Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert Matthias Donath

Das Meißner Domkapitel mit Das Meißner Domkapitel besteht ohne Unterbre- durchführen zu lassen, gestrichen. Geblieben war die Stiftsherr Landesbischof Dr. Carsten chung seit dem Mittelalter. Es kann zwar erst seit staatsrechtliche Stellung des Domkapitels als Wahl- Rentzing am 31. Oktober 2016 der Mitte des 11. Jahrhunderts verbindlich nachge- und Aufsichtsgremium für das Hochstift Meißen und Foto: Mirko Stelzner wiesen werden, doch es wird angenommen, dass den Stiftsherrn, den reichsfürstlichen Vertreter an bereits der erste Bischof von Meißen, Burchard, der Stelle des früheren Bischofs. Seit der Resignation der am Weihnachtstag des Jahres 968 in sein Amt des letzten Bischofs und der Wahl Kurfürst Augusts eingeführt wurde, auch eine Gemeinschaft von von Sachsen (1526–1586) zum Stiftsherrn hatte das Geistlichen einsetzte, die ihn unterstützte.1 Zur evangelische Domkapitel den Stiftsherrn zu wählen, Geschichte des Meißner Domkapitels im Mittelal- der die Hoheit im Hochstiftsgebiet ausübte und die ter liegen mehrere wissenschaftliche Arbeiten und Stiftsregierung einsetzte, doch seit der sogenannten Einzelstudien vor.2 Perpetuierlichen Kapitulation von 1663, die das Amt Dagegen ist die Geschichte des Domkapitels nach des Stiftsherrn erblich mit dem sächsischen Kurhaus 1 Vgl. Kunz von Brunn, ge- der Reformation bisher nur überblicksartig behan- verband, war das Wahlrecht praktisch aufgehoben. nannt von Kauffungen: Das delt worden.3 Der Meißner Dom gehört zu den Bi- So blieb als wichtigste Aufgabe die Aufrechterhal- Domkapitel von Meißen im schofskirchen, an denen trotz Einführung der Refor- tung des Gottesdienstes in der Domkirche in Mei- Mittelalter. Ein Beitrag zur mation die aus dem römisch-katholischen Kirchen- ßen. Das Vermögen des Domkapitels wurde von Verfassungs- und Verwal- recht stammende Institution eines Domkapitels be- einem Juristen, dem Stiftssyndikus, verwaltet. Ent- tungsgeschichte der deut- stehen blieb. Das Erfordernis einer geistlichen Wei- scheidend für das Fortbestehen des Domkapitels schen Domkapitel. In: Mit- teilungen des Vereins für he und damit des Zölibats für eine Aufnahme ins war, dass die Domherren mit Geld- und Sachleistun- Geschichte der Stadt Meißen Domkapitel wurde aufgehoben und die Verpflich- gen verbundene Präbenden (Pfründen) innehatten 6, Heft 2 (1902), S. 121-253. tung, am Chorgebet teilzunehmen oder dieses und somit beträchtliche Einnahmen erzielten. Seit

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 418 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

1413 waren zwei Kanonikate (Domherrenstellen) legt, waren zwei für Professoren der Universität 2 An erster Stelle ist hier Brunn für Professoren der Theologischen Fakultät der Uni- reserviert. Die Leipziger Theologieprofes- (wie Anm. 1) zu nennen. Die versität Leipzig reserviert.4 Die Theologieprofesso- soren wurden von der Theologischen Fakultät der neuere Literatur zu Bistum und Domkapitel zu Meißen ren benötigten die Präbendenzahlungen für ihren Universität Leipzig ernannt und vom Rektor dem ist zu finden bei Enno Bünz: Lebensunterhalt. Für die übrigen sechs Kanonikate Domkapitel präsentiert. Wenn sie nicht im Amt Das Bistum Meißen im späten war eine adlige Abstammung gefordert. Diese Rege- verstarben, sondern emeritiert wurden, erlosch Mittelalter und in der Refor- lung wurde im Jahr 1700 soweit verschärft, dass eine ihr Kanonikat mit der Emeritierung. Wie in den mationszeit (1485-1539). In: lückenlose Abfolge adliger Vorfahren über vier Ge- Jahrhunderten zuvor, gehörten dem Domkapitel Claudia Kunde/André Thie- nerationen nachzuweisen war. Mitglieder sächsi- auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts anerkannte me (Hrsg.): Ein Schatz nicht scher Adelsfamilien setzten ihre Kinder auf eine Theologen mit hoher wissenschaftlicher Reputati- von Geld. Benno von Mei- ßen. Sachsens erster Heili- Warteliste zur Aufnahme ins Domkapitel. Hier on an, etwa die Professoren Ernst Luthardt (1823– ger. Katalog zur Sonderaus- konnten die Expektanten (Anwärter) aufrücken, 1902), Gustav Adolf Fricke (1822–1908), Rudolf stellung in der Albrechtsburg und, wenn sie an der Reihe waren, ins Domkapitel Hofmann (1825–1917), Theodor Brieger (1842– Meissen. Petersberg 2017, gewählt werden. Die Pfründe garantierte den adli- 1915), Albert Hauck (1845–1918) und Rudolf Kit- S. 168-179. Hervorzuheben gen Domherren ein sicheres Einkommen, ohne dass tel (1853–1929). Im Mai 1918, wenige Monate vor sind ferner Jörg Rogge: Zum dafür etwas zu tun gewesen wäre. der Revolution, wurde Prof. Dr. Ludwig Ihmels Verhältnis von Bischof und Erstaunlich erscheint, dass das Domkapitel unter (1858–1933), Professor für Dogmatik in Leipzig Domkapitel des Hochstifts Meißen im 14. und 15. Jahr- diesen Umständen die Reformen des 19. Jahrhun- und später erster Landesbischof Sachsens, ins hundert. In: Römische Quar- derts überstand. Während der Revolution 1848/49 Domkapitel aufgenommen. talsschrift 91 (1996), S. 182- wurde eine Auflösung beantragt und beinahe umge- Die sechs anderen Domherrenstellen wurden ge- 206; Hermann Kinne: Die setzt. Nur um Haaresbreite hatte sie verhindert mäß Reformvertrag von 1859 auf Lebenszeit durch Meißner Dompröpste des 15. werden können, weil die Staatsminister den bereits Wahl besetzt. Das Domkapitel erstellte einen Jahrhunderts. Eine prosopo- ausgehandelten Aufhebungsvertrag vom 5. März Dreiervorschlag, und der Stiftsherr, also der König graphische Studie. In: Blätter 1851 nicht dem König zur Ratifizierung vorlegten von Sachsen, wählte in Abstimmung mit den in für deutsche Landesgeschich- te 148 (2012), S. 153-237; und ab 1853 eine Reform anstelle einer Aufhebung Evangelicis beauftragten Staatsministern einen Manfred Josef Thaler: Die anstrebten. Der Reformvertrag vom 15. Dezember von ihnen aus. Obwohl keine adlige Abstammung Domkapitel der Reichskirche 1859, den König Johann von Sachsen (1801–1873) gefordert war, besetzten die meist adligen Dom- vom Wiener Konkordat bis am 25. Februar 1860 ratifizierte, reduzierte die herren die freigewordenen Stellen praktisch nur zur Säkularisation (1448- Höhe der Präbenden und hob das Erfordernis der mit Angehörigen der gleichen sozialen Schicht. So 1803). Grundzüge ihrer Ver- adligen Abstammung auf. Ins Domkapitel konnten bestand das Domkapitel überwiegend aus hohen fassung im Vergleich. Frank- fortan Männer sächsischer Staatsangehörigkeit und Staatsbeamten, die angesehenen Adelsfamilien furt am Main 2017, S. 51-52, 146-147, 290-291, 436-437. evangelisch-lutherischen Glaubens gewählt wer- Sachsens angehörten. Die wichtigsten Minister der 3 Alfred Schultze: Stiftsherr und den, die sich um die Kirche, den Staat oder das Un- königlichen Regierung, so Hermann von Nostitz- Domkapitel zu Meißen einst terrichtswesen Verdienste erworben hatten. So Wallwitz (1826–1906), Georg Graf von Metzsch- und jetzt in rechtlicher Betrach- blieb das Domkapitel mit nur geringen Änderungen Reichenbach (1836–1927) oder Paul von Seyde- tung. In: Der Dom zu Mei- der Stiftsverfassung weiter bestehen. witz (1843–1910), waren zugleich Mitglieder des ßen. Festschrift des Hoch- Noch erstaunlicher ist es, dass das Domkapitel Meißner Domkapitels. Metzsch-Reichenbach war stifts Meißen 1929. auch die Brüche des 20. Jahrhundert überlebte, als Vorsitzender des Gesamtministeriums von 1929; Matthias Donath: Der Meißner Dom. Monument insbesondere die Novemberrevolution 1918, die 1901 bis 1906 sogar Regierungschef Sachsens. Ri- sächsischer Geschichte. Beu- Herrschaft der Nationalsozialisten, die radikalen chard Leo Graf von Könneritz (1828–1910) war cha 2002, v.a. S. 148-188. Veränderungen in der sowjetischen Besatzungszo- zugleich Präsident der Ersten Kammer des sächsi- 4 Markus Cottin: Die Leipziger ne und den nahezu vollständigen Verlust des Ver- schen Landtags und der Landessynode der Evan- Universitätskanonikate an mögens. Die Herrschaftsordnungen änderten sich gelisch-Lutherischen Landeskirche, was abermals den Domkapiteln von Mei- vollkommen, doch das Domkapitel fand einen verdeutlicht, wie eng Staat und Kirche damals mit- ßen, Merseburg und Naum- Weg, den Bedrängnissen zu entgehen. einander verwoben waren. Hinzu kamen Staatsbe- burg sowie am Kollegiatstift Zeitz im Mittelalter (1413- Bis zum 19. Jahrhundert ist die Geschichte des amte, wie Carl von Kirchbach (1847–1929), Präsi- 1542). Rechtliche, wirtschaft- Meißner Domkapitels wenigstens in Grundzügen dent der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen, liche und prosopographische in der Literatur nachvollziehbar.5 Dagegen fehlte oder Rudolf Carl Toussaint von Charpentier Aspekte. In: Detlef Döring bisher eine zusammenfassende Darstellung zur (1822–1903), Regierungsrat im Innenministeri- (Hrsg.): Universitätsgeschich- Geschichte des Domkapitels im 20. Jahrhundert.6 um, sowie adlige Rittergutsbesitzer aus verschie- te als Landesgeschichte. Die Aus Anlass des Jubiläums „1050 Jahre Hochstift denen Landesteilen Sachsens wie Bernhard Edler Universität Leipzig in ihren territorialgeschichtlichen Be- Meißen“ soll nun versucht werden, den Weg des von der Planitz (1828–1907) auf Naundorf bei zügen. Tagung der Histori- Meißner Domkapitels durch die Umbrüche des 20. Oschatz, Hans Dietrich Konrad von Trützschler schen Kommission der Säch- Jahrhunderts nachzuzeichnen. Die Darstellung Freiherr zum Falkenstein (1830–1907) auf Dorf- sischen Akademie der Wis- folgt überwiegend der Aktenüberlieferung im Ar- stadt bei Falkenstein im Vogtland oder Clemens senschaften zu Leipzig vom chiv des Hochstifts Meißen7 und im Landeskir- Graf zur Lippe (1860–1920) auf Döberkitz bei 7. bis 9. Oktober 2004. Leip- chenarchiv in Dresden. Bautzen. Die einzigen Nichtadligen neben den zig 2007, S. 279-312. Theologieprofessoren waren der um die Errich- 5 Gerhard Schmidt: Die Re- form des Hochstifts Meißen tung der Meißner Domtürme hochverdiente Ge- Das Meißner Domkapitel zu Beginn im 19. Jahrhundert. In: Franz des 20. Jahrhunderts heime Studienrat Dr. Herrmann Peter (1837– Lau (Hrsg.): Das Hochstift 1914), vormals Rektor der Fürstenschule St. Afra, Meißen. Aufsätze zur säch- Seit der Einführung der Reformation umfasst das sowie der Kultusminister und Vorsitzende des Ge- sischen Kirchengeschichte. Domkapitel acht Domherrenstellen. Wie darge- samtministeriums Dr. Heinrich Gustav Beck 1973, S. 301-322.

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(1854–1933). Letzterer wurde nach seiner Entlas- tholischen Glauben blieb, während sich das Meiß- sung aus der Regierung im Oktober 1918 in den ner Domkapitel zur Reformation bekannte.9 Den- erblichen Adelsstand erhoben. Es war die letzte noch war es dabei geblieben, dass der Kurfürst und Nobilitierung vor der Revolution und der Abdan- später der König von Sachsen in seiner Eigenschaft kung des letzten sächsischen Königs. als Stiftsherr einen Meißner Domherrn zum Bemerkenswert ist weiterhin, dass eine Mehrheit Propst von Bautzen ernannte.10 Das katholische der Mitglieder des Domkapitels der Ersten Kam- Domkapitel zu Bautzen protestierte regelmäßig mer des sächsischen Landtags angehörte – entwe- gegen die Ernennung, musste sich aber der Rechts- der, weil sie auf Lebenszeit ernannte Mitglieder lage beugen und die Installation, das heißt die waren, weil sie als Rittergutsbesitzer in die Parla- Amtseinführung des evangelischen Propstes zu mentskammer gewählt worden waren oder weil Bautzen, zulassen. Allerdings musste sich der sie das Hochstift Meißen in dieser Kammer vertra- Propst verpflichten, den Propstsitz im Kapitel ten. Denn nach der Verfassung des Königsreichs nicht einzunehmen und kein Recht des Propstes Sachsen von 1831 durfte das Hochstift Meißen ei- innerhalb des katholischen Domkapitels St. Petri nen Abgeordneten in die Erste Kammer entsenden auszuüben. Der Propst zu Bautzen hatte Anspruch – gewissermaßen als Ausgleich für die 1831 verlo- auf das Einkommen der Propstei Bautzen. Diese Domdechant Richard Leo Graf rene Eigenstaatlichkeit und den bis zu den Refor- Vermögensmasse blieb im Eigentum des Domkapi- von Könneritz, um 1900 men bestehenden Sitz in der ersten Kurie der tels zu Bautzen, doch durfte der Propst zu Bautzen © Hochstift Meißen sächsischen Ständeversammlung. Zu Beginn des die Erträge nutzen. 1871 schlossen die beiden Ka- 6 Die zur 1000-Jahrfeier des 20. Jahrhundert nahmen Rudolf Carl Touissant pitel ein Abkommen, bei dem die Verwaltung und Bistums Meißen konzipier- von Charpentier, Rudolf Hofmann, Dr. Herrmann Nutznießung der Propsteipräbende dem Domka- te und von Franz Lau heraus- Peter und Carl von Kirchbach den staatsrechtlich pitel zu Meißen übertragen wurde. Seitdem ver- gegebene Aufsatzsammlung bedeutsamen Parlamentssitz des Hochstifts Mei- waltete das Hochstift Meißen den Grundbesitz der endet mit der Geschichte des ßen wahr. Bautzener Propstei, die 31 Hektar umfassenden Domkapitels im 19. Jahrhun- Man kann sagen, dass im Domkapitel Meißen die Propsteifelder nordöstlich der Bautzener Innen- derts. Lediglich der Aufsatz von Helmar Junghans zur evangelische Elite des Königreichs Sachsen vertre- stadt, sowie die zur Präbende gehörenden Kapi- geistlichen Versorgung des ten war, einschließlich der Spitzen von Regierung talien, Wertpapiere und Hypothekenbriefe. Doms zu Meißen vom Re- und Parlament. Der König selbst war der Stiftsherr Mit dem Kollegiatkapitel St. Marien in Wurzen gab formationszeitalter bis 1949 des Hochstifts. König Friedrich August III. von es keine institutionelle Verbindung mehr, da der reicht bis ins 20. Jahrhundert Sachsen (1865–1932) besuchte den Meißner Dom Propst zu Wurzen seit Ende des 15. Jahrhunderts hinein. Zur Geschichte der am 27. Oktober 1908 zur Weihe der Glocken des nicht mehr dem Meißner Domkapitel angehören letzten 100 Jahre vgl. Dieter Meißner Doms und am 28. Oktober 1912 zur Ein- musste. Das Wurzener Kollegiatkapitel war eben- Auerbach: Domdechant Prof. 8 Dr. Karlheinz Blaschke in weihung der erneuerten Domkirche. Obwohl falls evangelisch-lutherischer Konfession und hat- Ehrerbietung und Dankbar- selbst römisch-katholischen Glaubens, nahm er je- te den gleichen Stiftsherrn, den sächsischen Kö- keit zum 75. Geburtstag. In: weils am evangelischen Gottesdienst teil. nig. Es war aber dem Rang nach dem Meißner Ecclesia Misnensis 5 (2002), Nach der Hofrangordnung des Dresdner Hofs ran- Domkapitel nachgeordnet. S. 4-13; Gerhard Steinecke: gierten die Meißner Domherren hinter den Kam- Alle Meißner Domherren erhielten Präbenden Der tausendjährige Meißner merherren, aber vor nahezu allen anderen Amts- (Pfründen) aus dem Vermögen des Domkapitels. Burgberg im Tausendjähri- trägern des Königreichs Sachsen, auch vor den Mit der Ablösung der Grunddienstbarkeiten im gen Reich. In: Monumenta Misnensia. Jahrbuch für Dom Geheimen Räten, dem Rektor der Universität Königreich Sachsen nach 1833 hatte das Domkapi- und Albrechtsburg zu Meißen Leipzig und vor den Oberbürgermeistern von tel auf sämtliche Abgaben und Fronen der Unterta- 8 (2007/2008), S. 152-168; Dresden und Leipzig. Bei offiziellen Anlässen tru- nen der Stiftsdörfer verzichten müssen.11 Aus den Gerhard Steinecke: Der Meiß- gen die Domherren den 1764 von Prinzregent Xa- bei der Ablösung gutgeschriebenen Geldbeträgen ner Burgberg im Nachkriegs- ver von Sachsen (1730–1806) gestifteten Stiftsor- wurde der Präbendenfonds gebildet, dessen Ver- zwielicht 1945 bis 1949. In: den. Die traditionelle Anrede war „Euer Hoch- mögen in Staatsanleihen und Schuldverschreibun- Monumenta Misnensia. Jahr- würden“ beziehungsweise „Hochwürden“. gen angelegt war. Die jährlichen Erträge des Prä- buch für Dom und Albrechts- burg Meißen 9 (2009/2010), Das ranghöchste Mitglied des Domkapitels war bendenfonds beliefen sich auf rund 12.000,00 S. 97-109; Dieter Auerbach: der Dompropst. Ihm folgte der Domdechant, der Mark. Die Höhe der Präbende richtete sich nach Verpflichtung und Gefähr- die Vertretung des Domkapitels nach außen wahr- dem Rang und nach der Reihenfolge des Eintritts dung. Ereignisse aus der Ge- nahm. Weitere Rangstufen waren die des Propstes in das Domkapitel. Ein neu aufgenommener Dom- schichte des Domkapitels zu Bautzen, des Seniors und des Subseniors. Der herr bezog jährlich 900,00 Mark; Dompropst, zu Meißen von den Anfän- Dompropst nahm das Kollatur- und Patronatsrecht Domdechant und Propst zu Bautzen erhielten jähr- gen bis zur friedlichen Revo- über die Kirche und Schule in Boritz wahr, der Se- lich je 2.100,00 Mark. lution 1989. In: Monumenta Misnensia. Jahrbuch für Dom nior hatte das Kollatur- und Patronatsrecht über Einnahmen geringerer Höhe erbrachten die drei und Albrechtsburg zu Meißen die Kirche und Schule in Rüsseina inne. Das be- Häuser, die das Domkapitel in der Nachbarschaft 8 (2007/2008), S. 169-184; deutete, dass diese beiden Domherren an der Aus- des Meißner Doms in Besitz hatte: die Domde- Dieter Auerbach: Zum Ge- wahl und Einsetzung der Pfarrer und Lehrer in chantei (Domplatz 5), die Dompropstei (Domp- denken an Kirchenrat Hugo den Patronatsdörfern mitwirkten. latz 7) und der Domkeller (Domplatz 9). Das Hickmann (1841-1922) und Seit Bestehen des Kollegiatkapitels St. Petri in Hochstift Meißen hatte außerdem Rechte gegen- Dompropst Hugo Hickmann Bautzen stammte der Propst dieses Kapitels aus über dem Prokuraturamt, das im 16. Jahrhundert (1877-1955). In: Monumenta Misnensia. Jahrbuch für Dom den Reihen der Meißner Domherren. Die Refor- aus Vermögensteilen des Meißner Domkapitels ge- und Albrechtsburg zu Meißen mation hatte dabei zu Verwerfungen geführt, weil bildet worden war. Das Ministerium für Kultus 12 (2015/2016), S. 117-120. das Kollegiatkapitel in Bautzen beim römisch-ka- und öffentlichen Unterricht fasste mit Verordnung

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vom 24. April 1917 insgesamt 31 Rechtstitel zu- sammen, die mit einer jährlichen Zahlung von 3.694,92 Mark an das Domkapitel abgegolten wur- den. So speiste sich die Einnahmen des Hochstifts Meißen aus Kapitalerträgen, den Einnahmen der Propstei Bautzen, der Prokuraturrente und sonsti- gen Einnahmen. Die Domherren kamen in der Regel einmal im Jahr, am Sonntag Exaudi, zu Kapitelsitzungen zu- sammen. Die wichtigsten Entscheidungen des Domkapitels in den beiden Jahrzehnten vor der Revolution waren die Zustimmung zum Bau der Meißner Domtürme und zur Neuregelung des Dompfarramts. Der Weiterbau der Westturmfront des Meißner Doms war indes kein Projekt des Domkapitels, sondern einer breiten Bürgerbewe- gung, die sich im 1895 gegründeten Meißner Dom- bauverein organisierte.12 Die Geldmittel kamen aus einer von der Regierung genehmigten Lotterie. 1912 konnte die Einweihung des vollendeten die Baumeistereikasse anzuführen. Dompropst Der Meißner Dom mit den 1908 Meißner Doms gefeiert werden. Nach dem Eintritt Johann Ernst von Knoch (1641–1705), Präsident vollendeten Domtürmen, des langjährigen und umstrittenen Dompredigers des Oberkonsistoriums in Dresden, hatte am 29. Postkarte, um 1910 Emil Körner (1855–1940)13 in den Ruhestand ei- Mai 1682 die Knoch´sche Stipendienkasse gestif- nigten sich Domkapitel und Evangelisch-Lutheri- tet. Aus den anfangs 2.000 Talern waren 1918 sches Landeskonsistorium14 auf eine Neuordnung 23.743,66 Mark geworden. Aus den Erträgen des der Pfarrstellen. Mit Verordnung des Landeskon- Kapitals wurden drei Stipendien für Studenten 7 Die Bestände im Meißner sistoriums vom 12. August 1916 wurde ein Dom- der evangelischen Theologie ausgegeben. Die Domarchiv zum 20. Jahrhun- pfarramt begründet. Die Stelle des Dompfarrers Überschüsse kamen der Baumeistereikasse zugu- dert sind noch ungeordnet. verband man im Nebenamt mit der Stelle des Su- te. Domdechant August Philipp von Mergenthal Es wurden bisher weder in- perintendenten des Kirchenbezirks Meißen. Darü- (1683–1748), der letzte seines Geschlechts, hatte haltlich eindeutige Akten ge- ber hinaus wurde beschlossen, die Stelle des Dom- testamentarisch am 18. April 1748 die Mergen- bildet noch Nummern ver- geben. Daher ist ein genauer predigers ohne besondere Vergütung einem thal´sche Stipendienkasse gestiftet, der 660 Ta- Nachweis der Einzelinforma- Geistlichen der Meißner Frauenkirche zu übertra- ler, 8 Groschen und 5 Pfennige zuflossen. 1911 tion etwa durch Aktennum- gen. Der erste Dompfarrer war der 1917 einge- betrug das Vermögen 9.735,94 Mark. Aus dem mer und Blattzahlen nicht führte Superintendent Dr. Arthur Neuberg (1866– jährlichen Ertrag wurden zwei Stipendien für möglich. 1961). Bereits seit 1916 übte Pfarrer Gottfried Studenten bezahlt. 8 Matthias Donath: Die Meiß- Schönknecht (1891–1953), Inhaber der dritten Nicht mit Stipendien verbunden war die Gers- ner Dombaufeste. In: Gün- Pfarrstelle der Frauenkirche, das Amt des Dom- dorff´sche Stiftungskasse. Sie war am 18. April ter Donath/Matthias Donath (Hrsg.): Himmelszeichen. predigers aus. 1770 durch Dechant Georg Ernst von Gersdorff 100 Jahre Meißner Domtür- Ein wichtiger Inhalt der Kapitelsitzungen war die zur Erhaltung des öffentlichen Gottesdienstes am me. Meißen 2008, S. 222- Vergabe von Stipendien an begabte und bedürftige Sonntagvormittag im Meißner Dom und zur Un- 233. Studenten, die sich beim Domkapitel um diese Sti- terhaltung der 1773 eingerichteten drei wöchentli- 9 Vgl. Johannes Heinrich Sey- pendien bewerben konnten. Das Domkapitel ver- chen Betstunden in der Domkirche gegründet und ler: Die Propstei zu St. Petri fügte über fünf Stiftungsfonds mit zum Teil langer mit 4.000 Talern ausgestattet worden. 1918 betrug in Bautzen. In: Neues Lausit- Geschichte: Die älteste Stiftung war die des Meiß- das Vermögen 13.527,98 Mark. Die Erträge flossen zisches Magazin 106 (1930), S. 80-129; Siegfried Sei- ner Domherrn und Leipziger Theologieprofessors der Baumeistereikasse zu, einem Sondervermögen fert: Beziehungen zwischen Andreas Rüdiger (gest. 1496). Sie war 1496 einge- zum Unterhalt des Doms und zur Bezahlung der dem Hochstift Meißen und richtet und mit 400 Gulden ausgestattet worden. Aufwendungen für den Gottesdienst. Auch die dem Domkapitel St. Petri in Die Erträge waren ursprünglich für Nachkommen Baumeistereikasse war früher mit Grundbesitz Bautzen. In: Uwe John/Jo- der Familien Langschneider und Schwoffheim be- und Untertanen ausgestattet gewesen.15 Aber wie sef Matzerath (Hrsg.): Lan- stimmt. Nach deren Aussterben war der Stiftungs- beim Präbendenvermögen des Domkapitels waren desgeschichte als Heraus- fonds 1824 dem Domkapitel Meißen übertragen diese Grunddienstbarkeiten abgelöst und in Kapi- forderung und Programm. Karlheinz Blaschke zum 70. worden, der aus den Erträgen ein Stipendium fi- talien umgewandelt worden. Geburtstag. Leipzig/Stutt- nanzierte. 1918 verfügte die Rüdiger´sche Stiftung Im April 1919 belief sich das Vermögen des Domka- gart 1997, S. 339-350. Sei- über 3.983,78 Mark. Die Haugwitz-Stiftung war pitels auf 3.477.656,43 Mark. Davon entfielen fert verweist auf die Quellen 1581 vom letzten Bischof von Meißen, Johann IX. 2.268.688,41 Mark auf den Präbenden- und Bau- im Domstiftsarchiv Bautzen, von Haugwitz (1524–1595), wenige Tage vor sei- meisterfonds. Die gesondert ausgewiesenen Propstei zitiert aber nicht die ältere ner Resignation errichtet worden. Die Erträge aus Bautzen hatte ein Vermögen von 123.983,00 Mark. rechtsgeschichtliche Litera- einem Kapital in Höhe von 4.000 Gulden waren Den fünf Stiftungsfonds waren insgesamt 85.045,02 tur, etwa Seyler. 10 Das Ernennungsrecht des für zwei studierende Mitglieder der Familie von Mark zugeordnet. Das Vermögen erbrachte 1918/19 Landesfürsten beruhte auf Haugwitz zu verwenden. Später erfolgte eine Um- einen Jahresertrag von 46.613,09 Mark. den päpstlichen Bullen vom widmung. Seit dem 19. Jahrhundert waren die Er- Als der Erste Weltkrieg zu Ende ging, verfügte das 9. Juli 1476 und 24. Dezem- träge je zur Hälfte an den Präbendenfonds und an Meißner Domkapitel über einen vollständig ausge- ber 1481.

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11 Vgl. Matthias Donath: Zur bauten und durchgehend restaurierten Dom. Die- damit auch nicht mehr privilegiert. Sie musste ihre Verwaltungsgeschichte der ses Baudenkmal hatte jedoch vorwiegend eine innere Ordnung neu regeln. Lommatzscher Pflege. In: symbolische Bedeutung, jedoch keine sinnstiften- Nach dem Thronverzicht Friedrich Augusts III. Sächsische Heimatblätter 64 de Nutzung. Eine Domgemeinde gab es nicht. und der Ausrufung der Republik war zu fragen, ob (2017), S. 311-318, hier Auch die Einrichtung eines Dompfarramts hatte der vormalige König Stiftsherr des Hochstifts Mei- S. 314-315 und Karte mit Eintragung der Dörfer des daran nichts ändern können. So machten sich ver- ßen geblieben war. Dompropst Georg Graf von Domkapitels: Abend, Boritz, schiedene Domherren Gedanken, wie eine Nut- Metzsch-Reichenbach, der Minister des Königli- Domselwitz, Löbtau, Lütt- zung nach Kriegsende aussehen könne. Der Leip- chen Hauses, hatte die Revolution in unmittelba- nitz, Mettelwitz, Noßwitz, ziger Theologieprofessor Albert Hauck stellte in rer Nähe des Königs miterlebt. Er gehörte auch Prositz, Rüsseina, Schirme- einem Schreiben vom 27. April 1917 die Frage, nach 1918 zum Hofstaat, den der frühere Monarch nitz, Sörnewitz, Wölkau, welche neue Aufgabe der Meißner Dom erhalten weiterhin um sich scharte. Er fragte Friedrich Au- Zschaitz und Zschannewitz. 12 Matthias Donath: Der Meiß- könne: „Die mächtige Zeit, in der wir leben, an die gust und erhielt von diesem die Aussage, dass er ner Dombauverein. In: Gün- man noch nach vielen Jahrhunderten denken wird, und die Mitglieder des Königshauses auf die stifts- ter Donath/Matthias Donath scheint mir die Antwort nach dieser Frage nahezu- herrlichen Rechte verzichteten. Das legte Metzsch- (Hrsg.): Himmelszeichen. legen: Der Meissener Dom sollte ein Denkmal Reichenbach in einer Erklärung vom 10. Mai 1921 100 Jahre Meißner Domtür- sächsischer Geschichte werden, der grossen Män- mit folgendem Wortlaut nieder: „Seine Majestät me. Meißen 2008, S. 98-141. ner, die Sachsen entstammen und die in Sachsen der König hat mir, dem unterzeichneten Dom- 13 Zu ihm Donath 2008 (wie wirkten. Er sollte das werden, was die Westmins- propst zu Meißen, zugleich für das Kollegiatstift zu Anm. 11), S. 141. 14 1933 erfolgte die Umbenen- terabtei für England, die Kirche Sa. Croce für Flo- Wurzen, schon in dem Jahre 1920 erklärt, daß nung in Landeskirchenamt. renz ist: eine von Geschlecht zu Geschlecht berei- Höchstderselbe auf die von den Kapiteln Höchstihm 15 Vgl. Donath 2017 (wie Anm. cherte Gedächtniskirche der grossen Männer des und den Mitgliedern des Hauses Wettin als ‚postu- 10), S. 315. Zur Baumeisterei Landes.“ Diese Idee ist später nicht weiter verfolgt lierten‘ Stiftsherrn übertragene Rechte verzichte gehörten Oberwartha, Zöll- worden. Der Erste Weltkrieg machte sich insofern und die stiftsherrlichen Rechte damit als den Kapi- men, Kemnitz, Saultitz, ein bemerkbar, dass der Dom 1917 zwei seiner 1908 teln heimgefallen ansehe.“ Anteil von Toppschädel und gegossenen Glocken abgeben musste. Sie wurden Von Seiten des Ministeriums für Kultus und öf- das Mühlengut Dreikutten. 16 Claus Peter: Das Geläut des ebenso wie die 1864 gegossene Glocke aus dem fentlichen Unterricht (später Ministerium für 16 Meißner Domes. In: Monu- Höckrigen Turm eingeschmolzen. Volksbildung) gab es Überlegungen, das Hochstift menta Misnensia 10 (2011/ Meißen und das Kollegiatstift Wurzen aufzulösen 2012), S. 6-30, hier S. 12. Die Novemberrevolution 1918 und das Vermögen der Staatskasse zu übertragen. 17 Das Gutachten wurde ge- und ihre Folgen Das gründete sich auf die Rechtsauffassung, dass druckt, vgl. Alfred Schultze: mit dem Ende der Monarchie die Rechte des Stifts- Die Rechtslage der evange- Die konservativen und königstreuen Mitglieder herrn auf das Volk übergangen seien. Wenn die lischen Stifter Meißen und Wurzen. Zugleich ein Bei- konnten nicht verstehen, warum die hergebrachte Staatsgewalt vom Volk ausgehe, dann sei die vom trag zur Reformationsge- Herrschaftsordnung durch die Revolution 1918 Volk eingesetzte Regierung berechtigt, die Vermö- schichte. Leipzig 1922. gestürzt wurde. Sie waren entsetzt, das Ende der genswerte zugunsten des Staates einzuziehen. Um 18 Heinrich Magirius: Die So- Monarchie, die Einführung der Republik und die die Rechtslage zu prüfen, beauftragte das Ministe- phienkirche in Dresden. Trennung von Staat und Kirche miterleben zu rium am 8. Oktober 1920 die Juristische Fakultät Eine neugotische Kathedra- müssen. Die Evangelisch-Lutherische Landeskir- der Universität Leipzig mit der Erstellung eines le des lutherischen Sachsen? che Sachsens war nicht mehr die Staatskirche und Gutachtens. Die Bearbeitung übernahm Prof. Dr. In: Monumenta Misnensia. Baumeister der Gotik und Alfred Schultze (1864–1946), der später – auch als der Neugotik. Festschrift Dank für seine Verdienste um den Erhalt des für Günter Donath. Meißen Hochstifts Meißen – in das Domkapitel aufgenom- 2016, S. 82-106. men wurde. In dem ausführlichen Gutachten vom 3. Dezember 192117 argumentierte er, dass die stiftsherrlichen Rechte des Landesfürsten nie Be- standteil der Staatsgewalt gewesen waren und auch nie dem Staatsoberhaupt als solchem zustan- den. Vielmehr habe die Kirche diese Rechte durch Verträge – erst durch die Schutzverträge der Bi- schöfe von Meißen, später durch die Kapitulation von 1581 und die Perpetuierliche Kapitulation von 1663 – dem Landesfürsten eingeräumt. Mit dem Ende der Monarchie sei die Stellung des Stifts- herrn weggefallen, ohne dass es dazu einer Erklä- rung oder eines Verzichts des früheren Stiftsherrn bedurfte. Die Rechte seien damit an das Mutterge- meinwesen des Hochstifts Meißen, das evange- lisch-lutherische Kirchenwesen, zurückgefallen. Das Domkapitel habe daher das Recht, einen neu- Erklärung des Dompropstes Georg en Stiftsherrn zu ernennen und seine inneren An- Graf von Metzsch-Reichenbach zum gelegenheiten ohne Beteiligung des Staates selbst Verzicht Friedrich Augusts III. auf zu regeln. Diese Argumentation überzeugte die seine Rechte als Stiftsherr Verantwortlichen in der sächsischen Regierung.

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 422 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

Am 9. Januar 1923 teilte das Kultusministerium April 1924 zwischen dem Domkapitel des Hoch- mit, dass es den evangelischen Stiftern Meißen stifts Meißen und der „einstweiligen Führung des und Wurzen die Neuordnung ihrer inneren Ange- Kirchenregiments“ geschlossen wurde. Dr. Franz legenheiten selbst überlasse. Böhme (1856–1932), der Präsident des Landes- Dieses Ergebnis führte dazu, dass das Domkapitel konsistoriums, vertrat die Kirchenleitung und und die Landeskirche in Verhandlungen über eine Domdechant Dr. Heinrich Gustav von Beck das Neuregelung ihrer Beziehungen eintraten. Diese Domkapitel. Das Kirchenregimente erkannte an, hatte nach dem Ende des landesherrlichen Kir- dass das Domkapitel eine „kirchliche Körperschaft chenregiments eine neue Verfassung erhalten. öffentlichen Rechts in der sächsischen Landeskir- 1922 war der Meißner Domherr Dr. Ludwig Ih- che“ sei. Die Landeskirche werde den Schutz des mels zum ersten Landesbischof der Evangelisch- Hochstifts ausüben und versprach die „tunlichste Lutherischen Landeskirche Sachsens gewählt wor- Förderung seiner stiftungsmäßigen Interessen“. den. Die Landeskirche hatte sich aber nicht Diesem Abkommen folgend, beschloss das Dom- entschlossen, den Meißner Dom zu ihrer Bischofs- kapitel am 12. Oktober 1924 eine neue Verfassung kirche zu machen. Vielmehr wurde die Sophien- des Hochstifts Meißen. Der Inhalt des Abkommen kirche, die frühere evangelische Hofkirche, die wurde mit Kirchengesetz vom 4. November 1924 Hauptkirche des Bischofs.18 genehmigt. In Meißen wurde mit großer Sorge betrachtet, Die Verfassung ersetzte den Reformvertrag vom Buchtitel des Gutachtens von dass Papst Benedikt XV. (1854–1922) am 4. Juni 15. Dezember 1859/25. Februar 1860 und alle äl- Alfred Schultze zur Rechtslage der Stifter Meißen und Wurzen, 1922 1921 die Apostolische Präfektur Meißen zum neu- teren Verträge und Ordnungen. Sie definierte das © SLUB Dresden en Bistum Meißen erhoben hatte. Der Sitz blieb in Hochstift Meißen als „evangelisch-lutherisches Bautzen, das Domkapitel St. Petri in Bautzen wur- Stift der sächsischen evangelisch-lutherischen de zum Domkapitel des neuen Bistums erhoben. Landeskirche“ und als „kirchliche Körperschaft Damit gab es wieder eine katholische Kirchenor- des öffentlichen Rechts“ in der Landeskirche, die ganisation in Sachsen und mit dem am 18. Septem- wiederum selbst eine eigene Körperschaft des öf- ber 1921 eingeführten Christian Schreiber (1872– fentlichen Rechts darstellte. Somit war das Hoch- 1933) auch einen Bischof von Meißen. Nach außen stift Meißen einerseits eine Einrichtung neben der wurde diese Neugründung einer katholischen Diö- Landeskirche, andererseits eine Einrichtung in der zese als „Wiedergründung des Bistums Meißen“ Landeskirche. Die gesetzliche Vertretung und Ver- dargestellt. Der Anspruch, das alte Bistum Meißen waltung des Hochstifts war Aufgabe des Domkapi- fortzusetzen, und die Verwendung des Namens tels. Die Frage der Stiftsherrschaft wurde wie folgt „Meißen“ lösten die Besorgnis aus, die katholische geregelt: „Die Wahl des Stiftsherrn steht dem Kirche wolle den Dom zu Meißen in Besitz neh- Domkapitel frei. Bis auf weiteres wird die Stifts- men und zum Bischofssitz machen. Insbesondere herrschaft dem jeweiligen Landesbischof der der Meißner Superintendent Dr. Arthur Neuberg evangelisch-lutherischen Landeskirche für die schürte diese Angst. In einem wohl von ihm lan- Dauer seines Amtes übertragen.“ Damit wurde cierten Artikel im „Meißner Tageblatt“ vom Landesbischof Dr. Ludwig Ihmels 1924 der erste 11. August 1921 heißt es: „Die evangelischen Krei- nichtfürstliche Stiftsherr des Hochstifts Meißen. se Sachsens glauben daher mit der Möglichkeit Die acht Stellen im Domkapitel und die bisher üb- rechnen zu müssen, daß von Rom aus systema- lichen Rangstufen blieben erhalten, die Bedingun- Verfassung und Ordnungen des tisch angelegte Versuche zur ,Wiedereroberung gen an eine Aufnahme etwas modifiziert: „Die Hochstifts Meißen, 1937 des verlorengegangenen Sachsenlandes' unter- Verleihung von Kapitelstellen erfolgt nur an her- © Hochstift Meißen nommen werden, daß man Bautzen sagt und Mei- ßen meint. Das heißt, daß man sich in katholi- schen Kreisen mit dem Gedanken befaßt, den wundervollen Meißner Dom und die angrenzen- den Wohngebäude zu einem repräsentativen Bi- schofssitz zu machen.“ Durch die Inflation verlor das Meißner Domkapi- tel nahezu sein gesamtes Vermögen, das mit Aus- nahme der drei Häuser am Meißner Domplatz und der Ländereien der Bautzener Propstei nur aus Kapitalien und Wertpapieren bestanden hatte. Durch die Abwertung der Mark waren die Wertpa- piere und Schuldverschreibungen praktisch wert- los. Es konnten keine Präbenden mehr gezahlt und keine Stipendien mehr ausgegeben werden.

Die Verfassung des Hochstifts Meißen von 1924

Die Neuordnung der inneren und äußeren Ord- nung erfolgte mit einem Abkommen, das am 30.

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 423 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

19 Seifert 1997 (wie Anm. 9), vorragende, um die Landeskirche verdiente Mit- nach dem Ende der Monarchie an die evangelische S. 348. glieder derselben. Außerdem sind Erfordernisse Kirche zurückgefallen und nun einem neuen Stifts- 20 Seyler (wie Anm. 9), S. 110- für die Zugehörigkeit zum Domkapitel sächsische herrn übertragen worden seien. Zum anderen kön- 113. Staatsangehörigkeit, die Erfüllung des 30. Lebens- ne das Ernennungsrecht als dem Staat zugehörig jahres und in der Regel ein durch eine Prüfung ab- betrachtet werden. Dann sei es bei der Trennung geschlossenes akademisches Studium.“ Der Wahl- von Kirche und Staat dem Hochstift Meißen über- vorgang sollte wie bisher erfolgen, indem das tragen worden. Schelcher kam zu dem Schluss: Domkapitel dem Stiftsherrn drei Namen vorschlug „Die Einrichtung und der Bestand der Dom- und der Stiftsherr einen davon zum Domherrn er- propsteistelle zu Bautzen an sich ist Angelegenheit nannte. Der Propst, der Dechant, der Propst zu des katholischen Domstifts S. Petri zu Bautzen, Bautzen und die übrigen Kapitelämter waren vom also der katholischen Kirche, ihre Besetzung aber Kapitel aus den Reihen der Domherren zu wählen. aus der Mitte der Meissner Domherren eine Ange- Hier ergab sich insofern eine Änderung, weil der legenheit des Hochstiftes Meißen und damit der Propst zu Bautzen bisher ohne Wahl durch das ev. luth. Kirche.“ 1930 nahm der Referendar Jo- Domkapitel vom Stiftsherrn ernannt worden war. hannes Heinrich Seyler nochmals eine juristische Die Mitglieder des Domkapitels erhielten weiter- Bewertung vor. Er legte dar, dass das Propstamt ge- hin Präbenden aus dem Präbendenfonds. Als Auf- mäß dem Westfälischen Frieden und dem sächsi- gaben des Hochstifts und Domkapitels definierte schen Katholikenmandat von 1807 zu den Benefi- die Verfassung „die Unterhaltung des Domes und zien der evangelischen-lutherischen Landeskirche der dem Hochstifte gehörigen Gebäude, die Für- gehöre. Daran habe auch die Reichsverfassung sorge für den evangelisch-lutherischen Gottes- nichts geändert. Diese schütze sogar dieses Recht dienst im Dome, die Verwaltung der ihm unter- der Landeskirche auf die Propstei. Das Ernen- stellten Stipendien und die Ausübung seiner nungs- und Besetzungsrecht sei durch das Abkom- Patronats- und Kollaturrechte“. men von 1924 auf den Landesbischof auf Stifts- Das Ministerium für Volksbildung bestätigte am herrn übergegangen, der es jedoch dem Domkapitel 19. Januar 1925 den Empfang der Verfassung des abgetreten habe.20 Infolge dieser juristischen Be- Hochstifts Meißen vom 12. Oktober 1924. Indem wertungen blieben die Vermögenswerte der Props- es keinen Widerspruch äußerte und auch keine tei Bautzen in den Händen des Meißner Dom- Zustimmung des Staates einforderte, war hinsicht- kapitels. lich des Hochstifts Meißen die Trennung von Staat Als 1927 das Meißner Domkapitel die Wahl des und Kirche vollzogen. Domherrn Carl von Kirchbach zum Bautzener Nur eine Institution meldete Protest an. Das ka- Dompropst anzeigte, antwortete das Domkapitel tholische Domstift St. Petri in Bautzen erhob beim St. Petri, dass es die Wahl nach den Vorschriften Landeskonsistorium Einspruch gegen das Kir- des kirchlichen Gesetzbuchs nicht anerkenne. chengesetz. Dieser bezog sich auf die Regelung, Auch verweigerte es die Installation, wie sie zu- dass das Meißner Domkapitel die Bautzener letzt 1914 nach der Ernennung des Bautzener Propsteistelle besetzen dürfe, was bislang eine Propstes Dr. Rudolf von Oppen vorgenommen Aufgabe des Landesfürsten als Stiftsherrn gewesen worden war. Das Landeskonsistorium wiederum war. Die katholische Seite argumentierte, dass teilte dem Domkapitel St. Petri mit, dass es der An- nach dem Artikel 137 der Weimarer Reichsverfas- erkennung der Wahl seitens des Bautzener Kapi- sung jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenhei- tels überhaupt nicht bedürfe, worauf die katholi- ten selbständig ordnen und verwalten dürfe. Au- sche Seite wiederum protestierte. Beide Seiten ßerdem sei mit der Erhebung des Kollegiatkapitels blieben bei ihrer Rechtsauffassung. zum Kathedralkapitel des wiedererrichteten Bis- tums Meißen eine neue Rechtslage eingetreten. Domkapitel, Domverwaltung und Das Bautzener Domkapitel widerrief daher das Domgottesdienst zwischen 1924 und 1945 Abkommen von 1871, entzog dem Meißner Dom- kapitel die Verwaltung der Propstei Bautzen und Die Verfassung vom 12. Oktober 1924 und die Ein- forderte die überlassenen Vermögenswerte zu- führung des Landesbischofs Ihmels zum Stifts- rück.19 Gegen die Verpachtung der Propsteifelder herrn ermöglichten es, freigewordene Kapitelstel- konnte das Bautzener Domkapitel indes nicht vor- len wieder zu besetzen. Die früheren Minister und gehen, weil die Verträge direkt zwischen dem Spitzenbeamten des Königreichs Sachsen schieden Hochstift Meißen als dem im Grundbuch eingetra- durch Tod aus dem Kapitel aus: 1927 Georg Graf genen Inhaber des Nießbrauchsrechts und den von Metzsch-Reichenbach, 1929 Carl von Kirch- Pächtern geschlossen worden waren. bach, 1933 Dr. Heinrich Gustav von Beck. Es rück- Um dem Einspruch zu begegnen, holte das Dom- ten aber überwiegend nichtadlige Personen nach: kapitel ein juristisches Gutachten des ehemaligen Ministerialdirektor Dr. Georg Schmaltz, ein frühe- Dresdner Ministerialdirektors Dr. Walter Schel- rer Mitarbeiter des Ministers Dr. Beck, Prof. Dr. cher ein. Dieser zeigte am 10. Februar 1925 zwei Alfred Schultze, Jurist an der Universität Leipzig, Wege auf, wie das fortbestehende Recht des Hoch- Otto Hartlich, der Rektor der Landesschule stifts Meißen an der Bautzener Propstei zu begrün- St. Afra, und Gymnasialprofessor Prof. Dr. Hugo den sei. Zum einen könne man nach Alfred Schult- Hickmann, Vizepräsident der Synode der sächsi- ze argumentieren, dass die stiftsherrlichen Rechte schen Landeskirche und Abgeordneter der natio-

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 424 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

nalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) im geben. 1/12 fiel dem Präbendenfonds, 4/12 der sächsischen Landtag. Die Domherrenstellen der Baumeistereikasse zu und 4/12 waren als Rück- Theologischen Fakultät der Universität Leipzig lage anzusparen. Nach dieser Neuordnung konn- nahmen Prof. Dr. Karl Otto Frenzel (1865–1934), ten 1939 erstmals wieder zwei Stipendien verge- Prof. Dr. Hans Haas (1868–1934), Prof. Dr. Frantz ben werden. Seit 1942 vergab das Domkapitel Rendtorff (1860–1937), Prof. Dr. Albrecht Alt keine Stipendien mehr, und aufgrund des weite- (1883–1956) und Prof. Dr. Johannes Leipoldt ren Vermögensverlustes konnte diese traditionel- (1880–1965) ein. Die einzigen Adligen, die in der le Aufgabe auch nach dem Krieg nicht wiederbe- Zwischenkriegszeit in das Domkapitel eintraten, lebt werden. waren 1926 Dr. Alfred Freiherr von Welck (1866– Aus der Baumeistereikasse waren die Erhaltung 1963), ein Mann mit großer Verwaltungserfah- des Doms, aber auch der gesamte Verwaltungsauf- rung, vor 1929 Woldemar Graf Vitzthum von Eck- wand zu begleichen. Seit Ende des 19. Jahrhun- städt (1863–1936), der Präsident der Landes- derts war der Direktor des Amtsgerichts Meißen synode, und 1929 Dr. Benno von Heynitz (1887– im Nebenamt zugleich Syndikus des Hochstifts 1979), der Besitzer des Ritterguts Heynitz bei Meißen. Die täglichen Verwaltungsaufgaben nahm Meißen. Diesem Wandel folgend, wurde Georg ein Beamter des Amtsgerichts ebenfalls im Neben- Schmaltz als erster Nichtadliger in ein höheres amt wahr. Nach mehreren Vertretungen wurde der Domdechant Benno von Heynitz, Kapitelamt gewählt. Er war von 1928 bis 1933 De- 1923 nach Meißen versetzte Amtsgerichtsdirektor vor 1945 chant und von 1933 bis 1940 Propst. Nach seinem Dr. Müller zum Stiftssyndikus berufen. Dieser war © Hochstift Meißen Tod war die Spitze des Domkapitels allerdings Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokrati- wieder in adliger Hand: Dr. Alfred Freiherr von schen Partei (DDP), weshalb er 1933 von den Na- Welck war seit 1933 Domdechant und seit 1941 tionalsozialisten abgesetzt wurde. Dafür kam Dompropst. Ihm folgte Dr. Benno von Heynitz als Oberlandesgerichtsrat Gottfried von Hopffgarten Domdechant nach. (1877–1945) nach Meißen, der als Direktor des Das Domkapitel traf sich oft mehrmals im Jahr, um Amtsgerichts zugleich zum Stiftssyndikus berufen Beschlüsse zu fassen, nicht nur in Meißen, son- wurde. Er bezog die Dienstwohnung des Syndikus dern auch in Dresden. Der wichtigste Kapiteltag im Haus Domplatz 5 und erhielt eine jährliche fand, wie früher schon, am Sonntag Exaudi in Mei- Vergütung von 890,00 Reichsmark. Hopffgarten ßen statt. Er wurde mit einem Festmahl beendet, war von 1923 bis 1939 Mitglied der Synode der zu dem auch Dompfarrer, Domprediger, Domkan- sächsischen Landeskirche gewesen. Als Stiftsse- tor, Dombaumeister, Stiftssyndikus und Stifts- kretär führte über viele Jahre der Justizamtssekre- sekretär geladen waren. tär und spätere Justizrentmeister Alfred Vetterling Das Kapitalvermögen des Domkapitels erhöhte (gest. 1946) die laufenden Verwaltungsgeschäfte. sich durch Aufwertung wertlos gewordener Wert- Infolge der Inflation war das Vermögen der Bau- papiere und Schuldverschreibungen. Dieser Pro- meistereikasse stark zusammengeschmolzen. Die zess der Umwandlung alter in neuer Wertpapiere wichtigste Einnahme waren die Führungsgelder, dauerte mehrere Jahre. Der Präbendenfonds er- denn nach dem Ersten Weltkrieg und der Nach- hielt etwa die Hälfte seines Vorkriegsvermögens kriegswirren hatte sich der Meißner Dom zu ei- zurück. Bereits 1930 erbrachte er wieder einen nem beliebten touristischen Anziehungspunkt Jahresertrag von 8.469,89 Reichsmark. Gemäß der entwickelt. Wer den Meißner Dom besuchen woll- Verfassung von 1924 wurde dieser Ertrag in elf te, musste sich einer Domführung anschließen. Anteile geteilt, die sogenannten Kopfteile. Die ein- Das Führungsgeschäft oblag dem Domküster. Er fachen Domherren erhielten ein Kopfteil, die Prä- erhielt monatlich 246,06 Reichsmark und 20 Pro- laten (Dompropst, Domdechant, Propst zu Baut- zent der Führungsgelder, musste davon aber zen) zwei Kopfteile. 1930 betrug ein Kopfteil die Hilfskräfte bezahlen, die ihn bei den Führun- 704,30 Reichsmark, 1932 stieg dieser Betrag auf gen unterstützte. 1933 hatte Domküster Julius 769,99 Reichsmark. Die Auszahlung der Prokura- Schubert drei Hilfskräfte angestellt. Nach Abzug turrente wurde nach der Revolution vom Volksbil- des Küsteranteils fielen der Baumeistereikasse dungsministerium zunächst verweigert. Nach Ein- 9.287,07 Reichsmark zu. Nach Abzug der Verwal- spruch und Hinweis auf die Rechtslage bot das tungskosten blieb nur wenig Geld für die Erhal- Ministerium an, ab 1929 jährlich 2.000 Reichs- tung und Heizung des Doms übrig. Daher bezog mark in zwei Raten zu bezahlen. Ab der zweiten das Hochstift Meißen vom Landeskonsistorium Jahreshälfte 1940 verweigerte das Ministerium je- eine Heizungsbeihilfe in Höhe von 2.000,00, spä- doch die Zahlung. Sie wurde 1950 wieder aufge- ter 3.000,00 Reichsmark. nommen, dann aber endgültig eingestellt. Im Meißner Dom wurde jeden Sonntag Gottes- Die Stiftungen profitierten ebenfalls von der Auf- dienst gefeiert. Die Regelung von 1916 über das wertung, doch waren die verbliebenen Vermögen Dompfarramt blieb bestehen. Der erste Dompfar- zu gering, um erneut Stipendien ausgeben zu kön- rer, Superintendent Dr. Arthur Neuberg, trat 1932 nen. Daher wurde 1938 der Vereinigte Stiftungs- in den Ruhestand. Sein Nachfolger wurde Herbert stock der Gersdorff-, Haugwitz-, Knoch-, Mer- Böhme (1879–1971). Der Dompfarrer hatte ge- genthal- und Rüdigerstiftung des Hochstifts Meißen mäß Beschluss des Landeskonsistoriums vom 26. gebildet. Die Erträge der zusammengelegten Ein- April 1924 in der Regel einmal monatlich zu predi- zelvermögen waren zu 3/12 für Stipendien auszu- gen. Dafür erhielt er aus landeskirchlichen Mitteln

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 425 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

Einholung der neu ge- gossenen Johannesglocke am 20. September 1929 auf dem Meißner Domplatz © Hochstift Meißen

eine jährliche Sondervergütung von 300,00 Reichs- beraten, „welche Mittel und Wege sich finden las- mark. Die anderen Gottesdienste oblagen dem sen, um der Gefährdung der Erhaltung des Do- Domprediger, einem Pfarrer der Frauenkirche. mes und des Domgottesdienstes rechtzeitig zu Das waren von 1925 bis 1934 Max Karl Schröder begegnen“.24 Da das Domkapitel nicht mehr in (1871–1945) und 1935 bis 1947 Walter Pangritz der Lage war, die „bauliche Unterhaltung des Do- (1888–1974). Die jährliche Sondervergütung des mes und der übrigen dem Domstift gehörenden Dompredigers betrug 600,00 Reichsmark und kam Gebäude aus Stiftsmitteln zu bestreiten“, be- ebenfalls aus Mitteln der Landeskirche.21 schloss man die Gründung eines Dombauvereins. Für die öffentliche Wahrnehmung des Meißner Die Gründungsversammlung fand am 17. Novem- Doms war die Jahrtausendfeier Meißens im Jahr ber 1922 im Meißner Ratssitzungssaal statt. Doch 1929 von großer Bedeutung. Zu diesem Anlass er- dem Verein, der am 11. Mai 1923 schon 149 Mit- hielt der Dom ein neues Geläut, das die im Ersten glieder hatte, war kein Erfolg beschieden. Die Weltkrieg eingeschmolzenen Glocken ersetzte.22 Mitgliedsbeiträge wurden von der Inflation ge- Der Porzellankünstler Emil Paul Börner (1888– fressen und das Interesse erlosch. So wurde der 1970) verzierte die Glocken mit aufwendigen Re- Verein, der seit 1924 nur noch auf dem Papier be- liefs. So erhielt der Meißner Dom mit der Johan- stand, am 24. Mai 1932 aufgelöst, wobei der Kas- nesglocke die figurenreichste Glocke der Welt. senbestand von 42,11 Mark dem Hochstift zufiel. Außerdem gab das Domkapitel eine eigene Fest- 1934 wurde ein neuer Versuch der Vereinsgrün- schrift zum Jubiläum heraus.23 dung gewagt. Im Aufruf zur Gründung des Meiß- Die Frage nach der sinnvollen Nutzung des Domes ner Dombauvereins heißt es: „Der Dom steht al- und nach einer Domgemeinde war nie zufrieden- lein. Es fehlt ihm der engere Zusammenhang mit stellend beantwortet worden. 1921 schlug ein Bei- dem kirchlichen und staatlichen Leben in Sach- trag im „Meißner Tageblatt“ vor, am Meißner Dom sen. Da er Stiftskirche ist und nicht Parochialkir- ein Predigerseminar der sächsischen Landeskirche che, kann er sich nicht auf eine Gemeinde stüt- einzurichten, doch wurde dieser Vorschlag von zen, die ihn mit innerer Anteilnahme und der Kirchenleitung nicht weiter verfolgt. Desglei- äusserer Hilfe trägt.“ Domherr von Welck rief chen blieb der 1945 von Superintendent Herbert dazu auf, einen Verein zu gründen, der die fehlen- Böhme geäußerte Vorschlag, in Meißen ein Kandi- de Gemeinde ersetzt. Das Vorhaben scheiterte an daten- oder Katechetenstift, also eine Ausbil- zu geringer Beteiligung. dungsstätte für Pfarrer oder Religionslehrer einzu- Anfang der 1930er Jahre erhielt der Meißner Dom richten, ohne Folgen. wieder einen Dombaumeister.25 In dieses Amt Nach dem Ersten Weltkrieg wurden zwei Versu- wurde der Dresdner Regierungsbaurat Hermann che unternommen, durch Gründung eines Dom- von Glaßer (1882–1939) berufen, der nebenbe- bauvereins dem Dom eine eigene Gemeinde zu ge- ruflich den Dom betreute. 1942 folgte ihm der Ar- ben. Der erste Dombauverein, der die Westturm- chitekt Dr.-Ing. Hubert Ermisch (1883–1951) anlage errichtet hatte, war 1918 voreilig aufgelöst nach, der sich bei der Restaurierung des Zwingers worden. Am 20. September 1920 lud Studienrat und des Japanischen Palais in Dresden einen Na- Dr. Georg Fraustadt (1886–1968) von der Landes- men gemacht hatte. Er betreute auch die benach- schule St. Afra zu einer Versammlung ein, um zu barte Albrechtsburg.

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 426 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

Das Domkapitel und der Nationalsozialismus Die „Machtergreifung“ wirkte sich sogleich auch 21 Landeskirchenarchiv Dres- auf das Hochstift Meißen aus. Der arbeitslose Jus- den, Bestand 135, Nr. 6. Die Mitglieder des Domkapitels in den 1930er Jah- tizpraktikant Fritz Muntschick, der 1932 wegen ei- 22 Peter 2011/2012 (wie Anm. 16), S. 12-17. ren waren gestandene Männer mit konservativen ner Verfehlung seine Stelle beim Amtsgericht Mei- 23 Der Dom zu Meißen. Fest- oder liberalen Überzeugungen. Im Königreich ßen verloren hatte, richtete am 5. und 12. Mai schrift des Hochstifts Mei- Sachsen groß geworden, standen sie revolutionä- 1933 „als Kirchensteuer zahlender und überzeug- ßen 1929. Dresden 1929. ren Neuerungen skeptisch gegenüber, erst recht, ter Christ sowie als Nationalsozialist“ Eingaben an 24 Günter Donath: Das Rin- wenn sich diese Neuerungen auf die evangelische das Landeskonsistorium, in denen er dem Domka- gen um die Erhaltung der Kirche auswirken sollten. Diese konservative Posi- pitel Verschwendung vorwarf. Stiftssyndikus und Meißner Domtürme. In: Gün- tion schützte sie vor dem Nationalsozialismus. Mit Stiftssekretär seien „Doppelverdiener“, der Dom- ter Donath/Matthias Donath (Hrsg.): Himmelszeichen. dem kam der Meißner Dom erstmals am 13. Au- küster erhalte eine zu hohe Vergütung und das 100 Jahre Meißner Dom- gust 1931 in Berührung, als die Ortsgruppe Mei- Domkapitel verprasse das Stiftungsvermögen, türme. Meißen 2008, S. 250- ßen der NSDAP beantragte, im Meißner Dom in- etwa beim Festmahl am Konventstag. Zudem er- 265, hier S. 252. nerhalb des Gottesdienstes eine Totengedenkfeier stattete Muntschick Anzeige bei der Staatsanwalt- 25 Donath 2008 (wie Anm. 8), abzuhalten. Das lehnte das Domkapitel mit Schrei- schaft Dresden. Domdechant Welck antwortete S. 252-253. ben vom 24. August 1931 ab: „Das Domkapitel be- dem Landeskonsistoriums, der Denunziant hande- 26 Dazu Steinecke 2007/2008 grüßt es jederzeit mit Freude, wenn auf Grund le aus „Rach- und Skandalsucht“. Am 26. Juli 1933 (wie Anm. 6), S. 153. ernster christlicher Gesinnung für eine Feier und verfügte Pfarrer Friedrich Coch (1887–1945) im insbesondere eine Totengedenkfeier die Weihe im Namen des Landeskonsistoriums: „1. Ich stelle Gotteshaus begehrt wird; doch kann einer solchen dem Domstift anheim, in Zukunft das Konvents- Silvestergottesdienst im Meißner Feier nicht […] der sonntägliche Hauptgottes- mahl zu unterlassen. Bei der heute überaus großen Dom, undatiert, möglicherweise dienst eingeräumt werden, der nach landeskirchli- Notlage breiter Bevölkerungskreise dürfte es nicht 1929 zu 1000-Jahrfeier Meißens cher Vorschrift und Sitte vielmehr der ganzen mehr verstanden werden. 2. Ferner gebe ich an- © SLUB Dresden, Deutsche Foto- evangelischen Gemeinde vorbehalten ist.“ Obwohl heim, ob die Herren Mitglieder des Domstiftes thek, Foto: Johannes Müller das Domkapitel an der „ernsten christlichen Ge- sinnung“ der NSDAP-Ortsgruppe zweifelte, er- laubte es einen Sondergottesdienst zum Gedächt- nis der Gefallenen des Weltkriegs. Dieser fand am 15. November 1931 statt. Domprediger und Super- intendent Dr. Arthur Neuberg hielt vor rund 200 uniformierten Nationalsozialisten eine Predigt, in der er sich dazu verstieg, Gewalt im politischen Kampf zu rechtfertigen. Offenbar in Anspielung auf den Tod des 21-jährigen Sozialdemokraten und Reichsbanner-Angehörigen Arno Wolf, der am 3. November 1931 von SA-Männern ermordet worden war, sagte Neuberg: „Und wenn im schwe- ren Kampf der Gegenwart in der Notwehr auch einmal gegnerisches Blut fließt, so das schmerz- lich und tief zu beklagen, und ihr beklagt es gewiß selbst. Aber vor allen Dingen geht ihr selbst mit Todesmut euren schweren Weg, das weiß jeder aufrichtige und verständige Mann. Darum, wenn ihr ein gutes Gewissen habt, so behüte euch Gott. Wer ein gutes Gewissen hat, kann getrost den schwersten Weg gehen.“26 Zwei Tage später be- richtete ein namentlich nicht genannter Teilneh- mer dem Dechanten Dr. Schmaltz: „Der Kirchgang der Nationalsozialistin ist friedlich verlaufen. Auf dem Domplatze hielten sich nur Kirchgänger auf. In der Meissner Volkszeitung erschien bisher nur ,Gedanken zum Nazikirchgang', dagegen brachte das Meissener Tageblatt einen ausführlichen Be- richt über die Predigt. Nach meinem politischen Geschmack hätte die Predigt etwas weniger poli- tisch sein können, dann wäre wohl auch nicht so eingehend über sie berichtet worden. Ich befürch- te, dass die Volkszeitung die Gelegenheit zu einem Angriffe auf die Kirche und vielleicht auch auf das Hochstift benutzen wird.“ Infolge dieser Predigt, die das Domkapitel im Nachhinein missbilligte, wurden weitere Sondergottesdienste dieser Art abgelehnt.

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 427 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

Gottesdienst im Meißner Dom, nicht freiwillig auf ihre Anteile aus dem Präben- wohl zum Heldengedenktag 1934 denfonds verzichten könnten, damit das Domstift © Archiv Gerhard Steinecke, ohne Beihilfe des Landeskonsistoriums getragen Meißen werden kann.“ Damit war klar, dass Coch das Domkapitel als eine überkommene Einrichtung betrachtete. Eben diesem Friedrich Coch hatte der Innenminis- ter Dr. Karl Fritsch am 1. Juli 1933 nach dem Tod des ersten Landesbischofs Dr. Ihmels alle Voll- machten und Rechte der Kirchenleitung übertra- gen. Am 11. August wurde Coch, der schon 1931 Mitglied der NSDAP geworden war, von der „brau- nen Synode“ in Dresden zum Landesbischof ge- wählt.27 Am 27. September 1933 beschloss das Ka- pitel, gemäß der Verfassung dem neuen Landes- bischof das Amt des Stiftsherrn anzutragen. Der Gottesdienst zu seiner Einführung sollte am 19. November 1933 stattfinden und aus Anlass von Martin Luthers 350. Geburtstag als Lutherfeier ge- staltet sein. Bei einer Besprechung im Landeskir- chenamt hatte Coch am 20. Oktober seiner Ver- pflichtung als Stiftsherr zugestimmt. Wie es weiter ging, berichtete Domdechant Welck zum Jahres- ende 1933: „Am 16.11. – 3 Tage vor der geplanten Lutherfeier – wurde uns im Auftrag des Landesbi- schofs mitgeteilt, dass er sich bis zu einer grund- sätzlichen Klärung der Kapitelfrage jeder officiel- Als im Juni 1935 bekannt wurde, die Deutschen len und inofficiellen Beteiligung am Kapitel Christen wollten Reichsbischof Ludwig Müller fernhalten möchte“. Später hielt er fest: „Die uns in (1883–1945), einer der führenden Köpfe ihrer Be- Aussicht gestellte Begründung ist er uns schuldig wegung, zu einem Besuch im Meißner Dom bewe- geblieben. Der Beschluß, ihm die Stiftsherrschaft gen, schrieb Domdechant von Welck an die Kapi- anzutragen, hat damit seine tatsächliche Erledi- telsmitglieder: „Ein Domgottesdienst mit dem gung gefunden.“ Damit entfiel Cochs Einführung, Reichsbischof als Festprediger und mit Begrüßung und dem Meißner Dom blieb eine Vereinnahmung desselben durch den Landesbischof nebst übli- durch die Deutschen Christen erspart. Doch zu- chem Gepränge (Spalierbildung auf dem Domp- gleich geriet das Hochstift in eine Verfassungskri- latz durch S. A. und Hitler-Jugend, Domgeläut, Be- se, da ohne einen Stiftsherrn keine neuen Dom- grüßung am Portal durch die Domgeistlichkeit) ist herren ernannt werden konnten. mit dem Kapitel ebenso undenkbar wie ohne das- Die Glaubensbewegung „Deutschen Christen“, zu selbe. Soll das Kapitel, mit dem der Landesbischof der Friedrich Coch gehörte, strebte ein „arisches erklärt hat, jede offizielle und inoffizielle Berüh- Christentum“ und eine Einführung des Führer- rung vermeiden zu wollen, ihn und den Reichsbi- und Rassegedankens in der evangelischen Kirche schof begrüßen oder ohne Begrüßung es über sich an. Gegen die nationalsozialistische Vereinnah- ergehen lassen, wie die deutschen Christen tat- mung der Kirche und die Verfälschung der christ- sächlich vom Dome Besitz ergreifen, ja im Sinne lichen Lehre richtete sich die Bekennende Kirche, der deutschen Christen von der Domkanzeln aus 27 Vgl. Joachim Fischer: Die die aus dem 1933 gebildeten Pfarrer-Notbund ent- Propaganda gemacht wird?“ Andererseits stellte er sächsische Landeskirche im Kirchenkampf. Halle/Saale stand. Die Mehrheit der Domherren und Stiftssyn- die Frage, ob es nicht ratsam und geboten sei, „den 1972, S. 15-18. dikus Hopffgarten gehörten der Bekennenden Kir- Übergang des bisher nur latenten Konflikts in ei- 28 Vgl. Steinecke 2007/2008, che an oder neigten ihr zu. Losungen wie „Mit nen akuten zu vermeiden?“ Am 2. Juli 1935 be- S. 156-157. Luther und Hitler für Glaube und Volkstum“ und schloss das Domkapitel in Dresden: „Ein von den 29 Vgl. Fischer 1972, S. 85-88; die Überlassung des Meißner Doms an Deutsche Deutschen Christen gestellter Antrag auf Ueber- Gerhard Lindemann: Johan- Christen lehnten sie ab. Lediglich Prof. Dr. Johan- lassung des Domes ist im ablehnenden Sinn zu be- nes Klotsche. Ein Vertrau- nes Leipoldt war Befürworter der Deutschen antworten mit der Begründung, daß der Dom zu ensmann Mutschmanns an der Spitze der Landeskirche. Christen. Allerdings hatte er insofern unter der kirchenpolitischen Parteikundgebungen nicht zur In: Christine Pieper/Mike NS-Ideologie zu leiden, als dass seine Frau Käte Verfügung gestellt werden könne.“ Schmeitzner/Gerhard Naser Leipoldt, die psychische Probleme hatte, im Rah- Reichsbischof Müller kam doch nicht nach Meißen, (Hrsg.): Braune Karrieren. men des Euthanasie-Programms am 29. Januar dafür beantragte die Gebietsführung der Hitlerju- NS-Protagonisten in Sachsen 1941 in Pirna-Sonnenstein getötet wurde. Hugo gend in Dresden die Überlassung des Doms für eine am Beispiel Dresdens. Dres- Hickmann konnte den neuen Machthabern schon Feier zu Hitlers Geburtstag am 20. April 1936. Lan- den 2012, S. 208-213. 30 Vgl. Steinecke 2007/2008 deshalb keine Sympathie entgegenbringen, weil er desbischof Coch hatte die Nutzung des Doms be- (wie Anm. 6), S. 160-162; als Mitglied einer der „Systemparteien“ der Wei- reits genehmigt. Dagegen protestierte das Hochstift Peter 2011/2012 (wie Anm. marer Republik 1933 seine Anstellung verloren Meißen mit einem Schreiben vom 26. Februar an 16), S. 15. und Berufsverbot erhalten hatte. den Landeskirchenausschuss. Coch habe kein

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 428 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

Recht, über den Dom zu verfügen. Allein das Dom- eingeräumten Rechte durch den Stiftsherrn auf die kapitel sei zur Vertretung des Hochstifts befugt. In Dauer seiner Stiftsherrschaft ausgeübt. Im übrigen einem Entwurf zu einem Brief an die Gebietsfüh- hat sich das Kirchenregiment die Übertragung der rung der HJ hießt es: „Es stellte sich nun aber leider ihm in §§ 5 und 6 des Abkommens eingeräumten heraus, daß nach den Grundsätzen, die für solche Rechte auf den Stiftsherrn vorbehalten.“ Das bedeu- Hitlerjugend-Feiern von maßgebender Stelle fest- tete, dass Rechte des Stiftsherrn, etwa die Ernen- gesetzt sind, für das christliche Gepräge derselben nung neuer Domherren, auch von der Kirchenlei- keine Möglichkeit besteht. Unter diesen Umständen tung ausgeübt werden durften. ist das Domkapitel zu seinem Bedauern nicht in der Anfang August 1937 übernahm Johannes Klotsche Lage, den Dom zu dem beabsichtigten weltlichen (1895–1965), ein Vertrauensmann des Gauleiters Zweck zur Verfügung zu stellen.“ Man spreche aber Martin Mutschmann (1879–1947), die Herrschaft die Einladung zu einer „jugendmäßig gestalteten in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche gottesdienstlichen Feier für die Hitlerjugend“ aus. Sachsens.29 Er entmachtete den Landeskirchenaus- Schließlich fuhren Domdechant, Dompropst und schuss und wurde alleiniger Leiter der Landeskir- der Dresdner Superintendent Johannes Ficker che. Damit verlor Johannes Ficker bereits nach ei- (1861–1945) nach Berlin, um ihre Ablehnung im nem Jahr wieder sein Amt als Stiftsherr. Das Reichskirchenministerium vorzubringen, doch hat- Domkapitel beschloss nach diesem gescheiterten te die Hitlerjugend ihren Antrag wieder zurückge- Versuch einer Neuregelung, die Frage der Stifts- zogen. Der Antrag der Deutschen Christen, am herrschaft bis auf Weiteres ruhen zu lassen. 18. September 1938 eine „Gottesfeier“ im Dom zu Domdechant Welck erwartete eine grundlegende halten, lehnte das Kapitel ab. Neuregelung nach Kriegsende. „Daß nach Beendi- Andere „Nazifeiern“ aber konnten nicht verhindert gung des Krieges auch die Rechts- und Vermö- werden. Das Feiertagsgesetz vom 27. Februar 1934 gensverhältnisse des Hochstiftes Meißen und des hatte den Volkstrauertag in einen „Heldengedenk- Kollegiatstiftes Wurzen zum Gegenstand von Er- tag“ umgewandelt. Entsprechend der bisherigen örterungen und Entschließungen der zuständigen kirchlichen Ausrichtung des Volkstrauertags bot kirchlichen und staatlichen Stellen gemacht wer- der Meißner Dom zum ersten „Heldengedenktag“ den, ist wahrscheinlich“, heißt es in seiner Denk- am 25. März 1934 einen Gottesdienst an, zu dem schrift vom 10. August 1940. Er befürchtete stär- Dompfarrer Herbert Böhme die Predigt hielt. Die- kere Eingriffe des Staates nach dem Vorbild der ser Gottesdienst war als Hauptveranstaltung dieses Neuordnung der Domstifter in Preußen 1935. In Gedenktags in Meißen ausgewiesen, weshalb Natio- seiner Denkschrift schlug er vor, die Stiftsherr- nalsozialisten in Uniform die Bankreihen des Meiß- schaft wegfallen zu lassen und neue Kapitelmit- ner Doms füllten. Die zunehmende Ablehnung der glieder durch den Dompropst nach Anhörung des Kirche führte aber dann dazu, dass weitere Helden- Kapitels zu berufen. Präbendenfonds, Propstei gedenkfeiern in weltlichem Rahmen stattfanden. Bautzen und Baumeistereikasse sollten zusam- Am 8. März 1936 blieb es bei einem Requiem und mengelegt werden. Außerdem sprach er sich für der Rede eines Kommandeurs, während zum Hel- einen Wegfall der Präbenden und ihren Ersatz dengedenktag am 21. Februar 1937 ein Aufmarsch durch eine Aufwandsentschädigung in Höhe von auf dem Domplatz erfolgte, dessen Teilnehmer den 600,00 Reichsmark im Jahr aus. Dom gar nicht mehr betraten.28 In Sachsen führte die Einsetzung eines Landeskir- Zusammenbruch und Neuanfang chenausschusses, dem Mitglieder verschiedener kirchlicher Gruppierungen angehörten, 1935 zu ei- Zu Beginn des Krieges äußerte Welck in christlich- ner vorläufigen Beruhigung des „Kirchenkampfes“. nationaler Gesinnung, „daß Gott die Opfer […] mit Der Landeskirchenausschuss unter Vorsitz des Su- einem das Lebensrecht der Nation in vollem Aus- perintendenten Johannes Ficker, der selbst der Be- maß sicherstellenden Frieden krönen möge.“ Sein kennenden Kirche angehörte, agierte als kollektive Schreiben zum Jahresende 1939 beendete er mit Kirchenleitung. Landesbischof Coch war seitdem dem Gruß „Mit Gott für Volk und Vaterland.“ Die weitgehend entmachtet. Am 13. März 1936 be- Kriegslage machte sich auch in Meißen bemerkbar. schloss das Domkapitel, Johannes Ficker in seiner Es fehlten Heizstoffe, so dass die Gottesdienste in Eigenschaft als Vorsitzendem des Landeskirchen- den Wintermonaten in die Domsakristei verlegt ausschusses die Stiftsherrschaft anzutragen. Er werden musste. Ab 1943 wurden Maßnahmen er- stimmte zu und wurde zum Kapiteltag am 24. Mai griffen, um die Kunstschätze vor Bombenangriffen 1936 verpflichtet. Um eine „Machtübernahme“ zu schützen. Das Ostfenster im Hohen Chor wurde durch einen dem Domkapitel nicht gewogenen Lan- demontiert, die Stifterfiguren durch Holzverschlä- desbischof zu verhindern, vereinbarte das Domka- ge verdeckt und das Domarchiv in die Domprops- pitel mit dem Landeskirchenausschuss eine Neufor- tei verlegt. Resignierend musste Dombaumeister mulierung des § 2 der Verfassung des Hochstifts Dr. Ermisch mit ansehen, dass das gesamte Dom- Meißen, der die Stiftsherrschaft regelte. Die Neu- geläut bis auf die kleinste Glocke abgenommen fassung vom 5. Juli 1937 lautete: „Wenn Fühlung- und zum Einschmelzen abtransportiert wurde. In nahme zwischen Kapitel und Kirchenregiment vor den Nordwestturm hatte man zum Abtransport der Wahl Übereinstimmung ergeben hat, werden der großen Johannesglocke eine große Bresche die in § 6 des Abkommens dem Kirchenregiment einfügen müssen.30

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wohl gelegentlich in der Zeitung in Hinsicht auf das hier geschilderte Geschehen als eine Art ‚Ret- ter von Meißen‘ angesprochen worden. Es ist mir lieb, hier ausdrücklich erklären zu können, daß mir ein Anspruch auf eine solche Einschätzung meines Schrittes fernliegt. Ich habe nur einen ernstgemeinten Versuch gemacht.“ Die Gebäude am Domplatz waren im April 1945 ge- räumt worden, doch im Mai kehrten die Bewohner und ebenso die Domverwaltung wieder zurück.32 Am Dom hatte der sowjetische Militärkommandant eine russische Aufschrift angebracht, die das Bau- denkmal vor Plünderungen schützen sollte. Die Aufschrift lautet in deutscher Übersetzung: „Die Museen – Dom und Burg – in der Stadt Meißen be- finden sich unter dem Schutz des Militärkomman- danten. Das Betreten und die Entnahme sämtlicher Gegenstände ist streng verboten! Jede Zuwider- handlung wird streng bestraft!“ So blieb der Dom vor einer Ausplünderung bewahrt. Am 16. Juni 1945 setzte die Stadtverwaltung einen Kommissar Schild zum Schutz des Doms mit Lange schien es so, dass Meißen von Krieg ver- ein, der die politischen und wirtschaftlichen Belan- russischer Beschriftung, Mai 1945 schont bleiben würde, doch ab dem 15. April 1945 ge der Stadt an der Burg und am Dom wahrnehmen © Hochstift Meißen wurde der Meißner Burgberg von der SS zur Ver- sollte. Es kam aber nie zu einer Beschlagnahmung teidigungsstellung und zum „Eckpfeiler der Ost- des Domes oder zu einer Enteignung. Stiftssyndi- front“ ausgebaut.31 Der Kampfkommandant, SS- kus Gottfried von Hopffgarten sorgte dafür, dass Obersturmbannführer Voss, verfügte, den Elb- das Hochstift weiter handlungsfähig blieb. Am 31 Vgl. Steinecke 2007/2008 (wie übergang und die Stadt bis zum letzten Mann zu 8. Juli 1945 konnte wieder ein sonntäglicher Gottes- Anm. 6), S. 165-166. verteidigen. Burg und Dom sollten als letzter dienst im Dom stattfinden. Außerdem wurden 32 Vgl. Steinecke 2009/2010 (wie Kampfstand gehalten und im Notfall in die Luft ge- Maßnahmen ergriffen, um die Kriegsschäden zu be- Anm. 6), S. 97. sprengt werden. Die Rote Armee erreichte am seitigen. Dechant Benno von Heynitz, der von 33 Vgl. Steinecke 2009/2010 (wie Anm. 6), S. 102-103. 24. April 1945 die Meißner Stadtteile rechts der Heynitz wiederholt nach Meißen kam, berichtete 34 Landeskirchenarchiv Dresden, Elbe und beschoss den Burgberg mit Artillerie. Da- am 1. August 1945 an Hugo Hickmann „Der Dom Bestand 2, Nr. 209. bei erhielt die Westturmfront des Meißner Doms hat durch Art[illerie]-Beschuss und durch die Brü- mehrere Volltreffer. Um die völlige Zerstörung der ckensprengung leider erhebliche Schäden erlitten. Stadt zu verhindern, begab sich Dompfarrer Böh- Ebenso sind unsere Häuser, wenn auch nicht stark, me, der bereits im Februar 1945 fünf geflohene in Mitleidenschaft gezogen worden.“ belgische Zwangsarbeiter in der Dompropstei ver- Die Zuversicht des Dechanten, dass sich die Lage steckt hatte, am 28. April 1945 mit zwei Vertretern rasch bessern werde, wurde enttäuscht. Die sowje- der Meißner Kirchgemeinden zu Bürgermeister tische Besatzungsmacht, die sich zunächst im Amts- Kaule, um ihn zu bitten, sich für die Freigabe der gericht einquartiert hatte, beschlagnahmte sämtli- Stadt einzusetzen. Gemeinsam sprachen sie beim che Häuser am Domplatz, der am 15. Oktober 1945 Kommandeur der Waffen-SS auf der Albrechts- gänzlich abgesperrt wurde. Das abgeschlossene, gut burg vor, der das Ansinnen ablehnte. Nachdem zu bewachende Sperrgebiet wurde vom sowjeti- Domdechant Hugo Hickmann, Böhme auf dem Markt eine Gruppe von Gemeinde- schen Geheimdienst GPU genutzt.33 Auch der Dom vor 1955 gliedern informiert hatte, wurde er vom NSDAP- durfte nicht mehr betreten werden. Domprediger © Archiv Dieter Auerbach Kreisleiter Helmut Böhme (1902-1945) festge- Böhme hatte hier am 9. September 1945 den letzten nommen, der ihm Defätismus, Verrat und Zerset- Gottesdienst gehalten. Am 8. Juli 1946 berichtete er zung des Wehrwillens vorwarf. Er wollte ihn an Dompropst und Domdechant: „Infolge Absper- durch ein Standgericht zum Tod verurteilen, doch rung des Burgbergs sind leider die Domgottesdiens- ein Urteilsspruch kam nicht zustande, weil sich die te stillgelegt. Wir haben aber die Erlaubnis für Got- angefragten Juristen der Mitwirkung entzogen. So tesdienste an hohen kirchlichen Festtagen und für wurde Böhme am 2. Mai 1945 in das Landgerichts- Domkonzerte erreicht. Ein solches hat der Kreuz- gefängnis Dresden überführt, aus dem er mit Ende chor am Sonntag Rogate abgehalten, das einen des Krieges freikam. Am 6. Mai 1945 besetzte die Reinertrag von etwa 1.000.- RM ergab.“ In einem Rote Armee den bereits geräumten Burgberg und Bericht des Stiftssekretärs Vetterling an Dompropst die Meißner Innenstadt ohne weitere Kämpfe. Welck vom 28. Juli 1946 heißt es: „Das Propsteige- Der 1950 in den Ruhestand getretene Herbert bäude dürfen wir nicht mehr betreten, die darin un- Böhme wurde 1956 auch in Würdigung seines Mu- tergebrachten Sachen sind fortgebracht worden. Es tes bei Kriegsende in das Domkapitel aufgenom- wurde mir versichert, daß wir die Sachen wieder men. Er wollte aber von einer Ehrung als „Retter bekommen würden. Der ganze Domplatz ist ge- Meißens“ nichts wissen. In einem an das Domka- räumt, so, daß seit September 1945 keine deutsche pitel gerichteten Bericht schrieb er: „Später bin ich Familie mehr den Domplatz bewohnt. Hoffen wir,

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daß in absehbarer Zeit die Wohnungen wieder be- zogen werden können.“ Erst im Januar 1947 räumte der sowjetische Geheimdienst den Burgberg und damit auch die Häuser des Hochstifts am Domplatz. Vetterling berichtete am 20. Juni 1947 an Welck: „Im Dom und in den Grundstücken sah es wüst aus. Wir haben soweit alles wieder in Ordnung gebracht, sodaß ab Ostern wieder regelmäßig der sonntägli- che Gottesdienst abgehalten werden konnte. Auch mit den Führungen haben wir seit Pfingsten wieder begonnen.“ Im Herbst 1945 verlor das Hochstift seine führen- den Köpfe. Stiftssyndikus Hopffgarten starb am 16. September 1945. Die Bodenreform in der sow- jetischen Besatzungszone führte dazu, dass Dom- propst Dr. Alfred Freiherr von Welck und Domde- chant Dr. Benno von Heynitz im Oktober 1945 ihren Besitz und ihre Heimat verloren. Wie andere Enteignete aus Sachsen wurde Welck auf die Insel Rügen deportiert. Von dort konnte er in den Wes- ten flüchten. Heynitz teilte am 28. Oktober 1945 Hugo Hickmann mit, dass er aufgrund der restlosen sowjetischen Besatzungszone an. Als Vorsitzender Bescheinigung Hickmanns für und entschädigungslosen Enteignung Sachsen ver- der CDU in Sachsen und als stellvertretender Vor- sich selbst, 1. September 1945 lassen müsse und dass er ihm als Stellvertreter die sitzender der Ost-CDU versuchte er, christlich- © Hochstift Meißen Geschäfte des Dechanten übertrage. Heynitz flüch- konservative Werte in die sich neu formierende tete in die britische Besatzungszone. Er hoffte aber, Gesellschaft einzubringen. Hickmann kritisierte eines Tages zurückkehren zu können, weshalb er allerdings die führende Rolle der SED, sprach sich das Amt des Dechanten nicht niederlegte. Dagegen gegen Enteignungen aus und verteidigte die priva- trat Welck, der in Aalen in Württemberg Zuflucht te Wirtschaft. Daher schalteten ihn die Befürwor- gefunden hatte, am 30. Dezember 1947 von seinem ter des SED-Staats nach Gründung der DDR aus. Amt als Dompropst zurück. Hickmann musste nach massivem Druck am Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlor das 30. Januar 1950 von allen Parteiämtern zurücktreten. Meißner Domkapitel eine weitere verfassungsge- mäße Aufgabe, nämlich seine Rechte als Kirchenpa- Neue Aufgaben für den Meißner Dom tron für die Kirchen in Boritz und Rüsseina. Mit der Enteignung der Rittergüter waren zahlreiche Patro- Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herr- nate erloschen. So beschloss das Landeskirchenamt, schaft musste die Evangelisch-Lutherische Lan- alle Patronatsrechte, auch die nach der Bodenre- deskirche Sachsens, die infolge des Kirchenkamp- form noch bestehenden, als ruhend zu behandeln. fes als „zerstört“ galt, erneuert und von den 1946 wurde in einem Runderlass verfügt: „Wegen der unklaren Rechtslage hinsichtlich des Fortbeste- hens der Patronate werden diese bis auf weiteres bei der Besetzung von Pfarrstellen als ruhend be- handelt.“ Mit Schreiben vom 9. Januar 1948 wehrte sich das Domkapitel gegen diese Bestimmung, denn es war ja noch vorhanden und wollte auch weiter- hin bei der Einsetzung der Pfarrer in Rüsseina und Boritz mitwirken.34 Es blieb jedoch dabei, dass die Kirchenpatronate erloschen waren. In der mehr als unsicheren Situation der sowjeti- schen Besatzungsherrschaft sicherte Domherr Hugo Hickmann, der stellvertretend die Ge- schäftsführung übernahm, das Überleben des Domkapitels. Der überzeugte Christ hatte enge Kontakte zur sowjetischen Militäradministration, da er beim Neuaufbau eines Mehrparteiensystems in der sowjetischen Besatzungszone eine wichtige Rolle einnahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg ge- hörte Hickmann zu den Mitbegründern der CDU in Sachsen, die er als überkonfessionelle Samm- Festordnung zur Einführung von lungsbewegung konservativer und nationallibera- Landesbischof Gottfried Noth im ler Kräfte organisierte. Seit Dezember 1945 gehör- Meißner Dom, 21. Oktober 1953 te Hickmann der Führungsspitze der CDU in der © Hochstift Meißen

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dienst unter Beteiligung zahlreicher ost- und west- deutscher sowie ausländischer Bischöfe abgehal- ten wurde. Weil der Dom nicht alle Gäste aufnehmen konnte, wurde die Feier in die Frauen- und Johanniskirche übertragen. Dagegen verfügte Johannes Hempel (geb. 1929), der im Oktober 1971 von der Landessynode zum Landesbischof gewählt wurde, dass seine Einführung in der Dresdner Kreuzkirche stattfinden solle. Auch alle seine Nachfolger wurden in der Kreuzkirche in ihr Amt eingeführt. Formell blieb es aber bei der Sprachregelung, dass der Meißner Dom die Bi- schofskirche der Landeskirche sei. Alle Landesbi- schöfe wurden nach ihrer Amtseinführung auch als Stiftsherren verpflichtet. Von großer Bedeutung war ferner, dass die Lan- deskirche zum 31. Oktober 1949 eine Evangeli- sche Akademie gründete und diese in Meißen an- siedelte. Die prägende Gestalt beim Aufbau dieser Bildungseinrichtung war Pfarrer Dr. Georg Munt- Landesbischof Hugo Hahn und Einflüssen der Deutschen Christen und der NS- schick (1897–1966). Die Evangelische Akademie sein Nachfolger, Gottfried Noth, Ideologie befreit werden. Dieser Aufgabe nahm vermittelte Wissen und christliche Prägungen vor dem Meißner Dom, sich der Dresdner Pfarrer Franz Lau (1907–1973) ganz ohne die sozialistische Ideologie, die den All- 21. Oktober 1953 an. Als Landessuperintendent übernahm er die tag in der DDR bestimmte. Ihre Tagungen, die sich © SLUB Dresden, Deutsche Foto- Leitung der Landeskirche.35 1947 wählte der Beirat zum Beispiel an bestimmte Berufsgruppen richte- thek, Foto: Erich Höhne/Erich Pohl des Landeskirchenamts den früheren Superinten- ten, waren sehr gefragt. Die Evangelische Akade- denten Hugo Hahn (1886–1957), einen der füh- mie nutzte die Villa Muntschicks am Jüdenberg renden Köpfe der Bekennenden Kirche, zum Lan- und mehrere Räume in der Dompropstei. Zudem desbischof. Vermutlich aufgrund der Zerstörung wurde die Evangelische Akademie eng mit dem Dresdens, wo man in der Innenstadt keine einzige Meißner Dom verbunden. So verband das Landes- Kirche mehr nutzen konnte, beschloss die Kir- kirchenamt die Stelle des Akademiedirektors mit chenleitung, die feierliche Einführung am 21. Ok- der des Dompredigers. Seit 1949 bildeten die tober 1947 im Meißner Dom vorzunehmen. So Sonntagsgottesdienste im Dom in der Regel zu- wurde der Meißner Dom nun doch zur Bischofs- gleich den Abschluss der Akademietagungen. So kirche der Evangelisch-Lutherischen Landeskir- erhielt der Dom mit den Tagungsteilnehmern eine che Sachsens. Über die Einweisung des neuen Lan- – wenn auch ständig wechselnde – Gemeinde. desbischofs schrieb Hickmann am 23. Dezember Dass der Superintendent als Dompfarrer auftritt 1947 an Dompropst Welck: „Unser Dom hat einen und der Akademiedirektor als Domprediger die grossen Tag gehabt. Bei der Einweisung des Lan- Gottesdienste hält, hat aber wiederholt zu Konflik- desbischofs am 21. Oktober repräsentierte evange- ten geführt. Der gemeinsame Dienst am Dom – lisches Kirchentum in würdiger und eindrucksvol- mit ungleich verteilten Pflichten, Weisungsbefug- ler Gestalt. Unser erhabenes Gotteshaus trat als nissen und Besoldungen – rief Unmut hervor und Kathedrale unserer Landeskirche in Erscheinung beförderte Rivalitäten, die etwa darin zum Aus- und prägte sich als solche eindringlich in das Be- druck kamen, dass Superintendent Dr. Hermann wusstsein der feiernden landeskirchlichen Ge- Klemm (1904–1983) 1963 auf seine Rechte als meinde ein. In unserer verwüsteten und ausge- Dompfarrer verzichtete und sich zeitweise weiger- bombten Propstei konnte ich noch einen te, weiterhin Gottesdienste im Dom zu halten. Die Sitzungssaal würdig herstellen, um hier vor der Superintendenten Dr. Arthur Neuberg und Dr. kirchlichen Feier den Landesbischof als Stifts- Hermann Klemm waren unzufrieden, nicht ins herrn feierlich zu verpflichten. Bei dem Einzug im Domkapitel aufgenommen worden zu sein. Das Dom begrüßte ich ihn am Portal, und nach dem Domkapitel wiederum beschwerte sich beim Lan- Einweisungsakt durfte ich dann am Altar noch das deskirchenamt, dass es keine Möglichkeit habe, bei Grusswort des Kapitels vor der Gemeinde entbie- der Auswahl des Superintendenten und des Aka- ten. In dem anschliessenden Akte in der Alb- demiedirektors mitzureden, obwohl diese als rechtsburg folgte noch meine Ansprache für die Dompfarrer und Domprediger das geistliche Le- CDU. So kam auch das Kapitel zu gebührender ben am Dom bestimmten. 1924 war dem Domka- Geltung, wenn auch ohne Domherrentalar.“ Auch pitel noch die Kollatur über das Dompredigeramt die Einführung des nachfolgenden Landesbischofs eingeräumt worden. 1965 traf das Landeskirchen- Gottfried Noth (1905–1971) am 21. Oktober 1953 amt die Entscheidung, vor Ernennung eines Super- wurde im Meißner Dom begangen. Auf dem intendenten das Domkapitel anzuhören. Das konn- Marktplatz formierte sich ein Festzug, der unter te das Grundproblem, die Trennung zwischen Programm der Dommusik, 1971 dem Geläut aller Glocken der Meißner Kirchen Domgeistlichkeit und Domkapitel, nicht lösen. © Hochstift Meißen dem Dom zustrebte, wo der Einführungsgottes- Eine Beruhigung trat erst ein, als 2004 mit Andre-

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as Stempel (geb. 1950) erstmals ein amtierender Domdechant Franz Lau, Superintendent und Dompfarrer in das Domkapi- um 1960 tel aufgenommen wurde. Seine Vorgänger Herbert Böhme und Dieter Auerbach (geb. 1933) waren erst nach ihrem Dienst in Meißen Mitglieder des Domkapitels geworden. Die Evangelische Akade- mie wurde nach dem Ruhestand ihres Gründers Georg Muntschick von Günter Heidrich-Meisner (1911–1983), Dieter Ackermann (1932–1985), Hermann Schleinitz (geb. 1938), Christof Ziemer (geb. 1941), Dr. Matthias Flothow (geb. 1949), Pe- ter Vogel (geb. 1944) und Johannes Bilz (geb. 1962) geleitet, die als Domprediger auch die über- wiegende Anzahl der Gottesdienste im Meißner Dom hielten. Einen neuen Impuls erhielt das kirchliche Leben am Meißner Dom durch die Einstellung des Dom- kantors Dr. Erich Schmidt (1910–2005), der 1950 sein Amt antrat.36 Der promovierte Psychologe und begabte Musiker machte den Meißner Dom zu einem Zentrum der Kirchenmusik in Sachsen. 1950 gründete er den noch heute bestehenden Domchor, der anfangs rund 40 Sängerinnen und Sänger umfasste und am 28. Oktober 1950 erst- Das Meißner und Wurzener mals auftrat. Dr. Schmidt organisierte darüber hin- Domkapitel bei der Einführung aus die Singwochen an der Evangelischen Akade- von Bischof Gottfried Noth, mie und gestaltete als Dozent und stellvertretender 21. Oktober 2018, vorn Dom- Direktor die Ausbildung von Kirchenmusikern an propst Ernst Sommerlath der Kirchenmusikschule der sächsischen Landes- © SLUB Dresden, Deutsche Foto- kirche mit. Im Sommer 1961 gründete er einen thek, Foto: Erich Höhne/Erich Pohl Projektchor zur Aufführung eines modernen Stü- ckes, des Ezzolieds des Schweizer Komponisten Willy Burkhard (1900–1987). Aus dieser Gemein- schaft entstand die Meißner Kantorei 1961, die sich auf die Aufführung zeitgenössischer Kirchen- musik spezialisierte. 1980 trat Dr. Erich Schmidt nach dreißig Jahren fruchtbaren Schaffens in den Ruhestand. Sein Nachfolger Andreas Weber (geb. 1944) führte Schmidts Anspruch, im und am Meißner Dom Menschen für Musik zu begeistern, weiter. Die von Weber geleiteten Chöre, darunter die Kinder- und Jugendkantorei, die Domspatzen, die Dompiepser und der Knabenchor, sprachen ein breites Publikum an. Die Meißner Kantorei 1961 konnte sich jedoch nicht mit Andreas Weber anfreunden. Die Sängerinnen und Sänger wählten 1981 den Chorpräfekten Christfried Brödel (geb. 1947) zu ihrem neuen Chorleiter. Die Probenar- erhaft als eigenständige Einrichtung überleben beit findet seitdem überwiegend in Dresden statt, könne. Als Lösung kam ihm der Gedanke, die jedoch ist der traditionelle Name geblieben. Domkapitel in Meißen und Wurzen zu fusionie- ren. Die sollte ohne Änderung der Verfassung voll- 35 Vgl. Markus Hein: Die säch- zogen werden, indem die Mitglieder des einen die sische Landeskirche nach Domkapitel und Domverwaltung nach 1945 dem Ende des Zweiten Welt- Mitglieder des anderen übernehmen. Hugo Hick- krieges (1945-1948). Neu- Oberkirchenrat Richard Weidauer (1867–1967), mann stimmte diesem Plan zu, und so wurden am bildung der Kirchenleitung seit 1925 Domherr und seit 1927 Dechant in Wur- 9. Mai 1948 der Theologieprofessor Ernst Som- und Selbstreinigung der zen, sorgte sich um den Fortbestand des Wurzener merlath (1889–1983), der Oberkirchenrat Hans Pfarrerschaft. Leipzig 2002. Domkapitels. Infolge von vier Todesfällen und ei- Schulz-Blochwitz (1888–1967) und der schon ge- 36 Zur Musik am Meißner nem Austritt waren Mitte 1945 nur noch drei nannte Wurzener Dechant Richard Weidauer in Dom seit 1950 vgl. Elke Ber- Domherrenstellen besetzt. Erst nach der Einfüh- das Meißner Domkapitel aufgenommen. Umge- ger: Domchorchronik aufge- schrieben von Frau Grete rung von Landesbischof Hahn, der Stiftsherr in kehrt traten die Meißner Domherren Hickmann Merbach. Meißen 2001 [nur Meißen und Wurzen wurde, konnten wieder Er- und Leipoldt in das Wurzener Domkapitel ein. in kopierter Verfassung her- nennungen von Domherrn vorgenommen werden. Landesbischof Hahn wusste um diese gegenseiti- gestellt, umfasst den Zeit- Doch Weidauer zweifelte, ob sein Domkapitel dau- gen Berufungen. Er kritisierte in einem Schreiben raum 1950 bis 2001].

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vom 23. April 1948 die Zusammenlegung und es beim alten Herkommen bleibe. Eine Wahl durch stellte die Frage, ob nicht eine andere Möglichkeit die Domherren und eine Ernennung durch den der Ergänzung der Kapitel bestehe. Dennoch Stiftsherrn waren für die beiden Professorenkano- nahm er die Ernennungen vor. Das Landeskir- nikate nicht vorgesehen. chenamt allerdings legte mit Schreiben vom Die anderen Kapitelstellen wurden weiterhin be- 22. Juni 1948 Widerspruch gegen die gegenseitige setzt, indem das Domkapitel dem Landesbischof Ergänzung ein. Damit wurde die Idee eines Zusam- einen Dreiervorschlag unterbreitete. Der Landes- menschlusses beider Domkapitel wieder obsolet. bischof konnte auswählen, mehrfach entschied er Hugo Hickmann gab sein Amt als stellvertretender sich nicht für den Namen an erster Stelle. So hatte Dechant 1949 an den Leipziger Theologieprofes- das Domkapitel 1968 den Archivar und Histori- sor Johannes Leipoldt ab, einen Parteifreund in ker Dr. Karlheinz Blaschke (geb. 1927) zur Auf- der Ost-CDU. Dafür wurde er Dompropst, was er nahme vorgeschlagen, doch Landesbischof Noth bis zu seinem Tod 1955 blieb. Da Heynitz auf- lehnte seine Ernennung mit der Begründung ab, grund seines Wohnorts in Westdeutschland sein er habe sich keine Verdienste um die Landeskir- Amt als Domdechant niederlegte und Leipoldt als che erworben. Erst vier Jahre später stimmte er stellvertretender Dechant zurücktrat und sogar seiner Aufnahme zu. Mehrere Vorschläge fanden aus dem Domkapitel ausschied, mussten die Spit- keine Berücksichtigung, etwa die Aufnahme des zenpositionen neu besetzt werden. Das Amt des Dresdner Kreuzkantors Dr. Rudolf Mauersberger Dompropstes übernahm der Theologieprofessor (1889–1971). Ernst Sommerlath, der schon seit 1937 dem Dom- Das Meißner Domkapitel war darauf bedacht, min- kapitel angehörte. Er gewann seinen Kollegen destens einen Kirchenjuristen in seinen Reihen zu Franz Lau, der seit 1947 Kirchengeschichte an der haben. Mit Oberkirchenrat Hans Schulz-Blochwitz Universität Leipzig lehrte, für die Geschäftsfüh- hatte man 1948 einen versierten Juristen gefun- rung des Domkapitels. Lau wurde am 21. Oktober den. Allerdings verlor Schulz-Blochwitz noch im 1956 aufgenommen und in der gleichen Kapitelsit- gleichen Jahr seine Stelle im Landeskirchenamt. zung zum Domdechanten gewählt. Als eine seiner Ohne berufliche Perspektive in der DDR, flüchtete ersten Maßnahmen verfügte er am 14. Dezember er 1951 nach West-Berlin, wo er eine neue Anstel- 1956, die Anrede „Euer Hochwürden“ nicht mehr lung fand. Damit lebten nunmehr drei Domherren zu gebrauchen. außerhalb der DDR. Als Ersatz für ihn nahm das Franz Lau und Ernst Sommerlath blieben über 15 Domkapitel 1965 den Bautzener Kirchenamtsrat Jahre die prägenden Gesichter des Meißner Dom- Dr. Walther Thomas (1881–1973) auf. Er erfüllte kapitels. Lau gewann in Meißen einen eigenen die in ihn gesetzten Erwartungen nicht, da er be- Machtbereich, gewissermaßen als Ersatz dafür, reits im September 1967 nach Bayern übersiedelte dass er, der erste Leiter der Landeskirche nach und seither nur brieflich den Kontakt mit dem dem Zweiten Weltkrieg, nicht zum Landesbischof Domkapitel halten konnte. Ein kluger Gedanke gewählt worden war. Er wachte streng darüber, war es, den Dresdner Denkmalpfleger Dr.-Ing. dass Landesbischof und Landeskirchenamt nicht Hans Nadler (1910–2005) in das Domkapitel auf- in Belange des Hochstifts hineinredeten. So lehnte zunehmen. Als Leiter des Instituts für Denkmal- Lau eine Visitation des Hochstifts durch Landesbi- pflege, Arbeitsstelle Dresden, hatte er prägenden schofs Noth zu Exaudi 1962 ab. Zur Begründung Einfluss auf die Denkmalpflege in der DDR. Dr. schrieb er an Noth: „Das Kapitel ist der Meinung, Nadler fühlte sich persönlich für den Meißner dass seine Rechte von der Leitung der Landeskir- Dom verantwortlich und half, wo es nur ging, die che laufend versetzt werden.“ Noth antwortete, in der DDR stets knappen Mittel und Baukapazitä- daß er „aus bischöflicher Großmut“ auf eine Visi- ten für die Erhaltung des Ensembles aus Dom und tation verzichte, drohte aber an, nie wieder an Ka- Albrechtsburg zu beschaffen. 1967 wurde der viel- pitelsitzungen teilnehmen zu wollen. fach talentierte Dr. Christian Rietschel (1908– 1956 wurde letztmals ein Mitglied der Theologi- 1997) ins Domkapitel aufgenommen. Der Leiter schen Fakultät der Universität Leipzig nach dem des Kunstdienstes der Landeskirche und Schrift- seit Jahrhunderten üblichen Verfahren zum Dom- leiter der Kirchenzeitung „Der Sonntag“ brachte herrn zu Meißen ernannt. Dabei handelte es sich vor allem seine künstlerische Begabung ein. um Prof. Dr. Alfred Dedo Müller (1890–1972). Er Anfang der 1970er Jahre vollzog sich im Domkapi- wurde vom Akademischen Senat auf Vorschlag der tel ein Generationswechsel. Domdechant Franz Theologischen Fakultät gewählt, am 22. August Lau, dessen Gesundheit stark angegriffen war, 1956 von Prof. Dr. Georg Mayer (1892–1973), schlug Dr. Blaschke zu seinem Nachfolger vor. Die- dem Rektor der Karl-Marx-Universität Leipzig, er- ser wurde am 14. Mai 1972 in das Domkapitel auf- nannt und am 21. Oktober 1956 aufgrund dieser genommen und, wie sein Vorgänger, sofort zum Ernennung ins Domkapitel aufgenommen. Seither Dechanten gewählt. Blaschke war ein engagierter verweigerte die Karl-Marx-Universität, die sich lutherischer Christ und einer der wenigen Histori- mehr und mehr von ihren Traditionen löste, die ker in der DDR, die sich den Vorgaben der sozialis- Zusammenarbeit mit dem Meißner Domkapitel. tischen Ideologie verweigerten. An den Universi- Das warf die Frage einer Neubesetzung der beiden täten der DDR hatte er aufgrund seiner Einstellung, Domherrenstellen der Leipziger Professoren auf, die man als „bürgerlich“ diffamierte, keine Chan- hatte die Verfassung von 1924 doch verfügt, dass ce. Im Theologischen Seminar Leipzig, einer nicht

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 434 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

staatlich anerkannten Ausbildungsstätte für Pfar- Fonds war auf Bankkonten angelegt. Der Präben- 37 Vgl. Auerbach 2002 (wie rer, fand er einen Arbeitsplatz, der ihn frei von denfonds verfügte im Jahr 1967 über 4.245,31 Anm. 6). Eingriffen des Staates lehren und forschen ließ. Mark, der Vereinigte Stiftungsstock nur über 38 Für die 1974 in Anspruch ge- nommenen 13 Hektar wur- Blaschke war über vierzig Jahre das prägende Ge- 673,46 Mark, der Propsteifonds war mit immerhin den 29.513,20 Mark gezahlt. sicht des Meißner Domkapitels; er gehört ihm bis 12.453,80 Mark bewertet. In der Bilanz 1986 wa- Das Hochstift Meißen er- 37 heute als außerordentlicher Domherr an. In den ren der Präbendenfonds mit 1.369,42 Mark und hielt davon jährlich vier Pro- ersten zwanzig Jahren seiner Amtszeit wurden der Propsteifonds mit 475,10 Mark bewertet. Der zent Zinsen. vorwiegend Theologen in das Domkapitel aufge- Vereinigte Stiftungsstock, der 1985 noch 1.140,45 nommen: 1973 der Leipziger Theologieprofessor Mark umfasste, wurde 1986 aufgelöst und dem Prof. Dr. Hans Bardtke (1906–1975), 1974 der Präbendenfonds zugeführt. Rektor des Theologischen Seminars in Leipzig und Die Propsteifelder bei Bautzen, deren Nießbrauch Vorgesetzte Blaschkes, Prof. Dr. Christoph Micha- dem Hochstift Meißen zustand, gingen in den Jah- el Haufe (1932–2011), 1975 der Leipziger Theolo- ren der DDR durch Enteignung verloren. Seit 1958 gieprofessor Prof. Dr. Heinz Wagner (1912– war die Bewirtschaftung der Flächen der Kirchen- 1994), 1976 Pfarrer Werner Vogel (1917–1991), eigenen Land- und Forstwirtschaft im Bistum Mei- Direktor der Inneren Mission in Leipzig, 1983 der ßen übertragen. Das Ackerland wurde allerdings Oberlandeskirchenrat und frühere Meißner Su- benötigt, um hier das Neubaugebiet Bautzen-Ge- perintendent Dieter Auerbach (geb. 1933) und sundbrunnen anzulegen. Daher wurde es 1974 1987 der Studiendirektor und frühere Dresdner und 1976 bis auf geringe Restflächen nach dem Superintendent Christoph Wetzel (geb. 1929). Da- Aufbaugesetz der DDR enteignet. Dafür erhielt das mit bekam das Domkapitel, bedingt durch die äu- Hochstift Meißen eine finanzielle Entschädigung, ßeren Umstände, stärker den Charakter einer in- die aber nicht dem Grundstückswert entsprach.38 nerkirchlichen Einrichtung, während die ehemals Die verbliebene Restfläche mit einer Größe von sehr engen Bezüge zu Staat und Verwaltung entfie- nur noch 0,75 Hektar war an eine Kleingartenanla- len. 1979 starb mit Dr. Benno von Heynitz das vor- ge vergeben und erbrachte eine jährliche Pacht erst letzte adlige Mitglied des Domkapitels. von 812,74 Mark. Zuletzt mussten 1992 1.290 Nach dem Tod des Amtsgerichtsdirektors Gott- Quadratmeter für den Ausbau der Kreuzung Mus- fried von Hopffgarten hatte das Domkapitel kei- kauer Straße/Thomas-Müntzer-Straße abgegeben nen Stiftssyndikus mehr. Es war schwer, passende werden, wofür eine Entschädigung von 6.450,00 Nachfolger zu finden, da zahlreiche Juristen aus DM gezahlt wurde. der sowjetischen Besatzungszone geflüchtet wa- Aus dem Präbendenfonds und der Propstei Baut- ren und die verbliebenen, die dem SED-Staat dien- zen wurden weiterhin Präbenden gezahlt. Nach ten, nicht der Kirche angehörten. Nach dem Tod der Währungsumstellung betrugen sie zunächst des Stiftssekretärs Vetterling 1946 führte der zu- 100,00, dann 200,00, seit 1959 300,00 DM pro nächst als Domküster eingestellte und dann zum Kopfteil. Dompropst, Domdechant und Propst zu Stiftssekretär beförderte ehemalige Porzellanma- Bautzen erhielten zwei Kopfteile. 20 Prozent der ler Edwin Große (geb. 1892) die Domverwaltung. Summe wurden automatisch abgezogen und als Er wurde 1955 fristlos entlassen, weil er mehr als Steuer abgeführt. 12.000 Mark unterschlagen hatte. 1955 wurde Dr. Wenn man sich die mageren Erträge der Fonds be- Paul Liebe zum Stiftssyndikus ernannt. Als Fi- wusst macht, wird deutlich, dass die Einnahmen nanzreferent der Inneren Mission und promovier- des Hochstifts Meißen, die 1959 128.739,73 DM ter Wirtschaftswissenschaftler waren ihm be- betrugen, aus anderen Mitteln kommen mussten. triebswirtschaftliche Vorgänge vertraut. Da die Tatsächlich profitierte der Dom ganz maßgeblich Domherren seiner Hilfe dringend bedurften, wur- von den seit den 1950er Jahren wachsenden Besu- de er 1973 in das Domkapitel aufgenommen. Als cherströmen. Der Meißner Dom war eine der er 1981 mit 80 Jahren in den Ruhestand trat, hin- wichtigsten touristischen Ziele in der DDR gewor- terließ er eine große Lücke. Da man keinen geeig- den. Anfang der 1950er Jahre wuchsen die Besu- neten Juristen finden konnte, übernahm der lang- cherzahlen immens. 1952 besichtigten 76.813 Per- jährige Dombaumeister Dr.-Ing. Otto Baer sonen den Dom und 1954 schon 110.325. 1957 (1913–1996), der immerhin auch schon 68 Jahre wurden 151.005 Besucher gezählt. Das Hochstift alt war, das Amt des Stiftssyndikus. Stiftssekretäre Meißen hatte den Führungsbetrieb selbst über- waren Walter Fugmann (geb. 1904) und seit 1969 nommen. Die Führungsgelder erbrachten 1959 Christa Schumann (geb. 1928). Über sie heißt es 60.686,00 DM, und durch den Verkauf von Post- im Protokoll der Kapitelsitzung vom 6. und 7. Juli karten nahm man 12.634,00 DM ein. Auch wenn 1989: „Frau Schumann hält den Laden zusammen, davon die Führungskräfte zu bezahlen waren, sie poltert, daß es dann knallt.“ blieb immer noch ein stattlicher Überschuss übrig. Mit der Währungsreform in der sowjetischen Be- Er wuchs, weil vor allem zwischen 1969 und 1972 satzungszone waren die Guthaben des Hochstifts die Besucherzahlen steil anstiegen. Dies lässt sich in Deutsche Mark (Ost) umgerechnet worden. Ei- vor allem mit Besuchern aus den Ostblockländern nige Geldanlagen waren wertlos geworden, andere erklären, vor allem aus Polen und der Tschechoslo- erfuhren eine Abwertung. So hatte sich das Eigen- wakei, die unter einfacheren Bedingungen Reisen kapital des Hochstifts 1955 auf 199.563,10 Deut- in die DDR unternehmen konnten. 1976 war der sche Mark verringert. Das Geld der einzelnen Spitzenwert mit 228.032 Besuchern erreicht. So

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 435 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

stiegen die Einnahmen aus dem Verkauf von Ein- schrieb Lau am 7. Februar 1966: „Dadurch, daß trittskarten bis 1976 auf 143.602,00 Mark. Der Mitglieder des Domkapitels im Jahre 1945 oder et- Umsatz des Verkaufsstandes verdreifachte sich was später mindestens z. T. unfreiwillig Sachsen und erreichte 1976 den Spitzenwert von verließen, ist das Domkapitel auf 5 Mitglieder zu- 108.947,00 Mark. Neben Postkarten wurden Dom- sammengeschrumpft. Nachdem einer von den führer und Diaserien verkauft, während die Pro- 3 von Sachsen abgängigen Domherren verstorben duktion einer Schallplatte mit Musik aus dem ist, ist seine Stelle wiederbesetzt worden, sodaß Meißner Dom nicht genehmigt wurde. Seit 1976 jetzt wieder 6 Domherren vorhanden sind. Die gehen die Besucherzahlen zurück. Das war in den Frage der Zugehörigkeit der außerhalb Sachsens letzten Jahren der DDR insofern nicht zu spüren, lebenden Domkapitulare ist aber nie geklärt wor- weil die Einnahmen aus dem Eintrittskartenver- den. Einerseits wurden sie nicht mehr mitgezählt, kauf weiter anstiegen und 1984 den Spitzenwert andererseits blieben ihre Plätze offen. Eine klare von 163.147,82 Mark erreichten. Die Personalkos- Regelung scheint notwendig.“ Andererseits war ten betrugen hingegen 1986 nur 41,122,36 Mark. eine Lösung für die beiden Stellen der Leipziger Damit erzielte das Hochstift allein durch den Füh- Theologieprofessoren zu finden, die bislang ohne rungsbetrieb einen Reinerlös von 119.753,27 Beteiligung des Domkapitels und des Stiftsherrn Mark. Hinzu kam der Reinertrag des Verkaufs- durch die Universität Leipzig besetzt worden wa- stands in Höhe von 22.962,23 Mark. Demnach ist ren. Diese legte aber keinen Wert mehr darauf, eine weitreichende Verschiebung der Vermögens- Mitglieder einer Einrichtung der Landeskirche zu lage zu konstatieren. Während vor 1945 die Ein- ernennen. Lau fürchtete, „daß an der Stelle einmal nahmen vorwiegend durch Kapitalerträge und außerkirchliche Kräfte in das Domkapitel einbre- Pachten erzielt wurden, war das Domkapitel seit chen“ könnten. Das ließe sich nur verhindern, den 1950er Jahren vollkommen vom Tourismus wenn auch für diese Stellen die Wahl durch das abhängig. Domkapitel und die Bestätigung durch den Stifts- herrn eingeführt werde. Neuregelung der Verfassung 1967 schlug Lau vor, die im Westen lebenden Domherren zu „auswärtigen Mitgliedern (Ehren- Seit den 1960er Jahren strebte Domdechant Franz domherren)“ zu ernennen, um ihre Stellen recht- Lau eine Änderung der Verfassung des Hochstifts zeitig vor der Jahrtausendfeier des Bistums Mei- Meißen an, weil die geänderten Verhältnisse in der ßen neu besetzen zu können. Während der frühere DDR das Fortbestehen des Domkapitels bedroh- Dechant Heynitz schweren Herzens zustimmte, ten. Zum einen musste die Frage der „Domherren weigerte sich der im Westteil lebende Ju- im Westen“ geklärt werden, die nicht mehr im rist Schulz-Blochwitz, auf die vollen Rechte eines Domkapitel mitwirken konnten, deren auf Lebens- Domherrn zu verzichten. Dabei führte er in seiner zeit vergebene Stellen aber laut Verfassung von ausführlichen Erläuterung Argumente an, die ei- 1924 nicht neu besetzt werden durften. Dazu nem DDR-Bürger äußerst fremd erscheinen muss- ten: „Jetzt stehen wir als Meißner Domherren für die ‚chefs du protocole‘ der westlichen Länder auf Grund der Königlich Sächsischen Hofrangord- nung, – die insoweit heute noch gilt – im Rang un- mittelbar hinter den Kammerherren und vor den Obersten bzw. vor dem Rektor der Universität, vor den Geheimen Räten, den Universitätsprofesso- ren, den Oberbürgermeistern von Dresden und Leipzig usw. Dann aber als Ehrendomherren sind wir eine neue Kategorie ohne gesichtliche Bevor- rechtigung, ein novum, ohne historischen Rang. Das mag zwar für die Herren in Mitteldeutschland ohne Belang sein, für uns im Westen Wohnende ist das durchaus wichtig und von Belang.“ Schulz- Blochwitz starb noch 1967. Damit war das Prob- lem keinesfalls gelöst, denn im gleichen Jahr ver- legte Dr. Thomas seinen Wohnsitz nach Bayern. Er weigerte sich ebenfalls, auf seine Domherrenstelle zu verzichten. 1973 reiste schließlich Dr. Riet- schel, der das Rentenalter erreicht hatte, in den Westen aus. Das Domkapitel hielt die Verbindung aufrecht, indem die Teilnehmer der Kapitelsitzun- gen regelmäßig Grüße an die im Westen lebenden Domherr Hans Schulz-Blochwitz Domherren richteten. in der Kleidung eines Meißner 1970 begannen Gespräche zwischen dem Domka- Domherrn, um 1965 pitel und dem Landeskirchenamt zur Neuregelung © Hochstift Meißen der Verfassung des Hochstifts. Am 19. Januar 1970

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 436 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

trug Dr. Blaschke als Bevollmächtigter des Domka- christlichen Glauben ablehnte. So wurde der 39 Landeskirchenarchiv Dres- pitels, dem er noch gar nicht angehörte, vor, „eine Dresdner Architekt Fritz Steudtner (1896–1986), den, Bestand 2, Nr. 3892. Neuordnung solle nicht von den Einkünften der der als kirchlicher Baupfleger die evangelischen 40 Vgl. Donath 2008 (wie Anm. Domherren her gesehen werden, sondern von ih- Kirchen im Bezirk Dresden betreute, stellvertre- 8), S. 253-255. 41 Vgl. Peter 2011/2012 (wie ren Aufgaben und Pflichten her. Der der Einrich- tend mit den Aufgaben des Dombaumeisters be- Anm. 6), S. 15-18. tung der Professorenkanonikate zugrundeliegende traut. Obwohl das Landeskirchenamt seine Beru- 42 Landeskirchenarchiv Dres- Gedanke – Aufbesserung der Professoreneinkünf- fung zum Dombaumeister und sogar seine den, Bestand 2, Nr. 3892. te – sei nicht mehr aktuell.“39 Als Domdechant Aufnahme in das Domkapitel wünschte, lehnte das 43 Vgl. Elisabeth Hütter: Die setzte sich Blaschke mit Nachdruck für eine Rege- Domkapitel ab, was Domdechant Lau am 19. Juli Restaurierungswerkstatt am lung der offenen Fragen ein. Auf sein Betreiben er- 1968 wie folgt begründete: „Schon bei dem letzten Dom zu Meißen 1979-1993. hielt das Hochstift am 30. Januar 1976 eine neue, Dombaumeister Dr. Zimmermann hat es Schwie- In: Ecclesia Misnensis 2 (1999), S. 72-75. mit dem Landeskirchenamt abgestimmte Verfas- rigkeiten gegeben wegen seiner fragwürdigen sung. Geändert wurde der § 4, der die Vorrauset- kirchlichen Einstellung. Als Nachfolger hätte ein zungen für die Mitgliedschaft im Domkapitel be- ganz eindeutiger Atheist bestellt werden müssen. nannte, wobei das Erfordernis von Verdiensten um Davon hat das Domkapitel Abstand genommen die Landeskirche ersatzlos entfiel. Dafür mussten und den kirchlichen Baupfleger für den Bezirk die Mitglieder „ihren ständigen Wohnsitz in der Dresden gebeten, vorläufig stellvertretend das DDR haben.“ Das Recht der Universität Leipzig, Amt des Dombaumeisters zu übernehmen. Dann zwei Kanonikate zu besetzen, wurde gestrichen. stellte sich heraus, daß Herr Architekt Steudtner Dafür hieß es: „Es soll darauf Bedacht genommen praktisch deshalb nicht zurechtkam, weil er mit werden, daß mindestens zwei Mitglieder des der Zwingerbauhütte nicht zusammenarbeiten Domkapitels Lehrer der evangelischen Theologie konnte, was aber für die Beschaffung von Bauma- im Bereich der Landeskirche sind.“ Hier wurde terial unerläßlich ist.“42 Am 8. Mai 1968 wurde der absichtlich eine weitgefasste, schon 1970 von Baureferent der sächsischen Landeskirche, Dr.- Blaschke vorgeschlagene Formulierung gewählt, Ing. Otto Baer, zum Dombaumeister berufen. Ob- um auch Lehrern des Theologischen Seminars wohl er trickreich und mit „Fischelanz“ fehlende und anderer kirchlicher Bildungseinrichtungen Baumaterialien beschaffte und eine domeigene den Eintritt in das Domkapitel zu ermöglichen. Baubrigade gründete, die Dach- und Putzreparatu- Weiterhin führte die Verfassung vom 30. Januar ren vornahm, konnte er den fortschreitenden Ver- 1976 den Status eines außerordentlichen Dom- fall nicht aufhalten. 1984 zerstörte ein Sturm Teile herrn ein. So hieß es: „Wenn ein Domherr seinen der Dachdeckung, was man nicht sofort beheben ständigen Wohnsitz nicht mehr in der DDR hat, konnte. Von der Westturmfront fielen lockere wird er außerordentlicher Domherr, auch sonst Steinteile hinab. Deshalb sperrte die staatliche kann ein Domherr in den Stand eines außeror- Bauaufsicht Teile des Domplatzes und die Domtür- dentlichen Domherrn treten.“ me mit der Auflage, die Schäden noch 1984 zu be- heben. Doch dafür hatte man weder Gerüste, Ma- Leben im und am Dom in der DDR terial noch Arbeitskräfte. Während sich die Notlage immer mehr zuspitzte, untersuchte die am Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren 15. September 1979 mit Hilfe des Instituts für durch die Beseitigung der Kriegsschäden be- Denkmalpflege gegründete Restaurierungswerk- stimmt.40 Dombaumeister Dr. Hubert Ermisch, der statt des Hochstifts Meißen43 die wertvollen Aus- zugleich als Zwingerbaumeister den Wiederaufbau stattungsteile des Meißner Doms auf Spuren ihrer des Dresdner Zwingers leitete, sorgte dafür, dass mittelalterlichen Farbigkeit. Auf dieser Grundlage Beschussschäden behoben wurden. 1948 kehrte erfolgte die Wiederherstellung der Farbigkeit des die Johannesglocke, die zum Glück nicht einge- Westportals im Zustand des 14. Jahrhunderts. schmolzen worden war, unter abenteuerlichen Weil alle verinnerlicht hatten, dass die Bedingun- Umständen nach Meißen zurück. Am 17. Oktober gen der DDR-Mangelwirtschaft nicht zu ändern 1948 nahm sie wieder ihren angestammten Platz waren, fiel niemandem die absurde Situation auf, im Nordwestturm ein. Dr. Ermisch starb 1951, und dass einerseits Teile des Daches einzustürzen droh- Oberbaurat Dr. Walter Zimmermann (1881– ten, andererseits unter diesem Dach genaueste wis- 1962) trat sowohl als Zwingerbauleiter als auch als senschaftliche Forschungen betrieben wurden. Dombaumeister dessen Nachfolge an. Unter seiner Nach der Tausendjahrfeier Meißens, die man 1929 Aufsicht erfolgte 1952/53 eine Einrüstung der festlich begangen hatte, stand für das Jahr 1968 Domtürme, so dass auch an sonst unzugänglichen das Jubiläum „1000 Jahre Bistum Meißen“ an. Stellen die Kriegsschäden beseitigt werden konn- Dazu planten Landeskirche und Hochstift einen te. 1960 erhielt der Meißner Dom drei neue Glo- Landeskirchentag in Dresden und Meißen. Doch cken. Die Glockenritzzeichnungen führte der spä- von Seiten staatlicher Stellen war eine öffentliche tere Domherr Dr. Rietschel im Juni 1959 in der Darstellung christlichen Glaubens nicht er- Glockengießerei in Apolda aus. Am 11. Juni 1960 wünscht. Der Rat des Bezirks Dresden teilte mit, feierte man die Glockenweihe.41 dass man keinen Kirchentag wünsche, weshalb Als 1962 Max Zimmermann starb, musste die Ver- keine Unterstützung bei Unterkunft, Verpflegung bindung zur Zwingerbauhütte in Dresden gelöst und Verkehr gewährt werden könne. Auch ein werden, da der Nachfolger, Arthur Frenzel, den kleineres Veranstaltungsformat ließ sich nicht rea-

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 437 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

44 Vgl. die Beiträge in Trian- lisieren, so dass schließlich am 23. Mai 1968 nur Das Stück zeichnet sich dadurch aus, dass dem Text gel. Das Programmjournal ein Gottesdienst und ein Empfang durchgeführt des „Tedeum laudamus“ von Martin Luther (1483– des Mitteldeutschen Rund- werden konnten. Dabei trugen die Domherren 1546) ein antiphonischer Text von Günter Grass funks 2 (1997), Heft 10, erstmals ihr neu gestaltetes Ornat. Es ersetzte die (1927–2015) entgegengesetzt war. Grass´ Worte ferner Das Meissner Tede- um. Eine deutsch-deutsche schwarzen Chormäntel, die in dieser Gestalt seit äußerten bittere Zweifel an Gott, weshalb Landesbi- Dialog-Komposition zum dem 19. Jahrhundert in Gebrauch gewesen waren, schof Noth und andere Beteiligte dem Stück vor- 1000jährigen Bestehen des sowie eine um 1960 eingeführte geistliche Tracht, warfen, es hole den Teufel in die Kirche. Das Dom- Meißner Doms (1968). In: bestehend aus Soutane, Chorhemd, Schulterkra- kapitel nahm an der Generalprobe am 18. Mai Matthias Hermann (Hrsg.): gen und Barett. Nach einem „Gutachten zur Neu- 1968 teil und stimmte daraufhin einer Aufführung Die Dresdner Kirchenmusik gestaltung der gottesdienstlichen Gewänder der zu. Das von der Meißner Kantorei 1961 aufgeführte im 19. und 20. Jahrhundert. Domkapitulare des Hochstifts Meißen“ von Dom- „Meißner Tedeum“ war ein Meilenstein in der Ent- Laaber 1998, S. 517-530. 44 45 Siegfried Bräuer: Das Zen- herr Dr. Rietschel beriet das Domkapitel am 31. Ja- wicklung der modernen Kirchenmusik. surverfahren bei der Fest- nuar, 23. März, 4. Mai und 17./18. Mai 1968 über Zum Jubiläum sollte eine Festschrift mit wissen- schrift zur Tausendjahrfeier die Neugestaltung der Ornate. Rietschel hatte vor- schaftlichen Beiträgen zur Geschichte des Bistums des Bistums Meißen 1968. geschlagen, über der Soutane oder dem schwarzen und Hochstifts Meißen erscheinen. Die staatlichen In: Herbergen der Chris- Gesellschaftsanzug einen langen weißen Chor- Behörden verhinderten jedoch ein Erscheinen.45 tenheit. Jahrbuch für deut- mantel und darüber eine farbige Almutia (Schul- Man warf der Publikation vor, dass sie „der Propa- sche Kirchengeschichte 18 terkragen), eventuell mit Pelzbesatz, zu tragen. gierung und Durchsetzung interkonfessioneller (1993/1994), S. 131-146. 46 Franz Lau (Hrsg.): Das Dieser Vorschlag war von der Chorkleidung der Bestrebungen dienen soll, an denen die Staatsorga- Hochstift Meißen. Aufsätze Domherren vor der Reformation abgeleitet. Bei ne der DDR kein Interesse haben.“ Die Aufsatz- zur sächsischen Kirchenge- der letzten Beratung wurden eine lilafarbene Al- sammlung konnte erst 1973, fünf Jahre nach dem schichte. Leipzig 1973. mutia und die Verwendung von Pelz verworfen Jubiläum, als Sonderband der Zeitschrift „Herber- 47 Heinrich Magirius: Orgeln und dafür beschlossen, über dem weißen Chor- gen der Christenheit“ erscheinen.46 Auch der Fest- im Meißner Dom. In: Ec- mantel eine Almutia aus gelblicher Seide zu tragen. schrift des katholischen St. Benno-Verlags wurde clesia Misnensis 4 (2001), Dem Gottesdienst folgten ein Empfang des Dom- die Druckerlaubnis verweigert. S. 113-121, hier S. 119-121; Armin Zuckerriedel: Zur Ge- kapitels, zu dem Domdekan Dr. Heinrich Bulang Seit Anfang der 1950er Jahre wünschten Organis- neralüberholung der Meiß- (1914–1976) als Vertreter der katholischen Kir- ten und Kantoren einen Neubau der Orgel des ner Domorgel. In: Ecclesia che eine Ansprache hielt, sowie eine öffentliche Meißner Doms. 1963 erhielt die Bautzener Orgel- Misnensis 3 (2000), S. 133- Vorlesung im Kapitelsaal. Der katholische Bischof firma Eule den Auftrag. Die Ausführung verzöger- 135. Otto Spülbeck (1904–1970) war nicht anwesend, te sich, weil lange um den Standort der Orgel und 48 Landeskirchenarchiv Dres- denn die katholische Kirche beging das Jubiläum die Gestaltung des Orgelprospekts gerungen wur- den, Bestand 2, Nr. 3892. des Bistums Meißen separat. de. Schließlich wurde die Orgel auf der Lettner- 49 Auerbach 2002 (wie Anm. 6), S. 8 mit einer Übersicht Höhepunkt der Tausendjahrfeier war die Auffüh- bühne vor der Nordwand des östlichen Querhaus- der Tagungsthemen. rung des „Meißner Tedeums“, einer modernen arms angeordnet. Am 1. Oktober 1972 wurde die Komposition des Kirchenmusikers Wolfgang Huf- mit einem bewusst schlichten Prospekt versehene schmidt (geb. 1934), am 26. Mai 1968. Domkantor Orgel eingeweiht.47 Dr. Schmidt hatte durch Kontakte nach West- Das Domkapitel kam seiner Aufgabe, den Meißner deutschland erwirkt, dass der in Essen lehrende Dom als evangelisches Gotteshaus zu erhalten, Hufschmidt einen Kompositionsauftrag erhielt. nach, indem Dompfarrer und Domprediger Sonn- tagsgottesdienste anboten. Die Zahl der jährlichen Gottesdienste schwankte, denn nicht jeden Sonn- tag wurde ein Gottesdienst gehalten. In den Win- termonaten wurden die Gottesdienste im leichter beheizbaren Kapitelsaal in der Dompropstei gefei- ert oder sie fielen ganz aus. So klagte Domdechant Lau am 15. Juli 1965 beim Landeskirchenamt: „Daß der Dom im Winter einfach brachliegen bleibt, halte ich für völlig untragbar.“ Die Landes- bischöfe Hahn und Noth predigten dreimal, selte- ner viermal im Jahr im Dom. Der 1972 eingeführte Landesbischof Johannes Hempel konnte hingegen keine Zuneigung zum Meißner Dom entwickeln. Er kam deutlich seltener nach Meißen, auch inter- essierten ihn die Angelegenheiten des Domkapi- tels nur wenig. Manche Jahre hielt er keine oder nur eine einzige Bischofspredigt im Meißner Dom. Die übergemeindliche Bedeutung des Meißner Doms kam dadurch zum Ausdruck, dass sich zahl- Dompropst Ernst Sommerlath, reiche Hochzeitspaare im Meißner Dom trauen der neu aufgenommene Domherr Christoph Michael Haufe und ließen. Auch wurden jährlich mehrere Kinder ge- Domdechant Karlheinz Blaschke tauft, wohl vor allem deshalb, weil die Eltern den zum Kapiteltag am 26. Mai 1974 festlichen Rahmen der gotischen Kathedrale © Hochstift Meißen wünschten. Als Domprediger Ackermann 1982

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 438 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

seinen Dienst antrat, wurden im Winterhalbjahr keine Gottesdienste angeboten. In den Sommer- monaten fand der Gottesdienst um 14:00 Uhr statt, meist als Abschluss einer Tagung der evange- lischen Akademie. Seit 1980 wurde jeden Mitt- wochvormittag eine Andacht gehalten. Die „Unternutzung“ des Doms – trotz seines Rangs als Bischofskirche, der Verbindung mit der Evan- gelischen Akademie und der regen kirchenmusika- lischen Arbeit – wurde in den Jahren der DDR wiederholt angesprochen. Domdechant Lau mein- te am 15. Juli 1965 pessimistisch: „Daß der Dom, um es einmal hart auszudrücken, für die Stadt Mei- ßen überflüssig ist, ist aber immer wieder kund ge- worden.“48 Domprediger Ackermann beklagte 1985 vor dem Domkapitel die „Diskrepanz zwi- schen Größe und Bedeutung des Domes zu einer fehlenden Gemeinde und kirchlichen Bestimmung z.B. für die Sächs. Landeskirche“. Damit verbun- den wurde auch die Existenzberechtigung des Domkapitels in Frage gestellt. So berichtete Dom- dechant Blaschke in der Kapitelsitzung am 29./30. lands nicht abbrechen zu lassen, wurden Anfang Kapiteltag am 26. Mai 1974. Mai 1976 von einem Gespräch mit Oberlandeskir- der 1980er Jahre Kontakte zum Kloster Loccum in Oben von links nach rechts chenrat Dietrich Mendt (1926–2006): „OLKR Niedersachsen aufgenommen. Dort besteht seit Christian Rietschel, Christoph Mendt warf die Frage auf, ob eine Fusion mit der der Reformation ein evangelischer Konvent, der Michael Haufe, Karlheinz Evangelischen Akademie möglich sei. Er habe den das Erbe der Zisterzienser fortführt. Mehrfach ka- Blaschke, Hans Bardtke, Eindruck, das Domkapitel suche krampfhaft nach men Angehörige des Loccumer Konvents nach unten Hans Nadler, Paul Liebe, Ernst Sommerlath, Ernst Wäntig Aufgaben. Er hält das Kapitel für nicht nötig und Meißen, während Meißner Domherren, die in den © Hochstift Meißen meint sogar, man solle die Ornate verbrennen.“ Westen reisen durften, an Tagungen in Loccum Domdechant Blaschke legte am 8. April 1977 „Ge- teilnahmen. danken über die weitere Entfaltung des geistlichen Der Meißner Domkapitel setzte sich zwar aus Per- Lebens am Meißener Dom“. Er war sich bewusst, sonen zusammen, die dem Staat eher kritisch ge- dass der Dom auch in Zukunft keine eigene Ge- genüberstanden und sich durchaus um die Ent- meinde haben werde. Man könne aber die Besu- wicklung der Gesellschaft sorgten. Aber da die cher durch Führungen mit geistlichen Inhalten Domherren nur selten zusammenkamen und zu- und durch Kurzandachten für den christlichen dem darauf bedacht waren, den Betrieb des Meiß- Glauben gewinnen. Außerdem sollten im Dom ner Doms ohne Konflikte mit staatlichen Stellen grafisch gestaltete Worte als „Sichtwerbung“ ange- aufrechtzuerhalten, konnten sich am Meißner bracht werden. Blaschke schlug ferner die Darbie- Dom keine Strukturen einer DDR-Opposition ent- tung alter und moderner Kunst in einem Ausstel- wickeln. In der Restaurierungswerkstatt waren lungsraum sowie „eine Ausstellung zur Landes- mehrfach Mitarbeiter angestellt, die Ausreisean- kirchengeschichte (Dommuseum)“ vor. Weiterhin träge gestellt hatten, doch diese verließen die sollten Tagungen, Gespräche und Veranstaltungen DDR. Domküster Stephan Nierade versuchte, den zum Thema „Kirche in der Zeit“ bzw. „Kirche und Dom für alternative Veranstaltungen zu öffnen. So Geschichte“ angeboten werden. wurde 1985 auf sein Betreiben im Meißner Dom Nur ein Teil dieser Ideen ließ sich umsetzen. Dazu die Fotoausstellung „Die Elbe“ gezeigt, die die Um- gehörte die Nutzung des Doms als Ausstellungsort weltverschmutzung in der DDR anprangerte. Nach des Kunstdienstes der evangelischen Landeskir- Einwirken staatlicher Stellen und einer Vorladung che. Seit den 1970er Jahren wurden an den Wän- von Vertretern des Landeskirchenamts musste die den des Kirchenschiffs Werke moderner Kunst Ausstellung wieder abgebaut werden. Es erstaunt, mit kirchlichem Bezug gezeigt. Dagegen wurde der dass sich das Domkapitel nicht schützend vor den Vorschlag, den Dom zu einer „Sammlungsstätte Domküster stellte, sondern selbst von „stark kirchlicher Kunst“ zu machen, gemeint war ein staatsfeindlichen“ Inhalten redete. Im Protokoll Depot für Kunstwerke aus aufgegebenen Kirchen, der Kapitelsitzung vom 10. Mai 1986 heißte es: nicht umgesetzt. 1978 begründete Domdechant „Am 28.3. [1985] war in der Dienstbesprechung Blaschke die Begegnungstagung „Kirche und Ge- seitens des Küsters vorgeschlagen worden, das all- schichte“, zu der sich einmal im Jahr an einem Wo- jährliche Jazz-Konzert durch einen Bilderzyklus chenende im Herbst evangelische wie katholische ,Die Elbe', unter den Thema Umweltschutz zu un- Teilnehmer einfanden, um die Bedeutung der Ge- terstützen. Die Ausstellung enthielt stark staats- schichte für die Herausforderungen der Gegen- feindlich gefärbte Tendenzen und z.T. unverständ- wart zu diskutieren. Bis 1990 fanden insgesamt 13 liche, vom Thema völlig abweichende Formu- thematische Tagungen statt.49 Um die Verbindun- lierungen. Diese negativen Inhalte waren durch gen zur evangelischen Kirche im Westen Deutsch- zahlreiche Bürgereingaben unterstützt zum Anlaß

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 439 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

50 Vgl. dazu Steinecke 2007/ einer Anfrage geworden, die in gleicher Weise fessionen zu öffnen. Zuvor hatte der frühere Meiß- 2008 (wie Anm. 6), S. 105. auch das LKA seitens des Rates des Bezirkes er- ner Superintendent Dr. Neuberg gewettert: „Die 51 Landeskirchenarchiv Mei- hielt. Die Herren OLKR. Fritz und OLKR. Schlich- römische Kirche kann nicht anders als darauf aus- ßen, Bestand 2, Nr. 3889, ter waren in Dresden zur Aussprache gebeten wor- gehen, den Meissner Dom für das Bistum Meissen dort auch die folgenden Zi- tate. den. Durch Zusage der sofortigen Entfernung als dessen Kathedrale zurückzuerobern. In der 52 Gemeint ist die Neugründung konnten Weiterungen abgewendet werden.“ Überlassung des Domes zu einem Messgottes- des Bistums Meißen 1921. Unter den Mitarbeitern des Hochstifts Meißen gab dienst und Hochamt sehe ich eine grosse Gefahr.“ 53 Vgl. auch Seifert 1997 (wie es keine inoffiziellen Mitarbeiter des Staatssicher- 1956 setzte sich Oskar Pinkert aus Leipzig beim Anm. 9), S. 349-350. heitsdienstes der DDR. Das belegte eine Überprü- CDU-Vorsitzenden Otto Nuschke (1883–1957) fung, die 1993 durchgeführt wurde. dafür ein, den Dom zu einer Simultankirche zu machen. Domdechant Lau, von Nuschke zu einer Das Verhältnis zur römisch-katholischen Antwort aufgefordert, schrieb am 23. Oktober Kirche 1956, dass „aus grundsätzlichen Erwägungen her- aus“ ein Zuverfügungstellen des Meißner Doms Die Öffnung des Meißner Doms gegenüber Mit- nicht erfolgen könne. Der Dom sei Landeskathed- christen anderer Konfessionen ist ausgerechnet rale der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche der FDJ zu verdanken. 1946 gegründet, entwickel- Sachsens, während die katholische Kirche in Mei- te sich der anfangs überparteiliche Jugendbund ßen ein eigenes Gotteshaus besitze. rasch zur einzigen Jugendorganisation der DDR Am 8. September 1954 bat der Meißner katholi- und zur „Kaderreserve“ der SED. Doch im Mai sche Pfarrer Erzpriester Paul Kneschk (gest. 1960) 1947, beim II. Parlament der FDJ in Meißen, gab Dompropst Hickmann um Überlassung des Doms sich die Jugendorganisation noch pluralistisch. für eine Bonifatiusfeier zum Gedenken an den Der FDJ-Kreisverband, dem auch der Jugenddia- 1200 Todestag des „Apostels der Deutschen“. Das kon Walter Birkner von der Frauenkirchgemeinde Landeskirchenamt beschloss jedoch eine Ableh- und Gerhard Wippler von der katholischen Pfarrei nung. Kneschke unternahm zwei Jahre später ei- St. Benno angehörten, hatte dem Organisations- nen neuen Versuch, indem er einen Antrag auf die stab einen ökumenischen Gottesdienst im Meiß- Überlassung des Doms für eine St. Benno-Feier ner Dom vorgeschlagen. Nach anfänglichem Wi- stellte. 1956 erinnerte die katholische Kirche an derstand wurde dafür die Genehmigung erteilt, den 950. Todestag des früheren Meißner Bischofs, vor allem, weil sich die katholische Meißner CDU- dessen Gebeine bis 1539 im Meißner Dom verehrt Landtagsabgeordnete Many Jost (1897–1992) und wurden. Dass Domkapitel beriet am 13. Mai 1956 der evangelische CDU-Landesvorsitzende und und gab die Anfrage an das Landeskirchenamt stellvertretende Domdechant Hugo Hickmann da- weiter. Propst Sommerlath notierte: „So sehr man für ausgesprochen hatten. An dem Gottesdienst aus Gründen der brüderlichen Hilfe geneigt sein am 25. Mai 1947 nahmen 1.800 Jugendliche teil. könnte, den Dom zu überlassen, hielt das Landes- Der evangelische Jugendpfarrer Hanisch und der kirchenamt es dennoch für ratsam, den Dom nicht katholische Domvikar Lange hielten die Predigten, zur Verfügung zu stellen. Wie auch schon in der während der Evangelische Singekreis mit dem Sitzung des Domkapitels zu Exaudi zur Sprache ge- „Magnificat“ von Dietrich Buxtehude für einen kommen war, hat der Dom für die sächsische Lan- festlichen musikalischen Rahmen sorgte.50 deskirche eine besondere und herausgehobene Be- In diesem Umfeld wurden mehrere Stimmen laut, deutung. Eine Überlassung des Domes für eine die eine mehrkonfessionelle Nutzung des Meiß- katholische Feier erhält dadurch ein über den Ein- ner Doms forderten.51 Der evangelische Pfarrer zelfall hinausgehendes Gewicht. Auch ist darauf Dr. Karl August Busch (1886–1952), Mitglied der Rücksicht zu nehmen, daß eine Überlassung des Landesleitung der Freien Volkskirchlichen Verei- Domes zu einer katholischen Feier in weiten Krei- nigung, schrieb im „Sächsischen Tageblatt“ am sen der Landeskirche und der Pfarrerschaft nicht 19. April 1947 im Hinblick auf den Meißner: „Ist verstanden werden würde, sondern Ärger erregen es nicht schade um diesen wundervollen einsamen könnte.“ Der Vorschlag, eine andere Meißner Kir- Bau? Es genügt nicht, daß er wie ein Museum nur che zu überlassen, war nicht im Sinne der katholi- von Fremden besucht wird. […] Könnte nicht die- schen Pfarrer, der es ja bewusst darum ging, im ses ehrwürdige Gotteshaus beiden Konfessionen Meißner Dom, der Wirkungsstätte Bennos, des geöffnet werden und offen stehen? […] Wär es heiligen Bischofs zu gedenken. nicht eine große echt christliche, brüderliche und Eine fortdauernde Verbindung mit dem Domkapi- für den dauernden künftigen Frieden unter den tel St. Petri in Bautzen war dadurch gegeben, dass Konfessionen in Sachsen und vielleicht darüber die Meißner Domherren die Propst zu Bautzen aus hinaus entscheidende und wegweisende Tat, wenn ihren Reihen wählten und das Hochstift Meißen die evangelische Kirche sich großherzig entschlie- das Nießbrauchsrecht an der Propstei Bautzen aus- ßen würde, den bis jetzt evangelischen Dom auch übte. Die Neuwahl eines Propstes zu Bautzen wur- der katholischen Schwesterkonfession zur Verfü- de pflichtgemäß dem katholischen Domkapitel an- gung zu stellen, so daß sonntäglich beide Konfessi- gezeigt. 1968 brachte das Bautzener Domkapitel onen in ihm ihre Gottesdienste feiern könnten?“ erstmals zum Ausdruck, dass es die Besetzung der Busch beantragte am 22. März 1948 beim Landes- Propstei mit einem Meißner Domherr nicht ableh- kirchenamt, den Dom für andere christliche Kon- ne, sondern hoffe, dass der Propst zu Bautzen zu

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 440 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

einem Verbindungsmann zwischen den Domkapi- Verzicht auf die Propstei Bautzen komme einer teln werde. Domdekan Dr. Heinrich Bulang (1914– Schenkung gleich. Das verstoße gegen den Grund- 1976) schrieb am 15. Juni 1968 an Domdechant satz der Bestandserhaltung des Stiftungsvermö- Lau: „Im Namen unseres Kapitels danke ich Ihnen gens. Das Hochstift Meißen habe als öffentlich- verbindlichst für die freundliche Mitteilung, daß rechtliches Stift streng auf Bestandswahrung und Herr Superintendent i. R. Herbert Böhme Nachfol- -mehrung zu achten. Es könne mit dem Stiftungs- ger des im vergangenen Oktober heimgesuchten vermögen nicht wie ein Eigentümer verfahren und Dompropstes zu Bautzen geworden ist. Wenn ihm es einfach verschenken. Darüber hinaus trug Hof- sein hohes Alter auch nicht gestattet, tätig zu wer- mann auch bemerkenswerte theologische Einwän- den, so begrüße ich doch insbesondere Ihren de vor: Der Dienst des Domkapitels umfasse „das glücklichen Gedanken, dieser Dompropst könnte Streben nach sichtbarer Einheit der Kirche ebenso in Zukunft zufolge des gegebenen fundamentum wie die Sorge um die Reinheit der Verkündigung in re einmal der geborene Verbindungsmann zwi- und die Evangeliumsgemäßheit allen kirchlichen schen unseren Institutionen sein.“ Dieses Angebot Handelns. Es ist dem Hochstift infolgedessen ver- ist vom Meißner Domkapitel nicht angenommen wehrt, gegenüber anderen Konfessionen, die sich worden. Auf Herbert Böhme folgte als vorerst letz- ebenfalls auf das Evangelium berufen, Gleichgül- ter Propst von Bautzen 1972 der Zwickauer Ober- tigkeit zu zeigen oder sich bewusst mit einer ge- kirchenrat Ernst Wäntig. Es ist nicht bekannt, dass genseitigen Abgrenzung zufrieden zu geben. […] dieser das Gespräch mit den Mitgliedern „seines“ Die einseitige Aufgabe der Stellung des Propstes zu Domkapitels suchte, das 1980 seinen Sitz von Bautzen durch das Hochstift Meißen wäre nicht Bautzen nach Dresden verlegte. etwa ein Zeichen ökumenischer Gesinnung. Sie Nachdem Wäntig 1987 auf die Propstei Bautzen würde vielmehr die Spaltung der abendländischen verzichtet hatte, wurde die Stelle nicht mehr be- Kirche gerade an einer Stelle vertiefen, an der sie setzt. Domdechant Blaschke sah in diesem Amt bis heute institutionell überbrückt ist. Die Stellung ein überholtes Relikt, das einer Versöhnung der des Propstes zu Bautzen im Domkapitel zu Meißen Konfessionen im Wege stand. Aus Anlass des ist eine ständige und heilsame Erinnerung und 775-Jahrfeier des Domkapitels St. Petri richtete er Mahnung an beide beteiligte Konfessionen, sich am 29. Juni 1996 an den Domdekan Weihbischof ihre jahrhundertelange gemeinsame Geschichte zu Georg Weinhold (1934–2013) folgendes Schrei- vergegenwärtigen, die Reformation als die ganze ben: „Mit Rücksicht auf diese Neugründung52, auf Kirche betreffend zu erkennen und dem Missver- die Trennung der Konfessionen und auf den in den ständnis zu begegnen, die Inhalte des Evangeliums vergangenen Jahrzehnten erreichten Stand der ließen sich in statisch abgeschlossenen Kirchentü- ökumenischen Beziehungen halten wir diese tradi- mern zementieren.“ Die katholische Seite habe das tionsbedingt Regelung nicht mehr für angemes- Fortbestehen der Propstei Bautzen nie angetastet sen. Das Domkapitel zu Meißen hat daher mit dem und werde durch sie nicht in ihrer Handlungs- und Ausscheiden des Domherrn Ernst Wäntig, der als Repräsentationsfreiheit beeinträchtigt. Einzug katholischer und evan- letzter den Titel eines Dompropstes zu Bautzen ge- Nach diesem Einwand blieb die Propstei Bautzen gelischer Geistlicher, darunter führt hat, seit dem Jahre 1987 diese Stelle nicht in der Verfassung des Hochstifts Meißen bestehen, Kardinal Friedrich Wetter aus wieder besetzt und betrachtet seitdem die Funkti- und das Domkapitel musste zur Kenntnis nehmen, München, zur Bennofeier am on eines Dompropstes zu Bautzen innerhalb des dass der 1996 ausgesprochene Verzicht unwirk- 16. Juni 2006 im Meißner Dom Domkapitels zu Meißen als erloschen. Das gleiche sam war. Er ist auch nie vollzogen worden, denn Foto: Matthias Donath gilt für alle Rechte, Einkünfte und Besitzungen, die mit dem Amt des Bautzener Propstes innerhalb des Meißner Domkapitels verbunden waren.“53 Er meinte, damit eine endgültige Ablösung des Meiß- ner vom Bautzener Domkapitel vollzogen zu ha- ben. Allerdings hatte Blaschke das Schreiben auf- gesetzt, ohne sich der Zustimmung des Dom- kapitels und des Landeskirchenamts versichert zu haben. Erst nachträglich fragte er am 2. November 1996 das Domkapitel, das seinem Antrag einstim- mig zustimmte. Bei der Neufassung der Verfassung des Hochstifts Meißen, die das Domkapitel am 25. Mai 1998 verabschiedete, war demzufolge je- der Hinweis auf die Propstei Bautzen entfallen. Diese Änderung wurde indes vom Landeskirchen- amt nicht genehmigt. Hans-Dieter Hofmann, der Präsident des Landeskirchenamtes, brachte in sei- nem Schreiben vom 20. Februar 1999 mehrere Ar- gumente vor. Das Hochstift Meißen sei eine rechtsfähige kirchliche Stiftung unter Aufsicht des Landeskirchenamts und unterliege dem Stiftungs- und dem Stiftungsaufsichtsgesetz. Der einseitige

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 441 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

54 Auerbach 2002 (wie Anm. das Hochstift Meißen bezieht bis heute die Ein- richtet.56 Damit konnte Blaschke, der entscheiden- 6), S. 11. nahmen der Propstei Bautzen. Diese sind aller- den Einfluss auf die Inhalte des Museums hatte, 55 Vgl. Günter Donath (Hrsg.): dings durch die Enteignungen in der DDR zu einer eine Idee verwirklichen, die bereits in seinem Kon- Die Restaurierung des Doms kläglichen Summe zusammengeschmolzen. Heute zept von 1977 enthalten war. Unter der Überschrift zu Meißen 1990-2002. Stutt- gart 2003, sowie die ausführ- beträgt der jährliche Erlös 765,92 Euro, die der „Der Dom zu Meißen und die Kirche in Sachsen“ lichen Dombauberichte in Bautzener Kleingartenverein Land in Sonne e.V. an sollte das Dommuseum die Kirchengeschichte den Jahrbüchern „Ecclesia das Hochstift Meißen entrichtet. Die Stelle des Sachsens erklären und zeigen. Seit 1998 verfügt der Misnensis“ und „Monumenta Propstes zu Bautzen ist dennoch nicht wieder be- Meißner Dom über eine eigene Fachzeitschrift. Ge- Misnensia“. setzt worden. meinsam mit dem Dombau-Verein Meißen, der 56 Vgl. Katharina Flügel: Das Dass sich ein Wandel in Beziehungen der Konfessi- 1994 wiedergegründet wurde, gab das Hochstift das neue Dommuseum: Der Dom onen vollzogen hat, ist daran zu erkennen, dass seit Jahrbuch „Ecclesia Misnensis“ heraus. Dieses wur- zu Meißen und die Kirche in Sachsen. In: Ecclesia Mis- 1990 regelmäßig ökumenische Gottesdienste im de unter Beteiligung des Freundeskreises Albrechts- nensis 3 (2000), S. 136-138. Meißner Dom stattfinden. Schon am 3. Oktober burg 2003 unter dem Titel „Monumenta Misnensia“ 1990 zum Tag der Deutschen Einheit wurde ein sol- zum „Jahrbuch für Dom und Albrechtsburg Mei- cher gefeiert. Mehrfach kam der Bischof des Bis- ßen“ erweitert. tums Dresden-Meißen in den Meißner Dom. So Die Währungsumstellung am 1. Juli 1990 wertete predigte Bischof Joachim Reinelt (geb. 1936) am das Vermögen des Hochstifts auf, da sich auf den 5. September 1993 und am 12. Mai 2002 in der Konten nun nicht mehr Mark der DDR, sondern Domkirche. Das Domkapitel St. Petri nahm mehr- DM befanden. Andererseits wurden die Geldbeträ- mals an Festgottesdiensten zu Kapiteltagen teil. ge durch die Umstellung 1:2 halbiert. Auch die Prä- Dompropst Dieter Auerbach bemerkte dazu: „An benden wurden in DM umgerechnet. Aus 600 Mark dem Ort zu beten, zu singen und zu predigen, an der DDR wurden 300 DM. Ohne dass über die Aus- dem unsere gemeinsamen Wurzeln offen liegen, schüttung der Präbenden jemals wieder grundsätz- bleibt den Bischöfen beider Konfessionen ein wich- lich diskutiert worden wäre, erfolgte 1999 die Um- tiges Anliegen.“54 Ein neuer Grad an Gemeinsam- stellung in Euro. Die Domherren erhalten heute keit wurde 2006 erreicht, als im Rahmen des Ben- jährlich 153,39 Euro, Dompropst und Domdechant nojubiläums katholische und evangelische Christen je 306,78 Euro. Das bedeutet, dass der 1959 einge- zu einer Bennofeier im Meißner Dom zusammen- frorene Jahresbetrag unverändert noch heute gilt, kamen – 50 Jahre, nachdem das Domkapitel eine obwohl sich die Kaufkraft der Präbende deutlich re- solche Veranstaltung noch verboten hatte. Meißner duziert hat. Auf der anderen Seite sind aber auch Domherren setzten sich persönlich dafür ein, einen die Einnahmen aus den Guthaben, die früher dem neuen Stand ökumenischer Beziehungen zu errei- Präbendenfonds und der Propstei Bautzen zugeord- chen. So engagierte sich Prof. Dr. Ulrich Kühn für net waren, zurückgegangen. Die wichtigste Einnah- ein gemeinsames Abendmahl von katholischen und me des Hochstifts Meißen blieben, wie in den Jah- evangelischen Christen. Als Lutheraner lehrte er an ren der DDR, die Eintrittsgelder, die die Besucher der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. an der Domkasse entrichten. Während in den 1990er Jahren jährlich rund 150.000 Besucher in Neue Chancen den Dom kamen, setzte nach 2010 ein Wandel im Besucherverhalten der Touristen ein, der mit einem Das Meißner Domkapitel hat nicht zur Friedlichen anhaltenden, dramatischen Rückgang der Besu- Revolution beigetragen, auch wenn sich einzelne cherzahlen einherging. Die Erhöhung der Eintritts- Domherren 1989/90 durchaus mutig zu Wort ge- gelder konnte das nicht ausgleichen. Die Domführe- meldet haben. So beteiligte sich Domdechant rinnen mussten sich immer wieder fragen lassen, Blaschke mit zahlreichen Beiträgen an der Diskussi- warum für den Besuch einer Kirche Eintritt erho- on um die Wiedereinführung der Länder in der ben wird. Auch um dem Vorwurf zu begegnen, das DDR und die Wiedergewinnung sächsischer Staat- Gotteshaus sei nur gegen Geld zu betreten, wurde lichkeit. Er war es auch, der die Festrede zur Wie- die Allerheiligenkapelle am Kreuzgang als „Raum dergründung des Landes Sachsens am 3. Oktober der Stille“ für Besucher geöffnet. 1990 in der Meißner Albrechtsburg hielt. Hinsichtlich der Gottesdienste ist eine deutliche Für den Meißner Dom eröffnete die Wiedervereini- Verbesserung gegenüber der Situation in der DDR gung großartige Chancen. Durch Fördermittel, die zu beobachten. 1990 wurde nur alle zwei Wochen Dombaumeister Dr.-Ing. Otto Baer und sein Nach- ein Gottesdienst gehalten, im Winter nutzte man folger Günter Donath (geb. 1950) geschickt einwar- dazu den Kapitelsaal. Seit etwa 1997 wird an jedem ben, gelang eine vollständige Innen- und Außensa- Sonntag um 12:00 Uhr ein Gottesdienst angeboten, nierung des Meißner Doms, die 2002 weitgehend auch in den Wintermonaten. So stieg die Zahl der abgeschlossen war.55 In den folgenden Jahren wur- Gottesdienste von 43 im Jahr 1996 auf 59 im Jahr den weitere Nebenräume und Kunstschätze restau- 1998. Auch die Zahl der Gottesdienstbesucher stieg riert. Auch die Häuser des Hochstifts am Domplatz von durchschnittlich 52 auf 69 je Gottesdienst. Au- konnten in einen guten Zustand gebracht werden. ßerdem können die Besucher in den Sommermona- Bisher unbeachtete Nebenräume des Meißner ten täglich um 12:00 Uhr an einer Orgelmusik teil- Doms erhielten eine neue Nutzung. In der Großen nehmen, die zu Andacht und Besinnung einlädt. Sakristei und im Kapitelhaus östlich des Hohen Der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Chors wurde 1999/2000 das Dommuseum einge- Landeskirche Sachsens predigt üblicherweise zwei-

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 442 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

mal jährlich im Meißner Dom: am Pfingstmontag und am Reformationstag. Das Domkapitel hat sich in den 1990er Jahren, wie auch in den Jahrzehnten zuvor, überwiegend durch kirchliche Mitarbeiter oder Mitglieder der Kirchenleitung der Landeskirche ergänzt. Aufge- nommen wurden Dr. Kurt Domsch, der in den Ru- hestand getretene Präsident des Landeskirchen- amts, der Leipziger Theologieprofessor Prof. Dr. Ulrich Kühn (1932–2012), Dr.-Ing. Rainer Gaeb- ler (geb. 1938), langjähriges Mitglied der Synode und der Kirchenleitung, und Oberlandeskirchen- rat Peter Zweynert (geb. 1943), ein Kirchenjurist. Das einzige Mitglied, das eine staatliche Anstel- lung hatte, war der Landeskonservator Prof. Dr. Heinrich Magirius (geb. 1934). Mit seiner Aufnah- me sicherte man sich eine fachkundige Beratung bei der Restaurierung des Meißner Doms. Dr.-Ing. Rainer Gaebler leitete nach seinem Engagement in der Landeskirche eine Behörde zur Rehabilitie- rung von SED-Opfern. Einige ältere Domherren, Bilanz Domherr Heinrich Magirius und wie Dr.-Ing. Hans Nadler, kamen nur noch selten Dombaumeister Günter Donath zu Kapitelsitzungen oder machten von der 1976 Staat und Kirche waren im 20. Jahrhundert enor- auf den Westtürmen des Meißner eingeführten Regelung Gebrauch, in den Status ei- men Veränderungen unterworfen. Die Evangelisch- Doms, August 2000 nes außerordentlichen Domherrn überzutreten. Lutherische Landeskirche Sachsens wandelte sich Foto: Matthias Donath Die Stellen der außerordentlichen Domherren von einer Staatskirche zu einer vom Staat unabhän- konnten neu besetzt werden. Karlheinz Blaschke gigen Volkskirche, war über Jahrzehnte der kir- blieb bis 2003 Domdechant. Der betagte Dom- chenfeindlichen Politik des NS-Regimes und der propst Prof. Dr. Heinz Wagner gab sein Amt 1993 DDR ausgesetzt und muss sich heute in einer plura- an den Oberlandeskirchenrat Dieter Auerbach ab. listischen Gesellschaft behaupten, in der sich die Das Domkapitel überarbeitete mit Beschluss vom Mehrheit nicht mehr zum christlichen Glauben be- 23./24. Mai 1998 die Verfassung des Hochstifts kennt. Das Meißner Domkapitel hatte auf diese ge- Meißen. Der überholte Hinweis auf den Wohnsitz sellschaftlichen Veränderungen zu reagieren. in der DDR wurde gestrichen. Der § 4, der die Auf- Hochstift und Domkapitel überlebten, was keines- nahmevoraussetzungen regelt, erhielt eine Neufas- falls selbstverständlich ist. Die Revolution 1918, die sung. Seitdem heißt es: „Zu Domherren können auf Vermögensverluste oder die Eingriffe des NS-Staa- Lebenszeit Glieder der Evangelisch-Lutherischen tes hätten jederzeit zu einem Ende führen können. Landeskirche Sachsens ernannt werden, die zur Er- Das Meißner Domkapitel hat bis heute eine zentra- füllung der ihnen obliegenden Aufgaben geeignet le Aufgabe, nämlich die Aufrechterhaltung des und willens sind und das 30. Lebensjahr vollendet Gottesdienstes im Meißner Dom. Lange suchte haben.“ Die Formulierung „Glieder“ statt „Männer“ man nach weiteren Aufgaben und nach Nutzungs- wurde absichtlich gewählt, um auch Frauen die Auf- möglichkeiten für den Meißner Dom. Viele Ideen nahme in das Domkapitel zu ermöglichen. Das Lan- haben sich zerschlagen. Immerhin wird der Meiß- deskirchenamt kritisierte diese Änderung am ner Dom stärker als früher als geistlicher Ort ge- 10. Februar 1999 als „Bruch mit der Tradition“, ge- nutzt und ist zugleich ein „Hotspot“ des Kulturtou- nehmigte die Formulierung aber dann doch. Dom- rismus geblieben. Dennoch ist zu konstatieren, propst Auerbach bestätigte 2002 in einem Beitrag dass dem Meißner Dom nicht mehr die landeswei- zum 75. Geburtstag des Domdechanten Karlheinz te Bedeutung zukommt, die früher als selbstver- Blaschke, dass mit der Formulierung eine weitere ständlich galt. Das Meißner Domkapitel hat gegen- Öffnung des Domkapitels ermöglicht werden sollte: über den anderen evangelischen Domkapiteln im „Damit ist ein erster Versuch eingebracht, das Kapi- mitteldeutschen Raum einen vergleichsweise tel auch für Frauen zu öffnen. Freilich ist eine ‚Dom- schwachen gesellschaftlichen Einfluss, zumal es herrin‘ in Meißen noch kaum vorstellbar.“ Bisher ist sich keine neuen Aufgabenfelder erschlossen hat. noch keine Frau in das Domkapitel aufgenommen Ein Grund sind sicherlich auch die mangelnden worden. Allerdings enthielt ein Dreiervorschlag zur Ressourcen. Die Stiftung besteht weiter, obwohl Neubesetzung einer Domherrenstelle den Namen praktisch kein Stiftungsgut mehr vorhanden ist. So einer Frau. Der Stiftsherr hat jedoch diesen Vor- hat sich die Finanzierung des laufenden Betriebs schlag nicht berücksichtigt. eng an den Tourismus koppeln müssen, ohne den 1990 wurde der noch in der DDR ausgebildete Jurist der Haushalt zusammenbrechen würde. Michael Gilbert (geb. 1956) zum Stiftsyndikus be- Eine bahnbrechende Aufgabe des Meißner Domka- rufen. Stiftssekretärinnen waren nach dem Eintritt pitels ist in seiner Geschichte begründet. Als Ein- Christa Schumanns in den Ruhestand Helga Schulz richtung, die auf der vorreformatorischen Reichs- (geb. 1940) und Martina Gasch (geb. 1960). kirche wurzelt, könnte es verstärkt für eine

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 443 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

ökumenische Verständigung werben. Insbesondere ziellen Ressourcen braucht, sondern nur das sym- die fortbestehende Verklammerung der konfessi- bolische Kapital, das sich auf eine 1050-jährige Ver- onsverschiedenen Domkapitel in Meißen und Dres- gangenheit gründet. Das Meißner Domkapitel den ist ein einmaliges ökumenisches Zeichen. Mit mahnt zugleich die evangelische Kirche der Gegen- einer Neubesetzung des Amtes des Propstes zu wart, dass ihre Geschichte nicht erst mit Martin Lu- Bautzen und einer beidseitigen Anerkennung die- ther und der Reformation beginnt, sondern tiefere ser konfessionsüberschreitenden institutionellen und ältere Wurzeln hat, auf die sich die evangeli- „Brücke“ könnte das Domkapitel für eine Annähe- sche Kirche legitim beziehen darf. Vielleicht könnte rung der evangelisch-lutherischen und der römisch- das Meißner Domkapitel im 21. Jahrhundert damit katholischen Kirche wirken. Hier könnte sich eine ein Signal der Versöhnung und Hoffnung aussen- Symbolwirkung entfalten, für die man keine finan- den, das über Sachsen wahrgenommen wird.

Mitglieder des Meißner Domkapitels Oberingenieur Dr. jur. h. c. Kurt Domsch (18.5.1928– im 20. Jahrhundert 5.2.1999), 1975–1989 Präsident des Landeskirchen- amts und stellvertretender Vorsitzender der Kirchen- in der alphabetischen Reihung der Nachnamen. Als leitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, aufge- Tag der Aufnahme zählt die Einführung in das Dom- nommen 5.6.1990, Rücktritt 31.12.1998 kapitel, während Wahl, Ernennung oder Präsentation Prof. Dr. theol. et phil. Karl Otto Frenzel (31.12.1865– hier keine Berücksichtigung finden. 20.1.1934), Professor für Praktische Theologie und Prof. Lic. theol. Dr. jur. h. c. Dr. phil. h. c. Dr. phil. h. c. Pädagogik an der Universität Leipzig, lebte in Leipzig, Albrecht Alt (20.9.1883–24.4.1956), Professor für aufgenommen 16.5.1926 Alttestamentliche Wissenschaft an der Universität Geheimer Kirchenrat Prof. Dr. theol. et phil. Gustav Leipzig, lebte in Leipzig, aufgenommen 1935 Adolf Fricke (22.8.1822–30.3.1908), Professor für Oberlandeskirchenrat Superintendent i. R. Dieter Neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Auerbach (geb. 30.6.1933), 1973 - 1983 Superintendent Leipzig, lebte in Leipzig, aufgenommen 19.5.1890 in Meißen, 1983 Oberkirchenrat, 1989 Oberlan- Dr.-Ing. Rainer Gaebler (geb. 30.3.1938), 1959–1991 deskirchenrat im Landeskirchenamt der Ev.-Luth. wissenschaftlicher Mitarbeiter von Forschungsinsti- Landeskirche Sachsens, lebte in Meißen und Radeberg, tuten in und Leipzig, 1991–1994 Mitarbeiter aufgenommen am 7.6.1993, 31.10.1992–31.10.2009 der DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH Leipzig, Dompropst, seitdem außerordentlicher Domherr 1994–1996 Referatsleiter im Sächsischen Staats- Prof. Lic. theol. Dr. theol. h. c. Hans Bardtke (22.9.1906– ministerium für Soziales, Gesundheit und Familie, 8.3.1975), Professor für Alttestamentliche Wissen- 1997 bis 2003 Leiter der Rehabilitierungsbehörde des schaft an der Universität Leipzig, lebte in Leipzig, Freistaats Sachsen für das Zweite SED-Unrechts- aufgenommen 3.6.1973 bereinigungsgesetz im Sächsischen Landesamt für Familie und Soziales in Chemnitz, 1972–1996 Mitglied Exzellenz Staatsminister D. Dr. Dr.-Ing. e. h. Heinrich der Landessynode und 1978–1996 Mitglied der Gustav Beck (seit 1918 von Beck) (11.4.1854–9.1.1933), Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1908–1918 Minister des Kultus und öffentlichen 1983–84 Präsident der Landessynode, 1986–1990 Unterrichts, 1914–1918 Vorsitzender des Gesamt- Präses der Bundessynode des Bundes Evangelischer ministeriums, 1918 in den Adelsstand erhoben, lebte in Kirchen in der DDR und Mitglied der Konferenz der Dresden, aufgenommen 21.10.1912, 14.10.1923–13.5. Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, aufge- 1928 Domdechant, 13.5.1928–9.1.1933 Dompropst nommen 31.10.1999, 2013 außerordentlicher Domherr Prof. Dr. phil. Karlheinz Blaschke (geb. 4.10.1927), Prof. Dr. theol. Hans Haas (3.12.1868–10.9.1934), Dozent am Theologischen Seminar in Leipzig, Leiter Professor für Religionsgeschichte und Leiter des Reli- des Leiter des Referats für Archivwesen beim gionswissenschaftlichen Seminars an der Universität Sächsischen Staatsministerium des Innern, Professor Leipzig, aufgenommen 1930 für Sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden, lebt in Friedewald bei Moritzburg, aufgenommen am Oberstudiendirektor a. D. Otto Hartlich (4.5.1869– 14.5.1972, 14.5.1972–31.10.2003 Domdechant, seit 12.4.1947), Rektor der Fürsten- und Landesschule 2003 außerordentlicher Domherr St. Afra, lebte in Dresden, aufgenommen 18.6.1937 Superintendent i. R. Herbert Böhme (2.8.1879–7.6. Geheimer Rat Prof. Dr. theol. et jur. Dr. phil. h. c. 1971), 1933 - 1950 Superintendent in Meißen, lebte im Albert Hauck (9.12.1845–7.4.1918), Professor für Ruhestand in Dresden, aufgenommen 13.5.1956, Theologie an der Universität Leipzig, lebte in Leipzig, 1967–1971 Propst zu Bautzen aufgenommen 5.6.1916 Geheimer Kirchenrat Prof. Dr. phil. et Lic. theol. Dr. Prof. Dr. theol. Christoph Michael Haufe (18.5.1932– theol. h. c. Theodor Brieger (4.6.1842–9.6.1915), 19.2.2011), 1973–1992 Rektor des Theologischen Professor für Kirchengeschichte an der Universität Seminars und der Kirchlichen Hochschule in Leipzig, Leipzig, lebte in Leipzig, aufgenommen 1.6.1908 1992–1997 Professor für Ökumenik, Missionswissen- schaft und Konfessionskunde an der Universität Exzellenz Wirklicher Geheimer Rat Rudolf Carl Leipzig, lebte in Pönitz bei Taucha, aufgenommen Toussaint von Charpentier (18.9.1822–13.12.1903), 25.4.1974, 2007 außerordentlicher Domherr Regierungsrat im Ministerium des Innern, lebte in Dresden, aufgenommen 30.5.1897, als Vertreter des Dr. jur. Benno von Heynitz (16.9.1887–29.1.1979), Hochstifts Meißen 1899–1904 Mitglied der Ersten Besitzer der Rittergüter Heynitz und Wunschwitz, Kammer des Sächsischen Landtags 1945 enteignet und vertrieben, lebte in Heynitz, Gröm-

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 444 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

itz und Hannover-Kirchrode, aufgenommen 1.6.1929, der CDU in der DDR und Abgeordneter der Volks- 1.1.1941–7.6.1956 Domdechant, 1967 Verzicht auf kammer 1953–1963, lebte in Leipzig, am 13.5.1934 in Domherrenstelle, seitdem außerordentlicher Domherr das Meißner Domkapitel und 1949 in das Wurzener Domkapitel aufgenommen, seit 13.5.1955 stellver- Prof. Dr. theol. h. c. Hugo Hickmann (3.9.1877– tretender Dechant, 21.7.1956 Rücktritt als stellver- 30.5.1955), Professor am Königin-Carola-Gymnasium tretender Dechant und Domherr in Leipzig, Vizepräsident der Synode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1922 - 1936 als Abgeordneter Dr. rer. oec. Paul Liebe (30.3.1901–7.10.1989), 1947– der Deutschen Volkspartei Mitglied im Sächsischen 1971 Finanzreferent der Inneren Mission der Ev.-Luth. Landtag, 1945 Mitbegründer der CDU in Sachsen, Landeskirche Sachsens, 16.11.1955–1981 Syndikus 1948–1950 stellvertretender Vorsitzender der CDU in des Hochstifts Meißen, lebte in Radebeul und Dresden, der Sowjetischen Besatzungszone und DDR, 1946– aufgenommen 3.6.1973 1950 als Vertreter der CDU Mitglied des Sächsischen Regierungsrat a. D. Clemens Graf zur Lippe-Biesterfeld- Landtags, 1946 Vizepräsident des Sächsischen Land- Weißenfeld (seit 1916 Prinz zur Lippe-Weißenfeld) tags, Vorsitzender der Sächsischen Hauptbibelgesell- (15.7.1860–29.4.1920), Besitzer des Ritterguts Dö- schaft, lebte in Leipzig und Langebrück bei Radeberg, berkitz bei Bautzen, Landesältester des Markgraf-tums aufgenommen am 21.3.1933, 1946–1949 Propst zu Oberlausitz, 1901–1918 Mitglied und 1905–1918 Bautzen, 29.5.1949–30.5.1955 Dompropst Sekretär der Ersten Kammer des Sächsischen Landtags, Geheimer Rat Prof. Dr. phil. et theol. Lic. theol. h. c. Dr. Kommendator des Johanniterordens, lebte in Döberkitz, theol. h. c. Rudolf Hofmann (3.1.1825–19.2.1917), Bautzen und Proschwitz, aufgenommen 28.5.1914 Professor für Theologie an der Universität Leipzig, Prof. Dr. theol. Ernst Luthardt (22.3.1823–21.09.1902), lebte in Leipzig, aufgenommen 23.5.1902, als Vertreter Professor für Lutherische Theologie an der Universität des Hochstifts Meißen 1905–1910 Mitglied der Ersten Leipzig, lebte in Leipzig, aufgenommen vor 1889 Kammer des Sächsischen Landtags Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Heinrich Magirius (geb. Prof. Dr. theol. Ludwig Ihmels (29.6.1858–7.6.1933), 1.2.1934), 1958–1992 Mitarbeiter im Institut für Professor für Dogmatik an der Universität Leipzig, Denkmalpflege, Arbeitsstelle Dresden, dort 1962– lebte in Leipzig, aufgenommen Mai 1918, ausgeschieden 1992 Leiter der Abteilung Forschung, 1992–1999 1922 infolge der Wahl zum Landesbischof der Ev.- Leiter der Abteilung Wissenschaftliche Dienste im Luth. Landeskirche Sachsens, 1922–1933 Stiftsherr Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, 1994–1999 des Hochstifts Meißen Landeskonservator, 1989 Honorarprofessor an der Geheimer Rat Carl von Kirchbach (2.7.1847– Hochschule für Bildende Künste Dresden, lebt in 15.1.1929), 1899–1910 Generaldirektor der Königlich Radebeul, aufgenommen am 31.10.1994, 2012 außer- Sächsischen Staatseisenbahnen, aufgenommen 13.5. ordentlicher Domherr 1907, 1910–14.10.1923 Domdechant, 1927–1929 Propst Exzellenz Staatsminister Georg von Metzsch-Rei- zu Bautzen, 1911–1918 als Vertreter des Hochstifts chenbach (seit 1916 Graf von Metzsch-Reichenbach) Meißen Abgeordneter der Ersten Kammer des Säch- (14.7.1836–7.9.1927), Besitzer der Rittergüter Brunn sischen Landtags und Reuth bei Reichenbach, 1891–1906 Minister des Geheimer Kirchenrat Prof. D. Dr. Rudolf Kittel Innern, 1892–1906 Minister für Auswärtige Ange- (28.3.1853–20.10.1929), Professor für Alttestament- legenheiten, 1901–1906 Vorsitzender des Gesamt- liche Wissenschaft an der Universität Leipzig, lebte in ministeriums, 1901–1918 Minister des Königlichen Leipzig, aufgenommen 21.5.1917, 1925 wegen Eme- Hauses, Ehrenbürger der Stadt Dresden, Mitglied der ritierung ausgeschieden Ersten Kammer des Sächsischen Landtags, lebte in Dresden, aufgenommen 15.5.1904, 2.7.1906–1910 Exzellenz Dr. jur. Richard Leo Graf von Könneritz Domdechant, 1910–1927 Dompropst (29.7.1828–4.7.1910), Rittergutsbesitzer in Lossa bei Wurzen, Ehrenbürger der Stadt Wurzen, 1875–1906 Prof. Dr. theol. et phil. Alfred Dedo Müller (12.1.1890– Mitglied der Ersten Kammer des Sächsischen Landtags, 4.8.1972), Professor für Praktische Theologie an der 1891–1904 Präsident der Ersten Kammer des Säch- Universität Leipzig, lebte in Leipzig, aufgenommen am sischen Landtags, 1891–1901 Präsident der Landes- 21.10.1956 synode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, lebte in Prof. Dr.-Ing. Hans Nadler (1.7.1910–8.10.2005), Lossa und Wurzen, aufgenommen 6.5.1894, 22.5.1898– Leiter des Instituts für Denkmalpflege, Arbeitsstelle 2.7.1906 Domdechant, 2.7.1906–4.7.1910 Dompropst Dresden, lebte in Dresden, aufgenommen 18.5.1969 Prof. Dr. theol. Ulrich Kühn (16.3.1932–29.11.2012), Exzellenz Staatsminister Hermann von Nostitz-Wall- Dozent am Theologischen Seminar Leipzig, Professor witz (30.3.1826–10.1.1906), Besitzer des Ritterguts für Systematische Theologie an der Universität Wien, Sohland/Spree, 1866–1891 Minister des Innern, 1869– Professor für Systematische Theologie an der Uni- 1871 und 1882–1895 Minister des Königlichen Hau- versität Leipzig, lebte in Leipzig, aufgenommen am ses, 1876–1882 Minister für Auswärtige Angelegen- 31.10.1992, 2007 außerordentlicher Domherr heiten, Mitglied des Reichstags, 1891–1904 Mitglied Prof. Lic. theol. Franz Lau (18.2.1907–6.6.1973), 1945– der Ersten Kammer des Sächsischen Landtags, Ehren- 1947 Landessuperintendent und Leiter der Ev.-Luth. bürger von Dresden, aufgenommen vor 1860, 1860–1872 Landeskirche Sachsens, Professor für Kirchenge- schichte Propst zu Bautzen, 28.2.1886–17.1.1906 Dompropst an der Universität Leipzig, 1952–1971 Präsi-dent des Geheimer Regierungsrat Dr. jur. Rudolf von Oppen Gustav-Adolf-Werks, lebte in Markkleeberg, aufgenom- (10.4.1855–1927), Amtshauptmann in Marienberg men 21.10.1956, 21.10.1956–3.4.1972 Dom-dechant und Plauen, 1909 - 1913 Kreishauptmann in Dresden, Prof. Dr. theol. habil. et Dr. phil Johannes Leipoldt ab 1914 Präsident des Oberverwaltungsgerichts Dres- (20.12.1880–22.2.1965), Professor für Neutestament- den, lebte in Dresden, aufgenommen vor 1914, 1914– liche Wissenschaft an der Universität Leipzig, Mitglied 1927 Propst zu Bautzen

Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 445 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert

Geheimer Studienrat Dr. phil. Hermann Peter (7.9. Universität Leipzig, lebte in Markkleeberg, am 1837–16.2.1914), 1874 - 1905 Rektor der Fürsten- und 17.10.1937 in das Wurzener Domkapitel und am Landesschule St. Afra in Meißen, lebte in Meißen, 9.5.1948 in das Meißner Domkapitel aufgenommen, aufgenommen 31.5.1908, 1911–1914 Propst zu Baut- Onkel der Königin Silvia von Schweden, geb. zen, 1909/10 Vertreter des Hochstifts Meißen in der Sommerlath, 16.11.1955–4.3.1983 Dompropst Ersten Kammer des Sächsischen Landtags Oberkirchenrat Dr. jur. Walther Thomas (26.4.1881– Major a. D. Kammerherr Bernhard Edler von der 10.3.1973), 1925–1926 Oberregierungsrat im Lan- Planitz (7.1.1828–23.11.1907), Besitzer des Ritterguts deskonsistorium der Ev.-Luth. Landeskirche Sach- Naundorf bei Oschatz, 1869 - 1902 Mitglied der Ersten sens, 1926–1956 Kirchenamtsrat in Bautzen, 1947– Kammer des Sächsischen Landtags, aufgenommen am 1949 Aberkennung der Dienstbezeichnung Ober- 22.5.1882, 1906–1907 Propst zu Bautzen kirchenrat und betraut mit Bearbeitung juristischer Angelegenheiten, lebte in Bautzen, 1967 Übersiedlung Geheimer Kirchenrat Prof. Dr. theol. Dr. jur. h. c. Franz nach Bayern, lebte seitdem in Sonthofen, Oberstdorf Rendtorff (1.8.1860–17.3.1937), Professor für Prak- und Bad Reichenhall, aufgenommen 30.5.1965 tische Theologie und Neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Leipzig, Vater des mecklenburgischen Hans Dietrich Konrad von Trützschler (seit 1900 von Landesbischofs Heinrich Rendtorff, lebte in Leipzig, Trützschler Freiherr zum Falkenstein) (20.2.1830– aufgenommen 1922, ausgeschieden 1930 infolge Eme- 12.5.1907), Besitzer des Ritterguts Dorfstadt, 1877– ritierung 1907 Mitglied der Ersten Kammer des Sächsischen Landtags, aufgenommen 14.5.1899 Kammerherr Carl Graf von Rex (23.4.1825–21.10. 1905), Besitzer der Rittergüter Ober Oertmannsdorf Generalleutnant a. D. Exzellenz Woldemar Graf Vitz- bei Lauban und Zedtlitz bei Borna, 1871–1905 Mitglied thum von Eckstädt (7.9.1863–26.11.1936), 1928– der Ersten Kammer des Sächsischen Landtags, lebte in 1933 Präsident der Landessynode der Ev.-Luth. Lan- Ober Oertmannsdorf und Dresden, Jahr der Aufnahme deskirche Sachsens, aufgenommen vor 1929 nicht bekannt, 1893–1905 Propst zu Bautzen Pfarrer Werner Vogel (21.8.1917–23.6.1991), Direktor Dr. theol. Christian Rietschel (5.3.1908–3.9.1997), der Inneren Mission, lebte in Leipzig, aufgenommen Urenkel des Bildhauers Ernst Rietschel, 1950–1973 29.5.1976 Leiter des Kunstdienstes der Ev.-Luth. Landeskirche Oberkirchenrat Ernst Wäntig (auch Waentig) (25.3. Sachsens und Schriftleiter der Kirchenzeitung „Der 1898–9.9.1990), Kirchenamtsrat, lebte in Zwickau, Sonntag“, lebte in Radebeul und seit 1973 in Bad aufgenommen 18.5.1969, 1972 - 1987 Propst zu Bautzen Salzuflen, aufgenommen am 19.12.1967, mit Wirk- samwerden der Verfassung des Hochstifts Meißen am Prof. Dr. theol. Heinz Wagner (22.11.1912–10.4.1994), 30.1.1976 außerordentlicher Domherr, Rücktritt am Professor für Praktische Theologie an der Universität 15.5.1984 Leipzig, aufgenommen 11.5.1975, 14.5.1983–31.10.1992 Dompropst Kammerherr Dr. jur. Leo Sahrer von Sahr (17.10.1852– 7.8.1925), Besitzer des Ritterguts Dahlen, 1895–1904 Oberkirchenrat Superintendent i.R. Richard Weidauer Mitglied und 1901–1904 Sekretär der Ersten Kammer (3.11.1867–18.10.1967), 1917–1934 Superintendent des Sächsischen Landtags, lebte in Dahlen, aufge- in Grimma, lebte in Grimma, 1925 in das Wurzener nommen 27.10.1906 Domkapitel aufgenommen, dort 1927 Dechant, 9.5. 1948 in das Meißner Domkapitel aufgenommen, 1956– Geheimer Rat Ministerialdirektor a. D. Dr. jur. Dr.-Ing. 1967 Propst zu Bautzen Dr. med. vet. Georg Schmaltz (9.6.1862–vor 1945), Vortragender Rat im Ministerium des Kultus und Exzellenz Wirklicher Geheimer Rat Dr. jur. h. c. Johann öffentlichen Unterrichts, Ministerialdirektor im Minis- Georg Freiherr von Welck (1.11.1839–18.2.1912), terium für Volksbildung, aufgenommen vor 1928, 13.5. Kreishauptmann in Leipzig, lebte in Niederlößnitz, auf- 1928–28.5.1933 Dechant, 28.5.1933–1940 Propst genommen 29.5.1911 Geheimer Rat Prof. Dr. jur. Alfred Schultze (25.2.1864– Geheimer Regierungsrat a. D. Kammerherr Alfred 3.7.1946), Professor für Rechtswissenschaft an der Freiherr von Welck (13.12.1866–22.4.1963), 1906– Universität Leipzig, lebte in Leipzig, aufgenommen vor 1911 Amtshauptmann in Annaberg und Glauchau, 1929, 1933–1946 Propst zu Bautzen 1911–1916 Rat im Landeskonsistorium der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1916–1923 Geheimer Re- Oberkirchenrat bacc. jur. utr. Hans Schulz-Blochwitz gierungsrat im Ministeriums des Innern, 1926–1930 (14.3.1888–17.6.1967), Städtischer Juristischer Di- Kirchenamtsrat im Kirchenkreis Dresden, Rechtsritter rektor beim Rat der Stadt Dresden, 1945–1948 Ober- des Johanniterordens, lebte in Dresden, Radibor, Lau- kirchenrat im Landeskirchenamt der Ev.-Luth. Landes- bach und Bad Godesberg, 1945 enteignet und ver- kirche Sachsens, seit 1951 Jurist in der Senatsverwal- trieben, aufgenommen 26.5.1926, 13.5.1928–31.12.1940 tung für Sozialwesen des Landes Berlin, lebte in Domdechant, 1.1.1941–30.12.1947 Dompropst Dresden und seit 1951 in Berlin (West), aufgenommen in das Wurzener Domkapitel am 7.3.1946 und in das Dr. theol. Christoph Wetzel (geb. 6.7.1929), 1976–1983 Meißner Domkapitel am 9.5.1948 Superintendent des Kirchenbezirks Dresden-Nord, seit 1983 Studiendirektor an der Kirchenmusikschule, spä- Exzellenz Staatsminister a. D. Dr. phil. h. c. Dr. jur. h. c. ter Hochschule für Kirchenmusik in Dresden, lebt in Dr. theol. h. c. Dr.-Ing. e. h. Paul von Seydewitz (3.5. Dresden, aufgenommen 30.5.1987, 2004 außerordent- 1843–17.12.1910), 1892–1905 Minister des Kultus licher Domherr Autor und öffentlichen Unterrichts, Minister des Königlichen Dr. Matthias Donath Hauses, Rechtsritter des Johanniterordens, aufge- Oberlandeskirchenrat Peter Zweynert (geb. 13.12.1943), Vorsitzender des Dombau-Ver- nommen 2.7.1906, 1908–1910 Propst zu Bautzen Oberlandeskirchenrat im Landeskirchenamt der Ev.- Luth. Landeskirche Sachsens, aufgenommen am 16.5. eins Meißen und Herausgeber Prof. Dr. theol. Ernst Sommerlath (23.1.1889–4.3. 1999, 2017 außerordentlicher Domherr der "Sächsischen Heimatblätter" 1983), Professor für Systematische Theologie an der

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