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Jahrbuch der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle für die Provinz Sachsen und für Anhalt

herausgegeben von WaIter Möllenberg

Band 13

Magdeburg 1937 Selbstverlag der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle Auslieferung durch Ernst Holtermann,. Magdeburg

Die Güterpolitik des Stiftes im Mittelalter. Von H ans-Erich We i r a u c h "),

Inhaltsübersicht: I. Die Zeit der großen Schenkungen durch die Sächsischen Kaiser S. 117. - 11. Die Entwicklung von 1002 bis II84 S. 127. - Ill. Äbtissin Agnes II. II84-1203 S. 140. - IV. Der Quedlinburgische Besitz in den Jahren 1203-1233 S. 144. - V. Äbtissin Gertrud 1233-1270 S. 155. - VI. Äbtissin Bertradis II. 1270-1308 S. 167. - VII. Äbtissin Jutta 1308-1347 S. 172. - VIII. Die Entwick- lung von 1348 bis 1400 S. 176. - Schluß S. 180.

I. Die Zeit der großen Schenkungen durch die Sächsischen Kaiser. Die Gegend von Quedlinburg hat wahrscheinlich schon in frän- kischer Zeit zum Reichsgut gehört 1). Auf dem Umwege über Kloster Hersfeld muß Quedlinburg dann in den Jahren 9°1-912 an die Ludol- finger gekommen sein 2). Der erste deutsche König aus ludolfingischem Geschlecht, Heinrich 1., schenkte zusammen mit anderen Besitzungen sein Eigentum in Quedlinburg 927 und noch einmal 9293) seiner Ge- mahlin Mathilde als Witwengut. Ob Quedlinburg der Lieblingsauf- enthalt Heinrichs und seiner Gemahlin war, wie das der Quedlin- burgisehe Lokalpatriotismus w ill "), oder ob der Ort erst nach Hein- richs Tode eben als Begräbnisstätte des ersten ludolfingischen Königs die Bedeutung für die sächsischen Kaiser erhielt, die er tatsächlich gehaht hat "), ist nicht zu entscheiden und auch kaum von Wichtigkeit. Ebenso müßig ist die Streitfrage, ob schon Heinrich 1. dem neu zu errichtenden

*) Von der philos. Fakultät der Universität Halle-Wittenberg angenommene Dissertation. - Ein zweiter Teil mit einem überblick über die einzelnen Besitzun- gen folgt im nächsten Bande dieses Jahrbuchs. 1) \V. Grosse, Die Gründung und Glanzzeit des Stiftes Quedlinburg unter den Ludolfingern; Zeitschr. d. Harzvereins 48 (1915) s. 3 ff. 2) Grosse a. a. O. S. b ff.; A. Eggers, Der königliche Grundbesitz im 10. und beginnenden II. Jahrhundert (Weimar 1909) S. 72; vgl. dazu die Miracula S. Wig- berti (MG. SS. IV 227). 3) DH. I. 20. ') So mehr oder weniger alle Quedlinburger Heimatforscher, die den Grund für diese Bevorzugung in den landschaftlichen Reizen der Gegend sehen. H. Lorenz, Quedl. Gesch. (Qucdlinburg 1922) I 44. &) Grosse 3. a. O. IS ff. 118 H ans-Erieb TVeiraucli

Stift Quedlinburg die Größe und den Glanz zugedacht hat, den es durch seine Nachfolger erhielt, oder ob es diese spätere Bedeutung wiederum nur zur höheren Weihe des Grabes Heinrichs 1., das es barg, bekam 6). Jedenfalls führte Otto 1. nur einen Plan seines Vaters aus, als er am 13. September 9367) das Stift Quedlin burg gründete. Lorenz sieht in diesem Diplom (DO.1. I) nur eine Schenkung an etwas schon Vorhandenes, da das Stift nach Thietmar von Merseburg am 30. Juli 936 gegründet sei, und zwar durch Mathilde 8). Daß die Königinwitwe bei dieser Angelegenheit die Hauptrolle gespielt hat, ist schon deshalb ohne weiteres klar, weil das Stift auf ihrem Eigen- tum errichtet wurde. Aber es ist meines Erachtens nicht nötig, noch eine besondere Gründungsurkunde Mathildes anzunehmen, wie es auch in den Diplomata geschieht. Denn ganz abgesehen davon, daß man im Stift gerade diese Gründungsurkunde sorgfältig aufbewahrt hätte und ihr Verlust daher sehr unwahrscheinlich ist, spricht auch der Wortlaut des Diploms vom 13. September dagegen. Dort heißt es klar und deutlich: .,. "0 s ob amorem dei omniumque sanctorum et pro remedio animal' nostrae atque parentum successorumque nostrorum con- gregationem sanctimonialium in Quidilingoburg statuere curauimus. Dem- nach müssen wir in Otto I. den tatsächlichen Gründer des Stiftes sehen, unbeschadet aller Vorarbeit und Mitwirkung von seiten Hein- richs und Mathildes. Ob das Frauenkloster Wendhausen (wüst, heute Thale a. H.) tat- sächlich in dem neuen Stift Quedlinburg aufgegangen ist, was ja an sich der Hauptanlaß zur Planung des Stiftes durch Heinrich 1. war, ist zweifelhaft. Jedenfalls wird es schon 999 wieder in einer Urkunde des Papstes Silvester n. als bestehend erwähnt"). Es kann wohl 936

6) Grosse a. a. O. 16 f. Erst mit der Beisetzung Heinrichs gewann Quedlinburg für Mathilde und das ganze ludolfingische Haus die Bedeutung, die es später gehabt hat. Und erst seine Beisetzung veranlaBt die Ausgestaltung des schlichten Wend- hauser Klosters zum glanzvolIen Frauenstift mit seinen engsten Beziehungen zum Herrscherhause. ,,\Veit glänzender, als ursprünglich geplant war, ist die Schöpfung ausgefallen." 7) DO. I. I. 8) Lorenz, Quedl. Gesch. I 45. Thietrnar ed. R. Holtzmann (Script. rer. Germ. N. S. 9) S. 26 f. Kap. 21. 9) Codex DiplomatJicus Quedlinburgensis, herausgegeben von Anton Ulrich v. Erath (Frankfurt a. M. 1;64; im folgenden kurz zitiert als "Erath") S. 27 N r. 37; Jaffe-Löwenfeld, Reg. Pont. Rom. (bis II98; Leipzig 1885-1888) Nr.3902. Die Echt- heit der Bulle ist umstritten, vgl. Ewald in Neues Archiv 9, 349 ff.; PAugk-Harttung in Histor. Jahrb. 20, 763 ff.; Neues Archiv 25, ~58 Nr. 259. Die Güt er politik des Stifles Quedlinburg im Mittelalter 119 aufgelöst und später, etwa von der Äbtissin Mathilde, neu gegründet worden sein 10). Mehr Wahrscheinlichkeit aber hat die Theorie Grosses 11) für sich, daß von Heinrich 1. die überführung nach Quedlinburg be- absichtigt war, aber dann von seinem Sohn bei der Gründung des Stiftes unterlassen wurde, weil er nur hochadlige Frauen in dem Kon- vent sehen wollte, der am Grabe seines Vaters errichtet wurde. Die Wendhauser Nonnen aber werden diese Qualifikation nicht oder nur zum kleinen Teil gehabt haben. Bei diesem großen Vorhaben mußte Otto 1. auch für den nötigen materiellen Rückhalt des zu solchem Glanz ausersehenen Stiftes sorgen. Und so finden wir denn gleich in der Gründungsurkunde eine ganze Reihe von Schenkungen, die sicherlich ein mittleres Kloster hätten' gut erhalten können. Bei Quedlinburg aber waren sie nur der Anfang einer ganzen Serie von Zuwendungen, die Jahrzehnte hindurch andauerten. Ut idem conuentus illic cerium [amulatum obtineat schenkt Otto 1. in dieser Urkunde (DO. I. I) folgendes: Urbem in Quidilingoburg supra montem constructani cum curtilibus et cunciis aedificiis inibi amstructis. Darunter ist ohne Zweifel die Burg Quedlinburg zu verstehen, die auf dem Sandsteinfelsen des heutigen Schloßberges lag und wahrscheinlich erst von Heinrich 1. erbaut worden ist "), Es handelt sich also um den Grund und Boden, auf dem die Stiftsgebäude selbst errichtet wurden. Weiter umfaßt die Schenkung in Quedlinburg: quicquid clericis") in eodem loco domino servientibus prius concessum habuimus, Diese Besitzungen werden nicht näher bezeichnet und wohl auch nicht be- sonders umfangreich gewesen sein. Der Königshof v) Quedlinburg blieb vorläufig noch der Krone vorbehalten 15), aber Einkünfte davon werden dem Stift schon jetzt überlassen: nonam partem ex omni C01l-

'0) v. 1\1 ülverstedt, H'ierographia Quedlinburgensis. Zeitsehr. d. Harzvereins 2 (1869) Heft 3 S. 66 nach Armales Quedlinburgenses ad ann. 999 (SS. III 75). 11) Zeitschr. d. Harzvereins 48 (1915) S. 17 f. 12) E. Pietsch, Antiqua urbs und die Altenburg bei Quedlinburg, Zeitschr. d. Harzvereins 47 (1914) S. 46 fi. 13) Unter diesen clerici sind Geistliche zu verstehen, die, vieIleicht Hersfelder Mönche, den Gottesdienst aui dem Königshof und der Burg Quedlinburg versahen und Vorläufer des späteren Wipertiklosters waren. (j.ißauermann, Die Anfänge der Prämonstratenserklöster Scheda und St. Wiperti - Quedlinburg, Sachsen u. An- halt VII (1931) 238 ff.; Lorcnz, Quedl. Gesell. I 48 L) 14) Nur von einem solchen kann die Rede sein, eine eigentliche Pfalz (Lorenz, Quedl. Gesch. I 69) bestand in Quedlinburg nicht. Grosse in Zeitschr. d. Harzvereins 48 S. 21. t5) Egg-cl'S a. a. O. jZ f. •

120 H ans-Erich Weiraucb laboratu eiusdem curtis. Und denselben Neunten erhält das Stift auch aus folgenden Orten "}: Marsleben (wüst bei Quedlinburg), - gerode, Wighusun, Godenhusi, Uttislevo (alle drei wüst bei Derenburg), Reddeber, Heudeber, Brockenstedt (wüst bei Heimburg), Mühlingen, Welsleben, Beiendorf, Salbke und Westerhüsen. Dazu übereignet Otto 1. dem Stift iotum quicquid in locis sic nuncupatis: Rederi (Rieder) , Hebenrothe (unbekannt), Orthun (Orden, wüst bei Qu.) proprietatis hucusque habere visi sumus, atque Quernbetsi (Quarmbeck, wüst bei Qu.) cum silva grossiori et territorio de eadem villa exarato , außerdem in Frohse und Kalbe je IS slawische Familien, den Jagdzehnten aus Bod- feldon (wüst bei Elbingerode) und Sipponfeldon (wüst bei dem heutigen Siptenfelde) und Wein- und Honiglieferungen aus Ingelheim. Dieselbe Urkunde überweist unserem Stift in proprietatem das Kloster Wendhausen cum omnibus, quae sanctimoniales ibidem antea ill suum habuerullt servitium. Da aber, wie wir oben gesehen haben, höchstwahrscheinlich das dortige Kloster ohne Unterbrechung weiter- bestanden hat, ist aus dieser donatio in proprietatem wohl kaum ein praktischer Nutzungswert für das Stift abzuleiten, sondern es soll da- mit die Unterstellung Wendhausens unter Quedlinburg zum Ausdruck gebracht werden. Als letztes in dieser Gründungsurkunde schenkt Otto 1. die curtis Salta (Sol tau) mit allem Zubehör und wohl noch anderen Besitz in der Umgegend von Soltau, nämlich quicquid here- ditatis Adred, mater Bardonis, domino et genitori nostro beatae memoriae Heinrico, serenissimo regi, cum praefato loco Salta in proprietatem co,,- donavit. Im übrigen enthält das Diplom (DO.1. I) Bestimmungen über die innere und äußere Einrichtung des Stiftes, von denen uns hier nur die über die Vogtei interessieren. Solange ein Angehöriger des Lu- dolfingerhauses auf dem Thron sitzt, soll Quedlinburg in i/lius potestate ac delensione stehen. Wenn das Königtum an ein anderes Geschlecht übergeht, soll advocatus des Stiftes immer der mächtigste des Ludol- fingergeschlechtes sein. Der jeweilige König aber soll seine regalem potestatem über das Stift walten lassen. Hörger sieht in dieser letzteren Bestimmung, der Bindung an das Königtum an sich ohne Rücksicht auf das regierende Geschlecht, eine absichtliche Scheidung des neuen Stiftes als Reichsgutes vom übrigen Hausgut und hält deshalb Qued-

10) Il icr und in der ganzen Arbeit werden die Orte nach folgendem Prinzip benannt: Bestehende Orte mit dem heutigen Namen, Wüstungen mit dem für sie gebräuchlichsten urkundlichen Namen, ohne Rücksicht auf die Namensform. unter welcher der Ort in der im Einzelfall zugrunde liegenden Quelle erscheint. Auf nähere Lokalisierung und sonstige geographische Angaben ist hier verzichtet worden. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 121

linburg für die erste geistliche Anstalt, die man mit wirklichem Recht eine Rei c h s abtei nennen kann 17). Obwohl diese erste Schenkung nicht gerade ärmlich war, folgt 18 schon ein Jahr später die nächste. Am 20. Dezember 937 ) übereignet Otto 1. auf Bitten seiner Mutter Mathilde dem Stift Quedlinburg das 19 decimum uestimentum quod lodo dicitur ), omne quod de Chirihberg et Dornburg solvitur et de locis ad easdem civitates pertineniibus, also den Kleiderzehnten .in Dornburg, Kirchberg und den dazu gehörigen Ort- schaften 20), und 12 slawische Familien in Schmon cum territoriis, quas ipsi possident, Zu seines Vaters Heinrich und seinem eigenen Seelen- heil und in elemosina filiae nostrae Liutgardae, pro cuius infirmitate haec spopondimus, schenkt der König am 30. September 944 iure perenni in proprium ein predium in Kinlinga (Zilly) mit Zubehör, das bisher ein gewisser Agino zu Lehen hatte "'). Zwei Jahre später, am 29. Januar 94622) erhält das Stift von seinem Gründer zwei villas Helmwardesthorp (unbek.) und Fastlevesthorp im Nordthüringgau und in der Grafschaft Geros gelegen zu ewigem Eigentum. - Bis zur nächsten Schenkung, 23 die uns bekannt ist, vergehen fast 10 Jahre: am 25. Mai 954 ) läßt die Königinwitwe Mathilde dem Stift ad nutrime« sanctimonialium inibi deo seruientium durch ihren Sohn einen Teil ihrer dos überweisen. 24 nämlich die villa Spielberg, quae etiam alio 1tomine ) Sibrouici dicitur, gelegen in der Mark Schmon, mit allem Zubehör. Inzwischen hatte die Neugründung im Jahre 947 auch ihre päpstliche Bestätigung erhalten 2"). In den nächsten fünf Jahren hat unser Stift wieder reiche und reichste Zuwendungen von seiten des Königs zu verzeichnen. Beson- ders viel Gebietszuwachs bringt das Jahr 956: Am 24. August schenkt Otto 1. sechs villas in der marca Lipani, nämlich Lübbow, Klenze,

17) K. Hörger. Die reichsrechtliche Stellung der Fürstäbtissinnen, Archiv für Urkundenforschung 9 (1925) S. 200 f. 18) DO. 1. 18. 1") Lodo ist ein ahd. Ausdruck (nhd. Loden) und bedeutet ein grobes wollenes Gewebe. J. und \V. Grimm, Deutsches Wörterbuch VI IJ 16. 20) So dürfte doch zu interpretieren sein. Das Komma hinter dicit ur ließe zwar auch die Deutung zu, als handele es sich um einen nicht lokalisierten Kleiderzehnten und eine nicht näher bezeichnete Abgabe (omne quod solvitur) aus Dornburg und Kirchberg. Aber es ist doch zwangloser, den omne-Satz als attributiven Nebensatz zu decimum vestimentlllll aufzufassen. "') DO. 1. 61. 22) DO. I. 75. 23) Nicht 955! DO. I. 172. 24) D. h. mit slawischem Namen! 25) Ann. Qucdl. ad ann. 947 (SS. III 56): Priuilegiutn a papa Agapito QlIedlin- bur gensi congregationiquc sancii Servatii delertur, Die Urkunde ist nicht erhalten. 122 Hans-Ericli Weiraucb

Seeben, Tylsen, Kassuhn und Krevese 26), und zwar pro victu et uestitu seiner jungen Tochter Mathilde, die also hier schon zur ersten Äbtissin

des hervorragenden Stiftes ausersehen war i"). Noch im selben Monat28) erfolgt eine weitere Bereicherung Quedlinburgs zugunsten der jungen Mathilde: Das königliche Eigentum in den Orten Liebstedt und 08- mannstedt in Thuringia ill comitatu Willihelmi geht an Quedlinburg iiber "}, Am 5. Dezember des gleichen Jahres endlich übergibt Otto 1. dem Stift speluncam ubi quedam Liutburg quondam fuit inclusa et eccle- siam ibidem in honorem sancti Michaelis arcliangeli constructam, also die Stätte des späteren Klosters Michaelstein 30), mit dazu gehörenden Gütern in Egininkisrod und Ripertingisrod (heide wüst bei Hüttenrode) 31). Die letzte Schenkung des ersten Sachsenkaisers an sein Stift am IS. Juli 96132) bringt die nötige Stärkung seiner Stellung in und um Quedlinburg selbst. Auf Intervention seiner Mutter Mathilde als der Besitzerin überweist Otto nun auch den Königshof in Quedlinburg, die cortis Quitilinga, mit seiner Jakobskirche und allem Zubehör dem Servatiusstift "). Dieses Zubehör besteht aus folgenden villis "}: Mars- leben, Orden, und Sippanvelth, in denen das Stift schon

"6) DO. 1. 184. 27) Daß diese Tochter Ottos 1. wirklich die erste Äbtissin und vor ihrem Re- gierungsantritt (966) das Stift ohne eigentliche Leiterin war, hat zuerst]. H. Fritsch. Gesch. des vormaI. Reichsstiftes und der Stadt Quedlinburg (Quedlinburg 1828), I 58 ff. nachgewiesen und ist seitdem allgemein anerkannte Tatsache bis in die jüngste Zeit (zuletzt M. Kremer: Die Personal- und Amtsdaten der Äbtissinnen von Quedlinburg, Maschinenschriftliche Diss. Leipzig 1923, S. I I). 28) O. Dobenecker, Reg. Dipl. nee non epist. historiae Thuringiae (Jena seit 1896) I 397. 29) DO. 1. 185. SO) R. Steinhoff, Gesch. der Grafschaft Blankenburg. der Grafschaft Regenstein und des Klosters Michaelstein (Quedlinburg ISgI) S. 13 und 21 ff. Vgl, jedoch Ottokar Menzel, Das Leben der Liutbirg, im vorliegenden Bande von Sachsen u. Anhalt S. 86. 31) DO. I. 186. 32) DO. I. 228. 3.'1) Nach Lorenz, Quedl. Gesch. I 69, handelt es sich hier nur um eine Übergabe zur Nutznießung, auch später noch hatte dieser Königshof für den Unterhalt der Hofhaltung zu sorgen, wenn die Könige Aufenthalt in Quedlinburg nahmen. Diese Auffassung ist richtig, nur ist sie bei den im 10. Jahrhundert herrschenden An- schauungen von Reichskirchengut und Eigenkirche ohne weiteres auf die anderen Besitzungen und auf die geistlichen Anstalten als Ganzes auszudehnen. Vgl. Grosse, Zeitsehr. d. Harzvereins 48, 21; Hörger a. a. O. 227 ff.; unten S. 130 ff. 34) Eggers a. a. O. 72 f. sieht in diesen villis "Unterhöfe, die man sich nicht als so gar klein vorstellen darf". Siptenfelde z. B. wurde öfter von Otto I. auf- gesucht, konnte also den Hofstaat beherbergen. Die Giit er politik des Stiftes Quedlinbur g im Mittelalter 123

936 Teilbesitz oder Naturalabgaben erhalten hatte. Als weitere Unter- höfe des Königshofes Quedlinburg kommen neu an das Stift: Sallers- leben, Sü!ten, Hoyrn, Gersdorf, Biklingen, Adelboldeshroth und Selken- Felde, Zugleich wird bestimmt, daß die Äbtissin, quae monasterium ill monie situm regere videbitur 3~), an der Kirche unten im Königshofe ständig mindestens zwölf Kleriker mit Lebensunterhalt und Kleidung versorgen soll. Otto n. bestätigt all das in einer Urkunde gleichen Wortlautes vom 25. Juli 96136). Die Quellen, die uns erhalten sind, erzählen von keinen weiteren Schenkungen Ottos 1. an das von ihm gegründete Stift Quedlinburg. Das läßt sich vielleicht zum Teil durch den Tod der Königinwitwe Mathilde 968 erklären. Seitdem ihre Intervention fehlte, wird der Kaiser Quedlinburg nicht mehr in der 'Weise bevorzugt haben wie bisher. Andererseits ist zu bedenken, daß im allgemeinen die Schen- kungen der Herrscher an die Kirche am zahlreichsten immer in den ersten Regierungsjahren waren. Freigebigkeit der Kirche gegenüber galt als eine der vornehmsten Herrschertugenden. Schenkungen in der ersten Regierungszeit waren daher ein Mittel, schnell populär zu werden 31). Aber wie das Stift nach Ottos 1. Tode eine vielleicht noch höhere politische Bedeutung durch die Persönlichkeit seiner ersten Äbtissin erhielt, so standen auch Ottos Nachfolger in bezug auf Frei- gebigkeit gegenüber Quedlinburg nicht hinter ihm zurück. Schon ein Jahr nach seines Vaters Tode, am 10. Mai 974, schenkt Otto 11. der Äbtissin Mathilde und damit unserem Stift den Hof Barby cum omnibus oiltis et appertinentiis suis, gelegen im Nordthüringgau und in der Graf- schaft Huodos, ferner Zizowi und Walter-Nienburg cum omnibus que

Fridericus in beneficium visus est habere38). Dieses Lehen Friedrichs wird nicht näher bezeichnet. Drei Tage später, am 13. Mai 39), er- folgt ein neuer Beweis des Wohlwollens Ottos 11.: Die Höfe Brocken- stedt und Schmon, in denen das Stift schon Einkünfte besaß, gehen jetzt ganz in seinen Besitz über, dazu kommen Ditfurt und Duder- stadt mit allem Zubehör. Von Otto 11. berichten die Urkunden keine weiteren Zuwendungen, aber dafür überschüttet sein Sohn bzw. dessen Vormundschaftsregie-

3~) Auch dieses Futurum ist ein Beweis dafür, daß 961 noch keine Äbtissin da war. 36) DO. n. I. 37) M. Stimrning, Das deutsche Königsgut im 11. und 12. Jahrhundert. I. Teil: Die Salierzeit (Hist. Stud. Ebering Heft 149, Berlin 1(22), S. 43. 38) DO. II. rr 39) DO. n. 78. 124 H ans-Erich Wciraucli

rung das Stift geradezu mit Schenkungen. In einem Diplom, das in zwei Fassungen erhalten ist, übereignet Otto Ill. der Äbtissin, die er als seine cara amita bezeichnet, am 28. Januar bzw. 5. Februar 9854°) die zwei Höfe Wallhausen 41) und Berga im Helmegau und in der Grafschaft Wilhelms, dazu den Hof Walbeck im Schwabengau und unam terrani Slauinicam Siuscli nuncupatam, cum urbibus et z·iltis ac uicis ad illam terram illre pertinentibus. Das letztere, ein ganzer Gau im slawischen Kolonisationsgebiet, ist ein ungeheuer großer, aber immerhin für eine Frauenabtei stark problematischer Gebietserwerb. Derselbe 5. Februar 98542) bringt unserem Stift oder genauer seiner Äbtissin 43) auch noch den Hof Triburis (Trebur) vocatam in Frantic et in pago Rinicligouie ac caniitatu Cononis ducis sitam ein. Am 21. Mai 98744) bestätigt Otto Ill. in Form einer Neuschenkung dem Stift den Besitz von Barby, Zizowi und Walter-Nienburg mit allem Zubehör. Dasselbe wiederholt er noch einmal am 26. April 999. nur ist nach dem Text dieser Urkunde.") der Besitz nicht so genau festzulegen. Während vorher von dem Hof 'Barby usw. die Rede war, heißt es hier: quicquid habuimus ill locis vel burcliuiardis Barabogi, N itoanburcli, Zisciuia, Der 6. Januar 992 bringt unserm Stift die erneute Übereignung des Hofes Walbeck ?'), diesmal aber mit einer langen Reihe dazu- gehörender villae, die namentlich aufgezählt werden 47). Gleichzeitig enthält diese Urkunde die Bedingung, daß die Quedlinburger Äbtissin

W) DO. Ill. i a und b. 41) Nach Eggers a. a. O. 109 ging bei dieser Schenkung der eigentliche Königs- hof Wallhausen nicht an das Stift über, sondern verblieb der Krone. Denn Hein- rich H. z. B. sei roo.; (DH. II. 64 f.) nicht als Gast Quedlinburgs auf dem Hof ein- gekehrt, sondern er betrat damit sein Eigentum. Auch das königliche Tafelgüter- verzeichnis von 106-t'65 (:'IG. Const. I 646 Nr. 440) führt \V. auf. Vg!. dazu Neues Archiv 41, 55i ff. .") DO. Ill. 8. 43) In dieser Zeit sind Schenkungen an das Stift oder an die Äbtissin ohne Zweifel gleichzusetzen. Die Abt issin ist doch nur als Rcpräscntantin des Stiftes aufzufassen. DaB mancher Besitz, den die Äbtissin erhält, nicht wieder in den Ur- kunden als Stiftsbesitz erscheint, wie hier z. 13. Trcbur, beweist noch Iange nicht, daß es sich um eine Schenkung an die Äbtissin als Privatperson handelte, die'sie nicht an das Stift weiterleitete. Denn wir haben genug Gegenbeispiele : Barby, Nienburg, Gem werden ursprünglich der Äbtissin gegeben, tauchen aber später oft genug als Stiftsbesitz auf. U) DO. Ill. 35. (6) DO. Ill. 321. to) DO. Ill. 81. t7) Es handelt sich um 24 villae, die zum Teil in beträchtlicher Entfernung von Walbeck liegen. Von ihnen sind mindestens 7. vielleicht auch noch einige mehr, heute wüst. ------

Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 125 auf diesem Hof Walbeck ein Benediktiner-Nonnenkloster zu Ehren des hl. Andreas errichten soll, das dem Quedlinburger Stift unterstellt wird. Hierdurch wird der Wert der Schenkung für das Stift beträcht- lich vermindert, denn wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß der Walhecker Hof selbst und ein groBer Teil seines Zubehörs von 48 der Äbtissin an das neue Kloster ) weitergegeben wurden. Mit der Übergabe von Potsdam und Geltow, in provincia Heuell~l1 49 vocata et in insula Chotiemuizles sita am 3. Juli 993 ) greifen die Qued- linburger Besitzungen zum zweitenmal in reines Kolonisationsgebiet über. Die Eingliederung dieses Neuerwerbs in die Wirtschaftsorgani- sation des Stiftes bedeutete eine Aufgabe, die eine Frauenabtei, noch dazu eine so hochadlige, kaum erfüllen konnte. Quedlinburgs Stellung im Harzvorlande wird weiter gestärkt durch einen Gebietszuwachs, den eine Urkunde vom 20. Oktober 995 bringt ?"). Otto Ill. schenkt Güter, die bisher ein Ritter Dietrich zu Lehen hatte, gelegen im und in der Grafschaft Friedrichs, und zwar in folgenden Orten: Godenhusun, wo das Stift schon bei seiner Gründung den Neunten erhalten hatte, Severthusen, Vinchesdorp, Widermuodi (alle vier wüst bei Derenburg) und Ströbeck. Aus der Anweisung des Diploms, daß zehn Hufen davon für Altarkerzen 51), die übrigen als Beihilfe zu Nahrung und Kleidung verwendet werden sollen, können wir die Größe dieses Besitzes mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf mindestens 20 bis 30 Hufen schätzen. Am 26. April 999 erhält das Stift noch einmal ein Gebiet im sicherlich noch kolonisationsbedürftigen

Slawenland. nämlich quondam provintiam Gera dictam52), also Gera mit einem gewissen dazugehörigen Komplex. Das ist die letzte Schenkung Ottos Ill. an Quedlinburg und die letzte Schenkung der Ludolfinger überhaupt an ihr Familienstift.

Sehen wir die Ergebnisse der Zeit, die WIr an Hand unserer Ur- kunden durcheilt haben, einmal im ganzen! Aus einem Königshof mit einer vielleicht daneben bestehenden kleinen Ansiedlung ist eine Me-

48) Es wird bald nach 99Z gegründet worden sein, die Einweihung fand am 7· März 997 statt. (G. A. v. Mülverstedt, Hierographia Mansfeldia, Zeitschr. d. Harzvereins I (1868) Heft I S. 42; vgl. auch die Magdeburger Schöppenchronik cd. K. Janicke (Stuttgart 1869) S. 68.) 49) DO. Ill. 131. Zusammen mit Brandenburg wird 993 der ganze Gau Heveldun der deutschen Herrschaft unterworfen (F. Curschmann, Die Diözese Brandenburg, Leipzig 1906, S. 42). GO) DO. Ill. 177- :;1) Decem mansws (!) ad luminaria sancta Seruatio adquirenda. 5~) DO. Ill. 322. 126 Hnns-Ericli TV cirauch tropolis geworden 53) mit einer geistlichen Anstalt, in der Töchter des höchsten Adels am Grabe des ersten Sachsenkönigs Gott dienen. Und wie reich haben die deutschen Könige dieses ihr Familienstift aus- gestattet! Nicht nur Quedlinburg selbst gehört ihm und ist mit einem privilegierten Markt begabt ~4), der der Siedlung die besten Aussichten für die Zukunft gibt, sondern die ganze Umgebung dazu in einem großen Kranz von Besitzungen, die südlich in den Harz hinein, nörd- lich weit in sein Vorland reichen. Aber auch das ist nur ein Bruch- teil von dem, was das Stift überall im nördlichen und mittleren Deutsch- land sein eigen nennen kann: am Rhein, in der Lüneburger Heide, in der Altmark, der Magdeburger Gegend, im slawischen Havelland, im Mansfeldischen, auf dem Eichsield. Und im mitteldeutschen Slawen- gebiet besitzt das Stift gar ganze Landstriche. Schon 999 stehen vier Klöster im Abhängigkeitsverhältnis von Quedlinburg, ja sind zum Teil von ihm gegründet 55). Ein wahrhaft königlicher Besitz, wie ihn wohl kaum eine zweite Abtei aufzuweisen hatte, unerreicht in der Größe und unerreicht in der Ausdehnung. Aber gerade in dieser Ausdehnung, die auf den ersten Blick so glänzend an.mutet, lag doch auch das schwere, kaum lösbare Problem, wie dieser Streubesitz von einer Frau, der jeweiligen Leiterin des Stiftes, der Abtei erhalten werden konnte. Das war möglich, solange die Könige ihre höchste Pflicht und Ehre darin sahen, dem Stift selbst Schiitzer und Vogt zu sein. Kamen aber einmal Herrscher aus einer anderen deutschen Gegend, die nicht dieses Interesse für Quedlinburg und Sachsen überhaupt hatten, dann mußte sich das schnell in Schädigungen des Besitzes des Stiftes auswirken. Schneller als man denken konnte, trat dieser Umschwung mit dem Tode Ottos Ill. im Jahre 1002 ein. So bedeutet die Jahrhundert- und Jahrtausendwende auch für das Stift Quedlinburg eine Zeitwende. Bisher hatte es unter dem Schutz der Herrscher gestanden und war so unnatürlich schnell wie eine Treib- hauspflanze emporgeschossen. Es erreicht schon kurze Zeit nach seiner Gründung den Höhepunkt seines Besitzstandes. Am Ende des 10. Jahr- hunderts ist es so reich begütert, daß es diese Masse kaum organisch verarbeiten kann. Mit diesem Riesenbesitz, der zugleich eine schwere Belastung bedeutet, soll es jetzt plötzlich den Stürmen der Politik trotzen. Daher werden wir in der Entwicklung des Quedlinburgischen

53) In metropolt QUldiliggaburhc ... (DO. Ill. ISS) 54) Die Errichtung des Marktes erfolgte am 23. November 994 (DO. Ill. ISS). 55) Es sind das Marienkloster auf dem Münzenberg und das Wiperti-Kanoniker- stift in Quedlinburg, Kloster Wendhausen und Kloster Walbeck (Erath 27 Nr.37, Jaffe-Löwenfeld Nr. 39<>2); vgl, auch Anm. 242. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinbur g im Mittelalter 127

Besitzes nicht eine zielbewußte Politik finden, wie sie Hochstifter. große, mittlere und selbst kleinste Männerklöster bei energischer Lei- tung zeigen: zuerst im allgemeinen Aufstieg, man versucht, den ver- streuten Besitz durch Tausch, Kauf usw. zu arrondieren, dann Stagna- tion und schließlich Verfall. Sondern bei Quedlinburg ist der Reich- tum sozusagen mit einem Male da ohne jedes Zutun der Stiftsleitung. er ist etwas passiv Empfangenes, nichts aktiv Erworbenes. Damit handelt es sich von dem Augenblick an, wo das Stift auf sich selbst gestellt ist, von Ausnahmen kleineren Maßstabes abgesehen, um eine Rückentwicklung, um Verfall, und die Politik jeder einzelnen Äbtissin kann nur darin bestehen, entweder die Dinge laufen zu lassen, wie sie laufen, oder aber sich mehr oder weniger, meist aber weniger. erfolgreich dagegen anzustemmen. Selbst die tatkräftigsten Äbtis- sinnen werden kaum Neuerwerbungen von nennenswertem Ausmaß zu verzeichnen haben, sondern nur Rückkäufe verpfändeter oder sonstwie entfremdeter Güter. Die Besitzentwicklung Quedlinburgs zeigt keine allmählich auf- und dann absteigende Linie mit einem Höhepunkt von längerer Dauer in der Mitte, sondern ein ganz unnatürliches Hinauf- schnellen in kürzester Zeit und dann ein ziemlich gleichmäßiges Ab- fallen, das nur hin und wieder von kleinen wagerecht laufenden Strecken unterbrochen ist. Wenn man unter Entwicklung ein na tür- l i ch e s Wachsen und Abnehmen versteht, kann man die Anhäufung von Grundbesitz im 10. Jahrhundert nicht dazu rechnen. Dann beginnt die Ent w i c k lu n g des Quedlinburgischen Besitzes erst mit dem Jahre 1002, und dann ist sie im großen gesehen überhaupt nur negativ.

n. Die Entwicklung von 1002 bis 1184.

\Vas wir aus dieser Periode, und besonders aus dem I I. Jahrhundert von Besitz und Besitzveränderungen des Stiftes Quedlinburg erfahren. ist rechtdürftig: 56 Im Jahre 1021 ) überweist Heinrich n. unserm Stift tale prediuni, quale quidani nobilis vir nomine Egino a sua proprietate in nostram dedit proprietatem, quod uocatur Plioeuniei (wüst Plezwiz) et decem mansos in altero loco, qui dicitur Arrikesleua (wüst Erxleve), que sita sunt in pago Nordduriugon, ill coniitatu vero Thiotmari morchionis+], Der Wortlaut des Diploms läßt eine sichere Entscheidung nicht zu, ob sich der Besitz des Egino auf beide Orte erstreckte, die ganze Urkunde

56) Nach September 24. Denn in der Urkunde heißt es, die Schenkung geschehe dem Altar des Servatius, wius dedicationi interl uimus, und diese \Veihe der Qued- linburger Kirche fand am 24. September statt (Ann. Quedl. SS. III 86). 57) DH. 1I. 448. 128 H ans-Erich Weiraucl« also nur eine Bestätigung, nicht aber eine Schenkung Heinrichs Ir. ist "), oder ob Egino nur das erste predium schenkte und Heinrich die decem mansos in Arrikesleva von sich aus hinzufügte. Das letztere ist wahrscheinlicher. weil das erste Gut so allgemein bezeichnet, im zweiten Fall aber die Hufenzahl angegeben wird. - Am 26. April 1045 übereignet Heinrich Ill. dem Servatiusstift, cui {ilia nostra (nämlich Beatrix) dei munificentia nostrique beniuolentia preest (seit 1044), sein Gut in den Orten Sinsleben und Ermsleben {Anegrimeslebo rH). Diese beiden Schenkungen sind der Neuerwerb, den das Stift nach den uns erhaltenen Zeugnissen in der ganzen Periode aufzuweisen hat. Wie ist das zu erklären? Zunächst muß man berücksichtigen. daß sich in dieser Zeit die Schriftlichkeit in der privaten Verwaltung und im privaten Verkehr erst allmählich durchsetzt. Demnach werden wir für diesen Zeitabschnitt so manche Besitzveränderung anzunehmen haben, die keinen Niederschlag in einem Schriftstück gefunden hat. So wird mehr als ein Stück, das später im Quedlinburgischen Besitz erscheint, auf einer nur mündlich erfolgten Schenkung von privater Seite beruhen. und umgekehrt hat sicherlich das eine oder andere Gut, das, von den Ottonen geschenkt, nicht wieder erwähnt wird, ganz normal und recht- mäßig einen neuen Herrn gefunden auf dem Wege eines mündlichen Vertrages. Andererseits brauchen wir aber auch nicht unbedingt Voll- ständigkeit unserer urkundlichen Überlieferung anzunehmen. Trifft das schon nicht für die Ottonenzeit zu 60), wo wir bei 21 Quedlinburgi- sehen Besitz betreffenden Urkunden in einem Zeitraum von rund 60 Jahren auf einen recht guten Erhaltungszustand schlieBen können. so noch weniger für ·die Periode der Salier und ihrer Nachfolger, für die uns z. B. aus der Zeit von 1000 bis 1130 ganze drei Urkunden vor- liegen. Daß daneben wohl auch andere Gründe mitsprechen, wird uns klar, wenn wir Quedlinburg und seinen Besitz einmal in die politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge dieser Zeit stellen. Mit dem Tode Heinrichs Ill. 1056 folgten für das Reich Jahrzehnte innerer Unruhen, die auch an Quedlinburg nicht spurlos vorübergehen

6I!) Private wählen bei Schenkungen an geistliche Anstalten oft den Umweg über den König, um der betreffenden Kirche gleich eine Königsurkunde mit ihrem wirksameren Schutz zu verschaffen. Eggers a. a. O. 14 f. 58) DH. Ill. 135. 00) Z. B. bringen die Ann. Quedl. SS. III 67 die Notiz, daß Otto 11. bei seinem Tode seiner Schwester, der Äbtissin Mathilde, 1/. seines Vermögens vermachte (Kremer a. a. O. 14). Wenn diese Angabe richtig ist, dürfte die Erbschaft, bei der das Stift sicherlich nicht ganz leer ausging, doch auch urkundlich niedergelegt worden sein. Das wäre also ein Beweis für den Verlust einer oder mehrerer Qued- linburg betreffender Ottonenurkunden. Vg!. Thietmar III 25. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 129 konnten, zumal es durch die Personen seiner Äbtissinnen politisch ge- bunden und exponiert war. Ob unser Stift unter dem allgemeinen An- griff gegen die Unabhängigkeit der Reichsabteien, der im Jahre 1065 unter Leitung Adalbcrts von Bremen stattfarid'"}, vielleicht in seinem Besitzstand zu leiden hatte, steht nicht fest. Wir wissen aber von einer Beeinträchtigung Quedlinburgischen Gebietes, die zeitlich und örtlich eine Verbindung mitdiesem Vorgehen zulieBe. Im Jahre 1069 sieh t sich Äbtissin Adelheid 11. genötigt 62), die villa Soltau a molorum 110- minusn ini estatione tutanduni unter Vogtei und Schutz des Herzogs Magnus Billung zu stellen, quia in vicinia predicti ducis Magni iam pre- fata uilla cum suis appendiciis est sita. Obwohl durch kaiserliche und päpstliche Privilegien dieses Gebiet dem Stift bestätigt sei, habe sich diese Maßnahme als notwendig erwiesen propter quorundam iniquorusn injestationem qui nuper emerseruni. Daß das Stift als Vogt für Soltau den Herzog Magnus wählte, ergab sich nicht nur aus der Nachbar- schaft, sondern auch aus den politischen Verhältnissen: Dem rigorosen Vorgehen Adalberts war 1066 ein ebenso kräftiger Umschwung ge- folgt. Die sächsischen Großen, besonders der Herzog, die Erzbischof Adalbert zu mächtig werden sahen, fielen über sein Gebiet her. Allein an Magnus mußte der Erzbischof 1000 Hufen abtreten 63). Vielleicht war unter diesen 1000 Hufen auch der Quedlinburgische Besitz Soltau, vielleicht waren die quidam iniqui unserer Urkunde erzbischöfliche Ministerialen ? Jedenfalls zeigt dieses erfreulich ausführliche Diplom, die erste erhaltene Privaturkunde aus Quedlinburg, die ganze Proble- matik des Quedlinburgischen Streubesitzes: Er war schon mehr oder weniger ein Spielball der politischen Auseinandersetzungen geworden, und es änderte sicher nicht viel an den Tatsachen, wenn das Stift eine ohne sein Zutun erfolgte Besitzveränderung nachträglich sanktionierte oder nicht. Die villa Sol tau war hiermit auf dem besten Wege, dem Stift entfremdet zu werden, und sie taucht auch nicht wieder als Qued- 64 linburgisch auf. Nur die curtis Soltau behauptete es bis 1304 ).

81) G. Meyer v. Knonau, Jahrb. d. dt. Reiches unter Heinrich IV. u. V., I 465 fi. und 474 fi. 6') Erath 64 N r. 10. 83) Meyer v. Knonau a. a. O. 1 513 fi. 61) Man könnte an sich denken, daß die villa 1069 identisch ist mit der curt is 1304, daß also auch villa den Hof Soltau bezeichnet. Aber auch L. Hüttebräuker, Das Erbe Heinrichs des Löwen. Die territorialen Grundlagen des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg von 1235 (Göttingen 1927), hält die Unterscheidung zwischen beiden aufrecht. 9 130 H ans-Erieb W eiraucb

Bald nach dem Ende der Vormundschaftsregierung wird das Stift Quedlinburg durch die Politik Heinrichs IV. wieder in seinem Besitz- stand berührt. In Fortsetzung von Bestrebungen seines Vaters kon- zentrierte der junge König seine Politik mehr und mehr auf Sachsen 85). Besonders häufig hielt er sich in Goslar und Harzburg auf, und in dieser Gegend wollte er sich eine dauernde Residenz schaffen - Resi- denz nicht im heutigen Sinne, sondern Machtbasis. Voraussetzung dazu war vor allem eine starke wirtschaftliche Stellung, und die suchte sich Heinrich IV. zu erwerben einmal durch bewußte Rückführung entfremdeten Reichsgutes in den Besitz der Krone; andererseits hat er das Reichskirchengut in Sachsen und um den Harz in weitestem Maße dazu benutzt. Das Gut der Reichskirchen, zu denen ja auch Quedlinburg gehörte, in seinem Verhältnis zu Reich und Königtum ist schon vielfach er- örtert und sein Wesen im allgemeinen auch eindeutig festgelegt worden 66). Ich will daher nur kurz zusammenfassen, soweit das nötig ist, um die Bedeutung des Stiftes Quedlinburg und seines Besitzes recht zu würdigen. Schon in fränkischer Zeit galten die Reichskirchen als im Eigentum des Reiches stehend. Das beruhte auf dem germanischen Eigenkirchen- recht 67): Der König hatte die Reichskirchen mit Königsgut ausgestattet und leitete daraus im großen die gleichen Rechte ab, die jeder Privat- mann an dem von ihm gegründeten Kloster oder der kleinsten Kapelle hatte. Mit der Reichskirche wurde natürlich auch all ihr Besitz "} und der Besitz der ihr gehörenden Kirchen 89) als reichseigen betrachtet. Alles Gut war den Kirchen oder, besser gesagt, ihren jeweiligen Vor- stehern 70) nur zur Nutznießung übergeben. Es war: Besitz der Kirche, aber Eigentum des Reiches. Dieses Eigentumsrecht des Reiches be- stand nun nicht nur formell, sondern es hatte sehr weitgehende materielle Folgen: die Reichskirchen wurden wie jedes andere Reichs-

65) Meyer v. Knonau a. a. O. 1 581 und 11 226 fi. 68) J. Ficker, über das Eigentum des Reiches am Reichskirchengut (Sitzungs- berichte der Wiener Akademie, phil.-hist. Klasse Bd. 72, 1872), 87-90; 10<}-1l2; 132-143; 381 f.; 399; 422 ff.; 448 f. - B. Heusinger, Das servitium regis (Archiv f. Urkundenforschung 8, 1923), 76-81; 142-140. - M. Stimming, a. a. O. 4 f.; 43f.; 49. - Eggers a. a. O. 134f. - A. Werminghoff, Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche im Ma., z. Aufl. (Leipzig-Berlin 1913), 55-79. 67) Werminghoff 55; Stimming 4; Heusinger 79 f. 68) Gleichgültig, ob aus königlicher oder privater Schenkung. Ficker a. a. O. Ill. 69) Ficker 132. 70) Ficker 381£ Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinbur g im Mittelalter 131 gut behandelt. Zeitweise übte der König seine Rechte sehr rigoros, indem er entweder einzelne Besitzstücke den Kirchen wieder nahm und sie anderen verlieh oder aber Reichskirchen als Ganzes geistlichen und weltlichen Personen schenkte."}. Aber abgesehen von diesen außer- gewöhnlichen Eingriffen äußerte sich das Abhäng igkeitsverhältnis des Reichskirchengutes vom Reich in dauernden Leistungen, die die ein- zelnen Reichskirchen zu geben hatten und die so bedeutend sind, daß der Reichsabt und -bischof zunächst fast nur als Beamter des Königs erschein t, der das Reichsgut zu verwal ten hat .2). Es waren die Heer- fahrtspflicht, die aber die Frauenabteien nur in den seltensten Fällen betraf:"), die Pflicht, den königlichen Hof auf seinen Reisen jederzeit aufzunehmen und zu unterhalten, und schließlich das eigentliche ser- vitium regis, eine bestimmte jährliche Abgabe."). Dabei war es wahr- scheinlich so, daß die Reichsabteien im allgemeinen nur die jährliche Abgabe, nicht aber die Bewirtungspflicht kannten, während es bei den Bistümern gerade umgekehrt war "}, Quedlinburg allerdings dürfte bei den häufigen Aufenthalten der Ottonen und den gelegentlichen der Salier auch zum Unterhalt des Hofes herangezogen worden sein. Diese Anschauung vom Reichskirchengut mit ihren praktischen Folgen hat ungeschwächt ihre Gültigkeit gehabt sowohl in der Ottonen- wie in der Salierzeit, und ihr galt hauptsächlich der Investiturstreit. Denn die Laieninvestitur war ja nichts anderes als der Ausdruck des Eigentumsrechtes des Königs an den Reichskirchen und ihrem Gut.

11) Ficker 88; Eggers a. a. O. 134 f.; Stimming a. a. O. 4 hält jedoch eine Zurücknalune von Kirchengut durch den König für nicht zulässig. 72) Petrus Darniani bezeichnet den Bischof bezüglich der Temporalien als einen procurator oder villicus des Königs (Ficker a. a. 0.399). In Lamperts An- nalen (Opera ed. Holder-Egger, Script. rer. Germ. in usum schol.) heißt es zum Jahre 1063 (5. 89) von den Vorstehern der Reichsabteien : Nihil minus regent in has iuris ac potestatis habere quam in uillicos suos vel in alios quoslibet regalis fisci dispensatores. K. Th. von lnama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte (Leipzig 1879-1901; 12 1909) Il 143 Anm. 1. 73) Hörger a. a. O. 236. 74) Sie bestand aus Naturalien, seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts aus Geldzahlungen (Heusinger a. a. 0.145). Schon unter den Sächsischen Kaisern ist die königliche Hofhaltung in steigendem Maße auf die fixierten Leistungen der reichskirchlichen Administrationen angewiesen (v. Inama a. a. O. II 141 f.). Solange die Servitien aus N aturalien bestanden, werden die Abteien vor allem Mehl und Gemüse geliefert haben, da das servitium der Königshöfe nur Pfeffer, Wein und animalische Produkte umfaBte (Stimrning a. a. O. 49). Die Servitien der Reichs- abteien sind teilweise noch nach 1250 nachweisbar (Heusinger 145 f.). 75) Heusinger 76. 132 H ans-Erich Weirauck

Die päpstliche Seite konnte aber ihre These vom alleinigen Eigentum der Kirche am Kirchengut nicht durchsetzen, und so ging die kaiser- liche Auffassung des Reichseigentums im wesentlichen siegreich aus dem Kampfe hervor. Denn schließlich war es nur ein Streit um Worte. wenn der Kaiser im Verlaufe des Investiturstreites keinen \Vert mehr auf die Anschauung eines Eigentums an den Kirchen selbst legte, wohl aber das Eigentum am gesamten Gut der Reichskirchen beanspruchte und im Wormser Konkordat in Form der Regalieninvestitur auch be- hauptete?"). Hatte das Reich in diesem Streit seine Rechte gewahrt - die Leistungen der Reichskirchen an das Reich wurden ausdrücklich auch für die Zukunft zugesichert -. so war es wieder einmal die politische Zerrissenheit Deutschlands, die knapp hundert Jahre später der Kirche mühelos das zuteil werden ließ, was sie in jahrzehntelangem Kampfe nicht erreicht hatte. Die Doppelwahl von 1198 und ihre Folgen, vor allem der Wettbewerb der Kandidaten um die Gunst der Kurie, haben die ausgedehnten Rechte des Königtums über das Reichskirchengut zuerst wesentlich geschmälert. Die Gegenkönige leisteten Verzicht auf manche dem Reich bisher zustehende Leistung aus dem Kirchengut. "In die Jahre II98 bis 1216 fällt so das Ende der deutschen Reichs- kirchen alten Stils. Dazu paßt ganz, daß seit derselben Zeit, seit Friedrich n., auch die Gegenleistung der Könige, die Schenkungen an die Kirche fast ganz aufhören. Der Investiturstreit, soweit er in der wirtschaftlichen Verstrickung von Staat und Kirche begründet war, fand so etwa ein Jahrhundert nach dem Wormser Konkordat sein allmähliches Ende in kirchlichem Sinne" 77). Aber auch die geistlichen Fürsten selbst benutzten die Verhältnisse, um sich ihrer Verpflich- tungen gegen das Reich möglichst zu entledigen. So wird das Reichs- kirchengut tatsächlich mehr und mehr dem Reichslehengut gleich- 7S gestellt ), formell aber ist weder durch das Wormser Konkordat noch durch die spätere Entwicklung an der rechtlichen Natur des Reichs- kirchengutes etwas geändert worden 7~). Im Sinne dieses Reichseigentums am Kirchengut ist auch die Kirchenpolitik der Ottonen, die die Kirche durch große Schenkungen wirtschaftlich stärken will, nicht nur als Schaffung einer festen poli- tischen Stütze zu werten, sondern sie verfolgt ebenso den Zweck, das

78) Ficker a. a. O. 1 IQ f. 77) Heusinger 142. 78) Stimming a. a. O. 5 7.) Ficker 449. Die Giaerpolitik des S tiites Quedlinburg im Mittelalter 133

ReichsIchengut durch überführung in das Reichskirchengut In ge- steigertem Maße für die Krone nutzbar zu machen SO). Wenn das Königtum wirtschaftlich also in großem Maße von den Reichskirchen und ihren Servitien abhing, so wird sicherlich auch diese Tatsache mitgesprochen haben bei der Besetzung der leitenden Stellen der Abteien und Bistümer. Es ist also auch in diesem Sinne zu ver- stehen, daß die Ottonen als Äbtissinnen von Quedlinburg nach der Zeit der Königin Mathilde Prinzessinnen aus ihrem Hause'") einsetzten. Darin handelten die Salier ebenso: Von 1044 bis gegen Ende des II. Jahr- hunderts waren nacheinander zwei Töchter Heinrichs IIl., Beatrix 1. (1044-1061) und Adelheid n. (1061 bis etwa 109582», Quedlinburger und zugleich Gandersheimer Äbtissinnen. Nach einer Äbtissin Eilica unbekannter Herkunft~3) folgt dann zwischen 1103/10 bis 1126 Agnes IY), Enkelin Heinrichs Ill. und Cousine Heinrichs V., in beiden Stiftern. Auch hier sprachen wohl zwei Punkte für die Ein- setzung dieser Äbtissinnen: I. waren die Prinzessinnen dadurch ver- sorgt, 2. aber sollten die Abteien mit ihrem reichen Besitz, der von solcher Bedeutung für das Königtum war, als nicht nur wirtschaftliche sondern auch politische Faktoren ersten Ranges um so fester dem Herr- scherhause verbunden werden. Daß das möglich und nötig war, daß es in dieser Hinsicht sehr auf die Person der Stiftsleiterin ankam. zeigt ein Beispiel aus Gandersheim. Es ist wahrscheinlich, daß man in Gandersheim unter Heinrich V. mit der sächsischen Opposition sym- pa thisierte S5), allein ein solcher Partei wechsel ist un ter Äbtissin Agnes I. kaum denkbar gewesen. Quedlinburg, Gandersheim und wohl auch Goslar waren die einzigen Reichskirchen in Sachsen, die Heinrich IV. 6 in seinem Kampfe treu blieben 8 ). Und mehr als je war unter ihm das Königtum auf die wirtschaftlichen Leistungen der Reichsabteien angewiesen. Die Erfüllung dieser Pflichten wird so mancher Abtei in diesen Zeiten des Bürgerkrieges schwer gefallen und in der ge- forderten Höhe unmöglich gewesen sein. Aber trotzdem fand der König in den Servitien der deutschen Reichskirchen "eine recht be-

.0) Stimming 4 f. 61) Mathilde 96~9; Adelheid 1. 999-1044. (Kremer a. a. O. 12 H.) .') Kremer 20-23. 63) Kremer 24. 84) Kremer 25 f. 65) H. Feierabend, Die politische Stellung der deutschen Reichsabteien während des Investiturstreites (Historische Untersuchungen herausg, v. Cichorius Heft 3; Breslau 1913) 145. 60) Feierabend 188. 134 Hairs-Eric" TVcirauch

deutende und nicht zu unterschätzende Unterstützung und Hilfe"87) bei seinen schweren Kämpfen. Dasselbe gilt von Heinrich V.SS), und so haben "an dem günstigen Endausgang des Investiturstreites die: Reichsabteien wesentlichen Anteil, indem sie ihre reichen Mittel zur Verfügung stellten"?"). Beide Könige haben ihnen ihren Dank erwiesen nicht durch reiche Schenkungen - das hätte den Absichten besonders Heinrichs IV. widersprochen -. sondern durch den Schutz der Selb- ständigkeit, den sie ihnen gegen Übergriffe der Vögte und Vasallen gewährten 90).

Aber nicht nur indirekt - mit ,wirtschaftlichen Leistungen - wie die übrigen Abteien griff das Stift Quedlinburg in die Politik ein. Durch die Personen seiner Äbtissinnen war seine politische Stellung- nahme von vornherein festgelegt zugunsten des Königtums. Damit war auch das Schicksal des Stiftes eng mit dem des Königs verknüpft, und es ist interessant zu sehen, wie Quedlinburg im Laufe der Jahr- zehnte aus der Machtsphäre der einen Partei in die der anderen geriet und sich dieser Wechsel öfter wiederholte. Ostern 1069 und Himmel- fahrt 107091) feierte Heinrich IV. in Quedlinburg. Neun Jahre ver- gehen dann, ehe Quedlinburg Ostern 1079 wieder einen König in seinen Mauern sieht, aber dieses Mal ist es der Gegenkönig Ru- dolf "), Der zweite Gegenkönig, Hermann von Salm, läßt dann Ostern 108S in Quedlinburg eine Synode unter Leitung des Legaten Otto von .Ostia abhalten 93), die die meisten kaiserfeindlichen geist- lichen Fürsten vereinte. Das war wohl für das Stift und besonders die Äbtissin als Schwester des Kaisers die größte Demütigung, die sich denken läßt: Sie mußte ihr Stift, ihre Stadt zur Verfügung stellen, um den Gegnern ihres Bruders die Möglichkeit eines Zusammentreffens und damit einer Stärkung zu geben, und so indirekt gegen den Kaiser arbeiten. Diesem Triumph der Opposition konnte Heinrich IV. aber bald mit einem ähnlichen antworten: Quedlinburg ist der Sitz des Fürstengerichtes, das 1088 Egbert von Meißen schuldig spricht und ihm seine Güter nimmt 94). Im selben Jahr freilich kann Egbert noch

~7) Feierabend 194. 88) Feierabend 215 f. 88) Feierabend 216. 80) Feierabend 198. 81) Meyer v. Knonau a. a. O. I 611 und 1I 8. •') Meyer v. Knonau III 205. 83) Meyer v. Knonau IV 14 ff.

") Meyer v. Knonau IV 218 f. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 135 einmal Quedlinburg belagern 9~), aber es war schon der Endkampf des Rebellen. Und Quedlinburg wieder sollte auch den Schlußstrich unter das Leben des großen Kaiserfeindes setzen. Es waren sicherlich Kriegs- leute der Äbtissin Adelheid, die Egbert am 3. Juli 1090 im Harz töteten 96). Daß auch Unter Heinrich V. Quedlinburg und Gandersheim hinter dem Königtum standen, beweist die Tatsache, daß Quedlinburg nach der Schlacht am Welfesholz I I IS von Bischof Reinhard van Halber- stadt, Pfalzgraf Friedrich und Markgraf Rudolf belagert und einge- nommen wurde 07). Und Calixt n. hätte auf dem Konzil van Reims I I I9 wohl die Qucdlinburger und Gandersheimer Äbtissin Agnes nicht exkommuniziert 0.'), wenn sie päpstlich oder zum mindesten neutral gewesen wäre. Der Anlaß oder auch der Vorwand zu ihrer Bannung wird klar, wenn wir einen Brief von Gandersheimcr Klosterfrauen an den Papst aus dem ersten Jahrzehnt des 12. jahrhunderts ") lesen. Darin beschweren sich diese über die Verschleuderung des Stiftsgutes durch die Äbtissinnen Beatrix, Adelheid und Frederun. Davon sind Beatrix und Adelheid, wie schon erwähnt, salische Prinzessinnen. Der Beatrix wird vorgeworfen, daß sie constituit miliies in abbatia et dedit i/lius ecclesiae bona in beneficium, unde nos sustentari victu et vestimento debuimus. Auch Adelheid militibus suis multum erogavit. Was die Gan- dersheimer Stiftsfrauen von ihrem Stift sagen, gilt dann natürlich auch für Quedlinburg. Wenn nun die Güterpolitik dieser salischen Prin- zessinnen nicht im Interesse der Klöster lag, so kann sie nur könig- liche Irrteressen vertreten haben. Die milites stehen in keiner Beziehung zu den Stiftern, sondern es sind Lehnsleute des salischen Hauses+'"}. Auch in diesem Zusammenhang müssen wir an die Pläne der Salier um Goslar-Harzburg denken 101). Zur Verwirklichung dieser Bestre- bungen konnten sich also die Könige der beiden Stifter nicht nur direkt, d. h. in erster Linie in wirtschaftlicher Hinsicht bedienen, sondern dank dem Umstand, daß die Äbtissinnen Verwandte waren,

95) Meyer v. Knonau IV 222 f. 96) Meyer v. Knonau IV 292; Feierabend a. a. O. 143. 97) Meyer v. Knonau VI 327; Feierabend 144. 88) W. Holtzmann, Zur Geschichte des Investiturstreites (Englische Analekten 11), Neues Archiv 50 (1933) S. 310 f. nach einer Oxforder Handschrift: Agnes ecclesie Quetiliburgensis dissipatrix et fautores eius. 99) ]. Ch. Harenberg, Historia ecc1esiae Gandershemensis diplomatica (Han- nover 1734) 135. Vgl. Feierabend a. a. O. 142 f.; W. Holtzmann a. a. O. 310 f. 100) M. L. Bulst-Thiele, Kaiserin Agnes (Leipzig-Berlin 1933) S. 56. 101) W. Holtzmann a. a. O. 31 I. Kaiserin Agnes allerdings hat diesem Streben während ihrer Regentschaft unbewußt entgegengearbeitet. Vgl, Bulst-Thiele a.a.O. 55f. 136 H ans-Erich Weiraucli

auch indirekt. Denn nur politisch. als bewußte Stärkung der könig-

lichen Sache, können wir es auffassen 102). wenn die beiden Salierinnen Stiftsgüter in solchem Umfange verlehnten. daB sie auf stärkste Oppo- sition in ihren Konventen stießen. Widersprach normalerweise eine starke Verlehnurig von Reichskirchengut durchaus den Interessen so- wohl der betreffenden Reichskirche als auch des Reiches und Königs '?"), so liegt hier eine Ausnahme vor, bei der der Zweck die Mittel heiligt. Einzelheiten über diese Maßnahmen sind uns kaum bekannt. Aber wir dürfen wohl mit Recht zwei Belehnungen sächsischer Dynasten seitens der beiden Stifter in diesen Zusammenhang stellen: einmal die schon erwähnte Übertragung der Vogtei des Quedlinburgischen Stifts- dorfes Sol tau an Herzog Magnus im Jahre 1069, andererseits die Be- lehnung Egberts H. von Meißen mit dem Gandersheimer Besitz Gif- horn, Wolfenbüttel und der Vogtei über Ehrich und Tennstedt im

Jahre 1074104). Daß diese beiden Versuche zunächst nicht vermochten, die Fürsten an das Königtum zu fesseln, diese vielmehr weiter in Oppo- sition standen, beweist noch lange nicht, daß dahingehende Absichten auf seiten des Königs gar nicht vorlagen und daB das Mittel der Lehnsausteilung an sich nicht erfolgreich sein konnte. Handelte es sich in diesen beiden Fällen entsprechend der Stellung der Belehnten um größere Besitzstücke, so wird man dasselbe doch auch in kleinerem Maßstabe Ministerialen gegenüber getan haben. Und so begegnen uns beim Stift Quedlinburg im 12. Jahrhundert Fälle von verlehntem Gut, die wir mit diesen politischen Maßnahmen in Verbindung bringen müssen und die ohne sie nicht verständlich wären. 105 Am 25. Juni 1137 ) überweist Äbtissin Gerburg dem Johannishospital in Quedlinburg neben 4 Hufen, die sie selbst schenkt, noch 71/2 Hufen, die ihr zu diesem Zweck von den Lehnsträgern resigniert sind. Dar- unter befinden sich Äcker in Quedlinburg und Meckelnfeld. Bei der Gründung. des Klosters Michaelstein bilden den Grundstock seines Be- sitzes die Güter, die der Quedlinburgische Lehnsmann Burchard der Äbtissin resigniert und dem neuen Kloster übertragen läßt. Sie liegen

102) Feierabend a. a. O. 142.

103)i Ficker a. a. O. 140 f. Denn von verlehntem Reichskirchengut erhielt das Reich keine Servitien. Daher knüpft Heinrich 11. 1021 an die Schenkung von Plez- .. wiz und Erxleve die Bedingung, ut nulli abbatissae nullique alii potenti personae liceot, ad suas manus tenere aut cuiquam in beneficium prestare ... (DHII 448). 101) Harenberg a. a. O. 1379. Codex Diplomatleus Saxoniae regiae, hrsg. v. O. Posse und H. Ermisch (Dresden 1899ff.) I I, 337 NT. 144; Dobenecker a. a. O. 1908. 106) UB. Stadt Quedlinburg, hrsg. v. K. ] anicke (Halle 1873-1882) 1 Nr. 12. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 131

sämtlich in nächster Umgebung Quedlinburgsl06). Diese beiden Ur- kunden zeigen uns, daß beträchtliche Stücke des Stiftsgebietes un- mittelbar bei Quedlinburg schon seit einiger Zeit verlehnt waren. Das lieBe sich ohne die politischen Hintergründe nicht rechtfertigen. Für weit entlegenen Besitz wäre eine Verlehnung noch zu verstehen, aber bei so nahe gelegenen Gütern hätte das Stift, wenn keine besonderen Gründe vorlagen, eine andere einträglichere Form der Nutzung finden können. Denn der Zins, der zur Karolingerzeit bei kirchlichen Benefizien allgemein üblich gewesen war, existierte nicht mehr ""). Das Zins- lehen hatte dem Amts- oder vasallitischen Lehen weichen müssen, bei denen die Zinsverpftichtung entweder von Anfang an nicht vorhanden war oder aber sich im Laufe der Zeit völlig verlor. Mit der Zinsfrei- heit aber sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Benefizium und Grundherrschaft aufgehoben. Durch den allmählich sich durch- setzenden Grundsatz der Erblichkeit scheidet es im allgemeinen aus der Grundherrschaft aus und bildet selbst eine neue. "Wie die Lehen der geistlichen Grundherrschaft keinerlei Ertrag abwarfen, so zählen sie streng genommen auch nicht mehr zu ihrem Besitzstande" 108). "Während sich die Grundherrschaften daran gewöhnen mußten, die Benefizialgüter allmählich aus dem wirtschaftlichen Verbande aus- scheiden zu sehen und im allgemeinen keinerlei wirtschaftliche Lei- stungen von ihnen zu beziehen" 109), so hatten sie doch andere Mög- lichkeiten der Landleihe, bei denen diese Konsequenzen normaler- weise nicht eintraten. Sie konnten ihr Gut anderen zu Besitz und Nutzung überlassen entweder als Zinsgu t P"), wobei es innerhalb der Verwaltung des Eigentümers blieb, aber aus seiner Eigenwirtschaft ausschied; oder als Meiergut '!"), das zwar der Verwaltung und Eigen- wirtschaft des Eigentümers angehörte, aber doch ein selbständiges Be- triebsobjekt bildete, weIches sich aus dem Eigenbetriebe des Grund- herrn losmachte.

106) Sachsen und Anhalt 10, 1I6 ff., Erath 86 N r. 9; VB. Hochstift Halberstadt hrsg, v. G. Schrnidt (Leipzig 1884-1893) I Nr. 227. 101) v. Inarna a. a. O. II 186ff.; G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte (Kiel-Berlin 1844-1878; 1880-1896) VI 107.

lOS) lnama II 186. Daher "strebten auch die geistlichen Stifter danach, ihr zu Lehen ausgetanes Gut wieder zur eigenen Verfügung zu erhalten, und wiederholt haben einzelne Restitutionen stattgefunden" (Waitz a. a. O. VI 102).

108) Inama a. a. O. II 192. UO) Inarna II 139f. 1l1) Inarna II 139f. .,..

138 H ans-Erich Weirauck

Bei dem Zinsgut ist wieder zu unterscheiden zwischen freiem und unfreiem oder solchem Zinsgut 112), das nur Zins einbrachte, und solchem, das Zins und Fronarbeit zu leisten hatte. Während noch in der Ottonenzeit die unfreie Zinshufe die Hauptform des kleinen bäuerlichen Besitzes war, drängt im 1I. und 12. Jahrhundert eine Be- wegung des Bauernstandes dahin, aus Manzipiengütern freie Zins- güter zu machen. Beide Arten von Zinsgütern entrichteten an den Eigentümer den Zehnten, einen festen Jahreszins, bestimmte Dienst- leistungen, besonders Baudienste und Fuhren, und die Handänderungs- abgabe (Besthaupt}'!"). Der Meier (viIIicus) ist Vorsteher einzelner Güter oder Güter- komplexe und übt hier zugleich die niedere Gerichtsbarkeit aus. Als Lohn für das Amt hat der Meier ein Gut oder Einkommen aus Zinsen oder Zehnten 114). Aber entsprechend der ganzen wirtschaftlichen Ent- wicklung kam es allmählich dahin, daß der Herrenhof, den der Meier für Rechnung der Grundherrschaft bewirtschaftete, ihm auf eigene Rechnung überlassen wurde. Und damit trat an Stelle des gesamten Wirtschaftsertrages, den der Meier als Beamter bisher abzurechnen l15 hatte, eine feste Quote ). Der Meier wurde also eine Art Unter- nehmer, der der Herrschaft ein gewisses Maß von Einkünften garan- tierte, im übrigen aber sein eigener Herr war. Dann bedarf es nur noch eines kleinen Schrittes, um aus dem Amt mit seinen Nutzungen ein Beneficium, aus dem Meier einen Ministerialen werden zu lassen. Also birgt auch die Meierwirtschaft die Gefahr in sich, Kirchengut allmählich der Kirche zu entfremden und in weltliche Hände zu bringen 116). Wie die Wirtschaftsorganisation des Stiftes Quedlinburg aussah. welche Formen der Landleihe benutzt wurden und welche Erfahrungen das Stift dabei machte, wissen wir bei der Dürftigkeit der Quellen in dieser Periode nicht. Nur bei der Regelung der Schutz- und Vogtei- verhältnisse von SoItau 1069 hören wir, daB dort ein Quedlinburger villicus sitzt. Er wird den Hof bewirtschaftet haben, den Quedlin- burg bis 1304 dort besaBllT). Ließ uns die Urkunde über Sol tau einen ersten Blick in eine aktive Quedlinburgische Güterpolitik tun, so ergibt sich rund hundert Jahre später die zweite Gelegenheit dazu. Bischof

112) Inama 11 193. 112) Inarna 11 193. 111) Waitz a.a.O. VII 31St. 115) Inama 11 2OOf. 11.8) Waitz VII 316f. 11T) und der vom Do r f Soltau zu unterscheiden ist. Vg!. Anm. 64. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 139

Ulrich von Halberstadt bestätigt I IS I einen Tausch zwischen dem Stift Quedlinburg und dem Kloster Marienthal !"). Es handelt sich um Besitz in Covellin (wüst bei Eilsieben) einerseits und Domersleben und Eilsieben andererseits. Dabei sagt die Urkunde nicht klar, welches Gut es ist, das Quedlinburg abgibt, und welches es erha lt P"). Das Beispiel der Gründung des Klosters Michaelstein durch Äbtissin Beatrix Ir. gibt Veranlassung, noch auf etwas anderes hinzu- weisen: Schon am Ende des ersten Jahrhunderts seines Bestehens standen vier geistliche Anstalten in Abhängigkeit vom Stift Quedlin- burg+"). Davon waren Kloster Münzenberg in Quedlinburg und Kloster Walbeck vom Stift gegründet und hatten, was uns daran interessiert, die Grundlage ihres Besitzes vom Stift erhalten. Die anderen beiden, Wendhausen und das Wipertistift in Quedlinburg, waren wohl ebenfalls durch Stiftsbesitz bereichert worden. Jetzt im 12. Jahrhundert sehen wir das Johannishospital von der Äbtissin be- schenkt und Kloster Michaelstein aus Stiftsgut und auf Stiftsgut ge- gründet. Die Herrschaft Quedlinburgs über eine Reihe geistlicher An- stalten, die so stolz aussieht, hat ihm also ganz beträchtliche Güter- mengen entzogen.

Über die Schicksale des Grundbesitzes Quedlinburgs in den 180 Jahren unseres Kapitels haben wir also nur ganz dürftige Nachrichten, die zudem kein einheitliches Bild geben. Wir dürfen aber sicherlich die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung des geistlichen Großgrund- besitzes in dieser Zeit auch im wesentlichen auf unser Stift übertragen, und diese Entwicklung geht abwär ts+"). Unterstützt wird das noch durch die Uneinheitlichkeit in der Verwaltung: Die Güter der geist- lichen Grundherrschaft werden auf die einzelnen Zweige der Hofhaltung verteilt. Äbtissin und Konvent, Propstei und Kelleramt usw. haben ihre gesonderten Einkünfte und eine gesonderte Verwaltung der Güter, auf die diese fundiert sind 122). Jedes Stiftsamt hat dann natürlich in erster Linie nur seine speziellen Interessen im Auge, und gerade diese im 12. Jahrhundert einsetzende Zersplitterung in der Güterverwaltung

11S) DB. Hochstift Halberstadt I Nr. 235. 118) Anscheinend erhält das Stift Domcrsleben und Eilsieben und gibt Covellin ab. 120) S. Anm. 55 und 242. 121) Inama a. a. O. II 134. 12:1) Dieses System "beschränkte die Bestimmung nicht nur über die Einkünfte, sondern auch über das Vermögen selbst und hemmte somit dessen Ausnutzung nach dem Grundsatz möglichst großer Wirtschaftlichkeit". (R. Kötzschke, Allgemeine Wirtschaftsgesch. des Mittelalters [im Handbuch der Wirtschaftsgesch, hrsg. v. Brodnitz, Jena 1924] S. 368.) 140 H ans-Erich IV cirauch

läßt das mächtige Emporkommen der Meier erst recht verstehen 123). Auch in Quedlinburg begegnet uns diese Güterteilung, zwar erst etwas später, am Ende des 12. Jahrhunderts, aber nach der allgemeinen Ent- wicklung werden wir auch bei unserrn Stift ihre Anfänge früher an- setzen dürfen.

"Der Verfall der kirchlichen Ökonomie, welcher schon im 1I. Jahr- hundert unverkennbar ist, ließ sich auch im 12. Jahrhundert nicht auf- halten", und so bieten die meisten der großen kirchlichen Besitzungen auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts "das Bild arger Zer- rissenheit und wesentlich geschwächter wirtschaftlicher Leistungs- fähigkeit" 124). Freilich hat die geistliche Verwaltung dabei nicht ganz tatenlos zugesehen. Sie ergriff Gegenmaßregeln, unter denen die sorg- fältige Registrierung des Besitzstandes, der Gütertausch und die Frei- machung von der Vogtei die wichtigsten waren 125). Aber nur in ein- zelnen Fällen sind nennenswerte Erfolge erzielt worden. Auch in Qued- linburg griff man in der Folgezeit zu diesen Abwehrmaßnahmen. Sie heben sich aus der bisherigen Entwicklung heraus und bedeuten den Beginn eines langen Kampfes der geistlichen Grundherrschaft.

HI. Äbtissin Agnes II. 1184-12°3. Agnes, Tochter Konrads von Meißen, die 1184 ins Stift kam, ist die erste Quedlinburgische Äbtissin, über deren Güterpolitik wir uns ein genaueres Bild machen können. Dabei ist auch für ihre Zeit unsere überlieferung keineswegs vollständig. Denn die erste erhaltene Ur- kunde stammt aus dem Jahre 1194, 10 Jahre nach Amtsbeginn, was bei der Sorgfältigkeit und Genauigkeit, mit der die Äbtissin alles schriftlich niederlegen lieB (s. u. S. 142f.), unnatürlich wäre. Im Jahre 1194 schließt Äbtissin Agnes consilio baronuni ecclesic einen Vergleich mit den Töchtern des Berthold von Hoym, qui uiolenter sibi res ecclesie usurpaverat12&). Gegen Zahlung von ISO Mark ver- zichten diese auf alle Güter, die ihr Vater widerrechtlich besessen hatte, nämlich die gesamte Villikation in Hoym und Habenrothe, zwei Lehen und sechs Hufen in Schmon, behalten dagegen die Stiftslehen, die ihr Vater zu Recht gehabt hat, mit Ausnahme des Kämmereramtes. In einem Tausch, dessen Initiative wohl weniger von Quedlinburg aus-

123) Inama a. a. O. Il 165f.

121) Inama 11 134. 125) Inama 11 134. 120) Erath 108 Nr. 39; Codex Diplomaticus Anhaltinus hrsg. v. O. v. Heine- mann (Dessau 1867-1883) I Nr. 692. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 141

127 ging, überläßt das Stift 1195 ) dem Kloster Pforte die Hälfte des Dorfes Wincendorp (wüst bei Pforta) und erhält dafür meliores posses- siones que Vinne dicuntur, in einer Urkunde genauer als zwölf Pfund jährlich in Hundisbol bezeichnet, die jährlich drei Talente mehr ein- bringen als Wincendorp. Das zeigt doch wohl, daß die derzeitige Stifts- regierung diesen Tausch nicht nur pro remedio anime nostre einging. wie die Urkunde der Äbtissin Agnes sagt, sondern dabei auch die materiellen Interessen des Stiftes gut zu vertreten wußte, so gut, daß Äbtissin Sophie sich 1213 veranlaßt fühlte, dem Kloster Pforte noch nachträglich anderen Stiftsbesitz bei Wincendorp zu schenken, quia ex veritate conperimus, quod iam dicta Portensis ecclesia triplo meliores et ampliores possessiones in reconpensaiione ecclesie nosire restituit 128). Ebenfalls 1195 bekundet Erzbischof Konrad von Mainz, daß sein Schenk, Dietrich von Apolda, Renten in Darnstedt, die er von der Qued- linburger Pröpstin zu Lehen hatte, auf deren Wunsch resigniert hat

und mit Stiftslehen in Sulza entschädigt worden ist 129). Diese auf den ersten Blick ziemlich uninteressante Urkunde, die nur kleinen Besitz betrifft, sagt uns zwei wichtige Tatsachen: I. daB auch in Quedlin- burg gegen Ende des 12. Jahrhunderts die Aufteilung des Stiftsbesitzes unter die einzelnen Ämter mit getrennter Verwaltung P") schon statt- gefunden hat; 2. daß auch die Pröpstin eine zielbewußte Güterpolitik treibt. Denn wenn sie den Lehnsträger um Vertauschung der Lehen instanter sollicitavit, so muß sie ihre Gründe, etwa Arrondierungs- bestrebungen, gehabt haben. Aus der zweiten Hälfte der Regierungszeit der Äbtissin Agnes 131) ist uns ein Verzeichnis der Güter und Gegenstände erhalten, die sie

entweder zurück- oder neugekauft hat 132). Hierfür hat sie im ganzen 655 Mark aufgewendet. Die Güter umfassen 731/2 Hufen, 4 Terri- torien, I Vorwerk (allodium), 3 Mühlen und I Rad in einer anderen, I pastiforium (Hürde?), I Wald (silva), I Weidengebüsch (salictum), 2 Wiesen (prata), 18 Talente, Zehnteneinkünfte und schließlich ver- schiedene kirchliche Gegenstände, die uns hier aber nicht interessieren.

1>7) UB. Kloster ·Pforte hrsg. v. P. Boehme (Halle 1893-1915) I Nr. 43-45; Dobenecker a. a. O. II 979. 982, 984. 128) UB. Pforte I Nr. 75; Dobenecker II 1565.

129) Erath 106 N r. 34; Dobenecker II 990. 130) Vg!. S. 139 f. 131) Jedenfalls nach 1194. da die Erwerbungen dieses Jahres (Anm. 126) in unserm Gesamtverzeichnis erscheinen.

132) UB. des Elchsfeldes hrsg, v. A. Schmidt (Magdeburg 1933) 1Nl". 165; Cod. Dip!. Anh. I Nr. 703. 142 1I ans-Erieb TV eiraucli

Bemerkenswert ist besonders, daß sich die Rückkäufe nicht nur auf das Stiftsterritorium um Quedlinburg beschränken, sondern gerade auch der Streubesitz in ziemlich starkem Maße restituiert wird. In Gera kauft sie für 117, in Schmon für 70, in verschiedenen Orten des Eichsfeldes für 81 Mark. Das beweist doch wohl, daß um 1200 diese weit entfernten Liegenschaften noch einigermaßen zu halten waren und dem Stift noch nennenswerten Nutzen brachten. Was uns diese Urkunde aber noch in teressan ter mach t, sind die allgemeinen Ausfüh- rungen, die den Einzelheiten vorausgehen: Perpendentes itaque diuina procidentia nos suscepti regiminis aftigisse apicem, quo primuni ad liunc accessimus, prouentibus ecclesie, cuius am- ministratioui indignitas uostra succubuit, totaliter altimum int.endimus. Quo autem modo desiderio nostro satisiacerenius, studiosius incubanies et consiliuni super hoc CUlII [amiliaribus hubenies intelleximus res et reditus ecclesic alia distracta, alia inpignerata, alia ex posita, quocirca ... animum accomodaoimus maximum reputantcs nos posteritati nostre conjerre beneficium, si distracta ccclcsie restitueremus. Quod et opere parte quam plurima compleuimus, Sed quia generaiio preterit et generatio advenit et ex uaria permutatione tcniporum plerumque solet obliuio subrepere rebus humanis, lie nostri laboris dcuotionem posteritas traheret in oblivion em, que uel ecclesie nostre contulimus, que vel expos ita redemimus et a quibus personis, sive quibus in locis, ut subiectuni est, subnotari [ecimus et sigillo nostro consignation cognitioni posteritatis transmittimus. In diesen Sätzen legt Äbtissin Agnes Ir. also Rechenschaft ab. Von Anfang an hat sie eine \ViederhersteIlung des Quedlinburgischen Be- sitzes als vordringliche Aufgabe angesehen und darauf ihre ganze Amts- tätigkeit eingestellt. Um Fehlschläge möglichst zu vermeiden, hat sie dabei die familiares des Stiftes zu Rate gezogen. Das sind wohl haupt- sächlich die barones ecc1esie, die schon 1194 (s. o. S. 140) in gleicher Tätigkeit erscheinen. Sie weiß, daB sie mit dieser Güterpolitik ihrem Stift einen großen Nutzen erweist, und deshalb legt sie auch Wert darauf, daß ihre Erfolge nicht so schnell vergessen werden, sondern durch schriftliche Niederlegung cognitioni posteritatis erhalten bleiben. Die Krönung dieser Bestrebungen bildet dann ein Verzeichnis der Tafelgüter der Äbtissin 133), das zwar undatiert ist, aber mit groBer Wahrscheinlichkeit aus der Amtszeit der Agnes 11. stamrnt P"), schon weil ein solches Güterverzeichnis so ganz zu ihrer Politik passen

133) F. E. Kettner, Antiquitates Quedlinburgenses (Leipzig 1712) 204 fi.; Erath 271 Nr, 29I. 134) Cod. Dip!. Anh. V A Nr. 3. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 143

würde. Es umfaßt nur einen kleinen Teil der Stiftsgüter, eben die, deren Nutzung speziell der Äbtissin zusteht Ps), und vielleicht diese nicht einmal vollständig. Im ganzen zählt das Verzeichnis 230 Hufen. 11 3 /2 Morgen (iugera), 16 Höfe, 29 HofsteIlen, 14 Prendene 136), 7 Mühlen, 5 Weingüter bzw. -berge, 1 Holzfieck, 1 Weidengebüsch (salictum) und die verschiedensten Einkünfte aus Zehnten, Vogtei und anderem auf. Darunter befinden sich auch Einnahmen aus Schmon und der provincia Gherensis. Wir sahen, daß die geistlichen Grundherrschaften als Abwehr gegen den Verfall ihres Besitzes und ihrer Wirtschaft im 1I. und 12. Jahr- hundert hauptsächlich drei Maßnahmen ergriffen: Registrierung des Besitzstandes, Gütertausch und Freimachung von der Vogtei. Alle drei treffen wir unter der Regierung der Äbtissin Agnes Ir. auch in Quedlinburg an. Sowohl das Verzeichnis der Abteigüter wie die genaue . Aufzählung der von ihr neu oder zurückgekauften Güter lassen die Absicht erkennen, alle Besitztitel und -rechte durch schriftliche Fixie- rung für alle Zeiten zu sichern. Die Gütertauschc von 1195, zumindcst aber der über Zinsen in Darnstedt und Sulza, zeigen Methode in der Güterorganisation. Und wenn nach dem Güterverzeichnis die Äbtissin auch die Vogtei von 25 Hufen in Groß-Ditfurt, 4 Hufen in Groß-Orden und 4 Hufen in Tekendorf hat, so hatte unser Stift also auch dcn dritten Weg, Freimachung von der Vogtei, beschritten. Finden sich aber bei Quedlinburg die gleichen Maßnahmen, die andere Grundherrschaften gegen den Verfall ergriffen, so mußte auch bei unserem Stift die Voraussetzung dazu, der Verfall selbst, genau wie bei ihnen vorhanden sein. Damit erhalten wir einen indirekten Beweis für die wirtschaftlichen Zustände im Stift, die wir im vorigen Kapitel nur aus der allgemeinen Entwicklung ableiten konnten. Aber darüber hinaus geben uns die Quellen der Amtszeit der Äbtissi~ Agnes n. auch manche direkte positive Bestätigung für die vorher- gehende Periode des Niedergangs und gleichzeitig manchen Hinweis auf die in Quedlinburg benutzten Wirtschaftsformen. Sahen wir schon allgemein in dem Meierwesen •eine Gefahr für den geistlichen Grund- besitz (s. o. S. 138), so finden wir das in der Urkunde von II94 auch für Quedlinburg zutreffend: Nur gegen teures Geld kann die Äbtissin die Villikation in Hoym und Habenrothe wiederkaufen, die dem Stift

138) Also ein weiterer Beweis dafür, daß auch in Quedlinburg um 1200 die Ver- teilung des Stiftsgutes auf die einzelnen Ämter bereits stattgefunden hatte. Vgl. S. 139 und 141. 138) Die Bedeutung dieses anscheinend niederdeutschen Wortes habe ich nicht feststellen können. 144 H ans-Erich ~Veiraucli unrechtmäßig entzogen war. Überhaupt war die Meierwirtschaft an- scheinend im Quedlinburgischen Besitz ziemlich verbreitet. In der Aufstellung der von Agnes 11. gekauften Güter finden wir weitere Quedlinburger Meier in Schmon, Marsleben und Duderstadt. Nach dem Güterverzeichnis derselben Äbtissin läßt sich hinsichtlich der Nutzungsformen des Stiftsbesitzes folgendes sagen: allodia, also Vor- werke, unterhält die Äbtissin in Hoym (7 Hufen), Tekendorf (9 H.), Ballersleben (8 H.), Groß-Orden (7 H.) und im Westendorf (6 H.). Im übrigen ist der größte Teil des Grundbesitzes gegen Zins aus- gegeben, teils als freies, teils als unfreies Gut, das auch mitunter direkt orongutn genannt wird. Verlehnter Acker ist ganz selten. Für die 20 Jahre der Äbtissin Agnes 11. ergibt sich uns trotz der verhäl tnismäßig kleinen Zahl der Quellen ein geschlossenes Bild: Das Bild einer Äbtissin und wohl auch der ersten Quedlinburger Äbtissin, die ihre ganze Amtstätigkeit in klarer Erkenntnis der Lage von An- fang an darauf einstellt, den Besitzstand des Stiftes nicht nur zu halten, sondern auch Versäumtes nachzuholen und Verlorenes wieder zu gewinnen. Wenn Maßnahmen dieser Art auch nur bei den wenigsten geistlichen Grundherrschaften bleibenden Erfolg hatten (s. o.

S. 140), so hätte gerade Quedlinburg zu diesen gehören können, wenn Agnes 11. gleichwertige Nachfolgerinnen gehabt hätte.

IV. Der Quedlinburgische Besitz in den Jahren 12°3-1233. Wenn wir diese Periode als Ganzes betrachten und sie negativ be- urteilen, so dürfen wir hier besonders nur die Erg e b n iss e der Güterpolitik betrachten, was erreicht wurde und was nicht. Nicht oder nur nebenbei berücksichtigen aber dürfen wir bei dieser Gesamtkritik das, was die einzelnen Äbtissinnen gewollt und aus irgendwelchen Gründen nicht durchgesetzt haben. Es kann sich also nur um eine Bewertung der Ergebnisse und Tatsachen handeln, nicht um eine Würdigung des guten oder schlechten Willens der Stiftsleitung. Und gerade in dieser Zeit besteht zwischen beidem, dem Gewollten und dem Erreichten ein beträchtlicher Unterschied. Daran sind in der Hauptsache die politischen Verhältnisse schuld. Wieder einmal hatte sich Deutschland in zwei Lager gespalten: der alte Gegensatz zwischen Staufern und Welfen hatte zu der Doppel- wahl von 1198 geführt. Dem Stauferkönig Philipp von Schwaben trat als Kandidat der Welfenpartei Otto IV. gegenüber. In dem nun folgenden Bürgerkrieg bedeutete die Ermordung Philipps im Jahre 1208 nur einen Einschnitt. Mit dem Erscheinen des jungen Fried- rich n. in Deutschland lebte der Kampf wieder auf, um erst 1218 Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 145 durch den Tod Ottos IV. sein Ende zu finden. Wie fast jedes Terri- torium in Deutschland wurde auch das Stift Quedlinburg in dieses groBe Ringen um die Vormachtstellung hineingezogen. Für die Rolle, die das Stift dabei spielen konnte, und das Schicksal, das es erlitt, sind hauptsächlich drei Gesichtspunkte bestimmend. gewesen:

I. Die geographische Nähe Quedlinburgs zum Zentrum der welfi- schen Macht. 2. Die Herkunft der Äbtissin.

3. Die politische Stellung des Stiftsvogtes, Grafen Hoyer VOll Falkenstein. Über den ersten Punkt braucht kaum Näheres gesagt zu werden. Quedlinburg ist von Braunschweig in der Luftlinie knapp 70 km ent- fernt. Damit ist es ohne weiteres zur Einflußsphäre der Welfen zu rechnen. - Daß die Person der Stiftsleiterin eine wesentliche Rolle spielte, haben wir schon rund hundert Jahre früher bei den Saliern gesehen. In den jetzigen Bürgerkrieg fallen die letzten Regierungs- jahre der Äbtissin Agnes II. (1184-12°3) und zwei Drittel der Re- gierungszeit der Sophie (1203-1226). Agnes war die Tochter Konrads des Großen von Meißen ]37), Sophie die Tochter des Grafen Friedrich von Brehna und als solche eine Nichte ihrer Vorgängerin 138). Beide Äbtissinnen sind also Wettinerinnen. Und wenn wir auch nicht an- nehmen wollen, daß sie während ihrer Quedlinburger Zeit noch von ihrer Familie in politischer Hinsicht direkt beraten und geleitet wurden, so waren sie doch in einem bestimmten Traditions- und Vorstellungs- kreis aufgewachsen, der sich auf die Politik ihres Stiftes auswirken mußte. Wie die Wettiner zunächst dem staufischen Königtum treu waren und blieben, so hören wir auch nichts von stauferfeindlicher Einstellung in Quedlinburg, so daß wir mindestens Neutralität des Stiftes annehmen können. Als Philipp Weihnachten 1199 in Magdeburg feiert, sehen' wir lSD an der Seite seiner Gemahlin die Äbtissin Agnes von Quedlinburg ). Im August und September 1207 finden wir Philipp in Quedlinburg an der Spitze des Reichstages, der vorher in Nordhausen getagt hatte ':"). Und Quedlinburg war auch der Sammelplatz für die stauferfreund- lichen Fürsten des Nordostens, als diese Partei im Frühjahr 1208 zum

137) Kremer a. a. O. 34. (38) Kremer 35 ff. 138) E. Winkelmann, Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig (Jahrb. Leipzig 1873-1878) I 150.

H0) Winkelmann I 424 Anm. 2. 10 146 H ans-Erich W'eirauch

letzten und entscheidenden Schlag gegen die WeIfen rüstete 141). Doch kurz vorher hatte sich ein Umschwung bei den Wettinern angebahnt: Um die Wende 1207,08 beginnen sie von Philipp zu Otto überzugehen 142). Daß bei den großen Reichsabteien, die doch immerhin beachtens- werte wirtschaftliche und politische Faktoren darstellten, die politische Stellung ihrer jeweiligen Vögte von Bedeutung war, ist natürlich. Für Quedlinburg aber gilt das in den Jahrzehnten, die wir jetzt betrachten, in besonderem Maße. Stiftsvogt war Graf Hoyer von Falkenstein. Bei der Nähe des Sitzes der Falkensteiner zu Quedlinburg mußte es von großer Wichtigkeit für das Schicksal des Stiftes sein, ob in dem Bürger- krieg Stift und Vogt die gleiche Partei ergriffen, oder ob die großen Gegensätze sich selbst in diesem kleinsten Maßstabe auswirkten. Von Graf Hoyer wissen wir nun, daß er ebenso wie sein Vater Otto stau- fiseher Parteigänger war ':"). Da auch die Quedlinburger Äbtissin, wie schon erwähnt, bis etwa 1208 auf seiten Philipps stand oder doch wenigstens nicht stauferfeindlich war, gehen die politischen Absichten und Handlungen von Stift und Vogt für diese Zeit konform. Der Tod König Philipps 1208 verhinderte, daß der Frontwechsel, den die Wettiner und damit doch sicherlich auch Äbtissin Sophie kurz vorher vollzogen, praktisch von Wirkung auch für das Stift dem Vogt gegen- über wurde. Daß die Beziehungen zwischen den Wettinern und ihrer Verwandten auf dem Quedlinburger Äbtissinstuhl gerade in dieser Zeit , eng waren, zeigt uns eine Schenkung aus dem Jahre 1209144): Mit Zu- stimmung der Markgrafen Konrad von der Ostmark und Dietrich von Meißen und des Erzbischofs Albrecht von Magdeburg (Wettiner) über- weist Graf Friedrich von Brehna dem Stift Quedlinburg das Kloster Brehna ':") mit allem Besitz, Patronat und Vogtei. Diese Schenkung wäre sicherlich nicht erfolgt, hätte die politische Haltung des Stiftes Quedlinburg der des Gesamthauses Wettin widersprochen. Mit dem Erscheinen Friedrichs II. in Deutschland im Jahre 1212, wahrscheinlich aber schon ein Jahr vorher nach der Bannung Ottos IV., hieB es auch für Quedlinburg wieder, sich zu entscheiden, ob man bei den Welfen bleiben oder zu der erstarkenden Stauferpartei übergehen wollte. Doch bei dieser Entscheidung haben in Quedlinburg außer

tu) Winke1mann I 463. 142) Winkelmann I 443. 1&3) H. Lorenz, Das rooojährige Quedlinburg (Quedlinburg 1925) 33 f.; L. v. Ledebur, Die Grafen von Valkenstein (Berlin 1847) 25 ff. lU) Erath 128 Nr. t r ; Cod. Dip1. Sax. reg, I 3 Nr. 142. 146) Gegründet noch vor 1190. vom Papst bestätigt 1201. {E. Jacobs, Geschichte der in der preußischen Provinz Sachsen vereinigten Gebiete, Gotha 1884, S. 84.)

1 Die Gia crpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 147

Rücksichten auf die Verwandtschaft und eigener überzeugung sicherlich auch noch andere Gründe mitgesprochen. In den Beziehungen zwischen dem Stift Quedlinburg und seinem geistlichen Nachbarn, Halberstadt, waren inzwischen Wandlungen ein- 146 147 getreten. 1210 ) und 1211 ) setzt Innozenz Ill. Schlichtungs- kommissionen ein, die den Streit zwischen Quedlinburg und Halber- stadt um die Palmsonntagfeier beilegen sollen. Es handelte sich kurz um folgendes: Auf Grund angeblicher alter Rechte+") kam der Bischof von Halberstadt jedes Jahr am Palmsonntag mit riesigem Gefolge nach Quedlinburg geritten und ließ sich dort vom Stift bewirten. Da die Zahl seiner Begleiter jedes Jahr gröBer wurde, entstanden dem Stift Quedlinburg sehr hohe Ausgaben. Deshalb und weil mit der Zeit der Eindruck entstehen konnte, als sei Quedlinburg von Halberstadt ab- W hängig ), verweigerte Äbtissin Sophie dem Bischof die Weiterführung dieses Brauches. Nach langen Jahren fand der Streit schließlich 121913°) sein vorläufiges Ende zugunsten und 1225131) sein definitives Ende zuungunsten Quedlinburgs. Daneben geht auch noch ein zweiter Konflikt, und zwar zwischen der Äbtissin und dem Vogt Hoyer von Falkenstein. Gegen dessen über- mächtig werdende Vogtei hat sie sich mit aller Energie zur Wehr ge- setzt und dabei gerettet, was zu retten warm). Ob man freilich so weit gehen darf, ihr in klarer Voraussicht der kommenden Entwicklung ein bewuBtes Streben nach der vollen Landeshoheit zuzuschreiben 153), ist zweifelhaft. Jedenfalls trat sie allen Versuchen Hoyers, seine Macht im Stift zu erweitern, entgegen. Und der Vertrag über die Vogtei, der 1221 mit ihm zustande kam 1~4), ist denn auch recht günstig für das Stift ausgefallen. Hoyer muBte sich besonders verpflichten, die Vogtei oder Teile davon nie zu verlehnen. Diese Afterverlehnung der Vogtei war natürlich einerseits gefährlich für das Stift, da es dann gar keinen Überblick mehr über die Vogteiverhältnisse haben konnte, aber anderer-

116) UB. Hochstift Halberstadt I Nr. 458; Dobenecker 11 1460. 147) VB. Hochstift Halberstadt I Nr. 460; Dobenecker 11 1483. liS) Vg!. H. Boettcher, Quedlinburgs Beziehungen zu Halberstadt im Ma. (Jahresbericht Domgymn. Halberstadt 1907/08) 4 f. 148) Vg!. Boettchcr a. a. O. 5f. 1:;0) UB. Hochstift Halberstadt I Nr. 505. 151) Erath 144 Nr. 39; UB. Hochstift Halberstadt I Nr. 576. 152) Lorenz, Qued!. Gesch. I 107. 1M) So W. Grosse, Zur VerfassungsgeschichteQuedlinburgs, Zeitsehr. d. Harz- vereins 49 (1916) S. 21 ff. 1M) A. F. H. Schaumann, Geschichte der Grafen von Falkenstein (Berlin 1847) 158ff. Nr. Isa. 10· 148 . H ans-Erich Weiraucli

seits hatte sie den Vorteil, daß sie dem Stift den Rückkauf der Vogtei einzelner Gebietsteile ermöglichte (s. u. S. 161 f.). Das geschah auch öfter, und bei Käufen oder Verkäufen solchen Besitzes wird die Vogt-

freiheit stets hervorgehoben 155). So sind es also zwei Ereignisgruppen. die für das Schicksal Qued- linburgs bestimmend werden: die politischen Verhältnisse und der auf den ersten Blick unpolitisch erscheinende Streit um die Vogtei mit Hoyer von Falkenstein 156). Es ist aber klar, daß wir beides nicht ge- trennt betrachten können, sondern das eine das andere beeinflußte. Ihre Wechselwirkung also ist maßgebend, d. h. der Vogteistreit wird letzten Endes politische Hintergründe gehabt und umgekehrt wird die Äbtissin bei ihrer politischen Stellungnahme auch den voraussichtlichen Nutzen oder Schaden ihres Schrittes für die Vogteifrage berücksichtigt haben. Und so ist es nicht verwunderlich, daß wir, als seit 1212 wieder zwei Könige und damit offen zwei Parteien in Deutschland existierten. Stift und Vogt nicht im gleichen Lager, sondern sich feindlich gegen- überstehen sehen. Hoyer von Falkenstein war seiner Familientradition gemäß Stauferanhänger, Sophie blieb bei der welfischen Partei. Damit werden die Kämpfe um die Vogtei ein Ausläufer des großen Ringens Welfen gegen Staufer+"). Was wir zunächst direkt über Quedlinburgs Rolle im Bürgerkrieg wissen, ist wenig: Am 19. Oktober 1213 begannen die staufischen Heere unter Friedrich n. die Belagerung Quedlinburgs. Das hoch- gelegene Stift aber, von den Welfen durch Anlage von Befestigungen in eine Burg umgewandelt, wurde von der ottonischen Besatzung unter ihrem Hauptmann Cesarius erfolgreich verteidigt. Friedrich n. mußte die Belagerung bald abbrechen US). Während aber bald danach der Hauptvertreter der Wettiner, Markgraf Dietrich von Meißen, von der welfischen Partei zu Friedrich n. überging>"), machte Äbtissin Sophie diesmal die politische Schwenkung ihrer Familie nicht mit. Am 14. September 1217 erschien Friedrich n. wieder vor Quedlinburg, hielt sich aber nicht mit einer neuen Belagerung auf, da das Stift wieder von Cesarius verteidigt wurde '?"). Und als Otto im Frühjahr 1218

1....) So 1212 (Magdeburg StA. Rep. Stift Quedlinburg A IX 7), 1221 (Erath 138 Nr. 27), 1222 (Erath 139 Nr. 30). 161) DaB auch der Konflikt mit Halberstadt um die Palmsonntagfeier politische Hintergründe gehabt hätte, ist nicht zu beweisen und wohl auch nicht anzunehmen. 157) Ledebur, Valkenstein 26 ff. 158) Winkelmann, Philipp von Schwaben und Otto IV., II 347. 158) Winkelmann II 348. 100) Winkelmann II 462. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinbur g im Mittelalter 149

einen Streifzug gegen unternahm, brachte er die dort 101 erbeuteten Vorräte nach Quedlinburg ). Die Stiftsburg diente ihm also noch kurz vor seinem Ende als Operationsbasis. In seinem Testa- 162 ment vom 18. Mai 1218 ) bestimmt er unter anderem: Castrum in Quidelingeburclt destrui uolumus, ante quam abbatisse red- datur. Destructa vera munitione locus cum ecclesia restituatur abbatisse, et nostrum [runientum, quod ibi est, et reliqua quibus argentum coniparari potest, abbatisse et eius conuentui dentur pro remedio anime nostre ... So hat also Äbtissin Sophie bis zuletzt auf seiten Ottos IV. aus- geharrt. Damit stellte sie sich nicht nur in offenen Gegensatz zu ihren wettinischen Verwandten, sondern es war auch unklug und mußte für das Stift von Nachteil sein, nach dem offenbaren Sieg der staufischen Sache noch Jahre lang bei Otto auf verlorenem Posten zu bleiben. Wenn wir nun nach den Motiven fragen, die Sophie dazu verleitet haben, so können wir nur wieder auf den Vogteistreit hinweisen. An- scheinend hatte sich dieser in ihrem Denken so eng mit dem politischen Konflikt verbunden, daß sie beide nicht mehr trennen konnte. Zuerst wird es wohl so gewesen sein, daß das politische Element überwog, d. h. als überzeugte Welfenanhängerin wird Sophie in dem Bestreben, der Gegenpartei zu schaden, den nächsten erreichbaren Stauferfreund, eben Hoyer von Falkenstein, als Objekt gewählt und so in seiner Vogtei die staufische Sache überhaupt bekämpft haben. Als aber mit dem Er- starken der Staufer der Kampf gegen sie als GroBes aussichtslos wurde, wird bei Sophie der Streit um die Vogtei, der sicherlich ursprünglich Mittel zum Zweck war, Selbstzweck geworden sein. Da Hoyer von Falkenstein staufisch war, sah sie allmählich in jedem Stauferanhänger einen HeIfer ihres Vogtes und einen natürlichen Gegner ihres Strebens. Otto IV. wird das Seine getan haben, diese Anschauung in ihr zu bewahren und zu fördern. Seinem EinfluB dürfte es doch zuzuschreiben sein, wenn Äbtissin Sophie in dem Vogteistreit die letzten Kon- sequenzen zog und Graf Hoyer kurzerhand absetz te+'"}. Ganz selbst- verständlich konnte sein Nachfolger in der Vogtei nur ein Welfen- anhänger werden, und was war da naheliegender, als den Exponenten der Welfen in Quedlinburg selbst, eben den Burghauptmann, zu wählen? Am 9. März 1215 erscheint in einer Urkunde Ottos IV. für die Kirche

tel) Winkelmann II 463. 182) Erath 135 Nr. 20; MG. LL. 11 221 f. 183) Vor 1215 März 9. Die Absetzurig ergibt sich abgesehen von dem Auftreten des Cesarius als Vogt (s. Anm. 164) auch aus der Bestimmung des Vertrages von 1225 (Erath 144 Nr. 39): H oyerus advocatiam suam re tineai, 15'0 H ans-Erich Weirauch in Riddagshausen I~j) unter den Zeugen der Cesarius advocatus de Quidelingeburclt. Wenn Cesarius diese Stellung als Stiftsvogt auch nach dem Tode Ottos verloren haben dürfte - denn 1221 schließt die Äbtissin, wie oben erwähnt, einen Vertrag mit Hoyer von Falkenstein über die Vogtei, die also da schon wieder in dessen faktischem Besitz sein muß ---, so zeigt doch schon seine Einsetzung überhaupt, wie weit die Verquickung von Politischem und Unpolitischem ging. Und nur so wird es verständlich, daß die Äbtissin bis zuletzt auf dem sinkenden Schiff Ottos geblieben ist. Da aber diese Haltung zumindest seit 1215, als Ottos Untergang vorauszusehen war, jeder politischen Vernunft widersprach und sich als Folge davon nur Nachteile für das Stift ergeben konnten, mußte sich bald in den Kreisen des Stiftes, die den politischen und den Vogtei- kampf als zweierlei ansahen, eine Opposition gegen die Politik der Äbtissin ergeben. Der Konvent wird übergang zu den Staufern ge- fordert haben. So hatten sich innerhalb des Stiftes zwei Parteien ge- bildet, die sicherlich beide nur das Wohl Quedlinburgs im Auge hatten, es aber auf entgegengesetzte Weise zu erreichen suchten. Aber auch die Stadt Quedlil1burg konnte mit Sophies Vorgehen nicht einverstanden sein. Denn ganz abgesehen von ihren eigenen politischen Sympathien mußte es ihr unangenehm sein, daß sie durch die Rolle des Stiftes als einer Welfenburg in einen der Brennpunkte des politischen Geschehens mit allen seinen Nachteilen für das städtische Leben gerückt war, wie sich bei der Belagerung 1213 zeigte. Außerdem wird die welfische Burgbesatzung unter Cesarius nicht gerade rücksichtsvoll mit den Bürgern umgegangen sein. Sophie hatte also außer der staufischen Partei als Ganzem in ihrer nächsten Umgebung den Vogt Hoyer von Falkenstein, die Stadt Qued- linburg und ihren eigenen Konvent zu Gegnern 165). Dazu kam noch der Bischof von Halberstadt in dem Palmsonntagstreit 166). Als Otto IV. 1218 gestorben war, stand Sophie plötzlich dieser groBen Opposition allein gegenüber ohne einen starken Rückhalt. Das Richtige wäre natürlich gewesen, der neuen Lage Rechnung zu tragen und Frieden zu schlieBen mit dem staufischen Königtum im Großen und mit Kon-

(64) UB. zur Geschichte des Geschlechtes von Wolfenbüttel-Asseburg, heraus- gegeben von J. v. Bocholtz-Asseburg (Hannover 1876-1905), Nr. 83. 16') Erath 144 Nr. 39; UB. Hochstift Halberstadt I N r. 576: causa que inter dominam Sophiam er una parte et ... conuentum, vasallos et ministeriales et ciues ... er altera uertebatur, (66) Ebd.: causa que uertebatur inter H alberstadensem et Quidelingeburgensem (I9II) 57 f. Die Gitterpolitik des Stiftes Quedlinbur g im Mittelalter 151

vent, Stadt und Vogt im Kleinen. Aber dazu war sie entweder zu stolz oder aber bereits zu sehr in die Absicht verrannt, sich gegen ihren Vogt unbedingt durchzusetzen. Wie dem auch sei, sie beugte sich nicht, sondern kämpfte weiter. Als weltliche Hilfe bot sich ihr dabei ganz von selbst der Burgkommandant Cesarius, der ja durch Ottos IV. Tod seine Aufgabe verloren hatte und ebenfalls auf sich selbst gestellt war. Da Sophie und Cesarius ''") zudem den gleichen Hauptgegner hatten, nämlich Hoyer von Falkenstein, war ein Zusammengehen beider das Gegebene. So ging der Kampf der Äbtissin gegen ihre lokalen Feinde weiter, nur fehlte jetzt der politische Hintergrund, und infolge- dessen war ihm der eigentliche Sinn genommen. Zugleich setzten sich Sophie und Cesarius damit von vornherein ins Unrecht. Wie der Streit im einzelnen verlaufen ist, wissen wir nicht. An- scheinend standen auch die von Quedlinburg abhängigen Klöster auf seiten der Opposition, denn Honorius Ill. fordert Michaelstein, das Wipertikloster, Münzenberg, Walbeck und Wendhausen am 25. Juni 1220

zum Gehorsam der Äbtissin Sophie gegenüber aufl6S). Und noch 169 1222 ) und 122317°) erläßt derselbe Papst ähnliche Gebote. Aber inzwischen hatte der weltliche Arm eingegriffen: Auf dem Reichstage zu Nordhausen wurde über Sophie verhandelt, und in Eger wurde sie für abgesetzt erklärt, da sie trotz Vorladung nicht erschienen war. Gestützt auf diesen Spruch und auf den Landfrieden ging nun die Opposition unter Führung von Hoyer von Falkenstein zum ent- scheidenden Schritt über. 1223 wurde die Stiftsburg erobert, Cesarius vertrieben 171), und vom Konvent als neue Äbtissin die bisherige Pröpstin Bertradis gewählt. Honorius Ill. ordnete am 29. November 1223 auch eine geistliche Untersuchung gegen Sophie an 172). Da der Kommission auch der Bruder der Bertradis, Konrad von Krosigk, an- gehörte, konnte das Verfahren natürlich nicht unparteiisch sein. Aber Äbtissin Sophie dachte zunächst nicht daran zu weichen. So ging der Konflikt noch zwei Jahre hin und her. 1224 setzte der Papst Sophie

167) Dieser seit seiner Ernennung zum Vogt von Quedlinburg. 188) P. Pressutti, Regesta Honorii Papae Ill. (Rorn 1888-95) I Nr. 2506.

168) Pressutti II Nr. 4039. 170) Pressutti II Nr. 4198. Anscheinend hatte Sophie sogar daran gedacht, die Klöster bei weiterer Opposition reformieren zu lassen, denn der Bischof Konrad von Hildesheim wird angewiesen, diese Reform durchzuführen, wenn die Ätitissin ihn darum angeht.

171) E. Winkelmann, Kaiser Friedrich II. (Jahrb. Leipzig 1889-97) I 377.

172) Pressutti a. a. O. II Nr. 4581; Zeitschr. f. KG. in der Provinz Sachsen 8 ~191I) 57 f. ; >

152 If ans-Erich Weiraucli

offiziell wieder als Äbtissin ein 1,3). 1225 fand dann der Streit durch ein lH Komprorniß des päpstlichen Legaten Konrad von Porto ) sein Ende, das aber so parteiisch und unkanonisch war, daß der Papst schon ein Jahr später eine Nachprüfung für nötig hielt '!").

über ein Jahrzehnt lang ist das Stift Quedlinburg von schwersten inneren und äußeren Stürmen heimgesucht worden. Aus einem großen politischen Ringen war ein Kampf um die Vogtei und schließlich ein Streit aus persönlichen Motiven geworden. Natürlich ist der Besitz des Stiftes von diesen Erschütterungen nicht unberührt geblieben. Denn I. war der Stiftsleitung durch die Unruhen jede Möglichkeit einer energischen und zielbewuBten Güterpolitik genommen. Das gilt ins- besondere für die letzten zwei Jahre, als das Stift zwei Äbtissinnen hatte, die sich beide für legitim hielten; 2. wurde der Besitz selbst zu den Kämpfen herangezogen. Wird s~hon während des Kampfes zwischen Otto IV. und Friedrich 11. das eine oder andere Quedlin- burgische Gebiet dazu gedient haben, der Partei, auf deren Seite das Stift stand, d. h. den Welfen, einen Vasallen zu gewinnen oder zu \ erhalten, so ist das Stiftsgut noch mehr beansprucht worden, als seit 1218 die Opposition selbständig vorging und so innerhalb des Stiftes selbst zwei Gruppen bestanden. Jede Partei wollte siegen, jede Partei brauchte deshalb möglichst viele Anhänger, und diese konnte man nur gewinnen durch Bezahlung. Die gegebene Bezahlung aber waren Lehen. Einzelheiten über den Umfang der Verlehnungen sind uns nicht bekannt. Das ist kein Wunder, denn bei den inneren Wirren im Stift sind sie zum Teil wohl gar nicht schriftlich niedergelegt worden, zum Teil aber sind die Urkunden verlorengegangen : eine Partei wird die der anderen vernichtet haben. Die Tatsache der Güterverschwendung an sich ist uns aber bezeugt. 1223 heißt es in dem päpstlichen Schreiben 176): Sua nobis conventus canonicarum secularium Quidelimburgensis eccle- sie insinuatione monstrarunt , quod S. ipsius ecclesie abbatissa ..• posses- siones et alia bona eiusdem multipliciter dilapidans et consumens cum

17S) Pressutti a.a.O. Il Nr. 5107; MG. Epist. saec. XIII, I Nr. 258; Regesta Imperii V (1I~1272), herausgegeben von J. F. Böhrner und J. Ficker (Innsbruck 1881-1901) Nr. 6585. m) Erath 144 Nr. 39; UB. Hochstift Halberstadt I Nr. 576. 176) Denn am 30. Mai 1226 gibt Honorius Ill. auf Vorstellungen der Aotissin Sophie hin dem Bischof, Propst und Dekan von Worms den Auftrag, das arbitrium von 1225 zu prüfen und unter Umständen für ungültig zu erklären. (Pressutti 3. a. O. 11 Nr. 5964; MG. Epist. saec. XIII, I Nr. 297; Reg. Imp. V Nr. 6631.) 171) S. Anm. 172. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinbur g im M ittelalter 153 quibusdam predonibus, incendiariis et ex communicatis a nobis neC1l011 proscriptis ab imperio se in quadam eiusdem ecclesie munitione reccpit, Wer diese predones und incendiarii waren, erfahren wir aus der Vergleichsurkunde von 1225177): Äbtissin Sophie soll jeden Umgang mit Borgurdus de Vulfferbiitle und Cesarius meiden und sie nicht in procuratione uictus et aliorum begünstigen. Genau wie Cesarius wird auch Burchard von Wolfenbüttel ursprünglich Ministeriale Ottos IV., auf jeden Fall Welfenanhänger gewesen und nach Ottos Tod zu- sammen mit Cesarius in Quedlinburg geblieben sein. 1223178) hören wir weiter, daß unter den Kirchenlehen des Hauses Braunschweig auch Quedlinburgische Lehen sich befinden, ohne daß uns bekannt ist, um welches Gebiet es sich handel t v"). Jedenfalls können auch sie jüngeren Datums, d. h. unter Äbtissin Sophie erworben sein. Zu dem gleichen Zweck wie Äbtissin Sophie hat auch die Gegen- seite, die Pröpstin und spätere Äbtissin Bertradis und ihr Anhang, von den Stiftsgütern reichlich Gebrauch gemacht. In dem endgültigen Vergleich von 1225180) muß Sophie nicht nur die Schulden, die die Electa (d. h. Bertradis) gemacht hat, als Stiftsschulden übernehmen (Punkt 3) und eine Schenkung der Bertradis an das Wipertikloster bestätigen (Punkt 7), sondern auch die durch die Electa verpfändeten Güter als solche anerkennen und eventuell einlösen (Punkt 9), die von Bertradis ernannten Kleriker in ihre Pfründen einsetzen (Punkt 10), alle von jener vorgenommenen Verlehnungen und anderen Güter- geschäfte bestehen lassen und sich verpflichten, ne bona et liberos redi- tus abbatie cuiquam conterat in [eodo vel aliquo modo alienet sine con- sensu capituli sui. Auch sonst wissen wir, daß Bertradis Klostergüter als Lehen ausgab!"). Bei den Nachfolgerinnen der Bertradis, Kunigunde und Osterlind, läßt sich wegen der Kürze ihrer Amtszeit - sie haben zusammen nur drei Jahre regiert - nicht viel über positive oder negative Güter- politik sagen. Nach den vorhandenen Urkunden konzentrierten sie ihre Bestrebungen darauf, die Vogteigewalt einzuschränken, so gut es ging. Sie kauften daher mehrfach die Vogtei einzelner Besitzstücke

177) S. Arun. li4. 178) Erath 141 Nr. 34; UB. der Stadt Braunschweig, herausgegeben von L. Hän- selmann (Braunschweig 1872-1900) II Nr. 60.

179) Vielleicht

zurück, bzw. betonen ihre schon vorhandene Vogtfreiheit 182). Einmal sagt Äbtissin Kunigunde ausdrücklich, ut nee a nobis nee a succedente nobis qualibet abbatissa advocatia predictorum mansorum cuiquam possit 183 iure feudali concedi ). In derselben Urkunde verbietet sie, daß diese vier Hufen in Wilsleben jemals wieder iure censuali ausgeliehen werden. Nur eine Ausgabe ad alios inde percipiendos redditus 'vel prouentus soll ge- stattet sein. Also hat man mit der Zinsleihe anscheinend schlechte Er- fahrungen gemacht. Sicherlich noch unter dem Eindruck der Stifts- wirren zur Zeit der Sophie bestimmt Äbtissin Osterlind 1232184), daß die Stiftsgüter in Langein niemals, auch nicht teilweise, verpfändet oder sonstwie entfremdet werden sollen, volentes ut cum bonis nihil spe- cialiter disponatur , nisi quod cum eisdem de sano consilio omnis familie ecclesie nostre fuerit ordinatum. Daß unsere überlieferung auch für diese Zeit noch keineswegs voll- ständig ist, beweist ein Satz des Abkommens von 1225185). Punkt 4 lautet: comes de Anaholt et alii uasalli omnia [eoda sua retineant que prius hnbuerunt, Similiter ipsa EIeeta et sorores, clerici et ministeriales. Der Graf von Anhalt und andere also haben Lehen vom Stift Quedlin- burg. Da sie Vasallen genannt und als solche von den Ministerialen unterschieden werden, dürfen wir annehmen, daß es nicht einzelne Hufen, sondern größere Besitzstücke oder eventuell auch Teilvogtei- rechte waren. Wie schon beim Hause Braunschweig, so ist uns auch hier noch keine Urkunde begegnet, die eins der Vasallenlehen beträfe. Wir ziehen daraus den Schluß, daß der Ursprung der meisten Lehns- beziehungen zwischen Quedlinburg und Territorialfürsten wesentlich früher anzusetzen ist, als Urkunden erhalten sind. Das gilt ins- besondere für groBe Gebiete, bei deren erstem urkundlichen Auftreten Quedlinburgs Lehnshoheit kaum noch mehr als nominell ist. Die 30 Jahre, die wir in diesem Abschnitt überblickt haben, sind also im ganzen eine Periode des Verfalls, gemessen - das sei noch einmal betont - an den Ergebnissen, nicht an den sicher vorhandenen guten Absichten. Die Hauptschuld daran tragen die politischen Ver· hältnisse und neben ihnen und aus ihnen erwachsend die inneren Zu- stände im Stift. Unter den Äbtissinnen Kunigunde und Osterlind 1230 bis 1233 sehen wir Versuche, das Verlorene zum Teil gut zu machen bzw. das Vorhandene zu festigen. Wegen der kurzen Dauer ihrer

182) Erath 151-54 Nr. 50-52 und 54-55. 183) Erath Nr. 51. 184) Erath 154 Nr: 55. 186) s. Anm. 174.

\ Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 155

Amtstätigkeit konnten es nur Versuche bleiben. Sollte eine Reorgani- sation eintreten, war dazu eine Äbtissin mit Energie, Umsteht und vor allem langer Regierungsdauer notwendig.

V. Äbtissin Gertrud 1233-127°. Cum in electionis nostre principio multis esset abbatia debitis onerata, inter cetera que nunc exprimere non ualemus, eam Jacobo iudeo de Blan- kenburcli in ducentis et tredecim marcis examinati argenti sub usuris continuis inuenimus obligatem, Sane cum urgens nos impelleret necessitas ad huiusmodi debitum persoluetuiuni tam pro remouendis usuris assiduis 'quam etiani pro fideiussoribus ipsius pecunie liberandis, requisito et habito super hoc nostri conuentus et ministerialium ecclesie nostre nee non alio- rum prudentum consilio et assensu decimam quinquaginta duorum manse- rum in Al arsleuc comiti H enrico de Regensten pro pecunia ducentarum et octo marcaruni iure concessimus feodali, que ab ipso supradicto iudeo

{uit totaliter persoluta 186). Diese Worte kennzeichnen bestens die Lage, die Äbtissin Gertrud bei ihrem Amtsantritt vorfand, und die vordringlichsten Aufgaben, die sie lösen mußte und löste. Dann aber setzte Gertrud in größerem Um- fange das fort, was ihre Vorgängerinnen begonnen hatten: Rückkauf der Vogtei üher kleinere und größere Besitzstücke und sorgfältige schriftliche Bestätigung schon vorhandener Vogtfreiheit. Daß aber diese Maßnahmen überhaupt möglich waren, setzt eine weitgehende Wandlung der Vogtei voraus. Notwendig war diese Ein- richtung bei allen geistlichen Anstalten, denen die Immunität, d. h. die Exemtion vom weltlichen Gericht, verliehen war, weil ein kirchliches Verbot die Vorsteher dieser Anstalten selbst an der Wahrnehmung der Blutgerichtsbarkeit hinder te P"), Da die Ausübung dieser Gerichts- barkeit einen starken Einfluß auf die Hintersassen der betreffenden Kirche gewährte und außerdem auch materiellen Nutzen in Form der Gerichtsgelder und -bußen abwarf, war es natürlich, daß der Gründer jeder geistlichen Anstalt sich und seiner Familie die Vogtei vorbehielt. Dadurch aber vereinigten sich in der Stellung des Vogtes mit dem eigentlichen vogteiliehen Recht, der Gerichtsbarkeit, die dem Gründer auf Grund des herrschenden Eigenkirchenrechtes zustehenden An- sprüche, ein gewisses Aufsichts- und Verfügungsrecht über den Grund und Boden der Kirche und ihre Hintersassen, die man kurz unter dem Begriff der Munt zusammenfaBt. Diese beiden Wurzeln zusammen

188) Erath 171 Nr. 86: Cod. Dip!. Anh. II Nr. 155. 187) Erst Bonifaz VIII. (1294-1303) hat dieses Verbot aufgehoben. 156 H ans-Erieb TVeirauch ergeben also das Bild der Vogtei, wie es uns im 9.-1 I. Jahrhundert überall in Deutschland entgegentritt: Die Vögte sind die Muntherren der Kirchen, die Vogtei also eine Herrschaft kraft eigenem Recht 188). Daher kommt es auch, daß zu dieser Zeit Vogt und Kirche sich noch nicht als Träger gesonderter Herrschaftsrechte gegenüberstehen, sondern "die rechtliche Einheit der Immunitätsgewalt ist auch in den geistlichen Immunitätsgebieten durchaus gewahrt'(180). Denn Grund- herr und Vogteiherr sind 'letzten Endes eine Person. Bei solchen Zu- ständen waren natürlich Käufe und Verkäufe von Vogteien einzelner Besitzstücke, wie sie im 13. Jahrhundert vorgenommen wurden, über- liaupt nicht denkbar. Den Anstoß zu der grundlegenden Umbildung der Vogtei+'") gab die cluniazensische Bewegung, in Deutschland vor allem vertreten von Abt Wilhelm von Hirsau 191). Die Klosterreform, die sie erstrebte, sollte sich nicht auf das religiöse Gebiet beschränken, sondern die Klöster auch wirtschaftlich auf eine breitere Grundlage stellen. Das konnte an sich den Vogtherren nicht unangenehm sein, denn eine wirt- schaftliche Besserung der Kirchen mußte auch ihnen zugute kommen. Wenn so theoretisch zunächst keine Gegnerschaft zwischen der Reform- bewegung und den Eigenkirchenherren bestand 102), mußte es doch praktisch bald zu Reibungen kommen. Denn wenn man einmal bei einer wirtschaftlichen Neugestaltung der Klöster war, mußte auch die starke Belastung durch den Vogt als reformbedürftig erscheinen: Ver- minderung der Rechte des Vogtes bedeutete Bereicherung des Klosters. Da sich aber bei Anerkennung der Herrenvogtei keine Handhabe dazu bot, ging die Reform zu dem entscheidenden Schritt über. Man wollte plötzlich in dem Vogt nicht mehr den rechtmäßigen Herren sehen, sondern stempelte ihn zum Beamten der Kirche, mit allen Kon- sequenzen, die sich aus dieser Theorie ergaben: Wahl und eventuelle

188)A. Waas, Vogtei und Bede in der deutschen Kaiserzeit (Berlin 1919-1923), passim, II 2. G. Rathgen, Untersuchungen über die eigenkirchenrechtlichen Ele- mente der Kloster- und Stiftsvogtei (Zeitschr. Savigny Rechtsgesch. Kan. Abt. 48, 11)28) 4 ff,

1••) A. Gasser, Entstehung und Ausbildung der Landeshoheit im Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft (Aarau-Leipzig 1930) 97.

1110) Der Kampf gegen den Vogt war nur ein Teil des großen Kampfes gegen die Eigenkirchenherrschaft, der seinen höchsten Ausdruck im Investiturstreit fand. Waas a. a. O. II 25.

101) Waas a.a.O. II 11 und 17.

102) Waas 11 14 f. Die Güter politih des Stiftes Quedlinbur g im Mittelalter 157

Absetzung durch den Konvent, Nichterblichkeit, genaue Fixierung und

Beschränkung seiner Rechte und Pflichten 103). Es kam für die Kirche nun darauf an, diese neue Auffassung auch durchzusetzen. Dazu boten sich die verschiedensten Mittel. Bisweilen verstand es das Kloster, den Klosterherren zum freiwilligen Verzicht auf die ganze Vogtei oder Teile davon zu bewegen, wobei man sich nicht scheute, auch geistliche Mittel zu Hilfe zu nehmen. Eine große Rolle aber spielte, besonders bei den von Hirsau abhängigen Klöstern, die Fälschung. Man gestaltete alte Urkunden so um, daß sie die Be- amtentheorie der Vogtei vertraten, oder man fabrizierte auch erst solche "alten" Privilegien und bewies damit eindeutig, daß die Kirche im Recht war, der Vogt aber seine weitgehenden Ansprüche usurpiert hatte. Halfen jedoch diese Mittel nicht, dann griff man zum Geld und kaufte den Vogteiherren die Vogtei ganz oder teilweise ab 194). Daß man aber Teilvogteien. d. h. die Vogtei über Te i Ie des Gutes einer Kirche kaufen und verkaufen konnte, war nur durch eine Ent- wicklung möglich geworden, die die Vogtei selbst durchgemacht hatte ohne Einfluß von seiten der Kirche. Wenn ein Laie im 10. Jahrhundert bei der Gründung eines Klosters sich und seiner Familie die Vogtei vorbehielt, dann umfaßte diese ursprünglich das gesamte Gut der be- treffenden Kirche, das er ja geschenkt und über das er noch ein ge- wisses Herrschaftsrecht hatte. Im Laufe der Zeit aber erhielt dieses Kloster neue Stiftungen von anderer Seite. Diese Spender schenkten von ihrem Eigentum genau wie der Klostergründer, und mit dem- selben Recht wie er hielten sie die Verbindung zu ihrer Schenkung aufrecht durch das Band der Vogtei+"). Damit hatte also die Kirche schon mehrere Vögte, die jeweils nur für Teile des Klostergutes zu- ständig waren. Dazu kommt aber, daß bei' reichen geistlichen An- stalten wie auch Stift Qued!inburg der Gründer zwar theoretisch Vogt alles von ihm stammenden Besitzes blieb, zur Ausübung der Vogtei aber bei der Streulage des Kirchengutes mehrere Untervögte ernennen mußte 196). Beide Tatsachen wirkten also dezentralisierend. Mit der wachsenden Zahl der Vögte und Untervögte einer Kirche verwischte sich auch das persönliche Verhä1tnis zwischen Kloster und Klosterherren und dessenInteresse an seinemKloster,das ohneZweifel derGründer- vogtei zugrunde lag, immer mehr, die Vogtei nahm den Charakter

113) Waas II 22.

194) Waas II 37fi. 196) Rathgen a. a. O. 32 fi. 188) Waas a. a. O. II 29. 158 H ans-Erich Weirauch eines Vermögensobjektes an ""). Der Großangriff der Kirche gegen die Herrenvogtei förderte diese Anschauung noch. Denn indem sie die Vogteirechte immer weiter einzuengen oder ganz zu beseitigen suchte. betonte sie das Unpersönliche, rein Geschäftsmäßige. Wo die Vogtei nicht ganz verdrängt werden konnte, fand eine Kompetenzteilung beider Gewalten statt. So zerbrach die alte Einheit der Immunität. Die neue Vogtei war nur für ganz spezielle Herr- schaftsbefugnisse zuständig und "haftete gleichsam dem geistlichen Grundbesitz als isoliertes Rechtsinstitut an". Da außerdem die Vogtei "in ihrer neuen Form stets in räumlicher Anlehnung an einen einzelnen kirchlichen Grundherrschaftsbezirk, d. h. als Ortsvogtei in Erscheinung trat", stehen sich von jetzt an in sämtlichen lokalen Herrschafts- sprengeln zwei selbständige Herrschaftsgewalten gegenüber: der geist- liche Grundherr und der örtliche Kirchenvogt 198). Je nach der Macht der zwei Parteien konnte die Kompetenzteilung ganz verschieden aus- fallen 199). Wenn auch als Norm zu gelten hat, daß der Vogt Militär- und Steuerhoheit und Teile der Gerichtshoheit behiel t v'"), so war es einerseits bei der Zersplitterung für den lokalen Vogt leichter, all- mählich größeren Einfluß zu gewinnen. Daher "wuchs das Übergewicht der Vogtgewalt über die klösterlichen Obrigkeitsrechte mit der Ent- fernung des bevogteten Landes vom Kloster'P'"). Andererseits kommen doch im 12. und 13. Jahrhundert Vogteien vor, die alle Gerichtsbar- keit verloren haben und nur noch aus einer Steuer (Bede) bestehen.

Das gilt insbesondere von Vogteien einzelner oder gar halber Hufen 202). Die Begriffe advocatia und Steuer (Bede) werden sogar häufig aus- drücklich gleichgesetzt 203). Wenn aber der materielle Ertrag der Vogtei so in den Vordergrund treten, sie selbst ein veräußerlicher Vermögens- gegenstand mit einem bestimmten Wert werden konnte, dann mußte das Geld inzwischen in der Wirtschaft eine ganz andere Bedeutung erlangt haben, als es etwa um 1000 hatte.

1"7) Waas II So. 19") Gasser a. a. O. 98 f. 199) "Für jedes Klosterland müssen die Befugnisse des Vogteiinhabers und die Befugnisse des Klosters als Summe die Fülle der Gerichtsbarkeit und in der Folge die Fülle der Gebietsobrigkeit ergeben haben." (A. Pischek, Die Vogt- gerichtsbarkeit süddeutscher Klöster in ihrer sachlichen Abgrenzung während des frühen Ma, (jur. Diss. Tübingen 1907) I01. ~'OO) Gasser a. a. O. 98. 201) Pischek a. a. O. 101. 202) Waas a. a. O. II 89 f. 203) Waas II 92. Die Giiter rolitit: des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 159

Das 13. Jahrhundert kann man als die Periode des Durchbruchs der Geldwirtschaft in Deutschland bezeichnen v"). Wenn auch teil- weise noch nach der Stauferzeit, besonders auf dem platten Lande, del- Wirtschaftsyerkehr sich in naturalwirtschaftlicher Form abspielte, be- ginnt doch das Geld zunächst in den Städten ein täglich gebrauchtes Zahlungsmittel zu werden. Unter seinem Einfluß mußten sich die wirt- schaftlichen Gewohnheiten und Anschauungen grundlegend umge- stalten. Für jede Ware, jeden Gegenstand, jeden Besitz ergab sich ein bestimmter, allgemein gültigeI1 Wert, der sich jederzeit durch Verkauf in Geld realisieren lieB. Da Geld viel leichter aufzubewahren und zu übersehen war als ein Besitzstück, wurde man geradezu verleitet, sein Vermögen in Geld anzulegen. Reichtum war nicht mehr an Grund und Boden gebunden, vollkommen Grundbesitzlose konnten Werte in Form von. Geld aufhäufen. Damit war der Kapitalismus geschaffen. Aus diesen Anschauungen heraus ist es also zu verstehen, wenn man Ende des 12. und besonders im 13. Jahrhundert mit Vogteien und Vogteistücken zu handeln begann, und wenn die bisherigen Vogtherren mitunter selbst die Initiative zum Aufkauf der Vogtei durch die Kirche gaben 205). Das 13. Jahrhundert ist aber weiter die Zeit der sich bilden- den und abrundenden Territorialstaaten. Und das gibt dem Streiten um Vogteien und deren Bruchstücke erst den rechten Sinn. Als ent- scheidend für die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Herr- schaft galt bei klösterlichem Besitz i m all gem ein e n die Vogtei: Vogtfreiheit bedeutete Zugehörigkeit zum Territorium des Klosters, Bevogtung aber Zugehörigkeit zum Territorium des Vogtes t?").

Im Rahmen dieser groBen allgemeinen Entwicklung vom 10. bis 13. Jahrhundert war auch die Vogtei des Stiftes Quedlinburg einer all- mählichen Umwandlung unterworfen. Auf Grund des muntherrlichen Rechtes bestimmte Otto 1. in der Griindungsurkunde>") Quedlinburgs, daß die Vogtei 208) stets in seiner Familie bleiben solle. Damit sicherte

""') Dies und das Folgende nach R. Kötzschkc: Grundzüge der deutschen Wirt- schaftsgesch. bis zum 17.Jahrh. (Meisters Grundriß Ill; Leipzig-Berlin 1921) II9 ff.. 205) Waas a. a. O. 11 40. -) Waas II 51. 207) DO. I. I. 208) Eine besondere Immunitätsverleihung ist für Quedlinburg gar nicht erfolgt. Sie war auch nicht nötig, denn das ludolfingische Familiengut, aus dem ja Quedlin- burg gegründet war, besaB schon vorher eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit; was praktisch auf eine Immunität hinauslief. W. Grosse, Ursprung und Bedeutung der Quedlinburger Vogtei, Zeitsehr. d. Harzvereins 46 (1913) S. 134 ff.; Kollmeyer; 160 H ans-Erich TVeiraucli er den Ludolfingern alle in der Vogtei vereirug ten Rechte über das Stift. Als Königen aber stand Otto 1. und seinen Nachfolgern außer- dem noch das Eigentum am Gut der Rei ch s kirehe Quedlinburg zu mit den daraus herrührenden Vorteilen (s. o. S. 130 ff.). Da bei den Ludol- fingern der Verlust der Krone mit ihrem Aussterben zusammenfiel, gingen beide Funktionen, so verschiedenen rechtlichen Ursprunges sie waren, an das nachfolgende Herrscherhaus über und blieben so weiter in einer Hand vereinigt. Unter Lothar ist dann die Vogtei an die Pfalz- grafen von Sachsen aus dem' Hause Sommersehenburg gekommen 209), wobei nichtklar ist, ob der König die Vogtei formell noch für sich be- hielt, die Pfalzgrafen nur seine Beauftragten, also Untervögte waren, oder ob sie die (Ober-) Vogtei direkt vom Stift hatten. Nach dem Aussterben der Sommerschenburger 1178 ist das Schicksal der Qued- linburger Vogtei zunächst dunkel. Vielleicht war Heinrich der Löwe als Nachfolger vorgesehen 210), vielleicht ist sie auch sofort in die Hände der Grafen von Falkenstein gelangt, in deren Besitz sie urkund- 211 lich zuerst 1201 ) erscheint. Hoyer von Falkenstein verkaufte sie dann 1237 an Graf Siegfried von Blankenburg?'"), Aber jetzt umfaßt die Quedlinburger Vogtei nicht mehr das gesamte Gut der Kirche, sondern nur das engere Stiftsgebiet von Quedlinburg und Umgebung. Es ist also eine lokale Teilvogtei geworden, und nur sic ist gemeint, wenn seit dieser Zeit von der Quedlinburger Vogtei die Rede ist. Die Zerschlagung. der ursprünglichen Gesamtvogtei in einzelne lokale Sprengel ist demnach in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts schon längst durchgeführt. Wann wir bei Quedlinburg den Beginn dieser Entwicklung anzusetzen haben, läßt sich nicht genau feststellen. Die

Ein Beitrag zur Vogtei der Mathildischen Stiftungen, Zeitschr. d. Harzvereins 47 (1914) S. 41 f. 209) Grosse, Zeitschr. d. Harzvereins 49, 6 f. 210) Ledebur, Valkenstein 24 f. 211) Erath 122 Nr. 2. 212) Erath 164 N r. 74. Siegfried von Blankenburg hat sie seinerseits zwischen 1257 (Erath 210 Nr. 152) und 1267 (Erath 234 Nr. 207) den Markgrafen von Bran- denburg überlassen. Diese belehnen 1273 (UB. Stadt QuedIinburg I Nr.47) die Grafen von Regenstein mit der Vogtei, die also genau genommen damit eine Unter- vogtei wird. In den Händen der Regenstciner ist sie trotz mancher Schwankungen geblieben bis 1479. Mit der Obervogtei wurden nach dem Aussterben der Branden- burgischen Askanier 1320 die Herzöge von Sachsen-Wittenberg vom Stift belehnt. Mit deren Aussterben 1422 ist auch die Trennung zwischen Ober- und Untervogtei wieder aufgehoben worden. 1479 kam die QuedIinburger Vogtei an die wettinischen Kurfürsten von Sachsen, 1698 an PreuBen. Unter den Wettirrern hat sich die Vogtei allmählich zu einer Teillandeshoheit entwickelt. (Grosse, Zeitschr. d. Harzvereins 46, 142 f.) Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 161

Belehnung des Herzogs Magnus Billung mit der Vogtei über Sol tau im Jahre 1069213) dürfte das erste Zeugnis dafür sein.

Neben dieser mindestens seit dem Ende des 12. Jahrhunderts auf das eigentliche Stiftsterritorium beschränkten Quedlinburger Vogtei- die als einzige von da an so bezeichnet wird - hatten sich natürlich in Anlehnung an die Streulage des Quedlinburgischen Besitzes noch viele größere und kleinere Teilvogteien gebildet, deren Inhalt nicht immer gleich gewesen sein wird. Einzelheiten über dieses ganze Netz solcher lokalen Vogteien sind nicht bekannt. Aber hier und da erfahren wir von ihrer Existenz, wenn das Stift die durch die Zersplitterung ge- gebenen Möglichkeiten ausnutzend die Vogtei einzelner Besitzstücke kauft. Schon die Vorgängerinnen der Gertrud haben, wie wir sahen, diese Maßnahme in geringerem Umfang ergriffen 214). Jetzt wird das bewußt und systematisch fortgeführt. Als Grund wird die mit der Vogtei verbundene starke wirtschaftliche Belastung des Stiftsgutes und seiner Hintersassen angegeben: cum nostre homines abbatie ratione advocatie adeo indebitas exactiones et in- tolerabiles sustinerent, ut nobis in debitis non valerent redditibus respon- dere, quos etiam in antea grauioribus ledi timuimus aduocaiorum iniuriis et pressuris 215). Genau wie dieser Satz gilt auch eine andere Bestimmung dieser Urkunde für alle Fälle des Vogteikaufes, auch wenn sie nicht jedes- mal besonders niedergeschrieben wird: Nulla successura abbaiissa advo- catiam tam maiorem quam minorem infeodare, uendere, alienare, vel etiam 216 pignori valeat obligare ). So bekommt das Stift nach und nach die Vogtei grösserer Mengen von Stiftsbesitz in seine Hände: 217 1233 ) von 5 Hufen und einer HofsteIle (area) in Klein-Orden; 123621S) von 413/. Hufen in Tupile, Lobdisse und Quenstedt; 123621") von sämtlichen Stiftsgütern in Quenstedt. Den Übergang der Quedlinburger Vogtei von Hoyer von Falkenstein an Siegfried von Blankenburg im Jahre 123722°) benutzt die Äbtissin. um alle vogteifreien Güter aufzuzeichnen 221). Um 1240222) resigniert

213) Erath 64 N r. 10. ~14) Vg!. S. 143 und 153 f. 216) Erath 172 Nr. 87. 216) Erath 172 Nr. 87· 217) Erath 156 f. N r. 59 und 61. 218) Erath 161 Nr, 69. 218) Erath 162 Nr. 70. 2~O) Erath 164 Nr. 74. 221) Erath 166 Nr. 79; Cod. Dipl. Anh. II Nr. 136. m) Erath li8 N r. 97. 1] 162 Il ans-Erich Wrirauch

Herzog Albert von Sachsen die Vogtei von 53 Hufen am Bruch dem Stift, das sie aber anscheinend nicht behielt, sondern wieder an den Grafen von Regenstein verlehnte 223). 1241224) kauft das Stift die Vogtei von 17 Hufen in Ditfurt, 20 Hufen in Marsleben und weiteren kleineren Gütern in beiden Dörfern. 1247225) stellt Äbtissin Gertrud fest, daß das Vorwerk (allodium) in Wendisch-Salbke keiner Vogtei unterliegt. 1257226) resigniert Graf Sicgfricd von Blankenburg die Vogtei von 25 Hufen und 4 Hofstellen in verschiedenen Orten bei Quedlinburg, 12622~7) Markgraf Otto von Brandenburg die Vogtei von 41/2 Hufen. 12702Z8) kauft Äbtissin Gertrud die Vogtei von 4 Hufen in Groß-Ditfurt und 14 Hufen in Ergezstede. Bei diesen Maßnahmen wurde die Äbtissin von ihren Hintersassen unterstützt, die gelegentlich sogar den Kauf- preis für die Vogtei von sich aus aufbringen 229), nur um den Be- drückungen und Erpressungen des Vogtes ein Ende zu bereiten. Aber trotz dieser immerhin selteneren Hilfe kostete der Kauf der vielen Teilvogteien das Stift doch beträchtliche Summen Geld, und wir werden fragen, woher Äbtissin Gertrud das nahm. Die Antwort für einen dieser Fälle gibt uns eine Urkunde von 124123°), die ausdrücklich· sagt, daß die für diesen einen Kauf aufgewendeten 129 Mark de pecunia, quam pro bonorum Duderstadensium inieodatione recepimus, stammen. Zu diesem Schritt, der Verlehnung der Stiftsgüter in und um Duderstadt, sah sich die Äbtissin genötigt, cum tam nos quam abbatisse precedentes quamplures in bonis sitis in marchia Duderstadensi nostre pertinentibus abbatie adeo graves et intolerabiles susiineremus iniurias tam. in reddi- tuum nostrorum dejectu quam etiam in alio iure nostro, ut nequaquani rerum dampna et advocatorum uiolentiam deinceps tolerare possemus=r], Mit allem Stiftsbesitz in marchia Duderstcdensi belehnt Gertrud am 30. Juni 1236232) den Landgrafen Heinrich Raspe von Thüringen. Aus- genommen werden die Güter der Quedlinburgischen Ministerialen. Der Preis dieser Belehnung betrug 1120 Mark. Wozu die Äbtissin diese

223) Cod. Dip!. Anh. V A Nr. 10 und 12; UB. Stadt Quedlinburg I Nr. 32. m) Erath 172 Nr. 87. 225) Erath 179 Nr. 1OI. 226) Erath 210 Nr. 152. 227) Erath 217 Nr. 165; Codex Diplomaticus Brandenburgensis, herausgegeben von A. F. Riedel (Berlin 1838fL), TI I 74. 22S) Erath 243 Nr. 229. 228) S. Anm. 219. 230) S. Anm. 216.

231) Erath 173 Nr. 88; UB. Eichsfeld I Nr. 299. 232) Erath 162 Nr. 71; UB. Elchsfeld I Nr. 267. Die Cüterpolitik des Stiftes Quedlinbur g im Mittelalter 163

Summe verwendete, hat sie 1241 ns) ganz genau aufzeichnen lassen. Nach dem Tod Heinrich Raspes 1247 wurde Otto (das Kind) von Braunschweig mit dem Eichsfeldischen Besitz belehnt t'"), er zahlte als Lehnsgeld 500 Magdeburger Mark. Aber auch um den anderen entfernteren Quedlinburgischen Streu- besitz mußte sich die Äbtissin kümmern. Hier waren die Jahrzehnte der Schwäche und Uneinigkeit im Stift erst recht nicht spurlos vor- übergegangen. In Sol tau hatte sich anscheinend der Stiftsmeier Über- griffe erlaubt oder auch selbständig gemacht. Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit, 1234 m), schafft Gertrud hier Ordnung: der bisherige villicus Basilius resigniert gegen eine Abfindung dem Stift die Villikation in Soltau mit Zubehör und entsagt für sich und seine Erben allen An- sprüchen, die er darauf gehabt hat. Nicht ganz so erfolgreich ist die Äbtissin in Gera, obwohl sie zur Regelung der Verhältnisse persönlich dorthin reiste f"). Vertrags- gemäß sollten von den Gerichtseinnahmen der dortigen Vogtei zwei Drittel an das Stift und ein Drittel an den Vogt fallen?"). Der jetzige Vogt aber, Heinrich der Ältere von Weida, behauptete, schon seine Vorfahren hätten die gesamten Gerichtseinkünfte gehabt, er kenne es nicht anders und habe daher kein schlechtes Gewissen, weil er ebenfalls alle Gelder eingezogen hatte. Die streitenden Parteien einigten sich schließlich auf einen Vergleich in dem die Äbtissin gegen Zahlung von

70 Mark alle Gerichtsgelder an den Vogt abtrat und nur die niedere Gerichtsbarkeit in der Stadt Gera ihrem Schultheiß vorbehielt. Gleich- zeitig belehnte sie den Weidaer mit der Münze in Gera, welche ipse et progenitores sui quiete possederans usque modo. - Auch in Sulza und Darnstedt hatte man wohl die Schwächeperiode des Stiftes benutzt, um das Abhängigkeitsverhältnis zu lockern. Denn um 1260238) läßt der Halberstädter Bischof die cives in den beiden Orten, die als debitores ecclesie Quidelingeburgensis bezeichnet werden, durch die Ortspfarrer inducere ad sollutionem reddituum vel census. Wer trotzdem nicht seinen Verpflichtungen nachkommt, soll sich vor der Halberstädter Kirche verantworten.

23.1) S. Anrn. 23I. 231) Erath 170 Nr. 84: DB. Eichsfeld I Nr. 320.

236) Erath Is8f. Nr. 63 und 64. 238) In der D rkunde (Anm. 237) heißt es: Acta sunt hec apud Cera. 237) VB. der Vögte von Weida, Gera und Plauen hrsg, v. B. Schmidt (Jena 1885 bis 1892) I Nr. 66; Dobenecker a. a. O. III 697. 238) Erath 22S Nr. 186. 11 * 164 H ans-Erich ~Veiraucli

1259160~?n) gelingt es Äbtissin Gertrud nicht nur, den leidigen Streit mit dem Halberstädter Bischof um die Palmsonntagsfeier zu einem günstigen Ende zu bringen, sondern der Bischof entsagt auch allen An- sprüchen auf das Kloster Walbeck, die eine Zeitlang von seiten des Hochstifts Halberstadt erhoben worden waren. Hatte Gertrud damit dem Stift die Aufsicht über ein Kloster ge- sichert, so brachte sie 1270 noch ein weiteres geistliches Institut in Abhängigkeit von Quedlinburg. Bei der Schenkung der Kapelle in

Teistungenburg (Eichsfeld) an das dortige um 1260 gegründete 240) Kloster bestimmte sie, daß dieses monasterium ex tune ecclesie nostre suberit tamquam filia nuiiri sue 241). Da aber Teistungenburg dem Zister- zienserorden angehörte, wird diese Abhängigkeit ähnlich wie bei Michaelstein wohl vom Stift behauptet, vom Kloster aber nicht an- erkannt worden sein, denn die Zisterzienserregel ließ ein solches Ver-

hältnis nicht zu 242).

239) VB. Hochstift Halberstadt n N r. 997 und 1010. 240) VB. Eichsfeld I Nr. 414; VB. des Klosters Teistungenburg hrsg. v. J. Iaeger (Osterprogr. d. höh. Bürgerschule Duderstadt 1878 und 1879) Nr. 6; Dobenecker In 2866. 241) Erath 242 Nr. 227; VB. Eichsfeld I Nr. 522. 242) Dem Stift Quedlinburg unterstanden sechs andere Klöster. Diese Abhängigkeit ist oft von päpstlicher Seite bestätigt worden, und zwar meist mit den Worten, daß diese Klöster sub iure ac dispositione des Stiftes seien (z. B. 1251, A. Potthast, Reg. Pont. Rom. 1198-1304 [Berlin 1874-1875] Nr. 14197; E. Berger, Les Registres d'Innocent IV [Rom 1881-1920] II Nr. 5076). Was haben wir uns nun unter dieser nichtssagenden Formel vorzustellen? Bei Mic h a eis t ein konnte die Äbtissin von Quedlinburg von Anfang an keinerlei faktische Aufsichtsrechte durchsetzen, sondern "mußte sich damit zufrieden- geben, daß für sie und die anderen geistlichen Personen in Quedlinburg durch den Zisterzienserorden Vigilien, Messen usw. gehalten wurden". (A. Diestelkamp, Die Anfänge des Klosters Michaelstein, Sachsen und Anhalt 10 [1934] 107 f.) Dasselbe werden wir dann auch von Te ist u n gen bur g annehmen müssen, obwohl Äbtissin Gertrud 1270 (Erath 242 Nr. 227; UB. Eichsfeld I Nr. 522) weitgehende Forderungen stellte: Post quam pre positus a dictis abbatissa scilicet et conuentu canon ice electus iuerit, tem poralia recipiet de manu domine nostre, que pro tempore iuerit, abbatisse, was also eine Bestätigung und damit letzte Entscheidung der vom Kloster vorgenommenen Wahl bedeutet hätte. Außerdem wurde festgesetzt, daß der Propst von Teistungenburg jedes Jahr zum Fest des Servatius, des Patrons des Stiftes Quedlinburg, nach Qucdlinburg kommen solle sicut prelatus nostre ecclesie, , bei Verhinderung solle er einen Entschuldigungsbrief schicken. Ob diese ziemlich belanglose Verpflichtung von Teistungenburg erfüllt worden ist, wissen wir nicht. Es ist bei der Entfernung des Klosters von Quedlinburg wenigstens für die spätere Zeit nicht anzunehmen. Bemerkenswert ist aber, daß Teistungenburg noch gegen Ende des 14. Jahrhunderts als zu Quedlinburg gehörig empfunden wurde. Denn bei dem Prozeß des Stiftes um einen Teil seines Eichsfeldischen Besitzes in den Jahren Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 165'

Daß Äbtissin Gertrud über diesen großen und lohnenderen Auf- gaben nicht den Aufbau im Kleinen vergaß, zeigte uns schon die lange Reihe der Vogteikäufe. Doch wissen wir auch von Gütererwerbungen kleineren Ausmaßes, die sich im allgemeinen auf die Gegend von Qued- Iinburg beschränkten, auf das Gebiet also, das noch in Reichweite des Stiftes lag und so am besten wirtschaftlicher Nutzung zugänglich war. Um den Schaden wieder gutzumachen, den das Stift durch 'den zur Deckung der Schulden notwendig gewordenen Verkauf des Zehnten in Marsleben (s. o. S. 155) erlitten hatte, kaufte die Äbtissin 1241243) 1 aus'Mitteln ihrer Einkünfte I1 /2 Hufen in nächster Umgebung Qued- linburgs, obwohl die Schulden, wie sie ausdrücklich betont, von ihr

1372-1374 (Erath Nr. 368 S. 564) sagt einer der Zeugen u. a. aus, quod dictum opidum Diederstad et claustrum sanct im onialiusn in T eysthlngeburcli CII1II ollmi pro- prietate spectarent ad ipsam ecclesiam Qu. Das Benediktinerinnenkloster \Va I bee k war bald nach 992 (DO. Ill. 81) vom Stift Quedlinburg gegründet und mit Stiftsgut ausgestattet worden. Es ist klar, daß damit ein engeres Verhältnis zum Stift gegeben war, und so hat denn auch die Bestimmung der Gründungsurkunde, ut inter se eligant abbatissas secundum regu/am sancti Benedicti cum consilio Quitiliniburgensis abbatisse, durch die Jahrhunderte ihre Gültigkeit behalten (v. Mülverstedt in Zeitsehr. d. Harzvereins I [1868] Heft I S. 42). Noch 1475 konnte die Quedlinburger Äbtissin ihr Bestätigungsrecht wahr- nehmen. Ähnlich war es beim Nonnenkloster We n d hau sen: Seine Pröpstin wurde von der Äbtissin von Quedlinburg ernannt (v. Mülverstedt in Zeitsehr. d. Harzvereins 2 [1869] Heft 3 S. 66). Zeitweise bestand sogar Personalunion zwischen der Quedlin- burger Stiftspröpstin und der Leiterin von Wendhausen, so z. B. 1287 (Erath 285 Nr. 323; Cod. Dip!. Anh. II Nr. 627). Wie sich das Verhältnis des Stiftes zu den beiden Quedlinburger Klöstern, S t. W i per t i und dem M a r i e n klo s t era u f dem M ü n zen b 10 r g , im ein- zelnen gestaltet hat, ist nicht bekannt. Außer einigen Vogteiiibertragungen ist uns nichts Schriftliches erhalten. Da aber auch diese beiden Klöster zum großen Teil auf stiftischen Schenkungen beruhten - als sie im Bauernkrieg zerstört wurden, fielen ihre Güter an das Stift zurück -, ist ein engeres Verhältnis, etwa Mitwirkung bei der Vorsteherwahl, anzunelunen. Urkunden werden dabei nicht ausgestellt worden sein, da man ja bei der Nähe der Klöster zum Stift alles mündlich erledigen konnte. Daß im übrigen die "Abhängigkeit" eines Klosters recht relativ zu nehmen ist, dafür ein Beispiel: 1220 werden die unter dem Stift Quedlinburg stehenden Klöster, darunter Michaelstein, von Honorius Ill. zum schuldigen Gehorsam der Stifts- äbtissin gegenüber angewiesen (Pressutti a. a. O. I Nr. 2506). Das hindert aber nicht, daß derselbe Papst 1222 (Pressutti II Nr. 4039) und 1227 (Pressutti II Nr. 6248) den Abt von Michaelstein mit kirchlichen Entscheidungen über das Stift beauftragt. :&3) S. Anm. 186. 166 H ans-Erieb TVciraucli

nicht aufgenommen und das Geld auch nicht ausgegeben worden war. Mit dem Betrage, den Landgraf Heinrich Raspe für Duderstadt gezahlt hat, kauft sie 1241 wieder viele kleine Besitzungen, meist bei Quedlin- burg gelegen eH). 1263 erwirbt Gertrud 5 Hufen in Reinstedt, und

Graf Heinrich 11. von Ascharien überläßt ihr das Eigentum daran 245). 1264 schenkt die Kanonissin Sophie von Hohenbüchen dem Stift rt, Hufen in Mehrirrgen 246), im selben Jahr erwirbt die Äbtissin den Zehnten in Quarmbeck247). Nach einer undatierten Urkunde hat Ger- trud weiter zurückgekauft u. a. die Vorwerke (allodia) in Groß-Orden, Eikendorf, Marsleben, ein Viertel des Allods in Duderstadt, außerdem Schulden bezahlt, was alles in allem eine Summe von 449 Mark aus- macht 248). 249 Unsere kleine Auswahl aus dem reichen Quellenmaterial ) genügt, um uns ein Bild von der Güterpolitik der Äbtissin Gertrud zu geben. Wenn wir bedenken, welches Erbe sie antrat, wie verschuldet das Stift, wie unübersichtlich seine Besitzverhältnisse geworden waren, dann können wir ihre Leistung nur als erstaunlich bezeichnen. Von Güter- verkäufen oder -verlehnungen hören wir außer Duderstadt nur sehr wenig. Dagegen sehen wir die Äbtissin immer wieder Neuerwerbungen machen, entfremdetes Gutzurückkaufen, unklare Verhältnisse ener- gisch ordnen. Das Geld für diese äußerst aktive und positive Wirt- schaftspolitik kann die Äbtissin, soweit es nicht durch Verkäufe usw. einkam -- und das war nur zum geringsten Teil der Fall -, nur durch stärkste Anspannung aller Mittel, größte Sparsamkeit und einfachste Organisation beschafft haben, wenn sie nicht etwa Privatmittel zu Hilfe nahm. Daß sie fähig war, den Quedlinburgischen Besitz zu reorganisieren und sparsam zu wirtschaften, zeigen nicht nur ihre Erfolge, sondern auch so mancher Zug in ihren Urkunden: Wie sie gelegentlich einen Kauf oder Verkauf begründet, wie sie ganz genau nachweist, für welche Zwecke das Lehnsgeld des Heinrich Raspe verwendet worden ist, wie sie bei Käufen fast immer den Preis angibt und bei mehreren Ob- jekten dann am Schluß die gesamte Kaufsumme niederschreibt, das alles zeigt eine beinahe an Pedanterie grenzende Korrektheit und zu-

2U) S. Anm. 23 L

24r» Cod. DipL Anh, JI Nr. 281. 246) Cod. DipL Anh. II Nr. 293. 247) Magdeburg StA. Rep. Stift Quedlinburg A IX 33. ~48) Erath 174 Nr. 89. 249) Mir sind aus der Zeit der Äbtissin Gertrud 101 Urkunden und andere Quellenstücke (davon 75 bei Erath) bekannt, die Quedlinburger Besitz betreffen. Die Gitterpolitik des Stiftes Qucdlinbur g im Mittelalter 167 gleich das Bewußtsein, ihrem Stift etwas Gutes zu tun. Im großen läßt sich ihre Güterpolitik in drei Punkten festlegen: I. Der weit entfernte Streubesitz wird nach Möglichkeit behauptet und reorganisiert. Wo diese Möglichkeit nicht mehr vorhanden ist, ist Äbtissin Gertrud weitblickend genug, ihn auch im rechten Augenblick noch abzustoßen. 2. Güter in der Nähe Quedlinburgs werden in größerem Umfange aufgekauft, da sie leichter zu kontrollieren und daher wirtschaft- lich nützlicher sind. 3. Die Vogteigewalt wird weiter planmäßig beschränkt durch An- kauf vieler Teilvogteien. Man wird die Güterpolitik der Gertrud mit ihrer Energie, ihrem weiten Blick, aber auch mit ihrem nüchternen Wirklichkeitssinn wohl als die segensreichste und eindrucksvollste der ganzen Quedlin- burgischen Geschichte bezeichnen dürfen. Die Äbtissin charakterisiert sich selbst am besten in einer ihrer Urkunden 250) : Ad dignitatem. abbatie vocante Domino accedentes et eandem in nostre vocationis principio multis invenientes debitis oneratam ac possessiones ipsius obligatas pariter et distractas animum nostrum ad hoc cepimus applicare, qualiter ipsam penitus eximeremus ab onere debitorum, Quod utique Dei cooperanie auxilio compleuimus cum eff ectu. Aber auch von anderer Seite ist ihr das bestätigt worden. In einem

Schreiben des Papstes Innozenz IV. vom 3. Februar 12S4251) erfahren wir, daß Äbtissin Gertrud um die Erlaubnis nachgesucht habe, von ihrem Amt zurückzutreten, cum tanta proprii vis us et corporis debilitate gravetur. Diese Rücktrittsabsichten - die dann schließlich nicht ver- wirklicht worden sind - geben dem Papst Veranlassung, der Äbtissin auch für den Fall der Am tsresigna tion eine weitere Versorgung aus Stiftsmitteln zu sichern, und zwar geschieht das, cum eadem abbatissa, sicut accepimus, dicta m ecclesiam in redditibus plurimum augmentarit .

VI. Äbtissin Bertradis 11. 1270-1308. Einen ungefähren Eindruck von der Güterpolitik dieser Äbtissin geben schon folgende Zahlen: Von den mir bekannten lOS Urkunden ihrer Amtszeit, die Quedlinburgischen Besitz betreffen, handeln nur zwei über Käufe von seiten des Stiftes, fünf verzeichnen Tausch- geschäfte, dagegen sind vierzehn Verkäufe zum Teil größerer Stifts- gebiete überliefert. Bezeichnend ist es ferner, wenn Bertradis zweien

250) S. Anm. 248. 251) Berger a.

1297267) verkauft Äbtissin Bertradis dem Kloster Marienthal 2 Hufen in Pesecken- dorf für 30 Stendalische Mark. 13(0258) demselben Kloster das Eigentum von einer Hufe in Waraleben für 4 Stendalische Mark.

'52) Erath 304 Kr. 364; 319 Nr. 390. 2'3) UB. Wt!ida I Nr. 385. ~54) UB. Stadt Quedlinburg I Nr. 67; UB. Pforte I N r. 345; UB. zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg, herausgegeben von H. Sudendorf (Hannover 1859-1880) I Nr. 181; Cod. Dip!. Anh. III Nr. II9. 2>5) Vg!. S. 167 und Anm. 248. 258) Sudendorf UB. I Nr. 181. 257) Erath 304 N r. 364. 2:;&) Erath 319 Nr. 390. Die Giiterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 169

1300'59) dem Quedlinburgcr Stlftskonvent=") Einkünfte der Quedlinburger Münze für 551/. Mark und 1 Mühle bei Quedlinburg für 47 StendaIische Mark. 1300261) dem Grafen Ulrich von Regenstein die Neustadt Quedlinburg für 1000 Sten- dalische Mark. 1300262) dem Kloster Pforte umfangreiche Güter (69 Hufen, Vogtei und anderen Besitz) in Liebstedt, Reisdorf. Darnstedt, Sulza, Hassenhausen und Rehehausen für 180 StendaIische Mark. 1304'63) dem Domkapitel Verden den Hof Soltau mit allem Zubehör für 300 Stcn- dalische Mark, 4 13052• ) dem Thilo Scherenschmidt in QuedIinburg ein Viertel des Zehnten in Groß-Ditfurt für 70 Stendalische Mark. 1306265) dem Kloster Michaelstein 12 Hufen in Herkstorp mit der Vogtei für 28 Stendalische Mark. 1306266) dem Vogt Heinrich von Cera das Schultheißenamt und allen noch übrigen Stiftsbesitz in und um Gera für 750 Freibergische Mark. Diese Verkäufe ergeben einen Erlös von 24641/2 Mark Stendalischer bzw. Freibergischer Währung >"), Diese große Summe ist also zum weitaus größten Teil - nur die zwei uns bekannten Käufe und einige andere Leistungen müssen wir abziehen - zur Tilgung von Schulden, Bezahlung von Zinsen und Einlösung verpfändeter Güter verwendet worden. Alle diese Schulden aber hatte Bertradis selbst erst aufge- nommen. Verschuldung und dann große Güterverkäufe zur Deckung der Schulden sind also das Hauptmerkmal der Güterpolitik dieser Äb- tissin. Wir wollen jedoch auch Positives berücksichtigen:

1276288) beendet Bertradis einen langen Streit mit dem Knappen Jakob von Quen- stedt über Stiftsgüter einigermaßen günstig für das Stift; gegen Zahlung von 40 Mark verzichtet er auf alle Rechte an diesem Besitz. 1284269) beschwert sie sich bei den Schützern des Landfriedens, daß der Edle Walter von Arnstein das Stift QuedIinburg und dessen Hintersassen im Besitz

259) Erath 320 N r. 393. 260) Auch das ist neu, daß die Äbtissin innerhalb ihres Stiftes verkauft. Hier zeigt sich deutlich der N achteiI einer getrennten Güterverwaltung. 261) UB. Stadt QuedIinburg I Nr. 67. 26') UB. Pforte I Nr. 345, vgl. 346-348. 263) S. Anrn. 256. 264) UB. Stadt Quedlinburg I Nr. 73. 265) Cod. Dip!. Anh. III Nr. II9. %88) S. Anm. 253. 267) Ich habe das Wertverhältnis der beiden Währungen zueinander nicht fest- steIlen können. -) Erath 257 Nr, 259-260. 269) Erath 277 Nr. 304; Cod. Dip!. Anh. I~ Nr. 567; UB. Hochstift Halber- stadt 11 Nr. 1431. 170 Hons-Ertct, Weiraucli

von 33 Hufen in Schwabcn-Quenstedt und 20'/2 Hufen in -¥/iederstedt beeinträchtige, und setzt die Exkommunikation des Arnsteiners durch 270). 271 Um 129( ) wehrt sich Bertradis gegen übergriffe Bertholds von Peseckendorf an 2 Hufen in Peseckendorf. Der Streit wird aber von dessen Erben wieder aufgenommen und erst 1297272) endgültig beigelegt. 129127;1) werden auf Betreiben der Äbtissin die Gebrüder Albert und Heinrich von Ditfurt gebannt wegen häufiger übergriffe an Quedlinburgischem Besitz. 12<)927') exkommuniziert der Archidiakon des Bannes Gatersleben einige Ein- wohner dieses Bannes, weil sie dem Stift Quedlinburg censuni debitum in orgenio, denariis et a1ll1OIla sepius moniti soli/ere minus curant, 12952,5) und 1300276) schließt das Stift zwei Tauschgeschäfte geringeren Um- fanges, die aber irgendeine bewußte Methode auf seiten des Stiftes, etwa Arrondierungsbestrehungen, nicht erkennen lassen. 1299277) übereignet Bischof Hermann von Halberstadt dem Stift Quedlinhurg das Eigentum am Zehnten in Groß-Orden, der zur Zeit an Graf Heinrich von Blankenburg verpfändet ist. Gleich zu Beginn von Bertradis' Amtszeit wird ein größerer Stifts- besitz vogtfrei: 1271 resignieren die Edlen von Barby zuerst F") die 1 slawische Vogtei von 62 /2 Hufen in der Umgebung von Magdeburg und dann 21U) die sächsische Vogtei von 49 Hufen in der gleichen Gegend. Das ist aber kein Zeichen von Aktivität der Stiftsleitung, denn in beiden Fällen haben die Hintersassen die Vogtei gekauft für 4 bzw. 5 Mark je Hufe. Unter Äbtissin Bertradis kommt zum ersten Male ein neues Moment im Wirtschaftsleben stärker zum Ausdruck: die Güterzuwendungen einzelner an das Stift aus religiösen Motiven. Diese Schenkungen zum Seelenheil des Spenders oder seiner Verwandten, die immer häufiger werden und das ganze übrige Mittelalter andauern, stellen natürlich auch einen wirtschaftlichen Faktor dar, der nicht zu übersehen ist. Man kann sich gut vorstellen, daß es tüchtige Geistliche gegeben hat, die durch entsprechende Stimmungsmache verstanden, ihrer Anstalt auf diese Weise ganz beträchtliche Gütermengen zuzuführen. Aber

270) Erath 28g Nr. 333. 271) Erath 297 Nr. 349; DB. Hochstift Halberstadt II Nr. 1566. 272) Erath 305 Nr. 365. 273) Erath 293 Nr. 341 und Cod. Dip!. Anh. II Nr. 715. 274) Erath 315 Nr. 379; DB. Hochstift Halberstadt II NT. 1688. 275) Erath 2<)8f. Nr. 352-353. 276) Erath 320 Nr. 392.

m) Mägdeburg StA. Rep. Stift Quedlinburg C VI g I (Abschrift des 14. Jahr- hunderts).

278) Magdeburg StA. Rep. Stift Quedlinburg A IX 50; G. A. v. Mülverstedt, Reg. Archiep. Magdeb. (Magdeburg 1876-1899) III Nr. 64. "9) Erath 248 Nr. 239; Cod. Dip!. Anh. 1I Nr. 394. Die Giit erpolitil: des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 171 der wirtschaftliche Nutzen solchen Gutes war doch nur ein sehr be- dingter. Denn meistens behalten sich die Spender die Nutznießung des Geschenkten auf Lebenszeit vor, so daß für diese Zeit der Besitz des Stiftes illusorisch ist. Außerdem handelt es sich bei diesen religiösen Stiftungen meist um kleinere Landstücke. Eine Hufe wird selten über- schritten. Ferner geschieht die Schenkung stets so, daß die geistliche Anstalt verpflichtet wird, mit den aus dem Gut kommenden Zinsen jährlich bestimmte gottesdienstliche Handlungen zu begehen - das ist ja der Sinn der Stiftungen. Diese müssen in einem Frauenkloster wie Quedlinburg aber die Geistlichen abhalten, und daher fällt ihnen auch der Hauptteil der aus der betreffenden Schenkung zur Verfügung stehenden Einkünfte zu. Oft wird auch gleich vom Spender das Gut und damit die gottesdienstliche Pflicht einem bestimmten Altar in der 280 Stiftskirche ) zugewiesen, und dann ist dessen Inhaber alleiniger Nutz- nießer. Aber selbst wenn der Spender keine direkten Gottesdienste verlangt, sondern nur allgemein, daß man seiner in Gebeten gedenkt, so wird doch meist der Ertrag des Gutes unter die Stiftsangehörigen verteilt. Die Einkünfte aus allen zu religiösen Zwecken geschenkten Gütern kommen also nie dem Stift, sondern nur dessen Angehörigen oder einem Teil derselben zugute. Und wohl in allen Fällen wurde auch das Gut selbst einem Stiftsamt - Propstei, Küsterei" Konvent -' zur Verwaltung übergeben. Damit war der Stiftsleitung die Kontrolle über all diesen Besitz entzogen und die Verfügung zumindest stark eingeschränkt. Bei dem Verkauf von Stiftsgütern an das Kloster Pforte im Jahre 1300281) erfahren wir noch einiges Interessante über die Quedlinburger Wirtschaftsorganisation. In Liebstedt gehören von den. 23 Stiftshufen 1 2, in Reisdorf 1 /2, in Darnstedt I, in Sulza 1/2 und in Hassenhausen 2 Hufen ad senioris officium. Von diesen erhält das Stift im Gegen- satz zu den übrigen keinen Zins. Was dieser senior für Aufgaben hat, hören wir ebenfalls: cuius officii est, nostros nuncios recipere et cen- sum recolligere. Nur eins bleibt nach dem Text dieser Urkunde unklar: Saß in jedem dieser fünf Dörfer ein besonderer Stiftsbeauftragter oder handelt cs sich um einen und denselben senior? Aber da gibt uns ein

anderes Diplom Auskunft. In einem Schreiben 282) teilt die Äbtissin den Hintersassen dieser Dörfer den Verkauf an Pforte mit. Als "An-

2BO) Von diesen hatte fast jeder seinen besonderen Geistlichen (altar ista, pr ac- bendarius). Werrninghoff a. a. O. 166. 281) UB. Pforte I N r. 345. 2B2) UB. Pforte I N r. 348. 172 H ans-Erich Wciraucli schrift" trägt dieser Brief: uillarum. senioribus et civibus umoersts, Also hatte das Stift in jedem Dorf einen besonderen senior. Die Einrichtung des senior läßt auf das ursprüngliche Vorhanden- sein eines Fronhofverbandes schließen. Mit den durch das Aufkommen der Geldwirtschaft bedingten umfassenden Veränderungen in der Agrarverfassung trat auch ein Umbildungsprozeß der Fronhofswirt- schaft ein 283). Die Grundherrschaft verzichtete, wenigstens außerhalb ihres Hauptsitzes, auf jeden Eigenbetrieb, da dieses Verwal tungs- system zu kostspielig war und einen großen Teil der einkommenden Gefiille an Ort und Stelle aufzehrte. Daher wurden entweder ganze Villikationen an meist ritterbürtige Pächter gegen fest oder anteil- mäßig aushedungene Lieferungen vergeben, oder aber man löste den einzelnen Fronhofsverband überhaupt auf und verpachtete die zu- gehörigen Ländereien einzeln in Zeit- oder Erbpacht an Bauern, wobei jedesmal ein "Hauptmann" bestimmt wurde, der "der grundherrschaft- lichen Verwaltung für die richtige Einlieferung der grundherrlichen Gefälle aufkam und sich dafür an die im Besitz von Hufensplissen be- findlichen Genossen zu halten hatte". Zwar war bei dieser Umorgani- sation meistens eine Erhöhung der Renten und Pachtzinsen möglich, aber das blieb nur ein Augenblickserfolg für die Grundherrschaft. Da die Gefälle mehr und mehr in Geld gezahlt wurden, waren sie der bald eintretenden Münzverschlechterung und Geldentwertung unterworfen. Da außerdem die Eintreibung der Zinsen oft Schwierigkeiten ver- ursachte und der Grundherrschaft Verluste einbrachte, stieg die Höhe ihrer Einnahmen nicht, sondern sank.

VII. Äbtissin Jutta 13°8-1347. Die wirtschaftliche Lage, in der sich das Stift beim Amtsantritt dieser Äbtissin befand, wird nicht sehr ermutigend gewesen sein. Das ergibt sich auch daraus, daß Papst Clemens V. im Jahre 1309, also ein Jahr nach Juttas Amtsbeginn. sich kurz nacheinander in drei

Schreiben 284) gegen Beeinträchtigung des Quedlinburgischen Besitzes wendet: Am 10. Mai gegen alle, die dem Stift Zehn ten und Zinsen vor- enthalten, am 21. Mai verbietet er, Vieh oder sonstigen Besitz des Stiftes zu pfänden, und am 23. Mai verdammt er allgemein jede Be- raubung der Abtei.

283) Dies und das Folgende nach Kötzschke, Grundriß 140 f. und Kötzschke, Handbuch 552 ff. 284) Schmidt-Kehr, Päpstliche Urk. u. Reg. aus den Jahren 1295-1378, die Gebiete der Provo Sachsen betr. (Halle 1886-1889) I 73 Nr, 14-16. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 173

Jutta hatte in ihren zwei letzten Amtsvorgängerinnen zugleich Ver- treterinnen extrem entgegengesetzter Formen der Güterpolitik vor sich. Sie nahm sich anscheinend die sparsame erfolgreiche Gertrud zum Vorbild, allein sie war wohl den damit verbundenen Aufgaben nicht ganz gewachsen. So lief ihre Güterpolitik schließlich in ihren Er- gebnissen auf den Mittelweg zwischen beiden Möglichkeiten hinaus: Wir finden Ansätze eines energischen Organisationswillens, die an Äbtissin Gertrud erinnern, dann aber wieder größere Verkäufe, die an Bertradis' Zeit anklingen. Wir dürfen daher kein ausgeprägtes System und keinen ausgeprägten Charakter in ihrer Wirtschaftspolitik suchen. 1317285) verkauft Äbtissin Jutta einen jährlichen Zins von 1'/2 Stenda- lischen Mark für 21 Mark, quam quidem pecuniam in evidentem ecclesie nostre utilitateni duximus convertendam. Cum monasteriuni nostrum ad ruinam propinquam et irrecuperabilem dispositum uideremus, et nos ad restaurationem huiusmodi nullatenus su]- ficere possemus ... ad uenditionem proprietatis nostre ecclesie diuertimus, necessitate, prock dolor, ardua campellenie. Aus diesen Gründen ver- kauft Äbtissin Jutta 1319286) dem Kloster Pforte quedani bona nostra ecclesie propria, inter pagum Spilberg et fluvium dictum Salam in termi- nis Thuringie, lange laieque disperse et nostre ecclesie minus fore utilia, nämlich zwei Dörfer Fränkenau, das eine aufdem Salberg gelegen, mit allem Zubehör und 5 Hufen, das andere wüst, mit 6 Hufen und einem Wald, weiter 41/2 Hufen und Zubehör in Dobene, 51/2 Hufen und Zubehör in Hondorf und 4 Hufen mit Zubehör in Grymstete. Die Höhe des Kauf- preises erfahren wir leider nicht. Die Urkunde spricht nur von einer certa summa pecunie nobis iam ex integro et utiliter persoluta. 1331287) verkauft Äbtissin Jutta dem Kloster Teistungenburg das Eigentum ver- schiedener Eichsfeldischer Güter, in deren Besitz es schon lange war, für 20 Mark. Habito .... diligenti tractatu ac deliberatione oporiuna pro quibusdam certis et euuientibus dicte ecclesie et nostris necessitatibus releuandis, quantitate quadem pecunie indigentes, verkauft Jutta 1339288) einen jähr- lichen Getreidezins von 4 Hufen in Wegeleben pro quadraglnta marcis nobis solutis et in utilitatem ecclesie nostre utiliter conversis. Dorcli

:185) Erath 375 Nr. 89; Cod. Dipl. Anh. III Nr. 328-329. 286) UB. Pforte I N f. 490. :181) UB. Teistungenburg Nr. 87, spätere Kopie in deutscher Ubersetzung bei Erath 420 Nr. 17I. Vg!. Erath 419 Nr. 170. :188) Erath 452 Nr. 227; UB. der Kollegiatstifter St. Bonifacii und St. Pauli in Halberstadt, herausgegeben von G. Schmidt (Halle 1881), Bonifaz Nr. 157; Cod. Dip!. Anh. III Nr. 707· 174 H ans-Erieb Wciraucli

08 Nod uses Goddeshuses gibt Jutta 1344 ") eine Hufe in Groß-Orden an die Gehruder van Kolden für 16 Stendalische Mark ab, de to dcme Busoe uses Goddeshuses ghenzliken glickonien sind. Wir sehen, auch die Äbtissin Jutta verkauft Stiftsbesitz, in dem einen Falle sogar einen von beträchtlicher Größe. Aber wenn wir für dieses eine Mal vielleicht schon in der ungünstigen Streulage dieser Güter, wie sie selbst angibt, eine Berechtigung ihres Handeins sehen können, so wiegen diese Verkäufe doch weniger schwer als bei Ber- tradis durch den Geist, der aus Juttas Urkunden spricht. Nennt sie auch nur einmal, 1344, ausdrücklich den Verwendungszweck des Ver- kaufserlöses, so sagt sie doch zweimal, daß das Geld in utilitatem. des Stiftes verbraucht worden sei, unci bei einer anderen Gelegenheit (1319) gibt sie ihrem Schmerz über den notwendig gewordenen Verkauf Aus- druck. Ist diese Art auch noch weit von der korrekten Genauigkeit einer Gertrud entfernt, so steht sie andererseits im Gegensatz zu Ber- tradis, die als Grund entweder immer wieder die Schulden angibt oder aber den Verkauf direkt als Nutzen für ihr Stift bezeichnet. Und vor allem dürfen wir nicht vergessen, daß Bertradis das Stift schuldenfrei übernahm, Jutta aber diesen Vorteil bestimmt nicht für sich hatte. Erwähnenswert sind folgende Neuerwerbungen des Stiftes Qued- linburg unter Äbtissin Jutta: 1311'90) kauft sie von Jordan Schenk von Neindorf 4 Hufen, I Wiese und 1 Hof in Hohen-Wedderstedt für 98 Stendalischc Mark. 1313291) übereignet Herzog Albert von Braunschweig dem Stift 3 Hufen in Hohcn-Wedderstedt und 4 Hufen in (Klein-) Wedderstcdt. 1326292) erhält die Abtei von Bischof Albrecht von Halberstadt auf Veranlassung der Gebrüder Stammer den Zehnten von 11 Hufen in Quarmbeck und Ill: Hufen in Suderode. Der Kaufpreis von 98 Mark im Jahre 13II zeugt immerhin davon, daß das Stift um diese Zeit wirtschaftlich' einigermaßen leistungsfähig war. Aus dem Jahre 1327 ist uns ein Verzeichnis der Abteigüter in und 293 um Schmon erhalten, das von Konrad von Schmon aufgestellt ist ). Was uns in diesem Zusammenhang daran interessiert ist nicht der In- halt der Aufstellung im einzelnen, sondern die Tatsache ihrer Existenz überhaupt. Seit den Tagen der Äbtissin Agnes n., also seit fast 150 Jahren, ist es das erstemal, daß eine Äbtissin wieder ein Güter-

289) Erath 466 N r. 251. 200) Erath 357 Nr. 56; Cod. Dip!. Anh. III N r. 236. :191) Erath 366 Nr. 74.

:192) Cod. Dip!. Anh. JII Nr. 516; UB. Hochstift Halberstadt III Nr. 2165. 293) Erath 410 Nr. 155. Die Güterpolitik des Stiftes Quedliubur g im Mittelalter 175 verzeichnis, wenn auch nur für ein Teilgebiet, anfertigen läßt. Denn daß die Initiative zu dieser Maßnahme von Jutta und nicht von ihrem Amtmann in Schmon ausging, braucht nicht besonders betont zu werden. Der Amtmann konnte kein Interesse daran haben, seine Güter und Rechte scharf von den Stiftsgütern abgegrenzt und seine Pflichten ganz genau aufgezeichnet zu sehen, um so mehr aber mußte dem Stift an einer Fixierung der Verhältnisse durch Schriftlichkei t liegen. Derselbe Wille, Ordnung zu schaffen und unklare Verhältnisse zu klären, ist es, der Äbtissin Jutta 1328294) veranlaßt, einen langen Streit mit den Grafen von Regenstein um 4 Hufen in Marsleben dadurch zu beenden, daß sie ihnen 24 Stendalische Mark zahlt, wofür sie auf alle Rechte und Ansprüche an den Hufen verzichten. Gegen Einwohner des Bannes Quedlinburg, die ihren Zinsverpfiichtungen gegen das Stift Quedlinburg nicht nachkommen, ruft Jutta 1338295) den Bischof von Halberstadt zu Hilfe, der den Pfarrer der Ägidienkirche in Quedlin- burg mit der Untersuchung beauftragt. Unter Äbtissin Jutta war es dem Stift auch zum letztenmal mög- lich, mit seinem Besitz in die Politik einzugreifen. Zum letztenmal, denn den kleinen und kleinsten lokalen Kämpfen und Fehden, die bis in die Neuzeit immer wieder ausbrachen und an denen auch gelegent- lich das Stift beteiligt war296), kann man kaum noch politischen Cha- rakter zusprechen. 'Wenn nun das Stift 1320 in dem Streit um die Nachfolge der Brandenburgischen Askanier aktiv Stellung nimmt, so ist das freilich auch keine Politik mehr, wie sie Quedlinburg etwa zur Ottonen- und Salierzeit und vielleicht noch in den Kämpfen Ottos IV. betreiben konnte. Der Maßstab, an dem die Politik von 1320 zu messen ist, ist unvergleichlich kleiner als im 10. Jahrhundert, wo eine Quedlin- burger Äbtissin zeitweise Reichsregentin war. Aber es bedeutete doch immerhin eine politische Entscheidung, die folgenschwer für Quedlin- burg sein konnte, wenn Äbtissin Jutta 1320 die sächsischen Askanier mit allen Stiftsgütern und Rechten belehnte, die durch das Aussterben der brandenburgischen Askanier erledigt waren. Es handelt sich um die Quedlinburger Vogtei>"), die Stadt Nauen i'") und die Länder ------C'94) Erath 413 Nr. 159. ::115) Erath 447 Nr. 218. 298) Auch der Kampf des Stiftes und der Wettiner gegen die Stadt Quedlinburg und den Bischof von Halberstadt im Jahre 1477 ist dazu zu rechnen. '91) UB. Stadt Quedlinburg I Nr. 90; Cod. Dip!. Brand. B I 453 f. 298) Dresden HStA. Loc. 8964 "Allerhand Copeyen so zum Stiffte Quedlinburg gehören" Blatt 17 u. 19 b. Vgl. Cod. Dipl. Brand. B IV 227; Märkische Forschun- gen 14 (1878) 314 f.; Krabbe- Winter, Regesten der Markgrafen von Brandenburg- aus askanischem Hause (Leipzig-Berlin 1910-1933) Nr, 2795 a und 2796. 176 H ans-Erich ~Vcirauch

Zauche ZOP) und Teltow 300). Herzog Rudolf von Sachsen konnte sich aber nicht in der Mark halten, 1324 gab sie Ludwig der Bayer als er- ledigtes Reichslehen seinem Sohne Ludwig. Damit war die Belehnung von 1320 zum Teil hinfällig: Die Vogtei blieb zwar als Obervogtei beim askanischen Hause Sachsen 3QI), die brandenburgischen Güter dagegen waren ab 1324 in der Hand der Wittelsbacher. Von einer Belehnung der Wittelsbacher mit diesen Gebieten durch das Stift Quedlinburg ist nichts bekannt, so daß man annehmen kann, daß sie nicht erfolgt ist und die Wittelsbacher also eigentlich unrechtmäßig in ihrem Besitz waren. Vielleicht war es eine Folge der Stiftspolitik von 1320, wenn das Stift seine Lehnsansprüche an Nauen, Zauche und Teltow nie wieder durchsetzen konnte.

VIII. Die Entwicklung von 1348 bis 1400. Die Güterpolitik der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts müssen wir als Ganzes betrachten, eine Heraushebung einzelner Äbtissinnen dieser Zeit erscheint nicht nötig und auch kaum möglich. Das liegt einmal an der kurzen Amtstätigkeit der Äbtissinnen. In den 31 Jahren von 1348 bis 1379 haben vier Abtissinnen regiert, und erst Irmgard hat wieder eine längere Amtszeit von 1379 bis 1405. War also einmal die Zeit zu kurz. um den Stiftsleiterinnen die Möglichkeit zu geben, eine Güterpolitik mit ausgeprägter Eigenart zu treiben 302~, so gewinnt man aber auch in dieser Periode den Eindruck, daß die wirtschaftliche Entwicklung des Stiftes schon eine gewisse Zwangsläufigkeit ange- nommen hatte, und zwar war es durchaus eine Bewegung, die abwärts führte - bedingt durch die inneren und äußeren Verhältnisse. Um diese Entwicklung aufzuhalten, wären sehr energische Persönlichkeiten nötig gewesen, und das waren die Quedlinburger Äbtissinnen wohl nicht in ausreichendem Maße. Diesen Eindruck gewinnen wir weniger aus der Zahl und Art der Kaufs- oder Verkaufsurkunden, sondern aus gelegentlichen Lichtern,

.99) Dresden HStA. Loc. 8964 "Allerhand Copeyen so zum Stiffte Quedlinburg gehören" Blatt 18 u. 19 b. Vgl, auch Anm. 298. 300) Ebda. Blatt 18 u. 19 b. Vg!. Anm. 298. 301) In einem Regensteinischen Lehnsbuch heiBt es um 1346 unter den Passiv- lehen : Dux So xsonic : advocaciam in antiqua civitate QlI. et attinencia (UB. Stadt Quedlinburg I Nr. 147). 1366 befiehlt Karl IV. der Äbtissin, Herzog Rudolf (He) von Sachsen-Wittenberg mit der Quedlinburger Vogtei und allem anderen ihm Zu- stehenden zu belehnen. (Erath 523 Nr. 349.) 30') Wir haben schon gesehen, daB alle Äbtissinnen mit ausgeprägter Eigenart in ihrer Wirtschaftspolitik auch lange regiert haben. Die besten Beispiele sind Ger- trud und Ber tradis 11. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 177 die die Quellen auf die Zustände und Auffassungen im Stift werfen. So ist es bezeichnend, wenn 1351 bei dem Vergleich über die Quedlin- burger Vogtei zwischen den Regensteinern und Halberstadt SOS) die Äbtissin überhaupt nicht befragt wird und anscheinend auch keinen Versuch zur Einmischung in diesen Handel unternommen hat. Und dabei war es doch das Stift, das die Vogtei zu verlehnen hatte! 1358304) trifft Äbtissin Agnes dann ein Abkommen mit dem Bischof von Halber- stadt über die Vogtei 305), allerdings ohne Wissen ihres Kapitels. Man könnte sich gerade in der Vogteifrage eine wesentlich energischere und nützlichere Politik in dieser Zeit vorstellen. Denn offiziell belehnt war mit der Vogtei seit 1320 das Herzogtum Sachsen- Wittenberg, die Beanspruchung eines Teiles der Vogtei durch Halberstadt war also usurpatorisch. Sachsen hätte sicherlich dem Stift und damit sich selbst zu seinem Recht verhelfen können. So aber bahnte sich eine \ Entwicklung an, die beinahe das Stift Quedlinburg in tatsächliche und formelle Abhängigkeit von Halberstadt gebracht hätte, wenn nicht im letzten Augenblick 1477 eine Wendung zum Besseren eingetreten wäre. Ohne ersichtlichen Grund verzichtet Äbtissin Agnes im selben Jahr 1358306) offiziell auf alle Herrschaftsrechte an der Stadt Quedlin- burg30i). Einen recht merkwürdigen Eindruck muß es auch machen, wenn Bischof Ludwig von Halberstadt 1364 S08) seine Zustimmung dazu gibt, daß das Stift Quedlinburg das Moor bei Quedlinburg kulti- vieren läßt. Man denke: eine reichsunmittelbare Abtei erhäl t für Vor- gänge in ihrem eigenen reichsunmittelbaren Territorium die Erlaubnis von einer außenstehenden Macht! Diese Passivität nach außen wird erklärlich, wenn wir hören, daß im Stift wieder einmal Uneinigkeit herrschte. 135630°) überläßt Äb- tissin Agnes Ill. den Stiftskapellanen eine Geldrente von 2 Hufen in Ditfurt, wofür diese ihr 20 Brandenburgische Mark gegeben haben. de we ghekart hebben van unses Goddesliuses uieghene an unse Confir- matien. Läßt es schon auf anormale Zustände schließen, wenn die Äb- tissin ihr Bestätigungsgeld nicht aus Stiftsmitteln nehmen kann, so sagt Agnes am Ende dieser Urkunde ausdrücklich: Wenie we to disme male unses Capitels Ingheseghel nicht uorvnoghen, wes we on hirna kunncn.

303) UB. Hochstift Halberstadt III N r. 2421 und 2424. 304) UB. Stadt Quedlinburg I Nr. 172; UB. Hochstift Halberstadt III Nr. 2523. 305) Vgl. Boettcher, Quedlinburg und Halberstadt, a. a. O. 14 f. 306) UB. Stadt Quedlinburg I Nr. 171. 307) Erst 14i7 konnte dieser Schritt wieder rückgängig gemacht werden. 308) Erath 515 Nr. 338; UB. Hochstift Halberstadt IV Nr. 2675. 309) Erath 496 Nr. 305. 12 178 H ans-Erieb ~Veiraucli

darto behulpen. syn, dat on dat werde, dat wille we gherne don, wanne we weder zn unse Herscap kamen. Wir haben hier ein Beispiel dafür, wie sich der Stiftskonflikt direkt auf den Besitz schädlich auswirkt. Das scheint aber noch öfter der Fall gewesen zu sein. Denn am 26. April 310 1357 ) sagt Innozenz VI. von der Agnes gerens se pro abbatissa secu- laris ecclesie [Quedelingeburg], daß sie plurima bona mobilia et immo- bilia ipsius secularis ecclesie sine consensu et requisicione Capituli, 'alia videlicet ad tempus et alia perpetuo alienavit atque distra xit et quam plura ex eis eciam dilapidauit ... Canonicas suas et alias eiusdem secularis . ecclesie personas redditibus et proueniibus suis et eiusdem ecclesie spoli- ando, Die weiteren Einzelheiten des Streites interessieren uns nicht. Noch 1358 ist der Konflikt zu spüren, als Äbtissin 311) einerseits und Pröpstin und Kapitel i'") andererseits die Belehnungder Markgrafen von Meißen mit Gera und der dortigen Vogtei getrennt beurkunden. Auch später ist noch Feindschaft und MiBtrauen innerhalb des Stiftes vor- 313 handen. 1402 ) hatte das Stiftskapitel ein geistliches Verfahren gegen die Pröpstin, Adelheid von Isenburg, und -ihren Presbyter Hermann Basi- lius beantragt pro eo et ex eo, quod dicta N obilis extra dictam. ecclesiam vagaretur, et ipsa et dictus H ermannus, dictarum fructuum collector, non- nullos fructus et redditus nomine dicte ecclesie leuarent, propter quod timendum esset ed ipsorum alienatione. Das Verfahren mußte aber als unbegründet eingestellt werden.

Neuerwerbungen des Stiftes sind sehr selten geworden. 135z3H) kauft es vom Deutschen Orden Getreidezinsen aus dem Zehnten in 316 Elrnen und 2 Hufen in Groß-Mühlingen. 1355 ) schenkt Fürst Hein- rich von Anhalt dem Johannesaltar im Stift das Eigentum von 4 Hufen und Zubehör in Cellinge. Interessante Einblicke gestatten die Akten eines Prczesses s=), den das Stift in den Jahren 1372 bis 1374 führte. Der strittige Gegen- stand waren Güter auf dem Eichsfelde, die sogenannte Güldene Hufe bei Duderstadt. Das Stift klagte, weil diese Güter, die verlehnt ge- wesen waren, schon lange an das Stift heimgefallen seien wegen Todes der Lehnsleute. Die Gebrüder Weren aber hätten diesen Besitz usur- patorisch für sich in Anspruch genommen und im Laufe der Zeit etwa

310) Erath 498 N r. 309. 3H) UB. Weida II Nr. 37-38. 312) UB. Weida II Nr. 30. 313) Erath 636 Nr. 6. 314) Cod. Dip!. Anh. IV N r. 50. 315) Cod. Dip!. Anh. IV N r. 100. 3U1) Erath 539-573 N r. 368. Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 179

100 Mark Einkünfte daraus gehabt 317), ohne vom Stift damit belehnt zu sein. Die Aussagen der vielen Zeugen, die dazu vernommen wurden, geben nun em Bild heilloser Verwirrung. Die einen behaupten, die Güldene Hufe liege in der Goldenen Mark bei Duderstadt, während andere nichts von einer Goldenen Mark wissen. Auch die Rechte Qued- linburgs an Duderstadt und seiner Umgebung sind nach den Aussagen sehr zweifelhaft. Die Angaben über die Größe dieser Güldenen Hufe 31B 319 schwanken zwischen I Hufe ) und centum mansi et ultra ). Auch die Meinungen der Zeugen über Quedlinburgs Besitz auf dem Eichs- felde, über seine Lehengüter und Vasallen lassen in ihrer Unbestimmt- heit und ihren \Vidersprüchen erkennen, wie unsicher um diese Zeit die Kenntnis von den Rechtsverhältnissen anscheinend besonders im Eichsfelde ist. Der Prozeß endet schließlich zugunsten des Stiftes: Die Gebrüder Weren werden verurteilt, die Güter herauszugeben und außer-

dem 60 Mark Schadenersatz zu zahlen 320). Wir sahen schon, daß wir bei keiner Äbtissin dieses halben Jahr- hunderts eine ausgeprägte eigenartige Güterpolitik finden. Nach dem vorgebrachten Material werden wir noch weiter gehen müssen und feststellen, daß auch während dieser So Jahre als eines Ganzen kein System in der Güterverwaltung zu finden ist. Wir treffen weder auf eine positive noch auf eine negative Politik, sondern man hat den Eindruck, daß die Stiftsleitung im allgemeinen, von Ausnahmen ab-

gesehen, die Dinge laufen läßt, wie sie eben laufen 321), wobei wir als Entschuldigung in gewissem Maße den ziemlich häufigen Wechsel in der Abtei und innere Stiftsgegensätze berücksichtigen dürfen. Wenn das in der Folgezeit zum Teil wieder anders wird, so ist doch ohne Zweifel spätestens mit 1400 die interessante Periode im Wirtschafts- leben Quedlinburgs vorbei. Ein bewußtes selbständiges Handeln in gutem oder schlechtem Sinne ist vom IS. Jahrhundert an in großem Stile nicht mehr möglich, dazu sind die Besitzverhältnisse schon zu konstant geworden. 'Nenn wir etwa die Quedlinburger Güterurkunden des IS. Jahrhunderts durchsehen, bringen sie zum größten Teil ent- weder aus religiösen Motiven erfolgende Schenkungen kleinen Um-

317) Erath 545.

318) Erath 5bO. 310) Erath 554. 320) Erath 571. 321) Daß es sich um eine ständige Abwärtsentwicklung handelt, zeigen gut folgende Zahlen: 1435 werden die gesamten Einkünfte der Abtei, d. h. des Äbtissinnen- amtes, mit jährlich 40 Mark, 15II nur noch mit 10 Mark angegeben. (Erath 726 Nr. 132 bzw. Erath SgI und 895 Nr. 14 und 18.) 12' 180 Hcns-Ericb Weirauch fanges oder aber Nachricht von Veränderungen innerhalb des schon vorhandenen Stiftsbesitzes : Resignation eines Lehnsinhabers zugunsten eines anderen oder Verkäufe von Zinsgütern an neue Pächter. Bei allen diesen Verschiebungen aber bleibt der Anteil des Stiftes, die Lehnshoheit bzw. Zinsherrschaft. unberührt. Dies gilt im wesentlichen für das gesamte Quedlinburgische Gut, in besonderem Maße aber für die nähere Umgebung Quedlinburgs. Hier hat die Äbtissin, von einigen Vorwerken mit Eigenwirtschaftsbetrieb abgesehen, über das gesamte Gebiet eine Lehns- oder Zinshoheit, die nicht erschüttert wurde und dann als Landeshoheit über das Stiftsterritorium und spätere Fürsten- tum Quedlinburg bis zum Jahre 1803 bestand. Aber auch im Streu- besitz hatten sich bis 1400 bereits so feste Lehnsverhältnisse ausge- bildet, daß die Belehnung durch das Stift jeweils nur noch als Be- stätigung schon vorhandener, nicht aber als Schaffung neuer Tatsachen zu werten ist. So waren der möglichen Aktivität der Stiftsleitung recht enge Grenzen gesteckt, und was sie innerhalb dieser Grenzen leisten konnte, ist schon keine Güter pol it i k mehr im eigentlichen Sinne.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war das Stiftsgebiet um Quedlinburg, über das die Äbtissin die Landeshoheit hatte, etwa

1 1 /2 Quadratmeilen (= 82 qkm) groß322). Auf die Feldflur, d. h. die landwirtschaftlich genutzte Fläche, entfielen davon 1188 Hufen 323). Das war also der Besitz des Stiftes gegen Ende seines Bestehens - denn die Landeshoheit war ja im Falle Quedlinburg aus Besitzrechten erwachsen, ist also nur ein umgewandeltes Eigentum. Es wäre sehr interessant, zu Vergleichszwecken die Größe des Quedlinburger Ge- bietes etwa um das Jahr 1000 zu wissen. / Aber wie nicht anders zu erwarten ist, sind uns darüber keine Nachrichten erhalten. Neuzeit- liche Chroniken erzählen, unter den Ottonen habe das Stift II 000 Hufen besessen, andere reden von 18000 Hufen 324). Natürlich ist diesen An- gaben kein Quellenwert beizumessen, da ja solche Chronikenschreiber in Zahlen- und Mengenangaben meist großzügig sind. Gerade die Zahl 11000 scheint sehr beliebt gewesen zu sein, denn sie taucht auch für Gandersheim auP25). Wenn wir nun aber überlegen, was das Stift um

a.:l) W. Breywisch, QuedIinburgs Säkularisation und seine ersten Jahre unter der preußischen Herrschaft, Sachsen und Anhalt 4 (1928) 212. 3~3) Lorenz, Quedl. Gesch. I 345 f. 3~4) Kettner, Antiquitates Vorrede. ~':;) A. Hobbel. Die Verfassungsgeschichte und politische Entwicklung der Reichsabtei und Stadt Quedlinburg (phil. Diss. Halle 1910) 10 f. Die Güterpo]itik des Stiftes Quedlinburg im Mittelalter 181

1000 allein an großen Komplexen besaß: Teile des Havellandes, des Geragaues, des Eichsfeldes, den Gau Siuseli, und was dazu noch an mittleren und kleineren Gebietsstücken kam, so können wir die An- gaben der Chroniken keinesfalls als zu hoch betrachten, sondern im Gegenteil nur als zu niedrig. Denn zur Zeit der Blüte des Stiftes war das enge Gebiet um Quedlinburg im Rahmen des Gesamtbesitzes doch nur ein ganz kleiner Bruchteil, der längst nicht ein Zehntel des Ganzen umfaßt haben kann. Das Stift Quedlinburg darf also nicht zu den "reichen" geistlichen Grundherrschaften gerechnet werden, die im Jahre

816 auf 3000 bis 8000 Hufen geschätzt werden 326), sondern die Größe seines Besitzes muß als etwas Einmaliges angesehen werden. Die Hufenzahl wird in die Zehntausende gegangen sein, selbst wenn man die erheblichen Größenunterschiede der einzelnen Hufenarten berück- sichtigt. Und diese großartige Ausstattung Quedlinburgs mit Besitz würde gut passen zu der Vermutung Hörgers327), die nicht unwahr- scheinlich ist, daß dem Stift Quedlinburg ein Primat unter den Reichs- frauenabteien zuzusprechen ist, zumal im späten Mittelalter und in der Neuzeit die Quedlinburger Äbtissin bei den Reichstagen auf der Prä- latenbank unter ihren geistlichen Schwestern den ersten Platz einnahm . . 328) Kötzschke, GrundriB 83. 327) Hörger a. a. O. 257 f.