Dr. Erhard Eppler Bundesminister A.D. Im Gespräch Mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, Ganz Herzlich Willkommen Zum
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0612/20061211.shtml Sendung vom 11.12.2006, 20.15 Uhr Dr. Erhard Eppler Bundesminister a.D. im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-forum. Unser heutiger Gast ist Dr. Erhard Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Jahren 1968 bis 1974. Damit hat Dr. Eppler unter drei Bundeskanzlern agiert: in der großen Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger, in der ersten sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt und dann, wenigstens für kurze Zeit, auch unter Helmut Schmidt. Als Vor-, Quer- und Nachdenker apostrophiert, war Erhard Eppler fast lückenlos Mitglied des SPD-Präsidiums in den Jahren 1973 bis 1989 und Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission von 1975 bis 1992. Ich freue mich, dass er heute hier ist: Ganz herzlich willkommen, Herr Dr. Eppler. "Politik ist die angewandte Liebe zur Welt, jedenfalls zu den Menschen." Dieses Zitat wird der Philosophin Hannah Arendt zugeschrieben. Sie haben ja nun sehr lange Politik gemacht, Sie haben sie geprägt im Parlament und außerhalb des Parlaments: Würden Sie denn sagen, Hannah Arendt hat recht? Oder hat sich die Politik seitdem doch ein bisschen gewandelt? Eppler: Ich glaube, dass es nie ganz so war, wie Hannah Arendt das formuliert hat. Aber es ist in der Tat sehr schwer, Politik zu machen, wenn man die Menschen nicht mag, denn dann kommt etwas Zynisches dabei heraus und jedenfalls nichts Gutes. Reuß: "Politik ist Kampf um Macht, aber eben auch wertendes Streiten und streitendes Werten darüber, wie wir leben und wie wir dezidiert nicht leben wollen." Dieses Satz stammt von Ihnen. Würden Sie sagen, dass er heute noch gültig ist? Eppler: Ja, das ist heute noch gültig. Aber ich möchte doch eine kleine Nuance anbringen. Vor etwa 30 Jahren haben wir in der Politik wirklich die Frage gestellt: "Wie wollen wir leben?" Heute stelle ich fest, dass die Frage meistens lautet, "Wie müssen wir leben?", um uns in der globalisierten Ökonomie behaupten zu können, um die Klimakatastrophe zu vermeiden usw. Hier hat sich also eine gewisse Akzentverschiebung ergeben. Reuß: Sie haben einmal gesagt, die Politikverdrossenheit sei eigentlich gar keine Politikverdrossenheit, denn die Leute seien nach wie vor an Politik interessiert. Es gäbe eher einen Verdruss darüber, dass Politik nicht mehr stattfinde. Was findet denn stattdessen statt? Eppler: Na ja, das ist vielleicht doch eine etwas scharfe Formulierung. Ich würde das heute jedenfalls so ausdrücken wollen: Die Menschen spüren, dass die Politiker nicht so mächtig sind, wie sie tun, und dass sie vieles gar nicht entscheiden können. Wenn z. B. ein internationaler Konzern, der eine ordentliche Rendite hat, dennoch einige Tausend Leute entlässt, dann können weder der Kanzler oder die Kanzlerin noch der Wirtschaftsminister irgendetwas dagegen tun. Die Menschen spüren, dass der Staat in gewissem Sinne sogar erpressbar geworden ist. Da wird von der Seite der Konzerne z. B. gesagt: "Wenn ihr die Unternehmenssteuern nicht deutlich senkt, dann machen wir eben mit unseren Investitionen einen weiten Bogen um euer Land herum und ziehen möglicherweise auch das noch ab, was wir bereits investiert haben." Wie gesagt, die Möglichkeiten, Politik zu machen, sind heute jedenfalls im Nationalstaat wesentlich geringer als zu der Zeit, als ich Mitglied der Regierung gewesen bin. Reuß: Sie haben einmal den Schweizer Humanisten Jacob Christoph Burckhardt zitiert, der meinte, dass Macht an sich böse sei, weil sie eine Gier sei: unendlich, unerfüllbar und daher notwendig destruktiv. Sie selbst haben einmal Macht definiert als die Fähigkeit, Menschen zu einem bestimmen Verhalten zu veranlassen. An anderer Stelle haben Sie gesagt: "Als politischer Mensch hat mich Macht immer fasziniert." Worin besteht die Faszination der Macht? Eppler: Die Faszination besteht einfach darin, dass man etwas bewirken kann, was man ohne Macht nicht könnte. Im Übrigen habe ich Burckhardt nie zugestimmt. Burckhardt hat dann Recht, wenn die Macht nur noch um der Macht willen erstrebt oder behauptet wird. Er hat dort nicht Recht, wo die Macht erstrebt wird, um bestimmte Dinge für die Menschen zu bewirken. Insofern hat er also nicht Recht. Reuß: Auf Sie geht die schöne Unterscheidung zwischen Strukturkonservatismus und Wertkonservatismus zurück. Sind Sie selbst ein Wertkonservativer? Und wenn ja, welche Werte gilt es Ihrer Ansicht nach zu bewahren? Eppler: Diese Unterscheidung habe ich vor 31 Jahren gemacht, und zwar im Zusammenhang mit der aufkommenden Ökologiediskussion. Ich habe damals als einen dieser Werte z. B. die unzerstörte Natur gesehen. Aber natürlich gibt es auch Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit usw. Ich meine in der Tat, dass es ganz verschiedene Arten von Konservativen gibt. Es gibt Konservative, denen geht es vor allem darum, bestimmte Machtverhältnisse zu bewahren. Diese Menschen nenne ich die Strukturkonservativen. Ich hätte sie auch Machtkonservative nennen können. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die geradezu revolutionär werden müssen, um bestimmte Werte bewahren zu können. Ich habe das damals exemplifiziert an dem Streit über die Autobahn, die den Hochschwarzwald überqueren sollte. Damals haben die Bergbauern im Schwarzwald rebelliert, aber auch die Jusos in Freiburg. Beide wollten sie diese herrliche Natur nicht zerstört wissen. Es gibt also auch eine gewisse Art von revolutionärem Wertkonservatismus. Reuß: Von dem französischen Moralisten Joseph Joubert stammt der schöne Satz: "Politik ist die Kunst, die Menge zu leiten - nicht wohin sie gehen will, sondern wohin sie gehen soll." Kann man das heute in der Mediendemokratie, die doch sehr häufig populistisch ist und vielleicht sogar sein muss, auch noch so sehen? Wie weit reicht heute die Führungspflicht und die Führungsmöglichkeit der Politik? Eppler: Sie haben sicherlich recht: Heute ist Politik häufig die Kunst herauszufinden, was die Menschen gerne haben wollen – und dieses dann zu tun. Aber wenn ich z. B. an das denke, was im Zentrum meiner politischen Existenz lag, nämlich an die Ostpolitik von Willy Brandt, dann sieht das anders aus. Als Willy Brandt damit anfing, wollten die meisten Menschen in Deutschland dies nicht. Als er es durchgesetzt hatte, wollten es dann auch die meisten Menschen bei uns im Lande so. Das heißt, sie haben ihm dann bei der nächsten Wahl erneut eine Mehrheit gegeben. Aber dazwischen musste er doch seine politische Existenz aufs Spiel setzen, um das durchzusetzen. Er hat also tatsächlich, und das war auch bei Adenauer in ähnlicher Weise so gewesen, die Menschen dorthin geführt, wohin sie ursprünglich nicht wollten. Reuß: "Es stimmt nicht, dass sich in der Politik von Hause aus ein besonders windiger Menschentyp tummelt. Aber es stimmt, dass Menschen in der Politik noch rascher und gründlicher deformiert werden als anderswo, und zwar um so heilloser, je weniger sie dessen gewahr werden." Auch dieser Satz stammt von Ihnen. Worin besteht denn die Gefahr der Deformation in der Politik? Sind das die Insignien der Macht? Ist es das ständige Tummeln in der Öffentlichkeit? Woran liegt das? Eppler: Ich muss vielleicht noch etwas anderes vorausschicken. Ich habe später einmal gesagt, ich unterscheide eigentlich nur noch zwei Sorten von Politikern: die einen, die in diesem Geschäft nur deformiert werden oder überwiegend deformiert werden, und die anderen, die in diesem schrecklichen Geschäft trotz allem reifer werden. Reuß: Wenn Sie das quantifizieren sollten, wie groß ist der Anteil der einen und der anderen? Eppler: Drei zu eins. Aufgrund meiner doch recht engen Verbundenheit mit Willy Brandt würde ich ihn zu der zweiten Kategorie rechnen. Ich habe Willy Brandt, als er 50 Jahre alt war, nicht besonders geschätzt. Ich war ihm gegenüber sehr kritisch. Als er 75 Jahre alt war, habe ich ihn verehrt. Das heißt, da ist in diesem Geschäft eine erstaunliche Reifung, auch menschliche Reifung geschehen, die ich, wie gesagt, bei vielen anderen, auch anderen Kanzlern, so nie empfunden habe. Nun aber zu Ihrer Frage, woher diese Deformierung eigentlich kommt. Diese Deformierung kommt zunächst einmal von etwas ganz Praktischem, nämlich vom Terminkalender. Ein führender Politiker macht ja seinen Terminkalender nicht selbst, sondern das macht ihm irgendeine Mitarbeiterin. Und dann wird gewissermaßen manipuliert: Morgens um 8.30 Uhr hat er den ersten Termin – und dann geht das durch bis abends um 23.00 Uhr. Da gibt es zwischendrin überhaupt keine Zeit zum Nachdenken, zum Überlegen: "Was machst du da eigentlich? Muss das sein?" Die Hektik des politischen Betriebs ist also schon mal ein Grund. Dann gibt es daneben eben auch noch diesen Zwang zum Kampf. Wer eine Machtposition hat, muss sie zuerst einmal erkämpft haben. Dann muss er sie permanent verteidigen. Das führt häufig dazu, dass letztlich die Frage, wozu man denn diese Macht eigentlich verwenden möchte, ganz in den Hintergrund tritt und die Macht nur noch um der Macht willen erkämpft oder verteidigt wird. Da beginnt meiner Überzeugung nach die Deformation. Wenn man das mal einige Jahre lang so gemacht hat, dann leidet die Humanität. Reuß: Waren Sie selbst auch in dieser Gefahr? Eppler: Ich glaube, in der zuerst genannten Gefahr war ich in der Tat. Die Hektik des Betriebs drohte mich aufzusaugen. Man nimmt dann so manche menschliche Rücksicht einfach nicht mehr. Man kümmert sich z. B. um die eigenen Mitarbeiter und deren Probleme überhaupt nicht mehr. In dieser Gefahr stand ich durchaus. In der zweiten Gefahr,