- daß es in der Bewertung eines strafbaren Verhaltens nommen. nur um einen gewissen Bereich von Handlungen geht, Wir kommen zur dem der Mißbrauch und die Ausnutzung der fehlen- den Selbstbestimmung zur Sexualität zugrunde lie- dritten Beratung gen. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Ich sage ganz offen: Hier ist ein Kompromiß Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf geschlossen worden. Er spiegelt auch das wider, was ist damit in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen- im Moment in den Beratungen machbar gewesen ist. verhältnis angenommen. Damit ist aber der § 182 StGB insgesamt, nämlich sein Abs. 1 und sein Abs. 2, fachlich sehr wohl vertretbar. Unter Buchstabe b) seiner Beschlußempfehlung auf Hinzu kommt, daß mit dem in den letzten Beratungen Drucksache 12/7035 empfiehlt der Rechtsausschuß, noch aufgenommenen Absatz über das Absehen von den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Strafe bei geringem Unrecht der Tat auch die Mög- Sexualstrafrechts für erledigt zu erklären. Wer stimmt lichkeit besteht, aufwendige Verfahren, bei denen für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — man am Ende nicht weiß, welches Verhalten letztlich Stimmenthaltungen? — Bei einigen Stimmenthaltun- mit — vielleicht nur geringer — Strafe belegt werden gen ist die Beschlußempfehlung angenommen. sollte, zu vermeiden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Völlig richtig!) NEN zum Schutz der psychosexuellen Entwicklung Ich glaube, mit der Regelung, daß es die Möglichkeit von Jugendlichen auf Drucksache 12/1899. gibt, von Strafe abzusehen, kann man auf die Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache Umstände des Einzelfalls flexibel reagieren und eine 12/7035 unter Buchstabe c), den Gesetzentwurf abzu- zu weitgehende Kriminalisierung vermeiden. Bestraft lehnen. 18706 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsident Helmuth Becker Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe der grenzüberschreitenden Verbringung ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1899 fährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (Zu- abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- stimmungsgesetz zum Basler Übereinkom- wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer men) stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der — Drucksache 12/5278 — Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. (Erste Beratung 183. Sitzung) Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den sicherheit (17. Ausschuß) Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste zur — Drucksache 12/7032 — Rechtsgleichstellung von Homosexualität und Hete- rosexualität im S trafrecht auf Drucksache 12/850. Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache Susanne Kastner 12/7035 Buchstabe d), den Gesetzentwurf abzuleh- Birgit Homburger nen. c) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/ desregierung eingebrachten Entwurfs eines Linke Liste auf Drucksache 12/850 abstimmen. Ich Ausführungsgesetzes zu dem Basler Überein- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen kommen vom 22. März 1989 über die Kontrolle wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — der grenzüberschreitenden Verbringung ge- Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zwei- fährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung ter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. (Ausführungsgesetz zum Basler Übereinkom- men) Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe e) — Drucksache 12/6351 — seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Ent- schließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- (Erste Beratung 202. Sitzung) lung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- einer Gegenstimme ist die Beschlußempfehlung schusses für Umwelt, Naturschutz und angenommen. Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich — Drucksache 12/7032 — den Tagesordnungspunkt 9 aufrufe, teile ich mit, daß Berichterstattung: die Fraktion der CDU/CSU fristgerecht beantragt hat, Abgeordnete Steffen Kampeter zu den Gesetzentwürfen zum Basler Übereinkommen Susanne Kastner — Tagesordnungspunkt 9 b) und c) — von der in § 81 Birgit Homburger Abs. 1 genannten F rist für den Beginn der zweiten bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Beratung abzuweichen. schuß) gemäß § 96 der Geschäftsord- Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort nung gewünscht? — Das ist nicht der Fa ll. — Drucksache 12/7033 — Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für Berichterstattung: den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Fristver- Abgeordnete Hans Georg Wagner kürzung? — Gegenprobe! — Der Antrag ist mit der Michael von Schmude erforderlichen Mehrheit angenommen. Dr. Sigrid Hoth Zum Ausführungsgesetz liegt ein Entschließungs- Somit rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c antrag der SPD vor. auf: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten hen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann Marion Caspers-Merk, Dr. Liesel Hartenstein, ist das so beschlossen. Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Steffen Kampeter. Eckpunkte für eine ökologische Stoffwirt- schaft und ein neues Abfallrecht Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Präsident! — Drucksache 12/6250 — Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer kennt Überweisungsvorschlag: sie nicht, diese Fernsehsendungen über die angeblich Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit illegal verbrachten Giftstoffe im Ausland? Meist publi- (federführend) zitätsträchtig aufgedeckt und identifiziert von Um- Rechtsausschuß weltschutzorganisationen, die vor laufenden Kameras Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft dem Publikum erzählen, daß wir die Folgelasten Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- unserer Industriegesellschaften auf Entwicklungslän- schätzung der und Schwellenländer abladen. b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Dies ist eine erschreckende Form der Umweltkrimi- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- nalität, die in den letzten Jahren ein immer stärkeres wurfs eines Gesetzes zu dem Basler Überein- Maß erreicht hat. Diejenigen Staaten, die mit dieser kommen vom 22. März 1989 über die Kontrolle Form von teilweise mafiös unterstütztem Rechtsbruch Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18707

Steffen Kampeter ein Ende machen wollen, ratifizieren die Basler Kon- wortung zu nehmen, als es uns bei den Beratungen für vention und setzen sie mit Hilfe eines Durchführungs- verfassungsrechtlich zulässig erschien. gesetzes in nationales Recht um. Auch die private Entsorgungswirtschaft ist aufge- (Beifall bei der CDU/CSU) rufen, im Rahmen von verbindlichen, aber freiwilligen Lösungen dazu beizutragen, daß bei Verbringung, für Der Umweltausschuß des Deutschen Bundestages die ein Verursacher nicht mehr feststellbar ist, die jetzt hat gestern auf Be treiben der Koalitionsfraktionen die nach dem alten Recht bestehenden Finanzschwierig- beiden Gesetzentwürfe zum Basler Übereinkommen keiten und -streitigkeiten zwischen Bund und Län- verabschiedet. Mit der heute vorgesehenen Verab- dern ausbleiben. schiedung hier im Deutschen Bundestag wird grünes Licht für das Inkrafttreten dieses wichtigen Umwelt- (Beifall bei der CDU/CSU) gesetzes gegeben. Zuerst zahlt der Verursacher, dann die Gemein- Künftig sind Abfallexporte, insbesondere für nicht schaft. verwertbare Rückstände, in Länder außerhalb der Dies gilt im übrigen auch für alle Formen des Europäischen Gemeinschaft und der EFTA verboten. Gütesiegels. Es gibt zahlreiche private Gütegemein- Sofern es trotz dieses Verbotes zu Exporten kommt, schaften. Wir brauchen hierfür nach unserer Auffas- müssen die Verursacher bzw., falls diese nicht mehr zu sung keine gesetzlichen Regelungen, wenn subsidiär greifen sind, ersatzweise die für die Überwachung entsprechende Gütesiegel für an diesen Geschäften und den Vollzug zuständigen Bundesländer für die beteiligte Unternehmen auch privatwirtschaftlich Rückführung dieser Stoffe sorgen. organisiert sind. Die CDU/CSU ist davon überzeugt, daß mit der hier In diesem Sinne ist das heute vorgelegte Gesetzes- vorgeschlagenen Neuregelung den illegalen Abfall- paket auch ein Beitrag zur Sicherung des Wirtschafts- exporten, insbesondere in die Staaten Mittel- und und Umweltstandorts Deutschland. Denn es gibt wohl Osteuropas und der Dritten Welt, ein wirksamer keinen Bereich, in dem so nachhaltig ein außenpoliti- Riegel vorgeschoben wird. scher Schaden verursacht wird, als den, in dem sich hemmungslose Unternehmer aus einem reichen Indu- (Zuruf von der SPD: Irrglaube!) strieland unter Umgehung von Rechtsvorschriften In den Beratungen des Umweltausschusses gab es kurzfristige Kostenvorteile in weniger entwickelten auch eine ganze Reihe von streitigen Punkten. Ein Ländern verschaffen. umweltgefährdender Export von Abfall ist nach deut- Die hohe außenpolitische Brisanz dieses Themas schem und europäischem Recht heute bereits verbo- kann man auch daran ersehen, daß es erst vor kurzem ten. Es fehlt teilweise nicht an den Gesetzen, sondern in der amerikanischen Öffentlichkeit eine sehr inten- an einer wirksamen Durchsetzung von bestehenden sive Diskussion darüber gegeben hat, in welcher Form Vorschriften. die Amerikaner ihre umfangreichen Verbringungen Die von uns vorgeschlagenen Regelungen des zur Verwertung und Entsorgung ins nichtamerikani- Durchführungsgesetzes stellen noch einmal klar, daß sche Ausland einschränken sollten. Die Vereinigten es auch an den Ländern liegt, bestehende und jetzt Staaten haben das Basler Abkommen bisher nicht geschaffene rechtliche Instrumente im Rahmen ihrer ratifiziert; eine Ratifikation ist auch nicht absehbar. Vollzugskompetenz auszunutzen, so daß ein Beitrag In diesem Zusammenhang haben wir in den Aus- dazu geleistet wird, daß illegaler Export von Stoffen, schußberatungen auch die Vorschläge der Opposition von Abfällen unterbunden wird. abgelehnt, die darauf hinausgelaufen wären, die Damit wollen wir deutlich machen und auch noch deutsche Beteiligung an einem qualifizierten interna- einmal politisch betonen, daß es die Länder sind, die tionalen Wertstoffhandel vollständig zu unterbin- ihrer Verantwortung bei grenzüberschreitenden Ver- den. bringungen nachzukommen haben. Dies gilt für den Die CDU/CSU-Fraktion glaubt, daß die von uns Vollzug der Kontrolle ebenso wie für die daraus vorgeschlagene Regelung — z. B. im Hinblick auf die erwachsenden finanziellen Verpflichtungen. Zuverlässigkeit der an diesem Geschäft beteiligten Die in dem Basler Übereinkommen geforderte Unternehmen — ein erhebliches Mehr an außen- Staatshaftung kann aber nicht bedeuten, daß der sowie umweltpolitischer Sicherheit bringt. Auch im Bund für eventuelle Vollzugsdefizite der Länder auch Hinblick auf die Wertschöpfungsmöglichkeiten im die finanzielle Verantwortung zu tragen hat. Wir Partnerland wäre dieses Verbot nicht geboten. haben uns daher im Rahmen der Ausschußdiskussio- Eines wird durch Basel deutlich: Wir haben uns nen dafür eingesetzt, daß neben den Sicherheitslei- unserer umwelt-, aber auch unserer umweltaußenpo- stungen und den Pflichtversicherungen, die der Ver- litischen Verantwortung gestellt. ursacher zu tragen hat, die Länder im Rahmen der sogenannten Steuerlösung für ihre Vollzugsdefizite (Susanne Kastner [SPD]: Halbherzig!) nicht nur politisch, sondern auch finanziell einzuste- Wir als reiche Industrienation sind bereit, auch finan- hen haben. zielle Lasten hierfür zu tragen. Es liegt nun am Bundesrat, mit einer raschen Verabschiedung der hier Dabei betone ich hier bei der abschließenden Bera- heute vorgelegten Gesetzentwürfe dafür Sorge zu tung des Gesetzentwurfs deutlich, daß es all den tragen, daß wir die Basler Konventionen fristgerecht, Ländern freisteht, auch verursachernähere Lösungen nämlich im Mai 1994, in Kraft setzen. zu finden und die Unternehmen im Rahmen von Ländergesetzen in eine stärkere finanzielle Verant- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 18708 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Steffen Kampeter Die Koalitionsfraktionen legen Ihnen hier zwei Sie wissen genausogut wie wir, daß Müllschieber Gesetzentwürfe vor, die dies leisten können. ihre Exportware immer für verwertbar oder recyclebar Mein Appell geht an die Verantwortlichen in den deklarieren. Deshalb ist es wichtig, daß wir einen Ländern, unsere Nation jetzt nicht durch parteipoliti- eindeutigen Abfallbegriff in dieses Gesetz aufneh- sche Auseinandersetzung innerhalb der Bundesrepu- men. Nachdem Sie diesen EG-Begriff nicht überneh- blik in eine außenpolitisch schwierige Situa tion zu men, ist der deutsche Abfallbegriff in der Europäi- bringen. Aus diesem Grunde werden wir den beiden schen Union nicht kompatibel, und damit öffnen Sie Gesetzentwürfen in der Ausschußfassung zustim- den Müllschiebern Tür und Tor. men. Der von den Sozialdemokraten vorgelegte Ent- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Kast- schließungsantrag bringt inhaltlich nichts, was in den ner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Ausschußberatungen nicht schon ausgiebig diskutiert neten Dr. Klaus Töpfer? worden wäre, Susanne Kastner (SPD): Gerne. (Widerspruch bei der SPD) sondern es sind alles die alten Hüte, die auch schon zu Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Töp- Beginn der ersten Lesung bekannt waren. Wir werden fer. den Antrag ablehnen. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Der von den Sozialdemokraten vorgelegte zweite Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht! Jetzt Antrag zur Stoffflußwirtschaft umfaßt all das, was wir werden Sie gefragt!) im Rahmen der Beratungen zum Kreislaufwirtschafts- gesetz, die wir am 13. April beabsichtigen abzuschlie- Dr. Klaus Töpfer (CDU/CSU): Wären Sie bereit, zur Ben, schon stundenlang im Ausschuß diskutiert Kenntnis zu nehmen, daß das, was Sie gerade zitiert haben. Wir werden dabei auch diesen Antrag noch haben, vom baden-württembergischen Umweltmini- gebührend beraten und der Überweisung in den ster festgestellt worden ist? Umweltausschuß zustimmen. (Dr. Wolfang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Herr Herzlichen D ank. Schäfer! SPD!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Susanne Kastner (SPD): Meiner Information nach, Herr Töpfer, war es Ihre Äußerung, aber in der Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und- Zielsetzung beschreibt es doch das Problem: Herren, nun hat unsere Frau Kollegin Susanne Kast- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] ner das Wort. [F.D.P.]: Nach Hörensagen falsch zitieren!) Wenn es exportiert wird, ist es recyclebar, und wenn Susanne Kastner (SPD): Herr Präsident! Meine es wiederkommt, dann ist es Sondermüll. lieben Kollegen! Liebe Kolleginnen! In der Tat, Herr Kollege Kampeter, die Schlagzeilen sind es, die auch Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch in den vergangenen Tagen wieder die Öffentlichkeit eine Zwischenfrage, Frau Kollegin? — Bitte, Kollege erschreckt haben: „480 Tonnen Altpestizide, dekla- Töpfer. riert als humanitäre Hilfe, die zwischen 1991 und 1992 nach Albanien exportiert wurden". Diese Schlagzei- Dr. Klaus Töpfer (CDU/CSU): Frau Kollegin, da ich len aus den letzten Monaten signalisieren, wie wichtig der Zitierte bin, dürfte ich vielleicht von Ihnen erwar- das Übereinkommen zur Verhinderung von Müllex- ten, gesagt zu bekommen, wo ich das gesagt haben porten, die Basler Konvention, gerade auch für die soll? Bundesrepublik Deutschl and geworden ist. (Marion Caspers-Merk [SPD]: „Badische (Zuruf von der CDU/CSU: Deshalb verab- Zeitung"!) schieden!) Denn mit der EG-Abfallverbringungsverordnung, die Susanne Kastner (SPD): Meine Kollegin Caspers- am 6. Mai dieses Jahres unmittelbar geltendes Recht Merk hat es gerade gesagt: Es hat in der „Badischen in der Bundesrepublik wird, ist das Ausführungsge- Zeitung" gestanden. Es besteht vielleicht die Mög- setz einfach notwendig geworden. lichkeit, sich mit der „Badischen Zeitung" auseinan- Was hier heute aber beschlossen werden soll, führt derzusetzen. die Absicht der Basler Konven tion teilweise ad absur- (Zuruf von der SPD: Sie können eine Gegen dum. Ihr Gesetzentwurf führt neue Abfallbegriffe ein darstellung machen! — Gegenruf von der mit dem Argument, das Wort „Abfall" sei zu „negativ" F.D.P.: Sie sind großzügig mit Gegendarstel belegt. Da wirft Herr Töpfer heute den Leuten von lungen!) Greenpeace, die die „legalen Pestizidexporte" — O- Aber ich will jetzt zum zweiten Problem kommen. Ton Herr Töpfer — aus Albanien zurückholen, vor, sie Genau deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist würden „illegalen Sondermüllimport" be treiben. Da auch unsere zweite Forderung so wich tig, nämlich das haben wir doch das perfekte Beispiel, Herr Töpfer, für generelle Verbot des Exports in Nicht - OECD - Staa- das Problem des Abfallbegriffs: Solange das Zeug ten. Die USA haben es uns in dieser Woche vorge- außer Landes geht, ist es nach Ihrer Vorstellung macht, und das Europäische Parlament hat sich ein- wiederverwertbar, kommt es wieder hinein — welch schließlich der deutschen Christdemokraten dafür ein Wunder —, wird es plötzlich Sondermüll. ausgesprochen, aber Sie sagen nein. Die Christde- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18709

Susanne Kastner mokraten im Europäischen Parlament haben mitge- — u. a. der Vorsitzende des Umweltausschusses — für macht. diesen Haftungsfonds ausgesprochen haben. Da läßt sich Herr Töpfer als Heilsverkünder in den (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: betroffenen Ländern, so z. B. in Rumänien— das, Herr Aus Unkenntnis!) Töpfer, konnte ich unmittelbar mitverfolgen —, feiern. Ich stelle fest: Wieder einmal wedelt in diesem Er stellte sich hin und sagte, es sei ihm eine Herzens- Parlament der Schwanz mit dem Hund, und die angelegenheit, illegal verbrachten Müll nach Unionsparteien kuschen. Deutschland zurückzuholen. Das freut mich ja. Aber hier weigert sich die Union, einem Exportverbot in Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., Nicht-OECD-Staaten zuzustimmen. wollen die Kosten der Rückführung illegaler Müllex- porte auf die Lander abschieben mit dem Argument, Genauso verhält es sich mit der von uns geforderten diese seien für die Genehmigung zuständig. Sie Clearingstelle, die beim Umweltbundesamt angesie- verschweigen dabei geflissentlich, daß die Kosten delt werden soll und die auch als Anlaufstelle in der dann von den Steuerzahlern übernommen werden Sache dienen soll. Sie, meine Damen und Herren, müssen. Das ist wirklich ein starkes Stück, wenn man wollen dies alles die Länder regeln lassen, wohlwis- weiß, daß allein die Rückholaktion aus Rumänien send, daß im aktuellen Fall Albanien auch der Zoll die etwa 10 Millionen DM gekostet hat und die Entsor- stinkenden Fässer einfach nicht hatte abfertigen dür- gungsindustrie bereit wäre, einen Haftungsfonds zu fen. gründen, der auch die illegalen Exporte abdeckt. Der Gipfel in der Debatte um das Ausführungsge- Ich bin sicher, das werden die Länder zu korrigieren setz zur Basler Konvention aber war in der Tat die wissen. Ich frage mich aber auch: Ist der Vermittlungs- Diskussion um den Haftungsfonds, Herr Kollege Kam- ausschuß wirklich dafür da, die Regierungsunfähig- peter. Wir haben in dieser Frage unsere Eckpunkte keit der Koalition immer wieder auszugleichen? formuliert. Das Land Niedersachsen hat eine hervor- ragende Diskussionsgrundlage erarbeitet, aber von (Zurufe von der CDU/CSU) Ihnen kam leider gar nichts. Ich denke, das kann nicht Aufgabe des Vermitt- (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Wie immer!) lungsausschusses sein. Sie haben sich mit diesem Ausführungsgesetz weiß Gott keine Lorbeeren ver- In den Medien konnten wir von den Unionspolitikern dient. immer wieder die Forderung nach einem Haftungs- fonds hören, allein, die F.D.P. wußte dies wieder Wir Sozialdemokraten haben in unserem Entschlie- einmal zu verhindern. Die F.D.P., die in dieser Frage ßungsantrag, den wir heute vorlegen, unsere Forde- nicht nur als Sprachrohr der Metallindustrie auftrat, rungen noch einmal exakt formuliert und geben Ihnen weigerte sich schlicht, über einen Haftungsfonds die Gelegenheit, sich eines besseren zu besinnen. überhaupt zu verhandeln, Ansonsten müssen und werden wir in der weiteren Gesetzgebung sicherstellen müssen, daß illegale (Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt zwar nicht, Müllexporte so weit wie möglich verhindert werden, aber immer noch besser als IG Metall!) vor allem aber, daß die Kosten für eventuelle Rückho- und stellte — zum wievielten Male eigentlich schon — laktionen bei den Verursachern und nicht bei den in diesem Jahr wieder einmal die Koalitionsfrage. Steuerzahlern liegen. (Abg. Birgit Homburger [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage!) Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Kast- ner, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kolle- Es tut mir leid, Frau Kollegin Homburger, ich bin mit gen Kampeter? meiner Rede fertig. (Beifall bei der SPD — Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Richtig Glück ge- Susanne Kastner (SPD): Aber bitte! habt! — Susanne Kastner [SPD]: Davor habe ich mich gefürchtet, Herr Lippold!)

Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Herr Kollege Kampeter. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, nun hat Frau Kollegin Birgit Homburger das Wort und kann gleich all das erklären, was sie Steffen Kampeter (CDU/CSU): Frau Kollegin Kast- eigentlich schon in der Frage darstellen wollte. ner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir uns, wie wir es im Ausschuß mehrfach erklärt haben, der Fondslösung deshalb nicht anschließen konnten, weil die erheblichen verfassungsrechtlichen Beden- Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Meine ken, die von seiten verschiedener Ministerien vorge- Damen und Herren! Ich werde mir natürlich jetzt tragen worden sind, auch von Ihnen nicht ausgeräumt selber keine Frage stellen, sondern ich werde in werden konnten? meinen Ausführungen — das werden Sie merken — auf die Vorwürfe der Frau Kollegin Kastner und auf das, was voraussichtlich von der Frau Kollegin Cas- pers-Merk zu erwarten sein wird, eingehen. Susanne Kastner (SPD): Herr Kollege Kampeter, dann hätte ich gerne von Ihnen die Erklärung, warum (Susanne Kastner [SPD]: Sie sind ja eine sich viele Unionskollegen auch in der Öffentlichkeit Prophetin!) 18710 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Birgit Homburger Die EU-Verordnung zum Basler Übereinkommen Ebenso lehnen wir das Bestreben der Länder ab, wird im Mai dieses Jahres für uns zum unmittelbar dem Bund Vollzugsaufgaben zu übertragen. Schon in geltenden Recht. Deswegen wird es höchste Zeit, daß der Vergangenheit war es unerträglich, wenn die wir mit dem Ausführungsgesetz zum Basler Überein- Bundesregierung für illegale Abfallexporte verant- kommen die ergänzenden Regelungen auf den Weg wortlich gemacht wurde, die die Länder bei sorgfälti- bringen, nicht zuletzt auch, um Ländern und Wirt- gerem Vollzug hätten verhindern können. schaft eine Vollzugserleichterung zu bieten. Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin, Ich bin froh, daß wir im Umweltausschuß dieses gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Gesetz in weiten Teilen parallel mit der Novellierung Caspers-Merk? des Abfallgesetzes beraten konnten. Denn so waren wir in der Lage, die EG-Begriffe aus dem Kreislauf- Birgit Homburger (F.D.P.): Ja, gern. wirtschaftsgesetz in das Basler Übereinkommen zu übernehmen. Das ist im übrigen ganz entgegen Ihrer Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Frau Kolle- Auffassung eine klare Begrifflichkeit, die mit dem gin. EG-Recht harmoniert. Es ist eine sehr wichtige Vor- aussetzung für die Ratifizierung des Basler Überein- Marion Caspers-Merk (SPD): Frau Kollegin Hom- kommens. burger, könnten Sie mir bitte erklären, warum gegen den Haftungsfonds, der jetzt bei den Pauschalreisen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- eingeführt wird, keine verfassungsrechtlichen Beden- ten der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und ken bestehen, wieso aber ausgerechnet der Haftungs- der PDS/Linke Liste) fonds, der den Steuerzahler in Zukunft davor schützt, Im Hinblick auf den freien Warenverkehr ist eine bei illegalen Giftmüllexporten das Ganze hinterher solche einheitliche Begriffsbestimmung unerläßlich. bezahlen zu müssen, verfassungswidrig sein soll? Was Ich weise noch einmal darauf hin, daß wir im ist da der Unterschied? — Es wäre ganz nett, wenn Ausschuß und in den Diskussionen immer wieder auch die Frau Justizministerin zuhörte; denn es hieß deutlich gemacht haben, daß wir materiell und inhalt- immer, sie habe das verhindert. Es wäre einmal ganz lich die Begrifflichkeiten, die von der EG vorgegeben interessant zu hören, warum die Verfassung beim werden, voll übernommen haben, daß wir aber nicht selben Tatbestand so unterschiedlich interpretiert bereit sind, bestimmte Beg riffe in ihrer Übersetzung wird. zu übernehmen. Es fehlt mir aber leider die Zeit, dies Birgit Homburger (F.D.P.): Zunächst einmal, Frau noch einmal in allen Einzelheiten auszuführen. Kollegin Caspers-Merk, kann ich zu dieser Reisericht- Die Abfallverbringungsverordnung schränkt linie nicht allzuviel sagen, weil ich dafür keine Exper- grenzüberschreitende Abfalltransporte weitgehend tin bin. Ich kann lediglich feststellen, daß es bei dieser ein. Außerhalb der EU und der EFTA-Staaten dürfen Reiserichtlinie jedenfalls keine Überwachung und keine Abfälle mehr zur Beseitigung exportiert wer- keinen Vollzug durch die Länder gibt und deswegen den. Zur Wiederverwertung dürfen Abfälle grund- auch keine Zuständigkeit der Länder. Insofern besteht sätzlich nur in OECD-Staaten verbracht werden, in schon einmal eine Unterschiedlichkeit in dem Nicht-OECD-Staaten nur aufgrund bilateraler Ver- Punkt. einbarungen, die den Umweltschutz gewährleisten Es gab hier verfassungsrechtliche Bedenken. Das sollen. wurde intensiv geprüft. Die verfassungsrechtlichen Mit dieser Regelung, die auf Drängen Deutschlands Bedenken gegen den Zwangsfonds, den Sie vorge- und der Niederlande zustande kam, wurde ein besse- schlagen haben, konnten nicht ausgeräumt werden. rer Schutz, insbesondere der Entwicklungsländer, Insofern bleiben wir hier bei unserer Meinung. erreicht. Ein Verbot — wie es die SPD fordert — der Verbringung in OECD-Staaten brauchen wir nicht, Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch und zwar deswegen nicht, weil es hier um die Proble- eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Kastner? matik dessen, was vorher schon angesprochen wor- Birgit Homburger (F.D.P.): Nachdem ich das vorher den war — z. B. immer wieder der Fall Rumänien und nicht durfte, bin ich gern bereit, der Frau Kollegin um die Problematik: legal oder illegal —, geht. Hier Kastner die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage zu geht es schlicht auch um den Gesetzesvollzug und die geben. Überprüfung. Für den Fall, daß illegale Abfallexporte erfolgen, Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollegin Kast- muß die Rückholung durch die Exporteure gesichert ner. sein. Es entspricht dem Verursacherprinzip — und jetzt komme ich zu Ihrer Fondslösung — und unserer Susanne Kastner (SPD): Frau Kollegin Homburger, verfassungsgemäßen Zuständigkeitsverteilung, daß können Sie mir erklären, warum sich der Bundesver- die Länder subsidiär eintreten müssen. Schließlich band der Entsorgungswirtschaft für diesen Haftungs- liegt die Überwachung der Abfälle in der Verantwor- fonds einsetzt? tung der Länder. Birgit Homburger (F.D.P.): Frau Kollegin Kastner, Es geht nicht, daß das finanzielle Risiko schlampi- ich kann Ihnen natürlich nicht in allen Einzelheiten gen Gesetzesvollzugs auf die Wirtschaft abgewälzt erklären, warum sich der Bundesverband der Entsor- wird. Deswegen haben wir diesen Zwangsfonds abge- gungswirtschaft für diesen Fonds einsetzt. Aber offen- lehnt. Damit sollen aber freiwillige Lösungen nicht sichtlich war der Bundesverband der Entsorgungs- von vornherein ausgeschlossen sein. wirtschaft auch auf freiwilliger Basis bereit, hier etwas Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18711

Birgit Homburger zu tun. Das haben wir nicht verhindert. Wenn hier auf besser, aber wir werden ja noch Gelegenheit haben, freiwilliger Basis ein Fonds entsteht, dann kann der das auch im Umweltausschuß zu diskutieren. gerne gemacht werden. Das einzige, wogegen verfas- Danke. sungsrechtliche Bedenken bestehen und wogegen wir uns wehren, ist die Einrichtung eines Zwangs- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) fonds, bei dem auch diejenigen, die nicht bereit sind, für illegale Exporte aufzukommen, einbezogen wer- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und den, bei dem sozusagen diejenigen, die legal expor- Herren, es ist nicht immer ganz einfach für den tieren und ihre Verantwortung wahrnehmen, dann für amtierenden Präsidenten, den richtigen Augenblick illegale Exporte bezahlen müssen. Das lehnen wir abzupassen, wenn jemand sehr schnell spricht, um ab. festzustellen, wann ein Satz zu Ende ist und der nächste beginnt. Frau Kollegin Homburger, Sie sind (Susanne Kastner [SPD]: Die wollen es nur deswegen um Ihre Zwischenfrage gekommen, doch!) weil Susanne Kastner sich so verhalten hat. — Es gibt auch noch andere Verbände als den Nun hat das Wort die Frau Kollegin Dagmar Enkel- Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirt- mann. schaft, und es gibt vor allen Dingen, Frau Kollegin (Zuruf des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ Kastner, eines: Es gibt eine Verantwortung dieses CSU]) Parlaments. Ich persönlich bin — ganz im Gegensatz zu Ihrer hohen Meinung von meiner Person — nicht bereit, nur deswegen, weil der eine oder andere Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr Verband das eine oder andere will, auch das eine oder Präsident! Meine Damen und Herren! Das stimmt ja andere zu tun. Vielmehr bin ich der Meinung, daß wir überhaupt nicht, Herr Kollege Kampeter. Übrigens ist uns eine Meinung bilden müssen und dann verant- Frau Kollegin Homburger dafür bekannt, daß sie so wortlich handeln müssen. Genau das tim wir mit schnell spricht. unserem Vorschlag. Frau Kollegin Homburger, Sie haben besonders die Verantwortung des Bundes betont. Dabei ist mir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) allerdings dann schleierhaft, warum Sie die Verant- Ich möchte mich jetzt noch kurz zu dem Antrag der wortung letzten Endes auf die L ander abschieben. SPD zur ökologischen Stoffwirtschaft äußern. Da der (Zuruf von der CDU/CSU: Weil die zuständig Antrag ja heute nur überwiesen wird und wir noch an sind!) anderer Stelle Zeit haben werden, uns mit diesem Müll ist nicht nur ein mehr oder weniger notwendi- Antrag ausführlicher auseinanderzusetzen, möchte ges Übel in unser ach so zivilisierten Gesellschaft, ich mich auf einen Punkt beschränken. Ein gravieren- Müll ist zu einem der größten Exportschlager und der Unterschied zwischen dem Antrag der SPD und damit zu einer munter sprudelnden Profitquelle dem Koalitionsentwurf zur Novellierung des Abfall- geworden. Nach einer BMU-Statistik ist die Bundes- gesetzes liegt darin, daß von der SPD die Rückstands- republik weltweit der größte Giftmüllexporteur: vermeidung verlangt wird, wohingegen wir eine 500 000 t pro Jahr kommen aus der Bundesrepublik. Abfallvermeidung anstreben. Mit welchen Instru- Im Vergleich dazu kommen 141 000 t aus den USA menten eine Rückstandsvermeidung erreicht werden und 110 000 t aus den Niederlanden. soll, bleibt allerdings offen. Wollte m an nämlich wirk- lich eine Rückstandsvermeidung erreichen, sind Von den 328 Projekten der Müllverschiebung in 13 Instrumente nötig, die eine starke Reglementierung osteuropäische Länder sowie GUS-Länder in den bedeuten würden und schließlich sogar eine staatliche letzten drei Jahren kamen mehr als 60 % aus der Produktnormung. Bundesrepublik. Töpfers touristische Reisen in Sachen des als Wirtschaftsgut oder sonstwie dekla- Abgesehen davon, daß wir mit einem solchen Vor- rierten Sondermülls ist uns ja allen noch im Gedächt- gehen bei der EG an unsere Grenzen stoßen würden, nis. wenden wir uns gegen eine solche staatliche Regle- Weltweit steht das Verbot des Exports von gefährli- mentierung. Ein derartiger Eingriff in die Wirtschaft chen Abfällen in Nicht-OECD-Staaten längst auf der und in die Produktion hätte zur Folge, daß der Staat Tagesordnung. Auch im Basler Abkommen geht es zur Wirtschaft wird. Das kann nicht unser Ziel sein. nicht um genehmigte Exporte innerhalb der EU, Wir setzen also auf die Abfallvermeidung, die nicht sondern ausschließlich um die große Grauzone der nur durch Vermeidung, sondern auch durch die Exporte in die Dritte Welt, die osteuropäischen Länder und die GUS-Staaten. Dieser Grauzone, die inzwi- umweltfreundliche Verwertung möglich sein wird. In diesem Zusammenhang setzen wir auf die Ausdeh- schen fast unbemerkt zum Feld organisierter Krimina- lität wurde, ist nur beizukommen mit einem klaren nung der Produktverantwortung bei der Wirtschaft. und eindeutigen Das führt indirekt dazu, daß Abfälle vermieden wer- Verbot des Exports in alle Gebiete den. Wenn wir die Wirtschaft selbst in die Verantwor- außerhalb der EU. tung nehmen und ihr Entscheidungsspielraum lassen, Wir hoffen, daß die Ankündigungen der USA, in den dann hat sie auch die Möglichkeit zur schnellen kommenden Verhandlungen eine Verschärfung der Anpassung an den Markt und Spielraum für Innova- Regelungen des Abkommens einzufordern, tatsäch- tionen. Solche Innovationen sind letztlich dringend lich ernstgemeint sind. nötig, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu Eine drastische Beschränkung des Müllexports oder stärken. Diesen Ansatz halten wir für ehrlicher und für sein Verbot hätte durchaus positive Wirkungen auf die 18712 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Dagmar Enkelmann Bundesrepublik. Er könnte Anreiz für durchgreifende die den Standards in der Bundesrepublik entspre- Maßnahmen zur Abfallvermeidung und Vorausset- chen. Es gibt doch sicherlich gute Gründe für die zung für den so notwendigen Innovationsschub bei hiesigen Standards. Es kann eigentlich keinem Men- der Umwelttechnologie sein. Dieser Intention aller- schen zugemutet werden, in Anlagen zu arbeiten oder dings wird das Ausführungsgesetz der Bundesregie- neben Anlagen zu wohnen, die diese Anforderungen rung zum Basler Übereinkommen in keiner Weise nicht erfüllen. Umweltgeschütztes Leben kann doch gerecht. kein deutsches Privileg sein. Wie wir inzwischen auch aus den Beratungen des Drittens. Selbst einen aktiven Sachkundenachweis Kreislaufwirtschaftsgesetzes wissen, ist das offenkun- für sogenannte Abfallmakler hält die Koalition nicht dig gar nicht gewollt. Unklare Beg riffe fördern für erforderlich, vermutlich weil die Vergangenheit unklare Regelungen und lösen das Problem nicht. gezeigt hat, wie reibungslos und mit welcher krimi- Hier gibt es ja klare Aussagen — z. B. der Sachver- nellen Energie die Verschiebungsgeschäfte funktio- ständigen — über die Begriffsbestimmung, daß näm- nieren. lich genau die dazu führt, daß es letzten Endes zu den Meine Damen und Herren, abgesehen von den folgenden Ausführungsproblemen kommen wird. genannten inhaltlichen Minimalforderungen kann Herr Kampeter, Sie haben sich der Umwelt gestellt. von einer geordneten Beratung im Ausschuß über- Ich denke, hier fehlt doch noch einiges. Die PDS/Linke haupt keine Rede sein. Liste wird das vorliegende Ausführungsgesetz ableh- nen. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Feige, Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Homburger?

Vizepräsident Helmuth Becker:Meine Damen und Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Dr. Klaus- NEN): Schönen Dank, wenn es auf meine Redezeit Dieter Feige. nicht angerechnet wird! (Zuruf von der CDU/CSU: Der Feige redet ja (Susanne Kastner [SPD]: Da freut sich der heute nur!) Herr Feige!)

Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Kollege Feige, Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- könnten Sie mir bitte erklären, warum Sie diese Sach- NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Fachkunde fordern und welcher Zusammenhang und Herren! Nicht das Basler Übereinkommen selbst, zwischen krimineller Energie und der nötigen Sach- wohl aber die nationalen Umsetzungsversuche erfül- und Fachkunde besteht? len den Tatbestand der vorsätzlichen Täuschung. Endlich, nach monatelangem quälenden Tauzie- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen, haben die Koalition und die Bundesregierung es NEN): Das ist recht einfach. Ich denke, daß eine Sach- geschafft, uns eine Art Minimallösung vorzulegen. und Fachkunde notwendig ist, damit auch hier die Doch über weite Strecken ermöglichen diese Vorla- gesetzlichen Regelungen eingehalten werden, damit gen auch weiterhin mehr oder weniger unkontrol- wir auch dort Makler haben, die in der Lage sind, lierte Giftmüllexporte, jetzt aber mit dem Genehmi- zwischen den entsprechenden Materialien zu unter- gungssiegel bundesdeutscher Verwaltungen. Die scheiden. Forderungen der Opposition wurden dagegen wie Meine Aussage bezüglich der kriminellen Energie üblich abgeschmettert. Herr Kampeter hat das schon ist ein Zitat des Kollegen Friedrich aus der Ausschuß- ganz genüßlich in seine Rede eingebaut. beratung. Er hat ausdrücklich gesagt, daß wir in Die Metallindustrie war wieder einmal stärker als unserer Auseinandersetzung darauf achten müssen, alle umweltpolitischen Einwände. Das fängt schon mit daß in dieser Hinsicht schon ein hoher Fachverstand den Begriffen an. Genauso wie beim Entwurf des vorliegt. Das sieht m an an der kriminellen Energie. Kreislaufwirtschaftsgesetzes ist nun beschönigend die Wenn Sie Ihre eigene Argumentation, die zur Rede von Sekundärrohstoffen bzw. Rückständen. Ablehnung unseres Arguments geführt hat, nicht Aber egal, wie die Begriffe gesetzt sind: Hier wird werten wollen, tut es mir herzlich leid. Aber genau einfach verniedlicht und verdrängt, daß die Bundes- dieser Tatbestand ist von Ihnen selbst eingebracht republik der größte Giftmüllexporteur der Welt ist. worden. Wie das funktioniert, sehen wir doch gerade wieder einmal in Albanien. Vizepräsident Helmuth Becker: Noch eine Zusatz- frage der Kollegin Homburger. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Umweltausschuß drei essentielle Forderungen ge- Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Kollege Feige, ist es stellt, die allesamt von der Koalition abgebügelt nicht vielmehr so, daß wir gesagt haben, daß die wurden: notwendige Zuverlässigkeit geprüft werden soll, da Erstens. Abfallexporte in Staaten der Dritten Welt das Vorliegen krimineller Energie nicht in Zusam- sind auch dann nicht zulässig, wenn dies unter dem menhang mit der Sach- und Fachkunde, sondern mit Tarnmäntelchen Verwertung geschieht. der Zuverlässigkeit steht? Deshalb ist nicht die Sach- Zweitens. Wenn denn schon Abfälle oder Sekun- und Fachkunde entscheidend, sondern die Zuverläs- därrohstoffe exportiert werden, dann dürfen diese sigkeit derjenigen, die in diesem Geschäft tätig unseres Erachtens nur in Anlagen behandelt werden, sind. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18713

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Marion Caspers-Merk (SPD): Herr Präsident! Meine NEN): Jetzt wird es ein wenig sophistisch. Ich weiß sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute zu nicht, warum die Differenzierung zwischen diesen später Stunde gezwungen werden, Filetstücke der beiden Begriffen, die Sie jetzt provozieren, so wesent- deutschen Umweltgesetzgebung quasi im Schweins- lich ist. Nehmen wir einmal an, daß dies so problema- galopp zu beraten, tisch transportiert werden könnte, wie es hier von (Widerspruch bei der CDU/CSU) Ihnen eingefordert wird. Darm hätte man diese For- mulierung durchaus in das Gesetzeswerk aufnehmen wirft dies ein ganz besonderes Licht — ich glaube, daß können und unseren Antrag nicht ablehnen müs- Ihnen dies nicht gefällt — auf die Durchsetzungsfähig- sen. keit und Problemlösungskompetenz der Bundesregie- rung. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Feige, Wir sprechen einerseits vom Abkommen von Basel, es gibt noch den Wunsch des Kollegen Kampeter nach was ja schon seit mehreren Jahren zur Ratifizierung einer Zwischenfrage. ansteht, und wenn wir uns nicht beeilt hätten, wären wir automatisch über das EU-Verfahren dann ratifi- zierender Teilnehmer von Basel geworden, und wir (CDU/CSU): Herr Feige, wie Steffen Kampeter sprechen andererseits auch über unser Eckpunktepa- begründen Sie Ihre Behauptung, daß es im Ausschuß pier, was zu den Beratungen des Kreislaufwirtschafts- keine ordnungsgemäße Beratung dieser beiden Gesetze gegeben hat, vor dem Hintergrund der Tat- gesetzes dazugehört. sache, daß zwei Tagungen des Umweltausschusses (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist alles ein mangels Anträgen und Diskussionswünschen auch alter Hut!) auf Ihrer Seite ausgesetzt werden mußten? Es gab also Der Umweltminister hat im März vergangenen hinreichend viel Beratungsspielraum. Jahres sein Kreislaufwirtschaftsgesetz begeistert ein- gebracht, von dem heute nur noch Bruchstücke übrig- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geblieben sind. NEN): Wir haben selbst eine heftige Debatte zu (Zuruf von der CDU/CSU: Abfall!) Verfahrensfragen geführt. Dies ist in den Protokollen leicht nachzulesen. Es ist ein Aufeinanderzugehen — Abfall, richtig. Es ist schon ein einmaliger Vorgang, vorhanden gewesen. Ich habe auch heute mit dem daß ein Gesetz, das die Hürden des Kabinettstisches Antrag auf Fristeinrede nichts anderes erreichen wol- genommen hat, hinterher durch das Wirtschaftsmini- len, als daß auch wir, die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE sterium, Industrieverbände und interessierte Kreise so GRÜNEN, nachdem wir alle dieses Gesetz in Hektik demontiert werden kann, daß die Vertreter der Koali- durchgearbeitet haben, die Ch ance bekommen, einen tionsfraktionen sage und schreibe nach elf Monaten gemeinsamen Beschluß zu fassen. Deshalb wäre Streit de facto ein neues Gesetz vorlegen. nichts verloren, wenn wir dies auch nur um eine Die SPD-Bundestagsfraktion hat diese elf Monate einzige Woche hätten verschieben müssen. gut genutzt, um mit dem heute vorgelegten Eckpunk- Es liegt übrigens auch nicht an uns, daß im Aus- tepapier unsere Philosophie einer ökologischen Stoff- schuß diese fast panische Situation entstanden ist. Es wirtschaft und ihre konkrete Umsetzung darzule- lag doch an Ihnen, daß immer noch Anträge und gen. Anträge nachgereicht wurden. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Ist das denn in Jetzt fahre ich ganz einfach mit meiner Rede fort. Es der Fraktion abgestimmt?) war zwar nicht unerwartet, aber in gewissem Sinne Im Gegensatz zur Bundesregierung denken wir peinlich, daß sich z. B. der Gesundheitsausschuß nicht nicht vom Abfall her, weil das für uns eine klassische in der Lage gesehen hat, als mitberatender Ausschuß Verengung auf End-of-the-Pipe-Strategien ist. Wir ein Votum zu einem solch dramatischen und wesent- wollen in Zukunft die Input-Seite stärker in das lichen Sachgegenstand abzugeben. Aber für mich Blickfeld der Umweltpolitik rücken. stellte sich auch die Frage, worüber er denn hätte abstimmen sollen, wenn erst in der letzten Sitzung Frau Kollegin Homburger, ich kann Sie trösten. Das unseres Ausschusses die letztgültige Version auf den ist natürlich mit der Fraktion abgestimmt. Bei uns Tisch gelegt wurde. herrschen ja noch nicht Sitten wie bei der F.D.P. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnen die Umset- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zungsvorlage ab. Mit uns wird es Regelungen zum Wir beschäftigen uns also mit Stoffen, ihrer Verar- Abfallexport geben, die diesen Namen verdienen und beitung, ihrer Verwertung und ihrer Entsorgung. Es tatsächlich die Schlupflöcher dichtmachen. Wer den ist eine Tatsache, daß hinter jeder Tonne Hausmüll, Vorlagen der Koalition zustimmt, verhindert nicht nur die wir sehen, acht Tonnen Hausmüll stecken, die keine Abfallexporte, er schadet gerade wegen der schon bei der Produktion anfallen, und daß diese weiterhin zu erwartenden Giftmüllskandale dem Ruf Produktionsrückstände als Rückstände oder Wert- der Bundesrepublik insgesamt. stoffe oder was auch immer auf unseren Deponien Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. landen oder — schlimmer noch — in den Ländern der (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Dritten Welt.

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, nun hat unsere Frau Kollegin Marion Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Cas- Caspers-Merk das Wort. pers-Merk, gestatten Sie eine Zwischenfrage? 18714 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Marion Caspers-Merk (SPD): Selbstverständlich Zweitens. Wir brauchen eine klare Hierarchie bei beantworte ich Zwischenfragen. der Abfallpolitik. Es muß erstens Abfall vermieden, zweitens Abfall primär stofflich verwertet und erst dann der Abfall entsorgt werden. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Frau Kollegin Homburger. Drittens. Wir brauchen klare Anforderungen an Produkte und müssen eine Produktverantwortung der Hersteller bereits als Grundpflicht in das Gesetz Birgit Homburger (F.D.P.): Frau Kollegin Caspers- hineinschreiben. Merk, wenn Sie denn wirklich die letzten elf Monate Viertens. Entgegen den Privatisierungsideologien genutzt hätten, könnten Sie mir dann bitte freundli- des kleineren Koalitionspartners setzen wir auf eine cherweise erklären, warum wir im Umweltausschuß klare Abgrenzung der Pflichten zwischen privater weitere Änderungsanträge der SPD nicht beraten Entsorgungswirtschaft und öffentlich-rechtlichen konnten, also auch mit dem Verfahren im Umweltaus- Einrichtungen, um auch für die Zukunft eine Planbar- schuß nicht fortfahren konnten und warum Sie uns keit und eine Entsorgungssicherheit für Bürgerinnen dann zur Begründung angegeben haben, daß Sie noch und Bürger und für die kommunalen Gebietskörper- Abstimmungsschwierigkeiten mit den Wirtschaftspo- schaften darzustellen. litikern Ihrer Fraktion hätten Fünftens und letztens. Wir wollen nicht, daß wieder (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) ein Gesetz beschlossen wird, das vieles nur auf dem und noch in die Fraktion müßten? Wege über Rechtsverordnungen regelt; denn anson- sten warten wir auf diese Rechtsverordnungen, Herr Umweltminister, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Marion Caspers-Merk (SPD): Frau Homburger, Sie erinnern sich wahrscheinlich an das, was Sie bezüg- Dies zeigt ja, daß Sie all die Rechtsverordnungen, die lich des Abstimmungsbedarfs mit den Wirtschaftspo- Sie noch groß angekündigt hatten, wie die Altpapier- litikern zu Protokoll gegeben hatten. Bei uns war das verordnung, die Elektronikschrottverordnung, die anders. Es war doch so, daß wir am 17. Februar erst Kennzeichnungsverordnung und die Altautoverord- Ihre Änderungsanträge auf den Tisch des Hauses nung zurückgezogen haben. bekommen haben — das läßt sich ja im Protokoll Wir haben also mit diesem Eckpunktepapier eine nachlesen — klare Alternative zum derzeitigen Regierungsentwurf formuliert, aber wir machen uns auch bei den Aus- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo sind Ihre schußberatungen an die detaillierte Ausformulierung denn?) - von Änderungsanträgen, um wenigstens in kleinen und in der letzten Sitzung noch Begründungen nach- Teilbereichen ökologische Zielsetzungen der Abfall- gereicht wurden und sogar handschriftlich vom Justiz- politik zu retten. ministerium noch neue Formulierungen eingebracht wurden. Insofern, glaube ich, haben wir uns da (Birgit Homburger [F.D.P.]: Und das nach elf gegenseitig nichts vorzuwerfen. Monaten, und 36 Änderungsanträge kom men noch!) Im übrigen, Herr Kollege Kampeter, wissen Sie ganz genau: Bei Basel waren Sie nicht satisfaktionsfähig, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. weil Sie praktisch auch die Änderungsanträge nicht (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke rechtzeitig und fristgemäß eingereicht hatten. Liste) (Beifall bei der SPD) Es ist gerade die Tragik bei der Diskussion um das Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Kreislaufwirtschaftsgesetz, daß wir immer nur End- Herren, ich erteile jetzt als letztem dem Herrn Bun- of-the-Pipe-Regelungen haben und daß wir wie beim desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- DSD jetzt eine ähnliche Flut von Verpackungen und cherheit, Herrn Kollegen Dr. Klaus Töpfer, das Packmitteln erzeugen, für die dann hinterher aufwen- Wort. dig mit Rechtsverordnungen Regelungen getroffen werden, die nicht greifen. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Wir haben deshalb in unserem Eckpunktepapier Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! sowohl Grundsätze für eine ökologische Stoffwirt- Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem schaft formuliert als auch unsere grundlegende K ritik gebe ich Frau Kollegin Caspers-Merk sehr nachhaltig am Kreislaufwirtschaftsgesetz festgeschrieben. Das recht. Es ist schade, daß wir dieses wichtige Thema ökologische Eckpunktepapier ist also die Kür. Der hier in so kurzer Zeit und ohne eine wirklich breite, Pflicht unterziehen wir uns derzeit im Umweltaus- vertiefende Diskussion behandeln müssen. Es zeigt, schuß bei der Beratung zum Kreislaufwirtschaftsge- daß wir uns der gesamten Breite der Industriegesell- setz, indem wir für jeden einzelnen Paragraphen schaft stellen müssen. Dazu gehören die Fragen der unsere konkreten Änderungsanträge vorbereiten. In Abfälle, ihrer Vermeidung, ihrer Wiederverwertung unseren Änderungsanträgen — wir haben 12 bereits und ihrer umweltverträglichen Entsorgung. Gerade eingereicht, weitere 36 werden folgen — machen wir weil dem so ist, ist es notwendig, daß wir alles unsere fünf Hauptkritikpunkte deutlich. daransetzen, damit es nicht zu kriminellen Exporten von Abfallstoffen kommt. Erstens. Wir brauchen eine EG - konforme Begriff- lichkeit, die leicht vollziehbar und eindeutig in der Um eines deutlich zu machen: Das, was die Verei- Terminologie ist. Ihr Gesetzentwurf wird dem nicht nigten Staaten gestern verkündet haben, geht nicht gerecht. um einen Zentimeter über das hinaus, was in Deutsch- Deutscher Bundestag — 12.Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18715

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer land Rechtsgrundlage ist. Alle Bundesländer — sie machen, oder ob wir nicht wirklich in der Sache etwas genehmigen Exporte — haben klar gesagt, daß sie Vernünftiges machen. Ein Sonderabfallexport aus Sonderabfallexporte nicht genehmigen. Dies ist Deutschland ist verboten. Wo er erfolgt, ist er ein genau das, was die Vereinigten Staaten gestern eben- krimineller Akt. falls gesagt haben. Ich halte das für richtig und für gut. Ich habe mich bei den Kollegen zu bedanken. Ich wäre (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch dankbarer, wenn sie das, was sie dort gesagt Es ist zu beklagen, daß es eine Abfallmafia gibt; das ist haben, auch wirklich lückenlos überprüfen und kon- wahr. Deswegen muß die Grauzone beseitigt werden. trollieren würden. Das würde an vielen Stellen noch Deshalb brauchen wir die Rücknahmeverpflichtung. mehr Probleme beseitigen. Deswegen ist es notwendig, daß wir alles dafür tun, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Exporteure in ihrer Verantwortung zu lassen; dies gilt auch für die Bundesländer. Deswegen lassen Sie Wir haben nicht zufällig, sondern entscheidend daran uns das im Bundesrat in Ruhe weiter diskutieren und mitgearbeitet, daß es das Basler Übereinkommen gibt. hoffentlich, ohne daß wir einen Vermittlungsausschuß Deswegen ist es notwendig, daß wir es jetzt nicht nur brauchen, zu einem Abschluß bringen. formal, sondern wirklich auch inhaltlich ins deutsche Recht umsetzen. Deswegen nur ganz wenige Sätze Lassen Sie mich, weil es angesprochen worden ist, dazu. in der gebotenen Kürze einiges zu der Situation in Albanien sagen. Frau Kollegin Kastner, ich habe mir Es ist gut und notwendig, daß wir die Grauzone die Pressemitteilung des Kollegen Schäfer vom heu- zwischen und beseitigen. Da Abfall Wirtschaftsgut tigen Tag gerade noch einmal kommen lassen. Da gibt kann man lange über Begriffe rechten. Darüber, ob es die üblichen Schläge auf den Bundesumweltmi- die größere Klarheit darin liegt, daß wir wie in der nister. Es steht aber schon in der Überschrift: „Green- EG-Verordnung den Oberbegriff „waste" und die peace Giftmüllaktion weist politisch in richtige Rich- Unterbegriffe „waste for recovery" und „waste for tung. Aber keine Sonderrechte für Greenpeace. Schä- disposal" verwenden oder sagen, es gibt Rückstände fer entläßt Greenpeace nicht aus Verantwortung für und Sekundärrohstoffe und Abfälle, die beseitigt illegalen Giftmüllimport" . — Das hat Herr Schäfer werden sollen, gehe ich mit Ihnen gern jede Diskus- gesagt, nicht Herr Töpfer. Ich wollte Ihnen das nur sion ein. gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe es an anderer Stelle schon einmal dem - Kollegen Feige gesagt, und Frau Kollegin Enkelmann Ich kann gerne ein Stückchen weiter zitieren. Im muß man es vielleicht auch noch einmal sagen — sie Gegensatz zu Ihnen kritisiere ich den Kollegen Schä- konnte damals nicht in der Ausschußsitzung sein —: fer nicht. e, die Sie mir immer gesagt haben, Warum sind Sie all (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Wider ich sollte das Sero-System erhalten, eigentlich so sehr spruch bei der SPD) gegen den Begriff „Sekundärrohstoffe"? Hätte es den Begriff „Sekundärrohstoffe" nicht gegeben, hätte es — Entschuldigen Sie bitte. Was Kollege Schäfer offenbar nicht ein Sero-System gegeben, sondern es macht, ist völlig richtig. Es ist rechtlich absolut in wäre ein Waste-System gewesen. Genau das hat die Ordnung. Ich hätte es hier auch gar nicht zitiert, wenn Bereitschaft von Menschen, darüber nachzudenken, nicht mit dem Brustton der Überzeugung und der wie sie mit Rohstoffen umgehen, beflügelt. Deswegen Empörung gesagt worden wäre: Dann kommt Töpfer bin ich der Meinung, Sie müßten diejenigen sein, die noch und sagt, das ist illegaler Giftmüllimport. — mit großem Nachdruck sagen, der Beg riff „Sekundär- Wenn Sie dann sagen, Herr Schäfer hat recht, dann rohstoff" sei in Ordnung. müssen Sie auch sagen, daß Herr Töpfer, wenn er genau dasselbe sagt, auch recht hätte. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich frage Sie ein Weiteres. Sie halten mir vieles zu (Marion Caspers-Merk [SPD]: Aber mora Recht vor, auch die Tatsache, daß ich mich internatio- lisch ist es nicht in Ordnung! — Widerspruch nal bewege. Aber ich lade Sie wirklich herzlich dazu bei der CDU/CSU) ein, einmal darüber nachzudenken, welche Aufgaben — Einverstanden. Sehen Sie, darum ging es mir. Das wir gegenwärtig im Zusammenhang mit der GATT ist gar nicht so schlecht. andel und Umwelt zu -Lösung und dem Problem H bewältigen haben. Erklären Sie den verantwortlichen Ich sage Ihnen über die eine Tonne, die jetzt in Kehl Ministern außerhalb der OECD doch einmal, warum steht, hinausgehend folgendes: Es bedurfte eben nicht Sekundärrohstoffe, die zur Wiederverwertung be- der Aktion von Greenpeace; denn natürlich sind wir stimmt sind, zu ihnen nicht mehr kommen dürfen! Das, darüber informiert — und nicht nur mit Blick auf was Sie gesagt haben, Herr Feige, wird von anderen Albanien —, daß in der unmittelbaren Umbruchzeit im Sinne von nichttarifären Handelshemmnissen nach dem Ende der DDR noch eine große Menge von gegeißelt. So ist doch die Situation. Pflanzenschutzmitteln mehr oder weniger legal exportiert worden ist, an manchen Stellen wirklich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. völlig illegal, mit Methoden und mit Verbindungen, sowie des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bo- die auf Stasi und anderes mehr hinweisen, und daß nese] [fraktionslos]) viele, viele Tonnen solcher Pflanzenschutzmittel Da muß man vielleicht einmal fragen, ob wir wirk- Abfall geworden sind. Das wird bei uns sofort Gift- lich nur daran denken, anderen eine Freude zu müll. 18716 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Das sind überlagerte, nicht richtig gelagerte Pflan- aufkommt, in Ihrem Gesetzentwurf mit keinem Satz zenschutzmittel aus der ehemaligen DDR. Das ist vorkommt und die Koalitionsfraktionen, entgegen nicht eine Tonne, sondern in Albanien sind das dem Votum Ihres Staatssekretärs, auch Eckpunkten mindestens 380 Tonnen. Da muß ich mich doch für diesen Haftungsfonds nicht zugestimmt haben? fragen: Was sind das für welche? Wie sind sie ver- packt? Wie kann ich sie zurückbringen? Wie kann ich sie in Deutschland entsorgen? Das ist nicht eine Tagesaktion, sondern das muß wirklich umfassend Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, vorbereitet werden. Ich kann Greenpeace hier nicht Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zwei kurze Ant- sagen, wohin sie mit dieser einen Tonne sollen. worten, Frau Kollegin Caspers-Merk. Zunächst einmal muß ich diese Tonne — das wi ll der Kollege Schäfer richtigerweise machen — unter- Erstens. Zur Bewältigung dieser Probleme wird suchen. Ich muß wissen: Was ist das für ein Pflanzen- jeder Fonds, den wir machen wollen, immer zu spät schutzmittel? Kann das verbrannt werden? Muß das in kommen. Sie können nicht hinterher kommen und eine Untertagedeponie? Deswegen appelliere ich sagen: Was vorher gewesen ist, machen wir jetzt in auch hier noch einmal an die Vernunft von Green- einer Umlage auf die Wirtschaft. peace: Hebt die Blockade auf! Laßt die Sachen unter- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) suchen, dann werden wir sie umweltverträglich ent- sorgen. Weil es unsere Verpflichtung ist, werden wir Ich glaube, das muß man einfach aus der Rechtssyste- den Rest aus Albanien ebenfalls zurückholen und ihn matik heraus klarmachen. Es kann ja wohl nicht hier sachgerecht behandeln. anders sein. Wenn das nicht so wäre, wie könnte ich dann z. B. bei der Braunkohle eine Privatisierung des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) aktiven Bergbaus vornehmen und die Altlasten dem Das ist doch eine vernünftige Position. Das kann doch Staat übergeben? Das ist eigentlich, wenn Sie so sogar eine Opposition in diesem Hohen Hause mittra- wollen, auch eine Folge der bisherigen Tätigkeiten gen, meine Damen und Herren. eines abgewirtschafteten, kaputtgegangenen Regi- Ich sage Ihnen schon jetzt: Ich habe die Sorge, daß mes. Das fällt in die Verantwortung der Allgemein- wir aus älteren Zeiten noch viele, viele Tonnen heit. Ich sage das ganz nüchtern. Pflanzenschutzmittel aus der ehemaligen DDR finden Ein Zweites sage ich Ihnen dazu. Natürlich bemühe werden, die einmal exportiert worden sind, als noch ich mich nach wie vor intensiv darum, eine Mitwir- niemand an die deutsche Einheit dachte. Aber daran kung und eine Mitfinanzierung der Wirtschaft dafür muß ich doch heute denken, wenn ich etwas zurück- zu bekommen. Ich glaube nicht — so habe ich die Frau hole. Hören Sie doch auf zu sagen: Das ist wieder Kollegin Homburger auch nicht verstanden —, daß es einmal das Versagen von Herrn Töpfer. Es ist doch eine Gegenmeinung gäbe. Ich glaube, daß wir mit der geradezu kindisch, was wir da machen. Wirtschaft zusammen eine Lösung bekommen, an der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sie mitwirkt. Wenn sie da freiwillig mitwirkt, dann Lassen Sie uns uns doch mit den Bundesländern, mit wollen wir das mit allem Nachdruck machen. Das ist, dem Bund und mit der Opposition zusammensetzen glaube ich, keine Utopie, sondern das ist Realität. Das und diese Schleifspuren, die aus dem deutschen kann man erreichen. Lassen Sie uns dies erst einmal Einigungsprozeß entstanden sind, vernünftig aufar- vernünftig durchdiskutieren, auch mit den Bundes- beiten! Es täte dem Ansehen der Bundesrepublik ländern. Deutschland weiß Gott gut, wenn wir uns darüber zu Eines möchte ich allerdings nicht: Ich möchte nicht, Hause nicht in die Haare gerieten, sondern die Dinge daß mit dem Hinweis auf einen Fonds die Kontroll- bewältigten. Darum geht es, und darum bitte ich ganz dichte und die Kontrollverantwortung irgendwo ver- schlicht. wischt werden. Das kann es nicht sein; (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, las- denn da müssen wir schon ein Stück mit einfordern. sen Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Cas- Ich glaube, auch da werden Sie uns ganz sicherlich pers-Merk zu? recht geben. Also zusammengefaßt, Herr Präsident, meine sehr Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, verehrten Damen und Herren: Wir brauchen diese Naturschutz und Reaktorsicherheit: Gerne, obwohl Umsetzung des Basler Übereinkommens. Wir sind ich weiß, daß ich überzogen habe. bereit, dieses Basler Übereinkommen weiter zu ver- schärfen. Exporte von Sondermüll darf es nicht geben. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr, Frau Aber es kann doch nicht richtig sein, daß wir Sekun- Kollegin. därrohstoffe nicht als solche auch auf dem Markt behandeln. Genau das machen die Amerikaner. Das, Marion Caspers-Merk (SPD): Herr Minister Töpfer, was in Albanien und an anderen Stellen ist, werden ich teile Ihre Beurteilung der Sache, daß noch mehr wir weiterhin mit allem Ernst und hoffentlich auch mit dieser Fälle auf uns zukommen können. Könnten Sie baldigem Erfolg beseitigen. Ich hoffe, wir können das uns dann erklären, warum der Haftungsfonds, dem aus dieser Parteidiskussion wieder herausbringen. die Idee zugrunde liegt, daß die Entsorgungswirt- Ich danke Ihnen sehr herzlich. schaft, die an der Entsorgung verdient, hinterher bei gescheiterten oder illegalen Exporten für die Kosten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18717

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Strafgesetzbuches und des Gesetzes über Ord- Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich nungswidrigkeiten schließe die Aussprache. — Drucksache 12/6484 — Wir kommen zu den Abstimmungen. Überweisungsvorschlag: Tagesordnungspunkt 9a. Der Ältestenrat schlägt Rechtsausschuß (federführend) die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/6250 Ausschuß für Verkehr an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Her- vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre und mann Bachmaier, Dr. Hans de With, Dr. Herta sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und sen. der Fraktion der SPD Tagesordnungspunkt 9 b: Abstimmung über den Harmonisierung der Strafrahmen von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des — Drucksache 12/6164 — Zustimmungsgesetzes zum Basler Übereinkommen, Überweisung svorschlag: Drucksache 12/5278. Der Ausschuß für Umwelt, Rechtsausschuß (federführend) Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Ausschuß für Frauen und Jugend Drucksache 12/7032 Nr. 1, den Gesetzentwurf unver- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die ändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei beschlossen. Stimmenthaltung der G ruppe PDS/Linke Liste ist der Gesetzentwurf angenommen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt unserem Kollegen Dr. Jürgen Meyer. Tagesordnungspunkt 9 c. Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Basler Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Präsident! Übereinkommen, Drucksachen 12/6351 und 12/7032 Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit unse- Nr. 2. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in rem Gesetzentwurf zur Reform des strafrechtlichen der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Sanktionensvstems und unserem Antrag zur Harmo- Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimment- nisierung der Strafrahmen setzen wir die rechtspoliti- haltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter schen Initiativen fort, die wir in dieser Legislaturpe- Beratung mit den Stimmen der Koali tion angenom- riode mit unserer Großen Anfrage vom November men. 1991 eingeleitet haben. Wir knüpfen damit an die Wir kommen zur beiden Strafrechtsreformgesetze von 1969 und 1970 und an das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch dritten Beratung von 1974 an, die allesamt die Handschrift sozialdemo- und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem kratischer Justizminister tragen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Der Deutsche Juristentag 1992 hat uns in diesen Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Bemühungen mit der Feststellung unterstützt, daß Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit der gleichen neuere Entwicklungen in Wissenschaft und Straf- Mehrheit angenommen. rechtspraxis, und zwar im In- und Ausland, und Wir kommen zur Abstimmung über den: Entschlie- insbesondere die Verstärkung der Opferperspektive ßungsantrag der Frak tion der SPD auf Drucksache im Straf- und Strafprozeßrecht sowie die deutsche 12/7034. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- Wiedervereinigung den Anstoß zu einer Ergänzung trag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? und Modifika tion des geltenden Sanktionensystems — Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim- geben sollten. men der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Einen ersten Erfolg hatten unsere heute zu disku- tierenden Initiativen vom November vergangenen Jahres bereits; denn mehr als drei Monate danach hat Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr die Regierungskoalition in ihrem Entwurf eines Ver- zum Tagesordnungspunkt 11 a bis c: brechensbekämpfungsgesetzes vom 18. Februar I 994 einzelne Vorschläge übernommen, abgekupfert, a) Erste Beratung des von den Abgeordneten müßte man eigentlich sagen. Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Günter Graf, Dr. Hans de With, weiteren Abgeordneten und der Frak- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Na, na!) tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Denn die bloße Erwähnung unserer geistigen Urhe- Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen berschaft, Herr Kollege, kann sich eine Koali tion, die Sanktionensystems sich bekanntlich nicht gerade durch Kreativität aus- zeichnet, anscheinend nicht leisten. — Drucksache 12/6141 — Überweisungsvorschlag: (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Rechtsausschuß (federführend) Dummes Gerede!) Ausschuß für Frauen und Jugend Immerhin gibt es nun gewisse Übereinstimmungen, Ausschuß für Verkehr die in den Ausschußberatungen vertieft werden soll- b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- ten. Die Überprüfung der Strafrahmen kann nämlich ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des nicht, wie die Koalition anzunehmen scheint, auf die 18718 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Reparatur von zwei Tatbeständen aus dem Bereich findet, also insbesondere bei der Entscheidung über der Körperverletzungsdelikte beschränkt werden. die Einstellung des Verfahrens oder die Vollstreckung Mein Kollege Hermann Bachmaier legt in seiner von Freiheitsstrafen. Rede, die er wegen der heute eingetretenen Verzöge- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein zwei- rung dieser Debatte zu Protokoll geben mußte, dar, ter Schwerpunkt unseres Reformkonzepts ist die daß es um eine konzeptionelle Neubewertung der Zurückdrängung der Vollstreckung von Freiheits- Straftaten gegen die Person gegenüber den Eigen- strafe dort, wo sie mehr Schaden als Nutzen stiftet. Die tums- und Vermögensdelikten gehen muß. Wir for- Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere dern eine seriöse Reform statt eines hastigen Flick- Große Anfrage ausdrücklich eingeräumt, daß die werks. Freiheitsstrafe in vielen Fällen keine Hilfe zur sozia- len Eingliederung des Täters ist. Wie könnte sie das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch sein, wenn der Arbeitsplatz und die Wohnung Dasselbe gilt für den Täter-Opfer-Ausgleich, der sich verlorengehen und die sozialen Beziehungen zerstört nicht auf die Bestätigung einer längst Praxis gewor- werden? denen Rechtsprechung beschränken darf. Schlußfolgerungen aus dieser Einsicht zieht die Aus Zeitgründen kann ich aus unserem Reformkon- Regierungskoalition aber nicht, möglicherweise des- zept, das auch ein kriminalpolitisches Programm für halb, weil man der Auffassung ist, es ginge hier um die nächsten Jahre sein soll, nur drei Vorschläge eine „weiche Welle" gegenüber Straftätern. Das ist vorstellen. natürlich barer Unsinn. Es geht nicht um weicheres oder härteres, sondern um ein besser ausgestaltetes Ich beginne mit dem Täter-Opfer-Ausgleich. Wir Recht und damit um ein gerechteres und im Interesse wollen durch unseren Reformvorschlag die Opfer von des Rechtsgüterschutzes wirkungsvolleres Sanktio- Straftaten stärkèr in den Mittelpunkt des Strafverfah- nensystem. rens rücken. Wir sind davon überzeugt, daß durch Wiedergutmachung und einen Ausgleich zwischen Ich will das mit zwei Beispielen aus unserem Re- Täter und Opfer der Rechtsfrieden in vielen Fällen formentwurf verdeutlichen. Wir wollen in Überein- besser als durch Strafe im herkömmlichen Sinne stimmung mit dem Votum des Deutschen Juristenta- wiederhergestellt werden kann. Das ist die große ges die Freiheitsstrafe für nicht bezahlte Geldstrafen, Reformforderung, die gegenwärtig nicht nur in also die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe, Deutschland, sondern weltweit diskutiert wird. zurückdrängen. Das geschieht dadurch, daß Geldstra- fen zur Bewährung ausgesetzt werden können. Mir Unsere Antwort sollte aber nicht so halbherzig hat noch niemand erklären können, warum bei uns ausfallen, wie es die Regierungskoalition in ihrem vor zwar die Freiheitsstrafe, nicht aber die Geldstrafe zur wenigen Tagen vorgelegten Verbrechensbekämp- Bewährung ausgesetzt werden kann. In anderen fungsgesetz vorschlägt. Denn die dort vorgesehene westeuropäischen Ländern gibt es diese seltsame bloße Möglichkeit der Strafmilderung bei Schadens- Unterscheidung jedenfalls nicht. wiedergutmachung wird längst von der Rechtspre- Ein zweites Beispiel. Wir wollen die Möglichkeiten chung angewandt, und zwar als Verhalten nach der für die Auferlegung gemeinnütziger Arbeit erwei- Tat nach § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches, der tern. Diese ist in vielen Fällen, auch aus der Sicht des bekanntlich das Bemühen um Schadenswiedergut- Steuerzahlers, sinnvoller als die Vollstreckung von machung und einen Ausgleich mit dem Verletzten Freiheitsstrafe, für die er, der Steuerzahler, pro Tag ausdrücklich erwähnt. Das ist also längst geltendes etwa 150 DM bezahlen muß. Recht. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Was Die von der Koalition vorgeschlagene Verbindung sagen denn die Arbeitslosen?) dieser Kann-Milderung mit dem Maßstab des § 49 ist kein ausreichender Reformschritt. Wir gehen in zwei- — Arbeit gibt es genug in Deutschland, Herr Kollege. facher Hinsicht weiter. Man muß die für gemeinnützige Arbeit geeigneten Arbeitsplätze nur einrichten wollen. Erstens knüpfen wir bei der Überprüfung der Straf- rahmen an die Unterscheidung zwischen Straftaten gegen die Person einerseits und Eigentums- und Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie eine Vermögensdelikten andererseits an und schlagen Zwischenfrage des Kollegen Krause? eine obligatorische Strafmilderung dann vor, wenn es sich um Eigentums- und Vermögensdelikte ohne Ge- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Ja, bitte schön. waltanwendung oder Androhung von Gewalt han- delt. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Weitere Voraussetzung der Muß-Milderung ist Krause. allerdings, daß die Wiedergutmachung vor der Ent- deckung der Tat geleistet wurde. Denn nur in diesen Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): Da Fällen handelt es sich um eine das Strafbedürfnis ich nachher sicher als letzter rede, möchte ich eine grundsätzlich mindernde tätige Reue und nicht die Frage an Sie stellen, damit Sie sie beantworten bloße Erfüllung einer ohnehin nach der Entdeckung können. Wie haben Sie sich die gemeinnützige Arbeit zu erwartenden Schadensersatzforderung. vorgestellt? Für Arbeitslose ist das klar; solche Fälle Zweitens wollen wir, daß der im Strafzumessungs- kenne ich. Aber wann soll jemand, der im Beruf steht, recht längst anerkannte Aspekt des Täter-Opfer- die gemeinnützige Arbeit von z. B. 90 Arbeitstagen Ausgleichs auch im Strafverfahrensrecht Eingang leisten? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18719

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Es gibt praktische Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Erfahrungen mit gemeinnütziger Arbeit, die auf Herren, unser Gesetzentwurf stützt sich auf eigene Grund des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und auf rechtsvergleichend gewonnene Erfahrungen in verschiedenen Bundesländern längst gemacht sind. im westeuropäischen Ausland, auf die intensiven Wir wollen, daß diese praktischen Erfahrungen jetzt Beratungen des Deutschen Juristentages 1992 und auf bundesweit ausgeweitet werden. Es ist kein theoreti- eine mehrjährige parlamentarische Vorarbeit. Er scher, sondern ein seit Jahren, seit dem EGStGB von könnte der Öffentlichkeit zeigen, daß Rechtspolitik 1974, längst praktisch erprobter Vorschlag. nach der Auffassung nicht nur des Rechtsausschusses, Übrigens: Wenn die Regierungskoalition nur ein sondern des ganzen Bundestages kein kurzatmiges wenig konsequent wäre, müßte sie unseren Vorschlä- Tagesgeschäft ist, sondern eine Reformaufgabe, der gen geradezu erleichtert zustimmen. Denn im soge- sich dieses Parlament seriös, kompetent und aufge- nannten Verbrechensbekämpfungsgesetz fordert sie schlossen für neue Einsichten immer wieder stellen eine massive Ausweitung der Untersuchungshaft muß. Ich danke Ihnen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Und eine Erhö- hung der Strafen für Körperverletzung!) (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Wollen Sie nicht teilnehmen?) — Herr Kollege Geis! —, ohne sagen zu können, woher in unseren bekanntlich überfüllten Gefängnis- sen die dafür benötigten zusätzlichen Haftplätze kom- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und men sollen. Eine seriöse Politik ist das jedenfalls Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Heinz See- nicht. sing. (Beifall bei der SPD — Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das haben die Länder zu regeln! Nicht Heinrich Seesing (CDU/CSU): Herr Präsident! so vollmundig, Herr Meyer!) Meine Damen und Herren! Vor etwa zehn Jahren habe ich in einer meiner ersten Reden hier im Deut- Als dritten Schwerpunkt unseres Reformentwurfs schen Bundestag bereits von der Notwendigkeit nenne ich die Einführung des Fahrverbots als Haupt- gesprochen, das bestehende strafrechtliche Sanktio- strafe. Voraussetzung ist, daß es sich um ein Verkehrs- nensystem behutsam zu ändern. „Behutsam" heißt in delikt oder eine Straftat im Zusammenhang mit dem diesem Zusammenhang, daß man sich tatsächlich Führen eines Kraftfahrzeuges handelt, etwa einen bemüht, in jedem Einzelfall die geltenden Vorschrif- Versicherungsbetrug durch Vortäuschen eines Ver- ten zu hinterfragen, ob sie noch in unsere Zeit passen, kehrsunfalls. Die Täter sind durch ein Fahrverbot in ob sie geändert werden müssen oder ob sie Bestand aller Regel stärker zu beeindrucken als durch eine haben sollen. Im Grunde dürfen wir sicher sein, daß Geldstrafe, die unter der Rub rik „Geschäftsunkosten" sich das geltende Sanktionensystem des Strafgesetz- abgebucht wird. Das selbständig verhängte Fahrver- buches und der Strafprozeßordnung bewährt hat. bot hat sich in anderen westeuropäischen Ländern längst als äußerst wirkungsvolle S anktion erwiesen. (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Bei uns ist es im S trafrecht bisher nur als Nebenstrafe Aber es ist auch sicher, daß die gesellschaftliche neben einer verhängten Geld- oder Freiheitsstrafe Entwicklung neue Regeln fast erzwingt. Das gilt auch vorgesehen, und zwar beschränkt auf die Dauer von für die Harmonisierung der Strafrahmen. einem Monat bis zu drei Monaten. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Jawohl!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ein guter Je deutlicher es wird, daß Straftaten gegen Men- Gedanke, Herr Meyer!) schen oft mit geringeren Strafen geahndet werden als — Herr Kollege Geis, wenn Sie Fragen stellen wollen, etwa Eigentumsdelikte, um so mehr fragen sich Bür- bitte schön, aber reizen Sie mich nicht durch Zwi- gerinnen und Bürger unseres Landes, wie es denn nun schenrufe. Das ist nicht günstig für Sie. eigentlich um unseren Rechtsstaat bestellt ist. Das Gewaltpotential in Deutschland ist erschreckend (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe Sie gestiegen. Politischer Extremismus, Fremdenfeind- gerade gelobt! — Gegenruf des Abg. Dieter lichkeit und die gerade genannte Gewaltbereitschaft Wiefelspütz [SPD]: Das ist noch schlim- gefährden den inneren Frieden unseres Landes. Mich mer!) hat das gestrige schreckliche Ereignis im Amtsgericht — Auch das ist etwas, was mich eher nachdenklich Euskirchen schon sehr betroffen gemacht. stimmt; aber das muß ja nicht schädlich sein. Es ist auch Aufgabe der Politik, die Ächtung aller (Heiterkeit — Norbert Geis [CDU/CSU]: Da Gewalt wieder stärker im Bewußtsein der Menschen haben Sie allen Grund!) zu verankern. Natürlich richtet sich diese Aufgabe auch an alle gesellschaftlichen Gruppen und Einrich- Die wesentlich mehr Bürokratie erfordernde Entzie- tungen, ja an alle Bürgerinnen und Bürger. Wir, die hung der Fahrerlaubnis hat, wie wir alle wissen, eine Vertreter dieser Menschen, haben alles in unserer Mindestdauer von sechs Monaten. Die zwischen der Kraft Stehende zu tun, um die Achtung von Leib und Höchstdauer des Fahrverbots von drei Monaten und Leben aller zu gewährleisten. der Mindestdauer der Fahrerlaubnisentziehung von Ganz besonders geht es mir um einen stärkeren sechs Monaten bestehende Lücke sollte geschlossen strafrechtlichen Schutz bei Taten, die sich gegen die und ein eigenständiges Fahrverbot für die Dauer von körperliche Unversehrtheit richten. Deswegen sehen einem Monat bis zu einem Jahr eingeführt werden. es CDU und CSU auch als geboten an, das Strafge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) setzbuch mit dem Ziel zu ändern, Taten gegen das 18720 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Heinrich Seesing Leben und die körperliche Unversehrtheit einer höhe- darauf an, darzustellen, daß sicherlich über viele ren Strafandrohung zu unterwerfen. Anliegen im Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, von der SPD- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir Fraktion eingebracht, gesprochen werden kann und eingebracht!) meinetwegen auch entschieden werden muß. Dabei muß das seit 100 Jahren bestehende Mißver- hältnis zur Bestrafung von Eigentumsdelikten besei- Ich will aber nicht verschweigen, unter welchen tigt werden. — Ich zitiere übrigens aus Beschlüssen grundsätzlichen Einstellungen ich an diese Diskus- unserer Fraktion aus dem vergangenen Frühjahr. — sion herangehen werde: Ich bin nämlich ein altmodi- Es ist einfach so, daß Diebstahl heute nach dem Gesetz scher Mensch, wenn es um Rechtsfragen geht. Bei höher bestraft werden kann als Körperverletzung. einigem Nachdenken bin ich darauf gekommen, daß Wenn ich mich recht erinnere, be trägt die Höchst- meine nun schon elf Jahre dauernde Mitarbeit im strafe bei Diebstahl fünf Jahre Freiheitsstrafe, wäh- Rechtsausschuß — ich als Lehrer bin meist unter lauter rend die Höchststrafe bei Körperverletzung — wenn Juristen, jetzt auch noch unter Rechtsprofessoren — sie überhaupt verhängt wird — nur drei Jahre Frei- nicht wenig zu meiner Haltung beigetragen hat. heitsstrafe beträgt. Hier wird ein Widerspruch der Dabei habe ich von Kolleginnen und Kollegen a ller Wertigkeiten sehr deutlich. Fraktionen gelernt. Ich habe mich in dieser Zeit in manchen Reden in diesem Hause auch mit der Frage Gerade wegen der zunehmenden Bedeutung der nach dem Sinn der Strafe und dem Zweck des Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit Strafrechts befaßt. Noch immer bin ich der Ansicht, bedarf dieser Zustand dringend der Korrektur. Wir daß der Staat um der Gerechtigkeit willen die Pflicht sind auch der Auffassung, daß die Strafaussetzung zur hat, zu strafen, wenn ein Mann oder eine Frau gegen Bewährung bei Gewaltdelikten so eingeschränkt wer- die Regeln verstoßen, die das Leben der Gemeinschaft den muß, daß Freiheitsstrafen von den Tätern wieder und in der Gemeinschaft sichern. als ernsthafte Strafen empfunden werden. Es gibt vielerlei Gründe, warum Menschen straffäl- Das Problem bleibt aber, wie wir ein solches Denken lig werden. Sie liegen häufig im einzelnen Menschen in die Köpfe der Menschen hineinbekommen. Über begründet. Ich hoffe nur, daß es der modernen Gen- das Gewaltpotential in unseren Ehen, Familien und Schulen wird häufig gesprochen, auch hier im Deut- technologie nie gelingt, diese Charaktereigenschaf- ten eines Menschen schon im embryonalen Zustand schen Bundestag. Das gleiche gilt auch für die Wir- kung der in den Medien dargestellten Gewalt. zu entschlüsseln. - (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wäre furcht los]: Sehr richtig!) bar!) Dennoch sind gerade diese gesellschaftlichen Ele- Sonst muß das Leben auf dieser Erde furchtbar wer- mente wiederum diejenigen, die zu neuen Einstellun- den; denn das Wissen über eigene Erbanlagen, z. B., gen der Menschen beitragen können und, so meine ob man an bestimmten Krankheiten irgendwann im ich, sogar müssen. Leben einmal leiden oder gar sterben wird, ist schon Ob man es will oder nicht: Menschen können im nicht von allen Menschen zu ertragen. Erwachsenenalter Grenzen nur dann erkennen und Gründe für das Straffälligwerden liegen oft auch im respektieren, wenn sie solche Grenzen in ihrer Kind- Umfeld des Straftäters. Sie können aber auch in der heit und Jugend erfahren haben. Änderung, sprich: Aufweichung, von ethischen und (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause rechtlichen Grundsätzen ihre Ursachen haben. Das [Bonese] [fraktionslos]) Reden etwa von Gewalt gegen Sachen, aber keine Gewalt gegen Menschen oder von anderen mundge- Dabei will ich eingestehen, daß sich der eine oder recht geformten Phrasen zeigt solche Aufweichungen andere Mensch auch noch später von dem Sog oder auf. Ich verweise j etzt nur auf das, was ich soeben über der Sucht nach Gewalt befreien kann. Aber dann die Harmonisierung der Strafrahmen sagte. braucht er das Umfeld, das ihm hilft. Und wo gibt es diese Umgebung heute? Auch der schon einmal von Landesministern gef or- derte Verzicht auf Verfolgung von Ladendiebstählen (Vorsitz: Vizepräsidentin Renate bis zum Wert von 100 DM kann nach meiner Auffas- Schmidt) sung nicht zu einer Rechtsverbesserung beitragen. Ich Wir werden also mit großem Interesse und viel zweifle noch immer daran, ob der labile Täter durch Zustimmung den Antrag der SPD-Fraktion zur Har- solche Verschonung auf den rechten Weg gebracht monisierung der Strafrahmen diskutieren, wobei ich wird. allerdings, mit Verlaub, das siebte Beispiel — mit „Vollrausch" überschrieben — als nicht gerade pas- Ob nun das jetzige Strafensystem den möglichen send empfunden habe, auch als Beispiel nicht. Hinzu Täter von Straftaten abhält, ist natürlich auch anzwei- kommt — das hat gerade schon Herr Professor Meyer felbar. Erst die Tatsache, daß ein Täter mit seiner gesagt —, daß Ansätze zur Lösung des geschilderten Verfolgung und Überführung rechnen muß, kann Problems doch wohl schon im Verbrechensbekämp- — ich betone: kann! — eine abschreckende Leistung fungsgesetz vorhanden sind. des Sanktionensystems darstellen. Ich habe meine Rede mit einem Hinweis auf das Strafen haben nach meiner Auffassung aber nicht Sanktionensystem begonnen. Ich möchte diese Frage nur die Aufgabe der Abschreckung. Wichtiger wäre wieder aufgreifen. Dabei kommt es mir zunächst mir die tagtägliche Verkündigung eines Werte- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18721

Heinrich Seesing systems, das von vielen Menschen noch gelebt wird, Wie wollen Sie eigentlich verantworten, daß jeman- das vielen aber auch abhanden gekommen ist. dem nach einem Jahr und damit nach einem langen Strafen haben auch den Inhalt, eine Schuld wieder Zeitraum ohne jegliche weitere Prüfung der Um- abzutragen, die Schuld einer Tat, durch die der Täter stände die Fahrerlaubnis einfach wieder zukommt? einzelne Menschen, eine Familie, vielleicht aber auch Wie ist es eigentlich bei einer Partei wie der SPD mit die ganze menschliche Gesellschaft ge troffen hat. Ich dem sozialen Gedanken, wenn jemand aus finanziel- möchte davor warnen, diesen Inhalt der Strafen als len Gründen, da er keinen Führerschein hat und gering anzusehen. deshalb für ihn die Strafe „Fahrverbot" gar nicht in Schließlich sollte für manche Täter die S trafe ein Betracht kommt, möglicherweise mit einer Freiheits- Weg sein, neue Ansätze für ein Leben ohne Straftaten strafe büßen muß, während der finanziell besserge- zu finden. Dabei will ich nun nicht in eine Resoziali- stellte Nutzer eines Dienstwagens mit Chauffeur das sierungseuphorie ausbrechen. Es kommt auf die Form Fahrverbot ohne jegliche persönliche Einschränkun- der Strafe und die Qualität des Strafvollzugs an. gen übersteht? Mit dieser Grundeinstellung wi ll ich die Vorschläge (Norbert Geis [CDU/CSU]: Diese Fragen der SPD-Fraktion prüfen. Was dort z. B. über Opferin- können die nicht beantworten! — Dr. H ans teressen und den Täter-Opfer-Ausgleich gesagt wird, de With [SPD]: 19. Jahrhundert! —Dr. Jürgen erzwingt zumindest die Diskussion über diese äußerst Meyer [Ulm] [SPD]: 17. Jahrhundert!) wichtige Frage. Ich bin mir bewußt, daß noch viele Sie sollten über diese Frage wirklich noch einmal Einzelfragen zu klären sind. Ich wünsche mir dabei nachdenken. eine offene, weiterführende Debatte. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie können das nicht beantworten. Sie können das auch mit Zwischenfragen nicht gutmachen, Kollege Singer. Ihre Zwischenfragen sorgen im übrigen auch Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der nicht für eine Klärung. Kollege Jörg van Essen.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr van Essen, Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine darf ich davon ausgehen, daß Sie keine Zwischen- Damen und Herren! Für die F.D.P. habe ich bereits bei frage zulassen wollen? der Debatte über die Große Anfrage der SPD deutlich gemacht, daß auch aus unserer Sicht trotz der grund- sätzlichen Bewährung unseres Sanktionensystems Jörg van Essen (F.D.P.): So ist es, Frau Präsiden- Diskussionsanlaß besteht. tin. Viel interessanter als das, was die SPD vorschlägt, ist für mich das, was sie nicht angeht. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ja, also gut. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ CSU]) Jörg van Essen (F.D.P.): Sehr gefreut habe ich mich, Die größte Schieflage im Sanktionensystem haben daß die SPD den von mir bei vielen Debatten geäu- ßerten Gedanken einer stärkeren Berücksichtigung wir doch eindeutig beim Verhältnis zwischen den der Opfer mit Vorschlägen zum Täter-Opfer-Aus- Ordnungswidrigkeiten und den Straftaten. gleich aufgegriffen hat. Auch die Koalition hat im (Uwe Lühr [F.D.P.]: Sehr richtig!) Verbrechensbekämpfungsgesetz dazu eigene Vor- Im letzten Jahr gab es auf der einen Seite trotz des schläge gemacht. Ich bin sicher, daß wir uns im erfreulichen Rückgangs bei den Unfallzahlen eine Rechtsausschuß hier auf eine Linie der Vernunft erneute Verschärfung bei den Sanktionen für die werden einigen können. bloßen Straßenverkehrs-Ordnungswidrigkeiten. Ich (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn die SPD nenne als Beispiel die viel zu schnelle Verhängung zustimmt!) des Fahrverbots. Auf der anderen Seite erweitern wir bei dem größeren kriminellen Unrecht im Rechtspfle- Anders sieht es bei der Einführung der Strafausset- aus. geentlastungsgesetz den Anwendungsbereich der zung zur Bewährung auch bei der Geldstrafe Schon der 59. Deutsche Juristentag hat nach einer Bestimmungen der Strafprozeßordnung, die bei sorgfältigen Diskussion eine solche Lösung abge- Geringfügigkeit die Einstellung des Verfahrens erlau- lehnt. Die Geldstrafe würde ihre Funktion, eine spür- ben, bis in den Bereich der mittleren Kriminalität. bare Alternative zur Freiheitsstrafe zu bilden, durch (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Dem haben die Möglichkeit der Aussetzung verlieren. Ich teile Sie zugestimmt, Herr Kollege! Das ist ein- nach wie vor die Auffassung der Bundesregierung in stimmig beschlossen!) ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD zum Obwohl diese Fehlentwicklung für jedermann offen- Sanktionensystem, daß die Gefahr nicht übersehen kundig ist, kommt dazu von der SPD keinerlei Vor- werden kann, daß die Gerichte auf eine wenig spür- schlag. bare Geldstrafe verzichten und lieber auf eine Frei- Das Wort „Fahrverbot" leitet über zu meiner näch- heitsstrafe mit ihrer größeren spezialpräventiven Wir- sten Kritik. Die SPD verläßt das aus meiner Sicht kung zurückgreifen würden. bewährte System, das auf der einen Seite das kurzzei- (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Da stehen Sie tige Fahrverbot und auf der anderen Seite die Entzie- aber in Westeuropa ziemlich allein! Ist das hung der Fahrerlaubnis vorsieht. nicht ein bißchen provinziell?) 18722 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Jörg van Essen Dies würde dem Ziel der Strafrechtsreform, die kurzen verbüßt, von allen anderen problematischen Folgen Freiheitsstrafen weitestgehend zurückzudrängen, zu- von Freiheitsentziehungen abgesehen. widerlaufen. Der Gesetzentwurf hat offenbar die positiven Erfah- Meine letzte Bemerkung betrifft den Vorschlag des rungen mit dem Täter-Opfer-Ausgleich verarbeitet, Bundesrates zum Schwarzfahren. Durch diese Straftat die es im Zusammenhang mit dem Jugendgerichtsge- entsteht ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden. setz sowie auch im Ausland gibt. Auch in der DDR hat Auch dadurch können die Nahverkehrsunternehmen es bestimmte positive Erfahrungen in diesem Zusam- nicht die notwendigen Attraktivitätssteigerungen menhang gegeben, die 1990 auch in der hiesigen vornehmen, die allein schon zur Entlastung der Fachpresse publiziert wurden und für deren Erhal- Umwelt wünschenswert wären. Setzen wir nicht das tung damals geworben wurde, die aber inzwischen falsche Signal, wenn wir diesen Vorgang bagatellisie- ebenso untergepflügt wurden wie alle anderen posi- ren? tiven Seiten, die es auch in der Rechtsordnung der Wie will man im übrigen feststellen, daß jemand DDR gab. wiederholt handelt und sich damit strafbar macht? Die positiven Erfahrungen mit dem Jugendgerichts- Denn die Ordnungswidrigkeit, die ja Voraussetzung gesetz lassen erwarten, daß das, was hier von der dafür ist, will man gar nicht registrieren. Diese Frage SPD vorgeschlagen wird, kein „totes Recht" sein wird. muß der Bundesrat uns erst einmal beantworten. Umfragen haben ergeben, daß der Täter-Opfer-Aus- Ich habe schon bei der letzten Debatte zum Sank- gleich in ganz hohem Maße akzeptiert wird. M an muß tionensystem erklärt, daß ich zu einer ständigen sich natürlich darüber im klaren sein, daß er nicht so Überprüfung des Sanktionensystems bereit bin. Der einfach im Selbstlauf vollzogen werden kann, sondern jetzige Zeitpunkt erscheint mir jedoch besonders daß er der qualifizierten Begleitung bedarf, die natür- ungünstig und besonders ungeeignet. Ich denke, wir lich auch einen bestimmten finanziellen Aufwand sollten die Debatte im nächsten Bundestag fortsetzen. erfordert. Dieser Aufwand ist aber mittel- und langfri- Ich freue mich darauf. stig für die Gesellschaft deutlich geringer als die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Alternative des staatlichen Strafens mit den her- kömmlichen Mitteln. Der Aufwand ist zunächst ein zusätzlicher Aufwand, und es wäre schade, wenn die Ausbreitung des Täter-Opfer-Ausgleichs daran schei- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- tern würde. lege Professor Uwe-Jens Heuer das Wort. Ansonsten sollen durch diese Reform des strafrecht- lichen Sanktionensystems das Strafgesetzbuch und Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Frau Präsi- die Strafprozeßordnung von einigen Ungereimtheiten dentin! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu befreit werden. Wir meinen, dazu gehört auch die Herrn van Essen möchte ich zu dem sprechen, was die Tatsache, daß bisher Freiheitsstrafen zur Bewährung SPD vorgeschlagen hat. ausgesetzt werden können, Geldstrafen aber nicht. Die hier zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe Ich halte auch die Regelung des § 456b StPO für berühren im einzelnen unterschiedliche Gegen- unterstützenswert, nach der die Ersatzfreiheitsstrafe stände, sie zielen aber in die gleiche Richtung: Es geht aufgeschoben werden kann oder muß, wenn der ihnen um die Anpassung strafrechtlicher Regelungen Verurteilte ohne eigenes Verschulden zahlungsunfä- an aktuelle Erkenntnisse der Kriminologie und der hig geworden ist und sich ernsthaft um die Wieder- Strafrechtspraxis, um die Beseitigung vorhandener gutmachung des Schadens bemüht. Denn oft wären Ungleichgewichte beim Strafrahmen und um die hier Dritte, vor allem Kinder, von den negativen Beseitigung bestimmter Absurditäten, die bestehende Folgen des Vollzugs der Freiheitsstrafe betroffen. Vorschriften in der Praxis erzeugen. Alle drei Ent- würfe verdienen in meinen Augen in ihrem Anliegen Ebenso vernünftig scheint mir die angestrebte und weitestgehend auch in ihrer Ausführung Unter- Regelung des § 42a StGB zu sein, die die Anpassung stützung. der Zahlungsmodalitäten oder der Tagessatzhöhe an sich verändernde Verhältnisse ermöglicht. Besonders interessant ist der Entwurf des Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems. Ich begrüße es schließlich auch, daß der Gesetzent- Er stellt einen weiteren Schritt dar weg vom Strafan- wurf den Versuch unternimmt, zu definieren, wie spruch des Staates als dem Gedanken, um den das viele Stunden gemeinnützige Arbeit einem Tag deutsche Strafrecht seit mehr als hundert Jahren Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen. Ob sechs Stunden zentriert war, hin zu einer Sicht, die das Interesse des die adäquate Menge gemeinnütziger Arbeit sind, Opfers sowohl an materieller Sicherstellung als auch halte ich für diskussionswürdig. Die Begründung an einer seelischen Verarbeitung der Ereignisse mehr überzeugt mich nicht so recht. Aber darüber werden in das Blickfeld der Strafrechtspflege rückt. wir diskutieren. Dem sollen vor allem die Bestimmungen zum Überzeugend scheint mir auch der Antrag zur Täter-Opfer-Ausgleich, aber auch die angestrebten Harmonisierung der Strafrahmen zu sein. Sowohl die Änderungen des § 56 StGB dienen. Der Täter soll Beispiele als auch die Tabelle zeigen hier — das ist möglichst in die Lage versetzt oder in einer Lage jetzt auch von der CDU gesagt worden — das beste- gehalten werden, in der er materielle Schäden wie- hende Mißverhältnis der Strafrahmen für Taten gegen dergutmachen kann. Das kann er mit hoher Wahr- das Eigentum sowie gegen die körperliche und see- scheinlichkeit eben nicht, wenn er eine Freiheitsstrafe lische Integrität. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18723

Dr. Uwe-Jens Heuer Hält man sich die Werteordnung des Grundgesetzes komplexer Gesetzentwurf wie das Verbrechensbe- vor Augen, dann zeigt sich, daß sich — namentlich bei kämpfungsgesetz entsteht nach sehr langen Beratun- den Mindeststrafen — diese Werteordnung im Straf- gen, auch nach monatelangen Beratungen; gesetz nicht adäquat widerspiegelt und sich der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Eigentumsschutz im Grunde vor den Schutz des Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Wir hatten Lebens und der seelischen und körperlichen Unver- einen dreijährigen Vorlauf, Frau Ministe sehrtheit des Menschen geschoben hat. Dem Vor- rin!) schlag, hier eine unabhängige Kommission einzuset- zen, ist zuzustimmen. von daher haben wir auch einen sehr umfassenden Ich möchte noch eine Bemerkung zum Kollegen Gesetzentwurf vorgelegt, der für die unterschiedli- Seesing machen. Er hat von Problemen der Aufwei- chen Formen der Kriminalität sehr differenziert chung des Strafrechts gesprochen und gesagt, natür- Lösungsansätze aufzeigt; so etwas kann selbstver- lich sei Abschreckung notwendig, aber auch tagtägli- ständlich nicht in nur wenigen Tagen oder Wochen che Wertverkündung. Ich meine, wir sollten, wenn wir der Beratung in diesem Umfang zu Papier gebracht über Strafen sprechen, im Auge behalten, daß es werden — oder es geht an den Notwendigkeiten einer immer auch eine Überlegung geben sollte, daß Krimi- effektiven Kriminalitätsbekämpfung vorbei. nalität etwas mit sozialen Verhältnissen zu tun hat Von daher sind gerade auch die Ansätze, die Sie in und daß Auseinandersetzung mit Kriminalität immer Ihrem Entwurf zum Teil haben, schon Gegenstand von auch etwas mit Änderung von Verhältnissen zu tun Überlegungen der Koalitionsfraktionen gewesen. Ich haben muß. denke hier insbesondere an die stärkere Berücksich- (Dr. Hans de With [SPD]: Da hat er recht!) tigung des Täter-Opfer-Ausgleichs im strafrechtli- chen Sanktionensystem, Ich meine, daß tägliche Verkündung von Werten nicht ausreicht. Die Leute haben immer gestohlen; es (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Das war 1991 wurde ihnen stets verkündet, sie sollten es nicht tun. von uns!) Wir sollten überlegen: Wie ändern wir die Verhält- Denn wir haben immer gesagt: Wir brauchen Erkennt- nisse?, um uns auch von dieser Seite her mit der nisse aus der Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs Kriminalität auseinanderzusetzen. bei Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Wir wissen alle gemeinsam — das war auch Gegen- (Norbert Geis [CDU/CSU]: In der vormaligen stand der Beratungen über Ihre Große Anfrage zum DDR haben wir jetzt ja angefangen! — - Sanktionensystem —, daß wir da letztendlich gesi- Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: cherte Erkenntnisse noch nicht haben und nicht Dadurch ist die Kriminalität sehr gestiegen, vorweisen können. Dennoch haben wir gesagt — wir Herr Geis! — Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ meinen, daß es ein wichtiger Aspekt im Zusammen- CSU]: Vorher war nur die Regierung krimi- hang mit der Kriminalitätsbekämpfung ist —, daß wir nell!) die Schadenswiedergutmachung auf diesem Wege auch in dem Gesetzentwurf verankern müssen und Vizepräsidentin Renate Schmidt: Im Moment rede daß damit auch der Täter-Opfer-Ausgleich erstmals in vorwiegend ich. Dann können Sie sich wieder gegen- dieser Form im Erwachsenenstrafrecht verankert wer- seitig beharken. den sollte. Jetzt hat erst einmal Frau Ministerin Leutheusser- Ich hoffe, daß man sich im Laufe der Beratungen Schnarrenberger das Wort. über Ihre Vorschläge und den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf eine endgültige Fassung Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- wird einigen können. nisterin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine sehr (Norbert Geis [CDU/CSU]: Diese Hoffnung verehrten Damen und Herren! Innerhalb von nur zwei habe ich nicht!) Wochen reden wir hier jetzt zum zweitenmal über Kriminalitätsbekämpfung. Ich konzediere durchaus, Ich denke insbesondere daran, daß gerade der Vor- daß es wirklich die Sorge um Kriminalität ist, die hier schlag der Koalitionsfraktionen hier doch sehr viel immer wieder neue Vorschläge auf den Tisch ausgewogener ist. Wir versuchen, im Einzelfall flexib- bringt. ler beim Täter-Opfer-Ausgleich zu reagieren, wenn es Das, was wir heute beraten, ist nach meiner Ein- nämlich darum geht, daß nach der Wiedergutma- ihnen ein schätzung aber nicht entscheidend dazu angetan, uns chung im Rahmen der Bewährungsauflagen in der Frage der Kriminalitätsbekämpfung wirklich relativer Vorrang vor den übrigen Auflagen einge- weiterzubringen. Denn entweder ist es nicht neu und räumt wird, insbesondere vor den Geldauflagen zum Teil schon Gegenstand des Entwurfs des Verbre- zugunsten der Staatskasse. Ich glaube, daß das wirk- chensbekämpfungsgesetzes der Koalitionsfraktionen lich ein praktikabler Vorschlag zur Besserstellung der Opfer von Straftaten sein kann. Einen solchen Ansatz (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Der kam habe ich in dem Entwurf, den Sie heute hier vorgelegt Monate nach unserem Entwurf! Bitte bleiben haben, nicht gefunden. Sie bei der historischen Wahrheit! — Dr. Hans de With [SPD]: Schauen Sie auf die (Zuruf von der CDU/CSU: Das unterscheidet Nummern!) uns von der SPD!) — es sind nicht nur das Datum und die Nummer von Ein Wort zu den Strafrahmen: Selbstverständlich Drucksachen entscheidend, sondern gerade ein so haben wir die Notwendigkeit gesehen, unser S traf- 18724 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger rahmensystem einer genauen Prüfung zu unterzie- hen, sondern müssen auch von den Tatbeständen und hen. Für uns war ganz entscheidend, daß ein dem materiellen Recht ausgehen. Von daher möchten Ungleichgewicht in unserem Strafgesetzbuch auch wir eben keine kurzatmigen Lösungsvorschläge, die von der Wertentscheidung her beseitigt werden muß, eigentlich tatsächlich keine sind, vorlegen. nämlich bei den Strafandrohungen beim Diebstahl, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) also beim Schutz von Vermögen und Eigentum, wie auf der anderen Seite beim Schutz der körperlichen Ich möchte noch zu zwei Vorschlägen ein Wort Unversehrtheit, von Leib und Leben. Deshalb haben sagen, einmal zur Geldstrafe auf Bewährung: Diesem wir Vorschläge im Verbrechensbekämpfungsgesetz- Vorschlag — Herr van Essen hat das schon deutlich entwurf vorgesehen, die sich auch auf die qualifizie- gemacht — kann ich mich ebensowenig anschließen renden Tatbestände entsprechend auswirken und wie die F.D.P.-Fraktion und auch die CDU/CSU insofern in sich geschlossen und abgestimmt sind und Fraktion. also nachvollziehbar und begründbar sind. (Zuruf von der CDU/CSU: Und unser Deut Wir sind nicht dazu übergegangen, generell das scher Juristentag! — Dr. H ans de With [SPD]: gesamte Strafrahmensystem einer Prüfung zu unter- Sie brauchen ein bißchen länger!) ziehen, weil uns eines klar war: daß wir es im Rah- Das ist auch keine Frage des Zeitpunktes. Wir müssen men dieses Verbrechensbekämpfunggesetzentwur- vielmehr, glaube ich, diesen Vorschlag in ein Gesamt- fes nicht werden leisten können, daß ein wirklich konzept einbinden, indem wir uns nämlich fragen: umfassendes Ergebnis in den Gesetzentwurf Eingang Was wollen wir? Wir wollen ja gerade — das war auch finden kann. ein Ziel der Strafrechtsreform — möglichst wenig (Dr. Hans de With [SPD]: Ein bißchen kurzat- kurzzeitige Freiheitsstrafen. mig!) (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Wie ist es mit — Das ist nicht kurzatmig, sondern das ist seriöse und der westeuropäischen Rechtsangleichung?) solide Gesetzgebungsarbeit, die wir leisten wollen, Wenn wir den Weg der Geldstrafe auf Bewährung (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Flickwerk ist gehen, dann sehe ich eher die Gefahr, daß es wieder das!) mehr zu kurzzeitigen Freiheitsstrafen kommen könnte. weil sie auf einen wichtigen Gesichtspunkt eingeht, (Dr. Hans de With [SPD]: Wieso eigent- (Beifall bei der F.D.P und der CDU/CSU — lich?) Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Davon hat - die SPD keine Ahnung! — Norbert Geis Ich meine, das ist zu befürchten. [CDU/CSU]: Da hat die SPD nichts zu bie- (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Es gibt Erfah- ten!) rungen im Ausland, die das widerlegen, Frau daß wir nämlich deutlich machen: Wer Leib und Ministerin! Schauen Sie einmal über die Leben schädigt oder verletzt, der soll mindestens mit Grenze!) denselben Strafen rechnen müssen, als wenn er einen — Ja, das mag sich vielleicht herausstellen, wenn m an Diebstahl begangen hätte. noch einmal eine umfassende internationale Untersu- (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause chung anstellt. Aber die Geldstrafe mit ihrer Funktion, [Bonese] [fraktionslos]) nämlich eine Alternative zur Freiheitsstrafe zu sein, kann sie dann, wenn sie derart ausgestaltet wird, wohl Gerade diese Botschaft sollte in unserem Gesetzent- nicht mehr erfüllen. wurf gegeben werden. Sie schlagen eine Änderung des Strafbefehlsver- Ich sehe nicht, warum wir eine unabhängige Kom- fahrens vor. Das gibt es schon in der Praxis. Zum mission einsetzen müssen. zweiten sind entsprechende Regelungen auch schon (Norbert Geis [SPD]: Die SPD kommt immer in dem am 1. März 1993 in Kraft getretenen Gesetz zur mit Kommissionen auch beim Lauschangriff! Entlastung der Rechtspflege enthalten. — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Weil die Ein Wort zum Bundesratsentwurf zur Beförderungs- SPD Nachhilfe braucht!) erschleichung: Ich halte es für äußerst problematisch, Denn es hat schon in der Vergangenheit gewichtige diesen einen Gesichtspunkt losgelöst von der Gesamt- Vorhaben gegeben, die das Justizministerium mit problematik, wie Massenkriminalität tatsächlich bes- Beteiligung der Landesjustizverwaltungen auf einen ser bewältigt werden kann, auf diese Art und Weise zu guten Weg gebracht und für die es entsprechende regeln. Entwürfe vorgelegt hat, so daß ich glaube, wir müssen Mit dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen, das keine unabhängige Kommission einsetzen, sondern beschleunigte Verfahren besser auszugestalten, als wir sollten uns in der nächsten Legislaturperiode bei das bisher der Fall ist, ist eine umfassendere und Weiterentwicklung liberaler Rechtspolitik auch dieser passendere Antwort auf die Frage gegeben, wie auch Fragen annehmen. Da bin ich sehr wohl offen. unsere Institutionen, Polizei und Justiz, besser mit Denn ich habe schon mehrmals, auch bei anderen Massenkriminalität und den Verfahren umgehen kön- Debatten, betont, daß wir uns insgesamt mit einer nen. Reform der Tötungsdelikte und z. B. auch der gemein- Zum anderen befürchte ich, daß eher Mehrbela- gefährlichen Straftaten beschäftigen müssen. Wir dür- stungen der Strafverfolgungsbehörden und der Ver- fen dabei aber nicht nur von den Strafrahmen ausge- kehrsbetriebe eintreten werden; denn möglicher- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18725

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger weise werden sich die Verkehrsbetriebe veranlaßt Nebenbei bemerkt: Was passiert denn mit einem sehen, entgegen der bisherigen Praxis auch erstma- Täter, der mittellos ist? lige Schwarzfahrer anzuzeigen, um im Wiederho- (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions lungsfall die Voraussetzung für die Anwendung des los]: Zweiklassenstrafrecht!) Straftatbestandes zu schaffen. Ich glaube, das ist eine — Ein Zweiklassenstrafrecht, in der Tat. Wirkung, die wir alle gemeinsam nicht erzielen wol- len. Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch darf nicht an die Stelle der S trafe treten. Eine Privatisie- Einen Punkt zum Schluß: Wir sollten wirklich nicht rung des Strafrechts kommt für uns nicht in Betracht. dazu übergehen, immer mehr das Ordnungswidrig- Deswegen wird es eine Wiedergutmachung, einen keitenrecht mit weiteren Tatbeständen zu belasten. Täter-Opfer-Ausgleich, als dritte Spur neben S trafe Wir sollten uns das Ordnungswidrigkeitsverfahren und Maßregeln nicht geben. Im Verbrechensbekämp- — und das ist aus meiner Sicht ein Vorhaben für die fungsgesetz, das heute schon wiederholt zitiert wor- nächste Legislaturperiode — insgesamt vornehmen. den ist, haben wir dem Gedanken des Täter-Opfer- Dafür würde natürlich gerade liberale Rechtspolitik Ausgleichs durch § 46a StGB Rechnung ge tragen bürgen; denn wir müssen sehen, daß wir fast gar nicht mehr in der Lage sind, eine Vielzahl von sachlich oft (Abg. Johannes Singer [SPD] meldet sich zu schwierigen Verfahren in angemessener Zeit zu einer Zwischenfrage) bewältigen. — sofort, Herr Kollege — und damit auch einer Außerdem müssen wir das Verhältnis von Straftaten Empfehlung des Deutschen Juristentages entspro- und Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich überden- chen. ken und hier nicht an einer Stelle — aus meiner Sicht wirklich kurzsichtig — einen noch nicht voll durch- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie gestatten eine dachten Änderungsvorschlag machen. Zwischenfrage? — Herr Singer. (Dr. Hans de With [SPD]: Das war nur ein Beispiel!) Johannes Singer (SPD): Herr Kollege Götzer, da Sie Deshalb kann ich ihm nicht folgen und ihn nicht vom Zweiklassenstrafrecht sprechen, frage ich Sie: unterstützen. Was halten Sie denn davon, wenn in großen Wirt- Vielen Dank. schaftsstrafprozessen im Wege des Deals für Schäden in Millionenhöhe Strafen von zwei bis zweieinhalb (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-- Jahren ausgehandelt werden, die vergleichbar sind ten der CDU/CSU — Dieter Wiefelspütz mit der S trafe für einen normalen Kleinkriminellen, [SPD]: Herr Geis, Sie applaudieren der der in eine Gaststätte einbricht? Liegt hier nicht ein Justizministerin! Ich bin erstaunt! Ich bin Zweiklassenstrafrecht vor, wo ein Täter-Opfer-Aus- erschüttert!) gleich überhaupt keine Rolle spielt, aber die Justiz auf Grund der bestehenden Gesetze nicht in der Lage ist, wirklich große Schäden verursachende Straftaten Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- angemessen zu ahnden? lege Dr. Wolfgang Götzer das Wort. (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions los]: Das eine ist unabhängig vom ande ren!) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der SPD trägt den hochtrabenden Titel „Reform des Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Herr Kollege strafrechtlichen Sanktionensystems". Wenn man ihn Singer, ich maße mir kein Urteil über das Wirtschafts- genauer ansieht, dann entpuppt er sich — um freund- strafrecht an. Wenn man einen Deal schließt, dann lich zu bleiben — als ein Konvolut von nicht mehr ganz sind nicht die Gesetze schuld, sondern in der Regel ist taufrischen Vorschlägen, teilweise bereits realisiert es die Komplexität des Sachverhalts und die Arbeits- und mehr oder weniger überlegenswert. überlastung der Gerichte. (Dr. Hans de With [SPD]: Bei Steuerhinterzie- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist immer so hung auch? — Norbert Geis [CDU/CSU]: Das bei der SPD!) hängt immer an den Ländern! — Dr. Jürgen — Wir haben uns daran gewöhnt, Herr Kollege Geis, Meyer [Ulm] [SPD]: Ja, bei Steuerhinterzie- und werden damit fertig. hung ist Bayern ein gutes Beispiel! — Nehmen wir einen wesentlichen Punkt heraus: die Dr. Hans de With [SPD]: Das zwickt Sie!) Schadenswiedergutmachung. Auch wir sind grund- Lassen Sie mich in meiner Rede weiterkommen! sätzlich der Auffassung, daß das Interesse der Opfer Ich möchte auch noch einen Gedanken zu dem an Wiedergutmachung und Genugtuung im Straf- Thema, das in diesem Gesetzentwurf eine Rolle spielt, und Strafprozeßrecht stärker berücksichtigt werden äußern, nämlich zur Aussetzung einer Freiheitsstrafe, sollte. Aber, meine Damen und Herren, es darf nicht die über zwei Jahre bis hin zu drei Jahren geht, auf als Weg zum Abbau des Strafrechts instrumentalisiert Bewährung. Dies lehnen wir entschieden ab; denn werden. Der Täter darf sich nicht von der Strafverfol- hier wiegt die Schuld des Täters regelmäßig so gung freikaufen können. schwer, daß die zumindest überwiegend gebotene (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions- Verbüßung der Strafe eben notwendig ist. Gerade los]: Sehr richtig!) angesichts der bedrohlich steigenden Kriminalitäts- 18726 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Dr. Wolfgang Götzer entwicklung kommt den generalpräventiven Aspek- in den Bau gingen. Man kann die Leute nicht dazu ten hier eine besondere Bedeutung zu. zwingen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: 10 % weniger im Bau sind doch schon ein wichtiger Fort Wir kennen die grundsätzliche Auffassung der SPD -schritt!) zur Freiheitsstrafe; sie klingt auch in diesem Gesetz- entwurf immer wieder durch. Ich bin aber nicht der Diese Zahlen sprechen für sich. Meinung, daß Maßnahmen ohne Freiheitsentzug Alles in allem, meine Damen und Herren: Einzelne unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung des Bestimmungen unseres strafrechtlichen Sanktionen Täters generell eine bessere Wirkung entfalten als die systems sind sicherlich überdenkenswert. Darüber freiheitsentziehende Sanktion; werden wir in der nächsten Legislaturperiode gege- benenfalls diskutieren. Im wesentlichen aber hat sich (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Das sagt unser strafrechtliches Sanktionensystem bewährt. auch niemand!) Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Antrag denn eine Resozialisierung setzt Reue, setzt Umden- sagen, der die Harmonisierung der Strafrahmen zum ken voraus, und die Haft kann hier durchaus heilsam Gegenstand hat. Wir sind in der Tat der Auffassung, und fördernd sein. schon seit langem, daß wir — weil der Schutz von Leib (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Kann, muß und Leben die vornehmste Aufgabe des Strafrechts aber nicht!) ist — das offensichtliche und eklatante Mißverhältnis zwischen den Strafen bei Verletzung der körperli- Im übrigen muß bei der Verhängung strafrechtli- chen Unversehrtheit einerseits und Eigentumsdelik- cher Sanktionen in jedem Einzelfall darauf geachtet ten andererseits beseitigen müssen. Deshalb hat — ich werden, daß sämtliche Strafzwecke bestmöglich darf wieder den Freistaat Baye rn zitieren — Bayern erreicht werden. Ich weise darauf hin, daß bei der schon 1992 im Bundesrat einen Antrag auf Verschär- Rechtsverfolgung einer Straftat eben auch der fung des Strafrahmens bei Gewaltdelikten einge- Gemeinschaftsbezug zu beachten ist — es steht nicht bracht. Dieser ist schließlich in einer ziemlich verwäs- nur die Betrachtung des Täters im Mittelpunkt, son- serten Form beschlossen worden. Wir sind froh, daß im dern auch die Gemeinschaft — und natürlich, keines- Verbrechensbekämpfungsgesetz wesentliche Punkte falls zu vergessen, die Wirkung auf das Opfer. bereits verwirklicht sind. Ohnehin ist die Praxis doch so, daß der Strafrichter (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Aber eben im Zweifel zugunsten der Strafaussetzung entschei-- nur Punkte!) det. Außerdem ist die Entscheidung der Strafausset- zung nach der Revisionsrechtsprechung im Zweifel — Ja. — Ich denke dabei an die §§ 223 und 225 StGB in bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren. ihrer Neufassung. Dabei kann es nicht bleiben, Herr Kollege Meyer; da stimmen wir Ihnen völlig zu. Deshalb ist kein Bedarf für eine Aufweichung des § 56 StGB. Aber während die Koalition unter maßgeblicher Mitwirkung — wie so oft — des Freistaats Bayern Was die in dem SPD-Entwurf festzustellende Tatkraft bewiesen hat und weiter beweist, will die Absicht angeht, die Ersatzfreiheitsstrafe zu vermei- SPD die Probleme auf die lange Bank schieben und den, so möchte ich sagen: Auch hier finde ich keinen eine Kommission einsetzen. Wir alle wissen doch, was Handlungsbedarf; denn es gibt schon jetzt die Mög- es in aller Regel bedeutet, eine Kommission einzuset- lichkeit der Zahlungserleichterung, und es gibt die zen. Damit ist gerade nicht die zügige Lösung eines Möglichkeit der Tilgung durch gemeinnützige Arbeit Problems gewährleistet. und bei unbilliger Härte den § 459f StPO. Ich bin der Meinung, es sollte dabei bleiben, daß es auf die Andererseits aber kommen hier immer wieder auch Gründe einer Nichtzahlung einer Geldstrafe grund- konkrete Vorschläge, die aber nicht in Gesetzesan- sätzlich nicht ankommt, da ansonsten die Gefahr tragsform gekleidet sind, so daß sich der Eindruck des besteht, daß die Nichtzahlung der Geldstrafe häufig bloßen Aktionismus natürlich schon aufdrängt. sanktionslos bliebe. Dann hätte die Geldstrafe eben (Dr. Hans de With [SPD]: Dann lesen Sie keine spezialpräventive Wirkung mehr. Deshalb sind unseren Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur wir auch dagegen, die Geldstrafe zur Bewährung Bekämpfung der organisierten Kriminalität! auszusetzen; denn sie hätte ansonsten keine Alterna- Das ist ein Gesetz!) tivfunktion mehr zur Freiheitsstrafe. Was noch erforderlich ist, verehrte Kolleginnen und Lassen Sie mich noch ein Wort zur gemeinnützigen Kollegen, das wird die Koalition in Zusammenarbeit Arbeit anstatt Ersatzfreiheitsstrafe sagen, was gerade mit den Ländern leisten. Aber der Einsetzung einer in Bayern kürzlich Gegenstand der Erörterung war. Kommission hierfür bedarf es wahrlich nicht. Das ist sicherlich ein sympathischer Gedanke und Ich bedanke mich. deshalb — wie so vieles — in Baye rn am 1. Januar 1983 (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) als Modellversuch gestartet und mit Wirkung vom 1. Januar 1987 landesweit eingeführt worden. Aber die Erfahrung hat leider gezeigt, verehrte Kolleginnen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat Herr und Kollegen, daß bei den Betroffenen oder den Abgeordneter Krause (Bonese) das Wort. Begünstigten offensichtlich der Grundsatz gilt: Lieber sitzen als schwitzen, und nicht umgekehrt. Denn vollständig abgearbeitet haben ihre Geldstrafe 1993 Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): Frau ganze 80 Verurteilte, während 958 Verurteilte lieber Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der erste Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18727

Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) Gesetzentwurf, der der SPD-Fraktion: Sühne, das ist Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): — das, was ich immer sage. Aber: Sühne, sofern der der organisiert Gewalt. Auch dies muß in einem Verwarnte hiermit einverstanden ist, heißt einklagba- neuen, harmonisierten Strafgesetz unter harte S trafe res Schmarotzertum, eine Schmarotzeroption. Es ist gestellt werden. wirklich so, daß viele Dauerkriminelle das Gammel- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. und Lotterleben in unseren Wohlstandsgefängnissen der gemeinnützigen Arbeit vorziehen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Zum zweiten Punkt, dem Gesetzentwurf des Bun- dungen liegen mir nicht vor. desrates: Von dem, was am heutigen Tag besprochen Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen worden ist, wird das am meisten in der Bevölkerung auf den Drucksachen 12/6141, 12/6484 und 12/6164 diskutiert werden, was sozusagen als Schwarzfahrer- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse gesetz behandelt wurde. Auch ich bin der Auffassung, vor. Sind Sie damit einverstanden? — Dies ist der Fa ll. daß man angesichts der dramatisch steigenden Krimi- Dann sind die Überweisungen so beschlossen. nalität in unserem Lande keine Bagatellisierungsge- setze machen darf. Aber m an muß auch die Verhält- Ich rufe nun Zusatzpunkt 7 auf: nismäßigkeit für den Bürger sehen. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- Wenn hier sehr hoch bestraft wird, wenn jemand, ten Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Günter Graf, um drei- oder viermal ein paar Mark einzusparen, Dr. Hans de With, weiterer Abgeordneter und betrügt, dann wird jeder in Sachsen-Anhalt den Ver- der Fraktion der SPD gleich zu den sechsstelligen Summen ziehen, die sich Organisierte Kriminalität in der Bundesrepu- die Magdeburger Regierungsabzocker einverleiben blik Deutschland durften, ohne daß bisher ein Strafantrag bearbeitet wurde, weil die Strafverfolgung durch Weisung des — Drucksache 12/4948 — Justiz- oder Innenministers untersagt wurde. Ich bitte um Zustimmung, daß die Reden zu diesem Nun zum letzten: Harmonisierung des Strafrah- Zusatzpunkt zu Protokoll gegeben werden, und zwar mens. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, die die Reden der Kollegen und Kolleginnen Dr. Ullmann, Strafe für die Verletzung der körperlichen Unver- Kemper, Geis, Steinbach, Hirsch, Jelpke, van Essen, sehrtheit drastisch zu erhöhen. Aber dies geht nicht de With und Dr. Meyer sowie des Parlamentarischen weit genug. Es greift viel zu kurz. Wir müssen sofort Staatssekretärs Lintner' ). Sind Sie damit einverstan- etwas gegen die bandenmäßige Körperverletzung den? — Dann ist dies so beschlossen. tun. Diese Kriminellen läßt man immer wieder laufen. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ein Sie rotten sich zusammen. Soweit sie sich „politisch" bißchen schade ist es schon!) nennen, sind überall V-Männer dabei. Trotzdem wird nicht dagegen eingeschritten. Tagesordnungspunkt 12 wurde bereits gemeinsam Ich sage Ihnen — und gebe das hier zu Protokoll —, mit Tagesordnungspunkt 21 aufgerufen. daß ich am 28. Feb ruar wieder einmal wie durch einen Zufall oder durch ein Wunder der Körperverletzung Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 13 auf: durch 20 Gewaltkriminelle entgangen bin. Ein ande- Erste Beratung des von der Bundesregierung rer ist dafür ins Krankenhaus gekommen. Es ist — man eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes möchte fast sagen: glücklicherweise — Raub dabeige- zur Durchführung versicherungsrechtlicher wesen. Wenn die Gesellschaft es wollte, könnten hier Richtlinien des Rates der Europäischen Ge- hohe Strafen verhängt werden. meinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/ Es darf nicht sein, daß Unterschiede gemacht wer- EWG zum VAG) den, je nach dem, ob jemand zur Freude eines — Drucksache 12/6959 — deutschfeindlichen rassistischen Auslandes handelt Auch hier besteht der Wunsch, die Reden zu Proto- oder nicht. Rechte Straftäter müssen — mit Recht — koll zu geben. **) Stimmen Sie dem zu? — Dies ist der hart bestraft werden, aber sogenannte Linke, die so Fall. Dann ist auch dies so beschlossen. wenig Karl Marx gelesen haben wie die anderen Adolf Wir müssen j etzt noch gemeinsam die Überweisung Hitler, dürfen nicht immer wieder laufen gelassen beschließen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den werden, als würden sie zur Gesellschaft dazugehö- Gesetzentwurf auf Drucksache 12/6959 — entgegen ren. dem Überweisungsvorschlag in der Tagesordnung — Ich gehe noch einen Schritt weiter: Wer zu Demon- zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß strationen gegen friedliche Republikanerversamm- und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den lungen aufruft, nimmt nicht nur Gewalt billigend in Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Arbeit Kauf, er organisiert Gewalt. In Hannover hat der und Sozialordnung zu überweisen. Haben Sie noch SPD-Oberbürgermeister zu einer Gegendemonstra- anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. tion aufgerufen: Über 50 — vor allem ältere — Dann ist die Überweisung so beschlossen. Republikanermitglieder wurden verletzt. Wer zu Demonstrationen aufruft und billigend in Kauf nimmt, Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 14 auf: daß Gewaltkriminalität auftritt und sich entfaltet, — Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Abgeordne- *) Anlage 5 ter, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit. **) Anlage 6 18728 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Vizepräsidentin Renate Schmidt Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, Auf der einen Seite muß dies durch eine Förderung die für die unerlaubte Herstellung von Betäu- der Grundlagenforschung über Voraussetzungen und bungsmitteln mißbraucht werden können Auswirkungen von Suchtverhalten erfolgen. Wir (Grundstoffüberwachungsgesetz — GÜG) brauchen Langzeitbegleitforschung von Suchtkarrie- ren; wir brauchen darüber hinaus eine zielgruppen- — Drucksache 12/6961 — spezifische kontinuierliche und flächendeckende Prä- Ursprünglich war nach einer Vereinbarung im Älte- vention ab dem Kindesalter. Auch ein ausreichendes stenrat für die Aussprache eine halbe Stunde vorge- Angebot an differenzierten und qualifizierten statio- sehen. Es besteht nun — mit zwei Ausnahmen — der nären und ambulanten Entgiftungs-, Entwöhnungs- Wunsch der Kolleginnen und Kollegen, ihre Reden zu und Entzugstherapieplätzen sowie Nachsorgeplät- Protokoll zu geben. *) Besteht damit Einverständnis? zen, wie sie von vielen freien Trägern in hervorragen- — Zwei Abgeordnete möchten aber gern ihre Rede der Weise angeboten werden, ist unabdingbar. halten. Dies ist auch ihr gutes Recht. Erforderlich ist darüber hinaus die stärkere Unter- Deshalb erteile ich als erstem dem Kollegen Detlef stützung von Selbsthilfegruppen, besonders für die Parr das Wort. Nachsorge von ehemaligen Süchtigen, z. B. be treutes Wohnen und die Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Substitutionsprogramme können helfen, den Ausstieg zu schaffen. Sie sind allerdings nur dann sinnvoll, Detlef Parr (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Je später der Abend, desto jungfräulicher wenn sie von qualifizierten Ärzten geregelt und von psychosozialen Betreuungsangeboten sowohl für die die Reden. Abhängigen als auch für ihr soziales Umfeld begleitet (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Jür- werden können. gen Rüttgers [CDU/CSU]) (Beifall bei der F.D.P.) Ich möchte mich bemühen, diese Rede mit Blick auf Meine Damen und Herren, man könnte einen den Vorredner in einer Art und Weise zu halten, die Ausweg in der Legalisierung von weichen und ha rten diesem Hause doch adäquater ist. Drogen sehen. Das kommt für mich jedoch aus Wir beraten hier einen Gesetzentwurf, der im Vor- gesundheits- und jugendpolitischen Gründen nicht in blatt unter „Kosten" Aussagen enthält, die zum einen Frage. erfreulich sind. Den Gemeinden entstehen keine (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Kosten. Zum anderen werden neben dem Bund aber - ten der SPD) auch die Länder belastet. Die Mehrkosten sind noch nicht zu beziffern, so heißt es. Es gibt international keinerlei Erkenntnisse darüber, daß wir die bestehenden Probleme durch eine Lega- Ich komme aus der Landespolitik, und da lautete ein lisierung lösen könnten. Grundsatz, den ich gerne vertreten habe: Mit Blick auf die Haushaltssituation sollten keine neuen Gesetzes- (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Woher wissen Sie vorhaben zu Lasten Dritter ohne deren Einverständnis das?) erfolgen. Sie sollten nur angegangen werden, wenn — Das weiß ich aus der Fachpresse, und ich verweise sie keine zusätzlichen Belastungen mit sich bringen. auch auf das Methadon-Programm, das wir z. B. in — Ich hoffe, daß wir in den Beratungen intensiv NRW gefahren haben und das außerordentlich zwei- darüber nachdenken, wie wir dieses zweifellos not- felhafte Ergebnisse gebracht hat. wendige Gesetz mit möglichst geringem finanziellen Aufwand greifen lassen können. (Zustimmung bei der F.D.P. — Zurufe von der SPD) (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Jür- — Das ist keine Legalisierung, sondern die Bekämp- gen Rüttgers [CDU/CSU]) fung der Drogensucht mit Mitteln einer Droge, und ich Dazu gehört auch — und da verstehe ich die Einwen- halte das nicht unbedingt für den richtigen Weg. dungen des Bundesrates nicht— die Einrichtung einer (Beifall bei der F.D.P.) gemeinsamen Stelle des BKA und des ZKA beim BKA als Mittel für eine enge, beschleunigte Anbindung von Dieser Gesetzentwurf soll die mißbräuchliche Meldewegen. Abzweigung und Verwendung von Grundstoffen zum Zwecke der unerlaubten Herstellung von Betäu- Meine Damen und Herren, 1991 ist die Zahl der bungsmitteln unterbinden bzw. eine strafrechtliche gegenüber dem Vorjahr um 42,5 % Drogentoten Verfolgung vorsehen. Ich erspare mir hier mit Blick gestiegen, 2 026 Todesfälle wurden gemeldet, und auf die Uhr Einzelheiten; sie sind ja nachzulesen. Ich schätzungsweise 80 000 bis 100 000 Menschen konsu- will nur noch einmal herausstellen, daß äußerst positiv mieren in der Bundesrepublik harte Drogen. Die Zahl zu bewerten ist, daß alle Mitgliedstaaten der Europäi- der polizeilich erfaßten Erstkonsumenten steigt stän- schen Gemeinschaft auf Grund einer EG-Richtlinie dig, wobei das Einstiegsalter bei ca. 17 Jahren liegt. verpflichtet sind, die gleichen Rechtsvorschriften Vor diesem Hintergrund müssen alle Möglichkeiten anzuwenden. Hierdurch wird zwar nicht ausgeschlos- genutzt werden, den Drogenkonsum möglichst weit sen, daß Grundstoffe in andere Länder transportiert zu reduzieren. werden, um von dort aus in die illegale Produk tion zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- gehen; es wird jedoch zumindest erschwert. ten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die erschreckende Zahl der Drogenabhängigen in der Bundesrepublik zwingt ') Anlage 7 uns dazu, alles nur Mögliche zu versuchen, um diesem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18729

Detlef Parr Problem Herr zu werden. Dazu gehört für mich auch, Vermehrung von Stellen bei der Bundesopiumstelle daß man so weit wie möglich die Herstellung dieser und anderen Bundesbehörden; genau beziffert wird Drogen eindämmt. Da die Kontrollmaßnahmen dies im Gesetz nicht. zudem — je nach Grundstoffkategorie — die Eigen- Ich will auf die Einzelheiten des Gesetzes, das sehr schaften, den Handelsumfang und Verwendungs- viele bürokratische, sehr komplizierte Einzelvor- zweck sowie die Zielländer der Grundstoffe berück- schriften enthält, nicht näher eingehen; das ist Sache sichtigen, ist der Kontrollaufwand so angepaßt, daß der Ausschußberatungen. Vielleicht können wir das der normale Handelsverkehr nicht über Gebühr Ganze noch etwas schlanker und handhabbarer erschwert wird. machen. Daß solch ein „Gesetzchen" 32 Paragraphen Es ist erfreulich, daß Konsequenzen aus dem Ober- enthalten muß, leuchtet dem Praktiker eigentlich einkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahre nicht so recht ein. Das ist aber, wie gesagt, Sache der 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen Ausschußberatungen. Darauf möchte ich heute nicht und psychotropen Stoffen endlich gezogen werden. näher eingehen. Dieses Gesetz ersetzt keinesfalls die anderen Maß- Wir müssen ein solches Gesetz nicht nur deshalb nahmen, insbesondere im Bereich der Prävention. Die schaffen, weil wir es als Sozialdemokraten lange allgemeinen Lebenskompetenzen müssen weiterhin gefordert haben, sondern weil uns auch die EG mit durch Förderung altersadäquater Problemlösungs- ihrer Richtlinie dazu zwingt. Insofern haben die Bun- konzepte und Streßmanagement sowie die Stärkung desregierung und die Koalitionsfraktionen sehr wenig von Kommunikationsfähigkeit und Selbstkontrolle Anlaß, sich in die Brust zu werfen, wenn sie ihre verbessert werden. Doch dieses Gesetz ist ein Bau- Hausaufgaben nur verspätet, schlecht, zögerlich und stein im Kampf gegen das Rauschgift. widerwillig leisten. Herzlichen D ank. (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Jür (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- gen Rüttgers [CDU/CSU] — Gegenruf des ten der CDU/CSU) Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!) Bei der Gelegenheit muß man, Herr Rüttgers, natür- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herzlichen lich die Frage stellen: Warum nutzt man, wenn in Glückwunsch zu Ihrer Jungfernrede und Prost! diesem Gesetz schon Änderungen des Betäubungs- Damit das Ganze nicht allein stehenbleibt, hat nun mittelgesetzes vorgeschlagen werden — sie sind der Kollege Johannes Singer das Wort. wahrscheinlich unumgänglich —, jetzt nicht die Gele- - genheit, bestimmte Auswüchse in der Drogenpolitik zu bekämpfen, indem Änderungsvorschläge, die die Johannes Singer (SPD): Frau Präsidentin! Meine Sozialdemokraten seit vier Jahren auf dem Tisch Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die liegen haben, endlich umgesetzt werden? unter der Drogenschwemme leidenden Menschen auf den Entwurf für das längst fällige Grundstoffüberwa- (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) chungsgesetz, der eine EG-Richtlinie aus dem Jahre Da erinnere ich an einen „Spiegel"-Artikel, der in 1992 umsetzt, lange warten lassen — viel zu lange. Wir dieser Woche zum Drogenmobil der Freien und sind über viele Jahre mit dem Hinweis vertröstet Hansestadt Hamburg erschienen ist, wonach sogar worden, die Zusammenarbeit zwischen dem Verband solche Möglichkeiten, daß sich Abhängige unter der Chemischen Industrie und dem Bundeskriminal- streßfreien, hygienisch einwandfreien Bedingungen amt funktioniere ausgezeichnet: M an unterrichte sich ihren Schuß setzen können, strafrechtlich behindert rechtzeitig gegenseitig, wenn in auffälliger Weise werden. Diese Gesundheitsräume — ich nenne noch Bestellungen aus bestimmten südamerikanischen einmal den alten Ausdruck „Fixer-Räume", weil das Ländern nach diesen Grundstoffen — ich erwähne nur der Laie eher versteht — gibt es in fast allen Städten. Aceton und Allher für die Herstellung von Pasta basica Sie sind sinnvoll, weil die Alternative die Straße, die cocaina — zunähmen, und würde dann rechtzeitig unsaubere Spritze und das damit verbundene Elend Maßnahmen ergreifen. Vor Ort haben wir gegentei- ist. Daß solche Gesundheitsräume gefördert werden, lige Erfahrungen gesammelt und sind zum Teil von verlangt übrigens auch die Caritas. Für alle, die sich Vertretern der amerikanischen Drogenbekämpfungs- ihren katholischen Glauben in diesem Hause noch behörde DEA, aber auch von amerikanischen Diplo- bewahrt haben, möge das vielleicht eine Empfehlung maten schwer beschimpft worden, daß die Bundesre- sein. publik Deutschland diese Grundstoffe eben nicht in (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Der katho dem erforderlichen Maße kontrolliere. lische Glaube und die Caritas sind nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) synonym!) Wir haben deshalb sehr frühzeitig gefordert, daß es — Ich hoffe, daß das im Protokoll erscheint. Dann ein Grundstoffüberwachungsgesetz geben müsse. schicke ich das in meinem Wahlkreis herum, Herr Das wird jetzt mit erheblicher Verspätung vorge- Rüttgers. legt. (Lachen bei der SPD) (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Jawohl, sehr spät!) Da treffe ich sehr wahrscheinlich auf in Ihrem alten Wer sich das Gesetz ansieht, wird spöttisch feststellen Wahlkreis verbrannte Erde. Mir soll es aber recht sein; können, daß es auch ein kleines Arbeitsplatzbeschaf- ich habe dann in den nächsten Monaten nicht mehr so fungsprogramm darstellt. Beim Zollkriminalamt wird viel Streß. — Auch von anderen Wohlfahrtsverbänden es 17 neue Stellen geben, eine nicht quantifizierbare wird empfohlen und gefördert, daß diese Gesund- 18730 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Johannes Singer heitsräume von den staatlichen Strafverfolgungsbe- brauchen, wenn wir unsere Erklärungen zur Notwen- hörden unbelastet und unbeein trächtigt bleiben. digkeit der unnachsichtigen Verfolgung von Rausch- Wir haben gemeinsam bedauert — und zwar alle giftkriminellen wirklich umsetzen wollen, müssen wir Parteien —, daß sich die Polizei z. B. in Köln wegen der der Praxis die Instrumente an die H and geben. Das unseligen Bestimmung des Betäubungsmittelgesetzes geschieht zur Zeit noch immer nicht in dem erf order- in § 29 Abs. 1 Nr. 10, wonach das Verschaffen von lichen Ausmaß. Gelegenheit schon strafbar ist, verpflichtet gesehen Wie gesagt, Legalisierung und Freigabe kommen hat, in diesen Gesundheitsräumen Razzien durchzu- für uns nicht in Betracht. Aber von Legalisierung und führen. Damit gehen natürlich Einrichtungen, die von Freigabe redet man auch in New York nicht. Trotzdem den Sozialämtern und Jugendämtern der Städte werden da in umfangreichem Maße Subs titutions- — nicht nur in Köln, sondern auch in vielen anderen programme durch Methadon gefahren, und zwar mit Großstädten der Bundesrepublik — unterhalten und Erfolg. Denn dort, wo ich einem Abhängigen, der gefördert werden, kaputt, werden von Abhängigen Therapien mehrfach erfolglos versucht und abgebro- nicht mehr angelaufen und angenommen, weil diese chen hat, der aus anderen Gründen therapieunwillig dort eine polizeiliche Durchsuchung, eine polizeiliche ist, nicht anders helfen kann, bleibt nur die Methadon- Aktion erwarten müssen. Das ist eine kontraproduk- behandlung. Ansonsten zwinge ich ihn zur Beschaf- tive Entwicklung, der wir begegnen sollten. Wir fungskriminalität oder zur Beschaffungsprostitution. hätten u. a. bei diesem Gesetz Gelegenheit, notwen- Wer das nicht will, der muß Methadon anbieten. dige Konsequenzen zu ziehen. Gott sei Dank haben fast alle Bundesländer ihre Ich sage Ihnen ein Weiteres: Wir sollten das Betäu- Widerstände gegen diese Form der Substitutionsbe- bungsmittelgesetz auch insofern ändern, als wir dem handlung aufgegeben und praktizieren sie. Ich würde Grundsatz „Hilfe statt Strafe", der von Ihnen oft in nur wünschen, daß das noch in stärkerem Maße Bundestagsreden unterstützt worden ist, stärker ausgeweitet wird. Wenn die Schweiz — die Schweizer Rechnung tragen. Wenn wir schon nicht — das gibt die sind ja weiß Gott kein leichtfertiges Volk, das einfach Antwort der Bundesregierung auf unsere Große so mit der Gesundheit der eigenen Bevölkerung Anfrage betreffend den Nationalen Rauschgiftbe- umgeht, ohne sich Gedanken zu machen, was das für kämpfungsplan in eindrucksvoller Art und Weise Schäden nach sich ziehen kann — in mehreren wieder — in der Lage sind, einem therapiewilligen Großstädten ein Experiment mit der kontrollierten Abhängigen innerhalb von kürzester Frist einen The- und unter ärztlicher Aufsicht vorgenommenen Ab- rapieplatz zur Verfügung zu stellen, wenn wir ihn also gabe von Heroin versuchsweise durchführt, dann warten lassen müssen, sechs, sieben und mehr sollten wir einem solchen Gedanken zumindest ein- Monate, dann können wir ihm das doch nicht anla- mal nähertreten. sten, indem wir — wenn er seinen Antrag auf Zurück- stellung der Strafvollstreckung oder Einstellung der (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) Ermittlungen stellt — nach dem Gesetz von ihm Ich sage nicht, daß das der Königsweg ist, daß das verlangen, daß er sofort diesen Therapieplatznach- die große Lösung ist; aber die Schweizer probieren es, weis erbringt. Das ist widersinnig. Auch hier hätten die Amsterdamer probieren es, die Australier probie- wir Möglichkeiten,die §§ 35ff. des Betäubungsmittel- ren es, die Amerikaner probieren es. Dann sollten gesetzes in vernünftiger und humaner Art und Weise auch wir wenigstens einmal dem Vorschlag des Ham- zu ändern. burger Senats nähertreten und uns ernsthaft darüber Wenn Herr Parr sich gegen jede Form von Freigabe unterhalten, ob wir es einmal probieren. Wenn es oder Legalisierung ausgesprochen hat, dann hat er die schiefgeht, bin ich sofort bereit, zuzugeben, daß das SPD an seiner Seite. Wir wollen die unnachsichtige ein Fehlweg war, der schnell wieder aufgegeben Verfolgung der organisierten Rauschgiftkriminali- werden sollte, weil er nichts bringt. tat. Aber über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, empfiehlt sich in der Poli (Beifall bei der SPD) tik immer. Auf eingefahrenen Wegen zu beharren, obwohl man weiß, daß m an in Wir haben frühzeitig für ein Geldwäschegesetz und weiten Bereichen der Drogenpolitik in diesem Lande die entsprechenden Bestimmungen gekämpft. Herr gescheitert ist — Sie haben die Zahlen eindrucksvoll Hirsch war es, der mir monatelang in die Hacken zitiert; ich kann sie nur bestätigen —, reicht nicht aus. getreten und uns daran gehindert hat, ein vernünfti- Da langt es nicht, einfach nur zu sagen: Weiter so! Da ges Gesetz zu verabschieden. Das hat mich veranlaßt, sollten wir uns gemeinsame Gedanken darüber hier eine bösartige Bemerkung zu machen, für die ich machen, wie wir neue Wege finden, sollten auch mich entschuldigt habe. Da ich keine neue Entschul- einmal etwas Neues ausprobieren und von den Mit- digung will, werde ich die Bemerkung nicht wieder- teln und Wegen wegkommen, die bisher nicht zum holen. Aber ich habe sie noch immer im Kopf, Herr Erfolg geführt haben. Hirsch, und angesichts der Beratungen über das Schönen Dank. Geldwäschegesetz fällt es mir schwer, sie zu unter- drücken— die CDU hat mir ja erklärt, daß sie ähnliche (Beifall bei der SPD) Bauchschmerzen hat wie ich; sie hat genauso an einem Entzug von Lebensfreude gelitten —, wenn ich sehe, wie lange wir für ein so sinnvolles, dringend notwendiges Gesetz gebraucht haben, das jetzt immer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zu einer Kurzin- noch löchrig, kaum anwendbar ist und von der Praxis tervention erhält der Kollege Burkhard Hirsch das sehr angezweifelt wird. Für ein Gesetz, das wir Wort. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18731

Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Frau Präsidentin! Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf: Meine Damen und Herren! Der verehrte Kollege Beratung des Antrags der Abgeordneten Evelin Singer hat offenbar eine „déformation professio- Fischer (Gräfenhainichen), Ralf Walter (Co- nelle". Ich fände es sehr gut, wenn er seine eigenen chem), Robert Antretter, weiterer Abgeordne- Probleme nicht im Plenum zu Lasten anderer Fraktio- ter und der Frak tion der SPD nen austragen würde. (Beifall des Abg. Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/ Förderung und Intensivierung der deutsch- CSU]) deutschen" Jugendbegegnung Er hat offenbar nicht beg riffen, daß die beruflichen — Drucksache 12/5415 Rechte, die Anwälte haben, kein Selbstzweck sind, —Überweisung svorschlag: sondern es sind Rechte der Bürger. Sie haben offenbar Ausschuß für Frauen und Jugend (federführend) nicht verstanden, daß die Vorschläge, die wir bei dem Sportausschuß Gewinnaufspürungsgesetz gemacht haben, um diese Ausschuß für Familie und Senioren zu erhalten, trotzdem ein viel strafferes Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Bürgerrechte Haushaltsausschuß Kontrollsystem bedeutet hätten, als es uns der Ver- mittlungsausschuß schließlich vorgeschlagen hat. Auch hier ist der Wunsch der Kollegen und Kolle- Ich habe bei den Beratungen, an denen Sie als ginnen, ihre Reden zu Protokoll zu geben.*) Besteht damit Einverständnis? — Das ist der Fall. Dann ist das Berichterstatter Ihrer Frak tion teilgenommen haben, so beschlossen. vermißt und mich gewundert, daß Sie die Vorschläge, die ich gemacht habe, nicht aufgenommen haben, Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- nämlich die Geldwäsche auszudehnen, auch auf die lage auf Drucksache 12/5415 an die in der Tagesord- eigentlichen Straftaten, bei denen es sich um organi- nung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie auch sierte Kriminalität handelt und die wir nun nacharbei- damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist die ten müssen: Subventionsbetrug z. B., Unterschlagung Überweisung so beschlossen. usw. Ich habe mich sehr gewundert, daß Sie diese Vorschläge nicht aufgegriffen haben. Ich freue mich, daß es uns nun gelingt, sie bei dem Verbrechensbe- kämpfungsgesetz 1994 nachzuarbeiten. Ich rufe als letzten Punkt den Tagesordnungs- (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Jür- punkt 17 auf: gen Rüttgers [CDU/CSU]) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Straffreiheit bei Straftaten des Weitere Wortmel- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Landesverrats und der Gefährdung der äuße- dungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die ren Sicherheit (Spionageamnestiegesetz) Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des — Drucksache 12/6370 — Gesetzentwurfes auf Drucksache 12/6961 an die in der Überweisungsvorschla g: Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es Rechtsausschuß (federführend) dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Innenausschuß (federführend) Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Auch hier ist der Wunsch der Kollegen und Kolle- ginnen, ihre Reden zu Protokoll zu geben.**) Besteht auch damit Einverständnis? — Das ist der Fa ll. Dann Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf: ist das so beschlossen. Erste Beratung des von der Bundesregierung Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Gesetzentwurfes auf Drucksache 12/6370 an die in der den Verkehr mit Medizinprodukten (Medizin- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es produktegesetz — MPG) dazu eventuell anderweitige Vorschläge? — Ich habe — Drucksache 12/6991 — es mir beinahe gedacht. Es ist nicht der Fall. Dann ist Überweisung svorschlag: auch diese Überweisung so beschlossen : Ausschuß für Gesundheit (federführend) Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- Rechtsausschuß ordnung. Auch hier ist der Wunsch der Kollegen und Kolle- ginnen, ihre Reden zu Protokoll zu geben.') Besteht Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- damit Einverständnis? — Das ist der Fall. Dann ist das destages auf morgen, Freitag, den 11. März 1994, so beschlossen. 9 Uhr ein. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetz- Ich wünsche einen schönen Abend und eine schöne entwurfes auf Drucksache 12/6991 an die in der Fraktionssitzung. Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es Die Sitzung ist geschlossen. dazu anderweitige Vorschläge? — Auch das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so (Schluß der Sitzung: 21.55 Uhr) beschlossen. *) Anlage 9 ') Anlage 8 **) Anlage 10

Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18733'

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Dr. von Teichman, F.D.P. 10. 3. 94 entschuldigt bis Cornelia Abgeordnete(r) einschließlich Thierse, Wolfgang SPD 10. 3. 94 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 10. 3. 94 Verheugen, Günter SPD 10. 3. 94 Blunck (Uetersen), SPD 10. 3. 94 Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 10. 3. 94 Lieselott Zierer, Benno CDU/CSU 10. 3. 94 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 10. 3. 94 Büchler (Hof), H ans SPD 10. 3. 94 ' * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Clemens, Joachim CDU/CSU 10. 3. 94 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 3. 94 Herta Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 10. 3. 94 Duve, Freimut SPD 10. 3. 94 Anlage 2 Ehrbar, Udo CDU/CSU 10. 3. 94 Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 10. 3. 94 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung Eymer, Anke CDU/CSU 10. 3. 94 des Ältestenrates zum Berlin/Bonn-Gesetz Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 10. 3. 94 und zu weiteren in Tagesordnungspunkt 3 Francke (Hamburg), CDU/CSU 10. 3. 94 aufgeführten Vorlagen Klaus Gries, Ekkehard F.D.P. 10. 3. 94 Martin Grüner (F.D.P.): Ich respektiere die Haupt- Günther (Duisburg), CDU/CSU 10. 3. 94 stadtentscheidung des Deutschen Bundestages vom Horst 20. Juni 1991 und widerspreche trotzdem der Umset- Dr. Hartenstein, Liesel SPD 10. 3. 94 zung dieses Beschlusses in Gestalt des vorliegenden Hintze, Peter CDU/CSU 10. 3. 94 Berlin/Bonn-Gesetzes: Junghanns, Ulrich CDU/CSU 10. 3. 94 Erstens. Das Gesetz geht von einer rechtlich und Keller, Peter CDU/CSU 10. 3. 94 politisch bedenklichen Interpretation der Organisati- Koppelin, Jürgen F.D.P. 10. 3. 94 onsgewalt des Bundeskanzlers aus und überläßt letzt- Kors, Eva-Maria CDU/CSU 10. 3. 94 lich die entscheidende Frage der Aufteilung der Kretkowski, Volkmar SPD 10. 3. 94 Bundesregierung auf Bonn und Berlin einzelnen Dr. Matterne, Dietmar SPD 10. 3. 94 Organisationsentscheidungen des Kanzlers. Über den Dr. Menzel, Bruno F.D.P. 10. 3. 94 Sitz der Bundesregierung muß aber der Gesetzgeber Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 10. 3. 94 entscheiden. Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 10. 3. 94 Zweitens. Das Gesetz verstößt gegen § 96 der Gerhard Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. We- Mischnick, Wolfgang F.D.P. 10. 3. 94 der politisch noch rechtlich erfüllt die Kostenfiktion Dr. Müller, Günther CDU/CSU 10. 3. 94 ' ' von 20 Milliarden DM die Anforderungen des § 96 der Müller (Wadern), CDU/CSU 10. 3. 94 Geschäftsordnung. Hans-Werner Drittens. Es hat keine Prüfung der fachlichen und Müller (Wesseling), CDU/CSU 10. 3. 94 rechtlichen Alternativen für die Umsetzung des Alfons Hauptstadtbeschlusses gegeben. Die Kosten- und Nolte, Claudia CDU/CSU 10. 3. 94 Verwaltungseffizienz sowie die Bestandskraft des Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 10. 3. 94 Beschlusses ist daher nicht gewährleistet. Die Prüfung Susanne der Organisationsstruktur der Ministerien kann von Reddemann, Gerhard CDU/CSU 10. 3. 94 " den Ministerien allein nicht geleistet werden. Externe Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 10. 3. 94 Beratung und Zuziehung des Bundesrechnungshofes sind zwingend erforderlich. Die Ch ance für eine Reuter, Bernd SPD 10. 3. 94 schlanke Spitzenverwaltung der Bundesrepublik Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 10. 3. 94 Deutschland müßte genutzt werden. Prüfungswür- Ingrid dige Vorschläge liegen auf dem Tisch. Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 3. 94 Viertens. Der Deutsche Bundestag hat mit seiner Schemken, Heinz CDU/CSU 10. 3. 94 Entscheidung vom 20. Juni 1991 den Kompromiß Schuster, Hans F.D.P. 10. 3. 94 beschlossen, daß die größte Zahl der Arbeitsplätze in Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 10. 3. 94 Bonn bleiben soll. Dazu steht das Konzept der Bun- Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10. 3. 94 desregierung im Widerspruch, da diese Forderung Christian durch den Umzug zahlreicher Behörden von Berlin Seiler-Albring, Ursula F.D.P. 10. 3. 94 nach Bonn erfüllt werden soll. Ein solches Umzugska- Skowron, Werner H. CDU/CSU 10. 3. 94 russell entsprach nicht der Absicht des Bundesta- Dr. Soell, Hartmut SPD 10. 3. 94 ' ' ges. 18734' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Lothar Ibrügger (SPD): In meiner Verantwortung Spiel als der Umzug von Beamten, Angestellten und gegenüber den Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Arbeitern. Kreis Minden-Lübbecke kann ich dem Gesetzentwurf zum Vollzug des Umzuges von Parlament und Regie- Die Vielfalt regionaler Metropolen in Deutschl and rung von Bonn nach Berlin nicht zustimmen. mit eigenständigem Gewicht, eigenem Gesicht und die im internationalen Vergleich ausgewogene regio- Die Folgewirkungen für den Steuerzahler sind nale Wirtschaftsstruktur in den elf alten Ländern der angesichts der eigentlichen Aufgaben zur Vollendung Bundesrepublik Deutschland wäre eher gefährdet. der deutschen Einheit nicht mehr zu rechtfertigen. Zum anderen: Ich bin überzeugt, daß in unserer Angesichts der bedrängenden Arbeitslosigkeit un- Bevölkerung eine Mehrheit für einen Umzug von serer Mitbürger in Leipzig und Dresden, in Rostock Bonn nach Berlin nicht mehr vorhanden ist. und Schwerin, in Magdeburg und Frankfurt/Oder, der Umweltzerstörung und der verrotteten Infrastruktur Um das aber verbindlich zu erklären, plädiere ich diskutieren wir gegenwärtig über mindestens 20 Mil- nach wie vor — wie in meiner Erklärung am 20. Juni liarden DM Kosten für einen reinen Umzug von 1991 — für eine Entscheidung unseres Volkes über Einrichtungen und Personen nach Berlin, Ausgleichs- den künftigen Sitz von Parlament und Regierung! maßnahmen für den aufgegebenen Sitz mit dem Damit befinde ich mich im Einklang mit dem Eini- Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen noch gar nicht gungsvertrag, dem ich mit Freude zugestimmt habe. mitgerechnet. „Hauptstadt Deutschlands ist Berlin, die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Die Frage ist, ob diese Milliarden nicht weit wir- Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden", kungsvoller für neue Arbeitsplätze und Investitionen so heißt es im Einigungsvertrag. in den fünf neuen Ländern einschließlich Berlin ein- Einmal wegen der glückhaften Überwindung der gesetzt werden können. Teilung unseres Landes und zum anderen für Berlin Gerade auch der Steuerzahler fragt mich als Abge- als Hauptstadt, gerade auch als Symbol der Standhaf- ordneten zu Recht, ob die dem Staat anvertrauten tigkeit Berlins in schwerster Zeit der Blockade. Steuergelder zweckmäßig ausgegeben werden. Die Zur Wahrung Berlins als Bundeshauptstadt gehören Mehrheit unserer Bevölkerung dürfte kaum bereit nach meiner Auffassung folgende Aufgaben: Amtssitz sein, weitere Steuererhöhungen und Leistungskür- des Bundespräsidenten, die Bundesversammlung, zungen nur zugunsten eines Umzuges bereits beste- Konstituierung des Parlaments nach einer Bundes- hender Einrichtungen und Personen nach Berlin hin- tagswahl, Wahl des Bundeskanzlers, Zusammentre- zunehmen. Jede Mark, die dafür ausgegeben werden ten des Parlaments zum Tag der Deutschen Einheit, müßte, fehlt an anderer Stelle in den neuen Bundes- Staatsakte zu besonderen feierlichen oder politisch ländern. bedeutsamen Anlässen. Damit würde in ganz beson- Bonn ist seit der Gründung der Bundesrepublik derer Weise die deutsche Einheit durch Tagungen in Deutschland auch zum Träger gesamtstaatlicher Berlin symbolisiert, Deutschland als Ganzes durch deutscher Tradition geworden, ähnlich wie früher unsere Bundeshauptstadt repräsentiert. schon Frankfurt als die Stadt der Kaiserwahlen des Seit der Entscheidung des Deutschen Bundestages Deutschen Bundes und der Paulskirche. Die in Bonn vom 20. Juni 1991 haben sich die kritischen Fragen in getroffenen Schicksalsentscheidungen der Nach- unserer Bevölkerung nur noch verstärkt: kriegszeit sind im Zeitraum von zwei Generationen Warum sollen 25 000 Lebenszeitbeamte und rd. ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil unserer natio- 75 000 in zugeordneten Bereichen Beschäftigte Bonn nalen Geschichte. Bonn steht seit 40 Jahren in beson- verlassen, um nach milliardenschweren Investitionen derer Weise für den föderativen Aufbau der staatli- in neuen Räumen an anderer Stelle lediglich das chen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die gleiche zu tun, was sie gegenwärtig bereits in mit Stadt konkurriert nicht mit regionalen Me tropolen, Milliardenaufwand errichteten Ministerien in Bonn auch nicht mit Berlin als der größten Stadt Deutsch- leisten? lands. Wird Berlin und den neuen Bundesländern damit Die Beibehaltung der Parlamentseinrichtungen und wirklich gedient? der Ministerien in Bonn würde allen Me tropolen Ist die Schwächung einer Region zur Stärkung einer Deutschlands ihr Eigengewicht und ihre Entfaltungs- anderen die angemessene Antwort auf unsere eigent- möglichkeiten bewahren. liche Herausforderung im östlichen Teil unseres Lan- Die Leistungsfähigkeit Deutschlands, dies ist eine des, dort möglichst rasch für gleichwertige Lebensver- der grundlegenden Erfahrungen nach dem Zweiten hältnisse zu sorgen? Weltkrieg, erwächst aus der Stärke seiner einzelnen Viele sagen mir: Wenn schon die Staatsverschul- Regionen. Dies gilt künftig erst recht im europäischen dung explodiert mit immer weiter wachsenden Zins- Raum. und Tilgungsbelastungen und der Staat immer mehr Im Zeitalter der Telekommunikation gäbe es keinen zu Steuererhöhungen und Leistungskürzungen greift, vernünftigen Grund, diese „Arbeit" nach Berlin zu warum streitet ihr euch dann um funktionierende verlagern. Gegenwärtig stehen interessante Investo- Parlamentseinrichtungen und Ministerien? Wir haben ren, so der Berliner Senator für Stadtentwicklung und sie mit Steuergeldern finanziert und erwarten zweck- Umwelt, „Schlange". Durch einen „Zufluß von zig mäßige und wirtschaftliche Entscheidungen. Milliarden" aus aller Welt sei die Innenstadt Ber lins Mit der Verlagerung des Sitzes von Parlament und inzwischen „praktisch dreimal belegt". Bei den Bundesregierung nach Berlin steht weit mehr auf dem Gesprächen mit Investoren, so der verantwortliche Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18735*

Senator, spiele der Parlaments- und Regierungssitz Anlage 3 keine Rolle. Mit dem Staatsoberhaupt in Berlin und Sitzungen Erklärung nach § 31 GO des Deutschen Bundestages und des Bundeskabinetts der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, bei herausragenden Anlässen wird Berlins Funktion Herbert Werner (Ulm), Theo Magin, als Bundeshauptstadt des wiede rvereinigten Deutsch- Jürgen Augustinowitz, Dr. Walter Franz Altherr, lands ausreichend mit Leben erfüllt. Alois Graf von Waldburg-Zeil, Johannes Nitsch (alle CDU/CSU) zur Abstimmung Bonn als bescheiden bleibender Arbeitssitz von über den Entwurf des Arbeitszeitrechtsgesetzes Parlament und Bundesregierung — Berlin, befreit von (Tagesordnungspunkt 4 c) den Lasten der Teilung, als wirtschaftliche und kultu- relle europäische Metropole in einem zusammen- wachsenden Kontinent: Dies ist nach meiner Auffas- sung kein Gegensatz, sondern Ausdruck der gewoll- Dr. Walter Franz Altherr (CDU/CSU): Wir stimmen ten, lebendigen Vielfalt unserer Regionen in Deutsch- dem Gesetzentwurf zum Arbeitszeitrechtsgesetz zu. land. Dennoch sehen wir nach wie vor den Zielkonflikt zwischen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Ich bekräftige daher erneut meine Auffassung, daß Sonn- und Feiertagsruhe und der Sicherung einheimi- in dieser grundlegenden Frage des Umzuges von scher Arbeitsplätze. Wir halten den Entwurf des Bonn nach Berlin unsere Mitbürgerinnen und Mitbür- federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialord- ger aufgerufen werden, durch eine Volksabstimmung nung jedoch für einen tragfähigen Kompromiß. Auf- ein für allemal zu entscheiden. grund zahlreicher Änderungsanträge der CDU/CSU- Bundestagsfraktion konnte der Gesetzentwurf so gestaltet werden, daß der Sonntag trotz möglicher (SPD): Gemäß § 31 der Geschäfts- Walter Schöler Ausnahmen weiterhin Sonntag bleibt. ordnung gebe ich zu Protokoll, daß ich der Drucksache 12/6623 zustimme und die Drucksachen 12/6614, 12/6618 und 12/2886 (neu) ablehne. Neben den bisherigen Ausnahmen wird Sonntags- arbeit zukünftig nur zur Sicherung von Arbeitsplätzen zugelassen, wenn das antragstellende Unternehmen Dr. Uwe Holtz (SPD): Auch heute noch bin ich der bereits die bislang zulässigen wöchentlichen Be- Auffassung, daß es falsch ist, den Deutschen Bundes- triebszeiten von 144 Stunden weitgehend ausnutzt, tag und die Bundesregierung mit einer Reihe von also bereits an 6 Arbeitstagen mehrschichtig arbeitet, Ministerien nach Berlin zu verlagern. Ich ärgere mich und wenn die Konkurrenzfähigkeit gegenüber aus- darüber, daß der auch von mir unterzeichnete inter- ländischen Mitbewerbern unzumutbar beeinträchtigt fraktionelle Alternativvorschlag auf Drucksache ist und deshalb ohne die Genehmigung von Sonn- und 12/6623 nicht direkt zur Abstimmung gestellt Feiertagsarbeit Arbeitsplätze verloren gingen. wurde. Unsere Forderung, als einziges Krite rium für die Wenn ich dennoch der Beschlußempfehlung des Genehmigung von Sonntagsarbeit die Arbeitszeit Ältestenrats und damit den verschiedenen Vorlagen heranziehen zu können, konnten wir durchsetzen. einschließlich des Berlin/Bonn-Gesetzes zustimme, „Andere Arbeitsbedingungen im Ausland" — wie im dann geschieht dies aus folgenden Gründen: Regierungsentwurf zunächst vorgesehen — wurden An der mehrheitlich vom Bundestag gefällten Ent- als Begründungstatbestand für Sonntagsarbeit gestri- scheidung zugunsten Berlins am 20. Juni 1991 kann chen. Damit können z. B. Kinderarbeit, geringe ich nicht vorbeisehen. Umweltschutzauflagen und fehlende Sozialabgaben in anderen Ländern keine Argumente für das Abge- Mit dem Berlin/Bonn-Gesetz wird deutlich festge- hen von der durch die Verfassung gebotenen Sonn- schrieben, daß die Umsetzung des Beschlusses vom und Feiertagsruhe werden. 20. Juni 1991 nach der Maßgabe zu erfolgen hat, eine dauerhafte und faire Arbeitsteilung zwischen Berlin Die Ausnahmeregelung bietet die Möglichkeit für und Bonn sicherzustellen. eine bundeseinheitliche Genehmigungspraxis. Dar- über hinaus bietet sie den Tarifpartnern die Ch ance, Ich stimme in der Erwartung zu, daß die zugesagten andere Modelle der Arbeitszeitregelungen im Bereich und in Aussicht gestellten Ausgleichsmaßnahmen der persönlichen Arbeitszeit, der Maschinenlaufzei- — einschließlich der Verlagerung von Bundesbehör- ten oder auch für Jahresarbeitszeitvereinbarungen zu den und anderen Einrichtungen — für die Region entwickeln. Bonn zügig umgesetzt werden und der Neu- bzw. Umbau in Berlin so kostengünstig wie möglich vorge- nommen wird. Die Genehmigung von Sonntagsarbeit darf nur als letztes Mittel zur Behebung einer konkreten Not- Besonders begrüße ich den vorgesehenen Ausbau situation in Frage kommen, also einzig im Sinne der der Bundesstadt Bonn als Wissenschaftsstandort und Arbeitsplatzsicherheit erteilt werden, damit die Fami- als Standort für Entwicklungspolitik sowie die Ent- lien auch in Zukunft den Sonntag heiligen und im wicklung Bonns zu einer Region mit zukunftsorien- 7-Tage-Rhythmus losgelöst von den Zwängen der tierter Wirtschaftsstruktur. Arbeitswelt ausruhen können. 18736* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Anlage 4 nannten Sonderstrafrahmen, also in den Fällen, in denen ein sogenannter minderschwerer Fa ll zu einem Zu Protokoll gegebene Rede milderen Strafrahmen führt. zu Tagesordnungspunkt 11 (a — Gesetzentwurf Geradezu widersprüchlich können die Ergebnisse zur Reform des strafrechtlichen Sanktionssystems, im Bereich des Raubes und des schweren Raubes sein: b — Gesetzentwurf zur Änderung des Straf- Während der Strafrahmen beim sogenannten einfa- gesetzbuches und des Gesetzes chen Raub zwischen 1 und 15 Jahren liegt, kann ein über Ordnungswidrigkeiten, Täter dann, wenn er einen schweren Raub beg angen c — Antrag: Harmonisierung der Strafrahmen) hat, also etwa eine Schußwaffe bei sich führte, das Opfer der Todesgefahr ausgesetzt hat oder andere erschwerende Umstände hinzukommen, sogar milder Hermann Bachmaier (SPD): Vor nicht alizulanger Zeit haben zwei junge Männer am Oldenstädter See in als beim einfachen Raub davonkommen, wenn das der Lüneburger Heide eine besonders verabscheu- Gericht einen minderschweren Fall annimmt. Dann ungswürdige Straftat begangen: In der Nacht überfie- erhält der Täter eine Freiheitsstrafe von 1 bis zu len sie ein junges Paar, das am See gezeltet hatte, und 5 Jahren. bedrohten es mit einer Pistole. Der junge Mann wurde Es würde im übrigen unserem S trafrecht gut anste- auf eine Holzbank gefesselt, seine Freundin entführt hen, wenn wir das Verbot der Folter in einem eigen- — außerdem das Zelt mitgenommen. Bevor die junge ständigen Straftatbestand und mit einem gebühren- Frau nach 16 Stunden von der Polizei befreit werden den Strafrahmen versehen im Strafgesetzbuch veran- konnte, wurde sie zweimal vergewaltigt, gequält und hatte Todesängste auszustehen. kern würden. Die wenigen Beispiele zeigen schon, daß unser Das zuständige Landge richt verurteilte den Haupt- Strafgesetzbuch, dessen Straftatbestände weitgehend täter zu 5 Jahren Freiheitsstrafe für den Raub des Zeltes und zu lediglich 4 Jahren für die Vergewalti- noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen, neben gung und die sexuelle Nötigung. vielen sonstigen Ungereimtheiten hinsichtlich der Strafrahmen an einem gravierenden Wertungswider- Das unverständliche Strafmaß darf man aber nicht spruch leidet. Einer Überbetonung und Überbewer- dem Gericht anlasten sondern geht zu Lasten des tung des Eigentums- und Vermögensbereiches steht Gesetzgebers. Das Strafgesetzbuch weist geradezu eine gefährliche Unterbewertung der persönlichen unerträgliche Diskrepanzen zwischen den Eigen- Integrität der Opfer gegenüber. Diese Schieflage der tums- und Vermögensdelikten einerseits und den unterschiedlichen Strafrahmen steht im Widerspruch Delikten, die die körperliche und sexuelle Integrität zu den Wertmaßstäben unserer Verfassung. Nach betreffen, andererseits auf. Während die Höchststrafe Art. i des Grundgesetzes ist die menschliche Würde bei der sexuellen Nötigung 10 Jahre beträgt, kann nicht nur unantastbar, es ist vielmehr Aufgabe a ller schon der einfache Raub mit bis zu 15 Jahren Frei- heitsstrafe belegt werden. In krassem Mißverhältnis staatlichen Gewalt, sie zu achten und zu schützen. dazu wiederum ist der Strafrahmen beim sexuellen Dieser verfassungsrechtlichen Verpflichtung kommt Mißbrauch von Kindern lediglich 6 Monate bis zu das Strafgesetzbuch nur äußerst bedingt nach. Es ist 5 Jahren Freiheitsstrafe. Während für die Vergewalti- daher eine zwingende Pflicht des Gesetzgebers, die- gung mit Todesfolge ein Strafrahmen von 5 Jahren bis sen Grundwiderspruch zwischen Verfassung und zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen ist, ist beim Strafgesetzbuch zu beseitigen. Raub mit Todesfolge bereits die Mindeststrafe Nun hat ja der Beschluß des SPD-Bundesparteita- 10 Jahre Freiheitsstrafe, die Höchststrafe lebensläng- ges, der eine Beseitigung dieses Mißstandes fordert, lich . Im Mißverhältnis dazu steht die Bestrafung des schon eine erste Folge gezeitigt: Die Körperverlet- sexuellen Mißbrauchs von Kindern mit Todesfolge, zungsstrafen sollen auch nach dem Willen der Bun- wofür unser Strafgesetzbuch lediglich einen Strafrah- men von 5 bis 15 Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Die desregierung angehoben werden. Mit einer derarti- Beispiele ließen sich fortsetzen. gen Korrektur im Detail ist es aber nicht getan. Der Gesetzgeber ist dafür verantwortlich, daß die straf- Wenn das Strafgesetzbuch für die Geld- und Wert- rechtlichen Folgen kriminellen Fehlverhaltens mit papierfälschung eine Mindeststrafe von 2 Jahren den Wertmaßstäben unserer Verfassung in Einklang vorsieht und für den sogenannten minderschweren stehen. Ungeachtet der Dringlichkeit, mit der wir an Fall des Totschlages 6 Monate bis 5 Jahre in Betracht die Beseitigung der ins Auge springenden Wertungs- kommen, dann wird deutlich, daß die Wertungsmaß- widersprüche herangehen müssen, muß zunächst stäbe unseres Strafrechtes in vielen Fällen nicht stim- eine gründliche Bewertung der Strafrahmen aller men. Delikte des Strafgesetzbuches und der strafrechtli- Deutlich wird dies auch am zu niedrigen Strafrah- chen Nebengesetze vorgenommen werden. In einem men für die verschiedenen Körperverletzungsdelikte. weiteren Schritt müssen dann die unterschiedlichen Wird z. B. jemand brutal niedergestochen, ohne daß Strafrahmen so festgelegt werden, daß sich in ihnen man dem Täter einen Tötungsvorsatz nachweisen die unserer Verfassung zugrunde liegenden Wert- kann, dann beträgt die Höchststrafe ungeachtet der maßstäbe widerspiegeln. Risiken und Gefahren, der Länge des Heilungsverlau- fes und möglicher bleibender Schäden, die das Opfer Dieses Vorhaben ist so umfassend, daß es von einer davongetragen hat, allenfalls 5 Jahre. Hätte der Täter Sachverständigenkommission vorbereitet werden nebenbei noch die Uhr des Opfers geraubt, würde die muß, deren Mitglieder mit dem dafür erforderlichen Mindestfreiheitsstrafe schon 5 und die Höchstfrei- gründlichen Vorwissen ausgestattet sein müssen. heitsstrafe 15 Jahre be tragen. Dazu kommen noch Diese Aufgabe duldet keinen Aufschub. Sie muß völlig unverständliche Folgen im Bereich der soge- schleunigst in Angriff genommen werden. Lassen Sie Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18737* deshalb dieser ersten Lesung unseres Antrages ohne delikte in vielen Fällen mit höheren Strafen bedroht große Umschweife bald einen entsprechenden als Körperverletzungsdelikte. Reserviert freilich ste- Beschluß folgen, so daß die von uns vorgeschlagene hen wir dem Vorschlag gegenüber, eine Kommission Kommission bald die Arbeit aufnehmen kann. zur Harmonisierung dieses und anderer Strafrahmen- Das Strafrecht ist das schärfste Instrumenta rium, mit widersprüche einzusetzen. Sollte man dieses Vorha- dem der Staat durch die Justiz eine humane und ben nicht doch lieber mit der großen Strafrechtsreform gerechte Ordnung von den Menschen einfordert. verbinden? Gerade auch deshalb sind an das Strafrecht besonders Auch den Gesetzentwurf zur Reform des strafrecht- strenge Maßstäbe anzulegen. Ein von den Menschen lichen Sanktionensystems können wir im Blick auf als ungerecht empfundenes S trafrecht kann beträcht- seinen Ansatz nur begrüßen. An einzelnen Stellen lichen Schaden anrichten. Haben aber die Menschen freilich sehen wir auch hier noch Diskussionsbedarf. das Gefühl, daß ihnen durch das Recht Unrecht So muß man z. B. fragen, ob der Vorschlag zur zugefügt wird, dann geht dies letztlich an die Substanz Schadenswiedergutmachtung — § 24a StGB — im unserer rechtsstaatlichen Ordnung. Deshalb sollten Sinne des Täter-Opfer-Ausgleichs nicht zu kurz greift. wir schnell darangehen, die zu verhängenden Strafen Die Milderung der Strafe ist nur ultimativ oder fakul- wieder gerechter auszugestalten. tativ vorgesehen. Wir wünschten dagegen einen eigenständigen dritten Maßnahmenstrang des Straf- Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesetzbuches neben Strafen und Maßregeln, so wie es NEN): Daß die große Strafrechtsreform überfällig ist, auf dem 59. Deutschen Juristentag gefordert worden das muß man als eines der offenkundigsten Ergeb- ist. Eine effektive Verbesserung dagegen sehen wir in nisse der Innenpolitik der jetzigen Koalitionsregie- der Ausgestaltung des Fahrverbots zur Hauptstrafe. rung bezeichnen. Allgegenwärtig ist in unserer Gesellschaft die Verunsicherung und das nicht mehr Weitergehende Überlegungen und Forderungen zur Reform des Strafgesetzbuchs, Allgemeiner Teil, abweisbare Gefühl, je länger je weniger werde der Staat seiner nicht delegierbaren Verantwortung kommen auch aus den niedersächsischen und hessi- schen Strafrechtskommissionen. Sie haben die Dis- gerecht, die innere Sicherheit seiner Bürger und Bürgerinnen zu gewährleisten. Ja — immer beunruhi- kussionen in der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die noch nicht abgeschlossen sind, wesentlich beein- gender drängt sich die Sorge auf, der Staat ziehe sich flußt, insofern auch wir über sinnvolle und im Sinne immer rückhaltloser auf die sogenannten hoheitlichen einer wirksamen Prävention angezeigte Wege der Aufgaben zurück und überlasse immer weitere Entkriminalisierung nachdenken. Sicherheitsbereiche p rivaten Organisationen, so daß - innere Sicherheit immer mehr die Gestalt einer hoch- Wir begrüßen die Bundesratsinitiative zur Ände bezahlten Dienstleistung annimmt. Aristoteles rung von Strafgesetzbuch und Ordnungswidrigkei- meinte, wenn die Reichen begännen, sich Leibwa- tengesetz, die das Schwarzfahren zur Ordnungswid- chen zu halten, dann sei die Freiheit in Gefahr. Wirft rigkeit herabstufen will. dieser Satz nicht ein beunruhigendes Schlaglicht auf unsere Situation? Natürlich ist auch das ein nur punktueller Vorstoß, der uns nicht bef riedigen kann. Wie die hessischen Wer dieser Entwicklung gegensteuern will, der muß und niedersächsischen Kommissionsvorschläge hal- jene eingangs erwähnte große Strafrechtsreform als ten wir es für nötig, den Rahmen der Entkriminalisie- Kriterium und Maßstab gegenwärtiger Sicherheits- rung wesentlich weiter zu spannen und nicht nur und Rechtspolitik aufstellen. Je klarer die Kriminolo- Schwarzfahren zu entkriminalisieren, sondern auch gie die Begrenztheit aller Repressions- und Sanktions- andere Delikte im Bereich Drogenstrafrecht, Ver- gewalt herausarbeitet, desto mehr gewinnt die Prä- kehrsdelikte und leichter Diebstahlkriminalität. Ge- vention an Gewicht. Sie aber muß eine moderne gen Ladendiebstähle sind intelligentere Warensiche- Sozialpolitik als ihre unentbehrliche Bundesgenossin rungssysteme ebenso überfällig wie serienreif. Eine zur Kooperation heranziehen. Täter-Opfer-Ausgleich zivilrechtliche Ahndung erscheint uns hier viel sinn- müssen ihren Ausnahmecharakter verlieren und inte- voller als Strafe. graler Bestandteil der Strafrechtspraxis werden. Das wird nicht ohne Anpassung der Straf rahmenvorschrif- Auf allen diesen Wegen könnten Polizeikräfte ent- ten möglich sein. Das Sexualstrafrecht muß von den lastet und massiver und effektiver gegen Massenkri- letzten Resten des Sakralrechtes und aus vordemokra- minalität etwa beim Kfz-Diebstahl eingesetzt werden. tischer Zeit stammenden Diskriminierungen befreit Zusätzlich sollten — wie kürzlich in Schleswig- werden. Und endlich müssen wir wirksamere Strate- Holstein — zentrale und regionale Polizeidienststellen gien als bisher im Umgang mit organisierter Krimina- umfassend auf Arbeitsbelastung und -effektivität lität entwerfen, jedoch ohne den Grundrechtsschutz untersucht werden. Wie in der Justiz mittels der zu relativieren oder unter der Maxime der Waffen- Verkürzung überlanger Verfahren könnten auch bei gleichheit das staatliche Handeln selbst in das Zwie- der Polizei durch manche organisatorische Straffung licht der Kriminalität abdriften zu lassen. Kapazitäten freigemacht werden. Im Lichte dieses Programmes gesehen, wird un- Aber täuschen wir uns nicht: Für unsere an Enthu- schwer erkennbar, inwieweit BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- manisierung erkrankte Gesellschaft ist das S trafrecht NEN die Initiativen der SPD begrüßen und unterstüt- nur eine flankierende Therapie. Wer wie Schäuble in zen kann oder wo wir abweichende oder weiterge- Entkriminalisierung eine Gefährdung des Rechtsstaa- hende Vorstellungen haben. Völlig zu Recht wird im tes sieht, hat diesen Zusammenhang nicht verstanden. SPD-Antrag „Harmonisierung der Strafrahmen" auf Was ihn gefährdet, sind ureffektive Strafrechtsver- den Wertungswiderspruch reagiert, der Eigentums- schärfungen, und was ihn vollends untergräbt, sind 18738* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Grundrechtsbeschränkungen für alle Bürger, wo nur beiden betroffenen Bundesministerien. Offensichtlich Schwerkriminelle ge troffen werden sollen. können sich wieder einmal CDU/CSU und F.D.P. in der Bundesregierung nicht einigen. War es nicht die gerade von dieser Regierung favorisierte Medienprivatisierung, die uns mit einem Die Bundesregierung stellt die Beantwortung Ende Schwall ästhetisch minderwertiger und emotional April in Aussicht in dem Wissen, daß schon am brutalisierender Einschaltquotenjagden über- 11. April das Anhörungsverfahren im Rechtsausschuß schwemmt hat? Wo bleibt die angekündigte Qualitäts- zu den erwähnten Gesetzen der Koalition und der steigerung durch Konkurrenz? Und ist es ein großes Opposition ansteht, und es mehr als dienlich gewesen Wunder, wenn die nicht durch leistungssteigernde wäre, wenn die Antwort dann schon vorliegen Konkurrenz, sondern durch einen brutalen Verdrän- würde. gungswettbewerb konditionierte Gesellschaft immer Daraus muß geschlossen werden, daß der Bundes- mehr dem gleicht, woran sie sich allabendlich regierung entweder nicht daran gelegen ist, daß ihre berauscht? Gegen die Droge des Nervenkitzels hilft Untersuchungen bei der Beratung der beiden Gesetze wahrlich keine Polizei, sondern allein eine soziale und zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ver- ästhetische Richtungsänderung. Aus ihr aber würden wendet werden können oder aber, daß ihr diese gewiß auch die Kräfte kommen, die wir zu einer Beratungen im Grunde herzlich gleichgültig sind, erfolgreichen Realisierung der großen Strafrechtsre- wenn nur der Koalitionsfrieden nicht weiter gestört form brauchen. wird. Ich darf die beiden be troffenen Minister, die Bundesministerin der Justiz und den Bundesminister des Innern, bitten, hierzu Stellung zu nehmen. Unsere Große Anfrage zur organisierten Kriminali- tät in der Bundesrepublik Deutschland unternimmt Anlage 5 den Versuch, mit der Bundesregierung und damit Zu Protokoll gegebene Reden zugleich mit der Öffentlichkeit eine Debatte darüber zu eröffnen, wie sich die organisierte Kriminalität in zum Zusatztagesordnungspunkt 7 (Große Anfrage: Organisierte Kriminalität der Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat, wie in der Bundesrepublik Deutschland) sie bekämpft werden kann, wie die europäische und internationale Zusammenarbeit aussieht, wie — wohl der wichtigste Bereich — sich die Drogenkriminalität Dr. Hans de With (SPD): Die Große Anfrage der entwickelt hat. SPD-Bundestagsfraktion zur organisierten Kriminali- tät in der Bundesrepublik Deutschl and trägt das Dabei reicht der Bogen von der Einwirkung der Datum vom 12. Mai 1993. Bis heute hat die Bundes- organisierten Kriminalität auf die Massenkriminalität regierung sie nicht beantwortet. Wir haben deshalb bis zur Bedeutung der Schlepperorganisationen, vom von unserem Recht Gebrauch gemacht, das Bundes- Waffenhandel bis zur Müllkriminalität, von den Aus- tagsplenum anzurufen. wirkungen der Vermögensstrafe, des erweiterten Verfalls und der Geldwäsche bis zur Telefonüberwa- Zunächst hatte der Bundesminister des Innern um chung, von der Rasterfahndung bis zu den ausländi- Zustimmung zur Beantwortung binnen sechs Mona- schen Erfahrungen bei der elektronischen Überwa- ten gebeten. Nachdem die Bundesregierung diesen chung von Räumen und bis hin zur Frage, welche Termin nicht einhalten konnte, wurde am 12. Novem- Prioritäten international und national gesetzt werden ber erklärt, bis Ende Februar 1994 bemüht zu sein, die müssen. Antwort zu erteilen, und auf Ressortabstimmungen verwiesen. Am 12. Februar 1994 schließlich erreichte Die Bundesregierung ist nicht nur säumig. Die Bundesregierung hat die ihr von der Opposition den Bundestag die Nachricht, daß „nochmalige gebotene Gelegenheit verfehlt, rechtzeitig die De- Abstimmungen zwischen dem Bundesministerium batte über die Maßnahmen zur Bekämpfung der des Innern und dem Bundesministerium der Justiz" organisierten Kriminalität auf der Grundlage sorgfäl- nötig seien und man sich bemühe, bis Ende April 1994 tiger Erhebungen zu eröffnen. Dabei wissen wir aus zu antworten. den Berichten dieser Woche, daß die Kriminalität uns Auch wenn unsere Große Anfrage in der Tat eine nicht den Gefallen tut, zu verharren oder gar zu große war, ist es unerträglich, die Antragsteller derar- sinken. Sie steigt weiter. tig lang warten zu lassen. Bei allem ist es kein Wunder, daß die Bevölkerung Es ist aber auch deshalb unerträglich, weil damit der an der Kompetenz der Bundesregierung zweifelt, die Öffentlichkeit und uns als Opposition, aber auch den davonlaufende Kriminalität wieder in den Griff Regierungsparteien, Mate rial vorenthalten wird, das bekommen. wir zur Beratung unseres 2. Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ganz gern verwendet (CDU/CSU): Die steigende Kriminali- hätten und das eigentlich auch Grundlage hätte sein Norbert Geis tät wird mehr und mehr zu einer Bedrohung der sollen, für den Koalitionsentwurf zum Kriminalitätsbe- inneren Sicherheit. Dabei sind es nicht die Deutschen kämpfungsgesetz. oder die schon lange bei uns lebenden Ausländer, die Dem Vernehmen nach liegt die erbetene Antwort für den Anstieg der Kriminalität verantwortlich sind. im Grunde auch seit geraumer Zeit vor. Seit Wochen Es sind vor allem illegale Ausländer und die interna- fehlt es — wie die Verlängerungsschreiben ergeben — tionalen Verbrecherorganisationen, die sich in nur an der erforderlichen Abstimmung zwischen den Deutschland einnisten, Verbrechen planen und aus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18739* führen. Daß die organisierte Kriminalität gerade nach Völlig falsch ist die Entkriminalisierungsdebatte um Deutschland einsickert, hat seinen Grund in unserer den Gebrauch und Besitz von geringen Drogenmen- zentralen Lage mitten in Europa, in den politischen gen. Dann hätten es ja die Dealer noch leichter. Im Umwälzungen in Osteuropa und in dem gewaltigen Gegenteil, wir brauchen verstärkte Kontrollen in den Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West. Mehr und Schulen und in bestimmten Lokalen. Wir brauchen mehr werden wir auch zu einem interessanten Markt bundesweit Ermittlungsgruppen von Zoll und Polizei, für die Rauschgiftkriminalität. Die weltweiten um die Rauschgiftwege aufzuspüren. Die weiche Rauschgiftsyndikate drängen von allen Himmelsrich- Linie, wie sie die SPD propagiert, hilft nicht. tungen nach Deutschland, suchen hier neue Märkte, die sie mit äußerster Brutalität verteidigen. Entscheidend ist die Aufklärung von Verbrechen. Wir müssen mit aller Macht in die Grauzonen, in Die organisierte Kriminalität betätigt sich in denen sich die Verbrechen abspielen, hineinleuchten. Deutschland vor allem in folgenden Bereichen: Die Nur wenn es gelingt, eine hohe Aufklärungsquote zu Schutzgelderpressung ist ein wichtiges und lukratives erreichen, werden wir das Verbrechen eindämmen Betätigungsfeld. Immer mehr italienische Lokale müs- können. Die Verbrecher richten sich nicht nach den sen hohe Schutzgelder an Mafiabanden zahlen. Das Gesetzen. Für sie ist entscheidend, wie hoch das gleiche gilt für die chinesischen Lokale, die von der Risiko ist, entdeckt zu werden. Die Aufklärungsquote chinesischen Mafia erpreßt werden. Illegale Spiel- von 44,8 % bundesweit ist zu gering. Bayern mit einer clubs und Bordelle sind ein weiteres Betätigungsfeld. Aufklärungsquote von 62 % ist eine Ausnahme. Die Im Zusammenhang damit steht der illegale Men- SPD-regierten Länder sind zu lasch. Sie nehmen die schenhandel. Immer mehr Frauen werden einge- innere Sicherheit nicht ernst genug. schleust und zur Prostitution gezwungen. Schleuser, die hohe Kopfgelder kassieren, bringen mehr und Selbstverständlich sind auch gesetzliche Regelun- mehr illegale Ausländer zu uns. gen notwendig. Am 15. Juni 1992 haben wir das Gesetz gegen die organisierte Kriminalität verab- Der illegale Waffenhandel ist ein weiteres Betäti- schiedet. Leider wurde es gegenüber seinem gungsfeld des internationalen Verbrechens. Insbe- ursprünglichen Entwurf in wichtigen Punkten durch sondere blüht der Handel mit Handgr anaten. Das die SPD im Bundesrat verwässert. Dies ist bedauer- Bundeskriminalamt hat im Jahre 1993 insgesamt 481 lich. In dem Verbrechensbekämpfungsgesetz, das die Handgranaten, überwiegend aus ehemaligen Staaten Regierungskoalition vorgelegt hat, versuchen wir, des Warschauer Paktes, sichergestellt. Vor der Öff- diesen Fehler wieder auszugleichen. So erhält der nung Osteuropas im Jahre 1988 wurden lediglich Bundesenachrichtendienst neue Aufgabenfelder im 25 Handgranaten sichergestellt. Besondere Sorge Kampf gegen das Verbrechen. Dagegen werden zwei bereitet der illegale H andel mit radioaktiven Materia- Einwendungen erhoben: Es wird erstens behauptet, lien. für die Erweiterung der Aufgabenstellung des BND sei eine Änderung des Art. 10 GG erforderlich. Da wir Internationale Verbrecherbanden stellen Falsch- aber die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung geld her und verbreiten es. Der klassische und lukra- vorgesehen haben, ist nach unserer Auffassung eine tive Bereich der organisierten Kriminalität ist nach wie Änderung des Art. 10 GG nicht notwendig. Zweitens vor die Rauschgiftkriminalität. In wenigen Jahren hat wird die Befürchtung geäußert, der BND könnte durch sich das registrierte Aufkommen von Rauschgift mehr diese Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung in als verdoppelt. Die Geldwäsche spielt ebenfalls eine seinem Wirkungsbereich empfindlich gestört werden. entscheidende Rolle. Es entsteht eine Schattenwirt- Wir nehmen diese Sorgen ernst. Der BND unterliegt schaft, die zu einer Verzerrung des Wettbewerbs allerdings nicht dem Legalitätsprinzip, braucht also führt. Die Drahtzieher werden salonfähig, und es ist zu nicht tätig zu werden, wenn die Befürchtung besteht, befürchten, daß sie bald auch bei uns politischen daß dadurch seine ganze Ermittlungstätigkeit gefähr- Einfluß gewinnen werden. In Italien ist dies ja durch det wird und das Staatswohl dadurch betroffen ist. Wir die Logen, in denen Mafia und Politiker gleicherma- erhoffen uns wichtige Anhaltspunkte von der Anhö- ßen verkehren, längst der Fa ll. rung. Die Polemik der SPD, das Verbrechensbekämp- fungsgesetz sei mit heißer Nadel genäht, geht ins Zweifellos: Die organisierte Kriminalität ist eine Leere. In diesem Gesetz werden Vorschläge umge- Gefahr für unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung. setzt, über die schon lange nachgedacht wurde. Deshalb müssen wir mit aller Konsequenz den Kampf gegen das Verbrechen aufnehmen. Die erste und Wir müssen ohne Voreingenommenheit prüfen, ob wichtigste Aufgabe ist, daß wir die Polizei stärken. Wir nicht auch der Verfassungsschutz gegen das organi- brauchen bundesweit Fachdienststellen zur Bekämp- sierte Verbrechen eingesetzt werden soll. Dabei ist fung der organisierten Kriminalität. Wir brauchen von entscheidender Bedeutung, daß die Aufgaben- einen bundesweiten Informationsverbund. Wenn in stellung von Polizei und Verfassungsschutz klar Hamburg Strukturen einer Bande erkannt werden, getrennt bleibt. Wir wollen keine Vermischung. Der muß dies bundesweit sofort weitergemeldet werden. Verfassungsschutz soll lediglich beobachtend tätig Wir müssen Kontrollgruppen auf Bundesautobahnen sein und seine Erkenntnisse an die Exekutivbehörden und überregional bedeutsamen Straßen einrichten. übermitteln. Er hat diese Aufgabe in jedem Fall dann, Wir haben eine zentrale Lage in Europa. Durch unser wenn die organisierte Kriminalität in Deutschland so Land führen die wichtigsten Verkehrswege Europas. stark werden sollte, daß sie die freiheitliche demokra- Die Täter nutzen diese Verkehrswege zum Tr ansport tische Grundordnung gefährdet. So weit wollen wir es ihrer Ware. Sie nutzen sie auch als Fluchtweg. Wir aber nicht kommen lassen. Wir wollen die Möglichkeit müssen deshalb die Straßenkontrollen verstärken. des Verfassungsschutzes einsetzen, damit es gerade 18740* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 nicht zu einer Gefährdung der inneren Sicherheit Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Natürlich bedauern kommt. wir, daß die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur organisierten Kriminalität noch Wir werden nicht daran vorbeikommen, dem ver- nicht vorliegt. Ich halte die Anfrage für verdienstvoll. deckten Ermittler einen größeren Spielraum einzu- Wir möchten wissen, in welchen tatsächlichen Fest- räumen, weil sonst dieses Instrument nicht voll stellungen wir übereinstimmen und in welchen nicht. genutzt werden kann. Kein Polizeibeamter wird sich Wir möchten wissen, ob wir unter organisierter Krimi- in eine Bande einschleusen lassen, wenn er Gefahr nalität jede Mittäterschaft mehrerer Täter verstehen läuft, gleich entdeckt zu werden. Er muß also in einem oder Straftaten einer mehrstufigen, arbeitsteilig orga- gewissen Umfang mitspielen können, d. h., er muß nisierten Organisation, wie sie aus Italien oder den Straftaten in geringem Umfang begehen können, Vereinigten Staaten bekanntgeworden ist, und deren ohne daß ihm vorgeworfen werden kann, er habe soziale und historische Ursachen es in der Bundesre- gegen die Rechtsordnung verstoßen. Schließlich publik eigentlich nicht gibt. Je unklarer der Beg riff erbringt er seinen Einsatz ja gerade zur Wahrung der bleibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß Rechtsordnung. Kriminalisten, Politiker und Juristen aneinander vor- Nach wie vor geht es uns um den Lauschangriff, beireden. aber nicht so, wie die SPD vorschlägt. Bis vor kurzem Es ist unser dringender Wunsch an den Innenmini- hat die SPD noch ganz entschieden den Einsatz ster, daß er die Kriminalitätsstatistik für 1993 so technischer Mittel in Wohnungen abgelehnt. Vor der schnell wie möglich vorlegt. Wahl aber will sie noch ganz schnell sicherheitspoli- tische Themen besetzen, weil sich das gut macht. In Die Zahlen der Länder liegen vor. Nordrhein- Wirklichkeit aber ist die optische Kehrtwende beim Westfalen und Hessen haben sie für ihren Bereich Lauschangriff nichts als eine Mogelpackung. Die veröffentlicht. aufwendigen Genehmigungs- und Überprüfungsver- Die Gewerkschaft der Polizei hat Zahlen für die fahren erschweren den Einsatz technischer Mittel in neuen Bundesländer vorgelegt, die mit ihren erstaun- den Wohnungen. Die SPD ist in dieser Frage nach wie lichen Steigerungsraten allerdings die Frage aufwer- vor gespalten und nicht fähig, klare Entscheidungen fen, ob die Ausgangsbasis 1992 für Vergleiche korrekt zu treffen. Die Sicherheitspolitik der SPD bleibt ist. sprunghaft. Wir möchten möglichst exakte Unterlagen darüber Ganz entscheidend im Kampf gegen die organi- haben, wie viele Täter rauschgiftabhängig sind, und sierte Kriminalität ist die Erweiterung der Kronzeu- unter welchen Delikten es sich um Beschaffungskri- genregelung. Wir wissen, daß die Erfolge der italieni- minalität handelt. Die bisherige Statistik läßt das nicht schen Polizei gegen die Mafia nicht möglich gewesen erkennen. wären, hätte es nicht die Pentiti, die Kronzeugen, gegeben. Durch die Kronzeugenregelung wird das Schließlich: Das Ziel ist die Kriminalitätsbekämp- Gesetz des Schweigens, wird die Omerta durchbro- fung, ob sie nun organisiert ist oder nicht. Dieses Ziel chen. Die SPD polemisiert gegen diesen Vorschlag der kann nicht allein mit Polizei und Justiz erreicht Koalition. Sie mißachtet damit ein ganz entscheiden- werden. Die Diskussion über die Kriminalitätsursa- des Mittel im Kampf gegen die organisierte Krimina- chen ist merkwürdigerweise aus der Politik vollkom- lität. men entschwunden. Dann allerdings müssen wir die Instrumente in Ordnung bringen. Das geht nicht ohne In der organisierten Kriminalität geht es um Geld. die Länder. Deshalb muß der Staat an das Vermögen dieser Ich habe den Eindruck, daß die organisatorische Verbrecher herankommen. Diese Erkenntnis ist und sachliche Ausstattung der Ge richte modernen inzwischen auch bis zur SPD durchgedrungen. Nach Anforderungen nicht mehr entspricht. Auch die Poli- unseren Vorstellungen muß das Vermögen von Straf- zeistärke, die Besoldung und die Laufbahnen stimmen tätern im Rahmen des erweiterten Verfalls dann mit der heutigen ökonomischen Wirklichkeit nicht eingezogen werden können, wenn der Verbrecher mehr überein. Sie wurden aus finanziellen Gründen nicht nachweisen kann, daß er das Vermögen legal gröblich vernachlässig. erworben hat. Das ist aber etwas ganz anderes als das, was die SPD will. Sie will auch dann an das Vermögen Die internationale Zusammenarbeit mit unseren heran, wenn eine strafbare Handlung nicht nachge- westlichen und östlichen Nachbarn, aber auch bei der wiesen ist. Eine solche Forderung macht sich auf Drogenbekämpfung in den Erzeugerländern, ist in Wahlversammlungen gewiß recht gut. Sie ist aber denkbar miserablem Zustand. Europol steht weitge- unseriös und gefährlich. Zuviel steht auf dem Spiel: hend nur auf dem Papier. Auch aus der ausländischen einmal das Recht auf Eigentum und vor allem der Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik müssen tragende Grundsatz, daß jeder so lange unschuldig ist, endlich Polizeibeamte geworben werden. bis ihm das Unrecht nachgewiesen wird. Die SPD mißachtet aus blindem Aktionismus diese Grund- Für die neuen Bundesländer sind besondere Maß- sätze. Sie öffnet bedenkenlos, aus purem Populismus nahmen weiter erforderlich, und schließlich: Sicher- neuem Unrecht Tür und Tor. heit ist Bürger und Bürgermeister Sache. Jede Gemeinde muß ein Gremium einrichten, in dem Wir wollen entschieden das Verbrechen bekämp- Bürger, Bau-, Planungs-, Jugend- und Sozialämter fen, aber seriös und auf dem Boden unserer Verfas- gemeinsam mit der Polizei die Kriminalitätsschwer- sung. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität punkte ihrer Gemeinde untersuchen und Vorbeu- lassen wir uns von niemand übertreffen. gungsprogramme entwickeln. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18741*

In der Drogenpolitik wird es dringend erforderlich, Straftat hinzusetzen, um die Definition der organisier- endlich realis tische Lösungen zu entwickeln, um für ten Kriminalität zu erhalten. Entzugswillige Therapieplätze zur Verfügung zu haben und sie sofort aus der Beschaffungskriminalität Angesichts dieses bedenklichen Stocherns im herauszuholen. Nebel kann die Große Anfrage der SPD zu unserem Thema nur nachhaltig begrüßt werden. In der Tat ist Und schließlich habe ich den Eindruck, daß das es nötig, nach der Entwicklung, der Bekämpfung und Sicherheitsgefühl des Bürgers nicht nur durch die der europäischen und internationalen Zusammenar- Kriminalität belastet ist, sondern auch durch den S treit beit in dieser Bekämpfung zu fragen. Aber hätte diese der Parteien und manchen Versuch, sich durch die lange Fragenliste der SPD nicht zuerst abgearbeitet Forderung nach besonders markigen Gesetzen als werden müssen, ehe wir an eine erfolgreiche Bekämp- Retter zu empfehlen. Realis tische Maßnahmen der fung der organisierten Kriminalität hätten denken Kriminalitätsbekämpfung liegen nicht in markigen können? Gesetzen, sondern in der Bekämpfung von Kriminali- tätsursachen, in der besseren personellen und sachli- Auch die Anfrage der SPD basiert auf der Ersetzung chen Ausstattung der Gerichte und der Polizei und der Definition durch eine fast alle Kriminalitätsberei- schließlich in der wesentlichen Verbesserung der che erfassende Phänomenologie moderner verbre- internationalen Zusammenarbeit. Das kostet Geld, cherischer Organisa tionen. Das italienische Strafrecht das ist auch nicht so spektakulär wie ein markiges dagegen arbeitet mit dem Beg riff der „mafiosen Gesetz, aber es ist wirksam, und es würde helfen, auch Vereinigung" . In der Bundesrepublik sträubt m an sich wenn der Wahlkampf dann schon vorbei ist. gegen einen solchen Begriff, ohne allzu plausible Ablehnungsgründe. Wir sehen der Antwort der Bun- desregierung auf die Große Anfrage der SPD auch aus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Wolfgang Ullmann diesem Grunde mit Spannung entgegen. NEN): Kann man das verantwortungsbewußte und mit der unerläßlichen Kompetenz ausgestattete Gesetz- gebung nennen, ganze Gesetzespakete auf einem (PDS/Linke Liste): Begriff aufzubauen, von dem niemand genau sagen Ulla Jelpke Die Debatten hier im kann, was sein präziser und die auf ihm aufbauenden Parlament um geeignete Maßnahmen zur Kriminali- Regelungen normierender Inhalt eigentlich ist? Was tätsbekämpfung haben etwas Phantomhaftes an sich. ist organisierte Kriminalität? Das ist nicht aus dem Dazu paßt es außerordentlich gut, daß die Antwort auf Strafgesetzbuch zu erfahren. Die zahlreichen Ge- die Große Anfrage nicht vorliegt und heute trotzdem darüber gesprochen wird. Der Versuch von Regierung setze, die mit diesem Beg riff arbeiten, tun so, als ob und Opposition, sich gegenseitig in der Frage der dieser Begriff sich durch den Gesetzesinhalt selbst gewissermaßen rekursiv definiert. Es ist so, als ob der Inneren Sicherheit vorzuführen, ist ja insofern grotesk, Gesetzgeber sagte: Was „organisierte Kriminalität" als sie sich weitgehend einig sind. Die entsprechen- ist, das weiß doch jedes Kind. Eben Mafia oder so! den Gesetzesvorlagen hatten wir gerade letzte Woche auf dem Tisch. Es war geradezu grotesk, wie eine Aber noch einmal: Ist das gesetzgeberische Hantie- Regierung, die die Strafprozeßordnung auf das ren mit so ungeklärten Beg riffen vereinbar mit der Niveau der Weimarer Notverordnungen schrauben rechtsdogmatischen Forderung der Normklarheit? will, sich als Verteidigerin der Verfassung präsentiert. Und ist diese Frage nicht dort besonders schwerwie- Das gelang ihr deshalb so gut, weil sie es mit einer gend, wo Normierungen stattfinden sollen, die an SPD-Opposition zu tun hatte, die gleich zwei wesent- mehreren Stellen in verfassungsrechtlich geschützte liche Grundgesetzartikel dem Verfall preisgeben wi ll. Grundrechte eingreifen? Was bleibt da anderes, als sich gegenseitig produktive Beratungen in den Ausschüssen zu wünschen. Die Folgen dieser Begriffsunklarheit an einem Schwerpunkt unserer Gesetzgebung sind bekannt. Die überwiegende Mehrheit hat nun mal den Weg Der Leiter des BKA mußte sich vor dem Rechtsaus- gewählt, die eigenen innenpolitischen Rezepte vor schuß des Deutschen Bundestages rechtfertigen und allem mit Hilfe einer immer dramatischeren Bedro- dann auch korrigieren, weil er behauptet hatte, in den hungsanalyse zu verkaufen. Wohl auch im Selbstver- vom BKA bearbeiteten Fällen sei bei einem Sechstel ständnis der Parteien verschwinden da die Differen- Einflußnahme auf den öffentlichen Dienst und bei zen zwischen den Einzelmaßnahmen mehr und mehr einem Zwanzigstel Einfluß auf die Justiz festgestellt — fast ist es wurscht, was gemacht wird. Und dann worden. einigt man sich halt auf alles. Umgekehrt erklärte jüngst die Baden-Württember- Frau Fuchs, Sie haben in der Debatte letzte Woche gische Landesregierung in einer Parlamentsdebatte, ein geradezu klassisches Beispiel geliefert: Um Ihren nur 0,48 % der von ihr erfaßten Gesamtkriminalität Vorschlag der Einführung des Lauschangriffs in seiner könne als „organisierte Kriminalität" bezeichnet wer- den. ungehemmtesten Form zu begründen, führten Sie aus, daß Alltagskriminalität eigentlich organisierte BKA-Präsident Zachert antwortete im Rechtsaus- Kriminalität ist, und sagten: „Wir verkennen das, schuß auf die Frage nach der strafrechtlich präzisen glaube ich manchmal, indem wir so tun, als sei ein Definition von organisierter Kriminalität mit einem Wohnungseinbruch das Ergebnis eines einzelnen Merkmalskatalog, dem man Präzision jedenfalls nicht Verbrechers, der einsteigt" . Ja, wenn das so ist, dann nachsagen kann. Der Frankfurter Staatsanwalt Korn- sind die geforderten Instrumente wie Lauschangriff, eck hingegen meint, es genüge, der normalen unter- verdeckte Ermittler, kurze Prozesse gefälligst auch nehmerischen Tätigkeit das Merkmal der schweren zum polizeilichen Alltag zu machen. 18742* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Jürgen Seifert, inzwischen wohl schon ziemlich Jeder Bürger muß heute schon seinem Finanzbeam- verzweifelter Kämpfer gegen Lauschangriff und Aus- ten haarklein erklären, woher er sein Geld hat oder bau des BND, hat wohl recht, wenn er feststellt, daß was er damit gemacht hat. Ich denke, das, was man gegen diese Kampagne keine Kompromisse helfen, jedem Bürger zumuten kann, kann doch einen orga- weil die nächsten Forderungen eh schon feststehen. nisierten Kriminellen nicht überfordern. Auch das läßt sich mit Beispielen belegen: Da Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz technischer diskutiert die Innenministerkonferenz seit Jahren Mittel. In der organisierten Kriminalität gibt es kaum — und immer kleinlauter — die Frage der Befugnisse Sach- oder Zeugenbeweise. Hier ist oft die Lausch- für verdeckte Ermittler. Bayern erklärt den gesamten möglichkeit die einzige und letzte Chance, Erkennt- Kampf gegen Kriminalität für gescheitert, wenn nisse zu erlangen und Bandaufzeichnungen als denen nicht endlich Straftaten erlaubt werden. Und Beweismittel ins Verfahren einzubringen. Und bei der gerade das ist ja in diesem Bereich alltägliche Praxis, Koalition? Auch in dieser Frage Fehlanzeige. Das, was wie zumindest ein verdeckter Ermittler dankenswer- die Koalition mit ihrer Konzeption dagegenzusetzen terweise in der Polizeizeitung „Kriminalistik" selbst hat, nimmt sich doch sehr bescheiden aus. Hier kreißte dargestellt hat. der Berg und gebar eine Maus. Beschleunigung der Solange noch nicht einmal die gegenwärtige Praxis Verfahren und Änderungen im sogenannten operati- und die rechtliche und bürgerrechtliche Kritik daran ven Bereich mögen zwar gut sein, richten allerdings in zur Grundlage der Diskussionen um innere Sicherheit der Kriminalitätsbekämpfung wenig aus. Der Bereich genommen werden, bleiben es Scheindebatten. Es ist der organisierten Kriminalität wird nahezu ausge- ein vom Wahlkampf verschärfter Wettlauf zur Entfes- klammert. selung von Polizei und Geheimdiensten von rechts- staatlichen Vorschriften. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie müssen sich vorwerfen lassen, daß Sie in der organi- sierten Kriminalität und der damit eng verbundenen Hans-Peter Kemper (SPD): Ich möchte an das anschließen, was meine Kollegen Hans de With und Wirtschaftskriminalität wegschauen. Armut, Arbeits- Jürgen Meyer bereits sehr deutlich gesagt haben. Die losigkeit, Obdachlosigkeit, eine lieblose Ellenbogen- Kriminalität und besonders die organisierte Krimina- gesellschaft begünstigen das Entstehen von Krimina- lität ist in der Bundesrepublik während der Verant- lität. In all diesen Punkten hat diese Regierung aller- wortung dieser Regierung sehr deutlich gestiegen. dings absolute Spitzenwerte erreicht. Gegen Eier- Entsprechend groß ist auch die Unsicherheit und die diebe und Schwarzfahrer ziehen Sie mit viel Pathos zu Angst der Bürger vor der Kriminalität. Zur erfolgrei- Felde. Die Politik der SPD ist es nicht, „die Kleinen zu chen Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist es hängen und die Großen laufen zu lassen". Hätte die unerläßlich, Daten und Fakten über Umfang und Bundesregierung sich ernsthaft mit dieser Großen Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität Anfrage der SPD auseinandergesetzt, wäre sie viel- auf den Tisch zu legen. Die Bundesregierung verfügt leicht darauf gekommen, daß viele Delikte, die sich offensichtlich nicht über solche Daten und Fakten, uns in der Einzelfallbetrachtung als Massendelikte und was noch schlimmer ist, es hat den Anschein, als darstellen, wie z. B. ein Pkw-Diebstahl oder ein habe sie sich auch gar nicht ernsthaft um diese Fakten Tageswohnungseinbruch, in Wirklichkeit der organi- bemüht. Wie anders ist es sonst zu erklären, daß sie die sierten Kriminalität zuzurechnen sind. Es gibt eine Große Anfrage der SPD zu solch einem wichtigen enge Verzahnung zwischen Massenkriminalität und Thema bis heute nicht beantwortet hat? Diese Tatsa- organisierter Kriminalität. Ein erheblicher Anstieg der che und der erst kürzlich von der Regierung nach Raub- und Diebstahlkriminalität geht auf das Konto langem Koalitionsgezerre vorgelegte Entwurf eines von Drogenabhängigen. Die Bundesregierung ist sogenannten Verbrechensbekämpfungsgesetzes zei- offensichtlich aus ideologischen Gründen nicht gen deutlich, daß diese Regierung gar nicht die gewillt, dieses zur Kenntnis zu nehmen, vor allem aber Absicht hat, die organisierte Kriminalität an ihrem Konsequenzen daraus zu ziehen. Wer — wie diese Lebensnerv, den gewaltigen illegalen Gewinnen, zu Bundesregierung — an der gescheiterten Drogenpoli- treffen. Ich erinnere hier nur an das Zögern und tik weiter festhält, der braucht sich über riesige Zaudern beim Geldwäschegesetz (Anwaltsprivileg, Schäden aus der Beschaffungskriminalität, über jähr- Schwellenwert). lich ca. 2 000 Drogentote und über eine nicht bekannte Anzahl von HIV-Infizierten nicht zu wun- Überhaupt scheint diese Koalition große Hemmun- dern. gen zu haben, wirklich mit Nachdruck an das Schmiermittel der organisierten Kriminalität, das Hätte die Bundesregierung ihre Hausaufgaben Geld, zu gehen. Während sie selbst auf diesem Gebiet gemacht und die Große Anfrage beantwortet, wäre kaum etwas zu bieten hat, kritisiert sie pausenlos den auch ihr der enge Zusammenhang zwischen organi- Vermögenseinzug verbunden mit der Umkehr der sierter Kriminalität und Wohnungseinbrüchen und Beweislast aus dem Programm der SPD. Organisierte Ladendiebstählen klargeworden. Dann wäre sie auch Kriminalität ist nicht nur in der Planung und Ausfüh- darauf gekommen, daß auch in der Bundesregierung rung von Straftaten bestens organisiert, sondern auch die organisierte Kriminalität dabei ist, sich stark in der Nachsorge. Sie verfügen über die besten auszubreiten und sich in Wirtschaft, Verwaltung, Anwälte und Verschleierungstaktiken. Was glauben Justiz und Politik zu etablieren. Dann hätte die Bun- Sie denn, wieviel Geld noch vorhanden ist, wenn es desregierung — wollte sie auch nur halbwegs den nach mehrjähriger Prozeßdauer, wenn überhaupt, zu Bürgerinnen und Bürgern glaubhaft machen, sie einer Verurteilung kommt? Zur Umkehr der Beweis- bekämpfe die organisierte Kriminalität — eben ent- last verstehe ich Ihre Zurückhaltung nun gar nicht. sprechende gesetzliche Instrumentarien in ihr Ver- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18743* brechensbekämpfungsgesetz aufnehmen müssen. So Oder die Frage 48: „Liegen Erkenntnisse darüber aber kann hier durchaus der Verdacht entstehen, daß vor, daß zunehmend russische und polnische Beamte diese Koalition nicht das geringste Interesse hat, der häufiger von Autoschieber- oder Zigarettenschmugg- organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskrimi- lerbanden bestochen werden?" Eine solche Frage läßt nalität beizukommen. Handlungsunfähigkeit inner- sich nur nach Kontaktaufnahme mit den entsprechen- halb der Koalition ist hierfür kein Entschuldigungs- den Ländern beantworten, wenn überhaupt. Und da grund. hege ich meine Zweifel, daß eine korrekte Auskunft gegeben wird. Es ist nicht zu verstehen und unverantwortlich, daß die Regierung nicht längst eine Novellierung der Das Thema selbst „Organisierte Kriminalität" ist gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit des Bundes- viel zu wichtig, als daß es allein durch Fragen zu lösen kriminalamts vorgelegt hat. Gleiches gilt auch für den wäre. Deshalb haben wir bereits gehandelt: Bundesgrenzschutz. Ich will hier auf den Gesamtkom- Bereits 1992 ist das Gesetz zur Bekämpfung der plex Schengen nicht näher eingehen. Die polizeiliche organisierten Kriminalität in Kraft getreten. Es wurde Zusammenarbeit in diesem Bereich ist bis heute nicht im November 1993 durch das Geldwäschegesetz geregelt. Für die internationalen Gangster gibt es ergänzt, und bereits heute ist erkennbar, daß es schon lange keine Grenzen mehr. Die Zuständigkei- Wirkung zeigt. ten der Ermittlungsbehörden enden immer noch an den Grenzen. Das in der vorletzten Woche eingebrachte Verbre- chensbekämpfungsgesetz ergänzt das Instrumenta- Ich bin überzeugt, daß die Erkenntnisse, die aus der rium zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität Beantwortung unserer Großen Anfrage gewonnen durch eine Kronzeugenregelung. werden könnten, die Notwendigkeit und Richtigkeit des von der SPD vorgelegten Gesetzentwurfs „Zur Die SPD hat ihre eigene Art, derartige Aufgaben zu Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und lösen: Zunächst muß viel darüber geredet werden. anderer Formen der organisierten Kriminalität" über- Danach wird etwas zu Papier gebracht. Denn was m an zeugend bestätigen wird. trost nach schwarz auf weiß besitzt, kann man ge Hause tragen. Allerdings darf das zu Papier Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren von der Gebrachte beileibe nicht bewirken, daß unter Regierungskoalition, wirklich ernst mit der Bekämp- Umständen tatsächlich Verbrecher leichter zu fassen fung der organisierten Kriminalität und der Sorge um wären. Das könnte die linke Mitglieder-K lientel die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger wäre, zutiefst beunruhigen. Also sucht man sich geschickte würden Sie sich unseren Argumenten nicht verschlie- Konstruktionen, durch die die Verbrecherwelt im ßen, sondern sich ihnen anschließen. Ernstfall rechtzeitig vorgewarnt wird. An einem Beispiel ist das zu demonst rieren: Die SPD Erika Steinbach (CDU/CSU): Ich bedaure sehr, daß verkündet vollmundig, sie sei bereit, akustische Über- wir heute die Große Anfrage der SPD zur organisier- wachungsmittel auch in Wohnungen zur Bekämpfung ten Kriminalität beraten, ohne daß die Antwort der von Verbrechen zuzulassen. Für die Zulassung aber Bundesregierung dazu vorliegt. schreibt sie einen Verfahrensweg vor, der nur als Unser föderales Staatssystem hat gewiß Vorteile, Verbrechervorwarnmethode bezeichnet werden aber bei Fragenkomplexen, die auch die Länder kann. Statt der allein ausreichenden und notwendigen berühren, erweist es sich als zäh und langsam. Wenn strengen richterlichen Kontrolle einer solchen Über- dann im Justizministerium die Paragraphenkundigen wachungsmaßnahme werden zusätzliche bürokrati- noch abschließend Stellungnahmen erarbeiten müs- sche Genehmigungsprozeduren gefordert, die Wo- sen, wird im Vergleich eine Schnecke zum Sp rinter. chen Zeit erfordern, ehe eine Genehmigung über- haupt erteilt werden kann. Straftäter allerdings wer- Allerdings — und das will ich gleich anfügen — den der Justiz kaum den Gefallen tun, einen konspi- haben solche Art Anfragen nicht selten den Geruch rativen Treff in einer Wohnung Wochen im voraus der Verwaltungs-Beschäftigungstherapie. Nichts anzukündigen, damit der Staatsanwalt rechtzeitig den aber können wir in diesen bewegten Zeiten weniger notwendigen Segen einer Parlamentskommission ein- gebrauchen, als die Ministerien mit unnötiger Arbeit holt, um sodann erst beim zuständigen Landge richt zusätzlich zu belasten. den Antrag zur Genehmigung der akustischen Über- wachung des Gangstertreffs stellen zu können. Wer sich die 59 Fragen der SPD-Anfrage unter die Lupe nimmt, wird neben beantwortbaren Fragen auch So, meine sehr verehrten Damen und Herren, vieles entdecken, was nur mit Vermutungen zu beant- gedenkt die SPD eine Doppelstrategie erfolgreich worten ist. betreiben zu können: Für die Öffentlichkeit, für den Normalbürger, spielt sie den konsequenten Verbre- So zum Beispiel die Frage 10: „In welcher Zahl sind chensbekämpfer, für die Partei-Linke wird die geset- seit 1985 (nach Jahren aufgeschlüsselt) Frauen durch zestechnische Ausgestaltung dann so formuliert, daß Menschenhändler in die Bundesrepublik Deutsch- letztendlich die Verbrecherwelt lachender Dritter land verschleppt worden, um hier zur Ausübung der ist. Prostitution gezwungen zu werden? Wie viele der eingeschleppten Frauen waren noch minderjährig?" Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorherzuse- SPD, Sie dürfen allerdings nicht glauben, daß ein hen, daß konkrete Antworten auf diesen Fragenteil solches Spiel nicht von mehr Menschen, als Sie nicht möglich sind. vermuten, durchschaut wird. 18744* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Trotzdem hoffe ich sehr, daß die Antwort der Eingriffe in einen Grundgesetzartikel wie Art. 14 Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD vornimmt, ohne die Bewährung dieser neuen Vor- baldmöglichst vorliegt, damit wir uns am Detail mit- schriften auch nur ansatzweise abzuwarten. Nein, die einander über die Situation und über das Lagebild der Bekämpfung der organisierten Kriminalität verdient organisierten Kriminalität in Deutschland unterhalten keinen Aktionismus, sie hat Anspruch auf die sorgfäl- können. tige, ruhige Analyse und eine abgewogene Reak- tion. Jörg van Essen (F.D.P.): Die SPD hat uns die heutige Sie verdient allerdings auch die klare Lagebeurtei- Debatte aufgezwungen, obwohl wir vor kurzer Zeit lung. Mit vielen meiner Kollegen im Rechtsausschuß bei der ersten Lesung des Verbrechensbekämpfungs- halte ich die organisierte Kriminalität für die zentrale gesetzes uns auch über Fragen der organisierten Bedrohung unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Kein Kriminalität ausgiebig ausgetauscht haben. anderer Gegner des freiheitlichen Rechtsstaates ist Die Anfrage enthält eine Fülle von interessanten mit derartigen finanziellen Möglichkeiten ausgestat- Fragen, deren Antworten auch mich interessieren. tet wie die organisierte Kriminalität. Kein anderer Aber die kann man nun einmal nicht aus dem Ärmel krimineller Bereich ist mit solcher Sorgfalt strukturiert schütteln. Die Länder — mehrheitlich ohne Zweifel und organisiert wie dieser. Und kein anderer Zweig SPD-geführt — haben sehr lange Zeit für die tatsäch- versucht so intensiv, in den Bereich von Politik und lichen Erhebungen benötigt, und ich kritisiere sie Strafverfolgungsorganen einzudringen, um diese zu dafür angesichts des großen Umfanges nicht. Und die paralysieren und die Gegenwehr des Staates zu ver- Bundesregierung hat Anspruch auf eine sorgfältige hindern. Für uns Liberale muß deshalb diese Bedro- Ausarbeitung, die uns allen dient. Die zuständigen hung des freiheitlichen Rechtsstaates von besonderer Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums sind von Bedeutung sein. Ich wiederhole meine Bemerkung uns seit langem in besonderer Weise gefordert. Ich aus der Debatte zum Verbrechensbekämpfungsge- keime die Kollegen der SPD im Rechtsausschuß und setz: Es ist Pflicht der Liberalen, den Bürger gegen weiß, daß sie zu einer klaren Beurteilung der Situation einen übermächtigen Staat zu schützen, wo es not- in der Lage sind. Um so mehr könnte mich diese wendig ist, aber es ist auch Pflicht der Liberalen, den Debatte verwundern. Aber wir haben am Sonntag freiheitlichen Rechtsstaat gegen seine übermächtigen Wahl in Niedersachsen. Deshalb debattiert die SPD Gegner zu schützen. natürlich ungern darüber, daß beim Wohnungsein- bruch nach dem Spitzenplatz Hamburgs, wo die SPD Freiheit gegen den Staat muß ergänzt werden durch für die innere Sicherheit verantwortlich ist, das Land die Freiheit mit dem Staat und durch den Staat. Wir sind gut beraten, wenn wir dieser Aufgabe aus allen Niedersachsen mit dem schlechtesten Wert aller gro- ßen Flächenländer auf dem fünften Platz liegt. Man politischen Gruppierungen in einer ruhigen und sach- glaubt, die Koalition vorführen zu können mit Vor- lichen Art gerecht werden und nicht mit Wahlkampf- schlägen, die schon bei der Debatte des Verbrechens- getöse. Leider gehört die uns heute aufgezwungene bekämpfungsgesetzes zu Recht heftig kritisiert wor- Debatte zu letzterem. den sind. Eintopf wird durch Aufwärmen in aller Regel bes- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Der Vorgang, über ser, schlechte Gesetzesvorschläge werden es nicht. den heute zu reden ist, zeigt auf eindrucksvolle Weise Deshalb warne ich Sie davor, uns z. B. Ihre Vorschläge die Inkompetenz und die Zerstrittenheit der Bundes- zum Art. 14 GG heute erneut zu präsentieren. Sie sind regierung bei der Bekämpfung der organisierten Kri- weiterhin die Antwort auf die Frage schuldig, warum minalität. Sie das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Woh- Es geht um die Behandlung unserer Großen nung durch eine Fülle von Vorschriften in einer Weise Anfrage „Organisierte Kriminalität in der Bundesre- schützen wollen, die ihre Maßnahmen in der Praxis publik Deutschland", die wir am 12. Mai 1993, also vor nicht mehr durchführbar macht, während Sie das zehn Monaten, eingereicht haben. Zu diesem Zeit- Grundrecht auf Eigentum praktisch schutzlos preisge- punkt stand fest, daß sich der Bundestag im Anschluß ben. an die Verabschiedung des OrgKG mit weiteren Sie sehen in Ihrem Entwurf für Art. 14 GG nur vor, Gesetzen zur Bekämpfung einer Kriminalität befassen daß das Nähere ein Bundesgesetz regelt. Ein Bundes- würde, die zu einer wachsenden Bedrohung für den gesetz ist jederzeit mit einfacher Mehrheit änderbar. Rechtsstaat geworden ist. In der dritten Lesung des Bereits jetzt erfassen Sie einen unglaublich weiten OrgKG am 4. Juni 1992 hatte das Plenum ausdrücklich Bereich in Ihrem Vermögenseinziehungsgesetz. Au- einen entsprechenden Beschluß gefaßt, dem übrigens ßer § 100a Nr. 1, der weitgehend Staatsschutzdelikte auch die F.D.P. zugestimmt hat. enthält, öffnen Sie praktisch den gesamten Bereich, in Mit unserer Großen Anfrage verfolgten wir zwei dem eine Telefonüberwachung zulässig ist, für die Ziele. Wir wollten zum einen den bevorstehenden Vermögenseinziehung. Dies ist schon deshalb nicht Gesetzesberatungen eine seriöse Grundlage geben. mit dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ver- Und wir wollten zum anderen im Zeitpunkt der zu einbar, weil wir mit dem § 1110 und p und mit dem erwartenden Antwort auf unsere Fragen mehr als ein § 443 — letzterer, ich wiederhole es noch einmal, ein Jahr nach Inkrafttreten des OrgKG einen ersten Erfah- SPD-Vorschlag — im OrgKG deutlich verbesserte rungsbericht über die Anwendung des Gesetzes Möglichkeiten der Verbrechensbeschlagnahme ge- erhalten. schaffen haben. Es ist für mich einfach unerträglich, wie eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, dem Mit Schreiben vom 28. Mai 1993 teilte uns die Rechtsstaat dienen zu wollen, solch weitgehende Bundesregierung mit, sie sei „bereit, die Große Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18745*

Anfrage zu beantworten" , was uns natürlich gefreut tung unserer Großen Anfrage verzögere „aufgrund hat. Gleichzeitig teilte die Regierung mit, daß die erheblicher Terminüberschreitung bei Zuleitung des Beantwortung wegen der Vielzahl der gestellten Fra- Antwortbeitrages des Bundesministeriums der Ju- gen und der zu beteiligenden Stellen etwa sechs stiz". In der Schule nennt man so etwas Anschwärzen Monate in Anspruch nehmen werde, so daß die oder Petzen. Aber es kommt noch dicker. Das Innen- Antwort voraussichtlich im November 1993 erfolgen ministerium teilt uns nämlich, immer natürlich über werde. Wir haben uns damit einverstanden erklärt. die Frau Präsidentin des Deutschen Bundestages, mit, es gebe einen „vom BMJ jetzt vorgelegten umfangrei- Um so großer war unsere Überraschung, daß uns die chen Änderungskatalog", und dieser bedürfe u. a. Regierung mit dreimonatiger Verspätung durch „der nochmaligen Abstimmung zwischen BMI und Schreiben des Innenministeriums vorn 11. Februar BMJ". Deutlicher kann m an nicht belegen, daß sich 1994 über die Frau Präsidentin des Bundestages die beiden Ministerien in der Behandlung des wohl mitteilte, daß eine Beantwortung in der uns mitgeteil- wichtigsten bundespolitischen Problems im Bereich ten Frist nicht möglich sei, was wir inzwischen selbst der inneren Sicherheit nicht einig sind. Ja, diese festgestellt hatten. Auf den interessanten zweiten Teil Regierung erfüllt noch nicht einmal die Aufträge, die des Schreibens, mit dem uns das Bemühen um eine ihr vom Bundestag erteilt werden. Denn der erwähnte Antwort bis Ende April versichert wird, komme ich Beschluß des Bundestages vom 4. Juni 1992 enthält noch zu sprechen. zum Thema des Einsatzes technischer Mittel in Woh- nungen auch einen Handlungsauftrag an die Regie- Zunächst eine Bemerkung zur Kompetenz der Bun- rung. Diese hat uns in den seither verstrichenen desregierung bei der Bekämpfung der organisierten 21 Monaten nichts vorlegen können, ebenso übrigens Kriminalität: Eine seriöse Gesetzgebung muß sich auf wie sie zum Thema der elektronischen Diebstahlsi- eine zuverlässige Kenntnis der Sachverhalte stützen, cherung von Kraftfahrzeugen keinen Schritt vorange- die geregelt werden sollen. Es bestand und besteht kommen ist. Den Schaden tragen dort Millionen von also ein elementares Interesse daran, zunächst einmal Kraftfahrem durch die Erhöhung der Kaskoversiche- unsere Fragen zur Struktur und zum Lagebild der rungsbeiträge. organisierten Kriminalität zu klären, bevor man neue gesetzgeberische Schritte vorschlug. Natürlich ist uns Was den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen nicht verborgen geblieben, daß die von der Bundes- angeht, verweise ich auf unsere Frage 30. Insoweit regierung eingeschalteten Behörden ausdrücklich mache ich auf einen weiteren geradezu skandalösen bestätigt haben, daß unsere Feststellungen, die wir Vorgang aufmerksam. Denn unsere Frage ist, soweit insoweit in der Vorbemerkung der Großen Anfrage sie sich auf die Praxis in den europäischen Nachbar- getroffen haben, aus fachlicher Sicht zutreffend sind. staaten und den USA bezieht, bereits am 19. Mai 1992 Fällt es Ihnen, meine sehr geehrten Herren in der durch ein Gutachten des Freiburger Max-Planck- Regierung, so schwer, das einzuräumen? Statt sich Instituts für ausländisches und inte rnationales Straf- zunächst einmal sachkundig zu machen, hat die recht beantwortet worden. Und dieses Gutachten Regierungskoalition vor drei Wochen ein „Verbre- wurde im Auftrag des Bundesjustizministeriums chensbekämpfungsgesetz" eingebracht, das sich an- erstellt. Ich halte es für unverantwortlich und einen heischig macht, „die gesetzlichen Grundlagen zur Versuch der Täuschung des Parlaments, daß die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Teilbe- verantwortliche Ministerin die ihr seit langem vorlie- reichen fortzuentwickeln". Sie setzen dabei auf die genden Informationen zurückzuhalten versucht. Um nach unserer Auffassung in Übereinstimmung mit den ihren ideologisch verbohrten Feldzug gegen die Ein- maßgeblichen Kommentaren verfassungswidrige führung des von ihr so genannten Lauschangriffs Vermögensstrafe, über die Sie durch Abwarten der fortsetzen zu können, den es in Wirklichkeit längst Beantwortung unserer Frage 18 leicht hätten erfahren gibt und der in diesen Bereichen nach unserer Auffas- können, daß sie von der Praxis nicht angewandt wird. sung zunächst einmal rechtsstaatlich eingeschränkt Das ist unseriöse und inkompetente Politik. Ihre werden muß, betreibt die Ministerin Tatsachenunter- Ausrede, nach 18 Monaten könne man noch nichts drückung. Sie müßte sonst einräumen, daß es aus- über das neue Instrument sagen, verfängt nicht. Denn weislich des aus Steuergeldern finanzierten und zum einen haben wir in unserer Frage auf die Mög- schon deshalb öffentlich zu machenden Gutachtens lichkeit gezielter Auskünfte aus ausgewählten Land- beispielsweise in den USA, und zwar nicht nur im FBI, gerichtsbezirken verwiesen, die wir inzwischen ein- sondern auch im Department of Justice unstrittig ist, geholt haben. Und zum anderen dürfte auch der daß die Anwendung der Abhörmaßnahmen zu her- Bundesregierung nicht verborgen Belieben sein, daß ausragenden Erfolgen geführt hat und daß diese auch die der Vorbereitung der Vermögensstrafe die- Maßnahmen als unverzichtbar für die Strafverfolgung nende Vermögensbeschlagnahme, nämlich der ding- angesehen werden. liche Arrest nach § 111 o StPO, in der Praxis leerläuft. Sie schlagen also sinnlose Gesetze vor, ohne die Wir können Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen Antwort auf unsere Große Anfrage abzuwarten, weil von der Regierungskoalition, in dieser Situation nur Sie sonst die Sinnlosigkeit Ihres gesetzgeberischen bitten, die von Ihnen ge tragene Regierung zum H an Aktionismus einräumen müßten. -deln und zum gebotenen Respekt vor dem Parlament aufzufordern. Solange sich die Regierung in einer für Ich komme zur Zerstrittenheit der Bundesregierung alle Bürgerinnen und Bürger wichtigen Frage als bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. In sprach- und handlungsunfähig erweist, halten wir es dem erwähnten Schreiben vom 11. Februar 1994 teilt für unsere Pflicht, die Öffentlichkeit darüber zu infor- uns das Innenministerium mit, daß sich die Beantwor- mieren. 18746* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- den mehr als 700 Verdachtsanzeigen eingegangen. minister des Innern: Sie beraten heute die Große Angesichts dieses ermutigenden Resultats sollten u. a. Anfrage der Fraktion der SPD zur organisierten Kri- die für die Ermittlung und Verfolgung zuständigen minalität in der Bundesrepublik Deutschl and, ohne Länder darüber nachdenken, wie die Ermittlungska- daß Ihnen dazu die Antwort der Bundesregierung pazitäten der Strafverfolgungsbehörden auf diesem vorliegt. Die Bundesregierung bedauert es, daß Ihnen Gebiet zu verstärken wären. diese Antwort innerhalb der ursprünglich vorgesehe- Ein weiteres wesentliches Anliegen der Bundesre- nen Frist bis Ende November 1993 nicht zugegangen gierung war es, den Strafverfolgungsbehörden mo- ist und der Termin zur Beantwortung zweimal, zuletzt derne Ermittlungsmethoden zu verschaffen. So hat bis zum April, herausgeschoben werden mußte. das OrgKG den Einsatz verdeckter Ermittler auf eine Dies hat seinen Grund darin, daß die Beantwortung klare Rechtsgrundlage gestellt. Zulässigkeit und mit einer Vielzahl von Stellen des Bundes und der Grenzen des Einsatzes technischer Mittel wurden, mit Länder inhaltlich abgestimmt werden mußte. Dabei Ausnahme des Einsatzes in Wohnungen, festgelegt. hat sich der ursprünglich kalkulierte Zeitrahmen nicht Dasselbe gilt für die Rasterfahndung und nicht zuletzt zuletzt infolge zum Teil erheblicher Zeitüberschrei- für den Zeugenschutz. Das alles weist — Stichwort tungen insbesondere auf seiten der Justiz bei der Einsatz technischer Mittel gegen Schlupfwinkel des Abstimmung als zu eng erwiesen. organisierten Verbrechens in Wohnungen — aus der Ziel der heutigen Beratung kann es aus der Sicht der Sicht des Innenministers noch schmerzliche Lücken Opposition nur sein, der Bundesregierung wegen der auf, aber auch der Fortschritt gegenüber früher ist Verzögerung der Beantwortung Untätigkeit bei der nicht zu übersehen. Dies a lles war ein erster entschlos- Bekämpfung der organisierten Kriminalität vorzuwer- sener Schritt in die richtige Richtung. Auf der Grund- fen. Nach all den gesetzgeberischen Schritten der lage des vom Innenminister vorgeschlagenen Sicher- letzten Zeit, den organisatorischen Maßnahmen, den heitspaketes '94 wird dieser Weg weiterbeschritten. europäischen und internationalen Aktivitäten, den Im Hinblick auf die Bekämpfung der organisierten Berichten und Einzelantworten kann ein solcher Vor- Kriminalität sind aus dem Verbrechensbekämpfungs- wurf aber inhaltlich nicht seriös begründet werden. gesetz vom Februar dieses Jahres vor allem zwei Die Bundesregierung hat der Bekämpfung der orga- Punkte hervorzuheben: nisierten Kriminalität stets einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt. Bereits vor eineinhalb Jahren Die Einführung einer Kronzeugenregelung. Damit ist das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rausch- wird dem potentiellen Aussteiger ein Anreiz geboten, gifthandels und anderer Erscheinungsformen der sich zu offenbaren, und den Strafverfolgungsbehör- organisierten Kriminalität — OrgKG — in Kraft getre- den schon im Ermittlungsverfahren ein wirksames ten. Instrument gegeben, in die Strukturen des organisier- ten Verbrechens einzudringen. Die Bundesregierung Die Bestimmungen dieses Gesetzes bewähren sich nutzt hier bewußt die Erfahrungen, die in Ita lien bei heute bereits bei der praktischen Bekämpfung der der Bekämpfng der Mafia gemacht wurden. Es hat organisierten Kriminalität. sich gezeigt, daß der Entsolidarisierungseffekt einer Zum Beispiel ist schon damals mit der Einführung Kronzeugenregelung ein besonders geeignetes Mittel der Vermögensstrafe eine Möglichkeit zur umfassen- ist, eine kriminelle Organisation in ihrer Struktur den Entziehung der kriminellen Profite geschaffen empfindlich zu treffen. worden. Gemeinsam mit dem bereits vorhandenen Instru- Mit der Einführung des erweiterten Verfalls ist es ment der verdeckten Ermittlungen bietet sich der schon heute möglich, unter bestimmten Vorausset- Polizei damit ein Instrument, kriminelle Vereinigun- zungen kriminelle Profite ohne den exakten Nachweis gen aufzubrechen. sicherzustellen, sie stammten aus einer bestimmten Straftat. Damit sollten jetzt erst einmal praktische Die Bekämpfung der Geldwäsche wird durch eine Erfahrungen gesammelt werden. Erweiterung des Vortatenkatalogs weiter intensiviert. Für weitergehende Vorschläge, etwa zur vorläufi- Damit soll die organisierte Kriminalität noch stärker gen Einziehung von Vermögen außerhalb eines Straf- an ihrem Lebensnerv, dem hemmungslosen Profitstre- verfahrens, lediglich im Rahmen polizeilicher Gefah- ben, getroffen werden. renabwehr und ohne jegliche Beteiligung eines Diese wenigen, leicht vermehrbaren Beispiele zei- Gerichts — wie es der SPD vorschwebt — besteht gen bereits: Die Bundesregierung stellt sich der Her- deshalb gegenwärtig, ganz abgesehen von der verfas- ausforderung durch die organisierte Kriminalität. Sie sungsrechtlichen Fragwürdigkeit, keinerlei begründ- hat dies immer wieder durch Handeln bewiesen. bares Bedürfnis. Hinter allem steht eine klare Konzeption, die einen Das gilt auch für den Komplex der Geldwäsche. Der einheitlichen Lösungsansatz sowohl für die hausge- Geldwäschetatbestand im Strafgesetzbuch ist eben- machten als auch für die importierten kriminellen falls erst mit dem OrgKG im September 1992 geschaf- Gefahren verfolgt. fen worden. Er wird seit Ende November 1993 durch Die geplanten Neufassungen des Bundeskriminal- das Geldwäschegesetz ergänzt. amtgesetzes, des Bundesgrenzschutzgesetzes und des Dessen gesetzgeberisches Ziel, den Strafverfol- Gesetzes über das Ausländerzentralregister sind wei- gungsbehörden Ermittlungsansätze zur Verfolgung tere wich tige Bestandteile dieser Konzeption. Die der strafbaren Geldwäsche zu verschaffen, wird offen- Bundesregierung braucht sich deshalb weder H and- kundig voll erreicht. Bereits drei Monate nach Inkraft- lungsunfähigkeit noch Handlungsunwilligkeit auf treten dieses Gesetzes sind bei den Ermittlungsbehör- diesem wichtigsten Feld staatlicher Legi timation vor- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18747* werfen zu lassen. Und übrigens, vergessen Sie bitte schen Prüfung der einzelnen Angebote. In jedem Fa ll nie: Die wichtigsten Zuständigkeiten auf dem Gebiet müssen dem Versicherungsnehmer nach den neuen der Verbrechensbekämpfung liegen bei den Ländern, Regelungen sämtliche Versicherungsbedingungen u. a. was den polizeilichen Vollzug angeht. Die Defi- zur Prüfung vorgelegen haben, damit ein Vertrag zite, die von der Bevölkerung gerade da in manchen überhaupt wirksam ist. ' Bereichen der Bundesrepublik beklagt werden, betreffen nicht den Bund. Ich möchte nochmal in aller Deutlichkeit feststellen: Der liberalisierte Versicherungsmarkt wird größere Möglichkeiten bieten. Gleichzeitig muß sich der Ver- sicherungsnehmer aber darüber klar sein, daß auch die Qualität inländischer und ausländischer Versiche- Anlage 6 rungen erheblich voneinander abweichen kann. Unsere deutschen Gesetze werden dafür sorgen, daß Zu Protokoll gegebene Reden Verträge inländischer Versicherungsunternehmen zu Tagesordnungspunkt 13 schärfere Anforderungen erfüllen, als sie die EG (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) fordert. „Made in " wird so als Qualitäts- merkmal auch im Versicherungsbereich europaweit Einzug halten. Gunnar Uldall (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der ab- Ein Indiz für unsere Absicht, es nicht an „deutscher schließende Baustein in das Gebäude eines einheitli- Gründlichkeit" bei der Prüfung der Versicherungsun- chen EG-Versicherungsmarktes eingefügt. Künftig ternehmen mit Sitz in Deutschl and und unter deut- können Versicherer ihre Produkte ohne Hindernisse scher Behördenaufsicht fehlen zu lassen, mag der in der Europäischen Union anbieten und Verbraucher dezente Hinweis unter der Rub rik „Kosten" des vor- ein europaweites Angebot an Versicherungsleistun- liegenden Gesetzentwurfs sein. Ich zitiere: „Das gen nutzen. Gesetz wird eine Personalverstärkung im Bundesauf- Unter dem Arbeitstitel „Drittes Durchführungsge- sichtsamt für das Versicherungswesen erfordern." Im setz/EWG zum VAG" — übrigens wieder einmal Klartext heißt dies, die Aufsicht wird nicht abgebaut, gelungen in feinstem Behördendeutsch — findet sich sondern weiter ausgebaut. Nebenbei bemerkt: Die ein ganzes Bündel von Gesetzesänderungen in allen Kosten werden zu 90 % durch die beaufsichtigten wesentlichen Versicherungsgesetzen und Nebenge- Versicherungsunternehmen erstattet. So trägt die setzen. 15 Artikel — allein der erste Artikel zur deutsche Versicherungswirtschft die Kosten für die Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes mit Gewährleistung ihres hohen Standards größtenteils 81 Unternummern — stellen sich zu unserer Begut- selbst. Ich hielte es für falsche Bescheidenheit, wenn achtung dar. Allen Bedenkenträgern, die mit dem Versicherungen mit Sitz in Deutschland dieses beson- liberalisierten EG-Binnenmarkt schon das Chaos im dere Qualitätsniveau verschweigen würden. Ich kann Versicherungsgewerbe ausbrechen sahen, mag be- mir gut vorstellen, daß die hohe Leistungsfähigkeit reits der Umfang der Gesetzesneufassung deutlich erhebliche Nachfrage nach deutschen Versicherungs- zeigen, daß auch unter den neuen Vorgaben der EG leistungen auch bei unseren EG-Nachbarn auslösen eine erhebliche Regelungsdichte bleibt. wird. Heute sind Verbraucher nicht ausschließlich preisfixiert, sondern auch qualitäts- und servicebe- Die gebotene Umsetzung der EG-Richtlinien insbe- wußt. Was hat man von der billigsten Versicherung, sondere zur Schadens-, Lebens- und Kraftfahrzeug- wenn diese im Schadensfall nicht leistungsbereit Haftpflichtversicherung in deutsches Recht wird nicht ist? den befürchteten „Big B ang" für die deutsche Versi- cherungswirtschaft bringen und auch nicht den deut- Daß auch der vorliegende Gesetzentwurf noch schen Verbraucher schutzlos lassen. Unter Beachtung Diskussionsbedarf hat, soll nicht verschwiegen wer- der EG-Vorgaben bleiben auch künftig die bewährten den. Zwei Gesichtspunkte dürften eine größere Rolle deutschen Rechtsgestaltungen zum Schutz des Ver- spielen: erleichterte Praktikabilität und verbesserte brauchers und zur Leistungsfähigkeit der deutschen Transparenz für den Verbraucher. Die umfassenden Versicherungsunternehmen erhalten. Informationspflichten des § 10 a VAG sind grundsätz- Neu an den Vorgaben der EG für die Vollendung lich zu begrüßen. Fraglich ist aber der richtige Zeit- des Binnenmarktes im Bereich des Versicherungswe- punkt. Damit es nicht zu einer unnötigen Papierflut sens ist vor allem die Einführung eines europäischen kommt, wäre daran zu denken, dem Kunden die Passes für Versicherungsunternehmen mit Sitz inner- Bestimmung des Zeitpunktes zu überlassen, zu dem halb der EG. Dieser ermöglicht EG-weite Geschäfte ihm die vollständigen Vertragsinformationen zukom- unter Aufsicht der Behörden nur noch des jewei ligen men sollen, und darauf auch das Rücktrittsrecht abzu- Herkunftslandes. Die staatliche Aufsicht hat sich stimmen. An eine verbesserte Handhabbarkeit ist künftig im wesentlichen auf die finanzielle Solidität auch bei späteren Vertragsanpassungen zu denken, eines Versicherungsunternehmens zu beschränken. die z. B. durch eine geänderte Rechtsprechungspraxis Eine Vorabgenehmigung von Musterverträgen, wie notwendig werden könnten. Hier sollte das Versiche- sie bislang noch vom Bundesamt für das Versiche- rungsvertragsgesetz im Sinne einer Regelung nach rungswesen praktiziert wird, entfällt. Ebenso entfällt „billigem Ermessen" eine größere Flexibilität zeigen. die Tarifgenehmigungspflicht. Künftig hat der Versi- Selbstverständlich unter Wahrung der Verbraucher- cherungskunde ein erheblich erweitertes Angebots- interessen, insbesondere der Gewährung eines außer- feld, aber auch eine größere Verantwortung zur kriti- gewöhnlichen Kündigungsrechts. 18748' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Besonders negativ für das Preisniveau der einzel- bringt nämlich gerade im Verbraucherschutz eine nen Versicherungsleistung könnte sich die Möglich- beachtliche positive Fortentwicklung. Als erstes keit auswirken, daß nachfragestarken Versicherungs- erwähne ich: Wir bekommen eine Systemänderung. nehmern eine Provisionsabgabe zugestanden werden Vom Verbraucherschutz durch fürsorgliche Beamte kann. Dabei ist zu überlegen, ob nicht mit der Aufhe- am grünen Tisch gehen wir über zum Verbraucher- bung des Provisionsabgabeverbots in § 81 Abs. 2 schutz durch Wettbewerb in der harten Realität. Ich Satz 3 und 4 VAG der Vorteil des marktstarken erwarte davon ein gutes Stück mehr Praxisnähe. Vom Versicherungsnehmers mit dem Nachteil einer Ver- Verbraucherschutz durch Produktvereinheitlichung teuerung des Versicherungsschutzes für die Gesamt- — mich erinnert er an die Märkte des Mangels mit heit der Versicherten erkauft wird. Schließlich sollten einigen Kartoffeln und Weißkohlköpfen — vom Ver- wir uns über die praktischen Erfahrungen mit den braucherschutz durch Produkteinfalt gehen wir zum 1990 eingeführten Laufzeitregelungen bei Rabattge- Verbraucherschutz durch Produktvielfalt. Die Berei- währung und den damit in einem Zusammenhang cherung, die der Bonner Gemüsemarkt durch Euro- stehenden Kündigungsregelungen berichten lassen. päisierung erlangt hat, wird auch der Versicherungs- Große Bedeutung für die Versicherungswirtschaft markt dem Verbraucher künftig bieten können. hat die Frage der Kapitalanlagevorschriften. Wir wer- Die bisherige Vorzensur allgemeiner Versiche- den uns in den Ausschußberatungen darüber Gedan- rungsbedingungen durch die Beamten bei den Versi- ken zu machen haben, ob im Bereich der Streuungs- cherungsbehörden des Bundes und der Länder wird vorschrift des § 54 a Abs. 4 b VAG nicht zuviel des ersetzt durch die nachträgliche gerichtliche Kontrolle Guten geregelt wurde. Nach den Dritten Versiche- der von den Unternehmen in voller Eigenverantwor- rungsrichtlinien darf ein Versicherungsunternehmen tung verfaßten Bedingungstexte. Hier wird nicht mehr bei einem einzelnen Schuldner maximal 5 % des unternehmerische Verantwortung bei den Behörden gebundenen Vermögens anlegen. Dieses ist aus Risi- abgeladen. Hier ist die volle Eigenverantwortung der kostreuungserwägungen durchaus richtig. Fragwür- Unternehmen für ihre Produkte gefragt. Mein Ein- dig ist aber die Wirkung des neuen § 54 a Abs. 4 b druck ist, daß die Marktteilnehmer erst im Laufe der VAG, nach dem als zusätzliche Höchstgrenze die Zeit erkennen werden, welch enorme Verschärfung Kapitalanlage bei einem Schuldner 25 % der Eigen- des Verbraucherschutzes in dieser neuen Konstruk- mittel des Versicherungsunternehmens nicht über- tion liegt. Um ihre allgemeinen Versicherungsbedin- schreiten darf und dabei auch noch die Anlagen bei gungen „rechtssprechungssicher" zu machen, wer- Konzernunternehmen mit hinzuzurechnen sind. Ge- den die Unternehmen genötigt sein, den zu erahnen- rade bei Lebensversicherungen dürfte ein Versicherer den Tendenzen der Rechtssprechung in weit voraus- diese doppelte Grenze leicht erreichten und könnte eilendem Gehorsam vorab zu entsprechen. dann gezwungen sein, in zweitklassige Anlagen aus- zuweichen. Berücksichtigt werden sollte bei der Frage Dennoch wird es natürlich in diesem oder jenem der Begrenzung von Anlagemöglichkeiten nach der Fall vorkommen,daß die Rechtssprechung allgemeine Höhe der Eigenmittel auch, daß deutschen Versiche- Versicherungsbedingungen, so wie sie am Markt rern durch die vorhandenen Sicherungssysteme wie entstanden sind, in einzelnen Elementen nicht akzep- Rückversicherung, Mitversicherung, Deckungsstock tiert. Für diese, aber auch für andere denkbare Fälle und Treuhänder zusätzliche Instrumentarien zur Risi- bedürfen die beteiligten Finanzdienstleistungsunter- kominderung zur Verfügung stehen. nehmen zum guten Funktionieren des Marktes einer Ich möchte meine Ausführungen mit der Feststel- Möglichkeit, die bestehenden Konditionen zu ändern. lung schließen: Es sind genügend Themen vorhanden, Dies muß unter wettbewerblichen Gesichtspunkten urn den Ausschußberatungen mit großem Interesse mit einem unkonditionierten Kündigungsrecht der entgegenzusehen. Versicherten gekoppelt werden. Wir werden den Gesetzentwurf darauf prüfen, ob er die zum guten Funktionieren eines befreiten Versicherungsmarktes Marita Sehn (F.D.P.): Eine Änderung des Versiche- rungsaufsichtsgesetzes verdient immer unsere beson- unumgänglichen Vorkehrungen enthält. Andere dere Aufmerksamkeit. Dies unter zwei Gesichtspunk- neue Kündigungsregeln sind jetzt nicht angesagt. ten: Sie be trifft wichtige Institutionen unseres Finanz- Im Vorfeld der Einbringung des Gesetzentwurfes dienstleistungssystems. Ein fein ausdifferenziertes spielte die Aushändigung allgemeiner Versiche- und gut funktionierendes Finanzdienstleistungssy- rungsbedingungen bereits eine große Rolle als Vor- stem ist wesentlicher Teil einer hochkomplexen aussetzung für ihre Einbeziehung in den Vertrag nach Volkswirtschaft wie der unseren. Mit diesen Institu- dem AGB-Gesetz. Zugleich ist dies bei der Ausgestal- tionen gilt es pfleglich umzugehen. Das bedeutet tung vorvertraglicher Informationspflichten von hoher nicht, alles so zu tun, wie sie es gerne hätten. Es Bedeutung. Die einschlägigen Regelungen dürfen bedeutet aber die Pflicht, sorgsam darauf zu achten, nicht nur gut gemeint sein, sie müssen wirksam sein. daß ihr gutes Funktionieren im Interesse der Volks- Wirksam sind sie, wenn der Versicherungsnehmer vor wirtschaft und des Verbraucherschutzes jederzeit Eingehung einer vertraglichen Bindung eine gut ver- gewährleistet ist. ständliche Produktinformation bekommt. Die Aus- Der zweite Punkt, unter dem eine Änderung des händigung der allgemeinen Versicherungsbedingun- Versicherungsaufsichtsgesetzes unser großes Inter- gen gibt ihm Steine statt Brot. Man könnte ihm esse verdient: Der Verbraucherschutz. Lassen Sie ebensogut eines unserer neuen Steuergesetze in die mich hierauf kurz eingehen. Das einzige, was an dem Hand drücken. Die sind noch unverständlicher. Ich vorliegenden Entwurf schade ist, ist die Tatsache, daß denke, wir tun statt dessen gut, auf die Aushändigung wir von Europa zu ihm gedrängt werden mußten. Er einer guten und verständlichen Produktinformation Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18749*

hinzuwirken, auf die sich der Versicherte auch im Unsere Forderungen sind nicht neu. Sie wurden Schadensfall erfolgreich berufen kann. schon bei der letzten Versicherungsnovelle 1990 kon- trovers diskutiert. Damals konnte man sich vielleicht Versicherung ist zunächst eine Veranstaltung des noch damit entschuldigen, daß die Wirkung dieser Versicherungsunternehmers. Dennoch sitzen alle Klauseln nicht abschätzbar war. Diesmal jedoch sollte Kunden eines Versicherers unter bestimmten Ge- die Bundesregierung wenigstens ihre eigenen Er- sichtspunkten in einem Boot. Wo etwa Gewinnbetei- kenntnisse berücksichtigen. Am ligungsversprechen gegeben wurden, muß darauf 14. Oktober 1992 hat Finanzen einen Be richt an den geachtet werden, daß nicht eine Gruppe von Versi- der Bundesminister der Finanzausschuß gegeben, in dem u. a. folgende Aus- cherten zu Lasten der anderen bevorzugt bedient wird. Es gibt auch andere Konstellationen, in denen führungen des Bundesaufsichtsamtes wiedergegeben das eine Rolle spielen kann. Über die notwendige werden: „Das gemäß § 8 Abs. 3 VVG bestehende Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers bei Ver- Reichweite entsprechender Gleichbehandlungs- grundsätze, manche sprechen auch von Begünsti- trägen mit einer mehr als dreijährigen Laufzeit kommt in der Praxis kaum zum Zuge. Die Versicherer schiie- gungsverboten, wird im weiteren Gesetzgebungsver- Ben dieses Recht regelmäßig dadurch aus, daß sie die fahren noch zu reden sein. Das spielt vor allem in der im Gesetz vorgesehenen alternativen Laufzeiten von Lebensversicherung eine Rolle. einem Jahr, drei, fünf und zehn Jahren anbieten und In der Krankenversicherung gab es in den letzten für Verträge mit einer Dauer von fünf und mehr Jahren Jahren große Sorgen wegen der Höhe der Prämienan- einen Prämiennachlaß einräumen. Versicherer, die hebungen für ältere Versicherte. Die F.D.P.-Bundes- vor Inkrafttreten der Neuregelung höchstens Fünfjah- tagsfraktion wird darauf hinwirken, daß die Bundes- resverträge angeboten haben ..., schließen nunmehr regierung diesen Bereich durch ein wissenschaftli- auch Zehnjahresverträge ab. Eine dem Schutz des ches Gutachten umfassend auf seine Bedeutung und Versicherungsnehmers dienende Vorschrift wie § 8 auf die verschiedenen denkbaren Problemlösungs- Abs. 3 VVG hat damit dazu beigetragen, daß sie den strategien ausleuchten läßt. Erst nach solcher Vorbe- Abschluß von langjährigen Verträgen eher gefördert reitung wird das Parlament verantwortlich entschei- als gehemmt hat." den können. Was folgert die Bundesregierung daraus? Sie legt Wir haben einen äußerst dicken und komplizierten zunächst einen Teildiskussionsentwurf vor, der ein Gesetzentwurf vor uns. Ich hoffe, wir werden durch jährliches Kündigungsrecht nach drei Jahren Ver- seine Beratung und Verabschiedung Wettbewerb, tragsdauer vorsieht. So weit, so gut. Nach der Anhö- Leistungsfähigkeit und Effizienz des deutschen und rung der Verbände, die Versicherungswirtschaft ein- des europäischen Versicherungsmarktes beachtlich geschlossen, ist dieser Passus verschwunden. Damit steigern können. Darauf lassen Sie uns gemeinsam aber die Verbraucherinnen und Verbraucher vom hinwirken. umfassenderen Angebot im Binnenmarkt profitieren können und eine rasche Lösung von nachteiligen Kurt Palis (SPD): Mit dem Ihnen vorliegenden Verträgen ermöglicht wird, müssen die Kündigungs- Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung und Widerrufsrechte erweitert werden. versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rats der Wir brauchen Europäischen Gemeinschaften soll die Vollendung erstens die Beendigung der faktischen 10-Jahres- des Binnenmarktes nun auch im Bereich des Versiche- Bindung bei Versicherungsabschlüssen, rungswesens erreicht werden. Welches sind die wich- tigsten Eckpunkte der „Europäisierung" unseres Ver- zweitens Kündigungsmöglichkeit bei jeder Prämie- sicherungswesens? Durch den Wegfall der Vorabge- nanpassung mit Klarstellung der Kündigungsfrist, nehmigung der Versicherungsbedingungen durch die drittens außerordentliche Kündigungsrechte bei Aufsichtsbehörde und durch den Wegfall der Tarifge- sozialen Notlagen sowie bei irreführender und unvoll- nehmigungen wird das bisherige Recht wohl am ständiger Information, meisten verändert. Ob dies zu einer kleinen sozialen viertens Ausweitung der Widerrufsrechte analog Revolution führt, hängt davon ab, ob das im bisherigen zum Haustürwiderrufs- und Verbraucherkreditge- deutschen Verfahren enthaltene Moment der Verläß- setz, lichkeit — Verläßlichkeit zum Nutzen der Versiche- rungskunden — mit der Liberalisierung gewahrt fünftens eine Gewähr dafür, daß die Sofortdeckung bleibt. nicht zur Umgehung des Widerrufsrechts mißbraucht wird. Wir werden darauf zu achten haben, daß die Lücke im Verbraucherschutz geschlossen wird, die durch die Fazit: Wir brauchen eine Änderung des Kündi- Aufgabe der Vorabgenehmigung von Ta rifen und gungsrechts. Wenn denn die Versicherungswirtschaft Versicherungsbedingungen entsteht. Wir werden uns eine größere Kundentreue erreichen und diese beloh- deshalb einsetzen für die Verankerung eines Trans- nen will, so ist sie daran keinesfalls gehindert. Wir parenzgebots, eine umfassende und vor allem ver- Sozialdemokraten sind der Meinung, daß Kundenbin- ständliche Kundeninformation, insbesondere durch dung über attraktive Angebote und gute Kundenbe- gut vergleichbare Standards und Leitindikatoren wie treuung, nicht über Zwangsbindung, die Devise sein beispielsweise die Effektivverzinsung bei kapitalbil- muß. denden Versicherungen, verbesserte Kündigungs- Ein weiterer zentraler Komplex sind für uns die und Widerrufsrechte sowie Regelungen zur Haftung Informationsrechte. Analog zum produktbezogenen von Versicherungsvermittlern und zum Insolvenz- Verbraucherschutz müssen Dienstleistungsanbieter schutz von Unternehmen. verpflichtet werden, „sichere" Leistungen auf den 18750' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Markt zu bringen. Bei der Angebotsgestaltung spielt setzungen um die konkreten Inhalte der Informations- also die Transparenz eine ganz wesentliche Rolle. pflichten wären also vorprogrammiert. Insgesamt ist die Sicherung des Wettbewerbs undenk- In diese Linie paßt, daß die Bundesregierung der bar ohne eine starke Nachfrageseite. Dies erfordert in Versicherungswirtschaft selbst in Detailfragen entge- erster Linie eine möglichst umfassende und vor allem gengekommen ist. Aufgegriffen wurde beispielsweise verständliche und gut vergleichbare Information. der Vorschlag des Verbandes der P rivaten Kranken- Hierzu ist eine an den Verbraucherinteressen orien- kassen, daß für Adoptivkinder ein bis zu doppelt so tierte Vereinfachung und Vereinheitlichung der Infor- hoher Versicherungsbeitrag im Vergleich zu leibli- mationsfülle ebenso notwendig wie eine Verpflich- chen Kindern erhoben werden darf. Die Begründung: tung zur Unterscheidung von Versicherungsleistun- höhere Krankheitsrisiken bei ausländischen Kindern. gen für den Grundversicherungsschutz. Meine verehrten Damen und Herren, instinktloser Sehr geehrte Damen und Herren, nun schreibt der geht es nun wirklich nicht! Gesetzentwurf dem Versicherer eine Reihe von Infor- Meine Damen und Herren, ich habe mich ganz mationspflichten vor. Hierzu zählen insbesondere der bewußt auf einige Schwerpunktthemen des Verbrau- Grundsatz der umfassenden Unterrichtung der Versi- cherschutzes konzentriert. Selbstverständlich verdie- cherungsnehmer über das Angebot und die Versiche- nen auch die veränderten Kapitalanlagevorschriften rungsbedingungen. Das geht von Name, Anschrift des — etwa im § 54 a der Vorlage — unsere ganze Unternehmens über Art, Umfang und Fälligkeit der Aufmerksamkeit. Die Sicherheit des Deckungsstock- Leistung bis zur Prämienspezifikation und der vermögens und des übrigen gebundenen Vermögens Adresse der Beschwerdeinstanz Versicherungsauf- liegen ja im Zentrum des Interesses sowohl der sichtsamt. Beim Abschluß von Lebensversicherungen Versicherungsunternehmen als auch vor allem ihrer sowie Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr Kunden, der Versicherten. In der von meiner Fraktion müssen zusätzlich Überschußkonditionen benannt, beantragten Expertenanhörung werden auch dazu Rückkaufswerte und beitragsfrei gestellte Versiche- noch viele Fragen zu beantworten sein. rungssummen dargestellt werden. Ja selbst allge- Die Chance, die Novelle für weitergehende Ände- meine Angaben über relevante Steuerregelungen rungen im Sinne eines vorsorgenden Verbraucher- werden verlangt. schutzes zu nutzen, ist mit den anstehenden Aus- Alles wichtig und lange von uns gefordert! Wir schußberatungen erneut gegeben. Die SPD hat hierzu werden aber in den Ausschußberatungen nicht umhin in ihrem Entschließungsantrag „Vorsorgender Ver- können, zu fragen, wie diese Informationsflut sinnvoll braucherschutz im europäischen Versicherungswe- zum Kunden transportiert werden soll. Denn trotz sen" schon im September des vergangenen Jahres einer nicht zu leugnenden „Abspeckung" gegenüber umfassende Vorschläge vorgelegt. Sie werden auch dem Referentenentwurf ist die Gefahr nicht von der bei den Ausschußberatungen das Maß unserer Hand zu weisen, daß wir den Versicherungsnehmer Zustimmungsbereitschaft abgeben. überfordern und letztlich verunsichern. Der Kunde soll immerhin „vor Abschluß" informiert werden. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär beim Wann ist das genau? Vor Antragsunterzeichnung? Bundesminister der Finanzen: Der von der Bundesre- Zwischen Antrag und Police? Oder reicht noch das gierung vorgelegte Gesetzentwurf dient in erster Zusenden von Informationsmaterial mit der Police, Linie der Umsetzung von drei Richtlinien der EG, und zumal ja noch ein Rücktrittsrecht terminiert ist? zwar der 3. Schadensversicherungsrichtlinie, der 3. Lebensversicherungsrichtlinie und der Dienstlei- Ich bin nicht sicher, ob der folgende Satz aus der stung-Richtlinie in der Kraftfahrt-Haftpflichtversiche- Begründung wirklich schon der Weisheit letzter rung. Mit diesen Richtlinien wird —von Randgebieten Schluß ist: „Ein genauer Zeitpunkt, wann eine Infor- abgesehen — der Schlußstein für das europäische mation noch vor Abschluß des Vertrages erfolgt, ist in Gebäude der Versicherungsaufsicht gesetzt. Dies der Richtlinie nicht festgelegt und soll auch gesetzlich bedingt eine der einschneidendsten Änderungen im nicht geregelt werden, damit den Besonderheiten System des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts einzelner Versicherungsarten und Vertriebsformen seit Erlaß des Versicherungsaufsichtsgesetzes im Rechnung getragen werden kann und Raum für Jahre 1901. vertragliche Vereinbarungen bleibt. " Ich bin davon noch nicht überzeugt, meine Damen und Herren! Vor Im Mittelpunkt steht die Einführung des Herkunfts- allem aber gehören diese Verbraucherinformationen landprinzips, d. h., die Versicherer in der Gemein- in das Versicherungsvertragsgesetz und nicht — wie schaft bedürfen nur einer einzigen Zulassung durch es die Bundesregierung anstrebt — in das Versiche- die Aufsichtsbehörde ihres Sitzlandes, um in der rungsaufsichtsgesetz. ganzen Gemeinschaft tätig sein zu können. Auch das materielle Aufsichtsrecht richtet sich weitgehend Der auch an dieser Stelle falsche Ansatz hat zur nach dem Sitzlandrecht. Dieses Prinzip ist im Bereich Folge, daß der Versicherte seine Rechte nicht direkt der Finanzaufsicht vollständig durchgeführt. Wer mit beim Versicherungsunternehmen geltend machen einem Versicherer mit Sitz in einem anderen Mitglied- kann. Er ist vielmehr gezwungen, den Umweg über staat abschließt, vertraut sich damit insoweit auch der das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen ausländischen Aufsicht an. Im übrigen Bereich der zu machen. Das Bundesaufsichtsamt wiederum ist Aufsicht finden auf die Versicherer mit Sitz in anderen nicht befugt, die Belange der einzelnen Versicherten Mitgliedstaaten auch nur die inländischen Vorschrif- zu vertreten. Es kann seine Aufgaben nur im öffentli- ten Anwendung, die im Allgemeininteresse geboten chen Interesse wahrnehmen. Weitere Auseinander- sind. Dabei hat die Bundesregierung allerdings im Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18751*

Interesse der Verbraucher die Möglichkeiten voll Annahmezwang in modifizierter Form auch künftig ausgeschöpft, die ihr die Richtlinien in dieser Hinsicht vor. Der Versicherer ist verpflichtet, Anträge auf lassen. Kraftfahrt-Haftpflichtversicherungsschutz mit einem dem Risiko gerechten Angebot zu beantworten. Dabei Auch die weiteren in den Richtlinien enthaltenen kann z. B. die Staatsangehörigkeit keine Rolle spie- Harmonisierungsmaßnahmen wirken sich unmittel- len, weil sie für sich in der Kraftfahrt-Versicherung bar auf die Verbraucher aus. Von besonderer Bedeu- kein Risikofaktor ist. Das durch die Tariffreigabe tung ist der Wegfall der vorherigen behördlichen erhöhte Konkursrisiko auf seiten der Versicherer wird Genehmigung der allgemeinen Versicherungsbedin- in bezug auf die Verkehrsopfer durch eine entspre- gungen. Eine solche förmliche Genehmigung ist in chende Leistungspflicht des Entschädigungsfonds aus den anderen Mitgliedstaaten nicht bekannt. Durch die Kraftfahrzeugunfällen aufgefangen. Freigabe wird sich die Angebotspalette auf dem Versicherungsmarkt vermutlich vergrößern. Anderer- Der Gesetzentwurf wird zum Anlaß genommen, seits werden die Verbraucher mehr als bisher prüfen weitere Regelungen zu treffen, die nicht unmittelbar und vergleichen müssen, welcher Versicherungs- mit den Richtlinien verbunden sind. Ich erwähne schutz ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Her- beispielhaft die neuen Vorschriften im VAG für die vorheben möchte ich in diesem Zusammenhang, daß private Krankenversicherung, mit denen das Ziel die Generalklausel des deutschen Versicherungsauf- verfolgt wird, zu einer Entlastung für ältere Versi- sichtsrechts aufrechterhalten wird. Danach hat die cherte zu kommen. Ein weiterer Punkt ist die Aufhe- Aufsichtsbehörde darauf zu achten, daß keine Miß- bung des sogenannten Begünstigungs- und Provi- stände im Versicherungsbereich entstehen, die die sionsabgabeverbots. In einer wettbewerbsorientier- Belange der Versicherten gefährden. Wenn die Auf- ten Wirtschaft sind derartige Regulierungen nicht sichtsbehörde auch die Bedingungen nicht vor Auf- mehr angebracht. Hinzu kommt, daß hier eine erheb- nahme des Geschäftsbetriebs genehmigen muß, so liche „Grauzone" besteht, die — wie die Vergangen- bleibt doch die Möglichkeit, bei Bekanntwerden von heit gezeigt hat — von den Aufsichtsbehörden nicht Mißständen korrigierend einzugreifen. Dies wird wirksam bekämpft werden kann. Betonen möchte ich, nach dem Entwurf auch für die Versicherer aus daß in der Lebensversicherung und der nach Art der anderen Mitgliedstaaten gelten; denn es handelt sich Lebensversicherung bet riebenen Krankenversiche- nach unserer Meinung um eine Regelung, die im rung der Gleichbehandlungsgrundsatz — nicht dage- Allgemeininteresse geboten ist. gen das Provisionsabgabeverbot — aufrechterhalten werden soll. Auch die vorherige Genehmigung der Rechnungs- grundlagen in der Lebens- und der Krankenversiche- Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß das rung wird entsprechend den Richtlinien entfallen. In Gesetz unbedingt am 1. Juli 1994 in Kraft treten muß. diesem Bereich sehen wir nach britischem Vorbild vor, Das durch die Richtlinien eingeführte Herkunftsland- daß jeder Versicherer einen sogenannten Verantwort- prinzip kann nur funktionieren, wenn es in allen lichen Aktuar zu bestellen hat, dessen Aufgabe es ist, EG-Staaten zum gleichen Zeitpunkt angewendet auf die Einhaltung ausreichender Rechnungsgrundla- wird. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn der vorge- gen zu achten und bei Verstößen auch der Aufsichts- sehene Zeitplan eingehalten werden könnte. behörde Mitteilung zu machen. Diese kann dann mit ihren Mitteln eingreifen. Damit wird auch hier ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wettbewerb ei- nerseits und notwendigem Verbraucherschutz ande- rerseits hergestellt. Anlage 7 Der Wegfall der Genehmigung für die Rechnungs- Zu Protokoll gegebene Reden grundlagen führt zu Anpassungen im Versicherungs- zu Tagesordnungspunkt 14 vertragsrecht bei der Lebensversicherung, die bisher (Grundstoff überwachungsgesetz) auf einheitlichen Rechnungsgrundlagen beruhte. Da die private Krankenversicherung bisher im Vertrags- recht nicht speziell geregelt ist, sehen wir eine um- Editha Limbach (CDU/CSU): Mit dem Grundstoff- fangreiche Kodifizierung mit zahlreichen zwingenden überwachungsgesetz, das wir heute in erster Lesung Vorschriften vor, von denen zu Lasten der Versicher- im Parlament behandeln, wird ein ergänzender Schritt ten nicht abgewichen werden darf. Damit wird die in der Bekämpfung der Drogenkriminalität getan. Aufrechterhaltung des bisherigen Standards gewähr- Alle, die sich mit der Drogenproblematik beschäfti- leistet. gen, wissen, daß aus Naturprodukten wie Mohn oder Auch in der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung wird Cannabis Drogen nur mit Hilfe von Chemikalien der bislang durch genehmigte Bedingungen sicherge- hergestellt werden können, wenn auch — leider muß stellte Schutz von Verkehrsopfern und Versicherten das so festgestellt werden — das Verfahren nicht künftig durch Gesetz und Rechtsverordnung gewähr- besonders kompliziert sein soll. Daß zur Herstellung leistet. Obwohl auch hier die Tarifgenehmigung auf- der sogenannten Designer-Drogen, also der chemi- gehoben werden muß, ist gewährleistet, daß jeder schen Drogen, diese Grundstoffe mißbraucht werden Kraftfahrzeughalter zu angemessenen Versiche- könnten, ergibt sich aus der Sache selbst. Deshalb ist rungsprämien den Versicherungsschutz erlangen es auch richtig und notwendig, alles nur mögliche zu kann. Es kann nicht hingenommen werden, daß tun, damit in Deutschland hergestellte Grundstoffe Ausländer oder andere Bevölkerungsgruppen diskri- zur illegalen Herstellung von Drogen weder hier bei miniert werden. Deshalb schreibt der Entwurf den uns noch in anderen Ländern mißbraucht werden. 18752' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Selbstverständlich ist dies auch bisher schon in der Rauschgiftherstellung zu behindern. Wir haben nur Bundesrepublik und in anderen Industriestaaten auf dann eine Chance, die Rauschgiftproduktion am Nerv nationaler Ebene durch entsprechende Maßnahmen zu treffen, wenn wir international vorgehen. Deshalb geschehen. Auch mit Erfolg, wie die Aufdeckung von haben die Vereinten Nationen, die Mitgliedstaaten Rauschgiftlabors und die dadurch mögliche Beschlag- des Weltwirtschaftsgipfels und die Europäische Union nahme von Rauschgift und Verhaftung von Dealern internationale Empfehlungen und Kontrollvorschrif- beweist. Aber Drogenkriminalität ist eben inte rnatio- ten für Grundstoffe verabschiedet. Ein großer Teil nal und grenzüberschreitend. Dies haben auch die dieser Vorschriften wird bereits in Deutschland ange- Vereinten Nationen, das Europäische Parlament und wendet. Ich erinnere nur daran, daß seit dem 1. Januar die Europäische Kommission erkannt. Insofern dient 1993 nur noch mit einer Ausfuhrgenehmigung des dieses Gesetz auch der ergänzenden Umsetzung Bundesgesundheitsamtes Grundstoffe in kritische international vorgesehener und in der EU verbindli- Länder ausgeführt werden dürfen. Bevor diese cher Regelungen. Genehmigung erteilt wird, wird die Zuverlässigkeit Wir sprechen also heute — wenn auch der kompli- des Lieferanten und des Empfängers streng geprüft. zierte Name und die Formulierung der Zielsetzung Mit dem Grundstoffüberwachungsgesetz soll dieses des Gesetzes es nicht für jedermann auf Anhieb Sicherheitsnetz noch dichter geknüpft werden. Es erkennbar machen — über ein Gesetz, das helfen geht dabei vor allem um Rechtsgrundlagen für bes- kann, die Herstellung illegaler Drogen zu erschweren. sere grenzüberschreitende Kon trollen des Inverkehr- Gerade weil die Drogenkonsumenten immer jünger bringens von Grundstoffen im Binnenmarkt und für werden und vielfach gerade sogenannte Modedrogen die Strafverfolgung von verbotenen Transaktionen zum Rauschgiftkonsum verführen, halte ich dieses mit diesen Basischemikalien. Außerdem soll der Gesetz auch für wichtig. Es muß gelingen, die illegale grenzüberschreitende Informationsaustausch zwi- Abzweigung der in Frage kommenden Grundstoffe schen den nationalen Kontrollbehörden intensiviert zur Drogenherstellung durch Kontrolle, Registrie- und beschleunigt werden. Die Aufgaben der Überwa- rung, Meldepflicht sowie Bußgeld- und Strafvorschrif- chung und Kontrolle des Grundstoffverkehrs sollen ten einzudämmen, ja, zu verhindern. wie bei den Betäubungsmitteln den zuständigen Bun- Der Kampf gegen Drogen muß auf vielen Feldern desbehörden, insbesondere den Zollbehörden, dem geführt werden — dieses Gesetz leistet einen Beitrag Bundeskriminalamt und der Bundesopimumstelle im dazu. Institut für Arzneimittel des Bundesgesundheitsamtes übertragen werden.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl Parl. Staatssekretärin Meine Damen und Herren, solche Kontrollen kön- beim Bundesminister für Gesundheit: Mit Begriffen nen nicht ohne die Mithilfe der Länder funktionieren, kann es manchmal genauso sein wie mit alten aus denen Rauschgifte kommen. Die Kommission der Gewohnheiten: Es ist schwer, sich von ihnen zu lösen. Europäischen Union hat deshalb auch den sechs Man hat sie benutzt, ohne sich zu fragen, ob sie ASEAN-Mitgliedstaaten den Abschluß eines Abkom- eigentlich stimmen. In der Drogenpolitik gibt es so mens über die Grundstoffkontrolle angeboten. Wir einen Begriff, der zum Standard-Repertoire gehört, an gehen davon aus, daß wir im kommenden Jahr diese den man sich gewöhnt hat, weil er von allen für richtig Abkommen unter Dach und Fach bringen können. Es gehalten wurde. Ich meine den Begriff „Drogenher- ist auch geplant, gleiche Abkommen mit den lateina- kunftsländer". Wir unterscheiden immer zwischen merikanischen und osteuropäischen Staaten zu Drogenkonsumländern und Drogenherkunftslän- schließen. Auch hier stehen die Zeichen nicht dem. Im Prinzip ist das auch nicht falsch. Aber wir schlecht. sollten nicht vergessen, daß die Produktion insbeson- Meine Damen und Herren, die Fortschritte in den dere von Heroin und Kokain ohne bestimmte Basis- Verhandlungen mit diesen Ländern hängen auch chemikalien überhaupt nicht möglich ist. Diese Che- davon ab, wie wir unsere Hausaufgaben erledigen, ob mikalien kommen in aller Regel aus den sogenannten es uns gelingt, einen wichtigen Beitrag zur Grund- Drogenkonsumländern. stoffkontrolle zu leisten. Das Grundstoffüberwa- Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, zu verhindern, chungsgesetz ist ein wichtiger Schritt in diese Rich- daß solche Grundstoffe für die illegale Rauschgiftpro- tung. Es hat Pilotfunktion. Wir sollten diese Chance duktion abgezweigt werden können. Nationale nutzen. Alleingänge allein reichen nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen. Wir brauchen ein weltweites Kontrollsy- stem. In Deutschl and haben zwar die chemische Industrie und die Polizeibehörden seit vielen Jahren mit gutem Erfolg illegale Grundstofflieferungen ein- Anlage 8 gedämmt. Mehrere Dutzend Rauschgiftlabors konn- ten aufgespürt, zahlreiche Drogendealer festgenom- Zu Protokoll gegebene Reden men und große Mengen Rauschgift beschlagnahmt zu Tagesordnungspunkt 15 werden. In anderen Industriestaaten gibt es mittler- (Medizinproduktengesetz) weile ähnliche Kontrollsysteme. Aber ich sage noch einmal: Mit einzelstaatlichen Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim): Erstens. Das heute Kontrollen wird es nicht möglich sein, den weltweiten abend in erster Lesung beratene Gesetz über den Handel mit Grundstoffen ausreichend zu kontrollie- Verkehr mit Medizinprodukten transformiert zwin- ren und vor allem die Verwendung für die illegale gende EG-rechtliche Vorgaben, nämlich die Richtli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18753* nie des Rates über aktive implantierbare medizinische Medizinprodukte. Die qualitätsorientierte Normung Geräte sowie die Richtlinie des Rates über Medizin- und Standardisierung der Voraussetzungen, unter produkte in deutsches Recht. Das Gesetzgebungsvor- denen Medizinprodukte in Verkehr gebracht und haben ist dringlich, da die EG-Richtlinien ein Inkraft- damit am Menschen Anwendung finden können, treten der binnenstaatlichen Regelungen zum 1. Ja- sowie die Überwachung dieser Standards ist der Weg, nuar 1995 erfordern. Ohne nationale Regelung wer- mit dem dieses Ziel erreicht werden soll. Daß dies den bei uns die EG-rechtlichen Vorgaben direkt gerade im Bereich medizinischer Hochtechnologie Anwendung finden. Wir werden uns daher im Rah- auch von lebenserhaltender Bedeutung sein kann, ist men der parlamentarischen Beratungen im Gesund- offensichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß heitsausschuß des Deutschen Bundestages für eine beispielsweise Herzschrittmacher unter den Anwen- schnelle und sachliche Beratung des Regierungsent- dungsbereich des Medizinproduktegesetzes fallen wurfs einsetzen, um das Gesetzgebungsvorhaben werden. Der mit dem Gesetzentwurf eingeschlagene noch im Frühsommer diesen Jahres abschließen zu grundsätzliche Weg, nämlich der, mit der Zulassung können. von diesen Produkten „benannte Stellen", d. h. p ri -vate Stellen und nicht öffentlich-rechtliche Zulas- Zweitens. Der Europäische Rat verfolgt mit den sungsbehörden zu be trauen, ist innovativ und rich- oben genannten Richtlinien im Rahmen seiner Bin- tungsweisend. Dieses „TÜV-Modell", das p rivate nenmarktpolitik das Ziel der Harmonisierung dieses Unternehmen und ihre Innovationskraft mit der Pro- gesundheitspolitisch und auch wirtschaftspolitisch duktzulassung be traut, wird gerade im Hinblick auf nicht unbedeutenden Sektors. Dieses Ziel ist prägnant unsere Erfahrungen mit der Arzneimittelzulassung und legitim, wenn man sich beispielsweise den durch das Arzneimittelinstitut des derzeitigen Bun- gegenwärtigen Zustand der Rechtszersplitterung im desgesundheitsamtes mit Aufmerksamkeit zu beob- deutschen Recht vergegenwärtigt. Arzneimittelrecht, achten sein. Insofern darf und muß erwartet werden, Röntgenverordnung, Lebensmittel- und Bedarfsge- daß das Interesse der Gesundheitsvorsorge, d. h. des genständegesetz etc. sind nur einige der Vorschriften, Gesundheitsschutzes der Bevölkerung durch Geräte- die hier in diesem Sektor derzeit Anwendung finden. sicherheit und Produktqualität immer und überall Die Vereinheitlichung der Vorschriften über die Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen haben Zulassung von Medizinprodukten, d. h. von Produk- wird. Nur dann wird sich dieses Modell in diesem ten, angefangen vom Heftp flaster bis zum Herzschritt- hochsensiblen Bereich der Gesundheitsversorgung macher, ist daher gerade vor dem Hintergrund der unserer Bevölkerung auf Dauer bewähren. Ich gehe europäischen Entwicklung überfällig, auch wenn die davon aus, meine sehr verehrten Damen und Herren, Notwendigkeit eines „Euroheftpflasters" nicht so daß dies der Fall sein wird. ohne weiteres gesundheitspolitisch einsichtig ist. Die gefundenen Vorschriften des Medizinproduktegeset- Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf an den Gesund- zes werden insofern auch unter dem Gesichtspunkt heitsausschuß des Deutschen Bundestages zur feder- der Subsidiarität im Gesundheitsausschuß zu erörtern führenden Beratung zu überweisen. sein. Drittens. Die Harmonisierung und Standardisierung Detlef Parr (F.D.P.): Das Medizinproduktegesetz, der Zulassung von und des Verkehrs mit Medizinpro- über das wir heute diskutieren, verfolgt vier Ziele, die dukten ist auch notwendig als weiterer deutscher meiner Auffassung nach alle gleich wichtig sind. Es Beitrag zur Vervollständigung der europäischen Bin- soll eine ordnungsgemäße Versorgung mit Medizin- nenmarktpolitik. Daß der hier angestrebte Harmoni- produkten sicherstellen, die medizinische und techni- sierungseffekt gerade dem freien Warenverkehr in sche Sicherheit und Leistung von Medizinprodukten Europa entgegenkommen wird, liegt auf der Hand. gewährleisten, den Schutz von Patienten, Anwendern Das Medizinproduktegesetz ist insofern auch ein nicht und Dritten garantieren sowie den freien Warenver- unwesentlicher Beitrag zur Sicherung des Wirt- kehr aller mit einer CE-Kennzeichnung versehenen, schaftsstandortes Deutschland. Dies auch deswegen, in Deutschland hergestellten Medizinprodukte EG- da der Inlandsmarkt für Medizinprodukte mit ca. weit ermöglichen. Diese Exportmöglichkeit ist unter 25 Milliarden DM durchaus dem Arzneimittelmarkt in dem Gesichtspunkt, daß die Medizinprodukteindu- Deutschland vergleichbar ist. Da zudem die deut- strie in Deutschland nach den USA der größte Expor- schen Medizinproduktehersteller nach den Vereinig- teur ist, ja auch nicht ganz unbedeutend. Dadurch, daß ten Staaten von Amerika in diesem Bereich weltweit das Gesetz diese Exportmöglichkeiten in anderen führend sind, müssen die Mechanismen und Regula- Staaten der Europäischen Gemeinschaft unterstützt, tive des vorliegenden Gesetzentwurfs so gestaltet trägt es auch ein Stück bei zur Sicherung des Wirt- sein, damit das auch in Zukunft so bleiben kann bzw. schaftsstandorts Deutschl and. noch besser wird. Meine Damen und Herren, ich halte es für eine äußerst begrüßenswerte Sache, daß nunmehr die Viertens. Denn Spitzentechnologie ist für mich unstreitig ein wichtiger Baustein auch in qualitäts- medizinische und technische Leistung und Sicherheit orientierter Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. von Medizinprodukten in einem eigenen Gesetz gere- gelt wird. Bisher ist es bekanntlich so, daß die aktiven Gesundheitspolitik ist damit auch Technologiepoli- tik. implantierbaren Medizinprodukte dem Arzneimittel- gesetz und der Medizingeräteverordnung unterlie- Damit komme ich zum zweiten und wichtigsten gen. Die übrigen Medizinprodukte sind u. a. durch Anliegen des Gesetzgebungsvorhabens: Es geht um das Arzneimittelgesetz, wie z. B. Verbandstoffe oder die Sicherung und weitere Verbesserung von Qualität Implantate, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenstän- in der Versorgung der Bevölkerung im Bereich der degesetz, wie z. B. elastische Binden und Augenklap- 18754' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 pen, das Gerätesicherheitsgesetz mit der Medizinge- einbarungen und EU-Richtlinien hinaus und beschrit- räteverordnung, wie z. B. Hochfrequenz-Chirurgie- ten einen komplizierten Sonderweg. geräte oder Dialysegeräte, die Röntgenverordnung, die Strahlenschutzverordnung sowie das Eich- und Meßrecht geregelt. Für eine große Anzahl von Pro- Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Der vorlie- dukten, die zukünftig unter das Medizinproduktege- gende Gesetzentwurf der Bundesregierung über den setz fallen, bestanden zudem bisher keine Regelun- Umgang mit Medizinprodukten ist zunächst einmal gen. Dies gilt z. B. auch für ärztliche Instrumente. Das auf den Schutz der Patienten vor den Risiken einer zeigt deutlich, wie wichtig das Medizinproduktege- objektiv zunehmenden Anwendung technischer Pro- setz ist. dukte in der Gesundheitsversorgung insbesondere bei diagnostischen und therapeutischen Leistungen Auf der anderen Seite ist es kein ganz leichtes gerichtet. Das kann nur begrüßt werden. Er entspricht Unterfangen, so unterschiedliche Produkte wie Herz- diesem Ziel dadurch, daß die Hersteller von Medizin- schrittmacher, künstliche Gelenke, Verbandmittel, produkten u. a. verpflichtet werden, ihre Erzeugnisse Bestrahlungsgeräte oder Labordiagnostika in einer prüfen zu lassen, eine Qualitätssicherung zu gewähr- Regelung zusammenzufassen. Ich denke jedoch, daß leisten und dies auch eindeutig nachzuweisen. Das dies im Medizinproduktegesetz, wie es uns heute dient letztlich dann auch der Sicherheit der Anwen- vorliegt, gut gelungen ist, auch wenn sicherlich über der, als da sind: Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker, die eine oder andere Sache noch einmal eingehender aber auch derjenigen, die den Handel mit Medizin- in den Ausschußberatungen zu diskutieren ist. Ich produkten be treiben. Auf der Grundlage entspre- denke da z. B. daran, daß nicht unterschieden wird chender Kennzeichnungen werden die Anwender zwischen solchen Produkten, die selbst Strahlung zum weiteren verpflichtet, eine Kontrolle darüber aussenden und bei denen von daher der Strahlen- auszuüben, ob die Produkte am Menschen angewen- schutz be tr offen ist, und andererseits den Medizinpro- det werden dürfen. dukten, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet wurden, die selbst aber keine Strahlung Der Gesetzentwurf, der in weiten Teilen zugleich imitieren. eine Umsetzung einschlägiger Richtlinien der Euro- Äußerst begrüßenswert ist es, daß nunmehr für alle päischen Union in deutsches Recht darstellt, gewähr- Medizinprodukte eine klinische Bewertung notwen- leistet damit nicht zuletzt Kompatibilität innerhalb der dig ist. Diese darf allerdings erst dann beginnen, wenn EU, was in der Folge zum Wegfall von Handelshemm- eine zustimmende Stellungnahme einer Ethikkom- nissen führt. Ich denke, angesichts der Tatsache, daß mission zu dem Prüfplan vorliegt. Hier müssen wir der Export gerade von Medizintechnik deutlich men- darauf achten, daß es nicht dazu kommt, daß es in schenfreundlicher sein dürfte als der von Waffen oder Deutschland 16 verschiedene Rechtsvorschriften für anderen Rüstungsgütern, sollte m an auch das unein- Ethikkommissionen gibt. Denn damit wäre es nahezu geschränkt begrüßen. Gerade für die Wirtschaft eines unvermeidlich, daß bei mehreren Studien in verschie- Landes wie Deutschland als dem nach den USA denen Bundesländern in jedem Bundesland eine zweitgrößten Hersteller von Medizinprodukten ist das Ethikkommission gehört werden müßte, die bei unter- sicherlich von nicht zu unterschätzendem Gewicht. schiedlichen Ausgangskriterien auch zu unterschied- Durchaus erfreulich ist auch, daß diese Erleichterun- lichen Ergebnissen kommen könnten. Eine solche gen vor allem mittelständischen Unternehmen zugute Entwicklung würde darüber hinaus die Transparenz kommen, die bekanntlich das Gros der Hersteller von gefährden, die meines Erachtens für die uneinge- Medizinprodukten bilden. schränkte Verkehrsfähigkeit der Produkte in den Im einzelnen halte ich für das Gesetz folgende Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unumgäng- Ergänzungen für nützlich: lich ist. Erstens. Im Zusammenhang mit den im § 17 ange- Das Medizinproduktegesetz vollzieht eine tiefgrei- sprochenen klinischen Prüfungen von Medizinpro- fende inhaltliche und systematische Umgestaltung dukten sollte bei der erstmaligen Anwendung gänz- des für diese Produkte anzuwendenden Rechts, indem lich neuer physikalisch-technischer Verfahren — wie künftig der medizinische Zweck des Medizinproduk- dies beispielsweise vor Jahren auf die Lasertechnik tes vom Hersteller gegebenenfalls zu belegen ist und zutraf — ganz besondere Vorsicht walten. Das könnte ein Nachweis erfolgt, daß ein Medizinprodukt medi- beispielsweise dadurch geschehen, daß in solchen zinisch und technisch unbedenklich ist. Damit wird Fällen spezielle Fachkommissionen gebildet werden. eine hohe Qualität bei den Medizinprodukten Zu überlegen wäre übrigens auch, ob nicht der Begriff erreicht. „klinische Prüfung" durch „medizinische Prüfung" Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum ersetzt werden sollte, da keineswegs alle Prüfungen Abschluß noch einmal eine Erwartung aussprechen: von medizintechnischen Produkten in Kliniken erfol- Durch die Zusammenfassung der unterschiedlichsten gen. Ebenso wäre im Sinne des § 18, der die beson- Gesetze, die auch von der Systematik her unterschied- deren Voraussetzungen zur klinischen Prüfung bei lich an die Sache herangehen, wird es hoffentlich zu kranken Menschen formuliert, zu bedenken, die Auf- einer Vereinfachung bei den Medizinprodukten kom- klärungspflicht und Kontrolle in diesen Sonderfällen men. Keinesfalls kann es so sein, daß unnötiger einer Kommission von Ärzten und nicht nur einem Bürokratismus aufgebaut wird, der die einfachere einzelnen Arzt zu übertragen. Das könnte dabei Handhabung der Rechtsvorschriften behindert. Wir helfen, jegliche Manipulierung bei der Anwendung dürfen uns in diesem Zusammenhang auch nicht der neuer Medizinprodukte an Patienten auszuschlie- Kritik aussetzen, wir gingen über internationale Ver- ßen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18755*

Zweitens. Mit § 31 werden die Hersteller sinnvoller- Das zweite Ziel dieses Gesetzes besteht da rin, mehr weise verpflichtet, einen Sicherheitsbeauftragten für Klarheit in die Vielfalt der bisherigen Rechtsvorschrif- Medizinprodukte einzusetzen. Die fachliche Unab- ' ten zu bringen. Denn im Bereich der Medizinprodukte hängigkeit dieses Sicherheitsbeauftragten vom Leiter haben wir einen ganzen Basar von Zuständigkeiten. des Unternehmens sollte aber durch einen im Gesetz So gibt es beispielsweise das Arzneimittelgesetz, die ergänzend formulierten besonderen Kündigungs- Medizingeräteverordnung und verschiedene Rege- schutz noch stärker betont werden. lungen im Eich- und Meßwesen. In diesen Gesetzen Drittens. Zum „Medizinprodukteberater" laut § 32: und Verordnungen werden häufig nur Teilaspekte Der hohen Verantwortung dieses Beraters wird durch geregelt. Wir haben noch kein Gesetz, in dem alle eine mindestens einjährige Tätigkeit, die in Produkte mit allen medizinischen und technischen begründeten Fällen auch kürzer sein kann ... " nicht Aspekten gleichermaßen erfaßt werden. Genau das entsprochen. Deshalb sollte im Gesetzestext eine soll das Medizinproduktegesetz nachholen. deutlich längere Tätigkeit — das Minimum wäre etwa Gesundheitspolitische Bedeutung des Medizinpro- zwei Jahre — verlangt werden. duktegesetzes: Meine Damen und Herren, ich sage es Viertens. Mit § 38 wird geregelt, daß für Amtshand- noch einmal: Die große gesundheitspolitische Bedeu- lungen nach diesem Gesetz und den zugeörigen tung des Medizinproduktegesetzes liegt im Schutz Rechtsverordnungen Gebühren zu erheben sind. von Patienten, Anwendern und Dritten. Diese Schutz- Durch entsprechende zusätzliche Formulierungen bedürfnisse haben Vorrang vor allem anderen. Künf- sollte sichergestellt werden, daß die so entstehenden tig werden die Hersteller verpflichtet sein, die medi- Kosten nicht auf die Verbraucher abgewälzt werden zinische Zweckbestimmung einwandfrei zu belegen. können. Sie müssen den Nachweis erbringen, daß alles getan wurde, um Risiken soweit wie möglich zu reduzieren. Fünftens. Schließlich halte ich die Aufnahme einer Das ist ein großer Fortschritt und Gewinn für die Empfehlung an den Bildungsminister in das Gesetz für Patienten. Denn bisher war es nicht möglich, für die erforderlich, im Studium der Medizin und der Phar- meisten Medizinprodukte klinische Bewertungen und mazie fakultative Lehrveranstaltungen nicht nur über Risikoanalysen zu forde rn. Diese Forderungen sind das Arzneimittelgesetz, sondern nunmehr auch über aber von besonderer Bedeutung für die Gewährlei- das Medizinproduktegesetz vorzusehen. stung der Sicherheit der Medizinprodukte. In Zukunft werden an die klinischen Prüfungen EG-einheitlich Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin hohe Anforderungen gestellt. Sie dienen nicht nur beim Bundesminister für Gesundheit: Mit manchen dem Schutz der Patienten. Sie geben gleichzeitig dem Sitzungen des Bundestages ist es wie mit guten Arzt die Gewähr dafür, daß die medizinische Zweck- Filmen: Sie kommen erst am späten Abend. Und zu bestimmung nach einheitlichen und allgemein aner- fortgeschrittener Stunde lichten sich dann die Reihen kannten Gesichtspunkten festgestellt wurde. der Zuschauer. Aber spannend kann es trotzdem Meine Damen und Herren, diese Schutzmaßnah- werden. Ich verspreche Ihnen: Es wird spannend. men dürfen aber selbstverständlich nicht dazu führen, Denn wir sprechen heute über ein Gesetz mit großer daß allgemeine Verdachtsäußerungen über ein Wirkung. Groß in der Wirkung, weil es beinahe jeden angeblich bestehendes Gesundheitsrisiko von Medi- von uns betrifft. Von dem Medizinproduktegesetz zinprodukten ausreichen, um ein Produkt vom Markt werden voraussichtlich bis zu 400 000 verschiedene zu nehmen oder gar nicht erst auf den Markt kommen Medizinprodukte erfaßt. Die Palette dieser Produkte zu lassen. Wenn jeder nicht belegte Verdacht dazu reicht vom Pflaster und Kondom über alltägliche führen kann, genau das zu erreichen, sind wir nicht Dinge wie Brillen und Hörgeräte bis hin zu Beat- weit davon entfernt, Hersteller zu diskriminieren. Das mungsgeräten und Röntgengeräten. Wenn wir zum müssen wir verhindern. Deshalb haben wir bei den Arzt in die Praxis oder ins Krankenhaus gehen, wenn EG-Verhandlungen größten Wert darauf gelegt, daß wir beim Optiker oder Hörgeräteakustiker etwas nur solche Risiken anderen Mitgliedstaaten mitgeteilt kaufen — wir müssen uns darauf verlassen können, werden, bei denen ein Verdacht auf Gesundheitsge- daß die technische Sicherheit und medizinische fährdungen begründet werden kann. Selbstverständ- Zweckbestimmung der Medizinprodukte erfüllt lich schließt das eine sofortige Information in den wird. Fällen nicht aus, bei denen Gefahr im Verzuge ist. Ziele des Medizinproduktegesetzes: Das Medizinproduktegesetz ist ein Kostensparge- Mit dem Medizinproduktegesetz wollen wir einen setz. Meine Damen und Herren, Sie wissen ja, aus Beitrag dazu leisten, daß nur solche Produkte auf den unserem Hause kommen Gesetze, die Kosten sparen. Markt kommen, die für die jeweilige Diagnose, The- Ich bin davon überzeugt: Auch dieses Gesetz wird rapie oder Prävention geeignet sind. Die Patienten seinen Beitrag dazu leisten, Kosten zu sparen. Die müssen vor Produkten mit niederer Qualität geschützt Aufgabenverlagerungen, Verwaltungsvereinfachun- werden. Sie haben — wie bei den Arzneimitteln gen und administrativen Konzentrierungen werden auch — einen Anspruch darauf. Der Schutz vor dieses Ziel erreichen: Dazu trägt zum Beispiel die Produkten mit niederer Qualität dient gleichzeitig Zusammenfassung der Zulassungsverfahren für Me- einer Verbesserung der Effizienz der medizinischen dizinprodukte bei. Sie werden in der Regel privat- Versorgung der Bevölkerung. Das ist das Ziel Num- rechtlichen Prüfstellen übertragen. Zukünftig können mer eins dieses Gesetzes, mit dem EG-Richtlinien nach diesem Gesetz nur Medizinprodukte mit der über Medizinprodukte in deutsches Recht umgesetzt europäischen CE-Kennzeichnung zu Lasten der GKV und zusätzlich Vorschriften zur Anwendung dieser abgegeben werden. Diese Kennzeichnung bringt zum Produkte geschaffen werden. Ausdruck, daß das Produkt einheitlichen hohen 18756* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Anforderungen entspricht, wie sie künftig in der ville erklärte anläßlich des 15jährigen Bestehens des Europäischen Union vorgeschrieben sind. Zukünftig Deutsch-Französischen Jugendwerks: „Niemand er- werden auch keine Medizinprodukte mehr ange- innert sich mehr genau daran, wie eigentlich die Idee wandt, die Doppeluntersuchungen verursachen, die einer eigenen Institution für den deutsch-französi- den Heilungsprozeß verzögern und die Effizienz des schen Jugendaustausch entstand, aber es ist einfach ärztlichen Handelns sogar beeinträchtigen können. selbstverständlich gewesen, daß m an auch den Ein Kostenvorteil für die Krankenversicherung Jugendaustausch verstärken mußte, wenn Frankreich besteht auch darin, daß dieses Gesetz seinen Beitrag und die Bundesrepublik sich auf den Weg zu einer zu mehr Wettbewerb auf dem Medizinproduktemarkt gemeinsamen Zukunft machten." leistet. Denn in Zukunft werden die Medizinprodukte Auch die Jugend im vereinten Deutschl and muß des gesamten europäischen Binnenmarktes zur Ver- sich auf den Weg einer gemeinsamen Zukunft fügung stehen. machen. 40 Jahre isoliert voneinander, in unterschied- Medizinproduktegesetz: Nicht nur ein Kostenspar- lichen Sozialisationen aufgewachsen, abgegrenzt in gesetz sondern ein „Wirtschaftsförderungsgesetz". ihren jeweiligen Systemen, stehen sich Jugendliche Das Medizinproduktegesetz ist aber nicht nur ein aus dem Osten und dem Westen Deutschlands oft Kostenspargesetz, meine Damen und Herren von der verständnislos gegenüber und können nicht nachvoll- Opposition. Sie werden staunen. Es ist sogar ein ziehen, warum die jeweils „anderen" gerade so rea- „Wirtschaftsförderungsgesetz". Es schafft nämlich gieren oder gerade so diskutieren. auch neue Möglichkeiten für die deutschen Hersteller Es ist kein Geheimnis, Jugendliche aus den alten von Medizinprodukten. Es ist ja nur wenigen bekannt, Bundesländern fühlen sich mit den Jugendlichen aus daß allein der Inlandsmarkt für Medizinprodukte vom Frankreich, mit deren Kultur und deren Denkweise Volumen her mit dem Arzneimittelmarkt vergleichbar vertrauter. Dies ist sicher auch auf das Deutsch- ist. Die deutsche Indust rie hat in diesem Bereich eine Französische Jugendwerk zurückzuführen. Spitzenposition. Diese Position wollen wir mit dem Medizinproduktegesetz stärken. Das gilt besonders Die SPD-Fraktion verzichtet in ihrem Antrag für die Exportchancen. Ein Standbein dieses Wirt- bewußt auf ein deutsch-deutsches Jugendwerk, weil schaftsbereiches, wenn nicht sogar das wichtigste, ist ein solches den Aufbau einer eigenen Institution nach der Export. Die Ausfuhrmöglichkeiten werden ohne sich ziehen würde. Doch festzustellen bleibt, daß die Zweifel durch dieses Gesetz verbessert. Defizite des gegenseitigen Verstehens unter Jugend- lichen abgebaut werden müssen, und eine Förderung Sie sehen, meine Damen und Herren, das Medizin- und Intensivierung einer deutsch-deutschen Jugend- produktegesetz muß rasch umgesetzt werden. In eini- begegnung finden wir da schon angemessen. gen EG-Mitgliedstaaten ist diese Umsetzung bereits abgeschlossen oder steht kurz vor dem Abschluß. Nun wird uns die Regierungskoalition entgegenhal- Wenn es uns nicht rechtzeitig gelingt, die EG-Richtli- ten, daß deutsch-deutsche Jugendbegegnungen nie für Medizinprodukte umzusetzen, hat auch die schon gefördert werden und auch stattfinden und daß deutsche Industrie das Nachsehen. Denn deutsche dafür auch entsprechende Summen bereitgestellt Hersteller könnten dann nur schwer in unsere Nach- wurden. Die SPD-Fraktion stellt sich aber unter einer barstaaten exportieren. Gleichzeitig stünde aber der deutsch-deutschen Jugendarbeit eine stetige, konti- deutsche Markt für Medizinprodukte aus dem Aus- nuierliche und über einen längeren Zeitraum land zur Verfügung. Deshalb sage ich mit allem geplante Arbeit vor, die Sprünge oder kurzfristige Nachdruck: Das Medizinproduktegesetz muß zum Projekte vermeidet. 1. Januar 1995 in Kraft treten. Es muß kommen, weil Der von der Regierung durchgeführte „Sommer der die EG-Richtlinie sonst unmittelbar angewendet Begegnung" wurde nur einmal veranstaltet. Da diese würde. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Aktion sich unter Jugendlichen herumsprach, hofften Denn in diesem Fall würden wichtige Rahmenbedin- viele auf den nächsten Sommer und warteten darauf, gungen für die Sicherheit von Medizinprodukten, die daß eine solche Begegnung sich wiederholen würde. wir geschaffen haben, fehlen. Doch sie sahen sich getäuscht. Natürlich waren Meine Damen und Herren, wir brauchen das Medi- 50 Millionen DM für eine solche Aktion eine Menge zinproduktegesetz jetzt: zum Schutz der Patienten, zur Geld, und man sollte überlegen, wie man dies zukünf- Rechtssicherheit und zur Unterstützung der deut- tig effektiver einsetzen könnte. Deshalb sollte das schen Wirtschaft. Bundesministerium für Frauen und Jugend den Ein- satz der finanziellen Mittel konkreter benennen, damit sich auch die Verbände, die sich mit Jugendar- beit beschäftigen, durch entsprechende Projekte dar- auf einstellen können. Anlage 9 Ich muß übrigens in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß sich leider in der ersten Zeile des Zu Protokoll gegebene Reden letzten Absatzes unseres Antrags ein Fehler einge- zu Tagesordnungspunkt 16 schlichten hat. Es muß richtig heißen „ein konkreter (Antrag: Förderung und Intensivierung Anteil der im Einzelplan 17 zur Verfügung stehenden der „deutsch-deutschen" Jugendbewegung) Mittel". Ich bitte darum, dies bei den Ausschußbera- tungen zu berücksichtigen. Evelin Fischer (Gräfenhainichen) (SPD): Der ehe- Zu überlegen wäre, ob m an nicht die „klassischen" malige französische Außenminister Couve de Mur- Jugendbegegnungen zurückfährt und neue Wege der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18757*

Begegnungen sucht. Gegenseitige Aufenthalte in den gend zu den ersten, die nach Öffnung der Grenze Partnerstädten stoßen in den alten wie auch in den spontan in die Noch-DDR gefahren sind. In der neuen Bundesländern auf immer weniger Widerhall. anfänglichen Euphorie bestand ein natürliches Inter- Diese Einschätzung findet auch Bestätigung in der esse an der „neuen" und sicher auch „abenteuerli- Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage chen" Situation in der jeweils anderen Seite. der CDU/F.D.P.-Koalition zur „Situation der Jugend- Ich selbst kann mich noch sehr gut an diese Zeit lichen in Deutschland". Die Gründe für diesen Rück- erinnern. Damals habe ich sofort nach dem Fall der gang sind sicherlich auch darin zu suchen, daß die jungen Leute anschließend wenig für sich mitnehmen Mauer erste Kontakte zu jungen Christen, christlichen können. Oft bleiben bei solchen Begegnungen am Jugendorganisationen und auch zu christdemokrati- schen Jugendverbänden gesucht. Auf kleiner Schiene Ende mehr Fragen offen als zu Beginn. konnte ich bis zum Frühjahr 1990 bereits erste Begeg- Unsere Überlegungen zielen mehr in Richtung nungstreffen mitorganisieren. Besonders durch meine solcher Projekte, wo gemeinsame Arbeit an Objekten Zusammenarbeit mit dem Christlichen Jugenddorf- im Vordergrund steht. Gerade im Osten sind viele werk Deutschlands (CJD) — einem der großen Bil- Jugendeinrichtungen geschlossen worden, teilweise dungs- und Ausbildungsträger für Jugendliche in der wegen Rückforderungsansprüchen, teilweise wegen Bundesrepublik — gelangen damals bereits politische der desolaten Finanzsituation in den Kommunen. Auf Begegnungsseminare und gemeinsame Freizeiten. der anderen Seite gibt es sehr viele Gebäude, die saniert werden müßten, wo aber ebenfalls das erfor- Als neugewähltes Mitglied der Volkskammer vom derliche Geld fehlt. Jugendliche, die sich mit einem 18. März 1990 und dortiges Mitglied des Ausschusses solchen Gebäude selbst ein Jugendhaus schaffen, für Jugend und Sport konnte ich dann die Idee eines sehen darin eine sinnvolle Aufgabe. Kreativität, Aus- breit angelegten Jugendaustausches politisch unter- dauer und Kraft sind Eigenschaften, die nicht trennen, stützen und gemeinsam mit dem CJD konzeptionell weil sie nicht sozialisationsgebunden sind. erarbeiten. Mit Unterstützung der Bundesregierung wurde damals der „Sommer der Begegnung" 1990 Ich könnte mir auch Projekte vorstellen, die dazu geboren. Waren es aus organisatorischen Gründen führen, daß Jugendliche für sich selbst Arbeitsplätze 1990 nur einige tausend Jugendliche, so konnten wir schaffen. Ich denke da an Jugendhotels, die von 1991 im Sommer der Begegnung 85 000 junge Teil- jungen Leuten einerseits mitgestaltet, andererseits nehmer zählen. von ihnen auch geführt werden. Oder an die Bewirt- schaftung von Öko-Höfen, deren Produkte man auch Viele Jugendliche der neuen Länder nutzten in selbst verkauft. diesen beiden Jahren die Chance zu Ferienbegegnun- gen Schwierigkeiten gab es jedoch, aus den alten Solche — oder in diese Richtung gehende — Pro- Bundesländern genügend Teilnehmer für einen jekte bedürfen für einen bestimmten Zeitraum einer Ferienaufenthalt in den neuen Ländern zu gewinnen. geregelten Finanzierung, würden sich aber bei guter Neue, andere Formen der Jugendbegegnung waren Betreuung später selber tragen. gefragt, die Jugendliche aus Ost und West ansprechen Das Bundesministerium für Frauen und Jugend und für gemeinsame Seminare und Begegnungen sollte deshalb über alte rnative Jugendbegegnungen interessieren. nachdenken und verstärkt bei den Jugendlichen und Gute Erfahrungen haben wir in den letzten Jahren ihren Verbänden nachfragen, was junge Leute bei verschiedenen von der Bundesregierung und vom anspricht, welche Ideen sie haben und wie sie sie Bundesjugendplan geförderten Programmen ge- verwirklichen wollen. Es gibt bei den Jugendlichen macht. Wenn Jugendliche aus Ost und West gemein- selbst einen solchen Reichtum an Ideen, ein solches sam politische Bildung oder internationalen Jugend- Bedürfnis, die Welt fern und nah zu erfahren, eine austausch erleben, dann trägt dies vor allem auch zum solche Bereitschaft, die Vorstellungen und Vorurteile erfolgreichen Zusammenwachsen unserer jungen ihrer Eltern zu überprüfen und zu hinterfragen, daß Generation bei. Das miteinander Arbeiten in verschie- wir dieses Reservoir auf dem Weg zur Einheit nicht denen Projekten, das gemeinsame Wahrnehmen der länger verkümmern lassen dürfen. Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt und das gemeinsame Erleben von internationalen Begegnun- Kersten Wetzel (CDU/CSU): Begegnungen zwi- gen ist doch ein wichtiger Schlüssel, um die Köpfe der schen Jugendlichen aus den neuen und den alten jungen Menschen aus Ost und West auch füreinander Bundesländern zu fördern, sollte über Parteigrenzen zu öffnen. hinweg ein wichtiges Anliegen für jeden Politiker Ein weiteres großes Potential für eine Begegnung sein, der es ernst mit der Gestaltung der deutschen von Jugendlichen aus den alten und den neuen Einheit meint. Gerade bei Jugendlichen hat die Mauer Bundesländern sehe ich im schulischen und berufsbil- und die SED-Diktatur tiefe Spuren hinterlassen. Im denden Bereich. Kann man nicht in den einzelnen Prozeß des Zusammenwachsens zwischen den einst Schulen und Berufsbildungseinrichtungen — analog getrennten Teilen Deutschlands brauchen deshalb den damals sehr populären Berlinfahrten im alten besonders sie eine starke Zuwendung und Unterstüt- Bundesgebiet und übrigens auch in der DDR — zung durch die Gesellschaft. Klassenfahrten in den jeweils anderen Teil der Bun- Vor allem Jugendliche waren es, die im Herbst 1989 desländer unternehmen? Auch Pa rtnerschaften lassen in Ostdeutschland auf die Straße gegangen sind und sich auf diese Weise sicher vertiefen oder neu herstel- die Revolution mitgetragen haben. Junge Menschen len. Hier appelliere ich auch an die Phantasie und aus den alten Bundesländern gehörten auch überwie- Verantwortung der Kultusministerien in den Ländern, 18758* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 solche Vorhaben der Schulen zu unterstützen oder zu wicklung finanziert werden. Auch im Rahmen von initiieren. Städtepartnerschaften finden Maßnahmen des Ju- gendaustauschs statt, die durch das Auswärtige Amt Ich möchte aber auch die in Deutschland doch sehr gefördert werden. Die Bundesregierung unterhält zahlreichen Jugendverbände, -organisationen und derzeit mit über 20 Staaten jugendpolitische Bezie- freien Träger der Jugendarbeit ansprechen. Hier sind hungen, mit denen sie bilaterale Absprachen über den sicher auch weitere Ideen und Initiativen gefragt, um Jugendaustausch trifft. in ihrer Arbeit auch immer an die gemeinsame Begeg- nung von Jugendlichen aus Ost und West zu den- Der Bundesjugendplan umfaßt 1993 ein Volumen ken. von 218 Millionen DM. Auch aus den Länderhaushal- ten muß — auch in Zeiten knapper Kassen — mehr Möglichkeiten gibt es also viele. Gefragt sind alle, Geld für die Jugend- und Jugendverbandsarbeit flie- die in der Jugendarbeit Verantwortung tragen. Ein ßen. Die SPD möchte in ihrem Antrag die deutsch- neuer „Sommer der Begegnung" kann im fünften Jahr deutsche Jugendbegegnung als Modellprojekt aus der deutschen Einheit die neuen Anforderungen an Bundesmitteln finanziell fördern. Die F.D.P. hält die deutsch-deutsche Jugendbegegnung nicht mehr davon nichts. Sollte nicht eher überlegt werden, wie erfüllen. Wir brauchen Maßnahmen und Projekte, an durch einen gemeinsamen Erlaß aller Kultusminister denen sich Jugendliche aus allen Regionen Deutsch- regelmäßige gegenseitige Besuchsreisen von Schul- lands gemeinsam für eine friedliche und glückliche klassen in die neuen und alten Bundesländer auf den Zukunft Deutschlands, Europas und der ganzen Welt Weg gebracht werden könnten? engagieren können. Ich stimme mit der SPD überein: Seit der Umbruchs situation sind soziale und wirtschaft liche Schwierig- Jugend- Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (F.D.P.): keiten auch für Jugendliche größer geworden. Die begegnungen aus den neuen und alten Bundeslän- IBM-Jugendstudie 1992 hat ergeben, daß die Lebens- dern sind notwendig und hilfreich. Doch der Antrag einstellungen junger Menschen im Westen und im der SPD, „deutsch-deutsche" Programme mit Modell- Osten Deutschlands von unterschiedlichen Lebens- funktion durchzuführen, findet in dieser Form nicht verhältnissen geprägt sind: Während für Jugendliche die Zustimmung der F.D.P., da er überflüssig ist. Denn im Westen der Schutz der Umwelt an erster Stelle die Idee, deutsch- deutsche Jugendbegegnungen zu steht, ist für Jugendliche im Osten die Arbeitslosigkeit ermöglichen, ist nicht so neu, wie der SPD-Antrag uns ein zentrales Problem. Gerade in den neuen Bundes- glauben machen will. Der Bundesjugendplan hat sich ländern existieren Minderwertigkeitsgefühle und das seit vielen Jahren dem Ziel verschrieben, den Jugend- - Denken, „Bürger zweiter Klasse" zu sein, Gefühlsla- austausch zwischen den damaligen beiden deutschen gen, die (un-)bewußt auf Minderheiten projiziert wer- Staaten zu fördern. Beispielhaft war hier der „Sommer den und sich in offener Ausländerfeindlichkeit entla- der Begegnung": Im Rahmen eines Aktionsprogram- den. mes wurden 1991 vom Bundesjugendministerium über 1 100 Veranstaltungen mit 20 Millionen DM Die Jugendhilfe in den alten und neuen Bundeslän- gefördert, die etwa 85 000 Kindern aus den neuen und dern muß es sich zur Aufgabe machen, die allgemein- alten Bundesländern die Möglichkeit für eine Begeg- präventiven Angebote der Jugendarbeit und die inter- nung boten. Hier konnten sie sich mit Fragen der kulturelle Jugendarbeit zu fördern, um gerade diesen Ökologie und der politischen Kultur auseinanderset- ausländerfeindlichen Tendenzen entgegenzuwirken. zen oder zusammen Theater, Tanz, Musik und Video Trotzdem ist es sehr erfreulich, daß — nach der machen. 1990 wurde für den Bundesjugendplan im IBM-Studie — jeder zweite junge Mensch zuversicht- Nachtragshaushalt ein „Deutsch-deutsches Sonder- lich und optimistisch in seine persönliche Zukunft programm" mit 6 Millionen DM bereitgestellt. Dieses sieht. Programm wurde geschaffen, um auf dem Gebiet der Es stellt sich natürlich die Frage, wie wir zu einem damaligen DDR demokratische Strukturen der besseren Verständnis zwischen den Jugendlichen in Jugendhilfe und Jugendarbeit zu entwickeln. Dieses den alten und neuen Bundesländern in Bezug auf die Geld wurde Trägern der Jugendhilfe und der Jugend- unterschiedlichen Lebensläufe, auf die unterschiedli- arbeit u. a. für Veranstaltungen der verschiedensten che Geschichte und kulturelle Entwicklung beitragen Art für interna tionale Jugendbegegnungen, für Erst- können. Eines ist klar: Jugendbegegnungen sind nur ausstattungen von Jugendarbeitsräumen, für den begrenzt staatlich zu verordnen. Wichtiger ist die Erwerb von Jugend- und Fachliteratur u. a. bewil- partnerschaftliche Zusammenarbeit von öffentlichen ligt. und freien Trägern. Bei den freien Trägern reicht das Seit der deutschen Vereinigung gibt es eine große Spektrum von den zahlreichen Selbsthilfegruppen Zahl verschiedenster Angebote im kulturellen Be- über die Vereine bis hin zu den Kirchen und den reich des Jugendaustausches, z. B. Jugendwettbe- bundesweit organisierten Jugend- und Wohlfahrts- werbe wie „Deutscher Jugendfotopreis", „Deutscher- verbänden. Das „Jugendpolitische Programm des Jugend-Video-Preis", „Jugend und Video" , „Deut- Bundes für den Aus- und Aufbau von Trägern der scher Jugendliteraturpreis", „Jugend musiziert" so- freien Jugendhilfe in den neuen Bundesländern", wie Veranstaltungen der Akademie für musische AFT, stellt umfangreiche Hilfen des Bundes für den Bildung und Medienerziehung und der Akademie für Aufbau der nichtstaatlichen Jugendarbeit zur Verfü- musikalische Jugendbildung. Es gibt im übrigen auch gung. Für das AFT-Programm stehen 1994 16 770 000 verschiedene Projekte, die den internationalen DM zur Verfügung. Mit diesen Mitteln werden vor Jugendaustausch fördern und durch das Bundesmini- allem die wichtigen Bereiche der Beratung, der Qua- sterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- lifizierung und Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18759*

Mitarbeitern der freien Jugendhilfe fortgeführt. Die nicht die Realität wider. Denn gerade hier herrscht finanzielle Förderung von Aktivitäten und Projekten eine erschreckende Ahnungslosigkeit: Bekanntlich der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, insbeson- werden Schulabgänger und Schulabgängerinnen und dere auf der örtlichen Ebene, die im Jahre 1992 einen Ausgelernte, weil sie keinen Anspruch auf Arbeitslo- erheblichen Anteil am Gesamtprogramm ausmachte, sengeld haben, häufig gar nicht in der Erwerbslosen wurde im Jahr 1993 nicht fortgeführt. Länder und statistik erfaßt. Die Dunkelziffer ist demnach sehr Kommunen müssen nun in dieses, ihnen originär hoch. zustehende Aufgabenfeld mit ihren eigenen Förde- Was wissen Jugendliche in Ost und West voneinan- raktivitäten verstärkt eintreten. der? Das würden sie im intensiven Gespräch mitein- Fazit: Auch die F.D.P. ist dafür, Maßnahmen für ander schnell über sich erfahren: Ihre Hauptprobleme Jugendbegegnungen — sei es auf innerdeutscher und -sorgen, die in erster Linie durch das Fehlen einer oder internationaler Ebene — zu fördern. Es wäre zu Politik im Interesse junger Menschen verursacht wird, begrüßen, wenn Jugendorganisationen, Vereinigun- sind gleich, auch wenn in den neuen Bundesländern gen, Stiftungen, Berufsverbände, Handelskammern, alles zugespitzter und verschärfter wirkt. Ich wünsche Schulen usw. in eigener Regie und mit eigenen Ideen mir, daß Jugendliche in Ost und West zu dieser zu einer deutsch-deutschen Jugendbegegnung bei- Erkenntnis kommen und daraus zum gemeinsamen tragen. Deshalb appelliere ich an alle diese Organisa- Handeln. Wenn „deutsch-deutsche" Jugendbegeg- tionen, sich für Jugendliche zu engagieren. nungen mithelfen, das voranzubringen, dann bin ich für ihre Förderung. Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Sie verfüge über keinerlei gesicherte empirische Erkenntnisse, um die Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes- Frage zu beantworten, was ostdeutsche über west- ministerin für Frauen und Jugend: Die staatliche deutsche Jugendliche denken und umgekehrt. So die Einheit Deutschlands ist der notwendige äußere Rah- Fehlanzeige der Bundesregierung in ihrer Antwort men, der das Zusammenleben der Deutschen in einem „Zur Situation der Jugend in Deutschl and". Ganz im Land ermöglicht hat. Auch im fünften Jahr nach dem Gegensatz dazu belegt eine Studie, die kürzlich von Fall der Mauer gibt es nach 40 Jahren Trennung den Universitäten Rostock und Bielefeld vorgelegt verständlicherweise Probleme beim persönlichen worden ist, daß sich 70 % der befragten Jugendlichen Umgang miteinander und Verständnis füreinander in in Mecklenburg-Vorpommern benachteiligt fühlen, Ost- und Westdeutschland. Um so wichtiger ist es, daß auch gegenüber Altersgefährten in den alten Bundes- alle gesellschaftlichen Grupen, Organisationen, Ver- ländern. - bände und Initiativen sowie alle Bürgerinnen und Die in der DDR nicht gekannte Ausbildungsmisere, Bürger sich daran beteiligen, das noch vorhandene die Massenarbeitslosigkeit, der Kahlschlag bei Frei- Trennende zwischen Ost und West zu überwinden, zeiteinrichtungen und -möglichkeiten einerseits und damit tatsächlich wahr wird, was Ausgangspunkt aller andererseits das fehlende Geld, um die neuen teuren Veränderungen war: „Wir sind ein Volk!" Was wir Angebote nutzen zu können, die steigenden Lebens- brauchen, ist ein „Wir-Gefühl" bei aller persönlichen haltungskosten und der Sozialabbau belasten junge Individualität. Menschen im Osten sehr stark. Die Folge davon sind Einer der wichtigsten Wege zum besseren Verste- Pessimismus, Skepsis, Zukunftsängste, auch Gleich- hen ist in meinen Augen, daß die Deutschen in Ost und gültigkeit und Frust, nicht selten Aggression. Ange- West sich mehr umeinander kümmern, sich auch ganz sichts dieser Situation wagen es Bundesregierung und einfach häufiger sehen. Denn damit wird das Bewußt- Koalition zu behaupten, 95 % der westdeutschen und sein gestärkt, daß Aufbau Ost eine Gemeinschaftsauf- 83 % der ostdeutschen Jugendlichen seien mit ihrem gabe und -herausforderung ist. Nach der ersten Eu- Leben zufrieden. Fragt sich, wie die Regierung zu phone vor gut vier Jahren ist die Neugier aufeinander diesen die Tatsachen entstellenden Zahlen kommt. abgeflaut. Aus einer Umfrage wissen wir, daß bis Schönfärberei — das wird wieder mal offenbar — ist dahin mehr als die Hälfte der westdeutschen Jugend- ein charakteristisches Kennzeichen der Regierenden, lichen seit dem Fall der Mauer den östlichen Teil praktiziert, um die Blöße fehlender jugendpolitischer Deutschlands noch nicht ein einziges Mal besucht hat. Konzepte zu verdecken. Von den jungen Ostdeutschen dagegen waren 94 % Nehmen wir ein anderes Beispiel: Die Bundesregie- mindestens einmal im Westen. rung schreckt nicht davor zurück, lobend darauf zu Ich denke, es wird niemand bestreiten können, daß verweisen, daß die Jugendarbeitslosigkeit geringer das beste und einfachste Heilmittel zur Überwindung als die allgemeine Arbeitslosigkeit sei. Welcher Trost von Unverständnis ist, daß m an einander kennenlernt, für die vielen Mädchen und Jungen, die ausgelernt einander auch persönlich wahrnimmt. Die innere haben und nun erfolglos nach einer Stelle in ihrem Einheit braucht die Begegnung vor allem von jungen Beruf suchen! Nach der Lehre ins Leere. Wir wissen Menschen. Aber das läßt sich nicht staatlich verord- heute längst aus der Praxis — viele wissenschaftliche nen. Die Kultus- und Jugendminister der Länder und Analysen bestätigen es —: Wenn junge Menschen des Bundes sagen übereinstimmend, daß die Begeg- nach ihrem Schulabschluß erfahren müssen, sie wer- nungsmöglichkeiten zwischen Jugendlichen aus den den nicht gebraucht, dann hat das in der Regel alten und neuen Ländern in den vergangenen Jahren schwerwiegende soziale Folgen, oft unreparabel für nicht ausgereicht haben, um Unterschiede oder Vor- ihr gesamtes weiteres Leben. urteile zu überwinden. Um so mehr begrüße ich, daß Außerdem: Die Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit, sich die Kultusministerkonferenz dafür einsetzt, die von der Regierung angegeben werden, spiegeln verstärkt Schulpartnerschaften und Austauschpro- 18760' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

gramme zwischen Schulen und anderen Bildungsbe- idee des Zusammenwachsens in Deutschl and ste- reichen in Ost und West zu schaffen. Genau dies ist der hen. Ansatzpunkt. Wenn wir mehr junge Menschen mit- einander in Kontakt bringen wollen, und zwar auf Wir müssen Jugendliche in allen ihren Lebensberei- breiter Ebene, dann müssen wir bei den Schulen chen miteinander in Kontakt bringen. Das gilt für ansetzen. Schule und Ausbildung ebenso wie für Freizeit, Betrieb, Wehr- und Zivildienst. Gerade im Rahmen Deshalb ist der Antrag der SPD-Fraktion zwar in der des Zivildienstes hat das BMFJ für Ost-West-Kontakte Zielsetzung begrüßenswert, jedoch richtet er sich an gesorgt, z. B. im Rahmen der Lehrgänge an den den falschen Adressaten. Die Länder — auch die Zivildienstschulen. Auch im Rahmen der sozialen SPD-geführten Länder — sind aufgefordert, in diesem Dienste, wie z. B. Freiwilliges Soziales und Ökologi- Bereich deutlich mehr zu tun. Leider haben erst sches Jahr, sind vermehrte Ost-West-Kontakte denk- einzelne Bundesländer eigene Förderprogramme mit bar. diesem Ziel entwickelt. Im übrigen: Was hindert eigentlich die Kultusminister daran, mit entsprechen- Wichtiger als staatliche Programme aufzulegen, ist den Empfehlungen oder gar Weisungen auf die Schul- es, daß in der Bevölkerung ein breites Bewußtsein für direktoren und Lehrer einzuwirken, Klassenfahrten die gegenseitige Begegnung von Ost und West nicht vornehmlich nach Rom, London oder Paris zu besteht. Dabei haben sich z. B. die Sportverbände und organisieren, sondern nach Rostock, Erfurt oder Dres- Sportvereine als ein wichtiger Vorreiter herausge- den? Was haben wir vor der Einheit nicht alles stellt. Ich nenne hier z. B. die vorbildliche Initiative unternommen, um Berlin-Fahrten durchzuführen? Da des Deutschen Fußballbundes, der mit seinem „Ju- müßte es doch möglich sein, heute auch eine Vielzahl gendwerk des Deutschen Fußballbundes" Paten- von Klassenreisen in die neuen Bundesländer zuwege schaften zwischen west- und ostdeutschen Vereinen zu bringen. für gegenseitige Besuche und gemeinsame Spiele entwickelt hat. Die Bundesministerin für Frauen und Ich bin dankbar für jede bereits existierende Part- Jugend hat dafür die Schirmherrschaft übernom- nerschaft zwischen Schulen in den neuen und in den men. alten Bundesländern. Hier gibt es viel Engagement von seiten der Schülerinnen und Schüler und auch der Für ganz entscheidend halte ich es auch, daß im Lehrer. Aber wir brauchen mehr solcher Beispiele. Rahmen der bestehenden Kommunalpartnerschaften die verschiedensten Vereine und Gruppen den Aus- Der Bund hat sich im Rahmen seiner Zuständigkei- tausch und die Begegnung pflegen. Nach der enga- ten daran beteiligt, die Qualität der Jugendherbergen gierten Anfangsphase könnte ich mir hier mancher- in den neuen Bundesländern zu verbessern. Dort gibt orts wieder etwas mehr Intensität vorstellen. es inzwischen eine Reihe von preiswerten Unter- kunftsmöglichkeiten. Um darüber zu informieren, Im Antrag der SPD-Fraktion wird die Arbeit der haben wir eine entsprechende Broschüre über solche bestehenden Jugendwerke als Beispiel für die Begegnungsstätten herausgegeben, die gerade in deutsch-deutsche Jugendbegegnung angeführt. großer Auflage erscheint. Doch um keine Illusionen aufkommen zu lassen: Auch in der Jugendministerkonferenz besteht mehrheitlich Darüber hinaus werden im Rahmen bestehender die Auffassung, daß ein „gesamtdeutsches Jugend- Programme des Bundesjugendplans bereits bevor- werk" eher die Teilung Deutschlands fördern als zugt und in wachsendem Maße Begegnungen zwi- überwinden würde. Es kann doch auch gar nicht schen West und Ost gefördert. Das gilt vor allem in den darum gehen, innerhalb unseres eigenen Landes das Bereichen Politische Bildung, Internationaler Jugend- Zusammenwachsen im Bereich der jungen Genera- austausch, Kulturelle Jugendbildung sowie für die tion durch staatliche Einrichtungen zu institutionali- von uns unterstützten Wettbewerbe wie z. B. „Jugend sieren. Dies ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche musiziert", dem Bundesvideo- und Bundesphoto- Aufgabe, der wir uns alle in allen Bereichen stellen Preis. müssen. Gerade im Rahmen der Arbeit im internationalen Deshalb wird es auch nicht noch einmal einen Bereich haben wir große Anstrengungen unternom- „Sommer der Begegnung" geben, wie ihn das Bun- men, um schon kurz nach dem Fall der Mauer ostdeut- desministerium für Frauen und Jugend 1991 mit sche Jugendliche in unsere Programme zu integrie- großem Erfolg durchgeführt hat. Diesen „Sommer der ren. Allein in die Arbeit des Deutsch-Französischen Begegnung", an dem 85 000 Jugendliche teilgenom- Jugendwerkes werden jährlich rund 8 000 junge Ost- men haben, haben wir als eine anstoßgebende Initia- deutsche mit einbezogen. Die Begegnungsmaßnah- tive verstanden. Diese Funktion ist auch voll erfüllt men des DFJW und auch des Deutsch-Polnischen worden. Es kann aber nicht Daueraufgabe des Bundes Jugendwerkes sind ja nicht nur ein Beitrag zur inter- sein, Ferienmaßnahmen auf örtlicher und regionaler nationalen Verständigung, sondern auch zum besse- Ebene durchzuführen. ren Kennenlernen unserer deutschen Jugendlichen aus Ost und West untereinander. Ich fasse zusammen: Der Bund hat für die deutsch- deutsche Jugendbegegnung wichtige Impulse gege- Darüber hinaus fördern wir auch schwerpunktmä- ben. Er fördert schwerpunktmäßig Initiativen der ßig Begegnungsmaßnahmen von Verbänden und Verbände und Träger auf Bundesebene aus Mitteln Jugendorganisationen. Dies werden wir auch weiter- des Kinder- und Jugendplans mit dem Ziel, junge hin tun. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß die Deutsche aus Ost und West einander näher zu brin- Förderbereiche des Kinder- und Jugendplans, des gen. Der Bund wird auch in Zukunft seiner Verant- AFT-Programms und der Fortbildung unter der Leit- wortung nachkommen und diese Förderung weiter- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18761* führen. Um aber die deutsch-deutsche Jugendbegeg- dende Differenzierungskriterium ist hier die grund- nung möglichst breitenwirksam in Gang zu bringen, sätzlich verschiedene Zielrichtung. Während BND müssen wir vor allem bei den Schulen ansetzen. Hier Agenten zum Schutze der Bundesrepublik tätig sind die Länder ganz unmittelbar in ihrer Zuständig- waren, wollten MfS-Agenten den Bestand und die keit gefordert. Sicherheit der Bundesrepublik untergraben und gefährden. § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt nur die Ich bitte Sie alle, daß wir gemeinsam in den jewei- tr ligen Ländern, aus denen wir kommen, in den Land- Agententätigkeit für eine fremde Macht unter S afe. Die Bundesrepublik Deutschland ist für sich selbst kreisen und Städten und Gemeinden, bei Zusammen- keine fremde Macht. Im übrigen ist der Beitrittsvor- treffen mit Verbandsvertretern und Organisa tionen gang zu berücksichtigen: Bundesrepublik und DDR immer wieder darauf aufmerksam machen, wie wich- haben sich nicht zu einem neuen Staat verschmolzen, tig es ist, daß Deutsche aus Ost und West sich so daß im nachhinein MfS- und BND-Tätigkeit als im gegenseitig kennenlernen. Nur wenn hier die Verant- wesentlichen gleich zu be trachten sind, sondern die wortung nicht einseitig auf den Staat abgeschoben DDR ist der Bundesrepublik beigetreten. wird, sondern jeder seinen Teil wahrnimmt, haben wir Aussicht, den Prozeß der inneren Einheit glücklich zu Neben diesen formalen Unterschied tritt ein mate- vollenden. rieller: Die DDR-Spionage erfolgte gegen einen frei- heitlich-demokratischen Rechtsstaat. Die Bundesre- publik Deutschland hat ihre demokratische Legitimi- tät, die sie der DDR von Anfang an voraus hatte, immer hervorgehoben und gegen undemokratische, diktato- Anlage 10 rische Unrechtsregime abgegrenzt. Das Ausspionie- ren der Bundesrepublik Deutschl and durch „Kund- Zu Protokoll gegebene Reden schafter des Friedens", wie sie beschönigend bezeich- zu Tagesordnungspunkt 17 net wurden, erfolgte zum Schaden unserer rechts- (Spionageamnestiegesetz) staatlichen, freiheitlich-demokratischen Ordnung und ihres marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems.

Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Der von der PDS Gleichzeitig war die DDR-Spionage in der Bundes- vorgelegte Gesetzentwurf sieht Straffreiheit für typi- republik ein Beitrag zur Festigung eines totalitären sche Taten der Angehörigen und Agenten der Aus- Unterdrückungssystems. Sich auf den Standpunkt zu landsnachrichtendienste der ehemaligen DDR vor. Zu - stellen, nach herrschender völkerrechtlicher Auffas- diesen typischen Taten zählen Landesverrat und die sung sei die Auslandsspionage ein legitimes Mittel Gefährdung der äußeren Sicherheit sowie beglei- von Staaten, würde im innerdeutschen Falle bedeu- tende Delikte, ausgenommen jedoch Mord, Tot- ten, den normativen Unterschied zwischen der Bun- schlag, Verschleppung, Freiheitsberaubung und Be- desrepublik Deutschl and und der ehemaligen DDR zu drohung. Die PDS erklärt die Verfolgung der Angehö- verwischen. Die Agenten haben bewußt gegen die rigen und Agenten der Auslandsnachrichtendienste Bundesrepublik Deutschland und ihr freiheitlich- der DDR für eine völkerrechtlich und gesellschaftspo- demokratisches System und für die DDR und die litisch bedenkliche Maßnahme. Die PDS hält die SED-Diktatur gearbeitet! innerdeutsche Spionage für teilungsbedingt und für Zweitens. Die Befürworter einer Amnestieregelung ein Produkt des Kalten Krieges. Durch die deutsche verkennen, daß der Rechtsstaat nicht nur dem Rechts- Einheit sei der Verbots- und Strafzweck weggefallen. frieden dienen soll, sondern auch der Gerechtigkeit Die PDS unterstellt eine von wem auch immer verpflichtet ist. Die Amnestieforderung ist nur im gewollte machtpolitische Instrumentalisierung der Zusammenhang zu sehen mit dem Gesamtausmaß der Verfolgung von Angehörigen und Agenten der DDR- Straftaten des Staatssicherheitsdienstes der ehemali- Auslandsnachrichtendienste, weist auf ähnliche Am- gen DDR. Dieser Straftatenkomplex ist noch längst nestien in vergleichbaren historischen Situationen hin nicht vollständig offengelegt. Das Ausmaß der Ver- und gibt vor, daß ihr Gesetzentwurf dem Rechtsfrie- brechen der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS ist den und der inneren Einheit Deutschlands, auch der noch längst nicht bekannt. Der normale rechtsstaatli- Akzeptanz der bundesrepublikanischen Rechtsord- che Weg auch in der Bundesrepublik Deutschl and nung, dienen soll. müßte sein, daß möglichst alle Agenten, die zum Die PDS will mit diesem Gesetzentwurf dem vor Schaden der Bundesrepublik Deutschl and für das dem Bundesverfassungsgericht anhängenden Ver- Ausland oder in diesem Falle die DDR spioniert fahren vorgreifen, in dem zur Zeit geprüft wird, haben, sich offenbaren. Danach könnte immer noch inwieweit die hier zur Diskussion gestellten Strafvor- nach Recht und Billigkeit mit den Agenten verfahren schriften auf ehemalige DDR-Bürger anwendbar sind. werden. Sollten Agenten Reue zeigen und zur Aufklä- Die Ablehnung des PDS-Gesetzentwurfes durch die rung ihrer früheren Tätigkeit beitragen, werden die CDU/CSU-Bundestagsfraktion speist sich nicht in Richter im Rahmen der Einzelfallprüfung auch zu erster Linie aus diesem formalen Aspekt, sondern aus angemessenen, milden Urteilen gelangen. schwerwiegenderen politischen Bedenken. Drittens. Wir wissen, daß viele DDR-Agenten nun- Erstens. Es verletzt den Gleichheitsgrundsatz des mehr für andere Nachrichtendienste weiterarbeiten. Art. 3 Abs. i GG nicht, daß MfS-Agenten strafrechtlich Dies trifft insbesondere für den KGB-Nachfolgedienst zur Verantwortung gezogen werden, bundesdeutsche SWR oder den Nachrichtendienst der russischen Agenten, die Aufklärung in der ehemaligen DDR Streitkräfte, GRU, zu. Die Amnestiebefürworter lassen betrieben haben, aber straffrei bleiben. Das entschei- auch keine hinreichende Unterscheidung hinsichtlich 18762* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 der Motivation der Agenten erkennen: Haben diese in verweise auf einen entsprechenden Gesetzentwurf der Erwartung materieller Vorteile gehandelt, als der CDU/CSU und F.D.P. Ich empfinde es im nachhin- reine Überzeugungstäter oder in Abhängigkeit? An ein als zwingend, daß der damalige Gesetzentwurf dieser Stelle erhebt sich nämlich die Frage nach der nach kurzer temperamentvoller Diskussion in der Integration oder der Eingliederungsfähigkeit dieses Versenkung verschwand. Es mußte in der Tat wie eine Personenkreises. Die PDS versteht sich immer noch als Provokation wirken, daß sich eines der ersten Gesetze Spalterpartei und hat sich mit der deutschen Einheit des vereinten Deutschl and ausgerechnet mit den zu rechtsstaatlichen und freiheitlich-demokratischen Interessen von Tätern der DDR befassen sollte. Seither Bedingungen noch nicht abgefunden. Deshalb ver- sind fast vier Jahre vergangen. Die Herstellung der wundert es, wenn die PDS in der Begründung ihres inneren Einheit unseres Landes ist eine der Hauptauf- Gesetzentwurfes das gesellschaftspolitische Argu- gaben des Bundestages. Dabei fanden sich in diesem ment bemüht, dem Rechtsfrieden und der „inneren Hause häufig breiteste Mehrheiten bei wichtigen Einheit" dienen zu wollen. Wie lassen sich heute Gesetzen. Immer wieder standen die Opfer des SED Personen integrieren, die in bewußter Überzeugungs- und Stasi-Staates im Mittelpunkt der gesetzlichen täterschaft ihre Agententätigkeit für die DDR als Regelungen. Nachteilsausgleich, Wiedergutma- Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grund- chung, Rehabilitierung, Akteneinsicht, Entschädi- ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstanden gung, Rückgabe sind die Stichworte. Bei allem, was im haben? politischen Streit steht: Die Bilanz zugunsten der Opfer ist beachtlich. Daraus läßt sich folgendes Resümee ziehen: Der von der PDS eingebrachte Gesetzentwurf soll offenbar Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, über den wichtigen lediglich einer im Windschatten der Amnestieforde- Aspekt der strafrechtlichen Beurteilung der Agenten- rung erfolgenden Absolution zum Nulltarif ohne Reue tätigkeit von Stasi-Spionen nachzudenken. Sie wis- und Umkehr einer besonders problematischen, um sen, daß dem Bundesverfassungsgericht diese Frage nicht zu sagen: perfiden K lientel der SED-Nachfolge- zur Entscheidung vorliegt. Das Urteil unseres höch- partei PDS dienen. Besonders die Existenz der soge- sten Gerichts wird abzuwarten sein. Bei den in letzter nannten Kommunistischen Plattform in der PDS mit Zeit bekanntgewordenen eher milden Strafurteilen ihrem aggressiv-verfassungsfeindlichen Gedanken- wegen Agententätigkeit für das MfS erscheint mir bei gut unterstreicht, wie die PDS zur freiheitlich-demo- der Zumessung des Strafmaßes die einfache Tatsache kratischen Grundordnung der Bundesrepublik maßgeblich berücksichtigt worden zu sein, daß die Deutschland wirklich steht. Der PDS-Amnestievor- Teilung Deutschlands der Vergangenheit angehört. stoß, mit der Herstellung von Rechtsfrieden und „in-- Die Diskussion um Straffreiheit bei Straftaten des nerer Einheit" begründet, wird vor diesem Hinter- Landesverrats kann sich schnell im Widerstreit partei- grund restlos unglaubwürdig. taktischer Überlegungen erledigen. Ich hoffe, daß wir Diese Tatsachen bestärken meine Fraktion und alle dieser Versuchung widerstehen. Eine anzustre- mich in meiner ablehnenden Haltung gegen den bende differenzierende gesetzliche Regelung gehört Entwurf eines Spionageamnestiegesetzes. nicht zu den drängendsten und dringendsten Auf ga- ben des Gesetzgebers. Zur gegebenen Zeit kann aber ein Gesetz über Straffreiheit bei Straftaten des L an (SPD): Hätte die PDS glaubwür- Dieter Wiefelspütz -desverrats einen weiteren Beitrag zur Herstellung des dig mit ihrer SED-Vergangenheit gebrochen, gäbe es inneren Friedens in unserem Lande leisten. Die SPD- aus der Mitte dieser Partei eine Vielzahl von Initiati- Bundestagsfraktion wird sich dieser Diskussion stel- ven zugunsten der Opfer des Repressionssystems, das einst DDR hieß. Die PDS hat nicht glaubwürdig mit len. ihrer Vergangenheit gebrochen, und folgerichtig fehlt es an der Hinwendung zu den Opfern der DDR. Jörg van Essen (F.D.P.): Heute geht es um den Vielmehr setzt die PDS auf das kurze Gedächtnis und Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit von das schnelle Vergessen, aber auch auf die alten Kader ehemaligen DDR-Spionen. Ohne Einschränkungen und Funktionsträger der ehemaligen DDR. Es kann soll danach eine Straffreiheit für alle diejenigen gel- deshalb niemanden überraschen, daß nun auch die ten, die für die ehemalige DDR gegen die Bundesre- ehemaligen Agenten des Ministeriums für Staatssi- publik spioniert haben. Die F.D.P. kann diesem cherheit sich der besonderen Fürsorge der PDS Gesetz nicht zustimmen. erfreuen. Für mich ist der Gesetzentwurf der PDS ein Ich frage mich, ob man durch eine umfassende Ausdruck ausgeprägter Schamlosigkeit dieser Par- Generalamnestie einen verstehenden und alles ver- tei. zeihenden Schleier über das Unrechtsgeschehen in Gleichwohl und unabhängig vom vorliegenden der DDR und die dafür Verantwortlichen breiten soll. Gesetzentwurf muß die Frage gültig beantwortet Das Leid, welches durch Spionagetätigkeiten auf werden, ob und in welchem Umfang Taten in Zusam- beiden Seiten der Mauer entstanden ist, kann nicht menhang mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit straf- einfach durch eine Amnestie vergessen werden. An bar sind, die in ihrem Kern verursacht und motiviert dem Medienrummel des Falles Wolf ist erkennbar, waren durch die Teilung Deutschlands und durch die wie hoch das Interesse an der Aufarbeitung ist—nicht Konfrontation der beiden deutschen Staaten. Diese nur in den neuen Bundesländern. Konfrontation gehört der Geschichte an. Die Täter Das von der SED zu verantwortende Unrecht werden jedoch weiterhin verfolgt. beschäftigt uns in vielen Bereichen. Bei der Aufarbei- Nun wissen wir alle, daß es bereits im Jahre 1990 tung ist es nicht immer einfach, einen gerechten und Bestrebungen gab, Stasi-Spione zu amnestieren. Ich befriedigenden Weg zu finden. Ich erlebe diesen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18763*

Zwiespalt gerade wieder bei den Beratungen zum hingenommen werden müssen, rechtfertigen eine Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. solche Differenzierung. Demzufolge liegt eine sach- lich begründete unterschiedliche Behandlung vor. Um es klar zu sagen: Rechtlich steht der Strafverfol- gung nichts im Wege. Die grundsätzliche Anwendbar- Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG keit der Landesverratsvorschriften wird selbst von verbietet die Strafbarkeit ebenfalls nicht. Grundsätz- denen nicht bestritten, die die Strafverfolgung letzt- lich gewährleistet das Rückwirkungsverbot, daß eine lich ablehnen. Die Anwendbarkeit des bundesdeut- Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Straf- schen Strafgesetzbuches auf Taten vor dem Beitritt barkeit zuvor gesetzlich bestimmt war. Eine Strafbar- der ehemaligen DDR ergibt sich zumindest über § 5 keit lag — wie bereits ausgeführt — sowohl für die Zeit Nr. 4, wenn nicht sogar über die §§, 9 und 3 StGB. vor als auch nach dem Beitritt vor. Die Tatsache, daß Gemäß § 5 Nr. 4 StGB gilt das deutsche Strafrecht durch den Beitritt der DDR und die daraus folgende unabhängig vom Recht des Tatortes unter anderem Ausdehnung der Hoheitsgewalt der Bundesrepublik auch für das im Ausland begangene Vergehen der die Zugriffsmöglichkeit erweitert und die von Anfang geheimdienstlichen Tätigkeit. Diese Vorschrift paßt zulässige Strafverfolgung verwirklicht worden ist, sowohl nach dem Wortlaut als auch nach ihrem Sinn: wird vom Rückwirkungsverbot nicht erfaßt. Es geht um das jeweilige staatliche Interesse am Die Strafbarkeit wird weiterhin nicht durch den aus Selbstschutz, welches die Schranken des Ter ritorial- dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 GG abgeleiteten prinzips in solchen Konstella tionen aufhebt. Vertrauensgrundsatz gehemmt. Der Schutz vor frem- Auch nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepu- der Strafverfolgung, der sich aus der Rechtsordnung blik bleibt die Strafbarkeit der Spionagetätigkeit und Hoheitsgewalt der DDR für HVA-Bedienstete bestehen. Sie orientiert sich an den Regelungen des ergab, ist ihnen von ihren eigenen, durch demokrati- Einigungsvertrages. Dessen Art. 8 setzt das Recht der sche Wahlen legitimierten Hoheitsträgern mit dem Bundesrepublik allgemein in Kraft, und unter den Abschluß des Einigungsvertrages und dessen Vollzug Ausnahmen des Regelungstransfers sind die hier in einer der Bundesrepublik Deutschland nicht zure- interessierenden Vorschriften der §§ 5 Nr. 4, 94 ff. chenbaren Weise entzogen worden. StGB nicht zu finden, im Gegenteil: Die durch den Aus all diesem ergibt sich, daß die Strafverfolgung Einigungsvertrag im Einführungsgesetz zum StGB rechtmäßig ist. Eine Generalamnestie verbietet sich eingestellte Vorschrift des Art. 315 Abs. 4 antwortet darüber hinaus nicht zuletzt aus der notwendigen ausdrücklich auf dieses Problem. Der Ausschluß von Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung von Strafrechtsnormen soll gerade dann nicht gelten, 40 Jahren Sozialismus. wenn das bundesdeutsche S trafrecht schon vor der „Wende" in der DDR Geltung hatte; das war bei den §§ 94 bis 99 StGB der Fall, wie ich aufgezeigt habe. Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Der Gegen- Weder völkerrechtliche noch staatsrechtliche Argu- stand, zu dem die Bundestagsgruppe der PDS/Linke mente sprechen gegen diese Anwendbarkeit. Liste diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat, war im Sommer 1990 in beiden deutschen Staaten unumstrit- Auch wenn man die Spionagetätigkeit in Friedens- ten. Eine großzügige Amnes tie „teilungsbedingter zeiten für legal hält, ändert das nichts an der Tatsache, Straftaten" sollte gewährt werden. Justizminister daß jeder Staat die Befugnis hat und auch haben muß, Engelhard meinte damals, es sei „im Interesse des die gegen ihn gerichtete Spionage unter S trafe zu vereinten Deutschland, auch unter die Vergangenheit stellen. Das gilt auch für die Fälle, in denen die im nachrichtendienstlichen Bereich einen Schluß- Tätigkeit vom Boden eines anderen Staates aus durch strich zu ziehen"; (Die Welt, 11. August 1990). Die „staatliche Organe" erfolgt. Der einzelne Staat muß westdeutschen Quellen der HVA sollten nicht auto- die Möglichkeit haben, sich selbst zu schützen. matisch mit Amnestie rechnen können, aber selbst Auch die einzige ausdrückliche Regelung zur Straf- Frau Berghofer-Weichner, die damals bayerische barkeit von Spionen — Art. 32 der Haager Landkriegs- Justizministerin war, lehnte deren Amnes tie nicht ordnung von 1907 — ändert an der Frage der Straf- grundsätzlich ab, sondern wollte zwischen denjeni- barkeit nichts. Danach darf ein vom Feind gefangen- gen, „die aus politischer Überzeugung gehandelt genommener Spion, der zu seinem Heer zurückge- haben" und denen man Straffreiheit zubilligen könne, kehrt war, für die früher begangene Spionage nicht und „anderen, die für Geld gearbeitet haben" unter- bestraft werden. Von Verfechtern für die Straflosig- scheiden. Bei denen bestünde allerdings für eine keit der Spionage wird diese Norm immer als Grund Amnestie „überhaupt kein Anlaß"; (Die Welt, 6. Au- für die Unanwendbarkeit des Strafgesetzbuches gust 1990). Herr Bötsch, damals Landesgruppenchef angeführt. Dabei wird übersehen, daß es sich bei der CSU, meinte am 13. September 1990 in der dieser Regelung um eine Sonderregelung des Kriegs- „Frankfurter Neuen Presse", das ganze Heer der völkerrechts handelt, die nur für den Fall der Vor- ehemaligen DDR-Spione vor die Ge richte zu schlep- nahme von Kriegshandlungen gilt. pen wäre „ein Unding und einfach nicht machbar .. . Ein Akt der Befreiung" sei deshalb eine Amnestie. Die Realisierung der Strafverfolgung verstößt auch nicht — wie häufig angenommen — gegen den Die SPD stellte das gesamte Anliegen einerseits in Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, Frage, indem sie das Wort von der „Stasi-Amnestie" weil für BND-Angehörige in vergleichbarer Stellung aufbrachte, die der Bevölkerung im Osten nicht zu die Strafbarkeit nach den Bestimmungen des Strafge- vermitteln sei, andererseits forderte sie die Erweite- setzbuches der DDR entfallen ist. Die schutzwürdigen rung der Amnestie auf alle möglichen anderen Taten staatlichen Interessen an der Abwehr solcher der Vergangenheit. Frau Däubler-Gmelin sagte im Angriffe, die auch aus völkerrechtlicher Sicht nicht Bundestag am 5. September 1990, m an solle mit der 18764' Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

„Stasi-Amnestie" warten, bis die Opfer der Stasi richtendienste für nachrichtendiensttypische Hand- rehabilitiert und entschädigt seien, und außerdem lungen straffrei gestellt werden. Herr Schäuble hat sollten doch gemeinsam mit den Stasi-Mitarbeitern dies in seinem Buch „Der Vertrag" getan (wir zitieren auch die Postschaffner und Lokführer rehabilitiert dies in der Drucksache). Lothar de Maizière hat sich werden, die wegen ihrer DKP-Mitgliedschaft aus dem gegenüber der Verteidigung im Wolf-Prozeß dahin öffentlichen Dienst geflogen seien, Nazi-Opfer seien gehend geäußert, daß die DDR-Seite bei den Ver- noch zu entschädigen, die Blockierer von Atomwaf- handlungen zum Einigungsvertrag auf einer Straffrei- fen- und Chemiewaffen-Lagern zu amnestieren. Als stellung der DDR-Auslandsnachrichtendienste be- der Gesetzentwurf der Regierung im Bundesrat ein- standen hat. Ein Verzicht auf eine entsprechende gebracht wurde, wurde er dort von den SPD-geführten Klausel sei ihm nur unter der Bedingung abzuringen Ländern angegriffen. Natürlich gab es diese große gewesen, daß mit der Vereinigung eine Amnestierung Jubelamnestie nicht und auch die kleine Amnestie für der Auslandsnachrichtendienste der dann ehemali- Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der gen DDR erfolgen würde. Unter dem unerhörten äußeren Sicherheit gab es nicht. Obwohl auch ein- Zeitdruck der Vertragsverhandlungen seien er (de zelne Politiker der SPD am Gedanken der Amnestie Maizière) und Schäuble übereingekommen, alle mit festhielten, z. B. unser Kollege Hans de With, der der SPD strittigen Punkte nicht in den Einigungsver- wiederholt erklärte. daß die Ungleichbeh andlung von trag aufzunehmen, um die Einheit nicht zu gefähr- BRD- und DDR-Spionen in seinen Augen unlogisch den. sei, lehnte am 6. September der Bundesrat mit der Dies ist insofern bedeutsam, weil z. B. der Dritte Mehrheit der SPD-geführten Länder den Gesetzent- Strafsenat des OLG Düsseldorf im Wolf-Prozeß die wurf als „unausgereift" ab. Das gesamtdeutsche Par- Auffassung vertreten hat, wenn der Gesetzgeber eine lament solle nach der Bundestagswahl über eine Straffreistellung der Auslandsaufklärung der DDR „abgewogene Schlußstrichamnestie" entscheiden. gewollt hätte, dann hätte er sie auch geregelt. Es ist Dies ist bis heute nicht geschehen. wohl nun an der Zeit, daß die Zusage, die seinerzeit Damit lag der „Schwarze Peter" bei den Gerichten. dem Verhandlungsführer der DDR, Lothar de Maiziè- Diese haben aber schon deutlich zu erkennen gege- re, gegeben worden ist, endlich eingelöst wird. Es ist ben, daß sie ihn nicht behalten wollen. So hat der Erste in höchstem Maße unfair, daß die Mitarbeiter und Strafsenat des Kammergerichts Berlin in seinem Vor- Quellen der Auslandsaufklärung der DDR die Zeche lagebeschluß zur Sache des ehemaligen Leiters der dafür zahlen, daß der Einigungsvertrag und die ihn Spionageabwehr des MfS gesetzgeberischen Rege- umgebenden Dokumente derart mit der heißen Nadel lungsbedarf angemahnt. Auch der Präsident des Bun- genäht wurden, was ja auch auf anderen Gebieten desgerichtshofes, Walter Odersky, hat in einem Inter- heute große Schwierigkeiten bereitet. view mit der Berliner Zeitung vom 5. Februar 1994 Schließlich besteht Handlungsbedarf, weil die formuliert: Der Gesetzgeber „hat die Spionage Ost Gerichte von der bestehenden unklaren Rechtslage gegen West nicht aus der Strafbarkeit herausgenom- offenbar überfordert sind. Die Äußerung des BGH- men, wie beispielsweise am Ende des Besatzungssta- Präsidenten macht dies wohl sehr deutlich. Die tuts eine etwa ähnliche Problematik aus der Strafbar- Gerichte irren zwischen unechtem Rückwirkungsver- keit herausgenommen worden ist. Damit stellt sich die bot, der Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit Frage, ob die Richter des Bundesgerichtshofes oder von Art. 31 der Haager Landkriegsordnung und dem des Bundesverfassungsgerichts das ersetzen oder aus- Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG herum. Sie bügeln sollen, was in erster Linie Aufgabe des Gesetz- müssen die Nachrichtendienste in „gute" Nachrich- gebers gewesen wäre". tendienste und „böse" Nachrichtendienste einteilen (wie der Dritte Strafsenat des BGH), um die Ungleich- Warum besteht jetzt in dieser Frage Handlungsbe- behandlung zu rechtfertigen. Sie greifen zu teilweise darf? Zunächst bestehen alle die guten Gründe, die abenteuerlichen Konstrukten in der Literatur, um 1990 für eine derartige Straffreistellung für die Mitar- Verurteilungen zu rechtfertigen. Wir sollten die beiter der Auslandsnachrichtendienste der DDR Gerichte aus dieser mißlichen Lage befreien, indem bestanden haben und die die Bundesregierung in wir die Rechtslage klären. ihrem damaligen Gesetzentwurf genannt hat, fort. Ich erinnere Sie an die Begründung der damaligen Was spricht für eine Straffreistellung der Angehöri- Drucksache 11/7762: Die gegenseitige nachrichten- gen der Auslandsnachrichtendienste und ihrer Quel- dienstliche Aufklärung war eine Teilungsfolge und len jetzt? Hier ist sicher zwischen den Angehörigen Konsequenz der Einbindung beider deutscher Staaten der HVA, die ihren Lebensmittelpunkt in der DDR in gegensätzliche politische und Sicherheitssysteme; hatten, und ihren nachrichtendienstlichen Quellen, für den Rechtsfrieden ist die Akzeptanz der Rechts- die ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik ordnung wichtig, auch was die Verfolgung derartiger und in Westberlin hatten, zu unterscheiden. Was die Straftaten be trifft; nachrichtendienstliche Auslands- Angehörigen der HVA (und der Militäraufklärung der aufklärung ist ambivalent: für den aufklärenden Staat NVA) betrifft, so ist eine Straffreistellung vor allem ein legitimes Mittel, für den ausgespähten Staat unter den Gesichtspunkten der Gleichbehandlung strafbare Spionage. und des Vertrauensschutzes geboten. Sie durften darauf vertrauen, daß sie vor Strafverfolgung durch Weiterhin ist inzwischen durch die Äußerungen der die Bundesrepublik Deutschland geschützt sind, in der Vereinigungsphase handelnden maßgebenden solange sie sich nicht in deren Hoheitsgewalt bege- Politiker der Bundesrepublik und der DDR eindeutig ben. Auf diesen Schutz, den ihnen die Eigenstaatlich- belegt, daß damals beide Seiten einen Zustand woll- keit der DDR gewährte, durften sie vertrauen. Der ten, indem die Mitarbeiter der DDR-Auslandsnach- Wegfall dieses Schutzes war von ihnen nicht zu Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18765' beeinflussen, und sie mußten und konnten sich darauf Seite und ihrer Wiedereingliederung in die Gesell- auch nicht einstellen. Unter diesen Umständen hat der schaft rechnen konnten. Erste Strafsenat des Kammergerichts Berlin einen Verstoß von Art. 315 Abs. 4 EGStGB gegen A rt. 3 GG gesehen und „die Anwendung der formalen Rechts- Es bleibt auch hier die Frage der Gleichbehandlung, lage als mit dem in Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck denn die für die Dienste der BRD arbeitenden Quellen kommenden Gerechtigkeitsgedanken unvereinbar „ wurden ja mit dem Wegfall des Strafanspruchs der gehalten. DDR praktisch amnestiert. Es bleibt auch hier die rechtspolitische Frage, welchem Zweck eigentlich Ich wurde, als ich in der Gemeinsamen Verfas- eine weitere Strafverfolgung dient. Weder general- sungskommission die Herren Klaus Kinkel und Mar- noch spezialpräventive Zwecke sind für mich erkenn- kus Wolf verglich und ihre Ungleichbehandlung bar. Es gibt keinerlei überprüfbare Hinweise, daß der rügte, wüst beschimpft. Es liegt mir fem, diesen KGB ehemalige DDR-Quellen übernommen hätte Vergleich allzuweit zu treiben. Aber es ist doch wohl oder daß er es auch nur nennenswert versucht hätte. eine Tatsache, daß beide zeitweise einen Auslands- Es gibt keine erkennbaren Gründe, warum Men- nachrichtendienst geleistet haben. Das trifft auch auf schen, die aus ideologischen Gründen für die HVA Herrn Bush zu, den der Bundeskanzler gerade erst gearbeitet haben, heute für den russischen Aufklä- dekoriert hat. Es trifft auf Andropow zu und auf rungsdienst arbeiten sollten. Auch der Gesichtspunkt Eduard Schewardnadse. Alles ehrenwerte Männer. der Resozialisierung spricht eher gegen eine Strafver- Nur Markus Wolf wurde zu einer langjährigen Frei- folgung. heitsstrafe verurteilt. Auch dem Kollegen Eppelmann erschien es im Zum Schluß noch eine Bemerkung: Die Straffreistel- September 1992 — ich zitiere aus einem B rief an Frau lung wegen der teilungsbedingten nachrichtendienst- Leutheusser-Schnarrenberger — „absurd, daß dieje- lichen Straftaten ist 1990 im Wahlkampf unter dem nigen, die in der Militärabwehr und zum Schutz der irreführenden Beg riff der „Stasi-Amnestie" zerrieben Geheimnisse einer Armee arbeiteten, wie es in jeder worden — unter führender Beteiligung der SPD. Sie Armee der Welt üblich ist, der Strafverfolgung einer sollten auf allen Seiten dieses Hauses nicht überse- ehemals als feindlich eingestuften Justiz überantwor- hen, daß wesentliche Impulse für die Deutschl an tet werden könnten. Dies erscheint mir auch im Politik mit Gesprächen, Kontakten und Informationen nachhinein aus meiner heutigen Sicht durchaus noch der Hauptverwaltung Aufklärung zusammenhingen, ein richtiger Standpunkt zu sein. Ich meine, daß an denen auf beiden Seiten prominente Leute mitd- gerade die be troffene Gruppe, falls gegen sie wegen natürlich unterschiedlichen Motiven beteiligt waren. geheimdienstlicher Agententätigkeit ermittelt wird, Das trifft nicht nur auf die 50er Jahre zu, als sich ein nur unter rückwirkender Anwendung von bundes- Minister der Regierung Adenauer mit Markus Wolf deutschen Gesetzen strafrechtlich verfolgt werden traf. Die Kampagne um die Person Herbert Wehners kann. Dies widerspräche aber meiner Rechtsauffas- und die Versuche, aus den Akten des SED-Archivs sung und wie immer wieder betont wurde, wohl auch Wahlkampfmunition zu verfertigen, haben doch der der Bundesregierung." gezeigt, daß diese Dinge allenfalls den Medien nut- zen, aber keiner der hier vertretenen Parteien. Des- Daß die Methoden der DDR-Nachrichtendienste die halb mein Appell: Der hier vorliegende Gesetzent- gleichen Methoden wie die aller Nachrichtendienste wurf betrifft eine ernste Sache, die ein Beitrag zur waren, ist bisher durch nichts und niemanden wider- Versöhnung der ehemaligen Gegner im Kalten legt. Unter diesen Umständen ist der Eindruck der Krieg sein könnte. Halten Sie sie aus dem Wahl- Gesinnungsjustiz unvermeidlich, es sei denn, man kampf heraus. bestreitet, daß die DDR legitime Sicherheitsinteressen hatte, daß sie also bedroht war und sich schützen durfte.

Was die Quellen der DDR-Nachrichtendienste Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- betrifft, also überwiegend Menschen, die ihren ministerin der Justiz: Die Initiatoren dieses Gesetzent- Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik oder in wurfs berufen sich zu Unrecht auf die Initiative der Westberlin hatten, so können diese sich natürlich Regierungskoalition vom September 1990. Die Über- nicht in der gleichen Weise auf Vertrauensschutz nahme ihres Titels ist irreführend. Anliegen der Koali- berufen. Ihre Tätigkeit war natürlich immer von tion war es, der besonderen Situation der früheren strafrechtlicher Verfolgung real bedroht. Dennoch Mitarbeiter der DDR-Nachrichtendienste Rechnung hatten auch diese Menschen einen Anspruch darauf, zu tragen, soweit sie ihren Lebensmittelpunkt in der von ihrem „Dienstherr" geschützt zu werden. Wenn ehemaligen DDR hatten. Bürger der alten Bundesre- die DDR sich dieser Loyalitätspflicht unter den schon publik sollten bei einer landesverräterischen Tätig- beschriebenen Umständen der Verhandlungen über keit aus Gründen der Schadensaufdeckung und den Einigungsvertrag begeben hat, so bleibt doch die -begrenzung nur dann in den Genuß von Straffrei- rechtspolitische Frage, ob sich die Bundesrepublik heit gelangen, wenn sie ihre Straftat offenbaren. dieser Strafgewalt gegenüber den früheren DDR- Das heißt: Nicht entdeckten Agenten sollte ein An- Spionen heute noch bedienen muß. Immerhin ist reiz gegeben werden, sich zu stellen und einen deren Lage gegenüber der Zeit vor dem Zusammen- Schlußstrich unter ihre bisherige Tätigkeit zu zie- bruch der DDR wesentlich verschlechtert, als sie mit hen. Der Entwurf der PDS/Linke Liste stellt hinge- einem Austausch gegen die Kollegen der anderen gen die Bürger der alten Bundesrepublik, die für 18766* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 die ehemalige DDR spioniert haben, ohne jede Ein- Anlage 11 schränkung von Strafe frei. Er belohnt damit die Antwort Illoyalität dieser Personen gegenüber dem eigenen Staat, er krönt ihren Verrat. Hier wird der Rechtsstaat der pari. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl ad absurdum geführt. auf die Frage der Abgeordneten Lieselott Blunck (Uetersen) (SPD) (Drucksache 12/6965 Frage 13): Die Bleichlautenden Gesetzentwürfe der Koali- Wie wird die Bundesregierung in der Orientierungsdiskussion tionsfraktionen und der Bundesregierung über Straf- zur ,,Novel food '-Verordnung im Binnenmarkt-Rat am 10. März freiheit bei Landesverrat und Gefährdung der äuße- 1994 das Parlamentsvotum durchsetzen, das einen umfassenden Geltungsbereich unter Einbeziehung sämtlicher Lebensmittel, ren Sicherheit sind in der vergangenen Legislaturpe- die unmittelbar oder mittelbar durch Anwendung gentechni- riode nicht mehr abschließend beraten worden und scher Verfahren entstehen oder hergestellt werden, auch wenn damit dem Grundsatz der Diskontinuität anheimge- die gentechnisch veränderten Organismen im Endprodukt nicht fallen. Wegen der in den parlamentarischen Beratun- mehr enthalten sind und von Zusatz- und Hilfsstoffen, Enzymen, Einzellerproteinen und Einzellerölen sowie eine angemessene gen und in der öffentlichen Reak tion sichtbar gewor- Bewertung des Risikopotentials im Rahmen von Zulassungsver- denen mangelnden Akzeptanz dieses Vorhabens ist fahren fordert, und ist sichergestellt, daß sie einschränkenden bislang von einer erneuten Einbringung abgesehen Regelungen wie Anwendung der Verordnung nur bei wesentli- worden. Wir haben damals erkennen müssen, daß sich chen Veränderungen des Produkts nicht zustimmen wird? die beabsichtigte friedensstiftende Wirkung einer Amnestie nicht erreichen ließ. Ob sich in der Zwi- Die Bundesregierung setzt sich für einen eindeutig schenzeit das öffentliche Bewußtsein in dieser Hin- definierten Anwendungsbereich der Verordnung sicht geändert hat, ob heute mehr Verständnis für über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebens- mittelzutaten ein. Dazu gehören alle Lebensmittel und Amnestieüberlegungen vorhanden ist, mag hier Lebensmittelzutaten, die gentechnisch veränderte dahinstehen. Die Einblicke in die Spionagetätigkeit Organismen enthalten oder aus solchen bestehen der ehemaligen DDR, die sich seitdem aufgetan oder aus gentechnisch veränderten Organismen her- haben, sind jedenfalls nicht geeignet, ein günstigeres gestellt wurden. Von den letztgenannten Erzeugnis- Klima zu fördern. sen sollen nur die Lebensmittel und Lebensmittelzu- Eine erneute Initiative für eine Amnestie wäre zur taten vom Geltungsbereich ausgenommen werden, Zeit jedoch verfrüht. Wie Sie wissen, hat das Kammer- die zu herkömmlich erzeugten Produkten keine gericht Berlin dem Bundesverfassungsgericht die erkennbaren — und nicht wie im Verordnungsvor- Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die strafrechtli- schlag vorgesehen „signifikanten" — Unterschiede che Verfolgung der Personen mit dem Grundgesetz aufweisen, wie Zucker, pflanzliche Öle oder Stärken. vereinbar ist, die Landesverrat oder geheimdienstli- Gentechnisch gewonnene Enzyme sollen demgegen- che Agententätigkeit vom Boden der ehemaligen über der Verordnung unterliegen. DDR aus begangen haben und die im Zeitpunkt der Für Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungs- Wiedervereinigung ihre Lebensgrundlage in der ehe- mittel, die mit gentechnischen Verfahren hergestellt maligen DDR hatten. Es ist zu erwarten, daß das wurden, besteht nach Auffassung der Bundesregie- Bundesverfassungsgericht in seine Prüfung auch den rung ebenfalls ein Regelungsbedarf. Die entsprechen- Gesichtspunkt einer Amnestie miteinbeziehen wird. den Regelungen müssen jedoch nicht unbedingt in Das Gericht strebt nach seinem Arbeitsprogramm an, der Verordnung über neuartige Lebensmittel und dieses Verfahren noch in diesem Jahr abzuschließen. neuartige Lebensmittelzutaten ge troffen werden, son- Bereits aus Gründen der Courtoisie gegenüber dem dern könnten auch im Rahmen der produktspezifi- höchsten Ge richt sollte der Deutsche Bundestag des- schen Gemeinschaftsvorschriften erfolgen. sen Entscheidung bei der Frage einer Amnes tie nicht Einzellerproteine werden gemäß dem geänderten vorgreifen. Vorschlag nunmehr als eigene Produktgruppe vom Anwendungsbereich erfaßt. Im übrigen ist eine Amnes tie nicht dringlich. Die Bei allen Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten, Urteile, die bisher gegenüber ehemaligen Mitarbei- die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen tern der Nachrichtendienste der DDR mit Wohnsitz in und Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit der ehemaligen DDR ergangen sind, zeichnen sich haben, ist eine angemessene Risikobewertung im durch ein mildes Strafmaß aus. Soweit Freiheitsstrafen Rahmen des vorgeschlagenen Genehmigungsverfah- verhängt worden sind, ist — abgesehen vom Fall rens auch durch Beteiligung des Wissenschaftlichen Markus Wolf — die Strafe zur Bewährung ausgesetzt Lebensmittelausschusses durchzuführen. worden. Darüber hinaus haben die Ermittlungsbehör- den bei diesem Personenkreis in großem Umfang von Eine generelle Einschränkung des Anwendungsbe- der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung wegen reichs der Verordnung auf Produkte, die im Vergleich geringer Schuld Gebrauch gemacht. Von besonderer zu herkömmlich hergestellten Produkten eine we- Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Verfah- sentliche Veränderung erfahren haben, wird von der renseinstellung nach § 153 e StPO. In ihren Genuß Bundesregierung abgelehnt. können alle nachrichtendienstlich tätigen oder ver- strickten Bürger der ehemaligen DDR kommen, wenn sie sich gegenüber den Behörden offenbaren. § 153 e Anlage 12 StPO ist ein Angebot an all diejenigen, die ihre Treue und Verbundenheit mit ihrem neuen Staat bekunden Antwort und einen persönlichen Beitrag leisten wollen, der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl häßliche Spuren der Teilung Deutschlands zu be- auf die Fragen der Abgeordneten Susanne Kastner seitigen. (SPD) (Drucksache 12/6965 Fragen 14 und 27): Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18767*

Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die bei der ren 1994/95 erforderlichen Ersatzinvestitionen wer- Bekämpfung der Pflanzenschutzmittel im Trinkwasser mit den von der Deutschen Bahn AG vorgenommen. Der Aktivkohlepulver entstehenden Probleme mit belastetem Schlamm in Trinkwassertalsperren zu lösen, und wie kann ein Bund wird hierfür Baukostenzuschüsse in den Jahren weitgehender Verzicht auf die Herbizide Chlortoluron und 1994 in Höhe von 1,2 Millionen DM und im Jahre 1995 Isoproturon im Einzugsbereich von Trinkwassertalsperren in Höhe von 1 Million DM erbringen. erreicht werden? Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefährdung der Gewässer und der Trinkwasserressourcen durch den Einsatz Zu Frage 18: von Totalherbiziden wie Diuron im nichtlandwirtschaftlichen Bereich z. B. bei den Deutschen Bahnen, und wie steht sie zu der Die Instandsetzung setzt voraus, daß die am Weiter- Forderung, den Einsatz dieser Totalherbizide durch Einführung betrieb der Strecke interessierten Gebietskörper- einer Rezeptpflicht weitgehend einzuschränken? schaften, der Landkreis Cloppenburg, die anliegen- den Städte und Gemeinden, entweder ein Transport- Zu Frage 14: aufkommen verbindlich zusagen, das die Betriebsko- sten der Strecke und der Güterbeförderung deckt, Nachgewiesene Verunreinigungen des Roh- und oder in Verhandlungen mit ihnen bis etwa Ende April Trinkwassers von Talsperren durch Pflanzenschutz- 1994 erreicht werden kann, daß diese sich an nicht mittel sind auf eine unsachgemäße oder rechtswidrige durch Erträge gedeckten Kosten der Beförderung von Anwendung zurückzuführen, die von den zuständi- Gütern von und nach Versand- beziehungsweise gen Landesbehörden durch ordnungsgemäßen Voll- Empfangsorten an dieser Strecke beteiligen. zug der Vorschriften sowie unter sachkundiger und rechtsverbindlicher Beratung potentieller Verursa- cher zu unterbinden ist. Verzicht oder Verbote einzel- ner Stoffe lösen das Problem der unsachgemäßen Anwendung nicht. Anlage 14 Antwort Zu Frage 27: Durch die Anwendung von Herbiziden im nicht- des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen landwirtschaftlichen Bereich sind in der Vergangen- der Abgeordneten Antje-Marie Steen (SPD) (Druck- heit mehrfach Fälle von Verunreinigungen von sache 12/6965 Fragen 21 und 22): Gewässern und Trinkwasserressourcen aufgetreten. Trifft es zu, daß Frauen in der Bundesrepublik Deutschland Dabei sind offensichtlich die regionalen geologischen nach Erwerb eines Busführerscheins zusätzlich eine amtsärztli- che Bescheinigung der „Unbedenklichkeit", also eine ärztliche und hydrogeologischen Bodenverhältnisse nicht be- Bestätigung biologischer Lenkbefähigung, vorlegen müssen, die achtet oder es sind Fehler bei der Anwendung zudem alle 18 Monate erneuert werden muß? gemacht worden. Kann die Bundesregierung erläutern, in welchem Umfang Nach § 6 Abs. 2 des Pflanzenschutzgesetzes ist die diese gesetzliche Maßgabe die EG-Richtlinie berührt, die sich mit der „Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehand- Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf nicht lung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur land- bzw. forstwirtschaftlich oder nicht gärtnerisch Beschäftigung, zur Berufsausbildung, zum beruflichen Aufstieg genutzten Flächen von der zuständigen Landesbe- sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen" (erlassen bereits hörde zu genehmigen. 1976) beschäftigt? Im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des Pflanzenschutzgesetzes ist vorgesehen, für die Die Verordnung über die Beschäftigung von Frauen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf Verkehrs- auf Fahrzeugen vom 2. Dezember 1971 sieht arbeits- flächen Leitlinien aufzustellen. medizinische Untersuchungen der auf Lastkraftwa- gen und Omnibussen beschäftigen Frauen vor Beginn der Beschäftigung und danach in regelmäßigen Abständen von 18 Monaten vor. Bei der erstmaligen Zulassung der vorher verbotenen Beschäftigung von Anlage 13 Frauen auf Lastkraftwagen und Omnibussen erschie- Antwort nen seinerzeit Eignungsuntersuchungen für Frauen zur Vermeidung geschlechtspezifischer Gefährdun- des Staatssekretärs Dr. Wilhelm Knittel auf die Fragen gen (z. B. durch Erschütterungen) erforderlich. des Abgeordneten Günter Graf (SPD) (Drucksache 12/6965 Fragen 17 und 18): Bei den seit Erlaß dieser Verordnung durchgeführ- ten ärztlichen Untersuchungen sind geschlechtsspezi- Trifft es zu, wie der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens über den CDU-Stadtverbandsvorsitzenden in der Sit- fische Gefährdungen, die eine Sonderregelung für die zung des Rates der Stadt Friesoythe am Montag, 28. Februar Beschäftigung von Frauen weiterhin erfordern wür- 1994, hat mitteilen lassen, daß die Bundesbahnstrecke Cloppen- den, nicht festgestellt worden. Der Entwurf eines burg-Friesoythe mit exakt 2 Mio. DM instandgesetzt wird? Arbeitszeitrechtsgeseztes der Bundesregierung sieht Wenn ja, sind an die Instandsetzungen mit einem Volumen daher die ersatzlose Streichung der Verordnung vor. von 2 Mio. DM irgendwelche Bedingungen geknüpft, die das Damit wird auch der Richtlinie des Rates der EG vom Land, den Landkreis bzw. die Kommunen in irgendeiner Weise in Anspruch nehmen? 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Zu Frage 17: Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Die für die Aufrechterhaltung eines sicheren Betrie- Bezug auf die Arbeitsbedingungen Rechnung getra- bes der Strecke Cloppenburg-Friesoythe in den Jah- gen. 18768* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Anlage 15 oder aufhalten wollten (dies trifft z. B. auf Asylbewer- Antwort ber zu), fortgezogen. Im selben Jahr sind rund 1 200 000 Ausländer für einen nicht nur vorüberge- des Staatssekretärs Dr. Wilhelm Knittel auf die Fragen henden Aufenthalt nach Deutschland zugezogen. des Abgeordneten Klaus Harries (CDU/CSU) (Druck- sache 12/6965 Fragen 23 und 24): Für das Jahr 1993 sind nach einer vorläufigen Auswertung des Ausländerzentralregisters rund Ist die Bundesregierung darüber informiert, daß die Hambur- ger Elektrizitätswerke (HEW) zur Zeit überlegen und untersu- 400 000 Fortzüge und rund 800 000 Zuzüge von Aus- chen, ob ein Wasserkraftwerk in der Elbe bei Geesthacht mit ländern mit nicht nur vorübergehendem Aufenthalt zu Stau der Elbe um weitere 1,05 Meter wirtschaftlich und zweck- verzeichnen. Ergebnisse der amtlichen Wanderungs- mäßig ist? statistik liegen erst für das 1. Halbjahr 1993 vor. Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung als Träger des Danach haben im 1. Halbjahr 1993 rund 35 000 Binnenschiffahrtsweges Elbe und aus Gründen des Natur- und Umweltschutzes die Folgen eines dann erforderlichen Anstaus Deutsche die Bundesrepublik Deutschl and verlas- der Elbe? sen.

Zu Frage 23: Zu Frage 46: Bekannt ist durch Vorabinformation der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes, daß die Ham- Am 30. Juni 1993 hielten sich 6 759 569 Ausländer burger Elektrizitätswerke Überlegungen anstellen, in der Bundesrepublik Deutschl and auf. Am 28. Fe- ein Wasserkraftwerk an der Elbestaustufe Geesthacht bruar 1994 waren es 6 892 063. zu errichten. Hierzu besitzen sie seit 1956 für Somit hat sich die Zahl der Ausländer in der 100 Jahre das entsprechende Wasserrecht. Bundesrepublik Deutschland in der Zeit seit dem Einzelheiten über die Planungen liegen dem BMV Inkrafttreten der Asylrechtsänderung bis zum 28. Fe- nicht vor. bruar 1994 um 132 494 Personen erhöht. Von einer monatlichen Bekanntgabe der Auslän- Zu Frage 24: derzahlen nimmt die Bundesregierung Abstand, weil Bei der 1960 gebauten Staustufe Geesthacht ist die statistische Auswertung des Ausländerzentralre- planerisch die Möglichkeit berücksichtigt worden, ein gisters mit hohem Arbeits- und Kostenaufwand ver- Wasserkraftwerk zu errichten. Die vorhandenen bunden ist. Am Ende eines jeden Jahres wird zu Anlagen erlauben daher einen um 1,65 m höheren Planungszwecken eine umfassende statistische Aus- Stau gegenüber dem heutigen Zustand. wertung des Registers vorgenommen. Auf Anfrage werden Sonderauswertungen durchgeführt. Für die Binnenschiffahrt würde sich eine Stauerhö- hung eher positiv auswirken. Aussagen zur Umweltverträglichkeit eines Wasser- kraftwerks Geesthacht können erst nach Durchfüh- rung einer Umweltverträglichkeitsuntersuchung ge- macht werden, die vom Träger des Vorhabens durch- Anlage 17 zuführen wäre. Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Drucksa- Anlage 16 che 12/6965 Frage 47):

Antwort Wie viele Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus dem des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- ehemaligen Jugoslawien wurden bisher aus der Bundesrepublik Deutschland wieder abgeschoben, und welche Gründe wurden gen des Abgeordneten Joachim Tappe (SPD) (Druck- dabei angeführt? sache 12/6965 Fragen 45 und 46): Wie viele Menschen — differenziert nach deutschen und ausländischen Bürgerinnen und Bürgern — haben in den Jahren Kriegsverweigerung und Desertion stellen für sich 1992 und 1993 die Bundesrepublik Deutschland verlassen, und betrachtet — von Ausnahmen abgesehen — weder wie hoch ist im Vergleich dazu die Anzahl der nach Deutschland einen Asylgrund noch ein Abschiebungshindernis eingereisten Ausländerinnen und Ausländer, die um einen längerfristigen Aufenthalt bzw. um einen Daueraufenthalt nach- dar. gesucht haben? Soweit das Bundesamt für die Anerkennung auslän- Welcher Wanderungssaldo ergibt sich für die Bundesrepublik discher Flüchtlinge im Zusammenhang mit der Ableh- Deutschland nach Inkrafttreten der Änderung des A rtikels 16 GG und entsprechender Begleitgesetze für den Zeitraum bis nung von Asylanträgen von Kriegsdienstverweige- zum 28. Februar 1994, und warum wird dieser Saldo nicht ebenso rern und Deserteuren aus dem ehemaligen Jugosla- von der Bundesregierung veröffentlicht wie die Anzahl der nach wien feststellt, daß kein Abschiebungshindernis vor- Deutschland eingereisten deutschstämmigen Aussiedler und liegt, werden diese Entscheidungen zahlenmäßig Asylbewerber? nicht gesondert ausgewertet. Soweit es um Ausländer geht, die keine Asylanträge gestellt haben, entschei- Zu Frage 45: den die Länder über die Abschiebung. Auch insoweit Im Jahre 1992 sind rund 85 000 Deutsche und rund liegen keine Zahlen bezüglich der Abschiebung von 600 000 Ausländer, die sich nicht nur vorübergehend Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus dem (drei Monate oder länger) in Deutschland aufhielten ehemaligen Jugoslawien vor. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18769*

Anlage 18 werber entgegennimmt und die vorrangige Bearbei- tung solcher Verfahren kontrolliert und sicherstellt. Antwort Durch diese Maßnahmen wird den Ländern die des Pari. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage Möglichkeit gegeben, eine schnelle Aufenthaltsbeen- des Abgeordneten Wilfried Böhm (Melsungen) digung nach bestandkräftig abgeschlossenem Asyl- (CDU/CSU) (Drucksache 12/6965 Frage 48): verfahren zu veranlassen. Hatte die Bundesregierung die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes — Bund der Antifaschisten" (VVN-BdA) zur offiziellen Eröffnungsfeier der Zentralen Gedenkstätte der Bun- desrepublik Deutschland in Berlin am 14. November 1993 eingeladen? Anlage 20 Die VVN-BdA wurde zu diesem Anlaß eingeladen. Antwort Die Einladung erfolgte durch das Bundesministerium des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Innern — wie üblich bei solchen Anlässen — des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.) (Druck- aufgrund einer vom Volksbund Deutsche Kriegsgrä- sache 12/6965 Frage 50): berfürsorge übermittelten Einladungsliste; diese Liste führt alle Opferverbände auf, die z. B. auch immer zu Gedenkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der entsprechenden Gerichtsentscheidungen (Verw.-Ge richt Sig- den Feierstunden des Volksbundes Deutsche Kriegs- maringen zur Zweitwohnungsteuer der Gemeinde Kressbronn, gräberfürsorge an den Volkstrauertagen eingeladen Az.: 2 K 15/93; Finanzgericht Baden-Württemberg zur Umsatz- werden. steuer Konstanz, Az.: 14 K 147/91) die bislang in der Schwebe zwischen Realteilungstheorie und Kondominatstheorie gelas- sene Frage der hoheitsgebietlichen Zuordnung des Bodensees politisch zu entscheiden, und wenn ja, wie? Anlage 19 Die Bundesregierung stellt fest, daß hinsichtlich der Antwort Grenzverhältnisse auf dem Bodensee und dessen des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage völkerrechtlichem Status die angrenzenden Staaten des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU) uneinheitliche Auffassungen vertreten. Mangels ei- (Drucksache 12/6965 Frage 49): ner Einigung dieser Staaten ist weder von einer Welche Bedeutung hat die Gruppe der Ausländer mit kurz- Realteilung des Bodensees, d. h. einer Teilung nach zeitigem Verweilstatus für die Kriminalitätsentwicklung in der Mittellinie, noch von einem Kondominium, d. h. Deutschland, und was wird die Bundesregierung in diesem einer Gemeinherrschaft auf gemeinsamem Staatsge- Zusammenhang zur Stärkung der Inneren Sicherheit unterneh- men? biet, auszugehen. Eine positive Beschreibung des Rechtszustandes wird erst möglich sein, wenn sich die In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird die beteiligten Staaten einvernehmlich darüber geeinigt Aufenthaltsdauer der ermittelten nichtdeutschen Tat- haben. verdächtigen nicht erfaßt. Deshalb kann nicht exakt Die genannten — noch nicht rechtskräftigen — berechnet werden, welcher Zusammenhang zwi- Urteile des Verwaltungsgerichtes Sigma ringen und schen Zahl und Struktur kurzzeitig eingereister Aus- des Finanzgerichtes Baden-Württemberg geben der länder einerseits und der Kriminalitätsentwicklung Bundesregierung keinen Anlaß auf eine Änderung andererseits besteht. des zuvor skizzierten Zustandes im Einvernehmen mit Aus den vorliegenden Daten der PKS für die alten den betroffenen Nachbarstaaten hinzuwirken. Länder einschließlich Berlin ist aber zu ersehen, daß der Anstieg der registrierten Kriminalität seit 1989 mit der starken Zunahme nichtdeutscher Tatverdächtiger zusammenhängt, während die Zahl der deutschen Anlage 21 Tatverdächtigen teils stagniert (Erwachsene), teils rückläufig ist (Tatverdächtige unter 21 Jahren). Antwort Gleichzeitig hat sich die Struktur der nichtdeutschen des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage Tatverdächtigen wesentlich geändert. Erheblich ge- der Abgeordneten Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE stiegen ist der Anteil der Asylbewerber. Gesunken GRÜNEN) (Drucksache 12/6965 Frage 51): sind dagegen die Anteile von Gruppen mit in der Welche „Minister des Bundes" gaben im Mai 1993 eine Akte Regel langzeitigem Verweilstatus, also von Arbeit- mit personenbezogenen Unterlagen über Dr. Alexander nehmern, Schillern und Studenten sowie Gewerbe- Schalck-Golodkowski nebst 49 Fotos gemäß § 8 des Stasi- treibenden. Unterlagen-Gesetzes (StUG) an den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen heraus, wie dieser dem Innenausschuß des In diesem Zusammenhang wird von der Bundesre- Deutschen Bundestages unter dem 28. Januar 1994 berichtete, gierung insbesondere unter dem Aspekt der Bekämp- und kann die Bundesregierung Auskunft geben über den fung der Drogenkriminalität sowie der allgemeinen genauen Inhalt der be treffenden Unterlagen und Fotos, über den Weg der Unterlagen in den Besitz der betreffenden Minister, Verbrechensbekämpfung der beschleunigten Bear- über die Besitzdauer sowie über deren konkrete Verwendung beitung von Asylverfahren straffällig gewordener der Akte? Ausländer hohe Priorität beigemessen. Beim Bundesamt für die Anerkennung ausländi- Von „Ministern des Bundes" ist im Mai 1993 eine scher Flüchtlinge ist deshalb eine Koordinierungs- Akte im Sinne der Fragestellung nicht an den Bundes- stelle eingerichtet worden, die bundesweit Meldun- beauftragten für die Stasi-Unterlagen herausgegeben gen der Länder über straffällig gewordene Asylbe- worden. 18770' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Die Unterlagen wurden von Herrn Joachim Hörster, handlungen keine Rechtfertigung im elterlichen MdB, im Mai 1993 an den Bundesbeauftragten her- Erziehungsrecht finden können. ausgegeben. Sie bestanden aus einer Akte (lose Blattsammlung) und 49 Fotos. Es handelte sich im wesentlichen um Unterlagen aus dem Finanzprüfbericht des Ministerrates der DDR Anlage 23 zum Bereich KoKo. Dieser Be ri cht wurde nach der Antwort Flucht von Herrn Schalck-Golodkowski im Dezember 1989 angefertigt und lag auch dem Runden Tisch der des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf DDR bzw. dem KoKo-Untersuchungsausschuß des die Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard- Deutschen Bundestages vor. Schmid (SPD) (Drucksache 12/6965 Frage 60): Weiterhin waren verschiedene Schreiben und Hat die Bundesregierung, nachdem ihr Informationen über den Bau der Anlage in Tarhuna/Libyen zugegangen waren, von Unterlagen vorhanden, die die Staatsanwaltschaft der den Ermächtigungen im Außenwirtschaftsgesetz in bezug auf DDR nach der Flucht von Herrn Schalck-Golodkowski das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis Gebrauch ge- über die Tätigkeit des KoKo-Bereiches angefertigt macht? hatte. Dabei handelte es sich um Unterlagen, die dem Nach § 41 Abs. 5 AWG unterrichtet die Bundesre- 1. Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundesta- gierung ein aus fünf Abgeordneten des Bundestages ges schon vorher durch den Bundesbeauftragten bestehendes Gremium über die Gegenstände von übergeben wurden und die somit keinen neuen Infor- Maßnahmen nach §§ 39 ff. AWG. Eine weitergehende mationswert hatten. Auskunftserteilung ist der Bundesregierung aus rechtlichen und ermittlungstaktischen Gründen nicht Die Fotos waren fast ausschließlich Privatfotos von möglich. Feiern im kleinen Kreis (Schalck-Golodkowski, Mit- tag, Mielke) und vereinzelt Detailfotos aus den Wohn- räumen von Schalck-Golodkowski. Wahrscheinlich waren diese Fotos von der Staatsanwaltschaft der DDR nach der Flucht von Herrn Schalck-Golodkowski Anlage 24 angefertigt bzw. zu den Akten genommen worden. Antwort des Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald auf die Fragen des Abgeordneten Siegfried Scheffler (SPD) (Drucksache 12/6965 Fragen 61 und 62): Anlage 22 Welche Verwendung plant die Bundesregierung für die ab Sommer freiwerdenden Wohnungen der alliierten Streitkräfte in Antwort Berlin? des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage Sieht die Bundesregierung Überlegungen, die Wohnungen bis des Abgeordneten Ortwin Lowack (fraktionslos) zum Regierungsumzug leerstehen zu lassen — angesichts der (Drucksache 12/6965 Frage 52): gravierenden Wohnungsnot in Berlin —, als indiskutabel an? Wie begegnet die Bundesregierung Bedenken, daß die von ihr initiierte Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB eher eine Ver- Zu Frage 61: schlechterung für Kinder im Vergleich zur geltenden Regelung Den Alliierten waren in Berlin rd. 6 300 bundesei- bedeuten könnte, weil nach dem Gesetzentwurf schwere Prügel nicht unbedingt Mißhandlungen von Kindern darstellen müs- gene Wohnungen überlassen. Davon werden sie rd. sen, und ist die Bundesregierung bereit, ihren Standpunkt 500 Wohnungen weiterhin zur Unterbringung ihres nochmals zu überdenken? diplomatischen Personals verwenden, so daß rd. 5 800 Wohnungen an den Bund zurückgegeben werden. Der von der Bundesregierung eingebrachte Ent- Von den auf den Bund zukommenden Wohnungen wurf eines Mißhandlungsverbotsgesetzes hat zum werden rd. 1 800 zur Deckung des in Berlin bereits Ziel, den Unterschied zwischen erlaubten und verbo- jetzt bestehenden dringendsten Bundesbedarfs ver- tenen Maßnahmen in der Erziehung zu verdeutlichen. wendet. Die übrigen rd. 4 000 Wohnungen werden bis Nach der bisherigen Formulierung des § 1631 Abs. 2 zum Umzug von Parlament und Teilen der Bundesre- BGB sind entwürdigende Erziehungsmaßnahmen gierung nach Berlin zwischenbewirtschaftet. unzulässig. Künftig soll diese Vorschrift lauten: Ziel der Zwischenbewirtschaftung ist es, die Woh- „Körperliche und seelische Mißhandlungen und nungen zu nutzen. und zugleich sicherzustellen, daß andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." sie beim Umzug verfügbar sind. Zu diesem Zweck hat Der Begriff der körperlichen Mißhandlung ist in der die Bundesregierung in der Vorwoche mit dem Stu- Rechtsordnung, etwa als Tatbestandsbegriff der Kör- dentenwerk Berlin und zahleichen Wohnungsbauun- perverletzung i. S. d. § 223 StGB, klar definiert. Es ternehmen erste Verhandlungen aufgenommen. Aus handelt sich dabei um eine üble unangemessene heutiger Sicht erscheint es möglich, für einen Zeit- Behandlung, durch die das Opfer in seinem körperli- raum von etwa 4 Jahren Interessenten zu gewinnen, chen Wohlbefinden in mehr als nur unerheblichem die die freigegebenen Wohnungen beziehen und Grade beeinträchtigt wird. Daß Prügel eine körperli- später wieder aufgeben werden. Über die Einzelhei- che Mißhandlung darstellen, steht außer Zweifel. ten der Zwischenvermietung wird in einer weiteren Durch die Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB soll Verhandlungsrunde zu entscheiden sein. Die ange- klargestellt werden, daß derartige körperliche Miß- sprochenen Unternehmen sind aufgefordert, ihre Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18771*

Bereitschaft zur Übernahme der Wohnungen bis zum Grundgesetz geltend gemacht werden. Das Recht am 18. März 1994 nochmals spezifiziert zu erklären. eingerichteten ausgeübten Gewerbebetrieb ist betrof- fen, wenn eine behördliche Veröffentlichung mit einer Zu Frage 62: Minderung von Marktchancen verbunden ist. Der interventionistische Charakter der Weitergabe von Ein Leerstand der Wohnungen kommt nicht in Informationen unter Nennung von Namen und Ver- Betracht. Ausgenommen sind lediglich kurzzeitige gleichsunternehmen impliziert einen Eingriff in die Freistände bei Baumaßnahmen. Wettbewerbsfreiheit. Auch würde die beantragte Auskunftserteilung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Versicherungsunternehmen gem. Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG berühren werden. Das Recht auf informationelle Anlage 25 Selbstbestimmung erstreckt sich auch auf betriebliche Antwort Geheimnisse. des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf die Frage der Abgeordneten Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 12/6965 Frage 63): Anlage 26 Welche Initiativen wird die Bundesregierung bzw. das Bun- Antwort desministerium der Finanzen als vorgesetzte Dienstbehörde des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen (BAV) aus des Parl. Staatssekretärs Dr. Hein rich L. Kolb auf die rechtlichen und Verbraucherschutz-Erwägungen unternehmen, (Tännes- um das BAV zur baldigen Rücknahme der eingelegten Beru- Frage des Abgeordneten Simon Wittmann fung gegen ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts burg) (CDU/CSU) (Drucksache 12/6965 Frage 64): (VG 27 A 9/93) zu veranlassen, durch welches das BAV Wie beurteilt die Bundesregierung die Verpflichtung der angehalten wurde, in seiner Beschwerdestatistik Versiche- Elektrizitäts-Versorgungsunternehmen (EVU) zur Stromab- rungsunternehmen mit unlauteren Geschäftspraktiken vor nahme aus den Hackschnitzel-Biomasse-Kraftwerken, und nach allem in den neuen Ländern namhaft zu machen, und welche welchen Kriterien erfolgt die Preisgestaltung für den abgenom- „schutzwürdigen p rivaten Interessen" der unlauter vorgehen- menen Strom? den Versicherungsunternehmen hat die Bundesregierung bis- her für so gewichtig gehalten, um das BAV durch das Bundes- ministerium der Finanzen anhalten zu lassen, die schon 1992 Nach dem 1992 in Kraft ge tretenen Stromeinspei- geplante Veröffentlichung eines namentlichen Sünderregisters sungsgesetz sind die Elektrizitätsversorgungsunter- zu unterlassen und das daraufhin ergangene Urteil nun anzu- fechten? nehmen verpflichtet, Strom in ihr Netz aufzunehmen, der aus biologischen Rest- und Abfallstoffen der Land- und Forstwirtschaft erzeugt wird. Für diesen S trom Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und sind gesetzliche Mindestpreise vorgeschrieben, näm- das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen lich mindestens 75 % der Durchschnittserlöse, die die (BAV) halten es gleichermaßen für angebracht, gegen Elektrizitätsversorgungsunternehmen aus der Belie- das in der Verwaltungsstreitsache des Zweiten Deut- ferung aller Stromletztverbraucher im vorletzten schen Fernsehens (ZDF) gegen die Bundesrepublik Kalenderjahr erzielt haben. Für das Jahr 1994 beträgt Deutschland ergangene Urteil des Verwaltungsge- diese Vergütung einheitlich 14,11 Pfg. je Kilowatt- richts Berlin — VG 27 A 9/93 — Berufung einzulegen stunde im gesamten Bundesgebiet. und zwar sowohl wegen der grundsätzlichen Bedeu- tung des Rechtsstreites als auch deshalb, weil das Urteil nicht geeignet ist, die notwendige Rechtssicher- heit für künftige ähnlich gelagerte Fälle zu schaf- fen. Anlage 27 Die vom Kläger begehrten nach Versicherungsun- Antwort ternehmen aufgegliederten Auskünfte sind für sich des Parl. Staatssekretärs Dr. Hein rich L. Kolb auf die genommen nicht geeignet, eine sachliche Aufklärung Frage des Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) über die Beschwerden gegen die Versicherungsunter- (Drucksache 12/6965 Frage 65): nehmen zu gewährleisten. Die Angabe der absoluten Beschwerdezahl ist geeignet, einen irreführenden Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung inzwischen über eine in Tarhuna/Libyen im Bau befindliche Kampfstoffan- Eindruck über die Beschwerdesituation und damit die lage, und was hat sie veranlaßt? Geschäftstätigkeit des Unternehmens hervorzurufen, wenn nicht auch weitere Umstände wie z. B. der Geschäftsumfang des be treffenden Unternehmens Die Bundesregierung erhielt seit Anfang 1990 erste angemessen berücksichtigt werden. Das BAV ist als nachrichtendienstliche Hinweise auf die Errichtung Verwaltungsbehörde jedoch verfplichtet, zu gewähr- einer zweiten Chemiewaffenanlage in Libyen. Seit leisten, daß kein Mißbrauch möglich ist. Dies ist umso Herbst 1992 gab es konkretere Hinweise, auch auf den wichtiger als bei einer falschen Verwendung der Standort Tarhunah. Die zweite Chemiewaffenanlage begehrten Information den Versicherungsunterneh- soll nach dem Muster der ersten Anlage in Rabta men massive Schäden drohen. Daraus könnten gegen konzipiert sein und in einer unterirdischen Tunnelan- die Bundesrepublik Deutschland unabsehbare Scha- lage errichtet werden. Der erreichte Ausbaustand densersatzansprüche wegen Eingriffs in den einge- kann derzeit nicht sicher eingeschätzt werden. richteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und das Die Bundesregierung hat alles in ihrer Macht ste- Recht auf Wettbewerbsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 hende getan, um etwaige Ausfuhren im Zusammen- 18772* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 hang mit der zweiten Chemiewaffenanlage zu unter- (vgl. Antwort zu Frage 51) wurde im Mai 1990 vor den binden. libyschen Beschaffungsaktivitäten in Zusammenhang Der bereits nach Rabta neu eingeführte § 5 b der mit diesem Projekt gewarnt. Im Dezember 1990 und Außenwirtschaftsverordnung verbietet, Waren jeg- im April 1992 erfolgten ergänzende Unterrichtun- licher Art nach Libyen auszuführen, wenn sie in gen. Zusammenhang mit der Errichtung oder dem Betrieb Nachdem im Herbst 1992 konkretere Informationen einer Chemiewaffenanlage stehen. Vor dem Hinter- zu dem Projekt eingegangen waren, wurden zunächst grund der o. a. Hinweise wurde zudem die Lieferung im September 1992 einige besonders gefährdete von Ausrüstung für den Vortrieb von Tunneln nach Unternehmen warnend angesprochen. Im Dezember Libyen gezielt unter Genehmigungspflicht gestellt. 1992 wurde die Wirtschaft insgesamt über das „Früh- Die zuständigen Behörden arbeiten bei der Abwehr warnsystem" auf die neu erkannten libyschen der libyschen Beschaffungsaktivitäten eng zusam- Beschaffungsaktivitäten hingewiesen, wobei auch men. Alle Ausfuhrvorgänge nach Libyen werden mit eine Reihe der dabei genutzten Tarnfirmen genannt besonderer Intensität überprüft. Die weitere Entwick- wurden. Im März 1993 erfolgte eine weitere ergän- lung des libyschen Projektes wird regelmäßig zwi- zende Unterrichtung. schen den zuständigen Ressorts erörtert. Die Bundes- Parallel hierzu wurden auch eine Reihe von Einzel- regierung kooperiert in diesem Bereich auch eng mit firmen gezielt vor den libyschen Aktivitäten ihren westlichen Partnerlände rn. Sie hat wiederholt gewarnt. über diplomatische Demarchen auf andere Staaten Die Unternehmen haben hierauf sehr kooperativ eingewirkt, alles zu tim, um Zulieferungen für die reagiert. Nach Einschätzung der Bundesregierung ist libysche Giftgasfabrik zu verhindern. Die Bundesre- zwischenzeitlich ein hoher Sensibilisierungsgrad gierung hat zudem auch die deutsche Wirtschaft über erreicht. das beim Bundesministerium für Wirtschaft eingerich- tete „Frühwarnsystem" kontinuierlich vor den liby- schen Beschaffungsaktivitäten gewarnt.

Anlage 30 Antwort Anlage 28 - des Parl. Staatssekretärs Wolfg ang Gröbl auf die Antwort Fragen des Abgeordneten Peter Conradi (SPD) des Parl. Staatssekretärs Dr. Heinrich L. Kolb auf die (Drucksache 12/6965 Fragen 68 und 69): Frage des Abgeordneten Horst Jungmann (Wittmoldt) Teilt die Bundesregierung die Auffassung des GA TT-Panels in (SPD) (Drucksache 12/6965 Frage 66): Genf, die EU-Bananen-Regelung sei unvereinbar mit den GATT-Regeln, und wird die Bundesregierung im GA TT-Rat für Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung zu der in eine Verurteilung der EU wegen ihrer Bananen-Marktordnung Tarhuna/Libyen im Bau befindlichen Anlage erst Stellung stimmen? genommen, nachdem das ZDF-Magazin „Kennzeichen D" dar- Wird sich die Bundesregierung im Konflikt über die Bananen über berichtet hat? Marktordnung der EU an die Vorschriften der Europäischen Kommission oder an die GATT-Verträge halten? Das libysche Projekt einer zweiten Chemiewaffen- anlage ist bereits vor der o. a.Fernsehsendung wieder- Zu Frage 68: holt öffentlich erörtert worden. Die Bundesregierung hat hierzu auch bereits mehrfach öffentlich Stellung Die Bundesregierung teilt die Auffassung des genommen. GATT-Panels, daß die Einfuhrregelung der EU-Bana- nen-Marktordnung in wesentlichen Teilen GA TT -widrig ist. Dies ergibt sich auch aus der Klagebegrün- dung der Bundesregierung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Anlage 29 Im GATT ist die EU-Kommission Sprecherin der Antwort Gemeinschaft, so daß die Bundesregierung in Genf keine eigenständige Stellungnahme abgeben kann. des Parl. Staatssekretärs Dr. Hein rich L. Kolb auf die Die Bundesregierung wird jedoch im Rahmen der Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard - Schmid gemeinschaftsinternen Beratungen dafür eintreten, (SPD) (Drucksache 12/6965 Frage 67): daß die Entscheidung des GATT-Panels von der Wann und in welcher Form hat die Bundesregierung, nach- Gemeinschaft angenommen wird. dem sie Informationen über die im Bau befindliche Anlage in Tarhuna/Libyen erhalten, öffentlich vor der Beteiligung am Bau dieser Anlage gewarnt? Zu Frage 69: Die Bundesregierung muß zunächst die Bananen Die Bundesregierung hat die Wirtschaft im Rahmen Marktordnung anwenden, da sie als unmittelbar gel- des „Frühwarnsystems" kontinuierlich über das liby- tendes Gemeinschaftsrecht für alle Mitgliedstaaten sche Projekt zur Errichtung einer zweiten Chemiewaf- verbindlich ist. Erst wenn der Europäische Gerichts- fenanlage unterrichtet. hof die von der Bundesregierung beanstandeten Bereits aufgrund der ersten Informationen zum Regelungen für rechtswidrig erklären sollte, würde libyschen Projekt einer zweiten Chemiewaffenanlage eine Änderung der Rechtslage eintreten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18773*

Anlage 31 Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz vom 7. 12. 1990 (Stromein- Antwort speisungsgesetz) geregelt. Einzelheiten hierzu des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die ergeben sich aus der Antwort auf Ihre zweite Frage des Abgeordneten Werner Ringkamp (CDU/ Frage, die durch das BMWi beantwortet wird. CSU) (Drucksache 12/6965 Frage 70): 3. Zur Deckung der Kraftwerkskosten muß ein mög- Trifft die Aussage des Ministeriums für Ernährung, Landwirt- lichst hoher Auslastungsgrad (Jahresbetriebsstun- schaft und Forsten in Schleswig-Holstein zu, daß die Auftrags- vergabe für die Erhöhung der zweiten Warft auf der Hallig den) der Stromerzeugungsanlage erreicht wer- Langeneß bisher nicht erfolgen konnte, weil die Bundesregie- den. rung die entsprechenden Gelder noch nicht zur Verfügung gestellt habe, und wann werden diese ggf. angewiesen? Die Techniken für Kraftwerke, bei denen Holz als Primärenergieträger eingesetzt wird, sind vorhanden. Bei verschiedenen holzverarbeitenden Bet rieben sind Die von Ihnen zitierte Aussage des Ministeriums für entsprechende Kraftwerke bereits im Einsatz. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Schleswig- Holstein ist mir nicht bekannt. Partieller Forschungs- und Entwicklungsbedarf Fest steht jedoch, daß die Bundesländer zuständig besteht noch bei Vergasungsanlagen, insbesondere sind für die Durchführung der Maßnahmen im Rah- dann, wenn Holzhackschnitzel zusammen mit nach- men der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der wachsenden Rohstoffen aus der Landwirtschaft, als Agarstruktur und des Küstenschutzes". Der Bund sogenannter Energieträgermix, in einer Anlage ver- beteiligt sich an den Kosten der Küstenschutzmaßnah- gast werden sollen. Darüber hinaus besteht zum Teil men mit 70 %. noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf bei der Gasreinigung. Das Bundesministerium für Ernährung, Nachdem nunmehr die Höhe der Bundesmittel für Landwirtschaft und Forsten fördert Projekte zur Opti- den Rahmenplan 1994 feststeht, soll die Aufteilung mierung von Vergasungsanlagen für nachwachsende der Bundesmittel auf die Bundesländer der Gemein- Rohstoffe. schaftsaufgabe im Umlaufverfahren beschlossen wer- den. Das Umlaufverfahren wird in Kürze eingeleitet. Grundsätzlich sind auch für Holzhackschnitzel Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen wegen des besse- Die Bundesländer werden, sobald die Mittelauftei- ren energetischen Wirkungsgrades günstiger zu beur- lung beschlossen ist, ihren Bedarf an Bundesmitteln teilen als reine Stromgewinnungsanlagen. Eindeutig für die einzelnen Maßnahmen des Rahmenplans 1994 bestätigt wird dies auch durch die Auswertungsergeb- überprüfen. Dabei sind die Länder frei zu entscheiden, nisse der 29 Machbarkeitsstudien im Rahmen des welche der anstehenden Maßnahmen bei knappen BML-Modellversuches „Wärme- und Stromerzeu- Haushaltsmitteln sofort und welche erst später durch- gung aus nachwachsenden Rohstoffen" . Die alleinige geführt werden. Stromgewinnung sollte nur dann als Alternative gewählt werden, wenn keine Nutzungsmöglichkeiten für Heiz- oder Prozeßwärme vorhanden sind. Anlage 32 Im Rahmen des BML-Modellversuchs „Wärme und Stromerzeugung aus nachwachsenden Rohstoffen" ist Antwort auch ein Projekt für die weitere Förderung ausgewählt des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die worden, das ausschließlich mit Holz betrieben wird. In Frage des Abgeordneten Simon Wittmann (Tännes- anderen Projekten ist vorgesehen, daß Holz im Rah- berg) (CDU/CSU) (Drucksache 12/6965 Frage 71): men eines Energieträgermix mit eingesetzt wird. Weitergehende Förderungen bestehen zur Zeit sei- Wie beurteilt die Bundesregierung die verschiedenen Mög- lichkeiten bei der Stromgewinnung über Hackschnitzel-Bio- tens des Bundes nicht. masse-Kraftwerke (Holzhackschnitzelfeuerung/Dampfturbine/ Generator, Holzhackschnitzel + nachwachsende Rohstoffe aus der Landwirtschaft — Dampfturbine/Generator, Holzhack- schnitzelvergasung/Gasmotor/Generator, Holzhackschnitzel + nachwachsende Rohstoffe aus der Landwirtschaft — Vergasung Anlage 33 — Gasmotor — Generator), und welche Fördermöglichkeiten gibt es dafür? Antwort des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen Bei der Stromgewinnung aus Holzhackschnitzel des Abgeordneten Konrad Gilges (SPD) (Drucksache besteht in der Regel dann Aussicht auf Wirtschaftlich- 12/6965 Fragen 72 und 73): keit, wenn die folgenden drei Voraussetzungen gege- Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Bauarbeitnehmer ben sind: sich arbeitslos melden mußten, weil sie nach dem Wegfall des 1. Die Einstandspreise für das zur Stromerzeugung Schlechtwettergeldes für den Monat März bei ungünstiger Witterung keinen Lohn erhielten, und wie hoch wird der genutzte Holz müssen niedrig sein. Lohnausfall bei diesen Fällen geschätzt? 2. Die Konstellation für die Stromerzeugung und lst es richtig, daß diese Arbeitnehmer keinerlei Lohnersatzlei- -nutzung muß günstig sein. Dies ist z. B. gegeben, stungen von der Bundesanstalt für Arbeit erhalten werden, und wenn die Stromerzeugung und -nutzung am Ort hat die Bundesregierung in dieser Frage eine Weisung an die Bundesanstalt für Arbeit erteilt, den politisch gewollten Aus- des Holzanfalles stattfindet und der Einsatz des schluß von Lohnersatzleistungen zu vollziehen? eigenerzeugten Stroms zu günstigeren Kosten als beim Strombezug vom Elektrizitätsversorgungs- unternehmen (EVU) möglich ist. Eine andere Mög- Zu Frage 72: lichkeit ist der Stromverkauf an das EVU. Die Der Bundesregierung liegen gegenwärtig noch Kriterien und Konditionen sind im Gesetz über die keine Verläßlichen Angaben darüber vor, wie viele 18774* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994

Bauarbeiter sich in den ersten Märztagen an einem Anlage 34 Arbeitstag bei ungünstiger Witterung arbeitslos Antwort gemeldet haben, weil sie für diesen Tag keinen Lohn erhielten. Nach unverbindlichen Schätzungen der des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen Bundesanstalt haben sich jedoch maximal 5 000 Bau- des Abgeordneten Achim Großmann (SPD) (Drucksa- arbeiter in den ersten Märztagen an einem Arbeitstag che 12/6965 Fragen 74 und 75): wegen ungünstiger Witterung beim Arbeitsamt Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß das arbeitslos gemeldet. Schlechtwettergeld-Streichgesetz „offenbar nicht alle Auswir- kungen berücksichtigt hat", und welches sind ihrer Meinung nach die unberücksichtigten Auswirkungen? Wegen des Fehlens verläßlicher Angaben über den Welche Maßnahmen strebt die Bundesregierung an, um die Umfang von Arbeitslosmeldungen und dem jeweili- Korrektur der Versäumnisse zu gewährleisten und zu verhin- gen, individuell verschiedenen Umfang des Arbeits- dern, daß die Beschäftigten im Baugewerbe bei Schlechtwetter ausfalls an einzelnen Stunden eines Arbeitstages oder einen Verdienstausfall ohne Anrecht auf Lohnersatzleistungen an einem oder mehreren Arbeitstagen lassen sich erleiden müssen? keine Schätzungen über den Lohnausfall eines Bau- arbeiters machen. Zu den Auswirkungen des Wegfalls von Schlecht- wettergeld ist eine Anhörung im Deutschen Bundes- tag durchgeführt und innerhalb und außerhalb des Bundestages intensiv diskutiert worden. Außerdem Zu Frage 73: hat die IG-Bau-Steine-Erden jedem Abgeordneten eine Ausarbeitung mit Daten, Fakten und Auswirkun- Nach der durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des gen zum Wegfall des Schlechtwettergeldes über- Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms sandt. Zu der aktuellen Frage, ob in diesem Monat (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2353) März, der nun nicht mehr zum Schlechtwetterzeit- erfolgten Neufassung von § 84 Abs. 1 Nr. 2 AFG liegt raum zählt, Leistungen zu erbringen sind, heißt es auf der Monat März außerhalb der gesetzlichen Schlecht- Seite 7: „Der Lohnanspruch entfällt, wenn die Arbeits- wetterzeit, so daß Schlechtwettergeld bei Arbeitsaus- leistung infolge ungünstiger Witterung unmöglich ist fällen im März ebensowenig wie bei Arbeitsausfällen (§ 4 Nr. 5.1. BRTV). Außerhalb der Schlechtwetterzeit in anderen Monaten außerhalb der gesetzlichen führt dies dazu, daß der Bauarbeiter für Arbeitsausfall Schlechtwetterzeit gewährt wird. aus Witterungsgründen keinerlei Arbeitsentgelt oder Lohnersatzleistung erhält." Bisher sind keine Auswir- Die Gewährung anderer Leistungen des AFG, d. h. kungen diskutiert worden, die nicht schon bekannt insbesondere das Kurzarbeitergeld und das Arbeitslo- waren. sengeld, ist nur möglich, soweit die hierfür bestehen- Aus der zitierten Bestimmung des Bundesrahmen- den gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. tarifvertrages für das Baugewerbe ergibt sich, daß die Tarifvertragsparteien den Wegfall des Lohnanspruchs Die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurz- arbeitergeld liegen regelmäßig nicht vor, da diese bei ungünstiger Witterung vereinbart haben. Daraus ergibt sich aber auch die Zuständigkeit der Tarifver- Leistung voraussetzt, daß der angezeigte Arbeitsaus- tragsparteien für eine neue Regelung. fall auf wirtschaftlichen Ursachen oder einem unab- wendbaren Ereignis beruht. Arbeitsausfälle infolge gewöhnlicher, dem üblichen Wetterverlauf entspre- chender witterungsbedingter Gründe gehören nicht Anlage 35 dazu. Antwort Ob Arbeitnehmer des Baugewerbes bei witte- des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen rungsbedingtem Arbeitsausfall Arbeitslosengeld des Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD) beanspruchen können, läßt sich konkret nur an- (Drucksache 12/6965 Fragen 76 und 77): hand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles be- Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Werkver- urteilen. tragsabkommen mit Polen nicht den Vorschriften des Europa- Abkommens mit Polen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, sondern denen über das Niederlassungsrecht und den Dienstlei- Hinsichtlich der abstrakten Rechtslage ist die Bun- stungsverkehr zuzuordnen ist? desanstalt für Arbeit nach eingehender Prüfung zu der Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Sicht der Bundes- Auffassung gelangt, daß bei witterungsbedingter regierung aus der Zuordnung der Werkvertragsabkommen zu Unmöglichkeit der Arbeitsleistung während beste- dem einen oder anderen Regelungsbereich? hendem und ungekündigtem Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung des geltenden Bundesrahmentarif- Zu Frage 76: vertrages für das Baugewerbe die Voraussetzungen Die Werkvertragvereinbarung mit Polen soll die eines Anspruches auf Arbeitslosengeld nicht erfüllt dortige wirtschaftliche Entwicklung und den Transfer sind. Danach sind die be troffenen Arbeitnehmer von Know-how fördern. Sie räumt insbesondere keine weder arbeitslos, noch stehen sie der Arbeitsvermitt- Freizügigkeit der Arbeitnehmer ein und zwar weder lung zur Verfügung. nach den Art . 37ff. des Europaabkommens noch nach den Art. 48ff. des EG-Vertrages, die nur eine innerge- Die Bundesregierung teilt diese Auffassung. meinschaftliche Freizügigkeit regeln. Die Bestim- mungen des Europaabkommens über den Dienstlei- Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialord- stungsverkehr und das Niederlassungsrecht lassen nung hat der Bundesanstalt für Arbeit keine Weisun- nur den Zugang von Schlüsselpersonal, nicht aber der gen erteilt. Arbeitskräfte selbst zu. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 216. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1994 18775*

Zu Frage 77: tet. Für diese und das Schlüsselpersonal gilt jedoch die Einschränkung von Art. 58 Abs. 1, die u. a. Aufenthalt Die Bestimmungen des Europaabkommens im und Beschäftigung den nationalen Vorschriften, also Kapitel „Freizügigkeit" gehen davon aus, daß die auch denen des Zugangs zum Arbeitsmarkt unter- Zuwanderung von Arbeitnehmern aus Drittstaaten in wirft. Nach § 9 Nr. 1 der Arbeitserlaubnis-Verord- der Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten ver- nung in Verbindung mit § 5 Abs. 2 des Betriebsverfas- bleibt. Die Bundesregierung hatte sich in den Ver- sungsgesetzes haben zum Beispiel Personen, die mit handlungen allen Versuchen widersetzt, für diesen Generalvollmacht oder Prokura ausgestattet sind oder Bereich eine Gemeinschaftskompetenz zu begrün- zum leitenden Personal gehören, arbeitserlaubnis- den. Das kommt in Art. 41 Absatz 1 zum Ausdruck, freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. einer „goodwill-Erklärung" mit lediglich auffordern- dem Charakter. Der Erhalt bestehender Erleichterun- Eine Quantifizierung des Zugangs des vorgenann- gen für den Zugang zur Beschäftigung in den Mit- ten Personals ist nicht möglich. gliedstaaten wird an die jeweilige Arbeitsmarktlage und die spezifischen bilateralen Abkommen gebun- Zu Frage 79: den. Auf die Antwort zu Frage 76 wird verwiesen. Danach bestimmt sich die Zulassung polnischer Arbeitnehmer aufgrund bilateraler Abkommen aus- schließlich nach nationalem deutschen Recht sowie Anlage 36 nach den einschlägigen bilateralen völkerrechtlichen Vereinbarungen. Antwort des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen Die Bundesregierung hat in den Vereinbarungen des Abgeordneten Dr. Rudolf Schönberger (SPD) über die Beschäftigung von Arbeitnehmern polni- (Drucksache 12/6965 Fragen 78 und 79): scher Unternehmen über die Ausführung von Werk- verträgen — ebenso wie mit allen anderen Vertrags- Welche Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt sind von den Vorschriften des Europa-Abkommens über das Nieder- staaten — eine Anpassungsklausel vereinbart. Da- lassungsrecht und den Dienstleistungsverkehr zu erwarten? nach verringern sich die Zahlen, die bei Inkrafttreten Welche Vorstellungen bestehen bei der Bundesregierung in der Vereinbarungen festgelegt wurden, um jeweils der Hinsicht, daß Artikel 41 des Europa-Abkommens vorsieht, 5 % für jeden vollen Prozentpunkt, um den sich die daß — unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage in dem Arbeitslosenquote in den letzten 12 Monaten erhöht Mitgliedstaat und vorbehaltlich seiner Rechtsvorschriften — die hat. Für die Anpassung sind jeweils die Arbeitslosen- bestehenden Erleichterungen für den Zugang zur Beschäftigung für polnische Arbeitnehmer, die im Rahmen bilateraler Abkom- quoten am 30. Juni des laufenden Jahres und des men gewährt werden, beibehalten und nach Möglichkeit ver- Vorjahres zu vergleichen. Die Änderungen sind vom bessert werden, und wie will sie die vorgesehene Berücksichti- 1. Oktober des laufenden Jahres an zu berücksichti- gung der Arbeitsmarktlage gewährleisten? gen.

Zu Frage 78: Dementsprechend wurde zum 1. Oktober 1993 das vereinbarte Grundkontingent aufgrund der Anpas- Im Rahmen des Niederlassungsrechts und des sungsklausel um 6 %, das Unterkontingent für die Dienstleistungsverkehrs nach dem Europaabkommen Beschäftigung im Baugewerbe um 5,5 % verringert. mit Polen kann in Deutschland in Schlüsselpositionen Außerdem lief das befristete Baukontingent für 8 000 beschäftigtes polnisches Personal beschäftigt werden. Arbeitnehmer zum 31. Dezember 1993 aus. Das Schlüsselpersonal muß den in Art. 52 Abs. 2 aufgeführten strengen Kriterien entsprechen, wie Lei- Da die Europa-Abkommen unter dem Vorbehalt tungs-, Weisungskompetenz, hohe Qualifikationen bilateraler Abkommen stehen, wird sich auch künftig oder Kenntnisse. Für die Erbringung von Dienstlei- nichts an der Möglichkeit ändern, die Kontingente der stungen ist die Einreise natürlicher Personen gestat- jeweiligen Arbeitsmarktlage anzupassen.