88 ARCHÄOLOGIE / ARCHEOLOGIE BERNOISE 2013

Kirchdorf, Winkelmatt Ländliche Gartenanlage in Kirchdorf

CHRISTIANE KISSLING

Abb. 1: Kirchdorf, Winkel- 608 500 Am nördlichen Ende des Dorfes Kirchdorf Rich- matt. Lage der Grabung tung befindet sich der Ortsteil Win- 2011. 1 Landsitz Winkel, Gerzensee 2 Kirche, 3 Grabung 2011, kel oder Winkelmatt. In diesem Quartier liegt 4 Latènegräber. der barocke Landsitz Winkel (Abb. 1,1), der 1668 M. 1:10 000. 186 000 von Emanuel Lutz, Pfarrer in Kirchdorf, errich- tet wurde. Aus archäologischer Sicht interessant ist das Areal wegen einer etwa 50 m nördlich 4 davon gelegenen Fundstelle. Hier kamen 1910 beim Bau des neuen Friedhofes fünf eisenzeit- liche Gräber zum Vorschein (Abb. 1,4). Zudem liegt das bisher nicht überbaute Feld (Abb. 1,3) 3 in der Nähe des alten Dorfkerns von Kirchdorf 1 (Abb. 1,2), was für die Existenz von mittelalter- lichen, aus den Anfangszeiten des Dorfes stam- menden Strukturen sprechen könnte. Aufgrund 185 500 2 eines Überbauungsprojektes legte der Archäolo- gische Dienst 2005 und 2011 im gesamten Feld 15 Sondiergräben an. Darin kamen zahlreiche Verfärbungen zum Vorschein, die auf noch er- haltene Siedlungsreste hinwiesen. Anlässlich der Rettungsgrabung vom Sep- tember 2011 bis Juli 2012 wurde eine Fläche von Abb. 2: Kirchdorf, Winkel- 3000 m² archäologisch untersucht. Dabei ka- matt. Ausschnitt men weder die erhofften eisenzeitlichen noch aus der Siegfriedkarte von 1880. Kreis: Landsitz die vermuteten mittelalterlichen, sondern aus- Winkel mit Bauerngarten schliesslich neuzeitliche Befunde zum Vor- und einem kleinen schein. Gebäude. M. 1:10 000. Das Landgut Winkel bestand aus einem Haupthaus, einem Bauernhaus und einigen Nebengebäuden. Die Siegfriedkarte von 1880 (Abb. 2), auf der das Landgut zu erkennen ist, zeigt auf der anderen Strassenseite einen quad- ratischen Garten sowie ein heute noch dort ste- hendes Gebäude. Von einem kleinen Gebäude, das auf der Karte nicht eingezeichnet ist, war nur noch der komplett mit Sand und Bauschutt verfüllte Keller erhalten (Abb. 3, J). Eine Treppe führte von aussen her in den Kellerraum hinun- ter. Dessen Sohle bestand aus Naturboden. Es bleibt offen, ob das Gebäude massiv aus Stein gebaut war oder ob auf einem gemauerten Un- terbau eine Oberkonstruktion aus Holz oder Fachwerk stand. KIRCHDORF, WINKELMATT KURZBERICHTE 89 60 60 8 8 Abb. 3: Kirchdorf, Winkel- 54 Die Nutzung des rund 20 m² grossen Hauses 58 0 und des Kellers lässt sich heute nicht mehr be- 0 matt. Übersicht über die neuzeitliche Garten- stimmen. Ein abseits von anderen Gebäuden 185 700 A anlage. A: Brandgrube; liegendes, unbewohntes Gebäude kann zahlrei- Findling B: kleine Grube mit Stake- chen Zwecken gedient haben, beispielsweise als tenlöchern, «Silo»; C: Vor- ratsgruben; D: Nutzgar- Ofen-, Dörr- oder Waschhaus; der Keller wird B ten; E: Mörtelsumpfgrube; wohl für die Lagerung landwirtschaftlicher Pro- F und G: kleine Gruben dukte wie zum Beispiel Kartoffeln, Obst, Wein mit Trockenmauern; C oder Milch genutzt worden sein. H: Sandentnahmegruben; Eine 1 m tiefe und 1 × 0,8 m grosse, neben I: kleine Grube; J: Keller. dem Keller ausgehobene Grube (Abb. 3, I) barg M. 1:1000. 185 660 D in der Einfüllung zahlreiche Keramik- und Glasscherben (Abb. 4). Der einheitliche Fund- komplex datiert ins 17. Jahrhundert und könnte E auf die Bauzeit des Gebäudes zurückgehen. F

Etwa 50 m nördlich dieses Gebäudes e G

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dehnte sich der zum Landgut gehörende Bau- a

g erngarten aus, der ebenfalls auf der Siegfried- e

e karte erscheint. Die quadratische Anlage von S H 0 10 m mindestens 15 × 15 m, zeichnete sich in der Gra- 185 620 bungsfläche durch aneinandergereihte (Pfos- ten-)gruben ab (Abb. 3, D). Die Einfriedung des I

Gartens könnte durch einen Ruten- oder Lat- J tenzaun, durch eine Hecke oder durch Spalier- bäume erfolgt sein. Dieser Bauerngarten gehörte zum wirt- von Ruten beobachtet werden, die auf eine Ver- schaftlich genutzten Teil des Landsitzes. Es stärkung der Wände durch ein Rutenflecht- handelte sich um einen Nutzgarten, um einen werk hinweisen. Was einst hier gelagert wurde, sogenannten «Pflanzblätz», der in einiger Ent- lässt sich nicht sagen. Die übrigen Gruben wa- fernung zum Bauernhaus angelegt wurde. Tradi- ren grösser und rechteckig (Abb. 3, C). Einige tionell bildeten solche Gemüse-, Gewürz,- und zeigten seitlich in den Wänden vertikale Nuten, Blumengärten die Ergänzung zu den Hausgär- in die Holzbretter eingelassen werden konn- ten, die als Ziergärten, repräsentativ direkt ne- ten. Gruben eigneten sich in ländlichen Gebie- ben den Haupthäusern lagen. Die Einfriedung ten vorzüglich zur Vorratshaltung, da darin so- der Gärten sollte die angebauten Pflanzen vor wohl die Feuchtigkeit als auch die Temperatur Abb. 4: Kirchdorf, Winkel- matt. Auswahl einiger unbefugten Eindringlingen schützen. Die In- konstant blieben. Das geerntete Gemüse wurde Keramikscherben aus der nenaufteilung mit Wegkreuz geschah oft in -An lagenweise in diese Gruben gelegt und jeweils Grube neben dem neu- lehnung an die Aufteilung der Kreuzganggärten mit Sand bedeckt. Dass Nussbaumblätter als zeitlichen Keller. M. 1:3. in mittelalterlichen Klöstern. Ein schönes Bei- spiel eines Bauerngartens aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert sieht man auf einer Darstellung von Albrecht Kauw (Abb. 5). Das dort abgebil- dete Brunnaderngut in der Berner Elfenau zeigt den abseits liegenden Bauerngarten mit einem daneben stehenden Ofenhaus. In der Nähe des Gartens lagen unterschied- lich grosse und tiefe Vorratsgruben, die in den sandigen Untergrund ausgehoben waren. Eine etwa 1 bis 1,2 m grosse und 40 cm tiefe Grube (Abb. 3, B) besass senkrechte Wände und einen flachen Boden. Auf ihrer Sohle konnten Stake- tenlöcher und an den Wänden Negativab­drücke 90 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHEOLOGIE BERNOISE 2013

Als weitere Befunde liessen sich eine Mörtel- sumpfgrube sowie zwei kleinere Gruben do- kumentieren, deren eine Wand jeweils mit ei- ner kleinen Trockensteinmauer verstärkt war (Abb. 3, E–G). In einer davon lagen die Reste eines eisernen Fassreifens. Nördlich des Nutzgartens konnte eine 2 × 1 m grosse Brandgrube freigelegt werden (Abb. 3, A). Ob sie zur Gartenanlage gehörte oder erst im 20. Jahrhundert angelegt wurde, wird die C14-Datierung der Holzkohle zeigen. Abgesehen von den hier vorgestellten, archäo- logisch fassbaren Bestandteilen der Gartenan- lage, müssen wir mit heute nicht mehr erhal- tenen Elementen wie Baumgärten («Hostet»), Teichen, Hecken, Gartenhäusern, Kleintierge- hegen und Weiterem rechnen. Zu den vielen Glas- und Keramikscherben kamen zahlreiche Metallgegenstände in den Einfüllungen der Gruben oder in der darüber liegenden Deckschicht zum Vorschein. Abb. 6 Abb. 5: Ausschnitt aus ­natürliches Mittel gegen unerwünschte Nage- zeigt eine kleine Auswahl davon. dem Aquarell von Albrecht tiere zwischen Gemüse und Sand gelegt wurden, Die Entstehung der hier freigelegten Gar- Kauw (1616–1681). Brunnaderngut in der lässt sich nur annehmen. Zugedeckt wurden die tenanlage lässt sich sowohl über die Funde als Berner Elfenau. Gruben mit Erde und Stroh, eventuell auch mit auch durch das Baudatum des Landsitzes ins einem Holzdeckel. Das Gemüse blieb in solchen Ende des 17. Jahrhunderts datieren. Die jüngsten «Erdmieten» über mehrere Monate frisch. Funde, die aus den Abfalldeponien der wieder- Im Bereich zwischen dem Bauerngarten eingefüllten Sandentnahmegrube und aus der und dem Keller konnten grosse, meist form- Einfüllung einzelner Vorratsgruben stammen, lose Sandentnahmegruben freigelegt werden datieren ins ausgehende 19. oder beginnende (Abb. 3, H). Der dort entnommene Sand diente 20. Jahrhundert. Vermutlich wurde damals der wohl als Rohstoff für die Herstellung von Mör- Bauerngarten aufgegeben, das kleine Gebäude tel oder anderen Materialien. Die Gruben wur- abgerissen, das Gelände ausgeebnet und das den später mit Abfall aufgefüllt. Areal zu einem Obstgarten umgewandelt.

Literatur

Abb. 6: Kirchdorf, Winkel- Heinrich Christoph Affolter, Das höhere Berner Mittelland. matt. Neuzeitliche Gegen- Amtsbezirke , Seftigen, , Konolfingen, stände aus Buntmetall. Signau und . Die Bauernhäuser des Kantons 1 Gewichtsstein, Vorder- 1 Bern, Band 2. Hrsg. von der Schweizerischen Gesellschaft für und Rückseite; 2, 3 Stun- Volkskunde. Basel 2001. den- oder Minutenzeiger Georges Herzog, Albrecht Kauw (1616–1681). Der Berner Ma- einer Uhr, 4 Buchschliesse. ler aus Freiburg. Schriften der Burgerbibliothek Bern. Bern M. 1: 2. 4 2 3 1999.