Das Meißner Domkapitel Im 20. Jahrhundert Matthias Donath

Das Meißner Domkapitel Im 20. Jahrhundert Matthias Donath

Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert Matthias Donath Das Meißner Domkapitel mit Das Meißner Domkapitel besteht ohne Unterbre- durchführen zu lassen, gestrichen. Geblieben war die Stiftsherr Landesbischof Dr. Carsten chung seit dem Mittelalter. Es kann zwar erst seit staatsrechtliche Stellung des Domkapitels als Wahl- Rentzing am 31. Oktober 2016 der Mitte des 11. Jahrhunderts verbindlich nachge- und Aufsichtsgremium für das Hochstift Meißen und Foto: Mirko Stelzner wiesen werden, doch es wird angenommen, dass den Stiftsherrn, den reichsfürstlichen Vertreter an bereits der erste Bischof von Meißen, Burchard, der Stelle des früheren Bischofs. Seit der Resignation der am Weihnachtstag des Jahres 968 in sein Amt des letzten Bischofs und der Wahl Kurfürst Augusts eingeführt wurde, auch eine Gemeinschaft von von Sachsen (1526–1586) zum Stiftsherrn hatte das Geistlichen einsetzte, die ihn unterstützte.1 Zur evangelische Domkapitel den Stiftsherrn zu wählen, Geschichte des Meißner Domkapitels im Mittelal- der die Hoheit im Hochstiftsgebiet ausübte und die ter liegen mehrere wissenschaftliche Arbeiten und Stiftsregierung einsetzte, doch seit der sogenannten Einzelstudien vor.2 Perpetuierlichen Kapitulation von 1663, die das Amt Dagegen ist die Geschichte des Domkapitels nach des Stiftsherrn erblich mit dem sächsischen Kurhaus 1 Vgl. Kunz von Brunn, ge- der Reformation bisher nur überblicksartig behan- verband, war das Wahlrecht praktisch aufgehoben. nannt von Kauffungen: Das delt worden.3 Der Meißner Dom gehört zu den Bi- So blieb als wichtigste Aufgabe die Aufrechterhal- Domkapitel von Meißen im schofskirchen, an denen trotz Einführung der Refor- tung des Gottesdienstes in der Domkirche in Mei- Mittelalter. Ein Beitrag zur mation die aus dem römisch-katholischen Kirchen- ßen. Das Vermögen des Domkapitels wurde von Verfassungs- und Verwal- recht stammende Institution eines Domkapitels be- einem Juristen, dem Stiftssyndikus, verwaltet. Ent- tungsgeschichte der deut- stehen blieb. Das Erfordernis einer geistlichen Wei- scheidend für das Fortbestehen des Domkapitels schen Domkapitel. In: Mit- teilungen des Vereins für he und damit des Zölibats für eine Aufnahme ins war, dass die Domherren mit Geld- und Sachleistun- Geschichte der Stadt Meißen Domkapitel wurde aufgehoben und die Verpflich- gen verbundene Präbenden (Pfründen) innehatten 6, Heft 2 (1902), S. 121-253. tung, am Chorgebet teilzunehmen oder dieses und somit beträchtliche Einnahmen erzielten. Seit Sächsische Heimatblätter · 4 | 2018 418 Das Meißner Domkapitel im 20. Jahrhundert 1413 waren zwei Kanonikate (Domherrenstellen) legt, waren zwei für Professoren der Universität 2 An erster Stelle ist hier Brunn für Professoren der Theologischen Fakultät der Uni- Leipzig reserviert. Die Leipziger Theologieprofes- (wie Anm. 1) zu nennen. Die versität Leipzig reserviert.4 Die Theologieprofesso- soren wurden von der Theologischen Fakultät der neuere Literatur zu Bistum und Domkapitel zu Meißen ren benötigten die Präbendenzahlungen für ihren Universität Leipzig ernannt und vom Rektor dem ist zu finden bei Enno Bünz: Lebensunterhalt. Für die übrigen sechs Kanonikate Domkapitel präsentiert. Wenn sie nicht im Amt Das Bistum Meißen im späten war eine adlige Abstammung gefordert. Diese Rege- verstarben, sondern emeritiert wurden, erlosch Mittelalter und in der Refor- lung wurde im Jahr 1700 soweit verschärft, dass eine ihr Kanonikat mit der Emeritierung. Wie in den mationszeit (1485-1539). In: lückenlose Abfolge adliger Vorfahren über vier Ge- Jahrhunderten zuvor, gehörten dem Domkapitel Claudia Kunde/André Thie- nerationen nachzuweisen war. Mitglieder sächsi- auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts anerkannte me (Hrsg.): Ein Schatz nicht scher Adelsfamilien setzten ihre Kinder auf eine Theologen mit hoher wissenschaftlicher Reputati- von Geld. Benno von Mei- ßen. Sachsens erster Heili- Warteliste zur Aufnahme ins Domkapitel. Hier on an, etwa die Professoren Ernst Luthardt (1823– ger. Katalog zur Sonderaus- konnten die Expektanten (Anwärter) aufrücken, 1902), Gustav Adolf Fricke (1822–1908), Rudolf stellung in der Albrechtsburg und, wenn sie an der Reihe waren, ins Domkapitel Hofmann (1825–1917), Theodor Brieger (1842– Meissen. Petersberg 2017, gewählt werden. Die Pfründe garantierte den adli- 1915), Albert Hauck (1845–1918) und Rudolf Kit- S. 168-179. Hervorzuheben gen Domherren ein sicheres Einkommen, ohne dass tel (1853–1929). Im Mai 1918, wenige Monate vor sind ferner Jörg Rogge: Zum dafür etwas zu tun gewesen wäre. der Revolution, wurde Prof. Dr. Ludwig Ihmels Verhältnis von Bischof und Erstaunlich erscheint, dass das Domkapitel unter (1858–1933), Professor für Dogmatik in Leipzig Domkapitel des Hochstifts Meißen im 14. und 15. Jahr- diesen Umständen die Reformen des 19. Jahrhun- und später erster Landesbischof Sachsens, ins hundert. In: Römische Quar- derts überstand. Während der Revolution 1848/49 Domkapitel aufgenommen. talsschrift 91 (1996), S. 182- wurde eine Auflösung beantragt und beinahe umge- Die sechs anderen Domherrenstellen wurden ge- 206; Hermann Kinne: Die setzt. Nur um Haaresbreite hatte sie verhindert mäß Reformvertrag von 1859 auf Lebenszeit durch Meißner Dompröpste des 15. werden können, weil die Staatsminister den bereits Wahl besetzt. Das Domkapitel erstellte einen Jahrhunderts. Eine prosopo- ausgehandelten Aufhebungsvertrag vom 5. März Dreiervorschlag, und der Stiftsherr, also der König graphische Studie. In: Blätter 1851 nicht dem König zur Ratifizierung vorlegten von Sachsen, wählte in Abstimmung mit den in für deutsche Landesgeschich- te 148 (2012), S. 153-237; und ab 1853 eine Reform anstelle einer Aufhebung Evangelicis beauftragten Staatsministern einen Manfred Josef Thaler: Die anstrebten. Der Reformvertrag vom 15. Dezember von ihnen aus. Obwohl keine adlige Abstammung Domkapitel der Reichskirche 1859, den König Johann von Sachsen (1801–1873) gefordert war, besetzten die meist adligen Dom- vom Wiener Konkordat bis am 25. Februar 1860 ratifizierte, reduzierte die herren die freigewordenen Stellen praktisch nur zur Säkularisation (1448- Höhe der Präbenden und hob das Erfordernis der mit Angehörigen der gleichen sozialen Schicht. So 1803). Grundzüge ihrer Ver- adligen Abstammung auf. Ins Domkapitel konnten bestand das Domkapitel überwiegend aus hohen fassung im Vergleich. Frank- fortan Männer sächsischer Staatsangehörigkeit und Staatsbeamten, die angesehenen Adelsfamilien furt am Main 2017, S. 51-52, 146-147, 290-291, 436-437. evangelisch-lutherischen Glaubens gewählt wer- Sachsens angehörten. Die wichtigsten Minister der 3 Alfred Schultze: Stiftsherr und den, die sich um die Kirche, den Staat oder das Un- königlichen Regierung, so Hermann von Nostitz- Domkapitel zu Meißen einst terrichtswesen Verdienste erworben hatten. So Wallwitz (1826–1906), Georg Graf von Metzsch- und jetzt in rechtlicher Betrach- blieb das Domkapitel mit nur geringen Änderungen Reichenbach (1836–1927) oder Paul von Seyde- tung. In: Der Dom zu Mei- der Stiftsverfassung weiter bestehen. witz (1843–1910), waren zugleich Mitglieder des ßen. Festschrift des Hoch- Noch erstaunlicher ist es, dass das Domkapitel Meißner Domkapitels. Metzsch-Reichenbach war stifts Meißen 1929. Dresden auch die Brüche des 20. Jahrhundert überlebte, als Vorsitzender des Gesamtministeriums von 1929; Matthias Donath: Der Meißner Dom. Monument insbesondere die Novemberrevolution 1918, die 1901 bis 1906 sogar Regierungschef Sachsens. Ri- sächsischer Geschichte. Beu- Herrschaft der Nationalsozialisten, die radikalen chard Leo Graf von Könneritz (1828–1910) war cha 2002, v.a. S. 148-188. Veränderungen in der sowjetischen Besatzungszo- zugleich Präsident der Ersten Kammer des sächsi- 4 Markus Cottin: Die Leipziger ne und den nahezu vollständigen Verlust des Ver- schen Landtags und der Landessynode der Evan- Universitätskanonikate an mögens. Die Herrschaftsordnungen änderten sich gelisch-Lutherischen Landeskirche, was abermals den Domkapiteln von Mei- vollkommen, doch das Domkapitel fand einen verdeutlicht, wie eng Staat und Kirche damals mit- ßen, Merseburg und Naum- Weg, den Bedrängnissen zu entgehen. einander verwoben waren. Hinzu kamen Staatsbe- burg sowie am Kollegiatstift Zeitz im Mittelalter (1413- Bis zum 19. Jahrhundert ist die Geschichte des amte, wie Carl von Kirchbach (1847–1929), Präsi- 1542). Rechtliche, wirtschaft- Meißner Domkapitels wenigstens in Grundzügen dent der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen, liche und prosopographische in der Literatur nachvollziehbar.5 Dagegen fehlte oder Rudolf Carl Toussaint von Charpentier Aspekte. In: Detlef Döring bisher eine zusammenfassende Darstellung zur (1822–1903), Regierungsrat im Innenministeri- (Hrsg.): Universitätsgeschich- Geschichte des Domkapitels im 20. Jahrhundert.6 um, sowie adlige Rittergutsbesitzer aus verschie- te als Landesgeschichte. Die Aus Anlass des Jubiläums „1050 Jahre Hochstift denen Landesteilen Sachsens wie Bernhard Edler Universität Leipzig in ihren territorialgeschichtlichen Be- Meißen“ soll nun versucht werden, den Weg des von der Planitz (1828–1907) auf Naundorf bei zügen. Tagung der Histori- Meißner Domkapitels durch die Umbrüche des 20. Oschatz, Hans Dietrich Konrad von Trützschler schen Kommission der Säch- Jahrhunderts nachzuzeichnen. Die Darstellung Freiherr zum Falkenstein (1830–1907) auf Dorf- sischen Akademie der Wis- folgt überwiegend der Aktenüberlieferung im Ar- stadt bei Falkenstein im Vogtland oder Clemens senschaften zu Leipzig vom chiv des Hochstifts Meißen7 und im Landeskir- Graf zur Lippe (1860–1920) auf Döberkitz bei

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